Geschichte, Archäologie, Öffentlichkeit: Für einen neuen Dialog zwischen Wissenschaft und Medien. Standpunkte aus Forschung und Praxis [1. Aufl.] 9783839416211

Ob es um den Neandertaler, den Kampf um Troja oder Indiana Jones geht: Wissenswertes und Spannendes aus Archäologie und

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Geschichte, Archäologie, Öffentlichkeit: Für einen neuen Dialog zwischen Wissenschaft und Medien. Standpunkte aus Forschung und Praxis [1. Aufl.]
 9783839416211

Table of contents :
INHALT
Einleitung
Schliemanns Erbe? Populäre Bilder von Archäologie in der Öffentlichkeit
ArchäologInnen und Archäologie in den Medien: Ein störendes Spiegelbild?
Ganze Lebenswelten auf nur 35 mm?
»Schon Höhlenmänner bevorzugten Blondinen«. Gesellschaftliche und politische Funktionen der Urgeschichte im Spiegel von Medientexten
›Black Romans‹ - Die Antike im öffentlichen Diskurs um eine ›schwarze‹ britische Geschichte
In der Seele des Zenturio oder: Römische Geschichte als soap
Journalisten und Archäologen - für eine bessere Partnerschaft
›Wie man Ausgräber angräbt‹: Über das Verhältnis von Journalismus und Archäologie
Ein populäres Archäologiemagazin auf Papier: ›Zum Blättern gern‹
Homer ist überall: Archäologie als Leitwissenschaft
Antike im Sachbuch - Forschung zum Schmökern?
Das Indiana-Jones-Syndrom: Geschichtsfernsehen zwischen Wissenschaft und Kommerz
Geklaute Germanen? Fernsehdokumentationen als Basis für Unterrichtsfilme
Mythos Troja - oder die ewige Frage nach dem hölzernen Pferd
Rauschen im Blätterwald - Die Ausstellung Imperium Konflikt Mythos. 2000 Jahre Varusschlacht und ihr Widerhall in den Medien
Autorinnen und Autoren
Register

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Hans-Joachim Gehrke, Miriam Sénécheau (Hg.) Geschichte, Archäologie, Öffentlichkeit

Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen History in Popular Cultures | Band 4

Editorial In der Reihe Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen | History in Popular Cultures erscheinen Studien, die populäre Geschichtsdarstellungen interdisziplinär oder aus der Perspektive einzelner Fachrichtungen (insbesondere der Geschichts-, Literaturund Medienwissenschaft sowie der Ethnologie und Soziologie) untersuchen. Im Blickpunkt stehen Inhalte, Medien, Genres und Funktionen heutiger ebenso wie vergangener Geschichtskulturen. Die Reihe wird herausgegeben von Barbara Korte und Sylvia Paletschek (geschäftsführend) sowie Hans-Joachim Gehrke, Wolfgang Hochbruck, Sven Kommer und Judith Schlehe.

Hans-Joachim Gehrke, Miriam Sénécheau (Hg.)

Geschichte, Archäologie, Öffentlichkeit Für einen neuen Dialog zwischen Wissenschaft und Medien. Standpunkte aus Forschung und Praxis

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Gerda Henkel Stiftung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2010 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek, München Lektorat: Miriam Sénécheau, Anabelle Thurn Satz: Miriam Sénécheau, Anabelle Thurn Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1621-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

INHALT Einleitung HANS-JOACHIM GEHRKE/MIRIAM SÉNÉCHEAU 9

Schliemanns Erbe? Populäre Bilder von Archäologie in der Öffentlichkeit STEFANIE SAMIDA 31

ArchäologInnen und Archäologie in den Medien: Ein störendes Spiegelbild? MARC-ANTOINE KAESER 49

Ganze Lebenswelten auf nur 35 mm? PATRICIA RAHEMIPOUR 63

»Schon Höhlenmänner bevorzugten Blondinen«. Gesellschaftliche und politische Funktionen der Urgeschichte im Spiegel von Medientexten BRIGITTE RÖDER 79

›Black Romans‹ î Die Antike im öffentlichen Diskurs um eine ›schwarze‹ britische Geschichte EVA ULRIKE PIRKER 103

In der Seele des Zenturio oder: Römische Geschichte als soap THOMAS SPÄTH 123

Journalisten und Archäologen î für eine bessere Partnerschaft SIEBO HEINKEN 151

›Wie man Ausgräber angräbt‹: Über das Verhältnis von Journalismus und Archäologie CORNELIA VARWIG 161

Ein populäres Archäologiemagazin auf Papier: ›Zum Blättern gern‹ ANDRÉ WAIS 181

Homer ist überall: Archäologie als Leitwissenschaft BERTHOLD SEEWALD 193

Antike im Sachbuch î Forschung zum Schmökern? JOHANNES SALTZWEDEL 211

Das Indiana-Jones-Syndrom: Geschichtsfernsehen zwischen Wissenschaft und Kommerz TAMARA SPITZING 219

Geklaute Germanen? Fernsehdokumentationen als Basis für Unterrichtsfilme MIRIAM SÉNÉCHEAU 227

Mythos Troja î oder die ewige Frage nach dem hölzernen Pferd HANS-FRIEDRICH STEINHARDT 259

Rauschen im Blätterwald î Die Ausstellung Imperium Konflikt Mythos. 2000 Jahre Varusschlacht und ihr Widerhall in den Medien MICHAEL ZELLE 275

Autorinnen und Autoren 285

Register 289

EINLEITUNG HANS-JOACHIM GEHRKE/MIRIAM SÉNÉCHEAU

From the Stone Ages to Troy, the Battle of Teutoburg Forest and federal archaeology in Germany to Indiana Jones – the diversity of topics discussed in this volume demonstrates the undeniable public curiosity for historical and archaeological information and sensation. In film, novels, television documentaries, non-fiction books, museums and magazines, reports of the past and the research of it constantly negotiate between the desire for entertainment as well as for education, successful viewing, visitor quotas and print runs. The dual perspectives presented here, from both researchers and media producers, engender insights into the forms, ways and development of historical and archaeological representation in the media. Historical origins and the social functions of beloved clichés become apparent, as well as the concrete opportunities and difficulties which a dialogue between science and media are party to. The problematic of creating representations which are both scientifically accurate and entertaining, and which in turn better unify the interests of the public, media producers and scientists is tackled in various ways in this volume. Darstellungen der Antike, Bilder aus der alten Welt sowie von Lebenszusammenhängen, großen Ereignissen und bedeutenden Persönlichkeiten sind in sämtlichen Medienformaten weit verbreitet. Man kann sogar ein stetig wachsendes Interesse an ihnen feststellen. Diese Beobachtung trifft auch auf die Archäologie, eine moderne Wissenschaft, zu, die sich – neben anderen Disziplinen – der Antike in besonderem Maße annimmt, und zwar auf eine Weise, die sich medial sehr gut umsetzen lässt: Die Suche nach den Wurzeln, die damit auch die Ur- und Frühgeschichte des Menschen und ihre Erforschung einbindet, fasziniert generell, und wenn sie noch dazu mit innovativen (oder zumindest als solche geltenden) Methoden, nicht zuletzt mit Mitteln der Hochtechnologie vorangetrieben wird, gewinnt sie zudem an Attraktivität. Derartig aufgearbeitet ist Archäologie gut vermittelbar, und so ist der zu konstatierende ›Boom‹ des Themas leicht zu erklären.

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HANS-JOACHIM GEHRKE/MIRIAM SÉNÉCHEAU

Warum dieses Buch? Nicht zuletzt in Anbetracht einer solchen Popularität der ›antiken Thematik‹ ist es an der Zeit, dass sich die archäologischen und historischen Wissenschaften mit den Repräsentationen von Archäologie und Geschichte in der Öffentlichkeit noch intensiver auseinandersetzen, als dies bislang geschehen ist1 – und zwar im Sinne einer konstruktiven Kritik sowie einer aktiven, zugleich wissenschafts- und publikumsorientierten Mitgestaltung der medial verbreiteten Bilder über die Vergangenheit und deren Erforschung. Grundlegend sollte dabei unserer Ansicht nach ein Ansatz sein, der die an der Wissensproduktion und -verbreitung beteiligten Personen in einen fruchtbaren Dialog bringt: Wissenschaftler2 als Vertreter der Forschungs- oder Bildungsinstitutionen auf der einen sowie Journalisten aus dem Bereich der Medienproduktion auf der anderen Sei1

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Als Veröffentlichungen rund um die Thematik sind u.a. zu nennen: Andreae (1981); Archäologische Informationen (1994; 1997; 2000); Archäologisches Nachrichtenblatt (2004); Arens (2006); Augstein/Samida (2008); Bohne/Heinrich (2000); Bolin (2004); Brunecker (2003); Clack/ Brittain (2007); Cyrino (2008); Denzer (2000; 2003); Driehaus (1976); Dumont (2009); Eigler (2002); Felder/Hammer/Lippok (2003); Fischer/ Wirtz (2008); Franz/Lange/Ossowski (2003); Fries/Rambuscheck/SchulteDornberg (2007); Glaser/Garsoffky/Schwan (im Druck); Haidle (2002); Härke (1993); Hedinger/Ettlin/Grando (2001); Himmelmann (1976); Hochadel (2008); Höcker (2005); Holtorf (2005a; 2005b; 2009); Horn/Sauer (2009); Jensen (2002); Jud/Kaenel (2002); Junkelmann (2004); Jürgens (2009); Kempen (1991); Kirchner (1964); Korenjak/Töchterle (2002); Korte/Paletschek (2009); Kümmel/Müller-Scheeßel/Schülke (1999); Leskovar/Kowarik (2003); Les nouvelles de l’archéologie (2008); Leuzinger (2007); Lindner (2005; 2007); Lochman (1999); Lochman/Späth/Stähli (2008); Mainka-Mehling (2008); Meier/Slaniþka (2007); Meyen/Pfaff (2006); Mölders/Hoppadietz (2007); Molyneaux (1997); Moser (1998); Noelke (2001); Obmann/Wirtz (1994); Omphalius (2006); Piccini (1996); Pirker/Rüdiger (2010); Rieche (1996); Rieche/Schneider (2002); Russel (2006); Salesch (2006); Samida (2006; 2010; im Druck); Schäfer (2005); Scherzler (2005; 2007; 2008); Schmaedecke (1989); Schmidt (2000); Schneider (2000); Schöbel (2008a; 2008b); Seidenspinner (1993); Stillger (2004); Stutterheim (2006); Tode (2009); van Royen/van der Vegt (1998); Varusschlacht im Osnabrücker Land GmbH – Museum und Park Kalkriese (2009); Voisenat (2008); Wenzel (2005); Winkler (2006); Winkler (2007); Zintzen (1998). Wir danken Stefanie Samida für zahlreiche Literaturhinweise. In die Nennung der männlichen Funktionsbezeichnung ist hier immer, sofern nicht anders gekennzeichnet, die weibliche Form mit eingeschlossen. 10

EINLEITUNG

te. Die unumgängliche Basis hierfür bildet ein gegenseitiges Verständnis der jeweiligen Ansprüche und Sachzwänge in Wissenschaft und Journalismus, die, wie wir wissen, stark voneinander differieren können und regelmäßig zur Unzufriedenheit mindestens einer der beiden Partien, sowohl mit der vorbereitenden Zusammenarbeit als auch mit dem Endprodukt, führen. Der vorliegende Band präsentiert Ergebnisse einer Konferenz, die die beiden Herausgeber vor diesem Hintergrund und mit dieser Zielrichtung als Kooperationsprojekt des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) und der DFG-Forschergruppe 875 Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen der Gegenwart (Universität Freiburg i. Br.) Ende 2009 in Berlin ausgerichtet haben.3 Dieses Buch beschäftigt sich somit auch grundlegend mit Fragestellungen, die allgemein die Arbeit der Forschergruppe prägen. Zentraler Ansatz der beteiligten Wissenschaftler ist eine Analyse verschiedener Aufarbeitungen und Darbietungsformen von Geschichte. Dabei wird – unter anderem – das Ziel verfolgt, die analytische Forschungsarbeit auf Formen ihrer medialen Umsetzung zu beziehen: Was innerhalb der verschiedenen Schwerpunkte der Gruppe untersucht und ermittelt wird, soll gleichzeitig dazu beitragen, die Darbietung der Gegenstände in den verschiedenen Medien und damit deren Präsenz in populären Wissenskulturen zu optimieren. Der wissenschaftlichkritische Blick auf die verbreiteten Präsentationen kann – so die Überlegung – dazu beitragen, diese insofern zu verbessern oder zu modifizieren, als sie wissenschaftliche Verfahren und Darstellungsweisen adäquater berücksichtigen. Damit wäre zugleich ein gewichtiger Beitrag zum ›Public understanding of the sciences and the humanities‹ (PUSH) geleistet, dem sich die Forschergruppe auch verschrieben hat. Gerade im Bereich der Archäologie und ihrer populären Präsentation ergeben sich dabei besondere Herausforderungen. Nicht selten werden sehr alte Bilder und Stereotypen, die bereits in bestimmten Medien als Klischees transportiert wurden, in neuen und moderneren weiter getragen oder lediglich variiert.4 Generell dominiert das dem Publikum Nahe und Vertraute. Die Rede vom ›Das war schon früher‹ – oder – ›schon immer so‹ steht vor der Wahrnehmung historischer Distanz. Besonders proble3

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Teil der Veranstaltung war auch eine Podiumsdiskussion zu »Geschichte im Film« mit Prof. Dr. Rainer Wirtz (Konstanz), dem Regisseur und Autor Prof. Dr. Thomas Heise (Karlsruhe), dem Schauspieler Mathias Hermann (Osnabrück), dem Filmkritiker Ulrich Kriest (Weil im Schönbuch) und dem Historiker Prof. Dr. Martin Zimmermann. Hierzu sowie zur Konferenz insgesamt vgl. Gerda Henkel Stiftung (2010: 11) und Thurn (2010). Vgl. die Beiträge in diesem Band sowie bspw. Holtorf (2007); Rahemipour (2009); Sénécheau (2008). 11

HANS-JOACHIM GEHRKE/MIRIAM SÉNÉCHEAU

matisch ist dies, wenn es um die archäologische Deutung historisch überlieferter Ethnien geht (vgl. hierzu Brather 2004), welche etwa als ›die‹ Germanen, ›die‹ Kelten, ›die‹ Römer etc. in modernen Prozessen des nation building oder als Träger kultureller Identitäten eine Rolle spielen. Gerade hier wird gerne (und zur Begründung und Legitimierung einer traditionellen Existenz ist das von zentraler Bedeutung) auf die Vorfahren Bezug genommen, wobei diese jedoch markant von der Gegenwart her gesehen werden: Selbstbilder und damit verbundene Stereotypen werden damit gleichsam in die Vergangenheit zurückverlagert.5 Die Geschichte bildet häufig keine eigenständige Größe, sondern scheint gleichsam auf die Gegenwart zuzulaufen. Ein heuristisches Problem aller historischen Disziplinen, das prekäre Verhältnis von Einst und Jetzt, wird in der öffentlichen Wahrnehmung, Deutung und Vermittlung noch verstärkt. Zur Erweiterung des Untersuchungsspektrums gehört auch die Einbeziehung der relevanten medialen Produzenten selbst. Schon angesichts deren Engagements, hinter dem ja nicht selten auch eine eigene wissenschaftliche Ausbildung steht, aber auch auf Grund der generellen Ausrichtung der Forschergruppe auf die Wechselwirkungen zwischen Forschung und populären Wissenskulturen, erschien es uns nicht sinnvoll, die Repräsentanten der verschiedenen Medien gleichsam mit dem erhobenen Zeigefinger der Wissenschaft zu konfrontieren. Deshalb wurde für die Tagung wie auch für diesen Band eine gleichgewichtige und gleichwertige Teilnahme von wissenschaftlicher wie medialer Seite angestrebt. Nach dem hier vorliegenden analytischen Zugriff sollte nun über konkrete Kooperationen nachgedacht werden. Diese könnten dazu dienen, die oben erwähnte Perspektive zu konkretisieren, also vorliegende wissenschaftliche Analysen für die unmittelbare Arbeit an der Vermittlung wissenschaftlicher Ergebnisse (im Sinne von ›PUSH‹) nutzbar zu machen. Auf diese Weise wäre – hier nun auch in den Geisteswissenschaften – ein Transfer von der Grundlagenforschung in die Praxis, auf Felder möglicher Anwendung, denkbar. Das würde allerdings bedeuten, dass in stärkerem Maße als bisher die Kooperation mit Institutionen und Personen zu suchen wäre, denen die adäquate Präsentation wissenschaftlicher Arbeitsweisen und Erkenntnisse ein besonderes Anliegen ist. Erste 5

Vgl. u.a. Citron (1991); CRDP de Bourgogne/Bibracte (2006); Dietler (1994); Erdmann (1992); Essen (1998); Fansa (1994); Geary (2002); Gehrke (2001; 2005); Killguss (2009); Kipper (2002); Kösters (2009); Landesverband Lippe (2009); Nicolet (2003); Pomian (1992); See (1970; 1994); Sénécheau (2006); Simon (1989); Viallaneix/Ehrard (1982); Wiwjorra (2006); oder etwa die Arbeiten von Miriam Sénécheau innerhalb der Forschergruppe (s.u. http://portal.uni-freiburg.de/historische-lebenswelten). 12

EINLEITUNG

Schritte wurden seitens des Deutschen Archäologischen Instituts 2009 im Rahmen eines auf die Konferenz folgenden Workshops unternommen.6 Der vorliegende Band, dessen Beiträge im Folgenden kurz vorgestellt werden, möge einen weiteren Auftakt geben und das Feld für neue Diskussionen, Forschungen und Umsetzungen in die Praxis breiter öffnen.

Populäre Bilder: Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit Die ersten sechs der hier versammelten Beiträge beschäftigen sich, dabei teilweise in die Forschungs- und Ideengeschichte zurückblickend, mit unterschiedlichen Formen der Wechselwirkung zwischen wissenschaftlicher Forschung und populären Darstellungen. Sie fragen nach den Ursprüngen oder Hintergründen beliebter Klischees zu Archäologie und Geschichte und nach deren gesellschaftlichen oder politischen Funktionen – sowie nach den Schlüssen, die seitens der archäologischen und historischen Wissenschaften aus den Beispielen gezogen werden können. Die Archäologin STEFANIE SAMIDA legt zunächst dar, wie sich die Archäologie und die von ihr erforschten Themenfelder einer überaus großen Popularität erfreuen und zu einem heute allgegenwärtigen massenmedialen Phänomen geworden sind. So positiv dies aus der Perspektive der Fachwissenschaft zu bewerten ist: Das Missverhältnis zwischen der Praxis archäologischer Forschung einerseits und ihrer Darstellung in den Medien andererseits ist dagegen ein Problem. Samida fragt entsprechend nach dem Ursprung von Stereotypen, Klischees und der Romantisierung einer Disziplin, die allgemein als abenteuerliche ›Ausgrabungswissenschaft‹ wahrgenommen wird. Eine prägende Rolle für die etwa seit 150 Jahren weit verbreitete Vorstellung von Archäologie als ›Spatenwissenschaft‹ kommt Samida zufolge Heinrich Schliemann zu, der als Laie und erster Ausgräber von Troja für eine beeindruckende Präsenz seines Projektes in den Medien sorgte. In eigenen Publikationen verbreitete er ein Bild archäologischen Arbeitens, das von Grabungen mit Spaten und Spitzhacke, von Abenteuern und entbehrungsreicher Arbeit geprägt war und, weil immer wieder in den Medien aufgegriffen – von der 6

Als Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts zählt Hans-Joachim Gehrke zu seinen Aufgaben und Interessen auch die angemessene Wiedergabe seiner vielfältigen Forschungsaktivitäten in der Öffentlichkeit: Archäologische Grundlagenforschung selbst, ihre Darstellung in den verschiedensten Medien und deren Analyse mit den Ansätzen der Forschergruppe – aus diesem dreifachen Blickwinkel wurde die Tagung geplant und auch die Richtung für die mögliche weitere Kooperation abgesteckt. 13

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zeitgenössischen Tagespresse über das Sachbuch des 20. Jahrhunderts bis zu Film und Fernsehen der Gegenwart –, als wesentlicher Ursprung für heutige populäre Vorstellungen über Archäologie betrachtet werden kann. Auch dem Archäologen MARC-ANTOINE KAESER zufolge beherrschen Klischees und Stereotype das Bild der Archäologie in der Öffentlichkeit. So werden meist Abenteuer, detektivisches Arbeiten, Entdeckungen, Ausgrabungen sowie das Wiederauflebenlassen der Vergangenheit mit dem Beruf des Archäologen assoziiert, Archäologen gerne als eine Art weltfremde Retter des Kulturerbes präsentiert. Kaeser stellt ebenfalls die Frage nach dem Ursprung der geläufigen Klischees und kommt zu dem Schluss, dass sie nicht nur originär mit den Anfängen archäologischer Forschung in Zusammenhang stehen, sondern auch ganz grundsätzlich im Fach selbst generiert werden: Die Medien bedienen sich, so die These, der unausgesprochenen Wunschvorstellungen und Träume, welche die Archäologen selbst in sich tragen und die teilweise auch die eigene Vermittlungsarbeit prägen. Dabei handelt es sich um Bilder und Erzählmotive, die nicht nur seit Schliemann, sondern schon seit der Renaissance tief in der Forschungsgeschichte verankert sind und seit jeher die Selbstdarstellung von Archäologen charakterisiert zu haben scheinen. Kaeser argumentiert auf der Grundlage zahlreicher Beispiele dafür, das öffentliche Bild der Archäologie ernst zu nehmen und als Spiegel zu betrachten, auf dessen Grundlage der eigene, mit Leidenschaft und Begeisterung ausgeübte Beruf und die zu Grunde liegenden Motivationen kritisch reflektiert werden können. Mit dem Bild einer populären Figur, des ›Steinzeitmenschen‹ und seiner Lebenswelt, setzt sich die Archäologin PATRICIA RAHEMIPOUR auseinander. Am Beispiel früher Spielfilme erläutert sie die Zusammenhänge zwischen populären Bildern und früher Forschung. Dabei konzentriert sie sich auf die Entstehung so genannter ›Stellvertreter‹, d.h. auf klischeehafte, stereotypisierte Reduktionen einer Vielzahl von Aspekten auf Ausschnitte aus der möglichen Gesamtinformation zum Leben in den Steinzeiten. So bilden etwa die Keule, Fellkleidung oder das Bild des ›Wilden Mannes‹ Stellvertreter für ›die Steinzeit‹; sie prägen öffentliche (und undifferenzierte) Vorstellungen von dieser Epoche sowie vom Ursprungsmythos des Menschen. Dabei wirken sie auch auf das Fach zurück. Kontinuität und Langlebigkeit sind wesentliche Merkmale dieser vor allem visuell geprägten Stellvertreter und Mythen, an deren Entstehung die Wissenschaft mit beteiligt war. In Anbetracht dieser Macht der Bilder fordert Rahemipour Wissenschaftler dazu auf, ihre Ergebnisse und ihre dem Zeitgeist entsprechend wechselnden Interpretationen noch stärker zu visualisieren.

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EINLEITUNG

Wie lässt sich überhaupt die außerordentlich hohe Medienpräsenz der Archäologie, die in der Wissenschaft eher als ›Orchideenfach‹ ohne erkennbaren gesellschaftlichen Nutzen gilt, erklären? Dieser Frage widmet sich die Archäologin BRIGITTE RÖDER am Beispiel der Urgeschichte im Spiegel von Medientexten. Sie macht aufbauend auf grundlegenden Überlegungen zum Verhältnis von Wissenschaft, Medien und Gesellschaft deutlich, wie vor urgeschichtlichen Kulissen, d.h. anhand von Themen zur frühen Geschichte der Menschheit, Fragen von politischer oder gesellschaftlicher Aktualität und Brisanz verhandelt werden: etwa Geschlechterverhältnisse und -rollen, Fragen der nationalen und europäischen Identität sowie tagespolitische Ereignisse oder umweltpolitische Debatten. Dabei bietet der Blick auf die vermeintlichen Ursprünge Orientierung und scheinbare Argumentationsgrundlagen – womit die Medien gesellschaftspolitisch wirken und der Schritt zur politischen Instrumentalisierung der Urgeschichte nicht mehr weit ist. Der Rückgriff der Journalisten auf Agenturmeldungen anstatt auf eigene Recherchen führt aus fachwissenschaftlicher Perspektive zu einer Reihe weiterer Probleme. Röder appelliert an alle Archäologen, öffentliche Debatten aufmerksam zu verfolgen, sich einzuschalten und durch eigene Meldungen Multiperspektivität zu schaffen oder gängige Klischees zu widerlegen. Wissenschaftler sollten in der Lage sein, ihre Ergebnisse selbst in gesellschaftliche Kontexte zu stellen, um auf diese Weise konstruktiv mit Journalisten zusammenzuarbeiten. Dabei kann die Reflexion über die Zeitgebundenheit des eigenen Forschens auch dessen Qualität verbessern. Medienschaffende dagegen sollten sich darüber im Klaren sein, dass auch scheinbar objektive Forschungsergebnisse vom Zeitgeist und von politischen Einstellungen geprägt sind, Meldungen aus der Forschung also vor einer Übernahme in die eigene Berichterstattung kritisch hinterfragt werden müssen. Ein anschauliches Beispiel für eine gesellschaftspolitische Indienstnahme von Alter Geschichte und Provinzialrömischer Archäologie bringt die Anglistin EVA ULRIKE PIRKER, die sich mit der aktuellen Rückschreibung einer ›schwarzen‹ britischen Geschichte in die Zeit der römischen Besetzung Britanniens auseinandersetzt. So wird in der Geschichtskultur Großbritanniens seit den 1990er Jahren in den Medien eine Neudefinition der nationalen Identität über Multiethnizität als wesentliches Merkmal geschaffen, in der die ›schwarzen‹ Briten eine besondere Rolle innehaben. Bestimmte ›Erinnerungsbilder‹ spielen dabei eine integrierende Funktion, darunter archäologische Funde und historische Persönlichkeiten, die dazu genutzt werden, eine kontinuierliche ›schwarze‹ Präsenz in der Gesellschaft seit der Römerzeit zu konstruieren und über die Medien politisch wirksam im öffentlichen Geschichts-

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bewusstsein zu implementieren. Die Medienpräsenz des Themas bildet einen deutlichen Gegensatz zu den bislang seltenen Bemühungen seitens der Wissenschaft, sich mittels Grundlagenrecherchen mit diesem Narrativ kritisch auseinanderzusetzen. Im Gegenteil – es werden gar Stimmen einzelner Archäologen laut, die sich für eine ›utilitaristische Archäologie‹ im Hinblick auf das ›schwarze‹ Großbritannien aussprechen, wodurch erkennbar wird, wie ein Politikum auch die Stoßrichtung archäologischen Forschens bestimmen kann. Ausführlicher geht Pirker auf den in Großbritannien viel beachteten Roman The Emperor’s Babe von Bernadine Evaristo (2001) ein – ein Beispiel aus der Populärkultur, an dem die Rückprojizierung moderner kultur- und sozialpolitischer Themen in die Antike anschaulich wird und das bewusst darauf abzielt, die Geschichte der ›Schwarzen‹ in Europa und Großbritannien zu entmarginalisieren. Mit Erfolg: Das Buch trug dermaßen zur öffentlichen Debatte über Black Britains bei, dass das Spektrum der Museumsführer im Museum of London um die Rolle eines ›schwarzen‹ römischen Händlers erweitert wurde. Die geschichtspolitische Propagierung einer multiethnischen Vergangenheit Großbritanniens erfährt dadurch eine Institutionalisierung, die jenseits der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Thematik aus Mythen Fakten schafft. Mit der semi-fiktionalen Aufbereitung antiker Geschichte beschäftigt sich auch der Beitrag des Historikers THOMAS SPÄTH. Ähnlich wie The Emperor’s Babe bietet die von ihm besprochene TV-Serie Rome (HBO Entertainment/BBC 2005/2007) zahlreiche Anknüpfungspunkte an die Gegenwart und bricht dabei mit Formen und Motiven der Darstellung römischer Geschichte in traditionellen Antikefilmen. Verknüpft mit bekannten politischen Ereignissen und Persönlichkeiten steht in dieser als moderne Seifenoper konzipierten Serie vor allem der Alltag der ›kleinen Leute‹ im antiken Rom im Mittelpunkt. Anhand zahlreicher Szenen arbeitet Späth spezifische Merkmale der Serie heraus, die er als eine Form ›experimenteller Geschichte‹ bezeichnet: In Rome werden mit Hilfe der Fiktion Leerstellen zwischen den historisch überlieferten ›Fakten‹, bei denen es sich oftmals um abstraktes Wissen handelt, mit Vorstellungen gefüllt. Es entsteht eine fiktionalisierte alternative Geschichtserzählung. Diese könnte der Geschichtswissenschaft als Anregung für neue Fragestellungen und Problembereiche dienen: Wenn man sich wie in Rome ›mögliches Handeln‹ von Akteuren der Geschichte und die Wirkungen ausgeübter Macht nicht als rein rationale Entscheidungen ›großer Männer‹, sondern auch als Ergebnisse von Zufällen vorstellt und Leerstellen der Überlieferung fiktiv füllt, bietet sich auch aus geschichtswissenschaftlicher Sicht die Chance, ›tatsächliches Handeln‹ auf neue Weise zu untersuchen. Zumindest wird deutlich, dass eine Serie wie Rome Ge-

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EINLEITUNG

schichte für ein heutiges Fernsehpublikum anschaulich und scheinbar erfahrbar macht, Personalisierung und Emotionalisierung sowie der Fokus auf die ›kleinen Leute‹ im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit antiken Themen also eine außerordentliche Breitenwirkung entfalten.

Im Spannungsfeld zwischen Unterhaltung, Bildung und Kommerz Die neun weiteren Beiträge, verfasst von Medienschaffenden wie auch von Wissenschaftlern, beschäftigen sich auf der Grundlage unterschiedlicher Medienbeispiele aus den Bereichen Printjournalismus (Magazin, Zeitung, Sachbuch), Dokumentarfilm und Museum mit den Schwierigkeiten, differierende, zum Teil konträr gelagerte Ansprüche an das Endprodukt miteinander in Einklang zu bringen: Gleichzeitig sowohl wissenschaftsnah zu informieren als auch das Publikum zu unterhalten und marktwirtschaftlich gegen die Konkurrenz zu bestehen ist eine Kunst, die gelernt sein will und einer guten Zusammenarbeit unterschiedlicher Spezialisten aus den Bereichen Archäologie, Geschichte und Journalismus bedarf. Die hier beteiligten Autoren berichten anhand konkreter Beispiele aus ihren Arbeitsgebieten von Grundvoraussetzungen, Erfahrungen, Möglichkeiten und Schwierigkeiten bei der Darstellung von Geschichte und Archäologie in den Medien. Im Sinne einer konstruktiven Kritik machen viele von ihnen Vorschläge für eine bessere Kommunikation zwischen Wissenschaftlern und Medienschaffenden. Fünf dieser Berichte wurden aus der Perspektive des Printjournalismus formuliert. Sie alle betonen die Popularität archäologischhistorischer Themen bei ihren Lesern, gleichzeitig aber auch den wirtschaftlichen und zeitlichen Druck, unter dem die meisten der Printmedien entstehen. Ebenso wird die Tatsache, dass die raschen technischen Veränderungen in der Medienwelt die Erwartungshaltung und das Rezeptionsverhalten der Leser von Zeitschriften prägen, hervorgehoben. Ein Teil der Autoren macht zudem deutlich, welche Themen aus welchem Grund und in welcher Form der Aufbereitung überhaupt in die Medien gelangen. SIEBO HEINKEN, geschäftsführender Redakteur von National Geographic Deutschland, beschreibt, wie heute die Texte immer kürzer, Fotos und Grafiken bzgl. Anzahl, Größe und Qualität dagegen bedeutender werden, um den Geschmack der Leser zu treffen und sie für das Magazin zu interessieren. Bezogen auf den Inhalt der Beiträge formuliert er wesentliche Kriterien, die die Themenwahl bestimmen: die gesellschaftliche Relevanz der Themen, Bezug zu den Lesern und ihrer Lebenswelt, 17

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Glaubwürdigkeit und die Vermittlung von Orientierung. Ergebnis sollte insgesamt eine fesselnde und die Menschen berührende Geschichte sein, zwar sachlich korrekt, aber mit der Offenheit für Spekulationen. Selbstkritisch schildert Heinken, wie schwierig es aus verschiedenen Gründen für Journalisten meist ist, im Vorfeld gründliche Recherche zu leisten – zu ausführlich soll die Geschichte mit Blick auf die Leser nicht geschrieben werden. Die schnell herausgebrachte Sensation bringt hohe Verkaufszahlen und bestimmt die Auflage. Heinken appelliert an Archäologen und Historiker, die Notwendigkeiten und Qualitätskriterien journalistischen Arbeitens anzuerkennen und sich der populären Aufbereitung ihrer Ergebnisse zu öffnen. Dazu bedarf es innerhalb der Fachkreise einer größeren Akzeptanz im Hinblick auf entsprechende Schritte von Kollegen und eines Einsehens in die Tatsache, dass die Wissenschaft der Gesellschaft gegenüber in der Verantwortung ist, ihre Ergebnisse breit zugänglich zu machen – wie sie letztlich auch selbst von einer verbesserten Zusammenarbeit mit Journalisten profitiert. CORNELIA VARWIG, Redakteurin bei bild der wissenschaft, fragt zunächst nach den Gründen, warum Archäologie das Publikum eigentlich überhaupt so fasziniert. Sie führt dessen Wunsch nach Verortung in einer komplexen Welt an, das Bedürfnis nach Herkunftsmythen, sowie als fundamentalen menschlichen Wesenszug die Begeisterung für das Entdecken, die Schatzsuche, das Abenteuer und das Sammeln. Dieses grundsätzliche Interesse an Archäologie könnte von Seiten der Wissenschaft generell noch besser genutzt werden, um das Publikum stärker an neuen Erkenntnissen teilhaben zu lassen. Damit auf diesen Zweck hin die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Medien besser funktioniert, müssten Archäologen insbesondere die journalistischen Selektionskriterien bei der Themenwahl besser kennen, denn: Was wissenschaftlich bedeutsam ist, ist, so Varwig, noch lange nicht öffentlich relevant. Auf die so genannten Nachrichtenfaktoren geht die Journalistin in ihrem Beitrag dann ausführlich ein und berichtet anschließend aus der journalistischen Praxis bei bild der wissenschaft, einem Magazin, das Unterhaltung, Information und Fesselung des Publikums durch Emotionalisierung in seinen Beiträgen so gut wie möglich zu verbinden sucht. Ihre abschließenden Bemerkungen betreffen unterschiedliche Rollenverständnisse von Journalisten und Wissenschaftlern, eine häufige Ursache für Missverständnisse in der Kommunikation zwischen beiden Seiten. In einer etwas anderen Situation als der National Geographic und bild der wissenschaft befindet sich die Zeitschrift Archäologie in Deutschland, wie ihr verantwortlicher Redakteur, ANDRÉ WAIS, berichtet: Als Special-Interest-Magazin eines Buchverlages, das innerhalb der seit dem 19. Jahrhundert stets angewachsenen Zahl an Publikumszeit-

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schriften vergleichsweise spät und auch nur zögerlich seinen Platz behaupten konnte, spricht es vor allem zumeist abonnierte Leser höherer Bildungsschichten mit einem besonderen Interesse an der heimischen Landesarchäologie an, zu deren Popularisierung das Magazin letztlich auch beitrug. Hier schreiben ausgebildete Archäologen aus den Landesämtern, Museen oder Universitäten für ein breites Publikum. Sie berichten damit nicht nur quasi aus erster Hand, sondern leisten auch einen wichtigen Beitrag als Multiplikatoren. Dass dies nicht ohne Reibungen mit der Redaktion um Inhalt und Stil der Beiträge geschieht, zeigt auch dieses Beispiel. Mit dem Beitrag von BERTHOLD SEEWALD, dem stellvertretenden Ressortleiter Feuilleton der Zeitung Die Welt, wendet sich dieser Band schließlich den Zeitungen zu und dem Aufstieg archäologischer Themen in deren Berichterstattung zu einer neuen ›Leitwissenschaft‹ – vor allem im Wissenschafts-Ressort und im Feuilleton wie auch in OnlineAngeboten der Tageszeitungen. Diese Entwicklung ist, so Seewald, in der ›intellektuellen Emanzipation‹ der Leser aus der Mittelschicht im Zeitalter des ›Weltwissens‹ begründet. Doch wie lässt sich das gesellschaftliche Interesse an archäologischen Themen, vor allem an solchen der griechisch-römischen Antike, erklären? Seewald nennt sechs miteinander verbundene Felder: den Wunsch nach Bildung und Werten, die Sehnsucht nach einer exotischen Gegenwelt zur Gegenwart, die scheinbare Anschaulichkeit der angewandten Methoden mit praxisnahen Ergebnissen, den Wunsch nach Unterhaltung, die Befriedigung metaphysischer Bedürfnisse, sowie den Reiz der Schaffung von Paralleldiskursen entgegen dem wissenschaftlichen Establishment. Seewald appelliert an Archäologen, den Journalisten einerseits mehr eigenes Fachwissen zuzutrauen, andererseits ihren Elfenbeinturm zu verlassen und mehr auf das gesellschaftliche Interesse an Archäologie einzugehen sowie entsprechende Bedürfnisse zu berücksichtigen. Ausgehend vom ersten sehr erfolgreichen Sachbuch zur Antike, Cerams Götter, Gräber und Gelehrte, zeichnet dann JOHANNES SALTZWEDEL, Redakteur beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel, eine Konjunkturgeschichte des archäologischen Sachbuchs nach. Er legt die wesentlichen Merkmale erfolgreicher Sachbücher dar, die er unter vier allgemeingültige Hauptkriterien zusammenfasst: »fesselnde Darstellung, verblüffende Fakten, steile Thesen und bleibende Werte«. Saltzwedel betont den zunehmenden Einfluss des angloamerikanischen Marktes, wo die AntikenSachbücher tendenziell populärer und reißerischer aufgemacht seien, und grenzt den deutschen Markt hiervon ab. TAMARA SPITZING eröffnet mit ihrem Statement aus der Perspektive einer Fernsehjournalistin und Archäologin die Gruppe der Beiträge rund

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um den Dokumentarfilm. Sie konstatiert seit Einführung der privaten Sender im Bereich des öffentlich-rechtlichen Fernsehens einen deutlichen Wandel, der zu einer zunehmenden Kommerzialisierung geführt hat. Neben der Erfüllung ihres Auftrags – Kultur und Bildung – geht es den öffentlichen Sendern nun in Konkurrenz mit dem Privatfernsehen um hohe Zuschauerquoten, wodurch sich das Programm stärker an den Gesetzen des Marktes ausrichten muss. Der Verkauf von Exklusivrechten und teuren Drehgenehmigungen zu bestimmten Themen kommt als weiterer kommerzieller Faktor hinzu. So können Produktionen teuer, der Etat jedoch gering sein – wissenschaftsnah zu berichten und dabei gleichzeitig den Markt zu bedienen wird zum Problem, zumal die Bedürfnisse von Wissenschaftlern oftmals schwer mit den Leitkriterien und Zwängen der Medienschaffenden zu verbinden sind. Spitzing geht auf die aus den Erwartungen des Publikums resultierenden Gestaltungsvorgaben der Redaktionen einerseits und die Interessen von Wissenschaftlern andererseits konkret ein, nimmt dezidiert dazu Stellung und vermittelt durch Informationen wie auch Vorschläge aus der Praxis zwischen beiden Seiten. Der daran anschließende Beitrag der Archäologin und Historikerin MIRIAM SÉNÉCHEAU befasst sich mit Unterrichtsfilmen, die unter der Verwendung von Fernsehdokumentationen produziert wurden. Anhand von vier Filmbeispielen zur Geschichte und Kultur der Kelten und Germanen, die zugleich unterschiedliche Typen der Zweitverwendung repräsentieren, macht sie deutlich, welche Probleme bei Fernsehübernahmen entstehen können. Das Fernsehformat bestimmt Machart und Inhalt der Dokumentationen – was aber der Quote nützlich ist, unterstützt oft nicht, zumindest nicht ohne eine kritische Begutachtung, die Erfüllung des schulischen Bildungsauftrags und geschichtsdidaktischer Leitgedanken. Klischees und zu starke Vereinfachungen in den Darstellungen, Monoperspektivität, Verfremdungen und Umdeutungen der ursprünglichen Filmaussagen sowie Sachfehler im pädagogischen Begleitmaterial zeigen, dass es zukünftig nicht nur einer sorgfältigeren Auswahl der Vorlagen für die Unterrichtsfilme bedarf, sondern auch, neben entsprechenden finanziellen Mitteln, einer besseren Kooperation zwischen Wissenschaftlern, Filmproduzenten und dem pädagogisch geschulten Personal der Unterrichtsfilm-Hersteller, damit die Vorzüge einer Zweitverwendung von Fernsehmaterial besser genutzt werden können. HANS-FRIEDRICH STEINHARDT (Caligari Film GmbH) gibt dann Einblicke in die Grundvoraussetzungen, Produktionsbedingungen, Hintergrundüberlegungen und Umsetzungsideen zum TV-Dokumentarfilms Troja. Die wahre Geschichte (ZDF, 2007). Die Dokumentation schloss sich im April 2007 an die Ausstrahlung des Spielfilms Troja/Troy (USA

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2004) im ZDF an und sollte in direkter Ergänzung zum Hollywoodstreifen Sachinformation zum Fundort Hisarlik und zum Trojanischen Krieg liefern. Eine Besonderheit bildet wohl die sachlich gehaltene Berücksichtigung und Darstellung wissenschaftlicher Kontroversen rund um das Thema Troja. Der Film zeigt insgesamt, so Steinhardt, wie »gegen einen immensen Schau- und Unterhaltungswert von Fiktion der Zuschauer auch mit der Faktizität der Wirklichkeit in den Bann geschlagen und erreicht werden kann«. Unterhaltung, Emotionen, Spannung und visuelle Reize sind dennoch auch im Format einer solchen Dokumentation unverzichtbar. Der Archäologe, Historiker und Mitarbeiter des Lippischen Landesmuseums MICHAEL ZELLE vertritt in diesem Band schließlich den Bereich Museum. Er beschäftigt sich am Beispiel der Varusschlacht und der darauf bezogenen Ausstellungen im Jubiläumsjahr 2009 mit der Frage, wie eine weit zurückliegende historische Begebenheit, entsprechend aufbereitet, zum Medienereignis wurde. Der Erfolg der Ausstellungen lässt sich einerseits durch die gezielten Marketingaktivitäten erklären. Andererseits konnte sich die Thematik eines starken Interesses breiter Bevölkerungsschichten an der Frage nach der Lokalisierung der Varusschlacht, die durch die Ausgrabungen von Kalkriese erneut aufgeworfen wurde, sicher sein. Hinzu kam mit Blick auf wirtschaftliche Standortvorteile in den Kreisen Lippe und Osnabrück das Interesse von Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Den Medien bot sich damit reichlich Stoff für Beiträge unterschiedlichster Formen und für gute ›Geschichten‹, sei es durch das mit der Suche nach einem historischen Ort verknüpfte SchatzsucherMotiv oder durch die medial gut aufzubereitende Kontroverse um den ›wahren Ort‹. Von der Aufmerksamkeit der Medien profitierten wiederum die beteiligten Museen durch einen die Erwartungen übertreffenden Besucherstrom. Von den Steinzeiten über Troja, die Varusschlacht und die Landesarchäologie bis hin zu Indiana Jones – die in diesem Band angesprochenen Themen sind vielfältig. Sie alle zeigen: Wissenswertes und Spannendes aus Archäologie und Geschichte ist ein Publikumsmagnet. In Spielfilmen, Romanen, Fernsehdokumentationen, Sachbüchern, Museen oder Zeitungen und Zeitschriften für ein breites Publikum aufbereitet, dienen Berichte über die Vergangenheit und deren Erforschung ebenso der Unterhaltung, Bildung und Erfüllung spezifischer Bedürfnisse wie auch dem Erreichen von Einschaltquoten oder Besucher- und Auflagenzahlen. Die Auseinandersetzung mit dieser Thematik aus beidseitiger Perspektive sowohl von Wissenschaftlern als auch Medienschaffenden gibt Einblicke in Formen, Wesen und Wandel der Darstellungen von

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Geschichte und Archäologie in den Medien. Historische Ursprünge und gesellschaftliche Funktionen von beliebten Klischees werden deutlich, aber auch konkrete Chancen und Probleme der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Medien. Wie kann letztlich eine Darstellung gelingen, die spannend, unterhaltsam und wissenschaftsnah zugleich ist – und dadurch die Interessen von Publikum, Medienschaffenden und Wissenschaftlern noch besser verbindet? Möge dieser Band allen, denen dies ein Anliegen ist, wertvolle Anstöße geben.

Dank Kolleginnen und Kollegen, die auf ähnlichen Feldern arbeiten, haben uns sowohl bei den konzeptionellen Überlegungen als auch der organisatorischen Vorbereitung der Konferenz, aus der dieser Band hervorgegangen ist, intensiv unterstützt. Zu nennen sind darunter vor allem Brigitte Röder (Basel), Stefanie Samida (Tübingen) und Michael Zelle (Detmold). Einen wesentlichen finanziellen Beitrag zur Organisation der Konferenz und Drucklegung dieses Bandes leistete, neben dem Deutschen Archäologischen Institut und der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die Gerda Henkel Stiftung. Unersetzliche redaktionelle Hilfe bei der Fertigstellung der Beiträge und der Abfassung des Registers erfuhren wir durch Anabelle Thurn (Freiburg). Victoria Tafferner (Freiburg) danken wir für Übersetzungen ins Englische und die Durchsicht der englischsprachigen Zusammenfassungen. Dank gebührt auch den Kolleginnen und Kollegen in der Forschergruppe, deren Veranstaltungen und Publikationsreihe die interdisziplinäre Auseinandersetzung mit unserer Thematik in einem breiteren Rahmen möglich machen.

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SCHLIEMANNS ERBE? POPULÄRE BILDER VON ARCHÄOLOGIE IN DER ÖFFENTLICHKEIT STEFANIE SAMIDA

Archaeology fascinates many people as a highly elaborated quest for man’s past, but it is also part of today’s popular culture. Its popularity is emphasized by well-visited exhibitions, numerous TV-documentary films and a booming market of specialized books and magazines. The popular images of archaeology and archaeologists are thus determined by massmedia. Their roots go back to the 19th century when Henry Schliemann (1822-1890) popularized prehistoric archaeology by his spectacular excavations in ancient Troy and Mycene. The self-made man and archaeological amateur attracted a lot of public attention and shaped archaeology as a so-called ›Spatenwissenschaft‹. The present paper discusses some basic aspects of popular images of archaeology in the public. It illustrates that today in many cases stereotypes and clichés are served by media, which are often rooted in the beginnings of archaeological research. These images, however, have nothing in common with archaeological reality. Die verschiedenen archäologischen Einzelfächer und die von ihnen erforschte Vergangenheit müssen sich in der Bevölkerung keineswegs um mangelndes Interesse sorgen. Schon vor Jahrzehnten konnte man vereinzelt Archäologen von einer »Archäomanie« (Maier 1981: 31) sprechen hören.1 Schaut man sich allein die gegenwärtige Ausstellungs- und Fernsehlandschaft an, ist diesem Befund aus den 1980er Jahren nichts hinzuzufügen. So konnte man zum Jahreswechsel 2009/10 allein in BadenWürttemberg gleich vier große Sonderausstellungen mit archäologischer Thematik besuchen: In Mannheim lockte Alexander der Große, die Karlsruher Landesausstellung beschäftigte sich mit den Vandalen, und auch in Stuttgart fanden zwei Landesausstellungen statt – in der einen 1

Der Ägyptologe Wildung (1981) sprach für sein Fach von »Ägyptomanie«. – Manfred K.H. Eggert und Beat Schweizer danke ich ganz herzlich für ihre kritischen Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge zu einer früheren Version des Manuskriptes. 31

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wurden Schätze aus dem alten Syrien präsentiert und in der anderen Kunst und Kultur der Eiszeit. Wie populär archäologische Ausstellungen sind, zeigte auch die 2007/08 in Mannheim präsentierte Schau Mumien – der Traum vom ewigen Leben, die neben hohen Besucherzahlen – fast 200.000 – auch in der Presse und im Rundfunk reges Interesse auslöste. Dazu hat gewiss auch ein Radio-Interview zwei Tage vor der Ausstellungseröffnung beigetragen, in dem der Ägyptologe Dietrich Wildung die Ausstellung als »obszön« bezeichnete und von »MumienPornographie« sprach.2 Ausstellungen bilden aber nur einen Teil des gegenwärtigen Geschichtsmarktes, zu dem auch die archäologischen Fächer zu rechnen sind. Einen anderen, überaus wichtigen Teil dieses Marktes stellen Fernsehdokumentationen dar, die an einem Abend mehrere Millionen Zuschauer erreichen. Das Gros der Bevölkerung kommt, so viel darf man wohl daraus ableiten, heute also überwiegend über das Fernsehen mit Archäologie in Kontakt. Hervorzuheben sind hier vor allem die im ZDF ausgestrahlten TV-Reihen wie Terra X, Sphinx oder Schliemanns Erben, die – wenn man den Quoten glauben möchte – regelmäßig von 5 Millionen Zuschauern gesehen werden (vgl. Hillrichs 2004: 125). Im Zentrum der 45 Minuten langen Dokumentationen stehen zumeist aktuelle Forschungsprojekte deutscher Archäologen. Dabei gibt es weder eine zeitliche noch eine geographische Einschränkung bei der Themenwahl. Die Dokumentationen handeln sowohl über das Ägypten der Pharaonenzeit, über Skythenkurgane in Sibirien, über den Pyramidenbau in Mittelamerika als auch über paläolithische Fundstätten in Süddeutschland. Damit decken sie das gesamte archäologische Spektrum ab. Dem Publikum wird dabei allerdings recht häufig »der Geschmack von Exotischem und Mystisch-Geheimnisvollem, von Phantasie und Faszination, von Abenteuer und Ferne« (Jensen 2002: 13), aber kaum vom archäologischen Alltag und seinen Arbeitsprozessen vermittelt.3 Halten wir fest: Archäologische Themen stellen schon seit längerem kein Sparteninteresse mehr dar, vielmehr hat die massenmediale Inszenierung die Archäologie zum Mas-

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Das Interview kann auf der Website des Deutschlandradio Kultur nachgelesen werden (vgl. Wuttke 2007). Ganz ähnlich Holtorf (2005: 44f.): »Featuring the archaeologist as a popular stereotype, the archaeological romance of eerie adventures involving exotic locations, treasure hunting, and fighting for a good cause has become a widely used theme in popular culture«. Felder/Hammer/Lippok (2003: 263) stellen fest, dass momentan »nahezu ausschließlich ein medial inszeniertes und verfälschtes Archäologiebild die öffentliche Wahrnehmung« beherrscht. 32

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senphänomen befördert – zu einem Phänomen, das heute allgegenwärtig ist (Film, Fernsehen, Zeitung, Werbung, Urlaub etc.). Ein letztes Beispiel, das das Eindringen von Archäologie in der Alltagskultur prägnant veranschaulicht, ist die so genannte ›Himmelsscheibe‹ von Nebra. Ihr Bild begegnet uns mittlerweile überall: auf Uhren, Kleidern (T-Shirts, Krawatten, Schals etc.), Geschirr, auf Geschenkpapier, Sportgeräten, Geldbeuteln und anderem mehr. Es gibt Imitate der Scheibe als Kette und selbst als Weinmarke wird sie vertrieben. Die Post widmete ihr 2008 eine 55-Cent-Sonderbriefmarke und eine 10-EuroMünze. Darüber hinaus ist die Scheibe immer wieder Gegenstand der medialen Berichterstattung. Neben Artikeln im Spiegel, der Zeit, im National Geographic und anderen Printmedien schaffte sie es auch mehrmals in die TV-Nachrichten.4 Man kann über diese Art der Medialisierung – oder besser Kommerzialisierung – eines archäologischen Objektes, dessen Fundumstände und damit dessen Datierung umstritten sind, gewiss trefflich streiten. Mir geht es in unserem Zusammenhang darum, deutlich zu machen, dass archäologische Themen – ob sie nun die Wissenschaft selbst oder die von ihr erforschte Vergangenheit betreffen – tief in der Gesellschaft verankert sind: ›Lust‹ auf Archäologie muss bei einem Großteil der Bevölkerung nicht mehr geweckt werden.5 Diese Tatsache wird auch durch das Ergebnis einer empirischen Befragung von mehr als 1400 Personen in Bonn und Köln (vgl. Bohne/Heinrich 2000) aus dem Jahr 2000 bestätigt. Allerdings, das zeigte diese Umfrage auch, herrschen in der Bevölkerung noch immer Stereotype und Klischees hinsichtlich der Vorstellung, was Archäologie ist und was Archäologen machen, vor. So gaben vor zehn Jahren mehr als 90 % der befragten Personen an, ein Archäologe sei jemand, der in erster Linie in der Erde gräbt, um Reste der Vergangenheit zu finden (vgl. ebd.: 23) – Archäologie wird hier also auf die Feldarchäologie reduziert und als ›Wissenschaft des Spatens‹ verstanden. Manfred K.H. Eggert (2006: 30f.) hat vor wenigen Jahren versucht, der Vorstellung der Archäologie als ›Spatenwissenschaft‹ bzw. ›Wissenschaft des Spatens‹ den Garaus zu machen, indem er darauf hinwies, niemand spreche von einer »›Wissenschaft des Mikroskops‹, einer ›Wissenschaft des Skalpells‹ oder einer ›Wissenschaft des Teilchenbeschleunigers‹«. Wir können ihm hier soweit zustimmen, dass niemand in dieser Form von der Biologie, der Medizin oder der Physik spricht. Auch würde kein Mensch von der ›Wis4

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Seit 2005 besitzt das Land Sachsen-Anhalt auch die Verwertungsrechte an der Scheibe. Zu einigen medialen Aspekten der ›Himmelsscheibe‹ vgl. Reichenberger (2004), zur Kommerzialisierung Samida (2010). Zu Untersuchungen in anderen Ländern, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen, vgl. auch Holtorf (2007: 51ff.) mit weiteren Literaturhinweisen. 33

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senschaft des Reagenzglases‹ sprechen, wenn er die Chemie meint. Doch bei näherer Betrachtung hat Eggert nur Recht, wenn es um Metaphern, also sprachliche Bilder, geht. Schauen wir uns jedoch Bilder – und damit meine ich Bilder im konkreten Sinne, also Photos, Zeichnungen, bewegte Bilder, Cartoons etc. – an, die von diesen Wissenschaften in der Gesellschaft kursieren, ist Eggerts Feststellung zu relativieren. Was etwa die Chemie und Chemiker betrifft, herrschen ähnliche Klischees und Stereotype vor, wie Joachim Schummer und Tami Spector (2009) kürzlich zeigen konnten. Chemiker werden in der Regel mit weißem Laborkittel und Versuchsanordnung oder Reagenzglas gezeigt. Klischee und Stereotypisierung sind das eine, mit dem die Archäologie – wie viele andere Wissenschaften auch – zu kämpfen hat. Das andere ist die ›Romantisierung‹ unserer Disziplin. Denn noch immer verbindet eine große Zahl der Bevölkerung – rund 20 % – mit Archäologie die Suche nach verborgenen Schätzen (vgl. Bohne/Heinrich 2000: 23). Dahinter verbirgt sich das Bild des Archäologen als Entdecker, Schatzsucher und Abenteurer.6 An diesem Befund ist die Berichterstattung der Medien nicht ganz schuldlos. Zwischen der Praxis archäologischer Forschung auf der einen und ihrer medialen Darstellung auf der anderen Seite herrscht ein beträchtliches Missverhältnis (vgl. Felder/Hammer/Lippok 2003: 162). Wo, so ist zu fragen, haben diese Stereotype und Klischees sowie die ›Romantisierung‹ ihren Ursprung, wie entstanden sie und warum haben sie sich bis heute gehalten? Diesen drei Fragenkomplexen möchte ich mich im Folgenden zuwenden. Dabei kann ein Blick in die Vergangenheit und damit auf die Anfänge der archäologischen Wissenschaften im 19. Jahrhundert nicht ausbleiben. Schon früher wurde die Vermutung geäußert, dass etwa das Bild vom ›grabenden Wissenschaftler‹ im 19. Jahrhundert wurzelt und eng mit den Ausgrabungstätigkeiten Heinrich Schliemanns (1822-1890) verbunden ist.7 Die Frage nach den Wurzeln dieses Bildes ist also ein Aspekt – ein anderer hat sich damit zu beschäftigen, wie es sich über die letzten bald 150 Jahre tradiert hat. Der letzte Teil meines Beitrages wird sich schließlich dem Heute zuwenden. Anhand eines konkreten Beispiels aus ›Funk und Fernsehen‹ hoffe ich zeigen zu können, warum sich die genannten Klischees und Stereotype in 6

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»The feeling of discovering something that bridges the seemingly unfathomable abyss between past and present continues to stir the popular imagination. […] In all these stories, the inevitable climax is the moment of the great discovery, which comes unexpectedly and is in many instances made by complete outsiders« (Holtorf 2005: 53). Beispielsweise Cobet (1997: 10 und 2006: 163); Zintzen (1998: 332); Holtorf (2005: 56f.); Samida (2009). 34

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der Gesellschaft so hartnäckig halten und worin die Crux liegt. Dabei werde ich immer wieder auch auf Analysen von populären Bildern anderer Wissenschaften zurückgreifen. Dieser Rückgriff vermag zum einen, Einsichten für unser Thema zu liefern, und zum anderen zeigt er, dass auch andere Wissenschaften mit ihrem populären Image zu kämpfen haben.

Archäologie als Ausgrabungswissenschaft Werfen wir also zunächst einen Blick zurück auf das 19. Jahrhundert und die Anfänge der archäologischen Wissenschaften. Weiten Bevölkerungskreisen wurde die Archäologie – im Folgenden sei diese Verallgemeinerung gestattet – vor allem ab Mitte des 19. Jahrhunderts durch das Auffinden spektakulärer Funde bekannt. Es waren die großen Ausgrabungen in Ägypten (z.B. im sogenannten ›Tal der Könige‹), in Griechenland und Kleinasien (z.B. Knossos, Mykene, Olympia, Pergamon, Samothrake, Troia) sowie – gegen Ende des 19. Jahrhunderts – im Nahen Osten (z.B. Assur, Babylon), aber auch die Entdeckung der Pfahlbauten zunächst in der Schweiz oder des Gräberfeldes von Hallstatt in Österreich, die die Pionierzeit der Archäologie prägten.8 Nicht vergessen wollen wir die vielen kleinen, vermeintlich unscheinbaren Grabungen, die von archäologischen Laien allerorts durchgeführt wurden, sowie die zahlreichen Altertumsvereine, die gerade seit den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine wichtige Funktion für die Etablierung der Archäologie und ihrer Verankerung in der bürgerlichen Gesellschaft einnahmen. Doch es ist unbestreitbar, dass die von Heinrich Schliemann seit 1870 vorgenommenen Ausgrabungen in Troia eine besondere Wirkung entfalteten. Woran lag das? Die Ausgrabung Troias durch Schliemann gilt zum einen, wie Justus Cobet (1990: 13) vor 20 Jahren feststellte, als »Geburtsstunde der modernen Archäologie«, da sie zweifellos als erstes archäologisches Medienereignis bezeichnet werden kann. Die Schliemannschen Grabungen in Troia entfalteten nicht nur eine enorme wissenschaftliche Wirkung, sondern sie erfuhren auch weltweite Aufmerksamkeit und riefen für die damalige Zeit eine hohe gesellschaftliche Resonanz hervor. Der Kaufmann und in archäologischen Belangen anfangs unbedarfte Laie Schliemann prägte wie kaum ein anderer seiner Zeit die Vorstellung von der Archäologie als einer ›Spatenwissenschaft‹. Durch eine bis dahin 8

»Ihren rasanten Aufschwung nahm die Archäologie – und hier sind alle Archäologien gemeint – jedoch erst durch das systematische, groß angelegte Ausgraben« (Hansen 2005: 205). 35

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nicht gekannte PR-Arbeit – zugegeben: ein recht moderner Begriff – schaffte es Schliemann, in aller Munde zu sein.9 Er berichtete von seinen Ausgrabungen stets zuerst in der Presse, erst später entstanden seine monographischen Arbeiten. Diente ihm dazu anfangs die damals renommierte, in Augsburg erscheinende Allgemeine Zeitung (AZ), war es ab etwa 1876 die in London erscheinende Times, die seine Ausgrabungsberichte und Stellungnahmen abdruckte. Die große öffentliche Wirkung seiner Entdeckungen nicht nur in Troia, sondern auch in anderen antiken Stätten, wird besonders daran deutlich, dass die in der Allgemeinen Zeitung und Times veröffentlichten Berichte auch von anderen Zeitungen aufgegriffen wurden. Ein weiteres Indiz für die Breitenwirkung der Schliemannschen Entdeckungen sind die im Kladderadatsch, dem wichtigsten deutschen politischen Witz- und Satireblatt des 19. Jahrhunderts, über ihn und seine Grabungen publizierten spöttischen Beiträge. Schliemann gehört damit zu den wenigen Nicht-Politikern, mit denen sich der Kladderadatsch immer wieder beschäftigte (vgl. Witte 2004: 16). In seinen Artikeln und Berichten, genauso wie in seinen Büchern, gelang es Schliemann nicht nur, sich und seine Arbeit bekannt zu machen und regelrecht zu inszenieren, sondern auch eine ganze Disziplin zu prägen. Seine Selbststilisierung kann für die Wurzeln populärer Archäologiebilder, wie dem ›grabenden Wissenschaftler‹ und ›Abenteurer‹, der eine rätselhafte Vergangenheit in entbehrungsreicher Arbeit zu entschlüsseln vermag, nicht hoch genug angesetzt werden. Aus Platzgründen kann ich nur ein paar Beispiele aus Schliemanns Publikationen geben. Typisch sind seine Erzählungen über Hindernisse, die ihm seitens der türkischen Regierung auferlegt wurden (Schliemann 1871a; 1874/1990: 36), über den Kampf mit dem schlechten Wetter und den Arbeitern (Schliemann 1871b; 1874/1990: 47, 144), das Problem mit den ungeheuren Schutt- und Steinmassen, die es an der Grabungsstelle zu entfernen galt (Schliemann 1872; 1874/1990: 59), über alltägliche Entbehrungen und Gefahren (Schliemann 1871a; 1874/1990: 38, 185) sowie den Kampf mit Krankheiten (Schliemann 1871a; 1874/1990: 38, 172) und die Menge an Ungeziefer und giftigen Schlangen (Schliemann 1874/1990: 83, 124). Gerade diese Hinweise sollten dem Leser verdeutlichen, dass Ausgrabungen immer auch Abenteuer waren (vgl. Mannsperger 1992: 69). Schliemanns inszenatorisches Talent zeigt sich wohl am besten in seiner dramatischen Schilderung der Entdeckung des so genannten ›Priamosschatzes‹ aus dem Jahr 1873: die »göttliche Vorsehung«, so schreibt er,

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Zur Medialisierung, Popularisierung und Inszenierung Schliemanns und seiner Ausgrabungen in Troia jetzt Samida (2009). 36

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habe ihn für seine »übermenschlichen Anstrengungen« belohnen wollen. Mit der »allergrößten Kraftanstrengung« und unter »furchtbarster Lebensgefahr« habe er die wertvollen Gegenstände »tollkühn« geborgen (Schliemann 1873; 1874/1990: 217; 1881: 48f.). Ich möchte es bei diesen Beispielen belassen. Schliemanns archäologische Entdeckungen übten im 19. Jahrhundert eine starke Anziehungskraft auf große Teile der Bevölkerung aus. Dies hängt auch mit dem vorherrschenden schwärmerischen Verlangen nach dem Auffinden des sagenhaften Troia zusammen. Dass die Entdeckung Troias einem Laien gelang, der in abenteuerlicher Manier und entgegen der Lehrmeinung der Wissenschaftler das lange offene Rätsel »Ubi Troia fuit« mit »Spitzhacke und Spaten« (Schliemann 1881: 747) löste, hat zwar die Popularität der Archäologie gefördert, aber diese zugleich auf den Aspekt des Ausgrabens beschränkt. Die Ausgrabung, so schrieb der Althistoriker Franz G. Maier (1992: 17), war für die Zeitgenossen der »Inbegriff der Archäologie – ein von Gefahr und Geheimnis umwittertes Unternehmen, dessen Erfolg auf Ausdauer, Organisationsgabe, Erfahrung und Mut des Archäologen gegründet war«.

Tradierung von Archäologiebildern Die bekannten Topoi vom ›grabenden Schatzsucher‹, vom ›Abenteurer‹ und ›Held‹ gehen also unzweifelhaft auf den »dilettierenden Privatier« (Zintzen 1998: 200) Heinrich Schliemann zurück und waren schon zu seinen Lebzeiten ganz eng mit seinem Namen verbunden.10 So lesen wir in der zeitgenössischen Presse immer wieder von Schliemann als »Mann der ›Wissenschaft des Spatens‹« (Allgemeine Zeitung 1885) oder als Entdecker, »der durch die ›Wissenschaft des Spatens‹ die lange verborgenen Wunder des grauesten Alterthums aus dem Schutt der Jahrtausende hervorgezaubert hat« (Illustrirte Zeitung 1886). Und in einem Nachruf in der Neuen Würzburger Zeitung vom 5. Januar 1891 wird dem »unermüdlichen Forscher mit Spitzhaue und Spaten, dem die Welt die größten ar10 »Heinrich Schliemann verkörperte in der Tat wie kaum ein anderer positive wie negative Möglichkeiten der neuen Wissenschaft. Als Archäologe war Schliemann nicht nur ein Schulbeispiel des erfolgreichen Aufsteigers und des die Gelehrtenwelt beschämenden Autodidakten. Seine Selbstinszenierung als Unternehmer und Forscher war so wirksam, weil sie sich nahtlos in Lebenswelt und Mentalität des ausgehenden 19. Jahrhunderts einfügte. [...] Aufsteiger und Unternehmer, Amateur und Entdecker: in dieser Verbindung repräsentiert Schliemann in der Tat einen Helden der Gründerzeit« (Maier 1992: 31). 37

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chäologischen Entdeckungen der Neuzeit verdankt«, gehuldigt. Er glich, so liest man weiter, einem »Hexenmeister, der tief in der Erde verborgene Schätze erspäht und sie zu heben weiß«. Wie präsent der Ausgräber Schliemann im Gedächtnis der deutschen Zeitgenossen war, zeigt auch eine Anekdote über die pergamenischen Ausgrabungen Carl Humanns (1839-1896), die uns der Heidelberger Klassische Archäologe Friedrich von Duhn (1851-1930) überliefert hat: »Humann erzählte u.a., dass beim ersten Transporte von pergamenischen Reliefblöcken durch S.M.S. Loreley einer der jungen Marineoffiziere nach Hause schrieb: ›Ich fahre jetzt nach Pergamon, um die grossartigen Altertümer, die Humann dort ausgegraben hat, für Berlin abzuholen.‹ Darauf schreibt sein Vater zurück: ›Mein Sohn, Du musst nicht sagen »Pergamon«, sondern »Pergamos«, und Du musst nicht sagen »Humann«, sondern »Schliemann«: denn das ist der grosse Forscher, der dort alles wiedergefunden hat!‹ So gehen noch heute in Berlin die Leute bei der Gigantomachie [im Pergamonmuseum] vorbei und sagen: ›Und das hat nun Alles [sic] der Schliemann hierher geschenkt!‹« (zitiert nach Schulte 1971: 135).

War dieses Bild also anfangs ganz eng mit Schliemann verbunden, wurden der ›Spaten‹ und das ›Abenteuer‹ mit der Zeit zu gängigen Metaphern für Archäologie generell. Nicht ganz schuldlos an der Tradierung der ›Spaten‹-Metaphorik waren und sind die Archäologen selbst, die der Ausgrabungstätigkeit häufig eine allzu große Rolle zuwiesen und immer noch zuweisen (vgl. Eggert 2006: 30). So zierte das Grabungshaus in Pergamon etwa der preußische Adler, der mit Tropenhelm, Hacke und Spaten ausgestattet war (vgl. Abb. 1); und vor nicht allzu langer Zeit wurde die Ausstellung Menschen, Zeiten, Räume – Archäologie in Deutschland (2002/03) in Berlin mit einem 20 Meter hohen Spaten auf dem Potsdamer Platz beworben (vgl. Welt Online 2002). Abbildung 1: Schmuck des Grabungshauses in Pergamon: Preußischer Adler mit Tropenhelm, Spitzhacke und Spaten (1885).

Quelle: nach Schalles (1992: 10 Abb. 3). 38

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Von entscheidender Bedeutung für die Tradierung der hier angesprochenen Archäologiebilder war zweifellos die Sachbuchliteratur nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Sachbücher waren es, die der Archäologie ein breites Publikum verschafften, »von dem sie« – wie schon Franz G. Maier (1981: 36) feststellte – »heute zu nicht geringen Teilen lebt«. Allen voran ist hier das Buch von C.W. Ceram (Kurt W. Marek) Götter, Gräber und Gelehrte aus dem Jahr 1949 zu nennen. Es war und ist mit einer Gesamtauflage von rund 5 Millionen Exemplaren in 28 Sprachen (vgl. Oels 2005: 345) immer noch ungemein populär.11 Ceram (1949: 13) fand, so liest man in seiner Einleitung, dass die Archäologie, »in deren Taten sich Abenteuer und Stubenfleiß, romantischer Aufbruch und geistige Selbstbescheidung paarten [...] in Fachpublikationen begraben worden war«. Er sah es daher als seine Aufgabe an, diese Wissenschaft zum Gegenstand einer Betrachtung zu machen, bei der die »Forscher und Gelehrten vor allem in ihrer inneren Spannung, ihrer dramatischen Verknüpfung, ihrem menschlichen Gebundensein« sichtbar gemacht werden müssten. In Cerams Buch geht es dann auch in der Hauptsache um das »Suchen und Finden, das Ausgraben, Entziffern, das Sammeln und Vergleichen« (Schörken 1995: 71). Im Zentrum seines »Tatsachenromans«, wie er sein Buch selbst charakterisierte, stehen berühmte Archäologen und ihre Entdeckungen. Folgerichtig nimmt der Entdeckungsprozess in der jeweiligen Darstellung eine wichtige Funktion ein. Der Leser soll mit dem Forscher mitfühlen, ja mitleiden, und sich mit ihm und seiner Geschichte identifizieren (vgl. ebd.: 72). Am Ende erscheint der Archäologe im Augenblick der Entdeckung als »Lichtbringer« (ebd.: 74), der in kriminalistischer Manier die großen historischen und archäologischen Rätsel löst.12 Ceram formte in diesem wie in seinen anderen Büchern das Bild von einer sagenhaften und geheimnisvollen Vergangenheit mit prächtigen Schätzen und entfaltete den bereits bei Schliemann angelegten Topos des Archäologen als Ausgräber und Entdecker, Abenteurer und Held. 11 »Best-selling accounts of archaeological romances involving mystery, adventure, and hardship and concluding with the reward of treasure were pioneerd by the author Kurt W. Marek, alias C. W. Ceram, who published 1949 his instant classic Götter, Gräber und Gelehrte (›Gods, Graves, and Scholars‹)« (Holtorf 2005: 55f.). 12 Bereits der Klassische Archäologe Nikolaus Himmelmann (1976: 12) beklagte die häufig falschen Erwartungen von Studienanfängern, die er auf dieses Buch zurückführte: »Schon jetzt hat die Literatur des Tatsachenromans die nachteilige Folge, daß junge Leute mit völlig falschen Erwartungen zu einem Studium gelockt werden, das diese Erwartungen nicht entfernt einlösen kann«. 39

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Neben der populären Sachbuchliteratur soll kurz noch ein weiteres Medium angeführt werden, das die genannten Stereotype und Klischees ebenfalls bedient: der Spielfilm. Die wohl berühmteste fiktive archäologische Filmfigur ist gewiss Indiana Jones.13 In mittlerweile vier Filmen hat diese Figur das Bild vom Archäologen als Abenteurer, Schatzsucher und Held gleich mehrerer Generationen geprägt. Auch wenn Indiana Jones in den Filmen hin und wieder als ›seriöser‹ Wissenschaftler dozierend an der Universität auftritt – dies soll übrigens auch die Kleidung (Anzug und Brille) unterstreichen –, so ist die Figur aufgrund des Plots doch auf die Schatzsuche in Cowboy-Kluft beschränkt. Nun könnte man meinen, das Beispiel Indiana Jones sei in diesem Zusammenhang nicht angemessen, denn dem Kinobesucher sei durchaus zuzutrauen, dass er den fiktiven archäologischen Filmhelden vom realen und vermeintlich spröden Wissenschaftler außerhalb der Filmfiktion unterscheiden könne. Doch ganz so einfach ist es nicht. Bielefelder Soziologen haben sich in den letzten Jahren immer wieder mit dem Thema Wissenschaft bzw. Wissenschaftler im Film auseinandergesetzt und kommen bei ihren Analysen zu dem Schluss, dass die in der Öffentlichkeit vorherrschenden Vorstellungen über Wissenschaft und Wissenschaftler wohl stärker durch fiktive Charaktere – für uns bedeutet das also durch Indiana Jones – als durch reale geprägt wird (vgl. Pansegrau 2009: 376). Wie dieser Tatsache entgegengesteuert werden kann, bleibt allerdings offen. Dieses Entgegensteuern wird gar durch die Erkenntnis, dass die visuelle Populärkultur »nicht besonders empfänglich« (Schummer/Spector 2009: 356) für neue Bildeinflüsse ist, erheblich erschwert. Die Abschaffung solcher Klischees oder ›Mythen‹ ist also alles andere als leicht. Dies liegt vor allem auch daran, dass sie häufig weit zurückreichen und sich über die Zeit tief im öffentlichen Bewusstsein verankert haben – die Muster für die Konstruktion solcher Stereotypen in den verschiedenen Medien haben sich gegenüber neuen Mustern bewährt (vgl. Pansegrau 2009: 384)14 und sind daher nur schwer durch neue bzw. andere Bilder zu ersetzen.

13 Zu Indiana Jones siehe z.B. Zorpidu (2003: 248ff.); Endlich (2007). 14 Ganz ähnlich auch Schummer/Spector (2009: 367): »Die visuelle Populärkultur hat ein Wissenschaftsbild konserviert, das sowohl als Ganzes als auch in den meisten Details bis vor das 19. Jahrhundert zurückreicht […]. Dies bedeutet, dass es eine tief sitzende Ebene im öffentlichen Verständnis von Wissenschaft gibt, die ganz unbeeinflusst geblieben ist von den Prozessen der Professionalisierung, Diversifizierung, Instrumentalisierung, Industrialisierung, Kommerzialisierung und von dem Wachstum der Wissenschaft [...] über die letzten zwei Jahrhunderte«. 40

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Populäre Bilder von Archäologie heute Wie schon eingangs festgestellt, nimmt heutzutage das Fernsehen bei der Vermittlung historischer und archäologischer Sachverhalte eine wichtige Funktion ein. Der Historiker Siegfried Quandt (2007: 181) hat es kürzlich zu Recht als »Leitmedium der Geschichtskultur in unserer Kommunikations- und Mediengesellschaft« beschrieben. Deshalb werde ich im Folgenden kurz auf das Bild von Archäologie in archäologischen Fernsehdokumentationen eingehen. Dabei wird es nicht um die Darstellung ur- und frühgeschichtlicher Sachverhalte gehen – das wäre gewiss auch untersuchenswert (vgl. Sénécheau 2010) –, sondern um die Darstellung von Archäologen.15 In den letzten Jahren ist dazu auch von archäologischer Seite vereinzelt Stellung genommen worden; es gibt Versuche, das dargestellte Archäologenbild zu klassifizieren. So unterscheiden etwa Tom Stern und Thomas Tode (2002) vier Typen, die man sowohl im Spiel- als auch Dokumentarfilm antreffen könne: den ›High-Tech-Freak‹, den ›Weltfremden‹, den ›Besessenen‹ und den ›Abenteurer‹.16 Damit unterscheiden sich ihre Typen aber kaum von anderen Typisierungen, die sich der Figur des Wissenschaftlers ganz allgemein widmen. Auch hier finden wir den Wissenschaftler als Held und Abenteurer, als schrulligen Wissenschaftler oder als besessenen Wissenschaftler – besser bekannt als mad scientist (vgl. Pansegrau 2009).17 Nehmen wir also zur Kenntnis, dass Wissenschaftler generell im Medium Film/Dokumentation stereotypisch und klischeehaft dargestellt werden. Archäologen geht es da nicht anders als z.B. Physikern oder Chemikern. Entscheidend scheint mir aber zu sein, dass in archäologischen TV-Dokumentationen wie auch in anderen Gattungen – Sachbuch, Zeitung, Zeitschrift – stets die archäologische Feldarbeit in den Vordergrund rückt und damit die Suche nach Funden in scheinbar detektivischer Kleinstarbeit, an deren Ende die glückliche Entdeckung steht.18 Das möchte ich anhand eines Beispiels, der Sendung Das Geheimnis der 15 Archäologinnen kommen in der Regel nicht vor. 16 Eine etwas andere Klassifikation schlägt Holtorf (2007: 62ff.) vor. Er hat vier Kernthemen von Archäologie in der Alltagskultur herausgearbeitet: 1. Archäologie als Abenteuer; 2. Archäologie als Detektivgeschichte; 3. Archäologie als Entdeckung und 4. Archäologie als Bewahren. 17 Zum Bild des Wissenschaftlers im Spielfilm siehe Weingart (2005); Pansegrau (2009). 18 »Die hohe Wiederholungsrate im Aufgreifen der verschiedensten Topoi macht aus dem Archäologen in den Unterhaltungsmedien in den meisten Fällen eine Klischeefigur im Dienste der Publikumswirklichkeit« (Felder/Hammer/Lippok 2003: 164). 41

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Eismumie (2006), ein ›Spezial‹ der Reihe Schliemanns Erben, verdeutlichen. Die Sendung lief erstmals am 19. Dezember 2006 im ZDF.19 Allein ihr Titel lässt schon erahnen, was uns hier erwartet. Der Plot der Dokumentation lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Hermann Parzinger – seinerzeit Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) – ist zusammen mit russischen und mongolischen Kollegen im Altaigebirge auf der ›Suche‹ nach einem sogenannten skythischen ›Eiskurgan‹. Der Film bedient in bester Manier die vorherrschenden Klischees. Schon in der Eingangsszene sehen wir Archäologen – Parzinger und seinen russischen Kollegen –, die im Outdoor- bzw. Military-Look durch die Weite der mongolischen Steppe marschieren, auf der Suche nach der ersehnten Eismumie. Diese »Eismumienjäger«, wie sie der Sprecher nennt, schuften und ›ackern‹ zusammen mit ihren Helfern sozusagen bis an ihre Grenzen, doch der erhoffte Erfolg will sich einfach nicht einstellen. Stein um Stein tragen die Archäologen ab, dabei hören wir von den Strapazen, Hoffnungen und Entbehrungen, die sie bei ihrer Arbeit hinnehmen müssen – und das womöglich ganz umsonst. Selbst das gebündelte »Expertenwissen«, unterrichtet uns der Sprecher, hilft nicht weiter. Der Charakter dieser und ähnlicher Sendungen ist nicht zu übersehen – sensationelle Entdeckungen, aufregende Momente und mitreißende ›Abenteuer‹ stehen im Vordergrund. Dem archäologischen Fund – hier der erhofften Eismumie bzw. dem »Skythenötzi«, der am Ende nach allen Niederlagen und Strapazen wie selbstverständlich doch noch gefunden wird – kommt eine ganz besondere Rolle zu: Er wird zum Schaustück stilisiert, ohne den archäologische Forschung nicht möglich ist.20 Die Grabung wird zur Jagd auf Schätze, in unserem Fall auf Eismumien – die Umschreibung der Archäologen als »Eismumienjäger« durch den Sprecher ist infolgedessen konsequent.21 Bernd Hüppauf und Peter Weingart (2009b: 16f.) haben sich in ihrer Einleitung des lesenswerten Sammelbandes Frosch und Frankenstein. Bilder als Medium der Popularisierung von Wissenschaft mit Wissenschaftsbildern und Bildern der Wissenschaft und dabei auch mit der Situation von Wissenschaft in populären Magazinen, Film, Fernsehen usw. beschäftigt. Sie machen deutlich, dass die in den Medien selbst produzierten Bilder häufig ohne genauere Kenntnis der Wissenschaften entste19 Autoren der Dokumentation sind Gisela Graichen und Peter Prestel. Das Duo hat zusammen bereits mehrere Filme der Reihe gedreht. – Laut ZDF sahen knapp 3,1 Millionen Zuschauer die Sendung, damit hatte sie einen Marktanteil von über 9 % (vgl. ZDF 2007). 20 So auch schon Stern/Tode (2002: 75). 21 Ausführlicher zu archäologischen Fernsehdokumentationen Samida (im Druck a). 42

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hen, dafür aber vielmehr den vermuteten Erwartungen eines großen Publikums folgen. Darüber hinaus stellen sie fest, dass Produzenten von Filmen, TV-Serien oder Printmedien nur wenig über ihr Publikum wüssten. Die Drehbücher seien oft so geschrieben, dass sie die Überzeugungen, Erwartungen und Befürchtungen des Publikums lediglich bedienten (ebd.: 34). Betrachtet man die Darstellung von Archäologen in Film und Fernsehen, wird man Hüppauf und Weingart wohl zustimmen dürfen.

Schluss Der Prähistoriker Svend Hansen hat seinen Artikel in der Zeitschrift Das Altertum aus dem Jahr 2005 »Archäologie ist keine Spatenwissenschaft« genannt (Hansen 2005). Damit hat er fürwahr Recht – allerdings gilt diese Aussage nur innerhalb der Fachöffentlichkeit, und selbst hier wird, wie wir gesehen haben, vereinzelt mit diesem Werkzeug kokettiert. Wie meine Ausführungen hoffentlich gezeigt haben, hat die Gesellschaft ein ganz anderes Bild von Archäologie. Hier heißt es: Archäologie ist eine Spatenwissenschaft, eine Wissenschaft, die zudem den Hauch des Abenteuers atmet. Es herrscht also eine deutliche Diskrepanz in der Wahrnehmung. Wie wir Archäologen dieses Dilemma – unser Selbstbild versus das populäre Wissenschaftsbild – lösen können, ja, ob wir es überhaupt lösen können, ist aus meiner Sicht eine der zentralen Fragen, wenn es um das Verhältnis von ›Archäologie‹ und ›Öffentlichkeit‹ geht. In den letzten Jahrzehnten ist diese Thematik allzu oft von archäologischer Seite vernachlässigt worden. Ein Grund dürfte zum einen in der Tatsache zu suchen sein, dass das Thema kaum als forschungsrelevant erachtet wird, da es nicht genuiner Forschungsgegenstand der archäologischen Fächer ist. Zum anderen spielt natürlich auch immer das individuelle Forschungsinteresse, gewiss aber auch Mut zur Grenz- bzw. Fachüberschreitung eine Rolle. Wie dem auch sei – angesichts eines boomenden Geschichtsmarktes scheint es mehr denn je notwendig, sich von fachwissenschaftlicher Seite mit Medienfragen und damit der Frage nach populären Bildern von Archäologie in der Gesellschaft zu befassen. Wie sollen wir als Archäologen also mit der ›Misere‹ bzw. Schliemanns Erbe verfahren? Es wäre sicherlich falsch, wegzuschauen und nach Vogel-Strauß-Manier den Kopf in den Sand zu stecken. Es ist vielmehr unsere Pflicht als Wissenschaftler im Allgemeinen und als Archäologen im Speziellen, sich dieses Themas anzunehmen. Dazu gehört es, eben nicht nur zu jammern, wenn man wieder einmal mit einer Fernsehdokumentation oder einem Zeitungsbericht unzufrieden ist. Vielmehr sollten solche Dokumentationen und Berichte als Anlass genommen

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werden, sich damit auseinanderzusetzen. Für die universitäre Archäologie könnte das heißen, diese Thematik mit all ihren Facetten in die Lehre zu integrieren.22 Hier schließt sich der Kreis. Wir müssen einerseits das Thema sowohl in Forschung als auch Lehre integrieren, andererseits aber auch den Kontakt und besonders den Dialog mit der Gesellschaft suchen. Nur dann wird es möglich sein, am gegenwärtigen populären Wissenschaftsbild der Archäologie etwas zu ändern.

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22 Siehe dazu auch Samida (im Druck b). 44

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ARCHÄOLOGINNEN UND ARCHÄOLOGIE IN DEN MEDIEN: EIN STÖRENDES SPIEGELBILD? MARC-ANTOINE KAESER

As deceptive and caricatural as it may appear, the public image of archaeology is not an arbitrary one. As the history of archaeological research shows, the most worn clichés have in fact always been first hatched within the scientific community of archaeology itself. Indeed, the media draw on the taboos of our discipline to create a picture of our history: they thrive on the fantasies which we attempt to repress through scientific procedure. The public image of archaeology can thus be understood as a kind of mirror, inviting fruitful reflections about our profession and the place of archaeology within public understanding of science and humanities. Das Bild der Archäologie in der Öffentlichkeit mag uns Archäologen verzerrt und karikaturistisch erscheinen, willkürlich entstanden ist es dennoch nicht. Wie die Forschungsgeschichte zeigt, wurden die abgedroschensten Klischees tatsächlich in den archäologischen Fachkreisen selbst geschaffen. Im Grunde bedienen sich die Medien des ›Unausgesprochenen‹ innerhalb der Disziplin: Sie verwenden gerade die Wunschund Trugbilder, die wir Archäologen unter Berufung auf wissenschaftliche Methodik verleugnen. In diesem Sinne kann das Bild der Archäologie in der Öffentlichkeit als eine Art Spiegel betrachtet werden, in dem sich der Grundstoff zu einer selbstreflektierenden Überprüfung unseres Faches finden lässt.1

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Dieser Beitrag knüpft an einen zuvor in der französischen Fachzeitschrift Les Nouvelles de l’Archéologie veröffentlichten Artikel an und vertieft eine Reihe von Aspekten (Kaeser 2008). Ich danke Miriam Sénécheau und Anabelle Thurn für ihre Hilfe bei der Überarbeitung des deutschen Textes. 49

MARC-ANTOINE KAESER

Einleitung »Ich denke […], daß es vollkommen glückliche Tage waren«. Agatha Christie2

Das Bild ihres Berufes in der Öffentlichkeit wie auch die Darstellung ihrer Arbeiten in den Medien sind bei Archäologen beliebte Diskussionsthemen. Im Gegensatz zu Biochemikern, Steuerberatern oder Eisenbahnern, die solchen, sie selbst betreffenden Fragen kein besonderes Interesse zuzubilligen scheinen, sehen die Archäologen darin ein sensibles Thema, das ihnen unerschöpflichen Anlass zu Klage und Protest gibt. Auch wenn diese Unzufriedenheit meist gerechtfertigt ist, so ist die besondere Empfindlichkeit der Archäologen nicht weniger bemerkenswert. Tatsächlich ist sie, wie im Folgenden zu sehen sein wird, sogar aufschlussreich: Sie könnte erklären, wie in der Öffentlichkeit ein verzerrtes Bild der Archäologie entstehen konnte.

