Genie und Blut: Rassedenken in der italienischen Philologie des neunzehnten Jahrhunderts 3770557700, 9783770557707

Die italienische Philologie und ihr erkenntnistheoretischer Beitrag zu Rassedenken und Ethnozentrismus. Die Entstehung r

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Genie und Blut: Rassedenken in der italienischen Philologie des neunzehnten Jahrhunderts
 3770557700, 9783770557707

Table of contents :
GENIE UND BLUT: Rassedenken in der italienischen Philologie des neunzehnten Jahrhunderts
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
EINLEITUNG
I. REFERENZRÄUME KOLLEKTIVER IDENTITÄT – RASSENLOGISCHE DISKURSE INNERHALB DER ITALIENISCHEN PHILOLOGIE
1. Italo-Pelasger oder mediterrane Arier? – Die Suche nach einer italienischen Rasse
2. Der pythagoreische Mythos als Kritik am philologischen Wissen
3. Arier und Semiten: Ein philologischer Rassendiskurs in Italien
3.1. Das ‚arische Erbe‘ der Italiener und seine epistemischen Grundlagen
3.2. Von skeptischer Philologie und wissenschaftlichem Opportunismus
4. Autochthonie vs. Indoeuropäertum: Philologische Vorleistungen zu Rassedenken und Rassismus?
II. UNIVERSALGESCHICHTE UND FORTSCHRITT – DIE NEUORDNUNG DES PHILOLOGISCHEN WISSENS IM FRÜHEN 19. JAHRHUNDERT
1. Nicolas Wiseman: Philologische Ethnographie als Spiegel biblischer Offenbarung
2. Zivilisationsfaktor und Instrument des Fortschritts: Eine ‚angewandte Wissenschaft‘ der Sprachen und Texte
3. Bernardino Biondelli: Von der Physis des Geistes
4. Carlo Cattaneos historisches Prinzip als Epistem der Philologie
4.1. Alter und moderner Orient: Philologische Faktoren im universellen Zivilisationsprozess
4.2. Eine pädagogische Wissenschaft
4.3. Ursprungsdenken als pseudowissenschaftliches Narrativ: Kritik an Friedrich Schlegels Indien-Projekt
5. Ein skeptischer Mahner – Gabriele Rosa und die ‚Anthropologisierung‘ der Philologie
III. VON DER ‚STORIA UNIVERSALE‘ ZUR ‚STORIA NATURALE‘ – DAS BEISPIEL DER LITERATURGESCHICHTE
1. Paolo Marzolo: Der Körper als philologisches Axiom
1.1. Ein Erbe der Aufklärung: Von der Kette der (Sprach-)Lebewesen
1.2. Literatur als Anthropologie kollektiver Empfindung
1.3. Eine philologische Pathologie
2. Von der zivilisierten Menschheit zur indoeuropäischen Evolution
2.1. Zwischen literarischer Evolution und Metaphysik der Sprache
2.2. Selektion, Evolution und die Chance auf eine positivistische Literaturwissenschaft
3. „Ein Mensch und kein Tier“: Die italienische Philologie an der Schwelle zum 20. Jahrhundert
IV. SPRACHPOLITISCHER PLURALISMUS UND ANTHROPOLOGISCHE SPEKULATION – GRAZIADIO ISAIA ASCOLI
1. Eine Traumbegegnung
2. Die anthropologische Ermächtigung des philologischen Wissens: Für eine ethnographische Sprachwissenschaft
2.1. Gegen Sprachmythen und Essenzialismen: Ascolis ‚Studj critici‘
2.2. Von der glottologischen Auflösung eines Ursprungsnarrativs
3. Pluralistische Sprachentwicklung zwischen Individuum und Gesellschaft
4. Ein Problem terminologischer Ambivalenz: Methodische Stringenz und ideologische Interpretation
V. EUROPÄISCHER GEGENDISKURS ODER FORTSCHREIBUNG WISSENSCHAFTLICHER NARRATIVE? – DIE ITALIENISCHE PHILOLOGIE UND DER RASSISMUS
LITERATURVERZEICHNIS
PERSONENREGISTER

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Markus Alexander Lenz GENIE UND BLUT

Markus Alexander Lenz

GENIE UND BLUT Rassedenken in der italienischen Philologie des neunzehnten Jahrhunderts

Wilhelm Fink

Gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Potsdam Graduate School.

Umschlagabbildung: Bleistift-Portraits von Roma-Frauen. Handskizzen im Reisetagebuch des Glottologen Graziadio Isaia Ascoli, angefertigt während seiner Studienreise im Herbst 1864 durch die südlichen Abruzzen und die Provinz Molise zur näheren Erforschung der Sprache der italienischen Roma, aufbewahrt im Archivio Ascoli der Accademia dei Lincei, Rom.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Zugl. Dissertation an der Phil. Fakultät der Universität Potsdam (2013) Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. © 2014 Wilhelm Fink, Paderborn (Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.fink.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Printed in Germany Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-7705-5770-7

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT ...................................................................................... 11 EINLEITUNG ................................................................................... 13 I. REFERENZRÄUME KOLLEKTIVER IDENTITÄT – RASSENLOGISCHE DISKURSE INNERHALB DER ITALIENISCHEN PHILOLOGIE ................................................................................... 65 1. Italo-Pelasger oder mediterrane Arier? – Die Suche nach einer italienischen Rasse ...................................................................................... 71 2. Der pythagoreische Mythos als Kritik am philologischen Wissen .......... 80 3. Arier und Semiten: Ein philologischer Rassendiskurs in Italien ............. 101 3.1. Das ‚arische Erbe‘ der Italiener und seine epistemischen Grundlagen .................................................................................. 116 3.2. Von skeptischer Philologie und wissenschaftlichem Opportunismus ............................................................................ 125 4. Autochthonie vs. Indoeuropäertum: Philologische Vorleistungen zu Rassedenken und Rassismus? ................................................................. 142

II. UNIVERSALGESCHICHTE UND FORTSCHRITT – DIE NEUORDNUNG DES PHILOLOGISCHEN WISSENS IM FRÜHEN 19. JAHRHUNDERT ......................................................................... 148 1. Nicolas Wiseman: Philologische Ethnographie als Spiegel biblischer Offenbarung ................................................................................ 158 2. Zivilisationsfaktor und Instrument des Fortschritts: Eine ‚angewandte Wissenschaft‘ der Sprachen und Texte .................................. 168 3. Bernardino Biondelli: Von der Physis des Geistes .................................. 181

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INHALTSVERZEICHNIS

4. Carlo Cattaneos historisches Prinzip als Epistem der Philologie ............ 4.1. Alter und moderner Orient: Philologische Faktoren im universellen Zivilisationsprozess ................................................. 4.2. Eine pädagogische Wissenschaft..................................................... 4.3. Ursprungsdenken als pseudowissenschaftliches Narrativ: Kritik an Friedrich Schlegels Indien-Projekt .........................................

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5. Ein skeptischer Mahner – Gabriele Rosa und die ‚Anthropologisierung‘ der Philologie............................................................................................... 247

III. VON DER ‚STORIA UNIVERSALE‘ ZUR ‚STORIA NATURALE‘ – DAS BEISPIEL DER LITERATURGESCHICHTE .................................... 261 1. Paolo Marzolo: Der Körper als philologisches Axiom ............................ 1.1. Ein Erbe der Aufklärung: Von der Kette der (Sprach-)Lebewesen . 1.2. Literatur als Anthropologie kollektiver Empfindung ...................... 1.3. Eine philologische Pathologie .........................................................

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2. Von der zivilisierten Menschheit zur indoeuropäischen Evolution ......... 302 2.1. Zwischen literarischer Evolution und Metaphysik der Sprache ...... 308 2.2. Selektion, Evolution und die Chance auf eine positivistische Literaturwissenschaft ................................................................... 316 3. „Ein Mensch und kein Tier“: Die italienische Philologie an der Schwelle zum 20. Jahrhundert ..................................................................... 323

IV. SPRACHPOLITISCHER PLURALISMUS UND ANTHROPOLOGISCHE SPEKULATION – GRAZIADIO ISAIA ASCOLI .................................... 330 1. Eine Traumbegegnung ............................................................................. 333 2. Die anthropologische Ermächtigung des philologischen Wissens: Für eine ethnographische Sprachwissenschaft ............................................ 336 2.1. Gegen Sprachmythen und Essenzialismen: Ascolis ‚Studj critici‘.. 341 2.2. Von der glottologischen Auflösung eines Ursprungsnarrativs ........ 350 3. Pluralistische Sprachentwicklung zwischen Individuum und Gesellschaft....................................................................................... 356 4. Ein Problem terminologischer Ambivalenz: Methodische Stringenz und ideologische Interpretation.............................. 363

INHALTSVERZEICHNIS

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V. EUROPÄISCHER GEGENDISKURS ODER FORTSCHREIBUNG WISSENSCHAFTLICHER NARRATIVE? – DIE ITALIENISCHE PHILOLOGIE UND DER RASSISMUS ................................................. 366 LITERATURVERZEICHNIS ................................................................ 373 PERSONENREGISTER....................................................................... 401

FÜR MATTHIAS

VORWORT

Die vorliegende Arbeit entstand mit der Absicht, die Geschichte der italienischen Philologie dem deutschsprachigen Leser weiter zugänglich zu machen und zugleich ihre Bedeutung für ein globales Denken jenseits nationaler und ethnischer Grenzziehungen aufzuzeigen. Dass dieses Vorhaben in Angriff genommen werden konnte, ist zu einem großen Teil jenem lebendigen Austausch forschender und neugieriger Geister zu verdanken, wie er innerhalb der Emmy Noether-Nachwuchsgruppe Philologie und Rassismus im 19. Jahrhundert selbstverständlicher Teil der täglichen wissenschaftlichen Arbeit war. Für die Gewährleistung eines ausgezeichneten Forschungsklimas sowie die großzügige Unterstützung bei der Publikation des vorliegenden Bandes danke ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Potsdam Graduate School, dem Präsidium und der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam. Weiter gilt mein Dank den Mitarbeitern des Archivio Ascoli an der Accademia dei Lincei sowie der Biblioteca Universitaria Alessandrina der Università La Sapienza. Während meines römischen Forschungsaufenthaltes haben mich Marco Guardo und Susanna Panetta stets kompetent und interessiert beraten. Für zahlreiche Anregungen und neue Perspektiven, die mir durch seine Arbeiten zuteilwurden, möchte ich Ottmar Ette meinen Dank aussprechen. Dass Romanistik und ‚Weltbewusstsein‘ Synonyme sind, wird durch die lebendige und offene Atmosphäre an seinem Lehrstuhl Tag für Tag bestätigt. Gesine Müller, Philipp Krämer und Anne Kraume standen mir mit freundschaftlichen und wertvollen Ratschlägen im Umfeld meiner Dissertation immer zur Seite. Ihnen und Elisabeth Lenz, die mich in allen Arbeitsphasen ermutigte und unterstützte, danke ich ebenso wie Erich und Tobias Lenz, deren Interesse an meiner Arbeit mir sehr viel bedeutete. Mein besonderer Dank gilt Markus Messling, der mir als Doktorvater nicht nur fachlich, sondern auch menschlich einen engagierten Wissenschaftsbegriff vermittelt hat, in dem sich intellektuelle Disziplin und der Glaube an die gestaltende Kraft freien und tiefen Denkens untrennbar vereinen. Seine Forschungen, sein Rat und auch seine Kritik waren unerlässlich für die Entstehung dieses Buches.

Berlin, den 08.02.2014

EINLEITUNG

„Ganz allgemein gesprochen ist der Mensch in Italien von schönerer, edlerer Rasse als der germanische Nordländer, und mit Recht behauptet Alfieri […]: la pianta uomo nasce più robusta in Italia che in qualunque altra terra.“ Victor Hehn, Italien: Ansichten und Streiflichter, 18981

Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs, als der anthropologische Rassebegriff durch die Gräuel nationalsozialistischer Gewaltherrschaft eine Desavouierung, doch leider keine endgültige Entmächtigung erfuhr, wurde der Zusammenhang von wissenschaftlichen Narrativen der Philologie mit der Rassenlehre wohl zum ersten Mal in all seiner gesellschaftlichen Dringlichkeit reflektiert. Der Philologe Victor Klemperer warf in seiner 1947 erschienenen Lingua tertii imperii einen Blick auf einen der bekanntesten Rassentheoretiker des 19. Jahrhunderts und erkannte klar die Fatalität von dessen theoretischem Erbe für eine der mörderischsten Ideologien des 20. Jahrhunderts.2 Der nordfranzösische Graf Arthur de Gobineau hatte in seinem zwischen 1853 und 1855 verfassten zivilisationskritischen Hauptwerk Essai sur l’inégalité des races humaines3 den Rassebegriff und die negativen Folgen einer Mischung der ‚Menschenrassen‘ zum historischen Paradigma werden lassen.4 Seine „fixe 1

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Vgl. Hehn 2012 [1896]: 79. Zur Rezeptionsgeschichte des angeblichen Alfieri-Satzes bei Stendhal, Nietzsche und Taine vgl. Campioni 2009: FN 29. Stendhal zitierte Alfieri auf Italienisch, wobei der Satz in seiner Vollständigkeit und im Kontext seiner Verwendung eine gänzlich andere Konnotation und polemische Bedeutung bekommt: „Si on rassemble sur une même tablette les meilleurs ouvrages qui ont paru depuis 1770, en anglais, allemand, français et italien, on verra qu’avoir posé l’équation c’est l’avoir résolue. La littérature italienne est la plus niaise, et cependant: ‘La pianta uomo nasce più robusta in Italia che in qualunque altra terra, gli stessi atroci delitti che vi si commettono ne sono una prova’. Alfieri.“ Stendhal 1817: 164. Vgl. Klemperer 2007. Vgl. Gobineau 1884 [1853-1855]. In verknappter Form kann man das politische Enjeu von Gobineaus Rassedenken mit Burton Feldman und Robert D. Richardson folgendermaßen zusammenfassen: „All decline is due then to diluting or tainting racial purity by permitting intermarriage or intrusion of alien racial culture and so on. Gobineau strictly denies that any external cause matters: neither environment, good or bad morality or government, nor finally even war or other accidents and misfortunes. In the course of history, this mixing of bloods has gone so far that none of the original racial stocks has preserved itself: even the highest, the Aryan-Teutonic, has virtually vanished since about 1000 AD. [...] Gobineau locates himself explicitly in this general opposition

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EINLEITUNG

und egoistische Idee“5, die gesellschaftspolitische Ranküne eines Verteidigers des normannischen Adels war es, welche nach Klemperers Meinung auch die wissenschaftlichen Ambitionen dieses Gelehrten bestimmte: Die zum Privileg und Menscheitsmonopol des Germanentums zurechtphantasierte Rassenlehre, die in ihrer letzten Konsequenz zum Jagdschein für die grausigsten Verbrechen an der Menschheit wurde, hat ihre Wurzeln in der deutschen Romantik. Oder anders ausgedrückt: ihr französischer Erfinder ist ein Gesinnungsgenosse, ein Nachfahre, ein – ich weiß nicht, bis zu welchem Grade bewußter – Schüler der deutschen Romantik.6

Dem Romanisten Klemperer ging es bei seinem Angriff auf die Wurzeln des gobineauschen Denkens aber nicht um den ‚Naturwissenschaftler‘ Gobineau. Der Dresdner Gelehrte sah klar einen historisch tief verwurzelten Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, indem er auf die Mitschuld der Philologie des 19. Jahrhunderts am gesellschaftlich akzeptierten, da wissenschaftlich legitimierten Rassedenken hinwies, wie es in der Konstruktion des ‚arischen Menschen‘ seinen Niederschlag fand. Dieser bildete ein dialektisches Gegenkonstrukt zum ‚semitischen Menschen‘, welches schließlich über einige epistemische Umwege für die antisemitische Ideologie des Nationalsozialismus ‚gesellschaftspolitisch‘ fruchtbar gemacht wurde und die Existenz des Dresdner Bürgers Victor Klemperer als Jude in Deutschland zwölf Jahre lang in Frage gestellt und bedroht hatte.7 „Die zum Privileg und Menscheitsmonopol des Germanentums zurechtphantasierte Rassenlehre“ als „Jagdschein für die grausigsten Verbrechen an der Menschheit“8 verlangte nach einer wissenschaftlichen Befragung ihrer eigenen Geschichte als Kind der Wissenschaften von den Sprachen und den Texten: Daß er [Gobineau, ML] als Naturwissenschaftler geirrt habe, muß ich den Naturwissenschaftlern aufs Wort glauben. Aber das fällt mir sehr leicht, denn eines weiß ich von mir aus mit aller Bestimmtheit: daß nämlich Gobineau niemals aus primärem Antrieb Naturwissenschaftler, daß er es niemals um der Naturwissenschaft selber willen gewesen ist. [...] Graf Arthur de Gobineau spielt in der Geschichte der französischen Literatur eine bedeutendere Rolle als in der Naturwis-

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to the spreading enthusiasm for what he considered degenerate democracy, modern softness, and self-interest. Such an angry and wounded awareness of modern decadence always feeds Gobineau’s racist theories.“ Feldmann/Richardson 1972: 464. Zur Verwobenheit von Geschichte und Rasse bei Gobineau vgl. Messling 2012f sowie Geulen 2007: 71 ff. u. Taguieff 1998b: Kap. 1. Klemperer 2007: 186. Ebd.: 185-186. Vgl. Olender 1989: 14. Zur vertiefenden Auseinandersetzung mit der problematischen Rolle der Sprachwissenschaft innerhalb der nationalsozialistischen Ideologie, ihrer Verbindung zu Anthropologie und Biologie sowie zur Instrumentalisierung ihrer Erkenntnisse als Argumente und Gegenargumente innerhalb der nationalsozialistischen Rassenlehre vgl. Hutton 2005, insbesondere 201-204. Klemperer 2007: 185-186.

EINLEITUNG

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senschaft, […]. Die Konstruktion des arischen Menschen wurzelt in der Philologie und nicht in der Naturwissenschaft.9

Die scharfe Anklage romantischer Epistemologie als Nährboden rassenlogischer Ideologie, gespickt von mystifizierenden Theoremen und Ideologemen, welche für Klemperer das schwere Erbe einer „Entthronung der Vernunft“ und „Animalisierung des Menschen“ mit sich trugen, das bei späteren Generationen einen Hang zur „Verherrlichung des Machtgedankens, des Raubtiers, der blonden Bestie […]“ hervorrief, sollte noch andere (selbst-)kritische Philologen beschäftigen.10 Klemperers Anmerkung wird daher keine vereinzelte Randnotiz bleiben. Denn mit jener ‚lebens‘- und ‚überlebensnotwendigen‘ philologischen Durchdringung der Lebenswelt in Zeiten des Nationalsozialismus ging auch eine kritische Ursachenforschung wissenschaftlich genährter Ideologeme einher. Philologen wie Victor Klemperer und Werner Krauss betrieben ihre Studien geradezu als eine Herausforderung an sprachliche, mediale und textuelle Erfahrungen innerhalb der bedrohlichen Wirklichkeit einer düsteren Epoche. Und auch nach dem Verschwinden dieser Wirklichkeit wird es eine unumgängliche Aufgabe der Sprach- und Literaturwissenschaften bleiben, sich mit ihrer eigenen Geschichte und ihren immer wieder geltend gemachten Deutungsansprüchen auf das Wissen über den Menschen und seine Lebenswirklichkeit auseinanderzusetzen. Diese Anforderung und ihre Umsetzung durch eine selbst- und zeitkritische Philologie, nicht nur in Zeiten des Terrors, darf also keinesfalls als eine rein retrospektive Historisierung verstanden werden.11 Der Literaturwissenschaftler Ottmar Ette betont daher einen positiven und prospektiven Zusammenhang zwischen anthropologischer Perspektivierung und menschlichem Zusammenleben, wie er mit Hilfe der Philologie, aus ihrem tiefen Wissen um die semantische und logische Offenheit von Text, Schrift und Sprache, entstehen kann.12 Dazu weist er auf ihren Anspruch als Förderinstanz eines kritischen Lebenswissens hin und stellt sie in den Kontext einer Aktualität, die gesellschaftlich und politisch fruchtbar gemacht werden kann und muss: Wie Krauss‘ PLN demonstriert, genügt nicht selten eine kleine Drehung, um Philologie und Philosophie, verdichtetes Lebenswissen und Kampf ums Überleben ineinander zu blenden. Es ist die Aufgabe der Philologie, sich mit diesen spezifischen und höchst unterschiedlichen Traditionen, Genres, Dimensionen und Modi von Lebenswissen auseinanderzusetzen. Die Philologien würden sich dadurch in die Lage versetzen, ihrerseits Formen und Modi von Lebenswissen zu 9 10 11

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Ebd.: 186-187. Ebd.: 190. Dies gilt besonders im Hinblick auf eine einseitig dokumentarische Rezeption eines Zeitdokuments wie Krauss‘ PLN – Passionen der halykonischen Seele.Vgl. Ette 2004: 115-116. Dass jedoch die Gefahr einer machtpolitischen Instrumentalisierung der Philologie aus einem Mangel an Kritikfähigkeit keineswegs gebannt ist, hat Rukmini Bhaya Nair anhand einiger noch im Indien des 21. Jahrhunderts fortwirkender philologischer Narrative zu den Kategorien Kaste und Rasse dargestellt. Vgl. Nair 2013.

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EINLEITUNG

produzieren, die gesellschaftlich, politisch und kulturell relevant und bedeutungsvoll werden könnten.13

Diese Aufgabe der Philologie als reflektierender Produzentin eines soziohistorisch, aber auch individuell konnotierten, semantisch und stilistisch in unterschiedlichsten Formen ausgearbeiteten Lebenswissens umfasst alle philologischen Disziplinen, welche Text und Sprache wissenschaftlich reflektieren. Sie impliziert und fordert andererseits die schonungslose und kritische Auseinandersetzung mit den negativen Folgen der eigenen Ermächtigung als anthropologischer Wissenschaft, um die Ansprüche einer selbstbewussten Lebenswissenschaft in den diskursiven Dynamiken des beginnenden 21. Jahrhunderts glaubwürdig vertreten zu können.14 In einem weiteren ideengeschichtlichen Kontext, und als Zeugen der Notwendigkeit einer näheren epistemologischen Auseinandersetzung mit der Geschichte rassistischen Denkens, vertieften ab den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts Léon Poliakov, Maurice Olender sowie Tzvetan Todorov die Frage nach der anthropologischen Ausdeutbarkeit philologischen Wissens und seiner Rolle bei der Entstehung eines gleichermaßen metaphysisch wie positivistisch fundierten arisch-semitischen Dualismus.15 Der Beitrag der Sprachwissenschaft zu rassenlogischen Paradigmen im Deutschland vor und während der Zeit des Nationalsozialismus erfuhr durch Ruth Römer eine fachgeschichtliche Aufarbeitung.16 Doch blieb es nicht bei diesen Fragestellungen aus anthropologischer und ideengeschichtlicher Perspektive, die vor allem die historische Verfasstheit rassistischer Argumente und Ideologeme betonten. Als bedeutender Pionier einer kritischen Auseinandersetzung mit der europäischen und US-amerikanischen Orient-Philologie stellte schließlich der Literaturwissenschaftler Edward Said nicht nur die Frage nach der wissenschaftlichen Fundiertheit des Rassismus, sondern auch nach der Entstehung rassisti13

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Ebd.: 13. Vgl. vor allem Ottmar Ettes Programmschrift zum Jahr der Geisteswissenschaften als grundlegendes Dokument zur Debatte um eine selbstkritische und dennoch selbstbewusste Philologie, die ihre Ansprüche auf einen auch sozial verstandenen Lebensbegriff vertritt. Vgl. Ette 2007. Zu den Möglichkeiten, welche diese Debatte nicht nur für die Philologie, sondern auch die epistemischen Prämissen gesellschaftlichen Zusammenlebens bereithält vgl. auch Ette 2008 sowie Asholt/Ette 2010. Zu diesem für die politische Positionierung einer zukünftigen Philologie nach wie vor äußerst brisanten Erbe und der daraus folgenden Forderung nach einer kritischen Philologiegeschichte und deren Skizzierung vgl. Messling 2010. Zur Möglichkeit einer selbstbewussten Philologie in der aktuellen Phase beschleunigter Globalisierung aus der Kenntnis der historischen Zusammenhänge vgl. Ette 2012a: 22-23. Die Brisanz dieses kritischen Philologieverständnisses beruhte auch auf der tiefen historischen Verankerung einer dialektisch perspektivierten, philologischen Wissenschaft, welche im Zuge einer europäischen Expansion immer wieder zur Interessenssicherung eurozentrisch denkender Akteure durch kulturelle und sprachliche Inferiorisierung des Anderen und Legitimierung rassenlogischer Essenzialisierungen instrumentalisiert wurde. Ein konkretes Beispiel für dieses historische Erbe der europäischen Philologie sind die Schriften des niederländischen Philologen Cornelius de Pauw. Vgl. Ette 2013. Vgl. Poliakov 1968 u. 1971; Olender 1989, 2005 u 2009; Todorov 1989 u. 1994. Vgl. Römer 1989.

EINLEITUNG

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schen Denkens durch die textuelle Repräsentation selbst. Im Kontext seiner Forderung nach einem aktualisierten und dezidiert politischen Verständnis von Philologie sah er dabei die fundamentale Rolle einer ‚textual attitude‘ bei der Konstruktion des real kolonialisierten und gleichzeitig textuell imaginierten Orient anhand von dessen literarischer und – ab Napoleons Ägyptenexpedition – wissenschaftlicher Darstellung.17 Die Selbstreferentialität dieser textuellen Repräsentation des Orients durch ‚westliche‘ Reisende, Gelehrte und Schriftsteller erzeugte und perpetuierte zugleich rassistische Narrative über ‚den Orientalen‘ zum Nutzen von Imperialismus und Kolonialismus. Im Zuge einer kritischen Auseinandersetzung mit den saidschen Thesen wurde deren wissenschaftliche Aufarbeitung in vielen Bereichen verfolgt.18 Es existiert in dieser kritischen Aufarbeitung jedoch nach wie vor eine entscheidende Leerstelle! Denn bisher fehlt eine systematische Untersuchung der modernen Philologie europäischer Provenienz, wie sie sich im 19. Jahrhundert herausbildete und welche, im Gegensatz zu Roman, Lyrik und Reisebericht, von vornherein einen Anspruch auf die wissenschaftliche Beschreibung von Phänomenen der Realität, also auch der orientalischen Sprachen und Kulturen, geltend machte: Im Zentrum einer kritischen Aufarbeitung Saids müsste daher die Frage der wissenschaftlichen, insbesondere philologischen Repräsentation stehen. Said geht es um den Eurozentrismus und Rassismus im Kern einer europäischen Wissenskultur, gewissermaßen um eine ‚Dialektik der Aufklärung‘. Während diese Erkenntnis zu breiten Diskussionszusammenhängen in den ‚orientalistischen‘ Disziplinen geführt hat, ist das Feld von den Sprach- und Textwissenschaften selbst

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Vgl. Said 1995 [1978]: 87, 92, 94 ff., 168, sowie Ders. 1984 u. 2004. Saids provokante Kernthese: „Ich behaupte, dass die moderne Orientalistik (als Hintergrund des heutigen Orientalismus) nicht auf einem plötzlichen Erwerb objektiven Wissens über den Orient beruht, sondern vielmehr auf tradierten Strukturen – freilich säkularisiert, aufgefrischt und reformiert durch Disziplinen wie die Philologie, die ihrerseits eingebürgerte, modernisierte und laizisierte Stellvertreter des christlichen Supranaturalismus waren. Diesen Strukturen passte man den Osten durch neue Texte und Ideen an.“ Said 2009: 147. Im Kontext einer wissenschaftlichen Debatte um eine Aufarbeitung der saidschen Thesen nennt Markus Messling in seinem Aufsatz „Bury him? Zum Umgang mit Edward W. Saids theoretischem Erbe“ unter anderem zwei zentrale Gegenargumente des Anthropologen und Historikers Daniel Martin Varisco sowie der Pädagogin und Politologin María do Mar Castro Varela, welche einerseits Saids Methodik, aber auch eine epistemische Problematik betreffen: Die Kritik am totalisierenden Impetus der von Said präsentierten Argumente sowie den Vorwurf einer Ontologisierung von Orient und Okzident und die damit einhergehende Essenzialisierung als Mangel an (Selbst-)relationalität. Vgl. Castro Varela 2005: 38, Varisco 2007 u. Messling 2009: 69-70. Said beschreibe jenseits der „Einstellung einzelner Subjekte zum Fremden […]“, „die Haltung einer gesamten Zivilisation, der modernen europäischen, zu dem, was sie für ihr Gegenteil hält.“ Osterhammel 1997: 599, zitiert nach Messling 2009: 70. Er laufe dabei Gefahr, dahingehend interpretiert zu werden, dass er dem ‚Westen‘ die epistemische Möglichkeit individueller Brüche, Relativierungen und Widersprüchlichkeiten im Orientalismus-Diskurs von vornherein abspreche, obwohl er selbst jegliches binäre Denken im Grunde unterlaufen wollte. Vgl. ebd: 69.

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EINLEITUNG

noch immer völlig unsystematisch und unzureichend bearbeitet. Was fehlt, ist eine kritische Geschichte der Philologie, die hier ansetzt.19

Der Romanist Markus Messling knüpft mit seiner Forderung an dieser Leerstelle an und betont dabei, dass gerade die ‚westliche‘ Philologie als Wissenschaft mit hermeneutischem Anspruch eine zentrale Position bei der Interpretation und selbstreferentiell-europäischen Klassifizierung nichteuropäischer Kulturen einnahm.20 Der Wandel des philologischen Wissens über die klassischen Sprachen und Texte der westlichen Antike und die Methoden und Paradigmen des historischen Vergleiches für Europa ‚entdeckter‘ Sprachen, Textkulturen und Mythen im Zeitalter der ‚Hégémonie du comparatisme‘ sind epistemische Faktoren.21 In dieser historischen Funktion führten sie auch zu einer neuen Deutungshoheit über den Gegenstand des Menschen in seiner Geschichtlichkeit, aber auch in seiner Heterogenität und konnten sich dadurch jenes wissenschaftlichen Phänomens ‚Mensch‘ ein Stück weit ermächtigen.22 Neben den populistischen Diskursen über Menschenrassen, deren Beschaffenheit, historischer Rolle und Bewertung in Politik und Medien, prägten stets auch wissenschaftlich legitimierte und akzeptierte Narrative rassistische Denkfiguren und Argumentationszusammenhänge.23 Es wäre zu kurz gegriffen, diese Narrative auf eine naturgeschichtlich-biologische Anthropologie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu beschränken. Vielmehr sollte ihre Erforschung verstärkt in jenem von Messling geforderten kritischen Sinne auf die Philologie als Wissenschaft mit Anspruch auf historischen und anthropologischen Erkenntnisgewinn ausgeweitet werden, wie dies Victor Klemperer aus eigener schmerzhafter Erfahrung für die französische Philologie und deren Anknüpfungspunkte innerhalb der deutschen Romantik angedacht hatte. Nach wie vor offenbart sich das frühe und mittlere 19. Jahrhundert als Schlüsselepoche, wenn es darum geht, auf historische Spurensuche zu gehen, um die epistemischen Voraussetzungen der nicht nur biologischen und ideologisch 19 20

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Ebd.: 70. Vgl. Messling 2009: 70. Zur Notwendigkeit einer kritischen Geschichte der Philologie als politischem Anliegen, welches immer noch lediglich in Ansätzen eingelöst wurde vgl. ders. 2008: 227 ff., 2010a, 2012b, 2012d. Zur enormen Bedeutung des Vergleiches als Paradigma einer philologischen Epoche vgl. den dritten Band von Sylvain Auroux‘ Histoire des sciences du langage, welcher vor allem die Epoche vor 1870 und den Anfängen des Strukturalismus behandelt. Vgl. Auroux 2000. Zum 19. Jahrhundert als „Zeitalter der Geschichte“ vgl. Foucault 1996: 269-300. Zur epistemischen Ermächtigung des philologischen Wissens in Form der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft im 19. Jahrhundert vgl. ebd.: 342-372. Deshalb soll die Theorie eines pseudowissenschaftlichen Charakters des Rassebegriffs in Politik und Medien des späten 19. Jahrhunderts und seiner Ablehnung durch die etablierte ‚Wissenschaft‘ für diese Studie mit Vorsicht zur Kenntnis genommen werden. Vgl. Conze 1978: 174. Diese historisch beeinflusste Position wird nämlich im weiteren Verlauf dieser Arbeit zu hinterfragen sein, da ein machtbasierter Diskursbegriff der dynamischen Instrumentalisierung und Verwissenschaftlichung des Rassebegriffs von Aussage zu Aussage Rechnung tragen muss, um die Grenzen einer Auffassung der Begriffe ‚wissenschaftlich‘ und ‚unwissenschaftlich‘ als historisch und epistemisch neutrale Attribute darzustellen.

