Georg von Vollmar; eine politische Biographie.

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Beiträge zu.r Geschichte des Parlamentarismu s und der politischen Parteien

Band 13

Reinh ard Janse n

Georg von Vollmar Eine politische Biographie

Herawgegeben von der Kommi!J ion für Gachiclale du Parlarrun larnmus und der politischen Parteien

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VERL AG.

DOS SELD 0RF

Buchauutauung: JOHANNES MÜHLE

©

Kommiaion für ~cht.e de, Parlamentari.,mu, und der politiachen Parteien in Bonn 1958 ~,a.mthent.ellu.og: Dro1t.e Verlag und Druckerei GmbH, Dü.aaeldorf

Printed in Germany

Vorwort Mit einer Biographie einen Beitrag zur Geschichte einer proletarischen Klassenpartei leisten zu wollen, mag vielleicht zunächst befremden. Ich bin jedoch der Meinung, daß das Wachstum und die Politik der Sozialdemokratie in Bayern vor dem ersten Weltkrieg ohne eine Berücksichtigung ihres bedeutendsten Führers gar nicht verstanden werden kann. Die vorliegende Studie stützt sich in der Hauptsache auf das Material des Vollmar-Nachlasses im Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam. Zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Geschichte des Sozialismus wurde ich durch ein Seminar von Herrn Professor Dr. Richard N ürnherger in Bonn angeregt. In Amsterdam stand mir bei der schwierigen Auswertung des völlig ungeordneten Nachlasses Herr Wemer Blumenberg, der Leiter der Deutschlandabteilung des genannten Instituts, stets hilfreich zur Seite. Diesen beiden Herren sowie all denen, die mich darüber hinaus mit Rat und Tat unterstützten, zu danken, ist mir eine angenehme Pflicht.

Reinhard Jana«m

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Einleitung In den Kommentaren und Personenverzeichnissen der vom Moskauer Marx• Engels-Institut herausgegebenen Schriften wird Georg von Vollmar der Führer der deutschen Revisionisten vor dem ersten Weltkrieg genannt'). Wenn auch wie noch zu zeigen sein wird - Georg von Vollmar wenig zu tun hatte mit den auf eine systematische Revision der theoretischen Gruncllagen der Sozialdemokratie bedachten Kräften, die in vorliegender Studie unter Anleh.nung an die Arbeiten von Karl Friedrich Brockschmidt und Erika Rikli 2) als die Träger des eigentlichen Revisionismus angesehen werden, so hat das Moskauer Institut jedoch völlig recht, wenn man zu den „Revisionisten" auch die unsystematischen Opportunisten und sozialistischen Praktiker zäh.lt. Georg von Vollmar war der erste deutsche Sozialdemokrat, der weith.in hörbar dafiir eintrat, daß die Partei unter Hintanlassung aller Ressentiments sich auf den Boden der politischen Wirklichkeit zu stellen habe. Vollmar war ein Mann der Praxis. Er brachte nur wenig Verständnis fiu politische Theorien auf, denn ihm lagen Abstraktionen fern, und er lebte ganz in einer Welt des Anschaulichen. Obwohl er ununterbrochen 45 Jahre lang in der Sozialdemokratie tätig war und stets in amtlichen Dokumenten die Berufsbezeichnung „Schriftsteller" angab, ist die Gesamtzahl der von ihm verfaßten Artikel und Broschiiren recht gering, während viele der sozialistischen Führer dieser Zeit und erst recht die Theoretiker eine Unzahl von teilweise recht umfangreichen Büchern, Broschüren, Aufsätzen und dgl. sch.rieben. Vielleicht ist es auf diesen Umstand zurückzuführen, daß Vollmars ganz aus dem Rahmen des Herkömmlichen fallende Gestalt bisher kaum eine Würdigung erfahren hat. Die Kompendien der allgemeinen politischen Geschichte der Vorkriegszeit erwähnen durchweg nur seine programmatischen Reden aus dem Jahre 1891. Franz Mehring widmete seinem süddeutschen Parteigenossen in der bekannten „Geschichte der deutschen Sozialdemokratie" ein eigenes Kapitel über die ,.bayerische Eroberung". Seiner Arbeit, die im wesentlichen mit dem Jahre 1890 en~~ liegen z. T. Auskünfte durch Vollmar und dessen Gattin zugrunde3). Alwin Saenger, ein politischer Schüler und Freund Vollmars. plante eine umfassende politische Biographie. Einen ersten Niederschlag fand seine Absicht 1 ) Vgl. Lenin, W. I. ,.Sämtliche Werke" Wien-Berlin 1929 ff., Bd. 12. S. 675, aber auch Bd. 4/2, S. 4 71; Bd. S, S. 602; Bd. 6, S. 627; Bd. 7, S. 675. _•) K'. F. Brocluchmidt, ,.Die deutsche Sozialdemokratie bu xum Fall des SozialistengeseUes-, phil. DISS. Frankfurt 1929; Erika Riltli, .,Der Revisioiu.unt.ü'\ Zürcher volbwiruch.aftliche Forschungen, Bd. 25, Zürich 1936. ') Vgl. Propyläen-Weltgeschichte Bd. 8: Heinrich Herkncr, .,Volkswiruc..haft und Arbeiter• bewegung 1850-1890", S. 445; Bd. 10: Erich Brandenburg, ,,Die Jahnehnte vor dem Enteo Weltluieg", S. 158 - Veit Valentin, ,.Geschichte der Dcuuc..hen-, Berlin 1947, S. 579 - Gebhardts „Rnn~buch_ ~er deuuchen Geschichte·', 7. Aufl. Stuttgart/Berlin 1931, Bd. 2: Georg Schuster, ,.Die politischen P11.rteien", S. 493 - Mehring, .,Geacluchte der deuuc..hen 5osial. demokralie·•, 2. Aufl. Stuttgart 1903, Bd. 2, S. 252-260.

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in einem Artik wie schwer es sei, .,standesgemäß" zu leben. ,,Standesgemäß" sollte auch die Erziehung sein, die Anton von V ollmar seinem einzigen Kinde angedeihen lassen wollte. Daher schickte er seinen Sohn im Alter von neun Jahren auf die vorwiegend dem Adel vorbehaltene Benediktinerschule von St. Stefan in Augsburg. Viele seiner Mitschüler wurden später Geistliche, und als frischgebackener Sozialist hat V ollmar über den streng kirchlichen Geist dieser Lehranstalt einmal 1) Vom Verf. gesperrt. 1) Vgl. Alwin Saenger• .,Deuuches Biographiachea Jahrbuch·• 1922. S. 2'7~189. 1) Tauf1chein der Stadtpfarrkirche :ru Miesbach FoL 24, Pag. 81. Auf.tchlußreich für Charakter iat der Briefwechael mit ihrem Sohn u.od ihru Schwieaertochw.