Ein verzerrtes Bild Es ist sicher richtig, dass die von den Archäologen untersuchten und erlebten Realitäten von den durch Journalisten üblicherweise verbreiteten Darstellungen oft meilenweit entfernt sind. In den unterschiedlichsten Ausprägungen (Reportagen, Dokumentarfilme, Populärliteratur, Spielfilme, Computerspiele, Lebensberichte, Fundnachrichten oder Pressemitteilungen von Entdeckungen) scheinen die Forschungsobjekte und die Arbeit der Archäologen tatsächlich verzerrt präsentiert zu werden. Die Beharrlichkeit, mit der dies erfolgt, wirkt für die vorrangig Betroffenen durchaus irritierend. Kurz gesagt: Das Inszenieren der Archäologie beschränkt sich gleichbleibend auf ein paar willkürlich assoziierte Bilder, die den von Cornelius Holtorf (2007a) definierten Schlüsselbegriffen zu2

Zitiert aus Christie (1977: 221). In ihrer Autobiographie berichtet Christie ausführlich über die im Vorderen Orient an der Seite ihres Mannes, des Archäologen Max Mallowan, erlebten Begebenheiten. Ab der ersten Seite des Vorworts stellt die Schriftstellerin mit feinsinniger Ironie einen parallelen Bezug zwischen der Faszination der Öffentlichkeit für die Archäologie und der Faszination der Archäologen für die Gesellschaften der Vergangenheit her: »Dieses Buch gibt Antwort, Antwort auf eine Frage, die mir sehr oft gestellt wird. ›Ach, Sie graben in Syrien? Erzählen Sie doch. Wie leben Sie dort, in einem Zelt [auf der Ausgrabung]?‹ […] Und dieselbe Frage stellt die Archäologie an die Vergangenheit […]. Mit Hacken, Schaufeln und Körben finden wir die Antwort« (Christie 1977: 8). 50

ARCHÄOLOGINNEN UND ARCHÄOLOGIE IN DEN MEDIEN

geordnet werden können: Abenteuer, Detektivarbeit, Entdeckung, Ausgrabung und Wiederauflebenlassen sowie eine Art Berufung zum Erhalt des Kulturerbes; Tätigkeiten, die von unangepassten und außergewöhnlichen Individuen weit entfernt von jeglicher Gegenwartsrealität betrieben werden. Die Wiederholung solcher Klischees ist umso frustrierender, sobald die Vermittlung archäologischer Forschungsarbeit in der Öffentlichkeit im Vordergrund steht. Ob verherrlicht oder verspottet, Archäologie ist tatsächlich unbestritten populär: Sie interessiert jeden oder lässt zumindest niemanden unberührt.

Der Archäologe, die Öffentlichkeit und die Medien Auch wenn man sich eingesteht, dass dieses Problem reell ist, würde man Unrecht daran tun, die Analyse allein auf die Rolle der Medien zu lenken, um ausschließlich diesen die ›Falschinformation‹ der Öffentlichkeit anzulasten. In diesem wie auch in anderen Zusammenhängen kann man ›den Medien‹ (im Allgemeinen) keine große Initiative nachweisen: Einem Resonanzkasten gleich geben sie vermutlich Sachverhalte lediglich weiter, indem sie diese hervorheben ohne ihre Bedeutung genau zu erfassen. Im vorliegenden Fall sind die Bilder in der Öffentlichkeit nicht wirklich das Ergebnis der Vermittlung: Sie gründen auf bereits bestehenden Vorstellungen, die eben gerade die Art und Weise dieser Vermittlung vorprägen. Die Bezüge zwischen Wissenschaft und Gesellschaft verlaufen bekanntermaßen nicht nur in eine Richtung: Wir müssen uns von einer Sichtweise distanzieren, der zufolge die Medien als guter oder schlechter ›Übersetzer‹ der Wissenschaft für eine passive, auf eine Empfängerrolle reduzierte Öffentlichkeit fungieren würden. Darüber hinaus ist das mittlere Glied des Dreigestirns ›Archäologie – Medien – Öffentlichkeit‹ kein zwingender Zwischenschritt. Von Grabungsführungen bis zum Tag der offenen Tür, ohne dabei die beachtliche Arbeit, die in Museen und Archäologieparks geleistet wird, zu vergessen, kann jeder tatsächlich feststellen, dass sich Archäologen auch oft (und gerne) auf direkte und unmittelbare Weise selbst an die Öffentlichkeit wenden. Bezüglich dieser Gelegenheiten und Vermittlungsformen müssen wir allerdings ehrlicherweise eingestehen, dass sich der Diskurs der Archäologen (in Bezug auf die Erzählmotive und die künstliche Inszenierung) nicht wesentlich von demjenigen unterscheidet, den wir so gerne den Vertretern der Medien vorwerfen. Die Kritik ist nicht neu: Alle, die sich in der einen oder anderen Hinsicht bereits mit Kommunikation von Archäolo51

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gie beschäftigt haben, konnten feststellen, dass unsere schärfsten und unversöhnlichsten Kritiker die eigenen Kollegen sind. Jeder findet sich auf seine Art damit ab – meistens in der Überzeugung, dass der Kritiker unausweichlich bald selbst im Hagel der Kritik steht, sobald er aus seiner Grabung, seinem Labor oder seinem Büro heraus- und an die Öffentlichkeit herantritt.

»Ihnen das bieten, was sie hören wollen«, oder die berühmte Frage nach Henne und Ei Auch wenn auf diese Art das Selbstwertgefühl wirksam gestärkt wird, so liegt dies möglicherweise daran, dass die Archäologen die Gründe für dieses Problem genau kennen: Um gehört zu werden, müsste man sich mehr oder weniger – je nach Ausgangssituation und Zielpublikum – den Erwartungen der Öffentlichkeit anpassen. Im Grunde genommen müsste also eine wirksame Kommunikation den notwendigen Kompromiss eingehen, bei der Vermittlung eines Sachverhalts manche Umwege auf sich zu nehmen, damit das Publikum aufmerksam bleibt und die Inhalte versteht. Angesichts einer solchen Auflage würde sich die Ethik eines Archäologen daran messen, inwieweit er es sich erlaubt, seine Ausführungen auszuschmücken, um sie attraktiv zu machen. Auch wenn sie nicht unbedingt falsch ist, entzieht sich eine solche Analyse einer wichtigen Frage bezüglich der Art und Weise, wie Archäologie in der Öffentlichkeit dargestellt werden soll. Denn auch wenn (vielleicht) gezwungenermaßen, tragen wir dennoch ständig selbst zur Bereicherung einer Vorstellungswelt bei, die wir dann in Fachkreisen zwar von uns weisen, für deren Verfestigung wir jedoch einen großen Anteil an Verantwortung tragen. Hier stellt sich die berühmte Frage nach Henne und Ei. So ist zu fragen, wie und wann sich diese die Realität verzerrenden Erzählmotive durchgesetzt haben. Ein Rückblick auf die Forschungsgeschichte zeigt, dass alle gängigen Klischees schon seit langem – seit den Anfängen der Archäologie – in Umlauf sind, und sich zudem innerhalb der Disziplin entwickelt haben.

In der Forschungsgeschichte fest verankerte Erzählmotive Tatsächlich bediente sich die Rhetorik unserer Vorgänger, von den Antikensammlern der Renaissance bis zu den Pionieren der Prähistorischen 52

ARCHÄOLOGINNEN UND ARCHÄOLOGIE IN DEN MEDIEN

Archäologie im 19. Jahrhundert, derselben Metaphern und Inszenierungen von Abenteurern und Kriminalgeschichten, von spektakulären Freilegungen, vom Wiederauflebenlassen und von Wiederaufbauten, wie sie uns heute begegnen. So wurden bei den frühen Forschungen im Rom des Quattrocento Gräber vor den Augen sprachloser Zuschauer geöffnet, die die Vergangenheit aus der Vergessenheit auferstehen sahen, indem der Glanz antiken Kaisertums unter dem Papstsiegel wiedererweckt wurde, und die sahen, wie die Wissenschaft die Toten wieder lebendig werden ließ, indem sie die Lebenden an die Vergänglichkeit ihre irdischen Daseins erinnerte. In diesem Zusammenhang besitzt beispielsweise Pompeji, das mit großer, publikumswirksamer Vermittlungsarbeit in der Mitte des 18. Jahrhunderts erforscht wurde, einen paradigmatischen Charakter. Die sich zur Wissenschaft entwickelnde Archäologie wird hier als eine Art Unternehmen laizistischer Wiederauferstehung präsentiert und verstanden. Und im Kontext des Wettstreits unter den imperialistischen Mächten des 19. Jahrhunderts rechtfertigen die von den Großmächten finanzierten, kostspieligen Anastylosen, die auf Prestigeausgrabungen in die Wege geleitet wurden, eine durch den Wiederaufbau charakterisierte Archäologie – ein Bestreben, das übrigens mit dem berühmten Pergamonmuseum in Berlin seinen Schätze raubenden Höhepunkt erreicht. Lange Zeit vor der Schaffung von so bekannten Fiktivgestalten wie Indiana Jones fanden die Antikensammler der Aufklärung, die zur Zeit des Grand Tour die Mittelmeerküsten bereisten (vgl. Trease 1991; Chessex 1997), bereits Gefallen daran, sich als Abenteurer, umgeben von Einheimischen mit fremden Sitten und eigenartigen Trachten, darzustellen, wie es unzählige Stiche, Zeichnungen und Gemälde bezeugen. Im Grunde wird der im Orientalismus der Romantik in Szene gesetzte Exotismus (vgl. Said 1978) sogar zur Grundbedingung dieser Zeitreise mit der Wiederentdeckung der ›Patriarchenwelt‹, ihren Mysterien, ihren Legenden und Geheimnissen, ihren Hirten, Kurtisanen, Wasserträgerinnen und Kamelkarawanen. Um außerdem erste Reglementierungen zur Erhaltung des Kulturerbes zu rechtfertigen, haben die Archäologen selbst den verdienstvollen Charakter ihrer Rettungsaufgabe betont, indem sie ihr Bewusstsein für den Erhalt des Kulturerbes der Geschichtslosigkeit der heutigen Zeit und den Lastern des zeitgenössischen Konsumverhaltens entgegenhielten. Diesbezüglich unterscheiden sich im Umkehrschluss die Karikaturen von Antikensammlern im Barockzeitalter kaum vom Porträt Professor Bienleins in Rackham der Rote (Hergé 1945): In beiden Fällen wird der Archäologe als zerstreut, verstaubt und verhaltensgestört dargestellt. Von den allerersten Anfängen der Archäologie an stößt man auf die beständig

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gleichen Aufwertungsprozeduren oder den herablassenden, gegen alles Moderne gerichteten Standpunkt des ›Streiters für das Kulturerbe‹. Und wenn heutige Archäologen ihre Arbeitsweise gerne als vergleichbar mit derjenigen von Inspektoren der Kriminalpolizei beschreiben: Die Durchsetzung dieses Motivs zeigt sich schon Ende des 19. Jahrhunderts, parallel zur Entwicklung der wissenschaftlichen Methoden der Kriminalpolizei. Diese Art ›Tatort-Syndrom‹, das auf wiederkehrenden Vergleichen zwischen der archäologischen und der kriminalistischen Beweisführung beruht, hielt sogar Einzug in die ersten Handbücher für archäologische Grabungstechniken und Grabungsmethoden – zu genau jenem Zeitpunkt, als sich die moderne Kriminalistik auf Fingerabdrücke und Erkennungsdienstdateien stützen konnte. Die neuen wissenschaftlichen Methoden, die natürlich auch ein Echo in den Medien gefunden haben – zum Beispiel in Frankreich mit der berühmten Fernsehserie der Brigades du tigre3 – stellten tatsächlich eine Wende in der Geschichte der Kriminalistik dar. So sind es also die Archäologen selbst, die bewusst oder unbewusst, gewollt oder ungewollt die Klischees geschaffen haben, die das Bild der Disziplin in der Öffentlichkeit noch immer bestimmen. Aber zu jener Zeit galt die heute übliche Ausrede nicht: Unsere Vorgänger waren kaum dem aktuellen so oft zitierten ›Kommunikationsdruck‹ durch die Medien ausgesetzt. Wie dem auch sei – unter diesen Umständen scheint es schwierig, die unterschwellig vorherrschende Vorstellungswelt zurückzuweisen und sie als Ergebnis banaler Vorurteile, die in völliger Unkenntnis der Realitäten unseres Berufes verbreitet werden, abzustempeln.

Eine Fehlauslegung der Forschungsgeschichte Um sich besser den Nachwirkungen der forschungsgeschichtlichen Zwänge des Faches zu entziehen, nehmen Archäologen oft eine Verteidigungshaltung ein, die darin besteht, die Anfangsphase der Disziplin zu verleugnen. Die idealistisch dargestellten Charakterzüge des Archäologen werden auf diese Weise unbekümmert einer als ›vorwissenschaftlich‹ bezeichneten Frühphase der Archäologie zugewiesen – eine Zeitspanne, die sehr dehnbar ist und die sich gerade durch das spätere Hinzu3

Eliteeinheit der Justizpolizei, die 1907 von Georges Clémenceau, damals französischer Innenminister, begründet wurde. Die Brigades du Tigre (Tigerbrigaden) waren Gegenstand einer Fernsehserie (Claude Desailly, ORTF/Antenne 2, 21. Dezember 1974 bis 11. November 1983), deren langjährige Beliebtheit kürzlich eine Neuverfilmung veranlasste: Les Brigades du Tigre (Frankreich 2006, Regie: Jérôme Cornuau). 54

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fügen von Merkmalen auszeichnet, von genau denen wir uns distanzieren möchten. Auf durchaus pseudowissenschaftliche Art wird nicht gezögert, die heuristische Dimension der frühen Forschungen zu übergehen, um unsere Vorgänger als primitive Schatzgräber darzustellen. Begünstigt durch die Herauslösung aus ihrem sozialen und historischen Zusammenhang, dienen die Unterschiede zwischen damaligen und heutigen Archäologen als Vorwand für eine recht anachronistische Disqualifizierung der ersteren. Wie es ihre so treffende Bezeichnung zeigen soll, hätten die ›Antikensammler‹ der vergangenen Jahrhunderte nur eines im Sinn gehabt, nämlich Funde zur Befriedigung ihrer Sammlerneurose anzuhäufen, während die Pioniere der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie (durch die neuen Forschungsgebiete, auf die sie sich wagten) in der Schublade der ›Abenteurer‹ und anderer Liebhaber starker Emotionen abgelegt werden. Geschäftsmann und Autodidakt, ebenso genial wie umstritten, kann ein Gelehrter wie Schliemann dann von all jenen als abschreckendes Beispiel dargestellt werden, die es vorzugeben wagen, nie davon geträumt zu haben, ihrer Lebensgefährtin den Schmuck der Helena umzuhängen – und sich dabei gleichzeitig die für ihre Forschungen notwendigen finanziellen Mittel zu sichern.

Weit verbreitete Wunschbilder Tatsächlich müsste uns eine ehrliche Untersuchung dazu veranlassen, nicht unbedingt die Beweggründe, sondern die Berechtigung einer solchen konventionsgebundenen Verzerrung ernsthaft in Frage zu stellen. Bei einer fachinternen Betrachtung müssen wir eigentlich zugeben, dass wir hinter vorgehaltener Hand oft die gleichen Wunschbilder pflegen wie die als leichtgläubig verrufene Öffentlichkeit, die wir zur Aufklärung zwingen. So verrät die recht charakteristische Aufmachung der Archäologen selbst weit entfernt von der nächsten Ausgrabung auf Hörsaalbänken wie auch in Kongresssälen einen ›Feldmythos‹, der sich auf unterschiedliche Art und Weise in einem Machogehabe, wie es den heutigen Wissenschaftsabenteurern eigen ist, äußert. Cornelius Holtorf, der dem ›Dress-Code‹ der Archäologen einige pikante Seiten gewidmet hat, zitiert zu diesem Sachverhalt einen Bericht aus einem Diskussionsforum der British Archaeological Jobs Resource, demzufolge der charakteristischen Bekleidung der Archäologen mit Bart, Dreadlocks und keltischen Tatoos eine symbolische Bedeutung zukommt, die die komplette Eingebundenheit ihrer Träger in einen Lebensstil zeigt, der archäologische Authentizität garantieren will (Holtorf 2007b: 72).4 4

Hierzu siehe auch Webb (1996); Stern/Tode (2002). 55

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Jeder, der sich mit der ›experimentellen Archäologie‹ auseinandergesetzt hat, weiß auch, bis zu welchem Punkt dabei häufig eine regelrechte Wiederauferstehungsmystik zum Ausdruck kommt: Über die handwerkliche Geste hinaus stellt sich der Experimentalarchäologe gerne vor, er könne die Seele der damaligen Menschen erfassen, ihre Gedankengänge nachvollziehen und mit ihnen in einer parallelen Welt kommunizieren, in der die Zeitdimension abgeschafft zu sein scheint.5 Dasselbe gilt für unseren Bezug zur Welt der Toten: Hinter den wissenschaftlichen Prozeduren, die bei der Befundaufnahme und -analyse zum Einsatz kommen, erweckt das Freilegen von Bestattungen bei den meisten von uns sehr gemischte Gefühle, die natürlich mit Profanationsängsten verbunden sind und die oft kaschiert oder ins Lächerliche gezogen werden – welcher Ausgräber kann schwören, nie albernes Zeug mit den ausgegrabenen Knochen gemacht zu haben? Eine konkrete Auseinandersetzung mit der Faszination für den Tod findet im Fach nicht statt: Um letztere zu analysieren, bedarf es Außenstehender, ob Romanautoren oder Filmregisseure – beziehungsweise, noch seltener, Ethnologen der Archäologie (vgl. Torchard 2000). Nicht viel anders steht es um den Entdeckungsprozess. So lässt uns das naive Bild des Schatzgräbers, welches wir mit aller Kraft zerstören wollen, nur selten unberührt. Wenn ein Archäologe im Freundeskreis von den Hauptbeweggründen seiner Begeisterung und Leidenschaft für diesen Beruf spricht, so zählen dazu nicht in erster Linie die Freude am Klassifizieren und Vergleichen, an stratigraphischen Überschneidungen oder an der Faktorenanalyse, sondern der direkte Bezug zu den Gegenständen aus der Vergangenheit und die ständige Konfrontation mit dem Potential des Ungeahnten. Wer von uns hat nie davon geträumt, einen neuen Volutenkrater von Vix, ein neues Lascaux oder eine Grotte Cosquer zu entdecken – bzw. viel subtiler: sensationelle Entdeckungen zu machen, die unseren archäologischen Kenntnisstand revolutionieren würden, wie eine altsteinzeitliche Nekropole, ein mittelsteinzeitlicher Neandertaler, oder eine jungsteinzeitliche Schrift in Mitteleuropa? Solche Geständnisse werden unter Archäologen am späten Abend bei geselligem Zusammensein und nach ein paar Gläsern Wein in Hülle und Fülle vorgebracht. Selbst wenn uns die wissenschaftliche Methodik dazu anhält, solche Ambitionen mit Diskretion zu pflegen, sprechen die steilsten Karrieren in der Disziplin für sich selbst: Seit mehr als 50 Jahren können die meisten Autoritätsfiguren in der Archäologie jeweils mit einer wichtigen Entdeckung in Zusammenhang gebracht werden, die in gewisser Weise als eine Art Aushängeschild fungiert. 5

Zur allgemeineren Verwendung der experimentellen Archäologie in der Vermittlung der Archäologie siehe Pétrequin (2008). 56

ARCHÄOLOGINNEN UND ARCHÄOLOGIE IN DEN MEDIEN

Kurzum: Die fachinternen Gepflogenheiten decken sich mit den abgedroschensten Klischees. In dieser Hinsicht kann das ›Tatort-Syndrom‹, bei dem der technische Erfindergeist des Detektivs die Lösung der unwahrscheinlichsten Rätsel ermöglicht, in einer kritischen Betrachtung auch auf die Stellenvergabe in der Archäologie übertragen werden. Die Vergabe von Arbeitsstellen in den Forschungsinstituten stützt sich nämlich oft auf sehr spezifische technische Fähigkeiten des Bewerbers. Diese technischen Fähigkeiten bieten seitens des Arbeitgebers den Vorteil, leicht auf unterschiedliche Themenbereiche angewandt werden zu können, ohne dass dabei der ursprüngliche Forschungsansatz gefährdet wird, da eine kritische Hinterfragung des erkenntnistheoretischen und methodischen Ansatzes seltener stattfindet.

Ein ›Traumberuf‹ Der Autor dieses Beitrages gehört zu jenen Archäologen, die sich im privaten Bereich bemühen, die Frage »Und Sie, in welchem Bereich sind Sie beruflich tätig?« zu umgehen, um nicht noch einmal mehr den oft gehörten Ausruf entgegenzunehmen: »Archäologe! Oh, das muss aber spannend sein …«. Tatsächlich sind solche Gefälligkeiten recht irritierend für alle diejenigen, deren Berufsalltag nicht darin besteht, sich einen Weg durch den Dschungel zu schlagen, auf einem Kamelrücken durch die Wüste zu reiten, Sarkophage freizulegen oder goldglänzende Idole auszugraben, die unbekannten Gottheiten gewidmet sind (vgl. Abb. 1). Aber warum verwirrt uns eigentlich dieses Bild der Archäologie? Weil wir diese Sichtweise dann und wann auch schon geteilt haben? Für die meisten von uns ist die Archäologie mehr als nur ein Broterwerb: Es handelt sich um den Beruf unserer Kinderträume. Natürlich wissen wir seit langem, dass der Berufsalltag ganz anders ist als unsere Idealvorstellungen. Aber wenn wir diesen Beruf ausüben, so geschieht dies, weil auch wir von diesen Wunschbildern verführt wurden, und dies offensichtlich stärker als diejenigen, die uns darum beneiden. Von diesem Standpunkt aus betrachtet kann man sich zu Recht die Frage stellen, ob nicht gerade diese Verlegenheit unsere Schwierigkeit verrät, die offensichtliche Diskrepanz zwischen unseren alltäglichen Aufgaben und den ganz persönlichen Beweggründen unserer Berufswahl zu akzeptieren. In dieser Hinsicht könnte die oft typische Wissenschaftsgläubigkeit der Archäologen als eine Art persönlicher Freispruch interpretiert werden: Der Kult der wissenschaftlichen Genauigkeit und der positiven ›Tatbestände‹ dient uns als Schutzschild gegen eine Vorstellungswelt, vor der wir uns erfahrungsgemäß in Acht nehmen müssen.

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Abbildung 1: »Actual Archaeological Method versus Indiana Jones Method«. Dieses sekundär verwendete Internetdokument aus unbekannter Quelle illustriert in bezeichnender Weise das bei uns Archäologen so geläufige ›Indiana Jones Syndrom‹. Eine Art Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem Vorbild des Hollywoodhelden wird durch eine wissenschaftliche Berechtigung überwunden, die zudem den Eindruck einer erbärmlichen Mühsal erweckt.

Quelle: http://www.geeksaresexy.net/2009/08/03/indiana-jones-methodvs-actual-archaeological-method/. Zugriff am 21. November 2009. 58

ARCHÄOLOGINNEN UND ARCHÄOLOGIE IN DEN MEDIEN

Eine fachspezifische Selbstbestätigung, die der intellektuellen und kulturellen Relevanz der Archäologie abträglich ist Eine kurze Internetrecherche macht die Ausgeprägtheit dieser fachspezifischen Selbstbestätigung deutlich: Auf den Bildern ihrer eigenen Internetseiten zeigen sich Archäologen gerne umgeben von komplexen Apparaturen und bei der Ausführung von Tätigkeiten, die ein hohes Niveau an technischem Sachverstand verlangen. Wie es die auf der Berliner Tagung 2009 angeschnittenen Diskussionen gezeigt haben, ist dies besonders für die prähistorischen Archäologen bezeichnend; offenbar scheint die epistemologische und methodische Verknüpfung mit den Naturwissenschaften den einen oder anderen Minderwertigkeitskomplex, den es zu überwinden gilt, hervorzurufen. Daraus wird ersichtlich, dass der fachspezifische Anspruch das ›Tatort-Syndrom‹, das in der Selbstdarstellung des Archäologen als ›Detektiv der Vergangenheit‹ mit enthalten ist, nur verstärkt. Aber über die derart genährten Klischees hinaus stellt eine solche Haltung die Archäologie im interdisziplinären Austausch tatsächlich vor ein Problem, diesmal im Bereich der Geisteswissenschaften. Denn mit einer weitestgehend auf die Feldarbeit einerseits und den Rückgriff auf technische Prozeduren andererseits gegründete Identität nimmt die Archäologie eine sehr spezifische Stellung ein, die sich bei der Einbeziehung in den intellektuellen Dialog und den wissenschaftlichen Diskurs kaum als günstig erweist und sogar zu ihrem Ausschluss aus der kulturellen Debatte im weiteren Sinne führen könnte. Im vorliegenden Fall erklärt möglicherweise die Zuflucht, die unsere Disziplin in diesem fachspezifischen Anspruch findet, einen großen Teil der Un- und Missverständnisse, die dem verzerrten Bild der Archäologie in der Öffentlichkeit zu Grunde liegen.

Uneingestandene Wunschbilder î die es zu akzeptieren gilt! Unserer Meinung nach weist alles darauf hin, dass die Vorstellungswelt der Archäologen auf eigenen Phantasiegebilden beruht. Die im Lauf der Forschungsgeschichte am häufigsten verwendeten Klischees wurden im Kreis der Disziplin geschaffen und nähren sich aus den Träumen, Ambitionen und subjektiven Beweggründen der Archäologen. Logischerweise äußern sich diese Wunschbilder vor allem dann, wenn wir uns an Laien wenden, die ein nachgiebiges und empfängliches Publikum darstellen. In 59

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dieser Situation treten unsere Vorstellungen in dem, was wir vermitteln, oder in dem, wovon wir glauben, dass es die Erwartungen des Publikums bestätigt, deutlich zu Tage. Wie wir gesehen haben, zeigen sich die Wunschbilder jedoch auch auf indirekte Art in unseren Einstellungen, Verhaltensweisen und den ungeschriebenen Regeln der archäologischen Disziplin. So gesehen dürften uns die vorliegenden Überlegungen zum Bild der Archäologie dazu anregen, den Anteil an Träumerei und Idealismus, der bei der Ausübung archäologischer Forschungen Eingang findet, besser zu akzeptieren. Es wäre tatsächlich zu einfach, dieses Bild in der Öffentlichkeit als eine alberne Verzerrung der Realität stehen zu lassen. Im Sinne einer Karikatur verstärkt der von den Medien vorgehaltene Spiegel manche Eigenschaften und macht sie umso deutlicher. So unbehaglich es auch sein mag, sollte uns dieses Spiegelbild helfen, eine kritische Distanz zur Archäologie wie sie ist, wie sie ausgeübt und gelebt wird, aufzubauen. Kurzum: Es wäre für die Archäologen von Vorteil, in Ruhe über die Bedeutung, die Auswirkungen und die Folgen der Charakterzüge, mit denen wir dargestellt werden, nachzudenken. Auch unterstellte Eigenschaften sind nie bedeutungslos: Sie sagen viel aus über genau das, was fachintern nie wirklich erörtert wird. aus dem Französischen übersetzt von Karoline Mazurié de Keroualin

Literatur Chessex, Pierre (1997): »Grand Tour«. In: Dictionnaire européen des Lumières, Paris: Presses Universitaires de France, S. 518-521. Christie, Agatha (1977): Erinnerungen an glückliche Tage. Abenteuer und Ausgrabungen in Syrien mit meinem Mann, Bergisch Gladbach: Lübbe. Englischsprachige Originalausgabe (1946): Come, Tell Me How You Live, London: William Collins Sons. Hergé (1945): Les aventures de Tintin: Le trésor de Rackham le Rouge, [Tournai]: Casterman. Holtorf, Cornelius (2007a): Archaeology is a Brand! The Meaning of Archaeology in Contemporary Popular Culture, Walnut Creek/CA: Left Coast Press. Holtorf, Cornelius (2007b): »An Archaeological Fashion Show. How Archaeologists Dress and How they are Portrayed in the Media«. In:

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ARCHÄOLOGINNEN UND ARCHÄOLOGIE IN DEN MEDIEN

Timothy Clack/Marcus Brittain (Hg.), Archaeology and the Media, Walnut Creek/CA: Left Coast Press, S. 69-88. Kaeser, Marc-Antoine (2008): »Les archéologues et l’archéologie face aux médias, un miroir dérangeant?«. Les Nouvelles de l’archéologie 113, S. 19-22. Pétrequin, Pierre (2008): »Archéologie expérimentale et grand public«. MARQ Arqueologia y Museos 3, S. 33-61. Said, Edward W. (1978): Orientalism, London: Routledge. Stern, Tom/Thomas Tode (2002): »Das Bild des Archäologen in Film und Fernsehen: Eine Annäherung«. In: Anita Rieche/Beate Schneider (Hg.), Archäologie Virtuell: Projekte, Entwicklungen, Tendenzen seit 1995, Bonn: Habelt, S. 71-80. Torchard, Marianne (2000): L’archéologie: un haut-lieu de la pensée mythique. Une ethnologue chez les archéologues, Saint-Malo: Centre régional d’archéologie d’Alet. Trease, Geoffrey (1991): The Grand Tour, New Haven: Yale University Press. Webb, David (1996): »Photographs by David Webb«. The Archaeologist 27, S. 15-17.

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G A N Z E L E B E N S WE L T E N

AUF NUR

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MM?

PATRICIA RAHEMIPOUR

Archaeology has always been a popular science. Its presence is to be found in multiple forms of popular culture, from screenings in films, the main pages of magazines and advertisements. This popularity both provides a platform and poses a risk for archaeology. This article illustrates, with various examples drawn from film, positive and negative aspects of representation which have both furthered or inhibited public understandings of archaeology. There is a long tradition in presenting archaeology and some stereotypes have been drawn upon again and again since the beginning: These so called ›Stellvertreter‹ have been used since the earliest presentations. Indeed, the objects displayed in public are often established as ›pars pro toto‹, and are used to symbolize entire cultures, rather than the detailed information which archaeologists possess about a particular time period. An example such as the display of a club as a materialisation of the whole stone ages springs to mind. The Author shows on the other hand, that public presentation is not a one-way process. Archaeologists themselves often use pictures for explanation which the public already knows and accepts as archaeological. Consequently, not only the influence of archaeology on popular culture is of interest, but conversely the influences of these popular transformations on archaeology become noteworthy. Certainly public presentation in form of stereotypes shapes the imagination of a science and its subjects. But also the other way round, influences can be shown: For example, the excavations about periods which are well known in public culture gain more money than other, less known excavations. As a result scientists research already fairly popular topics while others are still sorely under-represented. Consequently archaeology develops in a specific direction which is itself influenced by its official presentation. »Ganze Lebenswelten auf nur 35 mm?« spielt als Titel dieses Beitrags bereits mit der Unentschlossenheit, die mich selbst bei der Beschäftigung mit dem Thema ›Archäologie und Öffentlichkeit‹ seit einiger Zeit umtreibt. Mit den folgenden Zeilen soll der Versuch unternommen werden, 63

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einige Ideen und Impulse zu formulieren, die zwar keine wissenschaftliche Bearbeitung darstellen können, jedoch Beachtung verdienen. Es spricht außerordentlich viel für jegliche Popularisierung des Faches, das in der komfortablen Situation ist, diese Bestrebungen gar nicht selbst anstoßen zu müssen, sondern aufgrund einer Art intrinsischen Popularität von Seiten der Öffentlichkeit geradezu dazu gedrängt wird. Die Vorzüge dieser Bekanntmachung sind bereits Allgemeinplätze. Popularisierung bringt Geld: Finanzierungen lassen sich leichter realisieren, wenn der ›Geldgeber‹ überzeugt ist, ein moderner Schliemann zu sein. Popularisierung bedeutet darüber hinaus beispielsweise die Sicherung von Lehrstühlen. Diese sind zwar durchaus bedroht und ihr Erhalt ist immer wieder in der Diskussion, aber ich wage zu behaupten, dass es andere ›Orchideenfächer‹ diesbezüglich wohl noch schwerer haben. Einen weiteren positiven Aspekt bringen Popularisierungsbestrebungen mit sich, sofern diese von Fachvertretern mitgesteuert werden: So erzwingt jede Art der ›Veröffentlichung‹ auch die Vereinfachung recht komplexer wissenschaftlicher Inhalte. Diese erhöht nicht nur die Verständlichkeit des Sachverhalts für den Laien. Simplifizierung kann auch unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten hilfreich sein. Die Reduktion öffnet den Blick für das Wesentliche und ermöglicht einen häufig phantasievolleren Zugang zu dem bisher aufgrund zu großer Detailverliebtheit verstellten archäologischen Befund. Doch da ist auch eine andere Seite: Es geht um die muntere Verbreitung so genannter ›Stellvertreter‹ der Archäologie oder archäologischer Themen,1 also um eine klischeehafte, modelartige und stereotypisierte Reduktion von vielen Aspekten auf nur einen oder wenige Ausschnitte aus der bekannten Gesamtinformation. Beispielhaft sei hier nur der Stellvertreter ›Keule‹ für Steinzeit genannt. Die unreflektierte Veröffentlichung diverser Stellvertreter in allen Medien ist zum Teil bereits seit der Renaissance mit geringfügiger Veränderung üblich. Neben der Reduktion ist ihr Gegenteil, die ›Ergänzung‹, regelhafter Bestandteil von Popularisierung archäologischer Sachverhalte. Das heißt nichts weniger, als dass dort, wo uns der archäologische Befund Aussagen über bestimmte Bereiche prähistorischen Lebens versagt, ergänzt wird, und dies vornehmlich nach dem Prinzip der Übertragung moderner Gepflogenheiten auf die Vergangenheit.

1

Mit dem Begriff des Stellvertreters bezeichne ich ein pars pro toto der Archäologie oder archäologischer Themen. So kann ein einzelnes Artefakt in der öffentlichen Wahrnehmung für eine ganze prähistorische Periode/Kulturgruppe oder einen Zeithorizont stehen. Der Druide als Stellvertreter der Kelten erfüllt diese Funktion. Genauer dazu Rahemipour (2009: 6). 64

GANZE LEBENSWELTEN AUF NUR 35 MM?

Aus dem wissenschaftlichen Lager ertönt spätestens jetzt ein Aufschrei, dass dies unzulässig sei, erreichen doch die intensiv geführten Diskussionen innerhalb fachwissenschaftlicher Mauern kaum oder in völlig unzureichendem Ausmaß die interessierte Öffentlichkeit, werden so zurückhaltend geführte Bezeichnungen wie beispielsweise der Begriff der Kelten nur selten und mit der gebotenen Vorsicht benutzt, im Gegensatz zu ihrem inflationären Gebrauch im öffentlichen Raum. Darüber hinaus gilt für die allermeisten populären Archäologiedarstellungen, dass sie nicht anders denn als nervig zu bezeichnen sind. Gerade die im Film immer wieder bemühten Superlative kann man als Fachvertreter nur schwerlich ertragen. Besonders sei jedoch auf einen Aspekt verwiesen, der in diesem Zusammenhang zu wenig bzw. bislang nicht hinreichend beachtet wurde. Stellvertreter und ihre stete Wiederholung sind nicht nur außerordentlich enervierend. Sie prägen nicht nur öffentliche Vorstellungen von Vergangenheit/historischen Lebenswelten oder Prähistorie überhaupt, sondern sie entziehen sich durch stete Wiederholung auch fast gänzlich der Korrektur und wirken zurück auf ein Fach und seine innerfachliche Haltung. Das wird nicht zuletzt dadurch verursacht, dass ihre öffentliche Allgegenwart einen hohen Wahrheitsgehalt suggeriert. Diese Rückwirkung lässt sich an dem gerade aktuellen Thema der Varusschlacht zeigen: Gerade im Wahl- und Jubiläumsjahr 2009 wurden Projekte zur Varusschlacht, dem identitätsstiftenden Vergangenheitsszenario der Deutschen schlechthin, in ganz anderem Ausmaß gefördert als beispielsweise Forschungsprojekte zu den Bestattungssitten der Frühlatènezeit. Aus solch spezifischer Förderung resultiert wiederum ein Überhang an Erkenntnissen auf der einen Seite zu Lasten fehlender Informationen auf anderen Gebieten. So ist beispielsweise das gut erforschte frühe Mittelalter geradezu ein Stiefkind der Medien. Mittels eines Beispiels, der populären Darstellung der Steinzeiten, soll nun den Fragen nach Grenzen und Möglichkeiten von Ergänzung und Auslassung, nach Nutzen und Gefahr von Popularisierung der Wissenschaft, nach Mitwirkung von Wissenschaftlern, nach Rückwirkung auf das Fach selbst und vor allem nach der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Medien und ihren Vertretern und der interessierten Öffentlichkeit nachgegangen werden.

Ur-komisch: Archäologie mit der Keule Eine besondere Rolle in der öffentlichen Darstellung archäologischer Sachverhalte spielt die Interpretation der Steinzeiten. Sie ist nicht nur seit

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Beginn archäologischen Arbeitens an sich immer wieder Thema in der Öffentlichkeit gewesen, sondern wurde bereits von Beginn an auch mit Erkenntnissen der Evolutionstheorie verknüpft. Vorherrschendes Merkmal von Steinzeit-Darstellungen in populären Medien ist sicher die fehlende Spezifik, so dass unterstellt werden kann, dass es in der Öffentlichkeit keine Unterscheidung zwischen Paläo- und Neolithikum (Alt- und Jungsteinzeit) gibt. Die so genannte ungleichzeitige Gleichzeitigkeit ist ebenfalls stetig wiederkehrendes Merkmal populärer Steinzeitdarstellung:2 Ur-Mensch und Dinosaurier werden beispielsweise konstant gleichzeitig dargestellt. Steinzeit im frühen Film Nimmt man die erhaltenen (und soweit bekannt auch die jemals gedrehten) Filmmeter als Maßstab für die Popularität der Epoche, so wäre das Sujet ›Steinzeit‹ mit Abstand das bekannteste prähistorische Thema. Dieser Eindruck wird durch die vorwiegende Darstellung von ›Steinzeit‹ im Genre der Komödie verstärkt, was unter anderem darauf verweist, dass für diesen Zeitabschnitt der Prähistorie Kenntnisse in der Öffentlichkeit vorausgesetzt werden können, die für das Grundverständnis von Komik vonnöten sind. Allein neunzehn Filme, die bis 1930 gedreht wurden, integrieren ein prähistorisch-steinzeitliches Sujet, wobei die reinen ›Dinosaurierfilme‹ hier nicht weiter berücksichtigt werden, da sie dem Genre der Science-Fiction zuzurechnen sind.3 Nach einer Pause während der Kriegsjahre nahmen Produktionen zu den Steinzeiten ab den 1970er Jahren wieder größeren Raum ein. Heutzutage ist ihre Zahl kaum noch zu benennen. Hier nun einige der frühesten Produktionen als Beispiele: Der bekannteste, auch in Deutschland mit großem Erfolg gelaufene Film ist The Three Ages von und mit Buster Keaton aus dem Jahr 1923. Es ist ein Episodenfilm, der die Steinzeit, die römische Zeit und schließlich die Moderne thematisiert. Immer gleiche Situationen werden in den unterschiedlichen zeitlichen Ebenen gezeigt. Unter dem Titel Ben Akiba hat gelogen fand im Jahr 1925 seine Erstaufführung in Deutschland statt. 2

3

Der Begriff der ungleichzeitigen Gleichzeitigkeit wurde erstmals von Ernst Bloch in den 1930er Jahren als Kennzeichen der Moderne definiert. Vor allem Vertreter der Geschichtswissenschaft haben sich später des Begriffes bedient. Ich verwende ihn an dieser Stelle folgendermaßen: In Bezug auf die Archäologie wird mit diesem Begriff die Darstellung asynchroner Erscheinungen als gleichzeitige Phänomene in der öffentlichen Darstellung verwendet, anders als bei Bloch, der sich auf mentale Ungleichzeitigkeit bezieht. Zu Bloch’s Begriffsprägung beispielsweise: Roeder (2008). Ausführlicher hierzu Kempen (1994). 66

GANZE LEBENSWELTEN AUF NUR 35 MM?

Der Film lief über einen längeren Zeitraum an verschiedenen deutschen Lichtspielhäusern. Ältere Produktionen wie His Prehistoric Past (USA 1914), eine frühe Charlie Chaplin-Verfilmung, oder Intolerance (USA 1916) von David Wark Griffith dienten dem Keaton-Film als Vorlage. Alle Produktionen vereinen diverse Spezifika: Sie lassen sich dem Genre der Komödie als einem Untergenre des fiktionalen Films zurechnen. Es handelt sich ausschließlich um US-amerikanische Produktionen, und sie wurden von – bis heute – außerordentlich populären Komikern gemacht. Neben den bereits genannten Filmen zählen dazu noch Flying Elephants (USA 1928) des Komikerduos Stan Laurel und Oliver Hardy und der leider verschollene Romeo in Stone Age (USA 1928). Wie sieht öffentliche Steinzeit in diesen Filmen nun aus? Und wie sieht archäologisches Wissen zu den Steinzeiten aus? Filmsteinzeit und ihre Präsentation ist seit langem den gleichen Bildern verpflichtet. Sie ist identisch mit Keule und Fellkleidung; Rohheit ist die wiederkehrende Eigenschaft; Höhlen werden gerne als Wohnraum, aber nie mit der bekannten Kunst dargestellt usw. Die archäologische Forschung zum Thema beschäftigt sich dagegen mit zeitgenössischer Kunst und technischer Kultur, beides Aspekte, die im öffentlichen Raum allenfalls am Rande in modernen Dokumentationen Erwähnung finden, jedoch lang nicht so zentral behandelt werden wie in der Fachwissenschaft selbst. Dennoch haben öffentliche Darstellungen, ein als stille Übereinkunft verstandenes Grundverständnis anderer Kulturen oder Zeiten, auch eine unbestrittene Wirkung auf das Fach selbst. Dies offenbart ein kurzer Blick auf die Protagonisten der Steinzeit-Forschung. Frühe Steinzeit-Forschung In Bezug auf die Wissenschaftsgeschichte der Prähistorie spielte Christian Jürgensen Thomsen eine unumstritten große Rolle. Mit der Neuordnung der Museumsbestände in Kopenhagen und einem Begleitband, den er etwas später anonym herausgab, machte er sich wissenschaftlich unsterblich. Doch seine Formulierung ist geradezu entlarvend: »Die Steinzeit, oder die Periode, als Waffen und Gerätschaften aus Stein, Holz, Knochen und dergleichen hergestellt wurden und in denen man Metalle entweder sehr wenig oder gar nicht gekannt hat. [...] daß man nicht daran zweifeln kann, es habe eine Zeit gegeben, da diese Sachen hier im Norden im allgemeinen Gebrauch waren. [...], daß dies die älteste ist, in welcher wir finden, daß Menschen in unseren Gegenden gelebt haben, scheint außer allem Zweifel zu sein, sowie daß diese Bewohner Ähnlichkeit mit Wilden gehabt haben müssen« (Thomsen 1836, zitiert nach Eggers 1986: 36).

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Obwohl er sich ausschließlich auf die Artefakte, deren Gliederung ihm wichtig war, bezieht und keinerlei Hinweise auf Fundumstände oder andere Fundgattungen gibt, äußert sich Thomsen interessanterweise zu den Menschen, die diese Gegenstände hergestellt haben müssen, und konstatiert deren »Ähnlichkeit mit Wilden«. Hier benennt er ein Motiv, das in Verbindung mit dem Topos Steinzeit immer wieder erscheint und offensichtlich, schon vor Darwins Evolutionstheorie, durch ethnologische Publikationen geprägt wurde, in denen die Ähnlichkeit zwischen prähistorischen Kulturträgern und den ›zivilisatorisch zurückgebliebenen‹ Kulturträgern anderer Kontinente propagiert wurde (hierzu vgl. Hansen 2001). Die einschlägige Formulierung in einem recht populären Museumsbändchen ist zudem ein deutlicher Hinweis auf das allgemeine Verständnis von Prähistorie in dieser Zeit, das sicher auch Publikumserwartungen entgegenkam. Auch die berühmten Höhlenforscher Lartet und Mortillet beteiligten sich aktiv an der Verbreitung archäologischer Erkenntnisse auf dem Gebiet der Steinzeit. Neben ihren Veröffentlichungen in Zeitschriften wirkten beide bei der Weltausstellung in Paris mit, Mortillet als Sekretär und Lartet als Präsident voll in die Organisation integriert (vgl. MüllerScheeßel 1998/1999). Die Weltausstellung fand 1867 zeitgleich mit dem Zweiten Prähistorischen Kongress statt, und die beiden Forscher waren für die prähistorischen Ausstellungen verantwortlich. Dort wurden altsteinzeitliche Artefakte aus Aurignac und Les Eyzies, ein Beispiel von Abris-Felskunst und Objekte aus den Megalithgräbern der Bretagne sowie aus den Seerandsiedlungen vom Lac du Bourget ausgestellt. Bezeichnend sind die drei Fakten, die Mortillet als Verfasser der Begleitschrift zu dieser Präsentation in Bezug auf die Urgeschichte festhält: Er spricht vom Gesetz des Fortschritts der Menschheit, vom Gesetz der gleichförmigen Entwicklung, und er betont das hohe Alter der Menschheit. Die Intention dieses Ausstellungsabschnitts könnte deutlicher nicht umrissen werden; ihr Einfluss auf das, was archäologische Forschung zu leisten hat, blieb in der Öffentlichkeit in zahlreichen Klischees erhalten. Vermengt wurden Ergebnisse der archäologischen Forschung zudem mit abendländischer Tradition, wie das Zitat Hugo Obermeiers aus den Jahren 1911/1912 zeigt, wo er sich zur Schöpfungsgeschichte in der Bibel wie folgt äußert: »[...] der altehrwürdige Bericht ist ein Kunstwerk erhabenster theologischer Literatur, das [...] die Wahrheit zum Ausdruck bringt, daß alles, was ihn [den Leser] umgibt, das Werk eines höchsten Herrn und Schöpfers ist« (Obermeier 1911/1912: 3). Diese Erkenntnisse verknüpfte man mit den inzwischen akzeptierten Ergebnissen Darwins. Es ist jedoch nicht nur das Hauptwerk Darwins,

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das Einfluss auf die Prähistorische Archäologie und die Popularisierung der Steinzeiten haben sollte. In On the Origin of Species erwähnt Darwin (1859) an keiner Stelle die menschliche Evolution, und die ersten Jahre nach dieser Publikation waren geprägt vom Ringen um das Begreifen des Ausmaßes dessen, was er dort dargelegt hatte. Erst Darwins Veröffentlichung The Descent of Men von 1871 bezieht den Menschen ausdrücklich in seine Evolutionstheorie mit ein. Darwin sagt damit nicht nur, dass es einen fossilen Menschen gegeben habe, sondern auch, dass dieser nicht dem rezenten Menschen entsprach. Diese Aussage bedeutete zweierlei: Der Mensch wurde mit der Tierwelt auf eine Stufe gestellt, er war nicht weniger, aber auch nicht mehr als eine von vielen Spezies, die die Erde bevölkerten. Zudem nannte Darwin für Mensch und Affen einen gemeinsamen Vorfahren – übrigens ohne jemals den Affen selbst als Vorfahren des Menschen anzugeben, wie in der Folge in erster Linie von seinen Gegnern kolportiert wurde. Und hiermit wurde die Verbindung Mensch – Affe hergestellt. Vor Darwin war es jedoch Aldous Huxley, der diese Verbindung populär machte. Thomas Henry Huxley publizierte im Jahr 1863 die Zeugnisse für die Stellung des Menschen in der Natur und behandelte darin die Tierverwandtschaft des Menschen (vgl. Huxley 1863). »Hurra! Das Affenbuch ist da. [...] Die Bilder sind großartig« war Darwins Kommentar zu der Publikation (zit. nach Voss 2007: 190). Es ist vor allem die Abbildung im Frontispiz, die in der Folge zu einer Ikone der Evolutionstheorie werden sollte. Hier steht der Mensch in einer Reihe mit Affen. Diese Abbildung hebt, im Gegensatz zu älteren vorher bekannten, die Unterschiede zwischen Mensch und Affe auf, statt sie zu betonen.4 In der Öffentlichkeit schlug sich die fortschreitende Popularisierung auch der menschlichen Evolution vor allem in zahlreichen Karikaturen nieder. Darwin selbst war zwar nicht aktiv an der Popularisierung seiner Theorie beteiligt, schätzte jedoch die große Aufmerksamkeit, die ihr Zuteil wurde. So sammelte er beispielsweise die zahlreichen Karikaturen, die über ihn und sein Werk kursierten. Ein Hinweis auf bewusste Popularisierungsbestrebungen auch von wissenschaftlicher Seite lässt sich einem Brief des Zoologen Anton Dohrn, den er am 03.12.1864 an Ernst Haeckel schrieb, entnehmen: »Ich habe jetzt einen Plan gefaßt [...] die Darwinsche Theorie in toto populär zu bearbeiten. Und um ein möglichst gangbares Buch zu schaffen, werde ich mich nicht damit begnügen, die Thatsachen darzustellen, sondern ich werde ein viel4

Zur Rezeption, Entstehung und Bedeutung von Darwins Theorien vgl. das hervorragende Buch von Julia Voss (2007). Vgl. zu diesem kompletten Abschnitt: Rahemipour (2009: 279-286). 69

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fach gegliedertes Gebäude auffahren, worin alle Köder, die einem Buch ein Publicum gewinnen können, angewandt werden sollen« (zit. nach Daum 1995: 249).

Diese allgemeineren Beispiele zeigen bereits, dass das öffentliche Bild von Steinzeit im Film, aber auch in anderen Medien, von vielen Seiten beeinflusst wurde und bis heute nachwirkt. Ebenso zeigen sie, dass auch Auswirkungen auf die Wissenschaft und ihre Arbeitsweise zu verzeichnen sind. Der Neandertaler: ein ›Wilder Mann‹ Noch konkreter werden diese Thesen am Beispiel des ›Wilden Mannes‹ bzw. Neandertalers: Den größten Anteil an seiner Popularisierung hatte Marcellin Boule (1861-1942), dem durch seine Forschungen in La Chapelle-aux-Saints ein Neandertalerskelett zur Verfügung stand, das vollständiger war als der berühmte Neandertalerschädel aus der Feldhofer Grotte. Boules Neandertaler-Rekonstruktion erschien zunächst in einer Zeitschrift. Die Illustrated London News bildete 1909 eine Zeichnung ab, die nach den Angaben Boules durch František Kupka erstellt worden war. Gezeigt wird hier ein affenartiges Lebewesen, vollständig behaart mit einem Werkzeug in der linken Hand, von dem aber nur ein Ausschnitt zu sehen ist, so dass man nicht entscheiden kann, ob es sich um eine Keule oder etwas anderes handelt. Allein die Art der Darstellung macht deutlich, dass ihr Produzent den Neandertaler als ausgestorbene, primitive Menschenform ansah. Eine andere Rekonstruktion veröffentlichte der britische Anthropologe Arthur Keith 1911 in derselben Zeitschrift wie vorher Boule. Seine Interpretation zeigt den Neandertaler als kräftigen, steinzeitlichen Kulturträger, der sich kaum vom modernen Menschen unterscheidet (vgl. zu diesen Darstellungen zuletzt Auffermann/Weniger 2006). Unterschiedlicher hätte die Interpretation der Skelette nicht ausfallen können. Interessanterweise setzte sich langfristig die mit animalischen und nicht allzu freundlichen Zügen behaftete Rekonstruktion von Marcellin Boule in der Öffentlichkeit durch. Die jüngere vom Anthropologen Arthur Keith 1911 erstellte, die den Neandertaler deutlich gefälliger zeigt, verschwand in der Folge aus der öffentlichen Wahrnehmung, bis im Landesmuseum in Halle erstmals wieder ein denkender Neandertaler vorgestellt wurde (vgl. Auffermann/Weniger 2006). Die literarische Verarbeitung des Themas wirkte ebenfalls auf die öffentliche Darstellung, nicht nur, weil die Romane und Erzählungen zum Teil illustriert publiziert wurden. H. G. Wells (1866-1946) verfasste bereits 1897 seine Kurzgeschichte A story of the Stone Age, in der ein durch 70

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seinen Clan ausgeschlossener ›Ur-Mensch‹ durch die Erfindung von Werkzeug aus Feuerstein wieder Aufnahme in seiner Gruppe findet. Jack Londons (1876-1916) Before Adam erschien 1906, und der später durch Jean-Jaques Annaud verfilmte Roman La Guerre du Feu von J.-H. Rosny (1856-1940) wurde 1909 publiziert. Mit dem Bekanntwerden des Neandertalerfundes erschloss sich auch die Unterhaltungsindustrie ein neues Betätigungsfeld. Der Bürger bekam Gelegenheit, aus einer Reihe kitschiger Neandertalerfiguren, Darwinbüsten oder kleiner Nutzgegenstände mit charakteristischem Motiv zu wählen (siehe hierzu erneut Voss 2007). Diese kurze Übersicht zeigt, dass auch in Bezug auf den Neandertaler und damit gleichzeitig die Darstellung von Steinzeit plurimediale Einflussbereiche auf die Art der öffentlichen Präsentation fassbar sind. Dabei dringen jedoch in erster Linie Bilder wie das des ›Affenmenschen‹ oder das der evolutionären Reihen, wie sie Huxley entwarf, in unabänderlicher Form ins öffentliche Gedächtnis. Die Prägung geht so weit, dass eine breite Öffentlichkeit in der evolutionären Reihe immer noch Darwin als Urheber sieht. In der Folge hatte das durch Rekonstruktionen entworfene Kollektivbild der Steinzeit bzw. die Ikonographie der Steinzeit in den 1920er Jahren weltumspannende Wirkung, wie der Film The Three Ages deutlich zeigt. Er hätte kaum seine komödiantische Wirkung entfalten können, wären die Grundlagen nicht bekannt gewesen. Fellkleidung und Keule: Stellvertreter und ihr Ursprung Wie sehen jedoch die Merkmale des Stereotyps im Einzelnen aus und wie fügen sie sich zu einem Gesamtbild? Die wesentlichen Attribute, mit denen Menschen in einem steinzeitlichen Szenario ausgestattet werden, sind Fellkleidung und Keule. Die Karikaturen, wie sie in Folge von Darwins Evolutionstheorie die Öffentlichkeit erreichten, beriefen sich in erster Linie auf die Möglichkeit eines gemeinsamen Verwandten von Menschen und Affen. Im öffentlichen Raum wurde aus diesem – zu jenem Zeitpunkt noch vorsichtig formulierten – Theorem schnell eine geradlinige Entwicklung vom Affen zum Mensch. Das Fell des Affen wurde zum symbolischen Fellkleid des Menschen. Es übernimmt nun und in der Folge zwei Funktionen, indem es auf das Primitive ebenso wie auf das Tierische verweist. Lediglich wissenschaftlich anspruchsvolle Filmdarstellungen, wie etwa die deutsche Produktion Natur und Liebe von 1927, verwandten große Mühe auf die korrekte Präsentation des Hominiden, indem beispielsweise auch die

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Gesichter mit Plastilin und Haaren kostümiert wurden.5 Zur Zeit der Filmentstehung von The Three Ages hatte sich die Vorstellung des Neandertalers als Fell und Keule tragender ›Frühmensch‹ bereits so etabliert, dass es nicht mehr nötig war, das ›fossile Aussehen‹ durch zusätzliche Gesichtsmasken zu betonen. Die wahrgenommene Nähe des Frühmenschen zum Affen wurde zudem durch die erwähnten Rekonstruktionen Boules forciert. Sie erlangten übrigens auch dadurch großen Bekanntheitsgrad und waren gerade in Amerika geläufig, weil sie dort in Wanderausstellungen präsentiert wurden. Die auffallend spärliche Fachliteratur, die sich mit der Ikonographie des Neandertalers und damit des Steinzeitmenschen, seinen Attributen und vor allem den ihm zugeschriebenen Eigenschaften auseinandersetzt, sieht eine enge Verbindung zur Motivgenese des ›Wilden Mannes‹ (hierzu vgl. Weniger/Auffermann 2006). Das Bild des Wilden Mannes war ab dem 16. Jahrhundert weit verbreitet. Im Volksglauben des germanischen und slawischen Sprachraums stellt der Wilde Mann ein degeneriertes Wesen dar, das als typische Merkmale seines Zustandes fehlende Sprachfähigkeit, starke Körperbehaarung, das Tragen eines Fellkleides, die Ausstattung mit einer Keule oder einem geschälten Ast/Baum und eine Höhle bzw. den Wald als Lebensort aufweist, wie zahlreichen Beschreibungen oder Abbildungen zu entnehmen ist. Eine frühe Abbildung aus Antwerpen zeigt einen solchen: Ein nackter Mann steht im Zentrum des Bildes. Mit seiner linken Hand umfasst er eine übermannshohe Keule, und in der rechten hält er ein Schild. Der Mann selbst ist nicht nur bärtig, sondern sein ganzer Körper ist überaus behaart (abgebildet bei Zapperi 2004: 24). Der Autor der Schrift, in der sich die Illustration befindet, ein Geistlicher namens Johannes Sluperius, bringt in seinem Kommentar zum Bild den hier dargestellten Wilden mit der Tierwelt in Verbindung. Da der Frühmensch/Hominide aufgrund seiner fehlenden Zivilisation häufig mit dem so genannten Wilden verglichen und dessen Eigenschaften auf ihn übertragen wurden (s.o.), ist die Nähe zur Tierwelt, wie sie dem Neandertaler, Steinzeit- oder Eiszeitmensch im ausgehenden 20. Jahrhundert attestiert wurde, nur logische Konsequenz und zugleich der Rückgriff auf ein Verständnis, das deutlich älter als die Evolutionstheorie ist. Hier sei an die Formulierung von Montelius erinnert, der den Hersteller steinzeitlicher Artefakte ebenfalls mit »Wilden« vergleicht (s.o.). Die Schlussfolgerung entspricht einem typischen Syllogismus: Wilder = Verbindung mit Tierwelt; Frühmensch = Wilder, also Frühmensch = Verbindung mit Tierwelt. 5

Vgl. zu diesem Film die Website des Deutschen Filminstituts (http://www. deutsches-filminstitut.de/zengut/dt2tb035350i.htm). Zugriff am 1. April 2010. 72

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Neben den Bildnissen vom Wilden Mann verfestigten auch Beschreibungen das Gesamtbild. So etwa das 1483 erstmals erschienene Ritterepos Der verliebte Roland, in dem der dort erwähnte Wilde als Mann mit langem Bart, vom Kopf bis zu den Fußsohlen mit Haaren bedeckt, beschrieben wird. Auch er trägt einen Schild und ist mit einer schweren Keule bewaffnet. Nicht zuletzt wird er dort als »tierisches und unmenschliches« Wesen beschrieben (zit. nach Zapperi 2004: 25f.). In anderen Beschreibungen trägt der Wilde Mann auch ersatzweise einen ausgerissenen Baum mit sich. Keule, geschälter Ast oder ausgerissener Baum sind nicht nur Hinweis auf den Lebensraum Wald, der mit dem Typus verbunden wird. Vielmehr deutet sich hier die Ursprünglichkeit und Rohheit seines Benutzers an. In La Guerre du Feu von 1909 findet sich die populäre literarische Verwertung des Motivs Neandertaler/Höhlenmensch: »Es waren schwere Gesichter, mit niedrigen Schädeln und grausamen Kiefern. Ihre Haut war rötlich, nicht schwarz; fast alle hatten behaarte Rümpfe und Gliedmaßen. [...] Von seinem Gesicht sah man nur einen Mund, der von rohem Fleisch gesäumt war, und mörderische Augen« (zit. nach Kempen 1994: 50). Die Keule, mit der auch der Wilde Mann bewaffnet ist, ist aus der Ikonographie des Topos Steinzeit ebenfalls nicht mehr wegzudenken, und war vorher Bestandteil des typischen Germanen nach den wirkungsvollen Abbildungen Clüvers (vgl. auch Rahemipour 2009: Abb. 65). Trotz der oben aufgezeigten älteren Vorlagen und deren Bezug zum Wilden oder auch ›Wilden Mann‹ gab es immer wieder Versuche, diesem Klischee zu entrinnen. Griffith ließ seine Protagonisten in Man’s Genesis (USA 1912) und Brute Force (USA 1914) ein Steinbeil benutzen, beziehungsweise sogar erfinden. Der Regisseur zeigt sich damit gut informiert, auch wenn das Steinbeil zwar der Steinzeit angehört, aber neolithisch ist, und kommt der Wirklichkeit mit dieser Darstellungsform näher als seine Nachfolger mit der Keule. Auch bei Chaplins His Prehistoric Past (USA 1914) ist es nicht die Keule, sondern das Steinbeil, das präsentiert wird. Auch die älteste bekannte populäre Rekonstruktion eines Neandertalers aus dem Jahr 1873, die in Harpers Weekly publiziert wurde, zeigt ihn nicht nur in einer Höhle, sondern ebenfalls mit Steinbeil statt Keule ausgestattet. Hier handelt sich also um den Versuch, ein bereits gängiges Motiv (also die Keule) durch den archäologisch belegten Gegenstand (das Steinbeil) auszutauschen. Das Medium Film und seine Produzenten versuchten, wissenschaftlich korrekt zu arbeiten. Doch das etablierte Motiv i.e. Stellvertreter war stärker. Die Öffentlichkeit war offensichtlich nicht bereit, das Steinbeil als steinzeitlich zu akzeptieren. Ein so einfaches wie rohes Werkzeug, wie es die Keule darstellt, lässt sich ungezwungener mit dem unzivilisierten Frühmenschen verbinden als das

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bereits ausdifferenziertere Steinbeil es zuließe. Diese ursprünglichste aller Waffen bleibt demnach trotz kurzer Gegenwehr das Attribut des Steinzeitmenschen.

Schluss Kontinuität und Langlebigkeit Kontinuität der Motive ist demnach wichtig für die Akzeptanz der Bilder. Es ist daher keine Überraschung, dass der Film bereits seit der Frühzeit das Konzept der Kontinuität bedient, und zwar in zweierlei Verständnis. Erstens bezeugt der gewählte Plot, der eine Wiederkehr gleicher Situationen in unterschiedlichen Epochen zeigt – wie etwa bei The Three Ages –, daß sich nichts je wirklich ändert. Die Inszenierung von Vergangenheit dient der Präsentation ›universeller‹ Botschaften, und diese wiederum dienen der Bearbeitung zeitgenössischer Probleme. Kontinuität bieten auch die vorgestellten Attribute, die wie oben gezeigt als ›typisch steinzeitlich‹ akzeptiert sind: Neben Keule und Fell ist das auch die Höhle als Lebensraum, sowie die Gleichzeitigkeit von Dinosaurier und Mensch. All diese Motive sind bis heute Stellvertreter des Themas Steinzeit. Die kursorische Zusammenfassung zur Tradition einzelner Klischees zeigt ihre Langlebigkeit. Langlebig sind sie jedoch lediglich in Bezug auf ihre visuelle Stetigkeit, keineswegs in Bezug auf die mit ihnen verbundenen Inhalte: Deutlich wird dies in Bezug auf ihre Verwendung im Rahmen von Komödien. Ihr satirisches Potential entfaltet die Steinzeit hier vor allem durch die Betonung des Wettbewerbs, der auf dem Entwicklungsgedanken basiert. Selten konnten Gewinner und Verlierer ähnlich drastisch voneinander unterschieden werden. In jüngeren filmischen Darstellungen von Steinzeit wird unter Verwendung der gleichen Attribute häufig eine viel friedlichere Geschichte erzählt.6 Neben visuellen Stellvertretern gibt es auch solche, die sich auf Handlung beziehen. Hin und wieder offenbaren beispielsweise auch Verhaltensweisen Aspekte vorgeschichtlichen Lebens, die als typisch angesehen werden. Auch hier treibt die Komödie das Stereotyp auf die Spitze. Rohes und ungehobeltes Verhalten gilt als typisch für Kulturgruppen auf niedrigem kulturellen Entwicklungsstand. Die Schlusssequenz von The Three Ages bringt genau diese Konnotation auf den Punkt, wenn Keaton

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Beispielsweise die ZDF-Produktion Steinzeit – Das Experiment (4 Folgen, ZDF, 2007). 74

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seine Angebetete an den Haaren aus dem Bild schleift, die dazu glücklich lächelt. Wissenschaftliche Beteiligung am Ursprungsmythos Abschließend soll noch einmal auf den Aspekt der wissenschaftlichen Beteiligung am öffentlichen Bild der Archäologie und ihrer Untersuchungsgegenstände eingegangen werden. Wenn auch die Beteiligung von Wissenschaftlern nur in Ausnahmefällen nachweisbar ist,7 wäre es zu kurzsichtig, eine Beteiligung an der Entstehung und Verbreitung des öffentlichen Bildes von Steinzeit durch die Wissenschaft völlig auszuschließen. An verschiedenen Stellen ist sie dennoch feststellbar, wenn auch die Intention der Wissenschaftler nicht mehr auszumachen ist. Dazu gehören einerseits – dem Publikumsgeschmack entgegenkommende – Vergleiche, wie sie Montelius zu den Wilden zog, oder etwa Rekonstruktionen von Boule und anderen, was das Bild des Neandertalers anging. Auch in jüngerer Zeit wirkten Fachwissenschaftler an der Entstehung von Filmen mit, wie beispielsweise für das Experiment Steinzeit explizit auf Wikipedia betont wird.8 Die Verwendung von Stellvertretern funktioniert demnach als Rückgriff auf Bekanntes, der nicht mehr ist als eine Folie für die Botschaft à la ›Jede Zeit bekommt die Antworten, die sie verdient‹. Obwohl sich zahlreiche andere vorgeschichtliche Epochen anböten, die moderne Geschichte zu erzählen, wird die Steinzeit mit ihrem Motivrepertoire gerne als Schauplatz gewählt. Die Suche nach dem Neandertaler oder dem Cro-Magnon-Mensch ist zugleich die Suche nach dem Ursprungsmythos des Menschen. Und für diese Suche nach dem Wesen des Menschen gibt die Vorgeschichte einen hervorragenden Hintergrund ab. Schließlich lässt sich festhalten, dass Steinzeit im Film zu einem Stellvertreter geworden ist. Sie unterscheidet sich maßgeblich von der Steinzeit, wie sie im wissenschaftlichen Umfeld rekonstruiert wird und führt ein autarkes Leben. Das gilt nicht nur für ihre Reduktion auf wenige Attribute, Motive oder Zeichen, sondern auch für die wenig konkrete Vorstellung davon, was Steinzeit als Zeitraum bzw. ihre kulturellen Errungenschaften in der Vorgeschichte überhaupt bedeuten. Am deutlichsten war dies an dem missglückten Versuch zu erkennen, die Keule durch das zwar neolithische, aber belegte Steinbeil zu ersetzen. So spre7

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Beispielsweise waren Wissenschaftler sehr aktiv an der öffentlichen Präsentation der so genannten Pfahlbauten beteiligt: vgl. Rahemipour (2009: 128-197). http://de.wikipedia.org/wiki/Steinzeit_–_Das_Experiment. Zugriff am 1. April 2010. 75

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chen die Bilder, die durch den langlebigen Mythos vom ›Wilden Mann‹ vorgezeichnet waren, eine deutliche Sprache und überblenden jeden Gegenentwurf. Geschichte sichtbar machen Wie der vorangegangene kursorische Überblick gezeigt hat, besaß die Inszenierung von historischen und archäologischen Ereignissen schon im 18. Jahrhundert große Attraktivität für die Öffentlichkeit und funktionierte nur über Ergänzung, also das Schließen von Lücken. Sie wurde geprägt durch Malerei, ebenso wie durch Literatur und Legenden. Es scheint von Anbeginn auch der fachwissenschaftlichen Etablierung ein Bedürfnis nicht nur der Laien gewesen zu sein, Geschichte sichtbar zu machen – wenn auch auf immer wieder unterschiedliche Art und Weise. Worin liegt eigentlich die große Anziehungskraft zwischen Archäologie oder Vergangenheit und ihrer Darstellung? Zunächst einmal ist der rein wissenschaftliche Aspekt von Rekonstruktion, Sichtbarmachung und Darstellung zu benennen. Die experimentelle Archäologie wurde vor allem im Zuge der Etablierung der prähistorischen Forschung entwickelt, deren Fragestellungen sich auch nach Funktionen der Objekte richteten und somit die ›Rekonstruktion‹ als ein Werkzeug ansahen und ansehen. Die Erweiterung archäologischen Erkenntnisgewinns durch beispielsweise haptische oder praktische Erfahrung ist der zentrale Anspruch. Darüber hinaus ist die archäologische Forschung, wie jede Erforschung von Vergangenheit, visuell geprägt. Ähnlich dem Ginzburgschen Spurensucheparadigma lebt das Fach von Beobachtung, Vergleich und Sichtbarmachung. Erst der Blick auf die Nebensächlichkeiten eröffnet zentrale Aspekte der Erkenntnis. Neben diesen wissenschaftlichen Herangehensweisen an die Inszenierung von Vergangenheit ergänzt die Living History-Bewegung das Spektrum insofern, als dadurch dem Publikum eine Form der Anschaulichkeit eröffnet wird, die beispielsweise Ausstellungen kaum liefern können. So wird sich der Archäologe die Funktion mesolithischer Mikrolithen vorstellen können. Der Laie bedarf an dieser Stelle jedoch der Unterstützung durch Visualisierung, also ihrer Abbildung als Einsätze an einer Speerspitze, die jedoch bekanntermaßen häufig nicht mehr erhalten ist. Betrachtet man derartige Sichtbarmachungen nicht als unzulässige, weil nicht belegte Verallgemeinerung, so könnte man in der Visualisierung eine Möglichkeit sehen, einen neuen Zugang zur Vergangenheit zu bekommen. Dazu bedarf es aber besonderer Aufmerksamkeit, um nicht in die Falle von Klischees und Stereotypen zu tappen, wie sie eben an

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Beispielen aufgezeigt wurde. Dann erst wird die Visualisierung zum Problem auch für die Wissenschaft, weil sie durch ihre Gleichförmigkeit zugleich beliebig wird. Daher ist es wichtig zu beachten, dass es gar nicht möglich ist, außerhalb des eigenen Zeitgeistes zu interpretieren. Dies soll in Zukunft keineswegs verlangt werden, aber Teil einer Art Kalibrierung der Aussagekraft und Interpretationsgenauigkeit sein. Wesentlich ist darüber hinaus, dass nicht nur die Wissenschaft dynamisch bleibt, sondern auch öffentliche Fachwissenschaft versucht, ihre Bilder zu dynamisieren. Da Bilder der Wirklichkeit häufig näher sind als erklärender Text, liegt es nahe, ihnen auch mehr Glauben zu schenken. Es soll und muss unsere Aufgabe sein, die Dynamik des Faches/der Fächer mit ihren wechselnden Interpretationen auch für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen, und Eventualitäten im Gegensatz zu statischen Aussagen mehr Raum zu geben. Es kann niemals eine unschuldige Illustration von Vergangenheit geben, so eine These, die die daran Beteiligten einander näher bringen sollte. Und der Austausch, wie er jetzt initiiert wurde, kann nur der Anfang sein.

Literatur Filme Brute Force (USA 1914, Regie: David Wark Griffith). Flying Elephants (USA 1928, Regie: Frank Butler/Hal Roach). His Prehistoric Past (USA 1914, Regie: Charles Chaplin). Intolerance (USA 1916, Regie: David Wark Griffith). Man’s Genesis (USA 1912, Regie: David Wark Griffith). Natur und Liebe (D 1927, Regie: Ulrich K.T. Schulz). Romeo in Stone Age (USA 1928, Regie: unbekannt). The Three Ages (USA 1923, Regie: Buster Keaton) (dt.: Ben Akiba hat gelogen, 1925). Sekundärliteratur Darwin, Charles (1996): On the Origin of Species, Oxford: Oxford University Press. Darwin, Charles (1871/2007): The Descent of Men (http://www. forgottenbooks.org/info/9781605062815). Zugriff am 29. Juni 2010.

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Daum, Andreas W. (1995): Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert: Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche Öffentlichkeit 1848-1914, München: Oldenbourg. Eggers, Hans-Jürgen (1986): Einführung in die Vorgeschichte. Mit einem Nachwort von Georg Kossack, München: Piper (überarbeitete Neuauflage der Originalausgabe von 1956). Hansen, Svend (2001): »Von den Anfängen der prähistorischen Archäologie: Christian Jürgensen Thomsen und das Dreiperiodensystem«. Prähistorische Zeitschrift 76, S. 10-23. Huxley, Thomas Henry (1863): Zeugnisse für die Stellung des Menschen in der Natur, Braunschweig: Vieweg und Sohn. Kempen, Bernhard (1994): Abenteuer in Gondwanaland und Neandertal, Meitingen: Corian. London, Jack (1906): Before Adam, o.O.: Nu Vision Publication. Müller-Scheeßel, Nils (1998/1999): »Im Schatten des Eiffelturms: Die Präsentation von Pfahlbauten und Pfahlbaufunden auf Weltausstellungen«. Plattform. Zeitschrift des Vereins für Pfahlbau und Heimatkunde e.V. 7/8, S. 22-31. Obermaier, Hugo (1911/1912): Der Mensch der Vorzeit, Berlin: Allgemeine Verlags-GmbH. Rahemipour, Patricia (2009): Archäologie im Scheinwerferlicht – Die Visualisierung der Prähistorie im Film 1895-1930 (http://www.diss.fuberlin.de/diss/receive/FUDISS_thesis_000000014394). Zugriff am 1. April 2010. Roeder, Franziska (2008): Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Blochs Konzept der Ungleichzeitigkeit im Vergleich zur Erzeugung von Gleichzeitigkeit durch den Rundfunk im Zuge der Gleichschaltung im Dritten Reich, Norderstedt: Grin. Rosny, Joseph-Henry (1909/2005): La Guerre du Feu, Erkrath: Fantasy Productions. Voss, Julia (2007): Darwins Bilder. Ansichten der Evolutionstheorie 1837-1874, Frankfurt a.M.: Fischer. Wells, Herbert George (1897/2009): A story of the Stone Age, Adelaide: ebooks@Adelaide. Weniger, Gerd Christian/Bärbel Auffermann (2006): »Neandertaler – Kulturträger oder Wilder Mann? Ein kurzer Rückblick auf 150 Jahre Rezeptionsgeschichte«. In: Gabriele Uelsberg (Hg.), Roots – Wurzeln der Menschheit, Mainz: von Zabern, S. 183-188. Zapperi, Roberto (2004): Der Wilde Mann von Teneriffa, München: Beck.

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»S C H O N H Ö H L E N M Ä N N E R B E V O R Z U G T E N B L O N D I N E N «. G E S E L L S C H A F T L I C H E U N D POLITISCHE FUNKTIONEN DER URGESCHICHTE IM SPIEGEL VON MEDIENTEXTEN BRIGITTE RÖDER

Prehistoric archaeology enjoys extraordinarily high and positive media coverage. Given that the discipline is considered an exotic subject not yielding any social profit, this is an astonishing phenomenon and raises the question as to what makes prehistoric archaeology so attractive. Based on an analysis of texts published in German and Swiss print media, the paper proposes that the treated prehistoric subjects do not only meet historical interests, but that they also fulfil social and political functions: Within prehistoric settings, highly charged topics such as gender and family relations, national and European identity as well as issues of everyday politics are negotiated. This provides prehistory with topicality and relevance for the present, explaining its attractiveness for the media, but also highlighting the danger of instrumentalisation. Against this background the contribution advocates an intensified reflection of the social and political functions of prehistory in the balancing act between historical reconstruction and political instrumentalisation.

Ein Orchideenfach als Medienliebling? Weshalb schon die Höhlenmänner Blondinen bevorzugten, seit wann es Deutsche gibt, welchen Kriterien seit Urzeiten die Partnersuche folgt, oder weshalb der Kriegszug des homo sapiens sapiens gegen den Neandertaler letztlich ein Prozess natürlicher Auslese war, und was das weitergesponnen für die heutigen ›Loser der Evolution‹, d.h. für Hartz-IVEmpfänger, bedeuten könnte, – all diese Themen aus Medientexten der letzten Jahre haben eines gemeinsam: Sie betreffen vordergründig die ferne Urgeschichte, wirken aber dennoch hochaktuell und lebensnah, weil sie Antworten auf Fragen zu geben scheinen, die gesellschaftlich gerade debattiert werden. Damit erweitern sie die im Fachkollegium ver79

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breitete Ansicht, dass es archäologische Themen nur dann in die Medien schaffen, wenn sie mit Schätzen, Sensationsfunden wie ›Ötzi‹ oder der Lüftung schauerlicher Geheimnisse wie der Vergiftung eines ägyptischen Pharaos aufwarten können, um einen wichtigen Aspekt: Auch jenseits solcher ›Top Stories‹ haben historische Themen Konjunktur.1 Geschichte, insbesondere Ur-geschichte, verkauft sich gut. Der Ausgangspunkt meines Beitrags ist denn auch die außerordentlich hohe und nach wie vor wachsende Medienpräsenz der Prähistorischen Archäologie (vgl. Benz/ Liedmeier 2007: 155-160). Urgeschichtliche Themen geben immer wieder Stoff für Titelgeschichten, Serien oder Themenhefte großer Magazine ab. Meldungen wie »Schon Höhlenmänner bevorzugten Blondinen« (Welt Online 2006) verbreiten sich via Nachrichtenticker innerhalb kürzester Zeit über den ganzen Erdball. In Radio-Features debattieren ExpertInnen über die sozialen Verhältnisse in der Urgeschichte, und im Vorabendprogramm lässt sich unter der Rubrik ›Living Science‹ bzw. ›Doku-Soap‹ verfolgen, wie Zeitgenossen in einem Pfahlbaudorf als ›Steinzeitmenschen‹ leben.2 Für ein so genanntes Orchideenfach, das angeblich keinen gesellschaftlichen Nutzen abwirft, ist diese Medienpräsenz erstaunlich. Und so stellt sich die Frage, was die Attraktivität der Urgeschichte für die Medien und deren NutzerInnen ausmacht. Meine These ist, dass Medientexte mit urgeschichtlichen Inhalten nicht nur historischen Interessen entgegenkommen und mit abenteuerlichen Entdeckungsgeschichten und exotisch-geheimnisvollem Flair unterhalten (vgl. Holtorf 2007; 2008; 2009), sondern dass sie auch handfeste gesellschaftliche und politische Funktionen erfüllen: Vor urgeschichtlichen Kulissen werden Themen verhandelt, die von hoher Brisanz und Relevanz sind – darunter etwa Familien- und Geschlechterverhältnisse, Fragen der regionalen, nationalen und europäischen Identität sowie tagespolitische Ereignisse. Die Attraktivität urgeschichtlicher Themen für die Medien beruht also auch auf ihrer gesellschaftlichen und politischen Aktualität. Diese These mit Fallbeispielen zu untermauern, ist ein Anliegen des vorliegenden Beitrags. Weiter beschäftigt er sich mit Chancen und Risiken, die sich aus der gesellschaftlichen und medialen Attraktivität der 1 2

Vgl. den Beitrag von Siebo Heinken in diesem Band. Im Sommer 2006 produzierten SWR und BR die Fernsehdokumentation Steinzeit – leben wie vor 5000 Jahren (nähere Informationen unter www.swr.de/steinzeit/html/DAS_EXPERIMENT.html; Zugriff am 2. März 2010). Im Sommer 2007 folgte die Dokumentation Pfahlbauer von Pfyn des Schweizer Fernsehens (nähere Informationen unter www.sf.tv/ sendungen/pfahlbauervonpfyn/manual.php?docid=pfahlbauervideo; Zugriff am 2. März 2010). 80

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Archäologie ergeben – konkret mit der Frage, wie ArchäologInnen und MedienvertreterInnen mit der konstatierten Aktualität umgehen können. Als Basis für diese abschließenden Überlegungen werden im Folgenden zunächst einige Gedanken zum Verhältnis von Wissenschaft, Medien und Gesellschaft entwickelt.

Gedanken zum Verhältnis Wissenschaft î Medien î Gesellschaft Ein gängiges Bild für den Wissenschaftsbetrieb war bis vor kurzem der Elfenbeinturm. Von der Alltagswelt völlig entrückt, abgehoben und folglich etwas weltfremd stellte man sich die Wissenschaftler vor, die irgendwo in den oberen Stockwerken Wissenschaft betreiben. Das von ihnen geschaffene Wissen hatte den Nimbus des ›Reinen‹, ›Unverfälschten‹ und des ›Wahren‹ – Konnotationen, die mit Farbe und Charakter des Elfenbeins bestens harmonieren. Diesem Bild entsprechend wäre die Verbreitung von Wissen ein Prozess, der nur in eine Richtung – und zwar von oben nach unten – verläuft: Die Wissenschaft ›oben‹ in ihrem Elfenbeinturm generiert Wissen, das jedoch zuerst ›vereinfacht‹ und ›übersetzt‹ werden muss, bevor es ›nach unten‹ an die Gesellschaft bzw. die Öffentlichkeit vermittelt werden kann. Diese Vermittlungs- und Übersetzungsrolle wird den Medien zugeschrieben, die wissenschaftliche Erkenntnisse für die Öffentlichkeit aufbereiten. Mit diesem Popularisierungsmodell sind »spezifische normative Vorstellungen hinsichtlich der gesellschaftlichen Strukturen und Funktionen sowohl der Wissenschaft als auch des Journalismus« verbunden (vgl. Bonfadelli 2006: 199 mit Bezug auf Nowotny 1999). Dazu gehört u.a. die Idee, dass Wissenschaft, Politik und Alltagsleben getrennte Sphären seien (ebd.); des Weiteren ist damit auch eine hierarchische Vorstellung von Wissensformen verbunden, derzufolge »wissenschaftliches Wissen überlegen und höhergeordnet, populäres Alltagswissen, der sogenannte ›gesunde Menschenverstand‹«, nachrangig sei (Weingart 2001: 233). Kommen wir konkret zu Texten, in denen das Verhältnis von Archäologie, Gesellschaft und Medien reflektiert wird. Ganz der Logik des beschriebenen »Aufklärungsmodells« (Weingart 2001: 233) folgend, schreibt Dieter Kapff, Redakteur bei der Stuttgarter Zeitung, in einem Artikel zum Thema »Journalisten und Archäologie. Gedanken zum Stellenwert der Archäologie und der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Presse« Folgendes: »Der Journalist ist ja Vermittler oder Übersetzer. Als solcher muß er beide Sprachen sprechen, die des Wissenschaftlers und die des Zeitung lesenden Lieschen Müller« (Kapff 2004: 127). Dem 81

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»Zeitung lesenden Lieschen Müller« fällt in diesem Modell die Rolle der passiven Rezipientin zu. Diese Vorstellung von Wissenschaftspopularisierung als Top-downProzess, in dem die Medien eine Mittlerposition zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit haben, wird jedoch zunehmend kritisiert. Geneviève Lüscher, eine Schweizer Wissenschaftsjournalistin und Prähistorikerin, wehrt sich vehement gegen diese Rollenzuschreibung. In einem Beitrag mit dem Titel »Archéologie et journalisme« schreibt sie: »Le journalisme scientifique n’est pas au service de la science. Il n’en est pas le porte-parole, mais poursuit toujours les intérêts des lectrices et des lecteurs. Les scientifiques s’attendent, à tort, à ce que les journalistes accordent à leur cause un soutien sans faille tout en gardant eux-mêmes le contrôle de la communication vers l’extérieur. Il n’en est rien. Les journalistes sont autonomes et rendent compte, de manière scientifiquement correcte, de leur point de vue et comme bon leur semble. Ce sont eux qui décident de ce qui intéresse et n’intéresse pas le public« (Lüscher 2008: 25).

Diane Scherzler, ebenfalls ausgebildete Prähistorikerin und heute als Autorin und Redakteurin für den Südwestrundfunk tätig, definiert Wissenschaftsjournalismus als »Journalismus, der die Wissenschaft beobachtet und sie als Informationsquelle nutzt« (Scherzler 2008: 134 Anm. 2) und schlägt in dieselbe Kerbe: »Massenmedien sind nicht dafür da, Wissenschaft eins zu eins in die Öffentlichkeit zu tragen. Redakteure und Journalisten machen keine Werbung für Wissenschaft und Museen. Sie sind auch nicht die Übersetzer wissenschaftlicher Inhalte für ein breites Publikum. Sie leisten allerdings die Einordnung eines Themas in einen breiteren Kontext, der für ihre Leser/Zuschauer/Zuhörer interessant ist« (Scherzler 2005: 154).

Die Abgrenzung des Wissenschaftsjournalismus gegen Wissenschaftspopularisierung bzw. Wissenschaftskommunikation, die in den zitierten Positionen zum Ausdruck kommt, leuchtet unmittelbar ein. Anliegen, Ziele, Strukturen und Funktionen sind nicht deckungsgleich.3 Die Wissenschaftspopularisierung bzw. Wissenschaftskommunikation sollte deshalb von den WissenschaftlerInnen selbst und von entsprechenden Fachstellen geleistet und nicht als Dienstleistung von JournalistInnen erwartet werden. In den zitierten Passagen kommt noch ein weiterer wesentlicher Aspekt zum Ausdruck: Das Selbstverständnis von Wissenschaftsjourna-

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Siehe dazu auch Bonfadelli (2006: 197f. mit Abb. 4). 82

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listInnen wandelt sich. Parallel dazu verändern sich das Selbstverständnis und die Fremdwahrnehmung von WissenschaftlerInnen, und so wird auch das Bild vom Elfenbeinturm zunehmend in Frage gestellt: Miriam Voss, Referentin für Wissenschaftskommunikation an der TU München, schrieb kürzlich: »Die Wissenschaft hat ihren Elfenbeinturm vielleicht nicht verlassen, aber Türen und Fenster sperrangelweit geöffnet« (Voss 2009: 30). Und Heinz Bonfadelli, Publizistikwissenschaftler an der Universität Zürich, konstatiert gar: »Die Wissenschaft wandelt sich vom Elfenbeinturm zum öffentlichen Marktplatz« (Bonfadelli 2006: 201). Dieses auf Interaktion ausgelegte Bild vom Marktplatz übernimmt Bonfadelli von der Wissenschaftsphilosophin und Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny (1999), die dieses Konzept mit Peter Scott und Michael Gibbons in ihrem gemeinsamen Buch Wissenschaft neu denken: Wissen und Öffentlichkeit in einem Zeitalter der Ungewissheit (Nowotny/Scott/Gibbons 2005) weiterentwickelt hat. Darin stellt das Autorenteam fest, »[…] daß es immer schwieriger geworden ist, eine klare Demarkationslinie zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu ziehen. Die grundlegenden Kategorien der modernen Welt – Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur (und Wissenschaft) – sind durchlässig und problematisch geworden. Sie bezeichnen keine ohne weiteres voneinander abgrenzbare Bereiche mehr« (ebd.: 65). »Die Wissenschaft hat die Gesellschaft durchdrungen und ist ihrerseits von der Gesellschaft durchdrungen worden. […] In diesem Sinne läßt sich von einer Koevolution beider sprechen« (ebd.: 67).