EINLEITUNG

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propagierten, sondern auch latent in der Gesellschaft schwelenden Rassismen weiter ans Licht zu bringen. Ausgehend von Edward Said könnte so, im Sinne einer kritischen Geschichte der Philologie, deren Rolle als Produzentin eines europäischen Herrschaftswissens, aber auch als relativierender Instanz rassistischer Paradigmen – nicht nur in Bezug auf den ‚Orient‘ – weiter hinterfragt werden. Es sollte dem Forscher dabei stets als eine Möglichkeit vor Augen stehen, dass diese ‚Ursünde‘ der Philologie nicht alternativlos im Diskurs verwurzelt ist. Auch kann sie nicht aus nationalen Grenzen oder einzelnen philologischen ‚Disziplinen‘ heraus verstanden werden.24 Vielmehr bedürfen rassistische Diskurse innerhalb des philologischen Wissens einer systematischen Aufarbeitung unter Einbeziehung davon differierender Aussagen im Diskursgefüge, also jener Positionen, welche sich europaweit etablierten und auch im Stande waren, Gegendiskurse gegen die wissenschaftliche Rechtfertigung des europäischen Kolonialismus und den vielfach damit einhergehenden Rassismus und Ethnozentrismus zu bilden: Es geht also nicht darum, die wichtige Errungenschaft Foucaults, ideologische und formative Kräfte von Diskursen zu erkennen, in Frage zu stellen – und insofern kann eine Geschichte der Philologie in ideologischer Hinsicht stets nur im Anschluss an Said verstanden werden. Es soll aber der mit dem postmodernen Machtpessimismus einhergehende Eindruck der Optionslosigkeit dahingehend relativiert werden, dass das Individuelle und damit die historischen Alternativen, die durchaus bestanden, ebenso zur Sprache gebracht werden. Diese historische Aufarbeitung Saids ist überfällig, denn in ihr liegt zugleich eine relevante systematische Dimension: Die zentrale Frage dabei ist nämlich, ob in den individuellen Abweichungen des von Said beschriebenen Diskurses nicht Ansätze zu einem philologischen Gegendiskurs liegen, nämlich jenem der Anerkennung der Alterität, der sich zwar viel später erst durchsetzen sollte, sich aber in der Zeit der eurozentrischen Autorität der Philologie bereits manifestiert.25

Nach dieser Vorbemerkung sollte deutlich geworden sein, dass eine erhöhte Sensibilität für die metawissenschaftliche Fragestellung nach dem Beitrag der Philologie zu rassistischem Denken zwar bereits vorhanden ist und zu beachtlichen Ergebnissen geführt hat, jedoch noch immer der Gefahr eines Paradigmas historischer Alternativlosigkeit zu unterliegen droht. Eine historische Fixierung, welche in den folgenden Kapiteln ein Stück weit verhindert werden soll. Gerade im Falle der italienischen Philologiegeschichte sind nämlich noch einige wissenschaftshistorische Lücken aufzuarbeiten, welche näheren Aufschluss über jene Dialektik einer philologischen Aufklärung mit ihren ideologischen Überschüssen in Form von Rassedenken und Rassismus geben könnten: Welchen Beitrag hat neben Deutschland, Frankreich und England das wissenschaftliche Italien des 19. Jahrhunderts mit seiner philologischen Forschung zur wissenschaftlichen Legitimierung von Rassedenken und Rassismus 24 25

Vgl. Messling 2011a. Messling 2010: 135-136, vgl. auch Messling/Lenz 2012a: 162.

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geleistet? Kann im Falle der italienischen Philologie überhaupt von einem Beitrag gesprochen werden oder handelt es sich hier um einen wissenschaftshistorischen Sonderfall, für welchen die saidsche These vom ‚westlichen‘ Hegemonial-Diskurs nicht geltend gemacht werden kann? Haben italienische Gelehrte unwahrscheinlicherweise gar das rassistische Potential philologischer Diskurse einfach unkommentiert übersehen? Oder stellt Italien allein schon aus historischen und soziokulturellen Gründen eine Ausnahme in der Geschichte des europäischen Rassismus und dessen wissenschaftshistorischer Komponente dar? In einem größeren Kontext hat der Historiker Christof Dipper mehrere Faktoren geltend gemacht, die verhindert hätten, dass Rassismus und Antisemitismus in Italien dieselbe Breitenwirkung erreichten, wie dies in Deutschland der Fall war. Dipper nennt für das italienische Ottocento unter anderem die „allgegenwärtig katholisch geprägte Volkskultur“, das überlieferte Familiensystem sowie den „noch immer vergleichsweise hohen Anteil mindestens funktionaler Analphabeten“, welche eine breitere Rezeption und Perpetuierung rassistischer Denkmuster verhindert hätten.26 Auch das Fehlen bestimmter Denkhaltungen und Institutionen zur Verbreitung und Popularisierung rassistischen und insbesondere antisemitischen Gedankenguts hätten diesen Effekt hervorgerufen. „Ohne vollständig sein zu wollen“27 führt Dipper als in Italien fehlende Faktoren auf: […] das völkische Denken, das mit dem Antisemitismus als ‚kulturellem Code‘ (Shulamit Volkov) eine klassenübergreifende und entsprechend weit verbreitete Sprache, ja Weltdeutung gefunden hatte; die judenfeindliche Theologie des Luthertums und die deutschnationale Haltung seines Führungspersonals; der seit langem institutionalisierte Antisemitismus der Verbände vom Alpenverein bis zu den Burschenschaften (ein vergleichbar intensives Verbandsleben war in Italien überhaupt unbekannt); personalpolitische Traditionen in Bürokratie und Militär; der andere Umgang mit psychisch Kranken und ganz allgemein der Aufstieg der Experten und die damit einhergehende Aufwertung ihrer Wissensbestände, die der gesellschaftlichen Steuerung dienten.28

Im Italien des frühen 20. Jahrhunderts ließe sich die Durchsetzung rassistischer Ideologie im Vorfeld und schließlich im Zuge des italienischen Kolonialismus sowie des Faschismus somit vor allem auf staatliches Handeln zurückführen, welches Handlungsdoktrinen zur Verfügung stellte und durchsetzte, die in ihren wissenschaftlichen Axiomen und ideologischen Prämissen von der politischen und wissenschaftlichen Elite Italiens entwickelt wurden.29 Dieser 26 27 28 29

Dipper 2005: 23. Ebd.: 22. Ebd.: 22-23. „Gegen die in staatliches Handeln umgesetzten modernen Weltsichten – und das war ab 1937 der Fall, als unter ausdrücklicher Billigung des Vatikans im italienischen Kolonialreich die Rassentrennung eingeführt wurde – bot das [die oben genannten Faktoren gegen rassistisches Denken, ML] kaum Schutz. Das erklärt den Rassismus im Besatzungsalltag auf dem Balkan,

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historischen Perspektivierung muss jedoch die Gefahr einer chronischen Unterschätzung eines in der Geschichte sowie im Wissen verankerten, italienischen Rassismus gegenübergestellt werden, um ergänzend die Ursachen für diese gefährliche Relativierung zu erwähnen. Letztere führte der Rassismusforscher Alberto Burgio auf zwei Faktoren zurück, die einerseits durch eine bestimmte historische Perspektivierung, andererseits durch eine restriktive Definition des wissenschaftlichen Untersuchungsgegenstandes ‚Rassismus‘ hervorgerufen wurden. Mit dem ersten Grund, der historischen Perspektivierung, gehe vor allem eine zu milde Bewertung des italienischen Antisemitismus – als eine der historisch auch in Italien langlebigsten Formen des Rassismus – einher. Dieser sei, trotz einer langen Geschichte antisemitischen Denkens innerhalb der italienischen Gesellschaft und dabei gefördert von Wissenschaft und Klerus, in erster Linie ausgehend vom faschistischen Antisemitismus verstanden worden, welcher durch eine vergleichende und vereinfachende Perspektivierung vom Antisemitismus des deutschen Nationalsozialismus und der Katastrophe der Shoa leicht, aber zu Unrecht, überschattet werde: Per quanto riguarda in particolare l’antisemitismo, ha probabilmente funzionato un meccanismo analogo a quello in forza del quale il fascismo opera come unico centro di imputazione dell’intera storia del razzismo italiano. A fungere da struttura protettiva è in questo caso l’orrore assoluto della Shoah: assunto il genocidio ebraico compiuto dai nazisti a pietra di paragone, è stato agevole presentare l’antisemitismo fascista come un episodio minore, sino a ridurlo a un fenomeno di opportunismo o di mimesi subalterna. Così, di paradosso in paradosso, il nazismo può vantare il ‚merito’ di aver contribuito a banalizzare l’intera questione del razzismo nostrano […].30

Dass Burgio den Antisemitismus bewusst unter dem Begriff des Rassismus untersuchte, wird aus dem anderen von ihm angeführten Grund verständlich, welcher jene historische Relativierung Italiens als Ort rassistischen Denkens

30

[…], und die rasche Entrechtung und Ausplünderung der italienischen Juden, erst recht natürlich die Drangsalierung der ausländischen nach 1938. Mildernden Effekt hatte allenfalls die in Jahrhunderten eingeübte Verweigerungshaltung gegenüber der Obrigkeit. Die hochherzigen und mutigen Rettungsaktionen erfolgten bezeichnenderweise erst in einem Augenblick, als das Leben der Juden erkennbar bedroht war, und zwar, wie man zu glauben geneigt war, ausschließlich durch die deutsche Besatzungsmacht.“ Ebd.: 23. Dass dieser Glaube an eine ausschließliche Bedrohung der italienischen Juden durch die deutsche Besatzungsmacht wohl kaum gerechtfertigt ist, wird durch die Studie des Historikers Kilian Bartikowski belegt, welche den latent vorhandenen gesellschaftlichen Antisemitismus in Italien genauso berücksichtigt wie die Kollaborationsbereitschaft vieler Italiener im Spiegel deutscher Quellen. Vgl. Bartikowski 2013. Burgio 1999: 12-13. Zur langen Geschichte des Antisemitismus in der italienischen Gesellschaft vgl. insbesondere den dritten Teil von Alberto Burgios Anthologie des italienischen Rassismus zwischen 1870 und 1945, welcher sich neben dem katholischen Antisemitismus auch Carlo Cattaneos und Cesare Lombrosos Streitschriften gegen den Antisemitismus widmet. In mehreren Beiträgen werden zudem die komplexen Zusammenhänge zwischen Nationalismus und Antisemitismus im Königreich Italien, die antisemitische Propaganda während der Zeit faschistischer Herrschaft, aber auch die jüdischen Emanzipationsbemühungen aus juristischer Sicht im Vergleich zu anderen europäischen Staaten beleuchtet. Vgl. ebd.: 215-387.

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weiter befördert habe. Die Ursache für eine chronische Unterschätzung eines lange vorhandenen Rassismus innerhalb der italienischen Gesellschaft entstehe nämlich auch gerade aus der Verengung dieses Begriffes auf ein bestimmtes wissenschaftliches Dispositiv, das allein der phänotypischen Rassedefinition der Ethnologen, Anatomen und Anthropologen Aufmerksamkeit schenke sowie wissenschaftliche Rassenlogiken in erster Linie vor dem Hintergrund politischer und kolonialer Ansprüche analysiere. Demgegenüber war und ist jedoch gerade in Italien beispielsweise ein intrasozialer Rassismus gesellschaftlich präsent, der sich seit der Gründung des Königreichs Italien wissenschaftlich legitimierte, jedoch weniger nach physischen Unterschieden, als vielmehr nach den Kriterien geographischer Herkunft und Klassenzugehörigkeit unterschied und daraus resultierende Devianzen im vorher normierten Sozialverhalten auf eine natürliche Veranlagung zur Kriminalität zurückführte. Die wissenschaftliche und essenzialisierende Inferiorisierung von Süditalienern, Proletariern, Prostituierten, aber auch die pathologische Konstruktion des Verbrechertums als anthropologischer Prädisposition würde jedoch von jenem phänotypisch-rassenlogischen Dispositiv nicht erfasst werden: Se non si sono viste manifestazioni di razzismo nella determinazione di quadri antropologici inferiorizzanti coniati a danno delle plebi meridionali e delle ‚classi pericolosi‘; se non si è compreso il significato razzista della istituzione di corrispondenza tra determinate appartenenze religiose o nazionali e qualità ‚naturali‘ deteriori […]; se si è mancato di cogliere l’insorgere di una procedura razzizzante nella costruzione di ipotesi biologiche funzionali alla repressione di delinquenti e vagabondi e alla discriminazione della componente femminile della popolazione, è verosimilmente perché […] ci si attendeva che il razzismo si presentasse in forme diverse da quelle che caratterizzano l’urto tra comunità umane fenotipicamente diverse e, più precisamente, lo scontro tra quei gruppi umani […] che vengono tradizionalmente definiti ‚razze‘. [...] Il fatto di non rinvenire nella storia italiana se non rare tracce (limitate alle esperienze coloniali) della sola forma di razzismo che si era disposto a concepire ha con ogni probabilità impedito di riconoscere il carattere razzista di tanti dispositivi ideologici e processi discriminativi, e ha contribuito al credito di una rappresentazione autoassolutoria della vicenda nazionale priva di fondamento.31

Diesen von Alberto Burgio selbstkritisch angegangenen Beschwichtigungen der Geschichtswissenschaft, dass Italien im 19. Jahrhundert von rassistischen Denkweisen kaum oder zumindest in weniger kanonisierter Form betroffen war, soll jedoch in dieser Studie von Anfang an nicht gefolgt werden. Es soll historisch unvoreingenommen, aber kritisch, nach einem Beitrag italienischer Gelehrter zu rassistischen und rassenlogischen Denkweisen oder aber explizitem Widerstand gegen derartige Argumentationszusammenhänge gefragt werden, welche sich keineswegs nur in Form von physiologischen und ethnologischen Rassenlehren manifestierten. Dabei werden wir auf anthropologische Erklärungsansätze stoßen, die sich nicht erst nach der Gründung des National31

Ebd.: 13-14.

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staates, sondern bereits im Italien des frühen Ottocento nachweisen lassen: Gerade weil das systematisierte Rassedenken in Italien in weiten Teilen ein Phänomen der gesellschaftlichen Elite zu sein schien und tiefe Wurzeln im wissenschaftlichen Diskursgefüge hatte, ist eine Aufarbeitung seiner frühen epistemischen Entstehungsbedingungen unumgänglich. Brunello Mantelli hat dabei vor allem die Rolle der Naturwissenschaften bei der Etablierung und Systematisierung rassistischer Ideologien betont. Ihre Aussagen sollten schließlich die Rassenideologie des faschistischen Italien prägen.32 Letztere beruhte jedoch nicht allein auf einem im Interesse des kolonialen Staates politisch fruchtbar gemachten Rassebegriff. Von Anthropologen, Kriminologen und Medizinern wie Cesare Lombroso und Paolo Mantegazza wurden Dispositive in Form anthropologischer Typenkonstrukte zur Verfügung gestellt, die sich im Spannungsfeld zwischen Vererbungslehre und Milieu-Determinismus ansiedelten.33 Diese ließen sich gegenüber ‚störenden‘, da ‚devianten‘ Elementen einer normierten Gesellschaftordnung, konkret gegenüber vermeintlich geisteskranken Individuen, Kriminellen, Homosexuellen und Prostituierten ‚innenpolitisch‘ instrumentalisieren.34 Doch um noch einmal die Eingangsfrage aufzugreifen: Welche Rolle spielten bei dieser Entwicklung die Sprach- und Textwissenschaften des 19. Jahrhunderts? Hatte philologisches Wissen einen Anteil an der Herausbildung rassistischer und rassenlogischer Gesellschaftsdiskurse? Zumindest in einem Punkt lässt sich die letzte Frage bereits an dieser frühen Stelle bejahen: Nach einer Phase zurückhaltender rassenpolitischer ‚Aktionen‘ leitete das faschistische Regime im Jahr 1938 die „fase operativa della campagna razziale“35 durch den im Giornale d’Italia erschienenen Artikel „Il Fascismo e i problemi della razza“ ein – dem bereits vielfach untersuchten Manifesto della razza.36 Dabei musste es sich eines ursprünglich philologischen, wenn auch von einer naturwissenschaftlichen Anthropologie modifizierten Paradigmas bedienen, dessen Wurzeln tief in das 19. Jahrhundert zurückreichen. Die Notwendigkeit des arischen Rasseparadigmas für die wissenschaftliche Untermauerung eines politischen Rasseverständnisses zur umfas32

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35 36

Vgl. Mantelli 2005: 209-220. Für eine kritische Analyse von Rassismus und Antisemitismus im faschistischen Italien unter besonderer Berücksichtigung einer zentralen Rolle der Wissenschaften als konsensstiftenden Vermittlungsinstanzen für die Herausbildung und Verbreitung rassistischer Menschenbilder innerhalb der italienischen Gesellschaft vgl. die umfangreiche Studie von Israel/Nastasi 1998. Zur fatalen Verknüpfung soziologischer und genetischer Erklärungsansätze sowie zur epistemischen Verbindung von Natur und Gesellschaft als ‚pragmatische Lösung‘ zur Untermauerung und Rechtfertigung eugenischer und ‚volkshygienischer‘ Maßnahmen zwischen den beiden Weltkriegen vgl. den Beitrag von Dario Padovan in Burgio 1998: 443-454. Vgl. ebd. zur wissenschaftlichen Konstruktion einer kriminalisierten ‚natura femminile‘ die Beiträge von Valeria Paola Babini und Anna Rossi-Doria. Raspanti 1999: 75. Zur historischen Bedeutung des Manifesto vgl. die Untersuchungen von Raspanti 1994 u. 1999: 75 sowie Toscano (Hrsg.) 1996: 879-897.

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senden Rechtfertigung antisemitischer Verfolgungen und rassistischer Kolonialismuspolitik in Italien wurde von den Faschisten selbst, genauer durch den faschistischen Anthropologen Guido Landra, ausdrücklich betont: 37 Concetto fondamentale sul quale si è sviluppata la politica razziale italiana è che esiste una distinzione nettissima tra il gruppo delle razze dette ariane o indoeuropee e quello delle razze camita e semita. […] L’indirizzo seguito del razzismo italiano nell’azione di difesa e di potenziamento della razza italiana è l’indirizzo ariano e questo indirizzo è necessario perché la nostra azione si deve svolgere nei riguardi delle popolazioni semitiche, il che non potrebbe avvenire se il razzismo fosse stato impostato semplicemente sopra il termine molto comprensivo e vago di ‚razza bianca‘.38

Allein die offensichtliche Wirksamkeit der arisch-semitischen Dichotomie als zunächst philologischem Narrativ und als funktionalem Instrument faschistischer Hegemonie in einem zentralen Dokument des faschistischen Rassismus zwingt also auch im Falle Italiens eine selbstkritische Philologie, sich ihrer eigenen Prämissen vertieft und kompromisslos bewusst zu werden. So hat Mauro Raspanti die Gelegenheit genutzt, am Beispiel dieses oben zitierten Anthropologen Landra die Sonderstellung des arischen Paradigmas als wirkmächtigstem und vielseitig einsetzbarem Instrument politischer Diskriminierung in Italien noch einmal hervorzuheben. Zugleich betonte er dessen diskursive Kontinuität, wenn er die Anfänge dieses rassistischen Paradigmas im Schatten der nationalen Einigung aus den Schriften des Angelo De Gubernatis als philologischem ‚Vater‘ eines wissenschaftlich fundierten ‚italienischen Ariertums‘ beschrieb. Dieses Phänomen epistemischer Kontinuität bleibt selbst unter der Bedingung relevant, dass jenes rassenlogische Konstrukt seine größte Wirkung erst in der Spätphase des Faschismus entfaltete, nachdem es anthropologisch lange umstritten war. Denn es begleitete die Geschichte des jungen Nationalstaates von Anfang an: In Italia l’introduzione della tematica ariana, quasi in contemporanea con il sorgere del nuovo Stato unitario, è dovuta principalmente all’orientalista e glottologo Angelo De Gubernatis (1840-1913), la cui figura acquista un valore anche simbolico per il fatto di essere il primo laureato in Lettere dello Stato italiano.39

Jedoch war die Verbreitung dieses rassistischen Paradigmas in der italienischen Philologie keineswegs auf einen einzelnen Akteur im wissenschaftlichen Diskurs zurückzuführen, wie weiter unten an der intensiven Rezeption europäischer Gelehrter durch eben jenen De Gubernatis und andere italienische Philologen deutlich werden wird, die einem arisch-indoeuropäischen Überlegenheitsdenken zugeneigt waren. Es wird bereits bei einem ersten Blick in die italienischen Fachzeitschriften jener Epoche der 60er und 70er Jahre deutlich, dass man sich bei der Frage nach der ‚Arianisierung‘ Europas mit ei37 38 39

Vgl. Raspanti 1999: 76. Landra 1940: 312 u. 314, zitiert nach Raspanti 1999: 76. Ebd.: 78.

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nem international wirkenden Diskurs transnational, aber eurozentrisch denkender, wissenschaftlicher Akteure auseinanderzusetzen hat. Beispielsweise wenn man eine für philologisch untermauerten Rassismus exemplarische Aussage betrachtet, die von einer emanzipierten, aufgeklärten und kritischen Europäerin stammt. Es handelt sich dabei um Sätze aus einem Artikel, der 1870 in der von Angelo De Gubernatis herausgegebenen Rivista Europea unter dem Titel „Il Mahâbhârata, Il Re Nala e gli Studi Indiani nell’alta Italia“ veröffentlicht wurde und die Situation der sich allmählich etablierenden Indien-Studien in Italien diskutierte.40 Der diesem Beitrag zugrunde liegende Vortrag wurde ursprünglich auf Französisch von der rumänisch-albanischen Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Fürstin Elena Kolćova-Massalśkaja vor der Archäologischen Gesellschaft in Athen gehalten. Diese schillernde Figur der europäischen Romantik war besser bekannt unter ihrem Pseudonym Dora d’Istria.41 Allein anhand der jener Aussage zugrunde liegenden Diskurs-Konstellation lässt sich die transnationale, aber auch politische Verwobenheit von philologischem Wissen, Eurozentrismus, Antisemitismus mit dem biologischen Rassedenken erahnen, wie sie für das gesamte 19. Jahrhundert nachgewiesen werden kann, aber ihre besondere Virulenz in der zweiten Hälfte des Ottocento erhielt. Dabei verstand Dora d’Istria, selbst Philologin, Freundin von Angelo De Gubernatis und politische Vorkämpferin für die Rechte der Frauen in den Ländern Osteuropas,42 die ab den 60er Jahren des Ottocento auch in Italien aufblühende indische Philologie als Wissenschaft der arischen Erben des Hellenentums und „Reaktion gegen den semitischen Einfluss“. Die indischen Orientstudien stellten für Dora d’Istria nicht einfach eine Neuordnung des philologischen Wissens dar, sondern hatten eine (bio-)politische Funktion. Sie sollten der lange Zeit dahindarbenden, aber von jeher den Semiten überlegenen arischen Rasse ihr Selbstbewusstsein in Form einer Wissenschaft zurückgeben, die keinem anderen Zweck diene, als Indizien, aber auch die text- und sprachimmanenten Voraussetzungen für die Superiorität eines historisch wie biologisch verstandenen Kollektives auszuwerten und letztlich einer neuen Verwendung in der Sprach- und Textkultur der europäischen Nationen zuzuführen: Ma oramai la reazione contro l’influenza semitica è piena. Gli arabi in qualche modo sono scomparsi dalla scena del mondo, e l’Arabia ridiventa selvaggia, come era prima di Maometto, […]. Così è dimostrato perfettamente che la nostra razza, la quale ha prodotto Omero, Dante, Vamiki, ha creato le scienze, non ha pari nelle Arti, e sola ha mostrato il forte senso della libertà, è infinitamente superiore non solo ai finni mongoli, ma anche ai cosìdetti figli di Sem, la cui supe40 41 42

Vgl. D’Istria 1870. Zu dieser wenig erforschten Figur der europäischen Romantik vgl. D’Alessandri 2007. Zum politisch engagierten Denken und Schreiben der Gräfin vgl. D’Istria 1859 u. 1860. Zu der durchaus intellektuell fruchtbaren Freundschaft zwischen Angelo De Gubernatis und Dora D’Istria sowie ihrem wichtigen Impuls für die Rumänienstudien, aber auch die Orientalistik in Italien vgl. Bordas 2005.

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riorità in materia di religione fu ai dì nostri così strettamente esagerata da additarli perfino come i rappresentanti del monoteismo.43

In dieser kulturchauvinistischen Aussage, veröffentlicht in einem wichtigen italienischen Wissenschaftsorgan blühen der saidsche Orientalismus, aber auch ein auf die Welt abhebender Rassismus („non solo ai finni mongoli“) in all ihrer paradigmatischen Vielfalt. Der sklavische, dafür fälschlicherweise für seinen Monotheismus gerühmte ‚Orient‘ und insbesondere die Araber seien in ihrer vermeintlich passiven Bewegungslosigkeit den hoffnungsvoll freien Erben jener poetischen Emanationen der großartigen indoeuropäischen Rasse maßlos unterlegen. Die arischen Zivilisations-Dichter, Heroen der Literaturgeschichte und „Produkte“ einer Menschenrasse („ha prodotto“), Homer, Dante und Vamiki werden zu Kampfbegriffen gegen die zivilisatorische sowie literarisch eintönige Wüste der wilden semitischen Völker, denen an dieser Stelle als den vermeintlichen ‚Erfindern‘ des Monotheismus nicht einmal eine Überlegenheit in Dingen der Religion zugestanden wird. Doch um die Entstehungsbedingungen für ein derart leidenschaftlich vorgetragenes Plädoyer einer „unendlichen Superiorität“ („infinitamente superiore“) der indoeuropäischarischen Rasse und ihren Status innerhalb der italienischen Philologie, seine Verwobenheit mit den Axiomen des arisch-semitischen Paradigmas, seiner religiösen und biologischen Konnotation zu verstehen, reicht es nicht, nur die zweite Hälfte des Ottocento zu betrachten. Die epistemischen Grundlagen für jenes arische Paradigma traten sehr viel früher in Form eines langsam sich verfestigenden Indoeurozentrismus, vermischt mit politischen Forderungen sowie ästhetischen Urteilen in Erscheinung, von denen in der oben zitierten Aussage noch die Annahme vom arischen „forte sensa della libertà“ sowie die ‚Unvergleichbarkeit‘ der arischen „arti“ zeugen. Dieses exkludierende Argumentieren bedurfte einer schleichenden Potenzierung im philologischen Diskurs, um sich in einem Prozess wissenschaftlicher Legitimierung in anderen Wissensgebieten auszubreiten, sich dabei gegen andere, konkurrierende rassenlogische Paradigmen zu behaupten und auch pluralisierende Gegenargumente zu übertönen, welche einem rassenlogischen und rassistischen Denken gegenüberstanden. Es soll in dieser Studie vor allem um die Frage nach dem Beitrag der italienischen Philologie und ihrer anthropologischen Theorien und Paradigmen zu rassistischen und rassenlogischen Argumentationsfiguren erörtert werden, wie sie im Wissen über die Sprachen, Zeichen und Texte seit dem frühen Ottocento europaweit in Erscheinung traten, jedoch ohne dabei dagegenstehende Resistenzen und Gegenaussagen im historischen Diskursgefüge der Halbinsel unerwähnt zu lassen. Die Forschung hat hier Vorleistungen erbracht, die Orientierungspunkte für eine Analyse bieten. So hat der bereits erwähnte Alberto Burgio in der von ihm herausgegebenen Anthologie zur Geschichte des Ras43

D’Istria 1870: 525-526.

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sismus in Italien von 1870 bis 1945 wichtige Hinweise auf die Kontinuität wissenschaftlicher Diskurse gesammelt, wie sie ab dem späten Ottocento, jener Hochphase eines ausformulierten und systematisierten Rassedenkens und des Rassismus als gesellschaftlichem Phänomen der Moderne, wirksam wurden.44 Auf die Existenz rassenlogischer und rassistischer Diskurse innerhalb der italienischen Sprachwissenschaft (linguistica) des frühen und mittleren 19. Jahrhunderts haben bereits Domenico Santamaria und Giovanni Landucci hingewiesen.45 Der Philologe, Literaturkritiker und Essayist Sebastiano Timpanaro hat die komplexe Debatte um eine Sprachwissenschaft mit anthropologischem Anspruch im mittleren Ottocento bei Carlo Cattaneo und Graziadio Ascoli, sowie die wichtige Verbindung von Darwinismus, Evolutionsdenken und Philologie im späteren Ottocento bei Giacomo Lignana als einer der ersten in Italien eingehend analysiert.46 Die Ergebnisse all dieser Wissenschaftshistoriker sollen daher als wichtige Forschungsansätze und Indizien für weitere rassistische und rassentheoretische Aussagen sowie einige dagegen stehende Beiträge im philologischen Wissen betrachtet werden, welche es anhand einer Diskursanalyse zu vertiefen gilt. Auf diesem Weg soll ein tieferes Verständnis der Axiomatik und der Argumentationsmuster einer philologischen Einbeziehung und Entwicklung essenzialisierender, rassenlogischer und auch rassistischer Denkmuster auf der einen, und den Gründen für deren Ablehnung und Konterkarierung auf der anderen Seite herausgearbeitet werden, wie es sich aus dem Diskurs der italienischen Philologie des 19. Jahrhunderts erschließt. Es ist nicht Ziel dieser Arbeit, nach heutigen Maßstäben die Wissenschaftlichkeit, Protowissenschaftlichkeit bzw. ideologische Natur zentraler Thesen im philologischen Wissen des Ottocento zu befragen und damit retrospektiv zu bewerten. Dies käme einer historischen Disqualifizierung von Aussagen gleich, deren Status als Ideologie oder Wissenschaft sich historisch durch angelegte Verifikations- und Falsifikationsnormen erst herauskristallisieren musste und im Diskurs immer wieder neu beurteilt wurde. Vielmehr sollen grundlegende Brüche und Kontinuitäten der Aussagezusammenhänge zu diesen Themen sowie ihre Entstehungsbedingungen im Kontext ihrer historischen und epistemischen Verfasstheit herausgearbeitet werden. Gemäß Victor Klemperers Hinweis auf den Anteil der deutschen Romantik am wissenschaftlichen Rassismus des 19. und 20. Jahrhunderts, und trotz Edward Saids Konzentration auf die französische, britische und US-amerikanische Orientalistik, 44 45 46

Vgl. Burgio 1999. Vgl. Santamaria 1981: 25-30, 36 ff. u. ebd. FN 153 sowie Landucci 1977: 53. Damit hat Timpanaro wichtige Hinweise auf die Positionierungen zweier zentraler Figuren im philologischen Diskurs des Ottocento zu anthropologischen und rassistischen Paradigmen gegeben, welche auch heute noch die Perspektive auf den speziell historischen Charakter der italienischen Philologie des 19. Jahrhunderts bestimmen. Vgl. Timpanaro 1973: 229-376. Auch die Auswirkungen einer Perspektivierung des philologischen Wissens durch den Philologen Giacomo Lignana zugunsten der aufkommenden Evolutionstheorien wurden von Timpanaro in ihrer anthropologischen Tragweite angesprochen. Vgl. ders. 1979 u. Lenz 2013a.