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bekannt 1) I reiferen Jahren hat er sich jedoch gerne zu dieser Schule . . gespöttelt . n 2 und die Traditionsgemeinschaft mit ilu gepßegt ), deren humamst 1sche Weite 3 Ludwig Curtius in seinen Lehenser inne~gen _ lobt ). Wie viele seiner Verwand ten entschied sich Georg von Vollmar für den Offiziersbemf und trat im Alter von noch nicht sechzehn Jahren als Fähnrich bei den Kürassieren ein. Beim Ausbmch des Krieges zwischen Preußen und Österreich wurde er als Leutnant zur lnfanterie versetzt. Er nahm am Feldzug teil, kam aber nicht ins Gefecht4). Da der junge Offizier am Dienst bei der Fußtruppe keinen Gefallen fand, verließ er aus Eigensin n im Jahre 1867 seine Einheit, ohne erst abzuwart en, bis der erbetene Abschied ihm gewährt worden "·ar5). Auf einer Veransta ltung des katholisc hen Gesellenvereins in München kam er bald mit einem Offizier aus der Freiwillig entruppe zusamme n, die dem Papst im Kirchens taat diente. Abenteue rlust und religiöse Begeister ungsfähig keit bewogen den jungen Vollmar, diesem Offizier nachzuei fern und in die Fremden legion des Heiligen Vaters einzutret en. Viele Jahre später hat Vollmar geschilde rt, wie das Erlebnis des völlig zerrüttete n Kirchens taates, dessen Geschick in den Händen eines habgierigen Klerus lag, eine latente Glaubens krise in ihm zum Durchbruch kommen ließ: ,,Wir hatten uns gefeierte Glaubens helden zu werden gedünl-t und sahen uns nun als geringgeschätzte Schergen der Tyrannei , ohne den in unserer Verblendung freiwillig übernomm enen Dienst so leicht wieder von uns werfen zu können." Fieberkra nk und innerlich der Religion seiner Kindheit schon weitgehend entfremd et, gab er nach elf Monaten den Dienst im Solde des Papstes wieder auf, nachdem er die Ausführu ng eines von den päpst9 lichen Behörden erlassenen Hinriehtungsbefehls verweigert hatte ). In MQnchen besuchte er nun kurz das Polytech nikum und trat dann in den Dienst der bayerischen Verkehrs anstalten ein, um wie sein Vater Staatsbe amter zu werden. In dieser Zeit verfaßte er das oben erwlhnte und zitierte Manuskr ipt. Bei aller Abneigung gegen Preußen und gegen einen Konflikt mit Frankrei ch hatte er aber dort geschrieben: ,,Wenn Deutschla nd als solches angegriffen wird, dann wird der Bayer und der Süddeutsche nicht fehlen ... " Die Welle der patriotischen Gcfo.hi.crhebung, die den Ausbruch des Deutsch- Französis chen Krieges begleitete, riß auch ihn vollends mit. Seine Meldung als Freiwilliger für die Truppe wurde nicht angenommen, da er drei Jahre zuvor den Dienstdis ziplinwidrig verlassen hatte. Auf sein Dringen hin wurde er aber als höherer Beamter

s.

1 ) Vgl. Georg von Vollmar, "Gerechtigkeit in Rom" in ,,Die Gartenlaube", 1879, S. 6' ff. ') Vgl. I..ijo Brenww, ,.Mein Leben", S. 169. ') Vgl. Ludwi« Curtiua, ,.Deuuche UDd utike Welt", S. 86 ff. ') Ein kunel Kriept.agebucb befindet lieb im V.A. ') Vgl ,.BeriiDer Volublau„ 21. Juuar 1885, lit. bei K.ampfrmoyer• .. Georg VOD VOIlmar..• 3. ') Vgl. "Gerechtig keit in Bom", a.a.O.

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iu den Dienst der Feldeisenbahn berufen. Im Januar 1871 rückte er aus. Bereits am 29. Januar wurde er heim Überfall auf Blois durch einen Schuß ins linke Schienbein schwer verwundet, lag zwei Tage ohne Hilfe in einer Scheune und erlitt heim Abtransport überdies noch eine schwere Rilckenmarkverletzung, weil unter der Last seines beinahe zwei Meter langen Leibes die Tragbahre zusammenbrach. Als man den gerade Volljährigen aus dem Staatsdienst entließ, war er ein Krüppel, der sich mühselig auf zwei Krücken vorwärtsschleppen mußte. Jahre fast ununterbrochener Krankheit brachen nun für ihn an. In Bildern des In- und Auslandes suchte er Linderung seiner Leiden, soweit das seine kleine bayerische Leibrente erlaubte, die erst später vom kaiserlichen Dispositionsfonds übernommen wurde. Mit seiner Mutter zog er 1872 nach Miesbach in deren Heimat 1).

2. Aufstieg zum Parteiführer Aus einer Reihe von Darstellungen, die z. T. wohl auf Äußerungen Vollmars selbst zurückgehen, könnte man den Eindruck gewinnen, als ob Georg von Vollmar auf dem langen Krankenlager durch Beschäftigung mit naturwissenschaftlicher, philosophischer und volkswirtschaftlicher Literatur sich zum Sozialismus bekehrt habe2). Dieser Meinung kann jedoch kaum zugestimmt werden. Bei der innigen Verflechtung von Weltanschauung und Gesellschaftsbild, die den katholischen Raum beherrscht, mußte die Erschütterung der Glaubensgrund.lagen bei einem denkenden jungen Mann wie Vollmar notgedrungen zu einer Entfremdung vom monarchisch-konservativen Staat führen. Wohl legte ihm dann in den Jahren 1869/70 sein bayerisches Heimatgefühl noch einmal ein taktisches Zusammengehen mit der „patriotischen" Partei nahe, aber bereits zu dieser Zeit zeigte er reges Interesse für die Ziele der jungen Arbeiterbewegung und weilte unter der Schar der Zuhörer, die August Bebel bei seinem ersten Auftreten in München umgab3). Von Anfang an scheint seine Sympathie nicht den Lassalleanern, sondern der sich erst langsam von der V olk.spartei lösenden sozialdemokratischen Arbeiterpartei gegolten zu haben. Schon im J ah.re 1869 betrachteten ihn die Münchener Sozialdemokraten als einen der ihren"). 1) Vgl. Kampffmeyer, a.a.O., S. 9 . . •) Vgl. Dr. R_. Besthorn, ,,Det tyske socialdemokrati'\ in „Ringeren·\ Nr. 22, 1899 (Chri.ttiana); H111]mar Brantmg, .,Georg von Vollmar", in „Social-Demokraten", 19. Januar 1891, Stockholm._ - In einem nicht ni.her bestimmbaren Nachruf wurde Vollmar sogar ein umgekehrter lgnnhw von Loyola genannt (Zeitungsawsch.nitt im V.A.). 1) Vgl. Augwt Bebel, ,.Aua meinem Leben", Bd. 11, S. 116. ') _Vgl. G. l\foy~r, .,Die Trennung ...", S. 39 f. Mayer geht hier auf die VerhiltnisN der Arbeater~ewegung an Bayern ein. Weitere Hinweise gibt ein Au.fsau Vollmars in der ,.Fest.Khrift zum 10:oaldemokratiachen Parteitag in Dreeden", 1903. - Am einem Brief von Wilhelm Fink an Vollmar vom 6. Oktober 1875 geht hervor, daß man ilui in München seit 1869 iw Mit&lied der Partei betrachtete (V.A.).