Unter Koevolution verstehen die AutorInnen »ein […] System der Interaktion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft« (ebd.: 306), und sie präzisieren, »daß Wissenschaft und Gesellschaft (in dem Grad, in dem sie überhaupt noch als getrennt bezeichnet werden können) denselben oder ähnlichen treibenden Kräften unterliegen« (ebd.: 65). Als treibende Kräfte haben Nowotny, Scott und Gibbons unter anderem das »allgemeine Anwachsen von Ungewissheit« und »den wachsenden Einfluß neuer Formen ökonomischer Rationalität« identifiziert (ebd.: 65); auf »das allgemeine Anwachsen von Ungewissheit« werde ich später im Kontext der archäologischen Fallbeispiele zurückkommen. Die Macht der Medien habe sich deutlich vergrößert, schreiben sie, denn in den wechselhaften Beziehungen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit nähmen sie hinsichtlich der Formung und Umgestaltung der öffentlichen Vorstellungen über die Wissenschaft eine beherrschende Rolle ein (ebd.: 264). Die Feststellung, dass die Beziehung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft enger und intensiver geworden ist und eine Veränderung der Kräfteverhältnisse stattgefunden hat, treffen auch andere Wissenschaft-

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ler, die sich mit dieser Thematik befassen. Der Soziologe Peter Weingart charakterisiert dieses Phänomen als »Wissenschaft-Medien-Kopplung« und hebt dabei vor allem auf die »Medialisierung der Wissenschaft« ab, unter der er eine zunehmende »Orientierung der Wissenschaft an die Medien« versteht (Weingart 2001: 252). Die Gründe für diese Entwicklung sieht er zum einen im enormen Bedeutungszuwachs, den die Medien bei der Prägung des öffentlichen Bewusstseins, der politischen Meinung und letztlich der Weltwahrnehmung erlangt hätten. Als einen weiteren Grund macht er die verstärkte Konkurrenz sowohl innerhalb der Wissenschaft als auch zwischen ihr und anderen gesellschaftlichen Teilbereichen um knappe Ressourcen und damit um öffentliche Aufmerksamkeit aus (vgl. ebd.). Der Politikwissenschaftler Pietro Morandi verortet die aktuelle Entwicklung im Kontext eines seit den 1990er Jahren stattfindenden Prozesses der »Entzauberung«, durch den die frühere Rolle der Wissenschaft als »Instanz der gesellschaftlichen Sinnstiftung und als pouvoir spirituel« mehr und mehr an Bedeutung verliere (Morandi 2006: 39, 49). Mit diesem Bedeutungsverlust ist laut Morandi auch ein Machtverlust verbunden, denn er kommt zum Schluss, dass die Wissenschaft »zunehmend unter die ›Fremdherrschaft‹ von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft« gerate (ebd.: 49). Trotz der konstatierten Machtverschiebung zugunsten der Medien sieht auch Morandi wechselseitige Aspekte in dieser Entwicklung, so beispielweise eine »Verwissenschaftlichung« von Politik und Wirtschaft, auf die er an anderer Stelle hinweist (ebd.: 54). In diesem Prozess der Neukonstituierung des Verhältnisses von Wissenschaft, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft verändern sich jedoch nicht nur die Bedeutung und die Funktion der Medien. Auch die Rolle der so genannten Laien gestaltet sich neu: Im Zeitalter von Internet und Wikipedia ist aus ›Lieschen Müller‹ eine ›Expertin‹ geworden. »Heute sind wir alle Experten«, konstatieren denn auch Nowotny und ihre Kollegen (Nowotny/Scott/Gibbons 2005: 274) – und dieser Effekt dürfte im Fall der Archäologie noch wesentlich stärker zum Tragen kommen als bei den Nanowissenschaften oder der Teilchenphysik. Die Kluft zwischen ›Laien‹ und ›Experten‹ schließt sich zunehmend (vgl. Morandi 2006: 39). Die ›Laien‹ sind heute gebildeter und verfügen über bessere Informationen. Dieser Umstand führt laut Weingart allerdings nicht automatisch zu größerer Zustimmung gegenüber der Wissenschaft, sondern stärkt vor allem die Bereitschaft und Fähigkeit, Kritik zu äußern (vgl. Weingart 2001: 248). Die Vorstellung, dass die Öffentlichkeit aus passiven Wissens-Rezipienten besteht, die das Wissen, das man ihnen vermittelt, tel quel übernehmen, ist also nicht mehr haltbar. Dasselbe gilt für die Sichtweise, dass die ›Öffentlichkeit‹ ein erratischer Block sei. So ver-

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weist Weingart darauf, »dass es die Öffentlichkeit, die in ihren Interessen homogen ist und wissbegierig auf die Informationen der Wissenschaft wartet, nicht (mehr) gibt« (ebd: 249).4 Damit sind wir bei einer weiteren wesentlichen Veränderung angelangt: Wissen wird heute nicht mehr nahezu ausschließlich von der Wissenschaft generiert und von den Medien an die Öffentlichkeit vermittelt. Vielmehr gibt es heute eine Vielzahl von Bereichen, in denen Wissen generiert, vermittelt, transformiert und neu konstituiert wird – die Medien sind einer davon. Auf diesen Aspekt hebt Weingart ab, wenn er mit Verweis auf die aktuelle Arbeitsweise der Medien und ihre Rahmenbedingungen ausführt, dass »die Medien nicht als Überbringer ›realitätsgetreuer‹ Repräsentationen wissenschaftlicher Erkenntnisse fungieren können. Sie konstruieren ihre eigene Realität, genauso wie die Wissenschaft auch« (ebd.: 238). Indem die Medien Realität konstruieren und vermitteln, produzieren sie Wissen und treten damit zu den traditionellen Wissensproduzenten, den WissenschaftlerInnen, in Konkurrenz. Diese Konkurrenz, die für das zuweilen angespannte Verhältnis von Wissenschaft und Medien mitverantwortlich sein dürfte, spielt auch auf der Ebene der Wissenslegitimation. Zu den Validierungskriterien der Wissenschaft kommen auf Seiten der Medien nämlich weitere Verlässlichkeitskriterien hinzu: die Verbreitung der betreffenden Information (Auflage, Quote) und die Zustimmung des Publikums (vgl. ebd.: 239). Für WissenschaftlerInnen hat das zur Folge, dass sich ihnen in Form von medialer Prominenz zusätzlich zur wissenschaftlichen Reputation eine neue Quelle von Anerkennung erschließt. Da mediale Prominenz nicht nur im gesellschaftlichen, sondern auch im wissenschaftlichen Umfeld wahrgenommen und positiv bewertet wird, kann sie sich folglich auf die wissenschaftliche Karriere und die Zusprache von Forschungsmitteln auswirken. Medienprominenz und eine geschickte Instrumentalisierung der Medien setzen also auch in der scientific community eine Dynamik in Gang, die für einzelne WissenschaftlerInnen und ganze Fachbereiche sehr positiv sein kann, die zuweilen aber auch höchst problematische Kehrseiten hat (vgl. ebd.: 253-281; Scherzler 2008: 129). Doch zurück zu den Medien: Wenn JournalistInnen ihre gesellschaftliche Rolle als die der ›kritischen Beobachter‹ charakterisieren und die Kontrollfunktion des Journalismus betonen, ist das vor allem eine Innensicht, vielleicht auch eine gängige Form der Selbstdarstellung. Aus der Außenperspektive sind hier die eben angesprochenen Funktionen zu ergänzen, insbesondere der von Weingart (2001: 252) konstatierte Um4

Was die Heterogenität der ›Öffentlichkeit‹ speziell für die Öffentlichkeitsarbeit archäologischer Institutionen bedeutet, hat Diane Scherzler dargelegt (vgl. Scherzler 2007). 85

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stand, dass die Medien in erheblichem Maße das öffentliche Bewusstsein, die politische Meinung und die Weltwahrnehmung prägen. Die Medien können gezielt wissenschaftliche Themen lancieren und verbreiten, die legitimatorisch relevant sind, und so gesellschaftspolitisch agieren. Unter bestimmten Bedingungen kann das bis zur Entstehung »großer politisch relevanter Themenkomplexe« führen (ebd.: 253). All dies geschieht nicht kontextlos, sondern entlang gesellschaftlicher Diskurse, d.h. entlang handlungsleitender Denkmuster, die wie ein Grundraster die gesamte Gesellschaft – und damit Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien in gleicher Weise – durchziehen. An diesen Diskurslinien knüpfen die Medien an, wenn sie auswählen »ce qui intéresse et n’intéresse pas le public« (Lüscher 2008: 25), bzw. wenn sie ein Thema in einen breiteren Kontext einordnen, »der für ihre Leser/Zuschauer/Zuhörer interessant ist« (Scherzler 2005: 154). Für das Zielpublikum ›interessant‹, ›relevant‹ und ›aktuell‹ ist also das, was an vertraute Diskurse anknüpft – und somit auch gesellschaftliche und politische Funktionen erfüllen kann. Die gesellschaftliche und mediale Attraktivität wissenschaftlicher bzw. archäologischer Themen ist – so meine These – also umso größer, je enger die Themen mit gesellschaftlichen Diskursen verbunden sind. Und damit kommen wir zu den gesellschaftlichen und politischen Funktionen der Urgeschichte im Spiegel von Medientexten, die ich im Folgenden anhand von Fallbeispielen beleuchten möchte.

Fallbeispiele: Urgeschichte in Medientexten Höhlenmänner und Blondinen: zeitlose Geschlechterverhältnisse? Ende Februar/Anfang März 2006 verbreitete sich die Meldung, dass Männer schon seit der Steinzeit auf Blondinen stünden, innerhalb weniger Tage von Brasilien bis Südkorea in der ganzen Medienwelt. Auch im deutschsprachigen Raum war das Medienecho enorm und nachhaltig: Noch nach nunmehr vier Jahren ergibt die Eingabe »Höhlenmänner Blondinen« in eine Suchmaschine über 700 Treffer. Die Medienartikel finden sich unter den Rubriken ›Evolution‹, ›Wissen‹, ›Bildung‹, ›Partnerschaft‹ oder ›Vermischtes‹. Fotos prominenter Blondinen, die für SexAppeal stehen, unter anderem Heidi Klum, Brigitte Bardot und Marilyn Monroe, suggerieren passend zum Text, dass Blondinen ›zeitlos begehrenswert‹ seien. Allein der Bayerische Rundfunk weicht auf seiner Website von diesem Schema ab und erinnert daran, dass auch Blondinen nicht nur körperliche Reize haben: Er präsentiert die Fotomontage einer strah86

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lenden Alice Schwarzer an der Seite eines verhärmt wirkenden, deutlich schmächtigeren Höhlenmannes. Darunter ist zu lesen: »Blond, aber nicht blöd: Alice Schwarzer mimt die Höhlenfrau« (BR-online 2007). Die Story zu den Schlagzeilen und Bildern ist schnell erzählt: Gegen Ende der letzten Eiszeit habe Nahrungsmittelknappheit geherrscht, so dass die Männer zu immer gefährlicheren Großwildjagden genötigt worden seien, die für viele tödlich geendet hätten. Infolge des Nahrungs- und Männermangels hätten die noch verbliebenen Männer unter der großen Überzahl der auf einen Ernährer wartenden Frauen ›freie Auswahl‹ gehabt. Eine natürliche Mutation, die sich damals ereignet haben soll, habe der ›Qual der Wahl‹ jedoch ein rasches Ende bereitet: Erstmals seien zu dieser Zeit Frauen mit blondem Haar und leuchtend blauen Augen aufgetaucht, und die Männer hätten sich angesichts des Überangebotes an Fortpflanzungspartnerinnen für das ›Exotische‹ entschieden. Damit hätten sie einen starken Selektionsdruck auf die für blondes Haar und blaue Augen zuständigen Gene ausgeübt, was erkläre, dass Haar- und Augenfarben in Europa im Gegensatz zu anderen Teilen der Welt heute relativ variantenreich seien. Zur Validität dieser Forschungsergebnisse sei nur soviel angemerkt: Die Nachrichtenagenturen und JournalistInnen, die diese Story verbreitet haben, hätten gut daran getan, zu recherchieren, welche Expertise denn der Autor des wissenschaftlichen Originalbeitrags (Frost 2006), ein kanadischer Anthropologe, für die Altsteinzeit und die eiszeitliche Faunengeschichte Europas vorweisen kann: Laut eigenen Angaben auf seiner Website hat er zum Thema bisher weder publiziert noch gearbeitet. Doch zurück zum Inhalt dieser Artikel, die sich sehr ähnlich waren, sich also eng an die Agenturtexte hielten. Was konnte die Leserschaft nun aus diesen Artikeln lernen? Die Texte transportierten folgende Inhalte: • Die Rolle der Männer war es seit jeher, Frau und Kind zu ernähren. • Die Nahrungsgrundlage war die Jagd. Männer sind also ursprünglich Jäger. • Frauen sind von Männern existentiell abhängig, weil sie nicht in der Lage sind, sich selbst und ihre Kinder zu ernähren. • Deshalb geht die Partnerwahl stets von den Männern aus. • Schon seit Urzeiten finden Männer blonde Frauen sexuell attraktiver. • Die sexuelle Orientierung des Menschen ist grundsätzlich heterosexuell und monogam. • Die übliche Form des Zusammenlebens ist die Kleinfamilie, bestehend aus einem monogamen Paar und den gemeinsamen Kindern. • Und last but not least: Das alles ist wissenschaftlich bewiesen.

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Die Relevanz dieser Themen für die Leserschaft liegt unmittelbar auf der Hand: Es geht um die Rollenverteilung und das Verhältnis zwischen Mann und Frau, um die beim Menschen angeblich übliche Partnerwahl, um sexuelle Attraktivität und um die angeblich übliche Form der sexuellen Orientierung, der Paar- und der Familienbildung. Kurz: All das sind Themen, die jede und jeden von uns zentral in unserer persönlichen Identität betreffen und elementare soziale Institutionen unserer Gesellschaft – d.h. Geschlechterverhältnis, Partnerschaft und Familie – berühren. Nun könnte man einwenden, dass diesen Meldungen rund um die Höhlenmänner und Blondinen zuviel Gewicht eingeräumt wird, zumal manche Artikel auch einen gewissen Unterhaltungswert haben. Diesem Einwand möchte ich entschieden widersprechen: Die Botschaften, die von diesen Texten transportiert werden, sind stereotyp und finden sich auch in zahlreichen anderen publizistischen Texten. Sie werden in Bestsellern (vgl. Röder 2007b), Schulbüchern (vgl. Sénécheau 2005) und Filmen präsentiert und gaben u.a. den Stoff für ein äußerst erfolgreiches Theaterstück5 ab. Sie sind Teil des Alltagswissens und finden so auch Eingang in die wissenschaftliche Forschung (vgl. Röder 2004; 2007a). Sogar der Philosoph Peter Sloterdijk greift in einem Spiegel-Interview auf den Jäger und die Sammlerin zurück, um aus ihnen das »anthropologische Design«, also das angeborene Wesen von Männern und Frauen, abzuleiten (Sloterdijk 2006). Der Jäger und die Sammlerin sind eine Art urgeschichtliches Traumpaar, das in vielen aktuellen Debatten auftaucht: Es verkörpert das angeblich ›ursprüngliche‹ und ›natürliche‹ Geschlechterverhältnis. Es zeigt, wie Männer und Frauen ›von Natur aus‹, ihrem ›anthropologischen Design‹ und ihrem ›tiefsten Wesen‹ nach angeblich sind. Des Weiteren bietet das urgeschichtliche Traumpaar eine schlüssige Erklärung für die heutigen Turbulenzen zwischen den Geschlechtern. Schließlich gibt die Urgeschichte eine Kulisse und Argumentationsplattform für diejenigen ab, die am bürgerlichen Rollenmodell festhalten und den Slogan ›Back to the roots!‹ – d.h. ›Zurück in die Urgeschichte!‹ – propagieren (vgl. hierzu Röder 2007a; 2007b). Spätestens bei so deutlichen Handlungsaufrufen wird die gesellschaftspolitische Dimension der Figur des urgeschichtlichen Jägers und der Sammlerin offensichtlich. Deutsche und europäische Identitätspolitik mit Neandertalern und archäologischen Kulturen In Medientexten zur Urgeschichte schwingen mitunter auch politische Themen mit. Ganz offensichtlich ist beispielsweise, dass seit einigen Jah-

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Es handelt sich um Caveman – Du sammeln. Ich jagen! von Rob Becke. 88

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ren mit den Neandertalern Identitätspolitik betrieben wird. Der stern etwa betitelt sie als »Die ersten Deutschen« (Güntheroth/Müller-Elsner 2005) und bringt unsere urgeschichtlichen Vettern so mit nationaler Identität in Verbindung. Als einzige Menschenart, die in Europa entstanden ist, lassen sich die Neandertaler aber auch als Identifikationsfiguren für eine europäische Identität vereinnahmen. Und so werden sie häufig – u.a. auf der Website von planet wissen als »Die ersten Europäer« (Wengel 2004) bezeichnet. Der Bayerische Rundfunk macht aus ihnen gar »Die einstigen Herren Europas« (BR-online 2006). Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, dass das Image der »ersten Europäer« (Wengel 2004) immer positiver wird: Vom ›tierischen‹ und ›primitiven‹ ›Anderen‹ hat es der Neandertaler heute zum gescheiten und sympathischen Vetter gebracht (vgl. Korinthenberg 2006). An dieser Imagepflege hat sich die Archäologie nach Kräften beteiligt. Steilvorlagen für den von der EU geförderten Aufbau einer europäischen Identität (vgl. Tzanidaki 2000) liefert die Archäologie denn auch mit großen Ausstellungen, in denen die ›Wiege Europas‹ bzw. ›die Wiege der Zivilisation‹ mal im gerade beigetretenen Bulgarien, mal beim Beitrittskandidaten Türkei lokalisiert wird. Aufschlussreich sind in dieser Hinsicht Grußworte und Vorwörter von Ausstellungskatalogen, so z.B. das Grußwort des Kulturministers Bulgariens im Katalog zur Ausstellung Die alten Zivilisationen Bulgariens. Das Gold der Thraker aus dem Jahr 2007. Darin ist zu lesen, dass dies die erste von Bulgarien organisierte Ausstellung nach dem Beitritt zur Europäischen Union sei. Bulgarien wolle damit zeigen, dass das Land »während Jahrtausenden im Zentrum der europäischen Zivilisation« gelegen hätte (Danailov 2007: 7). Im Museumsshop des Antikenmuseums Basel, wo die Ausstellung gezeigt wurde, gab es eine Postkarte zu kaufen, die das bulgarische Staatsgebiet, bestückt mit archäologischen Goldobjekten, zeigt (Abb. 1). Diese ›goldreiche‹ und ›luxuriöse‹ Präsentation des Landes widerspricht der verbreiteten Vorstellung, dass Bulgarien das ›Armenhaus Europas‹ sei – ein Zufall? Zur selben Zeit wie die Basler Bulgarienausstellung lief im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe die Ausstellung Vor 12.000 Jahren in Anatolien. Die ältesten Monumente der Menschheit. Im Katalog zu dieser Schau ist man mit vergleichbaren politischen Botschaften konfrontiert. Im Vorwort des türkischen Generaldirektors für Kulturgüter und Museen ist zu lesen, dass die Ausstellung »der europäischen Gesellschaft die Möglichkeit [bietet], das tief verwurzelte kulturelle und soziale Erbe der heutigen Türkei, die sich im Integrationsprozess in die Europäische Union befindet, vorzustellen« (Düzgün 2007: 12). Und der türkische Minister für Kultur und Tourismus betont in seinem Grußwort, dass Anatolien

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»stets Kulturbrücke zwischen dem Osten und dem Westen« gewesen sei und bezeichnet die dort ausgegrabenen archäologischen Fundstätten als »Erbe der Menschheit« (Koç 2007: 11). Abbildung 1: Archäologische Funde können zur nationalen Image-Pflege eingesetzt werden: Diese Postkarte, die während der Ausstellung Die alten Zivilisationen Bulgariens. Das Gold der Thraker verkauft wurde, zeigt das bulgarische Staatsgebiet, bestückt mit archäologischen Goldobjekten. Die ›goldreich‹ und ›luxuriöse‹ Präsentation des Landes widerspricht der verbreiteten Vorstellung, dass Bulgarien das ›Armenhaus Europas‹ sei.

Quelle: Art Tomorrow, Sofia. Die Botschaften dieser Texte und Abbildungen sind klar: Europa war ›schon immer‹, ›von Anfang an‹ eine kulturelle Einheit.6 Bulgarien und die Türkei gehörten ›seit Urzeiten‹ dazu und trugen mit ihren alten Kulturen obendrein wesentlich zur »europäischen Zivilisation« (Danailov 2007: 7), zum »Erbe der Menschheit« (Koç 2007: 11), ja sogar zum »Weltkulturerbe« (Düzgün 2007: 12) bei. Solche Statements in Ausstellungskatalogen – weitere Beispiele ließen sich anfügen – stehen im Kon6

Es ist hier nicht der Ort, die Frage zu behandeln, ob das heutige Europa in der Urgeschichte als kulturelle Einheit mit einer kollektiven Identität existierte. Stattdessen sei auf einen Artikel Peter Burkes verwiesen, der diese Frage bereits für die Zeit vor 1700 nach Chr. mit einem klaren ›Nein‹ beantwortet (vgl. Burke 2008). 90

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text aktueller Bestrebungen, durch die Schaffung einer gemeinsamen historischen Vergangenheit eine kollektive ›europäische‹ Identität aufzubauen bzw. im Sinne Eric Hobsbawms eine gemeinsame Tradition zu ›erfinden‹ (vgl. Hobsbawm 2003). Aus dieser Perspektive betrachtet, betreibt die Archäologie, die in Ausstellungen und (populär-)wissenschaftlichen Publikationen für die Urgeschichte Europas eine kulturelle Einheit suggeriert, ebenso aktiv Identitätspolitik wie die Medien, die die Neandertaler als die ›ersten Deutschen‹ oder die ›ersten Europäer‹ aufbauen. Klimaopfer und ›Loser‹-Typen: Das Aussterben der Neandertaler im Spiegel politischer Ereignisse und gesellschaftlicher Debatten Für künftige HistorikerInnen dürfte es ein Leichtes sein, undatierte Medientexte über die Urgeschichte aufgrund ihrer deutlichen Bezüge zu politischen Ereignissen oder gesellschaftlichen Debatten zeitlich einzuordnen. Letztere stellen den »breiteren Kontext« dar (Scherzler 2005: 154), in den JournalistInnen die archäologischen Themen in ihren Artikeln setzen. Diese Einordnung ist jedoch ambivalent. Einerseits wecken JournalistInnen Interesse, wenn sie Inhalte so präsentieren, dass sie ihrem Zielpublikum unmittelbar ›relevant‹ und ›aktuell‹ erscheinen oder ihm eine spontane Identifikation erlauben. Das sichert nicht nur Quoten und Auflagen, sondern nützt, wie oben ausgeführt, u.U. auch der Archäologie bzw. anderen wissenschaftlichen Disziplinen, aus deren Arbeitsgebiet berichtet wird. Die Kehrseite ist allerdings, dass gerade das, was heute ›brandneu‹ erscheint, häufig am schnellsten veraltet. Vor diesem Hintergrund jagt eine These die andere. Diese Dynamik könnte man einerseits als Resultat einer rasant fortschreitenden Forschung werten. Andererseits könnten sich – und das erscheint mir weitaus nahe liegender – angesichts der extrem kurzen Halbwertszeit der Ergebnisse aber auch eine gewisse Skepsis hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Validität und der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit einstellen. Im Folgenden werde ich dies mit einigen Schlaglichtern auf Medientexte über das Aussterben der Neandertaler illustrieren. Um das Jahr 2000 waren aufgrund der damaligen politischen Ereignisse in der Öffentlichkeit die Themen Krieg und Genozid sehr präsent. 1997, drei Jahre nach dem Völkermord in Ruanda, brachte das Schweizer Nachrichtenmagazin Facts die Titelgeschichte »Genozid in der Steinzeit. Wie der Mensch den Neandertaler ausrottete« (Bahnsen 1997). Im Jahr 2000, also während des Kosovokriegs, bildete dieses Thema auch die Grundlage für eine Titelgeschichte des Spiegel (Schulz 2000); auf dem 91

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Cover lautete sie »Der Krieg der ersten Menschen. Wie der Homo sapiens den Neandertaler verdrängte«; im Heft selbst war sie martialisch mit »Todeskampf der Flachköpfe« (ebd.: 240) überschrieben. Der Spiegel-Artikel folgt der Doktrin, dass der Krieg Vater aller Dinge bzw. der »Urkampf Motor aller Kultur« sei (ebd.: 244). Sein Autor vertritt damit die These, dass kulturelle Innovationen gegen Ende der Altsteinzeit, u.a. die Kunst, eine Folge des Krieges des modernen Menschen gegen den Neandertaler gewesen seien. Im schnoddrigen Stil des Autors liest sich das so: »Der Mensch wurde zum Bildhauer, weil er in die Fratze des Neandertalers blickte« (ebd.: 254). Diese Bewertung des vom Autor als Faktum präsentierten Verdrängungsprozesses, den er mit Bezug auf einen US-Autor auch als »pleistozänen Holocaust« bezeichnet (ebd.: 242), kommt ebenso in folgendem Zitat zum Ausdruck: »›Ist Genozid der richtige Begriff, um unser Verhältnis zum Neandertaler auszudrücken?‹, fragt der US-Forscher Peter Ward. Unstrittig ist: Nach dem Sieg erstrahlte die Welt des Menschen herrlicher denn je« (ebd.: 255). Das Aussterben der Neandertaler beschäftigt Wissenschaft und Medien nach wie vor. Der Umstand, dass die Neandertaler wie bereits beschrieben in den Medien mittlerweile als die ›ersten Deutschen‹ bzw. die ›ersten Europäer‹ eingeführt sind, dürfte die mediale Attraktivität des Themas noch erhöhen. Der Erklärungsansatz Genozid ist aus den Schlagzeilen verschwunden. Er wurde von der Klimathese abgelöst, die das Verschwinden der Neandertaler als Folge einer Klimaveränderung erklärt, wobei sowohl eine Abkühlung als auch eine Erwärmung in Betracht gezogen werden. Der Neandertaler habe sich – im Gegensatz zum modernen Menschen – nicht an die veränderten Umweltverhältnisse anpassen können und sei möglicherweise ein »Opfer der Klimaerwärmung« geworden (u.a. Rötzer 2008). Inzwischen wird diese Interpretation revidiert: Das Klima sei doch nicht bzw. nicht alleine schuld am Aussterben der Neandertaler (z.B. bild der wissenschaft 2007; Becker 2007). Eine neue These wurde im Juli 2009 auf Basis einer DPA-Meldung lanciert: Mit Bezug auf die Ergebnisse von DNA-Analysen, die kurz darauf im Fachmagazin Science veröffentlicht werden sollten (Briggs et al. 2009), wurden nun demographische Gründe als Ursache für das Verschwinden ›unserer Vettern‹ angeführt: Sie seien einfach zu wenige gewesen, um sich auf Dauer fortpflanzen zu können (vgl. u.a. Basler Zeitung 2009). Damit sind wir bei der aktuellen Demographiedebatte angelangt, in deren Rahmen wir darüber sinnieren, ob die Deutschen und die Europäer in Bälde wohl aussterben werden. Die meisten Medienberichte über archäologische und paläoanthropologische Themen scheinen auf Meldungen von Presseagenturen und diese wiederum auf Fachbeiträgen zu beruhen; in letzteren wird die gesell-

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schaftliche Kontextualisierung der Forschungsergebnisse im Rahmen aktueller Debatten und Diskurse zum Teil schon vorgespurt. Wo also liegt das Problem? Das Problem besteht darin, dass durch die massenhafte Verbreitung von zum Teil fast wortgleichen, auf Agenturmeldungen basierenden Medientexten, deren Inhalte sich gesellschaftlich einfach kontextualisieren lassen, die in der Forschung vorhandene Multiperspektivität in den Medien nicht abgebildet wird. Die sich in Wellen ablösenden wissenschaftlichen Thesen erhalten so fast schon den Charakter von ›Modeerscheinungen‹, was in der Folge grundsätzliche Fragen nach der Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Ergebnisse aufwerfen könnte. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die in den Medien breit gestreuten wissenschaftlichen Thesen aktuelle Diskurse bestätigen und somit festigen, da sie diese ja scheinbar ›wissenschaftlich belegen‹. Um diese Einschätzung zu untermauern, sei noch einmal die Titelgeschichte des Spiegel aus dem Jahr 2000 über das Aussterben der Neandertaler angeführt (Schulz 2000). Dieser Text ist ungemein vielschichtig, in sich widersprüchlich und lässt verschiedene Lesarten zu. So kann man ihn etwa im Hinblick auf neoliberale Konzepte lesen.7 Diese sind u.a. geprägt von Wettbewerbsdenken, Ein- und Ausschlüssen sowie von der Idee, dass jedes Individuum für seinen Erfolg bzw. sein Scheitern ganz alleine verantwortlich sei. Diese Konzepte finden sich auch im SpiegelText. Der Wettbewerb zwischen dem modernen Menschen und den Neandertalern ist Grundthema des gesamten Artikels. In zahlreichen Passagen baut der Autor einen krassen Gegensatz zwischen einer ›WirGruppe‹ und ›den anderen‹ auf. ›Wir‹, das sind die modernen Menschen, die »Krone der Schöpfung«, die »Siegertypen«. Uns zeichnen »hohe Schädel« und »filigrane Gliedmaßen« aus. Wir sind »Bildhauer«, gar »vorzeitliche Picassos«. Aufgrund unserer Anpassungs- und Innovationsfähigkeit haben wir den »struggle for life« für uns entschieden – und ergriffen deshalb im »Sturmlauf die Weltherrschaft«. ›Die anderen‹, das sind die ausgestorbenen Neandertaler: »bizarre Lebewesen«, »LoserTypen«, die »Kniegelenke dick wie Kanonenkugeln« und eine DNA wie von einem »biologischen Alien« haben. Sie hatten »Fratzen«, waren Tiere, und da ihnen Anpassungs- und Innovationsfähigkeit abging, waren sie ein »Auslaufmodell der Evolution«. Sie hatten einen ruhmlosen Abgang von der Bühne der Menschheitsgeschichte, wurden »wie von Zauberhand […] komplett ausgelöscht« (Schulz 2000). Die Dichotomie zwischen ›uns‹ und ›den anderen‹ wird im Text durch direkte Gegenüberstellungen konstruiert, so z.B. in folgender Passage: »Welch Kontrast tut sich auf! […] Hier der geniale Fred Feuerstein, der als Krone der Schöpfung 7

Eine ausführliche Analyse des Artikels unter diesem Aspekt wird an anderer Stelle vorgelegt werden. 93

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schließlich Atombomben baute und im Internet landete. Dort der LoserTyp, vierschrötig, mit fliehender Stirn, ein Auslaufmodell der Evolution« (ebd.: 242). Obwohl der Autor an anderen Stellen mehrfach darauf verweist, dass der Neandertaler vom modernen Menschen im Rahmen eines Genozids ausgerottet worden sei, präsentiert er das Verschwinden der Neandertaler andererseits aber auch als einen quasi von selbst ablaufenden, natürlichen Prozess – eine Art ›natürliche Auslese‹. Im Zuge der neoliberalen Logik des Textes ist hinter dieser ›natürlichen Auslese‹ das Versagen des Neandertalers zu sehen, der sich nicht weiterentwickelt und sich nicht an die wandelnden Verhältnisse angepasst hat und deshalb zwangsläufig auf der Strecke geblieben sein soll. Nun könnte man einwenden, dass dieser Text so schnoddrig und übertrieben formuliert ist, dass ihn wohl kaum jemand ernst nehmen dürfte, und es folglich überflüssig und unangemessen sei, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Ich sehe das anders. Gerade der schnoddrige unterhaltsame Stil macht es für Nicht-Fachleute schwierig, Fakten von den persönlichen Phantasien des Autors zu unterscheiden. Er ermöglicht es, auf urgeschichtlichen Schauplätzen aktuelle politische Themen zu verhandeln und dabei an gesellschaftspolitischen Diskursen anzudocken. Dass die neoliberale Lesart dieses Spiegel-Artikels keineswegs abwegig ist, zeigt sich u.a. darin, dass die ›Loser der Evolution‹, die ausgestorbenen Neandertaler, neuerdings zu einem Synonym für Hartz-IVEmpfänger zu werden scheinen. Hinweise darauf finden sich in InternetForen und in Kommentaren zu Beiträgen in Online-Medien. So schreibt in Internet-Foren eine Person unter dem Pseudonym »Neandertaler« zu Hartz-IV-Themen, und in einem Kommentar zu einem Artikel über das Aussterben der Neandertaler ist zu lesen: »Ganz klar: Der Neandertaler war Raucher, Hartz-IV-Empfänger und hatte vermutlich nur einen mittleren Bildungsabschluß. Ist doch klar das der ausstirbt [sic]« (stern 2007). Der Neandertaler erscheint als Symbol und Erklärung für persönliches Scheitern. Die Vergleiche, die hier zwischen einer ausgestorbenen Menschenart und Hartz-IV-Empfängern gezogen werden, lassen an die neue Unterschichtdebatte denken. In diese Richtung weist auch eine Äußerung in einem Internet-Forum zur Frage »Warum ist der Bildungsfremde lauter als der Gebildete?« (Yahoo 2009). Dem Bildungsfernen wird in der Antwort unterstellt, dass er lediglich über »auf dem Neandertaler-Gen« fixierte »Urfähigkeiten« wie »Lautstärke« verfüge, die weitere Entwicklung zu »Intelligenz und Grips« jedoch verpasst habe. Wenn man den hier gelegten Gedanken weiterspinnt, kommt man zum Schluss, die Existenz der ›neuen Unterschicht‹ sei genetisch vorgegeben – eine Vorstellung, deren rassistische Brisanz offenkundig ist.

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Schlussfolgerungen aus den Fallbeispielen und Thesen Die Medien greifen von den Meldungen aus der Wissenschaft vorzugsweise diejenigen auf, bei denen sich leicht Bezüge zu aktuellen Themen und Ereignissen oder zu Identitätsfragen herstellen lassen. Dieses Auswahlkriterium sowie der Umstand, dass die meisten Medientexte nicht auf eigenen Recherchen, sondern auf Agenturmeldungen über einen neuen Fachartikel beruhen, führt zu wellenartigen Berichterstattungsrhythmen: Nach einer Agenturmeldung wird das Publikum in nahezu allen genutzten Medien mit derselben These konfrontiert; die gleichzeitige Präsentation alternativer Erklärungsansätze ist dabei äußerst selten. Dadurch entsteht der Eindruck, dass die vorgestellten Ergebnisse und Thesen in der Wissenschaft bereits allgemein akzeptierter Forschungsstand seien. Da wissenschaftliches Wissen nach wie vor einen hohen Legitimationswert hat, und die präsentierten Neuigkeiten zur Urgeschichte implizit oder explizit mit aktuellen Ereignissen und Diskursen in Verbindung gebracht werden, greift die einseitige, auf Aktualität ausgerichtete Berichterstattung in die Dynamik soziopolitischer Prozesse ein: Die Urgeschichte scheint aktuelle Denkmuster, Sichtweisen und Bewertungen zu bestätigen und Antworten auf brennende Fragen zu geben. In einem »Zeitalter der Ungewissheit« (Nowotny/Scott/Gibbons 2005) bietet der Blick auf die ›Anfänge der Menschheitsgeschichte‹ Vergewisserung über zentrale Aspekte persönlicher und politischer Identität sowie des persönlichen und gesellschaftlichen Zusammenlebens (vgl. Röder 2007a; 2008). Mit urgeschichtlichen Themen lassen sich gesellschaftliche Debatten beeinflussen, und im Extremfall lässt sich mit ihnen sogar Politik machen. Nicht zuletzt scheinen urgeschichtliche Kulissen auch den Freiraum und die Legitimation zu geben, politisch nicht korrekte – beispielsweise kriegsverherrlichende, rassistische und sexistische – Gedanken durchzuspielen und unter dem Deckmantel der Berichterstattung über unsere ›rohen Vorfahren‹ entsprechende Positionen auszubreiten. Wie oben mit Bezug auf Peter Weingart (2001) dargelegt, prägen die Medien in erheblichem Maße das öffentliche Bewusstsein, die politische Meinung und die Weltwahrnehmung. Indem sie bestimmte wissenschaftliche Themen lancieren und verbreiten, die legitimatorisch relevant sind, agieren sie gesellschaftspolitisch. Die vorgestellten Fallbeispiele zeigen, dass dies – vielleicht sogar in besonders hohem Maße – auch für die Berichterstattung über urgeschichtliche Themen zutrifft.

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Zwischen Skylla und Charybdis: Ein Fazit zur Aktualität der Urgeschichte Der Umstand, dass sich viele urgeschichtliche Themen bestens mit aktuellen gesellschaftlichen und politischen Diskursen verknüpfen lassen, verleiht ihnen gesellschaftliche Relevanz und macht sie für die Medien attraktiv. Doch genau in dieser Relevanz und Aktualität liegt auch die Gefahr einer Instrumentalisierung für bestimmte Positionen und Ziele begründet. Wie weit die Instrumentalisierung und Politisierung von Archäologie reichen kann, hat die Urgeschichtsforschung während des Nationalsozialismus vorgeführt. Mit der Erinnerung an dieses Extrembeispiel möchte ich aktuelle Instrumentalisierungs- und Politisierungstendenzen nicht dramatisieren. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass es sich letztlich um dieselben Mechanismen handelt, die obendrein eine Eigendynamik entwickeln können, die leicht außer Kontrolle geraten kann. Was tun in dieser Situation, in der die Archäologie gewissermaßen zwischen Skylla und Charybdis steht, also zwischen gesellschaftlich nicht kontextualisierten und folglich irrelevant erscheinenden Forschungsergebnissen auf der einen – und sehr gut kontextualisierten Ergebnissen, die Gefahr laufen, instrumentalisiert zu werden, auf der anderen Seite? Ich denke, es ist notwendig, dass ArchäologInnen eine Standortbestimmung vornehmen und sich eine fundierte Meinung über die gesellschaftliche Relevanz des Faches und des eigenen Tuns bilden (vgl. Burmeister 2005).8 Dazu gehört auch, in den Medien aufmerksam zu verfolgen, in welchen Kontexten und in welcher Weise auf archäologische Forschungsergebnisse Bezug genommen wird. In diese Debatten sollten wir uns mit unserer Expertise einmischen, für Multiperspektivität sorgen und aktuelle Themen gegebenenfalls gezielt gegen den Strich der herrschenden Diskurse bürsten. Im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit den Medien plädiere ich dafür, die eigenen Forschungsergebnisse – beispielsweise in Medienmitteilungen – selbst in einen gesellschaftlichen Kontext zu stellen und dabei festzulegen, was davon aus der eigenen Perspektive für die Öffentlichkeit relevant ist, um diese Kontextualisierung gezielter mit den JournalistInnen aushandeln zu können (s.u.). Dadurch können wir zum einen die Verwertung unserer Forschungsergebnisse in den Medien besser steuern. Zum andern dürfte diese Reflexion der Zeitgebundenheit des eigenen Forschens auch dessen Qualität verbessern (vgl. Nowotny/Scott/Gibbons 2005: 84).

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Dieser Aspekt sollte auch in die universitäre Lehre eingebunden werden. 96

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Für die Seite der Medien erscheinen mir im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit ArchäologInnen zwei Punkte von Bedeutung: Insbesondere bei Forschungsergebnissen, die besonders aktuell wirken, ist zu bedenken, dass auch sie vom Zeitgeist geprägt sind und gegenwärtige gesellschaftliche und politische Strömungen widerspiegeln können. Schließlich fließen Forschungsgelder heute auch nach gesellschaftlicher Relevanz von Forschungsthemen und nach Medienprominenz von Forschenden (s.o.). Gerade bei scheinbar brandaktuellen Ergebnissen empfiehlt sich deshalb eine Gegenrecherche nach anderen Meinungen. Mein zweiter Punkt ist, dass ich an die Bereitschaft der Medienschaffenden appellieren möchte, ArchäologInnen in die Entscheidung einzubinden, welche Informationen für das Zielpublikum relevant sind und in welchen gesellschaftlichen Kontext sie diese stellen möchten. Dies mit ArchäologInnen auszuhandeln, ist sicher mühsamer und zeitaufwendiger als es alleine zu tun. Aber ein solcher Aushandelungsprozess würde die Qualität der journalistischen Arbeit steigern und letztlich beiden Seiten helfen, die Gratwanderung zwischen gesellschaftlich nicht kontextualisierten Forschungsergebnissen und politischer Instrumentalisierung zu meistern. Dank Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Projektes Neue Grundlagen für sozialgeschichtliche Forschungen in der Prähistorischen Archäologie, das vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert wird.

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›B L A C K R O M A N S ‹ î D I E A N T I K E I M Ö F F E N T L IC H E N D I S K U R S U M E I N E › S C H W A R Z E ‹ B R I T I SC H E G E S C H I C H T E EVA ULRIKE PIRKER

This article focuses on the interplay between public interests and the construction of meaning in a historical culture. By considering a recent example, the discourse surrounding a ›black‹ presence in Roman Britain, it provides a critical reading of a discursive practice that has been generated by a publically ›felt‹ need for certain historical narratives on the one hand and a lack of well-grounded research that could substantiate or contradict these narratives on the other. After a few remarks on recent developments in Britain’s historical culture and on the nature of the debates surrounding black presences in Roman Europe and Britain, a reading of Bernadine Evaristo’s novel The Emperor’s Babe (2001) and its reception shall serve to illustrate the problems inherent in any historical discourse formation which responds to urgent societal needs rather than a long-standing interest in historical cognition. Der vorliegende Beitrag setzt es sich zum Ziel, anhand des Diskurses um eine ›schwarze‹1 Präsenz im Roman Britain das Zusammenspiel von öffentlichen Interessen und der Konstruktion von geschichtlicher Bedeutung zu beleuchten und kritisch zu betrachten. Nach einigen Vorbemer1

Um die Bedeutung des Begriffs ›schwarz‹ ranken sich zahlreiche Debatten. Im Zusammenhang der Bürgerrechts- und Antirassismusbewegungen des 20. Jahrhunderts hat er sich als politischer Gegenbegriff etabliert, der ein Identifikationspotential für unterschiedlichste Gruppen im Kampf gegen rassistische Hegemonialstrukturen innerhalb westlicher Gesellschaften innehatte. Seit den 1990er Jahren wird er (in Großbritannien vor allem im Zuge von Diversifikationsbewegungen innerhalb der Gesellschaft) zunehmend undifferenziert als ethnisches Charakteristikum verwendet. Im vorliegenden Beitrag wird ›schwarz‹ weitgehend als ›nichteuropäisch‹ verstanden; die Verwendung hier stützt sich auf die politische Bedeutung, wobei gerade auch die neuerliche Bedeutungsvermengung problematisiert wird. 103

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kungen zur Entstehung des Diskurses sowie zu Besonderheiten der gegenwärtigen Geschichtskultur2 Großbritanniens wird auf Beispiele aus unterschiedlichen Medien und Repräsentationsformen eingegangen. Einer genaueren Betrachtung wird der 2001 erschienene Roman The Emperor’s Babe der britischen Autorin Bernadine Evaristo unterzogen.

Eine ›schwarze‹ Geschichte für Großbritannien In Großbritannien kam Mitte der 1990er Jahre ein Prozess der Suche nach Neudefinitionen der nationalen Identität ins Rollen. Dieser Prozess einer redefinition of Britishness hatte seine Ursprünge sowohl im Kontext einer weltweiten Rückbesinnung auf das Nationale3 als auch im Zusammenhang eines sich ökonomisch neu positionierenden Standortes Großbritannien (vgl. Leonard 1997); nicht zuletzt steht er jedoch sehr deutlich im Zeichen der Erkenntnis, dass sich die britische Gesellschaft der Tatsache ihrer Multiethnizität nicht länger verschließen konnte. Insbesondere die seit den 1980er Jahren praktizierte Politik des Multikulturalismus musste neu überdacht werden, da diese zwar die Toleranz parallel existierender Kulturen propagierte, eine Akzeptanz unterschiedlicher kultureller und ethnischer Aspekte in der breiten Mitte der Gesellschaft aber nicht förderte. Für das ›New Britain‹ oder ›Cool Britannia‹ hingegen wurde das Mainstreaming kultureller Vielfalt auf allen Ebenen der Gesellschaft und ihrer Institutionen zum Programm erklärt. Parallel zum neuen Selbstverständnis britischer Identität als einer Identität, die unterschiedliche Ethnien, Kulturen und Mischformen derselben umfasst, ist auch die Geschichtskultur Großbritanniens sichtbar vielfältiger geworden.4 2

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Den Begriff ›Geschichtskultur‹ verwende ich in Anlehnung an Jörn Rüsen als »Artikulation von Geschichtsbewusstsein im Leben einer Gesellschaft« (Rüsen 1994: 5). Vgl. hierzu die Arbeiten von Bernhard Giesen, der diesen Kontext kultursoziologisch untersucht hat (Giesen 1991, 1993 und 1999). Die breitenwirksame Vermittlung einer ethnisch diversen Geschichte bildet einen wichtigen Teil der aktuellen politischen Diskussion über Britishness (vgl. beispielsweise »The Britishness Issue« des Fabian Review, 2005). Seit den 1980er Jahren spielt die sogenannte heritage culture eine zentrale Rolle in der Bestimmung englischer Identität. Der an weiße Mehrheitsethnien gekoppelte und somit exklusive Begriff von heritage und Britishness oder Englishness ist im Zuge der jüngeren Debatten in die Kritik geraten (vgl. hierzu ein Positionspapier des Kulturministers David Lammy 104

DIE ANTIKE IM ÖFFENTLICHEN DISKURS UM EINE ›SCHWARZE‹ BRITISCHE GESCHICHTE

In diesem Zusammenhang erhält bis heute vor allem die Geschichte ›schwarzer‹ Briten zunehmend Aufmerksamkeit, und einige Themen dieser Geschichte haben sich zu regelrechten Geschichtsikonographien entwickelt. Ein Beispiel ist die Ankunft der Nachkriegsmigranten aus der Karibik, allegorisiert im Bild der SS Empire Windrush, desjenigen Schiffs, welches 1948 die erste größere Zahl an Einwanderern aus den British West Indies nach Großbritannien brachte: Zum fünfzigsten Jahrestag wurde das Einlaufen der Windrush als geschichtliches Ereignis erstmals in großem Stile zelebriert.5 Die Kommemorationen von 1998 waren über das erinnerte Ereignis hinaus bedeutsam, denn mit ihnen wurde zum ersten Mal überhaupt öffentlichkeitswirksam die Präsenz schwarzer Menschen in Großbritannien als historische Präsenz positiv belegt und erinnert, nachdem sie bis dahin in erster Linie mit Problemdiskursen verknüpft gewesen war.6 Heute ist die Windrush nicht nur ein allgemein geläufiger Begriff in Großbritannien,7 sondern sie ist sogar zu einer der offiziellen ›Ikonen‹ Englands erklärt worden, die seit 2006 als Teil der politischen Imagekampagne auf der Internetseite Icons: A Portrait of England einzusehen sind (Icons: »SS Empire Windrush«).8 Die Erinnerung an die Windrush ist nur ein prominenteres Beispiel für inzwischen zahlreiche weitere Erinnerungsbilder, die in der gegenwärtigen britischen Geschichtskultur eine integrierende Funktion einnehmen. Leider wird im Zuge der Konstruktionen einer ›schwarzen‹ bri-

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[Lammy 2005] sowie die Untersuchung von Littler/Naidoo 2004). Er wird infolge dessen zunehmend erweitert, und hierbei stellt das Bewusstsein einer ›schwarzen‹ Präsenz in der britischen Geschichte eine wesentliche Komponente dar. Die BBC strahlte eine eigens in Auftrag gegebene vierteilige Dokumentarserie aus, der Kronprinz hielt eine Rede, und es fanden in verschiedenen Institutionen Gedenkfeiern statt (vgl. dazu Stein 1998). Vgl. hierzu die Feststellungen des Kulturhistorikers und Romanautors David Dabydeen zu stereotypen Bildern von ›schwarzen‹ Menschen in der britischen Geschichte, die sich auf die Grundtypen des ›Opfers‹ und des sozialen ›Problems‹ reduzieren lassen (vgl. Dabydeen 1985: 12). Auch in die deutsche Presseberichterstattung hat die Windrush-Erinnerung Eingang gefunden, so z.B. bereits 1998 in einem ganzseitigen Artikel in der taz (Stein/Torti 1998) oder jüngst in einem Korrespondentenbeitrag der Politikseiten der Zeit (Jungclaussen 2009). Die Icons of England stellen ein flexibles Porträt der englischen Kultur über Wahrzeichen dar, die von Webusern (›the general public‹) vorgeschlagen werden; die Seite wurde von der dem Kulturministerium untergliederten Organisation »culture online« in Auftrag gegeben und wird von einem »advisory board« betreut, das sich aus RepräsentantInnen der Bereiche Medien, Wissenschaftskommunikation und Kultur zusammensetzt. 105

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tischen Geschichte ein wichtiges politisches Anliegen immer wieder mit neuen Ethnozentrismen vermengt. So finden sich unter den Icons of England auch Spuren einer ›schwarzen‹ Geschichte der Antike: Die Fotografie eines römischen Grabsteinreliefs zeigt ein Bild des Nordafrikaners Victor, dem (laut Inschrift) von seinem Herrn Numerianus die Freiheit geschenkt worden war. Victors Grabstein wurde unter Funden der Befestigungsanlage Arbeia in der Gegend des heutigen South Shields entdeckt, wo nordafrikanische Hilfstruppen stationiert waren (vgl. Kennedy 1986). Den größeren Fundkontext in diesem Rahmen stellen Grabungsforschungen zum Hadrianswall dar, was auch erklärt, warum Victor unter den englischen Icons zu finden ist: Das Bild seines Grabsteins versteckt sich auf einer Unterseite der Icon »Hadrian’s Wall« (Icons: »Hadrian’s Wall«). Dass unter allen historischen Personen aus dem Roman Britain, über die es Fundnachweise gibt, gerade der Afrikaner Victor diesen repräsentativen Platz unter den Icons erhält, ist kein Zufall, sondern Ausdruck der politischen Bemühungen um einen inklusiveren, nicht ausschließlich von weißen Europäern bevölkerten ›Geschichtsraum‹. Diese Entwicklung ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass britische Historiker, die vor drei Jahrzehnten begannen, sich mit der Geschichte einer ›schwarzen‹ Präsenz in Großbritannien auseinanderzusetzen, allenfalls im Rahmen einer sich formierenden ›alternativen‹ Alltags- und Sozialgeschichte ernst genommen wurden – dass ihr Interesse Stoffe für nationale Ikonographien liefern sollten, wäre undenkbar gewesen. Der Migrationshistoriker Colin Holmes beschrieb die Situation Ende der 1970er Jahre folgendermaßen: »Historians have often shown a preference for ploughing well-worn furrows and even though a consideration of issues involving immigrants and minorities falls clearly within the province of social history and many of the more exciting historical advances in recent years have taken place within this particular area of the discipline, an interest in such matters took some time to develop. […] it might be suggested that it has taken the recent Indo-Pakistani and West Indian immigration into Britain to provide the necessary stimulus to the study of earlier immigrants and minorities« (Holmes 1978: 15).

Bereits in den 1970er Jahren interessierten sich Forscher wie Holmes für die Wege, auf denen Afrikaner in früheren Epochen nach Europa kamen. In seiner bis heute einzigartigen Sammlung von Nachweisen einer afrikanischen Präsenz in der europäischen Geschichte erwähnt Hans-Werner Debrunner 1979, wenngleich nur marginal, auch ›schwarze‹ Römer:

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»In Rome, victorious generals and emperors brought treasures, animals and conquered people to Rome as sign of their triumph. Display of exotic foreigners served to enhance the prestige of emperors. Certainly negroes also were displayed on such occasions – precursors of ›Völkerschauen‹. Black Africans played their part in the Mediterranean world; occasionally delightful African heads are represented playfully on containers of perfume or on Hellenistic and Roman vases« (Debrunner 1979: 21).

In der Bildunterschrift zur Illustration eines Salbgefäßes, das als Relief den Kopf eines Afrikaners zeigt, stellt Debrunner fest, solche und ähnliche Fundstücke seien in den großen europäischen Museen wie beispielsweise dem British Museum archiviert (vgl. Debrunner 1979: Abb. 2).9 Was Museen archivieren und was sie zeigen, wie zugänglich archivierte Stücke selbst für MuseumsmitarbeiterInnen bis hin zur Kuratorenebene sind, ist eine andere Frage. Hier gibt es klare Sedimentierungsprozesse, und was nicht interessiert, verstaubt sprichwörtlich im Keller. Das British Museum mag römische Gefäße mit afrikanischen Köpfen in Fülle besitzen – doch das Narrativ, in dem diese Fundstücke einen sinnvollen Platz einnehmen könnten, muss zunächst konstruiert werden und ist nicht ohne Weiteres in bereits etablierte Narrative der antiken Geschichte Europas zu integrieren. Als die Schriftstellerin Bernadine Evaristo sich aufmachte, um im Museum of London nach Spuren ›schwarzer‹ Römer zu suchen, hatte sie einige Hindernisse zu überwinden: »When I was at the Museum of London and I first went to talk to the curators about the idea of a black presence in Roman London, they didn’t agree. They hadn’t thought about it, but they didn’t agree. […] Why not? There was a psychological barrier to them perceiving of an African family travelling along the routes that the Romans travelled along. So they didn’t believe in it […]« (Evaristo in Valdivieso 2005: 62f.).

Dass das antike Europa keine Welt für sich, sondern von vielfältigen außereuropäischen Einflüssen geprägt war, ist keine neue Erkenntnis; der Grad dieser Einflüsse ist jedoch seit den 1980er Jahren zum Gegenstand erhitzter Debatten geworden.10 Die ›Black‹ Romans standen zu diesem 9

Debrunner stellt diesen Fund lediglich dar, ohne ihn weiter zu kommentieren. Allerdings erhebt er auch nicht den Anspruch auf ein kontinuierliches Narrativ einer ›schwarzen‹ Präsenz in Europa, sondern geht vor allem auf die Bedeutungskonstrukte ein, die um Afrikaner in verschiedenen Epochen der europäischen Geschichte entstanden sind. 10 Keine Veröffentlichung wurde in diesem Zusammenhang so kontrovers diskutiert wie Martin Bernals Black Athena (Bernal 1987). Der Band über die afroasiatischen Wurzeln hellenistischer Kultur wurde nicht nur zum 107

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Zeitpunkt weniger im Zentrum der Aufmerksamkeit. Aus gutem Grunde erwähnten auch britische Historiker in ihren diachronen Studien zur Geschichte einer ›schwarzen‹ Präsenz in Großbritannien (Fryer 1985) bzw. zur Migrationsgeschichte (Holmes 1978) das Thema der ›Black‹ Romans nur marginal, denn zu dieser Thematik lagen ihnen nur wenige gesicherte Erkenntnisse vor. Ein grundsätzliches Wissen um eine afrikanische Präsenz im Römischen Britannia war allerdings vorhanden. Bereits 1934 war bei Grabungen um die römische Festungsanlage Abavalla (heute Burgh-by-Sands, am westlichen Ende des Hadrianswalls) eine Inschrift gefunden worden – bekannt als die Beaumont Inscription –, die belegt, dass hier ebenfalls eine Einheit von Afrikanern stationiert war, möglicherweise entsandt durch Septimius Severus im 2. Jahrhundert n. Chr. Doch in der Archäologie sowie in verwandten Disziplinen wie der Epigraphik ist bislang wenig Grundlagenrecherche betrieben worden, die ein größeres historiographisches Narrativ um die ›schwarzen‹ Römer stützen würde. Dass ein Bewusstsein um eine Notwendigkeit, sich einer solchen Geschichte zu widmen, auch in der Archäologie heranreift, zeigt eine Aussage des Archäologen Mike McCarthy, der 1999 Auswertungen zu Funden bei Burgh-by-Sands vornahm, die von seinem jüngeren Kollegen Richard Paul Benjamin folgendermaßen zitiert wird: »[R]esearch into an African presence is of interest and is ripe for study« (McCarthy in Benjamin 2004). Benjamin selbst spricht sich für eine ›utilitaristische Archäologie‹ insbesondere im Hinblick auf das ›schwarze‹ Großbritannien aus: »I collated statistics to indicate a dearth of Black people at several levels of archaeology. They do not study archaeology at universities; they are absent from professional archaeological organisations; and they are scarce as members of archaeology or heritage societies. My research proposed how a ›utilitarian archaeology‹, that is, an archaeology of Black Britain, can be beneficial for the

Bestseller und – je nach Standpunkt zur Aufgabe der Historiographie – zum ›Gospel‹ für die einen und zum roten Tuch für die anderen, sondern provozierte zahlreiche Reaktionen in Wissenschaft und Öffentlichkeit. Vgl. zum Politikum der Veröffentlichung Levine (1992), sowie die Positionen von Lefkowitz (1996) und den Beiträgern in Lefkowitz/Rogers (1996). Zum wissenschaftlichen Diskurs um die Black-Athena-Kontroverse vgl. u.a. Konstan (1997). Bereits vor Bernal wurde Forschern wie Diop (1974) und van Sertima (1985) afrozentristische Mythenbildung vorgeworfen. Tenor der Kritik ist die grundsätzliche Bemängelung der spärlichen ›Faktenlagen‹ einerseits und das Lob der Eröffnung neuer Perspektiven andererseits. 108

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Black community in several ways. It would not only lead to a greater understanding of Black identity, but would increase inclusion: academically, professionally and socially« (Benjamin 2004).

Diese Bemerkungen passen nicht nur zu den gegenwärtigen Entwicklungen einer inklusiveren Geschichtspolitik, sondern kommen gewissermaßen in letzter Minute, denn die archäologischen Grundlagenforschungen können keinesfalls Schritt halten mit dem plötzlich entflammten nichtakademischen Geschichtsdiskurs um eine ›schwarze‹ Geschichte, der seit Ende der 1990er Jahre so vehement eingefordert und geführt wird. Was die ›Black‹ Romans angeht, besteht hier die Gefahr, dass Mythenbildung historisch-archäologische Recherchen ersetzt und den Diskurs so letztendlich als unseriös erstickt, bevor er ernsthaft geführt werden kann. Während die Bildarchive des 20. Jahrhunderts schnell durchsucht sind und moderne Ikonographien überprüfbar machen, ist das, was unter der Erde liegt, schwierig erschließbar und teurer zu bergen. So kommt es, dass heute zwar die ›Black‹ Romans pflichtbewusst – und oft in zelebrierender Haltung – erwähnt werden, sobald es um die Geschichte eines ›Black‹ Britain geht. Doch als Referenz wird immer wieder Peter Fryer angegeben, der sich um die erste große Erzählung der ›schwarzen‹ britischen Geschichte verdient gemacht, jedoch wenig intensive Quellenforschung betrieben hat. Seine Pauschalbehauptungen aus dem Buch mit dem programmatischen Titel Staying Power (Fryer 1984) werden ungeeigneter Weise immer wieder als autoritativer Nachweis herangezogen, doch weiter kommen interessierte Laien von diesem Werk ausgehend nicht.11 Die Wochenzeitung Guardian bot 2008 anlässlich des Black History Month, der in Großbritannien alljährlich im Oktober begangen wird, ihren Lesern eine »Black History Timeline«, die sich in der Onlineversion bewegen lässt und zu interaktiven Erkundungen einlädt. Hier ist unter der Rubrik »Roman Rule« ein Eintrag zur erwähnten maurischen Hilfstruppe zu finden. Unter dem Menüpunkt »Key Figures« taucht der in jüngster Zeit im ›black interest context‹ viel beachtete Septimius Severus auf.12

11 Staying Power wird u.a. innerhalb der ›black‹ communities als »the bible of black British history« gehandelt. Fryers Leistung muss hochgeschätzt werden, denn wie kein anderer Band zuvor versammelt Staying Power (ähnlich Debrunners Presence and Prestige, 1979) eine Vielzahl von Informationen, die in ähnlicher Fülle vorher nie zusammengetragen worden waren. 12 Auffällig oft wird Septimius gerade in nichtwissenschaftlichen, britischen Medien als »Septimus Severus« bezeichnet, was auf einen Zitationszirkel 109

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Im tripolitanischen Leptis Magna geboren, von 193 bis 211 n. Chr. Kaiser des Römischen Reichs, war er, wie hier beschrieben, vor allem mit der Unterdrückung von Aufständen beschäftigt, unter anderem in der Provinz Britannia. Dass er in Nordafrika geboren worden war, in York starb und das Römische Reich gerade noch zusammenhielt, eignet sich hervorragend zur Konstruktion eines frühen Aspekts im Narrativ einer ›schwarzen‹ britischen Geschichte. Somit nimmt es nicht wunder, dass Septimius Severus in die virtuelle Galerie der »100 Great Black Britons« prominenten Eingang finden konnte, eingeordnet zwischen der viktorianischen Krimkrieg-Heldin Mary Seacole und der aktuellen Bestsellerautorin Zadie Smith (vgl. 100 Great Black Britons: »Full 100 List«). Der Tatsache, dass Septimius’ ethnische Herkunft nicht eindeutig nachzuweisen ist, wird hierbei keine Beachtung geschenkt. Wenn man ein ›schwarzes‹ Selbstverständnis im ursprünglichen Sinne als ein politisches versteht, mag man diese Tatsache auch nicht überbewerten, sondern sich mit seiner Sozialisation in Nordafrika als hinreichendem Indiz seiner Alterität begnügen.13 In der Museumslandschaft ist die Flexibilität, auf solch neue Narrative einzugehen, begrenzt; dennoch sind mittlerweile Bemühungen erkennbar, zumindest anlässlich von Events wie beispielsweise dem Black History Month oder Jahrestagen Sonderausstellungen zu einer ›schwarzen‹ Geschichte anzubieten.14 Hier hat sich die Jahrestags- und Eventkultur allerdings noch nicht grundsätzlich bis in die Zeit der römischen Besatzung zurückerstreckt. Möglicherweise, so mag man meinen, ist die Zahl der gemeinsamen Nenner an Identifikationsfaktoren mit heutigen britischen Lebenswelten auf einen ersten Blick zu gering, um Besucher in großen Zahlen zu überzeugen. Doch ist dem tatsächlich so? Auf der einen Seite nehmen die Römer – zumindest in der populären Betrachtung – gerne die Rolle des kulturell ›Anderen‹, des Besatzers ein, der zwar Straßen, Bäder und andere Annehmlichkeiten brachte, aber überraschend schnell verschwand, wenn es brenzlig wurde, wie im Falle Britannias, wo sich die Bewohner südlich des Hadrianswalls gegen Ende des 4. Jahrhunderts schutzlos den Kaledonischen Stämmen ausgeliefert sahen. In hinweist, der im hier beschriebenen Kontext wohl vor allem auf Peter Fryers Buch (1984) zurückzuführen ist. 13 Vgl. etwa den Ansatz des unten zitierten Septimius-Biographen Birley (1988). 14 Das Imperial War Museum bot anlässlich des sechzigsten WindrushJubiläums 2008 eine Ausstellung zur Teilnahme der ›West Indian troops‹ am 2. Weltkrieg. Im Jahr 2007 wurde an die britische Abschaffung des Sklavenhandels 1807 erinnert; in diesem Zusammenhang hatten nahezu alle Museen Aktivitäten, Projekte und Sonderausstellungen im Angebot. 110

DIE ANTIKE IM ÖFFENTLICHEN DISKURS UM EINE ›SCHWARZE‹ BRITISCHE GESCHICHTE

der Tat beeindrucken die Römer in der globalen Geschichtskultur durch ihr Imperium und ihre zivilisatorischen Leistungen, doch dieses Bild ist überlagert durch das Bild des Niedergangs des Römischen Reichs und rückt somit in eine große Distanz.15 Nichtsdestotrotz bietet das Römische Reich gerade für die heutige globalisierte Welt und ihre multiethnischen Gesellschaften doch einige interessante Anknüpfungspunkte, die der Historiker Robert Winder für Großbritannien folgendermaßen beschreibt: »The Roman occupation lasted for nearly four hundred years. But few of the Roman overseers were Italian, and the army was composed of Gauls, Hungarians, Germans and even North Africans. So, among its other achievements, Rome introduced the first black faces into the British landscape: the skull of an African girl was found in an Anglo-Saxon burial ground in Suffolk, and an inscription in Durham records the life of a Syrian. But, while the occupiers were a multi-ethnic crowd, they were culturally of one mind, and over the centuries the Britons were Romanised too« (Winder 2005: 22).

Das Moment des ›Kosmopolitischen‹, des ›Internationalen‹, das unter einer ›Pax Romana‹ zu einem regen Kulturaustausch führen konnte (wenn hier auch die klaren Hegemonialstrukturen nicht in Abrede gestellt werden sollen), steht im krassen Gegensatz zu den Aspekten des Tribalismus und des Dörflichen,16 die bislang oft eine Hauptachse in populären Langerzählungen westlicher Nationalgeschichten bilden.17 Der Archäologe 15 In der wissenschaftlichen Debatte gewinnen der Niedergang Roms im Allgemeinen und die Entwicklung auf den britischen Inseln im Besonderen zunehmend an Komplexität (vgl. etwa Dark 2000); im populärhistorischen Diskurs wird das Bild des Bruchs und des wenig heroischen Rückzugs nach wie vor transportiert, so zum Beispiel in Simon Schamas meinungsbildender TV-Serie A History of Britain (BBC, 2001/2002, Episode 1). 16 Satirisch ins Extrem verzerrt wird dieser Gegensatz in René Goscinnys und Albert Uderzos Asterix-Serie, die ein multiethnisches Römisches Reich zeigt; zwar stark parodiert, stellt es dennoch einen Gegenentwurf zum hinterwäldlerischen, dörfischen, inzestuösen Stammesdenken dar, und ohne die spinnenden Römer wären auch die gallischen Protagonisten Asterix und Obelix niemals um die Welt gereist. Des Weiteren entwirft die Serie eine antike Welt, die niemals so aufgeteilt war, dass es nicht immer möglich gewesen wäre, sei es auf Handelsrouten, sei es über Dienstwege, Unterwerfungs- und Beherrschungsprozesse, von Gallien nach Afrika und von Afrika nach Britannien zu gelangen. 17 Selbst der bekannte Fernsehhistoriker Simon Schama ließ es sich in seinem bereits erwähnten Dokumentarepos A History of Britain (BBC, 2001/2002, Episode 1) nicht nehmen, die Grundrisse des neolithischen Dorfes Scara Brae ausführlicher mit Bedeutung zu füllen als die römische Phase. Das 111

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David Miles beschreibt die »Londonienses« als »a mixed bunch« (Miles 2005: 144). Genau dieses Bild setzt sich nicht allein in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Roman Britain durch, sondern ist im Zuge der neuen Identitätspolitik opportun geworden und wird offiziell propagiert. Und genau dieses Bild liefert den Hintergrund eines in Großbritannien vielbeachteten Romans der oben bereits zitierten Schriftstellerin Bernadine Evaristo: The Emperor’s Babe (2001).

»Sev IV Me« Der Versroman erzählt die Geschichte von Zuleika, einem Mädchen mit sudanesischem Hintergrund, das in Londonium vor 1800 Jahren aufwächst. Wie auch schon in Evaristos erstem Versroman Lara (1997) steht ›schwarze‹ Geschichte in Großbritannien im Mittelpunkt. In ihrem späteren Roman Soul Tourists (2005) weitet die Autorin ihre Repräsentation ›schwarzer‹ Geschichte auf Europa aus, und im jüngsten Roman, Blonde Roots (2008), werden hegemoniale Verhältnisse zwischen schwarz und weiß in der britischen Geschichte experimentell reversiert und wird diese Geschichte entsprechend umgeschrieben. In all ihren Romanen ist Evaristos Heimatstadt London Schauplatz, Projektionsfläche und Thema, an dem es sich abzuarbeiten gilt. Konkretes Programm in The Emperor’s Babe ist das Einschreiben ›schwarzer‹ Präsenzen in eine frühere Phase der britischen Geschichte, in das Roman London. Der Literaturwissenschaftler John McLeod sieht diesen Akt des Einschreibens als Politikum: Evaristo gehe es nicht darum, eine Erzählung für ›schwarze‹ Leser oder Leser mit einem spezifischen Interesse für Angelegenheiten von Minderheiten zu schreiben. Vielmehr wolle sie zeigen, dass die Geschichte ›schwarzer‹ Individuen und Gruppen nicht als marginale oder gar separate Geschichte in Europa gelesen werden darf, sondern als wesentlicher Bestandteil einer europäischen, und hier: britischen Geschichte. Für ihn ist The Emperor’s Babe eine »witty fictionalis[ation of] third-century Londinium in order to call attention to London’s multiracial history which stretches back over nearly two millennia. [...] In uncovering London’s long transcultural history [...] Evaristo seeks to reshape a racist city« (McLeod 2004: 177). McLeod fasst das Vorhaben Evaristos hier knapp zusammen, und das Adjektiv ›witty‹ trifft die Art der Umsetzung dieses Vorhabens sehr gut. von ihm entworfene Portrait des Dorfes spart nicht mit Anknüpfungen an britische Dorfidyllen der Gegenwart oder jüngeren Vergangenheit, die eher auf ein ›Wir-‹gefühl unter der britischen Zuschauerschaft abzielen mögen als das große Rom. 112

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In der Tat war Evaristo bemüht, die so entscheidende breite Mittelklasseleserschaft anzusprechen, und man kann den Roman durchaus als ›Chicklit‹ mit gewissem Anspruch lesen, was schon durch die Aufmachung des Umschlags der Ausgaben von Hamish Hamilton und Penguin suggeriert wird: Hier sticht vor glamourös goldfarbenem Hintergrund die karikaturistische Zeichnung einer gerissen aus dem Augenwinkel blickenden, attraktiven ›Römerin‹ ins Auge, deren freier Oberarm eine herzförmige Tätowierung mit der Gravur »Sev IV Me« zeigt. Die Botschaft von Zeichnung und Titel, die die Geschichte einer innerhalb patriarchaler Gesellschaftsstrukturen unabhängig agierenden jungen Frau suggerieren, wird unterstrichen durch den für den angloamerikanischen Buchmarkt unverzichtbar gewordenen ›Blurp‹, und hier konkret durch ein Zitat einer Kritik aus der Times: »A heroine of ancient times for the modern age ... a glittering fiction whose words leap off the page into life. Brilliant« (Evaristo 2001: Titel). Liebe, Sex und Eifersucht, die populären Topoi des ›Shopping and Fucking‹ dominieren über weite Teile des Narrativs, wenn auch die Versform, der Einsatz von lateinischen Begriffen und die historische Thematik klar weglenken von jeglichem Verdacht auf Groschenromanhaftigkeit. Elemente des Bildungsromans und die Suggestion einer postkolonial-postmodernen ›In-betweenness‹ tun ihr Weiteres dazu, auch gewisse kritische Erwartungshaltungen zu befriedigen. Im Roman werden moderne kultur- und sozialpolitische Thematiken kurzer Hand in die Antike projiziert. So ist die Protagonistin Zuleika ein Migrantenkind der ›zweiten Generation‹. Ihre nordafrikanischen Eltern machen sich – ähnlich der biblischen heiligen Familie – auf einem Esel auf den Weg nach Norden in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Im überfüllten Rom finden sie keinen Einlass, »but they heard / of Londinium, way out in the wild west, / a sea to cross, a man / could make millions of denarii« (Evaristo 2001: 26). Viel auf sich allein gestellt und auf den Straßen unterwegs, fällt Zuleika als sehr junges Mädchen im öffentlichen Bad dem älteren, nicht sehr ansehnlichen Nobilis Felix als Exotin auf, worauf dieser in Verhandlungen mit ihrem Vater eintritt. Die Männer werden sich schnell einig, bedeutet doch die Heirat für die Familie sozialen Aufstieg. Von Langeweile während der Abwesenheit ihres Mannes noch mehr gepeinigt als von dessen sexuellen Wünschen, geht Zuleika aus und verliebt sich in keinen geringeren als den Imperator Septimius Severus, der auf der Durchreise ist, um Schottland zu befrieden. Auch sie fällt umgekehrt ihm auf; die beiden stürzen sich in ein Liebesabenteuer, das jedoch abrupt beendet wird, als Severus im Feldlager überraschend einer Krankheit erliegt. Zuleika wird von zwei Sklavinnen,

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die sie gegen sich aufgebracht hat, verraten und von ihrem Mann vergiftet. Die Darstellung der Charaktere folgt größtenteils bewährten Mustern der Erzählliteratur: Die weibliche Protagonistin ist gleichzeitig Haupterzählinstanz, was auf die Identifikation der Leser mit ihrer spezifischen Erlebens- und Gefühlswelt abzielt. Ihre Entwicklung folgt dem Austenschen Schema des weiblichen Initiationsromans, in welchem sich die Protagonistin innerhalb widriger Strukturen Freiheitsräume erkämpft. Dieses Schema wurde sehr erfolgreich gerade von Autorinnen der postkolonialen Diaspora um die Komponente der Migration und der Frage nach gesellschaftlicher Teilhabe angereichert.18 Für Evaristos Zuleika endet die Suche und Entwicklung allerdings – entgegen gängiger Erzählmuster, innerhalb des Romans aber konsequent bedingt durch die entworfene Abhängigkeitsstruktur – tragisch. Die Lesersympathie wird nicht nur durch die Erzählsituation eindeutig zum Vorteil der Protagonistin gelenkt, sondern auch durch den Plot, der einerseits den Aufstieg eines Mädchens aus einem armen Einwanderermilieu in eine gesellschaftlich gehobene Position darstellt, den Preis dieses Aufstiegs (Zwangsehe, Vergewaltigung, gesellschaftliche Zwänge der High Society) allerdings als Widrigkeit durchaus thematisiert. Dass Zuleika sich nicht zum Opfer stempeln lässt, sondern eigene Wege findet, mit diesen Widrigkeiten zurecht zu kommen und sich – zumindest vermeintlich – von diesen abzuheben, lässt sich in der Tat als heroischer Zug lesen. Nichtsdestotrotz scheitert Zuleika am gesellschaftlichen System, das Frauen nur innerhalb von männlicher Seite bewachter und geschützter Räume eng definierte Freiheiten lässt. Septimius Severus ist der nach allen Regeln der Kunst ausstaffierte prototypische Held und Liebhaber. Erfolgreich in der Schlacht wie im Bett19 wird er gleichzeitig den Anforderungen an einen modernen männlichen Helden, der Verletzbarkeit zeigt und gegen Sorgen und Nöte nicht immun bleibt, gerecht. Severus erhält als Sympathieträger ebenfalls das Privileg, für sich selbst zu sprechen: Mehrere Seiten werden durch Monologpassagen gefüllt, die als Collage aus einer Vielfalt von Elementen konstruiert sind und ein für moderne Leser favorables Bild des Charakters erzeugen. Dominant ist die Darstellung der eigenen Entwicklung im Angesicht widriger Umstände:

18 Ein prominentes Beispiel ist Monica Alis Bestseller Brick Lane (2003). 19 Um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, wird dieses Bild plakativ durch die Kapitelüberschrift »Every Lover is a Soldier« (mit Verweis auf Ovids Amores I,9, wobei hier der Kampf gewissermaßen tertium comparationis für die Liebe ist) untermalt. 114

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»Who I really am is lost. Was I that boy […] Whose father said, ›Dream and it will manifest.‹ / But when I replied, ›Daddums, I will be emperor,‹ // he scoffed, ›Are you mad? A Libyan? My son?‹ [...] Who at seventeen sailed / down Wadi Leba on naval warship, […] destined for HQ of think-tanks, spin doctors, / banks commercial hubbub, intelligentsia, // and general razza-mattaza di Roma. // […] who was ridiculed on arrival in Eternal City / because of his thick African accent. // Today he is icon to sixty million subjects / […] Managing Director of six hundred / squabbling, backstabbing Board of Directors / running international Firm on Palatine Hill« (Evaristo 2001: 140-144).

Die Widrigkeiten, doch auch der Anspruch an eine starke Hand der Führung für das von Machtwechseln und Komplotten geschüttelte Zentrum Rom, rechtfertigen gewisse Skrupellosigkeiten: »Twenty-six senetors executed for consulting // astrologer about my life expectancy, / five imperators killed year I took over Firm: / Commodus, Pertinax, Julianus, Niger / and Odious Clodius. Septic Sev // they sneer behind my back. I ask you – / should leader be like lamb or lion?« (ebd.: 145).

Die hier und in weiteren Passagen wiedergegebene Ereignisabfolge ist von Evaristo gekonnt zusammengefasst worden, teils mit komischen Einsätzen, die eher auf Lebenswelten des 20. Jahrhunderts anspielen (wie der Vergleich des Machtzentrums mit einem Wirtschaftsunternehmen), teils mit Versatzstücken aus einem ›schwarzen‹ oder englischen geschichtskulturellen Kanon, wie die Anlehnung an Kings Traumrede (»I had dream, Zuleika, that one day all peoples // on earth would be my subjects, // […] all those far-away tribes of whom we know little or nothing«, ebd.: 141) oder an Brookes Weltkriegsgedicht (»If I should die, think only this of me, Zuleika, // there’s a corner somewhere deep / in Caledonia that is forever Libya«, ebd.: 148-149). In der Tat hat der fiktionale Septimius Todesahnungen: »[…] Before I left for Britannia, the stars said I will never return home. // Up north, an Ethiop with legion of Moors at Hadrian’s Wall waved garland // of cypress boughs at me. / It is terrible luck. He laughed in my face: // You have overthrown all things, conquered / all things, now be a conquering god« (ebd.: 149).

Die Beschreibung der Omenssituation im Besonderen sowie die Erzählung des Septimius im Allgemeinen ist angelehnt an historische Überlieferungen (vgl. Birley 1988: 184), was der Authentisierung von Evaristos Erzählung als ›historischer Möglichkeit‹ dient. Die Verwendung der historischen Figur Septimius und ihre Stilisierung zum alten und modernen ›black‹ hero fungiert gleichzeitig als Folie für die Charakterisierung der 115

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Protagonistin, die von sich sagt »I’m a nobody wanting to be a somebody. / I was born into this town, but I’ve never been outside. // I blame my parents, refugees from the Sudan. / This was the first place they felt safe, // so they never left« (ebd.: 155) und bei ihrem ersten Ausflug aufs Land, entzückt von der Natur, bemerkt: »I was so fucked up to have feared all this. / Ghetto girl or what?« (ebd.: 167). Beiden Protagonisten ist gemein, dass sie durch ihre Herkunft und Äußerlichkeit zu Außenseitern der fiktiven Gesellschaft gemacht werden, sich aber durch die ihnen gegebenen starken Charaktereigenschaften trotz Widrigkeiten (jeweils im Rahmen ihrer Möglichkeiten) positiv entwickeln. So sind beide Hoffnungsträger, doch durch ihr tragisches bzw. unheroisches Ende wird diese Lesart der Figuren gleichzeitig wieder eingedämmt. Letztlich wird durch das unterhaltsame Hin und Her zwischen (mal geistreicher, mal platter) Parodie und sehr schweren Situationen nicht klar, wie ernst Evaristo ihr Anliegen war. Durch die parodistischen Elemente kann sie sich gegen den Vorwurf einer verkürzten, afrozentristischen Geschichtsdarstellung verwahren. Ob sich ein solcher Vorwurf in der gegenwärtigen Situation, gezeichnet von geschichtskulturellen und identitätspolitischen Debatten wie den eingangs skizzierten, überhaupt durchgesetzt hätte, bleibt allerdings fraglich. Dem Althistoriker Anthony Birley, der mitten in die Black Athena-Debatte hinein die zweite Auflage seiner Septimius-Biografie veröffentlichte, war die Sensibilität der Thematik durchaus bewusst. So schrieb er in seinem Vorwort zur neuen Auflage über seine Entscheidung, die afrikanische Identität des Imperators zu betonen: »[M]y emphasis on [Septimius’s] African nature may be unwelcome. There are difficult and delicate questions here [...]. Further, I lay weight not merely on the ›otherness‹ of Tripolitania and her most famous son, but on the strong involvement of Roman Africans, including Septimius and his brother, in the conspiracy which toppled Commodus. Anglo-Saxons, mostly monoglot, may not always grasp the complexity of a society in which there were two languages and cultures, and a variety of other tongues in common use. Septimius Severus is an instructive phenomenon. My belief that his origin mattered has led me to call this story of his life The African Emperor« (Birley 1988: xi).

Während eine ›afrikanische Alterität‹ des Septimius bei Birley vor allem dem politischen Anliegen zudient, ein neues Licht auf Septimius’ Rolle als Imperator zu werfen, verweist sie bei Evaristo auf eine ethnozentrische Lesart der Geschichte durch das Prisma einer ›black roots‹ Bewegung, die hier klar überstrapaziert wird. Die ethnische Herkunft und damit verbundene Sonderrolle von Septimius und auch Zuleika ist bei Evaristo zentral. Beide sind Ausnah116

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mefälle als Afrikaner in Londinium und werden weniger als Underdogs denn als Exoten betrachtet. Marginalisierte, ausgebeutete Gruppen sind bei Evaristo Mitglieder unterworfener Schottenstämme, insbesondere die Pikten. So wird die Ankunft von Zuleikas Sklavinnen Valeria und Amelia folgendermaßen beschrieben: »Two ginger girls arrived, captured / up north, the freckled sort (typical // of Caledonians). Felix ordered them / before he left for Rome« (Evaristo 2001: 55). Sie sprechen mit unverwechselbarem Akzent und werden von Zuleika verwöhnt, aber rüde an ihren Platz verwiesen, als Letztere ihnen den Wunsch zu heiraten verweigert. Zuleika nimmt hier sozusagen den Platz des ambivalenten ›benevolent slavemaster‹ ein, der aus Reflexionen über die Atlantische Sklaverei bekannt ist. Die Situation, in der ein weiterer unterdrückter Schotte bei einem Poetry Slam auftritt, und dessen »exotic charm of his Pictish Patois« das Publikum ebenso entzückt wie die Tatsache »how brilliantly he did Anger« (Evaristo 2002: 196) ist ein beißender Kommentar zur gegenwärtigen Rezeption von schwarzen Autoren durch ein weißes Publikum. Der »Pictish Poet« wird Liebhaber von Venus, einer weiteren wichtigen Nebenfigur: Venus ist ein Transsexueller, der eine Bar betreibt und sich um Zuleika und deren ›white working-class girl-friend‹ Alba mütterlich kümmert, wenngleich ohne das Wissen der jeweiligen Familien. Venus ist ein Charakter, der für comic relief sorgt, nicht ganz politisch korrekt, aber durchaus eine Figur, die der britischen Literatur und anderen kulturellen Repräsentationen der ›wilden‹ 1980er entsprungen sein könnte. Venus ist nur einer von vielen Aspekten in The Emperor’s Babe, die an die in der populären Geschichtskultur vielzitierte sexuelle Freizügigkeit einer römischen Lebenswelt anknüpfen. Selbstverständlich wird der Roman von Eunuchen und Hermaphroditen bevölkert, und Orgien sind fester Bestandteil des gehobenen sozialen Lebens. Andere Anknüpfungspunkte sind die Arena und das Schauspiel, die griechische Tragödie, und die allgegenwärtigen Vomitorien. Evaristo benutzt zwar auch Anspielungen, die einem in dieser Geschichtskultur nicht literaten oder der lateinischen Sprache nicht mächtigen Leser verschlossen bleiben, aber es sind vor allem die typischen, allgemein bekannten Schauplätze, welche hier belebt werden: die Thermen, das Amphitheater und die Arena, die Villa Senatoris, Mosaiken, Straßen etc. Wie ist Evaristos Unterfangen zu bewerten? Einen unmittelbaren Durchbruch erlangte sie bei den Museumskuratoren: »There was a psychological barrier to them perceiving of an African family travelling along the routes that the Romans travelled along. So they didn’t believe in it, and then the book came out. The Museum has talk guides that take people around and they’re dressed as different historical figures. After the book 117

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came out, they then created a black Roman merchant that took people around the Museum. I saw that as a victory, that the book had opened their imaginations to the possibility of it« (Evaristo in Valdivieso 2005: 63).

Evaristo selbst beschreibt ihre Absicht in The Emperor’s Babe als eine von der archäologischen Forschung unabhängige ›Verführung‹ der Leser zunächst »into believing in this character« und schließlich »believ[ing] that she could have lived in the city […] to imagine that there would have been a presence of black people in Roman London; I want them to consider that possibility« (in Valdivieso 2005, 62). Diese Verführung – zumindest eines gebildeten britischen Mittelklassepublikums – ist offensichtlich gelungen, denn die Rezeption des Romans sowohl im nationalen Feuilleton als auch in der postkolonialen Literaturkritik war überaus positiv. In der Tat ist es Evaristo geglückt, die Art und Weise, wie ›Englishness‹, Zugehörigkeit und Exklusion in der postkolonialen britischen Literatur verhandelt wird, auf eine fiktive Situation des Roman Britain zu projizieren. »Romanness« wird hierbei zu einem »clever stand-in for Englishness«, wie die Literaturwissenschaftlerin Pilar Cuder-Dominguez bemerkt (Cuder-Dominguez 2004: 178). Leider ist die Rezeption von Evaristos Roman sowohl im Feuilleton als auch in der Literaturwissenschaft äußerst unkritisch, so dass sich der Verdacht aufdrängt, sie stehe allzu sehr im Dienste einer intentionalen Geschichtskultur, wie sie in Großbritannien seit den späten 1990er Jahren vorangetrieben wird. Möglicherweise ist es auch umgekehrt so, dass diese Art der Kritik auf die Kultur einer ›politisch korrekten‹ Geschichtsschreibung Großbritanniens einwirkt.

Schlussbemerkungen Evaristos Verdienst um die ›Black‹ Romans ist nicht gering – mit Sicherheit hat sie die Vorstellungskraft derjenigen erweitert, die zum römischen Britannia forschen, und so vielleicht einen Impuls in Richtung auch einer inklusiveren, breiteren Forschung gegeben. Doch Imagination, ein spannendes Narrativ und Effekte dürfen nicht allein die prägenden Faktoren bleiben; die notwendige Grundlagenforschung und mühevolle Detailarbeit (Ausgrabungssichtung, Epigraphik und Hermeneutik) sollten hier nicht allzu sehr hinterherhinken. Auch der literaturwissenschaftliche Diskurs um The Emperor’s Babe ist wenig sachdienlich, wenn hier Aussagen getroffen werden wie die oben zitierte von McLeod, der in Evaristos Roman die Konstruktion einer Kontinuität liest. ›Schwarze‹ Präsenzen gab es zu verschiedenen Zeitaltern der Geschichte Europas, teils 118

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in weit zurückliegenden Abschnitten – doch der Eindruck einer Kontinuität ist weder korrekt noch belegt. Eine solche Art der Mythenbildung könnte das Interesse an der Erforschung ›schwarzer‹ Präsenzen letztlich eher nachteilig beeinflussen als es zu fördern. Die Vorzüge der institutionalisierten geschichtspolitischen Propagierung einer multiethnischen Vergangenheit auf britischem Boden sollen – trotz der hier geäußerten Kritik – nicht in Abrede gestellt werden. Sie schaffen Rahmenbedingungen, die auch in diese Richtung gehende Grundlagenforschungen erleichtern können und die Möglichkeit geben, auf Basis von ›wissenschaftlicher Evidenz‹ ein inklusiveres Bild der nationalen Vergangenheit zu zeichnen. Dieses geschichtspolitische Anliegen sollte unbedingt ernst genommen werden, denn die Glaubwürdigkeit einer Geschichtskultur alten Stils, basierend auf großen eurozentrischen Masternarrativen, ist berechtigterweise ins Wanken geraten. Besorgniserregend ist allerdings die Geschwindigkeit, mit der Narrative oder gar Mythen gewissermaßen aus Not Fakten schaffen, die durch einen politischen Diskurs – ebenfalls aus Not, denn genau diese Narrative wollte man ja! – anstelle von Forschungserkenntnissen bestätigt werden. Diese Entwicklung stellt eine Gefahr dar für ein grundsätzlicheres, notwendiges Umdenken im Bereich gesellschaftlicher Strukturen: Institutioneller Rassismus in der schulischen Bildung sowie im Alltagsleben verhindert nach wie vor, dass Kinder und Jugendliche aus nichtweißen Familien Zukunftsvisionen für sich entwickeln, die sie in die Archäologie oder die Ur- und Frühgeschichte führen. Hier gilt es anzusetzen: Je adäquater die unterschiedlichen Ethnien und Kulturen einer Gesellschaft auf allen Ebenen und in allen Professionen vertreten sind, desto nachhaltiger werden auch neue Visionen innerhalb dieser Professionen ermöglicht. Damit soll dem Archäologen Benjamin recht gegeben werden, wenn auch das von ihm proklamierte Ziel der Schaffung einer ›Archäologie des Black Britain‹ ebenso fragwürdig erscheint wie die Behauptung, eine solche würde zu einem besseren Verständnis einer »Black identity« führen (Benjamin 2004). Abschließend ist noch einmal zu betonen, dass ein Selbstverständnis von Individuen und Gruppen als ›schwarz‹ grundsätzlich ein politisches Selbstverständnis ist, das nicht ohne weiteres rückwirkend auf das Verständnis von Individuen und Gruppen aus fernen Vergangenheiten angewendet werden kann. Dass ein ›schwarzes‹ Selbstverständnis Teilhabe an gesellschaftlichen Strukturen inklusive Zugang zu allen Ebenen auch wissenschaftlicher Berufe unbedingt und selbstverständlich einfordert, darf nicht hinterfragt werden. Unbedingt hinterfragt werden sollte hingegen das Hervorbringen essentialistischer ›schwarzer‹ Identitäten durch Mythenbildung, die strukturellen Veränderungen zu einer in-

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klusiveren Gesellschaft (und damit auch Geschichtsschreibung) letztlich nur abträglich sein kann.