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EINLEITUNG

soll der Fokus dieser Studie weniger auf der wissenschaftsgeschichtlichen Etablierung der italienischen Orientphilologien als Einzeldisziplinen mit möglicherweise rassistischen Tendenzen liegen. Rassentheoretische und rassistische Thesen, Axiome, Paradigmen und Argumente sollen als fachübergreifende epistemische Aussagen verstanden werden, die bereits vor der Institutionalisierung der philologischen Disziplinen auftraten und innerhalb der institutionalisierten Fachdisziplinen weiterbestanden. Die Frage nach der Herkunft und der Unterstützung von Rassedenken und Rassismus aus dem und durch das philologische Wissen wird somit primär im Hinblick auf Philologie als einem vergleichenden und oftmals hierarchisierenden Diskurs über sprachliche, zeichenhafte und literarische Objekte mit ethnographischem und anthropologischem Deutungsanspruch gestellt. Eine fachgeschichtlich-monographische Aufarbeitung und Gewichtung möglicherweise bestehender rassistischer und rassenlogischer Diskurse innerhalb der philologischen Einzeldisziplinen und des Umgangs mit diesen Thesen bleibt jedoch weiterhin eine offene Frage an die Forschung, die es umfassend zu beantworten gilt. Die im Folgenden unternommene Analyse der epistemischen Voraussetzungen philologischer Diskurse hat schließlich auch eine historische Verortung ihrer zugrunde liegenden Axiomatik in einem internationalen Kontext zum Ziel. Aufgrund dieser Verortung sollen Aussagen in ihrer Wirksamkeit auf das philologische Wissen gewichtet werden, indem sie in bereits bestehende europäische Diskurse integriert, oder gar als explizite Gegendiskurse enthüllt werden. Das Aufdecken von Aussagezusammenhängen und ihrer zugrundeliegenden Epistemologie möge eine vorläufige, wenn auch nicht abschließende Bewertung eines Beitrages der italienischen Philologie zu Rassedenken und Rassismus erlauben.

Interdependenz der Diskurse: Philologische, politische und soziale Fragen im Zeitalter des Risorgimento Doch kann man im Falle der italienischen Wissenschaftsgeschichte überhaupt ein Attribut nationalstaatlicher Identität konstatieren? Sollte man nicht lieber die Herausbildung philologischen Wissens in den italienischen Einzelstaaten gesondert betrachten, wie sie sich von 1800 bis 1861 abzeichnete, und erst ab dem Zeitpunkt der nationalen Einigung von einer ‚italienischen‘ Philologie sprechen? Tatsächlich muss bei einer Auseinandersetzung mit Fragen zum Ottocento auch die komplexe politische und soziale Gemengelage zumindest erwähnt werden, welche sowohl die Entwicklung als auch die epistemische Grundierung der Philologie bestimmte, wie sie sich auf der italienischen Halbinsel entwickelte.47 Jener Zeitraum der italienischen Geschichte im weltweiten 47

Für geschichtswissenschaftliche Darstellungen der politischen Akteure und Ereignisse im geographischen Kontext Italiens von der napoleonischen Epoche bis zur Phase des italienischen

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Kontext einer Interimszeit zwischen zwei Phasen beschleunigter Globalisierung, der vereinfachend unter dem Epochen-Begriff des Risorgimento zusammengefasst wird, umfasst mit diesem einen Terminus mehrerer Stufen politischer, sozialer und kultureller Prozesse, die eine Nationalstaatsbildung vor und nach der langwierigen politischen Einigung Italiens aus dem Geiste eines bürgerlichen Nationalismus ermöglichten.48 Da in dieser Studie vor allem der wissenschaftlich systematisierte, perpetuierte und legitimierte Rassismus, nicht jedoch der Nationalismus im Mittelpunkt steht, soll die Frage nach dem Nationenbegriff des Risorgimento vor allem im Falle seiner Relevanz für eine anthropologische und rassenlogische Ausarbeitung im Kontext kollektiver Identitätsbildung gestellt werden. Dies hat einen weiteren Grund auch in der historischen Annahme, dass Italien im Gegensatz zu Deutschland seit Ende des 18. Jahrhunderts in einem Spannungsverhältnis zu den Begriffen patria und nazione stand, welches einer regionalen und kulturellen, eher als einer territorialstaatlichen und auch ethnischen Identität Vorrang gab.49 Die nazione konnte in Italien daher von Anfang an nicht einfach mit der Bezugnahme auf eine nationalstaatliche Identität gleichgesetzt werden, was zur Folge hatte, dass eine genealogische Selbstverortung im rassenlogischen Sinn sowohl über nationale, historische, kulturelle, sprachliche als auch regionale und intranationale Bezugsmuster funktionierte. Eine historisch-vereinfachende Unterschei-

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Kolonialismus vgl. Della Peruta 2007, Altgeld 2002: 197-272, Procacci 1989: 220-304. Speziell für die Phase nach der politischen Einigung vgl. Smith 1987. Einen geschichtlichen Abriss zur wirtschaftlichen, politischen und soziokulturellen Verfasstheit des Mezzogiorno vor und nach der Einigung bietet Bevilacqua 1996: 3-54. Zu den weltweiten Dynamiken, den diskursiven Asymmetrien und den dominanten Akteuren jener beiden Phasen beschleunigter Globalisierung, welche die von Frankreich und England geprägte Phase vom Ende des 18. im Übergang zum 19. Jahrhundert sowie jene vom Ende des ausgehenden 19. zu den vielen ‚Modernen‘ des beginnenden 20. Jahrhunderts prägten vgl. Ette 2012a: 14-22. Zur im Vergleich zu Deutschland erst spät auftretenden Assoziierung des Begriffes der nazione mit dem Rassebegriff, aber auch mit dem Begriff Italia im Sinne einer patria der Bewohner der Halbinsel durch Autoren des 18. Jahrhunderts wie Gianrinaldo Carli, schreibt Stefano Gensini: „Because of the traditional political divisions, the feeling of ‘national awareness’ has always been weak in Italy. Here a comparison with Germany is vital. In spite of long-lasting political divisions, the cosmopolitan German scholar Leibniz employed the term Vaterland to refer to the German language and nation at the end of the 17th century whereas in Italy it was only in 1765 that the expression la patria degli italiani occasionally came to the fore. It is also interesting that some decades later, the constitutions of the democratic republics which were established in Rome, Genoa and Naples (1797-99) after the French model, generally adopted phrases such as nazione romana, nazione napoletana, patria genovese etc. It is plain to see, then, that at the beginning of the 19th century the concept of nation was not only independent from that of race, but also from the concept of Italy; it was rather connected to one’s place of birth (and eventually to the stock to which one belonged), its customs and traditions. This also explains why the German term Volkstum (circulated by Friedrich Ludwig Jahn in 1810, and destined to play a decisive role in Nazi pedagogy) had (and still has) no equivalent in Italian. In this framework, the lack of a national consciousness was acknowledged as a typical feature of various Italian characters and temperaments by non-Italian authoritative witnesses, such as Goethe in his Reise nach Italien and Mme de Staël in her Corinne.“ Gensini 2013: 174.

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dung zwischen einem ‚objektiven‘ Nationenbegriff, beruhend auf den Begriffen Boden, Blut und Rasse sowie einem ‚subjektiven‘, an Ernest Renan angelehnten, Nationenbegriff, der sich auf „motivi volontaristici“, wie „sentimento di appartenenza, la consapevolezza dell’identità, la volontà cosciente di riconoscersi in una collettività commune“ gründet, reicht für eine historische Untersuchung des Rassismus auf dem Gebiet des heutigen Italien nicht aus.50 Beide Konzepte konnten zwar dem Nationalismus dienen, waren jedoch auch mit rassenlogischen Konzepten vereinbar. Dennoch sollen einige Anhaltspunkte für die Gestalt des italienischen Nationalismus gegeben werden, indem kurz und in groben Zügen auf dessen Entstehungsbedingungen hingewiesen wird. Ein politisch organisierter und intellektuell untermauerter verbreiteter Patriotismus als nationalem Denken wurde in Italien durch den Aufstieg einer gebildeten und liberal-demokratisch gesinnten Klasse ermöglicht, die sich im Geiste der französischen Aufklärung während der napoleonischen Ära der Repubbliche Cisalpina und Italiana sowie dem ersten Regno d’Italia konsolidierte. Während der Zeit der Wiener Restauration behauptete sich diese Klasse vor allem in den städtischen Zentren Norditaliens, wohingegen die alte, ökonomisch oft unbedeutende, aristokratische Oberschicht politisch immer mehr an Einfluss verlor.51 Jürgen Osterhammel weist darauf hin, dass dabei in erster Linie nicht kulturelle, sondern wirtschaftliche Interessen dieser Kaufleute und kleineren Gutsbesitzer eine Rolle als Motoren sozialer Emanzipationsbestrebungen spielten.52 Die während der Restaurationsphase etablierte Machtverteilung in Italien erschwerte vor allem in den südlichen Landesteilen und im Kirchenstaat die Legitimierung und überhaupt die Initiierung des politischen Prozesses einer Staatsgründung durch demokratische und republikanische Kräfte als italienischen Gegengewichten zu den Interessensfronten der italienischen 50 51

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Della Peruta 2007: 9-10. „Come classe sociale i nobili in Italia non avevano che scarsa importanza politica, in quando non possedevano gli stessi privilegi feudali o militari dei loro pari in Germania, né l’esperienza di governo dell’aristocrazia inglese. La nobiltà non comportava necessariamente ricchezza o potere, e non v’è dubbio che non esisteva niente che somigliasse ad una rigida casta aristocratica.“ Smith 1987: 63. Zu diesem Zusammenhang von ökonomischer Emanzipation und politischen Bedürfnissen, welche dem italienischen Nationalismus auch ein pragmatisches, gegen staatlichen Protektionismus gerichtetes Gepräge gaben, schreibt Smith: „La causa dell’indipendenza nazionale fu connessa in Italia con la trasformazione del governo in senso liberale; e fu legata altresì allo sviluppo delle città ed ai rivolgimenti sociali grazie ai quali nuove classi si affacciarono alla ribalta spezzando le maglie di un sistema politico e sociale che le aveva fino ad allora tenute compresse. […] Prima del periodo napoleonico la borghesia non aveva neppure fatto la sua comparsa sullo scacchiere politico, ma essa era destinata a trovare nel nazionalismo e nel liberalismo una ideologia piena di fascino capace di giustificare la sua ascesa verso la prosperità ed il potere. I commercianti lombardi erano stati tagliati fuori dagli austriaci dal loro sbocco naturale che era Genova, mentre a settentrione erano ostacolati da una politica di discriminazione a favore, delle industrie tessili boeme. Il nazionalismo pertanto offriva loro un valido sostegno nella lotta contro i monopoli ed un protezionismo poco illuminato.“ Ebd.: 61.

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Monarchien und der ausländischen Großmächte.53 Der italienische Nationalismus musste daher vor dem Hintergrund dieser politischen Schwäche – noch vor einem militärischen – ein intellektuelles und kulturelles Fundament finden. Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt die Zusammensetzung jener neuen bürgerlichen Elite genauer, so zeigt sich, dass Schriftsteller, Historiker, Rechtsgelehrte und Philologen aus dem neoguelfischen, liberal-moderaten und radikal-demokratischen Lager durch ihre publizistische Tätigkeit einen essenzielle Bestandteile einer bürgerlichen Revolution darstellten. Auch die mutigen Schriften mit den sozialen und politischen Verhältnissen der Restaurationszeit unzufriedener Intellektueller trieben die Infragestellung der überkommenen Machtverhältnisse voran und veränderten den politischen Diskurs durch Pamphlete, Artikel, aber auch durch wissenschaftliche Arbeiten:54 Il Risorgimento, come c′era da aspettarsi, non fu un movimento di massa, ma di élite. Fra i Mille di Garibaldi non c’erano contadini, ma piuttosto studenti, artigiani indipendenti e ‚letterati‘. La spina dorsale della rivoluzione nazionale fu costituita da ex ufficiali come Cavour e Pisacane, marinai come Bixio e Garibaldi stesso, medici come Betrani e Farini, avvocati come Crispi e Rattazzi, scrittori e uomini di studio come Amari e De Sanctis.55

Diese Chemie der gesellschaftlichen Kräfte hatte auf die Gestalt des philologischen Diskurses in Italien einen nicht zu unterschätzenden Einfluss. Gerade am regen, politischen Engagement von einigen für die methodische und inhaltliche Modernisierung, Aktualisierung und schließlich Institutionalisierung des philologischen Wissens in Italien zentralen Figuren lässt sich dies nachvollziehen. Der Historiker Denis Mack Smith nennt mit Francesco De Sanctis einen der Pioniere der italienischen Literaturwissenschaft und mit Michele Amari den Mitbegründer einer italienischen Orientalistik. Jedoch ließe sich auch Carlo Cattaneo als Wegbereiter der Sprachwissenschaft in Italien zu die-

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„Der wichtigste Grund für das Fehlen struktureller Voraussetzungen für die nationale Einheit war, dass seit Jahrhunderten externe Kräfte in Italien hineinregiert hatten. Italien musste von fremden Besatzungsregimen befreit werden, während in Deutschland bloß der Einfluss des habsburgischen Kaisers zurückgedrängt wurde, […]. Preußen war eine eigenständige Militärmacht von einem ganz anderen Kaliber als das kleine Piemont-Sardinien. Es konnte die Einigung Deutschlands im internationalen Umfeld brachial durchsetzen, während Piemont auf die Unterstützung von Mächtekonstellationen angewiesen war, in denen es selbst stets den schwächeren Partner spielte.“ Osterhammel 2011: 591. Vgl. Smith 1987: 62. Ebd. Zu den „Siegen und Niederlagen des Risorgimento“ vgl. Procacci 1989: 248-277. Es galt ein politisches Engagement trotz infrastruktureller und organisatorischer Schwierigkeiten aufrechtzuerhalten. Strukturell waren die intellektuellen Vordenker und Vorkämpfer der nationalen Einheit Italiens eher schlecht vorbereitet: „Integrative Vorstufen“ in wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht, wie diese in Deutschland durch den Zollverein und den Norddeutschen Bund gegeben waren, fehlten und „auch mental gab es, außer dem katholischen Glauben fast nichts, das alle Italiener von der Lombardei bis Sizilien verband; aber die Kirche lag seit 1848 auf Kollisionskurs mit dem italienischen Nationalstaat.“ Osterhammel 2011: 591.

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sen ‚patriotischen Philologen‘ zählen.56 Durch diese bürgerlichen und liberalen Intellektuellen, ihr Selbstverständnis als fortschrittliche Wissenschaftler, die von der politischen Realität nicht unberührt blieben und diese mitgestalteten, erfuhr eine Strömung bewusster Instrumentalisierung von Wissenschaftlichkeit als sozialpolitischer Fortschrittsideologie große Relevanz. Ihre Vertreter sahen eine diskursive Epistemologisierung und Formalisierung des philologischen Wissens stets in einem dezidiert positivistischen und auch funktionalen Kontext, der den Nutzcharakter der Philologie für die zu schaffende italienische Gesellschaft betonte.57 Es war vor allem die Forderung nach Modernisierung und Fortschritt dieser Gesellschaft, welche im Geiste des Patriotismus auch von den Wissenschaften der Texte und Sprachen einen Beitrag forderte. Die positivistische und utilitaristische Tendenz eines wissenschaftlichen Patriotismus ist auch deshalb entscheidend, weil diese Strömung das unruhige Jahrzehnt nach 1848 überdauerte.58 Während der zweiten, ‚moderaten‘ Phase des Risorgimento unter Cavour, nach dem Fall der letzten Bourbonen-Festung in Gaeta und der politisch-formellen Einigung unter dem sabaudischen Königshaus im Jahre 1861, stand der junge Nationalstaat bekanntlich vor der gewaltigen innenpolitischen Aufgabe seiner eigenen Legitimierung.59 Dieser Mangel an Akzeptanz des Nationalstaates in weiten Teilen der italienischen Bevölkerung lag auch an der kulturellen Hegemonie einer moderat-liberalen, norditalienischen Machtelite, welche in den feudalen und selbstbewussten Machteliten des Mezzogiorno, dem Problem des kriminellen Brigantentums süditalienischer Bauern sowie der aus ihrer Sicht rückschrittlichen Kultur der agrarisch geprägten, ländlichen Bevölkerungsmehrheit im neu gegründeten 56

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Zu Cattaneos gesellschaftlichem Engagement als Movens seiner philosophischen Überlegungen vgl. Bobbio 1971. Diese Nutzbarmachtung der Wissenschaften als Ansporn einer gesellschaftlichen Modernisierung wird nicht nur an der politischen Biographie der oben genannten Gelehrten, sondern vor allem in Zeitschriften wie der Nuova Antologia, dem Politecnico u.a. deutlich, welche in ihren wissenschaftlichen Beiträgen die Philologie in einem Kontext patriotischer Gesinnung im Sinne eines gesellschaftspolitischen Utilitarismus als ‚arte utile‘ präsentierten. Ein Disput zwischen philosophischen Vertretern einer metaphysischen gegenüber einer positivistischen Ausrichtung der italienischen Wissenschaften, wie er die 60er Jahre beherrschte, entlud sich vor allem in der Frage nach der Ausrichtung des italienischen Bildungssystems, diskutiert von positivistisch gesinnten Pädagogen und Philosophen wie Villari, De Meis oder Ardigò und ihren Gegnern. Besonders von katholischer Seite durch Zeitschriften wie der Civiltà Cattolica wurde jenem fortschrittsorientierten Positivismus sowie dem Materialismus einiger seiner Vertreter starker Widerstand entgegengesetzt. Vgl. Landucci 1977: 25-49. Der berühmte Ausspruch „Fatta l'Italia bisogna fare gli italiani“ wurde Massimo Taparelli d‘Azeglio fälschlicherweise zugeschrieben. Dies ändert jedoch nichts daran, dass es der Marchese aus Turin war, welcher in den ein Jahr nach seinem Tod im Jahr 1866 veröffentlichten Riccordi die mangelnde gesellschaftliche Verankerung des Nationalstaates kurz nach der Einigung erkannte und diesem Problem oberste Priorität zuschrieb: „L’Italia da circa mezzo secolo s’agita, si travaglia per divenire un sol popolo, e farsi nazione. La lotta collo straniero è portata a buon porto, ma non è questa la difficoltà maggiore. La maggiore, la vera, quella che mantiene tutto incerto, tutto in forse, è la lotta interna. I più pericolosi nemici d’Italia non sono gli Austriaci, sono gl’Italiani.“ D’Azeglio 1867: 6.

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Königreich Italien Hindernisse erblickte.60 Auf diese ‚Störfaktoren‘ wurde nicht nur mit zentralisierenden Maßnahmen, bildungspolitischen Reformen, sondern auch mit rassistischer Diskriminierung gegenüber ‚störenden Elementen‘ im allgemeinen Fortschrittsprozess reagiert, wie der Fall Cesare Lombroso zeigte, um die Akzeptanz eines italienischen Nationalstaates durch Aufklärung und auch Zwang zu gewährleisten.61 Inneritalienischer Rassismus war in diesem Zusammenhang nicht nur das Nebenprodukt eines militanten Positivismus der Wissenschaften, eine Entwicklung, die Vito Teti in seiner Arbeit über jene noch heute wirksame inneritalienische Rassenlogik – jene Konstruktion der kriminalisierten razza maledetta – für die Zeit zwischen 1898 bis 1906 hervorgehoben hat.62 Diese Art des Rassismus war, wie der Historiker Pier Paolo Poggio darlegt, auch ein Resultat weit in das 19. Jahrhundert zurückreichender gesellschaftlicher Konflikte zwischen den armen Landbevölkerungen und wohlhabenderen Bevölkerungsschichten sowie den daraus resultierenden propagandistischen und literarischen Stereotypen. Dieser Konflikt manifestierte sich zwar politisch in den Klassenkämpfen des späten Ottocento, hing aber eng mit der fehlenden Akzeptanz politischer Hegemonie sowie der Verachtung und dem Misstrauen gegenüber einer bäuerlichen Bevölkerungsschicht durch die städtische Elite zusammen, wie sie seit dem frühen Ottocento die Konflikte zwischen Staatsmacht und süditalienischen briganti – beziehungsweise militanten contadini – motivierten: Sicuramente il positivismo, dilagante nello stesso movimento operaio, vi giocò un ruolo da tutti riconosciuto, ma non si trattò di un errore della scienza: la teorizzazione della ‚razza maledetta‘ trasse alimento dal sanguinoso conflitto tra lo Stato unitario e i contadini meridionali. Il radicamento storico-sociale del dispositivo ideologico razzista, l’intreccio tra razzismo e classismo, che deve mettere in guardia da vecchi e nuovi riduzionismi, risulta con chiarezza se si pensa allo spessore degli stereotipi anticontadini, un prodotto storico-culturale così come il loro rovescio simmetrico.63

Das komplexe Phänomen eines intranationalen Rassismus gegenüber vermeintlich ‚barbarischen‘ und kriminellen Teile der italienischen Bevölkerung, das mit einer bürgerlichen Hegemonie einherging, soll hier aus der Perspektive einer epistemischen Legitimierung durch das philologische Wissen und weniger anhand der Beschäftigung mit der kulturellen und literarischen Stereotypisierung einer süditalienischen Identität im späten Ottocento gestellt wer60

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Zur zentralen Rolle, welche das Brigantentum für eine Stigmatisierung des „abergläubischen, fanatischen und barbarischen Südens“ spielte, die schon während der napoleonischen Ära auftrat, sich in den Anfängen des italienischen Nationalstaates fortsetzte und für die Funktionsweise jenes konstruierten Nord-Süd-Dualismus relevant wurde, der zwischen reaktionärem Gesellschaftsmodell einer nationalstaatlichen Hegemonie und anthropologischer Rassenlogik positivistischer Wissenschaften schwankte vgl. Poggio 1999: 90-94.l Vgl. Osterhammel 2011: 1167. Zu Lombrosos Rolle bei der rassenlogischen Kriminalisierung der Süditaliener vgl. Poggio 1999: 90-91. Vgl. Teti 1993. Poggio 1999: 91.

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den.64 Denn einer medial und belletristisch geprägten Exotisierung, Kriminalisierung und Inferiorisierung steht ein differenziertes Bild des italienischen Südens gegenüber, wie es in der philologischen Beschäftigung von Giulio Perticari, Francesco De Sanctis und Michele Amari mit Dichtung, Literatur und Geschichte Siziliens sowie ihrer Bedeutung für die italienische Literatur und die italienische Literatursprache die frühe italienische Literaturwissenschaft und Orientalistik prägte.65 Einen blockhaften und essenzialistischen Nord-SüdDualismus vorauszusetzen, der durch die Philologie geschürt wurde, wäre daher verkürzt. Prioritär soll jedoch die Frage nach rassistischen Denkfiguren gestellt werden, wie sie aus der Konstruktion kollektiver Identität durch die Philologie entwickelt wurden, da auf diesem anthropologischen Deutungsanspruch eine Einordnung wissenschaftlich konstruierter Identität in einen biologischgenealogischen oder aber kulturell-konventionalistischen Diskurs aufbauen konnte. Die Frage nach einer Identität der Italiener war dabei in vielerlei Hinsicht vom philologischen Wissen abhängig. Vor und nach der politischen Einigung Italiens war das Wissen über Text und Sprache mit den pragmatischen Problemen einer gesellschaftlichen Gesamtsituation Italiens konfrontiert, die von sprachlicher und kultureller Heterogenität sowie tiefen Unterschieden in der Sozialstruktur der Bevölkerung gekennzeichnet war.66 Es mangelte nach wie vor an einer normierten italienischen Schriftsprache, wie sie die Gelehrten der Halbinsel in den unterschiedlichen Lösungsansätzen der questione della lingua seit Jahrhunderten zu beantworten suchten.67 Auch der Analphabetismus einer Mehrheit der italienischen Bevölkerung sowie der Umgang mit der 64

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Zu einem Diskurs stereotyper Repräsentationsformen des ‚anderen‘ Italien und seiner Bewohner zwischen Assoziation mit Elend, Kriminalität und pittoresker Exotisierung, wie er der bürgerlichen Gesellschaft Mittelitaliens sowie des Nordens durch Zeitschriften wie die Illustrazione Italiana ab den 70er Jahren des Ottocento ermöglicht wurde vgl. Vögle 2013. Vgl. Amari 1854 sowie De Sanctis 1870: Kap. 1. „I Siciliani“. Zur Bedeutung der – wenn auch auf falschen philologischen Sachverhalten aufbauenden – literaturhistorischen Überlegungen Giulio Perticaris zu einer italienischen Literatursprache und ihren Anfängen aus der sizilianischen Dichtung als Gegenentwurf zur literaturhistorischen Aristokratisierung des Toskanischen vgl. Marazzini 1989: 195-199. Zur Geschichte der italienischen Sprache im 19. Jahrhundert vgl. Serianni 1989 u. 1990 sowie De Mauro 1993 [1963]. Zur Bedeutung dieses Zusammenhangs von sprachlicher und kultureller Heterogenität für die historische Entwicklung einer nationalen Identität der Italiener vgl. Procacci 1989: 278-281. Die Zusammenhänge zwischen politischer und sprachlicher Hegemonie hebt auch Jürgen Trabant hervor, wenn er ausgehend vom machtkritischen Philologieverständnis Antonio Gramscis das Problem der questione della lingua behandelt: „Antonio Gramsci, der wie kein anderer politischer Theoretiker ein Gespür für die politische Bedeutung der Sprach-Kultur hatte, hat es deutlich gesagt: Die Frage der Sprache – la questione della lingua, wie er sie nennt – hat immer erhebliche gesellschaftliche und politische Implikationen. Die kulturelle Hegemonie geht mit der politischen Herrschaft einher […].“ Trabant 2008: 120. Zur Geschichte der questione della lingua in Italien und Europa ab dem Cinquecento vgl. ebd.: 119 ff. Empfehlenswert für eine nähere Beschäftigung mit dem Thema ist die materialreiche Studie von Maurizio Vitale. Vgl. Vitale 1978.

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italienischen Dialektvielfalt, jener „selva dei dialetti“68, stellten gesellschaftspolitische Probleme dar, welche die Philologie als didaktisches Instrument zur sprachlichen und literarischen ‚Erziehung‘ der Italiener beschäftigten.69 Ab 1861 musste sich schließlich die Philologie selbst nach der Form ihrer Institutionalisierung in einem nationalstaatlichen Kontext und nach der Aktualität ihrer erkenntnistheoretischen Standards befragen.70 Die wissenschaftliche Ausarbeitung der Substrattheorie, auch im Rahmen der erstarkenden Dialektforschung sowie die weiterhin privilegierte Stellung der toskanischen Literatur der tre corone als eher kulturell-historischem, denn gesellschaftlichem Referenzraum in der questione della lingua sind dabei wissenschaftsgeschichtliche Indizien für eine von Anfang an bestehende Spannung zwischen kultureller und ethnisch-genealogischer Selbstverortung der Italiener anhand philologischen Wissens.71 Diese Dynamik, verstanden als erster Hinweis auf einen zentralen Beitrag der Philologie zu Rassedenken und Rassismus, kann auch anhand der questione della lingua selbst verfolgt werden. Es steht dabei außer Zweifel, dass in der Debatte um die Frage nach der ‚richtigen‘ Sprache neben politischen, auch anthropologische Ansätze und Argumente den Diskurs beeinflussten.72 So sollte um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Florenz eine verstärkte Rezeption moderner naturwissenschaftlicher Theorien zu einer Suche nach empirischen Er68 69

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Vgl. hierzu De Mauro 1993 [1963]: 21 ff. „Al momento dell’unificazione, dunque, la popolazione italiana era quasi all‘ 80% priva della possibilità di venire a contatto con l’uso scritto dell’italiano, ossia, per la già rammentata assenza dell’uso orale, dell’italiano senz’altra specificazione.“ Ebd.: 37. Noch 1910 betrug die Rate der Analphabeten in Italien 62% im Gegensatz zu Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland, wo sie bereits bei annähernd 0% lag. Vgl. Osterhammel 2011: 1118-1119 sowie Tortella 1994: 11. Vgl. Dovetto 1991a u. Lucchini 2008: 388-415. Italien nahm in der Dialektforschung dank der Methodik Graziadio Ascolis und den vorbereitenden Arbeiten Bernardino Biondellis im 19. Jahrhundert zwar eine führende Stellung ein, bildete jedoch erst sehr viel später eine selbständige nationale Sprachgeschichtsschreibung heraus. Vgl. Lucchini 1990 sowie Michel 2005: 19. Arbeiten, welche auf dialektologischem Gebiet nach den Ursprüngen des Italienischen und damit nach einem philologischen Referenzpunkt italienischer Identität suchten, finden sich noch über das gesamte spätere Ottocento verteilt. Zu erwähnen sind Mussafia 1864, Caix 1872 und 1880, Miola 1878, Gloria 1880, Morandi 1892 [1883]. Zu jener gleichermaßen politischen, kulturellen und anthropologischen Dimension von sprachlichen Standardisierungsprozessen in Italien als soziokulturell komplexem Raum, wie sie bereits während des Cinquecento virulent wurde vgl. Trabant 2008: 122-148. Während des Ottocento war es vor allem die vertauschte Stellung der beiden Zentren jener Debatte um die questione della lingua – Mailand und Florenz – welche jene kulturhegemoniale Rivalität um die Rolle eines Bewahrers nationaler Identität widerspiegelte. Die toskanische Metropole galt dabei als toleranter Hort lebendiger sprachpolitischer Debatten in der ersten Hälfte des Ottocento, war aber gleichzeitig Sitz der konservativen Accademia della Crusca. Dagegen verstand sich das lombardische Zentrum der Manzonianer im späten Ottocento als eigentlicher Bewahrer einer sprachlichen Nationalkultur. Eine Rolle, der aus Sicht mancher konservativ denkender Sprachtheoretiker das literarisch, aber auch sprachpolitisch ‚korrumpierte‘ moderne Florentinisch nicht mehr gerecht werden konnte. Vgl. Dionisotti 1998: 310 ff.

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klärungsansätzen innerhalb der Philologie führen. Der liberale Historiker, Pädagoge und Advokat Gherardo Nerucci warf die Frage nach einem sprachlichen Selektionsmechanismus auf, der nach den Gesetzen Darwins dem Toskanischen zum Durchbruch verholfen habe. Bei diesem sprachgeschichtlichen Vorgang habe es sich nicht um eine „selezione spontanea“ gehandelt. Vielmehr sei diese „il resultato di quella legge studiata dal Darwin, la legge della naturale elezione, per la quale la natura si sforza di raggiungere un tipo finale perfetto“73. Jedoch verband Nerucci mit diesem naturwissenschaftlichen Theorem keinen anthropologisch-essenzialisierenden, ja nicht einmal einen deterministischen Ansatz, wenn er im Gefolge eines aufklärerischen Rationalismus und in Anbetracht des toskanischen Dialekts prospektiv auf dessen Eignung als „strumento comune del sentimento e del pensiero italiano“ 74 hinwies. Für Italien war die questione della lingua auch in Anbetracht naturhistorischer Theorien von der Problematik einer sozialen und kulturellen Einigung durch eine institutionell verankerte Standardisierung von Sprache und Schrift nicht zu trennen. Sie kann daher nicht allein anhand einer Analyse wissenschaftlicher Paradigmatik und ihrer epistemischen Prämissen erfasst werden. Jenes ‚Instrument Sprache‘ wurde eher als politische Frage nach dessen demokratischer Legitimation diskutiert und nicht als ethnographischer Versuch der Fundierung einer genealogischen Identität der Italiener. Dieser kleinste gemeinsame Nenner demokratischer Sprachpolitik wurde in einer am 14. Januar 1868 durch Bildungsminister Emiglio Broglio (Ministro della Pubblica Istruzione) eingesetzten Kommission betont, die nach Wegen einer pädagogisch sinnvollen Verbreitung eines Standarditalienischen und dessen richtiger Aussprache suchen sollte. Dies geschah trotz der Tatsache, dass deren Vorsitzender Alessandro Manzoni und sein Vize Raffaello Lambruschini alles andere als einig über die Bedeutung der sozialen Referenzräume waren, denen sich ihre erzieherische Aufmerksamkeit zuwenden sollte. Dem literarisierenden Florentinisch Manzonis sowie seinem Anspruch nach lexikalischer Erfassung des gesamten Wortschatzes stand hier der Pragmatismus Lambruschinis gegenüber, welcher seinen Ausgangspunkt vom Toskanischen nahm, wie es in seiner ursprünglichen Form allein beim Volk vorzufinden sei, und das allein in seinen alltagstauglichen Bestandteilen kartographiert werden solle.75 Für Lambruschini war „il popolo, e il popolo intero, tanto il popolo magro come il grasso; cioè il meno colto e il più civile“76 oberster Richter in Dingen der Sprache. Doch trotz dieses Gegensatzes zwischen partikularisierendem und eher demokratisch-pluralisierendem Standardisierungsprozess setzte auch 73

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Nerucci 1868, hier zitiert nach Landucci 1977: 71. Nerucci veröffentlichte seine Überlegungen zur questione della lingua 1868 in Form zweier Artikel unter dem Titel „Della lingua italiana“. Landucci 1977: 71. Zu dieser Debatte zwischen der Kommission Manzonis bzw.Tommaseos und der Unterkommission unter ihrem Vorsitzenden Lambruschini vgl. ebd.: 69. Lambruschini 1869: 550.