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di „r während der Zeit seiner Krankheit trieb, lassen sich aus . S di tu litik. sondern darüber hinaus auf die Staats- und Außenpolitik, weil er - noch nachdrucldicher als in dem Schriftehen über den „isolierten sozialirtischen Staat" - neben der Wirtschaft auch Volkstum und das „staatliche Gemein-.-·eEen" alt; historisch wichtige Faktoren anerkennen mußte. Grundutdich png es ihm darum. endlich einen Zugang zum deutschen Staat zu er~ - ..Bei freier Wahl hätten wir die deutsche Einheit sicherlich ganz anders ~ t e L Aber nun sie einmal so und nicht anders geworden ist, sollen wir a.icl1t Wl.le.re Kraft in unablhsigen, unfruchtbaren Erörterungen des Vergangenen ve~euden, sondern uns auf den Boden des Tatslchlichen stellen und unser Ben:reben darauf richten, die Mängel jenes Werkes nach Kräften zu bessern..." 1) ,.Vom Op1irnippu11M, Auuit.se, erschienen in der „Münchener Po■t", 1.--4. August 1891, ahpdnackt in „Ober die aäcblleo Aufgaben ...", 2. Aufl. 1899, S. 26-33. •) Wie '"'-.g er jedoch die Ge.amtkom.eption der ,,marxiati.echen" Ideologie aufgeben wollte, Niet eiDt &Ddece St.dle aeiner Rede: ,,Die K.apit.alkom.entration, die Entwicklung de, Groß• betriebe&, die lieu.D.bildung einer achrofreo Spaltung der GeaeU.chaft in zwei Klauen, in eine ADz&b.l Racber und Millionen völlii Enteigneter macht unaufhörlich Fort.ach.ritte. Aber noch aiad Mittel· und .K1anbetriebe, namentlich bei uns in Deut.achland, in erheblichem Maße vor• h&Dden., w,ch um! du a,ogenuwt.eo M.iLt.eut.ände, d,u Kleinbürgertum und vor allem die Bauem.chaft., ~ c g • w, g&Dz zermürbt .•• Die Partei i1L weit entfernt, über die .Mehrheit in der offc:111.J.u:bC1l Mnouog. ju auch nur der Al:beit.ork.lüae ~•t zu verfügen." Intereua.nt i,t wie aw:b b.i.eT Vollmar .cw Verbiluw :wm SI.aal WDJ"ei.ßt: ,.Eine große Menge 1taatlicher ~chtungcD at ubcdebt und bmi ~ kriftigeo AnfuU wider11leheo i andere aber vor allem der StMJ114~ .dbn, hahc:o vi.d!.i,ch.c Wld fat.e Wurzeln." - Auf dem Parteitai &u Erfurt fiilirLe er ibuliche er de,,...:-11 l:i.Jtun g Ul ßrcs.L,.u durch 1.,1t uoJ o geh.Jte xer orthodo gere~te t." Selbst Leuiu hat Hebel fur enttau.s cht worden . Vgl. Sämtlic he Werke, BJ. Vl., S. 4:!o. 1) Prot. Breslau 1895, S. 1-lJ. ') Vgl. G. Mayer, .,F. Engeu· ·, BJ. U, S. 492 ff.

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aber es ist ~·ahr und notwendig ." Kautsky war ilberzeugt. daß bei den Verhältnis!!en der bestehende n Gesellscha ftsordnung jedes Eintreten für den Bauern ein Eintreten für den Privatbesit z, d. b. eine Sache der Reaktion sci 1}. Mit 158:63 Stimmen pflichtt'tc der Parteitag dem grundsätzl ichen ersten Teil der Resolution Kautskys bei. Zum zweiten Teil, in dem „intensive s" Studium des gesamten Fragenko.mplexes empfohlen wurde, fand sich nur eine Gegenstim me. l'iach der Entscheidu ng in der Budgetfrag e war die Breslauer Agrarreso lution2) ein weiterer Anlaß für die bayerische Sozialdem okratie, eigene politische Wege r;u suchen. Yon einer anfangs geplanten öffentliche n Erklärung , daß sie diese Entscheidu ng nicht anerkennen könne, nahm die bayerische Landtagsf raktion n-ar Abstand. "ahrschein lich hätten sich Hessen und Badener, vielleicht sogar auch dit' "ürttembe rger. den Bayern angeschlos sen8). Die Opposition gegen Breslau äußertoliruckLcL hw und wollte dt:w Zeut.rum nicLl allein die Sorge für die bayeriiche Selbeliud.Jgk..t:i I ukt~o (V .A.). ") Vgl. BeLel, l'n,t. .K.ow 1893, S. lW. Vollmar, LT ßuy., 28. Oktober 1893, Bd. J, S. 320; 30. l\ovewLcr 11193, ßd. J., S. 632. ') LT J:iuy., 7. l\ovc:wLer U199, Hd. J, S. 475. 6,1