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»Das große Rom Ist voll von Triumphbögen. Wer errichtete sie? Über wen Triumphierten die Cäsaren? […] Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?« Bertold Brecht2

In the soul of the centurion, or Roman history as soap: Since 2005, thousands of viewers have been watching Roman history in two seasons of a television series entitled Rome. Co-produced by HBO and the BBC, this ›quality soap‹ draws a picture of ancient Rome which is quite different from conventional epic films, from Ben Hur to Gladiator: the bold conjunction of the history of everyday life and of political events in a serial narrative form raises the question whether many aspects of Roman history are perhaps not better conveyed by moving images and fictional characters than by scholarly articles and books. This article examines the spectacular facets of the depiction of everyday life in Rome, how characters are fictionalised, and how slaves and the practices of power are represented. Based on these observations, I argue that this television series can be considered as a form of experimental history, which visual-

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Grundlagen dieses Textes habe ich im Rahmen eines interdisziplinären Seminars erarbeitet, das die Filmwissenschaftlerin Margrit Tröhler und ich gemeinsam im Herbstsemester 2009 in Bern und Zürich durchführten. Der engagierten Mitarbeit der Studierenden im Seminar verdanke ich manche Anregungen; ohne die Unterstützung durch die filmwissenschaftlichen Kompetenzen von Margrit Tröhler jedoch hätte ich es nicht wagen können, als Historiker ohne fachspezifische Kenntnisse über bewegte Bilder zu arbeiten. Der vorliegende Aufsatz hat aber keine filmwissenschaftliche Prätention und ist aus der Perspektive des Historikers geschrieben. Bertold Brecht (1935): »Fragen eines lesenden Arbeiters« (zitiert aus Brecht 1997: 293). 123

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ises history and thereby places it ›before the viewer’s eyes‹ – quite similar to the demand made in antiquity that rhetoric and historiography should be vivid. Im Unterschied zu den 1930er Jahren, als Brecht die »Fragen eines lesenden Arbeiters« schrieb, sitzt wohl der ›lesende Arbeiter‹ heute nicht mehr über einem Buch, sondern vor dem Bildschirm seines Fernsehgeräts. Und der ›lesende Arbeiter‹ ist nicht mehr ein Arbeiter, sondern ein ›Arbeitnehmer‹ oder ein ›Arbeitsloser‹; der ›Arbeiter‹ ist heute vielfach wohl eine doppelt belastete Frau, die einer Erwerbsarbeit nachgeht und zugleich Hausfrau und Mutter ist. Sie alle, und mit ihnen Menschen quer durch alle Altersstufen und gesellschaftlichen Klassen, sitzen vor ihren Fernsehern und schauen … Serien. ›Seifenopern‹ ist der Begriff, der diese Serien bezeichnet, und der Begriff verweist auf die Entstehung: seit den 1930er Jahren wurden Radioserien über den Rundfunk im täglichen oder wöchentlichen Rhythmus ausgestrahlt. Die Sponsoren waren in erster Linie die Produzenten von Waschmitteln und von anderen Haushaltsprodukten: Die Radioserie wollte ein Publikum an die Lautsprecher binden, das tagsüber Radio hörte – Hausfrauen also in einer Gesellschaft, die weitgehend durch geschlechtsstereotype Arbeitsteilung geprägt war. Seit den 1950er Jahren wurde das Konzept der ›Seifenoper‹ von den Fernsehstationen übernommen, und seither flimmern Dallas, Santa Barbara, Lindenstraße und Verbotene Liebe über die Bildschirme.3 Eine dieser Serien trägt den Titel Rome.4 Sie führt uns zu Brecht und zu Caesars Koch zurück: Zwar ist es nicht Caesars Koch, den wir in den rund 20 Stunden dieser Serie kennen lernen, wohl aber zwei Soldaten einer Legion des Feldzugs in Gallien: Titus Pullo und Lucius Vorenus. Iulius Caesar beschreibt in rund 20 Zeilen seines Berichts über den Gallischen Krieg die Rivalität zwischen zwei Zenturionen: Pullo und Vorenus hätten sich, so Caesar, ständig darum gestritten, wer denn der mutigere sei, und zur Illustration schildert er die Episode eines Ausfalls, in dem Pullo sich allein aus der Verteidigungslinie heraus auf die angreifenden Gallier stürzt und damit seinen Rivalen herausfordert; als Pullos Schild von den gallischen Speeren durchlöchert ist und ein Pfeil in der Scheide seines Schwertes ihn daran hindert, das Schwert zu ziehen, stürzt sich 3 4

Vgl. Hickethier (1991); Türschmann (2007); Schneider (1995). HBO Entertainment (USA), in Kooperation mit BBC, produziert durch John Milius, William J. MacDonald, Bruno Heller; 1. Staffel (12 Episoden, 652 Min.) 2005; 2. Staffel (10 Episoden, 566 Min.) 2007; gedreht und geschnitten wurde die ganze Serie in der Cinecittà in Rom. Genauere Angaben: http://www.imdb.com/title/tt0384766/. Zugriff am 20. März 2010. 124

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Vorenus seinerseits in den Kampf, um den Rivalen herauszuschlagen. Gegenseitig retten sie sich das Leben, töten mehrere Gallier, und der Feldherr Caesar folgert: »Auf diese Weise wandte sich das Schicksal beiden zu im Wettstreit und im Kampf, sodass trotz ihrer Rivalität der eine dem andern Hilfe und Rettung war und man nicht entscheiden konnte, wer von beiden an Mut den andern überragte«.5 Mehr über Pullo und Vorenus erfahren wir weder bei Caesar noch bei einem anderen Autor noch in irgendeiner Inschrift. Die amerikanische Kabelfernseh- und Produktionsfirma HBO indes, zusammen mit der englischen BBC, führt uns in der Serie Rome diese beiden Männer vor Augen – zwar nicht als gleichgestellte Offiziere, sondern Vorenus als Zenturio und Pullo als simplen Soldaten. Aber müssen uns diese Details stören, wenn wir die beiden in ihren Taten, in ihren Gefühlen von Liebe und Hass und Zweifeln, in ihrem Alltag zwischen Heerlagern, Spezialaufträgen, Schiffbrüchen, dem zivilen Leben mit Frau und Kindern und in den schmutzigen Straßen der Großstadt Rom kennen lernen können? Doch ist das, was die Serie Rome auf den Bildschirm bringt, tatsächlich Geschichte? Ich möchte diese Frage mit einem klaren ›Ja‹ beantworten – eine Behauptung, die ich im Folgenden zur Diskussion stelle. Ich gehe dabei von der Feststellung aus, dass mit ›Geschichte‹ sehr Unter5

Caes. Gall. 5.44: erant in ea legione fortissimi viri centuriones qui iam primis ordinibus adpropinquarent, Titus Pullo et Lucius Vorenus. hi perpetuas inter se controversias habebant, uter alteri anteferretur, omnibusque annis de loco summis simultatibus contendebant. ex his Pullo, cum acerrime ad munitiones pugnaretur, ›quid dubitas‹ inquit ›Vorene? aut quem locum tuae probandae virtutis exspectas? hic dies de nostris controversiis iudicabit.‹ haec cum dixisset, procedit extra munitiones quaque hostium pars confertissima est visa, inrumpit. ne Vorenus quidem sese tum vallo continet, sed omnium veritus existimationem subsequitur. mediocri spatio relicto Pullo pilum in hostes inmittit atque unum ex multitudine procurrentem traicit. quo percusso exanimatoque hunc scutis protegunt hostes, in illum universi tela coniciunt neque dant progrediendi facultatem. transfigitur scutum Pulloni et verutum in balteo defigitur. avertit hic casus vaginam et gladium educere conanti dextram moratur manum impeditumque hostes circumsistunt. succurrit inimicus illi Vorenus et laboranti subvenit. ad hunc se confestim a Pullone omnis multitudo convertit; illum veruto transfixum arbitrantur. Vorenus gladio rem comminus gerit atque uno interfecto reliquos paulum propellit; dum cupidius instat, in locum inferiorem deiectus concidit. huic rursus circumvento subsidium fert Pullo, atque ambo incolumes compluribus interfectis summa cum laude intra munitiones se recipiunt. sic fortuna in contentione et certamine utrumque versavit, ut alter alteri inimicus auxilio salutique esset neque diiudicari posset, uter utri virtute anteferendus videretur. 125

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schiedliches bezeichnet wird. Geschichte bestand und besteht zwar durchaus, wie Brecht moniert, aus den Triumphbögen der römischen Kaiser und aus der Eroberung Galliens durch C. Iulius Caesar. Doch im letzten Jahrhundert haben sich Generationen von Historikerinnen und Historikern in ihren Forschungen und Debatten dafür eingesetzt, dass auch die ›Köche‹ Teil der Geschichte geworden sind: als Ergebnis dieser Combats pour l’histoire6 brauchte es am Ende des 20. Jahrhunderts keine besondere Begründung mehr, wenn man sich als Historikerin oder Historiker dem Alltag der Menschen früherer Epochen, den namenlosen Frauen, Kindern und Männern als Forschungsobjekt zuwandte. Doch nicht nur die Inhalte der Geschichtswissenschaft haben sich erweitert, auch die Formen der Geschichtsschreibung veränderten sich – so wurden und werden immer wieder Untersuchungen zu einer ›experimentellen Geschichtsschreibung‹ vorgelegt, die nicht danach fragen, ›wie es gewesen war‹, sondern die den Versuch unternehmen, nachzuforschen, ›wie es gewesen sein könnte‹ (vgl. Milo 1991a und 1991b). Dies sind nur zwei von unzähligen Elementen der Variationen des Geschichtsbegriffs – im Podiumsgespräch des Berliner Kolloquiums, dessen Akten der vorliegende Band präsentiert, prägte Thomas Heise die schöne Aussage: »Man kann sich die Geschichte länglich vorstellen, sie ist aber ein Haufen«. Auf der Grundlage dieses breiten Spektrums der Bedeutungen von ›Geschichte‹ wollen die folgenden Überlegungen der Frage nachgehen, welche Art von Geschichte eine Fernsehserie wie die amerikanisch-britische Produktion unter dem schlichten Titel Rome zeigen kann.7 Als erstes sollen die Unterschiede diskutiert werden, die eine Fernsehserie im Vergleich zum Antikefilm auszeichnet. Wenn die Antikefilme in italienischer Sprache als ›kolossal‹ oder in der anglophonen Welt als ›epic films‹ bezeichnet werden, kommt schon darin die Monumentalität als Kennzeichen zum Ausdruck, die einer TV-Serie notwendig fehlt, weil sie weder die Breitleinwand noch das Dispositiv des Kinos anbieten kann.8 Und dennoch greift, wie in einem zweiten Schritt zu zeigen ist, die Serie sehr wohl auf ihre Weise auf das Spektakuläre zurück, um die Zuschauerinnen und Zuschauer zu fesseln. Notwendig muss dabei 6

7

8

Mit diesem Titel hat Lucien Febvre – zusammen mit Marc Bloch im Jahre 1929 Mitbegründer der Zeitschrift Annales – die Sammlung seiner methodologischen Aufsätze versehen (vgl. Febvre 1953). Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die erste Staffel, die 2005 ausgestrahlt wurde; nach der zweiten Staffel von 2007 verbreitet sich die Serie vor allem in Form luxuriöser DVD-Kassetten, die weltweit eine eigentliche Fan-Gemeinde gefunden haben. Zum Monumentalitäts-Anspruch der Antikefilme vgl. etwa Sobchack (1990), Kreimeier (2001) und Holland/Trice (2001). 126

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eine gehörige Portion Fiktion einfließen, und den historischen Figuren stehen ihre fiktiven Verkörperungen in den konkreten Körpern von Schauspielerinnen und Schauspielern gegenüber – kritisch ist dabei im dritten Abschnitt zu fragen, inwiefern die Fiktionalität der Figuren nicht die Darstellung von Geschichte überlagert oder gar ersetzt. Doch Geschichte wird uns, so möchte ich behaupten, nicht nur trotz, sondern gerade wegen der Verbindung von fiktiven mit historischen Figuren vorgeführt: An den zwei Aspekten der Darstellung von Sklavinnen und Sklaven zum einen, der Inszenierung von Praktiken der Macht zum anderen, soll abschließend die Möglichkeit geprüft werden, Geschichte nicht nur zu schreiben, sondern Geschichte in bewegten Bildern zu zeigen.

Antikefilm und Serie: statt Helden Alltag Beginnen wir mit dem Anfang: Alle zwölf Episoden der ersten Staffel der Serie Rome werden mit dem gleichen Vorspann eingeleitet. Er spricht auf reichlich surrealistische Weise die Erwartungen eines Publikums an, dessen Antikebilder durch die Monumentalfilme von Ben Hur über Cleopatra bis Gladiator geprägt sind. Und zugleich markiert der Vorspann die Differenz der Serie – in rund 80 Sekunden treffen zwei Welten aufeinander: die konventionellen Antikebilder des 20. und 21. Jahrhunderts und der Alltag ›kleiner Leute‹ (vgl. Haynes 2008: 50f.). Durch das Auge des Schädels aus einem pompejanischen Mosaik werden die ZuschauerInnen in die Welt der Erzählung eingeführt, mit der sie zunächst als Häuserfront in einer Straße Roms konfrontiert werden. Auf den Wänden bewegen sich animierte Graffiti und spulen in schnellster Folge herunter, was die monumentalen Filme als Muster von ›Antike‹ in den populärkulturellen Vorstellungen des europäischen und amerikanischen 20. Jahrhunderts geschaffen haben: Wagenrennen, Gladiatorenskizzen und ein blutig explodierender Kopf erinnern an Schlachtszenen und andere zentrale Motive der Antikefilme der 1950er und -60er Jahre; ein Phallus weckt Assoziationen zu Body-Building-Männern, die als Sex-Symbole die Hauptrollen der Hercules- und Maciste-Filme der 1950er Jahre spielten,9 oder auch zu verführerischen Kleopatras; die Wölfin mit den zwei Säuglingen, oder die weibliche Figur, die aus einem explodierenden Kopf geboren wird wie Athene aus dem Kopf von Zeus evozieren Reminiszenzen des griechisch-römischen Mythos. Wie in einem Musik-Clip folgt im schnellen Schnitt ein Geschichtenfragment auf das andere – im Übrigen ist dieser Vorspann tatsächlich nach dem 9

Vgl. Dall’Asta (1992), Farassino/Sanguineti (1983) und Späth/Tröhler (2008: 183-185). 127

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Rhythmus der Musik geschnitten. Und jedes dieser Fragmente ist gewissermaßen ein Versprechen, das die Lust auf Erzählung kitzelt. Doch dies ist erst die eine der zwei Welten, die der Vorspann zeigt – unablässig werden die animierten Graffiti durchschritten von Menschen in ärmlichen Kleidern; sie spazieren durch das Bild, nehmen teilweise den Blick auf die Wandkritzeleien und geben ihn wieder frei. Mit diesem Vorspann kündigt Rome die Spannung an, die für die Serie Konzept ist: Sie knüpft an das Spektakel der konventionellen Antikebilder an und konfrontiert sie zugleich mit dem ›realen‹ Alltag der kleinen Leute; ja, selbst die Anspielungen auf Schlachten und Gladiatoren und Mythos werden in Form von Graffiti gezeigt, d.h. in einer Form, die nicht auf großartige Kunstwerke und monumentale Filmaufnahmen, sondern auf die simple Aktivität von einfachen Leuten verweist: auf alltägliche Menschen, die Wände bekritzeln. Damit situiert sich die Serie von Beginn an in einem spezifischen Segment der Soap Operas: Sie präsentiert sich schon mit dem Vorspann als sogenannte Quality Soap respektive als Quality Drama Series.10 Dieser Typ von Serie entwickelte sich in den USA in den 1980er Jahren aus werbestrategischen Gründen: Die amerikanischen Fernsehketten sahen sich mit dem Anliegen der Werbeindustrie konfrontiert, auf ein bestimmtes Zielpublikum gerichtete Werbekampagnen lancieren zu können. Als erste suchte die Fernsehkette NBC – schnell von den andern Netzwerken gefolgt – »nach Programmformen, die ein junges, höher gebildetes, sozial besser gestelltes und deshalb auch überdurchschnittlich kaufkräftiges Publikum an sich binden konnte« (Müller 2001: 129). Dies gelang mit einem neuen Konzept von Serien, die sich durch drei grundlegende Merkmale von Fortsetzungsgeschichten wie Dallas oder Denver Clan (US-Titel: Dynasty) unterscheiden, aber auch von den Abfolgen abgeschlossener Episoden, wie sie etwa die Krimiserien Columbo oder Derrick vorführen. 1. Eine Quality Drama Series findet ihre Kohärenz in einem gesellschaftlich und zeitlich klar definierten situativen Ort, beispielsweise in der Situation eines Krankenhauses (wie in Emergency Room), in einem Polizeirevier (wie in New York Police Department Blue) oder in einer ganzen Kleinstadt (wie in Northern Exposure),11 kurz: Es ist ein spezifischer Ort, der eine ›realistische‹ Basis12 bildet mit gesellschaftlichen Regeln und Zwängen und Konflikten, worin die Serie ihre Identität findet. Im Unterschied zu den etablierten Serien sind es also nicht Ereignisket10 Zum Folgenden vgl. Feuer (2007) und Müller (2001). 11 Nähere Angaben dazu: Müller 2001: 137, Anm. 3, 5, 7. 12 Vgl. Feuer (2007), die eine Verbindung zwischen Quality TV und Reality TV herstellt. 128

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ten wie in Dallas und auch nicht die Figur eines Helden wie in Columbo, es ist ein spezifischer Chronotopos, um mit Michail Bachtin zu sprechen,13 d.h. es ist ein historisch-gesellschaftlich situierter Ort, der im Quality Drama die Serie zusammenhält. 2. Die einzelnen Episoden der Quality Drama Series bilden zwar durchaus in sich abgeschlossene narrative Einheiten mit Schwerpunkt auf einem spezifischen Konflikt; diese Konflikte aber sind gewissermaßen Fallbeispiele für die Konfliktfelder des Chronotopos insgesamt, die alle Episoden durchziehen.14 3. Es gibt in diesen neuen Formen der Quality Drama Series nicht eine einzelne Heldin oder einen einzelnen Helden, sondern konsequent plurale Figurenkonstellationen;15 ebenso wenig werden dem Publikum Identifikationsfiguren oder Sympathieträger angeboten: Die Figuren handeln in den Konflikten ihres Arbeitsalltags; sie stellen sich diesen Konflikten, ohne die perfekte Lösung zu kennen oder zu finden. Quality Soaps zeigen deshalb melodramatische und komplexe Geschichten,16 die kein Happy End haben können – und verstärken gerade auch dadurch ihre Realitätseffekte. In der Serie Rome wird der Chronotopos durch die Stadt Rom und die Orte gebildet, zu denen Pullo und Vorenus als Angehörige von Caesars XIII. Legion in den Jahren zwischen dem Sieg Caesars über die keltischen Aufständischen unter Vercingetorix bei Alesia und der Ermordung Caesars (d.h. zwischen 52 und 44 v. Chr.) verschlagen werden. Und die Konfliktfelder, die die ganze Serie durchziehen, sind die Auseinandersetzungen der Vorgeschichte des Bürgerkriegs und dann des Krieges zwischen Pompeius und Caesar – die Kämpfe um politische Vorherrschaft, die informellen Machtpraktiken in Familien und Heiratsbeziehungen, die Situation von Soldaten zwischen Heeresdienst und der Rückkehr ins zivile Leben, das Dilemma von einfachen Bürgern und von Aristokraten, zwischen den Bürgerkriegslagern zu stehen und sich gleichwohl für eine Seite entscheiden zu müssen. Rome zeichnet sich als Quality Soap 13 Vgl. Bachtin (1989) und Wegner (1989). Tröhler (2007: 213-223) diskutiert die Möglichkeiten, den literarischen Begriff des Chronotopos auf Bilder zu übertragen. 14 Müller (2001: 130) spricht von »topikalischen Strukturen, die die einzelnen Intrigen gleichsam transzendieren«. 15 Grundlegend zu Filmen, in denen Gruppen von Figuren an die Stelle des konventionellen Hauptdarstellers treten: Tröhler (2007). 16 Mittell (2006) vermeidet, wie schon der Titel seines Aufsatzes zeigt, eine Bezeichnung wie Quality Drama und spricht von der »narrative complexity«, die die neueren Serien kennzeichne. 129

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aus, indem die Serie diese Konflikte in Szenen des Alltäglichen übersetzt.

Das Spektakuläre des Alltags In der Serie Rome sind die historischen Ereignisse der Bürgerkriegsjahre durchaus präsent, aber sie werden nicht nur aus der Perspektive der Heerführer Caesar und Pompeius gezeigt – vielmehr wird diese Position der Mächtigen mit dem Blickwinkel des Zenturio Vorenus und des Legionärs Pullo konfrontiert, und ebenso mit der Sichtweise der Frau des Vorenus, Niobe, jener von Caesars Nichte Atia mit ihren Kindern Octavia und Octavius, der Perspektive von Servilia (erst Caesars Geliebte, später seine erbitterte Feindin) und ihres Sohnes Brutus. Im Unterschied zum konventionellen Antikefilm stellt nicht das Schlachtfeld das Spektakuläre dar, sondern die Straßen Roms. Greifen wir als Beispiel eine Szene aus der ersten Episode17 heraus (9'21''-12'28''): in der neunten Minute führt die Episode, die im Heerlager Caesars in Gallien bei der Unterwerfung des Vercingetorix eingesetzt hat, die ZuschauerInnen nach Rom; das erste Bild zeigt Pompeius, der um seine verstorbene Gattin Iulia, die Tochter Caesars, trauert,18 aber gleich von einem Sklaven auf die Straße gerufen wird; dort führen Soldaten Caesars Kriegsbeute aus dem Gallienfeldzug vor und werfen Goldschmuck unter die jubelnde Menge. Auf der Straße werden gleich auch die politischen Hauptfiguren eingeführt: Cato und Scipio, die Gegner Caesars, und Cicero, der Unentschlossene zwischen den Fronten. Die Kamera richtet sich dann auf eine rein fiktionale Figur, den Juden Timon, den sie durch die höchst belebten Straßen begleitet – inmitten eines Gewimmels von herumstehenden, Karren schiebenden, Brote transportierenden, feilschenden Menschen, vorbei an einem hämmernden Schmid, dem Rauch offener Feuer, einem Wagen mit Fässern, dunkelhäutigen Wäscherinnen mit farbigen Kopftüchern, einem Gemüsestand, einer geschlossenen Sänfte. Timon führt einen edlen Schimmel zum Haus der Atia, der Nichte Caesars. Er ist ihr Leibwächter und Mann für alle Geschäfte: Nach einem Schnitt zeigt die nächste Einstellung die 17 Hier und im Folgenden verweisen die Referenzen auf die erste Staffel, die 2006 von HBO als DVD-Kassette publiziert wurde. 18 Die Serie führt hier chronologisch zwei Ereignisse zusammen, wie dies antike Schriftsteller – etwa Plutarch in seinen Parallelbiographien – ganz selbstverständlich als Stilmittel praktizierten: Iulia war 54 gestorben, und dieser Tod wird nun ›herunterdatiert‹ und mit dem Sieg über die Kelten unter Vercingetorix in Zusammenhang gestellt, den Caesar und seine Armee im Jahre 52 errangen. 130

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nackte Atia beim Koitus mit Timon, sie ›reitet‹ auf ihm und stellt denn auch gleich nach dem Orgasmus sachlich und überlegen auf ihn herunterblickend fest, das sei »lovely« gewesen; zwei Hengste seien heute nach Rom gekommen – und als Timon sich etwas enttäuscht in die Erkenntnis schickt, dass Atia ihm nur ihre Gunst gewährte, um den andern Hengst kaufen zu können, tröstet sie ihn mit der Bemerkung, das habe sie keine Überwindung gekostet, denn »goaty little men« hätten für sie schon immer etwas pervers Erotisches gehabt. Zunächst sind die Straßen Roms in dieser ersten Szene in der Stadt das Spektakel – und dies ist der erste wichtige Aspekt der Attraktion dieser Serie. Als ›Filmische Attraktion‹ bezeichnet man Bildelemente, die für die Geschichte, den Plot, eigentlich überflüssig sind (vgl. Cosgrove 2002), zugleich aber die ZuschauerInnen fesseln und eine Stimmung vermitteln. Hier lässt sich eine klare Überlegenheit des Bildes über den Text feststellen: Diese Attraktion vermag Geschichtsschreibung, die Darstellung von Geschichte als Text, nicht zu leisten – denn die Erzählung führt Historie als »länglich« vor und kann ihre Eigenart des »Haufens« nicht wiedergeben. Die Serie Rome kostet die Möglichkeiten bildlicher Darstellung aus: Auf den Straßen Roms wimmelt es von Figuren in allen Hautfarben, von Tätigkeiten aller Art. Die Produzenten der Serie, allen voran Bruno Heller, der das Drehbuch für die meisten Episoden verfasste, erklären denn auch, es sei ihnen darum gegangen, das Bild einer Stadt zu vermitteln, die wohl am ehesten einer Metropole des Südens wie Bombay oder Kalkutta geglichen habe.19 Ein zweiter wichtiger Aspekt der Attraktion der Serie, der in dieser Szene gleich deutlich herausgestellt wird, ist die Exhibition weiblicher und männlicher Körper in Sex-Szenen. Atia, die Nichte Caesars, wird hier auf eine Weise eingeführt, die erstaunliche Parallelen zur antiken Geschichtsschreibung entdecken lässt: Ein Tacitus charakterisiert die jüngere Agrippina, Gattin des Kaisers Claudius und Mutter von Nero, als eine Frau, die ihren Körper bewusst und ganz rational einsetzt, um ihre politischen Ziele zu erreichen.20 Dass eine solche Darstellung von Frauen 19 Vgl. die Interviews mit dem »Executive Producer« und Drehbuchschreiber Bruno Heller und mit dem »Historical Consultant« Jonathan Stamp auf der Specials-DVD unter dem Titel »The Rise of Rome«. 20 Etwa in Tac. ann. 12.7.3: nihil domi impudicum, nisi dominationi expediret« – »keine Sittenlosigkeit gab es in ihrem [scil. Aggripinas] Haus, außer sie diente ihrer Herrschaft«; oder in Tac. ann. 12.65.2 wird Agrippina durch den Freigelassenen Narcissus mit der Bemerkung charakterisiert, ne quis ambigat decus pudorem corpus, cuncta regno viliora haberi – »nichts gelte ihr Ehre, Keuschheit und der eigene Körper, alles sei ihr weniger wert als die Herrschaft«. Vgl. die ähnlichen Umschreibungen des rationalen 131

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wohl mehr den Männerphantasien antiker Geschichtsschreiber verdankt als historischer Wirklichkeit, kann ich hier nicht genauer erläutern.21 Festhalten lässt sich, dass die Serie für Atia in Bilder umsetzt, was Tacitus für Agrippina beschrieb: Sie habe sich die Unterstützung von politisch wichtigen Männern gesichert, indem sie sie mit einer ehebrecherischen Liebschaft »umstrickt« und »an sich gebunden« habe.22 Atia lässt sich in der beschriebenen Szene mit dem ihr gesellschaftlich weit untergeordneten Timon ein, um sich seiner Ergebenheit zu versichern – und zugleich verweist sie ihn mit ihrer überlegenen Haltung auf seinen Platz und macht ihm ihre berechnende Absicht klar: Sie will von Timon das »schönste Pferd in Rom« erhalten, um es von ihrem Sohn Octavius – dem späteren Augustus, den wir in der ganzen ersten Staffel als Jungen zwischen etwa zwölf und sechzehn Jahren23 sehen – zu ihrem Onkel Caesar nach Gallien bringen zu lassen, als Gratulationsgeschenk zu dessen Sieg in Gallien. Das Spektakuläre der Serie Rome wird mit einem großen Ausstattungsaufwand – zur filmischen Attraktion gehört neben Straßenszenen und Sex auch das Dekor der Innenräume und das Dekor der Körper: Kleider, Schminke und kunstvolle Haartrachten – vor Augen geführt, doch möglich ist dies nur mit der Inszenierung von handelnden Figuren. Und hier stellt sich die grundlegende Frage, inwiefern mit fiktiven Figuren Geschichte dargestellt werden kann.

Historische Figuren und fiktive Figuren Eine Szene aus der zweiten Episode soll Ausgangspunkt sein, um die Problematik der Fiktionalisierung von Figuren zu diskutieren: Die Szene führt die Heimkehr des Lucius Vorenus vor, des Zenturios aus Caesars Armee (Episode 2, 10'11''-12'42''). Zusammen mit dem Soldaten Titus Pullo hat er Octavius, Atias Sohn, zu seiner Mutter zurückgebracht, die Einsatzes der impudicitiae für Poppaea Sabina: neque adfectui suo aut alieno obnoxia, unde utilitas ostenderetur, illuc libidinem transferebat – »sie gehorcht weder dem eigenen Gefühl noch jenem von andern, wo sich Nutzen zeigt, dorthin wendet sie ihre Lüste« (Tac. ann. 13.45.3). 21 Dazu ausführlich Späth (2000); vgl. auch Joshel (1997). 22 Vgl. Tac. ann. 12.25.1 zur Beziehung zwischen Agrippina und dem Freigelassenen Pallas: er ist stupro eius inligatus, »durch den Ehebruch mit ihre verbunden« und deshalb von ihr »umstrickt«, obstrictus. 23 Auch wenn Octavius historisch im Jahre 44 neunzehn Jahre alt ist, wird er in der ersten Staffel vom gleichen Schauspieler dargestellt, der eher einem fünfzehnjährigen Jugendlichen gleicht. 132

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ihn mit ihrem Geschenk, dem Schimmel, nach Gallien zu Caesar geschickt hatte. Nun geht Vorenus durch die Straßen – mit Rauch, Bettlern, Schafen, die gemolken werden – seinem Haus entgegen. Nach acht Jahren Gallienfeldzug sieht er im Innenhof erstmals wieder seine Frau Niobe und seine Töchter. »You are alive?!« ruft Niobe mit erstauntbeunruhigtem Ausdruck aus; Vorenus entdeckt einen Säugling auf den Armen seiner Frau, und seine ersten Worte sind: »What child is that?«. Der Erklärung seiner Frau, es sei das Kind der älteren Tochter, mag er nur halb glauben; Niobe eilt die Treppe des Hofs hinauf ins Obergeschoss, drückt der Tochter den Säugling in die Arme; Vorenus folgt ihr, zum ersten Mal huscht ein Lächeln über sein Gesicht, als er die zwei Mädchen sieht. Die jüngere Tochter schreckt vor dem fremden Mann zurück; »Girls, this is your father«, sagt die Mutter zu den Töchtern, und heißt sie, den Vater so zu begrüßen, wie sie es gelernt hätten: auf den Knien. Eitel Freude und Erleichterung ist es nicht, was Niobe bei der unangekündigten Rückkehr ihres Mannes zu erkennen gibt. Später in der gleichen Episode hören die ZuschauerInnen – und hört im Versteckten auch Vorenus – Niobe im Dialog mit Pullo erzählen, wie sie acht Jahre gewartet habe, geplagt durch Alpträume von Schlachten, an deren Ende sie ihren Mann blutend im Schlamm liegen sah (vgl. Episode 2, 34'14''36'05''); zusätzlich lässt das Drehbuch Niobe im Gespräch mit Vorenus erklären, seit einem Jahr sei kein Sold mehr angekommen, und sie habe nur die Auskunft erhalten, in diesem Falle müsse ihr Mann tot sein. Für die ZuschauerInnen – nicht aber für Vorenus – wird dann auch spätestens am Ende der Episode, als Niobe dem angeblichen Kind der älteren Tochter die Brust gibt, klargestellt, dass der verstörte Blick der Niobe angesichts des tot geglaubten Ehemannes seinen handfesten Grund hat: Aus der Liebschaft zwischen Niobe und ihrem Schwager Euander ist dieses Kind entstanden. Man könnte sich diese Szene vornehmen, um manche Unwahrscheinlichkeiten und Anachronismen zu analysieren. Dass Sold an Familienangehörige ausbezahlt wird, ist wohl eher den Vorstellungen eines modernen Sozialstaates zuzuschreiben als römischen Verhältnissen, und dass ein Offizier über acht Jahre keine Möglichkeit haben sollte, mit seiner Frau in Kontakt zu treten, mutet seltsam an – auch wenn in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Analphabetismus in Unterschichten aufzuwerfen wäre.24 Wollen wir uns jedoch nicht auf die Suche nach his24 Aus historischer Sicht kritisch zu fragen wäre zudem, ob es solche Situationen in römischer Zeit tatsächlich gab: Wir wissen, dass Soldaten während ihrer Dienstzeit (die bis zu 25 Jahre dauern konnte) nicht befähigt waren, eine legitime Ehe einzugehen; für Zenturionen scheint die Situation weniger klar festgelegt gewesen zu sein. Wenn Soldaten in Ehe-ähnlichen Be133

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torischen Ungenauigkeiten verlegen, sondern vielmehr fragen, was die Szene an historischen Problemstellungen anspricht, so drängt sich die Folgerung auf, dass hier eine ›Rückkehr des Kriegers‹ angesprochen wird, über die wir aus antiken Quellen schlicht nichts wissen: eine Rückkehr des Kriegers auf der emotionalen Ebene der betroffenen Einzelpersonen. Die Thematisierung einer solchen Problemstellung ist nur möglich, weil die bildliche Darstellung von Geschichte über fiktive Figuren erfolgt. Allerdings ist zwischen unterschiedlichen Fiktionalisierungen von Figuren zu unterscheiden: Die Serie Rome setzt erstens rein fiktionale Figuren ein, zweitens fiktionale Figuren mit historischen Namen, und drittens historische Figuren. Rein fiktionale Figuren sind etwa Niobe, ihre Töchter, und ihr Geliebter Euander, genauso Timon, Atias Leibwächter und Mann für schmutzige Geschäfte. Davon zu unterscheiden sind Figuren wie Pullo und Vorenus, Atia, Octavia oder auch Octavius: Antike Quellen erwähnen diese Namen und wir haben keinen Grund, an der Existenz dieser historischen Personen zu zweifeln – und gleichwohl treten sie in der Serie Rome als fiktionale Figuren auf. Octavius etwa, der spätere Augustus, wird in der Serie Rome als etwas altkluger und scharfsinniger, zuweilen kaltblütiger und zugleich schüchterner Junge in Szene gesetzt. Er weiß seine Umgebung und die Ereignisse genau zu beobachten, und andererseits muss ihn seine Mutter zwingen, sich in männlichen Tätigkeiten wie Schwertkampf oder Bordellbesuch zu üben. Nun ist zwar die historische Überlieferung für Augustus so dicht wie kaum für eine andere Person der Antike mit Ausnahme von Cicero, aber über die Jugend des Augustus vor seiner angeblichen testamentarischen Adoption durch Caesar im Jahre 44 besitzen wir gleichwohl keine verlässlichen Angaben. Und deshalb beruht seine Darstellung im Alter zwischen zwölf und neunzehn Jahren auf reiner Fiktion. Ich möchte diese Ausgestaltung von fiktionalen Figuren mit historischen Namen als Figurengestaltung nach dem ›Marbot-Prinzip‹ bezeichnen: In Marbot. Eine Biographie beschreibt Wolfgang Hildesheimer (1981) das Leben der erfundenen Figur seines Protagonisten im Umkreis von Goethe. Der Autor lässt den fiktiven Marbot mit Goethe sowie den historischen Figuren seiner Umgebung zusammentreffen, Gespräche führen und Reisen unternehmen. Hildesziehungen (contubernium) lebten, so waren sie oft von ihren Frauen begleitet, die sich in der Nähe des Feldlagers aufhielten und mit zum Tross gehörten. Die hier gezeigte Situation entspricht also eher einer Situation vor der marianischen Heeresreform, als tatsächlich freie römische Bürger aus ihrer zivilen Situation rekrutiert wurden – dann allerdings kaum für Feldzüge über acht Jahre, sondern für einige Wochen oder für das Sommerhalbjahr, die Kriegssaison. 134

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heimer hat für seinen Marbot aufs genaueste recherchiert und die wenigen Tage in Goethes Leben ausfindig gemacht, über die man überhaupt nichts weiß – und genau in diesen ›weißen Flecken‹ in der GoetheBiographie situiert er seinen fiktiven Helden. Auch wenn die ›weißen Flecken‹ im Leben einer Atia oder Octavia, eines Vorenus, Pullo oder Octavius sehr viel größer sind und keine vergleichbar akribische Recherche verlangen, wie sie Hildesheimer leistete, so kann gleichwohl die Ausgestaltung dieser Figuren in der Serie Rome nach diesem Prinzip erklärt werden: Zwar führt uns die Serie Rome Figuren vor, die historisch verbürgte Namen tragen, sie zeigt sie aber in Situationen, die gewissermaßen die ›weißen Flecken‹ der historischen Überlieferung sind. Ganz anders gestaltet sich der dritte Figurentyp der Serie Rome: Brutus und Cato, Cicero, M. Antonius, Pompeius und dann insbesondere Caesar und Kleopatra sind historische Figuren, für die nicht nur biographische Daten zur Verfügung stehen, sondern genauso bildliche Vorstellungen. Ich meine damit nicht nur die Porträtbüsten, die in den Museen stehen und in den Latein-Lehrbüchern abgebildet sind, von denen wohl all jene ZuschauerInnen Kenntnis haben, die das Privileg hatten, ein humanistisches Gymnasium zu besuchen. Vielmehr existieren über diese historischen Figuren sehr breite populärkulturelle Bildvorstellungen – historische Figuren wie Kleopatra oder Caesar haben Eingang gefunden in ein soziales Gedächtnis der amerikanischen und europäischen Kulturräume: auf der Bühne seit Shakespeare, in den Historienmalereien des 18. und 19. Jahrhunderts, in den Filmen seit der Erfindung des Kinos, und in den Comics mindestens seit dem ersten Band der Asterix-Serie, der vor einem halben Jahrhundert erschien. In all diesen auf Breitenwirkung angelegten Medien hat sich ein Bilderreservoir angesammelt, das die historischen Figuren mit konkreten Konturen versieht. Und deshalb zeigt sich in diesem dritten Figurentyp ein Grundproblem des historischen Films: In einem Film ist es immer der ganz konkrete Körper eines Schauspielers oder einer Schauspielerin, der die historische Figur darstellt. Damit tritt der Schauspieler-Körper in Konkurrenz zu den bildlichen Vorstellungen des Körpers der historischen Figur – sei das nun ein Bruno Ganz, der Adolf Hitler spielt, eine Liz Taylor in der Rolle der Kleopatra, eine Sandrine Bonnaire als Jeanne d’Arc oder Kirk Douglas als Spartacus. Der französische Filmtheoretiker Jean-Louis Comolli bezeichnet deshalb den »corps en trop« als Grundproblem des Historienfilms (Comolli 1977)25 – immer gebe es »einen Körper zu viel«: zwischen der Leinwand und dem Auge der BetrachterInnen respektive ihrer

25 Zu einer ausführlicheren Erläuterung des Problems am Beispiel der Spartacus-Figur vgl. Späth/Tröhler (2008: 170-172, 185). 135

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sozialen Erinnerung findet im Rezeptionsprozess ein Kampf statt. Und in diesem Kampf gewinnt entweder das etablierte Bild der historischen Figur und lässt damit den Schauspieler-Körper zur leeren Maske werden, oder es setzt sich der Schauspieler-Körper durch und lässt das Bild der historischen Figur verblassen. Eine dritte Möglichkeit möchte ich spezifisch für den in der Antike spielenden Historienfilm, und genauso für die entsprechenden Fernsehserien, postulieren: Da das Bild der historischen Figuren der Antike ohnehin schon aus einer großen Vielfalt von Bildern besteht, geht es darum, ob sich der neue Caesar-Schauspieler, die neue Kleopatra-Darstellerin auf eine Weise durchsetzen kann, die ihre Körper neu zu einem Teil des Bilderkaleidoskops der antiken historischen Figur werden lässt. Diese Bedingung des »Körpers zu viel« bestimmt maßgeblich das Casting und die schauspielerische Performanz mit: Eine historische Figur ist nie ein weißes Blatt, und die DarstellerInnen befinden sich zwangsläufig eingebunden in die Tradition der Bilder der Figur, die sie verkörpern. Man könnte diese SchauspielerInnen mit dem pater familias einer aristokratischen römischen domus, eines aristokratischen Hauses, vergleichen: Dieser ist immer der Nachfahre von Vorfahren, deren Ahnenbilder im atrium stehen – sofern sie Bedeutendes geleistet haben für die res publica. Sein Lebensziel ist es, den Ruhm der Ahnen zu erhalten oder, besser, zu vergrößern, dadurch sein eigenes Ahnenbild im atrium zu sichern und so zum bedeutenden Vorfahren von Nachkommen zu werden. Bei den SchauspielerInnen der Serie Rome geht es um den Wettstreit mit ihren KollegInnen in den – regelmäßig über die Weihnachts- und Ostertage von den Fernsehstationen programmierten – Antikefilmen insbesondere der 1950er und -60er Jahre, und um die Frage, ob eine Fernsehserie vergleichbar nachhaltige Bilder antiker Figuren im sozialen Gedächtnis hinterlassen kann wie die fürs Kino geschaffenen Monumentalfilme.26 Die unterschiedlichen Formen der Figuren-Fiktionalisierung erlauben es, Bilder einer Antike vorzulegen, die eine konventionelle, seriös auf Quellenarbeit abgestützte Geschichtsschreibung nicht entwerfen könnte: In Rome zeigen Menschen ihre Emotionen und – bei aller Problematik 26 Die sich ablösenden, überlagernden, konkurrierenden »SchauspielerInnenKörper« für antike Figuren im 20. Jahrhundert untersuchen Wenzel (2005) am Beispiel der Kleopatra (mit einer Filmographie von 95 Titeln seit 1899) und Späth/Tröhler (2008) am Beispiel des Spartacus in seinen unterschiedlichen Verkörperungen seit dem »Muskelmann« Mario Guaita im Spartaco von Giovanni Enrico Vidali (Italien, 1913). In der enzyklopädischen Sammlung von Antikefilmen, die Hervé Dumont kürzlich vorlegte (Dumont 2009), sind die Filme nach antiken Figuren geordnet aufgelistet und lassen sich ihre unterschiedlichen Verkörperungen leicht nachschlagen. 136

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einer Rückprojektion von Emotionalität, die für das aktuelle Fernsehpublikum nachvollziehbar sein muss und damit die grundlegende Differenz einer fremden Kultur wie der römischen ausblendet27 – so regt die Serie dazu an, diese historisch nicht nachweisbaren Aspekte römischer Geschichte in die historische Reflexion zumindest als Möglichkeit einzubeziehen. Damit führt uns Rome eine erste Variante experimenteller Geschichte vor, die sich in zwei weiteren Bereichen besonders gut beobachten lässt: Die Darstellung der Situation von Sklavinnen und Sklaven und der Strukturen und Praktiken der Macht lassen die Chancen, Geschichte nicht nur in filmischen Bildern, sondern in der spezifischen seriellen Form einer Quality Soap zu ›schreiben‹, besonders deutlich erkennen.

Experimentelle Geschichte I: SklavInnen in Rome und in Rom Den Begriff der ›experimentellen Geschichte‹ entleihe ich Daniel Milos Bemerkungen zur »experience pour voir«, dem »Experiment, um zu sehen, was geschieht«, die er dem von ihm herausgegebenen Buch Alter Histoire. Essais d’histoire expérimentale voranstellt (vgl. Milo 1991a). Er überträgt den Begriff von der medizinischen Forschung auf die Geschichte und zitiert den Physiologen Claude Bernard, der in seiner 1865 publizierten Introduction à l’étude de la médecine expérimentale schrieb: »Le physiologiste ne devra pas craindre d’agir même un peu au hasard afin d’essayer, qu’on me permette cette expression vulgaire, de pêcher en eau trouble. Ce qui veut dire qu’il peut espérer, au milieu des perturbations fonctionnelles qu’il produira, voir surgir quelque phénomène imprévu qui lui donnera une idée sur la direction à imprimer à ses recherches. Ces sortes d’expériences de tâtonnement, qui sont extrêmement fréquentes en physiologie, en pathologie et en thérapeutique, à cause de l’état arriéré de ces sciences, pourraient être appelées des expériences pour voir, parce qu’elles sont destinées à faire surgir une première observation imprévue et indéterminée d’avance, mais dont l’apparition pourra suggérer une idée expérimentale et ouvrir une voie de recherche« (Bernard 1984/1865: 50f., zitiert nach Milo 1991a: 24).

Ich schlage vor, die Serie Rome in diesem Sinne als eine bestimmte Form experimenteller Geschichte römischer Gesellschaft und Politik in der

27 Vgl. die harsche Polemik von Dupont (2007), die an den wesentlichen Aspekten der Serie vorbeizielt, aber gleichwohl berechtigte grundlegende Fragen aufwirft. 137

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spätrepublikanischen Zeit zu betrachten: Zwar bilden historisch bekannte ›Fakten‹28 eine Grundlage; die gezeigte und im Schauspiel verkörperte Geschichte jedoch füllt die Leerstellen in und zwischen diesen geschichtswissenschaftlich abgestützten ›Fakten‹ mit Hilfe der Fiktion. Auf diese Weise lassen sich neue Fragestellungen und neue Problembereiche entdecken – indem wir versuchen, uns mögliches Handeln vor Augen zu führen, können wir vielleicht auf neue Wege gelenkt werden, um tatsächliches Handeln von Akteuren der Geschichte auf unerwartete und neue Weise zu untersuchen. Eindrücklich führt in diesem Sinne die Serie Rome vor, was es bedeutet, wenn Sklavinnen und Sklaven in einer Gesellschaft omnipräsent sind – und welche Bedeutung ihnen im Alltag, in der Verwaltung und in der Politik zukommt. Zwar legt Rome großes Gewicht auf die Darstellung nur einer Seite der vielfältigen Lebensbedingungen von SklavInnen: Wir sehen fast ausschließlich die familia urbana, die Gruppen von Sklavinnen und Sklaven, die in der Stadt und vor allem in den großen Häusern der römischen Aristokratie tätig sind. Nicht gezeigt werden die SklavInnen der familia rustica, die Arbeitskräfte, die die Landgüter bewirtschaften; ebenso wenig sehen wir Sklaven, die etwa in Bergwerken eingesetzt werden und deren Lebenserwartung durch die Arbeitsbedingungen auf ein Minimum reduziert war. Mit dem Elend der Versklavung – das allerdings in der Antike nie zu grundsätzlichen Überlegungen über die Legitimität der Sklaverei Anlass war – wird das Publikum der Serie Rome nur ganz am Rande konfrontiert: Wir sehen etwa Lucius Vorenus auf dem Sklavenmarkt, wo er sich beim Sklavenhändler nach dem Stand des Verkaufs seiner aus Gallien mitgebrachten SklavInnen erkundigt – Vorenus erhofft sich aus dem Verkauf dieser Kriegsbeute eine solide finanzielle Grundlage, um sein ziviles Geschäft aufzubauen und die Forderungen seiner Frau Niobe nach materieller Sicherheit zufrieden zu stellen (Episode 2, 25'22''-26'00'').29 In moderner Sicht zynisch wirkt diese Szene, in der der Sklavenhändler Vorenus empfiehlt, die abgemagerten 28 Ich setze den Begriff in Anführungsstriche, weil ›Fakten‹ in der Geschichte bekanntlich nicht ›gefunden‹, sondern geschaffen werden durch die Geschichtserzählung, die (textuell – oder in Bildern) die (textuellen und stofflich-körperlichen) Materialien der Vergangenheit interpretiert. Vgl. Späth (2006) für eine ausführlichere Erörterung des Verhältnisses von außertextueller Realität und textueller Wirklichkeit. 29 Eine solche Form der Kriegsbeute entspricht kaum historischer Wirklichkeit: Soldaten nehmen SklavInnen nicht mit, sondern verkaufen sie direkt auf dem Schlachtfeld (gefangene Gegner) oder in der eroberten Stadt (Zivilbevölkerung) den im Tross der Armee immer präsenten Sklavenhändlern. 138

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Sklaven zuerst zu mästen, um dann einen besseren Preis zu erzielen – im übrigen wird Vorenus’ Rechnung nicht aufgehen: Alle Sklaven sterben mit Ausnahme eines kleinen Jungen. Doch diese Situation lässt sich mit einer ganz anderen konfrontieren: In der ersten Episode wird die Rückkehr des Brutus zu seiner Mutter Servilia gezeigt, nachdem er sich bei Caesar in Gallien aufgehalten hatte; wir befinden uns am Anfang der Serie, etwa im Jahre 50, als in Servilia die Liebe zu Caesar noch intakt ist. Entsprechend ist die Freude der Mutter über das Wiedersehen mit dem Sohn gepaart mit ihrer sehnsüchtigen Erkundigung nach Nachrichten von Caesar an sie; Brutus spannt Servilia mit scherzendem Lächeln auf die Folter und übergibt ihr dann einen Brief von Caesar, worin dieser von seiner »great affection« schreibt und Servilia versichert: »I long to be together and alone with you« (Episode 1, 28'26''-29'44''). Wichtig nun scheint mir in dieser Szene, dass Servilia schon zur Begrüßung ihres Sohnes von einer Frau in einfachem, blauen Gewand begleitet wird; nach Lektüre des Briefes reicht sie ihn dieser Frau, die sich über die Worte der Zuneigung freut und auf die Bemerkung Servilias, weshalb denn Caesar nur »affection« und nicht »love« schreibe, antwortet, ob sie etwa erwarte, dass er eine Harfe zupfe – »he is a soldier, not a poet!«. Die Frau im blauen Gewand ist »Eleni« – ihr griechischer Name identifiziert sie klar als Sklavin. Sie hat wohl in etwa das gleiche Alter wie Servilia, und damit könnte die Beziehung zwischen diesen zwei Frauen darauf hinweisen, dass sie collactaneae sind – ›Milchschwestern‹, weil die Amme mit Sklavinnenstatus ihrer eigenen Tochter und der freigeborenen Tochter ihrer Herren zugleich die Brust gab. Eleni wäre damit eine verna, ein hausgeborene Sklavin. Juristische und literarische Quellen weisen darauf hin, dass sich zwischen solchen Milchgeschwistern über den Unterschied des sozialen Status hinweg enge Beziehungen bis weit ins Erwachsenenleben hinein entwickeln konnten. Eleni, die Sklavin der Servilia, wird in dieser Szene als Vertraute ihrer Herrin eingeführt, und tatsächlich begleitet sie sie in der Serie Rome auf Schritt und Tritt. Das Pendant zu Elini für Servilia ist Merula30 für Atia: Hier deutet der Altersunterschied eher darauf hin, dass sie die Amme der Atia war – auch zwischen Ammen und einem von ihnen aufgezogenen Kind sind besonders enge, teilweise lebenslänglich vertraute Beziehungen in der Literatur bezeugt. Beide Herrinnen und ihre Sklavinnen werden in einer Szene der vierten Episode zusammengeführt: Zu Beginn eines Gelages, 30 Ein nicht eindeutig als Sklavenname erkennbarer Name: merula ist die Amsel (oder ein Instrument aus Ton, mit dem Amselgezwitscher nachgeahmt wird), aber auch das cognomen einer plebejischen Familia, deren bekanntester Vertreter L. Cornelius Merula ist, flamen Dialis, 87 nach der Vertreibung von Cinna an dessen Stelle zum Konsul gewählt. 139

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zu dem Atia aus Anlass der Rückkehr Caesars nach Rom einlädt, begrüßt sie Servilia; die zwei Konkurrentinnen um die Gunst Caesars stehen sich gegenüber, und im Schuss-Gegenschuss werden dicht hinter den beiden Eleni und Merula ins Bild gebracht – und nach der Abwendung von Servilia beschließt eine spitze Bemerkung Atias zu Merula über die »Absurdität«, dass Caesar sich zu einer Frau wie Servilia hingezogen fühlen könnte, die Szene (Episode 4, 21'01''-21'59''). Nicht nur Frauen haben ihre vertrauten Sklavinnen, auch Männer verfügen über ihre Vertrauenspersonen, die als Sekretäre und Berater dienen. Sehr prominent wird in Rome Posca, der Sklave von Caesar, herausgestellt – seine Stimme findet bei Caesar wesentlich mehr Gehör als selbst diejenige des engsten politischen Vertrauten, Marcus Antonius. Eine Szene der fünften Episode (4'11''-5'12'') – Caesar weilt noch in Rom, während Boten zur Vermeidung des Ausbruchs offener Feindseligkeiten zwischen ihm und Pompeius hin- und hergeschickt werden – führt Caesar bei der Rasur vor: Er sitzt, und während sich ein Barbier-Sklave seiner Bartstoppeln annimmt (womit die Serie nebenbei auch die sehr weitgehende Spezialisierung der Sklavenarbeit vorführt), erstattet Posca Bericht über einen aus dem Pompeius-Lager übergelaufenen Verrus Horta, der sein Leben ganz der Gnade Caesars anheim stellt; Caesar weist Posca an, dem Mann einen Beutel mit Geld zu schicken und ihn zu einem »quaestor or something« zu ernennen. Die folgende Information des Posca, Atia lade Caesar für den Abend zum Essen, verärgert den Feldherrn: Er weist die Einladung zurück und meint, er brauche dafür keine Entschuldigung, was Posca mit der Bemerkung kommentiert, das sei wohl eine nicht sehr weise Entscheidung, aber sicherlich eine mutige. Darauf Caesar: »They say slaves talk of bravery as fish talk of flying« – Posca bleibt die Antwort nicht schuldig: »They say that, do they? How very witty of them!« Caesar bringt bei aller Vertrautheit die Position des Sklaven klar zum Ausdruck, doch der intellektuelle und schlagfertige Posca akzeptiert und behauptet zugleich seine Position. Posca ist eine zentrale Nebenfigur in der Serie Rome – eine eigentliche Side-Kick-Rolle, wie im Film eine Figur bezeichnet wird, die zwar Nebendarsteller ist, ohne deren Präsenz aber die Geschichte der Hauptfiguren gar nicht erzählt werden könnte. Als Caesar mit seinen Truppen nach Griechenland übersetzt und Antonius zur Sicherung der Lage in Rom zurücklässt, stellt er Posca dem Antonius zur Seite – als unterstützenden Berater und zugleich zur Kontrolle des Antonius, dessen Triebbeherrschung nicht über alle Zweifel erhaben ist: Der Sklave ist, mit seiner Überlegenheit in der Einschätzung der politischen Lage und als unbedingt Vertrauter des Caesar, der eigentliche spiritus rector des Antonius (vgl. etwa Episode 6, 23'52''-25'26'').

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Nebst diesen Funktionen als intime Vertraute und Sekretäre werden Sklaven auch als Hausverwalter gezeigt – Atia etwa hat ihren Castor als eigentlichen Manager für das mittlere Unternehmen, das eine aristokratische domus ist.31 Die verschiedenen intimen und Sex-Szenen erlauben der Serie darüber hinaus, einen in moderner Sicht schwer vorstellbaren Aspekt einer Gesellschaft zu thematisieren, für die Sklaverei eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit ist: Schon in der oben angesprochenen Bettszene von Atia und Timon (Episode 1, 9'21''-12'28'') befinden sich um das Bett nicht nur eine Sklavin, die mit einem Fächer für frische Luft sorgt, und eine weitere Sklavin, die neben dem Bett bereit steht, sondern im Hintergrund sitzt auch Merula. Atia schnipst, kaum hat Timon seinen Orgasmus erreicht, mit den Fingern und erhält ein Trinkgefäss zur Erfrischung gereicht. In Episode 6 (38'46''-42'11'') sehen wir Atia beim folgenreichen Liebesspiel mit ihrem Liebhaber Marcus Antonius, und die Szene illustriert im übrigen, dass die Serie nicht nur weibliche, sondern durchaus auch männliche Körper als Attraktionsmoment32 verwendet. Nach der physischen Anstrengung, ins Bild gebracht mit Schweißperlen auf der Haut des Paares, ruft Atia nach Wasser, das ihr von Merula gereicht wird – und danach bringt Atia im trauten Gespräch ihr Anliegen vor: Antonius solle Caesar, der mit seinen Truppen in Griechenland in aussichtsloser Lage sei, fallen lassen und sie, Atia, heiraten, um durch diese verwandtschaftliche Verbindung mit einer der ältesten patrizischen Familien, den Iuliern, seine Vorherrschaft in Rom abzusichern. Antonius ist überrumpelt, fasst sich, und meint mit bösartigem Lächeln: »I had not realised until now what a wicked old harpy you are«. Atia quittiert die Beschimpfung mit einer Ohrfeige, Antonius schlägt zurück – und ein schneller Schnitt zeigt als nächste Einstellung Merula, die von ihrem Stuhl aufschnellt und in der rechten Hand einen Dolch hält. Die Amme von Atia – falls Merula denn die Amme sein soll –, verlässt ihre Herrin auch bei ihren sexuellen Aktivitäten nicht und ist jederzeit zu ihrer Verteidigung bereit. 31 Eine hübsche Szene ist Episode 4, 6'41''-8'51'', wo Posca dem Castor die Liste der Gäste bringt, die Caesar zum Gelage, das Atia zu seiner Begrüßung in Rom ausrichtet, eingeladen haben will: Die zwei Sklaven reden dabei auch über ihre Einschätzungen der HerrInnen. 32 Vgl. insbesondere auch Episode 4, 13'06''-16'07'' und die sehr explizite Inszenierung des Körpers von Antonius mit auto-erotischen filmischen Mitteln, die konventionellerweise im Film weiblichen Körpern vorbehalten sind. Zum Ersatz des Schlachtfeldes als Ort der Exposition von Männlichkeit in den monumentalen Antikefilmen durch das Bett als ›Schlachtfeld‹ des Beweises männlicher Potenz in der Fernsehserie legt Raucci (2008: 208 und passim) interessante Überlegungen vor. 141

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Dass diese Präsenz von SklavInnen auch im Schlafzimmer, dass ihre unverzichtbare Arbeit als Sekretäre und Verwalter an den Schaltstellen der Macht keine Erfindung der Fernsehserie ist, sondern durchaus römischem Alltag entspricht, davon zeugen manche historischen Dokumente. Hier und generell in der Darstellung der Omnipräsenz der SklavInnen sehe ich eine Chance fiktionalisierter Geschichtsdarstellung, wie sie uns die Serie vor Augen führt: Sie liefert für unser reichlich abstraktes Wissen konkretes Anschauungsmaterial, das die Bedeutungen solcher gesellschaftlicher Verhältnisse vorstellbar macht. So sehr die Serie auch in anderen Aspekten im Anachronismus der Konvention verharrt, so wagt sie es doch in dieser Inszenierung von SklavInnen, an modernen Erwartungen und etablierten Antikebildern zu kratzen und die Fremdheit der römischen Gesellschaft ins Bild zu setzen. Mit fremden Verhaltensweisen wird das Fernsehpublikum hier aber auch durch Atia konfrontiert, wenn es denn bereit ist, in ihr nicht nur eine intrigierende Frau, sondern eine Römerin zu sehen, die entsprechend der gesellschaftlichen und politischen Bedeutung der römischen Ehe ganz rational argumentiert. Selbstverständlich hätte wohl eine Römerin nicht in dieser expliziten Art einem Antonius auseinandersetzen müssen, welche Vorteile ihm die Ehe mit einer Frau aus der domus der Iulier einbringt. Aber die Argumentationslinie entspricht antiken römischen Auffassungen – und ebenso die Reaktion von Antonius: Er hat abzuwägen zwischen seinen Freundschaftsverpflichtungen gegenüber Caesar und seinem eigenen Vorteil, und er kommt zu dem Schluss, dass die Loyalität mit Caesar für seine Zukunft vorzuziehen ist. Dass die Entscheidung des Antonius, Caesars Aufforderung nachzukommen, ihm neue Truppen nach Dyrrhachion zuzuführen, im Bett mit Atia und als Reaktion auf ihre Provokation hin erfolgt, entspricht nun zwar mit Sicherheit nicht historischer Wirklichkeit. Ich möchte jedoch behaupten, dass sie uns dennoch eine wichtige historische Erkenntnis vermittelt: Politische Entscheidungen, wie sie die traditionelle Geschichtswissenschaft untersucht, beruhen auf Praktiken der Macht, die sich nicht nur und vielleicht nicht einmal hauptsächlich in institutionellen Strukturen abspielen, sondern die sich aus verschiedensten Kräfteverhältnissen ergeben – die Serie Rome zeigt Macht im Prozess ihrer Praxis und macht uns zugleich auf die Kontingenz der Geschichte aufmerksam.

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Experimentelle Geschichte II: Macht als Ergebnis von unzähligen Kräfteverhältnissen oder: die Kontingenz der Geschichte Was uns die Fernsehserie vorführt, ist gewissermaßen eine Illustration dessen, was Michel Foucault im ersten Band seiner Histoire de la sexualité begründet: Macht geht nicht von einem einzigen Zentrum aus, Macht ist nicht etwas, was entscheidet und verbietet, sondern Macht produziert Handeln und entsteht in den unzähligen Kräfteverhältnissen der Beziehungen zwischen hierarchisch ungleichen Personen (vgl. Foucault 1976: v.a. 121-129). Wenn Antonius eine politische Entscheidung im Bett der Atia trifft, wenn der Sklave Posca für Caesar eine eminente Rolle in der Eroberung der politischen Macht spielt, wenn das politisch entscheidende Handeln von Frauen der Elite wie Atia oder Servilia in Szene gesetzt wird, so führt Rome vor Augen, wie wir uns die Praktiken der Ausübung von Macht im Handeln unzähliger Akteure vorstellen und uns damit wohl sehr viel näher einer historischen Wirklichkeit annähern können als ausschließlich mit dem Studium politischer Institutionen. Nebst der besprochenen Szene mit Antonius führt die Serie zahlreiche andere Momente vor, wo politisch entscheidende Schritte Ergebnis von informellem Handeln jenseits der Institutionen und von unvorhersehbaren Zufällen sind, etwa Caesars Aufbruch aus Rom zur Verfolgung von Pompeius – als Konsequenz einer von Atia angezettelten Kampagne von Graffiti auf den Hausmauern Roms, in denen die Liebschaft von Servilia und Caesar obszön zur Denunzierung der Effeminierung des großen Feldherrn benutzt wird (Episode 5, 24'16''-26'00'' und 29'45''-31'44''), oder die neue Erklärung von Caesars Entschluss, den Rubicon zu überschreiten, der auf eine Wirtshaus-Schlägerei von Pullo zurückgeführt wird: Pullo, beim Würfelspiel in einer Spelunke von einem Falschspieler seines ganzen Geldes beraubt, tötet diesen mit einem Schwertstich in die Kehle. Als er und Vorenus später Marcus Antonius zum Senat begleiten, wo Antonius als Volkstribun sein Veto gegen die Erklärung von Caesar zum Staatsfeind einlegen soll, wird Pullo vom Chef der Bande, zu der der Falschspieler gehörte, angegriffen – die Folge ist, dass Antonius sich im Aufruhr nur unter bewaffnetem Schutz zurückziehen, sein Veto im Senat nicht einlegen kann; die hostis-Erklärung wird damit nicht zurückgenommen, der Angriff auf Pullo wird von Caesar als Angriff der Banden des Pompeius auf einen Volkstribunen betrachtet und damit zur entscheidenden Legitimation für seinen Marsch auf Rom – ein Musterbeispiel für eine fiktionalisierte alternative Geschichtserzählung, in der ›große‹ Politik mit dem Leben und Treiben einfacher Leute und der gewaltbereiten

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Halbwelt einer (in antikem Sinn) globalisierten Metropole verbunden wird (Episode 2, 19'11''-19'51'', 20'50''-22'22'' und 37'26''-39'06''). Eine solche Form experimenteller Geschichte legt eine gewagte Hypothese vor, die wohl eher als provozierender Gedankenanstoß denn als Versuch der Etablierung einer neuen Sicht auf faktuelle Ereignisabläufe zu betrachten ist. Ähnlich treffen wir am Ende der ersten Staffel von Rome auf einen – sicher auch hier nicht ohne ein Augenzwinkern im Drehbuch eingebauten – Vorschlag, den Mord an Caesar mit der ehelichen Untreue von Niobe, der Gattin des Vorenus, zu erklären; oder genauer: Die Serie zeigt, dass der geplante Mord hätte vereitelt werden können, wenn in der römischen Gesellschaft der pudicitia, der ehelichen Keuschheit von Ehefrauen freier Bürger, nicht ein so hoher Stellenwert zugekommen und Vorenus nicht von der sehr römisch-männlichen Angst geplagt gewesen wäre, seine Frau könnte ihm das Kind eines anderen unterschieben. In der zwölften Episode der Serie zeigt eine der letzten Szenen (33'45''-34'52'') Caesar auf seinem Gang in den Senat am 15. März 44, begleitet vom unentbehrlichen Posca und, gleich hinter ihm, Vorenus – dieser ist inzwischen in den Senatorenstand erhoben worden und dient Caesar zugleich als Leibwächter. Caesars Gang in den Senat wird von den Menschen bejubelt, die die Straßen säumen – unter ihnen auch Eleni, die vertraute Sklavin von Servilia, die nach Caesars Bruch mit ihr zu seiner erbitterten Feindin geworden ist. Eleni spricht Vorenus an, und der Hinweis, es gehe um seinen Sohn Lucius, genügt, um ihn zu bewegen, stehen zu bleiben – Eleni flüstert ihm, unhörbar für die ZuschauerInnen, ihre Nachricht von Servilia zu; worum es geht, wird mit FlashbackBildern aus der Erinnerung des Vorenus deutlich: der Schrecken im Gesicht seiner Gattin Niobe, einen Säugling auf dem Arm, bei seiner Ankunft in Rom (Episode 2, 10'11''-12'42''), ihre versteckten Wortwechsel mit dem Schwager Euander. Caesar fragt Posca auf den Stufen des Senatsgebäudes, wo denn Vorenus geblieben sei, dieser meint, eben sei er doch noch bei ihnen gewesen; »never mind«, ist die Antwort von Caesar, der durch das Tor des Senats tritt. Doch nicht nur Vorenus, die fiktive Figur, wurde mit Hinterlist aus der Begleitung Caesars weggelockt, sondern auch M. Antonius wird auf den Stufen vor dem Versammlungsraum aufgehalten – hier haben die Drehbuchautoren offenbar ihren Plutarch und Sueton gut gelesen, bis hin zur Bemerkung, noch im Sterben habe Caesar sich bemüht, seine Toga so zu drapieren, dass er eine würdevolle Leiche abgebe: Die Ermordung Caesars wird in Parallelmontage mit dem verstört durch die Straßen zu seinem Haus eilenden Vorenus ins Bild gesetzt, und die erste Staffel endet nicht nur mit dem Tod Caesars, sondern mit dem gleichzeitigen Suizid der des Ehebruchs überführten Niobe (Episode 12, 36'07''-40'10'').

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Die erste Staffel von Rome führt auf diese Weise die unauflösbare Verflechtung zwischen vermeintlich ›privaten‹ Dingen und der großen Politik vor Augen – man ist versucht, als eine Quintessenz der Serie den Nachweis zurückzubehalten, dass das ›Private politisch ist‹. Doch schon diese Formulierung wäre anachronistisch: Wir sehen in den zwölf Episoden, dass es in dieser römischen Gesellschaft nichts gibt, das als ›privat‹ im modernen Wortsinn bezeichnet werden könnte – alles Handeln hat seine politische Bedeutung, und die Macht wird uns vorgeführt als das Ergebnis von Bettgeschichten und Intrigen, von Beratungen durch Sklaven und Freundschaftsbeziehungen, Ergebnis auch des Ehrgeizes einzelner Männer und Frauen und der entsprechenden Rivalitäten. Und Macht zeigt sich ebenso als Ergebnis von Zufällen. Was die historischanthropologische, soziologische und Geschlechterforschung seit einigen Jahrzehnten erarbeitet hat, diese Erkenntnisse werden hier in bewegten Bildern und in Geschichten veranschaulicht, die uns dazu einladen, konkrete Vorstellungen zu diesen Erkenntnissen zu entwickeln.

Fernsehgeschichte(n) und Geschichtswissenschaft: Herausforderungen Einleitend hatte ich die Behauptung bejaht, dass die Serie Rome tatsächlich Geschichte auf den Bildschirm bringt. Es ist eine Form von Geschichte, die zur Geschichtserzählung zurückfindet – mit all den Problemen, die in den Debatten um die Narrativierung von Geschichte seit einem halben Jahrhundert diskutiert wurden und nach wie vor kontrovers besprochen werden. Jede Narration reduziert notwendigerweise die Vielfalt historischer Situationen und Ereignisse auf einige Erzählstränge. Gegen diese Reduktion richtet sich eine kritische Geschichtswissenschaft, die allerdings kaum ein breites Publikum erreicht (vgl. Rosenstone 1995): Sie präsentiert ihre Materialien, um Hypothesen zu begründen, und sie gibt damit aber auch ihren LeserInnen die Möglichkeit, aufgrund des vorgelegten Materials zu anderen Schlüssen zu kommen und andere Hypothesen zu bilden. Diese Aufgabe leistet die Fernsehserie genauso wenig wie eine andere, konventionelle Geschichtserzählung. Zugleich ist evident, dass erst die Reduktion der Komplexität historischer Wirklichkeit auf einige Erzählstränge eine populäre Vermittlung und damit Breitenwirkung von Geschichte möglich macht. ›Geschichte in serieller Form‹, wie sie uns Rome in der Form einer Quality Soap vorführt, ist eine Personalisierung und Emotionalisierung der Geschichte. Und trotz auf der Hand liegender Einwände sehe ich einen hohen Wert der seriellen Darstellung von Geschichte darin, dass uns hier eine Präsen145

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tation von Historie angeboten wird, die Ereignisse in der Einzigartigkeit des Zufalls und nicht als rein rationale Entscheidungen der ›großen Männer‹ erklärt – in Rome ist Geschichte auch von den ›Köchen‹ mitbestimmt, um an Brechts »Fragen eines lesenden Arbeiters« zu erinnern. Die ›Köche‹ sind hier in der Fernsehserie einerseits die Frauen, die ihre Fäden hinter den Kulissen des politischen Schauspiels spinnen, andererseits die männlichen Gefühle und die Herausforderungen, in der römischen Gesellschaft Männlichkeit permanent beweisen zu müssen, und schließlich sehen wir damit im Zusammenhang die ›Köche‹ der Geschichte am Werk in der Bedeutung einer Verletzung männlicher Ehre. So spricht Rome das Vorstellungsvermögen des Publikums an und vermittelt Stimmungen und Situationen in einem Spektakel (vgl. Haynes 2008), das in dieser Serie sich nicht nur auf aristokratische Eliten beschränkt, sondern deren Alltag mit jenem der kleinen Leute und mit dem Leben in den Straßen eines antiken Rom konfrontiert. In gewisser Weise erfüllt diese Form der Geschichtsdarstellung die Forderungen, die die antike Geschichtsschreibung bestimmten: Im antiken Rom musste Geschichte zugleich erinnern, belehren und unterhalten (vgl. Tatum 2008: 30ff.). Enargeia war das Ziel, das ein Geschichtsschreiber genauso zu erreichen trachtete wie der Redner: enargeia als die Kunst, den Zuhörerinnen und Zuhörern einen Sachverhalt so zu präsentieren, dass sie ihn eben nicht nur in Worten hörten, sondern ebenso gleichsam mit ihren eigenen Augen sehen konnten (vgl. Zangara 2007).

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IN DER SEELE DES ZENTURIO ODER: RÖMISCHE GESCHICHTE ALS SOAP

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JOURNALISTEN

UND

FÜR EINE BESSERE

ARCHÄOLOGEN î PARTNERSCHAFT

SIEBO HEINKEN

Historic subjects sell well in the German media. The relationship between scholars and journalists is, however, a difficult one. Journalists often lack the time, resources, and knowledge to write adequately about historical topics, while archeologists and historians don’t understand the conditions and necessities of the media. A new partnership is needed for the benefit of both sides. Historische Themen haben Konjunktur. Reportagen über archäologische Themen sind populär und gewinnen beste Sendezeiten, neue Magazine beleben den Markt. Geschichte verkauft sich gut (vgl. auch Abb. 1-4). Was bedeutet das für die Beziehung zwischen Wissenschaftlern und Journalisten? Profitieren beide Seiten von diesem Boom? Und wie ließe sich die Zusammenarbeit zu beider Nutzen verbessern? Um das zu untersuchen, sollte man zunächst einen Blick in die jüngere Mediengeschichte werfen. Zum Beispiel auf das Fernsehen Ende der 1960er Jahre. Am 24. Januar 1969, einem Sonnabend, strahlte die ARD von 14 Uhr an einen Wochenrückblick aus. Im weiteren Verlauf des Tages folgte Samstagnachmittag zu Hause – ein buntes Allerlei, nach der Tagesschau um 20 Uhr das Fernsehspiel Vor Himmelskörpern wird gewarnt und anschließend die Übertragung eines Balls im Deutschen Theater München. Nach dem Wort zum Sonntag wurde die Nationalhymne gespielt, dann war Sendeschluss. Wer dieses Programm genoss, brauchte viel Langmut. Das Fernsehen von heute sieht anders aus. Sendungen rund um die Uhr auf Dutzenden Kanälen. Der Unterhaltung sind keine Grenzen gesetzt, der Qualität auch nicht. Nach oben und nach unten. Die Medienwelt hat sich gewandelt. Wir stehen einem nie gekannten Angebot im Fernsehen, Radio und bei Zeitschriften gegenüber. Dazu kommt das Internet, das viele Jüngere inzwischen mehr anspricht als die traditionellen Medien – aber noch längst keine neue Erlösquelle für die Verlage darstellt. 151

SIEBO HEINKEN

Diese Vielfalt lässt sich sehr gut auch am Zeitschriftenmarkt ablesen. 1990 gab es in Deutschland 565 von der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) geprüfte Magazine. Im Jahr 2000 waren es 852 Blätter, heute gibt es 879 IVW-geprüfte Zeitschriften. Insgesamt konkurrieren 1.850 Titel um die Gunst der Leser. Das führt zu einem erheblichen Wettbewerb um Auflage und Werbung. Was nicht funktioniert, wird schnell wieder vom Markt genommen. Nischenprodukte haben es schwer, sich zu behaupten. Zudem erleben wir (auch durch die Konkurrenz des Internets) einen ständigen Rückgang der Auflage von Zeitschriften – mit einigen Ausnahmen im Durchschnitt zwei Prozent im Jahr. Das hat nicht erst in jüngster Zeit, aber verstärkt durch die Wirtschaftskrise, zur Folge, dass die Redaktionen immer kleiner werden. Auf der anderen Seite hat die Aufmerksamkeitsspanne der Rezipienten abgenommen. Eine Stunde konzentriert zu lesen fällt vielen inzwischen schwer. Nicht wenige Menschen beherrschen dieses kulturelle Handwerk kaum noch. Die Ungeduld ist insgesamt gewachsen. Lesen ist weniger erlebnis- als ergebnisorientiert. Texte werden seltener genossen – man scannt sie auf der Suche nach verwertbaren Inhalten. Verlernt ein Land also das Lesen? Lehrer und Professoren klagen über das Bildungsniveau ihrer Schüler, wie Pletter schreibt: »Bereits an Grundschulen arbeiten Lehrer mit vereinfachten Versionen von Kinderbüchern wie Pippi Langstrumpf, weil sie den Eindruck haben, dass viele Schüler die Originale nicht verstehen. Bei den Älteren geht es weiter mit Kleists ›Zerbrochenem Krug‹ und Shakespeares ›Romeo und Julia‹, aus denen komplizierte Sätze gestrichen werden. Universitätsprofessoren der Geisteswissenschaften berichteten den Autoren einer Studie der Universität Dortmund nicht nur von ›Lesefaulheit‹, sondern von ›intellektueller Legasthenie‹ ihrer Studenten. Die wenigsten seien in der Lage, komplexe und abstrakte Texte zu durchdringen« (Pletter 2009: 17).

»Lesen hat [...] eine enorme Beschleunigung erfahren und ist daher sehr viel oberflächlicher, schlampiger geworden«, sagt auch der Medientheoretiker Norbert Bolz. »Aus Zeitgründen kann man nicht mehr vertiefen und innehalten. Qualitäten wie Nachdenklichkeit und Besonnenheit werden daher in unserer Gesellschaft nur noch in extrem kultivierten Ausnahmefällen erreicht« (Bolz 2006: 26). Ungeachtet der kulturkritischen Aspekte führt dieses veränderte Rezeptionsverhalten dazu, dass Magazinbeiträge heute anders gestaltet werden müssen als noch vor wenigen Jahren, um den Geschmack der Leser zu treffen. Die Texte werden kürzer. Fotos und Grafiken kommt eine überragende Bedeutung zu, um die Leser zu führen und beim Thema zu 152

JOURNALISTEN UND ARCHÄOLOGEN î FÜR EINE BESSERE PARTNERSCHAFT

halten. Überdies stehen die Medien unter großem wirtschaftlichem Druck. Quote, Auflage, Anzeigenaufkommen stecken den Rahmen. Journalisten bleibt weniger Zeit für gründliche Recherche. Historische wie auch naturwissenschaftliche Themen finden dennoch einen recht stabilen Absatz. Bild der Wissenschaft verkauft monatlich gut 100.000 Hefte, Damals liegt bei gut 30.000, GeoEpoche bei 170.000 (vgl. Informationsgemeinschaft zur Feststellung und Verbreitung von Werbeträgern e.V., IVW, 2009), Spiegel-Geschichte bei 100.000 (Verlagsangabe), National Geographic Deutschland bei etwa 200.000 verkauften Heften pro Ausgabe (vgl. IVW 2009).1 Bei National Geographic laufen Titelgeschichten über historische Themen fast immer gut (vgl. Abb. 1-3). Bei den Magazinmachern stellt sich ungeachtet des generellen Interesses an historischen Themen natürlich die Frage, wie sie die Leser stets aufs Neue für ihr Blatt begeistern. Wichtig ist die Glaubwürdigkeit. Ein erfolgreiches Magazin muss den Menschen Orientierung geben, Hintergründe liefern und diese einordnen, natürlich inhaltlich korrekt berichten. Die Leser müssen Vertrauen in ihre Zeitschrift haben, und dieses Vertrauen darf nicht beschädigt werden. Die Themen müssen Relevanz haben. Sie müssen die Menschen angehen. Historische Beiträge mit deutschem Bezug haben fast immer Bedeutung, weil sie auf ein Grundinteresse stoßen: Wer sind wir, woher kommen wir? Themen, die Parallelen zu heutigen Situationen und Problemen und mögliche Lösungen aufzeigen, werden ebenfalls als relevant wahrgenommen. National Geographic hatte im Juli 2009 zum Beispiel guten Erfolg mit einem Titelthema über Angkor Wat, in dem die Frage aufgeworfen wurde, ob die einst größte Stadt der Welt einem Klimawandel zum Opfer fiel (vgl. Abb. 4). Alle Medienkonsumenten wollen zudem unterhalten werden. Wenn Fernsehsendungen sie langweilen, zappen sie weiter. Wenn Magazine langweilen, werden sie beiseite gelegt. Das ist bei Zeitschriften nicht nur eine Frage der richtigen Ansprache und des packenden Textes, sondern vielmehr eine der optischen Aufbereitung. Hervorragende Fotos führen durch die Strecken, Grafiken erklären auch komplexe Sachverhalte auf einen Blick. All das wirkt sich auch auf die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Journalisten aus, deren Verhältnis durch gegenseitiges Unverständnis geprägt ist. Besonders in Magazinen geht es meist nicht darum, Funde oder Erkenntnisse nur zu vermelden. Journalisten müssen Ge-

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Alle Auflagenzahlen: Gruner+Jahr, Information des Deutschen Presse Vertriebs (DPV), auf Anfrage. 153

SIEBO HEINKEN

schichten erzählen, die ihre Leser fesseln und berühren. Sie müssen vergangene Zeiten über das Schicksal von Menschen oder spannende Ereignisse begreifbar machen. Dabei müssen sie sachlich korrekt berichten, aber auch spekulieren dürfen. Wie hat sich eine Schlacht abgespielt? Wie sah es damals aus? Was ist in den Leuten vorgegangen? Journalisten müssen ihre Leser in Geschichte eintauchen lassen. In der Praxis blicken sie jedoch zu sehr auf die Sensation, denn die bringt zunächst einmal Auflage und Quote. Der Fund der ältesten Skulptur eines Menschen ist spektakulär – die Geschichte dahinter zu erzählen zeitraubend und oft nicht zu leisten. Ein ansehnlicher Grabfund schafft es auf die Titelseite von Zeitungen – eine auserzählte Geschichte über Jenseitsvorstellungen alter Kulturen kaum einmal ins Blatt. Journalisten und ihre Redaktionen haben zu selten die Ressourcen, um die Geschichte hinter der Geschichte aufwendig zu recherchieren und zu schreiben: Wie lebten die Menschen einst, wie sah ihr Alltag aus, was waren ihre Sozialstruktur und Glaubensvorstellungen? Welche Bedeutung hat all das für uns heute? Oft können Journalisten auch nicht ermessen, welches der richtige Zeitpunkt ist, um eine Geschichte zum Beispiel über Archäologie zu schreiben – wann ein Thema ›reif‹ ist. Um das zu erfahren, müssten sie die Forschungen unter Umständen lange begleiten. Nicht selten fehlt aber auch das Fachwissen, um die Arbeit der Archäologen in den richtigen Kontext zu stellen. So kommt es manchmal zu schiefen Darstellungen, was Forscher frustriert und zusätzlich misstrauisch macht. Denn viele Archäologen und andere Geschichtsforscher haben immer noch Berührungsängste mit Medien. Manche halten es für ausreichend, wenn eine Dissertation oder eine andere wissenschaftliche Arbeit in einer kleinen Auflage in Unibibliotheken zur Verfügung steht – ohne zu bedenken, dass ihre Forschung in der Regel doch mit öffentlichen Mitteln finanziert ist und es daher eine Selbstverständlichkeit sein sollte, die breite Öffentlichkeit darüber zu informieren. Vor allem: Viele schätzen es nicht, wenn die Ergebnisse jahrelanger Forschung populär aufbereitet, vereinfacht und zugespitzt werden. Und wer enge Kontakte zu Journalisten pflegt, muss sich in Fachkreisen immer mal wieder des Vorwurfs erwehren, allzu populär und unwissenschaftlich zu sein. So manchen fällt es auch schwer, sich in die Notwendigkeiten und Qualitätskriterien journalistischen Arbeitens hineinzuversetzen. Daher passiert es zum Beispiel immer wieder, dass Redaktionen Fotos von gewiss wichtigen Ausgrabungen ablehnen müssen, auf denen aber nur Krüge oder Tonscherben zu sehen sind, daneben eine Maßleiste. Archäologen denken dokumentarisch, aber nicht in solchen erzählerischen

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JOURNALISTEN UND ARCHÄOLOGEN î FÜR EINE BESSERE PARTNERSCHAFT

Bildern, wie es die Beispiele aus National Geographic (Juli 2005) zeigen (vgl. Abb. 5 und 6). Ohne Zweifel müssen Journalisten Distanz wahren und Entwicklungen kritisch verfolgen. Dennoch sind sie und die Geschichtsforscher aufeinander angewiesen. Journalisten brauchen nicht nur Informationen, sondern vor allem spannende Geschichten, die sie ihren Lesern erzählen können. Auf der anderen Seite müssen die Wissenschaftler und ihre Institutionen die Öffentlichkeit suchen, um erfolgreich in politischen Gremien, Verbänden und anderswo um Unterstützung und Mittel zu werben. Sie müssen die Relevanz ihrer Tätigkeit belegen, und dabei können ihnen die Medien nützlich sein. Manche Forscher, vor allem einige Landesarchäologen und Museumsmacher, haben das sehr gut verstanden. Es wäre gewiss hilfreich, wenn sich Journalisten mehr als bisher in archäologische und andere historische Themen vertieften. Noch wichtiger wäre es aber, wenn die Forscher das Thema Öffentlichkeit neu definierten. Wenn sie sich klar machten, wie Journalisten arbeiten, und mehr Spaß daran hätten, mit ihnen zu kooperieren – selbst wenn das bedeutet, die Hoheit über Inhalte abzugeben. Und auch das darf nicht unterschlagen werden: Sowohl die Medien als auch die Wissenschaft haben einen Bildungsauftrag zu erfüllen.

Literatur Bolz, Norbert (2006): »Kein Respekt mehr vor Texten«. In: Börsenblatt vom 21. September 2006, S. 26. Pletter, Roman (2009): »Ein Land verlernt das Lesen«. In: Die Zeit vom 12. November 2009, S. 17. Informationsgesellschaft zur Feststellung und Verbreitung von Werbeträgern e.V. (IVW) (2009): »4. Quartal 2009«. In: www.ivw.de.

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SIEBO HEINKEN

Abbildung 1: Die Bronzezeit als Titelgeschichte.

Quelle: National Geographic Deutschland, März 2007: Titel. © National Geographic Deutschland.

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Abbildung 2: Stonehenge als Titelgeschichte.

Quelle: National Geographic Deutschland, Juni 2008: Titel. © National Geographic Deutschland.

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Abbildung 3: Die Maya als Titelgeschichte.

Quelle: National Geographic Deutschland, Oktober 2007: Titel. © National Geographic Deutschland.

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JOURNALISTEN UND ARCHÄOLOGEN î FÜR EINE BESSERE PARTNERSCHAFT

Abbildung 4: Angkor als Titelgeschichte.

Quelle: National Geographic Deutschland, Juli 2009: Titel. © National Geographic Deutschland.

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Abbildungen 5 und 6: Seiten aus der Reportage »Wie starb Tutenchamun?«.

Quelle: National Geographic Deutschland, Juli 2005: 44f., 46-48. © National Geographic Deutschland.