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Alessandro Manzoni die Konventionalisierbarkeit und nicht die historisch an eine bestimmte Ethnie gebundene Bedeutung von Sprache als wichtigstem Identifikationsmerkmal voraus, wenn er Dialekt wie Nationalsprache stets als „mezzi di comunicazione d’idee“ konzipierte: Una nazione dove siano in vigore vari idiomi e la quale aspiri ad avere una lingua in comune, trova naturalmente in questa varietà un primo e potente ostacolo al suo intento. In astratto, il modo di superare un tale ostacolo è ovvio ed evidente: sostituire a que’diversi mezzi di comunicazione d’idee un mezzo unico, il quale, sottentrando a fare nelle singole parti della nazione l’uffizio essenziale che fanno i particolari linguaggi, possa anche soddisfare il bisogno, non così essenziale, senza dubbio, ma rilevantissimo, d’intendersi gli uomini dell’intera nazione tra di loro, il più pienamente e uniformemente che sia possibile.77

Die Aufwertung bestimmter Dialekte und deren Literatur zur Dachvarietät bzw. klassischen Literatur, wie es im Falle des Toskanischen seit Jahrhunderten galt, bot seit der Huldigung der etruskischen Zivilisation im pythagoreischen Mythos und der Etrusker-Begeisterung des Settecento als Möglichkeit einer ‚panitalienischen‘ Identität dabei durchaus die Möglichkeit zur genealogischen Interpretation des Toskanischen anhand sprachlich-ethnischer Substrate.78 Jedoch hätte hier philologischer Rassestolz auf die Schaffung einer von allen Teilen der italienischen Bevölkerung akzeptierten nationalen Identität störend, da sozial desintegrierend gewirkt. Ein in der Abstammung der Toskaner als Nachfahren der Etrusker fundierter rassischer Exklusivitätsanspruch, belegt durch eine ‚genetisch‘ bedingte Überlegenheit der Toskaner und ihrer Dichter in Sprache und Literatur, würde logischerweise die Sprecher anderer Dialekte als Nachfahren der Latiner, Osker und Umbrer qualifizieren, oder besser inferiorisieren. Das Toskanische musste, wenn überhaupt, für eine gesamtitalienische Identität nutzbar gemacht werden. Der Exklusivitätsanspruch der Etrusker und Toskaner auf die Trägerschaft eines ‚nationalen Kulturerbes‘ musste relativiert werden, um den Italienern ihre Sprache schmackhaft zu machen.79 Diese Logik galt auch für die Aufwertung anderer italienischer Dialekte aufgrund einer vermeintlich ethnisch-genealogischen Vorrangstellung. Alessandro Manzoni selbst ging es daher nicht um die Florentiner als den privilegierten Besitzern einer fertigen Nationalsprache, als vielmehr um das Florentinische als demjenigen unter den Dialekten, welcher für eine nationale Konventionalisierbarkeit aus sprachstrukturellen, historischen und stilisti77 78

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Manzoni 1868: 55-56. Vgl. Marazzini 1989: 110, wo dieser unter Hinweis auf den Historiker und Philologen Ireneo Affò (1741-1797) die Bedeutung einer Erforschung der etruskischen Sprache nicht nur für ein toskanisches Identitätskonzept, sondern auch für die Begründung eines zivilisatorischen ‚primato italiano‘ hervorhob. Praktisch hätte diese Rassenlogik die Verteidigung des toskanisch-etruskischen Primats vor allen anderen Dialekten noch schwieriger gemacht, wenn Manzoni nicht nur den ‚senso commune‘ hätte berücksichtigen müssen, sondern auch die demokratische Repräsentation der italienischen Ethnien in einer Nationalsprache. Vgl. Manzoni 1868: 8 ff.

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schen Gründen am funktionalsten erschien. Das Primat des Toskanischen ist für den Schriftsteller ein ästhetisches, kein genealogisches. Es steht daher nicht für eine ethnische Superiorität der Sprecher: Del resto, e per tornare al proposito, non so se, in altri tempi, i Fiorentini si siano mai appropriata davvero la lingua italiana; se siano mai stati persuasi, fermamente e coerentemente, d’averla essi, viva e vera e intera. Quello che mi pare fuor di dubbio è che, nel momento presente sono pur troppo lontani dal pretender tanto. Ammettono, cioè suppongono anch’essi una certa lingua nominale, che intera non l’ha nessuno, ma loro n’hanno più degli altri; val a dire hanno la porzione più grossa d’un tutto che non è; una certa lingua, della quale non sono i possessori, ma nella quale sono i primi.80

In dieser Aussage gestand Manzoni selbst ein, dass ein zeitgemäßes Italienisch im Grunde erst neu geschaffen werden musste, da es in befriedigender Form bisher nicht existierte. Die mit der questione della lingua verbundene Konstruktion einer nationalsprachlichen Identität der Italiener am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert war zudem eher ein Effekt der politischen unità der italienischen Bevölkerung und nicht ihre Ursache.81 Erst in einem politisch geeinten Italien war es durch den schwierigen und langwierigen Prozess einer Verbreitung der Standardsprache durch Bildungs- und Medienpolitik möglich, so etwas wie eine nationalsprachliche Identität ex postieriori zu konstruieren.82 Ein nationales oder gar ‚rassisches‘ Selbstverständnis der Italiener hat sich also keinesfalls aus dem Ringen der Mitglieder der Crusca und der Manzonianer um die questione della lingua herausgebildet: Dans tous les cas, l’unité linguistique est ‘un effet et non une cause’ de l’unité nationale. Par sa capacité à rassembler une ‘multiplicité de volontés sans lien entre elles’ en une ‘volonté collective nationale et populaire’, la langue est un lieu où se révèlent les succès et les échecs des hégémonies et des processus de formation des nations-peuples. Pour l’instant, puisqu’en Italie ‘manque toujours, et ne pouvait se constituer une force jacobine efficace, cette force qui précisément dans les autres nations a suscité et organisé la volonté collective nationale populaire et a fondé les États modernes’, l’échec du Risorgimento et l’incapacité de la bourgoisie italienne à exercer une véritable hégémonie sont des phénomènes isomorphes au caractère non populaire de la langue italienne et à la vitalité des cultures folkloriques dialectales. Pour Gramsci comme pour Ascoli et pour 80 81

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Ebd.: 48-49. Vgl. Marazzini 1994: 360 ff. Auf längere Sicht begünstigten die neuen Massenmedien Presse, Radio, Kino und Fernsehen, Prozesse der Urbanisierung und Industrialisierung, Migrationsbewegungen sowie die Reformen des Schulsystems und bürokratischer Strukturen den Standardisierungsprozess des Italienischen. Vgl. Grassi/Sobrero/Telmon 2003: 26-30. Im sprachpolitischen Bereich war die Gründung der Società Dante Alighieri im Jahre 1889 ein Ereignis von eher geringer Wirkung. Vielmehr Gewicht hatten die ‚Kollektiverlebnisse‘ der beiden Weltkriege sowie die Schul- und Medienpolitik des Faschismus der 30er Jahre, welche im Gegensatz zur Bildungspolitik Giovanni Gentiles in den 20er Jahren eine sprachliche Homogenisierung des Nationalstaates in Schule und Medien vorantrieben. Zur Herausbildung einer nationalen, italienischen Identität im soziopolitischen und soziokulturellen Kontext vgl. Michel 2005: 420 ff., zur Sprachpolitik des Faschismus dort insbesondere 436 ff.

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Manzoni, de manières différentes, le problème est celui d’une unité à réaliser: ‘le problème de l’unité intellectuelle et morale de la nation et de l’Etat, recherché dans l’unité de la langue’.83

Der bürgerliche Appell an eine gemeinsame, kulturelle Identität schwebte in Italien stets in Gefahr, dem Anspruch der Verbindlichkeit im nationalen Kontext nicht gerecht zu werden. Die Betonung ethnischer Substrate in den Dialekten, die Vitalität der Dialekte sowie der „cultures folkloristiques“ waren Zeichen des kulturpolitischen Scheiterns der gesellschaftlichen Elite bei der Begründung einer nationalen Einheit durch eine normierte Schriftsprache. Es wäre daher eher zu fragen, ob sich anthropologisch differenzierendes Rassedenken und exkludierender Rassismus nicht auch aufgrund dieses Versagens philologischer Bemühungen um nationale Einheit durchsetzen konnten. Aus intranationaler Perspektive war es in der Frage nach der Standardsprache möglich, dass Ressentiments gegenüber den Sprechern bestimmter Dialekte – den Bewohnern Süditaliens und den unteren Klassen – rassistisch fundiert waren.84 Diese Vorurteile durften jedoch im bildungspolitischen Ringen um die questione della lingua nicht zum Tragen kommen. Eine unüberwindbare, da rassisch bedingte und offen ausgesprochene Herabstufung der kognitiven Kapazitäten von ‚ungebildeten‘ Dialektsprechern, oder der Bewohner des Südens hätte bildungspolitisch jegliches Bemühen um die pädagogische Verbreitung eines Standard-Italienisch zur eloquenten und eleganten Verwendung auf breiter gesellschaftlicher Basis ad absurdum geführt. Die neue Sprache, um welche sich Eklektiker und Puristen stritten, sollte für alle Bürger des geeinten Italiens als praktisches Ausdrucksmittel in Literatur und Alltag fruchtbar gemacht werden. Exklusives und demokratisches Prinzip bildeten hier einen Interessenkonflikt, welcher durch eine rassenlogische oder gar rassistische Ausdeutung von Sprachnormen verschärft, aber im inneritalienischen Kontext kaum für die nationale Einheit dienstbar gemacht werden konnte. Es scheint daher opportun, sich auf die Fragen nach sprach- und textgenealogisch ableitbaren Identitäten der Italiener und anderer Völker, nach ihren Rollen in der Geschichte, ihren kulturellen, kognitiven oder auch ethnischen Besonderheiten anhand ihrer Sprachen und Textkulturen zu konzentrieren, wie sie im Italien des 19. Jahrhunderts verhandelt wurden. Die questione della lingua bildet einen eigenen Forschungsgegenstand, der in seiner Komplexität neben der Problematik rassistischer Ausdeutung von sprachlicher Identität in erster Linie die Frage nach der kulturellen Hegemonie einer gebildeten Elite und ihr Verhältnis zu den Sprechern der Dialektvarietäten als Dynamiken im Sozialgefüge des Sprachraums Italien reflektieren muss. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung 83 84

Lo Piparo/Vecchio 2000: 43 unter Bezugnahme auf Lo Piparo 1979. Vgl. Osterhammel 2011: 117. Zu dieser nicht unumstrittenen Frage eines in rassenlogischer Manier propagierten italienischen Nord-Süd-Dualismus, wie er seit dem späten Ottocento immer wieder diskutiert wurde vgl. neben Poggio 1999: 87-93 auch Nani 2006: 97 ff. Zum historischen Phänomen des ‚Antimeridionalismo‘, wie er nach der italienischen Einigung besonders in den frühen Schriften Paolo Oranos spürbar wurde vgl. Germinario 1999: 105-114.

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mit diesem Diskurs sollte auch aus soziologischer, sprachgeschichtlicher und institutionsgeschichtlicher Perspektive erfolgen und erfordert eine eigene Studie.85

Philologie und Rassismus im italienischen 19. Jahrhundert: Methodische Annäherung Welche Methode ist nun jenem epistemologisch wie historisch vielschichtigen Problem, der Frage nach einem Beitrag der italienischen Philologie zu Rassismus und Rassedenken, angemessen? Anstatt einer begriffsgeschichtlichen Fokussierung auf indizienhafte Termini wie ‚Rasse‘ und ‚Stamm‘, bietet sich Michel Foucaults Diskursanalyse unter gleichzeitiger Reflexion der Gegenwart im Sinne von Peter Bürgers ‚Historisierung der Theorie‘ an.86 Diese in ihren kategorialen Denkweisen selbstreflexiv und metawissenschaftlich arbeitenden Analysemodi verlieren die Frage nach historischen Macht- und Interessensstrukturen der Akteure sowie nach der Wandelbarkeit von Begrifflichkeiten nicht aus den Augen, obwohl sie sich vor allem an epistemischen Zusammenhängen orientieren.87 So werden rassenlogische und rassistische Ideologeme, Theoreme und Thesen entlarvt, auch wenn diese nicht explizit mit ‚rassistischer‘ Semantik operieren. Umgekehrt ist es durch diese Historisierung möglich, aus heutiger Perspektive die subversive Verwendung rassistischer Semantik zu enthüllen, indem letztere allein der zeitgenössischen Rhetorik entsprach, jedoch keinerlei Bedeutung für die epistemischen Grundlagen des Diskurses besaß. Der Fokus liegt somit eher auf den Argumentationszu85

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Hierfür bedarf es einer verstärkten transdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Geschichtswissenschaft, Soziologie und romanischer Philologie, um die anthropologischen und möglicherweise rassenlogischen Implikationen der italienischen Sprachenfrage aus ihrem gesellschaftlichen Kontext heraus verstehen zu können und so die Wirksamkeit von Argumenten auf die Gesellschaft zu überprüfen. Foucault hat sich zwar mit der Entstehung des modernen Rassismus in seiner Funktionalität für die Erhaltung und Gestaltung von Biomacht auseinandergesetzt und so auch die Epistemologie von Darwinismus und Marxismus problematisiert. Vgl. Foucault 1997. Allerdings wurde in seinen Vorlesungen In Verteidigung der Gesellschaft nicht die Rolle der philologischen Wissenschaften zu diesem Phänomen explizit einbezogen, trotz Foucaults fundamentaler Erkenntnis über die epistemische Bedeutung der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts. Vgl. Messling 2012d: 157-160. „Unter Historisierung der Theorie soll hier etwas anderes verstanden werden: die Einsicht in den Zusammenhang zwischen der Entfaltung des Gegenstandes und den Kategorien einer Wissenschaft. So verstanden gründet die Geschichtlichkeit einer Theorie nicht darin, daß sie Ausdruck eines Zeitgeists ist (dies die historische Ansicht), noch darin, daß sie vergangene Theoriestücke sich einverleibt (Geschichte als Vorgeschichte der Gegenwart), sondern darin, daß die Entfaltung des Gegenstands und die der Kategorien in einem Zusammenhang stehen. Diesen Zusammenhang erfassen heißt, eine Theorie zu historisieren. [...] Nicht im Sinne einer Trennung verschiedener Ebenen der Wissenschaftssprache ist hier der Begriff Historisierung eingeführt worden, sondern im Sinne von Reflexion, die im Medium der einen Sprache die Geschichtlichkeit ihrer eigenen Rede erfaßt.“ Bürger 1974: 20-21.

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sammenhängen, also den wissenschaftlichen Aussagen selbst, als ihrer Bewertung innerhalb eines streng abgegrenzten wissenschaftlichen Feldes. Dies wirkt außerdem der Gefahr entgegen, anhand eines wissenschaftsgeschichtlichen Anachronismus zu argumentieren, welcher diese Aussagen in einem methodisch und inhaltlich ideologischen, also ‚unwissenschaftlichen‘, und daher historisch-entwerteten Diskursnexus untereinander verknüpft. Historische Aussagen werden vielmehr durch die Frage nach ihrer Wirkung auf den durch Interessen geprägten Diskurs aktualisiert, da sie stets von neuen hegemonialen Wissens- und Diskursformationen, und auch von neuen Wissenschaften aufgreifbar und instrumentalisierbar bleiben. Dabei kann diese Verbindung zwischen historisch geformter und von wechselnden Akteuren ausgeübter diskursiver Macht mit Stuart Hall folgendermaßen beschrieben werden: Nach Foucault ist der Diskurs nicht nur immer mit Macht verknüpft; er ist vielmehr selbst eines der ‚Systeme‘, durch die Macht zirkuliert. Das Wissen, das ein Diskurs produziert, konstituiert eine Art von Macht, die über jene ausgeübt wird, über die ‚etwas gewußt wird‘: Wenn dieses in der Praxis ausgeübt wird, werden diejenigen, über die ‚etwas gewußt wird‘; auf eine besondere Weise zum Gegenstand der Unterwerfung […]. Diejenigen, die den Diskurs produzieren, haben also die Macht, ihn wahr zu machen – z. B. seine Geltung, seinen wissenschaftlichen Status durchzusetzen.88

Michel Foucault hat bereits darauf hingewiesen, dass eine wissenschaftsgeschichtliche Differenzierung nach Fachdisziplinen und ihre Projektion in protowissenschaftliche Vorgängerdisziplinen und Theoriegebäude für ein diskursanalytisches Vorgehen als Analyse der Wissenschaftlichkeit einer Disziplin anhand des Grades ihrer Formalisierung nur als rekurrentiale Analyse möglich ist, die von den methodischen und inhaltlichen Kohärenznormen einer konstituierten Wissenschaft ausgeht (der Linguistik etwa), deren Formalisierungsschwelle bereits überschritten ist.89 Diese methodische Einbettung ist für die hier untersuchten Zusammenhänge zwischen rassistischen und philologischen Aussagen wenig aussagekräftig, da der nicht formalisierte Bereich der Philologie als unwissenschaftlich von Anfang an ausgeschlossen bliebe und in seiner Wirksamkeit auf die formalisierte Wissenschaft sowie andere Diskurse nicht beurteilt werden könnte. Auch eine epistemologische Geschichte der Philologie als historische Analyse muss von der konstituierten Wissenschaft als Norm ausgehen. Bei dieser theoretischen Einbettung der Diskursanalyse droht der Beitrag der Philologie zu rassistischen Dankmustern stets durch die Einteilung in ‚Wissenschaftliches‘ und ‚Unwissenschaftliches‘ relativiert zu werden, obwohl diese Einteilung aus dem zeitverhafteten und tastenden Suchprozess nach epistemologisierbarem Wissen noch nicht hervorgehen konnte. Es ist eher Foucaults archäologische Geschichte im Sinne einer Analyse der Episteme, welche der Positivität bestimmter diskursiver Formationen und den 88 89

Hall 1994a: 155. Foucault 2002: 270.

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epistemischen Figuren genügend Raum gibt, um die Formation und Organisation von Wissen, „das Statut und Rolle von Wissenschaft annimmt“90, in Aussagezusammenhängen zu bestimmten epistemischen Erscheinungen nachzuvollziehen, die einen Diskurs prägen.91 Diese letzte Art der Analyse von Aussagen soll das methodische Fundament der folgenden Auseinandersetzung mit diskursiven Formationen und Positivitäten bilden, die zwar einer Epistemologisierung unterliegen, jedoch noch nicht als Wissenschaft oder formalisierte Konstituenten derselben auftreten müssen: Positivitäten zu analysieren, heißt zu zeigen, nach welchen Regeln eine diskursive Praxis Gegenstandsgruppen, Äußerungsmengen, Begriffsbündel und Serien theoretischer Wahlmöglichkeiten bilden kann. Die so gebildeten Elemente konstituieren keine Wissenschaft mit einer Struktur definierter Idealität; […]. So bezieht man die Wissenschaft nicht auf das, was erlebt werden mußte oder muß, damit die ihr eigene Intention der Idealität begründet sei; sondern auf das was gesagt werden mußte oder muß, damit es einen Diskurs geben kann, der nötigenfalls experimentellen oder formalen Kriterien der Wissenschaftlichkeit entspricht. Diese Menge von einer diskursiven Praxis regelmäßig gebildeten und für die Konstitution einer Wissenschaft unerläßlichen Elementen, obwohl sie nicht notwendig dazu bestimmt sind, sie zu veranlassen, kann man Wissen nennen.92

Ergänzend dazu ist es gerade für die kulturellen ‚Überschüsse‘ wie rassistischen oder rassentheoretischen Aussagen innerhalb jener diskursiven Praxis, welche als philologisch bezeichnet wurde, zweitrangig, ob man das durch sie konstituierte Wissen im Bereich der Ideologie verortet oder es bereits der Wissenschaftlichkeit zurechnen kann. Dabei geschieht letzteres, indem theoretisch und terminologisch formalisierte oder historisch und kritisch geordnete und bestimmten Konstruktionsgesetzen entsprechende Propositionen der historisch-epistemischen ‚Sphäre‘ einer Sprach- oder Literaturwissenschaft zugeschlagen werden. Aus diskursanalytischer Perspektive sind diese formalisierten Bereiche nicht die eigentlich relevanten Ebenen der philologischen Wissensformation als einer diskursiven Praxis unter vielen. Das ideologische Gewand des Rassismus im späten 19. Jahrhundert manifestierte sich eben nicht abseits der Wissenschaftlichkeit, sondern durchdrang sie aufgrund seiner Verwurzelung im Wissen selbst: Das Übergreifen der Ideologie auf den wissenschaftlichen Diskurs und das ideologische Funktionieren der Wissenschaften artikulieren sich nicht auf der Ebene ihrer idealen Struktur […], noch auf der Ebene des Bewußtseins der Subjekte, 90 91

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Ebd.: 271. Vgl. ebd.: 272-274. „Die Episteme ist nicht das, was man in einem Zeitalter unter Berücksichtigung der technischen Unzulänglichkeiten, der geistigen Gewohnheiten oder den durch die Tradition gesetzten Grenzen wissen kann; sie ist das, was in der Positivität der diskursiven Praktiken die Existenz der epistemischen Figuren und Wissenschaften möglich macht. Man sieht schließlich, daß die Analyse der Episteme kein Verfahren ist, um die kritische Frage wiederaufzunehmen (‚wenn etwas wie eine Wissenschaft gegeben ist, mit welchem Recht oder welcher Legitimation ist sie es?‘); […]“. Ebd.: 274. Ebd.: 259.

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die sie errichten; sie artikulieren sich dort, wo sich die Wissenschaft aus dem Wissen herausschält. Wenn die Frage nach der Ideologie der Wissenschaft gestellt werden kann, dann insoweit diese, ohne sich mit dem Wissen zu identifizieren, aber auch ohne es auszulöschen oder es auzuschließen, sich in ihm lokalisiert, bestimmte seiner Gegenstände strukturiert, bestimmte seiner Äußerungen systematisiert und einige seiner Begriffe und Strategien formalisiert; […].93

Wichtig dabei ist, den Diskurs selbst sowie den Gegenstand, oder genauer, die charakteristischen Elemente im Folgenden einer restriktiveren Interpretation zu unterziehen, um so die ihn konstituierenden Aussagen und Machtverhältnisse pragmatisch abgrenzen zu können. Dies schließt jedoch eine missverständliche Überschneidung in der Begrifflichkeit mit ein, da als Philologie auch die Methode des analysierenden Betrachters des Diskurses beschrieben werden kann. Dabei kommt gerade dieser Bedeutung von Philologie als einer analytischen und erfahrungsgesättigten Lektüre-Praxis des Betrachters in diskursanalytischer Hinsicht eine besondere Stellung zu. Jedoch möchten wir auch der zu Beginn beschriebenen Forderung nach einer kritischen, aber nicht alternativlosen Geschichte der Philologie gerecht werden. Hier reicht es nicht, philologisches Wissen allein als Teil von Machtdiskursen zu verstehen, sondern stets auch als dynamisches Archiv eines sich verändernden und aktualisierbaren Wissens, wie Ottmar Ette dies im Sinne einer erfahrungsnahen Literaturtheorie für ein lebensnahes Verständnis einer epistemologisch und thematisch vielseitigen Philologie stark macht.94 Eine wichtige Rolle dieser Philologie bestünde dabei in der Ermöglichung selbstreflexiver Herangehensweisen an Texte in der bewussten und fokussierten Auseinandersetzung mit den Diskursen als machtbestimmten Prozessen und Bedingungen der Formierung von Wissen vor dem emanzipatorischen Hintergrund eigener, auch wissenschaftlicher Erfahrung. Dies würde eine aktualisierte Philologie zum unverzichtbaren Bestandteil geisteswissenschaftlicher Praxis machen, da vor allem sie ein Instrument darstellte, tiefere Wissensschichten fassbar zu machen, die sonst vor allem anhand einer monologisch und bereits begrifflich organisierten Oberfläche im wissenschaftlichen Diskurs eingeordnet wurden und werden. Eine Umsetzung dieser Konzeption von Philologie und ihre Anwendung auf wissenschaftliche Texte würden verhindern, dass man auch in Zeiten einer historisch-kritischen Selbstverortung des Forschers in die Alternativlosigkeit eines kategorisch verstandenen Machtpessimismus verfällt. Für den Fall Italiens gilt diese Prämisse in besonderem Maße in Anbetracht der komplexen politischen, sozialen, kulturellen, wissenschaftlichen und erst recht sprachlichen 93 94

Ebd.: 263. Eine theoretische und praktische Ausarbeitung ‚am Material‘ in einem transarealen und gleichwohl individuell-erfahrungsbezogenen Kontext erfährt diese Konzeption von Philologie in der ÜberLebensWissen-Trilogie, bestehend aus den Bänden ÜberLebenswissen. Die Aufgabe der Philologie, ZwischenWeltenSchreiben. Literaturen ohne festen Wohnsitz und ZusammenLebensWissen, List, Last und Lust literarischer Konvivenz im globalen Maßstab. Vgl. Ette 2004, 2005 u. 2010.

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Situation des Risorgimento. Eine foucaultsche Diskursanalyse orientiert sich dabei in ihrer kritischen Offenlegung eurozentrischer bzw. rassistischer Paradigmen auch im Falle italienischer Gelehrter weiterhin an den Arbeiten Edward Saids zum Phänomen des Orientalismus und seiner kulturhermeneutischen Auffassung von Philologie.95 Jedoch muss, wie bereits dargelegt, darauf geachtet werden, dass jenseits pauschalisierender Tendenzen eines postmodernen Pessimismus und eines blinden Vertrauens in die Möglichkeiten einer demokratischen und transkulturellen Philologie individuelle Brüche und Verschiebungen im Diskursgefüge weder entwertet noch relativiert werden.96 Somit kann auch der eigene epistemische Standpunkt als ‚praktizierender‘ Philologe innerhalb eines historischen Diskurses stets kritisch hinterfragbar bleiben, um nicht einer instrumentalisierenden Interpretation der eigenen Thesen anheim zu fallen. Die dazu nötige Erfassung und Ausdifferenzierung der Gegenstände des Diskurses wird auch durch deren terminologische Ambivalenz notwendig, die sich aus einem breiten Anwendungsspektrum ergibt, das mehrere Wissenschaften, ihre Methoden, Praktiken, aber auch soziale und kulturelle Zusammenhänge umfasst. Sie sollten daher im Vorfeld wissenschaftlicher Betrachtung wenn schon nicht endgültig definiert, so doch in ihrer Offenheit interpretativ greifbar gemacht werden. Dies bedeutet aber weder die Verortung von Begriffen in einer cartesianischen Terminologie mit Anspruch auf erschöpfende und endgültige Definitionen noch eine Entwertung ihrer Historizität. Die Geschichtlichkeit der Begriffe wird sich am ehesten aus der Verwendung im Diskurs ergeben, bedarf jedoch zuallererst einiger selbst als historisch zu bewertender Kriterien, nach denen eine Annäherung an den Diskurs stattfinden kann. Es ist nämlich bereits bei einem kurzen Blick auf die Vielfalt an Verständnismöglichkeiten offensichtlich, dass es sich bei den Begriffen Philologie, Rassismus, Rasse um äußert problematische und plurikontextuelle Begriffe handelt, welche sich weniger durch einfache Unbestimmtheit, als vielmehr durch eine hohe Porosität oder offene Textur auszeichnen.97 95

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Ein Vorläufer zu diesem in der Historizität fundierten und dennoch für die Gegenwart aktualisierten Verständnisses von Philologie findet sich auch in Erich Auerbachs kulturhermeneutischem Konzept von Philologie. Vgl. Woidich 2007: 198 ff. In Bezug auf das wiedererwachte Interesse an philologischen Methoden und den durch sie erfass- und erklärbaren Problematiken, den return to philology, wie ihn Paul de Man (Vgl. ders. 1986: 3-26) und Edward Said (Vgl. ders. 2004: 57-84), wenn auch in äußerst unterschiedlicher Weise, propagieren und teilweise in eigenen Schriften umsetzten vgl. Messling 2012d: 153-154. Zu einer kritischen Betrachtung des demokratischen ‚Optimismus‘ gegenüber philologischer Betrachtung bei Edward Said vgl. ders. 2012d: 155. Die Möglichkeit einer Etablierung machtkritischer Gegendiskurse zu rassenlogischen und rassistischen Argumentationszusammenhängen in der Philologie des 19. Jahrhunderts schildert Messling 2012b u. 2012c. Zu Porosität als „Möglichkeit von Unbestimmtheit“ und „fundamentale[m] Kennzeichen der meisten, wenn nicht aller empirischer Begriffe,“ Vgl. Waismann 1968: 158. Georg Töpfer erweitert das Konzept der Porosität auf die biologischen Grundbegriffe: „Kennzeichnend ist es gerade für die Grundbegriffe, dass sie sich einer eindeutigen Festlegung entziehen. Sie markieren also eher Problemfelder, offene Fragen, als klare Antworten. Sie verfügen damit,

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Ihr meist erkenntnistheoretischer Verwendungszusammenhang wird nämlich begleitet von einem stark synchron als auch diachron erfassbaren Wandel in ihren Bestimmungen, was wiederum eine nicht-erschöpfende Bestimmtheit zur Folge hat und daher auch für die begriffsgeschichtliche Forschung ein weites Feld für wissenschaftliche Arbeit bietet. Auf der einen Seite steht dasjenige Phänomen, das im Deutschen oftmals eher undifferenziert mit Rassismus bezeichnet wird, auf der anderen Seite ein Begriff der Philologie, der zwar wissenschaftsgeschichtlich im Sinne einer Fachdisziplin erfassbar gemacht werden kann, aber sowohl inhaltlich als auch strukturell auf verschiedenen Ebenen begrifflich konnotiert wurde und wird.98 Um eine Transparenz der Methode zu gewährleisten soll daher im Vorfeld versucht werden, durch vorsichtige, aber nicht fixierende Eingrenzung der Begriffe einen wissenschaftlichen Zugang zum Forschungsgegenstand, den diskursiven Aussagen selbst, als „Erforschung und Darstellung von Begriffsfeldern und Argumentationen“99 zu eröffnen. Deren Zusammenhang mit den Begrifflichkeiten kann zwar als eng beschrieben werden, wobei es jedoch mehr auf die anschließende Verwendung der Begriffe im historischen Kontext, also die Analyse im Prozess, ankommt und ihre immer wieder aufscheinende Undefinierbarkeit mit in Rechnung gestellt werden soll: Begriffe sind gleichzeitig Formen der Repräsentation und der Betätigung gesellschaftlichen Wissens im Diskurs. Sie sind die kommunikativ wirksame Form dieses Wissens (freilich nur in den Prozeduren und nicht als Begriffe) und dessen gesellschaftlich zirkulierende Gestalt. [...] Ihre Realität als Faktoren des geschichtlichen Prozesses ist ‚prozessual‘, vorliegen tun sie uns aber statisch als Worte in Texten, also in einer wesentlich inadäquaten Form, weil sie in dieser Form von den diskursiven Regulationen abgeschnitten sind und bestenfalls Spuren davon enthalten.100

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wie man mit Friedrich Waismann sagen kann, über eine ‚Porosität‘ oder ‚offene Textur‘ (was etwas anderes ist, oder zumindest sein soll, als eine Vagheit). Poröse Begriffe stellen nicht geschlossene, sondern offene Konzepte dar, d.h. sie umfassen aufgrund ihrer breiten theoretischen Verwendung und ihrer komplexen Geschichte einen weiten Bereich und können einem sich ändernden Kontext flexibel angepasst werden.“ Töpfer 2011: xxvii. Dieses Phänomen gilt jedoch nicht nur für alle empirischen Begriffe und Grundbegriffe, sondern gerade auch für komplexer strukturierte Begriffe methodischer und sozialer Konzeptualisierungen, die durch Definition vermeintlich der ‚Unbestimmtheit‘ enthoben sind. Philologie und Rassismus bilden hierfür Beispiele, da ihre Ausdrucksgestalt sowohl im synchronen wie diachronen Verwendungszusammenhang zahlreiche Sinnzusammenhänge umfassen kann, die gleichzeitig, und stark unabhängig von der Ebene der Gegenstände, eine erkenntnistheoretische Ordnungsfunktion besitzen. Zur Theoriegeschichte der Philologie vgl. die grundlegenden Positionen einer andauernden Debatte in Bremer/ Wirth (Hrsg.) 2010 sowie Lepper 2012. Knobloch 1992: 9. Zum Problem der Plurikontextualität der Begriffe im argumentativen Zusammenhang vgl. Schultz 1978. Ebd: 21

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Angewandte Philologie als Kritik ihrer eigenen Geschichte Um eine kritische Geschichte der europäischen Philologie in einer doppelten Bedeutung als angewandte Methode und Gegenstand der Anwendung zu erfassen, muss debattiert werden, was in vorliegender Studie aus historischer Sicht unter ‚der Liebe zum logos‘ zu verstehen ist, da der Philologiebegriff bis heute in seiner vielseitigen Verwendbarkeit erhalten blieb. Wie Marcel Lepper im Vorwort seiner Philologie zur Einführung bereits warnt, kann auch der in dieser Studie verwendete Philologiebegriff nicht alle Erwartungshaltungen einer fachterminologisch vorgebildeten Leserschaft erfüllen, denn Welchen Nutzen hätte es, den Eindruck eines fachübergreifenden Konsenses über Kanonwissen zu erzeugen? Überschreitet der Band die Grenzen Westeuropas und die Schwelle zur Vormoderne, so setzt er sich zweifellos dem Einwand aus, eine philologische Einführung hätte schon genug mit der griechischen und lateinischen, allenfalls noch der mediävistischen Philologie zwischen Friedrich August Wolf und Ernst Robert Curtius zu tun. Dem Vorwurf, das amerikanische Verständnis von criticism gehöre genauso wenig zur Philologie wie frühneuzeitliche Zeichentheorie und gegenwärtige Computerlinguistik, kann der Band entgegentreten, wenn er das philologische Anliegen ernst nimmt – d.h. historische Begriffe nicht normativ festschreibt, sondern auf den Prüfstand stellt, mehr Fragen auffächert, als Antworten bestätigt.101

Daher ist es für die Geschichte dieses Begriffes in seiner Beziehung auf ein selbstverständlich zu unterstellendes Signifikat wichtig zu betonen, dass sich die filologia – in Italien wie andernorts – trotz identischer Wortgestalt auf eine Vielzahl von Forschungsgegenständen und Methoden bezog.102 Guido Lucchini macht dies unter Hinweis auf Niccolò Tommaseo und Bernardo Bellinis Dizionario della lingua italiana, als einem der bedeutendsten lexikalischen Werke Italiens in Form einer Vorbemerkung zu seiner historischen Analyse der Institutionalisierung einer ‚italienischen Schule‘ der Philologie ab den 60er Jahren des Ottocento deutlich.103 So findet sich noch im späten 19. Jahrhundert keine einheitliche Definition dessen, was unter der filologia nun zu verstehen sei. Mit diesem Begriff konnten „studi di linguistica, uniti a competenze varie e approfondite non solo di lingue ma anche di letterature“ gemeint sein, welche aber auch eine „vasta erudizione etimologica“ erforderten104. Der Philologiebegriff diente hier zur Beschreibung eines nicht fest umrissenen, sich dennoch langsam als Wissenschaft etablierenden Expertenwissens. Diese Bedeutungsdynamik des Begriffes könnte man am ehesten ausgehend von der insti101 102

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Lepper 2012: 10, vgl. auch ebd.: 113 u. Pollock 2009: 931. Zu diesem Definitionsproblem und zum Anspruch der Philologie auf den Titel einer Leitwissenschaft durch ihren Ruf der gründlichen Überprüfung geltender, dogmatischer Lehrsätze, der Methode des kritischen Vergleichs sowie des ganzheitlichen, hermeneutischen Anspruchs, welcher sich auch im Austausch mit den explorativen und experimentellen Disziplinen äußerte vgl. Lepper 2012: 45- 64 u. 112-117 sowie Messling 2011a. Vgl. Lucchini 2008: 388-415. Ebd.: 388.