gongen der Zivilbevölkerung vouus, wenn bei Manövern preußische Offiziere auf bayerischem Boden die „völlige Unterwerfung" der Zivilisten unter ihr schnoddriges Regiment verlangten 1). Auch die Reservatrechte bei Post und Eisenbahn waren mehrfach Gegenstand seiner Landtagsreden. Als Württemberg auf das Recht verzichtete, eigene Briefmarken herauszugeben, sah Vollmar keinen Grund für Bayern, auf jeden Fall bei einer solchen Äußerlichkeit zu verbleiben, empfahl jedoch der Regierung, zuerst die in Württemberg gemachten Erfahrungen zu nntersuchen. Von einem Verzicht auf das gesamte Postreservat durfte aber seiner Meinung nach nicht die Rede sein2). Über die EisenbalrnreservatTechte kam es sogar in der Sozialdemokratie zu einer Parteitagsdebatte. Auf dem Parteitag zu Mainz 1900 wurde nämlich erörtert, ob nicht zweckmäßigerweise die gesamte Eisenbahnverwaltung auf das Reich zu übertragen sei3). Am Beispiel Hessens, daa mit Preußen eine Eisenbahngemeinschaft eingegangen war, suchte nun Vollmar nachzuweisen, daß durch eine Übertragung der Bahnen auf das Reich nur der Einfluß Preußens in ganz Deutschland vermehrt werde. Die Verpreußung der Bahn war für ihn gleichbedeutend mit der Verschlechterung der rechtlichen und sozialen Stellung der Bahnbediensteten. Mit der Aufgabe der Eisenbahnverwaltung war seiner Ansicht nach der Verlust der wirtschaftlichen Eigenständigkeit unausbleiblich verbunden. David kam Vollmar in Mainz zur Hilfe und regte die Bildung einer Eisenbahngemeinschaft der süddeutschen Staaten an. Vollmar blieb jedoch vor dem Parteitag in der Minderheit. Damit gab er sich jedoch nicht zufrieden, denn neben sein Verlangen nach staatlichem Föderalismus trat auch hier wie in der Frage der Budgetbewilligung und der Agrarpolitik der immer nachdrücklicher werdende Wille zu einem Parteiföderalismus. Er war die treibende Kraft, als im November 1901 in Stuttgart eine Konferenz von zwanzig süddeutschen Landtagsabgeordneten zusammen.k~ die sich erneut dem Problem der Eisenbahn widmeten. Zunächst hatte V ollmar die Süddeutschen auf seiner Seite, in Stuttgart wagte ihm nur Wilhelm Keil zu widersprechen4). Die Diskussionen zogen sich jedoch bis ins Frühjahr 1904 hin. Allmihlich erlahmte der Eifer, und selbst der Freund Franz Josef Ehrbart glaubte seine Haltung nun ändern zu müssen, als die Reichstagsfraktion einen Antrag auf Überführung der Eisenbahnen in die Verwaltung des Reiches erwog. 1) LT Bay., 11. Januar 1906, Bd. II, S. 369. 1) LT Bay., 14. Februar 1894, Bd. II, S. 831 (eine voo Joehr vielen Stellen); Brie.fmukeo{rage 1S. Januar 1902, Bd. VII, S. 373. 1) Prot. MWll 1900, S. 198 ff. ') Keil, ,.Erleboi.aae eioH Sozialdemoknteo·-, Bd. 1, S. l88 f. - Keil umreißt die Ziele 'iollman in Stuttgut: ,.Er wollte deo Venucheo eat&egeolreleo., die iuddeuucheJ1 Elleo.b-•hoeo io die preuDiach-heaaüehe Eiaeo.bahqemeuuchJt einauba.ieheo- ... ,... oUte Vollmar der großen Mehrheit, die ,ich auf dem M.wuc,r P1.1.rteit"1 fw ReichMillC'obahneo i&wgespro.:heA hatte, eiueo Dämpfer 11waetuo."

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Vollmar war zu dieser Zeit wieder an das Kranke nlager gefessel t und konnte nur resigniert den Umschwung zur Kenntni s nebmen l). Ernster ah dieses Pochen auf die süddeut schen Reserva trechte, die unter Hinweis auf die gt'ößeren demokra tischen Freiheit en des Südens verteidi gt wurden. sind die y ersuche zu nehmen , die der Ausges taltung und Erweite rung der demo\.ratischen Rechte in Bayern galten. Wichtig und besonde rs eindruc ksvoll ist. wie es der kleinen sozialde mokrati schen Landtag sfraktio n gelang, die 2 Änderung des Landtagsw-ablrechtes in die Wege zu leiten ). Nach dem 1881 abgeänd erten Landtagswahl.recht von 1848 konnte jeder mündig e männlic he Ba,·er in gleicher und geheimer Wahl wählen. Nachtei lig im Sinne einer demo~ti~e ~ :Massenbewegung war jedoch an den geltend en Bestimm ungen, daß die '\\ abJ indirekt vollzogen wurde. Außerd em lag der Wahlkr eiseinte ilung das &r,ehnil: einer Yolknäb lung aus dem Jahre 1875 zugrund e, was natürlic h die ie zugunst en trot:r. aller Landagi tation vo"";eg end städtisc he Soziald emokrat der Liberalen und des Zentrum s schädig te. Nach dem Eintritt der Sozialde mokraten in die Kammer war ihr erster eine Verfass ungsänd erung bezweck ender Antrag auf ein neues Wahlgesetz gerichte t. Am 7. Oktobe r 1893 stellte Grillenbecger an die Staatsregierung das Ersuche n, dem Landtag den Entwur f eines neuen Wahlgesetzes vorzulegen. Wenn die Sozialde mokrati e aus Gründe n der ~t.sor dnung davon absehen mußte, einen schon völlig ausgear beiteten ~en Entwurf selbst vorzulegen, konnte Grillenberger doch in seiner Begleite r• kJi~ die Grundzüge der sozialde mokrati schen Forderu ngen skizzieren. Diese b.ielt.en sich im wesentlichen an das Wahlpro gramm von 1892. Gegen 17 Stimme n '"'Ul"de daE Ersuchen abgelehnt. Vor allem das Zentrum machte geltend, daß 3 '"·ähre.od der Regentschaft die Verfassung nicht geänder t werden dürfte ). In de11 beiden folgenden Sitzungsperioden wurde dieser Antrag erneuer t. Als Grilknherie r am 25. Oktober 1895 auf dieses Thema zurückk am, durfte er aus Gründen der Geschäftsordnung sein altes Ersuche n nicht zum zweiten Male st.dlen. Stau dessen brachte er nun einen Antrag ein, der das Frauens timmrec ht und da,, Verh.äh.niswahLiystem entb.ielt. Die Kamme r ging nach längerer Debaue mit den 69 Stimmen des Zentrum s und seines Anhang es gegen die 53 Stimmen vo11 Sozialdemokraten und Liberalen zur Tagesor dnung über'). In der Leut.ec Seüion bat Grillenberger am 19. Oktober 1897 erneut die Kamme r, an dJt: SUULt.eregierung du Enucbe n zu richten, das Wahlgesetz so abzuänd ern, daß du: Wahl direkt vollzogen und eine Neueinteilung der Wahlkre ise vorgedadurch , daß DDDUIU!D werden koont.eb ). Eindruck.svoll wurde dieser Antrag Grilleoberger zwei SLunden darauf euien Schlaganfall erlitt, an dem er noch am

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Ehdan., 23. J&DWU" 190, (V.A.). ') Vollmar •> v,1. DoeLerf. ll.JL.O., Bd. m. s. 575. •) LT Bily., 7. Ola.obor 18113, Bd. l, S. 93 ff. Vi!, ProL Bay. 189,, S. 20 ff. ') LT Bily., 25. O ~ WS, Bd. Vl. •) LT Bily., 19. Ola.o1-- UW7, Bd. IX. S. 229.

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gleichen Tage starh. Vollmar gah am folgenden Tage noch nähere Erläuterungen zu den Forderungen seines Freundes. AJle Parteien des Ha0Be11 vereinigten eich nun in eiern Ersuchen an die R1>gierung, einen Wandel in der Wablgesetzgebnog zu schaffen 1). Dieser Versuch scheiterte an der Haltung der Kammer der Reicbsräte2). Die Landtagswahl 1899 vollzog sich unter der Parole ,. Wahlreform". Ein sozialdemokratischer Wahlagitationsapparat wurde nun zum ersten :vlale lückenlos über das ganze Land bin ausgebaut3). Die Zahl der sozialdemokratischen Wahlmänner konnte sich dementsprechend auch fast verdoppeln (1893: 376; 1899: 747). Weil aber die Einteilung der Urwablbezirke ebenfalls auf veralteten Voraussetzungen beruhte, sahen sieb in einjgeo Wahlkreisen die sozialdemokratischen Wahlmänner trotz ihrer großen Stimmenüherzahl einer Mehrheit von bürgerlichen Wahlmännern gegenüber. AJs Beispiel sei das Ergebnis im Wahlkreis München I genannt4): Sozialdemok.ra ten Zentrum Liberale (zus.)