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›W I E VON

A U S G R Ä B E R A N G R Ä B T ‹: ÜBER DAS VERHÄLTNIS JOURNALISMUS UND ARCHÄOLOGIE MAN

CORNELIA VARWIG

Compared to many other scientific disciplines, archaeology is in the advantageous position of having a fascinated audience. In order to profit from this situation, archaeologists could benefit from cooperating with the media, which can function as mediator between the scientific community and the general public. However, since journalists are required to work within limited space and with limited resources, they are under pressure to select the most relevant cases from numerous topics. This selection follows particular criteria, often referred to as ›news values‹ in communication studies. The popular science magazine bild der wissenschaft is used as an example to demonstrate the kind of values that determine the selection of archaeological subjects, such as novelty, proximity, and surprise. Representing archaeology in the media always involves a balancing act between scientific precision and comprehensibility, as well as information and entertainment. Contrary to general belief, this paper argues that a high information density is compatible with a high entertainment value.

Einleitung Wer sind wir? Und woher kommen wir? Diese beiden Fragen lassen sich wohl mit einiger Berechtigung als bottom line der Archäologie bezeichnen.1 Aber nicht nur der Archäologie. Es sind Menschheitsfragen, die über die Grenzen der Wissenschaft hinaus den denkenden Menschen umtreiben. Wenn Relikte auftauchen, die die Ursprünge des Homo sapiens 1

So tat es auch der Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts Prof. Dr. Hans Joachim Gehrke auf der Tagung 2009 in Berlin und formulierte damit gleichermaßen Legitimation und Bedeutung der archäologischen und historischen Wissenschaft. 161

CORNELIA VARWIG

erahnen lassen oder solche, die ›älteste Kunstwerke der Menschheit‹ genannt werden, oder wieder andere, die die Auseinandersetzungen zwischen Römern und Germanen nachzeichnen, dann horcht der interessierte Laie hin – und damit auch der Journalist. Die Faszination für Archäologie rührt – als conditio humana, also als Bedingung des Menschseins – von dem Wunsch nach der eigenen Verortung in einer komplexen und unüberschaubaren Welt her. »Zudem kommt dieses Themenspektrum dem in der Gesellschaft weit verbreiteten Bedürfnis nach Herkunftsmythen entgegen«, sagte die Tübinger Kulturwissenschaftlerin und Museumsexpertin Anke te Heesen gegenüber der Südwestpresse (Petershagen 2009). Sie hatte Museumsleute und Ausstellungsmacher angesichts der strömenden Besucherscharen zu archäologischen Sonderschauen spekulieren lassen, woher die Lust auf Kelten & Co. wohl stammen möge. Führt man sich die Entstehungsgeschichte der Archäologie vor Augen, findet man mindestens eine weitere Triebfeder für das Graben nach der Vergangenheit, die nicht allein einem wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse, sondern einem viel fundamentaleren menschlichen Wesenszug entspricht: Es ist ein Konglomerat aus Entdeckerlust, Abenteurertum, Schatzsucher-Mentalität und Sammlerleidenschaft. Bevor die Archäologie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erstmals systematisiert und auf wissenschaftliche Beine gestellt wurde, gab es Pioniere von Ausgräbern und Sammlern – häufig vermögende Privatleute –, die Fundstücke aus persönlicher Leidenschaft und Freude am Exotischen zusammentrugen wie Trophäen und damit ganze Museen füllten (vgl. Schnapp 2009: 223ff.). Neben Numismatik, Epigraphik und topographischen Bestimmungen gehörte auch die Forschungsreise von Beginn an zu einem wichtigen Betätigungsfeld der Archäologie. Ägypten hatte dabei seit jeher eine besonders große Anziehungskraft. Der Archäologe Alain Schnapp spricht von einer »Manie für alles Ägyptische« und betont: »Seit Jahrtausenden, seit Herodot, hatten die Geheimnisse Ägyptens die Europäer gefesselt« (ebd.: 318). Die Begeisterung, die in den Pionieren steckte, lebt bis heute nicht nur in den Fachkreisen fort, sondern auch in Teilen der Allgemeinbevölkerung. Man denke nur an die große Zahl der aktiven Hobbyarchäologen, die eine von den hauptberuflichen Archäologen weitgehend akzeptierte, semi-professionelle ›Mittelschicht‹ darstellen. Die Wissenschaftslaien, die selbst keinen direkten Zugang zur hoch differenzierten Disziplin der Archäologie haben, wollen – als Leser, Hörer, Zuschauer oder Ausstellungsbesucher – ebenfalls Anteil nehmen an den Entdeckungen und Erkenntnissen der Profis. »Die Lust der Menschen auf eine Mischung von Wissen und Abenteuer ist deutlich spürbar«, stellte Christiane Dätsch vom Badischen Landesmuseum in Karlsruhe in der Südwestpresse fest

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ÜBER DAS VERHÄLTNIS VON JOURNALISMUS UND ARCHÄOLOGIE

(Petershagen 2009). Es gibt keinen Grund, warum Archäologen sich dieses Verlangen der Leute – über den ›Umweg‹ der Medien – nicht zu Nutze machen sollten. Wie groß das Interesse an archäologischen Themen ist, schlägt sich auch im Wissenschaftsjournalismus nieder. Für die populärwissenschaftliche Zeitschrift bild der wissenschaft2 heißt das: Die Archäologie nimmt in der Berichterstattung über wissenschaftliche Themen eine Sonderrolle ein. Zusammen mit der Astronomie ist sie den Lesern die liebste Disziplin – das sagen die Verkaufszahlen und bei Befragungen auch die Leser selbst. 2009 war die Oktoberausgabe mit dem Titelthema »Maya« das am meisten verkaufte Heft des gesamten Jahrgangs. Die Archäologen, die in der Regel einen öffentlichen Auftrag haben und im wesentlichen von der Allgemeinheit finanziert werden, sollten dieses Interesse der Mediennutzer ernst nehmen und sie an ihren Erkenntnissen teilhaben lassen. Was zugleich bedeutet: den Journalisten als Vermittlern Zutritt gewähren und ihnen die wissenschaftlichen Sachverhalte verständlich erklären. Die Notwendigkeit, darüber zu tagen und zu schreiben, zeigt: An dieser Schnittstelle gibt es mitunter Schwierigkeiten. Gleichwohl besteht der subjektive Eindruck: In der Mehrzahl der Fälle ›gräbt der Journalist den Archäologen erfolgreich an‹, sprich: die Kooperation funktioniert. Misslingt sie, kann das mehrere Ursachen haben. Aus Sicht des Journalisten gehören zu den Hauptproblemen falsche Erwartungen bzw. mangelnde Akzeptanz seitens der Archäologen, was die Auswahl und Art der Darstellung archäologischer Themen in den Medien betrifft. Bisweilen herrscht schlicht Uneinigkeit darüber, was relevant ist und was nicht. Archäologen kritisieren, dass Wichtiges ungesagt bleibt, oder bemängeln, dass der Journalist eine Erkenntnis überspitzt darstellt und damit womöglich verzerrt. »The susceptibility to inaccuracy or blatant misrepresentation remains a common matter of anxiety und mistrust towards media journalism. This is a concern that archaeology shares with many other disciplines« (Clack/Brittain 2007: 23). Eine Möglichkeit sollte nicht zu gering geschätzt werden: So, wie Medien die Produzenten von Banalitäten und Verbreiter von Vorurteilen sein können, vermögen sie diese auch aufzudecken und ihnen entgegenzuwirken. Der Grund für die unterschiedlichen Vorstellungen von Journalisten und Archäologen, wie man ein Thema angemessen dargestellt, ist ebenso einleuchtend wie banal: Journalisten haben eine andere Zielgruppe als Archäologen, damit auch andere Vermittlungsziele, und bedienen sich daher einer anderen Art der Darstellung. Daraus ergeben sich für den 2

Gegründet 1964 von Prof. Heinz Haber; erscheint in Deutschland und im deutschsprachigen Ausland; monatliche Verkaufsauflage knapp 100.000 Exemplare; rund 75.000 Abonnenten (Stand 2010). 163

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Journalisten noch vor dem Beginn der Textproduktion, nämlich bei der Themenfindung, andere Auswahlkriterien als für einen Archäologen, der seine wissenschaftlichen Erkenntnisse in Fachzeitschriften veröffentlicht. Ein Ziel dieses Beitrags ist es, mehr Transparenz in die journalistischen Mechanismen der Themenauswahl und -darstellung zu bringen.

Wie Themen in die Medien kommen Die Theorie der Nachrichtenfaktoren In Anbetracht der weltweit schier unüberschaubaren Zahl an Ereignissen scheint die Themenvielfalt unendlich zu sein – und doch ist sie es nicht. Nur solche Themen, die gewissen Kriterien entsprechen, haben eine Chance, Eingang in journalistische Erzeugnisse zu finden. Von Zufall und Willkür, die durchaus mitregieren, soll jetzt nicht die Rede sein. Die Selektionskriterien werden in der Kommunikationswissenschaft ›Nachrichtenfaktoren‹ oder ›Nachrichtenwerte‹ genannt3 – was nicht heißt, dass sie auf Nachrichten zu beschränken sind. Vielmehr lassen sich die Begriffe im Sinn von ›berichtenswert‹ auf beliebige Themen und journalistische Formate übertragen. Die Theorie der Nachrichtenfaktoren setzt voraus, dass kein Medium in der Lage ist, ein vollständiges Abbild der Realität zu bieten. Diesem Anspruch will und kann kein Journalist gerecht werden – denn was heißt schon ›die Realität‹? Der medialen Darstellung geht also immer eine Auswahl voraus – sowohl was das Thema an sich betrifft als auch dessen Umfang. Die Archäologen Timothy Clack und Marcus Brittain bezeichnen das treffend als »piecemeal view of reality« (Clack/Brittain 2007: 23). Das kann, je nach Medium, einen erheblichen Teil der Redakteursarbeit ausmachen. Gerade Archäologen und Historikern müsste diese fragmentarische Weltsicht bekannt vorkommen. Denn jeder archäologische Fund und jede historische Aufzeichnung fördern immer nur einen geringen Ausschnitt der Vergangenheit zutage. Und hierbei herrscht allemal der Zufall, denn was sich in der Erde, auf Bergen oder unter Wasser erhält, ist Sache der Natur. Wie viel und was davon entdeckt und ausgegraben wird, liegt auch nur im begrenzten Maß im Einflussbereich der Forscher. Die Situation ist im Vergleich zu aktuellen Ereignissen sogar noch extremer – 3

In der Kommunikationswissenschaft wird begrifflich zwischen ›Nachrichtenfaktoren‹ und ›Nachrichtenwerten‹ unterschieden. Im weiteren Verlauf dieses Beitrags wird aber zur Vereinfachung auf diese Unterscheidung verzichtet. 164

ÜBER DAS VERHÄLTNIS VON JOURNALISMUS UND ARCHÄOLOGIE

denn immerhin hat man bei letzteren die Chance auf einen direkteren und umfassenderen Zugang, nämlich dann, wenn man selbst dabei war. Im Fall der Archäologie wird niemals das ganze Bild erkennbar sein. Demgegenüber können die Medien zwar aus dem Vollen schöpfen, doch auch hier wird die Realität ausschnitthaft bleiben. Das Dilemma: Die Auswahl geht zwangsläufig mit Komplexitätsreduktion einher, und diese entspricht oder führt unweigerlich zu einer Verzerrung der Realität. Ob als Produzent oder als Rezipient von Medien – dieser Einschränkung sollte man sich bewusst sein. Eine Diskrepanz zwischen realem Ereignis und medialer Darstellung wird es also immer geben – das gilt sowohl für die Berichterstattung über Archäologie als auch für andere Sparten der Wissenschaft, sowie für Politik oder Wirtschaft. Welches Thema ausgewählt und mit welchem Umfang und Tiefgang es dargestellt wird, unterliegt einer journalistischen Relevanzentscheidung. Das heißt nicht unbedingt, dass ein Thema explizit nach einem Kriterienkatalog abgeklopft wird. Ein routinierter Journalist wird intuitiv zu den Themen greifen, die den gängigen Nachrichtenfaktoren entsprechen. Dazu muss jede Nachricht bzw. jedes Thema zunächst eine Berichterstattungsschwelle (news barrier) überschreiten, also eine Grenze, ab der eine Nachricht überhaupt für berichtenswert erachtet wird. Das kann von Medium zu Medium und von Journalist zu Journalist verschieden sein. Dabei gilt: »Die grundlegenden Auswahlkriterien sind das ›Wichtige‹ und das ›Besondere‹ gegenüber dem Unwichtigen, Gewöhnlichen und allseits Bekannten« (Fretwurst 2008: 2). Was man im Einzelnen darunter versteht, ist freilich diskussionswürdig: Denn was der eine kennt, mag dem anderen neu vorkommen, und was dem einen gewöhnlich erscheint, mag der andere sensationell finden. Bei der Nachrichtenbzw. Themenauswahl spielt also immer auch das Zielpublikum eine wesentliche Rolle. Der Entscheider versucht, Vorkenntnisse und Interessen der Rezipienten so weit wie möglich vorwegzunehmen und einzukalkulieren. Manche Faktoren können als allgemeingültig angesehen werden – wie etwa das alte Journalistenmotto ›Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten‹. Man kann darüber streiten, ob dieser Grundsatz wahr oder falsch, gut oder schlecht ist. Die journalistische Praxis zeigt jedoch in den meisten Fällen: Je größer die Katastrophe, je mehr Tote und Verletzte, je kostspieliger der Schaden, desto wahrscheinlicher ist es, dass ein Ereignis in den überregionalen Medien landet. Dieses Kriterium ist für die Archäologie freilich weniger relevant – außer es handelt sich etwa um eine Grabung in einer gefährlichen Region oder um Diebstähle archäologischer Kostbarkeiten. Hier wird – vermutlich größtenteils durch

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die Konkurrenz unter den Medien hervorgerufen – eine Problematik des Metiers deutlich: »[Die Kommunikationswissenschaftler] Kepplinger und Staab zeigen, dass Nachrichtenfaktoren recht einfach für die Legitimation subjektiver Auswahl instrumentalisiert werden können, da sie einen erheblichen Interpretationsspielraum lassen. So wird z.B. die Konflikthaltigkeit eines Diskurses übertrieben, ein ideeller Schaden behauptet, oder der Einfluss eines Akteurs überbewertet, um ein Ereignis berichtenswert erscheinen zu lassen. Die Kritik betrifft nicht das Nachrichtenprinzip, sondern seine Instrumentalisierbarkeit« (Fretwurst 2008: 29f.).

Trotz dieser Einschränkung ist es lohnend, sich die Nachrichtenkriterien etwas genauer anzuschauen. Als Vorreiter der Nachrichtenwerttheorie gilt der Journalist Walter Lippmann, der 1922 in seiner Arbeit Public Opinion erstmals eine solche Theorie konkret formulierte (Lippmann 1922). In den 1960er Jahren prägten dann die skandinavischen Wissenschaftler Einar Östgaard, Johan Galtung und Mari Holmboe Ruge die weitere Beschäftigung mit den Nachrichtenwerten (vgl. Östgaard 1965; Galtung/Ruge 1965). Die Ausrichtung der Gruppe vom International Peace Research Institute in Oslo auf Friedens- und Konfliktforschung erklärt, warum ihr Schwerpunkt auf der Außenpolitik und Auslandsberichterstattung lag. Bereits Östgaard suchte während seiner Arbeit nach verzerrenden Faktoren, ein Zeichen dafür, dass die Nachrichtentheorie von Anfang an den kritischen Part im Blick hatte. Galtung und Ruge (1965) definierten acht kulturunabhängige und vier kulturabhängige Nachrichtenfaktoren. Die erste Gruppe gilt ihrer Ansicht nach für alle Kulturkreise weltweit, die zweite sei je nach Kulturkreis unterschiedlich. Zu den kulturunabhängigen Faktoren gehören: • Frequenz (zeitlicher Ablauf eines Ereignisses entspricht der Erscheinungsweise der Medien) • Schwellenfaktor (oben genannte Berichterstattungsschwelle) • Eindeutigkeit (im Sinne von Überschaubarkeit eines Ereignisses) • Bedeutsamkeit (Tragweite und persönliche Betroffenheit) • Konsonanz (Übereinstimmung mit vorhandenen Vorstellungen und Erwartungen) • Überraschung • Kontinuität (was schon in den Medien war, hat eine höhere Chance, aufgegriffen zu werden) • Variation (zur Ausbalancierung eines gesamten Nachrichtenbilds dienlich)

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ÜBER DAS VERHÄLTNIS VON JOURNALISMUS UND ARCHÄOLOGIE

Zu den kulturabhängigen Faktoren gehören: • Elite-Nation (Ereignisse in Staaten, die für die eigene Situation wichtig sind) • Elite-Person (etwa Prominente aus Politik, Kultur oder Wirtschaft) • Personalisierung (Handlung von Personen) • Negativismus (Konflikt, Kontroverse, Aggression, Zerstörung, Tod) Für den Faktor ›Personalisierung‹, also die Darstellung der Handlung und des Schicksals einer einzelnen Person, machte der Kommunikationswissenschaftler Benjamin Fretwurst eine aufschlussreiche Entdeckung: »Eignet sich ein Ereignis für die Personalisierung, so wird es in mehr Nachrichtensendungen berichtet und besonders aufbereitet, aber die Rezipienten interessieren sich nicht dafür« (Fretwurst 2008: 7). Das ist deshalb bemerkenswert, weil auch Leser von bild der wissenschaft bei einer Befragung angaben, sie würden sich mehr für wissenschaftliche Entdeckungen interessieren als für die Personen, die sie gemacht haben. Würde man diese Ablehnung konsequent beherzigen, kämen Porträts oder stark personenbezogene Geschichten nicht mehr in Betracht – was der eine oder andere Wissenschaftler sicher bedauern würde. Zurück zur Theorie: In den 1970er Jahren erhielt die Nachrichtenforschung durch Winfried Schulz einen neuen Impuls (vgl. Schulz 1976). Er bezog sie nicht mehr nur auf politische Nachrichten, sondern interpretierte sie darüber hinaus epistemologisch um und stellte sie auf eine breite empirische Basis. Während die Nachrichtenfaktoren bisher als den Ereignissen innewohnende Eigenschaften verstanden wurden, machte Schulz sie zu Kriterien, die journalistische Hypothesen von Realität konstituieren. Damit statuierte er das Nachrichtenwertkonzept als Instrument journalistischer Gestaltung (vgl. Fretwurst 2008: 37ff.). Schulz nennt sechs Kategorien mit weiteren (im Folgenden nur teilweise genannten) Unterkategorien und Spezifizierungen (vgl. Fretwurst 2008: 41f.):

• • • • • •

Status (Elite-Personen oder -Nationen mit politischer oder wirtschaftlicher Macht) Relevanz (Nähe, Ethnozentrismus, Tragweite, Betroffenheit des jeweiligen Publikums) Dynamik (Frequenz, Ungewissheit bezüglich der Konsequenzen, Überraschung) Konsonanz (Stereotypie, Kontinuität) Valenz (Kontroverse, Werte, Erfolg, Aggression) Human Interest (Personalisierung, Emotionalisierung)

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Ob die Kategorisierung in allen Punkten gelungen ist, lässt sich diskutieren. Alle nachfolgenden Modifikationen und Erweiterungen des Modells wurden noch differenzierter, damit aber auch weniger pragmatisch. Zwei Selektionsfaktoren kamen indes noch nicht zur Sprache, die gerade für den Bereich der Archäologie relevant sind. Der eine ist die Sensation. Die ist zwar, wie Östgaard zu Recht einschränkt, ein schlecht greifbares Kriterium (vgl. Fretwurst 2008: 18). Doch bei den großen Entdeckungen werden sich Archäologen, Journalisten und Rezipienten sicher schnell einig – etwa bei der ›Venus vom Hohle Fels‹. Wieso ist sie eine Sensation? Weil sie nach Angaben der Archäologen das bisher älteste bekannte Kunstwerk der Welt ist. Und hier verbirgt sich der andere Faktor: der Superlativ. ›Das Älteste‹, ›das Größte‹, ›das Gefährlichste‹ und so weiter – mit diesen absoluten Größen, die gerade in der Berichterstattung über Archäologie eine wichtige Rolle spielen, kann der Redakteur bei der Themenbesprechung punkten. Doch nicht immer gibt es einen Superlativ zu verkünden, und so kommt dem Redakteur die schwierige Aufgabe zu, Themen einzuordnen und abzuwägen, um sie dann aufzugreifen oder fallen zu lassen. Diese Entscheidungsgewalt brachte dem Redakteur den Beinamen des Gatekeepers ein. Der Begriff stammt von dem Sozialpsychologen Kurt Lewin und wurde vom Kommunikationswissenschaftler David Manning White übernommen, der 1950 die Rolle des Redakteurs empirisch untersuchte (vgl. White 1950). Benjamin Fretwurst stellt in seinem Buch Nachrichten im Interesse der Zuschauer den Unterschied zwischen Gatekeeper- und Nachrichtenwert-Forschung folgendermaßen dar: »Die Gatekeeper-Forschung untersucht einen Zusammenhang zwischen Einstellungen von Journalisten in ihrem institutionellen Kontext, und die Nachrichtenwertforschung untersucht kognitionspsychologische Prinzipien der Wahrnehmung und Weitergabe von Wahrgenommenem« (Fretwurst 2008: 14).

Am Rande sei bemerkt: Der Stellenwert des Gatekeepers ist in Zeiten des Internets sicher überdenkenswert. Längst sind es nicht mehr nur die etablierten Medienanstalten und Verlage, die über die Verbreitung und Veröffentlichung von Informationen entscheiden. Jeder hat heute die Möglichkeit, als Blogger, Chatter, Twitterer oder sonstiger Medienteilnehmer seine persönliche Sicht und die für ihn relevant erscheinenden Ereignisse darzustellen. Das löst den Redakteur in seiner Funktion als Filter oder Schaltstelle zwar nicht ab, eröffnet aber einen völlig neuen Weg, der sozusagen die persönlichen Nachrichtenwerte des Einzelnen – ob als Wissenschaftler, Politiker oder Privatperson – zur Geltung bringt.

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Archäologie in bild der wissenschaft Die meisten deutschen Printmedien, seien es Tageszeitungen, Wochenzeitungen oder Zeitschriften, greifen archäologische Themen nur dann auf, wenn sie das Label ›Superlativ‹ oder ›Sensation‹ verdienen. Die populärwissenschaftliche Monatszeitschrift bild der wissenschaft ist – neben einigen spezialisierten Geschichtsheften wie etwa Damals oder epoc – eines der wenigen deutschen Medien, das in einer breit gestreuten Mischung von Wissenschaftsthemen der Archäologie einen besonderen Stellenwert beimisst (vgl. Tab. 1). Und das, wie bereits angemerkt, aus gutem Grund: Besonders viele Leser interessieren sich dafür und somit werden mit einem entsprechenden Thema auf dem Cover mehr Hefte verkauft. Trotzdem kann bild der wissenschaft aus Kapazitätsgründen freilich nicht über alle archäologischen Entdeckungen deutschlandweit – und erst recht nicht weltweit – berichten. Auch hier müssen relevante von weniger relevanten Themen geschieden werden, so dass diejenigen mit möglichst hohem Nachrichtenwert übrig bleiben. Die Grenzziehung ist Ermessenssache der Redaktion, wird aber auch von äußeren Faktoren wie Platz, Zeit und Kosten beeinflusst. Man kann mindestens sieben wesentliche Faktoren für die Auswahl archäologischer Themen in bild der wissenschaft unterscheiden: Neuigkeit, Prominenz, räumliche und/oder kulturelle Nähe, Faszination, Rätsel/Geheimnis, Superlativ, Exotik. Tabelle 1: Titelthemen in bild der wissenschaft. Ausgabe 03/2000 08/2000 12/2000 07/2001 07/2002 11/2002 07/2003 11/2003 02/2004 06/2004 11/2004 06/2005 03/2008 04/2008 04/2009 07/2009 10/2009 12/2009

Archäologische Titelthemen in bild der wissenschaft

Seiten Überraschende Entdeckungen – Der Urmensch 58-77 6000 Jahre vor den Pyramiden – Unsere Kultur stammt aus Anatolien 58-71 Neuer Blick auf das Mongolenreich – Der erste Global Player Dschingis 66-82 Khan Glanzlichter der Archäologie – Die bedeutendsten Attraktionen Deutsch- 72-81 lands Vor 50.000 Jahren – Der kreative Urknall 20-33 Echnaton, der mysteriöseste Pharao – Zwischen Lichtgestalt und Ungeheuer 62-79 Vor einer Million Jahre – Die ersten Menschen in Europa 26-43 Morgendämmerung in Amerika – Azteken & Co. 48-56 Deutschland in der Steinzeit – Vor 7500 Jahren: Die erste Kultur- 54-73 Revolution Das neue Bild des Urmenschen 22-38 Verfemt, verkannt, jetzt rehabilitiert: Tutanchamun 56-72 Neandertaler – Die Chronik ihres mysteriösen Verschwindens 16-32 Mythos und Wahrheit – Mammutjäger 16-33 Die größten Rätsel der Archäologie – von Stonehenge bis zur Sintflut 56-73 Mythos Troja – Die 5 größten Irrtümer 58-73 Vor 2 Millionen Jahren – Der Aufstieg der Frühmenschen 16-33 Sensationeller Maya-Fund – Hochkultur begann Jahrhunderte früher 62-80 Fremdherrscher in Ägypten – die rätselhaften Pharaonen 56-72

Quelle: bdw/C. Varwig. 169

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Der Neuigkeitswert, also die Aktualität eines Fundes, erklärt sich von selbst – wobei bild der wissenschaft mit einem Produktionsvorlauf von rund vier Monaten bis zum Erscheinen eines Hefts nie so prompt auf ein Ereignis reagieren kann wie etwa eine Tageszeitung. Deshalb ist es hilfreich, wenn Forscher so früh wie möglich über ein Projekt informieren, damit die Redaktion genug Zeit hat, das Thema vorzubereiten. Unter Prominenz ist in dem Fall keine Person des heutigen öffentlichen Lebens zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um prominente Entdeckungen wie etwa Troja, Tutanchamun oder die Terrakotta-Armee, die mit erhöhter Wahrscheinlichkeit den Weg ins Heft finden – sofern es etwas Neues darüber zu berichten gibt. Die räumliche Nähe kann sich sowohl auf einen Grabungsort in Deutschland beziehen (etwa ein Keltengrab oder die Überreste unserer vermeintlichen Vorfahren in Europa) als auch auf die Tatsache, dass deutsche Ausgräber am Werk sind. Sobald deutsche Archäologen in Mexiko, China, Ägypten oder im Nahen Osten aktiv sind, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass über die dortige Grabung berichtet wird, als wenn etwa Engländer oder Chinesen dort beschäftigt sind. Das hat nicht nur pragmatische Gründe in Bezug auf die Verständigung. Heißt es ›Münchner Archäologen haben an der Nordküste Perus herausgefunden, dass ...‹ erzeugt das beim Leser sofort eine Verbundenheit im Sinne von ›Das sind unsere Leute‹. Über diese Sichtweise kann durchaus gestritten werden, denn ein archäologischer Fund ist an sich nicht mehr oder weniger interessant, nur weil deutsche Wissenschaftler ihn gemacht haben. Vereinzelt wird auch Kritik laut, dass viel zu wenig über die spannende Forschungsarbeit in Ausland berichtet werde. Strahlt ein Thema eine Faszination aus, wie zum Beispiel die Unterwasserarchäologie, ist dies ein Kriterium, das bei der Themenauswahl Gewicht hat – auch wenn dafür andere Kriterien wie etwa räumliche Nähe oder Prominenz nicht gegeben sind. Ein weiterer Anreiz wäre gutes Bildmaterial. Leser bekommen zudem gerne Geheimnisse verraten oder lassen sich durch Geheimnisse zum Grübeln anregen. Selbst wenn sie vom Ausgräber nicht vollkommen enthüllt werden können, haben sie eine große Anziehungskraft für den Leser, weil sie die Fantasie anregen: Die Zeitschrift Welt der Wunder setzt als Verkaufsstrategie besonders stark auf diesen Faktor und betitelt im Schnitt jede zweite Ausgabe mit einem Rätsel oder Geheimnis. Eine Auswertung von vier Jahrgängen bild der wissenschaft (2000 bis 2004) durch die Archäologin und Wissenschaftsjournalistin Marion Benz und ihre Arbeitsgruppe an der Universität Freiburg hat – sozusagen in der Rückwärts-Analyse – weitere Kriterien für die Wahl von Archäologie-Themen herausgearbeitet (Benz 2007: 153ff.). Am häufigsten waren in diesem Zeitraum Archäologiethemen vertreten, die mit Macht und

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Reichtum assoziiert werden konnten. Am zweithäufigsten waren Geschichten mit dem Schwerpunkt Religion, Mythen und Kult zu finden. Am dritthäufigsten tauchte die Archäologie im Zusammenhang mit Luxus, Gold und Schätzen auf. Themen mit kriminellem Touch fanden am vierthäufigsten den Weg ins Heft. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel ließ sich durch ähnliche Kriterien zum Aufgreifen archäologischer Themen verleiten, mit dem Unterschied, dass an erster Stelle Krieg und Katastrophe standen und Macht und Reichtum an vierte Stelle rutschten (Abb. 1). Abb. 1: Archäologiethemen in bild der wissenschaft und Der Spiegel.

Quelle: Benz/Liedmeier (2007: 167 Abb. 7.6a). Angesichts der Fülle an Informationen, die täglich auf den Journalisten einprasseln, fand Marion Benz ein weiteres Selektionskriterium, das aber eher pragmatischer als inhaltlicher Natur ist: 171

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»This means that it is not scientific results but the regularity und quality of press releases that is decisive in gaining wider publicity. Furthermore, good public relations not only improve the publicity of one particular project, but also of the topic in general« (Benz 2007: 159).

Ebenso stellte der Archäologe Cornelius Holtorf weitere Beweggründe für die Themenauswahl eines Journalisten fest. Er setzt – bezogen auf Tageszeitungen, weniger auf Wissenschaftsmagazine – archäologische Themen in Relation zu anderen, etwa aus der Politik, und erklärt, welche Funktion die Archäologie in den Medien einnimmt – bzw. welche Klischees sie erfüllt: »Excluding the very many straight news, items and reports about current events or topical political decisions, many headlines of archaeological stories refer to one of four themes: an interesting discovery, a mystery solved, on-going detective work or a new scholarly insight. Newspaper journalists are inclined to try and catch the readers’ interests by referring to tried-and-tested themes, even if they are clichés. As on TV, archaeology in newspapers is increasingly becoming ›archaeotainment‹« (Holtorf 2007: 46).

Mit dem Vorwurf seitens der Wissenschaftler, Medien würden Klischees verbreiten und mehr Unterhaltung als Information bieten, werden Journalisten immer wieder konfrontiert. Wie bereits eingangs erwähnt, können gute Journalisten sehr wohl auch zum Durchbrechen und Hinterfragen von Klischees beitragen. Die Vorstellung, viel Unterhaltung bedeute zugleich wenig Information, entspricht dem Bild einer eindimensionalen Skala, an deren einem Ende der Unterhaltungswert steht und am anderen Ende der Informationswert. Je nachdem, zu welchem Ende man quasi ›den Regler schiebt‹, ergibt sich ein Artikel à la Bild mit maximaler Unterhaltung und minimaler Information oder ein Fachzeitschriftenbeitrag à la Science mit 100 % Information und 0 % Unterhaltung. In letzterem Fall wäre es wohl tatsächlich schwierig, den interessierten Laien zur Lektüre zu überreden. Das bedeutet aber nicht, dass der wissenschaftlich interessierte Leser das andere Ende der Skala bevorzugt. Ein guter Journalist entscheidet bei jedem Thema aufs Neue, wie viel Information er dem Leser zumuten kann, und wie stark er den Unterhaltungswert eines Themas herauskitzelt. In Wahrheit bedient der Journalist dabei nicht nur einen ›Regler‹, sondern zwei – einen für wenig bis viel Information und einen für wenig bis viel Unterhaltung. Auch Marion Benz ist davon überzeugt, dass sich Information und Unterhaltung vereinbaren lassen: »In sum, we have seen that there is a relatively high interest in archaeology. But the more popular the print media, the more the archaeological results are

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ÜBER DAS VERHÄLTNIS VON JOURNALISMUS UND ARCHÄOLOGIE

used rather to entertain than to inform – two aspects that do not exclude each other at all. In good popular science articles, both aspects are combined« (Benz 2007: 160).

Es wird sogar die Ansicht vertreten, das eine gehe gar nicht ohne das andere: Clack und Brittain räumen ein »that for archaeology to have some educational basis, its presentation should be in an entertaining format« (Clack/Brittain 2007: 21). Darüber hinaus gibt es noch einen dritten ›Regler‹, nämlich den für die Emotionen. Der Journalist kann bestimmen, wie sachlich (Bericht/ Analyse) oder emotional (Reportage/Porträt) er einen Beitrag gestaltet. Im Spiel dieser drei Kräfte kann bild der wissenschaft im Vergleich mit anderen Wissensmagazinen wohl als idealtypische Mischung gelten. Der Informationsgehalt ist wesentlich höher als etwa bei P.M. oder Welt der Wunder. Dadurch, dass fast ausschließlich Journalisten für das Heft schreiben, und nicht etwa Wissenschaftler, wie bei Spektrum der Wissenschaft, ist der Spielraum der journalistischen Stilformen größer und die Beiträge sind abwechslungsreicher: Denn der Journalist hat die Möglichkeit, O-Töne der Forscher zu integrieren und einen Dialog unter Forschern oder zwischen Forscher und Leser entstehen zu lassen. Als Beispiel sei das Thema Troja angeführt: Man kann es kontrovers diskutieren, ein Streitgespräch entwickeln lassen, etwa darüber, ob der Verteidigungsgraben ein solcher war oder nicht. Man kann nach einem Grabungsbesuch eine Reportage schreiben und dabei nur die Sicht des Grabungsleiters darstellen. Man kann auch Spekulationen und Hypothesen der Wissenschaftler einweben. Eine schlechte Variante wäre hingegen, etwa die Frage nach dem Verteidigungsgraben unentschieden zu lassen. Das mag zwar nach wissenschaftlichen Kriterien der korrekteste Weg sein, dem Leser bringt das jedoch keinen Erkenntnisgewinn. Im schlechtesten Fall ist er nach der Lektüre genauso ›schlau‹ wie vorher, und das ist nicht das Ziel einer wissenschaftsjournalistischen Arbeit.

Medialisierte Archäologie Die Filmfigur Indiana Jones ist für die einen der ideale Transporteur archäologischer Themen, für die anderen der Inbegriff ihrer Banalisierung. In jedem Fall steht der Filmheld wie keine andere Gestalt für die Auseinandersetzung über die Frage, wie stark archäologische Themen zu Verkaufszwecken medialisiert, das heißt den Gesetzen und Zwängen der Medien unterworfen werden sollten. Dass wissenschaftliche Themen generell für die mediale Verbreitung ›aufbereitet‹ werden (müssen), steht wohl außer Frage. Tatsache ist allerdings auch, dass Indiana Jones als 173

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Filmfigur reine Fiktion ist und man sich fragen kann, ob er als Verkörperung des archäologischen Abenteurers nicht bereits etwas abgegriffen wirkt. Ob mit oder ohne Leinwandheld: Medienmacher müssen sich überlegen, wie sie angesichts der Konkurrenz im Markt archäologische wie auch andere Themen ›verkaufen‹. Man kann sich der Aufmerksamkeit der Konsumenten nicht sicher sein, denn im Gegensatz zum überschaubaren Markt von früher sind die Regale heute überschwemmt von Wissensmagazinen und hunderten anderer Printprodukte. Letztlich gehören Blätter wie bild der wissenschaft mit einem Preis von 7,30 Euro in die Kategorie der Luxusprodukte, auf die man im Zweifelsfall eher verzichtet als auf ein Heft für unter 3 Euro. Im Zeitalter der geteilten Aufmerksamkeit muss der Leser also möglichst schnell gefesselt werden und dann den Eindruck erhalten, er bekomme etwas Wertvolles, Sinnvolles oder Unterhaltsames für sein Geld. Ob es gelingt, den potenziellen Leser vom Kauf eines Exemplars zu überzeugen, entscheidet sich am Kiosk oft binnen weniger Sekunden. Ist das Heft gekauft, sind es die Bilder und die Überschriften, die wiederum in kürzester Zeit darüber entscheiden lassen: lesen oder weiterblättern. Kein Wunder also, dass Journalisten darum bemüht sind, mit der Darstellung eines Themas Verkaufs- bzw. Konsumargumente mitzuliefern. Für den potenziellen Leser muss sofort erkennbar sein, warum er seine knapp bemessene Zeit ausgerechnet jetzt diesem Thema widmen soll. Angesichts dieser ›äußeren Zwänge‹ erscheinen Pointierung und Überspitzung eines Sachverhalts legitim. Vermutlich hat auch der Archäologe, der sich Zeit für ein Interview mit dem Journalisten genommen und unter Umständen Bildmaterial und anderes geliefert hat, lieber einen Leser, der auf eine etwas reißerisch formulierte Botschaft anspringt, als gar keinen Leser. Über das Maß der Inszenierung lässt sich freilich streiten. Die Grenzen zwischen Verallgemeinerung, Übertreibung, Ungenauigkeit und Fehler sind dabei fließend. bild der wissenschaft jedenfalls hat kein Interesse daran, Un- oder Halbwahrheiten zugunsten guter Unterhaltung zu verbreiten. Ein weiterer Aspekt ist in der Diskussion besonders wichtig: Was wissenschaftlich bedeutsam ist, ist noch lange nicht öffentlich relevant. Das veranschaulicht ein Beispiel fernab der Archäologie: Als Gerhard Ertl 2007 den Nobelpreis in Chemie bekam, war sein Name plötzlich in aller Munde. Wenn über ihn berichtet wurde, war die Prominenz seiner Person als Nobelpreisträger der Nachrichtenwert. Die Forschung, für die Ertl den Preis erhalten hatte, nämlich Oberflächenchemie, war weder vor noch nach dem Preis von sonderlichem Interesse für die Allgemeinheit. Dies gilt auch für Wissenschaftler anderer Fachrichtungen. In der Regel

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sind sie selbst nur auf einem Gebiet Spezialisten, während sie auf anderen Gebieten zu den Laien zählen. Jeder Archäologe kann sich selbst fragen, wie tief er bei der Zeitungslektüre am Frühstückstisch in die Grundlagenforschung der Oberflächenchemie einsteigen möchte – wenn weder eine Relevanz für die eigene Person oder das nähere Umfeld ersichtlich, noch ein Funke von Faszination oder Überraschung zu spüren ist. Folgende Frage muss sich indes der Verfasser eines Artikels oder der Redakteur eines Printprodukts stellen: Hat ein wissenschaftlicher oder archäologischer Sachverhalt einen journalistischen Wert? So, wie man bei einem Fundstück nach dem archäologischen Wert (zum Beispiel Knochen zur Datierung) und dem materiellen Wert (zum Beispiel Goldmünzen) fragen kann, lässt sich auch der journalistische Wert eines Fundes bemessen. Mit Ausnahme einiger Archäologen, die ein gutes Gespür für medienwirksame Themen entwickelt haben und dem Journalisten einen Hinweis geben können, stellt das eine der ureigensten Fähigkeiten eines Journalisten dar. Freilich gehen archäologischer und journalistischer Diskurs – wie Karl August Böttiger es nennt – nicht immer konform. Böttiger, der Journalist und Archäologe war, gehörte in seiner Funktion als Kommunikator nicht zur zurückhaltenden Sorte. In seiner Weimarer Zeit zwischen 1791 und 1804 verbreitete er allerhand Klatsch und Tratsch über seine Zeitgenossen wie Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottfried Herder, Friedrich Schiller und Christoph Martin Wieland (vgl. Sternke 2008). Nur zu gerne bediente er die Sensationslust der Öffentlichkeit mit privaten Details. Dazu zählen »Goethes Fettleibigkeit, [...] die ungleichen Stiefel, die Wieland versehentlich angezogen hat, Herders Hämorrhoiden, ja sogar die unausgeleerten Nachttöpfe des knauserigen Philologen Ansse de Villoison« (ebd.: XIII). René Sternke, Autor des Buchs Böttiger und der archäologische Diskurs (2008), hält das für eine Art Archäologie der Gegenwart. Denn auch in Böttigers Schriften über das Altertum lassen sich ordinäre und merkwürdige Dinge finden, von ägyptischen Filtriertöpfen über Stelzenschuhe und Haarnadeln der alten Griechinnen bis zu römischen Küchenzetteln. Über das Verhältnis von Journalismus und Archäologie in den Augen Böttigers schreibt Sternke: »Der Journalismus stellt für Böttiger eine materielle Ermöglichungsbedingung und eine Distributionsform des archäologischen Diskurses dar. Dabei ist der Journalismus ein Diskurs, der nach eigenen Regeln funktioniert, die nun mit denjenigen des archäologischen Diskurses interferieren« (ebd.: XVIIf.).

Zu diesen Regeln zählt Böttiger unter anderem Aktualisierung (oder Aktualität), Gefälligkeit und leichte Rezipierbarkeit sowie eine Begrenzung des Textumfangs. Gleichwohl bemerkt er: 175

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»Die Regeln beider Diskurse widersprechen einander nicht in jedem Fall. So schadet eine allgemeinverständliche Ausdrucksweise, wie sie von einem journalistischen Text gefordert wird, einem wissenschaftlichen Text ebenso wenig wie eine ansprechende Darstellung des Gegenstandes« (ebd.: 130f.).

Böttiger vertritt also die Ansicht, dass sich die journalistische Herangehensweise an ein Thema durchaus auch für die Darstellung eines wissenschaftlichen Sachverhalts eignen kann – eine Position, die heute auch des Öfteren diskutiert wird. Der Gedanke, dass sich Archäologen und andere Wissenschaftler vom Journalismus etwas abschauen, ist so abwegig nicht – und wenn dies nur dazu dient, mit den Anfragen aus der Medienwelt besser umzugehen oder eigene Forschungserkenntnisse der Öffentlichkeit oder dem Journalist auf verständliche Weise näher zu bringen.

Journalisten und Archäologen î für ein besseres Verhältnis »Most archaeologists who have had contact with journalists will have a tale to recount of an occasion of inaccurate reportage to varying degrees« (Clack/Brittain 2007: 23). Mit dieser Feststellung mögen die Autoren Recht haben. Jedoch sollte man wohl von Fall zu Fall entscheiden, ob es sich um echte Unvereinbarkeiten verschiedener Interessen handelt, oder um persönliche Animositäten – die es freilich auch in anderen Berufsgruppen und grundsätzlich zwischen Menschen gibt. Haben es Archäologen mit Journalisten besonders schwer – oder umgekehrt? Eine Befragung des Kommunikationswissenschaftlers Hans Peter Peters (2008) deutet darauf hin, dass sich bei Wissenschaftlern und Journalisten das eigene Rollenverständnis und das des Gegenübers deutlich unterscheiden (vgl. Tab. 2). Cornelius Holtorf fasst zwei weitere Schwierigkeiten aus Sicht des Archäologen so zusammen: »For many archaeologists the key issue in this context appears to be that they feel fundamentally misrepresented regarding the depiction of both, the existing knowledge about the past and their own occupation« (Holtorf 2007: 105). Darunter fallen die üblichen Klischees vom Abenteurer, Detektiv, Entdecker oder gar Retter (vgl. ebd.: 63ff.). Während der Archäologe also im schlechtesten Fall sowohl mit der Beschreibung des Sachverhalts als auch mit der Darstellung seiner eigenen beruflichen Tätigkeit unzufrieden ist, sind die Schwierigkeiten aus der Warte des Journalisten ganz anders gelagert: Mitunter vergisst der Fachmann, dass er nicht mit seinesgleichen spricht, und versäumt es, ausreichend Informationen und Erklärungen zu geben. Das andere Extrem: Der Archäologieprofessor verwechselt den Journa176

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listen mit einem seiner Studenten aus dem ersten Semester, begegnet ihm also beispielsweise nicht auf Augenhöhe. Tabelle 2: Rollenverständnisse von Journalisten und Wissenschaftlern (durchschnittliche Bewertungen auf einer Punkteskala). Aussagen

Journalisten

Journalisten sollten ihren Gesprächspartnern vor der Veröffentlichung den Artikel zum Gegenlesen vorlegen Experten haben ein Mitspracherecht bei der journalistischen Gestaltung der Beiträge, für die sie interviewt worden sind Es ist Aufgabe des Journalisten, die Äußerungen des Experten aus der Wissenschaftssprache in die Alltagssprache zu übersetzen Aufgabe des Journalismus: das Publikum unterhalten Medien sollten die Autorität der Experten anerkennen und diese bei der Popularisierung ihrer Erkenntnisse unterstützen

Wissenschaftler

Differenz

-1,2

2,1

3,4

-1,9

1,2

3,2

2,5

0,9

1,6

1,7

0,8

0,9

-0,7

0,9

1,6

Quelle: Projektgruppe Risikokommunikation (1994), Peters und Heinrichs (2005), zitiert nach Peters (2008: 119f.). Um den richtigen Mittelweg zu finden, mag es hilfreich sein, sich die Position eines Journalisten zu vergegenwärtigen: In der Regel haben Wissenschaftsjournalisten selbst eine akademische Ausbildung hinter sich, verfügen also über ein generelles Verständnis von Wissenschaft und bestenfalls auch über das spezifische Fachgebiet. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um Grundwissen gegenüber den häufig sehr speziellen Forschungsprojekten, die die Akademiker an den Universitäten verfolgen. Zudem muss ein freier Journalist, der von seiner Arbeit leben will, in der Lage sein, über viele verschiedene Themen gut zu schreiben. Selbst wenn er Archäologie studiert hat, ist von ihm also nicht zu erwarten, dass er sich bei den Etruskern ebenso gut auskennt wie bei den ägyptischen Herrscherdynastien. Kurz gesagt: Er ist häufig ein Allrounder. Damit er seinen Lesern ein wissenschaftliches Thema spannend und verständlich vermitteln kann, muss er es zuvor selbst durchdrungen haben und bestenfalls mehr wissen als das, was letztlich im Artikel steht. Verständlich machen heißt mitunter vereinfachen – ein Vorgang, den Wissenschaftler mit einer gewissen Berechtigung für problematisch halten mögen. Denn Vereinfachung und Komplexitätsreduktion können, wie eingangs beschrieben, schnell in Richtung Verzerrung abgleiten. Umso wichtiger ist es, dass die Experten die Journalisten beim Begreifen der Materie unterstützen und sich deren Anliegen öffnen. Der Autor hat die Rolle des Vermittlers zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, und 177

CORNELIA VARWIG

seine Leistung besteht darin, eine Balance zwischen Wissenschaftlichkeit und Verständlichkeit zu halten. Insofern seien die Wissenschaftler, die Willens sind, sich dem allgemeinen Publikum zu öffnen, dazu ermuntert, an der verständlichen Vermittlung ihres Wissens mitzuarbeiten. Immer mehr wissenschaftsnahe Einrichtungen bieten dazu Medientrainings für Wissenschaftler an, in denen diese unter anderem Interviewtechniken lernen und dabei einüben, interessant bis fesselnd über ihr Fachgebiet zu sprechen. Beinahe ebenso problematisch wie zurückgezogene oder unwillige Fachleute sind solche, die sich zu Selbstvermarktern entwickelt haben und den medialen Auftritt propagandistisch für ihre eigenen Zwecke nutzen. Beispiele dieser Art gab es in der Vergangenheit immer wieder. Es ist nicht allein die gekränkte Eitelkeit instrumentalisierter Journalisten, die an dieser Stelle für Unmut sorgt. Derartige Medienkampagnen verhindern die Möglichkeit, dass eine wissenschaftliche Entdeckung in einen Kontext gestellt und diskutiert wird. Der Wert der journalistischen Darstellung besteht – zumindest im Anspruch – in der Ausgewogenheit und differenzierten Betrachtungsweise eines Gegenstands. Nur wenn der Journalist als zwischengeschaltete Instanz die Möglichkeit eingeräumt bekommt, Informationen zu prüfen oder kritisch zu hinterfragen, erhält der Rezipient die Chance auf ein qualitativ hochwertiges Produkt. Voraussetzung ist freilich, dass der Journalist sein Handwerk versteht, zu dem das Recherchieren ebenso wie das Schreiben gehört, und dass er die journalistische Sorgfaltspflicht nicht verletzt. Macht er seine Sache gut, ist dies ein Qualitätsmerkmal, das ihn aus der Masse der informationsverbreitenden Blogger und Texter hervorhebt und somit den etablierten Medien auch in Zeiten des Internets eine Daseinsberechtigung verleiht. Ernst Elitz, Gründungsintendant des Deutschlandradio, bezeichnet die Medien in diesem Zusammenhang als »Glaubwürdigkeitsagenturen«, die aus »Zufallskommunikation Verlässlichkeitskommunikation« (Elitz 2010) machen können: »Die digitale Welt braucht Anker der Verlässlichkeit. Die kann der Journalismus mit solider Recherche, den Regeln von Check und Gegencheck, der Achtung von Persönlichkeitsrechten samt Informantenschutz bieten. Mit seiner stoischen Unvoreingenommenheit [...] wird er im Blogger-Kosmos des unbekümmerten Plapperns zu einer Vertrauensinstanz« (ebd.).

Ein hoher Anspruch – dem aber zumindest versierte (Wissenschafts-) Journalisten gerecht werden können. Eines ist klar: Der Journalist kann unter optimalen Bedingungen seine Aufgabe sowohl im Sinn der Leser als auch im Sinn der Wissenschaftler zufriedenstellend erfüllen. Der Archäologe wird wohl immer 178

ÜBER DAS VERHÄLTNIS VON JOURNALISMUS UND ARCHÄOLOGIE

Abstriche machen müssen. Dennoch kann es für den Archäologen lohnend sein, die Nähe zum Journalismus zu suchen – und sei es nur aus egoistischen Gründen: »Mortimer Wheeler found in the 1920s that media interest could be fostered as an aid in securing donations and additional funds for excavation« (Clack/Brittain 2007: 26). Sollte die Zusammenarbeit zwischen Journalisten und Wissenschaftlern mal doch nicht so reibungslos funktionieren, kann man sich immer noch mit den Worten des Kommunikationswissenschaftlers Hans Peter Peters trösten: »Spannungen zwischen Politikern und Journalisten werden eher als Indikatoren für einen funktionierenden kritischen Journalismus gesehen, der sich seiner politischen Instrumentalisierung widersetzt. Entsprechend sind auch Spannungen im Verhältnis von Wissenschaftlern und Journalisten per se kein Grund zur Besorgnis« (Peters 2008: 117).

Literatur Benz, Marion/Anna Liedmeier (2007): »Archaeology and the German Press«. In: Clack/Brittain (2007), S. 153-173. Clack, Timothy/Marcus Brittain (Hg.) (2007): Archaeology and the Media, Walnut Creek/CA: Left Coast Press. Elitz, Ernst (2010): »Anker der Verlässlichkeit«. In: Süddeutsche Zeitung vom 5. Februar 2010. Fretwurst, Benjamin (2008): Nachrichten im Interesse der Zuschauer. Eine konzeptionelle und empirische Neubestimmung der Nachrichtenwerttheorie, Konstanz: UVK. Galtung, Johan/Mari Holmboe Ruge (1965): »The structure of foreign news«. Journal of Peace Research 1965.1, S. 64-91. Holtorf, Cornelius (2007): Archaeology is a Brand! The Meaning of Archaeology in Contemporary Popular Culture, Oxford: Archaeopress. Lippmann, Walter (1922): Public Opinion, New York: The Macmillan Comp. Östgaard, Einar (1965): »Factors influencing the flow of news«. Journal of Peace Research 1965.1, S. 39-63. Peters, Hans Peter (2008): »Erfolgreich trotz Konfliktpotenzial – Wissenschaftler als Informationsquellen des Journalismus«. In: Holger Hettwer/Markus Lehmkuhl/Holger Wormer et al. (Hg.), WissensWelten. Wissenschaftsjournalismus in Theorie und Praxis, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, S. 108-130. Petershagen, Henning (2009): »Was war vor mir?«. In: Südwestpresse vom 25. Oktober 2009.

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CORNELIA VARWIG

Schnapp, Alain (2009): Die Entdeckung der Vergangenheit. Ursprünge und Abenteuer der Archäologie, Stuttgart: Klett-Cotta. Schulz, Winfried (1976): Die Konstruktion von Realität in den Nachrichtenmedien, Freiburg: Alber. Sternke, René (2008): Böttiger und der archäologische Diskurs, Berlin: Akademie. White, David Manning (1950): »The Gate Keeper: A Case Study in the Selection of News«. Journalism Quarterly 27, S. 383-390.

180

EIN

ARCHÄOLOGIEMAGAZIN P A P I E R : ›Z U M B L Ä T T E R N G E R N ‹

POPULÄRES

AUF

ANDRÉ WAIS

Archäologie in Deutschland is a magazine dealing with archeology and related fields of science. It works on topics of science and excavation technology for an audience mostly of interested laymen, and also aims to provide the readers with a pleasurable reading and viewing experience. This article outlines the magazine’s approaches to context and linguistic composition, with a detailed analysis of the environment in which it is embedded, and how this is being changed by digital media, and examines future perspectives. Wenn man über Printmedien spricht, ist man in unseren Zeiten des Vormarsches digitaler Formen von Kommunikation und Information schnell dabei, Schwanengesänge auf gedruckte Medien anzustimmen. Doch das ist nicht neu. Hat doch der amerikanische KommunikationsWissenschaftler Marshall McLuhan mit seinem durchaus epochalen Werk Die Gutenberg Galaxis (McLuhan 1968) schon in den 1960er Jahren das Ende des Buchzeitalters angekündigt. Er vertrat darin die These, dass unsere Alphabet- und Buchdruckkultur durch neue Techniken der Informationsübertragung unsere Kommunikation und damit auch unsere Rezeptionsformen zutiefst beeinflussen und verändern würden. Bei aller Hochachtung vor dem Werk McLuhans und seinen auch geistesgeschichtlich gut untermauerten Thesen möchte ich mich hier trotzdem nicht als Apologet eines sterbenden Mediums präsentieren. McLuhan hat dieses Ende ja durchaus auch als Prozess gesehen, wusste er doch, dass das gedruckte Wort die Konkurrenzmedien der neuen Techniken im 20. Jahrhundert wie Rundfunk, Film oder Fernsehen, zumindest was die Angebotsbreite und die Wirtschaftlichkeit angeht, bestens parieren und sogar ergänzen konnte. Aber man muss sich selbstverständlich als Zeitschriftenmacher fragen: Wird unser Medium mit den Herausforderungen durch die Digitalisierung, die es ermöglicht, Texte wie Bilder weltweit blitzschnell zu Verfügung zu stellen, ebenso souverän fertig werden? Oder anders gefragt: 181

ANDRÉ WAIS

Wie müssen sich die Printmedien verändern und was für Folgen hat das für die Macher, aber auch für die Autoren, in unserem Fall also auch für die Wissenschaftler im Umfeld der Archäologie?

Printmedien im Zeitalter der Digitalisierung Einiges hat sich im Zeichen der Digitalisierung und des Internets in den letzten Jahren bereits getan: Wer schaut heute noch in ein gedrucktes Telefonbuch? Große Enzyklopädien können aus wirtschaftlichen Gründen gar nicht mehr gedruckt werden, weil Online-Nachschlagewerke aktueller und kostengünstiger für den Verbraucher sind. Doch wird das à la longue auch auf Zeitschriften und Magazine zutreffen? – Die derzeit sogar leicht steigenden Auflagenzahlen bei den großen Kultur- und Politmagazinen wie Spiegel oder Zeit sprechen eine durchaus andere Sprache. Deren sicher zu konstatierende wirtschaftliche Probleme hängen mit der allgemeinen Krise und den sinkenden Werbeeinnahmen zusammen, also nicht mit einer Flucht der Leser ins Internet. Im Falle der Archäologie in Deutschland ist, was die Abonnementszahlen angeht, in den letzten Jahren des boomenden Internets durchaus auch kein schlimmer Einbruch erfolgt. Es zeigt sich nur, dass jüngere Leser-Jahrgänge sich sehr ungern mit einem Abonnement binden. Von der Anzeigenwerbung ist man in einem solchen Magazin, das im Auflagenbereich bis zu 15.000 Exemplare operiert, eher weniger abhängig.

Stellung und Aufgabe eines modernen Special-Interest-Magazins in der Zeitschriftenlandschaft heute Bevor wir uns nun detaillierter mit der jetzigen Situation gedruckter Zeitschriften, insbesondere solcher, die Wissenschaft und Forschung einem breiten Publikum vermitteln, beschäftigen, sollten wir einen kurzen Blick auf die historische Genese von Publikumszeitschriften werfen. Denn auch für McLuhan ist das Ende des gedruckten Wortes kein abruptes, sondern, wie gesagt, eine durchaus virulente, zur bisherigen Geschichte der Printmedien gegenläufige Entwicklung, die Zeit in Anspruch nimmt. Die großen Publikumszeitschriften haben ihre Wurzeln schon im 19. Jahrhundert, als es Familienblätter für gebildete Stände wie Die Gartenlaube oder Über Land und Meer zu beträchtlichen Auflagen brachten und für den eher kurzen Lesestoff, der sowohl unterhaltend als auch informierend-belehrend war, wegbereitend waren. Sie bildeten seinerzeit 182

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einen Gegensatz zu den lange Winterabende verkürzenden Kolossalromanen, etwa Ein Kampf um Rom von Felix Dahn oder Gustav Freytags Soll und Haben – ›kolossal‹ steht dabei sowohl für den pathetischen Inhalt wie auch für die enormen Seitenzahlen. Den frühen, wenigen breit streuenden Zeitschriften folgte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Boom an neuen Publikumszeitschriften, bei denen das Bild eine immer größere Rolle spielte und die sich unterhaltend, beratend und informierend an ein zahlenmäßig möglichst großes Publikum mit allgemeinen Interessen wendeten – dies in verständlicher, oder besser gesagt: populärer Form. Im Laufe des späteren 20. Jahrhunderts erleben wir dann eine sich stetig verfeinernde Ansprache bestimmter Zielgruppen. Spezielle Interessen der Leser, auch bestimmt nach Alter, Geschlecht und Bildung, wurden aus einem breit gefächerten Leser- und Käufermarkt herausgegriffen und mit entsprechenden Inhalten bedient. Auflagenträchtige Themen waren dabei unter anderem Wirtschaft, Sport, Kultur, Mode oder Erotik. Besonders erfolgreich zeigten sich dabei Frauenzeitschriften, die bis heute Milliardenumsätze erreichen – Umsätze, die seit der in den 1950er Jahren einsetzenden, immer tiefer gehenden Spezialisierung der Interessensgebiete von Lesern nicht mehr möglich waren. Je spezifischer die Interessen des intendierten Publikums gefasst wurden, desto kleiner die Zielgruppe und desto geringer zwangsläufig die erreichbaren Auflagenhöhen. Aber, und das ist die positive Seite der Medaille, die Leser-BlattBindung konnte durch geschicktes Austarieren der Inhalte viel fester geschnürt werden, als es bei einem breiter gefächerten Publikum möglich ist – man konnte sich ohne allzu großen Aufwand an Marktsondierung, Konsumforschung, Befragungen etc. relativ rasch ein sehr genaues Bild von den Wünschen und Vorlieben seiner potenziellen Leser machen. Was der Zielgruppeneinengung mit den daraus resultierenden kleineren Auflagen auch entgegenkam – und damit wären wir wieder bei Gutenberg –, war der Siegeszug des Offset-Druckes in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die technischen Prozesse vor allem beim Satz, aber auch bei den Reproduktionen und beim Fortdruck, wurden mit diesem Verfahren, das kein schwer handelbares Blei mehr benötigte, einfacher und schneller. Einen ähnlichen technischen wie auch einen daraus resultierenden ökonomischen Schub erlebten wir in den letzten Jahren durch die Digitalisierung praktisch aller Produktionsschritte der Druckvorstufe bis an die Druckmaschine.

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Ur- und Frühgeschichte: spät dran am Zeitschriftenmarkt Man könnte sich nun angesichts der zumindest ab den 1960er Jahren technisch wie auch ökonomisch guten Grundlagen fragen, warum es eine Zeitschrift, die sich schwerpunktmäßig mit der archäologischen Forschung in Mitteleuropa beschäftigt, nicht schon lange vor dem Erscheinen des ersten Heftes der Archäologie in Deutschland (AiD) im Jahr 1984 gegeben hat. Bei der Suche nach Antworten stößt man rasch auf den Umstand, dass es auch zu diesem ›späten Zeitpunkt‹ des Erscheinens kein Zeitschriftenverlag war, der die AiD ins Leben rief, sondern ein Buchverlag mit archäologischen Ambitionen. Warum haben große Zeitschriftenverlage mit ihren ausgefeilten Möglichkeiten und Marktsondierungstechniken um das Thema ›Archäologie in Deutschland‹ so lange einen Bogen gemacht? Hier gibt es sicher mehrere ineinandergreifende Gründe, und zwar solche ökonomischer Art wie auch fachspezifische. Mit den Letzteren werden wir den Kernfragen dieser Veranstaltung nach den Spezifika des Fragenkomplexes ›Forschung und ihre populäre inhaltliche Vermittlung‹ rasch näher kommen. Aber zuerst noch zur Frage, warum es bei der Archäologie – einem doch seit dem 19. Jahrhundert mit seinen vielen berühmten Wissenschaftlern und Ausgräbern durchaus populären Forschungsgebiet, für dessen Arbeit und dessen Ergebnisse es doch zumindest in einer breiten Schicht des Bildungsbürgertums gute Aufnahmebereitschaft gab – so lange gedauert hat, bis sie einen Platz auf dem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gigantisch anwachsenden Markt an so genannten Special-Interest-Magazinen besetzen konnte: Es sind erstens ökonomische Gründe, denn das Thema eignet sich nur sehr bedingt für einen Verkauf am Kiosk, weil das angesprochene Publikum seine über den Tagesbedarf an Lesenswertem hinausgehenden Wünsche nicht an derartigen, von Manchem als trivial empfundenen Verkaufspunkten deckt. Die Aussage »Eine solche Zeitschrift verkaufe ich doch an jeder Würstchenbude« des Mitbegründers und damaligen Vorsitzenden der deutschen Landesarchäologen, Hugo Borger, gegenüber dem Vertriebschef des Konrad Theiss Verlages war, wie es sich bis heute immer wieder bestätigt, eine Fehlspekulation. Das Thema Archäologie eignet sich außerdem nur bedingt für eine breite Anzeigenakquisition; deshalb muss sich die Zeitschrift in hohem Maße durch den Abonnementspreis finanzieren. Der aus ökonomischen Gründen notwendigerweise hohe Einzelpreis lässt nur wenige Verkäufe außerhalb der Abonnements zu. Was das Anzeigenaufkommen angeht, ist dieses bei anderen Special-Interest-Themen, wo der Leser neben dem 184

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Abonnement auch sehr viel in ein notwendiges Equipment steckt, ganz anders – denken Sie etwa an Mountainbiker oder Segler. Ein Grund war sicher auch die anfangs recht schwierige Ansprache des an Archäologie interessierten Publikums. In den ersten Jahren tat sich das Magazin schwer, seine Leser zu finden. Es gab es also nicht, das oben angedachte sehnlich wartende Publikum, wie es sich etwa Borger vorstellte und sicher auch viele seiner Kollegen sowie der Verlag insgeheim erhofften. Gewiss war es in diesem Zusammenhang anfänglich auch ein Hemmnis, dass die Archäologie in Deutschland ihren Fokus auf die Landesarchäologie richtete und die populärere Klassische Archäologie nur am Rande bediente. In diesem Punkt haben sich die Gewichte jedoch etwas verschoben, was durchaus u.a. mit der Popularisierung der ›heimischen‹ Archäologie zusammenhängt, zu der in besonderem Maße auch die AiD beigetragen hat. Es gab und gibt hier spürbare Wechselwirkungen.

Wer liest die Archäologie in Deutschland? Werfen wir nun einen Blick auf die momentanen Abonnenten und Käufer der Zeitschrift Archäologie in Deutschland und entwickeln daraus ein Bild von dem, was diese wünschen und erwarten. Damit lassen sich dann wiederum Schlüsse dahingehend ziehen, wie Fachleute, Wissenschaftler und Redaktion zusammenarbeiten sollten, um diese Erwartungen möglichst optimal zu erfüllen. Ein wesentliches Segment des Leserkreises der AiD wurde oben mit dem etwas schwammigen und wenig determinierten Begriff ›Bildungsbürgertum‹ umschrieben. Aufgrund von Leserumfragen, die mehrfach in den letzten Jahren durchgeführt wurden, haben wir demgegenüber ein recht gutes Bild von unserer Leserschaft. Die Umfragen fanden auf freiwilliger Basis statt, angeregt durch in der Zeitschrift beigelegte, recht umfangreiche Fragebögen. Sie erbrachten jeweils einen im Verhältnis zur Gesamtleserschaft enormen Rücklauf – dies selbst angesichts des in den letzten Jahrzehnten durch ausufernde Befragungen aller möglichen Institutionen zunehmenden Verdrusses bei den Befragten. Bei aller Vorsicht, die man den Ergebnissen einer solch freiwilligen Befragung entgegenbringen muss, haben sie doch zumindest bei den demographischen Daten eine relativ hohe statistische Aussagekraft. Wie aus den Fragebogenbeantwortungen hervorgeht, haben 75 % der Leser Abitur und 55 % einen Hochschulabschluss. Auf diesen Wert werde ich später bei den Folgerungen für den Zeitschrifteninhalt nochmals

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zurückkommen. Einige weitere interessante Zahlen betreffen das Alter der Abonnenten (Leser): Nur 24 % können mit einem Alter bis 40 Jahre zur jüngeren Generation gezählt werden. Die größte Gruppe bilden die 40- bis 65-Jährigen mit 53 %, und 32 % unserer Leser befinden sich schon im Ruhestand – nach den Beamten und Angestellten die zweitgrößte ›Berufsgruppe‹. Ausbildung und Beruf schlagen sich auch im überdurchschnittlich hohen Haushaltseinkommen nieder: Über 40 % haben 3.000 Euro und mehr im Monat zur Verfügung. Bei der Geschlechtszugehörigkeit ist die Mehrheit der männlichen Rezipienten mit über 2/3 aller Leser eindeutig. Ganz wesentlich bezogen auf die Struktur von Inhalt und Texten der Zeitschrift schien uns die Antwort auf die Frage »Befassen Sie sich hauptberuflich mit Archäologie?«. Mit »ja« antworteten nur knapp 17 %. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass mancher Hauptberufler die Zeitschrift im Amt oder in der Uni-Bibliothek lesen kann, ist es eindeutig, dass das Magazin vor allem interessierte Nichtarchäologen erreicht. Dies wiederum erscheint von hoher Wichtigkeit für die Außenwirkung, also über die Fachgrenzen hinaus. Hier kann man, glaube ich, den Wert der AiD – und damit bin ich bei einer zentralen Fragestellung dieses Kolloquiumsbandes – nicht hoch genug einschätzen. Zumal wir es – und das haben die zuvor genannten Zahlen gezeigt – vor allem mit Lesern zu tun haben, die als gesellschaftliche Multiplikatoren eingestuft werden müssen. Dazu ist auch noch zu bemerken, dass jede Ausgabe von gut über 20.000 Menschen gelesen wird und das recht intensiv: 80 % aller Abonnenten lesen über zwei Stunden darin, davon beschäftigen sich wiederum 37 % über vier Stunden mit unseren archäologischen Inhalten und Informationen.

Das besondere Verhältnis ›Autor î Redaktion î Leser‹ bei der Archäologie in Deutschland Woran liegt es aber nun, dass sich seit nunmehr über 20 Jahren eine recht große an Archäologie und historischen Themen interessierte Leserschaft recht zufrieden zeigt – obwohl, wie schon gesagt, das klassische Spektrum der Archäologie nur am Rande bedient wird – und es zu diesem doch recht ansehnlichen Feedback bei den Befragungen kommt? Grundlegend ist wohl die enge Zusammenarbeit mit Personen aus den wichtigen Institutionen, die das Fach Archäologie hierzulande prägen, vor allem mit den Landesarchäologen, die ja bekanntermaßen die Zeitschrift mit aus der Taufe gehoben haben und nun über 25 Jahre als 186

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Mitherausgeber fungieren. Aber auch zu Museen und Universitäten werden von der Redaktion enge Kontakte gepflegt. Man kann faktisch jede Ausgabe der Zeitschrift aufschlagen und findet Beiträge und Meldungen aus allen drei genannten Bereichen. – Der Abonnent muss das Gefühl bekommen, dass er umfassend über das Geschehen im gesamten Fach informiert wird. Interessant ist dabei übrigens, dass, fragt man die Leser nach den für sie wichtigsten Rubriken, der in jedem Heft 16-seitige Teil »Aktuelles aus der Landesarchäologie« eindeutig am häufigsten genannt wird. Je weiter sich die Themen geografisch von Deutschland entfernen, desto tiefer sinken sie auf der Skala der Beliebtheit. Dies hängt sicherlich mit dem in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts stark gestiegenen Interesse an der Historie seiner jeweiligen Umgebung, eben der Region, in der man selbst lebt, zusammen. Dies manifestiert sich auch in den Zuschriften und Anfragen von Heimatforschern, Hobbyarchäologen und kleinen Museen.

Autoren: Wissenschaftler und Fachleute Der aber wohl wichtigste Punkt ist, dass in der Zeitschrift fast nur Archäologen und Wissenschaftler zu Wort kommen, die mit den behandelten Themen aufs Engste verbunden sind – die Spezialisten also. Berichten wir über Grabungen, so schreibt in der AiD der Grabungsleiter selbst oder zumindest eine Person, die an den Arbeiten entscheidend mitwirkt oder mitgewirkt hat. Ähnlich ist es bei Forschungsprojekten oder Ausstellungen, die von an der Konzeption und deren Umsetzung beteiligten Autoren dargestellt werden. Es wird dem Leser somit ein hohes Maß an Authentizität in der Behandlung des Stoffes geboten. Ziele und Ergebnisse archäologischer Arbeit erfährt er quasi aus erster Hand. Eine solche Konzeption hat allerdings auch ihre Tücken und Schwierigkeiten. Der Wissenschaftler ist es gemeinhin gewohnt, seine Ergebnisse vor Kollegen offen zu legen. Er schreibt für diese und setzt damit beim Rezipienten absolute Sachkunde und Wissen voraus, über das der interessierte Laie normalerweise nur beschränkt verfügt. Bei Wissenschaftlern in Deutschland kommt hinzu, dass von Fach zu Fach ein eigener Stil und sprachliche Wendungen benutzt werden, die der Normalleser nicht versteht oder die ihm zumindest die Lektüre nicht gerade leicht machen. In den angelsächsischen Ländern ist das etwas anders. Ein verständlich geschriebener Text gilt dort nicht a priori als unwissenschaftlich.

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Hier ist nun als Bindeglied und Brückenbauer zwischen absoluter Sachkunde und einer für den Leser verständlichen und zugänglichen Struktur und Sprache die Redaktion gefordert. Ziel ihrer Arbeit ist es dabei nicht, den Sprachduktus des Autors so zu verändern, dass ein journalistisch absolut eloquenter, Pulitzerpreis-verdächtiger Text herauskommt, sondern dem Autor, der eben in den meisten Fällen nicht über das erforderliche journalistische Handwerkszeug verfügt, Hilfestellungen zu geben und damit dem Abonnenten entgegenzukommen, indem man Lesewiderstände abbaut und die Lektüre erleichtert. Dass diese Redaktionsarbeit am Text nicht immer ohne Friktionen zwischen Autor und Redaktion abläuft, liegt, denke ich, in der Natur der Sache.

Folgerungen für das Angebot der Zeitschrift Aber gehen wir nun etwas in die konkrete Praxis der redaktionellen Stoffaufbereitung. Grundsätzlich sucht der Leser ja in einem doch recht spezifischen Magazin keine durchweg sensationellen und spannenden Beiträge. Highlights, auf die sich dann ohnehin die ganze Medienwelt stürzt, wie die Keltenfürsten von Hochdorf oder vom Glauberg, den Ötzi oder die Himmelsscheibe von Nebra gibt es auch nur alle paar Jahre. Der Leser ist durchaus bereit, sich in schwereren Stoff und in sperrige Materien einzuarbeiten, wenn sie ihn nicht durch allzu spröde Sprache und Wissenschaftlichkeit überfordern. Dies bedingt einige grundsätzliche Gegebenheiten bei Struktur und Sprache der Beiträge. Artikellänge Wesentlich für ein Magazin ist die Artikellänge, bedingt durch den Themenkanon eines jeden Heftes und den eben nur beschränkt zur Verfügung stehenden Raum. Bei der AiD kann der längste Beitrag – das sind drei Doppelseiten mit Bildern – nicht über 18.000 bis 20.000 Anschläge beinhalten. Zugegeben, bei manchem Thema ist dies für den Autor eine Herausforderung, könnte er doch aufgrund seines Wissens und des ihm vorliegenden Materials mit Leichtigkeit ein Mehrfaches an Text bieten. Tut er dies wirklich, ist die Redaktion in einem Dilemma, denn dann muss sie weglassen oder komprimieren. Bedeutet Ersteres noch keinen großen Eingriff in den Sprachduktus, stellt sich das beim Komprimieren durchaus anders da, denn hier muss erheblich in Stil und Satzgefüge des Autors eingegriffen werden. Wie oben schon erwähnt, eine durchaus heikle Aufgabe, derer sich die Redaktion schon aus zeitlichen Gründen gern enthält. Die Tendenz geht übrigens bei allen Magazinen und Zeit-

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schriften zu kürzeren bis ganz kurzen Beiträgen – man vergleiche beispielsweise eine Spiegelausgabe von vor 20 Jahren mit einer heutigen. Dies hängt vermutlich mit einem generell geänderten Rezeptionsverhalten zusammen, das möglicherweise durch das Internet mit forciert wurde: Wer liest am Bildschirm schon gerne seitenlange Texte? Aufbau der Artikel Den Leser zu animieren, Beiträge auch wirklich zu konsumieren, ist für ein Magazin ganz wesentlich. Schon beim reinen Durchblättern einer Ausgabe soll er Lust bekommen, in die Lektüre einzusteigen. Dass ein langer Artikel, womöglich nicht sehr anregend illustriert – wir nennen so etwas ›Buchstabenfriedhof‹ – die Leselust nicht gerade fördert, liegt, glaube ich, auf der Hand. Aber nicht nur die bereits angesprochene Länge ist es, die animiert oder abstößt, auch die Struktur des Beitrags und die Typografie tragen wesentlich dazu bei, die Neugier und den Lesedrang zu erhöhen. So sollte die Überschrift prägnant und Spannung erzeugend sein. Die Worte ›Archäologie‹, ›Archäologen‹ oder ›archäologisch‹ verbannt die Redaktion, wenn irgend möglich, aus der Artikelüberschrift wie auch aus den Zwischentiteln – dass er eine Zeitschrift, die sich mit Archäologie beschäftigt, in Händen hält, weiß der Leser und braucht es nicht auf jeder Seite erneut gesagt bekommen. Ebenso spröde sind lange Ortsangaben, womöglich mit Landkreis- und Gemeindeangaben, die ja bisweilen in anderen Zusammenhängen durchaus sinnvoll sind und deshalb von Archäologen zur genauen Identifikation des Fundortes gerne verwandt werden. In einer Magazinüberschrift haben sie nichts verloren. Diese Angaben, wenn sie nun notwendig sind, gehören in den Vorspann, der den Leser – ohne zu viel vom Inhalt preiszugeben und Spannung aufbauend – an die Artikelmaterie heranführen soll. Wichtig sind auch die Zwischenüberschriften, die den Leser ebenfalls durch zugespitzte und stringente Hinweise auf bestimmte Aussagen und Ergebnisse im Artikel neugierig machen sollen – ein Element, das generell in Magazinen, aber ebenso in anderen Zeitschriften wie auch in der Tagespresse während der letzten Jahre immer beliebter wird. Während sich die Zwischenüberschrift bei der AiD generell auf den folgenden Textteil bezieht, werden in anderen Medien oft auch Sentenzen des Textes oder Aussagen in einem Interview an beliebiger Stelle ohne örtlichen Bezug zum Text typografisch herausgestellt. Es bleibt dann dem Leser überlassen, den entsprechenden Kontext im Beitrag zu finden. Der Effekt, dass er in den Text einsteigen muss, möchte er die Zusammenhänge der interessanten Aussage erkennen, ist erreicht.

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Ein wesentliches Element, das den Leser in den Beitrag führt, sind natürlich die Abbildungen und ihre Legenden. Sie ziehen den Blick des Lesers schon bei einer groben Durchsicht des Heftes auf sich und wecken, gut ausgewählt und mit einer substanziellen aber doch nicht den Inhalt des Textes vorwegnehmenden Bildunterschrift versehen, Neugier auf den Beitrag. Wobei hier nebenbei festzustellen ist, dass die Fotokultur bei den Archäologen durch die digitalen Möglichkeiten leider nicht gerade an Qualität gewonnen hat. Ohne das Zutun von Fachleuten und Wissenschaftlern aus der Archäologie ist die AiD in ihrer vom Leser akzeptierten Form also nicht zu gestalten. Die Mühe und Arbeit, die sich die Autoren bei dem Erstellen von Artikeln, beim Heraussuchen von Abbildungen und bei der Kommunikation mit der Redaktion machen, wird weniger durch das nicht gerade fürstliche Honorar entlohnt, sondern mehr durch die Möglichkeit, Multiplikatoren in der Öffentlichkeit anzusprechen, die das Fach für seine Verankerung in Gesellschaft und Politik dringend braucht.

Fazit Nach diesem Blick auf Entstehen, Funktion und Struktur eines Archäologie-Magazins und seiner Leserschaft, gefolgt von einem Exkurs zu Autoren und Redaktion wie auch zu deren Ineinandergreifen, möchte ich nochmals kurz auf die eingangs zumindest angedeutete Fragestellung zu sprechen kommen – eine Fragestellung, die in den letzten Jahren für alle Medien, sogar in einigen Teilen unseres täglichen Lebens, entscheidend war: Was verändert sich durch den Siegeszug der Digitalisierung und in ihrem Gefolge, dem Internet, das sich zu einer beherrschenden, ja gewisse andere Medienformen verdrängenden Institution entwickelt hat? Kurz auf diese Fragestellung einzugehen heißt hier natürlich auch nur kursorisch, denn diese Frage ist auch ökonomisch so wichtig, dass sie ganze Scharen von Medienwissenschaftlern beschäftigt und Stoff für viele Bücher wie dieses böte. Doch ob kurz, kursorisch oder tiefschürfend in die Breite gehend, alle Aussagen zu diesem Thema werden letztlich etwas Spekulatives an sich haben, denn niemand kann das Medienverhalten in der Gesellschaft auf zehn, zwanzig oder fünfzig Jahre hin voraussagen, zumal man nicht genau weiß, was die Technik uns noch alles bringen wird. Auch einem ausgewiesenen Medienwissenschaftler wie dem eingangs erwähnten McLuhan ist dies eben nur in einer perspektivischen Weise gelungen. Oder sollten seine Aussagen letztlich doch noch durch das Internet verifiziert werden?

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Sicher ist (und das kann man getrost als gegeben betrachten, weil dieser Vorgang schon jetzt an vielen Stellen ablesbar ist): Die Printmedien werden sich in Inhalt und Struktur verändern. Für die AiD heißt das wohl, dass sich kurze, zeitnahe Informationen eher reduzieren. Öffnungszeiten von Ausstellungen etwa kann das Internet sicher genauer und schneller liefern, ebenso Anfahrtshinweise etc. Einige traditionelle Rubriken werden deshalb wohl auf die Dauer obsolet werden. Doch ich denke, die Freude am Blättern, der schnelle Überblick und das intensive Schmökern wird bei einem Großteil der Leser wohl noch lange Zeit vorhalten und dem Printmedium Archäologie in Deutschland seinen Platz als Mittler zwischen Wissenschaft und einem breiten Publikum sichern. Den Archäologen und der Archäologie sollte es recht sein, ein solches Medium der positiven Propagierung ihrer Arbeit zu Verfügung zu haben. Was man bei der Diskussion um ›überlebensfähig oder nicht‹ keinesfalls verkennen sollte, ist, dass eine Zeitschrift wie die AiD zum Nutzen der Leser eine gewisse Filterwirkung hat. Diese geriert sich aus der oben beschriebenen intensiven Zusammenarbeit zwischen Autoren und Redaktion, aus der eine Art Stoffaufbereitung entsteht, auf die wohl die wenigsten Abonnenten verzichten wollen oder sogar können. Je größer das Internet als Ablageplatz für Text, Bild, Wortbeiträge oder Filme wird, desto wichtiger scheint mir diese Funktion zu werden. Ob man dann die AiD im Briefkasten findet, ob man sie aus dem Netz druckt oder sich die Daten zum Lesen im E-Book besorgt, ist dann eine technische Frage der Letztform, die inhaltlich nicht von großer Relevanz ist.

Literatur McLuhan, Marshall (1968): Die Gutenberg-Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters, Düsseldorf: Econ.

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In the last decade, it seems, archaeology has established itself in German print media, especially in nationwide quality papers, as the humane discipline with the highest audience appeal. On the one hand this is due to structural changes within the newspapers themselves. On the other hand, though, the newspapers react to a growing approval of the importance of archaeological issues within society. To consolidate and extend this newly won societal importance, however, archaeology has to reflect about the mechanisms and conditions that made it a leading science in the first place: Since it has been granted a broad prerogative of interpretation in historical issues, it has to exercise this prerogative – by providing an historical narration, even, if necessary, in popcultural contexts. Statt einer Einführung ein persönliches Erlebnis: Dass die Archäologie im 3. Jahrtausend eine andere Rolle spielen würde als in den letzten Jahrzehnten des vorangegangenen, wurde mir am 11. Juni 2001 klar. 18 Stunden nach der Geburt meiner Tochter erhielt ich in der Berliner Charité einen wichtigen Anruf aus der Redaktion. Der Nachrichtenchef war auf eine sensationelle Meldung der Agenturen gestoßen: Der Troianische Krieg, hieß es da, fand gar nicht statt. Der Chefredakteur forderte mich daher umgehend auf, alles stehen und liegen zu lassen und sofort die Weltgeschichte umzuschreiben, was dann auch geschah, mehr oder weniger zumindest (vgl. Seewald 2001). Die Anekdote konturiert verschiedene Aspekte, die das Verhältnis von Archäologie und Journalismus mittlerweile ausmachen: 1. Der Troianische Krieg wurde zum Thema für Nachrichtenagenturen, was auf eine bemerkenswerte Relevanz des Themas verweist. 2. Der diensthabende Nachrichtenmann war offenbar der Meinung, dass an der Historizität des Troianischen Krieges noch nie gezweifelt worden war, was ihn als typisches Produkt der posthumanistischen Bildung charakterisiert.