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tutionsgeschichtlichen Streitfrage des Ottocento um die Benennung der Lehrstühle zahlreicher italienischer Universitäten als cattedre der filologia verfolgen. Diese wurde dabei zumeist verstanden als historische Wissenschaft der klassischen Sprachen, Zeichensysteme und Texte mit einem Fokus auf die Letzteren. Im Gegensatz dazu stand die linguistica für eine empirische Wissenschaft der Sprachen mit einem glottischen Schwerpunkt.105 Eine Streitfrage, welche allerdings erst in den ersten Jahren der italienischen Einheit nach 1861 virulent wurde.106 Andererseits beschrieb filologia eine Methode, eine „attività di critica e di edizione dei testi“ 107, welche jedoch schon zu jener Zeit nicht ihre wichtigste Funktion beschrieb. Denn der Anspruch der Philologie ging wesentlich tiefer, was auch ihren Status als Leitwissenschaft erklärte.108 Nicht nur war sie kritische Texthermeneutik oder Mythenforschung unter Kenntnis einer Vielzahl von Sprachen, nicht nur „sterile pompa di un vasto sapere poliglottico“109. Weit darüber hinaus sollte jenes Wissen um Texte, Zeichen und Sprachen zum vergleichenden Studium dessen befähigen, was als menschlicher logos definiert wurde.110 Diesen anthropologischen Anspruch der 105

Andererseits konnten unter filologia als weiter gefasstem Dachbegriff auch ‚letteratura‘ auf der einen und ‚glottologia‘, ‚glossologia‘ oder ‚linguistica‘ sowie ‚grammatica‘ auf der anderen Seite zusammengefasst werden. Vgl. ebd.: 389. 106 Zu dieser Streitfrage des späten Ottocento vgl. Dovetto 1991a: 103. 107 Lucchini 2008: 389. 108Aus einer umgekehrten Perspektive könnte die universalhistorische Epistemologie Giambattista Vicos durch ihre semiologischen und sprachgeschichtlichen Prämissen und Argumente auch als ‚Philologisierung‘ der Geschichte und nicht nur historisierende Einschreibung in den philologischen Diskurs beschrieben werden. Mit Marcel Lepper wäre sie in der ‚longue durée‘ als „Alternativgeschichte“ der Geisteswissenschaften und deren linearer, tragischer Erzählung von der Philologie als „Aufstieg und Fall einer Leitwissenschaft“ zu sehen, zumal da zumindest in Italien diese philologisierende Universalgeschichte oder universalgeschichtliche Philologie noch lange nach Cattaneo im philologischen Wissen präsent bleiben sollte. Dabei stand Vicos besonderes Interesse an der kontextuellen Geschichtlichkeit des Menschen und seiner Erzeugnisse ursprünglich vor allem im Gegensatz zur mathematischnaturwissenschaftlichen Erkenntnistheorie des René Descartes: „Vico hält dem das besondere Erkenntnisverhältnis entgegen, das der Mensch gegenüber allem unterhält, was er selbst geschaffen hat. Werte Descartes das Studium der Sprachen und Literaturen zugunsten der Mathematik, Physik und Metaphysik ab, so entgehe ihm, dass grundlegende Erkenntnis nicht durch plötzliche Eingebung, sondern nur durch kontinuierliches Studium der sprachlichen und kulturellen Voraussetzungen menschlichen Denkens und Handelns gewonnen werden könne. Philologie und Philosophie ergänzen und korrigieren einander, indem das scheinbar unwandelbare Vernunftargument in seiner Sprachlichkeit und Geschichtlichkeit erfasst wird, umgekehrt die Philologie sich vor dem Absturz in die unkontrollierte Detailanhäufung bewahrt, indem sie nach Prinzipien fragt. [...] Geht die Geschichte der Philologie als Leitwissenschaft nicht von den Fachgründern des 19. Jahrhunderts, sondern von Vicos Prinzipiendenken aus, dann zeichnet sich ein ganz anderes Bild ab. Die Begründung der methodischen Eigenständigkeit der Geisteswissenschaften […] steht damit auf philologischem Fundament.“ Lepper 2012: 116-117. 109 De Gubernatis 1870: 481. 110 Allein der beschreibende Ansatz dieser Definition lässt jene Problematik der kulturellen Hegemonie erahnen, welche sich aus der eurozentrischen Definition des logos ergab. Zum phonetisch geprägten Logozentrismus als „Imperialismus“, „dogmatische Verabsolutierung der Vernunft“ und „ethnozentrische Metaphysik“ in einem „ursprünglichen und nicht relativisti-

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Philologie auf die Deutungshoheit bezüglich eines spezifisch menschlichen Distinktionsmerkmals – nämlich dessen kulturelle Monumente – zu welchem unter anderem auch Sprachen, Zeichensysteme und Literaturen gehören, machte Angelo De Gubernatis als einer der Gründerfiguren der italienischen Orientstudien im Jahre 1870 in der Rivista Europea deutlich. In einem kurzen Vorwort zu der 1873 erschienenen Storia comparata degli usi funebri111 definierte er Philologie als Methode und wissenschaftliche Disziplin zugleich, auf deren Erkenntnisse als „geheime Geschichte des Menschengeschlechts“ („storia segreta del genere umano“)112 sowohl Ethnologie, Archäologie und Geschichtswissenschaft stets aufbauen müssten, da sie allein einer immateriellen Essenz des Menschen, den Formen und Wandlungen des logos, nahekomme: L’etnologo abbraccia il tipo nelle sue varie forme caratteristiche, il filologo il logos in se e nelle sue varie tradizioni, l’archeologo il logos espresso nel monumento, lo storico il logos significato nella gesta. Ma è chiaro che, trattandosi sempre d’un medesimo logos, l’archeologo e lo storico debbano risalire alla filologia come loro fonte suprema di luce. Il filologo prima di aver scrutato il logos nella sua sostanza e nella prima sua manifestazione, lo segue nelle sue varie trasformazioni, concordi quantunque distinte, e, in questo studio, incontra il mito, la favola, la leggenda, l’epos, la novellina, il proverbio, in una parola, la intera tradizione del logos. Ma questa tradizione non è cosa ne muta ne morta: essa illustra l’uso popolare, lo vivifica e lo tramanda; ond’io chiamerei volentieri, per questo rispetto, la filologia, una vera storia segreta del genere umano.113

In dieser Definition von Philologie aus der zweiten Hälfte des Ottocento klingt noch die hegelianische Vorstellung eines sich objektivierenden Geistes nach.114 Sie orientiert sich zuvorderst – wie überhaupt das Argumentieren des Angelo De Gubernatis – stark an den Deutungsansprüchen von Ernest Renans „science de l’esprit humain“ als „histoire de l’esprit humain“115, also einer Wissenschaft des menschlichen Geistes mit kulturhermeneutischen und anthropologischen Erweiterungen als Konkurrenzwissenschaft der Psychologie, und stellte eine selbstbewusste philologische Wissenschaft neben das historische und ethnographische Wissen. Dies war nötig zu einer Zeit, als der Anspruch anthschen Sinn“ eines hierarchisierenden Elements bei der philologischen Erfassung nichtabendländischer Kulturen vgl. Derrida 1990 [1967]: 12 u. 140. Zur Kritik des Postkolonialismus am postmodernen „failure of logocentrism“ und der einseitigen Fokussierung auf epistemische Dekonstruktion vgl. Bhaba 2005 [1994]: 245 ff., 338 ff. Jedoch kann Derridas kritische Betonung des logos auch vor dem Hintergrund einer Erweiterung des philologischen Wissens diskutiert werden, wie sie bereits zu Zeiten des Ottocento auch von Georg Curtius gefordert wurde. Es handelt sich dabei um ein Wissen, dessen Gegenstände globaler Natur sind und ihre methodische Ausarbeitung in der vergleichenden Sprach- und Mythenforschung erfahren. Vgl. Curtius 1862: 30-32. 111 Vgl. De Gubernatis 1873. 112 De Gubernatis 1870: 481. 113 Ebd. 114 Zur Einführung in Hegels großes Problem der Objektivierung des Geistes aus dem Prinzip der modernen Subjektivität vgl. Habermas 1991 [1988]: 26-60. 115 Renan 1852: II.

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ropologischer, psychologischer und biologischer Empirie die Bedeutung sprach- und textwissenschaftlicher Erkenntnisse bei der wissenschaftlichen Erforschung eines vor allem physisch begriffenen Menschen zu relativieren begann.116 De Gubernatis‘ Definition zeugt vom hohen philosophischen Stellenwert der Philologie als dem einzigen Instrument zur Untersuchung des ‚inneren‘, eigentlichen Menschen als in erster Linie sprachlichem Wesen, das sich eben allein durch seine Fähigkeit zu Sprach- und Textproduktion noch von den Tieren unterscheiden konnte. Hierin liegt die von De Gubernatis intendierte Universalität des menschlichen logos.117 In diesem Sinne wäre die Philologie in all ihren formalisierten Erscheinungsformen als Sprach- und Literaturwissenschaft, Glottologie, Mythenforschung, Textkritik und Texthermeneutik nicht nur historische, sondern per Selbstdefinition anthropologische Disziplin, welche weit über schulmeisterliche Pedanterie hinausginge. Dies sah auch Angelo De Gubernatis so, wenn er den Anthropologen dazu anhielt, sich neben des physiologischen des philologischen Wissens zu bedienen, um eine wahrhaft empirische Wissenschaft über den „Menschen im Menschen“ zu gewährleisten: Ed in vero, l‘antropologo, il quale viene scrutando l’uomo nell’uomo, e non fra le nuvole metafisiche, non fa altro in conclusione se non raccogliere dalla fisiologia per un verso e dalla filologia per l’altro i materiali, coi quali, coordinati, egli ci darà un giorno un trattato completo di fisica e di logica umana per tutti, e non più per i soli Licei dello Stato.118

Die eine „geheime Geschichte des Menschengeschlechts“ enthüllende Philologie könne sich also ganz im Sinne von Hegels Geschichtsphilosophie am logos mittels seines sprachlichen und literarischen Ausdrucks orientieren, und über diese unmittelbaren Manifestationen die Essenz des menschlichen Geistes – in letzter Konsequenz ein Substrat seiner Geschichte – entdecken. Philologie wäre mehr noch als die Geschichtswissenschaft der Weg zur Selbsterkenntnis des Menschen, jedoch nicht in seiner sozialen oder kulturellen Verfasstheit, sondern in seiner reflektierten Geistigkeit, materialisiert in Sprache und Literatur. Ihr Gegenstück wäre die Physiologie, welche aus der naturgeschichtlichen Verfasstheit des Menschen heraus erst eine universelle Wissenschaft vom Menschen ermöglicht habe. Beide müssten sich jedoch zur Anthropologie ergänzen. Warum dieser griffige Philologiebegriff zwischen apriorischem Idealismus und naturhistorischer Empirie eine spannende Einsicht in 116

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Zum unterschiedlichen, aber in beiden Fällen prominenten Status der Philologie unter den Wissenschaften im Deutschland und Frankreich des frühen 19. Jahrhunderts, ihre innere Zersetzung durch methodische Zweifel und das philologische ‚Renegatentum‘ Friedrich Nietzsches in der zweiten Jahrhunderthälfte sowie zur Beeinflussung durch explorative und experimentelle Disziplinen vgl. Lepper 2012: 114-119. „Il logos è la nota caratteristica dell’unità uomo; studiar questo logos è un rivelar l’uomo in ciò che esso ha di distintivo dalle altre specie viventi, è un cavarne tutta l’anima nella sua capacità ideale.“ De Gubernatis 1873: 9. Ebd.

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jene epistemischen Konflikte beinhaltet, die das italienische Ottocento kennzeichnen, wird an seinem kategorischen Anspruch deutlich. Obwohl De Gubernatis in Form einer einzigen Definition eine lange begriffliche Vorgeschichte endgültig zu fixieren suchte, kann er nicht über eine schwere epistemische Fracht hinwegtäuschen. Denn, wie in den folgenden Kapiteln gezeigt wird, umfasst diese beinahe ontologische Eloge an die Philologie immer noch keineswegs vollständig das breite Spektrum an Variationen jenes diskursiven Wissens, das im frühen 19. Jahrhundert von italienischen Gelehrten als Philologie bezeichnet wurde. Die Philologie kann daher, neben einer historisierenden Begriffsanalyse, aufgrund jener zahlreichen Infragestellungen und Modifizierungen ihrer epistemischen Funktion durch die Philologen selbst, auch archäologisch mit Michel Foucault in ihrer historischen Erscheinungsform als ‚diskursive Formation‘ interpretiert werden. Deren Einordnung zwischen der ‚Schwelle der Epistemologisierung‘ und der ‚Schwelle der Wissenschaftlichkeit‘ wäre aufgrund ihrer Fokussierung auf unterschiedliche Positivitäten und deren Epistemologisierung zwar strittig, jedoch für den hier untersuchten Zusammenhang rassistischer, oftmals ideologisch geprägter Aussagen nicht entscheidend.119 Auf dieser diskurskritischen Grundlage soll daher, was die italienische Philologie des 19. Jahrhunderts betrifft, von der dilettantisch anmutenden und wissenschaftseklektischen Definition dieses Begriffes in der Enzyklopädie als „toutes sortes de sciences“120 Abstand genommen werden. Auch soll sie nicht eine Reduktion auf die wolfsche Textkritik erfahren, wie der Gelehrte sie in seiner bahnbrechenden Homer-Philologie praktizierte.121 Aber auch eine nach unterschiedli119

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Zu Michel Foucaults archäologischer Gliederung als Hilfskonstrukt zur Erfassung diskursiver Formationen von der ‚Schwelle der Positivität‘ zur ‚Schwelle der Formalisierung‘ vgl. auch Foucault 2002: 265 ff. Im 12. Band der zwischen 1751 und 1768 von Diderot und d’Alembert herausgegebenen Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, par une société de gens de Lettres findet man unter dem Stichwort ‚Philologie‘ eine ähnlich weite, aber weit despektierlichere Definition, als dies beinahe hundert Jahre später im Dizionario der Fall sein würde. Philologie sei eine „espèce de science composée de grammaire, de poétique, d’antiquités, d’histoire, de philosophie, quelquefois même de mathématique, de médicine, de jurisprudence, sans traiter aucune de ces matières à fond ni séparément, mais les effleurant toutes ou en partie.“ Encyclopédie. Bd. 12: 508. Der in Halle lehrende Altphilologe Friedrich August Wolf trug Ende des 18. Jahrhunderts durch seine Beschäftigung mit der ‚Homerischen Frage‘ in seinen 1795 entstandenen Prolegomena ad Homerum entscheidend zur wissenschaftshistorischen Kontinuität einer genau definierten Methodik empirischer Text- und Quellenkritik bei. Von ihr sollten auch alle späteren Formen philologischen Wissens durch eine gesteigerte Anerkennung als Erkenntnisinstrumente der Altertumswissenschaft profitieren: „Wolf defined philology as the application of a defined methodology to a limited field of evidence, an empirical practice that prepared the way for the consideration of questions of meaning and value, which would be achieved by other means. After Wolf, philologists devoted themselves to marking the first occurrences of words or usages, determining the geographical range of certain linguistic forms, noting spelling variations, identifying the soundstructure of words and phrases, and tracking shifts in meaning over time. They counted, measured, and compared; they recorded anomalous in-

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chen Positivitäten differenzierende, fachdisziplinäre Unterscheidung des italienischen 19. Jahrhunderts zwischen klassischer Philologie und historischvergleichender Sprachwissenschaft sowie Glottologie soll vermieden werden, um nicht in dogmatische Verengung zu verfallen. Die Philologie des Ottocento soll vielmehr im weiteren Sinne als diskursive Formulierung eines Wissens mit Anspruch auf Epistemologisierung und schließlich als Wissenschaft charakterisiert werden. Dieses Wissen stützte sich in erster Linie auf Verifikations- und Kohärenznormen, welche die Analyse von Texten aus historischer und kritischer Perspektive, Zeichensystemen und Sprachen sowie ihrer singulären oder kollektiven Emittenten diachron-historisch, aber auch auf strukturell-vergleichender Basis ermöglichten und welche sich durch die Schaffung begrifflicher Instrumentarien im Diskurs etablierten.122 Erst nach der Konventionalisierung wissenschaftlicher Begrifflichkeiten und ihrer systematischen Anwendung nach methodischen Kriterien auf die erforschten Gegenstände wurde dieses Wissen im 19. Jahrhundert formalisiert, um schließlich in Form von institutionalisierten Disziplinen gesellschaftlich wahrgenommen zu werden. Philologisches Wissen kann dabei stets auch mit anderen Diskursen, welche als Wissensfomationen und Wissenschaften struktiert sind, interagieren, indem einzelne Aussagen oder ganze Theoreme in einen neuen Zusammenhang gestellt und politisch instrumentalisiert wurden.123 Aus diesem Prozess der Epistemologisierung und dem anthropologischen Anspruch der Philologie des Ottocento soll auch die Entstehung und Verbreitung jener kulturellen und ideologischen ‚Überschüsse‘ verfolgt werden, welche als Rassenlehren oder rassistische Aussagen den Diskurs mitprägten. In diesem Sinne wären die Vertreter dieses Wissens als kritische Analysten und Deuter von Sprachen und Texten, aber auch durch eigene Interessen und Erfahrungen vorgeprägte Faktoren des wissenschaftlichen Diskurses zu betrachten. Diese Akteure waren durch die epistemische Dynamik ihres Gegenstandes frei, aus der methodischen Sprach- und Textbetrachtung gewonnene Erkenntnisse in einen erweiterten Kontext anderer Wissensformationen oder gar als Wissenschaften akzeptierter Diskurse wie der Naturgeschichte, der Völker-

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stances of verb forms, case terminations, inflections, and moods. They developed methods of comparing grammars and classifying languages into families. The work was arduous, a series of microdescriptions with little opportunity for synthesis, judgment, or reflection. Devoting themselves to the study of texts written in ancient languages–Old Norse, Zend, Old Slavic, Sanskrit, and especially ancient Greek–scholars scarcely lived in the world.“ Harpham 2009: 36. Eine Einführung in die wolfsche Philologie am Beispiel einiger seiner Schriften und Briefe bieten Markner/Veltri (Hrsg.) 1999. Zu den Problematiken und unterschiedlichen Gewichtungen einiger Definitionsansätze der Philologie zwischen mikrologischem und vernetzendem Denken, Strukturphilologie und Individualitätsphilologie vgl. Lepper 2012: 17-44. Vgl. ebd.: 17 für den ‚Minimalkonsens‘ über das, was unter Philologie zu verstehen wäre: „Philologie, so viel lässt sich sagen, bezeichnet das Studium und die Erforschung sprachlicher Phänomene und Strukturen in einem weiten, literarischer Phänomene und Strukturen in einem engeren Sinn.“ Zur Frage nach der Philologie als wissenschaftlicher Disziplin und der Dogmatik jeder starken Begriffsdefinition vgl. Lepper 2012: 43, Bremer/Wirth 2010: 7.

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kunde oder der Geschichtswissenschaft zu stellen, oder gegen diese Disziplinen zu positionieren.124 Zuletzt ist es die hier historische Texte angewandte Methode, welche als philologisch bezeichnet werden kann. Sie besteht in einer kritischen Herangehensweise an und Auseinandersetzung mit dem diskursiven Gehalt von Metatext, also Texten über Sprache, Sprachen und Texte einer eingegrenzten historischen Periode unter dem Kriterium ihrer epistemischen Verortung innerhalb der Diskurse über den Menschen. Diese kritische Herangehensweise besteht in einem diskursanalytischen und gleichzeitig textnahen Ansatz, welcher Philologie im doppelten Sinne als textfokussierte Erschließung von und historisch bedingten Umgang mit Textlichkeit begreift, ohne der Gefahr einer Illusion hermeneutischer Endgültigkeit in der Interpretation zu unterliegen. Sie stützt sich dabei auch auf den Philologiebegriff Sheldon Polocks als globaler techné, die er als „theory of textuality as well as the history of textualized meaning“ und sogar „discipline“ 125, im Sinne einer kultur- und machtkritischen Annäherung an Texte und Sprachen definiert. Einer in dieser Definition aufscheinenden epistemischen Trennung von Sprachwissenschaft und Philologie soll jedoch nicht gefolgt werden, sobald sie den historischen Gegenstand der Untersuchung betrifft. Diese würde den obigen Überlegungen widersprechen. Sie dient lediglich der eigenen Standortbestimmung als Philologe: What I offer instead as a rough-and-ready working definition at the same time embodies a kind of program, even a challenge: philology is, or should be, the discipline of making sense of texts. It is not the theory of language – that’s linguistics – or the theory of meaning or truth – that’s philosophy – but the theory of textuality as well as the history of textualized meaning. If philosophy is thought critically reflecting upon itself, as Kant put it, then philology may be seen as the critical self-reflection of language.126

Diese von Pollock angesprochene kritische und dennoch erschließende Funktion der philologischen Praxis ist um einen wichtigen Aspekt zu ergänzen. Auch in ihr erfordert es nach wie vor ein selbstreflexives Verständnis der zeitgenössischen philologischen Disziplinen als geschichtlich entstandene und immer noch in der Geschichte verwurzelte Wissensordnungen, um die epistemischen Bedingungen ihrer Produktionen stets mit zu bedenken und nicht in einen positivistischen Übermut zu verfallen, welcher sie enthistorisieren wür124

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Diese weiter gefasste, erkenntnistheoretische und dynamisierte Sichtweise auf die Philologie entspricht der Betrachtungsweise Geoffrey Harphams, der auf die seit jeher bestehende „characteristic duality“ der Philologie hinweist: „Second, philology has handed down to contemporary scholarship its characteristic duality, a double commitment to an empirical attention to linguistic fact and a more subjective approach to questions of context, meaning, and value.“ Harpham 2009: 54. Pollock 2009: 934. Mit dieser philologischen ‚Technik‘ ist durchaus die platonische Verwendung des Terminus τέχνη als einer voraussetzungsreichen, aber selbstinvolvierten, da teleologisch-intentionalen Fertigkeit oder Herangehensweise an ein Objekt auf der Grundlage des Wissens über dieses Objekt (ἐπιστήμη) gemeint. Pollock 2009: 934.

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de. Dieses Problem wurde bereits unter dem Hinweis auf Peter Bürgers ‚Historisierung der Theorie‘ angesprochen. Allein durch dieses bei jeglicher Erforschung von Sprachen, Texten und Literaturen mitreflektierte Bewusstsein der eigenen Historizität wäre die Gefahr jener verhängnisvollen ‚Dialektik der Aufklärung‘ ein Stück weit eingedämmt. Jene Gefahr, dass als „ein positivistischer Reflex auf die Krise des Neohumanismus“127 aus dem methodisch erarbeiteten Wissen der gegenwärtigen philologischen Wissenschaften durch ihre vermeintliche Entideologisierung wiederum ideologische und politisch instrumentalisierbare Überschüsse entstehen, wie dies im 19. und 20. Jahrhundert der Fall war. Der Diskursbegriff Foucaults muss daher auch für die optimistisch-engagierte, aber dennoch bescheidene Einordnung der eigenen Forschung weiterhin relevant bleiben, indem Philologie die wissenschaftliche, aber dennoch selbst in den Diskurs eingebettete Auseinandersetzung mit den machtbasierten Aussagezusammenhängen innerhalb einer diskursiven historischen Formation der Romanistik versteht, die das eigene Forschen prägte und ermöglichte. Diese Formation mag in ihrer historischen Form des 19. Jahrhunderts die Schwelle der Epistemologisierung, aber noch nicht unbedingt der Formalisierung überschritten haben. Ihre Verifikations- und Kohärenznormen beziehen sich jedoch in beiden Fällen, heute wie damals, auf den ‚Gegenstand‘ der Sprachen, Schriftsysteme und Texte.128 Diese zeitgenössische, aber sich ihrer Historizität bewusste Setzung des Philologie-Begriffes für das 19. Jahrhundert aus der kritischen Perspektive des 20. und 21. Jahrhunderts soll in erster Linie die rekurrential gesetzten Trennlinien zwischen den langsam entstehenden und institutionalisierten Disziplinen der klassischen Philologie, der historischvergleichenden Sprach- und Textwissenschaft, der Literaturwissenschaft und den Nationalphilologien relativieren. Dies deshalb, um nicht wieder der bereits erwähnten Verlockung zu verfallen, nach einem anachronistischen Kriterium der Wissenschaftlichkeit Ideologie von Wissenschaft zu trennen, sondern die epistemischen Veränderungen innerhalb des philologischen Wissens und seiner kulturellen Überschüsse anhand Veränderungen in den methodischen Ansätzen, der Axiomatik sowie den Wechselbeziehungen mit den jeweiligen 127

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„Si les pojets de rephilologisation veulent être plus qu’un réflexe positiviste à la crise du néohumanisme classique, ils doivent tenir compte de cette dimension de l’excédent culturel qu’ils ne peuvent faire disparaître de leur tradition.“ Messling 2012d: 154. Vgl. dazu auch Harpham 2009: 34-41. Auch wenn Sheldon Pollock Foucaults Kritik an den Strukturen und Bedingungen diskursiver Macht als gefährlich für die Anerkennung durchaus fruchtbarer Erkenntnisse ‚biederer‘ philologischer Forschung ansieht, erkennt er doch, dass die Prozessualität historischer Legitimierungsprozesse diskursiver Strukturen in Form der Wissenschaften ausgerechnet das Wesen der Philologie selbst ausmacht. Diese Prozessualiät ist es, deren methodische Kritik es ermöglicht, diese Strukturen zuallererst aufzudecken: „While the scientificity of philological inquiry cannot be allowed to disappear in a haze of Foucauldian talk about truth regimes, these regimes are no whit less important, and understanding them historically in fact constitutes the prior philological move.“ Pollock 2009: 954.

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epistemischen Rahmenbedingungen zu befragen. So verstanden wird eine Verknüpfung biologischer, rassenlogischer und ethnozentrischer Diskurse im Feld der Philologie als historischem Phänomen anhand philologischdiskurskritischer Reflexion wissenschaftlicher Texte analysierbar. Da diese philologische Praxis eine Ausrichtung auf einen historischen Diskurs bei gleichzeitiger Selbstverortung des Philologen nötig macht, gilt es, den Gegenstand der Analyse ausgehend von der starken Porosität des RassismusBegriffes durch terminologische Differenzierung weiter transparent und für die folgende Untersuchung in seiner historischen Relativität zugänglich zu machen.