49 599 Stimmen 14 382 Stimmen 12 825 Stimmen

166 Wahlmänner 91 Wahlmänner 87 Wahlmänner

Aus rein taktischen Erwägungen gingen daher die Sozialdemokraten mit dem Zentrum für die Wahlkreise München I und Speyer-Ludwigshafen sowie Pirmasens-Zweibrücken ein Wahlhündrus ein. Die Nationalliberalen wurden dadurch aus ihrer früheren Hochburg in der Pfalz fast völlig zurückgedrängt; die Sozialdemokraten konnten die Zahl ihrer Abgeordneten mehr als verdoppeln (11 statt 5), das Zentrum erhlelt in der zweiten Kammer die absolute Mehrheit6). Auf seiten des Zentrums gab es eine konservative füchtung, deren hervorragendster Vertreter vielleicht Hertling war, die da.s Bündnis mit den unchristlichen Gegnern der Monarchle niemals billigte&). Das bekannte opportu.n.i.stische Geschlck und die geschmeidige Wendigkeit dieser Partei fanden jedoch in einem späteren Ausspruch des leitenden Zentrumsmannes 0T. Pic.hler aui dem Straßburger Katholikentag ihren Ausdruck, a1.s er erklärte. das Zentrum habe den „Großteufel Sozialdemok.ratie" zu Treiherdiensten für rue c.h.ri.stliche Sache in Bayern gewinnen können7). Vollma.r seinerseits glaubte, d~ Zentrum mii.sse erst einmal in Bayern sich abnutzen: ,, Wie aber die Verbältru.s.se be.i llD3 einmal sind, müßte man es geradezu für wünsche03wert halten., daß ""ir in Bayern

s.

1) LT Bay., 20. Oktober 1897, BJ. LX, S. 254. 1) Prot. Bay. 1898, S. 4. Prot. Bay. 190:?, S. 5:?. 1) Prot. Bay. 1898, S. 27 (Ehrhart); S. 45 (Vollmar). ') Yollmu, .,L11.11dtaaawahlrecht Wld Llberulim:i~ in Ba"ern'· in .'.'leue •--lbcbaA:· 1905 2 ff. , • ., , •) Vollm.u, ,.L11.11dtagswahlrecht .. :· ') Hertliug, ,.Eri.w:.iecwiae11 ,uu meinem Lebcw'\ Bd. 11, S. :?"8 f. ') Y1l. ,.Die Hilfe", J1. Xlll, Nr. 7, 17. Febcuar 1907.

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ein offen ultramon tanes Regimen t bekämen , das mit dem Gen~sse der Herrschaft auch die Verantwo rtung für dieselbe tragen müßte und sich dadurch in wenigen Jahren abarbeite n und die Mehrheit des Land~s g~gen sich mobil Partei hiu _.,__.J 1) " Er , ...;es auch auf den Struktur wandel m dieser . mach en wun1e in der sich als Antwort auf die Herausfo rderung durch den Bauernb und und die Sozialdemokratie die demokratischen Kräfte mehrten. Der Einfluß des Adels ging zeitweilig in der Zentrums partei so zurück, daß neben dem Liberalen von Stauffenherg nur noch Georg von Vollmar Träger eines adligen Namens 2 in der ba,-erischen zweiten Kammer war ). lm ne~en Landtag wiederholte der Nachfolger Grillenbergers, der Nürnberg er Arbeitersekretär Martin Segitz, am 20. Oktober 1899 den Antrag seines Vor~ingers. wobei er ausdrücklich darauf verwies, daß die Sozialde mokratie sich in ihren Forderungen sehr gemäßigt zeigte. Der Antrag wurde einer 22 köpfigen Kommission ühe~;ese n, in die von den Sozialdem okraten Segitz und Franz Schmitt delegiert wurden3). Erst in der folgenden Session legte dieser Ausschu ß dem Plenum eine Resolution zur Wahlrechtsfrage vor. Danach sollte das bayeriM:hc Landt:ags"rahlrecht in wesentlichen P1mkten an das Reichsta gswahlre cht ~icbe n werden, wodurch die Wahlmün digkeit auf das 25. Lebensja hr hinaufgeschoben wurde. Ebensowenig entsprach es den sozialdem okratisch en Wunschen. daß man jetzt erst dem Staat ein Jahr lang eine direkte Steuer gez.ahlt haben mußte, ehe man wahlberechtigt wurde, während bisher die Frist von einem halben Jahre genügte. Außerdem mußten die Wähler jetzt ein Jahr lang die bayerische Staatsangehörigkeit besitzen, um das Wahlrec ht ausüben zu koDDen. Dennoch stimmte die Landtags fraktion geschlossen für das Wahl~tt'). Wie nicht anders zu erwarten war, wurden auch jetzt in Berlin wieder Stimmen laut, die sich über die Haltung der Bayern entrüstet en. Bebel fürchtete erneut den Verrat heiligster Parteiprinzipien und verurteilt e in verschiedenen Artikeln die Entscheidung der Bayern6). Die Opposition innerhalb der bayeruchen Partei war geringfügig, und der Parteitag zu Ludwigshafen a. Rh. 1902 billigte gegen nur eine Gegenstimme die Haltung der Fraktion• ). WÜlrelld nun da.s Zentrum beizeiten erkannte, daß der Gedanke der Wahlreform im bayerucben Volke auch auf dem Lande um sich griff, und es dadurch gen6gend Chancen für seine eigene Entwicklung wahrnehmen konnte7), verfehlte cler I....i.herafumw in Bayem den Anschluß an die neue Entwicklung. Die kathowche Part.ei kDDAt.e iicb in kurzer Zeit auf die neuen Formen der Massenagita• ,

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1) Prot. luy. 1900, S. 38. 1) Vollmar &11 .M.chrwg, luuupffmeyor, a.a.O., S. 96; Bachem, a.a.O., Bd. VIII S 36 ' • • ") Prot. Bay. 1900, S. 5. •j LT Bay., 1.11. MJu 1~2 . •

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Vgl.

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Vol.111an

Antwort

„uf ßebeu Kritik, ,,Bobei

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bayer'·-L

r. J'-9, JSO, JSI vom 5., 6. LWd 7. Juli 1902. ,,}lwleb,e- ,- Pu.i Stimme. •) Prot. Bay. 1902, S. 79. EI! Dc!asiort.e eothieltoo aich

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w „Neue c_,&clu.C t„ 1905, S. 29.

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1111UC1orm , 10

tion umstellen. Innerhalb des Klerus 11tan4. - Prot. &y. 191:!, S. 15. - Profit, a.a.O. S. 28 ff. 1) LT Bay. 4. Juni 1912, Bd. U. S. 806 ff.