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3. Der Chefredakteur einer überregionalen Qualitätszeitung erkannte eine auflagenträchtige Brisanz im Thema, die ihm wichtiger schien als das Lebensglück seines Redakteurs. 4. Er sollte damit Recht haben. Die langen Berichte der Nachrichtenagenturen bezogen sich auf Äußerungen des Archäologen Dieter Hertel, der sich gerade anschickte, die Deutungen des Troia-Ausgräbers Manfred Korfmann grundsätzlich in Zweifel zu ziehen. Resümiert man den folgenden »Krieg um Troia«, wird man kaum umhin kommen, ihn – zumindest gemessen in Zeilen und Beiträgen – als größte historische Debatte in den Feuilletons des 3. Jahrtausends zu bezeichnen, dicht gefolgt übrigens vom – eng verwandten – Ringen um Homers Heimat und von den Feiern zu 2000 Jahren Varusschlacht, die sich anschließen sollten (vgl. Weber 2006; Jürgens 2009; Ulf/Rollinger 2010). 5. Der methodische Streit, um den es Hertel und seinen Mitkombattanten ging, nämlich dass nicht jedes antike Hausfundament am Fuß des Hügels Hisarlik automatisch für die Existenz einer bronzezeitlichen Metropole Troia sprechen müsse, wurde umgehend mit einer populären historischen Frage verknüpft: Gab es denn nun einen Troianischen Krieg oder nicht? So kommen also zahlreiche Ingredienzien zusammen, die den Dialog zwischen Zeitungen und Archäologie ausmachen: Journalisten billigen ihren Themen hohen, ja höchsten Nachrichtenwert zu, der sich offenbar umgekehrt proportional zum vorhandenen Wissen über den wissenschaftlichen Diskurs verhält. Die Medien folgen damit den Interessen ihrer Leser, deren Wahrnehmung wiederum gewisse Restvorstellungen über ein Thema voraussetzt. Der neue Streit um Troia konnte sich daher schnell zu einer regelrechten Debatte auswachsen, weil er sich um einen populären Mythos rankt. Und die Journalisten bedienen sich des von der Wissenschaft bereitgestellten Materials in Formen, die von der akademischen Zunft weder vorhergesehen noch gesteuert werden können. Anders als der appellatorische Charakter des Themas dieses Bandes »Für einen neuen Dialog zwischen Wissenschaft und Medien« vermuten lässt, soll im Folgenden nicht einmal mehr dem perpetuierten Missverständnis zwischen Medien und Archäologie das Wort geredet werden. Im Gegenteil: Dieses vielzitierte Klischee scheint immer dann aus der Schublade gezogen zu werden, wenn ein Journalist oder ein Wissenschaftler über das Ziel hinausgeschossen ist und nach einer griffigen Erklärung für das Malheur sucht, nicht bei sich selbst, versteht sich, sondern stets beim Gegenüber. Dabei gerät unweigerlich die jeweilige Methode in den Blick, beim Journalisten die Recherche und mediale Umsetzung, beim Wissenschaftler die verständliche Erklärung und Ein-

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ordnung in größere Zusammenhänge. Gerade die Abwägung des Handwerkszeugs wird zeigen, wo möglicherweise die Probleme für den Dialog liegen. Zwei methodische Hinweise vorweg: Die folgenden Überlegungen gehen vom Beispiel der Zeitungen aus. Diese bilden, trotz aller Krisen, mit rund 20 Millionen Exemplaren Tagesauflage nach wie vor das Fundament des deutschen Mediensystems, zumal sich die Wissensgesellschaft des Internets in weiten Teilen auf Einspeisungen aus Zeitungsredaktionen gründet. Im engeren Sinne geht es allerdings um überregionale Titel jenseits des Boulevards, die sich selbst gern als Qualitätspresse bezeichnen. Hinzu kommen – als wichtigste Referenzmedien und Gesprächspartner – überregionale Wochen- und Sonntagszeitungen sowie politische Wochenmagazine. Ähnlich changierend wie das Medium Zeitung ist das Thema Archäologie in ihm. Es umfasst ein noch weitaus größeres Themenfeld, als dies in der Selbstcharakterisierung von der »Vielfalt der Archäologien« (Leppin 2005: 23) zum Ausdruck kommt. Paulus-Grab und Turiner Grabtuch, eiszeitliche Venus und Kleopatras Palast, Homers Heimat, Caesars Kopf oder die Drachen der Wikinger, für das alles und noch viel mehr halten Chefredakteure von Zeitungen ihre Fachredakteure für kompetent. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere wird geprägt von den Kriterien zur Nachrichtenauswahl und Themenaufbereitung.1 In dieser Perspektive erschiene, überspitzt gesagt, eine neugefundene assyrische Inschrift im gleichen Licht wie Stalins Tagebücher, würden sie denn je gefunden werden.2

Zeitung und Wissenschaft Seit den 1980er Jahren haben viele Zeitungsredaktionen ihre Wissenschaftsberichterstattung deutlich ausgebaut (vgl. Ruß-Mohl 2003: 240ff.). In allen überregional wirkenden Redaktionen wurden eigene 1 2

Vgl. Ruß-Mohl (2003: 124ff) sowie die Beiträge von Siebo Heinken, Johannes Saltzwedel, Tamara Spitzing und Cornelia Varwig in diesem Band. Die folgenden Überlegungen verstehen sich als Beitrag aus der Zeitungspraxis und wollen keinen Anspruch auf eine sozialwissenschaftlich fundierte Analyse erheben. Zum einen handelt es sich bei dem benutzten Material in Teilen um Betriebsunterlagen, die aber zumindest die Formulierung von Trends erlauben. Zum anderen folgt die Darstellung Erfahrungen aus der Arbeitswirklichkeit, zu denen auch das tiefverwurzelte Misstrauen gegenüber Wissenschaftlern gehört, die sich die Entschlüsselung journalistischen Tuns zur Aufgabe gemacht haben (vgl. Ruß-Mohl 2003: 20). 195

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Ressorts gegründet, deren Mitglieder sich oft aus speziell entwickelten Ausbildungsgängen rekrutieren. ›Wissenschaft‹ meinte dabei zunächst Naturwissenschaften, Technik, Medizin sowie Service und Lebenshilfe. Mit den Seiten wuchs auch das Themenspektrum, das zunehmend geistes- und sozialwissenschaftliche Stoffe entdeckte. Die schnelle Professionalisierung dieses redaktionellen Arbeitsgebiets hat übrigens dafür gesorgt, dass auch die Methoden der akademischen Themenlieferanten ungleich deutlicher ins Bild genommen wurden und werden, als dies noch in Zeiten der Fall war, in denen Journalisten als »Agenten der Gelegenheitsvernunft« (Spinner 1988) galten. Die Erkenntnis, dass etwa »im Zentrum der archäologischen Forschung nicht mehr der spektakuläre Einzelfund« steht, »sondern der Befund einer Grabung, der die Funde in einen Zusammenhang stellt« (Leppin 2005: 23), darf beim Gros der mit ihr betrauten Journalisten mittlerweile vorausgesetzt werden. Warum dieses Wissen nicht unbedingt in die Berichterstattung über Archäologie einfließt, steht auf einem anderen Blatt und hat viel mit RelevanzKriterien von Journalisten zu tun.3 Parallel zum Aufstieg des Wissenschafts-Ressorts suchte das klassische Feuilleton Auswege aus der Krise, in die es nach dem Untergang des neuhumanistischen Bildungsideals geraten war (vgl. Ruß-Mohl 2003: 226ff.).4 Also besetzt das Kultur-Ressort zunehmend Themen aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft. Dabei bedient es sich auch Genres wie Reportage, Interview oder Feature, die Wissenschaftsjournalisten bevorzugen, während die Rezension als Königsdisziplin der ästhetischbelehrenden und räsonierenden Kritik immer weniger Leser anspricht. Dabei kommt den Zeitungen zugute, dass die meisten Redakteure und ihre Mitarbeiter mittlerweile eine akademische Ausbildung haben, in Feuilleton und Wissenschaft oft auch eine Promotion samt rudimentärer oder gar paralleler akademischer Karriere. Von dieser Binnenkonkurrenz, an der auch noch das Ressort Vermischtes, die Magazin- und Wochenendseiten oder die Beilagen ihren Anteil haben, profitieren die Wissenschaftsthemen, die geisteswissenschaftlichen zumal. Denn das naturwissenschaftlich ausgerichtete Wissenschaftsfeuilleton der Jahrtausendwende hat sich als Strohfeuer erwiesen. Manchmal ist es reiner Zufall, dass ein Thema in dem einen Ressort gespielt wird und nicht im anderen. Als etwa das Württembergische Landesmuseum in Stuttgart im Vorfeld seiner Ausstellung Schätze des Alten Syrien – Die Entdeckung des Königreichs Qatna (17. Oktober 2009 bis 3 4

Siehe Anm. 1. Ein Beispiel für den strukturellen Wandel: Die Zahl der bis zu 40-Jährigen, die wenigstens einmal pro Jahr die Oper besuchen, hat sich seit 1965 mehr als halbiert (vgl. Zentrum für Kulturforschung Bonn 2005). 196

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14. März 2010) Journalisten nach Syrien einlud, sprach es vor allem Wissenschafts-Redaktionen an. Das Badische Landesmuseum dagegen lud vor seiner Schau Erben des Imperiums in Nordafrika – Das Königreich der Vandalen (24. Oktober 2009 bis 21. Februar 2010) vor allem Feuilleton-Redakteure ein. Entsprechend variieren die Ergebnisse. Wissenschaftsgeschichten werden mit Karten, Diagrammen, wissenschaftlichen Zusatzstücken präsentiert; Kulturgeschichten kommen ästhetisch erhabener, bildungsschwerer daher (vgl. Ruß-Mohl 2003: 54ff.).5 Das hat etwas mit dem Selbstverständnis von Zeitungsjournalisten zu tun und ihren überkommenen Traditionen,6 kaum aber mit Publikumsorientierung oder Reflektion der eigenen Arbeit. Vor allem im Feuilleton gilt die Originalität als ein Anspruch, dem die sachliche Vermittlung von Fakten leicht untergeordnet wird. Auch die Aktualität verkommt leicht zum nicht hinterfragten Selbstzweck. Als vor der Karlsruher Vandalen-Schau ein zweiseitiger Artikel im Wissenschaftsteil der Zeit erschien (Willmann 2009), wurde dem gleichen Thema anschließend im Spiegel, der sich offenbar als zweiter Sieger empfand, deutlich weniger Platz eingeräumt (Schulz 2009b) als ursprünglich wohl geplant. Der Beitrag wurde zudem geradezu als Gegenthese zur Zeit formuliert. Als der Spiegel im Fall neuer Funde in Qatna die vereinbarte Sperrfrist brach (Schulz 2009a), erschien anschließend der entsprechende Beitrag in der Welt am Sonntag in deutlich gekürzter Form (Seewald 2009b). Dabei wäre es den unterschiedlichen Lesergruppen vermutlich ziemlich egal gewesen, ob sie einen Tag früher oder später von neu entdeckten Königsgrüften oder neuen Deutungen der Völkerwanderung erfahren hätten. Mit den angesprochenen thematischen Aspekten geht ein grundlegend organisatorischer Wandel einher: In Konkurrenz zu PrintMagazinen und elektronischen Medien entwickelten die Zeitungen seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre neue Formen des Umgangs mit gro-

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Die Qatna-Beiträge von Rauchhaupt (2009a, 2009b und 2009c) sind schöne Beispiele für die unterschiedliche Art der Aufbereitung in Wissenschafts- und Feuilleton-Ressorts, hinter der sich auch ein anderes Selbstverständnis verbirgt. Die ersten beiden Beiträge über Neufunde in Syrien waren als Wissenschafts-Report aufgemacht, mit Karten, Zeittafeln und zahlreichen Bildern. Der dritte, der die Feuilleton-Strecke eröffnete, zeigte eine Statuette in situ sowie einen Lageplan des Palasts von Qatna, dessen Aussagekraft durch keinerlei Hilfsmittel erhöht wurde. Die Beispiele zeigen auch, dass die Beobachtung, ausgerechnet das Wissenschafts-Ressort zeichne sich durch handwerkliche Schlichtheit aus (vgl. Ruß-Mohl 2003: 245), mittlerweile als überholt gelten darf. Zu den früh verfestigten Formen des feuilletonistischen Handwerks vgl. Requate (1995: 347ff.) 197

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ßen Themen. Für ihre Darstellung und Analyse wurden nun ganze Seiten oder gar Seitenstrecken bereitgestellt – mit unterschiedlichsten journalistischen Genres, von der Reportage über Grafiken bis zum Interview. Das war nicht zuletzt möglich, weil das, was heute Zeitungskrise genannt wird, noch in den Sternen stand. Zum Vergleich: Als 1998 Bill Clintons intime Praktikantinnen-Details über die Agenturen liefen, wurde einfach der Seitenumfang erhöht, eine Maßnahme, die sich heute jeder Verlag zweimal überlegen muss. Aber zwei Dinge sind geblieben: die Fähigkeit zu derartigem Themen-Management und die Erkenntnis, dass der Leser derartige Bündelungen goutiert, zumindest bei Themen, die ihn interessieren.

Zeitung und Leser Der Ausbau der Wissenschaftsberichterstattung erklärt sich vor allem durch ihren Erfolg beim Leser. Die verschiedenen Methoden der Reichweitenmessung bestätigen immer wieder, dass die Wissenschaft nicht nur deutlich besser gelesen wird als das Feuilleton, sondern auch den Männerseiten des Sports ernsthaft Konkurrenz macht. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Medizin- oder Service-Geschichten auf den Wissenschaftsseiten auch weibliche Leser anziehen. Vor allem die Methode des Readerscan gilt heutzutage als wichtigstes Instrument der Leseranalyse. Dabei dokumentiert eine qualitativ ausgewählte Gruppe von vielleicht 150 Personen wiederholt ihr Leseverhalten über mehrere Wochen hinweg mit einem Laserstift: Welcher Artikel wird gelesen, wie viele Zeilen von ihm werden gelesen, welcher Beitrag wird nicht oder nur zur Kenntnis genommen? Es zeigt sich, dass historische und archäologische Themen leicht ›Einschaltquoten‹ von 35 % (im jeweiligen Ressort) und mehr erreichen können. Zum Vergleich: Selbst die Oper als Aufmacher überwindet im Feuilleton selten die Drei-Prozent-, Tanz nicht einmal die Ein-Prozent-Hürde. Mit diesem Phänomen korreliert eine andere Beobachtung. In den Online-Angeboten der Tageszeitungen erreichen historische und archäologische Themen ebenfalls Spitzenplätze.7 Einen weiteren Hinweis für die Akzeptanz historischer Themen beim Publikum bietet die Kommentar-Funktion der Online-Kanäle. Dabei handelt es sich um Meinungsäußerungen, die Leser zu einem Beitrag abgeben. Das kann, zumal bei 7

Im Januar 2008 avancierte ein nicht ganz leichtfüßiger, ganzseitiger Beitrag des Althistorikers Robert Rollinger (2008b) über Raul Schrotts Homer-Thesen bei Welt Online zu einem der meistgelesenen Texte des Monats (Rollinger 2008a). 198

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zeithistorischen Themen, eine durchaus heikle Angelegenheit sein. Dass aber Texte über Varus, Paulus oder Raoul Schrott leicht Hunderte von Kommentaren generieren, zeigt doch auch, dass diese Themen beim Leser ankommen. Wie sehr die neuen medialen Möglichkeiten des OnlineJournalismus Geschichten zum Durchbruch verhelfen können, lässt sich an Großthemen wie Troia oder Varus beobachten. Texte, die im Zeitungsformat mühsam eingekürzt werden müssten, können online umgehend in voller Länge dokumentiert werden. Mit wenigen Handgriffen lassen sich viele Beiträge aus dem Archiv zu Schwerpunkten verlinken. Bilderstrecken, Filme, interaktive Genres wie Spiele, Karten, Diagramme oder Quiz kommen mehr und mehr hinzu.8 Sie steigern in ganz anderer Weise, als etwa Themen aus dem klassischen Feuilleton es vermögen, die Zahlen der Page-Impressions oder Unique Users, wie die Währungseinheiten in der Online-Reichweiten-Messung genannt werden. Auch wenn gerade im Feuilleton die Orientierung an populären Publikumsinteressen durchaus verpönt ist, festigen Leserforschung und Online-Angebote die aktuelle Archäologie-Konjunktur in den Zeitungen: zum einen durch Schaffung eines Interesses mittels wachsender Angebote, zum anderen durch Rückwirkung auf die Themensetzung im traditionellen Printjournalismus. Auch für die Qualitätspresse wird im Zuge der Krise die Orientierung an Leserwünschen mehr und mehr zu einer Existenzfrage. Die Folgen sind offensichtlich: Die noch vor wenigen Jahren vielleicht gültige Beobachtung, dass es für ein archäologisches Thema in normalen Zeiten immer schwieriger wird, im Blatte berücksichtigt zu werden (vgl. Kapf 2004: 128f.), hat sich in ihr Gegenteil verkehrt.

Gesellschaftliches Interesse Die entscheidende Rolle bei diesem Wandel kommt aber nicht den Medien, sondern ihrem Publikum zu. Es ist offenbar begierig, mehr über Archäologie im weitesten Sinne zu erfahren. Nur so ist zu erklären, dass das ZDF seit Jahren am Sonntag Schliemanns Erben oder Terra X beste Sendezeit einräumt, zu der problemlos fünf Millionen Zuschauer erreicht werden (vgl. Hillrichs 2004: 124f.). Wie aber konnte die Archäologie in der Nachfolge der Geschichte zur neuen Leitwissenschaft des 3. Jahrtausends werden (vgl. Schloemann 2008; Leppin 2005: 22)? Der Streit um die Thesen Ernst Noltes zum Weltbürgerkrieg und seinen totalitären Begründungen 1986 war wohl die letzte klassische Geschichtsdebatte in Deutschland, in der Fachhistorikern die Meinungsführerschaft zukam. Alle, die folgten – Wehrmachtsausstellung, Jonah 8

Als Beispiel: Seewald (2009a). 199

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Goldhagens Willige Vollstrecker, Flüchtlingsleid oder Bombenkrieg – wurden von Außenseitern initiiert und geprägt, denen das Publikum offenbar die gleiche Kompetenz zubilligte wie den verbeamteten Spezialisten. Über die Gründe ließe sich lange diskutieren. Zwei Aspekte scheinen dabei für unsere Fragestellung wichtig zu sein: Zum einen war die Emanzipation des Publikums ein deutliches Zeichen für die Auflösung der letzten Reste eines thematischen und personellen Kanons, der in den späten 1960er/frühen 1970er Jahren noch einmal geformt worden war. Zum anderen löste sich die Komplizenschaft, die die damals auf die Lehrstühle gelangten Wissenschaftler mit zahlreichen maßgeblichen Journalisten verband. In der Debatte um Daniel Jonah Goldhagens Thesen 1996 reichte ein Machtwort der großen NS-Forscher eben nicht mehr aus, sie als Scharlatanerie abzutun. Das Publikum kaufte sein Buch trotzdem (vgl. Seewald 2005a). Dabei sind die Leser keineswegs dümmer geworden. Leserforschungen bestätigen, dass die Käufer der Qualitätspresse nicht nur überdurchschnittliche Einkommen zur Verfügung haben, sondern auch überdurchschnittlich gebildet sind. Was zu der Tatsache passt, dass es noch nie so viele Akademiker in Deutschland gegeben hat wie in unseren Tagen. Analysen über deren Internetnutzung zeigen, dass es bei deren Suche nach Information keine Rolle mehr spielt, »ob es sich um professionelle Angebote handelt oder um Laien-Einträge. Weltwissen bedeutet auch, dass irgendeine Person schon einmal vor dem gleichen Problem gestanden hat« (Meyen/Dudenhöffer/Huss 2009: 522). Das erklärt die Abwendung von den etablierten Mandarinen. Warum aber sind ausgerechnet die Archäologen und andere Altertumsforscher die Gewinner dieser intellektuellen Emanzipation, so ambivalent Kulturkritiker sie finden mögen? Sechs eng miteinander verbundene Gründe lassen sich ausmachen: 1. Bildung, 2. Exotik, 3. Methode, 4. Pop, 5. Religion, 6. ein Paralleluniversum. Bildung Der Wunsch nach Werten spielt sicherlich eine besondere Rolle. Die Angehörigen der Mittelschicht definieren sich als bürgerlich, wobei die Standards dafür längst zu einem diffusen Konglomerat kaum verstandener Chiffren geronnen sind. Der immer wieder hochkochende Streit um das Gymnasium zeigt, worum es geht. Die Mittelschichten verteidigen verbissen ein Institut ihrer Reproduktion, das mit seinem neuhumanistischen Anspruch nichts mehr zu tun hat. Aber die Klischees daraus – von den Alten Sprachen bis zur Feuerzangenbowle – feiern fröhliche Urständ. Man macht es sich allerdings zu leicht damit, den Boom des La-

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tein-Unterrichts ausschließlich als Mittel sozialer Distinktion zu erklären. Sondern Latein und mittlerweile sogar wieder Griechisch werden auch als Brücke zu unseren Wurzeln verstanden, wenn man so will nach dem Europa, das Politiker in Sonntagsreden so gern zitieren, ohne dass sie selbst so genau wüssten, was jenes denn ausmache. In dieser Hinsicht findet die Europäische Einigung in der Folge der welthistorischen Wende von 1989 auch ihren pädagogischen Niederschlag. Exotik Gleichsam als Bekräftigung des pädagogischen Aspekts darf sein dialektisches Gegenstück dienen. Die griechisch-römische Antike ist eben längst nicht mehr das Referenzideal bürgerlicher Bildung, sondern nur eine von vielen Geschichten vom Aufstieg und Untergang ferner Kulturen. Die griechische Klassik erscheint mittlerweile gleichberechtigt neben den Kulturen der Seidenstraße oder des präkolumbischen Amerika, was einiges über die tatsächliche Substanz der grassierenden neuhumanistischen Epigonie aussagt. Die Vergangenheit wird zur attraktiven Gegenwelt unserer Gegenwart, weil sie in Gänze exotisch ist. Dazu passt das archäologische Personal. Wettergebräunte Ausgräber im Outdoorlook wirken allemal attraktiver und der Globalisierung angemessener als Stubenhocker in grauen Anzügen (vgl. Schloemann 2008). Methode Archäologie hat gegenüber anderen abstrakten aber auch geisteswissenschaftlichen Wissenschaften den scheinbaren »Vorzug der Anschaulichkeit« (Kyrieleis 2000: 6). Ihrem Erkenntnisfortschritt wird leicht ›objektiver‹ Rang beigemessen, ihre Ergebnisse erscheinen praxisnah. Einem Stein, einer Inschrift wird unmittelbare Wahrhaftigkeit zugestanden. Die komplizierte Neudeutung eines Textes durch einen Historiker oder Philologen steht dagegen unter dem Generalverdacht elitärer Interpretation in womöglich manipulativer Absicht. Nicht umsonst fällt in diesem Zusammenhang auch gern der Vergleich mit der Psychoanalyse und dem berühmten Zitat Sigmund Freuds: »Nehmen Sie an, ein reisender Forscher käme in eine wenig bekannte Gegend, in welcher ein Trümmerfeld mit Mauerresten, Bruchstücken von Säulen, von Tafeln mit verwischten und unlesbaren Schriftzeichen sein Interesse weckt« (Freud 1952: 426f.; vgl. Hansen 2005: 207ff.). Auch wenn Freud diesen Ansatz später verworfen hat: Wie sehr das Abenteuer des Spurenlesens und der Schatzgräberei zu den elementaren Sehnsüchten der menschlichen Seele gehört, hat schon Mark Twain in zeitlose Worte gefasst: »Im Leben eines jeden

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echten Jungen kommt einmal eine Zeit, da er den rasenden Wunsch empfindet, irgendwo nach vergrabenen Schätzen zu suchen« (Twain 1985: 194; vgl. Hansen 2005: 214). Pop Helden wie der Archäologieprofessor Indiana Jones, die suchende Abenteuerin Lara Croft oder der Symbologe Robert Langdon machen es bis in den letzten Winkel des Planeten vor: Im verlorenen Artefakt vergangener Kulturen stecken Erkenntnis, Reichtum und beste Unterhaltung. Dabei macht die Auswahl der Tatorte und Geheimnisse allerdings eines deutlich: Um die Akzeptanz beim Publikum sicherzustellen, muss es sich, manchmal buchstäblich, um einen Gral handeln, den es zu finden gilt, also um eine Entdeckung, die zu den populären Mythen der Menschheit gehört. Sie sind die Voraussetzungen für Entstehung und Erfolg von traumindustriellen Großprojekten wie Oliver Stones Alexander (2004), Mel Gibsons Apocalypto (2006), die Comic-Verfilmung der 300 an den Thermopylen (2007) oder der TV-Quality-Soap Rome (2005-2007).9 Wir lernen: Die Reichweite einer Geschichte verhält sich proportional zu der Ahnung, die sich von ihr im Publikum erhalten hat. Nicht umsonst sind die ägyptischen Pyramiden selbst in der Science-Fiction ein beliebter Ort für den Showdown. Religion Der mythische Kern, der den populären Stoffen innewohnt, zeigt auch, dass hinter dem Wunsch nach Faszination und Fantasy offenbar noch ein tieferer Beweggrund wirkt. Die Spurensuche nach der Menschheit Anfängen befriedigt in einer säkularisierten Gesellschaft auch metaphysische Bedürfnisse (vgl. Hillrichs 2004: 125.). So können das JudasEvangelium, das Paulus-Grab oder gar Jesu Sarkophag als globale Medien-Scoops inszeniert werden, nicht um Menschen zu verdummen oder zu missionieren, sondern weil sie davon fasziniert sind, was wiederum entsprechende Reichweiten in Form von Auflage oder Quote verspricht. Die großen Geheimnisse und Geschichten vom Aufstieg und Fall ferner Reiche und Kulturen nehmen dabei den Platz ein, den das Christentum Zug um Zug geräumt hat. Nicht umsonst spielt die wissenschaftliche Theologie die geringste Rolle als Schlagwortlieferant für das Problemfeld dieser Tagung. Dass sie dennoch – von Moses bis Qumran – gerade zu den christlichen Festen ein gern genutztes Themenreservoir nicht nur

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Zu Rome vgl. den Beitrag von Thomas Späth in diesem Band. 202

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für Zeitungen darstellt, verweist auf die religiöse Fundierung der archäologischen Konjunktur. Paralleluniversum Von (Ersatz-)Religion oder Fantasy ist es nur noch ein kurzer Schritt zu einem weiteren zentralen Grund, aus dem sich die ArchäologieBegeisterung speist. Die Rede ist von den Anhängern eines akademischen Paralleluniversums, das sich im Zuge des Internet-Booms global vernetzt hat. Die Interaktionsformen in den Online-Angeboten der Tageszeitungen zeigen sehr deutlich, dass gerade dieses Publikumssegment, das die gedruckten Versionen der Tageszeitungen kaum erreichen, von altertumswissenschaftlichen Themen angesprochen wird. Seriöse Wissenschaft und die Berichterstattung über sie stehen hier unter dem Generalverdacht, vernebeln und verdummen zu wollen. Der Erfolg von Raoul Schrotts Homer- oder Manfred Korfmanns Troia-Deutungen erklärt sich eben auch daraus, dass sie gegen das Establishment formuliert wurden. Ja man ist versucht, in Raoul Schrott die Rolle zu sehen, die der Politologe Jonah Goldhagen in der Zeitgeschichte gespielt hat. Beide Themen – Homers Heimat und der Antisemitismus – machen zudem einmal mehr deutlich: Sorgt die ›Entdeckung‹ einer neuen These für tagesaktuelle Aufmerksamkeit, liefert ihre Anbindung an eine Fragestellung des kulturellen Gedächtnisses erst den Resonanzboden, der jene zum Publikumsrenner macht. Es geht um Sinnstiftung. Damit aber, aus der Transformation ihrer Arbeit im populären Diskurs, gewinnt die Archäologie neues Anschauungsmaterial für das, was mittlerweile »intentionale Geschichte« (Gehrke 2003: 64f.) genannt wird. Das könnte – nebenbei – neue Forschungsperspektiven eröffnen.

Fazit Zunächst noch einmal eine Anekdote. Die Macher der oben bereits erwähnten Vandalen-Ausstellung im Badischen Landesmuseum Karlsruhe hatten zuvor in Zusammenarbeit mit dem dortigen Tourismusministerium zu zwei Pressereisen nach Tunesien eingeladen. Zusammengenommen vertraten die dort versammelten Journalisten eine Auflage von mehr als vier Millionen, also mehr als ein Fünftel der deutschen Tagespresse. Der gastgebende Museumsdirektor kannte die Spielregeln schon ganz gut. ›Sie wollen eine These, also bekommen sie eine‹, lautete sein mehrfach zitiertes Credo. Also erklärte er immer wieder, dass und warum die Vandalen keineswegs Vandalen waren, sondern gelehrige Schüler der Rö-

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mer, und dass die Dekadenten natürlich die Byzantiner gewesen seien, die das Land schließlich ruinierten. Einige Kollegen mochten dem nicht zustimmen. Nicht weil sie von liebgewordenen Klischees und Bildern marodierender Barbaren nicht lassen mochten. Sondern weil sie die Unterschiede zwischen vandalischer und vandalenzeitlicher Baukunst nicht nachvollziehen mochten, Quellen für das 6. Jahrhundert nicht belastbar genug fanden oder mit der Überlieferung des 7. Jahrhunderts argumentierten. Am Ende fand sich der Museumsmann als Hauptakteur in einem veritablen »Historikerstreit« (Schulz 2009b) wieder, ein Begriff, den PRFachleute tunlichst meiden würden. Die Anekdote mag auf den ersten Blick als weiteres Argument für die These erscheinen, dass der Graben zwischen medialer und archäologischer Welt kaum zu überbrücken ist. Man kann es aber auch anders sehen: Hier hatten Journalisten ihre Hausaufgaben gemacht, sich mit Material und Methoden beschäftigt, nachgedacht und waren nicht mehr bereit, sich als Lautsprecher des akademischen Katheders instrumentalisieren zu lassen. Die Geschichte spiegelt also die Konsequenz aus dem gewandelten Verständnis von Archäologie. Aus dem ehemaligen Exotenfach ist eine Leitdisziplin geworden, zu deren Begleitung die deutsche Qualitätspresse erhebliche Kapazitäten in personeller, journalistischer und räumlicher Hinsicht aufgebaut hat. Welche Möglichkeiten das bietet, zeigt das andere bereits erwähnte Projekt. Durch clevere wie aufwändige PR-Arbeit unterstützt, gelang es den Machern der Stuttgarter Qatna-Schau, eine bis vor wenigen Jahren völlig unbekannte Ausgrabungsstätte in Syrien flächendeckend vorzustellen. Das Beispiel zeigt allerdings auch, dass gewisse Spielregeln einzuhalten sind. So trug die Qatna-Ausstellung nicht umsonst den Titel Schätze des Alten Syrien, wobei mit Schätzen nicht der kulturhistorisch interessante Inhalt von Latrinen oder Feuerstätten, sondern das gemeint ist, was der Durchschnittsbürger unter Schätzen versteht: Gold, Kunstwerke, Edelsteine. Genau dieser Punkt aber ist es, der – zumal von Archäologen – gern als Sollbruchstelle zwischen ihrem Fach und den Medien ausgemacht wird. Mit ihrer Fokussierung auf repräsentative Objekte oder Untersuchungsmethoden erscheinen Journalisten als Agenten populärer Interessen. Sie bestimmen, so der Vorwurf, »die Wahrnehmung und letztlich die Themen der archäologischen Forschung zumindest mit« (Beyer 2009: 9). Das aber wird weniger als Chance im Konkurrenzkampf der Disziplinen um die spärlicher werdenden Ressourcen gesehen, sondern als Sündenfall von existenziellem Ausmaß. Die Frage, warum dieser antimediale Reflex in der Archäologie offenbar stärker ausgeprägt ist als etwa in der Geschichtswissenschaft, rührt daher offenbar an einem Diskurs, der vor allem das Fach selbst betrifft: Was ist Archäologie und was sollte sie sein?

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Zwei Aspekte fallen aus journalistischer Perspektive ins Auge. Zum einen pflegt das Fach durchaus noch jene elitäre Aura, mit der seine Begründer einst antraten und die in dem Maße perpetuiert wurde, wie sie mit spektakulären Funden auf legendenumwobenen Stätten unser Wissen um vergangene Völker und Kulturen erweiterten. Das hat durchaus eine soziokulturelle Komponente. Die großen Archäologen des 19. Jahrhunderts stammten aus Adel oder Großbürgertum und waren oft von Haus aus in der Lage, kostspielige Kampagnen im internationalen Rahmen zu organisieren (vgl. Rottloff 2009).10 Viele Historiker, man denke nur an Säulenheilige wie Leopold von Ranke oder Theodor Mommsen, kamen hingegen aus schlichten Verhältnissen und waren geradezu gezwungen, zumindest für einige Jahre mit Journalismus ihr Geld zu verdienen. Die große zusammenfassende Erzählung, die im besten Fall Nobelpreiswürdig ist, fehlt der Archäologie als beispielhaftes Vorbild. Das hängt, zum anderen, sicherlich damit zusammen, dass diese sich als interdisziplinäre Disziplin versteht, die sich im Laufe ihrer Professionalisierung auch zahlreiche naturwissenschaftliche und technische Methoden angeeignet hat. Damit aber geht eine Emanzipation von den geschriebenen Quellen einher, mit kuriosen Ergebnissen. Gerade im Zuge der 2000-Jahr-Feiern der Varusschlacht wurde von Historikerseite die bange Mahnung formuliert, was es für die Glaubwürdigkeit eines Tacitus bedeuten würde, könnte archäologische Feldforschung Kalkriese als Ort des Endkampfs zwischen Cheruskern und Römern zweifelsfrei nachweisen (vgl. Wolters 2009: 166). Nicht wenige Archäologen verstehen ihre Profession nach wie vor eher als »eine auf der Untersuchung der Gegenstände und Formen beruhende Naturwissenschaft« denn als eine »wirtschaftlich, sozial und historisch orientierte Wissenschaft« (Schnapp 2009: 350.). Das sei ihnen unbenommen, doch damit verspielen sie den Kredit, den ihnen Publikum und Medien mittlerweile bei Darstellung und Deutung der Geschichte einräumen. Wenn ein Architekt und Bauforscher eine riesige, unbekannte Festung in Kleinasien mit einem Millionenetat ausgräbt und bei seiner Deutung keinen einzigen Gedanken auf den historischen Kontext seines Fundes verschwendet, dann mag das der Archäologie hohen Erkenntnisgewinn bescheren. Als Leitwissenschaft setzt sie damit aber ihren Rang aufs Spiel: im Publikum, in akademischen Gremien, nicht zuletzt als 10 Bezeichnenderweise fehlt mit dem Bauernsohn Ludwig Ross derjenige Archäologe in Rottloffs Liste, der den ersten Lehrstuhl des Fachs in Deutschland, in Halle, bekleidete. Sein Beispiel zeigt, wie ähnlich die Karrieren von Absolventen der Philosophischen Fakultät in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts doch eigentlich verliefen (vgl. Requate 1995: 156ff.; Seewald 2005b). 205

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hochalimentiertes Instrument auswärtiger Kulturpolitik unter dem Dach des Auswärtigen Amtes.11 »Archäologie ist eine historische Disziplin und folgt historischen Fragestellungen«, dieses Postulat Hans-Joachim Gehrkes (vgl. Seewald 2008) ist die Erklärung dafür, dass der Archäologie mittlerweile ihre außerordentlich gewachsene Breitenwirkung zukommt. Gerade weil ihre Gegenstände sichtbar sind und fassbar, billigen weite Teile der Gesellschaft den Archäologen eine Deutungskompetenz zu, die zum Beispiel Historikern mehr und mehr abgesprochen wird, weil deren elaborierte Quellenkritik oft kaum noch verstanden wird. Wo das enden kann, zeigt die öffentliche Marginalisierung einer Leitwissenschaft früherer Zeiten, der Theologie. Doch das Erkenntnisinteresse hat sich durch diese Entwicklung nicht geändert. Nicht neue Nuancen der Kunstgeschichte oder der hochdifferenzierte Methodendiskurs der Ausgräber interessieren, sondern die Ergebnisse für unser Bild auf die allgemeine Geschichte. Kurz gesagt: Ein Archäologe, der keine verständliche Geschichte erzählt, bleibt ungehört. Damit verbunden ist eine erhebliche Verantwortung. Für die Zeitungen, indem sie nicht jeder sensationsheischenden Agenturmeldung hinterherlaufen. Und für die Archäologen, die begreifen müssen, dass sie ihre Arbeit nicht mehr im Elfenbeinturm des Exotentums vorantreiben, sondern auf dem offenen Marktplatz einer Gesellschaft, der es keineswegs nur um Aufklärung geht. Wie wir gesehen haben, gründet sich die populäre Konjunktur der Archäologie auf eine krude Mischung aus Unterhaltung, Pop, Bildungsersatz, Distinktion, Esoterik bis hin zum Religionsersatz. Diese Bedürfnisse lassen sich durchaus solide, seriös und im besten Sinne aufklärend befriedigen. Verweigerung schafft dagegen das Thema nicht aus der Welt, im Gegenteil. Denn die Geschichten von Achill bis zum Zerberus sind ja im populären Mythenschatz verankert und wollen immer wieder erzählt werden. Archäologen braucht man dazu im Grunde nicht.

11 Am Beispiel seines Fachs, der Christlichen Archäologie, weist Wolfgang Zwickel (2009: 38) auf die Konsequenz hin: Gerade weil die interdisziplinäre Forschung immer aufwändiger und damit teurer wird, wächst die Gefahr der Einflussnahme durch einzelne Finanziers, die von sehr eindeutigen politischen oder weltanschaulichen Motiven getrieben werden. Breites mediales Interesse kann dem entgegenwirken. 206

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ANTIKE

SACHBUCH î ZUM SCHMÖKERN?

IM

FORSCHUNG

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Non-fictional books on scholarly issues have only been a sizeable market segment from around 1900. In Germany the longstanding seminal bestseller in this field is Ceram’s popular history of archaeology Götter, Gräber und Gelehrte (1949); since which the field has become increasingly diversified. The ways to attract a wide readership are applicable to all sorts of topics, so scholars compete with professional authors in the contest to tell a fascinating story. Starting with the German market, some indication of national tastes and other recognizable features can be made; for the foreseeable future, however, the individual success of a book will remain a matter of many factors working together. Sachbücher sind als Marktsegment ein vergleichsweise junges Genre – vor 1899, dem Erscheinungsjahr von Ernst Haeckels Welträthseln, gab es, soweit ich sehe, nur Einzelfälle, vorwiegend auf naturwissenschaftlichem Gebiet –, und auch die Erforschung dieser Gattung steckt noch in den Anfängen, allerdings in vielversprechenden. 2005 ist in Berlin eine Projektgruppe zusammengekommen, die sich der Sachbuchforschung derart intensiv widmet, dass sie sogar eigene Organe – die Zeitschrift Non Fiktion, eine Website mit bibliographischer Datenbank und einen elektronischen Rundbrief – herausgibt. Im Kontrast zu solch gediegener wissenschaftlicher Aufarbeitung eines komplexen Feldes kann der Markt-Praktiker hier nur schlaglichtartig Eindrücke davon vermitteln, was Sachbücher antikischen Gehaltes waren und sind (I), was sie heute erfolgreich machen kann (II) und wie deutsches und globales Sachbuchgeschäft heute ineinander greifen (III).

I Interessanterweise sind es gerade antike Geschichte und Archäologie gewesen, die 1949 jenen bis heute geradezu sprichwörtlich gewordenen 211

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Sachbuch-Bestseller hervorbrachten, der für die Nachkriegszeit als Pioniertat gelten muss: C.W. Cerams Götter, Gräber und Gelehrte. Ein umfassend gebildeter, beneidenswert schreibbegabter Lektor des Rowohlt Verlages, bürgerlich Kurt W. Marek, verwandelte in diesem Werk geradezu mustergültig ein bislang nur einschlägig Vorgebildeten zugängliches Gebiet, die Archäologie, in fesselnden Lesestoff. Ceram nannte sein Buch Roman der Archäologie, sicher in Annäherung an Franz Werfels Verdi – Roman der Oper (1924) und andere Erfolgsbücher, aber auch als klares Signal zugunsten einer von Pensumsdruck freien Lesehaltung; die fachgeschichtlich angeordneten vier Teile über Griechenland, Ägypten, Mesopotamien und Mittelamerika waren malerisch-unterhaltend als das »Buch der Statuen«, »der Pyramiden«, »der Türme« und »der Treppen« überschrieben. Mit genuiner Entdeckerlust und immer nah dem menschlich-Allzumenschlichen seiner Helden von Winckelmann und Schliemann bis E.H. Thompson schilderte dieser Schmöker, schon nach zwei Jahren in mehr als 100.000 Exemplaren verbreitet, die Faszination der Vorzeitforschung. 1961 war die Million erreicht; bis heute ist das Werk einer der Longseller des Verlages und heute übrigens auch als Hörbuch erhältlich. Ceram setzte Maßstäbe; sein Buch war eine Initialtat für den Sachbuchmarkt der Nachkriegszeit. Den Verkaufsrekorden von Götter, Gräber und Gelehrte bemühten sich geschäftstüchtige Verleger seither nachzueifern. Ein Autor, dem dieser Anschluss gelang, war der Bonner Journalist Rudolf Pörtner, der seine Leser 1959 Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit fahren ließ: Auch hier führte die zündende Mischung von Forschungs-Reportage und vergegenwärtigender Phantasie, schonend dosierten Quellentexten und schwungvollem Erzählstil zum Erfolg. Pörtners Buch, das schon nach einem Jahr die 100.000er-Grenze überschritt, kann mit seiner engeren Thematik (Roms Herrschaft an Rhein und Limes und sein Zusammentreffen mit den Germanen) als Musterfall dessen gelten, was ich die Phase der Verdichtung und Spezialisierung nennen möchte: Eingängig für eine große Leserschaft geschrieben, bot es einen erheblich kleineren Ausschnitt der Antike in weit begrenzterer Lokalität – aber dafür gleichsam in Adenauers Vorgarten. Mit dem nächsten Leitfossil der deutschen Sachbuchgeschichte machen wir einen erheblichen Sprung, zeitlich wie der Rezeptur nach und erst recht qualitativ: Christian Meiers Cäsar von 1982 war nicht nur ein stilistisch glanzvolles Porträt, dessen Facettenreichtum bis heute zu Diskussionen anregt, sondern auch das Werk eines zünftigen Althistorikers. Wie nur wenigen Autoren zuvor gelang es Meier, anhand eines allbekannten problematischen Charakters die Aufmerksamkeit auch fachfremder Bildungskreise auf antike Zusammenhänge zu lenken; wie

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Rudolf Pörtner, der mit Werken wie Bevor die Römer kamen (1961), Die Erben Roms (1964) und weiter bis zur Operation Heiliges Grab (1977) seinen Kredit im Buchmarkt auskostete, hat Meier an den Erfolg des Cäsar noch mehrfach anknüpfen können, namentlich mit seinem Werk von 1993 Athen. Ein Neubeginn der Weltgeschichte. Bücher wie diese stehen beispielhaft für den nach 1968 vielfach unternommenen, allerdings nur selten geglückten Versuch, über die Fachgrenzen hinweg antike Zentralphänomene als allgemein wichtige Kulturgegenstände öffentlich zu präsentieren – ein wenig dem französischem Muster intellektueller Öffentlichkeit nacheifernd, wie es in Deutschland leider kaum je funktioniert hat. Biographien spielen dabei bis heute eine Hauptrolle. Die Auflagenzahlen Cerams und Pörtners hat Meier nie erreicht, aber darum war es seiner vertieften, bürgerlich-behutsam Europas Selbstverständnis erkundenden Schreibkunst auch nicht zu tun. Die folgende, bis heute andauernde Zeit lässt sich bislang nur als Periode thematischer Differenzierung und wieder auflebender Popularisierung nachzeichnen: Da lässt Alexander Demandt 1996 wie immer stilistisch hintersinnig und akribisch quellennah Das Privatleben der römischen Kaiser Revue passieren, da stellt der Gräzist Joachim Latacz 2001 mit pädagogischem Geschick, aber auch geradezu missionarischer Verve die neueste Forschung zum alten Fall Troja und Homer dar, da bringt es Wilfried Strohs muntere Ursprungsreise Latein ist tot, es lebe Latein 2007 gar auf die Bestsellerliste: Bücher wie diese, von launigen Reiseführern in die Antike, philosophischen Schnellkursen und anderem nicht erst zu reden, eröffnen dem willigen Laien heute leichtere und amüsantere, aber auch fachlich solidere Zugänge in Kernfragen der Antike, als es sie je zuvor gab. Sieht man vom ungebrochenen Boom der Zeitgeschichte ab, scheint die Antike momentan sogar mehr Konjunktur zu haben als das lange favorisierte Mittelalter.

II Aber was macht den echten Erfolg – das Lob im Feuilleton kann durchaus ein Pyrrhussieg sein! – eines Sachbuchs über antike Themen aus? Prüft man einschlägige Beispiele, so ergeben sich vier wesentliche Merkmale: a) Ein erzählerisch dankbarer Stoff ist mit Erzählfreude und Sprachtalent, aber auch ebensoviel gliederndem Sachverstand ausgebreitet; der Leser wird zum Entdecker, der sich ohne die Hürden eines Fachjargons – und zugleich nicht durch billige Witze unterfordert – neue Erkenntnisse aneignet. Autoritäten sind ohne esoterische Ehrfurcht zitiert, Kontrover-

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sen ohne Sektierertum dargestellt. Im Idealfall wird die biographische Einfühlungsbereitschaft des Lesers genutzt, um durch behutsame Problematisierung ein Bewusstsein von der Fernheit des Gegenstandes, ja den ihn umstellenden methodischen Problemen zu vermitteln. b) Im weitesten Sinne handelt es sich beim Thema des Buches um einen abenteuerlich-fesselnden Ausflug zu historischen Erkenntnissen um eine bekannte Gestalt (Cäsar) oder Geschichtsperiode (Athen). Auch wenn kein Schatz oder dunkles Geheimnis enthüllt werden kann, die Spannung des Lesers bleibt doch erheblich wacher, wenn er vor dem Hintergrund einer legendär bedeutsamen historischen Erscheinung nach dem Modell von mühevoller Suche, die endlich durch verblüffende Funde belohnt wird, sein Normalbild wissenschaftlicher Neugier befriedigt und bestätigt sieht. c) Je thesenhaft prägnanter und schlagender argumentiert sich das Werk zeigt, desto besser. Hans-Georg Wunderlichs kuriose KnossosSpekulation Wohin der Stier Europa trug wurde 1972 trotz aller Skepsis der Fachwelt dank der unschuldig-rebellischen, engagierten Argumentation zum Bestseller; immer wieder, von Pierre Bernal bis Raoul Schrott, macht die Altertumswissenschaft ausgerechnet durch die Chuzpe scharlatanischer Außenseiter Schlagzeilen. Aber neue Funde oder Ansichten auch schlagkräftig herauszustellen ist gewiss nicht per se falsch. d) In jüngster Zeit wird erkennbar, dass die medial überfluteten, moralisch desorientierten Leser nach identitätsstiftenden Kriterien, Werten und Traditionen suchen. Der Aufschwung von Büchern über Lebenskunst, Sprache und Stil, aber auch gute, also potentiell kanonische Bildung und Lektüre öffnet die Sachbuchsparte in Richtung des stets profitablen Ratgebermarktes. Fesselnde Darstellung, verblüffende Fakten, steile Thesen und bleibende Werte – alle vier Ideale gleichzeitig wird kaum ein Sachbuch zur Antike erfüllen können. Aber welches Sachbuch überhaupt könnte das? Die genannten Merkmale sind, wie Sie sicher längst festgestellt haben, keineswegs auf Antike und Archäologie beschränkt, sondern im Grunde auf jedes Sachbuch anwendbar. Von einschlägigen fachlichen Qualifikationen des Autors wiederum sind sie offenbar nahezu komplett unabhängig. So ernüchternd diese Bilanz klingt, so lehrreich kann sie sein: Antike Themen sind auf dem mittlerweile erstaunlich differenzierten Markt der Sachbücher, der von Zeitgeschichte und zeitgeschichtlichen Biographien (noch immer mit Abstand das wichtigste Feld) bis zu Umweltpolitik oder Hirnforschung reicht, ein Mitbewerber unter vielen anderen. Wer ein Sachbuch über antike Stoffe schreibt, kann auf der Buchmesse keinen Aufmerksamkeitsbonus einfordern. So sehr ihm die Fachkenntnis helfen mag, er konkurriert mit vielerlei Modethemen und Schreibtalenten bis

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hin zum vernagelten, aber wortgewaltigen Spinner oder zum listigen Thesenritter. Mit archäologischen und althistorischen Themen reüssieren lässt sich nur, wenn ein zündendes Thema kompetent in fesselnder Sprache und Gliederung präsentiert wird. Jeder Verleger wird Ihnen trotz aller Klappentext-Rhetorik bestätigen, dass die zu solchem Erfolg nötigen Faktoren in der Summe ein durchaus unberechenbarer Glücks- und Einzelfall sind.

III Echte Leser, so rechnen Büchermacher in resignativen Momenten gern hoch, gibt es hierzulande ohnehin nur ein paar tausend – und für nichtfiktionale Werke gilt der Markt traditionell als kleiner, da variantenärmer. Allerdings sollte man berücksichtigen, dass es in Deutschland trotz aller Totsagungsversuche ein mehrheitlich städtisches bildungsbürgerliches Publikum gibt – in erster Näherung gesprochen: die Leser der Wochenzeitung Die Zeit und überregionaler Feuilletons. Diese Klientel will von Rezensenten beraten sein, wenn beispielsweise anlässlich des Jubiläums der Varusschlacht gleich etliche konkurrierende Sachbücher erscheinen; sie ist für ein wenig Volkshochschule ohne Zeigefinger dankbar, auch wenn die Antike beim nachbarlichen Grillfest oder im Rotary-Club selten Tischgespräch wird. Dass aus Papyrusfunden noch heute ein SophoklesFragment auftauchen kann, bedient das Schatzsucher-Klischee aufs Trefflichste und lenkt für den Moment unterhaltend von trüben Arbeitsmarktdaten ab. Im Idealfall erreicht daher ein fachlich brillantes, aber auch interessierten Laien zugängliches Buch rasch die massenmediale Aufmerksamkeit – beispielsweise als Aloys Winterling 2003 das angebliche Scheusal Caligula als enttäuschten Idealisten in der politischen Sackgasse darstellte. Allerdings scheint die Zahl seichter und/oder sensationalistischer Antiken-Sachbücher eher zu wachsen. Das beruht vor allem auf der globalen Übermacht des angloamerikanischen Marktes. Ein auf Englisch publiziertes Buch kann weltweit ungleich höhere Auflagen erreichen als jedes deutsche. So kann sich einerseits höherer verlegerischer Wagemut und entsprechend größere thematische Vielfalt entwickeln; andererseits macht sich bemerkbar, dass gute englischsprachige Antiken-Sachbücher tendenziell doch populärer und reißerischer aufgemacht sind als die deutschen. Der jüngste Musterfall dieses Genres, Der Kodex des Archimedes (2008) von William Noel und Reviel Netz, bietet in fast schon selbstparodistischer Fülle ein veritables Dan-Brown-Arsenal von Auktionskrimi und dubiosen Transaktionen bis zur helfenden Strahlenkanone auf. Aber

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die werbende Botschaft, dass nun die Wissenschaftsgeschichte neu geschrieben werden müsse, erweist sich im Laufe der Lektüre dann doch bald als reichlich hoch gegriffen. Zumindest in Deutschland muss ein Verlag genau darauf achten, dass er mit solchen Behauptungen kein Renommee verspielt. Wenn man andererseits ein recht originelles Buch wie James N. Davidsons abwechslungsreiche Athenaios-Revue Courtesans and Fishcakes (1997) brav als Kurtisanen und Meeresfrüchte dem deutschen Publikum andient, bleibt der Erfolg trotz des zielbewussten Untertitels Die verzehrenden Leidenschaften im klassischen Athen recht begrenzt – vielleicht auch, weil Lust auf Frivoles und Bildungshunger im Selbstverständnis deutscher Leser einander eher widersprechend gegenüberstehen. Warten wir ab, ob Peter Parsons’ Oxyrhynchus-Buch The City of the Sharp-Nosed Fish. Greek Lives in Roman Egypt (2007), unlängst deutsch als Die Stadt des Scharfnasenfisches erschienen, besser davonkommt. Am sichersten indessen lässt sich auf Käufer bei üppigen Geschichtspanoramen hoffen; 2008 hat Tom Hollands Persisches Feuer das mit einem kleinen Überraschungserfolg bewiesen. Holland hat das literarisch gewitzte Schreiben in mehreren Vampirromanen trainiert – so betrachtet muss sich der Fachexperte, der mit einem Bestseller die Kollegen neidisch machen will, weiter von den flinken Wortprofis gejagt fühlen. Aber das ist weltweit so, und natürlich kochen auch die Angelsachsen nur mit Wasser. Kaum ein Zufall, dass die publizistisch maßgebliche Althistorikerin Mary Beard aus Cambridge, nachdem ihr Sachbuch über den Parthenon 2002 ein Erfolg geworden war, als nächstes das Kolosseum (2005), den römischen Triumph (2007) und Pompeji (2008) zum Gegenstand eines Sachbuches machte. Man hole die Laien dort ab, wo sie sind: Alfred Hitchcocks Prinzip, die Schweiz auf Berge und Uhren zu reduzieren, ist für Sachbuchstrategen weiterhin ein beherzigenswertes Prinzip. Umso erfreulicher, wenn Autoren und Verlage auch in Deutschland immer wieder einmal die gängigen Raster überwinden und so das historische Bewusstsein der Leser für die vielseitige Faszination der Antike gewinnen.

Literatur Beard, Mary (2002): The Parthenon, London: Profile Books. Deutschsprachige Ausgabe (2009): Der Parthenon, Stuttgart: Reclam. Beard, Mary/Keith Hopkins (2005): The Colosseum, Cambridge/MA: Harvard University Press. Beard, Mary (2007): The Roman Triumph, Cambridge/MA: Harvard University Press.

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Beard, Mary (2008): Pompeji: The life of a Roman town, London: Profile Books. US-Ausgabe (2008): The Fires of Vesuvius: Pompeii Lost and Found, Cambridge/MA: Harvard University Press. Ceram, C.W. [d.i. Marek, Kurt W.] (1949): Götter, Gräber und Gelehrte. Roman der Archäologie, Hamburg: Rowohlt. Davidson, James N. (1997): Courtesans and Fishcakes: The Consuming Passions of Classical Athens, London: Harper Collins. Deutschsprachige Ausgabe (1999): Kurtisanen und Meeresfrüchte. Die verzehrenden Leidenschaften im klassischen Athen, Berlin: Siedler. Demandt, Alexander (1996): Das Privatleben der römischen Kaiser, München: Beck. Haeckel, Ernst (1899): Die Welträthsel, Bonn: Strauss. Holland, Tom (2005): Persian Fire. The First World Empire and the Battle for the West, London: Little Brown. Deutschsprachige Ausgabe (2008): Persisches Feuer. Das erste Weltreich und der Kampf um den Westen, Stuttgart: Klett-Cotta. Latacz, Joachim (2001): Troja und Homer. Der Weg zur Lösung eines alten Rätsels, München: Koehler & Amelang (5., aktualisierte und erweiterte Aufl. 2005). Meier, Christian (1982): Caesar, Berlin: Severin & Siedler. Meier, Christian (1993): Athen: Ein Neubeginn der Weltgeschichte, Berlin: Siedler. Noel, William/Reviel Netz (2007): The Archimedes Codex, London: Weidenfeld & Nicolson. Deutschsprachige Ausgabe (2007): Der Kodex des Archimedes. Das berühmteste Palimpsest der Welt wird entschlüsselt, München: Beck (5. Aufl. 2008). Non Fiktion [website]: www.non-fiktion.de. Non Fiktion [Zeitschrift], hg. v. David Oels, Stephan Porombka und Erhard Schütz, 2006-2007 Berlin: Weidler, dann Hannover: Wehrhahn. Parsons, Peter (2007): City of the Sharp-Nosed Fish. Greek Lives in Roman Egypt, London: Weidenfeld & Nicolson. Deutschsprachige Ausgabe (2009): Die Stadt des Scharfnasenfisches. Alltagsleben im Alten Ägypten, München: Bertelsmann. Pörtner, Rudolf (1959): Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit. Städte und Stätten deutscher Frühgeschichte, Düsseldorf: Econ. Pörtner, Rudolf (1961): Bevor die Römer kamen. Städte und Stätten deutscher Urgeschichte, Düsseldorf: Econ. Pörtner, Rudolf (1964): Die Erben Roms. Städte und Stätten des deutschen Früh-Mittelalters, Düsseldorf: Econ. Pörtner, Rudolf (1977): Operation Heiliges Grab. Legende und Wirklichkeit der Kreuzzüge (1095-1187), Düsseldorf: Econ.

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Stroh, Wilfried (2007): Latein ist tot, es lebe Latein! Kleine Geschichte einer großen Sprache, Berlin: List. Winterling, Aloys (2003): Caligula. Eine Biographie, München: Beck. Wunderlich, Hans-Georg (1972): Wohin der Stier Europa trug. Kretas Geheimnis und das Erwachen des Abendlandes, Reinbek: Rowohlt.

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D A S I N D I A N A -J O N E S -S Y N D R O M : G E S C H I C H T S F E R N S E H E N Z W I SC H E N WISSENSCHAFT UND KOMMERZ TAMARA SPITZING

Although the mediation of archaeology and history and the discoursal fields that this entails have been dealt with extensively at this conference, this paper deals with a related but often ignored field: issues of commerce and market interest. From the perspective of a filmmaker with extensive experience in working with archaeologists and their projects, this contribution seeks to broaden the understanding of market forces and commercial concerns which are often misunderstood and underestimated, explore how they are inextricably linked to media representations, and to highlight how the market itself has undergone considerable change in the last few years. Mein Beitrag1 beschäftigt sich mit Aspekten, die zunächst nur indirekt mit den Inhalten der Darstellung von Archäologie und Geschichte in den Medien zu tun zu haben scheinen – welche aber die Inhalte zunehmend und nicht gerade positiv beeinflussen: Kommerz und die Bedürfnisse des Marktes. Was hat Kommerz mit dem Dialog zwischen Geschichtswissenschaft und Medien zu tun? In den letzten Jahren beobachten wir in allen Bereichen eine wachsende Kommerzialisierung der Gesellschaft. Ob es der Buchmarkt ist oder das Gesundheitswesen, ob Kunst oder Sport. Ich arbeite für die öffentlich-rechtlichen Sender und werde daher kurz zur Einführung für diejenigen, die diese Fakten noch nicht kennen, den Wandel dieser Medien in den letzten Jahren skizzieren.

1

Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um die Vortragsfassung für die Berliner Konferenz 2009 mit wenigen, von der Redaktion vorgenommenen sprachlichen Eingriffen in den Vortragstext. 219

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I Mit Einführung des Privatfernsehens 1984 begann ein verschärfter Wettbewerb auf dem Fernsehmarkt, auch im Bereich der Dokumentationen. Der ebenso öffentlich-rechtliche Sender BBC hatte schon sehr früh erkannt, dass sich mit Dokumentationen gleichfalls Geld verdienen lässt, dementsprechend hier investiert und einen kommerziellen Zweig aufgemacht. Nicht so das deutsche Fernsehen. Seit dem Beginn des verschärften Wettbewerbs gibt es die Einschaltquoten. Nun sagen viele Zuschauer: ›Wieso, das geht doch die Öffentlich-Rechtlichen nichts an, da gibt es doch die Gebühren‹. Das ist richtig. Aber von Seiten der Politik wurde die Einführung des Privaten immer gern gesehen, weil sie sich davon mehr Einfluss auf die Medien versprach. Von den Öffentlich-Rechtlichen wird seither die Quadratur des Kreises verlangt: Auf der einen Seite steht die Quote – und zwar viel Quote –, damit der Beweis angetreten werden kann, dass diese Sender überhaupt gesehen werden, sonst, so die Logik, wären die Gebühren ja nicht gerechtfertigt. Und auf der anderen Seite wird die Erfüllung des so genannten öffentlich-rechtlichen Auftrags gefordert mit Kultur und Bildung. So weit, so gut. Viel Quote in Konkurrenz mit den Privatsendern heißt dann aber auch in Konsequenz: markttaugliches, an den Gesetzen des Kommerzes ausgerichtetes Programm. Auch in der Wissenschaft ist der Kampf um Gelder härter geworden. Deswegen ist es oft wichtig, sich in den Medien gut zu platzieren. In mancher Hinsicht hat die Kommerzialisierung schon zu sehr unschönen Auswüchsen geführt. So bezahlen manche Institutionen mit sehr viel Geld oft horrende Summen für Exklusivrechte an ganz besonders spektakulären Grabungen oder Entdeckungen. Ich denke hier etwa an die Entdeckung der Mumie der Pharaonin Hatschepsut im Fundus des Museums von Kairo. Wie ein Fund in höchst übertriebener Weise aufgeblasen und kommerzialisiert wird, war beispielsweise jüngst mit dem Äffchen ›Ida‹ zu beobachten, das zur Urmutter der Menschheit hochstilisiert wurde. Aus dem Kreis meiner Kollegen weiß ich inzwischen, dass man sich hier verschaukelt gefühlt hat – solche Vorkommnisse tun dem Dialog und beiden Seiten nicht gut. Viele Länder lassen sich inzwischen auch Drehgenehmigungen sehr hoch bezahlen, und in manchen Fällen – das ist kein Geheimnis – ist auch Korruption kein Fremdwort bei den beteiligten Behörden. Das führt zu sehr großen Problemen: So etwas treibt natürlich die Produktionskosten in die Höhe. Und hohe Zahlungen verderben den Charakter der beteiligten Behörden und die Preise vor Ort. Wissenschaftliche Ergebnisse sind schließlich keine Sportrechte, die demjenigen zugeschlagen werden, der am meisten zahlt. Aber genauso werden sie inzwischen gehandelt.

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Leider ist auch oft noch die Meinung sehr verbreitet, das Fernsehen habe sehr viel Geld. An diesem Eindruck in der Öffentlichkeit sind die Medien zum Teil selbst schuld – eben durch die Summen, die für die Sportrechte oder für prominente Schauspieler und Moderatoren ausgegeben werden. Für Dokumentationen sind die Etats jedoch viel kleiner, zumal sie neuerdings auch in der neuen HD-Technik produziert werden müssen. Honorare und Gewinnmargen für Autoren und Produzenten solch hochwertiger Programme sind oft sehr klein. Und damit komme ich zum Kern meines Themas: Wie kann ich wissenschaftlich korrekt berichten und gleichzeitig den Markt bedienen? Kann ich es überhaupt? Ich will ja auch selber noch vom Honorar leben können. Und wie können Wissenschaftler ihre Arbeit in diesem Umfeld platzieren? Ich werde dazu ein wenig aus der Praxis berichten, denn als eine Art ›link‹ – als ausgebildete Archäologin und Fernsehjournalistin – schlage ich die Brücke zwischen den Bedürfnissen der Redaktion und den Bedürfnissen der Wissenschaftler. Das, so kann ich Ihnen versichern, ist nicht immer ein wirklich beneidenswerter Job.

II Die Bedürfnisse der Redaktion einerseits und der Wissenschaftler andererseits zu verbinden bedeutet in der Regel, einen großen Spagat zu machen. Denn – um zunächst aus der Perspektive der Medien zu sprechen – was will die Redaktion? Hier setzt etwas ein, das ich das ›Indiana-JonesSyndrom‹ nenne. Das Publikum ist heute sehr stark ausgerichtet auf Bilder, Dramaturgien und Klischees, die es aus dem Kino kennt. Archäologie – dieser Begriff wird gleichgesetzt mit Abenteuer, Heldenmut, exotischen Schauplätzen, Geheimnissen, Mythen – und, das sage ich sehr ungern, aber es ist wahr – auch dem Begriff der Schatzsuche. Nicht umsonst stehen auch in modernen Fernsehdokumentationen immer gerne Gestalten wie Heinrich Schliemann oder Arthur Evans im Mittelpunkt. Schließlich konnten diese frühen Entdecker noch echte Schätze bergen – anders als die heutigen Wissenschaftler, die mit Pinsel und Mikroskop zu Werke gehen. Die Redaktionen wollen natürlich das große Publikum erreichen. Sie müssen das große Publikum erreichen. Das heißt: Es muss – zumindest in den Spitzensendezeiten – opulente Bilder und Spielszenen geben. Und die Geschichte muss spannend sein. Thesen müssen einfach zu verstehen sein und stark zugespitzt formuliert werden, mitunter sogar reißerisch. Im Vordergrund steht die Aufgabe, das Publikum in eine fremde, geheimnisvolle Welt jenseits des Alltags zu entführen, dabei zu unterhalten und

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dann möglichst noch inhaltlich etwas zu vermitteln. Am besten ist es, wenn eine solche Dokumentation, die ja nur sehr teuer sein kann, sich auch noch im Ausland gut verkaufen lässt. Es schadet natürlich auch nichts, wenn die präsentierten Wissenschaftler obendrein noch gut aussehen – es muss ja nicht gleich Harrison Ford sein. Soweit die Seite der Redaktion. Was will der Wissenschaftler? Er will natürlich seine Ergebnisse öffentlich präsentieren. Dabei möchte er sich und seine Arbeit möglichst detailliert und mit Tiefgang darstellen können. Aber er möchte auch ein großes Publikum erreichen. Sein Problem lautet meistens: Bezüglich des Publikums ist ihm weniger wichtig, was die breite Masse denkt. Er setzt auf das Urteil der Fachkollegen. Viele Wissenschaftler haben im Kopf einen wahren ›griechischen Tragödenchor‹, wie ich es für mich selbst immer nenne, von imaginären Kollegen, die jede seiner Äußerungen in ihrem Gehirn bereits zensieren und kommentieren. Neulich sagte ein junger, aufstrebender Wissenschaftler zu mir: »Wissen Sie, manche Kollegen sind ja solche Storyteller. Das ist schwer für mich, ich mag das auch gar nicht, ich bin Empiriker!«. Ich kann den jungen Mann verstehen. Aber in meiner misslichen Lage brauche ich nun mal dringend den so verpönten ›Storyteller‹. Zu allem Überfluss möchten Wissenschaftler, trotz des Wunsches nach Publicity, bei Ihrer Arbeit auch noch so wenig wie möglich von Fernsehteams belästigt werden. Die Bedürfnisse der beiden Klienteln sind also schwer zu vereinbaren, zumal der Druck auf die Redaktionen enorm zugenommen hat. Wie können nun aber beide Seiten dazu beitragen, dass das Endprodukt besser ihren Vorstellungen entspricht?

III Als allererstes möchte ich dafür plädieren, dass kommerzielle Auswüchse von beiden Seiten vermieden werden sollten. Wissenschaftler finden es manchmal recht reizvoll, ihre Exklusivrechte für viel Geld an potente Zahler zu vergeben. Erstens haben sie dann viel Geld, zweitens kommen diese lästigen Journalisten dann nur einmal. Diese Praxis bringt aber große Nachteile mit sich: Denn fast alle großen Geldgeber stammen aus dem angloamerikanischen Raum. Dort gibt es eine bestimmte Tradition der Wissenschaftsdarstellung und Betrachtung, die sich von der zentraleuropäischen unterscheidet. Man unterschreibt dort de facto, dass die eigenen Ergebnisse nur in einer einzigen Form und Machart in bestimmten Medien auf den Markt und damit an die Öffentlichkeit gelangen. Nun gibt es nicht nur das Fernsehen und Hochglanzmagazine, sondern auch gute

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Wissenschaftssendungen, z.B. im Radio, wo man sich wunderbar platzieren könnte, und eine solche Chance nimmt man sich damit. Geschweige denn, dass solche Praktiken auch dazu führen können, dass in manchen Ländern Ergebnisse geschönt und geklittert oder Dinge extrem und mit viel Geld aufgeblasen werden – ich erinnere nur an den Fall ›Ida‹. Trotz aller Probleme und Nachteile vertrete ich den Standpunkt, dass Wissenschaftler ihre Forschungen in jedem Fall auch in populären Medien darstellen sollten, denn sie werden ja von der Öffentlichkeit bezahlt. Wie kann man die beiden Welten aber nun zusammenbringen? Zur Wissenschaftlerseite: Wie gehe ich mit dem Indiana-JonesSyndrom um? Wenn Sie ein archäologisches Projekt haben, dass Sie gern veröffentlichen wollen, sollten Sie überlegen: Wo möchte ich es platzieren? Ist es etwas Großes? Gehört es ins Fernsehen? Oder bin ich in einem kleineren Rahmen – z.B. der Wissenschaftssendung vom Deutschlandfunk – besser aufgehoben? Wobei ich der Meinung bin, dass Wissenschaftlern auch eine Verpflichtung zukommt, ihre mit öffentlichen Geldern bezahlten Forschungen publik zu machen! Wenn Sie Journalisten ansprechen bzw. von Journalisten angesprochen werden, ist die Frage wichtig: Habe ich eine gute Geschichte? Den Punkt der ›Geschichte‹ möchte ich Ihnen anhand eines Beispiels aus meiner Praxis schildern: Vor zwei Jahren habe ich einen Film gemacht über einen Tempel in Ägypten, ausgegraben von Tübinger Ägyptologen2. Für die Ägyptologen war wichtig, dass es sich um einen der letzten großen unerforschten Tempel der ptolemäischen Spätzeit handelt – mit sehr vielen noch unbekannten religiösen Texten und zu Ehren einer relativ unbekannten Gottheit. Das fand ich sehr interessant. Es war aber noch lange keine Geschichte. Worauf der Film letztlich hinauslief, war dann ein Nebenaspekt: In den Räumen des Tempels ging es um das mythische Land Punt, aus dem die Pharaonen u.a. den Weihrauch für ihre Tempelzeremonien importierten. Wir nahmen die Grabung zum Anlass, noch einmal das Problem der Suche nach Punt aufzurollen – also die klassische Abenteuergeschichte über die Suche nach einem mythischen und geheimnisvollen Land. Dieses nahmen wir als roten Faden. Ich weiß, dass die betroffenen Wissenschaftler lieber mehr über ihre eigentliche Kernforschung im Film gesehen hätten. Nur diese bildet für das Spezialpublikum die eigentlichen Fakten. Forschung, in eine interessante Geschichte verpackt, findet aber immer ihr Publikum. Eine interessante Geschichte ist auch nicht ehrenrührig und vollkommen in Ordnung, so lange alle Fakten stimmen. Wissenschaftler sollten sich darüber im

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Terra X – Weihrauch für den Pharao. Aufbruch nach Punt (Tamara Spitzing, ZDF, 1. Januar 2008). 223

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Klaren sein, wozu publikumswirksames Veröffentlichen dient: die Forschung bekannt zu machen. Sowohl Kollegen, die einen solchen Film sehen, als auch die Mitwirkenden sollten bedenken, dass es für die Fachpublikationen die entsprechenden Organe ja bereits gibt. Die Zuschauer sollten die Dokumentationen also nicht unter dem Aspekt einer wissenschaftlichen Publikation anschauen und sich nicht über die Darstellungen mokieren, damit die Kollegen auch die Ängste verlieren, sich zu zeigen. Eines, das möchte ich aber ausdrücklich betonen, muss sich kein Wissenschaftler gefallen lassen: dass Fakten verdreht und falsch dargestellt werden. Mein Rat hierzu: Machen Sie Verträge, die Ihnen zusichern, dass Sie den Sprechertext vor der Sendung lesen und korrigieren dürfen. Den Film anzusehen kann manchmal schwierig sein, falls die Zeit drängt, und Umschnitte sind auch sehr teuer. Der Text jedoch kann mühelos geändert werden. Sollten Sie sich beim Endprodukt übergangen fühlen oder echte Fehler vorkommen, sollten Sie sich ruhig beschweren. Ich habe Wissenschaftler erlebt, die sehr verärgert waren über bestimmte Dinge und sich dann wieder gesagt haben: ›Ach, egal, ist ja nur ein populäres Medium und keine Fachpresse‹. Aber gerade da setzen sich dann Fehler und Klischees in der öffentlichen Meinung fest. Sie dürfen auch erwarten, dass Journalisten gut vorbereitet und mit den richtigen Fragen zu Ihnen zum Vorgespräch kommen. Lassen Sie sich nicht manipulieren. Aber versuchen Sie auch, vor dem Hintergrund dessen, was ich eben angesprochen habe, zu verstehen, in welcher Lage sich der Journalist vielleicht befindet. Umgekehrt rate ich Journalisten: Bereiten Sie sich vor. Nichts nervt Wissenschaftler mehr als dumme Fragen, und es ist einfach eine Frage des Respekts, sich vorher in ein Thema ein wenig einzulesen – selbst wenn die Zeit drängt. Wissenschaftler haben ebenfalls wenig Zeit und empfinden es mit Recht als unverschämt, wenn bei Recherchegesprächen die einfachsten Grundlagen bei den Journalisten fehlen. Ich versuche auch, meinen Protagonisten die Bedürfnisse, die an einen Film gestellt werden, zu kommunizieren. Ein gutes Produkt ist immer auch ein gemeinsames Produkt. Es ist kein guter Stil, Aussagen auf eine Formulierung hin zuzuspitzen, und diese ist dann falsch. Oft genug habe ich das Problem der ›verbrannten Erde‹ erlebt, wenn Kollegen einen Flurschaden angerichtet hatten. Das nützt niemandem. Für Journalisten ist es wichtig, zu verstehen, unter welchen Zwängen Wissenschaftler leben.

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IV Das größte Problem an der Entwicklung in Richtung Kommerz sehe ich darin, dass Kommerz etwas töten kann, was für beide Seiten, für Journalisten und Wissenschaftler, wichtig ist: unseren Enthusiasmus. Natürlich brauchen wir alle Geld. Ich mache Filme, weil ich damit meinen Lebensunterhalt verdiene. Aber die Gesetze des Marktes sind nicht die, die wir für unsere Arbeit brauchen. Geld hat nichts zu tun mit Idealismus. Geld hat nichts zu tun mit Begeisterungsfähigkeit, und noch nicht einmal – das zeigt uns die Finanzkrise – mit Moral. Gute Filme und gute Forschungsprojekte können aber nur entstehen, wenn beides vorhanden ist. Das ist ein Element, das uns stark verbindet: Filme zu machen ist eine Leidenschaft. Wissenschaft ist eine Leidenschaft. Ich schließe hier mit der Hoffnung, dass wir uns die Leidenschaft erhalten können. Denn das können wir von Indiana Jones lernen: Er ist mutig. Er trotzt denjenigen, die den Schatz nur aus Profitgier verkaufen wollen. Vielleicht ist er ja doch kein ganz schlechtes Vorbild, dieser Indiana Jones!

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GEKLAUTE GERMANEN? FERNSEHDOKUMENTATIONEN ALS BASIS F Ü R U N T E R R I C H TS F I L M E MIRIAM SÉNÉCHEAU

For many years now, documentary films about archaeology and its related fields of research have an established place in German television programming. Less well known is that television documentaries serve as re cut pedagogical materials for history classes in schools, produced by institutes creating educational films. What appears in television for albeit educational but primarily entertainment reasons, and as such is strongly reliant on the desire for good ratings, becomes a part of classroom teaching and as such enters into a dialogue with the prescribed canon of history in schools. In this article examples of this doubled usage are examined. Central questions include the advantages and disadvantages of this practice, if the results of this double usage are of the appropriate standard for school use, which elements are adapted and used in lesson plans, and what is changed for classroom consumption, as well as the contexts in which these adapted materials are introduced. What goals are the adapted versions trying to achieve? Which pros and cons can be associated with adapting television formats for classroom use? Is it sensible to continue to use these materials in the classroom, or is it necessary to seek other avenues, in which case, what would those avenues be? Dokumentarfilme über Archäologie und die von ihr erforschte Vergangenheit haben seit Jahren einen festen Platz im Fernsehprogramm. Der Vierteiler Sturm über Europa (ARTE/ZDF, 2002) etwa, der die Frühgeschichte der Germanen und die Völkerwanderungszeit thematisiert, oder Dokumentationen der Reihe C 14 (ZDF, 1998-1999), die ganz unterschiedliche archäologische Schauplätze in den Blick nehmen, erfreuen sich auch noch als Wiederholungssendungen großer Zuschauerzahlen – und fließen als überarbeitete Fassungen in Form von Unterrichtsfilmen in den Geschichtsunterricht ein. Solche Dokumentar- und Unterrichtsfilme stehen im Zentrum dieses Beitrags. Sie sind, zusammen mit anderen ge227

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schichtskulturellen Präsentationen und Manifestationen, Teil und Ausdruck eines breiten öffentlichen Interesses an Geschichte. Seitens der Wissenschaft wird dieses unter dem Begriff der ›Geschichtskultur‹ nun auch seit einigen Jahren erforscht.1

Medien für den Geschichtsunterricht: ›wissenschaftsnah‹, ›didaktisch‹, ›populär‹? Felder, die sich überschneiden Wissen über Geschichte und Archäologie wird in verschiedenen Arbeitsfeldern produziert, angeeignet, transformiert und disseminiert. Zu nennen sind hier insbesondere die Geschichtswissenschaft und die archäologischen Wissenschaften als das akademische Feld, dazu beispielsweise Schulen und Museen als das Feld institutioneller Geschichtsvermittlung mit einem didaktischen Schwerpunkt, sowie das breite Feld der so genannten ›populären‹ Geschichtsaneignungen und -repräsentationen. Die Übergänge zwischen diesen drei Feldern, die allesamt wichtige Bereiche der gegenwärtigen Geschichtskultur in Deutschland darstellen, sind fließend und von gegenseitigen Wechselwirkungen geprägt. Eine schlichte Unterscheidung in ›akademisch‹ versus ›populär‹, wie sie bislang zahlreiche Diskussionen zur Einordnung von Medien und Formen der Geschichtsdarstellung prägte, greift, wie sich zeigt, bei zahlreichen Darbietungsformen und -inhalten zu kurz.2 Für den Geschichtsunterricht produzierte Medien sind hierfür ein gutes Beispiel. Bezogen auf ihren Einsatzort im Bildungsbereich und auf ihren wissenschaftlichen Anspruch würde man etwa Schulbücher als Medium verstehen, die Geschichte nahe der akademischen Forschung und objektiv vermitteln wollen, sie also im Überschneidungsbereich zwischen Schule (als Feld der institutionalisierten Geschichtsvermittlung) und Geschichtswissenschaft (als akademisches Feld) ansiedeln. Schulbü1

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Hierzu sowie ausführlicher zum Themenfeld und mit weiterführenden Literaturhinweisen vgl. Korte/Paletschek (2009a) und Pirker/Rüdiger (2010a: 11f.). Vgl. auch die Diskussionen auf der Tagung »Popular History 1800 – 1900 – 2000«, veranstaltet von der DFG-Forschergruppe »Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen der Gegenwart« (Freiburg i.Br., 22.24. Juli 2010). In Bezug auf die oben angesprochene problematische Unterscheidung zwischen ›akademisch‹ und ›populär‹ schlug etwa Stefan Berger vor, sich vom Begriff ›populär‹ ganz zu trennen und beispielsweise nur von ›Wissenskulturen‹ zu sprechen. 228

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cher unterliegen in Deutschland wie kaum ein anderes Medium einer strengen institutionellen Einflussnahme. Auf Länderebene von den Ministerien verabschiedete Lehrpläne bestimmen, was gelernt werden soll und mit welchen Methoden; die Ministerien der Länder entscheiden über die Zulassung der Schulbücher; auf Hochschulebene entwickelte geschichtsdidaktische Ansätze prägen die Themenauswahl sowohl auf der Lehrplan- als auch auf der Schulbuchebene. Das Bestreben, wissenschaftskonform, d.h. nah am universitär generierten Wissen und mithilfe entsprechender Darstellungsformen, zu berichten, ist den Geschichtsdarstellungen im Schulbuch deutlich abzulesen. Schulbücher enthalten gleichzeitig wesentliche Elemente, die für Produkte aus dem Feld populärkultureller Repräsentationen charakteristisch sind und sie damit in deren Nähe rücken:3 In Orientierung auf ihre Adressaten zeichnen sich Geschichtsschulbücher durch inhaltlich reduzierte und vereinfachende Darstellungen aus. Es erfolgt in mehrfacher Hinsicht eine lebensweltliche Anbindung an die SchülerInnen als Zielgruppe: erstens durch die Themenwahl, zweitens mithilfe auf die Gegenwart bezogener Deutungen der Vergangenheit, und drittens durch die Integration anderer Modi der Geschichtsdarstellung in das Medium – so bilden Comics, Erzählungen, moderne Rekonstruktionszeichnungen, Pressemeldungen sowie Bezugnahmen auf das Internet, auf Spielfilme und Jugendbücher heute reguläre Bestandteile von Geschichtsschulbüchern. Es handelt sich hier um Elemente, die im Wesentlichen aus didaktischen Gründen den Inhalt und die Gestaltung des Mediums bestimmen. Zusätzlich passt sich das Schulbuch formal an die Lese-, Seh- und Mediennutzungsgewohnheiten der Adressaten an und behauptet sich auf dem durch Konkurrenz geprägten Markt u.a. durch eine ansprechende Gestaltung. Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Wenn SchulbuchautorInnen (das sind heute überwiegend aus der Unterrichtspraxis kommende LehrerInnen) fachfremd schreiben, wie es bislang im Fall der Ur- und Frühgeschichte üblich ist,4 kann es außerdem geschehen, dass für die Erarbeitung der Darstellungen durch Rückgriffe auf ›populäres‹ historisches Wissen – etwa aus Jugendsachbüchern, der Presse, veralteten populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen – auch überkommene Geschichtsvorstellungen und Klischees immer wieder neu generiert und tradiert werden (vgl. Sénécheau 2008: bes. 798-813). Dies sind marktwirtschaftliche und inhaltliche Komponenten, die das Schulbuch deutlich in 3 4

In der französischen Forschung zählen Schulbücher als Untersuchungsgegenstand daher auch traditionell zu den ›médias de vulgarisation‹. Das Lehramtsstudium im Fach Geschichte schließt selten Themen der Urund Frühgeschichtlichen Archäologie ein. 229

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die Nähe des Feldes ›populärer‹ Geschichtsaneignungen und -repräsentationen rücken. Ein noch deutlicherer Überschneidungsbereich zwischen Medien der Geschichtsdidaktik und der Populärkultur mit ihren jeweiligen Merkmalen zeigt sich, wenn für ein Massenpublikum konzipierte Fernsehdokumentationen zu Lehrfilmen für den Geschichtsunterricht weiterverarbeitet werden – vertrieben von Institutionen, die schon lange auf die Herstellung von Unterrichtsfilmen spezialisiert sind und darüber hinaus teilweise zu den staatlich geförderten Bildungsorganen bzw. gemeinnützigen Institutionen gehören. Fakt ist: Während früher von Seiten der Schulfilmproduzenten noch zumindest partiell selbst gefilmt wurde, gab es in den letzten Jahren im Bereich Geschichte wenig neue Produktionen für den Schulunterricht, die nicht ursprünglich auf Fernsehdokumentationen zurückgehen. Was im Fernsehen neben der Bildung vor allem der Unterhaltung dient und der Quote nützlich ist, wird im Klassenzimmer zum Lehrstoff und tritt somit in einen Dialog – oder vielmehr in Konkurrenz – mit dem zu vermittelnden Geschichtskanon. Fernsehdokumentation versus Unterrichtsfilm Die Produktion von Fernsehsendungen5 zu historischen Themen folgt bestimmten Genrekonventionen6, die die Sendungen inhaltlich und stilistisch prägen. So stehen Unterhaltung statt Belehrung im Vordergrund und die Bindung des Zuschauerinteresses an den Film durch Dramatisierung, Emotionalisierung sowie Personalisierung. Statt Geschichte muss eine Geschichte erzählt werden, mit einem gelungenen Spannungsbogen und einer eingängigen Bebilderung; Komplexität oder Multiperspektivität sind dem untergeordnet. Sachgerechte Präsentation wird von den meisten Filmautoren zwar angestrebt, bildet jedoch nur einen zu berücksichtigenden Punkt unter vielen. In Konkurrenz zu unterschiedlichen Sendern und Fernsehformaten muss sich das unter Zeit- und Kostendruck entstandene Endprodukt auf dem Markt behaupten können und die angestrebte Quote erfüllen. So sind Geschichtsdokumentationen naturgemäß – oder auch: gezwungenermaßen7 – mehr markt- und publikums- denn

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Zu Definition und Merkmalen historischer Dokumentarfilme vgl. Lersch (2008) sowie Borries (2001). Hierzu vgl. Crivellari (2008: 161f., 176f.); Borries (2001: 22); Fischer (2009: 195); Fischer/Wirtz (2008: 7); Lersch (2008: 115); Quandt (2007: 185); Schmidt (1996: 22, 219); Wirtz (2008b: 194); Zimmermann (2008: 141). Zusammenfassend auch Sénécheau (2010b: 112-114). Vgl. den Beitrag von Tamara Spitzing in diesem Band. 230

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wissenschaftsorientiert und bilden damit ein klassisches Produkt ›populärer‹ Geschichtsdarstellung. Unterrichtsfilme8 – d.h. Lehrfilme, die speziell für den Einsatz in der Schule produziert sind – würde man ebenso wie Schulbücher aufgrund ihres Bildungszweckes zunächst einem Überschneidungsbereich zwischen Geschichtswissenschaft einerseits und Geschichtsdidaktik als Teil der institutionellen Geschichtsvermittlung andererseits zuordnen. Die originäre Bindung an Wissenschaft und Forschung sowie an deren Institutionen kommt allein schon in der Namensgebung der beiden langjährigen Marktführer für Unterrichtsfilme zum Ausdruck: »Institut für Weltkunde in Bildung und Forschung« (WBF, gemeinnütziges Institut mit Sitz in Hamburg) und »Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht« (FWU, Medieninstitut der Länder mit Sitz in Grünwald). Für die Konzeption von Unterrichtsfilmen wurden bereits im frühen 20. Jahrhundert Leitkriterien entwickelt, die nicht nur auf Anschaulichkeit, Konzentration auf das Wesentliche und Altersgruppenorientierung abzielten, sondern auch auf die »wissenschaftlich einwandfrei[e]« Vermittlung von Unterrichtsstoff (Baumann 1999: 531). Von Fernsehdokumentationen unterscheiden sich Unterrichtsfilme in erster Linie durch äußerliche Merkmale: Sie überschreiten im Gegensatz zu TV-Sendungen nur selten eine Länge von 10 bis maximal 25 Minuten und sind gezielt bestimmten Klassen- bzw. Schulstufen sowie Lehrplaninhalten zugeordnet. Die meisten Unterrichtsfilme enthalten Begleitmaterialien für LehrerInnen mit Zusatzinformationen, Vorschlägen zur Verwendung im Unterricht sowie Hinweisen auf Literatur. DVDs bieten zusätzlich separat anwählbare Standbilder und Filmclips sowie Arbeitsmaterialien zum Ausdrucken. Bei der Herstellung von Unterrichtsfilmen sind, wie bei anderen Lehrmedien auch, Methoden und Prinzipien der Geschichtsdidaktik zu berücksichtigen. Dazu zählen Veranschaulichung und Vergegenwärtigung des Lernstoffes, Reduktion der historischen Inhalte von einer abstrakt-verallgemeinernden Ebene auf das Konkrete, Herstellung von Gegenwartsbezügen und Einbindung der Lebenswelt der SchülerInnen sowie Personalisierung (vgl. Baumann 1999: 534f.). Die Lernwirksamkeit eines Unterrichtsfilms wird u.a. durch eine handlungs-, sach- und problemorientierte Gestaltung, klare Sequenzierungen sowie eine lineare und emotionalisierende Filmhandlung (vgl. ebd.: 536) erhöht. In diesen Punkten bestehen Übereinstimmungen und Überschneidungen mit Präsentationsstrategien, die auch in historischen Fernsehdokumentationen

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Zur Definition und Geschichte des Unterrichtsfilms vgl. Baumann (1999: 529-532) sowie die Literatur zusammenfassend Sénécheau (2008: 99-101). 231

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zum Einsatz kommen und generell die Attraktivität des Mediums fördern. Popularisierung und didaktische Aufbereitung liegen hier eng beieinander, da es sich letztlich um denselben Prozess handelt: um die Aufbereitung komplexer Zusammenhänge für ein nicht-spezialisiertes Publikum breiterer Bevölkerungsschichten. Darüber hinaus gelten für den Geschichtsunterricht weitere Prinzipien, die sich am Bildungsauftrag der Schule im Fach Geschichte orientieren, welcher wiederum stark geschichtswissenschaftlich geprägt ist.9 Geschichtsunterricht soll u.a. – und mit ihm die genutzten Unterrichtsmedien – ›forschend-entdeckendes Lernen‹ ermöglichen, das sich »am Verlauf wissenschaftlicher Forschungsprozesse orientiert« und damit auch die Geschichte als »Konstruktion bzw. Rekonstruktion einer bis auf einige Überreste vergangenen Realität in unserer Vorstellung« erfahrbar macht (Henke-Bockschatz 2007: 15, 20). Quellen, die sich widersprechen, unterschiedlich gedeutet werden können, unter WissenschaftlerInnen zu Kontroversen geführt haben oder Fragen unbeantwortet lassen, sind für forschend-entdeckendes Lernen besonders geeignet (vgl. ebd.: 24f.). Daran ist das Prinzip der ›Wissenschaftsorientierung‹10 eng geknüpft, das auf die Anbahnung ›historischer Kompetenz‹ abzielt. Letztere soll nicht nur zur Vergangenheits(re)konstruktion befähigen, sondern auch zur kritischen Prüfung (Dekonstruktion) fertiger Geschichtsnarrative (vgl. Borries 2007: 45). Die ebenso im Geschichtsunterricht anzustrebende Berücksichtigung von ›Multiperspektivität‹ beinhaltet zwei Ebenen der Auseinandersetzung mit Geschichte: zum einen, aus unterschiedlichen Perspektiven von Zeitgenossen auf eine historische Situation zu blicken, zum anderen, aus unterschiedlichen späteren und gegenwärtigen Blickwinkeln auf die Vergangenheit zu schauen.11 Die erste Ebene schließt den kritischen Umgang mit zeitgenössischen Quellen, d.h. Quellenkritik, ein. Die zweite Ebene beinhaltet insbesondere eine anzustrebende Thematisierung der Kontroversität wissenschaftlicher Darstellungen sowie die (ideologie-)kritische Auseinandersetzung mit außerwissenschaftlichen Präsentationen der Geschichtskultur (vgl. Bergmann 2007: 66, 68f., 72-75).12 9

Hier seien nur diejenigen genannt, die im Kontext der Beurteilung von Unterrichtsfilmen besonders relevant sind. Ausführlicher dazu etwa Mayer/Pandel/Schneider (2007). 10 Zur fachdidaktischen Diskussion und Uneindeutigkeit des Begriffs ›Wissenschaftsorientierung‹ sowie zu den Schwierigkeiten der unterrichtspraktischen Umsetzung vgl. ausführlich Borries (2007). 11 Hierzu ausführlich Bergmann (2007). 12 Einschränkend hierzu Fabio Crivellari: »Die [...] Anforderungen an den Geschichtsunterricht können […] nicht in jedem Lernmittel vollständig 232

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Im Rahmen des Geschichtsunterrichts haben Lehrfilme also wesentlich mehr als das öffentlich-rechtliche Fernsehen einen anspruchsvollen ›Bildungsauftrag‹ zu erfüllen, der von staatlicher Seite her in den entsprechenden Lehrplänen der einzelnen Bundesländer für das Fach Geschichte auch explizit formuliert ist. Unterrichtsfilme, verstanden als ein Hilfsmittel zur Realisierung des Bildungsauftrags der Schule, sollten anderen Kriterien standhalten können als TV-Produktionen. Dies entspricht im Grunde auch dem Selbstverständnis der Unterrichtsfilm-Produzenten. So schreiben das WBF und das FWU über sich: »Unser Ziel ist es, einen lebendigen und problemorientierten Unterricht zu ermöglichen und so die aktive Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit den fachlichen Inhalten der Bildungsstandards […] zu fördern. Wir sind ein Team aus erfahrenen, kompetenten Fachkräften und gestalten gemeinsam mit nach Sachgebieten ausgewählten Fachwissenschaftlern,[13] Didaktikern, Lehrerinnen, Lehrern und Kameraleuten unsere WBF-Unterrichtsmedien in ›Handarbeit‹. ›Handarbeit‹ – das bedeutet: Von der Konzeption, über das Drehbuch, den Filmschnitt bis hin zur endgültigen Fertigstellung eines Unterrichtsmediums – bei jedem Schritt ist das WBF-Team dabei […]. Vor der endgültigen Fertigstellung werden unsere Medien im Unterricht und vor Fachgremien getestet. Mit Unterstützung moderner Technologien entstehen so maßgeschneiderte Unterrichtsmedien für das jeweilige Fach, die jeweilige Schulart und die jeweilige Adressatengruppe« (WBF 2010). »Das FWU Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht ist eine öffentliche Einrichtung der Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland. Das

umgesetzt werden. Das würde bedeuten, in jedem Film auch gleichzeitig die Hebel zu dessen Dekonstruktion mitzuliefern [...]. Dies kann durchaus umgesetzt werden und wird auch umgesetzt, beispielsweise [...] durch multiperspektivische Montage oder die schemenhafte Ästhetik wie im Keltenfilm [Händler, Barbaren und Druiden], es scheint mir aber nicht für jedes Thema sinnvoll, auch weil sich das Verfahren auf Dauer abnutzt und so das cineastische Filmerlebnis, auf dem die Akzeptanz des Mediums beruht, desavouiert. Das ist auch nicht zwingend notwendig, denn Unterrichtsfilm will den Unterricht ergänzen, nicht ersetzen. Film muss immer eingebettet sein in ein kompetenzorientiertes Unterrichtsmodell, das nur der Lehrer/die Lehrerin erstellen können. [...] Dessen ungeachtet sollten entsprechende Unterrichtsvorschläge und Begleitmaterialen auch die kritische Medienanalyse anleiten« (schriftliche Mitteilung an die Verfasserin vom 12. Mai 2010). 13 Die Unterrichtsfilme zur Ur- und Frühgeschichte wurden im WBF bisher genau wie andere historische Themen von einem Geschichtswissenschaftler, nicht von ArchäologInnen, begleitet. 233

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FWU verfolgt den Auftrag, Medien für die Bildung zu produzieren. […] Die Übereinstimmung mit den Lehrplänen und Eignung für den Unterricht sind wichtigste Kriterien für die Auswahl und Gestaltung der Produktionen. Zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen […] belegen die hohe Qualität der FWU-Medien« (FWU 2010a). »FWU-Medien können Sie vertrauen, schließlich werden sie anhand der aktuellen Lehrpläne speziell für den Einsatz im Unterricht entwickelt« (FWU 2010b).