Welcher Rassismus? – Ausdifferenzierung und restriktive Interpretation ambivalenter Begrifflichkeiten Um die Diskursanalyse auf die kulturellen Überschüsse der Philologie des 19. Jahrhunderts anhand einer Historisierung der Begrifflichkeiten auszurichten, sollen im Folgenden jene Phänomene eingegrenzt werden, welche im Deutschen oftmals vereinheitlichend mit dem Begriff Rassismus, im Französischen und Englischen differenzierter mit Racisme bzw. Racism und Racialisme bzw. Racialism unterschieden werden.129 Zur Erfassung der Weitläufigkeit und historischen Dynamik jener Begrifflichkeiten, scheint es naheliegend, den ihnen zugrunde liegenden Rasse-Begriff selbst in seiner polysemantischen Dynamik dem Leser noch einmal ins Bewusstsein zu rufen. Dieser kann etymologischbegriffsgeschichtlich zwar seit dem 16. Jahrhundert in Verbindung mit sozialen und biologischen Genealogien von Adelshäusern, gesellschaftlichen Klassen, Zuchtpferden und Religionsgemeinschaften nachgewiesen werden, besitzt jedoch seit dem späten 18. Jahrhunderts vor allem eine taxonomische Bedeutung unterhalb der Ebene der zoologischen Art.130 In der Definition des franzö129

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Eine stärkere begriffliche Nuancierung forderte auch der bulgarisch-französische Schriftsteller, Philosoph, Historiker und Kulturtheoretiker Tzvetan Todorov, wenn er eine Differenzierung des ‚Rassismus‘-Begriffes im umgangssprachlichen Sinne in ‚racisme‘ als Verhalten und ‚racialisme‘ als Doktrin und Ideologie vorschlägt: „Le mot racisme, dans son acceptation courante, désigne deux domaines très différents de la réalité : il s’agit d’une part d’un comportement, fait le plus souvent de haine et de mépris à l’égard de personnes ayant des caractéristiques physiques bien définies, et différentes des nôtres; et d’autre part d’une idéologie, d’une doctrine concernant les races humaines. Les deux ne se trouvent pas nécessairement présents en même temps. Le raciste ordinaire n’est pas un théoricien, il n‘est pas capable de justifier son comportement par des arguments scientifiques; et, réciproquement, l’idéologue des races n’est pas nécessairement un raciste, au sens courant du mot, ses vues théoriques peuvent demeurer sans la moindre influence sur ses actes ; ou sa théorie peut ne pas impliquer qu’il y ait des races intrinsèquement mauvaises.“ Todorov 1989: 113. Vgl. Toepfer 2011: 105. Zur Begriffsgeschichte des Rassebegriffs seit seinen Anfängen aus dem altitalienischen ‚l’arraz‘ bzw. aus dem arabischen ‚râz‘, von seiner politischen und exkludierenden Anwendung auf Juden und Muslime im Spanien des 14. und 15. Jahrhunderts, über F. Berniers, J. F. Blumenbachs und C. v. Linnés taxonomische Verwendung, bis hin zur

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sischen Naturforschers Georges-Louis Leclerc de Buffon, der „Rasse als konstante Varietät“131 sah, übernahm ihn Immanuel Kant ins Deutsche, um „Klassenunterschiede der Thiere eines und desselben Stammes, sofern er unausbleiblich erblich ist“132 zu bezeichnen.133 Im Laufe des 19. Jahrhunderts erfuhr der Begriff eine immer stärker angewandte Einschränkung auf naturgeschichtlich-biologische Sachverhalte, um schließlich in einer epistemischen ‚Rückkoppelung‘ sozialdarwinistischer Lesart als Referenzbegriff für einen historischen Kampf zwischen menschlichen Großkollektiven im Sinne physisch wie kulturell differenzierbarer Rassen, aber auch sozialer Klassen zu dienen.134 Die dynamische Verortung des Begriffs zwischen biologisch-naturgeschichtlichen und kulturell-zivilisatorischen Phänomenen ist daher von Anfang an gegeben. Leo Spitzers Ableitung von Rasse aus der lateinischen ratio stellte in Zeiten einer endgültigen Biologisierung des Begriffs noch einmal eine Anknüpfung an die immateriellen Ursprünge der ‚Rasse‘ durch ‚Rephilologisierung‘ mit Hilfe der Etymologie dar.135 Die Verwendung des Begriffes schwankte dabei im Laufe seiner Entwicklung zwischen einer Gleichsetzung mit anderen Begriffen wie Varietät – als dessen stabilere Komponente – und einer weiteren Differenzierung dieser dynamischen, naturhistorischen Bedeutung. Es ist jedoch vor allem die fixierende Anwendung auf menschliche Kollektive wie Ethnien, Nationen und andere Differenzierungen in ihrer geschichtlichen Verfasstheit, welche die Wirkung des Rassebegriffes als identitätsstiftendes und ideologisches Fanal für die Selbstbehauptung im Zeitalter der Nationen und Imperien bestimmte: Sie [die ‚Rasse‘, ML] rekurriert von vornherein auf angeblich naturgegebene, nicht erfindbare Merkmale und Grundlagen, ist in ihrer Bestimmung von Zugehörigkeit deshalb aber um so uneindeutiger, unklarer und beliebiger. Im Gegensatz zur politisch-willkürlichen Setzung einer Grenze hat der Verweis auf angeblich ‚natürliche‘ Grenzen regelmäßig den Effekt, statt Eindeutigkeit Vieldeutigkeit zu produzieren und im Medium scheinbar harter Fakten ein äußerst weites und hochgradig flexibles Feld möglicher Zugehörigkeiten zu entwerfen. Denn je mehr sich rassenpolitische Ordnungsvisionen auf eine angebliche Natur berufen, desto weniger sind sie an die politisch gesetzten Formen der Zugehörigkeit gebunden. Insofern spiegelt der Rassenbegriff die verzweifelte Suche des 19. Jahr-

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Dynamisierung, Historisierung und geographische Ausdeutung des Begriffes durch Ernst Haeckel, Arthur de Gobineau und Louis Agassiz vgl. Toepfer 2011: 104-112 u. Conze 1978. „Les races dans chaque espèce d’animal ne sont que des variétés constantes qui se perpétuent par la génération.“ Buffon 1954 [1778]: 195. Kant 1785: 100. Vgl. Kant 1775 u. 1785. Zur sozial- und kolonialpolitischen Politisierung und wissenschaftlichen Rationalisierung des Rassebegriffes im späten 19. Jahrhundert vgl. Geulen 2004 u. Ders. 2007: 61-90. Vgl. Spitzer 1941. Zu Spitzer und dem „Ungeist des Rassendenkens“ vgl. Messling 2013a: 31 ff.

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hunderts nach einer vorgängigen Begründung kollektiver Identität im Zeitalter ihrer zunehmenden und mit Unsicherheit einhergehenden Wählbarkeit.136

Gerade seine Vieldeutigkeit, wie sie sowohl durch die Willkür einer politischen Setzung als auch durch das ‚Verschließen‘ des Rassebegriffs im Verweis auf angebliche natürliche Grenzen hervorgebracht wird, macht es zu einem unabdingbaren Kriterium philologischer Forschung im Sinne einer kritischen und selbstreflexiven Herangehensweise an Texte, die Verwendung des Begriffes als historisch und epistemisch kontextualisiert zu betrachten. So kann ein vorschnelles und oft assoziatives Urteil vermieden werden, welches auf einem reflexhaften Automatismus rein biologischer Konnotation des Begriffes in Sozial- und Geisteswissenschaften gründet, die zwar nicht unbedingt gegeben sein muss, wie sie aber aufgrund der oftmals ‚biologisierenden‘ Argumentationszusammenhänge rassistischer Aussagen, wie der Rekurrenz auf Hautfarbe und menschliche Physiognomie, verständlich ist.137 Aus der Verwendung eines theoretisch definierten Rassebegriffs kann eine ausdifferenzierte Rassenlehre als eine systematisch verfasste Doxa erfolgen.138 Da die epistemische Metaebene unter der Bezeichnung des ‚Systems‘ instrumentalisierbare und daher bereits ansatzweise fixierte Begriffe voraussetzt, kommt es auch bei der Betrachtung des systematisierten Rassebegriffes auf seine definitorische und kontextuelle Verfasstheit an. Letztere bestimmt, welche als rassisch verstandenen Gegenstände taxonomisch katalogisiert und in theoretischen Sinnzusammenhängen systematisiert wurden, seien es Zuchtpferde, Ethnien, Adelshäuser oder Sprachfamilien. Es ist dabei denkbar, dass biologische Typologien, weniger empirisch als rhetorisch durch Metapher oder Analogie, kulturelle oder soziale Typologien argumentativ untermauern und umgekehrt.139 Das fixierende Ergebnis der epistemischen Verarbeitung und gesellschaftlichen Verbreitung eines Rassebegriffes oder einer gesamten Typologie innerhalb eines geschlossenen und als kohärent präsentierten Systems im Feld der Biologie, Anthropologie oder Philologie soll hier mit dem Begriff Rassenlogik bezeichnet werden.140 Diese Rassenlogik unterscheidet 136

Geulen 2007: 63. diesem Kontext sei auf eine jüngere Debatte über die Verwendbarkeit des ‚Rasse‘-Begriffs als Terminus der Differenzierung innerhalb der Biologie hingewiesen. Vgl. Cavalli-Sforza 1994, Sesardic 2010 u. Toepfer 2011: 108-112. Der Begriff δὀξα soll hier wie der Begriff der τέχνη in seiner platonischen Bedeutung, in diesem Fall als erkenntnistheoretisch legitimierte ‚Meinung‘, verstanden werden. Zur Funktion und Dysfunktion von Metaphern in den Wissenschaften vgl. Maasen/Weingart 2003: 42 ff. Zur „Geringschätzung typologischer Verfahren“ aufgrund eben dieser hierarchisierenden Anordnung der Elemente einer Typologie im Biologismus vgl. Blumberg 1971: 164 ff. In Differenz zu Todorovs und Taguieffs anthropozentrischen Begriff des racialisme und eher korrespondierend zum französischen Begriff der raciologie (vgl. Régnier u.a. 2006) verstehe ich unter Rassenlogik nicht unbedingt einen wissenschaftlich legitimierten Rassismus, der Kulturen und kollektive Identitäten umfasst. Der Begriff sei hier abstrakter gefasst, indem er lediglich die systematische Verwendung eines in einer vorhergehenden Operation definierten Rassebegriffs, bezogen auf Menschen, Tiere oder aber Sprachfamilien beschreibt. Die Ras-

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sich insofern von der zugrunde liegenden typologischen Verwendung des Rassebegriffs, als dass eine Systematizität im Sinne einer jederzeit empirisch nachvollziehbaren und analysierbaren Materialität des Phänomens der rassischen Differenz nur noch rudimentär gegeben ist. Eine ‚funktionierende‘ Rassenlehre musste dem Sachverhalt der Historizität Rechnung tragen und die hinzutretende temporale Dimension mit einzubeziehen suchen, da sie nur so ihre statische Gültigkeit auch in der Dynamik der geschichtlichen Veränderung unterstreichen konnte. Die taxonomischen Rassenlehren mussten daher auch in einem diachronen Kontext der Vermischung von ‚rassisch reinen‘ Urformen ihre Gültigkeit behalten, um eine wissenschaftliche Rassenlogik zu gewährleisten.141 Mit den Begriffen Rasse und Rassenlogik hängt auch jenes Phänomen zusammen, welches seit Anfang des 20. Jahrhunderts als Rassismus bezeichnet wird. Allein der Begriff weist darauf hin, dass es sich dabei im Gegensatz zu dem vermeintlich objektivierenden Begriff Rasse und der epistemischen Kategorie Rassenlogik oder Rassenlehre, um einen operativen Begriff handelt, welcher mehr noch als ideologisch-theoretische Anteile sowohl Verhalten im täglichen zwischenmenschlichen Handeln als auch auf breiter gesellschaftspolitischer Basis funktionierende Diskriminierungsmechanismen in den Vordergrund rückt. Der mit diesem Begriff beschriebene Mechanismus spielte und spielt vor allem als affirmativer und begründender Rechtfertigungskontext bestehender Beherrschungs- und Machtverhältnisse eine Rolle, wie dies der Historiker Jürgen Osterhammel für die Rolle rassistischer Denkweisen im Kontext des europäischen Kolonialismus und Imperialismus betont: Nach der schrittweisen Abschaffung von Sklavenhandel und Sklaverei lebte rassistisches Denken in weniger krassen, sich aber nunmehr ‚wissenschaftlich‘ legitimierenden Formen fort. Rassismus darf aber nur mit Vorsicht als unabhängige Erklärungsvariable verwendet werden; oft ist er eine Rechtfertigungsideologie, die praktizierter Segregation nachgeschoben wird.142

Daher gilt auch für den Rassismus als wissenschaftlich legitimierter Ideologie oder als Untersuchungsgegenstand der Soziologie, der Geschichts- und Politikwissenschaft, der Kuturwissenschaft und eben auch der philologischen Wissenschaften, dass er stets politisch markiert ist und aus dieser jeweils von un-

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senlogik muss insofern nicht notwendigerweise ‚rassistisch‘ sein, wenn die Elemente des Systems lediglich deskriptive Kategorien und nicht Essenzen der beschriebenen Gegenstände darstellen. Auch ist im System einer Rassenlogik eine ahierarchische Anordnung der Elemente theoretisch durchaus möglich. Zum racialisme vgl. Todorov 1989: 113 ff. u. Taguieff 1998a. So war für Arthur de Gobineaus Rassenlogik eben der zeitliche Faktor von entscheidender Bedeutung, da diese Dekadenztheorie, welche die zentralen historischen Akteure, Personengruppen, Nationen und Zivilisationen durch Rassen ersetzte, erst dann weltgeschichtliche Bedeutung erlangte, als sie pessimistisch auf die Dynamik der Vermischung wies, die unaufhaltsam aus einem Zustand ursprünglicher und bereits nicht mehr fassbarer ‚rassischer‘ Reinheit in zivilisatorischen Verfall führe. Vgl. Conze: 161-163. Osterhammel/Jansen 1995: 94.

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terschiedlichen Interessen geleiteten Markierung heraus erfasst werden sollte.143 Der Soziologe Stuart Hall und der Historiker George Fredrickson pluralisieren daher den Rassismus zu mehreren ‚Rassismen‘.144 Will man den Rassismusbegriff für den wissenschaftlichen Diskurs verwendbar machen, kann man durchaus davon ausgehen, dass rassistisches Denken und Argumentieren seine Legitimation und soziale Wirkung auch aus einem biologischen Rassebegriff zieht. Doch darf diese Tatsache allein für das Verständnis des Phänomens sozialer Diskriminierung aufgrund rassistischer Argumente nicht als ausreichend erachtet werden.145 Die epistemischen Grundlagen des Rassismus bestehen nämlich viel allgemeiner neben einer pauschalisierenden Typologisierung anhand von konstruierten oder empirisch erfassbaren Differenz-Merkmalen in einem tautologisch-essenzialisierenden sowie einem wertend-hierarchisierenden Denkschritt. Diese kreishaft konstruierte, aber dadurch argumentativ intransparent gemachte Unterscheidung menschlicher Individuen über ein vom Urteil der Differenzierenden abhängiges, kollektives Identifikationsmerkmal wie ethnischer, kultureller, sexueller oder religiöser Zugehörigkeit, und die Einordnung des beurteilten Individuums in eine hierarchische Gesellschaftsordnung, erlaubt es, die eigene Position über eine Festschreibung dieser Charakteristika als Essenzen des Klassifizierten zu definieren. Der Beurteilte wird über den Zwischenschritt einer Kollektivierung vermeintlich essenzieller Eigenschaften kategorisch fixiert und aus anderen kollektiven Identitäten anhand eines Vergleichs als überlegen oder minderwertig exkludiert.146 Dies kann über die Physis, aber auch durch das Einschreiben einer kognitiven Essenz in menschliche Kulturtechniken wie Sprache, Text 143

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In dieser Studie soll die soziale und historische Einbettung des Rassismus, welcher der todorovsche Rassismusbegriff auch das Merkmal der Unmittelbarkeit des Verhaltens hinzufügte, nicht in Abrede gestellt werden. Es soll dieser todorovschen Lesart jedoch nur insoweit gefolgt werden, als dass es sich hierbei zwar durchaus um ein comportement, genährt von Hass, Verachtung oder Angst handeln kann, das sich auch auf Ideologie und Theorie beruft, jedoch zudem auch das unelaborierte, essenzialiserende Denken als ‚Verhalten‘ bezeichnet wird. Damit soll betont werden, dass trotz der Relativierung von Todorovs terminologischer Trennung und trotz eines hier stark gemachten methodisch differenzierten Verständnisses von Rassismus als intellektueller ‚Operation‘ keine verallgemeinerbare Kausalbeziehung zwischen Rassenlogik und ‚praktiziertem‘ Rassismus postuliert werden kann. Eine Handlungsalternative ist trotz entgegengesetztem Denken nicht auszuschließen. Auch können Handlung und Rechtfertigung in der zeitlichen Abfolge von Fall zu Fall variieren, wie Osterhammel betont, der den Rassismus im obigen Zitat ebenfalls eher mit einem ideologisch-politischen Konnotat verbindet. Eine in Ansätzen nach ‚äußerlich‘ und ‚innerlich‘ differenzierende Unterscheidung, wie diejenige zwischen racisme und racialisme erscheint mir daher für die Untersuchung epistemischer Grundlagen rassistischen Verhaltens wenig opportun. Vgl. Fredrickson 2004: 16; Hall 1994b: 127. Zum Thema Rassismus als gleichermaßen sozialem wie historischem Phänomen in seinen Zusammenhängen mit Sklaverei und sozialer Ungerechtigkeit mit besonderem Fokus auf Nordamerika vgl. Fredrickson 1988 u. 2000. Zu den vielen historischen Facetten des Phänomens ‚Rassismus‘ vgl. Memmi 1968. Einen weiteren Definitionsansatz, welcher Rassismen in erster Linie als nicht nur biologische, sondern soziokulturell konnotierte Mechanismen zur Festigung eigener Macht betrachtet bringt Memmi 1992 vor.

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und Schrift geschehen. Auch innersoziale Klassendifferenzen können über genealogische oder geburtsrechtliche Überlegungen (aristokratische Gesellschaftsordnung und Kastenwesen) in unveränderliche und ‚genetisch‘ bedingte Unterschiede des Menschseins uminterpretiert werden. Diesen Mechanismus tautologischer Essenzialisierung von Differenzmerkmalen des ‚Anderen‘ im rassistischen Diskurs hat der Wissenschaftshistoriker Patrick Tort folgendermaßen zusammengefasst, wobei er in erster Linie auf biologische Unterscheidungskriterien abzielt: Peut être qualifié de raciste tout discours qui représente le devenir des groupes humains comme gouverné d’une manière prépondérante par des inégalités biologiques natives – fixées ou évolutives –, agissantes sur lui à la manière d’un déterminisme inhérent, persistant, transmissible et induisant, autorisant ou prescrivant des conduites destinées à accomplir ou à favoriser les conséquences des hiérarchies initiales que ce discours postule.147

Der so verstandene Rassismus träte nicht allein als ein wissenschaftliches Phänomen auf, das an ein sofort ‚erfassbares‘ Differenzmerkmal, beispielsweise die biologische Rasse im Sinne von physischen Gemeinsamkeiten wie Hautfarbe usw., gekoppelt wäre. Diese Art rassistischen Denkens wäre hier lediglich eine Form des Rassismus, der sich aber auch aus wissenschaftlich undifferenzierten, kulturellen oder sozialen Faktoren eines menschlichen Kollektivs wie Xenophobie speisen könnte. Der Rassismus bliebe somit zwar oftmals eng verbunden mit einem ihm zugrunde liegenden Typologisierungsmuster als Gesamtheit ererbter sprachlicher, kultureller oder physischer Merkmale menschlicher Kollektive, ginge aber durch seine Verwurzelung im subjektiven Werturteil und der Rhetorik politischer Instrumentalisierung weit darüber hinaus. Dem sozialen und von Ethnizität unabhängigen Rassismus gegenüber bestimmten gesellschaftsinternen Minderheiten und Klassen wird ein typologischer Rassebegriff allein nicht gerecht. Und auch das komplexe Phänomen des Antisemitismus, der unter dem Kriterium tautologischer Essenzialisierung als eine der prominentesten Erscheinungsformen des Rassismus definiert werden soll, kann einerseits auf der Konstruktion ‚rassischer‘ Merkmale basieren, sich aber auch anderer Differenzierungsmöglichkeiten und Essenzialisierungsformen wie des historisch perpetuierten Vorurteils bedienen. Zum Beispiel, wenn während einer Phase sich verstärkender antisemitischer Tendenzen im Europa der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, und somit während der Epoche des imperialistisch-sozialdarwinistisch motivierten Rassismus, die semitischen Völker rassenlogisch durchaus zur ‚weißen‘ oder ‚kaukasischen‘ Rasse gezählt wurden.148 Allen diesen Formen des Rassismus gemein ist allein die pauschalisierend angewandte Essenzialisierung als eine unüberwindbare 147 148

Tort 1996: 3611. So beispielsweise in Nicolucci 1857. Zu den historischen Fokussierungen rassistischer ‚Praxis‘ auf bestimmte inferiorisierte Gruppen unter unterschiedlichen Kriterien vgl. Poliakov/Delacampagne/Girard 1979.

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und tautologische Verschmelzung von physischen oder kognitiven Merkmalen mit ethnischen, religiösen und sozialen Kollektiven und deren eindeutige und ebenfalls fixierte (meist einer pejorativen Tendenz folgende) hierarchische Anordnung. Diese Denkweisen lassen die typisierende Rassenlehre oder Rassenlogik zu Rassismus werden und geben einer emotionalen und fanatischen Aufladung des Vorurteils ihre ‚rationale‘ Nahrung. Eine essenzialisierende Hierarchisierung lässt sich Anfang des 19. Jahrhunderts auch anhand von Aussagen im Bereich des philologischen Wissens beobachten, indem es die Differenzierung der Menschheit anhand schrift- und sprachtypologischer Charakteristika erlaubte. Ein erster epistemischer Schritt dazu war die Konstruktion eines philologischen Typensystems, als die Pioniere der Sprachwissenschaft wie Friedrich und August Wilhelm Schlegel Sprachen in Familien-Modellen zu systematisieren versuchten, die durch eine strukturelle Vertiefung sprachlicher Differenzierungen gekennzeichnet waren.149 Die vertiefte epistemische Ursache für jene Differenzierung beruhte bekannterweise auf einer Verschiebung der philologischen Perspektive weg von Kriterien historischer Textualität, Etymologie und dem Wechselverhältnis von freier Wortstellung und Artikel, hin zu strukturell-synchronen als auch diachronen Unterschieden und Entwicklungen innerhalb der nun unterschiedenen Bereiche Grammatik und Lexik sowie innerhalb der Phonologie, Morphologie und Syntax eines Sprachsystems.150 Friedrich Schlegels polygenetische Konzeption der Menschheit, geboren aus „lichter Besonnenheit“ im Spiegel der flektierenden Sprachen einerseits und „thierischer Dumpfheit“, wie sie in allen anderen Sprachen aufscheine, war ein erster Ausdruck der Wirksamkeit philologischer und gleichzeitig anthropologisch ausdeutbarer Differenzierungen.151 149

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Friedrich Schlegel (Vgl. Schlegel 1808: 3-71) unterschied noch sehr grob zwischen flektierenden und nicht-flektierenden Sprachen, hielt diese beiden Typen jedoch für genuin unvereinbar miteinander. Vgl. Schlegel 1808: 4: „Entweder werden die Nebenbestimmungen der Bedeutung durch innre Veränderung des Wurzellauts angezeigt, durch Flexion, oder aber jedesmal durch ein eignes hinzugefügtes Wort, was schon an und für sich Mehrheit, Vergangenheit, ein zukünftiges Sollen oder andre Verhältnisbegriffe der Art bedeutet; und diese beiden einfachsten Fälle bezeichnen auch die Hauptgattungen aller Sprache. Alle übrigen Fälle sind bei näherer Ansicht nur Modifikationen und Nebenarten jener beiden Gattungen; daher dieser Gegensatz auch das Ganze in Rücksicht auf die Mannigfaltigkeit der Wurzeln unermeßliche Gebiet der Sprache umfaßt und völlig erschöpft.“ Ebd.: 45. August Wilhelm Schlegel differenzierte die Typologie seines Bruders weiter aus und spricht von „langues sans aucune structure grammaticale“, „langues que emploient des affixes“ und den „langues a inflexions“. Schlegel, A.W. 1818: 14. Zur Entwicklung der Sprachtypologie im 19. Jahrhundert vgl. Morpurgo-Davies 1975 sowie Gipper/Schmitter 1975. Zur Rolle Friedrich Schlegels bei der Diskriminierung des Denkens in der Sprachform vgl. Messling 2013a, dort insb. 34-44 sowie Ders. 2014 (im Druck), vgl. a. Schlegel, F. 1808: 62-66. Schlegel stellte sich die Frage nach dem Ursprung der Sanskrit-Sprache und gab mit seiner Antwort zugleich ein anthropologisches Urteil über die Phylogenese als den „Zustand des Menschen“ ab, welches im Gegensatz zu jener teleologischen Geschichtsvorstellung der Aufklärung vom universellen Fortschritt des Menschen durch allmähliche zivilisatorische Entwicklung stand: „Einiges wenigstens läßt sich auf diese wichtige Frage mit Gewissheit

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Deren essenzialisierende Paradigmatik fand trotz einer theologischen und christlich universalistischen Relativierung menschlicher Differenz beim späten Schlegel Eingang in den philologischen Diskurs und das kulturelle Bewusstsein der Epoche, um sich als hartnäckiges Vorurteil zu halten. Dennoch ist es nicht verwunderlich, dass das Konzept indoeuropäischer Genealogie ein chauvinistisches Nachleben hatte. Nicht nur, weil dieses gegen das universalistische Menschenbild der Aufklärung aufgeworfen worden war; sondern vor allem, weil es in seinen kulturgeschichtlichen Implikationen paradoxerweise ähnlich exklusorische Züge trug wie die aufklärerische Fortschrittsideologie: Über den Höhenkamm der historischen Entwicklung wandern bei Schlegel nur die indoeuropäischen Völker. Allein, bei Schlegel sind die Zeichensysteme nicht mehr von der Anthropologie abhängig. Vielmehr sind Sprache und ‚Menschenstämme‘ in Schlegels nachkatastrophischem Szenario aufs Tiefste miteinander verquickt.152

Die epistemischen Auswirkungen dieser indoeuropäischen Genealogisierung der Philologie behalten ihre historische Relevanz auch unter der Prämisse, dass die Gründe für die philologischen Differenzierungen der Menschheit vor dem Ur-Szenario von Schlegels Indienmythos in erster Linie dem historischpolitischen Kontext des deutschen Nationalismus der Romantik zugerechnet werden.153 So entwickelte sich vor dem Hintergrund einer Ausdifferenzierung philologischer Methodik durch die Werke des Indologen Christian Lassen, und der Orientalisten und Religionswissenschaftler Ernest Renan und Max Müller jenes nicht immer rassistisch ausformulierte arisch-semitische Paradigma als prominentestes Beispiel wissenschaftlich fundierter Rassenlogik des 19. Jahrhunderts.154 Die Differenzen und Gemeinsamkeiten der Sprachfamilien

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antworten; sie [die Sanskritsprache, ML] ist nicht aus einem bloß physischen Geschrei und allerlei Schallnachahmenden oder mit dem Schall spielenden Sprachversuchen entstanden, wo dann allmählig etwas Vernunft und Vernunftsform angebildet worden wäre. Vielmehr ist diese Sprache selbst ein Beweis mehr, wenn es dessen noch bei so vielen andern bedarf, daß der Zustand des Menschen nicht überall mit thierischer Dumpfheit angefangen, woran sich denn nach langem und mühevollem Streben endlich hie und da ein wenig Vernunft angesetzt habe; sie zeigt vielmehr, daß wenn nicht überall, doch wenigstens grade da, wohin uns diese Forschung zurückführt, gleich von Anfang die klarste und innigste Besonnenheit statt gefunden; denn das Werk und Erzeugniß einer solchen ist diese Sprache, die selbst in ihren ersten und einfachsten Bestandtheilen die höchsten Begriffe der reinen Gedankenwelt, gleichsam den ganzen Grundriß des Bewußtseins nicht bildlich, sondern in unmittelbarer Klarheit ausdrückt.“ Ebd.: 62. Vgl. Messling 2013a: 39. Zur Rolle Friedrich Schlegels für die weitere Entwicklung der historisch-vergleichenden Philologie als indoeuropäischer Sprachwissenschaft im Lichte seiner polygenetischen Konzeption des Sprachursprungs vgl. auch Timpanaro 1972. Dass diese Entwicklung für die Geschichte der philologischen Wissenschaften von entscheidender Bedeutung war, wird von den Aussagen Schlegels selbst gestützt, der im „indischen Studium“ einen kulturverändernden Aspekt im positiven Sinne einer neuen ‚Renaissance der Philologie‘ sah. Vgl. Schlegel 1808: X. Vgl. Tzoref-Ashkenazy 2009: 16. Vgl. Olender 1989. Maurice Olender weist darin auf das teleologische Geschichtskonzept und den Vorsehungsbegriff bei Ernest Renan, Max Müller und Adolphe Pictet hin; zwei epistemische Voraussetzungen, welche die Erforschung der philologischen und ethnisch-

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EINLEITUNG

als Argumente für eine apriorische Privilegierung literarischer Monumente und Mythologien bestimmter menschlicher Gemeinschaften besaßen gerade durch ihre Verortung in einer teleologischen und exklusiven Geschichtlichkeit auch das Potential, in Form einer vergleichend-hierarchischen Anordnung von Sprachen und Texttraditionen kognitiven und ‚genetisch‘ bedingten Charakteristika Form zu verleihen, welche in eine genealogische Ausdeutung eingebunden werden konnten. Der Schritt einer Essenzialisierung ganzer Völker, wie er während der Spätaufklärung bereits die vermeintlich statische chinesische Sprache und Kultur betraf, wurde erst im 19. Jahrhundert endgültig, da nun historische Entitäten als Zivilisationen, Völker und Rassen philologisch in einem exklusiven Geschichtsdiskurs jenseits einer Universalgeschichte als Ursprungsnarrative fixierbar waren.155 Die Sprachen, Zeichensysteme und Litera-

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genealogischen Verwandtschaftsbeziehungen zwischen nahem semitischen und fernem indischen Orient über lange Zeiträume hinweg prägten: „Pour décrire le plus vieux passé d’une humanité intelligente, philologues et mythologues inventent alors les Aryens et les Sémites en leur attribuant des rôles toujours opposés, quelquefois complémentaires.“ Ebd.: 49. Zur politischen Rolle des alten Indien im deutschen Kontext vgl. Messling 2008: 243 ff. Eine der negativsten und fatalsten Ausprägungen des arischen Paradigmas in Form einer historisch wirksamen Essenzialisierung der Semiten als zu den Indoeuropäern antagonistischen Volksgruppe findet sich in Christian Lassens philologischem Hauptwerk, der Indischen Altertumskunde wieder (Vgl. Lassen 1847-1857). Lassen rechnete darin die Semiten neben den Indogermanen zur kaukasischen Rasse, unterschieden wird daher auf kognitiver und nicht physischer Grundlage. Unterscheidungskriterien waren für Lassen Literatur, Philosophie, Religion, Politik und Rechtssystem, welche die Unterlegenheit des semitischen „Volksgeistes“, geprägt von Subjektivität und Egoismus sichtbar machen sollten: „Die Geschichte bezeugt, daß die Semiten nicht das harmonische Gleichmaß aller Seelenkräfte besitzen, durch welche die Indogermanen hervorragen. Das Gemüth und mit ihm die Leidenschaft, die besondere Persönlichkeit mit energischem Willen und scharfem Verstande waltet bei dem Semiten vor; er kann die Beziehung der Welt zum Menschen überhaupt von der zu dem eigenen Ich nicht trennen, er kann Gedanken nicht in reiner Objectivität dem Geiste vorstellen; seine Anschauungsweise ist subjectiv und egoistisch. Seine Poesie ist lyrisch, daher subjectiv. [...] In seiner Religion ist der Semite selbstsüchtig und ausschließend.“ Demgegenüber werden die „episch-heroischen“ Indogermanen als vitaler Gegenpart zu den Semiten in eine historische ‚Kampflogik‘ integriert, welche sie zum Sieg prädestiniere: „In ihrem Ringen mit den Indogermanen um die Herrschaft der Welt sind sie [die Semiten, ML] unterlegen, diese [die Indogermanen, ML] sind noch im gewaltigen Fortschritt begriffen; sie umfassen mit ihrer rastlosen Thätigkeit beides: die äußere Welt und das Reich des Geistes; ihr Streben ist auf die Beherrschung der ganzen Erde gerichtet. Es waltet unter ihren einzelnen Gliedern zugleich die größte Mannigfaltigkeit, je nachdem ihre Wohnsitze und ihre historischen Schicksale verschieden sind.“ Lassen 1847: 495-497. Ein Beispiel für die Auswirkungen eines veränderten Geschichtsdiskurses findet sich in den veränderten Betrachtungsweisen des Chinesischen in den Typologien des frühen 19. Jahrhunderts. Die Spätaufklärer Adelung und Vater sahen in der Monosyllabizität des Chinesischen noch einen hartnäckigen Sonderfall im universellen Fortschrittsprozess, welcher auch die „einsylbigen“ Sprachen und ihre Sprecher umfasse: „So einsylbig leben und weben noch ganze Millionen Menschen in dem südöstlichen Asien fort, ohne zu ahnden, daß ihre Sprache noch einer größeren Ausbildung fähig sey. [...] Der Sinese hat sich durch seine steife Einsylbigkeit den Weg zu aller weitern Cultur des Geistes verschlossen; aber die Sprache des Huronen und Grönländers hat alles in sich, sich zu der Sprache eines Plato und Voltaire zu erheben.“ Adelung 1806-1817, Bd. 1: XXV. August Wilhelm Schlegel zielte bei seiner Einordnung dieser „Sprache ohne grammatikalische Struktur“ zur isolierenden Klasse ‚apriorisch‘

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turen von alten Völkern und Zivilisationen konnten im positiven Sinne zu Indizien für die überlegene Identität moderner, europäischer Nationen und Völker als physische und kulturelle ‚Erben‘ wiederentdeckter Weisheit umgedeutet werden, die anderen menschlichen Großgruppen kognitiv und zivilisatorisch seit jeher überlegen gewesen seien und es immer sein würden. Jener veränderliche Modus der diskriminierenden Gestaltung von gesellschaftlicher Wirklichkeit nach einer geschichtlich veränderbaren Art, diese Wirklichkeit unter statisch-typologischen Gesichtspunkten zu erklären – ein epistemischer Vorgang, welcher hier als Rassismus bezeichnet wird – muss also nicht auf einem aus der Natur abgeleiteten Substanzkonstrukt basieren, welches dann als Essenzialismus bezeichnet wird. Diese epistemische Operation gilt noch am ehesten für den anthropologischen Rassebegriff im Sinne kollektiver physischer Unterschiede. Es handelt sich bei der hier untersuchten Form des Rassismus nicht um einen Essenzialismus verstanden als Naturalismus. Die Operation des Essenzialisierens beschreibt eine tautologische Einordnung des in seiner Identität diskriminierten Individuums in veränderliche, aber präetablierte Wissensordnungen über die Natur: Der Rassismus ist kein Essentialismus. Er beruft sich niemals auf die Natur an sich, sondern grundsätzlich auf ein sich selber veränderndes Wissen von der Natur. Dieses Wissen in Gestalt eines gewünschten Idealzustands (der fixen Ordnung oder aber des ewigen Kampfes) ist für den Rassismus das Maß, nach dem er die gegebene Natur (des Menschen, die Gesellschaft) gestalten will.156

Diese diskursive Ausweitung des Rassismusbegriffes bedeutet aber, dass für die Kohärenz der Untersuchung eine Fokussierung auf einen bestimmten Rassismus vorgenommen werden muss, dessen epistemische Grundlagen in der Ausarbeitung einer Rassenlehre durch die Philologie zum Tragen kommen, durch sie gefördert oder sogar definiert wurden. Es werden daher im Folgenden vor allem der texthistorisch, textkritisch und sprachtypologisch fundierte Rassismus auf der Grundlage durch die Philologie geschaffener Essenzialisierungen, oder eines durch sie instrumentalisierten Rassebegriffes im Hinblick auf den oben genannten „gewünschten Idealzustand“ – eine konstruierte Ordnung der Sprachen und Texte nach ethnischen, genealogischen und deterministischen Gesichtspunkten – im Mittelpunkt stehen. Anhand des Auftretens

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auf die kognitiven Fähigkeiten des Menschen. Die kulturelle und zivilisatorische Unterlegenheit der Chinesen und anderer Sprecher isolierender Sprachen werde ohne Aushnahme durch die „Sterilität“ der grammatikalische Struktur eines historisch fixierbaren Sprachtypus bedingt. Das Sprachsystem wird nicht nur zum Hindernis des Geistes, sondern zur anthropologischen Determinante in der Zivilisationsgeschichte, welche manche Völker von Anfang an aus dieser ausschließe: „Les langues de la première classe n’ont qu’une seule espèce de mots, incapables de recevoir aucun développement ni aucune modification. On pourroit dire que tous les mots y sont des racines, mais des racines stériles qui ne produisent ni plantes ni arbres. [...] De tels langues doivent présenter de grands obstacles au développement des facultés intellectuelles, leur donner une culture littéraire ou scientifique quelconque, semble être tour de force […].“ Schlegel, A.W. 1818: 14. Geulen 2007: 118.