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Neben der akuten Wucht des Parteienstreites zeigte sich jedoch im Jahre 1913 beim Thronwechsel in Bayern, daß trotz der heftigen parlamentarischen Kämpfe die bayerische Sozialdemokratie nicht daran dachte, in den staatsfeindlichen Jargon zurückzufallen. Prinzregent Luitpold war wegen seiner Menschlichkeit nie unbeliebt gewesen. und die für Norddeutschland so verhängnisvollen Majcstätsbeleidigungsprozesse waren in Bayern nahezu unbekannt1). Bei seiner Beisetzung gab ihm auch die sozialdemokratische Landtagsfraktion geschlossen die letzte Ehre. wen.n sie auch dadurch den Unwillen einiger weniger „Radikaler" erregtcll). Auch Prinz Ludwig war der Sozialdemokratie zunächst nicht unrympathiscb. Selbst Bebe) hatte einmal erklärt, wenn er aus den Reihen der deutschen Fürsten eine Persönlichkeit bei einer Kaiserwahl vorschlagen müßte, so würde seine Wahl auf den Prinzen Ludwig fallen 3). Beim Tod des alten Regenten erhob sieb nun die Frage, oh die seit 26 J ah.ren dauernde Regentschaft fort:zufüh.ren sei. oder oh Ludwig als König den Thron besteigen sollte. Freiben ,-on Hertling bereitete den Thronwechsel vor, indem er in die Verfassung eine Klausel einfügen ließ, derzufolge die Regentschaft bei dauernder Regierungsunfabigkeit des legitimen Thronerben nach zehn Jahren beendet werden konnte. So ~'llrde Ludwig König'). Vollmar wollte diesem staatspolitischen Schritt nicht die Berechtigung absprechen. Er verlangte jedoch von der sozialdemokratischen Fral..1:ion die Ablehnung, weil die Regierung diesen Sch.ritt eigenmächtig oh.ne verfassungsrechtliche, parlamentarische Rechtfertigung gegangen und der Thronwechsel zudem mit einer Erhöhung der Zivilliste verbunden sei5). Die Sozialdemokraten waren die einzigen, die sich in der Abgeordnetenkammer der Erhebung Ludwigs zum König widersetzten - nicht aus prinzipiell antimonarchischen Gründen, sondern aus parlamentarischen und finanziellen').

2. lmperialiamua und Weltkrieg Das Interesse für die Außenpolitik erwachte in der deutschen Sozialdemokratie erst recht spät, und nirgends kam ihre Bewegungslosigkeit so deutlich zum Ausdruck wie hier7). Als Realist hatte Vollm.ar sich bereits in den Eldoradoreden 1)

Vgl Curtius, a_a.O. S. 149.

8) SM XVIII (1913), l, S. 22. 1

ProL .Magdeburg 1910, S. 347. ") Vgl Sendtoer, "llu.pprecbt voo Wittelabach. Kronprinz von Bayern", München 1954, S. 114. ') Undatiert.er bruch.tüddi.a:ftr Briefeotww:f an den 1tellvertretenden Fraktion1voraitzendeo (Segit.z oder Adolf M.üller) (V.A.). •) Prot.. Bay. 1914, S. 9. )

. ') V~. Max Weber, ,.Der Natio~t.aat Wld die Volluwirtachaftapolitik", S. 31 ff. _ Ferner die Speziahm~eo:_ ~ Vi.ktor, ,,Die Stellung der deut.achen Sozialdemok.ratie zu deo Frsgeo der a.auwarugai P~litik (1869:-1914)", Archiv{. SozialwiH. u. Sozialpolitik Bd. 60, 1928; K. Handelba.um, ,.Du Erort.enwgoo LtU1erhalb der deut.acheo Soziald •·- • üb. d p bl du lmperia.limuu l89S-J9U.. , phil. Di.u. Fraokfurt/M. 1926. emoa.raue er H ro em

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von der internation alen Phrase distanziert , dabei gleichzeitig em eindeutige s Bekenntni s zum nationalen Staat abgelegt und sogar dessen Bündnissy stem gutgeheiße n 1). Die allgemeine Forderung nach Freihande l, die das Parteizent rum erhob, das wie überall auch hier einen revolution ären Aspekt bei Marx zum Dogma seiner starren Prinzipien reiterei machte, wurde von VoUmar nicht gebilligt, weil er die Interessen des eigenen Volkes gewahrt sehen wollte. Auf dem Parteitag zu Mainz sagte er daher: ,,Man kann sehr wohl ein guter Sozialdemo krat und guter Internatio naler sein und braucht sich deshalb doch nicht auf den Standpun kt zu stellen, daß wir jeder Handlung des Auslandes mjt gebun2 denen Händen gegenüber stehen müssen )." Vollmars Hauptinte ressen richteten sich jedoch wie bei der Mehrzahl seiner Parteigeno ssen auf die Innenpolit ik, und genausowe nig wie die meisten von ihoen begriff er rechtzeitig , daß mit dem Imperialis mus eine neue Phase der wirtschaft lichen EntwickJu ng eingesetzt hatte. In seinen Reichstags reden zum Koloniale tat vertrat er zunächst kritiklos die offizielle Meinung der Partei, wenn er in der Kolorual- und Weltpoliti k nur einen Ausfluß des „persönlic hen Regimente s" und ein „napoleow sches ¼ttel" sah, um die Aufmerks amkeit der Massen von der innenpolit ischen Lage abzuwenden3). Die lange Rückständ igkeit der nationalen und sozialen Entwicklu ng stellte seiner Ansicht nach Deutschla nd vor viel mehr innenpolit ische Aufgaben. als es in den übrigen europäisch en Ländern der Fall war, so daß Kolowen nur eine zusätzliche Belastung seien. Wiewohl gerade Vollmar sich dafür einsetzen wollte, daß der Staat seine Souveräw tät auf das wirtschaft liche und soziale Gebiet ausdehne, wünschte er für die Kolowalpo litik das Gegenteil. ,.Die Kolonisati on soll von denjewgen finanziert werde~ die später auch die Profite einstecken wollen4)." Das Vorgehen der Deutschen in den Kolonien hielt er nicht für schlechter oder besser als das der anderen europäisch en Nationen. Seine Einstellun g modifizier te sich im Laufe der Jahre dahingehe nd, daß er sich zusehends für die kolonialen Institution en zu interessier en begann. die V erbessever0 o rung der Ausbildun g der Kolonialof fiziere forderte und von der Rerierunu denn schicken~ zu langte, keine abenteuerh ungrigen jungen Leute nach Afrika die Sozialdem okraten hätten den Wunsch~ daß die Kolonialpo litik möglichst ,,national" - d. h. ohne Schaden für die deutschen Steuerzahl er n.nd die Eingeborenen - betrieben werde5). Die gleiche Richtung verfolgte seine Den.kschri ft ,,Zur Erziehung der Neger in Europa", die er dem Auswärtig en Amt vorlegte. Im Gegensatz zu amtlichen deutschen Stellen hielt er die Ausbildun g von Eingeborenen in Deutschla nd für erfolgversp rechend, wenn man g~'7Ilete Schwarze 1 ) ,.Ober die nicluten Aufgaben der Sozialdemok ratio•·, 1891. 1'h ") Prot. Mainz 1900, S. 196. - Zu Marxens Ste.Uu.og vgl. ,.Du EJe.od der Philosophie.. (ducli. uoen.), Stuttgart 1913, S. 188. 1) RT 12. Mai 1890, S. 43. •) RT 13. Mai 1890, S. 70. ') RT 18. Min 1895, S. 1567-1569.