Was geschieht nun aber, wenn die Produzenten WBF und FWU auf Fernsehdokumentationen zurückgreifen, d.h. Bild- und Tonmaterial daraus verwenden, um Unterrichtsfilme herzustellen? Welcher Nutzen, welche Nachteile entstehen dadurch? Und: Wird das Endprodukt dem Bildungsauftrag der Schule gerecht? Des Weiteren: Welche Elemente werden aus Fernsehdokumentationen übernommen, was wird hingegen für die Unterrichtsfassung verändert? In welche neuen Kontexte werden die Inhalte gestellt? Welche weiteren Intentionen verfolgen die veränderten Fassungen? Schließlich: Ist es sinnvoll, so zu arbeiten? Welche Alternativen wären möglich, wo liegen die Chancen ›für einen neuen Dialog zwischen Medien und Wissenschaft‹? Diesen Fragen soll anhand von vier Filmbeispielen nachgegangen werden. Die ausgewählten Produktionen stehen zugleich für verschiedene Typen der Übernahme aus TVDokumentationen und zeichnen sich jeweils durch spezifische, im Folgenden erörterte Merkmale aus.

Filmbeispiele »C 14. Schatzjäger in Deutschland« Das erste Beispiel repräsentiert den Typ der unveränderten Übernahme originalen Bild- und Tonmaterials aus dem Fernsehen in einen Unterrichtsfilm (Typ A). Den inhaltlichen Schwerpunkt bilden bei dem hier ausgewählten Film archäologische Entdeckungen und Arbeitsweisen, wobei an diesem Beispiel vor allem zu beobachten ist, wie der gestalterische Duktus des für das Fernsehpublikum geschaffenen Ausgangsmaterials das Unterrichtsmedium noch besonders stark prägt. Konkret geht es um den Unterrichtsfilm Geschichte ganz nah. Ausgrabungen in Deutschland I (FWU, 2000, 23', VHS) (Abb. 2), bestehend aus drei eigenständigen Kurzfilmen: 1. Der Keltenfürst von [sic] Glauberg; 2. Die Varusschlacht; 3. Ein römisches Bergwerk.

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Abbildung 1 : Cover der VHS-Kassette Geschichte ganz nah – Ausgrabungen in Deutschland I (FWU, 2000).

Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des FWU. Für Buch und Regie sind auf dem Filmbeiblatt »Stefan Lamby« (korrekt: Stephan Lamby), »Ingo Helm« und »Peter Prestel« angegeben – Personen, die als Autoren und Regisseure an Gisela Graichens Reihe C 14. Schatzjäger in Deutschland (ZDF, 1998/1999) beteiligt waren. Kein weiterer Hinweis auf dem Unterrichtsblatt deutet darauf hin: Alle drei Teilfilme stammen originär aus C 14. Sie wurden unverändert (nur teilweise neu betitelt) übernommen – wobei sie aus verschiedenen Folgen der Reihe stammen.14 Ausgesucht wurden sie vermutlich vorrangig im Hinblick auf ihre unmittelbare Verwertbarkeit (sie mussten aufgrund ihrer Kürze nicht überarbeitet werden) und in Bezug auf die Relevanz der angesprochenen Themen in den Lehrplänen derjenigen Bundesländer, in denen 14 Der Teilfilm Der Keltenfürst von Glauberg stammt aus Folge 2 (dort: Der Keltenfürst vom Glauberg), ebenso Ein römisches Bergwerk (dort: Das blaue Geheimnis). Die Varusschlacht wurde aus Folge 4 übernommen. 235

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die Eisenzeit (Kelten) und die römische Zeit (insbesondere in den Provinzen) regelmäßigen Bestandteil des Geschichtsunterrichts im ersten Lehrjahr der Sekundarstufe I bilden.15 Die Teilfilme aus dem TV-Original eignen sich schon allein daher als Unterrichtsmaterial, weil sie sehr kurz sind. In nur wenig Zeit wird eine adäquate Menge an Information vermittelt. Eine abwechslungsreiche Gestaltung charakterisiert die Teilfilme. Digitale Rekonstruktionen oder Reenactmentszenen veranschaulichen eindrücklich Einzelaspekte vergangener Lebenswelten; in einem der Teilfilme greifen beispielsweise Szenen aus einem Asterix-Zeichentrickfilm mögliche Vorkenntnisse der Zuschauer auf, an die auch im Unterricht gut angeknüpft werden kann. Schwierigkeiten ergeben sich vor allem in Bezug auf den Zweck, den die Filme im Unterricht erfüllen sollen: Die Neukombination der originalen Teilfilme als Unterrichtsfilm wird auf dem Cover und dem Filmbeiblatt des FWU als eine Einführung in archäologische Methoden gehandelt: »Die Videos führen ein in die spannende Arbeit der Archäologen« (Cover: Rückseite). Die auf dem Beiblatt formulierten Lernziele lauten u.a.: »die Methoden der Archäologen zur Freilegung eines keltischen Grabes kennen lernen« und »Einblick gewinnen in die Methoden der Archäologen, um das Gelände der Varusschlacht aufzufinden« (Beiblatt: 2). Diesen Anspruch erfüllt keiner der Filme. Die SchülerInnen erfahren zwar, dass Archäologen graben, aber nicht wie; dass verschiedene Arbeiten im Labor stattfinden, aber nicht welche; dass im Fall der Varusschlacht sogar die Bundesluftwaffe an archäologischer Forschung beteiligt gewesen sei; und schließlich dass ein Hobbyarchäologe mit dem Metalldetektor den Ort der Varusschlacht fand, aber nicht, dass dies eine eher außergewöhnliche Entdeckungsgeschichte eines Fundortes darstellt. Anstatt tatsächlich über Arbeitsmethoden der Archäologie zu informieren, nähren die Filme vielmehr populäre Klischees von Archäologie als Schatzsuche:16 So entsteht der Eindruck, dass graben immer sehr spannend sei und dabei immer sensationelle Entdeckungen gemacht würden, in deren Mittelpunkt besonders einzigartige Funde stehen, vor allem aus kostbaren Materialien wie Gold und Silber. Warum das so ist, erklärt sich aus der Programmatik der für ein Fernsehpublikum geschaffenen Sendereihe: Die Filme sollen aus Sicht der Produzenten »über spannende archäologische Grabungen und Forschungen in Deutschland« informieren. Dafür »werden verschiedene Orte aufgesucht, an denen die Wissenschaftler gerade dabei sind, neu entdeckte Botschaften aus der Vergangenheit mit modernsten Methoden zu ent15 Je nach Bundesland und Schulart werden die genannten Themen in den Klassen 5, 6 oder 7 behandelt. 16 Hierzu vgl. den Beitrag von Stefanie Samida in diesem Band. 236

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schlüsseln« (Cinecentrum 2009, Hervorhebungen M.S.). Den Drehbuchautoren ging es also primär um die Präsentation von Grabungsplätzen mit Nachrichtenwert, um quotenfreundliche, dramatische Inszenierungen des Forschens und Entdeckens – eine sachliche, wissenschaftsnahe Darstellung klassischer Methoden und Verfahren der Archäologie war nicht Ziel der Reihe. Noch weitere Merkmale kennzeichnen die C 14-Filme als Produktion für das Fernsehen. So gehört etwa die Einbindung von Zuschauererwartungen selbstverständlich zum Genre. Nur selten fehlt in ›Keltendokus‹ – wie auch im hier besprochenen Teilfilm über den ›Glaubergfürsten‹ – der sagenumwobene Steinkreis von Stonehenge (mitsamt einiger esoterischer Anklänge wie der Einblendung moderner Druidentreffen). Dabei handelt es sich jedoch um ein Monument aus der Steinzeit, das aus archäologischer Sicht nicht mit den Kelten in Verbindung zu bringen ist. In einem Unterrichtsfilm, der sachgerecht über die Eisenzeit informieren soll, sind diese Szenen falsch platziert – es sei denn, man geht zusammen mit den SchülerInnen auf diese populären Klischees und ihre Hintergründe problematisierend ein und analysiert den Film im Geschichtsunterricht als populärkulturelles Produkt. Der Vorschlag für solch ein medienkritisches Vorgehen oder überhaupt ein Hinweis auf die Zeitstellung von Stonehenge finden sich auf der Begleitkarte (dem schriftlichen Begleitmaterial zum Unterrichtsfilm) jedoch nicht.17 Die Autoren von Fernsehdokumentationen greifen bei der Produktion ihrer Filme in der Regel auf längere Recherchearbeiten zurück; sie verfügen über ein gewisses Maß an Fachwissen. Für die Autoren der Begleitkarten von Unterrichtsfilmen – meist Geschichtsdidaktiker oder Medienpädagogen – kann dies, wie es gerade der Teilfilm zur Eisenzeit zeigt, nicht vorausgesetzt werden. So heißt etwa der ›Keltenfürst‹ vom Glauberg konsequent, abweichend von der archäologischen und auch im Film verwendeten Nomenklatur, in den Begleitmaterialien zum Unterrichtsfilm Fürst »von Glauberg« (Cover: Vorderseite, Rückseite; Beiblatt: Titel, 2, [8], Hervorhebungen M.S.). Auch wurden im Begleitmaterial mehrfach die Epochen oder Fachgebiete, um die es im zweiten

17 Diesbezüglich kann von den LehrerInnen nur schwer Eigeninitiative erwartet werden: Sie sind in der Regel historisch und nicht archäologisch ausgebildet, d.h., ihnen wurden im Studium im Bereich der Ur- und Frühgeschichte die fachlichen Grundlagen für die Unterscheidung von Populär- und Fachwissen nicht vermittelt. Dies führt auch im Bereich der Schulbuchproduktion zu zahlreichen entsprechenden Problemen (vgl. Sénécheau 2008). 237

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Teilfilm geht, nicht korrekt benannt bzw. verwechselt.18 Hier wird deutlich, dass das Beiblatt ›fachfremd‹ verfasst wurde. Problematisch sind solche Sachfehler, weil die ebenfalls nicht archäologisch ausgebildeten NutzerInnen (in der Mehrzahl: LehrerInnen) auf die Sachinformationen in den Begleitkarten angewiesen sind; sie sollten sich auf deren Richtigkeit verlassen können. Die Geschichte der C 14-Filme und ihrer Zweitverwendung ist komplex: Aus der Originalversion gelangten die drei genannten Teilfilme unverändert wie beschrieben in den hier besprochenen Unterrichtsfilm Geschichte ganz nah. Ausgrabungen in Deutschland I. Der Teilfilm 2. Die Varusschlacht wurde von dort aus in ein weiteres Medium des FWU übernommen: in die Sammel-DVD Die Römer nördlich der Alpen (FWU, 2003). Als Quelle wird dort dann lediglich der erste Unterrichtsfilm, Geschichte ganz nah, genannt. Das bedeutet: Während die NutzerInnen des ersten Unterrichtsfilms von 2000 auf VHS die Herkunft der Filme evtl. noch über die genannten Autoren und Regisseure erschließen können, werden sie bei der Unterrichts-DVD aus dem Jahr 2003 über den Ursprung des Films zur Varusschlacht (nämlich die für das Fernsehen produzierte C 14-Reihe) und damit über die eigentliche Programmatik der Fernsehsendungen gänzlich im Unklaren gelassen. Fassen wir zusammen: Der Unterrichtsfilm Geschichte ganz nah. Ausgrabungen in Deutschland I besteht aus drei Teilfilmen, die unverändert aus der Serie C 14 entnommen wurden. Einer der drei Teilfilme gelangte vom didaktischen Film aus in ein weiteres Unterrichtsmedium. Der originäre Ursprung der Teilfilme ist jeweils nicht angegeben. Für die Verwendung der Teilfilme im Unterricht sprechen in erster Linie formale und gestalterische Gründe. Bezüglich der Inhalte bzw. Darstellungsabsichten findet eine Dekontextualisierung im Sinne einer Fehlinterpretation der Kerninhalte statt: Für das Fernsehpublikum sollen die Filme auf spannende Weise über neue archäologische Entdeckungen berichten; für die SchülerInnen sollen sie Einblick in Methoden der Archäologie geben (was jedoch nicht gelingt, da es schließlich auch nicht Absicht der Fil18 Das Schlagwort »Bronzezeit« müsste durch ›Eisenzeit‹ ersetzt werden, »Alte Geschichte« durch ›Ur- und Frühgeschichte‹ (Cover: Rückseite; Beiblatt: [8]). Die »Jungsteinzeit«, zu denen die SchülerInnen Vorkenntnisse mitbringen sollen, wäre durch »Bronzezeit« zu ersetzen (ebd.: 2). Eine »etruskische Kultur, die weite Teile des heutigen Deutschlands vor der römischen Besiedlung umfasst« hatte (ebd.: 4), hat es nie gegeben. (Gemeint ist wohl die etruskische Kultur in Italien. In Deutschland gingen der römischen Epoche die Zeit der Germanen und der Kelten voraus.) Bei der einzigen Literaturangabe, die gemacht wird, ist der Name des Autors falsch geschrieben (»Meier, Bernhard« statt ›Maier‹, ebd: 4). 238

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memacher war). Das Bemühen von Klischees, etwa über Archäologie und über die Kelten, erstaunt im Rahmen einer Fernsehdokumentation nicht, in einem Unterrichtsfilm jedoch durchaus. Sachfehler im Begleitmaterial lassen die Mitarbeit von ArchäologInnen zusätzlich vermissen. »Sturm über Europa« Das zweite Filmbeispiel steht für eine Form von Überarbeitung, bei der der Unterrichtsfilm – vom Fernsehmaterial ausgehend – völlig neu zusammengesetzt und mit einem neuen Kommentar versehen wurde, also eine große Differenz zwischen dem Ablauf der TV-Dokumentation und des Unterrichtsfilms besteht (Typ D). In diesem konkreten Fall verstärken die drastischen Kürzungen die Klischeehaftigkeit der Inhalte zu den Germanen und der Völkerwanderung noch zusätzlich. Auf den Inhalt bezogen weist die Vorlage aus dem Fernsehen bereits so viele fachliche Mängel auf, dass man sich wundern muss, weshalb daraus überhaupt ein Unterrichtsfilm entstanden ist. Gemeint ist Sturm über Europa, eine Fernsehdokumentation von Christian Feyerabend und Uwe Kersken, 2002 ausgestrahlt von ARTE und ZDF. Der Vierteiler zur Geschichte der Völkerwanderung mit insgesamt knapp 180 Minuten diente dem FWU noch im selben Jahr als Vorlage für zwei Unterrichtsfilme: Völkerwanderung. Kimbern, Varusschlacht und Angelsachsen (FWU, 2002, 22', VHS) (Abb. 3) sowie Völkerwanderung. Der Zug der Goten und das Ende des Römischen Reiches (FWU, 2002, 24', VHS). Entstanden sind stark gekürzte Filme, die aus dem gesamten vorhandenen dokumentarischen Material und den Reenactmentszenen des Originals (d.h. seiner vier Folgen) neu zusammengesetzt wurden. Die Attraktivität des Fernsehvierteilers für eine Verwendung im Unterricht liegt in seinem dramatisierenden und emotionalisierenden Erzählstil, der das Interesse der SchülerInnen zu wecken und zu halten vermag. Reenactmentszenen veranschaulichen so lebendig den historischen Stoff, wie es keine Schriftquelle und auch kein Schulbuch vermag, und kommen den Sehgewohnheiten vieler SchülerInnen entgegen. Das Hauptproblem bei der Verarbeitung von Sturm über Europa in einen Unterrichtsfilm bildet die Vorlage selbst. Der Vierteiler erzählt, wie und warum germanische Verbände ihre Heimat verließen, wie sie angeblich Jahrhunderte lang durch Europa zogen und wie die Germanen schließlich zu Reichsgründern wurden. Zu dieser Story, die einen wirkungsvollen Handlungsrahmen für die Fernsehdokumentation bildet, gehören die Topoi von Kälte, Hunger und einem armseligen Dasein – visualisiert durch Moorleichen mit Spuren von Mangelernährung und ver-

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schneite Dörfer, in denen der Wind heult. Sturm über Europa bemüht zahlreiche Klischees, beispielsweise das des Germanen im Bärenfell, zottelig, dreckig und verlaust, der während seiner Wanderung Unterschlupf in einer Höhle findet, oder das populäre Bild eines kilometerlangen Planwagentrecks, der Kind und Kegel, Ochsenkarren und nur wenige Habseligkeiten mit sich führt. Als Beleg für die Wanderungsbewegung werden archäologische Funde herangezogen, deren Deutung in diesem Kontext allerdings völlig überzogen ist (vgl. Sénécheau 2010b). Brutale Kampfszenen, bei denen das Blut spritzt und anschließend die Leichen auf dem Schlachtfeld herumliegen – typisch für Fernsehdokumentationen mit eingeschnittenen Spielszenen zu vergleichbaren Themen aus Frühgeschichte und Antike – sorgen für Spannung und Abwechslung und letztlich für die angestrebte Zuschauerquote. Diese inhaltlichen wie gestalterischen Merkmale prägen bereits die Originalversion und wurden für den Unterrichtsfilm ohne kritischen Kommentar zu einer verkürzten Fassung verdichtet. Um wissenschaftsnahe Geschichtsdarstellung handelt es sich hier nicht, auch wenn dies mit allen Mitteln suggeriert wird (vgl. ebd.). Der Kürzung fiel außerdem ein wichtiges dramaturgisches Element der Originalversion zum Opfer: Viele der dort gezeigten Spielszenen laufen ab, während mit einer anderen Sprecherstimme und unter Angabe der Quelle bzw. des römischen Autors aus antiken Texten zitiert wird. Damit ist für die Zuschauer klar, dass die Reenactments die Vorstellungen und Berichte der Römer plastisch in Szene setzen. Dieser Effekt ging im Unterrichtsfilm verloren, weil die Quellenzitate dort zu wenig als solche gekennzeichnet werden (nur eine Sprecherstimme, keine besondere Hervorhebung oder Betonung). Die Zitate geraten zu inhaltlichen Kernaussagen des Films bzw. kommentieren das Reenactment – den Spielszenen kommt damit, wenn auch möglicherweise ungewollt, eine Funktion als Beleg für diese Aussagen zu. Bei der Erstellung des neuen, verkürzten Kommentars gelangten durch mangelnde Sachkenntnis des neuen Herausgebers außerdem zahlreiche Sachfehler in den Unterrichtsfilm. Römische Schleuderbleie aus Kalkriese bildeten beispielsweise einen der ersten Hinweise auf den Ort als Schauplatz eines Kampfgeschehens. Im Voice-over-Kommentar des Unterrichtsfilms werden sie als germanische Schleuderkugeln bezeichnet, wohl, um den SchülerInnen die Anwesenheit kriegerischer Germanen am Kalkrieser Berg plausibel zu machen. Die schülerfreundliche Konkretisierung des vermeintlichen Sachverhalts führte hier zur Fehldarstellung.

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Abbildung 2 : Cover der VHS-Kassette Völkerwanderung. Kimbern, Varusschlacht und Angelsachsen (FWU, 2002).

Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des FWU. Zusammenfassend ist festzuhalten: Hier entstanden aus vier Folgen einer Fernsehdokumentation zwei Unterrichtsfilme. Die Quelle für das Bildmaterial wird dort nicht angegeben. Die mit klassischen Mitteln der Geschichtspopularisierung erreichte Attraktivität des Originals machte seinen Erfolg im Fernsehen aus, wurde für den Unterrichtsfilm aber zugleich zum Problem: Dramatisierung, Emotionalisierung und das Rekurrieren auf Klischees führten insgesamt zu einer Darstellung, die dem Stand der Wissenschaft nicht entspricht und in diesem Punkt für die Geschichtsvermittlung in der Schule ungeeignet ist. Kürzungen und Konkretisierungen im neu angefertigten Kommentar verursachten zusätzliche Fehldarstellungen. So kann das Fazit zu Sturm über Europa nur lauten: Aus dieser Vorlage hätte man besser keine Unterrichtsfilme erarbeitet.

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»Die Germanen« Unser drittes Beispiel zeigt die grundsätzliche Möglichkeit unterschiedlicher Überarbeitungen desselben Ausgangsmaterials: 1. nah an der Vorlage bleibend durch Herausschneiden lediglich einzelner Szenen (Typ B); 2. vollständiger Neuschnitt (Typ D), bei dem in die gestalterische Struktur der Vorlage stark eingegriffen wird, was den ursprünglichen Charakter der Dokumentation deutlich verändert. Das Original, um das es hier geht, ist der Vierteiler Die Germanen, ausgestrahlt 2008 in der ARD. Er erzählt, ähnlich wie Sturm über Europa, von der Geschichte der Germanen und ihren wiederkehrenden Konfrontationen mit dem Römischen Reich. Reenactment, jeweils aus der Perspektive einer fiktiven Hauptfigur, wechselt sich mit Dokumentarsequenzen und Experteninterviews ab und bietet in der Kompilation lebensnahe Einblicke in Kultur- und Ereignisgeschichte. Gerade die alltagsweltlichen und personalisierenden Aspekte der Darstellung legen eine Verwendung im Schulunterricht nahe. Die Fernsehdokumentation diente als Grundlage für mehrere Schulproduktionen: Zum einen entstanden aus den vier Folgen jeweils 30-minütige Sendungen, die in die Reihe SWR Schulfernsehen (SWR/WDR, planet schule) aufgenommen wurden (in den Bildstellen auch erhältlich als DVDs). Die Kürzung der Einzelsendungen von 45 auf 30 Minuten erreichte man durch Streichen oder Beschneiden der Experteninterviews, der Rest verblieb im Original. Im Internet stehen Materialien für Lehrende bereit; die Sendungen können, wie auch einzelne Sequenzen, heruntergeladen oder direkt angeschaut werden.19 Das Endprodukt für die Schule entspricht hier in weiten Teilen der Vorlage und nutzt Dokumentar- und Spielszenen in einem insgesamt ausgewogenen Verhältnis.20 Von Teil 2 der Originalversion ausgehend (Die Germanen, Folge 2: Die Varusschlacht) stellte das WBF einen eigenen, 16-minütigen Unterrichtsfilm her: Die Varusschlacht im Jahre 9 n. Chr. (WBF, 2009, DVD) (Abb. 4). Er ist als Hauptfilm Teil einer DVD, die mit weiterem Material (Filmclips aus der Fernsehdokumentation, Arbeitsblätter etc.) ausgestattet ist. Der Hauptfilm besteht fast ausschließlich aus Spielszenen der Fernsehvorlage. Dieses Bildmaterial wurde in einer veränderten Reihenfolge neu zusammengesetzt und mit einem neuen Kommentar versehen. 19 http://www.planet-schule.de/sf/php/02_sen01.php?reihe=847. Zugriff am 19. März 2010. 20 Die Schulstufen-Empfehlung lautet hier »ab Klasse 8« und liegt damit über der Klassenstufe, in der gewöhnlich das Thema auf dem Lehrplan steht (Klassen 5-7, je nach Bundesland und Schulart). Dies leuchtet insbesondere aufgrund der vielen enthaltenen Spielszenen mit Kampf und Gewalt ein. 242

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Bei den Filmclips im Ergänzungsmaterial handelt es sich überwiegend um Dokumentarsequenzen. Diese wurden unverändert als Ausschnitte aus dem Original übernommen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Sachinformationen, die aus archäologischen Ausgrabungen hervorgehen. In diesen Kontexten werden zwei Experteninterviews mit Archäologen wiedergegeben, die auf einer Grabung stehend direkt etwas erläutern. Alle anderen Experteninterviews mit Wissenschaftlern in Büros, Labors oder Sammlungen, die die Fernsehvorlage als ein wesentliches Element bestimmen, gingen in den Unterrichtsfilm nicht ein. Diese Beispiele verdeutlichen, welche Schwerpunkte in Bezug auf die Verwendung im Unterricht gesetzt werden: Interessant sind Erläuterungen von Experten dort allenfalls, wenn sie in direktem Zusammenhang mit Ausgrabungen stehen. Abbildung 3: Cover der DVD Die Varusschlacht im Jahre 9 n. Chr. (WBF, 2009).

Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des WBF. Im Unterschied zu anderen Unterrichtsfilmen findet sich im Abspann eine Angabe der Quelle: Man dankt dem WDR, der dem WBF Filmmaterial aus Die Germanen überlassen habe.

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Der Unterrichtsfilm (der Hauptfilm auf der DVD) erzählt die Geschichte der Varusschlacht aus der Perspektive des Arminius, der im Kindesalter als Geisel nach Rom gelangt und später von Kaiser Augustus in den Ritterstand erhoben wird. Diese personifizierende, d.h. auf eine bekannte Persönlichkeit der Geschichte konzentrierte Darstellung hatte die Fernsehdokumentation aufzubrechen versucht, indem sie (lediglich personalisierend) aus dem Blickwinkel von Arminius’ Begleiter Notker erzählt. Zwar agiert Arminius auch in der Fernsehdokumentation, doch ist dort Notker als explizit fiktive Beobachterfigur und Berichterstatter eindeutig zwischengeschaltet. Für die Zuschauer wird dadurch der narrative, aus einer bestimmten Perspektive erfolgende Charakter der filmischen Erzählung deutlich. Im Unterrichtsfilm dagegen steht Arminius im Vordergrund, was den ursprünglichen Charakter der Dokumentation stark verändert, denn die Handlung gerät vom ›So-könnte-es-gewesensein‹-Bericht zur ›So-ist-es-gewesen‹-Erzählung aus der nur scheinbar objektiven Perspektive eines übergeordneten Sprechers. Die Struktur des Originals wurde für den Unterrichtsfilm insgesamt stark aufgebrochen. So besteht die Vorlage bezüglich ihres Bildmaterials aus einer sehr ausgewogenen Mischung: Dokumentation, fiktionale Szenen und Erläuterungen durch Experten wechseln sich ab. Beim Unterrichtsfilm wurden dagegen die Dokumentarsequenzen in das Zusatzmaterial ausgelagert und die Experteninterviews überwiegend gestrichen. Die Spielszenen sind im Original recht zurückhaltend gestaltet, da die Akteure auch keine hörbaren bzw. verständlichen Dialoge sprechen. Den Unterrichtsfilm bebildern sie im Hauptfilm fast vollständig. Sie erhalten damit ein von den ursprünglichen AutorInnen nicht beabsichtigtes Übergewicht. Während ihr fiktiver Charakter in der Fernsehdokumentation eindeutig ist, kommt ihnen im Unterrichtsfilm eine beglaubigende Rolle für die im Sprechertext transportierten Informationen zu. Unterstützt durch diese Spielszenen wird die schon in der Fernsehvorlage eindeutig germanische Perspektive im Unterrichtsfilm zu einer sehr klaren Essenz kondensiert: Die Germanen erheben ihre Waffen gegen die römische Unterdrückung; Arminius ist Freiheitskämpfer der Germanen. Was die Szenen andeuten, wird im Text des Kommentators noch verstärkt. Die Spielszenen bekräftigen damit ein bestimmtes Geschichtsbild: Beim Thing habe Arminius die Germanen versammelt und erfolgreich zum Widerstand aufgerufen, gegen die – in Reenactments sehr wirksam inszenierten – römischen Ungerechtigkeiten. Diese Konzentration auf nur eine der Hauptaussagen der Fernsehdokumentation findet sich bereits programmatisch im Untertitel des Unterrichtsfilms: Die Germanen wehren sich gegen die römische Fremdherrschaft.

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Das Beispiel verdeutlicht damit auch die Wandelbarkeit von Perspektiven auf historische Ereignisse entsprechend unterschiedlicher politischgesellschaftlicher Ausgangssituationen (vgl. Sénécheau 2010a): In Deutschland dominierte von ca. 1870 bis 1945 eine pro-germanische Auseinandersetzung mit der so genannten ›Hermannsschlacht‹, darauf folgte eine lange Phase des pro-römischen Blicks. Auch in Unterrichtsmedien wurden – nach dem ideologischen Missbrauch des Germanenthemas im Nationalsozialismus – im Kontext der römischen Geschichte stets die positiven Folgen römischer Eroberungen für die betroffenen Provinzen hervorgehoben. Im geschilderten Filmbeispiel allerdings begegnen wir nun wieder einer Fokussierung auf das Schicksal der Germanen und die möglichen Gründe für ihren Widerstand. Der Unterrichtsfilm, der sich in seiner Botschaft an die Originalvorlage anlehnt, bringt damit eine neue, in zahlreichen gegenwärtigen populärkulturellen Umsetzungen des Themas anzutreffende, aber ebenfalls einseitige Perspektive in den Schulunterricht hinein. Zu Die Germanen und ihrer Umwandlung in Unterrichtsfilme kann zusammengefasst werden: Durch moderate Eingriffe, d.h. durch eine schlichte Kürzung, konnten in den Sendungen des SWR Schulfernsehens der Charakter und die Vorzüge der Fernsehdokumentation bewahrt werden. Im Unterrichtsfilm des WBF dagegen, geschnitten aus Folge 2 des Vierteilers, entstand durch die Konzentration auf Spielszenen im Hauptfilm sowie durch einen neuen Kommentar eine Schieflage gegenüber dem Original. Der didaktische Vorteil durch den Einsatz eines fiktiven Beobachters wurden im Unterrichtsmedium nicht genutzt, stattdessen entstand durch einen Neuschnitt eine personifizierende Erzählung von Ereignisgeschichte à la ›So ist es gewesen‹ nach traditionellem Muster, bei der die Spielszenen eine beglaubigende Funktion innehaben. Neu ist daran lediglich, dass in der Darstellung der Konfliktsituation mit den Römern für die Germanen Partei ergriffen wird. Dadurch wird das Muster des in Unterrichtsmedien zu diesem Thema noch vorherrschenden pro-römischen Narrativs gebrochen. Das Beispiel zeigt damit auch, wie eine zunächst in der Populärkultur neu auflebende inhaltliche Perspektive in ein schulisches Medium Eingang findet. »Die Kelten. Händler, Barbaren und Druiden« Zuletzt sei eine Dokumentation angeführt, die zur Herstellung eines Unterrichtsfilms gekürzt und mit einem neuen Kommentar versehen wurde, ohne dass ihre Hauptaussagen und ihr Charakter eine wesentliche Veränderung erfuhren (Typ C). Die Modifizierungen dienten im vorliegenden Fall sowohl einer Reduktion der Filmlänge als auch einer besseren Ver-

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ständlichkeit. Das hier zuletzt besprochene Beispiel zeigt, wie aus einer inhaltlich schon geeigneten Vorlage ein Unterrichtsfilm entstand, der auch fachlichen Kriterien standhält. Es handelt sich um den Fernseh-Dokumentarfilm Die Kelten. Händler, Barbaren und Druiden von Claudia Heiss und Tilman Wolff, erstmals 1999 im Hessischen Rundfunk ausgestrahlt. Aus ihm entstand 2003 ein gleichnamiger Unterrichtsfilm (FWU, 2003, 24', DVD) (Abb. 5). Er beleuchtet, anknüpfend an den Fund vom Glauberg, verschiedene Aspekte der keltischen Kultur. Der Blick wendet sich dabei auch nach Frankreich und Österreich – im Unterschied zu vielen anderen deutschen Unterrichtsfilmen, die sich meist nur auf Funde und Fundorte aus Deutschland konzentrieren. Vergleichbar mit dem ersten Filmbeispiel, den Teilfilmen aus C 14, sind ArchäologInnen und RestauratorInnen bei der Arbeit zu sehen, allerdings mit größerer Verweildauer auf den einzelnen Szenen. Damit erhalten die SchülerInnen einen ersten Einblick in archäologische Arbeitsweisen. Inhaltlich ermöglicht der Film insgesamt sowohl eine Beschäftigung mit der Kultur der Kelten als auch, zumindest ansatzweise, mit Methoden ihrer Erforschung. Dezent gehaltene Spielszenen produzieren wirkungsvolle Stimmungsbilder und betten Funde in einen Kontext ein. Dies zusammengenommen macht den Film – zumindest aus fachwissenschaftlicher Sicht – zur idealen Vorlage für einen Unterrichtsfilm. Im Unterschied etwa zu Sturm über Europa zeichnet sich hier schon die Ausgangsfassung durch hohe fachliche Qualität aus.21 Die Kürzung der Originalversion in ein für den Unterricht geeignetes Filmformat entstand durch die Streichung aller Experteninterviews sowie einzelner inhaltlicher Sequenzen, die sich auf besondere Fundorte beziehen oder mit Details aus Grabfunden beschäftigen. Die Abfolge und die Inhalte der erhaltenen Sequenzen sind mit dem Original identisch. Es wurde ein neuer Kommentar gesprochen, der sich allerdings sehr eng an der Vorlage orientiert. Er enthält einige wenige Kürzungen und ist an manchen Stellen durch eine vereinfachte, klarere Sprache mit kürzeren Sätzen gekennzeichnet; es ging bei den diesbezüglichen Veränderungen also um ein besseres Verständnis. Im Unterschied zu den vorangegangenen Beispielen erfolgte die Bearbeitung für das FWU durch die AutorInnen der Fernsehdokumentation selbst. Claudia Heiss und Tilman Wolff hatten also Einfluss auf die Umgestaltung ihrer Dokumentation in einen Unterrichtsfilm und konnten ihr für die TV-Sendung erworbenes Fachwissen nutzen. 21 Diese Bemerkungen betreffen ausschließlich die archäologischfachwissenschaftliche Seite. Aus filmisch-gestalterischer Perspektive wären einige Schwächen und Probleme anzuführen, auf die hier allerdings nicht weiter eingegangen werden kann. 246

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Positiv hervorzuheben ist außerdem die Form der Spielszenen: Es handelt sich um stumme Szenen, um Schatten vor farbigem Hintergrund, beispielsweise zur Bestattung des ›Fürsten‹ vom Glauberg. Auch Kampfszenen flossen auf diese Weise ein. Die Rekonstruktionen bleiben damit bewusst offen und vage. Sie verdeutlichen zugleich, dass es sich beim Gezeigten nur um unsere Vorstellungsbilder handelt, die wir uns heute auf der Grundlage der Funde und der Schriftquellen machen. Abbildung 4: Cover der DVD Die Kelten. Händler, Barbaren und Druiden (FWU, 2003).

Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des FWU. Insgesamt stellt diese Übernahme aus dem Fernsehen ein überwiegend als positiv zu beurteilendes Beispiel dar, mit nur einem Haken: Auch hier enthält die zugehörige Begleitkarte aus fachlicher Sicht problematische

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Darstellungen.22 Dies lässt sich dadurch erklären, dass es sich bei der Verfasserin nicht um eine Archäologin handelt, sondern um eine promovierte Altphilologin und Lateinlehrerin. Ein akademischer Titel der Begleitkarten-AutorInnen allein ist demnach kein Garant für sachliche Qualität. Die Fernsehdokumentation Die Kelten. Händler, Barbaren und Druiden wurde 2003 zunächst in den genannten Unterrichtsfilm im VHSFormat verwandelt. 2007 floss dieser Unterrichtsfilm in eine neue LehrDVD mit dem Titel Die Kelten (FWU, 2007) ein. Auf dieser DVD hat man ihn mit Sequenzen aus einem anderen FWU-Film von 1994 mit dem Titel Auf den Spuren der Kelten verbunden. Auf der DVD von 2007 sind als Quelle nur noch die beiden früheren Unterrichtsfilme genannt. Die NutzerInnen der DVD erfahren damit auch hier nichts über den tatsächlichen Ursprung des Materials und über dessen Alter. Festzuhalten ist zu diesem Beispiel: Die Zusammenarbeit mit den Filmautoren führte zu einer Kürzung und sprachlichen Vereinfachung der Filminformation ohne inhaltliche, perspektivische oder gestalterische Verfremdung. Mit entsprechend gestalteten Spielszenen ist es möglich, die Offenheit von Rekonstruktionen und damit den konstruktiven Charakter von Geschichte (im Sinne von Geschichtswissenschaft) aufzeigen. Hilfreich wäre es für die Qualität des Begleitmaterials gewesen, auch hier die Filmautoren oder ArchäologInnen einzubeziehen. Die Zweitverwendung des Unterrichtsfilms für eine weitere DVD führte zu einer Drittverwendung der Fernsehdokumentation, bei der die NutzerInnen den originären Ursprung des Filmmaterials (und damit den Zeitpunkt seiner Entstehung) nicht mehr nachvollziehen können.

Ergebnisse Bei den beschriebenen Beispielen handelt es sich nicht um Einzelphänomene. Im Bereich der Ur- und Frühgeschichte werden nicht nur Germanen ›geklaut‹, oder, wie in zwei der diskutierten Filme, Kelten. Auch der Neandertaler, der ›Ötzi‹, Römer, Goten, Franken – und mit ihnen die sie erforschenden ArchäologInnen – gelangen von der Fernsehdokumentation in den Unterrichtsfilm. Filme für den Geschichtsunterricht sind heu22 So sind einige in der Archäologie umstrittene Begriffe und Vorstellungen enthalten, etwa die Feststellung einer Zugehörigkeit der Kelten zur »indogermanischen Sprachfamilie«, das Bild einer »große[n] keltische[n] Völkerwanderung« (Beiblatt: 2) oder die Bemerkung, »bis heute« hätten sich »keltische Sprachen in Irland, Schottland, Wales und der Bretagne erhalten« (ebd.: 4). 248

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te fast ausschließlich Verschnitte aus Fernsehsendungen. Im Folgenden seien im Hinblick auf die Eingangsfragen die wichtigsten hier gemachten Beobachtungen nochmals zusammengefasst. Vom Original zur Überarbeitung Die Formen der Zweitverwendung bei der Umwandlung von Fernsehdokumentationen in Unterrichtsfilme sind vielfältig; folgende Verfahrensweisen konnten herausgearbeitet werden: Typ A: Kurzfilme gehen in originaler Fassung in einen Unterrichtsfilm ein. Dies zeigt die Übernahme von C 14-Teilfilmen in Geschichte ganz nah (FWU, 2000) und Die Römer in Deutschland (FWU, 2003). Das Original bleibt in diesem Fall bestehen, erfährt aber durch die Nutzung als Unterrichtsmaterial unter Umständen (wie oben beschrieben) eine Dekontextualisierung. Typ B: Fernsehdokumentationen werden gekürzt durch das Ausschneiden einzelner Sequenzen, während der Rest im Original verbleibt. So verfuhr man für Die Germanen (WDR/ARD, 2008) in den Versionen für das SWR Schulfernsehen (SWR, 2008) sowie im Zusatzmaterial der DVD Die Varusschlacht im Jahre 9 n. Chr. (WBF, 2009). Der Unterrichtsfilm verbleibt damit bezüglich Gestaltung und Aussage eng am Original. Typ C: Aus Fernsehdokumentationen werden einzelne Sequenzen herausgeschnitten, während ansonsten die Bildfolge erhalten bleibt, es wird jedoch alles mit einem neuen Kommentar versehen. Dies geschah bei der Überarbeitung von Die Kelten. Händler, Barbaren und Druiden (HR, 1999) für den gleichnamigen Unterrichtsfilm (FWU, 2003). Wenn sich der neue Kommentar eng an der Vorlage orientiert und nur sprachlich vereinfacht wurde, besteht beim Ergebnis noch eine sehr große Ähnlichkeit mit Form und Inhalt des Originals. Typ D: Man kürzt die Fernsehdokumentation, setzt die Szenen neu zusammen und versieht alles mit einem neuen Kommentar. Als Beispiele sind Sturm über Europa (ARTE/ZDF, 2002) mit den daraus hervorgegangenen Unterrichtsfilmen zur Völkerwanderung (FWU, 2002) sowie Die Germanen, Folge 2 (WDR/ARD, 2008) mit dem Unterrichtsfilm Die Varusschlacht im Jahre 9 n Chr., Hauptfilm (WBF, 2009) zu nennen. Charakter und Aussagen des Originals können in diesem Fall große Veränderungen erfahren. Veränderungen hinsichtlich der Bildinhalte betreffen die Gewichtung unterschiedlicher gestalterischer Elemente. Wenn geschnitten bzw. gekürzt wird, werden in erster Linie die Reenactments übernommen, Experteninterviews dagegen herausgeschnitten. Das bedeutet, dass man den

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lebendigen Szenen gegenüber der puren Fachinformation Vorrang gibt. Anders als im Geschichtsfernsehen bedarf es im Unterrichtsfilm offensichtlich nicht der beglaubigenden und damit authentifizierenden Funktion der Experten.23 Veränderungen am Text werden durch den Neuschnitt notwendig, dienen der Verdichtung des Originals auf bestimmte Hauptaussagen, oder wurden der besseren Verständlichkeit wegen vorgenommen. Die historischen Inhalte werden an in den Bildungsplänen festgelegte Unterrichtsinhalte angebunden. In manchen Fällen findet dabei eine inhaltliche Umwidmung, man könnte auch sagen: Zweckentfremdung statt, d.h. der Unterrichtsfilm soll etwas veranschaulichen, das in der Fernsehversion nicht beabsichtigt war, oder die verschiedenen inhaltlichen Aussagen der Fernsehdokumentation werden im Unterrichtsfilm zu einer Hauptaussage reduziert. Vom Massenmedium zum Unterrichtsmedium Innerhalb der ›Geschichtskultur‹ bzw. gegenwärtiger ›Wissenskulturen‹ nehmen die Schule und mit ihr ihre Medien einen besonderen Platz ein, weil sich viele ihrer geschichtsdidaktischen Ansprüche an der Wissenschaft orientieren. WBF und FWU gehören – ebenso wie ihre Zielgruppe, die Schule – als staatliche Bildungsinstitutionen dem Bereich der institutionellen Geschichtsvermittlung an. Man würde daher im Hinblick auf ihre Produkte eine große Nähe zur Geschichtswissenschaft voraussetzen wollen. Die gezeigten Beispiele sind inhaltlich und formal jedoch eher wissenschaftsfern in einem Überschneidungsbereich zwischen schulischer und populärkultureller Geschichtsvermittlung zu sehen, da die mediale Umsetzung Prinzipien und Inhalten folgt, die massenmedial wirksam sind. Medienwissenschaftlich betrachtet verbinden sich das seit Anfang des 20. Jahrhunderts historisch gewachsene Genre ›Unterrichtsfilm‹ und die vergleichsweise junge ›Fernsehdokumentation‹ zu einem neuen Medienformat. Institutionell ist dieses zwar der Schule als wissenschaftsnahe Bildungseinrichtung zugeordnet, inhaltlich und gestalterisch zeigt sich das Endprodukt jedoch zugleich populärkulturell überformt. Positiv ausgedrückt zeichnet sich im Fall der Unterrichtsfilme als Hybridform eine Öffnung der Schule für massenmediale Geschichtsdarstellungen ab. Die im Fall der Fernsehdokumentationen und Unterrichtsfilme zu beo23 Fabio Crivellari bemerkt zu Recht, dass Experteninterviews aus didaktischer Sicht keinen Gewinn für den Film bringen. Zum einen ist die performative Authentifizierung von Filmaussagen im Unterricht nicht notwendig, zum anderen zeichnen sich Expertenstatements selten durch schülernahe Sprache aus (schriftliche Mitteilung an die Verfasserin vom 7. April 2010). 250

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bachtende Intermedialität ist letztlich auch kennzeichnend für gegenwärtige Wissenskulturen – und die hier vorgestellten Mischformate sind damit ein Phänomen ihrer Zeit. Kritisch aus wissenschaftlicher Sicht formuliert handelt es sich aber um Auswirkungen von Kommerz und Konkurrenz der freien Marktwirtschaft auf die Qualität auch solcher Medien, die gezielt im Bereich der Geschichtsvermittlung eingesetzt werden. Die Nachteile und Probleme, die durch die Mischung zweier Medienformate entstehen, sind vor allem fachlicher Natur: Es begegnen uns inhaltliche Dekontextualisierungen, veränderte Schwerpunktsetzungen, die Tradierung populärer Klischees, vereinfachte Geschichtsbilder, Monoperspektivität und viele Fehler in den Begleitkarten. Die Information, dass es sich um eine Übernahme von Filmmaterial aus dem Fernsehen handelt, fehlt meist – dabei sollte doch gerade bei Medien für den Geschichtsunterricht die Quellenangabe selbstverständlich sein. Insgesamt werden die hier besprochenen Unterrichtsfilme nur teilweise dem Bildungsauftrag der Schule und insbesondere des Geschichtsunterrichts gerecht; wichtige didaktische Ansprüche – v.a. im Hinblick auf eine Bewusstmachung der Konstruktivität von Geschichte, auf Kontroversität, Wissenschaftsorientierung und Multiperspektivität – werden nicht erfüllt. Viele der angesprochenen Probleme rühren vor allem daher, dass ein Fernsehfilm, der die Zuschauermasse fesseln soll, grundsätzlich andere Funktionen zu erfüllen sucht als ein Unterrichtsfilm, der der Vermittlung von historischer Sachinformation in der Schule dienen soll. Ein guter Fernseh-Dokumentarfilm ist nicht automatisch ein guter Unterrichtsfilm. Fernsehdokumentationen sind nach den Regeln des Fernsehens für das Fernsehpublikum erstellt; für den guten Unterrichtsfilm, der andere Zwecke verfolgt, gelten, wie eingangs beschrieben, andere Regeln. In den besprochenen Fällen wurde das Massenmedium zum Unterrichtsmedium, und es ist fraglich, ob das Endprodukt im Unterricht entsprechend kritisch analysiert wird.24 Das Verschmelzen zweier Medienformate zu einer neuen Form kann zunächst aus einer geschichtsdidaktischen Perspektive heraus begründet werden, spielen doch auch der Einbezug der Lebenswelt der SchülerInnen und damit ihrer Erwartungen an das Medium Film sowie die Berücksichtigung ihrer Interessen eine wesentliche Rolle für den Lernerfolg (vgl. Baumann 1999: 532). Durch die Übernahme von Fernsehmaterial knüpfen Unterrichtsfilme an die Sehgewohnheiten heutiger SchülerInnen an. Die Einblendung von Spielszenen im Dokumentarfilm wird als pro-

24 Vgl. die bei Baumann (1999: 539f.) genannten Gesichtspunkte zur kritischen Analyse von Massenkommunikationsmedien. 251

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bates Mittel geschätzt, um zur Auseinandersetzung mit dem historischen Thema der Dokumentation zu motivieren, einen emotionalen Zugang zum Thema zu schaffen, den Informationsfluss aufzulockern und zentrale Aussagen des Films anschaulich darzustellen (vgl. Baumann 1999: 537). Die zweite – und vielleicht gewichtigere Begründung? – ist eine marktwirtschaftliche. So liegen die Vorteile aus der Sicht der Hersteller auf der Hand:25 Man kann relativ rasch und kostengünstig, d.h. mit vergleichsweise wenig Personalaufwand, den Markt der Unterrichtsfilme mit einem auf den ersten Blick attraktiven, lebendig gestalteten Produkt bedienen. Dabei stehen WBF und FWU bezüglich der Akkreditierung von Verwertungs-, Ausstrahlungs- und Verleihrechten von Material aus Fernsehdokumentationen26 in ebensolcher Konkurrenz zueinander wie bei der Frage, wem es als erstes gelingt, eine inhaltliche Lücke im Programm der Geschichtsfilme zu schließen27 und sich damit eine entsprechende Nachfrage auf dem ohnehin kleinen Markt (bestehend vornehmlich aus den Bildstellen und Medienzentren der Länder) zu sichern. Letztlich ist der Rückgriff auf Fernsehsendungen also auch als eine Folge von zunehmender Finanz- und Personalknappheit in WBF und FWU sowie zu schwacher Kaufkraft seitens der Schulen und Medienzentren zu betrachten – und damit wiederum ein staatliches Problem: So werden zwar Bildungsstandards formuliert, aber nicht ausreichende Mittel zu deren Realisierung bereitgestellt.

Für einen neuen Dialog Ist denn nun die Herstellung von Unterrichtsfilmen aus Fernsehdokumentationen tatsächlich sinnvoll? Welche Alternativen wären denkbar? Zunächst sei festgehalten: Das Problem besteht nicht in erster Linie in der Verwendung von Fernsehdokumentationen selbst. Sinnvoll einge25 Ich danke Fabio Crivellari, 2002 bis 2007 Mitarbeiter am FWU im Fachbereich Geschichte, für wertvolle Hinweise aus der Praxis des FWU. 26 Dabei ist letztlich nicht nur der bevorstehende Aufwand bei der Überarbeitung in eine Unterrichtsversion, sondern auch der Preis für die Lizenzen ausschlaggebend dafür, welche Fernsehdokumentation verwendet wird und welche nicht. 27 So lässt sich möglicherweise die Verwendung von Sturm über Europa durch das FWU erklären: Es fehlte im Programm der Medienstellen insgesamt an einem Unterrichtsfilm zur Völkerwanderung, der diese lebendig inszeniert, und man griff die Gelegenheit, die sich mit dem Fernsehvierteiler bot, sofort auf, ungeachtet der fachlichen Nachteile, die vielleicht auch nicht als solche erkannt wurden. 252

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setzt, kann ein Unterrichtsfilm durch einen Rückgriff auf bestehendes Bildmaterial aus den unterschiedlichsten Gründen profitieren. Die Hauptschwierigkeiten bestehen bei • der sorgfältigen Auswahl der Vorlage, die oberste Priorität haben sollte, • der konkreten Weiterverarbeitung in einen Unterrichtsfilm (Auswahl der Szenen, Schnitt, Kommentar), • der Erstellung des Begleitmaterials. Diese Punkte sollten einerseits bestimmt sein durch die Berücksichtigung geschichtsdidaktischer Ansprüche an das Medium, andererseits durch das Bemühen um eine inhaltliche Orientierung am aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstand, fern von populären Klischees. Genrekonventionen populärer Geschichtsdarstellungen und ihre Übernahme in Medien des Geschichtsunterrichts dürfen ebenso wenig wie marktwirtschaftliche Faktoren dazu führen, dass den Medien des Bildungssektors ihre Wissenschaftsnähe und ihr akademischer Anspruch verloren gehen. Es stellt sich in der Tat die schon von Baumann (1999: 532) formulierte Frage nach »›Authentizität‹ in der filmischen Vermittlung von Geschichte«, wenn der Unterrichtsfilm durch seine Gestaltung in ein »Spannungsfeld zwischen Lernen und ›Entertainment‹« gerät. Damit das Endprodukt sowohl filmischen als auch geschichtsdidaktischen und fachwissenschaftlichen Ansprüchen gerecht werden kann, sollten Formen einer verbesserten Zusammenarbeit gesucht werden – nicht nur zwischen Fernsehanstalten oder Filmproduzenten auf der einen Seite und WBF oder FWU auf der anderen. Die aufgezeigten fachlichen Probleme haben verdeutlicht, dass zusätzlich auch ArchäologInnen unbedingt einbezogen werden sollten. Da die Qualität der Vorlage für das Endprodukt entscheidend ist, sollte schon die Auswahl der zu bearbeitenden TV-Dokumentationen in Zusammenarbeit mit Fachwissenschaftlern geschehen, die die Umwandlung in einen Unterrichtsfilm sorgfältig begleiten, zusammen mit Geschichtsdidaktikern, die darauf achten, dass der Film inhaltlich und gestalterisch den Anforderungen der neuen Zielgruppe gerecht wird. Als Alternativen, auf die es außerdem hinzuarbeiten gilt, kämen folgende unterschiedliche Möglichkeiten in Betracht: 1. Film- und Fernsehfachleute erstellen in Zusammenarbeit mit ArchäologInnen Dokumentarfilme. An der Umwandlung in einen Unterrichtsfilm wirken die FilmautorInnen mit, ebenso die ArchäologInnen. Die Begleitkarten werden von den Medieninstituten erstellt, jedoch in Kooperation mit FilmautorInnen und FachwissenschaftlerInnen.

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2. Man greift gar nicht erst auf Fernsehmaterial zurück. DokumentarfilmerInnen könnten in Zusammenarbeit mit PädagogInnen und ArchäologInnen ganz gezielt Lehrfilme erstellen, die auf Unterrichtszwecke und die Bildungspläne abgestimmt sind. Dafür müssten staatliche Mittel zur Verfügung gestellt werden.28 3. In Frankreich wird seit Jahren ein weiteres Modell erfolgreich praktiziert: Das auf nationaler Ebene angesiedelte CNDP (Centre national de documentation pédagogique) erarbeitet – mit staatlicher Finanzierung – Co-Produktionen zusammen mit bestimmten Fernsehsendern. Das Ergebnis sind Dokumentarfilme, die sowohl öffentlich ausgestrahlt werden als auch unverändert als Unterrichtsfilm in das Archiv des CNDP eingehen, wo sie LehrerInnen als Unterrichtsmaterial kostenlos zur Verfügung stehen. Der wissenschaftliche Anspruch zeigt sich in der Einbeziehung von Fachleuten, die mit Erläuterungen zu den verschiedenen Themen im Film zu Wort kommen.29 Damit fruchtbare Kooperationen möglich sind, ist es unabdingbar, dass DokumentarfilmerInnen bzw. GeschichtsredakteurInnen, WissenschaftlerInnen und GeschichtsdidaktikerInnen aufeinander zugehen und sich konstruktiv mit den jeweils sehr unterschiedlichen Denk- und Kommunikationssystemen sowie Ansprüchen der Beteiligten bezüglich Gestaltung und Inhalt auseinandersetzen. Ferner sollten sich Fachdidaktik und Fachwissenschaft gleichermaßen intensiver als bislang erfolgt mit dem 28 Mit einem ansatzweise vergleichbaren Procedere wurde beispielsweise für die Unterrichts-DVD Römer und Germanen. Konfrontation und Integration (FWU, 2005) verfahren. Hervorgegangen ist diese DVD aus einem Kooperationsprojekt der Universität Hamburg (Fachbereich Philosophie und Geschichtswissenschaft, Arbeitsbereich Alte Geschichte) unter der Leitung des Althistorikers Prof. Dr. Christoph Schäfer, gefördert durch das E-Learning-Consortium Hamburg und hergestellt in Zusammenarbeit mit dem FWU. Die ›Laien‹ in der Kameraführung wurden von Dr. Joachim Paschen beraten, der lange Zeit für das FWU gearbeitet hat. Während aus wissenschaftlicher Sicht wenig anzumerken ist, bieten sich aus filmischer oder didaktischer Perspektive hier noch Verbesserungsmöglichkeiten im Hinblick auf eine ansprechendere Gestaltung der Filmsequenzen. 29 Zur Situation in Deutschland bemerkt Fabio Crivellari, auch hier habe es Kooperationen des FWU mit TV-Sendern für gemeinsame Filmprojekte gegeben (und gäbe es noch). »Allerdings zeigt sich hier, dass Fernsehsender recht genaue Vorstellungen haben von dem, was sie umsetzen wollen, und die Schulfilmer dabei in der Regel die Juniorpartner darstellen. Das hängt nicht zuletzt daran, was die Partner einbringen können, aus Idealismus dreht eben keiner außer den Schulfilmern einen Schulfilm« (schriftliche Mitteilung an die Verfasserin vom 7. April 2010). 254

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Thema Unterrichtsfilm auseinandersetzen, um medienadäquate, operationalisierbare Kriterien für den ›guten‹ Unterrichtsfilm zu definieren. Hier öffnet sich also nicht nur ein Feld für die Medienpraxis, sondern auch für vertiefte Forschungen. Egal, für welchen Weg man sich entscheidet: »Wissenschaft« und »Forschung« sollten zukünftig stärker berücksichtigt oder beteiligt sein. Schließlich tragen FWU (Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht) und WBF (Institut für Weltkunde in Bildung und Forschung) als Herausgeber von Unterrichtsfilmen entsprechende Begriffe in ihrem Namen – ihre Logos fungieren damit als Qualitätssiegel, die genau wie die Selbstbeschreibung der Institute auf ihre Internetseiten (s.o.) um das Vertrauen der NutzerInnen werben. Als gemeinnützige bzw. staatlich geförderte Institutionen tragen sie letztlich auch eine entsprechende Verantwortung für ihre Produkte. Zur besseren Verwirklichung ihrer Ziele – hohe fachliche Qualität und Anbindung an die Bildungsstandards – bedarf es im Bezug auf die Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie der Möglichkeit, ArchäologInnen in den Produktionsprozess einzubinden. Dies gelingt nur, wenn die Herstellung von Unterrichtsmedien unter einem geringeren marktwirtschaftlichen Druck erfolgen kann und entsprechend seitens des Bundes und der Länder finanziell (wieder) besser unterstützt wird.

Literatur Unterrichtsfilme Auf den Spuren der Kelten (FWU, 1994). Die Kelten (FWU, 2007). Die Kelten. Händler, Barbaren und Druiden (FWU, 2003). Die Römer in Deutschland (FWU, 2003). Die Varusschlacht im Jahre 9 n. Chr. Die Germanen wehren sich gegen die römische Fremdherrschaft (WBF, 2009). Geschichte ganz nah. Ausgrabungen in Deutschland I (FWU, 2000). Völkerwanderung. Kimbern, Varusschlacht und Angelsachsen (FWU, 2002). Völkerwanderung. Der Zug der Goten und das Ende des Römischen Reiches (FWU, 2002).

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Fernsehdokumentationen Die Germanen. 4 Folgen (Judith Voelker/Uwe Kersken/Alexander Hogh, WDR/ARD, 21./24. März 2008). Die Kelten. Händler, Barbaren und Druiden (Claudia Heiss/Tilman Wolff, HR, 1999). C 14. Schatzjäger in Deutschland. 4 Folgen (Gisela Graichen, ZDF, 1998-1999). Sturm über Europa. Die Völkerwanderung. 4 Folgen (Christian Feyerabend/Uwe Kersken, ARTE/ZDF, 23./24. Februar 2002). Sekundärliteratur Baumann, Heidrun (1999): »Der Film«. In: Waltraud Schreiber (Hg.), Erste Begegnungen mit Geschichte. Grundlagen historischen Lernens, Neuried: Ars una, S. 527-543. Bergmann, Klaus (2007): »Multiperspektivität«. In: Mayer/Pandel/ Schneider (2007), S. 65-77. Borries, Bodo von (2001): »Was ist dokumentarisch am Dokumentarfilm? Eine Anfrage aus didaktischer Sicht«. Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 4, S. 220-227. Borries, Bodo von (2007): »Wissenschaftsorientierung. Geschichtslernen in der ›Wissensgesellschaft‹«. In: Mayer/Pandel/Schneider (2007), S. 30-48. Cinecentrum (2009): »C 14. Eine Reihe von Gisela Graichen«. In: www.cinecentrum.de (http://www.cinecentrum.de/produktionen/doku mentation/c-14.html). Zugriff am 15. September 2009. Crivellari, Fabio (2008): »Das Unbehagen der Geschichtswissenschaft vor der Popularisierung«. In: Fischer/Wirtz (2008), S. 161-185. Fischer, Thomas (2009): »Ereignis und Erlebnis: Entstehung und Merkmale des zeitgenössischen dokumentarischen Geschichtsfernsehens«. In: Korte/Paletschek (2009b), S. 191-202. Fischer, Thomas/Rainer Wirtz (Hg.) (2008): Alles authentisch? Popularisierung der Geschichte im Fernsehen, Konstanz: UVK. FWU (2010a): »Über uns«. In: www.fwu.de (http://www.fwu.de/dasfwu/ueber-uns.html). Zugriff am 6. April 2010. FWU (2010b): »Wir produzieren Medien für die Bildung«. In: www.fwu.de (http://www.fwu.de/produkte/faecher.html). Zugriff am 6. April 2010. Henke-Bockschatz, Gerhard (2007): »Forschend-entdeckendes Lernen«. In: Mayer/Pandel/Schneider (2007), S. 15-29.

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FERNSEHDOKUMENTATIONEN ALS BASIS FÜR UNTERRICHTSFILME

Korte, Barbara/Sylvia Paletschek (2009a): »Geschichte in populären Medien und Genres: Vom historischen Roman zum Computerspiel«. In: Dies. (2009b), S. 9-60. Korte, Barbara/Sylvia Paletschek (Hg.) (2009b): History Goes Pop: Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres, Bielefeld: transcript. Lersch, Edgar (2008): »Zur Geschichte dokumentarischer Formen und ihrer ästhetischen Gestaltung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen«. In: Fischer/Wirtz (2008), S. 109-136. Mayer, Ulrich/Hans-Jürgen Pandel/Gerhard Schneider (Hg.) (2007): Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, 2., überarbeitete Auflage, Schwalbach/Ts: Wochenschau Verlag. Pirker, Eva Ulrike/Mark Rüdiger (2010a): »Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen: Annäherungen«. In: Pirker/Rüdiger (2010b), 11-30. Pirker, Eva Ulrike/Mark Rüdiger et al. (Hg.) (2010b): Echte Geschichte. Authentizitätsfiktionen in populären Wissenskulturen, Bielefeld: transcript. Quandt, Siegfried (2007): »Geschichte im Fernsehen: Sachgerecht, mediengerecht, publikumsgerecht?«. In: Christoph Kühberger/Christian Lübke/Thomas Terberger (Hg.): Wahre Geschichte – Geschichte als Ware: Die Verantwortung der historischen Forschung für Wissenschaft und Gesellschaft, Rahden/Westf.: Leidorf, S. 181-186. Schmidt, Siegfried J. (1996): Die Welten der Medien: Grundlagen und Perspektiven der Medienbeobachtung, Braunschweig: Vieweg. Sénécheau, Miriam (2008): Archäologie im Schulbuch: Themen der Urund Frühgeschichte im Spannungsfeld zwischen Lehrplanforderungen, Fachdiskussion und populären Geschichtsvorstellungen. Schulbücher, Unterrichtsfilme, Kinder- und Jugendliteratur. Band 1: Text, Freiburg: freidok (www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/6142/). Zugriff am 17. September 2009. Sénécheau, Miriam (2010a): »Als Arminius frech geworden …«. Archäologie in Deutschland 3.2010, S. 63f. Sénécheau, Miriam (2010b): »Der Fund als Fakt? Zur Rolle und Funktion archäologischer Funde in Dokumentarfilmen«. In: Pirker/Rüdiger (2010b), S. 93-121. WBF (2010): »Wir über uns«. In: www.wbf-medien.de (http://www.wbfmedien.de/m2/wbf/wir_ueber_uns.html). Zugriff am 6. April 2010. Wirtz, Rainer (2008b): »Das Authentische und das Historische«. In: Fischer/Wirtz (2008), S. 187-203. Zimmermann, Martin (2008): »Der Historiker am Set«. In: Fischer/Wirtz (2008), S. 137-160.

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MYTHOS TROJA î

ODER DIE EWIGE

N AC H D E M H Ö L Z E R N E N

FRAGE

PFERD

HANS-FRIEDRICH STEINHARDT »Fahre nun fort, und singe des hölzernen Rosses Erfindung, Welches Epeios baute mit Hilfe der Pallas Athene, Und zum Betrug in die Burg einführte der edle Odysseus, Mit bewaffneten Männern gefüllt, die Troja bezwangen«. Homer: Odyssee, Achter Gesang1 »Wir können nie sagen, es war genau so, und es war nicht anders, aber wir kommen der Wahrheit immer etwas näher«. Manfred Korfmann, Tübingen2 »Die Ilias ist ein Epos, eine Dichtung. Mit der historischen Wahrheit kann das nichts zu tun haben«. Raimund Wünsche, München3

In the TV documentary Troja. Die wahre Geschichte (Troy. The true story), which was especially produced for the ZDF, the necessity to meet the expectations of the ordinary viewer whilst at the same time providing historical and archaeological facts is made explicit. The documentary, which was broadcasted subsequently to the Hollywood feature film Troy, is an example of a documentary produced for an audience spoilt by entertainment whilst at the same time not loosing academic or technical standards. Beyond that, the production offers an insight into the constantly changing relationship between historical research on the one hand and television on the other. Whilst historical research is an inevitable source for obtaining promising stories, television is a reliable tool used to provide researchers (in this case the archaeologists) with the public recognition they deserve.

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Hom. Od. 8.492-495, übers. von Johann Heinrich Voss (2008): 1009. Troja. Die wahre Geschichte (ZDF, 2007: 15'28''). Troja. Die wahre Geschichte (ZDF, 2007: 11'46''). 259

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Filme über historische Ereignisse oder das Leben bedeutender Persönlichkeiten erfreuen sich großer Beliebtheit, wobei die Verbürgtheit des wahren Kerns als der eigentliche Erfolgsgarant gilt. Aber was ist wahr, was ist nur gut erzählt, oder worin besteht der Unterschied? Auf der einen Seite steht die Authentizität historischer Stoffe, auf der anderen Seite ihre kunstvolle Vermittlung. Wie verhalten sich beide Positionen zueinander? Haben wir es mit einem unversöhnlichen Wettstreit zwischen exakter Wissenschaft und populärer Unterhaltung zu tun: Archäologie gegen Film bzw. Fernsehen? Oder handelt es sich nicht vielmehr um ein fruchtbares Neben- und sogar Miteinander? Und wenn dem so ist, was ist der gemeinsame Nenner, worauf gründet sich und nach welchen Regeln funktioniert dieses Miteinander? Das sind relativ abstrakte Fragestellungen, denen es mit Hilfe eines konkreten Fallbeispiels näher zu kommen gilt, einem Sonderfall, bei dem sich nichtwissenschaftliche Aufarbeitung und populäre Vermittlung eines historischen Tatbestandes gegenüberstehen, sondern bei dem sich zwei unterschiedliche, um nicht zu sagen gegensätzliche Genres ein und desselben Mediums – nämlich Troja (USA 2004, Regie: Wolfgang Petersen) und Troja. Die wahre Geschichte (Su Turhan, ZDF, 1. April 2007) – als Vertreter von Fiktion und Dokumentation über inhärente Genregrenzen hinweg gegen ihre jeweils immanenten Defizite – Wahrhaftigkeit respektive Attraktivität – vor dem Publikum zu behaupten haben.

Ausgangssituation Troja (Troy), der Spielfilm von Wolfgang Petersen aus dem Jahr 2004, gilt mit einem Einspielergebnis im ersten Jahr von knapp einer halben Milliarde Dollar als ausgesprochener Kassenerfolg und Megahit. Aber auch die von Archäologen und Philologen gemeinsam konzipierte Ausstellung Troia. Traum und Wirklichkeit in Stuttgart, Braunschweig und Bonn (vgl. Abb. 1) war mit 891.000 Besuchern überaus erfolgreich. Das gleiche gilt für die mehrfach verlängerte Ausstellung der Staatlichen Antikensammlungen in München, Mythos Troja, deren nach antikem Vorbild zusammengebautes Holzpferd zum zentralen und erfolgreichen Markenmotiv wurde (vgl. Abb. 2).

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Abbildungen 1 und 2: Troia. Traum und Wirklichkeit in Stuttgart, Braunschweig und Bonn; Mythos Troja in München. Beide Ausstellungen warben mit einer Darstellung des Trojanischen Pferdes.

Quelle: Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg (2001: Katalogeinband) © Schober + Reinhardt Agentur für Kommunikation, Stuttgart; Wünsche (2006: Katalogeinband) © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek, München. Keines dieser Troja-Projekte wäre zu Stande gekommen, geschweige denn erfolgreich gewesen, ohne den großen Mythos von Troja aus Homers Ilias, aber auch nicht ohne die Forschung, die Arbeit eines Schliemanns und nachfolgender Archäologen in Hisarlik. Genau in diesem Spiel wechselseitiger Einflussnahme befand sich auch unsere Dokumentation Troja. Die wahre Geschichte (Su Turhan/Caligari Film, ZDF, 1. April 2007). Die Produktionsphase begann im November 2006. Das ZDF hatte die Ausstrahlungsrechte an dem Spielfilm Troja (Troy) gekauft und die Programmplanung entschloss sich, für den Tag der Ausstrahlung von ihrem gewohnten Sendeschema abzurücken. An diesem Abend sollte statt des Heute Journals eine Dokumentation über Troja gesendet werden. Die durch den Spielfilm generierte positive Einstimmung überdurchschnittlich vieler Zuchauer auf dieses Thema sollte in ein anhaltendes Interesse überführt werden. Daneben galt es vor allem aber, die zu erwartende hohe Einschaltquote des Spielfilms mit dem nachfolgenden Programm auf ähnlich hohem Niveau weiterzuführen. Die Aufgabenstellung an den

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Produzenten lautete: »Erzählen Sie uns die Geschichte von Troja, wie es wirklich war, und zwar so erfolgreich wie Hollywood. Sie haben fünf Monate Zeit, denn die Ausstrahlung ist – kein Scherz – schon am 1. April!«. Bis auf den engen Zeitrahmen (in der Regel geht man bei derartigen Projekten von einer Produktionszeit von mindestens 18 Monaten aus) war dieser Auftrag im Prinzip nichts Außergewöhnliches. Ebenfalls nicht außergewöhnlich war die unmittelbare zeitliche Aufeinanderfolge von Dokumentation und Spielfilm. Das hatte seinen guten Grund: Generell war davon auszugehen, dass sich durch ein über zweistündiges top acting Hollywoods mehr Zuschauer als sonst für das ZDF entscheiden würden, und mit diesem Publikumsvorschuss sollte auf möglichst erfolgreiche Weise weitergearbeitet werden – und zwar, was nahe lag, in Richtung der bereits durch den Spielfilm vorgegebenen Thematik: Troja, der Krieg und das Pferd, historische Fakten oder pure Fantasie? Bei Programmplanern besteht immer die Sorge, nach Ende eines Spielfilms die vielen gewonnenen Zuschauer gleich wieder an andere attraktive Programme konkurrierender Sender zu verlieren. Die vertikale Programmierung, auch als Audience Flow bekannt, soll sicherstellen, dass der Zuschauer bei einem Sender bleibt und nicht wegschaltet. Daher werden in der Regel Formate ähnlichen Inhalts hintereinander gesendet, um das Zuschauerinteresse zu erhalten, bzw. Inhaltswechsel im Programm so angekündigt, dass sie neues Interesse erzeugen. Diese Art der Programmierung flankierender Maßnahmen ist an sich nicht neu. Der Arte-Themenabend hat erfolgreich vorgemacht, was inzwischen private Sender wie Pro7, RTL und Sat1 nachahmen. In der Regel wirft der Zuschauer mit einem Making of einen Blick hinter die Kulissen des Spielfilms und auf dessen Entstehung, wird dann mit selbigem auf das Beste unterhalten und erfährt zum Schluss – wie in unserem Fall – etwas über die wahren Hintergründe des künstlerisch frei interpretieren Stoffes und den Stand der sich damit beschäftigenden Wissenschaft. Die Konsequenz daraus für den Produzenten lautete: Troja. Die wahre Geschichte sollte gezeigt werden, unmittelbar nachdem über zwei Stunden lang edle Helden mehr oder weniger Heldenhaftes vollbrachten und schöne Frauen in schönen Kleidern schöne Dinge taten. Das setzt Standards beim Zuschauer, und die muss man kennen. Was man ebenfalls kennen und richtig einzuschätzen lernen muss, ist der Grad der Vorkenntnisse und Vorbildung, die der Zuschauer dem jeweiligen Thema entgegenbringt. Im Spielfilm Troja (Troy) geht es um einen Krieg und um die, die darin verwickelt sind. Dass es sich um ein historisches und damit möglicherweise reales Ereignis handelt, ist im Spielfilm bereits angelegt. Auf Götter und Halbgötter wurde weitest-

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gehend verzichtet, es gelten die Naturgesetze; Waffen, Kampfszenen, Bräuche und Sitten wirken archaisch, aber realistisch. Was ist daran wahr? Wir konnten davon ausgehen, dass die Zuschauer neugierig waren auf eine Antwort. Neugier und Wissensdurst – ein sehr mächtiger Impuls, bereits bei Aristoteles (Metaphysik I 21, 980a): »Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen«. Wir mussten aber auch davon ausgehen, dass die Mehrzahl der vom Troja-Spielfilm übernommenen Zuschauer nur sehr geringe bis gar keine historischen, geschweige denn archäologischen Grundkenntnisse besaß, was zu einem nicht unerheblichen Dilemma führte. Wir nennen es das ›Adam-und-Eva-Dilemma‹. Es besteht darin, sehr weit ausholen zu müssen, sprichwörtlich ›bei Adam und Eva‹, doch dafür weder die Zeit zu haben, noch beim Gegenüber die Geduld dafür voraussetzen zu können. Es sind also entsprechende Vermittlungsstrategien gefordert, die uns einen Weg aus dem Dilemma weisen, das Thema zum einen nicht zu seicht und unter Wert darzustellen, aber den Zuschauer auf der anderen Seite nicht zu überfordern.

Thema und Geschichte Die erste Stellschraube, die es zu justieren gilt, betrifft den Inhalt, das Thema. Es ist notwendig und ratsam, es in seiner ganzen Komplexität auf den einen Punkt, den zentralen Konflikt und die zentrale These zusammenzufassen. Gesucht wird: ein Ausgangspunkt für den Film, der nicht weit hergeholt, sondern naheliegend ist, der attraktiv und wissenschaftlich ist, so dass sich eine Beschäftigung damit lohnt, aber auch NichtArchäologen bereit sind, sich darauf einzulassen. Der Zuschauer von Troja (Troy) will vor allem eines wissen: Hat es das so noch nie dargebotene Schlachtengetümmel mit Zehntausenden von Soldaten wirklich gegeben? Und verlief es so, wie man es gerade gesehen hat? Oder mit den Worten eines leitenden ZDF-Redakteurs auf den Punkt gebracht: Gab es den Holzrappen? Und wenn ja, wie viele Griechen passten da rein? Die Fragestellungen der Archäologen in Bezug auf Troja hingegen sind weit komplexer. Das beginnt mit der Frage nach der Überlieferung des Mythos. Welche Rolle spielte der Autor? War Homer überhaupt der Autor? Welche Funktion hatte der Text zur Zeit seiner Entstehung? Wenn es ein konkretes Ereignis widerspiegelt, wo hat es stattgefunden und wer waren die Beteiligten? Und schließlich auch hier und immer wieder die Frage, was es mit der berühmtesten Metapher der Welt auf sich hat, dem Trojanischen Pferd.

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Unsere Frage und Ausgangsthese, an der sich die Dramaturgie des Films ausrichten würde, musste einen Ausgleich zu Gunsten des Zuschauers schaffen, folgte dabei aber zunächst der Wissenschaft. Sie lautete: Gab oder gibt es den Ort, der uns als Namensgeber für diesen Krieg überliefert ist? Diese Frage formuliert der Film nach drei Minuten, unmittelbar nach der Exposition. Die Suche nach dem Ort leitet und prägt den Filmverlauf, der im Weiteren aufzeigt, wer aus der Wissenschaft wann, wo und wie zu welchem Forschungsergebnis gekommen ist. Das Verfolgen dieser Erzählachse führt am Ende auch zur ›Publikumsfrage‹ nach dem Krieg: Warum? Wer gegen wen? Und mit welchem Ergebnis? So war es möglich, die vielen in unterschiedliche Richtungen laufenden Forschungsansätze und Theorien zu Troja – von Homer über Schliemann bis zu den Vertretern heute – sowie Beweise und Gegenbeweise einer eingängigen Logik folgend und leicht nachvollziehbar wie Perlen auf einer Schnur aufzureihen.

Beteiligte und Protagonisten Keine Theorie, kein Beweis und Gegenbeweis ist Laien nahezubringen ohne Menschen, die für sie einstehen und sie ›mit Leben füllen‹. Im Falle Trojas ist die Zahl der sich damit beschäftigenden Personen so zahlreich, dass eine vollständige Berücksichtigung aller unmöglich wird. Das ist bestimmt kein Einzelfall und eher die Regel als die Ausnahme, ist doch Archäologie längst nicht mehr eine Disziplin für Einzelkämpfer, sondern wie Filmemachen und Fernsehschaffen ein Mannschaftssport. So gab es in Sachen Troja neben Archäologen und Altphilologen auch Anthropologen, Biologen, Chemiker, Denkmalpfleger, Ethnologen, Geophysiker, Hydro-Geologen, Orientalisten und natürlich Schreiner. Unmöglich, alle zu Wort kommen zu lassen. Der erste Filter gehorcht also rein quantitativen Kriterien. Wobei Wissenschaftler selbst verschiedener Disziplinen und unterschiedlicher Provenienz, die sich nichtsdestotrotz ein und derselben Theorie verschrieben haben, zu Allianzen zusammengefasst werden konnten. Hier war außerdem von großem Vorteil, insbesondere für die Zuschauer und zu deren Orientierung in Bezug auf das Wissenschaftspersonal, dass sowohl Befürworter als auch Kritiker mit jeweils einem bestimmten und leicht wieder erkennbaren Ort in Verbindung zu bringen waren. So trafen sich im Dokumentarfilm die Vertreter des ›TroiaProjektes‹, Anhänger der These, Homers Troja in Hisarlik verorten und die Ereignisse in gewissen Bezug zur Ilias Dichtung bringen zu können, in den pittoresken Schlossräumen der Universität Tübingen (vgl. Abb. 3).

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Die Kritiker dieser These trafen sich hingegen in den markanten Gebäuden der Staatlichen Antikensammlungen rund um den Münchner Königsplatz (vgl. Abb. 4). Abbildungen 3 und 4: Schauplätze der Debatten – das Schloss Hohentübingen, Sitz des Instituts für Ur- und Frühgeschichte, und die Staatlichen Antikensammlungen am Königsplatz in München.

Quelle: Troja. Die wahre Geschichte (ZDF, 2007) © Caligari Film/ZDF. Ein weiteres Auswahlkriterium, das die auftretenden Protagonisten betrifft, gehorcht dramaturgischen Überlegungen. So fordert nicht nur die journalistische Sorgfaltspflicht eine faire Darstellung und Berücksichtigung von Fürsprechern und Kritikern gleichermaßen. Es ist schlicht Teil eines handwerklichen Rüstzeugs, mit unterschiedlichen Theorien und

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Auffassungen offen und korrekt umzugehen. Die provokante oder lächerliche These, der für so unanfechtbar gehaltene und dann doch widerlegte Beweis, der erhoffte Erfolg oder der partielle Rückschlag – dies alles sind nicht nur Momente im steinigen Geschäft der Archäologie, es sind vor allem Motive für Emotionen, die von Zuschauern nachvollzogen werden können und damit deren Interesse am Stand der Dinge und am weiteren Verlauf der Ereignisse wach halten. Es geht nicht darum, kontroverse Haltungen und emotional geführte Auseinandersetzungen künstlich zu behaupten, es geht darum, sie – bei allem nötigen Respekt vor der Etikette wissenschaftlichen Miteinanders – zuzulassen. Während ›Tübingen‹ also glaubte, in einem Indizienprozess beweisen zu können, dass sich bei Hisarlik ein wie in der Ilias beschriebener Konflikt zwischen zwei mächtigen Kulturen, Ost und West, ereignet habe, verfolgte man in ›München‹ eine ganz andere Spur, die weniger in Richtung eines historischen Geschehens als vielmehr in das Reich der Dichtkunst führt. Das vielleicht wichtigste Auswahlkriterium aber ist Verständlichkeit. Die fachliche Qualifikation und wissenschaftliche Leistung der beteiligten Disziplinen grundsätzlich vorausgesetzt, geht es hier um die Kommunikationsleistung von Wissenschaft, was mit Kamerapräsenz nur unvollständig beschrieben wäre. Es handelt sich vielmehr um ein grundsätzlicheres Anliegen, das beispielsweise der alle zwei Jahre in Berlin verliehene Bscher-Medienpreis der Humboldt Universität wie folgt definiert: »Forschungsergebnisse kompetent und verständlich in die Öffentlichkeit zu tragen« (Grußdorf 2008). Gemeint ist nicht nur eine Bringschuld in Form von Kommunikation als Rechtfertigung über den Verbrauch öffentlicher Mittel in geschlossenen Systemen. Es geht um ein Grundprinzip im ureigensten Interesse von Forschung und Wissenschaft, darum, dass selbst »herausragende wissenschaftliche Leistungen nur dann ihre volle Wirkung entfalten, wenn sie von vielen Menschen auch verstanden werden«, so die Jurybegründung zum vorletzten BscherMedienpreis 2006 (Walther 2006). Das stellt alle Beteiligte – Wissenschaftler und Publikum – vor elementare Aufgaben, darunter an erster Stelle die Beseitigung von paradoxerweise ziemlich gleichlautenden Vorurteilen auf beiden Seiten, nach dem Motto: ›Was alle verstehen sollen, muss simpel sein, ist also ungenau und damit wertlos‹, respektive: ›Was ich nicht verstehe, ist mir zu hoch, unnötig verkompliziert und damit wertlos‹. Wir hatten das Glück, auf Wissenschaftler zu treffen, die Willens waren und auch die Fähigkeit besaßen, komplexe Ergebnisse in einfacher Sprache auf den Punkt zu bringen. Sie hingegen durften von uns erwarten, dass wir ihre Arbeit und den damit verbundenen Aufwand ernst nahmen, die Bedeutung dessen entsprechend herausstellten und in Szene

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setzten: die geomagnetische Prospektion der ›Unterstadt Trojas‹ genauso wie die Theorie zur Funktion des Hexameters oder eben den Bau eines riesigen Holzpferdes durch eine Klasse akademischer Kunstschreiner und Zimmermannsleute (vgl. Abb. 5). Abbildung 5: Bau eines Trojanischen Pferdes durch Kunstschreiner und Zimmermannsleute in München.

Quelle: Troja. Die wahre Geschichte (ZDF, 2007) © Caligari Film/ZDF.

Schauplatz und Location Eine Dokumentation hat im Gegensatz zu einem Spielfilm an Originalschauplätzen zu spielen, nicht dort, wo es die Produktionsbedingungen nahe legen (in einem Studio). Das ist ein unumstößliches Genregesetz, das nicht hinterfragt werden muss. Historische Inszenierung, so genanntes Reenactment, ist ein Sonderfall, ein durchaus legitimes Mittel dokumentarischen Erzählens, das produktionstechnisch wie ein Spielfilm betrachtet werden muss. In unserem Fall gab es kein Reenactment, aus einem ganz einfachen Grund: Wir hatten schlicht nicht die Mittel, um im direkten Vergleich mit Hollywood halbwegs bestehen zu können. Jeder Versuch, das Leben in spätbronzezeitlichen Heerlagern oder Handelsmetropolen nachzustellen, wäre in Konkurrenz zu den vorhergesehenen opulenten Spielfilmbildern peinlich bis lächerlich geraten. Im Gegensatz zu Hollywood mussten wir also Troja nicht nachbauen und inszenieren, sondern hatten nur nach Hisarlik in Westanatolien zu reisen. Hinzu kamen die Schauplätze in Deutschland, die Orte, an denen sich unsere Protagonisten zusammenfanden: Tübingen und München (vgl. Abb. 6-9).

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Abbildungen 6 und 7: ›Troja-Befürworter‹ Joachim Latacz, Peter Jablonka und Ernst Pernicka, Troia-Projekt in Tübingen; ›TrojaKritiker‹ Florian Knauß, Marcus Junkelmann und Raimund Wünsche, Staatliche Antikensammlungen in München.

Quelle: Troja. Die wahre Geschichte (ZDF, 2007) © Caligari Film/ZDF. Die genannten Orte sind im Rahmen der Geschichte alle authentisch, nicht unbedingt die dort vorgefundene Situation. Weder in München noch in Tübingen wären die im Film auftretenden Wissenschaftler zu dem vorgegebenen Zeitpunkt und in der dargestellten Konstellation zusammengekommen. Hier handelt es sich um eine logistische Notwendigkeit des Eingriffs in die Wirklichkeit, die dem Wahrheitsgehalt des Dargestellten aber auch dann nicht abträglich ist, wenn der Raum für die Kameras eingerichtet und entsprechend verändert wird. Entscheidend

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war in unserem Fall, dass sich das Troia-Projekt tatsächlich regelmäßig in Tübingen zur Diskussion und zur Verabschiedung ihrer jährlichen Forschungsberichte trifft. Und dass sich Leitung und ausgewählte Besucher der Staatlichen Antikensammlungen in München durchaus ins dortige Magazin begeben, um sich anhand von bestimmten Sammlungsstücken einen Überblick zu verschaffen. Die Aufnahmen an diesen beiden Schauplätzen verliefen insofern genrekonform. Abbildungen 8 und 9: Ernst Pernicka, Troia-Projekt in Tübingen; Raimund Wünsche und Marcus Junkelmann, Staatliche Antikensammlungen in München.

Quelle: Troja. Die wahre Geschichte (ZDF, 2007) © Caligari Film/ZDF.

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Die weitaus größeren Schwierigkeiten aber bereitete das eigentliche Hauptmotiv des Filmes, Hisarlik bzw. Troja. Als mögliche Drehzeit kamen produktionsbedingt nur Januar und Februar in Frage, Monate, während derer die Grabungskampagne vor Ort ruhte, es nichts zu sehen und zu drehen gäbe. Ohne Bilder vom Grabungsort und vom Grabungsgeschehen aber wäre dieser Film nicht vorstellbar. Uns blieben also nur zwei Alternativen: Entweder den richtigen Ort zur falschen Zeit entsprechend auszustatten oder aber auf bestehendes Filmmaterial Anderer zurückzugreifen, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. Abbildung 10: Grabungsgeschehen am Grabungsort, Archivmaterial.