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EINLEITUNG

dieser Argumentationszusammenhänge in wissenschaftlichen Schriften des 19. Jahrhunderts sollen die epistemischen Prämissen essenzialisierender und hierarchisierender Tendenzen nachverfolgt werden, wie sie das philologische Wissen in Italien prägten. Weiterhin ist zu prüfen, inwieweit die daraus folgenden Schlüsse nicht allein in rassenlogische, sondern im eigentlichen Sinne rassistische Positionen und Lehrmeinungen mündeten und wo sich Resistenzen gegen diese Diskurse bildeten.

I. REFERENZRÄUME KOLLEKTIVER IDENTITÄT – RASSENLOGISCHE DISKURSE INNERHALB DER ITALIENISCHEN PHILOLOGIE

Es scheint auf den ersten Blick historisch logisch, dass die Entwicklung der Philologie als Produzentin anthropologischer und ethnographischer Theoreme in einem seit dem Zusammenbruch des weströmischen Reiches territorialpolitisch, dynastisch, administrativ und institutionell fragmentierten Italien durch äußerst unterschiedliche Positionen und Aussagen zur Frage nach der ethnischen Verankerung einer möglichen nationalen Identität der Italiener gekennzeichnet war. Ein Phänomen, welches im Folgenden näher erörtert werden soll, um so die Rolle des philologischen Wissens in diesem Diskurs italienischer Ursprungsnarrative und seiner rassenlogischen und rassistischen Implikationen näher zu ergründen. Jene Debatten schlugen sich auf epistemischer Ebene seit dem 18. Jahrhundert und verstärkt im aufkommenden Nationalismus der Restaurationszeit in der wissenschaftlichen Suche nach den sprachlichen, literarischen, aber auch ethnischen Ursprüngen der Italiener nieder. Wohl auch deshalb, weil das historische Argument für jeden Patrioten sofort Relevanz gewinnen musste, dass ein identitärer Referenzraum als Volk, Nation oder Rasse sowohl politisch im Prozess des Risorgimento als auch philologisch in einer standardisierten italienischen Schriftsprache – dem zentralen Problem der questione della lingua – erst geschaffen werden musste. Diese wichtige Verbindung aus sozialer, kultureller und politischer Fragmentierung sowie den Zusammenhang zwischen Philologie und Politik beschreibt Tullio de Mauro in seiner Storia linguistica dell’Italia unita anhand eines Zitates des neapolitanischen Literaturhistorikers Luigi Settembrini, welcher als einer der Vordenker in der Debatte um das Konzept einer italienischen Nation gilt: Voi sapete che, quando un popolo ha perduto patria e libertà e va disperso pel mondo, la lingua gli tiene luogo di patria e di tutto […]. Sapete che così avvenne in Italia, e che la prima cosa che volemmo quando ci risentimmo italiani dopo tre secoli di servitù, fu la nostra lingua comune, che Dante creava, il Macchiavelli scriveva, il Ferruccio parlava. Sapete infine che parecchi valenti uomini si dettero a ristorare lo studio della lingua, e fecero opera altamente civile, perché la lingua per noi fu ricordanza di grandezza, di sapienza, di libertà, e quegli studi non furono moda letteraria, come ancora credono gli sciocchi, ma prima manifestazione del sentimento nazionale.157

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Settembrini 1961 [1879], zitiert nach De Mauro 1993 [1963]: 1.

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Sprache und Literatur als verbindende Elemente der Italiener in einer freien ‚Nation‘. Der aus seinem Exil in Großbritannien zurückgekehrte Liberale Settembrini forderte diese philologische ‚Bewusstmachung‘ nach der Gründung des Königreichs Italien aus der Erinnerung an eine doch erst kürzlich überwundene und in ihren sozialen und kulturellen Folgen immer noch nachwirkende Situation der politischen Bevormundung der Bevölkerung durch ‚ausländische‘ Adelsdynastien und Mächte. Ziel war die Förderung einer nationalen Empfindung der Jugend. Dieses sentimento nazionale wurde hier jedoch im Gegensatz zum frühen 19. Jahrhundert durchaus auch genealogisch begründet und nicht nur in Abgrenzung zum Begriff des popolo verwendet.158 Eine Interpretation, die aus einem veränderten Verständnis des Begriffes ‚Nation‘ als genealogischer (Volks-)Gemeinschaft im Gegensatz zum ‚Staat‘ resultierte. Eine Gemeinschaft, wie sie laut Settembrini auch das antike Griechenland und das politisch zu diesem Zeitpunkt noch nicht geeinigte Deutschland charakterisiere. So stellte der Philologe in seinem dreibändigen Hauptwerk, den Lezioni di letteratura Italiana (1866-1872) klar, dass einem Volk bestimmte essenzielle, durch geographische Lage, gemeinsames Denken, Religion, Sprache, gemeinsamen Ruhm, gemeinsame Niederlagen, Traditionen und eben auch durch die Blutsgemeinschaft konstituierte Wesensmerkmale zugeschrieben werden könnten. Mehr noch als die Sprache, welche sich in Dialekten und Stilen unterschiedlich entwickelte, sei die italienische Literatur Zeugnis eines Nationalcharakters der Italiener.159 Dieser wäre jedoch durch ausländische Einflüsse, allen voran das Habsburger Reich, in seiner freien Entfaltung gestört worden: Le nazioni si formano per organismo interno, non per aggregazioni di genti o sovrapposizione. Il luogo, il sangue, il pensiero, la religione, la lingua, le glorie, le sventure comuni, le tradizioni formano le nazioni: lo stato è legame di tutto questo; ma è legame esterno, e può anche non esserci. C’è nazione senza stato, come la Grecia antica, e come la Germania; e c’è stato senza nazione, come l’Impero Austriaco e l’Impero Russo. L’Italia non fu uno stato, ma fu una nazione sempre: ed ultimamente questo spontaneo riunirsi e comporsi in uno stato dimostra che ella era diviso soltanto di fuori e per cagioni esterne. Noi dunque come i Greci

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Zum soziokulturellen Nationenbegriff als zivilisatorischer Weiterentwicklung des Volksbegriffs vor und während der frühen Phase des Risorgimento u.a. bei Giacomo Leopardi vgl. Gensini 2013: „According to Leopardi nation and people are different things. People has a kind of sociological meaning, corresponding to the classes which form a nation, yet excluding the dominant class both in a political and an intellectual sense (gli intendenti). A people becomes a nation when it enters a fabric of social and political norms as well as of cultural and moral values; thus originate all the differences, which characterize humankind. Of course, these differences are purely cultural in nature, depending on the habit which has superimposed itself on the universal, natural condition of the umana compagnia.“ Ebd.: 177-178. Zu einem Überblick über die „Selva dei dialetti“, wie sie den Sprachraum Italien prägt vgl. De Mauro 1993: 21 ff.

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antichi siamo una nazione; e come essi abbiamo una Letteratura nazionale, che è specchio di tutta la nostra vita.160

Worin besteht nun dieser Charakter der italienischen Literatur und letztlich des italienischen Volkes, der es von den anderen europäischen Völkern unterscheide und worin es den kulturellen Errungenschaften der anderen Nationen überlegen sei? Die Antwort fällt wenig überraschend aus und steht ganz im Geiste der ‚Latinità‘ eines antiklerikalen und säkularen Klassizismus, der die textliche Genealogie der lateinischen Literatur für die italienische Gegenwart betonte und sich auf die Antike und die Zeitalter ihrer verstärkten Rezeption als den eigentlichen ‚italienischen Momenten‘ der Geschichte bezog.161 Die nach Settembrini immer noch bestehende genealogische Abstammung der Italiener als „popolo medesimo e continuo“ von den ‚klassischen‘ Völkern der mediterranen Antike, von den hellenischen und römischen Vorfahren, lässt die Anwendung ihrer kulturellen Muster, Formen und Denkweisen in der Literatur, der Philosophie und der Kunst zur legitimen Rückkehr („ritorno“) zu einem zivilisatorischen ‚Erbe‘ werden. Die Antiken-Rezeption der ‚anderen‘ Völker – der „barbari“ des Nordens – sei lediglich eine „Nachahmung“ („imitazione“) dieses ihnen fremden Erbes.162 Damit komme dem italienischen Volk die Aufgabe des eigentlichen und legitimen Repräsentanten und Hüters der cultura classica zu: L’Italia fu la principale restauratrice dell’antichità, e fu ancora la prima riedificatrice della civiltà nuova. Noi tra i popoli d’Europa rappresentiamo la cultura classica, che abbiamo restaurata, insegnata, e sparsa per tutto.163

Bei diesen an die jungen Italiener des eben geeinigten Staates164 gerichteten Aussagen des liberalen Patrioten und engagierten Freimaurers Settembrini handelt es sich natürlich, wenn man die bereits definierten Kriterien anwendet, nicht um Rassenlogik, da keine Ausarbeitung eines Rasse- und Volkskonzepts in einem wissenschaftlichen Lehrsystem vorliegt.165 Settembrinis genealogische Vereinnahmung der ‚klassischen‘ Kultur war vielmehr der Versuch einer philologisch fundierten Identitätsbildung gegen einen schwachen gesellschaftlichen Zusammenhalt im jungen Königreich, unterstützt durch einen kulturellen Patriotismus mit chauvinistischen Elementen, die auf bewährten histori160 161 162

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Settembrini 1894 [1866-1872]: 5. Vgl. ebd.: 9-13. „L’imitazione dell’arte greco-latina per gli altri popoli è sforzo, per noi è ritorno alla natura nostra, perché noi siamo d’una stirpe con gli antichi, e viviamo sulla stessa terra, dove vediamo le stesse cose belle ed adorabili. L’errore sta in credere che noi siamo di altro sangue, che la semenza antica fu spenta, e che noi nasciamo dai barbari. Noi siamo un popolo medesimo e continuo, e questa che gli atri chiamano ‘imitazione’, noi la chiameremo ‘riproduzione e ritorno’.“ Ebd.: 13-14. Ebd.: 14-15. Vgl. ebd.: ‚Avvertenza‘. Zu Luigi Settembrini und die Bedeutung seines historischen Ansatzes für die Entstehung der italienischen Literaturwissenschaft vgl. Boschero 1923, Woolf 1969: 69.

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schen Stereotypen beruhten. Dennoch ist das essenzialisierende Paradigma eines genealogisch vererbten Nationalcharakters und seine Übertragung in die Literaturgeschichtsschreibung ein Teil jenes philologisch-anthropologischen Diskurses, welcher das ganze 19. Jahrhundert durchzog und durchaus auch auf rassenlogische Argumente rekurrieren konnte. Neben methodischen Überlegungen, welche genealogische Verbindung von Texten mit starker Ähnlichkeit zu zoologischen und botanischen Abstammungsverhältnissen erlaubten, waren die philologische Rezeption des Darwinismus und eine sprachtypologische Perspektivierung theoretisch im Stande, der Philologie die genealogischen sowie kognitiven Differenzkriterien zu liefern, auf denen die Darstellung einer glorreichen italienischen Nationalliteratur als ererbter „arte della parola“166 aufbauen konnte.167 Dass dies auch geschah, wird im Laufe der Arbeit deutlich werden. Philologische Narrative als identitätsbildende und politische ReferenzDiskurse innerhalb der ethnographischen Erforschung der Bewohner der italienischen Halbinsel mussten sich dabei nicht allein auf ein glorreiches Erbe römisch-lateinischer Texttradition beschränken. Derartige Argumentationszusammenhänge konnten seit den Erkenntnissen der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft und der vergleichenden Mythenforschung eine ethnische Einheit der Italiener als ‚Arier‘, bzw. ‚pelasgische Arier‘ konstruieren. Diese Konstruktionen gingen mit einer indisch-hellenisch-römischen Genealogie mythologischer Themen oder einer typologisch-sprachstrukturellen Verwandtschaftsbeziehung der indoeuropäischen Sprachen (Italienisch in all seinen Dialekten als flektierende Sprache zentralasiatischen oder indischen Ursprungs) als rassenlogischen Identifikationsräumen einher. In anderen Narrativen wurde die Population der Halbinsel zur Nachkommenschaft einer autochthonen Urbevölkerung, oder aber einer Hybridgesellschaft, bestehend aus Kelten, Germanen, Oskern, Etruskern, Latinern, Griechen, Albanern, Katalanen, Slaven, erklärt, die wiederum als Ausgangspunkt textarchäologischer Ursprungssuchen diente oder es erlaubte, sprachlich-ethnische Zuordnungsversuche aufgrund dialektaler Besonderheiten vorzunehmen.168 Eine Sicht auf die ethno166 167

168

Settembrini 1894 [1866-1872]: 4. Vor allem Max Lachmanns kritische Methode der Textforschung lieferte die epistemische Prämisse einer strikt positivistischen Textgenealogie, obwohl diese Methode in Italien erst Anfang des 20. Jahrhunderts verstärkt rezipiert wurde und in der Methodik Beachtung fand. Vgl. Timpanaro 1971 [1963]: 15-21 u. Lepper 2012: 100. Der Philologe, Archäologe und Kunsthistoriker Luigi Lanzi betonte Ende des 18. Jahrhunderts in seinem Saggio di lingua etrusca e di altre antiche d'Italia von 1789 die schon aus antiken Quellen (Livius, Dionysios Halikarnassos) erschließbare sprachliche und auch ethnographische Heterogenität der italienischen Halbinsel. Im zweiten Kapitel seines Saggio beklagte er paraphrasierend den unzureichenden bisherigen Stand der Forschung und die Unklarheit über die Ursprünge der italienischen Sprachen und Völker, wie sie anhand methodischer Auseinandersetzung mit archäologischen Relikten und den Dialekten dennoch überwunden werden könnte. Auch kritisierte er den nationalistischen Chauvinismus, wie er im Argument einer exklusiven Primogenitur eines bestimmten Volkes als Vorfahr der siegreichen Römer immer wieder aufschien. Vgl. Lanzi 1789, Band 1: 15-34. Selbstgewisse und

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graphischen Verhältnisse der italienischen Halbinsel, wie sie in Geschichtsschreibung, Archäologie und Philologie schon im 18. Jahrhundert gegen die starke Fokussierung auf eine lateinisch-römische Antike stark gemacht wurde und weniger in der Philologie als vielmehr in der Geschichtsschreibung Giuseppe Micalis und dessen Theorie einer autochthonen Urbevölkerung des prähistorischen Italien eine Fortsetzung fand.169 Ein Beispiel für die Kontinuität der von aufklärerischem Denken und den Debatten des Settecento geprägten ethnographischen Versuche genealogischer Einordnung der Italiener im frühen 19. Jahrhundert in all ihren kontroversen Facetten stellt das wissenschaftliche Werk des piemontesischen Historikers, Politikers und Diplomaten Cesare Balbo dar. Dieser hat im Gegensatz zu Micali und im Anschluss an die etymologischen Studien und Untersuchungen des Historikers und Jesuiten Lodovico Antonio Muratori den wachsenden Einfluss der Sprache der Germanen auf die italienischen Dialekte und auf die italienische Bevölkerung betont, je weiter nördlich man sie anträfe.170 In seiner Vita di

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voreilige Mutmaßungen verdammte er. Sei es, dass diese auf den Ursprung der Italiener bzw. antiken Römer im Orient rekurrierten, wie dies beispielsweise beim Archäologen Alessio Mazzocchi der Fall war, sei es, dass sie ihn in Äthiopien verorteten, wie dies Ciro Saverio Minervino tat. Ob die Italiener Nachkommen eines nordischen Volkes sind (Simon Pelloutier, Nicolas Fréret und Stanislao Bardetti) oder dem Volk der Kantabrer entstammten (Lorenzo Hervás) war ihm einerlei. Lanzi verwarf all diese Behauptungen für seine eigenen Forschungen, da es sich um nicht zu belegende Behauptungen handle. Dagegen wertete er den großen Einfluss des Griechischen auf das Etruskische und das Lateinische auf, welches sich mit den Idiomen der Urbevölkerung vermischt habe. Jedoch beließ Lanzi Überlegungen zum Ursprung der Italiener aufgrund der Quellenlage unter dem Vorbehalt der Spekulation. Vgl. ebd. 25. und nahm in Bezug auf die historische Gründung Roms einen Zusammenschluss mehrerer italischer Völker an. Vgl. ebd. 31. Auch ‚antiklassische‘ philologische Überlegungen über den Ursprung und den Einfluss ‚barbarischer‘ Elemente auf die italienische Sprache und Bevölkerung bzw. einer italischen Autochthonie durchzogen das gesamte 18. Jahrhundert, so etwa bei den Historikern Ludovico Antonio Muratori (vgl. Monteverdi 1948: 81 ff.) und Scipione Maffei (vgl. Timpanaro 1973: 239-248). Diese Spekulationen aus dem Geiste einer ‚boria nazionale‘ sollten auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fortdauern. So spekulierte Angelo Mazzoldi über die Lage des sagenhaften Atlantis in Italien und erhob die italienische Urbevölkerung (insb. die Etrusker) im Sinne des pythagoreischen Mythos zu prähistorischen und autochthon emporgestiegenen Zivilisationsbringern über die anderen Völker des Mittelmeeres. Vgl. Mazzoldi: 1840, Santamaria 1981: FN 90. Aber auch regionale Präferenzen wurden von italienischen Gelehrten zu Anknüpfungspunkten nationalsprachlicher und nationaler Identitäten, wenn beispielsweise Ottavio Mazzoni-Toselli die Sprache der keltischen Boier im Dialekt seiner Heimatstadt Bologna am reinsten erhalten zu finden glaubte. Vgl. Mazzoni-Toselli 1831. All diese meist politisch-nationalpropagandistisch motivierten genealogischen Überlegungen waren jedoch nicht in eine allgemeine Typenlehre eingebunden, welche die kognitiven Differenzen der Völker in ein Modell des hierarchisierenden Sprach- und Rassenvergleichs nach den wissenschaftlichen Modellen und Typologien einer historisch-vergleichenden Philologie zu integrieren im Stande war. Eher wurden Italien und vor allem Rom als Zentren einer Universalgeschichte verstanden. Vgl. Micali 1810. Muratori, als einer der bedeutendsten italienischen Gelehrten des 18. Jahrhunderts, dessen Theorien internationales Interesse fanden (vgl. Marri/Lieber/Weyers 1997: 7-9), setzte sich in erster Linie wissenschaftlich mit den historischen und spannungsreichen Beziehungen zwischen Germania und Italia auseinander. Er war auch biographisch und politisch durch seine

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Dante im Kapitel „La lingua e la poesia volgari [sic]“171 machte er somit als einer der ersten im 19. Jahrhundert philologisches Wissen, wenn auch unter Vorbehalt („probabilmente“) für ethnographische Spekulationen nutzbar, welche nicht allein einer linearen Genealogie griechisch-lateinischer Provenienz folgten: È noto ad ognuno: esser nata la lingua nostra, come tutte le altre moderne europee, dalla mescolanza dall’antica latina usata nel mondo romano, colla tedesca portataci da’conquistatori Germani; abbondare l’elemento germanico tanto più in ogni lingua, quanto più furono probabilmente numerose le schiatte nuove stanziate in ogni paese, […]. Anzi, tra’ dialetti stessi italiani si osserva maggior mescolanza di parole e desinenze tedesche, quanto più essi sono settentrionali; […].172

Balbo musste sich für diese Aussage der scharfen Kritik Carlo Cattaneos stellen, der als radikalster Kritiker von ‚biologischen‘ Genealogisierungsversuchen anhand philologischer Kriterien gelten kann.173 Anhand der Vielfalt und diskursiven Instabilität dieser italienischen – und je nach politischer Interessenlage unterschiedlichen – Beiträge zu genealogischem Denken anhand philologischer Kriterien wird jedoch deren entessenzialisierender Aspekt bereits deutlich. Eine Spannung zwischen homogenisierenden und pluralisierenden ethnographischen Theorien über die rassenlogischen Ursprünge der Italiener erschwerte deren starre Verortung innerhalb eines globalen Systems der Völker und Rassen durch Geschichtswissenschaft, gekoppelt an philologisches Ursprungsdenken. Diese diskursive Spannung identitärer Zuordnung eines italienischen Bevölkerungskollektivs weist bereits darauf hin, wie schwierig es

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Verbundenheit mit dem Hause Este von den diplomatischen Interessen des deutschen Reiches unmittelbar betroffen. Vgl. ebd.: 15. Historisch stand der zivilisatorische, sprachliche, aber auch ethnische Wandel Italiens während der großen germanischen Völkerwanderungen des frühen Mittelalters für ihn außer Frage, jedoch sah Muratori diesen ‚Einfall‘ des barbarischen Nordens in Form der Franken, Langobarden und anderer Stämme nicht negativ für die Kultur Italiens. Im Gegensatz zu den Altphilologen, den Grammatici und ihrer patriotisch bedingten ausschließlichen Vorliebe für die Sprachen der klassischen Antike, insbesondere das Lateinische, begriff Muratori die Notwendigkeit, sich auch mit den Texten des Mittelalters und somit den durch ‚barbarische Einflüsse‘ korrumpierten Texten und Sprachen auseinanderzusetzen: „[...] specialmente i Grammatici, i quai pel contrario ogni misero avanzo di Ennio, di Catone, di Plauto, e degli altri più antichi Latini, come gemme apprezzavano, e fino alle stelle innalzavano. Io per verità disapprovare non so questo smoderato amor dei Grammatici verso qualunque monumento dell’antichità più rimota [sic], e so loro anche buona la grande avversione che hanno per i libri dei Secoli barbari; perciocché in essi l’oro Latino inutilmente si cerchi, e grande abbondanza vi sia di ruggine e scoria Tedesca. [...] Ciascuna regione però ha le sue buone qualità ed i suoi comodi, e non le mancano prerogative di natura e di arte. Di più, in molte di esse non sia malagevole rinvenire una bellezza e magnificenza invidiabile.“ Muratori 1751 Prefazione: III. Zur Rolle der filologia bei Muratori als neuer ‚Verbündeter‘ der linguistica, der Textphilologie als Instrument zur Rekonstruktion der gesprochenen Sprachen des Altertums vgl. Marazzini 1989: 82-87. Vgl. Balbo 1832. Ebd.: 49-50. Vgl. Cattaneo 1839a: 325-327.

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im späten 19. Jahrhundert werden wird, ausgehend von philologischen Kriterien eine kollektive genealogische Identität der Italiener als Rasse oder kognitive Gemeinschaft systematisch und nach wissenschaftlichen Kriterien hierarchisierend zu konstruieren. Es bleibt daher eine spannende Frage, ob sich auch in Italien derart deutlich anthropologisch differenzierende Argumentationszusammenhänge und epistemische Verschiebungen feststellen lassen, wie diese andernorts in Europa an den rassenlogischen Aussagen Ernest Renans, Arthur de Gobineaus oder August Schleichers erkennbar wurden.

1. Italo-Pelasger oder mediterrane Arier? – Die Suche nach einer italienischen Rasse Werfen wir zunächst vorgreifend einen Blick auf das letzte Drittel des 19. und die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Mit der Emanzipation einer italienischen Schule der Anthropologie, Ethnographie und Ethnologie ist die zunehmende Rezeption von rassenlogischen und rassistischen Denkmustern in den Wissenschaften und auch in der Philologie nicht mehr von der Hand zu weisen. Dieses wissenschaftliche Aufblühen der Rassenlogik wurde begleitet und gefördert durch den politischen Kontext italienischer Kolonialambitionen ab den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts sowie den nationalistischen präfaschistischen Kontext der 10er Jahre des 20. Jahrhunderts.174 In der Anthropologie wurde diese politische Instrumentalisierung der Wissenschaften beim physischen Anthropologen Giuseppe Sergi virulent, der eine afrikanischitalienische razza mediterranea ausdrücklich im Gegensatz zur ‚Indomanie‘ des arischen Paradigmas konstruierte und die Ergebnisse der vergleichenden Philologie dabei in Frage stellte.175 Noch in der 1909 in London veröffentlichten englischen Ausgabe seiner erstmals 1895 erschienenen Studie Origine e diffusione della razza mediterranea – Induzioni antropologiche176 unter dem 174

175 176

Das Königreich Italien musste sich in seinen frühen kolonialen Ambitionen gegen Frankreich durchsetzen, welches 1881 Tunesien gegen den Willen der italienischen Regierung annektierte, und sich mit dem osmanischen Reich arrangieren, dem Italien seine nordafrikanischen Provinzen Tripolitanien und Cyrenaika erst 1911 streitig machen konnte. Das Projekt eines italienischen Ostafrika fand ebenfalls in den 80er Jahren seinen Anfang und in Francesco Crispi einen mächtigen Befürworter. Zur Geschichte des italienischen Kolonialismus in der Frühzeit der 80er Jahre bis zur faschistischen Kolonialpolitik vgl. Rochat 1973 sowie Aruffo 2010. Zur Politisierung des arisch-mediterranen Paradigmas in der italienischen Orientphilologie des späteren Ottocento und beginnenden Novecento vgl. De Donno 2006 sowie Ders. 2010. Zum politischen Rassebegriff als Referenzbegriff für nationale Identität im Vorfeld und Kontext des türkisch-italienischen Krieges 1911 vgl. Re 2010. Vgl. De Donno 2006: 397 sowie Sergi 1909. Vgl. Sergi: 1895.

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Titel The Mediterranean Race – A Study of the Origin of European Peoples177 musste Sergi den Leser jedoch auf die ausschließliche Deutungshoheit der Anthropologie über die Philologie hinweisen: I need not refer to the scientific enthusiasm produced by the study of Indian books and of comparative philology, nor to the eminent men who employed their intellect and activity in building up a literature which honours every European country. I will only recall that, as in earlier times it was believed that every tongue was derived from Hebrew, so it was now believed that European tongues, with the exception of a few classed among other linguistic families, were all derived from one mother tongue together with those of the Asiatic group; and it appeared that Sanscrit, more than its sister tongues, inherited the maternal characters in form and sound.178

Anders als die Philologie habe die Anthropologie als Wissenschaft von den physischen Charakteristika bereits anhand einiger oberflächlicher Untersuchungen gezeigt, dass tiefe Unterschiede zwischen den Völkern der indoeuropäischen Sprachfamilie bestünden: Anthropology, meanwhile, investigating the physical characters of European peoples, though without studying them deeply or completely, made it clear that between ancient Italians, Greeks, Celts, Germans and Slavs there were profound and characteristic differences which showed clearly that they could not all belong together to the same human root; that there might be linguistic relationship without blood relationship, and that various peoples might have a common civilization without having a common origin.179

Trotz dieser Trennung von Sprache und Ethnie bei der Suche nach den physischen Ursprüngen der Italiener in der mediterranen Rasse berief sich der Anthropologe ganz textphilologisch auf schriftliche Zeugnisse der Antike, wenn er die physischen Charakteristika, den Ursprungsort der Völker des Mittelmeeres, oder gar die Bedeutung des Wortes Ethnos erörterte, wie es in der Antike gebraucht wurde. Sergi sah die mediterranen Völker als Angehörige einer ehemals dunkelhäutigen Rasse, welche aus Afrika stammte, wohingegen die Arier aus Zentralasien eingewandert seien. Wenn er die Libyer zu einer einzigen Rasse zusammenfasste, so berief er sich dabei auf antike Textquellen. Einerseits lasse sich aufgrund von Zeugnissen des Herodot die schwarze Hautfarbe der Äthiopier als einer in Libyen ansässigen Ethnie ableiten, andererseits hätten andere antike Autoren wie Scylax, Prokop und Kallimachus von der hellen Haut der Libyer gesprochen.180 Aufgrund textphilologischer Befunde kommt Sergi zu folgendem negativen Schluss in Bezug auf die These einer schwarzen libyschen Rasse: 177

178 179 180

Zur Publikationsgeschichte der Studie, wo Sergi die englische Ausgabe als „[…] less incomplete, richer in anthropological and ethnological documents, and hence more conclusive […].“ bezeichnete vgl. Sergi 1909: V. Ebd.: 1-2. Ebd. 4. Vgl. ebd.: 52.