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dafür aussuche, diese in Europa vor den negativen Einßüssen der Zivilisation bewahre und ihnen nach ihrer Rückkehr in die Heimat eine Aufstiegschance biete. In dieser Abhandlung äußerte Vollmar keinerlei prinzipielle Bedenken gegen die Kolonialpolitik als solche, sondern setzte ihr vielmehr das Ziel, die Kolonialvölker zu gleichberechtigten Partnern heranzubilden1). Peinlichst suchte er bei den Etatsreden zwischen den kolonialen Forderungen und der Unterstützung der '\'\issenschaft zu unterscheiden. 1890 schon teilte er die Bereitschaft der Sozialdemokraten mit, wissenschaftlichen Forschungen in den Kolonien nichts in den Weg legen zu wollen. 1891 bewilligte die Fraktion dementsprechend 150 000.- Mark für Forschungsreisen, während die Errichtung einer Versuchsfarm in Südwestafrika abgelehnt wurde2). Als daraufhin die Liberalen Bamberger und Euaen Richter Vollmar als den Sprecher der Fraktion wegen der Inkonsequenz eines solchen Verhaltens angingen, entgegnete er, nur für sich persönlich sprechend. daß er sich zwar bewußt sei, wie leicht wissenschaftliche Expeditionen zum Y orspann für die Gründung von Handelsniederlassungen gemacht werden könnten. andererseits aber in dieser beabsichtigten oder auch unbeabsichtigten Folge keinen Grund sähe, daß die Sozialdemokraten der Wissenschaft die .Mittel vorenthalten sollten. !\ach dem Eintritt in die bayerische Kammer war es sein Ziel, die bayerische Regierung immer ~;eder gegen besonders auffällige Entscheidungen in der Außen- und Weltpolitik in Bewegung zu setzen, indem er auf angebliche oder tatsächliche Verletzungen der in den Versailler Verträgen Bayern zugestandenen Rechte hinwies. Bereits 1893 warnte er die Regierung vor den „caesaristischen" ='i"C¾,~en in Berlin, wie er überhaupt mit Unbehagen das fahrige Wesen des Kaisers wahrnahm, auf den er selbst einmal seine Hoffnungen gesetzt hatte3). Er machte der bayerischen Regierung Vorwürfe, als sie nach der Krügerdepesche und bei der ersten Marokkokrise keinen Gebrauch von dem ihr zustehenden Rechte gemacht hatte, den auswärtigen Ausschuß des Bundesrates einzuberufen'). Alle Einwände des Ministerpräsidenten, die Kammer sei für derartige Angelegen• heiten nicht zuständig, schob er mit der kurzen Bemerkung beiseite, daß es in einem Verfassungsstaat nichts geben dürfe, was sich der Zuständigkeit der Vol.bvertretung entziehe. Ebenso wie in der Kolonialpolitik schätzte er in der Außenpolitik die Tragweite der persönlichen Entschlüsse des Reichsoberhauptes sehr hoch ein und war noch 1907 der Ansicht, Deutschland werde im Ausland allein deswegen mit Mißtrauen betrachtet, weil seine Außenpolitik. von „persönlichen Ei.nßüsaen" und einer „lcleinen aber einßußreichen und rücksichtslosen, ') Kow.ept im V.A. - Du Awiwirtige Amt bestätigte am 7. März 189S den Erhalt der Denkadu:ift (V .A.). ') BT 3. Februar 1891, S. 1291. •) LT Huy. 28. Ob.ober 1893, Bd. l, S. 316. - Vgl. RT 19. März 1897 20. Januar 1903, JO. April J9u7. • •) LT ßay. 7. Nuvem.1..or l.899, Bd.1, S. 47S; 19. Oktober 190S, Bd. J, S. 2s4.

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urreaktion ären Kaste" bestimmt werde, während weite Schichten des Volke! 1 an den EotscheiEitzu.ng mehr beteiligen können und ist - soweit die in Münch en üLer Au.sk.unft gehen - nur noch einma l kurz im Winte r 1916 und wegen gew~ n. Wenn er auch somit völlig aus der Öffent lichke it versch wand intens ivierte der Schütt ellähm ung seit Jahren kaum noch schreiben konnte , so ') Prol. i:...-n 1907, S. 2SG. - Vgl. Schoru. e, 11.a.O. S. 84 f. J\ow.auuw, ,.Profilr.. , S. 64. 1 0. - Vgl. LT B 11 y. 11. J11J1uar 1906, Bd. II, s. 371. ) L1 Bt1y. 2!. Aug~1. 1912, S. ~55-66 1)

A1, SuDdud rw:.lt, ,.Su~w olu-ut Je und V111.erlllJld". ') LT fü). 21. JIUlWl.r 1914, Bd. Vlll, S. 1016 f. ') Vollm&r u i Scgiu., 26. Juli 1914 (V.lt.. Ko0&0pt). awd .,_ ~ Zat erhaJ1.co.