Quelle: Ausschnitt aus Atlantis – Das ewige Rätsel (ZDF, 2000) © ZDF. Statt Reenactment, wenn man so will, setzten wir auf Archivmaterial. Auch das ist ein klares Authentizitätssignal, ohne das kein noch so aufwendiges Reenactement auf Dauer funktioniert und Wirkung zeigt. Doch auch das beste Archivmaterial kann soliden Spielfilmszenen nicht das Wasser reichen, wenn es um den Schauwert für den Zuschauer geht; und auch um den geht es, insbesondere im Fernsehen. Der heimliche Vorteil jedoch, den jede Dokumentation gegenüber einem Spielfilm hat und wie selbstverständlich zum Einsatz bringen kann, sind Graphik und Animation.

Graphik und Animation Deiktisch-didaktische Elemente wie Karten, Illustration und Graphiken ziehen jeden Zuschauer unabweislich in das Geschehen, wenn es nur zeitgemäß und auf neustem technischem und ästhetischem Niveau geschieht. Denn in Zeiten, da Google Earth in fast jedem Kinderzimmer zur Anwendung kommt, fast jedes Navigationsgerät mit 3D-Elementen

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operiert, akzeptiert der Zuschauer im 2D-Bereich vielleicht noch historische Dokumente (Stiche, alte Fotos, Seekarten), aber keine funktionalen Wegbeschreibungen mehr im Stil von ADAC-Straßenkarten, auch keine Schichtmodelle aus dem Diercke Schulatlas. Hierin floss sehr viel Energie und es wurde hoher Aufwand betrieben, zum Beispiel bei den auf Basis der wissenschaftlichen Prospektionskarten in Auftrag gegebenen 3D-Schichtmodellen des Grabungsfeldes. Szenen, die wir im Film entsprechend herausstellten, die aber auch rückwirkend seitens Forschung und Lehre immer wieder abgefragt wurden. Abbildungen 11 und 12: Anfangs- und Schlusssequenz einer 3D-Animation »Schichtmodell der Fundstätte Hisarlik/Troja«.

Quelle: Troja. Die wahre Geschichte (ZDF, 2007) © Caligari Film/ZDF.

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Die Produktion von Troja. Die wahre Geschichte ist sicherlich ein Sonderfall – gekoppelt an die Ausstrahlung mit einem gleich lautenden prominenten Spielfilm. Trotzdem oder gerade deswegen verdeutlicht sie die klaren Ansätze und Strategien, wie gegen einen immensen Schau- und Unterhaltungswert von Fiktion der Zuschauer auch mit der Faktizität der Wirklichkeit in Bann geschlagen und erreicht werden kann: Statt auf opulente Bilder setzten wir auf deren Authentizität und statt auf Heldenprominenz auf konfliktbereite Insider-Experten. Aber wir setzten auch statt auf enzyklopädische Wissensfülle und Fachdiskussion auf akzentuierte Schlüsselerkenntnisse und Verständlichkeit. Worauf wir auf keinen Fall verzichten wollten, waren Emotionen, Spannung und ein Höchstmaß an visuellen Reizen. Wir verzichteten nicht darauf, zu beeindrucken. Wir verzichteten nicht darauf, eine Geschichte zu erzählen. Und wir verzichteten nicht darauf, zu unterhalten, sondern begriffen genau das als unseren Auftrag. Das Ergebnis all dieser Bemühungen zeigte offensichtlich Erfolg; es bekam den Zuspruch seitens der Wissenschaft (der Film kam auf zahlreichen Festivals und in Seminaren zum Einsatz) und seitens der Zuschauer (mit einer Quote von über 20 % Markanteil für das ZDF die erfolgreichste Dokumentation der letzten Jahrzehnte).

Schlussfolgerung Es stellt sich zum Schluss die eingangs formulierte Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Unterhaltung. Meist wird die Attraktivität einer Erzählung oder eines Spielfilms auf die Kraft des zu Grunde liegenden Mythos zurückgeführt: das Große, Zeitlose, Schicksalhafte. Die Attraktivität des Mythos wird auf die optionale Authentizität, auf den zu Grunde liegenden wahren Kern zurückgeführt: dass das Erzählte tatsächlich irgendwann irgendwem so passiert ist und damit Teil unserer eigenen Geschichte wurde. Das heißt, der Spielfilm Troja (Troy) verdankt seinen vorhersehbaren Erfolg, neben handwerklichem Können, auch der Tatsache, dass Archäologen die Wissensgrundlage bereiteten, wie sich das so Unerhörte einst wirklich zugetragen haben könnte. Insofern gilt: Am Anfang war die Wissenschaft. Die Geschichte des archäologischen Trojas beginnt aber nicht mit Schliemann, sondern mit Homer, dem Verfasser eines Epos, dem der Vertreter der Wissenschaft nachfolgte, im festen Glauben, den wahren Kern der Geschichte zu entdecken. Also doch: Am Anfang war das Epos, der Mythos. Wie ist der vermeintliche Widerspruch aufzulösen, wenn es denn ein Widerspruch ist? Vielleicht stehen Forschung und Unterhaltung bzw.

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Wissenschaft und ihre populäre Vermittlung gar nicht in Konflikt und einem Konkurrenzkampf miteinander? Im Gegenteil, handelt es sich doch, wie oben dargelegt, vielmehr um eine Art wechselseitige, essentielle Beziehung. So gibt es kein Erzählen ohne Wirklichkeit, wie es aber auch keine Wirklichkeit gibt, wenn sie nicht erzählt wird. Zu ähnlich sind auch die Methoden und Vorgehensweisen von Erforschung und Erzählung, zu groß die Gemeinsamkeiten und Ziele: einer Sache auf den Grund zu gehen, Geheimnisse und Rätsel zu lösen, Veränderungen und Innovationen herbeizuführen, Machtstrukturen und Naturgesetze aufzudecken und mit all dem am Ende sich selbst und seinesgleichen aus dem Status der Unwissenheit und Ohnmacht zu befreien. Und was wäre falsch daran, dazu eine Welt zu erschaffen und mit den jeweils zur Verfügung stehenden Mitteln an ihrer Verbesserung und Veränderung zu arbeiten?4

Nachtrag Der Vortrag, dem dieser Text zugrunde liegt, war bereits konzipiert und ist gehalten worden, als die massive Bewerbung eines neuen Spektakels den Blick auf die Wiederkehr Trojas in neuer Form lenkte: Troja als Tanzshow. In der Presseankündigung dazu heißt es: »Spätestens seit Wolfgang Petersens Film ›Troja‹ ist der Mythos um die antike Stadt weltweit bekannt. Nun kommt die anatolische Legende von der Leinwand auf die Bühne. […] 120 Tänzer erzählen auf der Bühne die tragische Geschichte um die Eroberung der antiken Stadt Troja, begleitet von orientalischen Klängen, beeindruckenden Lichteffekten und aufwendigen Kostümen« (Telschow 2010).

Troja: eine anatolische Legende und Wolfgang Petersens Film als Referenz für die weltweite Popularität des Mythos. Kein Wort von Homer, Heinrich Schliemann, Manfred Korfmann, Frank Kolb oder Raoul Schrott. Die Zeiten ändern sich, variante Formen invarianter Strukturen treten auf. Die Rezeption Trojas mag sich weiterentwickeln und es bleibt abzuwarten, wie viele Zuschauer sich danach die Frage nach dem wahren Kern und Ursprung der Geschichte vom hölzernen Pferd stellen werden.

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Der Verfasser dankt stellvertretend für das Team der Caligari Film allen mit der Erforschung Trojas und der Darstellung innerhalb der Dokumentation betrauten Wissenschaftlern. 273

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Literatur Quellentexte Aristoteles: Metaphysik, hg. und übers. von Franz F. Schwarz (1987), Dietzingen: Reclam. Homer: Odysee, hg. und übers. von Johann Heinrich Voss (2008), Frankfurt a.M.: Zweitausendeins. TV-Dokumentationen und Spielfilme Atlantis – Das ewige Rätsel (Martin Papirowski/Luise Wagner, ZDF, 30. Juli 2000). Troja (Troy) (USA 2004, Regie: Wolfgang Petersen). Troja. Die wahre Geschichte (Su Turhan, ZDF, 1. April 2007). Sekundärliteratur Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg (Hg.) (2001): Troia – Traum und Wirklichkeit, Stuttgart: Theiss. Grußdorf, Johann (2008): »Forsche und sprich darüber. BscherMedienpreis ehrt kommunikative Wissenschaftler«. In: www.huberlin.de vom 25. April 2008 (http://www.hu-berlin.de/pr/presse mitteilungen/pm0804/pm_080427_01/?searchterm=naturkunde). Zugriff am 24. September 2008. Telschow, Katharina (2010): »›Troja – die Tanzshow‹ – Deutschlandpremiere am 13. März 2010 in der o2 World.« In: news aktuell presseportal vom 14. Januar 2010 (http://www.presseportal.de/ pm/62027/1544353/o2_world). Zugriff am 4. März 2010. Walther, Christoph (2006): »Wenn die Spinne dreimal klingelt: BscherMedienpreis an der HU verliehen«. In: www.uni-protokolle.de. Die Adresse für Ausbildung, Studium und Beruf (http://www.uniprotokolle.de/nachrichten/id/117047/). Zugriff am 2. März 2010.

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RAUSCHEN IM BLÄTTERWALD î DIE AUSSTELLUNG IMPERIUM KONFLIKT M Y T H O S . 2000 J A H R E V A R U S S C H L A C H T UND IHR WIDERHALL IN DEN MEDIEN MICHAEL ZELLE

The so called ›Battle in the Teutoburg Forest‹ was seen in Germany from the 16th until the mid 20th century as the mythical beginning of modern Germany. In 2009, as the 2000th anniversary of that famous battle was celebrated, three major exhibitions were shown at the Museums of Haltern, Kalkriese and Detmold. The interest of the German press was considerable and seemed to have been, at least partly due to professional marketing. Another pertinent reason could have been the fact that it is a specificly German topic. The focus of this article is an examination of the interest and importance laid on the search for the real location of the battle and its role for the German history in the media. Im Jahre 2009 jährte sich ein historisches Ereignis zum zweitausendsten Mal: Die ›Schlacht im Teutoburger Wald‹ oder – heute populärer – die ›Varusschlacht‹. Im Jahr 9 n. Chr. schlug eine Koalition verschiedener germanischer Stämme unter der Führung des Cheruskers Arminius im Bereich des heutigen Nordwestdeutschlands ein römisches Eliteheer des Statthalters Publius Quinctilius Varus, bestehend aus drei Legionen und vielen Hilfstruppen, und vernichtete es nahezu vollständig.1 Das Römische Reich unter Kaiser Augustus schickte sich damals an, Germanien als Provinz einzugliedern. Die Niederlage im Teutoburger Wald machte diese Pläne jedoch zunichte. Größeren Einfluss auf die Geschichte Europas hatte diese Schlacht allenfalls mittelbar, war es doch lediglich ein Glied in einer ganzen Kette von Ereignissen. Konsequenz dieser Ereig1

Die bis 2009 erschienen Abhandlungen zu diesem Thema sind schier unüberschaubar. Stellvertretend seien einige jüngere, zusammenfassende Werke mit Hinweisen zu weiterführender Literatur genannt: Moosbauer (2009); Wiegels (2007); Wolters (2008). Zu einer populäreren Aufarbeitung siehe Märtin (2008). 275

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nisse war unter anderem eine eigenständige kulturelle Entwicklung großer Teile Germaniens östlich des Rheines neben dem Römischen Reich. Und eben dieser Raum war ein Ausgangspunkt für die so genannten ›Völkerwanderungen‹ in der Spätantike, die das Antlitz des mittelalterlichen Europa und damit auch der nachfolgenden Epochen nachhaltig geprägt haben. Große Bedeutung erhielt die Varusschlacht im kollektiven Bewusstsein einer breiten Bevölkerung erst im neuzeitlichen Deutschland, da vor allem ihre Protagonisten Arminius – seit dem 16. Jahrhundert auch ›Hermann der Cherusker‹ genannt – und die Germanen zu wichtigen Symbolfiguren der Deutschen avancierten.2 ›Arminius-Hermann‹ galt als Befreier von Fremdherrschaft und als Vereiniger zerstrittener Stämme und konnte somit – übertragen auf die politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland seit dem 15./16. Jahrhundert – zum Urvater der Deutschen stilisiert werden. Die Germanen sah man als die unmittelbaren Vorfahren der Deutschen an. Heute weiß man, dass diese Sichtweise mit den historischen Realitäten im Altertum nicht viel zu tun hat und sie mithin Ausdruck von Geschichtsinterpretation und -instrumentalisierung ist. Durch die Wiederentdeckung zahlreicher antiker Schriften in der Renaissance gelangten die Ereignisse um die Varusschlacht wieder ans Tageslicht und wurden in einem mehrere Jahrhunderte langen Prozess zu einem Leitthema bei der Ausbildung einer nationalen Identität in Deutschland sowie im 19./20. Jahrhundert eines Nationalstaates. Eben in dieser Zeit wurde die Varusschlacht zu einem deutschen Thema, und es ist auch die Zeit, in der das Hermannsdenkmal bei Detmold, das ausdrucksstärkste Monument des Mythos, der sich um das historische Ereignis rankte, errichtet wurde.3 Dies wird auch heute noch bzw. wieder von Vielen so wahrgenommen. Nach 1945 erfuhr das Verhältnis der Deutschen zum Mythos Varusschlacht einen Bruch. Während Hermann der Cherusker in der DDR eine zeitlang eine Karriere als ›Vorkämpfer gegen den US-amerikanischen Imperialismus‹ erlebte, verschwand er in der BRD spätestens in den 1960er und -70er Jahren im Wesentlichen aus dem Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit. Kein Wunder, denn Fragen nach der nationalen Identität standen nun nicht mehr im Vordergrund, und der Wunsch nach einem starken Nationalstaat wurde durch wirtschaftlichen Wohl2

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Zur reichhaltigen Literatur der Rezeptionsgeschichte siehe z.B. Engelbert (1975); Wiegels/Woesler (1995); Landesverband Lippe (2009); Kösters (2009); Killguss (2009). Zum Hermannsdenkmal siehe Engelbert (1975); Lux-Althoff (2001); Huismann/Zelle (2008). 276

DIE AUSSTELLUNG IMPERIUM KONFLIKT MYTHOS UND IHR WIDERHALL IN DEN MEDIEN

stand und die feste Integration in die europäische Staatenwelt kompensiert. Eine Ausnahme bilden indes Ostwestfalen-Lippe und das Weserbergland, also die Regionen, die durch die physische Präsenz des Hermannsdenkmals stetig an den Mythos erinnert werden und wo das Hermannsdenkmal sozusagen als Markenzeichen, oder – moderner ausgedrückt – als Logo, fungiert (vgl. Abb. 1). Abb. 1: Logo Land des Hermann – Teutoburger Wald, regionale touristische Dachmarke für Ostwestfalen-Lippe.

Quelle: Lippe Tourismus Marketing AG. Seitdem Ende der 1980er Jahre bei Kalkriese am Wiehengebirge nahe Osnabrück ein Platz der Zeit um Christi Geburt, auf dem offensichtlich Römer gegen Germanen gekämpft hatten, entdeckt und seither erforscht wurde, fand das Thema wieder Eingang in die Öffentlichkeit. In der Regel frei von nationalem Pathos, steht das Interesse an der endgültigen Lokalisierung der Varusschlacht im Vordergrund. Allenthalben erschließt man sich das Thema als ein archäologisches. Und da in den letzten zwei Jahrzehnten das Interesse an archäologisch-historischen Themen allgemein gestiegen ist – man denke an die inzwischen fast unüberschaubare Zahl von Dokumentationssendungen in Funk und Fernsehen – hat auch die Varusschlacht wieder Konjunktur. Vor diesem Hintergrund haben sich im Jahre 2004 die drei Museen LWL-Römermuseum Haltern, Varusschlacht im Osnabrücker Land. Museum und Park Kalkriese gGmbH und das Lippische Landesmuseum

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Detmold mit ihren jeweiligen Trägern4 zu einem Kooperationsprojekt zusammengeschlossen. Alle drei Orte stehen in einer besonderen Beziehung zum Ereignis,5 und so war im Vorfeld klar, dass auch alle drei jeweils eine eigene Sonderausstellung zum Thema würden zeigen wollen: Bot sich doch die Möglichkeit, als regionale Museen einmal aus dem Schatten der großen Museen in den deutschen und europäischen Metropolen herauszutreten, viele Besucher anzulocken und sich für die Zukunft zu positionieren. Um sich dabei aber keine fruchtlose Konkurrenz zu machen und im Wettbewerb um Besucher bestehen zu können, drängte sich diese Kooperation geradezu auf. Die drei Partner bündelten vor allem die heute mehr denn je unerlässlichen Marketingaktivitäten (vgl. Abb. 2). Abb. 2: Werbeplakat des Ausstellungsprojektes Imperium Konflikt Mythos. 2000 Jahre Varusschlacht.

Quelle: Agentur Buttgereit und Heidenreich, Haltern am See. Geschultes Personal wurde eingestellt und eine Werbeagentur hinzugezogen. Heute zum Standard gehörende Maßnahmen, wie z.B. die Ein4

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Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Stiftung der Sparkassen im Osnabrücker Land und Landkreis Osnabrück, Landesverband Lippe (in Zusammenarbeit mit dem Kreis Lippe). Im Lippischen Landesmuseum Detmold wurde die Rezeptionsgeschichte der Varusschlacht unter dem Titel Mythos präsentiert, ist die Stadt Detmold doch die Standortgemeinde des Hermannsdenkmales. 278

DIE AUSSTELLUNG IMPERIUM KONFLIKT MYTHOS UND IHR WIDERHALL IN DEN MEDIEN

richtung einer einheitlichen Website (1,5 Mio. Zugriffe), Präsenz auf der ITB Berlin, Schaffung von Hochglanzwerbematerial, Aufbau und Pflege von Pressekontakten, Medienpartnerschaften etwa mit den öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten wie NDR und WDR wurden durchgeführt. Wichtig war vor allem, über die Medien auf das bevorstehende Ausstellungsereignis – und als ein solches sollte es ganz dem Zeitgeist entsprechend zelebriert werden – aufmerksam zu machen. In den Werbemedien wurde die Varusschlacht dementsprechend als ein ›Wendepunkt der Geschichte‹ vermarktet.6 Das überwältigende Interesse der Medien an diesem Ausstellungsprojekt war bemerkenswert und ging m.E. über das übliche Maß des Interesses an historischen Themen hinaus. Es scheint auch so zu sein, dass sich in den Medien eine Eigendynamik entwickelt hat, die einen regelrechten ›Hype‹ erzeugte und die Varusschlacht zu dem Kultur-Thema der ersten Jahreshälfte 2009 stilisierte. Viele Journalisten entwickelten schon früh das Gefühl, die Varusschlacht sei für ein breiteres Publikum von Interesse. Dies zeigt die große Zahl populär gehaltener und an ein größeres Publikum gerichteter Sachbücher sowie größerer Berichte in Geschichtsmagazinen, die gerade auch von Journalisten verfasst worden sind (vgl. Abb. 3).7 Rückblickend betrachtet hat sich das Interesse der Medien vor allem auf zwei Themenfelder konzentriert, die nacheinander aufgegriffen wurden. Bis etwa Mitte 2008 ging es vor allem um die genaue Lokalisierung der Varusschlacht. Diese Frage treibt Viele schon seit dem 16. Jahrhundert um, und ihre Beantwortung ist vor allem durch eine ständige Auseinandersetzung mit Andersdenkenden geprägt. Die Entwicklung von unbeweisbaren Theorien war und ist vor allem eine Domäne der Laienforschung (vgl. Berke 2009: 133-138). Mit entsprechendem Enthusiasmus und der Energie eines Glaubenskriegers streitet man um den wahren Ort. Seit der Entdeckung des Fundplatzes von Kalkrieses und des mögli6

7

Diese Bewertung der Schlacht im Teutoburger Wald in Deutschland entspricht der Wahrnehmung vor allem in Deutschland, da bei der Konstruktion einer deutschen Identität dieses historische Ereignis zu einem Gründungsmythos der Deutschen Nation avancierte (vgl. Literaturhinweise in Anm. 2). Die althistorische Forschung stellt diese historische Bedeutung derzeit zu Recht in Frage: Wiegels (2007: 123-125); Wolters (2008: 125126, 202-210); Kehne (2009: 111). In den drei Ausstellungen wurde dies entsprechend vermittelt. Siehe z.B. Sachbücher: Bendikowski (2008); Husemann (2008); Märtin (2008); Pantle (2009b). – Populäre Zeitschriftenartikel: Petschull/Utzt (2007); Pantle (2009a); diverse Beiträge in P.M. History (2009); Bangert (2009); Kracht (2008). 279

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chen Zusammenhangs mit der besagten Schlacht nahm die Auseinandersetzung wieder an Schärfe zu. Es war nunmehr vielen Laienforschern möglich, allen Frust über das eigene Scheitern bei der Suche an einer Institution abzulassen. Hinzu kommt aber auch Folgendes: Die vermeintliche Örtlichkeit der Varusschlacht sowie das Hermannsdenkmal werden, ganz dem Zeitgeist entsprechend, als wirtschaftliche Standortvorteile8 in den Kreisen Lippe und Osnabrück gesehen. Daher beteiligen sich gerne Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung an der Diskussion. Abb. 3 Auswahl von Publikationen zum Thema Varusschlacht in den Jahren 2008 und 2009.

Quelle: Lippisches Landesmuseum Detmold, Ihle. Die Medien haben dies interessiert aufgegriffen. Einerseits wird die Suche nach einem verborgenen historischen Ort mit Abenteuer, Schatz-

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U.a. Steigerung der Touristenzahlen, von der Hotellerie, Gastronomie und Einzelhandel profitieren. 280

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suche und Geheimnisvollem assoziiert. Andererseits bietet der zuweilen groteske Züge annehmende Streit um den wahren Ort eine gute Geschichte. Vergleichbare Vorraussetzungen für solch eine Geschichte liefert der so genannte Streit um Troja, bei dem es um die Bewertung der archäologischen Funde vom Hisarlik in der Nordwesttürkei ging, welcher vor wenigen Jahren vor allem auf akademischer Ebene öffentlichkeitswirksam ausgetragen wurde.9 Und schließlich hatte so mancher von außen kommende Journalist sicher Spaß an den Auswüchsen einer Provinzposse. Einen Höhepunkt erreichte das Interesse an der Varusschlacht anlässlich einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung von Experten im Lippischen Landesmuseum Detmold zum Ort der Varusschlacht im November 2006.10 So bezeichnete beispielsweise Der Spiegel (2006) diese Veranstaltung vorab als »Krisengipfel«. Entsprechend wurde das Museum von Besuchern überlaufen, zahlreiche Journalisten fanden sich ein, der NDR filmte für ein Kulturformat. Von den beteiligten Museen der Ausstellungs-Kooperation Imperium Konflikt Mythos. 2000 Jahre Varusschlacht wurde dieses Treiben teils mit der Sorge, die Veranstaltung werfe bundesweit kein gutes Licht auf die bevorstehenden Ausstellungen, teils mit Freude über die quasi kostenlose Bewerbung des Themas durch die Medien verfolgt. Detmold war in jedem Fall als Ausstellungsstandort neben Kalkriese, welches bereits seit einigen Jahren mit einem professionellen Marketing präsent ist, einer breiteren Öffentlichkeit in Erinnerung gerufen. In der Folgezeit hatten viele Journalisten Kontakt mit dem Lippischen Landesmuseum gesucht, was entsprechend positive Effekte hatte. In den Monaten vor der Ausstellungseröffnung im Mai 2009 verlagerte sich das Interesse der Medien auf die historische Thematik und die Ausstellungen selbst, die ja nunmehr konkret zu fassen waren, da Konzeptionen und Exponate feststanden.11 Das Interesse der Medien im Mai 2009 wurde sicherlich auch durch die Tatsache gesteigert, dass die Bundeskanzlerin Angela Merkel, der damalige Präsident des Europäischen Parlamentes sowie die Ministerpräsidenten der Länder Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen als Schirmherren der Ausstellung der Eröffnung beiwohnten. Das Lippische Landesmuseum Detmold erlebte einen bemerkenswerten Ansturm der Medienvertreter, und in der Folge waren 9 Siehe z.B. Schwäbisches Tagblatt (2005). 10 Siehe z.B. Nyary (2006); Kellerhoff (2006); Osnabrücker Nachrichten (2006); Engelhardt (2006); Pape (2006); Strünkelnberg (2006). 11 Siehe z.B. Semler (2009); Halter (2009); Wolf (2009); Löbbert (2009); Kilb (2009); Thiede (2009); Vogel (2009); Lettmann (2009). Zu einer kurzen kritischen Auseinandersetzung mit dem Presseecho siehe Häußler (2009: 40f.). 281

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sowohl das Thema als auch die Ausstellung in den Feuilletons vieler großer deutscher Tageszeitungen vertreten, zum Teil mit ganzseitigen Artikeln. Filmbeiträge in den Tagesthemen und verschiedenen TVKulturformaten wie Aspekte, TTT, Westart usw. setzten sich mit den Ausstellungen ebenso auseinander wie zahlreiche Rundfunksendungen, teilweise in Form von live übertragenen Diskussionssendungen. Die Ausstellung wurde erfreulicherweise zumeist gut besprochen, was zusammen mit der schieren Präsenz in den Medien den erhofften großen Besucherstrom in die Provinz bewirkte. Bemerkenswert ist, dass das historische Thema ›Varusschlacht‹ im Vergleich zu anderen historischen Themen solch eine große Aufmerksamkeit erlangen konnte. Dies umso mehr, weil uns der Kern der Geschichte, also die Stilisierung Hermanns des Cheruskers zu einem deutschen Nationalhelden und die der Germanen zu den deutschen Vorfahren, heute im Zeichen der fortschreitenden europäischen Einigung doch eigentlich nicht mehr so viel zu sagen hat. Der Mythos um die Varusschlacht ist im Sinne des nationalstaatlichen Denkens des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nämlich vor allem auf die Überhöhung eines Volkes und die Abgrenzung von Nachbarnationen gerichtet. Möglicherweise wurde das Interesse durch alte Reflexe sowie die Bedürfnisse einer allenthalben beschworenen Wissenskultur wach gehalten. In jedem Falle hat sich einmal mehr gezeigt, dass der möglichst offene und aufgeschlossene Umgang mit Vertretern der Medien eine Grundvoraussetzung dafür war, das Thema ›Varusschlacht‹ in der Öffentlichkeit zu platzieren. Dies war umso wichtiger, als die Ausstellungen gerade nicht in Museen der Großstädte, die im Bewusstsein einer bundesweiten Öffentlichkeit längst etabliert sind, zu sehen waren und die Besucher eben in die durchaus auch sehr reizvolle Provinz zu locken vermochten.

Literatur Bangert, Ute (2009): »Hermann Superstar«. In: Mobil. Das Magazin der Deutschen Bahn 2009.4, S. 30-38. Bendikowski, Tillmann (2008): Der Tag, an dem Deutschland entstand. Geschichte der Varusschlacht, München: Bertelsmann. Berke, Stephan (2009): »haud procul. Die Suche nach der Örtlichkeit der Varusschlacht«. In: Landesverband Lippe 2009, S. 133-138. Der Spiegel (2006): »Verwirrung um die Varusschlacht«. In: Der Spiegel 46, S. 167.

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Engelbert, Günther (Hg.) (1975): Ein Jahrhundert Hermannsdenkmal 1875-1975, Detmold: Naturwissenschaftlicher und Historischer Verein für das Land Lippe. Engelhardt, Thorsten (2006): »Gruben, Gräben und Gelehrte«. In: Lippische Landeszeitung vom 17. November 2006, S. 10. Halter, Martin (2009): »Hermann der Barbar«. In: Badische Zeitung vom 3. Januar 2009. Häußler, Alexander (2009): »›2000 Jahre Kampf gegen Überfremdung‹. Einblicke in die nationalistische Geschichtspolitik im VarusJubiläum«. In: Killgus (2009), S. 36-42. Huismann, Frank/Michael Zelle (2008): Das Hermannsdenkmal. Zahlen, Fakten, Hintergründe, Marsberg: Scriptorium. Husemann, Dirk (2008): Der Sturz des römischen Adlers. 2000 Jahre Varusschlacht, Frankfurt: Campus. Kehne, Peter (2009): »Der historische Arminius und die Varusschlacht aus cheruskischer Perspektive«. In: Landesverband Lippe 2009, S. 104-113. Kellerhoff, Sven Felix (2006): »Im klassischen Morast«. In: Die Welt vom 15. November 2006, S. 28. Kilb, Andreas (2009): »Es war einmal in Germanien«. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. Juni 2009. Killguss, Hans-Peter (Hg.) (2009): Die Erfindung der Deutschen. Rezeption der Varusschlacht und die Mystifizierung der Germanen, Köln: Selbstverlag Info- und Bildungsstätte gegen Rechtsextremismus. Kösters, Klaus (2009): Mythos Arminius. Die Varusschlacht und ihre Folgen, Münster: Aschendorff. Kracht, Peter (2008): »Varus, Varus, gib mir meine Legionen wieder«. In: Westfalium. Magazin für Gesellschaft, Kultur und Lebensart 28, S. 16-28. Landesverband Lippe (Hg.) (2009): 2000 Jahre Varusschlacht. Mythos, Stuttgart: Theiss. Lettmann, Achim (2009): »Held der Deutschen«. In: Hellweger Anzeiger vom 13. August 2009, S. 14. Löbbert, Raoul (2009): »Treudeutscher Held«. In: Rheinischer Merkur vom 23. April 2009, S. 7. Lux-Althoff, Stefanie (Bearb.) (2001): 125 Jahre Hermannsdenkmal. Nationaldenkmale im historischen und politischen Kontext, Lemgo: Landesverband Lippe. Märtin, Ralf-Peter (2008): Die Varusschlacht. Rom und die Germanen, Frankfurt a. M.: Fischer. Moosbauer, Günther (2009): Die Varusschlacht, München: Beck.

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Nyary, Josef (2006): »1997 Jahre danach – Wer gewinnt die Varusschlacht?«. In: Hamburger Abendblatt vom 14. November 2006, S. 3. Osnabrücker Nachrichten (2006): »Detmold muckt auf«. In: Osnabrücker Nachrichten vom 15. November 2006, S. 1, 7. P.M. History (2009): P.M. History Special 2009.2. Pantle, Christian (2009a): »Sieg über Supermacht. Vor 2000 Jahren beendete die Varusschlacht die römische Besetzung Germaniens«. In: Focus vom 2. März 2009, S. 64-72. Pantle, Christian (2009b): Die Varusschlacht. Der germanische Freiheitskrieg, Berlin: Propyläen. Pape, Ernst-Wilhelm (2006): »Hermannsdenkmal steht richtig«. In: Westfalen-Blatt vom 17. November 2006. Petschull, Jürgen/Susanne Utzt (2007): »Kampf um Germanien I. Arminius besiegt Varus«. In: National Geographic Deutschland, November 2007, S. 52-82. Schwäbisches Tagblatt (2005): »Der Tübinger Kampf um Troia«. In: www.tagblatt.de vom 12. August 2005 (www.tagblatt.de/Home/ Nachrichten/tuebingen_artikel,-Rueckblick-Der-Tuebinger-Kampfum-Troia-_arid,57944.htlm). Zugriff am 14. April 2010. Semler, Christian (2009): »Patriotismus reloaded?«. In: Die Tageszeitung vom 20. Dezember 2008. Strünkelnberg, Thomas (2006): »Lipper möchten Varus wiederhaben«. In: Westfälische Nachrichten vom 17. November 2006. Thiede, Veit-Mario (2009): »Tacitus war der Geburtshelfer der germanischen Legende«. In: Rhein-Neckar-Zeitung vom 16./17. Mai 2009, S. 14. Vogel, Benedikt (2009): »Der Deutsche Wilhelm Tell«. In: Basler Zeitung vom 31. Juli 2009, S. 4f. Wiegels, Rainer (Hg.) (2007): Die Varusschlacht. Wendepunkt der Geschichte?, Stuttgart: Theiss. Wiegels, Rainer/Winfried Woesler (Hg.) (1995): Arminius und die Varusschlacht. Geschichte – Mythos – Literatur, Paderborn: Schöningh. Wolf, Hubert (2009): »Beweglicher Barbar«. In: Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 17. Februar 2009. Wolters, Reinhard (2008): Die Schlacht im Teutoburger Wald. Arminius, Varus und das römische Germanien, München: Beck.

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AUTORINNEN

UND

AUTOREN

Prof. Dr. Hans-Joachim Gehrke promovierte an der Georg-AugustUniversität Göttingen 1973 und habilitierte sich dort 1982 für Alte Geschichte. Danach bekleidete er Professuren dieses Faches an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (1982-1984), an der Freien Universität Berlin (1984-1987) sowie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg (1984-2008). Seit 2008 ist er Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Gebiet der griechischen Geschichte, besonders der archaischen und der hellenistischen Zeit. Thematisch geht es vornehmlich um Fragen der sozialen Konflikte und Integration, der politischen Theorie, der Vergangenheitsvorstellungen und der Raumorganisation in der Antike sowie entsprechender Rezeptionsprozesse. Siebo Heinken ist geschäftsführender Redakteur von National Geographic Deutschland. Zuvor war er als Chef vom Dienst, Redakteur und Autor unter anderem tätig für GeoSaison, Merian, Die Zeit, Frankfurter Rundschau. Studium der Diplom-Sozialwissenschaften in Oldenburg und Vancouver (Kanada). Prof. Dr. Marc-Antoine Kaeser ist Direktor des Laténiums (Archäologiepark und Museum Neuchâtel, Schweiz) und assoziierter Professor für Urgeschichte an der Universität Neuchâtel. Er studierte Archäologie, Geschichte, Journalismus und Science Studies in Neuchâtel, Harvard sowie Paris und leitet ein Forschungsprojekt des Schweizerischen Nationalfonds zur Rolle der Museen in der Konstruktion des Wissens in der Prähistorischen Archäologie und der Paläontologie. Seine derzeitigen Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Erkenntnistheorie, der Forschungsgeschichte und der Wissenschaftstheorie in der Prähistorischen Archäologie, sowie im Bereich der Museumswissenschaften. Dr. Eva Ulrike Pirker hat in Tübingen Neuere Englische Literatur, Philosophie und Amerikanistik studiert und in Freiburg im Fach Englische Philologie zum Diskurs um eine ›schwarze‹ Geschichte in der britischen Geschichtskultur promoviert. Sie ist Mitarbeiterin des englischen Semi285

GESCHICHTE, ARCHÄOLOGIE, ÖFFENTLICHKEIT

nars der Universität Freiburg und arbeitet schwerpunktmäßig im Bereich Cultural Studies. Von 2007 bis 2010 war sie darüber hinaus Mitarbeiterin der Freiburger Forschergruppe Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen der Gegenwart. Dr. Patricia Rahemipour hat in Münster, Berlin, Oslo und Bochum Prähistorische Archäologie, Klassische Archäologie und Philosophie studiert. Nach einer Magisterarbeit über latènezeitliche Handwerkerdepots hat sie sich in ihrer Doktorarbeit mit der Darstellung der Prähistorie im Film auseinandergesetzt. Thematisch beschäftigt sie sich mit wissenschaftshistorischen Themen, wie etwa dem Einfluss der öffentlichen Darstellung von Archäologie oder dem einzelner Protagonisten wie Theodor Wiegand auf die Fachgenese. Patricia Rahemipour war nach ihrem Magister zunächst an der Universität Leipzig für die Sammlung und Öffentlichkeitsarbeit tätig. Seit 2004 arbeitet sie in unterschiedlichen Projekten am Deutschen Archäologischen Institut. Im Jahr 2008 hat sie als Koordinatorin für das Interdisziplinäre Zentrum Alte Welt der Freien Universität Berlin am Institut für Klassische Archäologie gearbeitet. Bis Ende 2009 hat sie das Archiv der Zentrale des DAI betreut. Prof. Dr. Brigitte Röder ist Förderungsprofessorin des Schweizerischen Nationalfonds am Institut für Prähistorische und Naturwissenschaftliche Archäologie der Universität Basel. Zusätzlich vertritt sie den Lehrstuhl am Basler Seminar für Ur- und Frühgeschichte. Ihre Forschungsinteressen sind u.a. sozial-, geschlechter- und kindheitsgeschichtliche Fragestellungen, Theoriebildung und Methodenentwicklung sowie aktuelle Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Urgeschichtsforschung und deren Einfluss auf die archäologische Wissenskonstruktion. Dr. Johannes Saltzwedel ist Redakteur beim Spiegel in Hamburg. Er studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie in Tübingen und Oxford. Für die Reihe Spiegel Geschichte konzipiert und betreut er kulturgeschichtliche Themenhefte. Das Altertum gehört zu seinen Schwerpunkten: Er hat Bücher über das antike Griechenland (Götter, Helden, Denker, 2008) und Rom (Das Ende des Römischen Reiches, 2009) herausgegeben; ferner edierte er 2009 die Mitschrift einer Vorlesung von Hermann Diels über Griechische Philosophie. Saltzwedel ist Juror der Sachbuch-Bestenliste des NDR. Dr. Stefanie Samida studierte Ur- und Frühgeschichte, Klassische Archäologie und Mittelalterliche Geschichte sowie MedienwissenschaftMedienpraxis. Sie ist derzeit Forschungsstipendiatin der Gerda-Henkel-

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AUTORINNEN UND AUTOREN

Stiftung und arbeitet über »Heinrich Schliemann und seine Ausgrabungen im Spiegel der Presse. Popularisierung und Medialisierung archäologischer Entdeckungen im 19. Jahrhundert«. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Theorie und Methode der Archäologie, Wissenschaftsgeschichte, Archäologie und Gesellschaft sowie Archäologie und Medien/Didaktik. Dr. Berthold Seewald ist stellvertretender Ressortleiter Feuilleton der in Berlin erscheinenden Zeitung Die Welt. Er studierte in Münster und Freiburg Geschichte, Politikwissenschaft, Geographie und Archäologie, volontierte beim Rheinischen Merkur/Christ und Welt und war Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Studiengang Publizistik der Freien Universität Berlin. Historische und archäologische Themen gehören zu seinen Arbeitsgebieten. Dr. Miriam Sénécheau studierte Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie sowie Mittelalterliche und Neuere Geschichte in Tübingen, Aix-enProvence und Freiburg, wo sie 2007 ihre Promotion abschloss. Zu ihren Forschungs- und Arbeitsschwerpunkten zählen Archäologie und Öffentlichkeit in verschiedenen medialen Kontexten (Museum, Schulbuch, Film, Literatur) sowie Forschungs-, Ideen- und Rezeptionsgeschichte. Derzeit ist Miriam Sénécheau Wissenschaftliche Mitarbeiterin der DFGForschergruppe Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen der Gegenwart mit einem Projekt über die Darstellung ›keltischer‹, ›römischer‹ und ›germanischer‹ Lebenswelten im binationalen Vergleich (Deutschland und Frankreich). Prof. Dr. Thomas Späth ist Dozent für Antike Kulturen und Antikekonstruktionen am Center for Global Studies der Phil.-hist. Fakultät der Universität Bern. Er studierte Geschichte, französische Sprach- und Literaturwissenschaft und Soziologie in Basel und Paris. Seine Forschungsgebiete sind Geschlechtergeschichte der Antike, griechische und römische Historiographie und Biographie, Methoden und Theorien der Geschichtsschreibung und Antikebilder in der Populärkultur des 19. und 20. Jahrhunderts. Dr. Tamara Spitzing wurde in Hamburg geboren und studierte dort und in Freiburg Ur- und Frühgeschichte, Klassische Archäologie und Völkerkunde. Nach dem Studium arbeitete sie einige Zeit lang im Museumsbereich. Seit 1986 ist sie Journalistin mit Ausbildung in Print, Hörfunk, TV und als Moderatorin. Sie ist Autorin von rund 50 langen Dokumenta-

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GESCHICHTE, ARCHÄOLOGIE, ÖFFENTLICHKEIT

tionen für SWR, Arte und ZDF mit Schwerpunkt Archäologie, Geschichte und Ökologie. Hans-Friedrich Steinhardt ist als Leiter des Geschäftsfeldes Dokumentationen bei der Caligari Film GmbH in München für die Konzeption und Durchführung dokumentarischer Projekte verantwortlich. Er studierte Germanistik, Philosophie und Politologie in München. Zu den von ihm als Autor und Produzent verantworteten Produktionen zählen u.a. das Zeitreiseformat Windstärke 8. Das Auswanderschiff (ARD, 2005) und zuletzt Filme für die Geschichts- und Wissenschaftsreihen Terra-X, Abenteuer Wissen und Abenteuer Forschung im ZDF. Cornelia Varwig studierte Publizistik, Psychologie und Komparatistik in Wien und Mainz. Seit 2005 arbeitet sie als Wissenschaftsjournalistin, seit 2006 als Redakteurin bei der populärwissenschaftlichen Monatszeitschrift bild der wissenschaft. Dort ist sie als Leiterin des Ressorts ›Kultur&Gesellschaft‹ für die Themen Archäologie, Psychologie und Sozialwissenschaften zuständig. André Wais studierte Germanistik; er ist Verlagsbuchhändler und Dipl.Wirtschaftsingenieur und Mitinhaber des Verlagsbüros Wais & Partner, das sich der Konzeption, Redaktion und Produktion von Büchern und Zeitschriften verschrieben hat. André Wais ist seit 1991 verantwortliches Mitglied der Redaktion für die Zeitschrift Archäologie in Deutschland. Dr. Michael Zelle studierte Klassische Archäologie, Alte Geschichte und Ur- und Frühgeschichte in Münster, London und Perugia. Wiss. Volontariat am Regionalmuseum/Archäologischer Park Xanten; Leitung eines Forschungsprojektes an der Universität Köln; Mitarbeit und Leitung von Ausgrabungen in der Türkei, Griechenland und Deutschland; Projektleiter des Ausstellungsprojektes Imperium Konflikt Mythos. 2000 Jahre Varusschlacht im Lippischen Landesmuseum Detmold.

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REGISTER 109, 177, 194, 196, 200, 203205, 228, 248, 253, 267, 281 Aktualität/aktuell 15, 32, 54, 65, 79-96 Akzeptanz 18, 57, 59f., 68, 73f., 95, 104, 140, 162f., 190, 198, 202, 233, 271 Allgegenwart/allgegenwärtig 13, 33, 65, 117 Alltag/alltäglich 16, 32f., 36, 41, 57, 81, 88, 106, 119, 125-130, 138, 142, 146, 154, 177, 221, 242 Alterität 110, 116 Altersgruppe (s. auch Zielpublikum) 68, 124, 134, 183, 186, 231, 248 Altertum 25, 37f., 43, 175, 200, 203, 214, 276, 286 Amerika/-nisch 19, 67, 72, 113, 125-128, 135, 169, 181, 201, 215, 222, 276 Anachronismus 55, 142, 145 Anatolien 89, 169, 267, 273 Anschaulichkeit 16f., 19, 76, 145, 201, 231, 236, 239, 250, 252 Anspruch - akademischer/wissenschaftlicher 17, 59, 71, 200, 254 - didaktischer 17, 76, 228, 250f., 253f. - filmischer 17, 71, 128, 236, 254 - journalistischer 17, 107, 164, 178, 197

16. Jahrhundert 72, 276, 279 18. Jahrhundert 53, 76, 135 19. Jahrhundert 18, 34-40, 53f., 135, 162, 182, 184, 205, 276 20. Jahrhundert 14, 72, 103, 109, 115, 126f., 136, 181, 183f., 187, 231, 250, 276, 282 1920er Jahre 71 1930er Jahre 66, 124 1950er Jahre 124, 127, 136, 183 1960er Jahre 127, 136, 151, 166, 181, 184, 200, 276 1970er Jahre 66, 106, 167, 200, 276 1980er Jahre 31, 104, 107, 117, 128, 195, 277 1990er Jahre 15, 84, 103f., 109, 118, 197 Abenteuer/Abenteurer 13f., 18, 32-43, 51-55, 162, 174, 176, 201f., 214, 221, 223, 280 Abonnement 19, 163, 181-191 Adressat (s. Zielpublikum) Agentur - meldung 15, 87, 93, 95, 193, 206 - Nachrichten- 87, 193f., 198 - Presse- 92 Ägypten 31f., 35, 80, 162, 169, 175, 177, 202, 212, 220, 223 Akademiker/akademisch (s. auch Universität, Wissenschaftler)

289

GESCHICHTE, ARCHÄOLOGIE, ÖFFENTLICHKEIT

Ausgrabung/ausgraben 13f., 21, 34-39, 42, 51-56, 90, 106, 108, 118, 154, 164f., 170, 173, 187, 196, 204f., 220, 223, 234, 236-238, 243, 270f. Ausgräber 13, 38, 56, 161f., 170, 184, 194, 201, 206 Ausstellung (s. auch Museum) 21, 31f., 38, 68, 72, 76, 89-91, 110, 162, 187, 191, 196, 199, 203f., 260, 275-284 Authentizität 55, 187, 250, 253, 260, 268, 270, 272 Auswahl 20, 86f., 95, 163-166, 169f., 172, 195, 202, 229, 234, 253, 256f.

Anthropologe 70, 87f., 264 anthropologisch 88, 92, 145 Antike/antik 9f., 16f., 19, 52f., 55, 103-111, 113, 123-146, 194, 201, 211-216, 240, 260, 273, 276, 285 Arbeitsweise (s. auch Methode) - archäologische 13f., 32, 36, 41f., 50f., 54, 59, 66, 76, 118, 154, 187, 190f., 203, 206, 234, 236, 239, 246, 261, 266 - journalistische 18, 73, 85, 97, 154f., 166, 173, 176f., 187f., 195, 197, 219, 225, 237, 249, 253, 260 - redaktionelle 164, 188, 196 - wissenschaftliche 70, 136, 154, 170, 221f., 266 Archäologe (s. auch Ausgräber) - Beruf 14, 49-57, 162, 186 - Darstellung 14, 40f., 43, 50, 59, 173 Archäologie - Darstellung 9, 13-19, 31-43, 4959, 64-76, 79f., 154, 163f., 174, 219, 222, 224, 232, 236f., 238, 240f., 245, 248, 265, 273 - experimentelle 56, 76 Archäologie in Deutschland 18, 38, 181-191 Arminius 244, 275f., 282 Asterix 111, 135, 236 Attraktivität 9, 52, 76, 80, 86, 92, 96, 113, 201, 131f., 141, 239, 241, 252, 260, 262f., 272 Auflage/Druck- 18, 21, 39, 85, 91, 116, 152-154, 163, 182f., 194f., 202f., 212f., 215 Auftrag, öffentlicher 163, 220, 232-234, 262, 271f. Augustus 132, 134, 244, 275

Banalisierung 54, 163, 173 Basis, wissenschaftliche 11, 92, 119, 128, 167, 227, 271 Befund, archäologischer 31, 34, 56, 64, 196 begeistern 14, 18, 56, 153, 162, 203, 225 Behauptung 109, 119, 125, 145, 216 Beleg/Beweis 54, 73, 75, 76, 87, 93, 105, 108, 119, 146, 155, 216, 240, 266 belehren 146, 182, 196, 230 Beliebtheit 13, 22, 50, 54, 187, 189, 202, 260 Ben Akiba hat gelogen (USA 1923/D 1925) 66 Bericht/-erstattung 15, 19, 33f., 95, 105, 163-166, 168, 195f., 198, 203 Bestseller 88, 108, 110, 114, 212216 Besucher/-zahlen 21, 32, 40, 110, 162, 260, 269, 278, 281f.

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REGISTER

Caligari Film 20, 261, 273 Ceram, C. W. 19, 39, 212f. Chaplin, Charles 67, 73 Chronotopos 129 Cicero 130, 134f.

Bewusstsein 53, 105, 108, 214, 216 - kollektives 276 - öffentliches 40, 84, 86, 95, 282 Bild - (bewegtes) 34, 127, 130, 137f., 140f., 221, 231, 234, 242, 244, 248f., 253, 267 - (Foto) (s. Foto) - (Metapher) 81, 83 - (Vorstellung) 9-11, 13f., 38, 67, 41, 43, 70, 72-77, 111f., 114, 119, 127, 131, 136, 142, 165, 183, 185, 204, 206, 240 bild der wissenschaft 18, 92, 153, 163, 167, 169f., 173f. Bildung 10, 17-21, 86, 94, 113, 119, 152, 155, 183-185, 193, 196, 200, 206, 212, 214-216, 220, 228, 230-234, 250-255 Biographie (als Sachbuch-Genre) 50, 130, 135, 213f. Black Athena (1987) 107f., 116 Boom/boomen 9, 43, 151, 182f., 200, 203, 213 Boule, Marcellin 70, 72, 75 Brecht, Bertold 123f., 126, 146 Breitenwirkung 17, 36, 135, 145, 206 Britishness/Englishness 104f., 107, 109, 111, 118 Bronzezeit 194, 238, 267 Brutus 130, 135, 139 Bscher-Medienpreis 266 Buchmarkt 113, 212f., 219 Bulgarien 89f.

Darstellung (s. auch Präsentation) 9-22, 34-43, 50, 59, 64-76, 85, 114, 116, 127-146, 151, 154, 162-178, 195-205, 214f., 219-224, 228-254, 265, 273 Darwin/Evolutionstheorie 66-72 Das Geheimnis der Eismumie (ZDF, 2006) 41 Debatte/Kontroverse (s. auch Diskurs) 15f., 21, 33, 59, 88, 9196, 103f., 107f., 111, 116, 126, 145, 165, 167, 173f., 194, 199f., 204, 232, 251, 266, 279, 281 Dekontextualisierung 238, 249, 251 Der Kodex des Archimedes (2008) 215 Der Spiegel 19, 33, 88, 91-94, 153, 171, 182, 189, 197, 281 Detail/detailliert 40, 64, 118, 125, 175, 182, 198, 222, 246 Detektiv/detektivisch 14, 41, 51, 57, 59, 176 Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 11f., 22, 228 Deutsches Archäologisches Institut (DAI) 11, 42 Deutschland/deutsch 11, 13, 1719, 22, 32, 36, 38, 42, 49, 6567, 71f., 79, 86-92, 105, 151153, 161, 163, 169f., 178, 182-187, 191, 195, 199f., 203-205, 211-216, 220, 223, 228f., 233-238, 245f., 249, 254, 267, 275-279, 282

C 14 (ZDF, 1998-1999) 227, 234-239, 246, 249 Caesar 123-126, 129-136, 139144, 195, 212-214 Cäsar (1982) 212

291

GESCHICHTE, ARCHÄOLOGIE, ÖFFENTLICHKEIT

Eiszeit 32, 72, 87, 195 Elfenbeinturm 19, 81, 83, 206 Elite/elitär 54, 143, 146, 167, 178, 201, 205, 275 Emotion/-alisierung 17f., 21, 52, 55f., 112, 114, 125, 132, 134, 136f., 145f., 187, 173, 230f., 239, 241, 252, 266, 272, 279 Entdecker/Entdeckung/entdecken 14, 18, 34-42, 50-56, 80, 106, 162-178, 196f., 202f., 212f., 220f., 232-238, 272, 276-279 Epos 73, 111, 259, 272 Ereignis 9, 15f., 21, 35, 76, 80, 91, 95, 105, 130, 134, 146, 154, 164-170, 245, 260, 262264, 266, 275f., 278f. Erfolg 16, 19, 21, 37, 42, 66, 88, 93, 114, 142, 153, 155, 163, 167, 183, 198, 202f., 211-213, 215f., 241, 244, 251, 254, 260-262, 266, 272 Erkenntnis/-se 12, 18, 40, 57, 65f., 68, 76, 81, 85, 104, 107f., 119, 131, 142, 145, 153, 162-164, 173, 176f., 196, 198, 201f., 205f., 213f., 272 Erinnerung (s. Gedächtnis) Erwartung/-en - der Archäologen 163, 224 - der Öffentlichkeit 52, 142 - des Publikums 17, 20, 43, 60, 68, 113, 127, 166, 185, 237, 251 Erzählung/erzählen 14, 16, 36, 38, 50-52, 70, 74f., 87, 109, 111-115, 127-145, 154f., 205f., 212f., 227-230, 239, 242-245, 260-273 Esoterik/esoterisch 206, 213, 237 Etrusker/etruskisch 177, 238 europäische Einigung 201

Deutung/deuten 12, 20, 194, 197, 201, 203, 205f., 229, 240 Dialog 10, 44, 59, 173, 194f., 219f., 230, 234, 252 Didaktik/-er/didaktisch 228, 232f., 238, 245, 250f., 254, 270 - Auto- 37, 55 - Geschichts- 20, 229-231, 237, 250f., 253f. digital 181-183, 190, 236 Die Germanen (ARD, 2008) 242245, 249 Die Kelten. Händler, Barbaren und Druiden (HR, 1999/ FWU, 2003) 233, 245-249 Die Varusschlacht im Jahre 9 n. Chr. (WBF, 2009) 242-245, 249 Die Zeit 33, 105, 182, 197, 215, 285 Dinosaurier 66, 74 Diskurs/Diskussion (s. auch Debatte) 11, 13, 19, 50f., 55, 59, 64f., 86, 93-96, 103-105, 108f., 111, 118f., 125, 132, 165f., 168, 173-176, 191, 194, 200, 203f., 206, 212, 228, 232, 269, 272, 280-282 Dokumentarfilm (s. Film) Dokumentation (s. Fernseh-) Dramatisierung 36, 39, 96, 128f., 230, 237, 239, 240f. Dramaturgie 221, 264f. Drehbuch 43, 131, 133, 144, 233 - autor 144, 237 Druck, wirtschaftlicher 17, 153, 222, 230, 255 Druide 64, 233, 237, 245f., 248f. Eisenzeit 236-238 Eismumie 42

292

REGISTER

Fernsehen/Fernseh- 14, 20, 3134, 41-43, 80, 111, 124f., 128, 145, 151, 181, 189, 202, 220223, 230-253, 260, 264, 270, 277, 282 - dokumentation (s. auch Dokumentarfilm) 20f., 32, 41-43, 67, 80, 105, 220-224, 227253, 260-273, 277 - Geschichts- 219, 250 - journalist 19, 22 - material 20, 239, 251, 254 - Privat- 20, 220 - publikum 17, 137, 142, 234, 236, 238, 251 - Schul- 242, 245, 249 - sendung 41f., 151, 153, 167, 223f., 227, 230f., 238, 242, 245f., 249, 252, 282 - serie 16, 32, 43, 54, 105, 111, 124-146, 238 Fernsehsender 20, 136, 151, 198, 219f., 230, 253f. - ARD 151, 242, 249 - ARTE 227, 239, 249, 262 - BBC 16, 105, 111, 124f., 146, 220 - HR 246 - NBC 128 - NDR 279, 281 - Pro7/RTL/SAT1 262 - SWR 80, 82, 242, 245, 249 - WDR 242f., 249, 279 - ZDF 20f., 32, 42, 74, 199, 223, 227, 235, 239, 249, 259-263, 272 Feuilleton 19, 118, 194, 196-199, 213, 215, 282 Fiktion/fiktional 16, 21, 40, 67, 115, 127, 130, 132, 134, 136, 138, 142f., 174, 211, 215, 244, 260, 272

Europäische Union 89 Europa/Europäer/europäisch 15f., 56, 80, 87, 88-92, 106f., 112, 118f., 127, 135, 162, 170, 184, 201, 213f., 222, 227, 239, 241f., 246, 252, 276f., 278, 281f. Evaristo, Bernadine 16, 104, 107, 112-118 Evolution, menschliche 79, 86, 93f. Evolutionstheorie (s. Darwin) Exklusivrecht 20, 220, 222 Exotik 19, 32, 53, 80, 87, 107, 113, 117, 162, 169, 200f., 204, 206, 221 Experte/-nwissen 17, 42, 80, 84, 87, 96, 125, 140, 162, 169, 175, 177, 183, 187, 200, 212, 216, 223, 230, 232, 242f., 244, 246, 249f., 272, 281 Fach/Fächer/Fach- 13-19, 31f., 39, 43, 49, 52-59, 64-77, 7996, 123, 141, 154, 162-178, 184-190, 195-206, 212-216, 222-224, 229-255, 266, 272 Fakt/-izität 16, 19-21, 68, 92, 94, 108, 119, 138, 144, 187, 197, 214, 219, 223f., 230, 253, 262, 272 Faktor 56, 110, 118, 166, 168170, 215 - marktwirtschaftlicher/kommerzieller 20, 253 - Nachrichten- 18, 164-167 Fantasie 32, 59, 64, 94, 132, 212, 170, 262 Fantasy 202f. Faszination 9, 18, 32, 50, 56, 162, 169f., 175, 202, 212, 216 Fehler (s. Sachfehler)

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GESCHICHTE, ARCHÄOLOGIE, ÖFFENTLICHKEIT

Frankreich/französisch 49, 54, 135, 213, 229, 246, 254 Fund 15, 33, 35, 41f., 50, 55, 68, 71, 76, 89, 106-108, 153f., 162, 164, 169f., 175, 196f., 205, 214f., 220, 236, 240, 246f., 281 - ort/stätte 21, 32, 90, 189, 236, 246, 279 - umstände 33, 68 fungieren 51, 56, 85, 115, 187, 255, 277 Funktion (s. auch Rolle) 10, 13f., 22, 35, 39, 41, 64, 71, 76, 7986, 105, 141, 168, 172, 175, 190f., 198, 240, 245, 250f., 263, 267

Film/filmisch 11, 14, 21, 33, 4043, 56, 65-75, 88, 123-141, 173f., 181, 191, 199, 202, 221-225, 230-255, 260-273, 281f. - Antike- 16, 126f., 130, 136, 141 - Dokumentar- (s. auch Fernsehdokumentation) 17, 20, 41, 50, 219-225, 227-254, 259274 - dreh 20, 42f., 66, 124, 131, 133, 144, 220, 224, 233, 237, 254, 270 - Spiel- 14, 20f., 40f., 50, 229, 260-263, 267, 270-272 - Unterrichts- 20, 227-255 Filter/Filterwirkung 168, 191, 264 Finanzierung/finanziell (s. auch Mittel) 20, 22, 33, 53, 55, 64, 85, 97, 124, 131, 138, 154f., 163, 165, 169, 174, 182, 184, 205f., 220-225, 230, 252, 254f., 266f., 281 Forscher 11-13, 37-39, 68, 83, 92, 106, 108, 154f., 164, 170, 173, 187, 200f., 205, 228, 280 Forschung/forschen 9-16, 21f., 32, 34, 42-44, 49-55, 57, 59f., 65, 67f., 70, 76, 85, 87f., 91, 93, 95-97, 106, 109, 118f., 126, 137, 145, 154, 162, 166168, 170, 174-177, 182-184, 187, 196, 199f., 203-206, 211-214, 223-225, 228-232, 236f., 246, 248, 253, 255, 261, 264, 266, 269, 271-273, 279 Foto 17, 34, 59, 76, 86f., 105f., 152f., 154f., 174, 181, 183, 188, 190f., 197, 199, 221, 270f.

Gallien/Gallier 111, 123-126, 130, 132f., 138f. Gedächtnis/Erinnerung 15, 38, 71, 105, 110, 135f., 146, 203, 281 Gegenwart 11f., 14, 16, 19, 31f., 44, 51, 97, 104f., 109, 112, 116, 175, 201, 212, 228f., 231f., 245, 250f. Geheimnis/-voll 32, 37, 39, 41, 53, 80, 162, 169f., 185, 202, 214, 220-223, 235, 273, 281 Geisteswissenschaft/-lich 12, 59, 152, 196, 201 Geld/-er (s. Finanzierung) Genauigkeit 57, 77, 134f., 174, 213 generieren 14, 81, 85, 199, 229, 261 Genozid 91-94 Genre 66f., 196, 198f., 211, 215, 230, 237, 250, 253, 260, 267, 269

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REGISTER

152, 162, 186, 190, 195f., 199, 202, 206, 219, 245, 276 Gestaltung 10, 20, 83f., 134f., 152, 167, 173, 177, 190, 229254 Glauberg 188, 234f., 237, 246f. Globalisierung/global 111, 144, 169, 201-203, 211, 215 Gold 57, 89, 113, 130, 171, 175, 204, 236 Götter, Gräber und Gelehrte (1949) 19, 39, 212 Grab/Grab- 19, 35, 39, 53, 68, 106, 154, 170, 195, 202, 212, 213, 236, 246 Grabung (s. Ausgrabung) Graichen, Gisela 42, 235 Griechenland/griechisch 19, 35, 117, 127, 139f., 175, 201, 212, 222, 263 Großbritannien/britisch 15f., 103118, 125, 170, 215

Germane/Germanien/germanisch 12, 20, 72f., 111, 162, 212, 227, 238-249, 275-277, 282 Geschichte - (Story) 21, 41, 53, 70, 74, 87, 91, 93, 112f., 128f., 131, 140, 145, 153-155, 167, 171, 198f., 201f., 206, 221-223, 230, 239, 263, 268, 272f., 281 - (Historie/historisch) 9-22, 39, 41, 49, 52, 54f., 59, 64-69, 73, 75f., 79f., 82, 86-96, 103-119, 123, 125-127, 130-138, 142146, 151-155, 161f., 164, 182, 184, 186f., 193f., 197-206, 211, 213-216, 219, 227-233, 236-248, 251-254, 259f., 262f., 266-272, 275-279, 280282 Geschichte ganz nah. Ausgrabungen in Deutschland I (FWU, 2000) 234-238, 249 Geschichts- bewusstsein 15f., 104 - bild 244, 251 - darstellung 116, 142, 146, 228f., 231, 240, 250, 253 - didaktik 230f., 237, 253, 254 - kultur 15, 41, 104f., 111, 115119, 228, 232, 250 - popularisierung 241 - wissenschaft 16, 66, 126, 138, 142, 145, 204, 219, 228, 231233, 250, 254 - wissenschaftler 37, 41, 43, 52, 116, 123, 126, 154f., 212 Geschlechter-/geschlechtsspezifisch 15, 80, 86, 88, 124, 145, 183, 186 Gesellschaft/-lich 13, 15, 17-19, 22, 33-35, 41, 43f., 50f., 7997, 103f., 111-120, 124-146,

Hadrianswall 106, 108, 110, 115 Handlung (s. Plot) Held 37-41, 110, 114, 127, 129, 135, 173f., 202, 212, 221, 262, 272, 282 Hermann der Cherusker (s. Arminius) Hermannsdenkmal 276-280 Hermannsschlacht (s. Varusschlacht) ›Himmelsscheibe‹ von Nebra 33, 188 hinterfragen 15, 57, 119, 141, 172, 178, 197, 267 Hintergrund 13, 20, 75, 89, 91, 112, 153, 214, 237, 262 Hisarlik (s. Troja) His Prehistoric Past (USA 1914) 67, 73

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GESCHICHTE, ARCHÄOLOGIE, ÖFFENTLICHKEIT

190, 220, 229, 230f., 250, 255, 280 Institutionalisierung 16, 119, 228 Instrumentalisierung 15, 40, 85, 96f., 166, 178f., 204, 276 Inszenierung 32, 36f., 50-53, 74, 76, 127, 132, 141f., 174, 202, 237, 244, 252, 267 intellektuell 19, 59, 140, 152, 200, 213 Interesse 9, 13, 18-22, 31f., 43, 50, 80, 82, 85f., 91, 103, 106, 112, 119, 153, 162f., 165, 168, 174, 176, 183, 187, 194, 199, 201, 204, 206, 228, 230, 239, 251, 261f., 266, 277, 279, 281f. Internet 19, 32, 59, 72, 75, 84, 86f., 89, 94, 105, 109, 151f., 168, 178, 182, 189-191, 195, 198-200, 203, 211, 229, 242, 255, 279 Interpretation 14, 65, 70, 77, 92, 166, 201, 238, 276

Historie (s. Geschichte) Historiker (s. Geschichtswissenschaftler) Höhle/-n 67, 72-74, 86-88, 240 - forscher 68 - mensch 73, 79f. Hollywood 21, 262, 267 Homer 193-195, 198, 203, 213, 259-273 Honorar 190, 221 ›Ida‹ 220, 223 Ideal 57, 60, 173, 196, 201, 214, 214f., 225, 254 Identifikation 89, 91, 103, 110, 114, 129, 189 Identität 12, 15, 59, 65, 80, 8891, 95, 104, 109, 112, 116, 119, 128, 214, 276, 279 Ikone/Ikonograhie 69, 71-73, 105f., 109 Illustration 72, 77, 107, 124, 143, 270 Imperium Konflikt Mythos. 2000 Jahre Varusschlacht (Haltern, Kalkriese, Detmold 2009) 275-282 Indiana Jones 21, 40, 53, 173, 202, 219-225 informieren 14, 17f., 20f., 51, 64f., 73, 80-85, 97, 109, 129, 140, 143, 152-155, 168-178, 181-191, 200, 231-252 Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (FWU) 227-255 Institut für Weltkunde in Bildung und Forschung (WBF) 227255 Institution 10, 12, 57, 85, 88, 104f., 142f., 155, 168, 185f.,

Journalismus/Journalist 10-19, 50, 81-97, 151-155, 161-179, 188, 193-205, 212, 221-225, 265, 279, 281 Jubiläum 21, 65, 110, 215 Kalkriese 10, 21, 205, 240, 277281 Kanon 188, 200, 214f., 230 Keith, Arthur 70 Kelten/keltisch 12, 20, 55, 64f., 129f., 162, 170, 188, 233-239, 245-249 Keule 14, 64f., 67, 70-75 Kino 40, 67, 126, 135f., 174, 221 Kleopatra 127, 135f., 195 Klimawandel 91f., 153

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REGISTER

Krimi/-nal- 39, 53f., 128, 215 Kriterium/Kriterien 17-20, 79, 85, 95, 154, 164-173, 195f., 214, 231-234, 246, 255, 264f. Kritik/kritisieren 10f., 14-20, 31, 51f., 57, 60, 82, 84f., 103f., 108, 113, 118f., 127, 133, 145, 152, 155, 163, 166, 170, 178f., 196, 200, 206, 232f., 237, 240, 251, 264f., 281 Kupka, František 70 Kulisse 15, 80, 88, 95, 146, 262 Kultur/kulturell 11f., 14-16, 20, 32f., 40f., 51, 53f., 59, 64, 67f., 70, 74f., 88-92, 104f., 107, 110f., 113, 115-119, 127, 135, 137, 152, 154, 162, 166f., 169, 181-183, 190, 196f., 200-206, 213, 220, 228-230, 232, 237f., 242, 245f., 250f., 266, 276, 279, 281f. Kunst 17, 32, 67f., 92, 114, 128, 132, 146, 162, 168, 204, 206, 213f., 219, 260, 262, 266f.

Klischee (s. auch Stereotyp, Topos) 11, 13-15, 20, 22, 33f., 40-42, 49, 51-59, 64, 68, 7376, 172, 176, 194, 200, 204, 215, 221, 224, 229, 236-241, 251, 253 Kommerz/-ialisierung 17, 20, 33, 40, 219f., 222, 225, 251 Kommunikation 17f., 22, 41, 51f., 54, 82f., 105, 164, 166168, 176, 178f., 181, 190, 251, 254, 266 Kompetenz 123, 195, 200, 206, 215, 232f., 266 Komplexität 18, 64, 111, 129, 145, 152f., 162, 211, 230, 232, 238, 263, 266 Konkurrenz 17, 20, 84f., 135, 152, 166, 174, 181, 196-198, 204, 220, 229f., 250, 252, 267, 273, 278 Konstrukt 10, 15, 17, 40, 70-76, 85, 93, 103-118, 229, 232, 236, 247f., 251, 254, 279 Konsum 53, 153, 174, 183, 189 Kontext/-ualisierung 15, 53, 8286, 91-93, 96f., 104, 106, 110, 154, 168, 178, 189, 205, 232, 234, 238, 240, 243, 245f., 249, 251 Kontinuität 14, 74, 118f., 166f. Kontroverse (s. Debatte) Konzept/-ion 22, 74, 83, 93, 124, 128, 167, 187, 231, 233, 281 Kooperation 11-13, 20, 17f., 65, 81, 96f., 124, 151, 153, 155, 163, 179, 185f., 191, 203, 248, 253f., 278, 281 Korrektheit 18, 65, 71, 73, 95, 117-119, 153f., 173, 221, 235, 238, 266 Kosten (s. Finanzierung)

Laie 13, 35, 37, 59, 64, 76, 84, 109, 162, 172, 175, 187, 200, 213, 215f., 254, 264, 279f. Langlebigkeit 14, 74, 76 Lartet, Edouard 68 Leben - prähistorisches 64, 74, 80 - (all)tägliches 81, 119, 190 - swelt/-lich 11, 14, 17, 37, 63, 65, 110, 115, 117, 228f., 231, 236, 251 lebendig 53, 233, 239, 250, 252 Legende/legendär 53, 76, 190, 205, 214, 273

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GESCHICHTE, ARCHÄOLOGIE, ÖFFENTLICHKEIT

Markt 19f., 32, 42f., 83, 113, 151f., 174, 183f., 206, 211215, 219-222, 225, 229-231, 252 - angloamerikanischer 19, 215 Massenmedien/Massenpublikum 13, 32, 215, 230, 250f. Medialisierung 33, 36, 84 Medien 9-22, 33-35, 40-43, 4951, 54, 60, 64-66, 70, 79-86, 88, 91-97, 104f., 109, 135, 151-155, 163-169, 172-178, 181f., 188-191, 194f., 197, 199, 202, 204f., 219-223, 228-234, 237, 245, 250-253, 255, 266, 275, 279, 281f. Meinung 37, 96f., 198f., 221 - öffentliche 224 - politische 84, 86, 95 - sbildend 111 Methode/methodisch (s. auch Arbeitsweise) 9, 19, 57, 59, 194f., 198, 200f., 204, 206, 214, 229, 231, 273 - archäologische/wissenschaftliche 49, 54, 56, 194, 196, 205, 236-238, 246 Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit (1959) 212 Mittel 9, 141, 201, 232f., 241, 251f., 267, 273 - finanzielle (s. Finanzierung) - öffentliche 154, 266 - staatliche 254 Mittelalter 65, 213, 276 Mittler (s. Vermittlung) Motiv - Bild- 14, 16, 71-75, 127, 260, 270 - Erzähl- 14, 16, 21, 51f., 54, 68, 73, 266

Legitimität/legitim/Legitimation 12, 85f., 95, 133, 138, 143, 161, 166, 174, 267 Lehre/Lehr- 37, 44, 96, 271 - amtsstudium 229 - buch 135 - film 230f., 233, 254 - plan 229, 231, 233-235, 242 - stuhl 64, 200, 205 lernen 87, 124f., 133, 152, 178, 202, 225, 229, 231f., 236, 251, 253, 262 lesen/Lese- 37, 89, 94, 112, 152, 174, 191, 198 - verhalten 198, 212, 229 - swert 42, 184 Leser 17-19, 36, 39, 82, 86-88, 109, 112-114, 117f., 145, 152-155, 162f., 167, 169f., 172-174, 177f., 182-191, 194, 196-200, 212-216 - Blatt-Bindung 183 - umfrage 185 - zahl 186 Limes 212 Literatur/literarisch 39f., 50, 70, 72f., 76, 114, 117f., 129, 139, 216, 231 Living History 76 Living Science 80 London 16, 36, 70f., 107-117 Longseller 212 Macht/mächtig 14, 16, 83f., 115, 127, 129f., 137, 142f., 145, 167, 170f., 215, 263, 266, 273 Magazin 17-19, 42, 80, 91f., 151153, 171-174, 181-190, 195197, 222, 269, 279 Marginalisierung 206 Marketing 21, 178, 278f., 281

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REGISTER

Personalisierung 17, 145, 167, 230f. Perspektive (s. auch Sichtweise) 12f., 15, 17, 19, 21, 85, 91, 96, 108, 123, 130, 195, 203, 205, 221, 232, 242, 244-246, 251, 254 Phantasie 32, 59, 64, 94, 132, 212 Plot/Handlung 40, 42, 74, 114, 131, 231, 244 Politik/-er 16, 21, 81, 84, 88f., 91, 95, 104f., 108f., 112, 137f., 143, 145, 165-168, 172, 179, 190, 196, 201, 206, 214, 220, 280 Popularität/populär/Popularisierung 10-19, 31-44, 50f., 6473, 81f., 91, 103-117, 127f., 135f., 142, 145, 151, 154, 163, 168f., 172f., 177f., 181185, 194, 199-206, 213, 215, 223f., 228-232, 236f., 240f., 245, 250f., 253, 260, 273, 275, 279, 282 Prähistorie/Prähistorische Archäologie 32, 52f., 59, 64, 66-69, 76, 80 Prähistoriker (s. auch Archäologe) 43, 82 Präsentation/präsentieren (s. auch Darstellung) 10-12, 14, 20, 32, 37, 50, 53, 67f., 71-75, 85f., 88-95, 104, 106, 112, 117, 126, 128, 145f., 181, 197, 213, 215, 222, 228-234, 237, 278 Presse (s. auch Zeitung) 14, 32, 36f., 50, 81, 92, 105, 153, 162, 189, 195, 199f., 203f., 224, 229, 273, 279, 281 Problem/-atisch 12f., 15f., 20, 22, 36, 51f., 59, 74, 77, 83, 85,

- (Motivation) 14, 55-59, 172, 202, 206, 252 Mortillet, Gabriel de 68 Multiperspektivität 15, 93, 96, 230, 232f., 251 Museum (s. auch Ausstellung) 16f., 21, 38, 53, 67f., 70, 89, 107, 110, 117f., 155, 162, 196f., 203f., 220, 277f., 281 Mythos/Mythen- 14, 18, 55, 75f., 127f., 162, 169, 194, 259-261, 263, 272-282 Nachrichten 19, 33, 50, 80, 87, 91, 165, 167, 171, 193f. - auswahl 165, 195 - faktor 18, 164-167 - wert 164, 166, 168f., 174, 237 Nachweis/-en 51, 75, 106, 109, 137, 145, 205 Narrativ/-ierung 16, 107f., 110, 113, 118f., 129, 145, 232, 244f. National Geographic 17f., 33, 153, 155-160 Nationalsozialismus 96, 245 Neandertaler 56, 70-75, 79, 8894, 169, 248 Neugier/-ig 189f., 214, 263 Niveau 59, 152, 261, 270 Nutzen 15, 65, 73, 80, 132, 151, 191, 234, 246 Öffentlichkeit/öffentlich 10, 1216, 18, 20f., 31-37, 40, 43, 49-60, 63-77, 81-86, 91, 95f., 103, 105, 108, 113, 154f., 162f., 170, 174-177, 190, 206, 213, 219-224, 228, 232f., 254, 266, 276-282 Pharao 32 , 80, 169, 220, 223

299

GESCHICHTE, ARCHÄOLOGIE, ÖFFENTLICHKEIT

200, 204, 212, 234, 246, 248, 251, 253, 255 - skriterium 154, 178 Quality Drama 128f. Quelle 82, 85, 109, 134, 136, 139, 151, 204-206, 212f., 232, 238-241, 243, 247f., 251 Quote 20f., 32, 85, 91, 153f., 198, 202, 220f., 230, 237, 240, 261, 272

93, 103, 105, 132, 134-136, 138, 145, 153, 163, 166, 177f., 182, 195, 199f., 202, 212, 214, 220, 222-225, 228, 231, 233, 237-241, 246f., 251-253 Produkt 11, 17, 152, 174f., 178, 193, 222, 224, 229-231, 234, 242, 250-253, 255, Produktion 10, 20, 66f., 71, 125f., 164, 170, 183, 200, 220, 230, 233f., 237, 242, 254, 261f., 267, 270, 272 Produzent 12, 20, 43, 70, 73, 85, 124, 131, 163, 165, 221, 230, 233f., 236, 253, 262 Programm/-ierung 20, 80, 104, 109, 112, 128, 136, 151, 220f., 227, 236, 238, 244, 252, 261f. Projektion 16, 112f., 118, 137 propagieren 16, 68, 88, 104, 112, 119, 178, 191 Publikation (s. auch Veröffentlichung) 13, 22, 36, 39, 68f., 91, 224 Publikum 10f., 17-22, 32, 39, 41, 43, 52, 59f., 75f., 82, 85f., 91, 95, 97, 117f., 124, 127-129, 137f., 142, 145f., 165, 167, 177f., 182-185, 191, 197-200, 202f., 205, 215f., 221-223, 230-232, 234, 236, 238, 251, 260-266, 279 - serwartung 68 - swirksam 53, 224

Radio/Rundfunk 32, 80, 86, 89, 124, 151, 178, 181, 223, 246, 279, 282 Rätsel 36f., 39, 57, 169f., 273 Realität/real/-istisch (s. auch Wahrheit, Wirklichkeit) 40, 50-52, 54, 60, 64, 85, 127129, 138, 164f., 167, 232, 262f., 276 Recherche 15f., 18, 59, 87, 95, 97, 108f., 135, 137, 153f., 178, 194, 224, 237 Redakteur/Redaktion/redaktionell 17-20, 22, 81f., 152, 154, 164, 168-170, 175, 185-191, 193197, 219, 221f., 254, 263 Reduktion 14, 20, 64, 75, 81, 145, 152, 154, 164f., 177, 188, 229, 231, 245-251 Reenactment 236, 239-242, 244, 249, 267, 270 Regie/Regisseur 11, 56, 73, 235, 238 Rekonstruktion 70-76, 229, 232, 236, 247f. Relevanz 12, 17f., 43, 59, 80-97, 153, 155, 163-175, 191, 193, 196, 232, 235 Religion 171, 200, 202f., 206 Reportage 50, 151, 173, 176, 196, 198, 212

Qatna 196f., 204 Qualifikation 214, 266 Qualität/qualitativ 15, 17f., 96f., 151f., 178, 190, 194f., 198-

300

REGISTER

Science-Fiction 66, 202 Sender (s. Fernsehsender) Sendung (s. Fernsehsendung) Sensation/-ell 18, 42, 56, 80, 154, 165, 168f., 175, 188, 193, 206, 215, 236 Septimius Severus 108-110, 113f., 116 Serie (s. Fernsehserie) Sichtweise (s. auch Perspektive) 10, 16, 43, 51, 57, 80, 84f., 95, 130, 133, 138, 144, 163, 166, 168, 170, 173, 176, 214, 236f., 246f., 250-252, 254, 276 Skythe/skythisch 32, 42 Soap 123-149 - Soap Opera 128 - Doku-soap 80 - Quality Soap 128f., 137, 145, 202 sozial-/sozio- 16, 55, 80, 88f., 95, 104-106, 110, 113, 117, 128, 133, 135f., 139, 145, 154, 168, 195f., 201, 205 Soziologe 40, 84 Spannung/spannend 17, 21f., 39, 57, 118, 128, 170, 177, 179, 188f., 214, 221, 230, 236, 238, 240, 253, 272 Spaten 13, 31-38, 43, 50 spektakulär 35, 53, 126, 130, 132, 154, 196, 205, 220 Spezialist/spezialisiert (s. Experte) Spielfilm (s. Film) Sponsor/Geldgeber 64, 124, 222 Standard 200, 233, 252, 255, 262, 278 Steinzeit 14, 21, 32, 56, 64-75, 79f., 86f., 90-92, 169, 237f. Stellvertreter 14, 64f., 71-75

Rezeption/Rezipient 17, 69, 82, 84, 117f., 136, 152, 165, 167f., 175, 178, 181, 186f., 189, 196, 215, 273, 276, 278 Rolle (s. auch Funktion) 12-18, 38, 42f., 51, 65, 67, 81-85, 87f., 96, 104, 110, 116, 127, 135, 140, 143, 163, 165, 168, 176f., 183, 193, 199f., 202f., 213, 223, 244, 251, 263 Rom/römisch 12, 15f., 19, 53, 56, 66, 103-118, 123-146, 162, 175, 201, 205, 212f., 216, 236, 238, 240, 242, 244f., 248, 254, 275-277 Rome (BBC, 2005/2007) 16, 124146, 202 Sachbuch 14, 17, 19, 21, 39-41, 211-216, 229, 279 Sachfehler 20, 54, 65f., 72, 126, 154, 174, 184, 205, 224, 237241, 251f. Sachkenntnis/sachgerecht 59, 213, 230, 237, 240 Sammlung/Sammler 18, 39, 42, 52f., 55, 69, 135, 88, 106, 126, 136, 162, 243, 260, 265, 269 Schatz 32, 34, 36, 38f., 42, 53, 80, 171, 202, 204, 206, 214, 225 - suche/sucher 18, 21, 34, 37, 40, 55f., 162, 201, 215, 221, 236, 280f. Schlagzeile 87, 92, 214 Schliemann, Heinrich 13f., 3143, 55, 64, 199, 212, 221, 261, 264, 272f. Schule/Schüler 20, 37, 88, 119, 152, 185, 203, 215, 228-254, 267

301

GESCHICHTE, ARCHÄOLOGIE, ÖFFENTLICHKEIT

Trojanisches Pferd 132, 259-263, 267, 273 Türkei/türkisch 36, 89f., 281 TV (s. Fernsehen)

Stereotyp (s. auch Klischee, Topos) 11-14, 32-34, 40f., 64, 71, 74, 76, 88, 105, 124, 167 Stonehenge 169, 237 Story (s. Geschichte) Strategie 170, 231, 263, 272 Streit (s. Debatte) Sturm über Europa (ARTE/ZDF, 2002) 227, 239-242, 246, 249, 252 Symbol/-isch 55, 71, 94, 127, 202, 276

Ungenauigkeit 134, 174, 266 Universität/universitär 11, 19, 40, 44, 83, 96, 152, 170, 177, 185,187, 229, 254, 264, 266 Unterhaltung 17-19, 21f., 41, 71, 80, 88, 94, 116, 146, 151, 153, 172, 174, 177, 182f., 202, 206, 212, 215, 221, 230, 260, 262, 272 Unterricht 20, 42, 201, 227-255 Ur- und Frühgeschichte 9, 15, 41, 55, 68, 79f., 86, 88, 90f., 95f., 119, 184, 227, 229, 233, 237f., 240, 248, 255 Urmensch/Frühmensch/Steinzeitmensch 14, 66, 69-74, 80, 161, 169

Terra X 32, 199, 223 The Emperor’s Babe (s. Evaristo) Thema/-tik/-thisierung/Themenfindung 9-21, 31-44, 50, 57, 63-67, 70, 74, 79-97, 105f., 108, 112-116, 134, 141, 151155, 162-177, 182-191, 193206, 212-215, 221, 224, 227255, 260-263, 275-282 These/Hypothese 14, 19, 70, 77, 80, 86, 91-95, 144f., 167, 173, 181, 197-200, 203f., 214f., 221, 263-266 The Three Ages (USA 1923) 66f., 74 Thomsen, Christian J. 67f. top-down-Prozess 82 Topos (s. auch Klischee, Stereotyp) 37, 39, 41, 68, 73, 113, 129, 239 Tradition/-ell 12, 16, 68, 74, 85, 91, 136, 142, 151, 191, 197, 199, 214f., 222, 229, 245 Traum 14, 32, 57-60, 88, 115, 133, 202, 260 Troja 13, 20f., 35-37, 169f., 173, 194, 213, 259-273, 281 Troja. Die wahre Geschichte (ZDF, 2002) 20, 259-272

Vandalen 31, 197, 203f. Validität/Validierung 85, 87, 91 Varusschlacht 21, 65, 194, 205, 215, 234-239, 242, 244f., 249, 275-282 Vercingetorix 129f. Vereinfachung (s. Reduktion) Vergangenheit 10-16, 21, 31-36, 39, 50, 53, 56, 59, 64f., 74, 76f., 91, 112, 119, 138, 162, 164, 178, 201, 227, 229, 232, 236 verkaufen 18, 20, 80, 138, 151, 153, 163, 169f., 173f., 184, 212, 222, 225 Vermittlung/vermitteln 12, 14, 18, 41, 51-53, 56, 60, 81f., 85, 104, 131, 145, 163, 177f., 182, 184, 191, 197, 211, 214,

302

REGISTER

Wirtschaft/-lich 17, 21, 83f., 104, 115, 138, 152f., 165, 167, 181-184, 190, 205, 229, 251253, 255, 276, 280 Wissen 10-12, 16, 19, 21, 42, 67, 81, 84-86, 88, 108, 117, 142, 154, 177f., 187f., 194, 196, 200, 205, 228f., 237, 246, 250f., 263, 282 Wissenschaft/-ler/-lich (s. auch Akademiker/akademisch, Universität/universitär) 9-22, 33-44, 49, 51, 53-59, 64-77, 81-95, 105, 108f., 111f., 118f., 123, 126, 138, 142, 145, 151-155, 161-178, 181191, 193-206, 211, 214, 216, 219-225, 228-255, 260, 262273 - sjournalismus/-sjournalist 82, 163, 170, 173, 177, 196

222, 228, 230, 241, 250f., 253, 260, 263, 273 Veröffentlichung/veröffentlichen 36, 49, 64, 68-70, 76, 92, 107f., 116, 164, 168, 177, 223f., 229 Verständlichkeit 64, 141, 154, 178, 250, 266, 272 Visualisierung 76f. Verzerrung/verzerrt 49f., 52, 55, 59f., 111, 163, 165f., 177 Völkermord (s. Genozid) Völkerwanderung. Kimbern, Varusschlacht und Angelsachsen (FWU, 2002) 239-241 Völkerwanderung/-szeit 197, 227, 239, 249, 252, 276 Vorkenntnisse 165, 236, 238, 262 Vorstellung (i.S.v. Vorstellungsbildern) 13f., 16, 33, 35, 40, 51-59, 65, 72, 75, 81-84, 89, 94, 127, 133, 135, 145, 154, 163, 166, 172, 194, 222, 229, 232, 240, 247f., 254

Zeitgeist 14f., 77, 97, 279f. Zeitschrift 17f., 21, 41, 43, 49, 68, 70, 126, 151-153, 163f., 169, 172, 181-191, 211, 279 Zeitung (s. auch Presse) 17, 19, 21, 33, 36f., 41, 43, 81f., 92, 109, 154, 169f., 172, 175, 194-206, 215, 282 Zielpublikum (s. auch Altersgruppe) 52, 86, 91, 97, 128, 163, 165, 183, 229, 233, 250, 253 Zusammenarbeit (s. Kooperation) Zuschauer 20f., 32, 42, 53, 82, 86, 112, 126f., 130-133, 135, 144, 162, 199, 220, 224, 227, 230, 236f., 240, 244, 251, 262-273 Zwang 11, 20, 54, 128, 173f., 224 Zweitverwendung 20, 238, 248f.

Wahrheit/wahr (s. auch Realität, Wirklichkeit) 21, 65, 68, 81, 133, 165, 169, 172, 174, 221, 260, 262f., 268, 272f., 279, 281 Wahrnehmung 11f., 32, 43, 64, 70, 83f., 86, 95, 168, 194, 204, 279 Web (s. Internet) Werbung 33, 82, 128, 152f., 155, 182, 216, 273, 278f., 281 Wiederauflebenlassen 14, 51, 53 Wirklichkeit/wirklich (s. auch Realität, Wahrheit) 21, 41, 73, 77, 132, 138, 142f., 145, 195, 262f., 268, 272f.

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Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen/ History in Popular Cultures Barbara Korte, Sylvia Paletschek (Hg.) History Goes Pop Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres 2009, 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1107-6

Eva Ulrike Pirker, Mark Rüdiger, Christa Klein, Thorsten Leiendecker, Carolyn Oesterle, Miriam Sénécheau, Michiko Uike-Bormann (Hg.) Echte Geschichte Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen Mai 2010, 318 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1516-6

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