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er mit Beginn der Julikrise 19M seinen Bricfwcch11el mit den führenden Stellen 1 der Partei und suchte auf diese Weise noch wirkRam zu bleihen ). Bereits am 21. Juli 1914 Rchrieh er an den Parteivors itzenden Raase, der all, deutscher Vertreter Mitglied des BüroR der Internation ale war, daß die deutsche Sozialdem okratie sich nicht an antimilitari sti11che Resolution en halten könne, die von der Internatio nale gefaßt worden waren. Das müsse auch den Franzosen klargemac ht werdcn 2). Als Haasc nicht antwortete , wandte sich Vollmar an Scbeidema nn, der zum Vorstand der Reich11tag sfraktion gehörte. Er setzte ibm auseinande r, daß man sich auf keinen Fall in Diskus11ionen über einen Militärstre ik einlassen dürfe, den die Franzosen ihrerseits ganz von der Haltung der Deutschen abhängig machten3). Wollte Vollmar wnächst rein negativ durch seine Vorschläge verhindern , daß die Parteileitu ng Schritte unternahm , die seiner Ansicht nach unbesonne n waren, so war es ihm selbst doch noch n.icbt ganz klar, welche positiven Entscheidu ngen in diesen politischen Wirren zu fällen seien. Am deutlichste n geht das aus einem Briefe vom 26. Juli an den Abgeordne ten Martin Segitz hervor. Während der Parteivors tand noch am Vortage die „brutalen, in der Weltgesch ichte noch nicht dagewesen en·' Forderungen Österreich -Ungarns an Serbien scharf verurteilt hatte, meinte Vollmar, es habe wenig Sinn, auf Österreich -V ngarn zu schimpfen , wenn man den „serbischen Imperialis mus" verkenne. Die Landtagsf raktion sollte sich seiner Ansicht nach in allen außenpolit ischen Fragen zurückhal tend zeigen, solange noch keine Entscheidu ng der Reichstags fraktion vorliege. Er schloß den Brief mit dem ziemlich ratlosen Stoßseufze r: ,,Schließli ch gilt das beste - wohl mir, daß ich nicht Kaiser oder Kanzler bin")". Am Nachmitta g des 28. Juli erhielt Adolf Müller als erster Sozialdem okrat in Deutschla nd vom Kriegsmin isterium in München die Mitteilung , daß die deutsche Mobilmac hung unmittelb ar bevorstünd eS). Auf die darauf sich überstürzenden Ereignisse hatte Vollmar keinerlei direkten Ein.fluß. Er glaubte wie die überwiege nde Mehrheit der Reichstags fraktion, daß nun die vielfach behauptete Bereitscha ft zur Landesver teidigung unter Beweis zu stellen sei und die Partei ihren Schicksals tag erlebe; sie mache sieb zum Helfer Rußlands, wenn sie nun versage. Die Entscheidu ng, die die Reichstags fraktion am dite traf• ..,... rde von den Yita der K.rieaslcre 4. August 1914 mit der Bewilli.,.un O b o arbeitern Vollmars in Bayern natürlich sehr begrüßt. A.uch 3ie wurden von der dbe~ ganz Deutschla nd hinweggeg angenen Woge der Begeisteru ng mitgeris..en6). Allem von Anfang an machte sich Georg von. V ollmar keine Illusion daJ'Üb-.!r. ~'4.&

1 ) Vor allem wollte er das Ansehen der Rechtuoziaf uten stwen. 1 ) D111 „Internation ale Sozialist.ucb e Büro„ tagte am 29. Juli i.n Brw~I. "Ceachichte der USPD", S. 22. 1 ) Vollm~r an Scbeidewann , 26. Juli 191-& (V ...\., Kon.zept). ') Undatierter, bruchstüclr.h after Briefentwurf (V...\..). Vgl. Fechenbach. .,Der Revolutionä r Kurt Eill.ller.., S. 10 {. ) V1I. Erbart Auer an Vollmar, 1-&. Augwt 191-& (V ..-\..).

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daß in der Partei innere Schwier igkeiten auftauc hen würden . Auf den Partei. vorstand in Berlin und das ihn umgebe nde Parteize ntrnm schaute er nicht ohne Mißtnrnen. das durch die unentsc hiedene Haltung des Parteize ntralorg ans Wolf. ,·· l'-" genährt wurdet). Durch einen ausgede hnten Briefwe chsel mit ,. - On\ ar _ Reine. der in dem gemeinsamen politisch en Schaffe n vieler Jahre sein gang ' Freund geworden war, behielt er Kontak t mit den Vorgän gen in der Reichstagsfrak tion. y ollmars Haltung während des ganzen Krieges blieb ausschli eßlich von na tionalen Gesichtspunkten bestimm t. In dieser eindeut igen Entschi edenhei t stand 2 nur eine kleine Gruppe von Reichst agsabge ordnete n neben ihm ). Selbst im Stil der Briefe. die er während des Krieges seiner Gattin diktiert e, schwang dieses nationale Pathos mit3). Als bei Kriegsb eginn führend e deutsch e Sozialdemokr aten durch Vortragsreisen in den neutrale n Ländern Verstän dnis für Deutsch land zu wecken suchten , beteilig te sich Vollma r an dieser Aktion dadurch. daß er seine persönlichen Beziehu ngen zu skandin avische n Sozialdemokraten. Yor allem zu Hjalma r Brantin g, dem Vorsitze nden der schwedi schen Sozialisten. ausnützt e, um Propaga nda zu treiben. Seit Jahren schon hatte er mit Brantin g in persönlichem Kontak t gestand en und u. a. die Unterla gen für seine letzte Reichstagsrede 1911 von ihm bezogen '). Gerücht weise war zu Vollmar gedrungen, daß Brantin g Sympat hien für die Entente hege. Er fragte im November 1914 nun bei ihm an. ob es damit seine Richtig keit habe, und schloß sein Schreiben: ,,Es ist schade, daß Sie in dieser Zeit nicht ein paar Tage persönlich in Deutschland sich umsehen können, um sich von der einigen und 5 kraftvollen Haltung des Volkes zu üherzeugen )." Viel Erfolg war ihm jedoch bei seinen Bemühungen nicht beschieden, denn Brantin g antwort ete recht kühl, daß die Bekämpfung des Zarismus auf französischem Boden und der Überfal l auf Belgien von ihm nicht gutgeheißen werden könne•). Ein nochma liger, nicht "'eoiger n.ation.aler Brief Vollmars, der unter Hinweis auf die Dokum enten• veröffentlichung die Unschuld Deutschlands beweisen wollte blieb ohne Ant-

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wort..

Obgleich Vollmar auch noch ein Jahr nach .Kriegsausbruch an Nationa lti" den.de„ in Kopeoh.agen schrieb, ,,heute ist das deutsch e Volk in seiner Gesamt heit nur von dem einzigen, unbezähmbaren Willen beseelt, das Vaterla nd, seine

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Vollmar llll Südckum. 16. Sept.ember 1914 (Konzept im V.A.). , Robert ) Beine IIJI Vo~, 8 -.. Okt.oL.er _1914 (V.A.). Heine neunt Südekum , Schöpflin Kon· · · hm ·1n T -•Scheid David Cohre ip:Qg, igen Cohcw-Le regelmäß Scbuudt, emanu ....,. e.i e er emer • •. zu.rück sich fc:rc.uz der rccLu.lit.ehenden ALgcordnc1.c:n. Ebert hielt 5 16 Verl~t Frank. i1t schwer, abe.r 11ein •) V,gJ ••~~~- ~ udeLudkwu •. F· ~!,t.embe r 1914_: ,,Der · O r. wig rouu. war 111, K.rie d,- • illi Tod u. eru.cucuu. eiw. ger an Fr~eic h gefall~~· ') BT 22. )Lu 1911, S. 7012-701 5. - Vollmar .. linwt.wg, 17. MIU 1911, Arb. ror. Ark. ßnefwcclt..t:l J890-J9J 5.

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lin,ut.w.g, 29. 1'uvcmLcr 1914,, ArL. rör. Ark V0 • • •(ArLeL.urrorclacw. Ark.iv bu.ckholw ). •) Vullu:uu

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') ÜrlWI..UJ« lW VulJJ:.w.r, 6. DezeanLcr 1914 (VA)

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an Bnwtfog 15. Januar 1915

Unabhängigkeit und K11ltor gegen di