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It must be inferred, as a negative conclusion, that the Libyan populations of the coast and many of the interior were fair in the generic sense of the word, since we do not find any special indication of this character, as we do by accident for the fair element, and more definitely for the black complexion of the more southern Getuli.181

Dieses kleine Beispiel eines Verfechters naturwissenschaftlicher Anthropologie zeigt, dass philologische Methodik und einige Paradigmen der klassischen Philologie noch in der anthropologischen Rassenlehre des späten 19. Jahrhunderts in der Konstruktion der mediterranen Rasse nachwirkten, selbst wenn die philologischen Disziplinen nicht mehr als Wissenschaften mit naturwissenschaftlich-anthropologischen Ansprüchen wahrgenommen wurden. Diese genealogische Fokussierung auf das europäische und afrikanische Mittelmeer stellte eine ‚pelasgische Rasse‘ und besonders Italien als eigentliche Urheber jeglicher europäischer Zivilisation in eine mediterrane Rassenlogik, welche als Gegenpol zu einer ‚nordischen‘ Vereinnahmung des arischen Paradigmas verstanden werden konnte. Jedoch begann dieses Zivilisationsnarrativ nicht erst seit den italienischen Kolonialambitionen der Regierung Crispi für das historische Selbstverständnis der Italiener – also zusammen mit einem ‚Anrecht auf Afrika‘ – relevant zu werden. Ein mediterranes Rasseparadigma bildete sich bereits im pythagoreischen Mythos der ersten Hälfte des Ottocento aus, wo es sich ebenfalls vor allem auf textphilologische Befunde stützte, die für die Geschichtswissenschaft fruchtbar gemacht werden sollten. Fabrizio De Donno spricht daher für die zweite Hälfte des Ottocento von zwei in geographischen und ethnologischen Argumenten vollkommen verschiedenen, doch in beiden Fällen von philologischen Argumenten gestützten Rassenlogiken zur Behauptung einer italienischen Identität als mediterraner, oder aber arischer Rasse. Diese beiden genealogischen Theorien, verstanden als diskursive ‚Hauptströmungen‘ identitärer und imperialistischer Rassenlogik bezogen ihre Legitimation aus den Wissenschaften und wurden von diesen verbreitet.182 Sie manifestierten sich einerseits in der Rezeption des mazzinianischen Zivilisationsauftrags an die Italiener in der Praxis des italienischen Kolonialismus des späten Ottocento, wie er durch Francesco Crispi und den Schriftsteller Alfredo Oriani gerechtfertigt wurde, besaßen jedoch auch eine vorbereitende Funktion für die

181 182

Ebd.: 53. „My discussion focuses precisely on how the impact of the Aryan idea in Italy gave way to the formation of two principal ideas about race related to the Italic peoples and their foundation of Rome: the Aryan idea, according to which the Italics were Aryan and had come from India; and the Mediterranean idea, according to which the Italics were not Indo-European but Eurafrican, and belonged to a Mediterranean race that had originated in the Horn of Africa. I aim to show how these ideas interacted with each other in the liberal and fascist periods while often being used to contrast the racialist ideologies of other European powers and how they mingled with Nazi Aryanism from 1936 onwards in concomitance with the beginning of Mussolini’s racist campaign in the Italian empire culminating in racial legislation.“ De Donno 2006: 395.

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rassenpolitischen Überlegungen im Sinne eines ‚mediterran‘ gefärbten arischen Paradigmas innerhalb der faschistischen Ideologie.183 Auch stellte sich nicht erst zu jener Zeit die Frage nach der Deutungshoheit der Philologie bei einer Diversifizierbarkeit und Klassifizierbarkeit des Menschen. Bereits sehr früh stand das philologische Wissen in Italien in Konkurrenz zu naturgeschichtlichen Typologien, welche sich auf die physischen Unterschiede der Menschen beriefen. Rassenlogische Theorien der vergleichenden Anatomie und Physiologie gelangten vor allem durch historiographische Werke in den Diskurs der italienischen Wissenschaften. Die philologische Forschung wurde dabei zunächst eher skeptisch betrachtet, wenn es darum ging, historische und ethnographische Sachverhalte mit Hilfe der Erforschung von Sprachen zu erlangen, solange diese Erkenntnisse nicht durch Textquellen oder andere archäologische Zeugnisse aus früheren Epochen gestützt waren. So schrieb der aus Livorno stammende Archäologe und Historiker Giuseppe Micali in seinem 1810 erschienenen Hauptwerk über die vorrömische Epoche Italiens mit dem Titel L’Italia avanti al dominio dei Romani der Philologie eine eher zweifelhafte Rolle zu, wenn es um die Erforschung der italischen Urbevölkerungen ging. Ethnographische Studien und die Erforschung der Sprachen mittels der Etymologie seien zunächst als verschiedene Bereiche zu betrachten, welche nicht automatisch zusammenhingen. Klima und Bodenbeschaffenheit sollten für den Archäologen die wahren Gründe für die Bewegungen menschlicher Kollektive in bestimmten Siedlungsräumen darstellen. Die Sprachen aber würden sich als historische Kulturprodukte ständig weiterentwickeln und besäßen daher nur eine geringe Aussagekraft, wenn es um den Charakter der prähistorischen Zivilisationen auf italienischem Boden ging: L’esame della lingua fu associato a quello delle origini, e sul debole fondamento d’incerte etimologie o di qualche conformità accidentale di costumi, si venne a stabilire la provenienza degl’Italiani da quelle lontane e barbare nazioni [gemeint sind Skyten, Kelten, Germanen und Gallier, ML].184

Die Philologie sei nur im Stande, anhand der Analyse archäologisch zu erfassender und zu untersuchender Relikte und antiker Monumente, Aussagen über den Charakter eines Volkes zu machen. Allerdings nicht durch philologische Rekonstruktionsarbeit aufgrund etymologischer Spekulationen, wie dies im 18. Jahrhundert noch der Fall gewesen sei. Und dennoch deutet sich bereits in diesem Zeugnis aus dem frühen 19. Jahrhundert die zukünftige Rolle der Philologie bei derartigen Forschungen über das italienische Altertum an, widmete doch Micali der Suche nach der Sprache der Italer und ihrer Dialekte ein ganzes Kapitel.185 183 184 185

Ebd.: 400 ff. Micali 1810, Bd. 1.: 13-14. „Dell’antica lingua d’Italia, e suoi differenti dialetti.“ Micali 1810, Bd. 2: 214 ff. Darin betonte Micali die Erkenntnismöglichkeiten durch das Studium der Schriftzeugnisse des prähistorischen Italien, jedoch auch den fragilen Charakter eines lebendigen Sprachsystems wie des

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Trotz – oder gerade wegen – dieser Skepsis gegenüber der archäologischen Beweiskraft der Philologie war es möglich, Erkenntnisse aus der Physiologie und Naturgeschichte über Menschenrassen und Völker ergänzend neben philologische Erkenntnisse zur Beschreibung der bekannten Welt zu stellen und damit im gleichen Diskursraum der Geschichtswissenschaft als komplementäre Wissensgebiete zu vereinen. Diese Erkenntnisse manifestierten sich in Hinweisen auf die Werke europäischer Gelehrter, um die eigene Darstellung auf dem neuesten Stand zu halten. Taxonomische Darstellungen der Menschenrassen hatten dabei den Vorteil, in einem deskriptiven und begleitenden Kontext zu den historischen Ereignissen verwendet werden zu können, der die Dynamik einer anthropozentrischen Universalgeschichte determinierte. So bezog sich der neoguelfische Historiker und Literaturhistoriker Cesare Cantù in seiner Storia universale186, mit deren Verfassung er 1838 begann, auf die Werke französischer Naturhistoriker und Physiologen, um seine eigenen Darstellungen der Geschicke von Sprachen und Völkern zu untermauern.187 Philologie und naturgeschichtliche Ethnographie ordneten sich in diesem gewaltigen enzyklopädischen Geschichtswerk noch den epistemischen Charakteristika taxonomischer Darstellung der Aufklärung unter und fungierten lediglich als Hilfswissenschaften einer etablierten Geschichtsschreibung, jener quellengestützten Kunde von den Ereignissen und Geschicken des Menschen. Im philologischen Bereich bestand jedoch Cantùs großes Verdienst darin, seine italienischen Leser von der Notwendigkeit einer tieferen Auseinandersetzung mit der Sprache und Literatur des alten Indien zu überzeugen, wie dies deutsche Gelehrte ja bereits vorbildlich getan hätten. Er forderte diese Modernisierung der italienischen Philologie während der 30er Jahre durch eine Reihe von mehr oder weniger fundierten Rezensionen der Werke von Gelehrten wie Frédéric Gustave Eichhoff, Charles Wilkins und Pasquale Borrelli, in denen er die fundamentale Rolle einer neuen Methodik bei der Betrachtung der Sanskritsprache nach Kriterien der Morphologie betonte.188 Domenico Santamaria weist im Falle des gläubigen, aber kritischen Cantù darauf hin, dass ein Grund

186 187

188

‚Uritalischen‘, sobald es in den Strudel geschichtlicher Ereignisse käme, die ganze Völker betreffen könnten: „Siccome però malgrado l’oscurità dell’origine la lingua d’un popolo segue la sorte della nazione, e conserva in certo modo la memoria delle sue vicende, non è opera perduta valerci di ciò che sappiamo di certo, o almeno di più probabile per illustrare la storia, e spargere un nuovo raggio di luce su le rivoluzioni degl’Itali antichi. Dopo che la lingua primitiva d’Italia fu usurpata e spenta dal popolo dominante, si perdette insensibilmente ogni memoria di lei. Noi saremmo tuttora impazienti di sapere cosa valessero quei caratteri e quella lingua, se la penetrante curiosità del secolo XVIII non si fosse applicata a investigare, leggere e decifrare i monumenti, da gran tempo dimenticati.“ Ebd.: 215. Vgl. Cantù 1838-1846. Es handelte sich dabei konkret um Adolphe Desmoulins Histoire naturelle des races humaines (1826), William Frédéric Edwards Des caractères physiologiques des races humaines considérés dans leur rapports avec l’histoire (1829), um den Eintrag ‚Homme‘ in Bory de Saint Vincents Dictionnaire classique d’histoire naturelle (1818) sowie Lessons Manuel de mammologie (1827). Vgl. Gensini 2013: 181. Vgl. ebd.: 210.

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für dessen Forderung nach einer vertieften Erforschung altindischer Mythen wie beispielsweise dem Sintflutnarrativ des Mahābhārata in einem theologischen Projekt zu suchen war: Die Universalität und Wahrheit der biblischen Überlieferung sollte wissenschaftlich auch im Sinne einer kritischen Philologie fundiert werden.189 Cantùs Universalgeschichte war allerdings ansonsten weit davon entfernt, sich allein philologischer Epistemologie zu bedienen und blieb ein Sammelsurium unterschiedlichster Disziplinen im Dienste der Geschichte. Erst in einer späteren Ausgabe der Storia von 1848 wird Cantù der mittlerweile auch in Italien sich langsam etablierenden historischvergleichenden Betrachtung von Sprache – der Filologia comparata als modernster Ausprägung philologischen Wissens – Respekt zollen, um zugleich die Vorrangstellung der europäischen Sprachen als den weltweit gelehrtesten und kultiviertesten hervorzuheben.190 Untermauert hat er diese philologische Wertung mit einer rassenlogischen Hierarchisierung, welche die Erkenntnisse der vergleichenden Anatomie und Schädellehre mit einbezog.191 Zugleich rang Cantù auch hier mit seinem christlichen Gewissen um die Wahrheit von der Gleichheit aller Menschen vor Gott, wenn er betonte, dass es sich bei den physischen Unterschieden der Menschen und den blumenbachschen „tre classi di uomini“, der „classe caucasiana centrale bianca“, der „etiopica nera“ und der „mongolica gialla“ lediglich um Variationen einer Spezies handle. Diese seien durch Klima, Lebensweise und „sporadiche mostruosità divenute ereditarie“ entstanden.192 Auf terminologischer Ebene folgte dennoch auch er der Gleichsetzung von Rasse, Klasse und Varietät zugunsten eines exkludierenden Eurozentrismus. Kollektive Merkmale der Europäer seien es, denen unterschiedliche kognitive Eigenschaften entsprächen. In diesem rassenlogischen Sinne vertrat Cantù an anderer Stelle seines Werkes ein zivilisatorisches Vorsehungsdenken, das den ‚Rassen‘ Europas – und besonders denjenigen des Mittelmeeres – eine kognitive und gottgewollte Prädisposition zu höherer Zivilisiertheit attestierte. Allein jene europäischen Rassen trügen die Keime einer Zivilisation quasi als Essenzen in sich, welche sie im Gegensatz zu den asiatischen Gesellschaften allein zu privater und politischer Freiheit, Kunst, Philosophie und Rechtsbewusstsein befähigt hätten: L’Europa, e specialmente le rive del Mediterraneo, sono la terra che la Provvidenza destinò con predilezione a sviluppare i germi della civiltà. Il suolo vi è propizio all’agricoltura e la razza è la meglio disposta allo sviluppo intellettuale. In Asia si costituirono le società; ma qui soltanto si elevarono alla libertà domestica e politica e nella cognizione dei diritti: dall’Asia vennero le invenzioni; ma qui ricevettero il maggior incremento; qui l’arti attinsero un’altezza insuperabile; qui alla forza di creazione si unì la critica, e all’immaginazione la filosofia: se 189 190

191 192

Vgl. Santamaria 1981: 209. Vgl. Cantù 1848: Filologia comparata, 164 ff. „Benché le lingue d’Europa siano le più dotte e coltivate […].“ Ebd.: 184. Vgl. ebd.: 123 ff., 142 ff. Ebd.: 92.

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collà v’ebbe grandi conquistatori, qui soltanto sorsero i capitani che crearono l’arte militare.193

Politisch und erkenntnistheoretisch fand Cantù mit diesen Ansichten keineswegs nur Befürworter. So reagierte der säkulare Historiker Aurelio Bianchi-Giovini mit einer Fundamentalkritik an Cantùs Storia unter dem schlichten Titel Sulla storia universale di Cesare Cantù, die er 1847 in Mailand veröffentlichte. In ihr stellte er aufgrund der inneren Widersprüchlichkeiten von Cantùs rassentheoretischen Überlegungen zur keltischen, iberischen, germanischen Rasse und zur vermeintlichen Überlegenheit einer in ihrer ursprünglichen Reinheit erhaltenen italischen Rasse die Wissenschaftlichkeit von Cantùs monumentalem Geschichtswerk überhaupt in Frage.194 Er relativierte darin auch den pythagoreischen Mythos, wie er dies zuvor in seinen Streitschriften gegen den Italozentrismus des exzentrischen Historikers Angelo Mazzoldi getan hatte. Ein Ursprungsnarrativ, welches in Form von Cantùs italischer Rasse weiterhin den Diskurs zu prägen schien.195 Seine Kritik entwickelte Bianchi-Giovini in Form einer philologischen Dekonstruktion von Cantùs Quellen. Er beschuldigte seinen lombardischen Historiker-Kollegen der schamlosen Geschichtsklitterung durch das selektive Zitieren zahlreicher anderer Historiker und Wissenschaftler aller Bereiche zur Konstruktion eines eigenen historischen Zivilisationsnarrativs. Ein Verfahren, das man kaum noch als Geschichtsschreibung und schon gar nicht als philologisch bezeichnen könne, da es reines Blendwerk universeller Bildung schaffe. Unmittelbar nach dem Erscheinen des letzten Bandes von Cantùs Storia lenkte mit Bianchi-Giovini ein für die Entwicklung der Philologie in Italien wichtiger Akteur den Diskurs in Richtung eines universalistischen Zivilisationsdenkens, welches keine mythischen und exklusiven Ursprungsnarrative – historisch oder philologisch erschlossen – legitimierte: Ma chi erano quelli antichi Italici, e donde vennero e da cui ricevettero i primi semi di una ubertosa vita civile, le tracce della quale, abbarbicate già con profonde radici, si ravvisano sin dal primo loro comparire sulla scena storica? Questo problema, ad illustrare il quale tanto finora si affaticarono i dotti, cerca invano una soluzione, qualunque ella sia, nella storia di Cantù; ed un lettore giudizio193 194

195

Ebd.: 117. Diese Widersprüche stellte Cantù in Frageform dar, um als unbedarfter Leser die These der panromanischen Verbreitung einer übermächtigen italischen Rasse zu verstehen, welche laut Cantù aus dem Nichts aufgetaucht sei und, obwohl zahlenmäßig klein, Kelten, Iberer und alle anderen Völker, ganz West- und Südeuropa ethnisch durchdrungen habe: „Perché la razza ibera e celtica non si svilupparono prima della razza italiana? Perché i processi dell’incivilimento furono così lenti e faticosi in quelle, e così rapidi in questa? Perché quest’ultima, quantunque men numerosa, ha inghiottito e si è assimilate le due prime? Perché la razza italica è restata indistruttibile, e non che lasciarsi distruggere, che pel contrario soggiogate e distrutte presso che interamente quelle due antichissime razze si è sostituita a loro su quasi tutta l’Europa occidentale e meridionale?“ Bianchi-Giovini 1847: 3. Vgl. Bianchi-Giovini 1841 u. 1842.

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so che si prenda in quel libro, al prima aprirlo e nel vederlo addobbato con tanto sfoggio di erudizione e di citazioni, s’immagina che l’autore v’abbia speso uno studio infinito: […] Infatti le dette citazioni sono pel maggior numero usurpate alle opere del Micali, o cavate da Ottfrido Müller, da Petit-Radel, o da RaoulRochette, di cui il Cantù si appropria le ricerche: e spigolando un po’ dall’uno, un po’ dall’altro e facendo un fascio delle divergenti loro opinioni ne compose quello ch’ei chiama il suo racconto. [...] Con quest’arte di far libri coi libri, che il Cantù ha portata all’ultimo perfezionamento, si può comparir dotti con poca spesa, ma non per questo si può fare una storia degna di tal nome.196

Diese relativierende Kritik ‚linearer‘ Genealogien und die Forderung nach einer historisch-dynamischen, aber zugleich kritischen Perspektive auf die Ursprünge des zivilisierten Italien sollte in verschiedener Form bei zahlreichen Gelehrten auftauchen. Die dunkle Prozessualität der Geschichte gestattete innerhalb dieses universalhistorischen Paradigmas keine fertigen sozialen Entitäten wie zivilisierte Völker ohne barbarische Ursprünge, und daher auch keine essenziellen Festschreibungen der eigenen ‚Natur‘ als Identität. Die Suche nach den mythischen Wurzeln des eigenen Volkes war somit vergebliches Bemühen der Gelehrten und konnte nur ex posteriori aus Büchern und Geschichten künstlich und unwissenschaftlich – das heißt mittels einer in Geschichte transformierten Fiktionalität der Literatur – erzeugt werden. Doch nicht nur die Kritik Bianchi-Giovinis, sondern auch Cantùs Aussagen selbst relativierten die von ihm getroffenen rassenlogischen und rassistischen Ausdeutungen durch eine Universalisierung des Menschenbildes, wie es eher dem christlichen Humanismus entsprach. Trotz einer Anerkennung der Superiorität der indoeuropäischen Sprachen, wie sie seit William Jones und Friedrich Schlegel die vergleichende Betrachtung der Sprachen anhand ihrer Struktur nahelegte, schlug sich Cantù in seinem philologischen Verständnis letzten Endes auf die Seite eines theologisch-universellen Menschheitsbegriffs. Einen ebensolchen habe der späte und für Cantù ‚wahre‘ Friedrich Schlegel in den Philosophischen Vorlesungen insbesondere über die Philosophie der Sprache und des Wortes von 1829 entwickelt. Cantù zitierte folgende Schlegel-Stelle, in welcher der deutsche Romantiker den platonischen Sprachbegriff einer dem Menschen von Gott übermittelten, präbabelischen Ursprache vertrat. Durch sie mussten alle Menschen im Stande gewesen sein, die Ideen der Dinge bereits im Wortlaut zu erfassen: Von der Sprache, wie sie dem Ersten Menschen, ehe er die ihm von Anfang an verliehene hohe Macht, Vollkommenheit und Würde verloren hatte, eigen sein konnte, und beygelegt werden mag, dürften wir mit unsern jetzigen Sinnen und Organen, wohl durchaus nicht im Stande seyn, uns irgend einen, oder auch nur den allerentferntesten anschaulichen Begriff zu machen; […]. Wenn wir aber von dieser unerreichbaren Höhe wieder heruntersteigen wollen, zu uns selbst, und zu dem Ersten Menschen wie er wirklich gewesen ist, so ist die kindlich einfache Erzählung in jenem Buche unsrer ersten Urkunde des Menschenge196

Ebd.: 4.

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schlechts, wie Gott den Menschen die Sprache gelehrt hat, wenn wir bloß bey diesem kindlich einfachen Sinne stehen bleiben wollen, mit dem natürlichen Menschengefühl nicht streitend. [...] Der Name eines Dinges, oder lebendigen Wesens, nämlich wie es in Gott benannt, und von Ewigkeit bezeichnet ist, enthält zugleich den Inbegriff seines innersten Wesens, den Schlüssel seines Daseyns, die Macht und Entscheidung über seyn Seyn oder Nichtseyn.197

Anhand dieses letzten „canto di questo moribondo cigno“198, wie Cantù die Vorlesungen des alten Friedrich Schlegel etwas pathetisch bezeichnete, rechtfertigte sich der Verfasser der Storia universale im wissenschaftlichen Diskurs mit Hilfe der philologischen Altersweisheit einer herausragenden Figur der europäischen Philologie zum Thema des Sprachursprungs. In seiner christlich bestimmten Überzeugung von der stets vorauszusetzenden Einheit des Menschengeschlechts im Gedanken an eine verlorene, gottgegebene Ursprache der ersten Menschen sah er sich vom deutschen Gelehrten bestätigt.199 Cantù argumentierte so gegen die von Schlegel selbst initiierte Aufteilung der Menschheit durch philologisch gefördertes Differenzdenken, obwohl er bis zu einem gewissen Grad seinen Essenzialismen folgte.200 Die Bedeutung von Cantùs umstrittenem enzyklopädischem Projekt der Storia universale für rassistische Diskurse im Bereich der Philologie muss jedoch insgesamt relativiert werden: Cantùs Universalgeschichte konzipierte auch in ihren späteren Auflagen die Philologie als Wissenschaft vom „wahrhaften Sinn der Schriftsteller und der Worte“ („vero senso degli scrittori e delle parole“)201, also als Wissenschaft mit in erster Linie texthermeneutischem und etymologischem Anspruch. Dieser Dachfunktion sei nach Cantù auch die filologia comparata unterworfen, welche in ihrer Funktion lediglich die Rolle einer historischen Hilfswissenschaft unter vielen übernehmen könne und ihre Erkenntnisse in einen übergeordneten Diskurs der historischen Wissenschaft stellen müsse, welche die Rolle der eigentlichen Leitwissenschaft und damit auch die höchste erkenntnistheoretische Beweiskraft innehabe: La Numismatica si occupa appunto intorno alle monete e medaglie; la Diplomatica intorno alle carte; la Genealogia intorno alla successione delle famiglie; l’Araldica agli stemmi e alle divise; l’Antiquaria ai monumenti; la Filologia al vero senso degli scrittori e delle parole: tutte scienze ausiliari alla Storia.202 197 198 199

200

201 202

Schlegel, F. 1830: 70-71. Cantù 1848: 175. Dass auch der katholische Schlegel in seinen Wiener Vorlesungen über Die Philosophie der Geschichte von 1828 ausgehend von der Ursünde noch jenen kognitiven, jetzt eher spirituellen Essenzialismus des kosmopolitischen Romantikers durch die Behauptung der Prädisposition einiger Kultur-Völker zur göttlichen Heilslehre fortschrieb und noch dazu explizit mit naturgeschichtlich-anthropologischen Argumenten spickte, ist ein weniger universellchristlicher Aspekt im Denken des späten Schlegel. Vgl. Messling 2013a: 41-43. Vgl. dazu das Kapitel „Unità della specie umana, provata dalle lingue e dalle attitudini“, ebd.: 131 ff. Ebd. 67. Ebd.

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Die Neuerungen, welche in der Zwischenzeit, den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts, das philologische Wissen auch durch italienische Philologen wie Bernardino Biondelli und Carlo Cattaneo in ihrer Forderung nach einer vergleichend arbeitenden linguistica erfuhr, fanden bei Cantù allerdings auch im Jahre 1848 noch keinerlei Beachtung. Dennoch empfing die Philologie durch Debatten von Gelehrten wie Cantù und deren Kritiker wie BianchiGiovini wichtige Impulse für ihre Epistemologisierung in Italien. Dieser Prozess ließ sie allmählich zum glaubwürdigen und aussagekräftigen Instrument auf der Suche nach den Ursprüngen des Menschen werden. Doch muss gefragt werden, inwieweit dieser historisierende Blick auf die Philologie im Stande war, das Wissen von den Sprachen und Texten vor essenzialisierenden und hierarchisierenden Argumenten zu bewahren, wie sie die Frage nach den ethnischen Ursprüngen der Italiener vielfach provozierten.

2. Der pythagoreische Mythos als Kritik am philologischen Wissen Am Beispiel Cesare Cantùs wurde bereits deutlich, dass innerhalb der epistemischen Grundlagen der Geschichtswissenschaft die Frage nach den Ursprüngen zwar reflektiert wurde, man der Philologie als Einzeldisziplin dabei jedoch kein allzu großes Vertrauen entgegenbrachte, solange nicht vergleichende Anatomie, Genealogie und Archäologie in dieser anthropologischen Fragestellung den Diskurs mitbestimmten. Doch wie stand es um die Ausarbeitung rassenlogischer Theoreme und Ideologeme, die direkt dem philologischen Wissen entsprungen zu sein schienen, dem pythagoreischen Mythos und dem arischen Paradigma, auf die bereits hingewiesen wurde? Wie hat man diese Narrative im Diskurs um den Stellenwert des philologischen Wissens verhandelt und waren ihre exkludierenden Identitätskonstrukte im Kern nicht ein Beitrag anthropologischer Philologie zu Rassedenken und Rassismus? Was die bereits angesprochene ‚italozentrische‘ Strömung als Referenzpunkt ‚rassischer‘ Identität der Italiener betrifft, so entfaltete sich bereits früh die Idee einer zivilisatorischen und auch ethnischen Überlegenheit der Einwohner Italiens aus dem sogenannten pythagoreischen Mythos Giambattista Vicos, welcher während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von den patriotischen Gelehrten und historischen Schriftstellern Angelo Mazzoldi, Vincenzo Gioberti und Vincenzo Cuoco aufgegriffen wurde.203 Es handelte sich dabei 203

Vgl. Mazzoldi 1840. Dieser Mythos als Diskurs der italienischen Philologie und Geschichtsschreibung orientierte sich zwar an antiken Quellen, berief sich jedoch in erster Linie auf Aussagen des Philosophen und Historikers Giambattista Vico in seinem unvollendeten Werk

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um eine textphilologisch konstruierte und rassenlogisch gefärbte Ursprungserzählung, welche die modernen ‚Italiener‘ als Nachfahren eines autochthonen – also nicht aus Asien oder Nordeuropa eingewanderten – italischen Urvolkes zu konstruieren suchte. Dabei wurde über dessen Identität mit den historisch nachgewiesenen Etruskern spekuliert und über eine genealogische Verbindung zur griechischen Zivilisation gestritten.204 Dieses Volk charakterisiere nach den

204

De antiquissima Italorum sapientia aus dem Jahr 1710. In dessen Proömium erwähnte der Neapolitaner neben den griechischen Ioniern, bei denen eine im kalabrischen Kroton beheimatete „italische Sekte der Philosophen“ („italica philosophorum secta“) geblüht habe, die hervorragende Zivilisation der Etrusker, deren Leistungen in Metaphysik und Philosophie den Aufstieg der bäuerlichen und kriegerischen Römer erst möglich gemacht hätten: „Nationes autem doctas, a quibus eas accipere possent, duas invenio, Iones et Hetruscos. De Ionum doctrina non est ut multis doceam: cum in iis Italica philosophorum secta, et quidem doctissima praestantissimaque, floruerit. Hetruscos autem eruditissimam gentem fuisse, magnificorum doctrina sacrorum, qua preastabat, confirmat.“ Vico 1852 [1710]: 60. Auch im zweiten Buch von De constantia iurisprudentis (1721) berichtete Vico über die Ankunft und das Erstaunen des emigrierten Pythagoras über die auf italischem Boden vorherrschenden hochentwickelten zivilisatorischen Zustände. Der Grieche habe eben nicht eine Schule der Philosophen gegründet, sondern zu jener seit jeher bestehenden Runde der italischen Weisen durch seine eigene Weisheit beigetragen. Ein vermeintlicher Hang zur Zivilisation konnte aus diesem Narrativ zu einer anthropologischen Besonderheit Italiens und der Italiener umgedeutet werden, da Vico die Natur selbst zur Grundlage dieser zivilisatorischen Vorrangstellung erklärte: „Cumque Pythagoras Italiam doctissimam invenisset, heic permanere maluit. Quare non sectam is Italicam fundasse, sed fundatam excoluisse dicendum est: quod ipsa rerum natura id flagitat.“ Vico 1861 [1721]: 162. Zur Rezeptionsgeschichte von De antiquissima im 19. Jahrhundert vgl. Mazzola 2002: 182-207 sowie De Donno 2010: 12. In seinem auf fingierten altgriechischen Quellen beruhenden, historischen Roman Platone in Italia konnte der Schriftsteller Vincenzo Cuoco unter Berufung auf Vico die diachrone Reihenfolge zivilisatorischer Primogenitur des Mittelmeeres umkehren und verlegte die Wurzeln der antiken Kultur von Griechenland nach Italien. Dort sei sie vor allem bei den Pythagoreern verbreitet gewesen: „Gl‘Italiani, e specialmente i Pitagorici, han composti moltissimi poemi omerici ed orfici. È probabile ch’essi siano stati i primi a far conoscere, o almeno a render comune in Grecia la cognizione di un Orfeo, il quale era un eroe simbolico. Le favole omeriche sono state cantate in Italia molto tempo prima che in Grecia.“ Cuoco 1842 [1806]: 393. Zu Cuoco vgl. Casini 1998: 238 ff. Ebenfalls aufbauend auf diesem Narrativ italischer Zivilisationsbringer verstand Vincenzo Gioberti diese als theologische Meisterdenker, die das Wissen uralter orientalischer und pelasgischer Völker zwar übernommen, jedoch von zahlreichen „Fehlern“ im christlichen Sinne „gereinigt hätten“. Der neoguelfisch gesinnte und patriotische Historiker und Philosoph schrieb in seiner philsophisch-historischen Geschichte der Italiener ‚Del primato morale e civile degli italiani‘ den heroischen Individuen Pythagoras, Platon und Plotin – als vicoschen symbolischen Repräsentanten der Zeitalter italisch-griechischer Philosophie – die Aufgabe einer Zivilisierung des Mittelmeeres zu: „Quindi è che Pitagora, Platone, e Plotino, che rappresentano le tre età dell’adulta filosofia italogreca, furono teologi eminenti secondo i loro tempi, e per quanto le tenebre del gentilesimo lo consentivano. La loro teologia è la tradizione pelasgica e orientale, purgata da molti errori volgari, ed espressa col linguaggio esoterico dei miti e dei simboli, non già quale suonava sulle bocche del popolo, ma quale si custodiva nei collegi dei Telesti e sacerdoti.“ Gioberti 1849, Band 2: 19. Zur detaillierten Chronographie und den verflochtenen politischen und wissenschaftlichen Kontexten des pythagoreischen Mythos vgl. Casini 1998. Auf die politische Aktualisierung und rassenlogischen Kontextualisierungen der Begriffe des Italischen oder des Italers innerhalb der klassischen Philologie sowie der aufkommenden historisch-vergleichenden Philologie weist De Donno hin: „The term Italic traditionally refers to

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Vorstellungen einiger mediterraner Ethnozentriker seit seinen Anfängen eine zivilisatorische, moralische und religiöse Überlegenheit. Der wohl konsequenteste Vertreter dieses Mythos im 19. Jahrhundert war mit seinem monumentalen, 1840 in Mailand veröffentlichten Werk Delle origini italiche e della diffusione dell’incivilimento italiano all’Egitto, alla Fenicia, alla Grecia e a tutte le nazioni asiatiche poste sul Mediterraneo205 der aus Brescia stammende Historiker, patriotische Publizist und Theaterautor Angelo Mazzoldi.206 Dieser bediente sich bei seinem Versuch eines wissenschaftlichen Nachweises dieser italischen Ursprünge der Historiographie, der vergleichenden Mythenforschung sowie des Zitierens historischer Textquellen, um in Anlehnung an Giambattista Vico seine eigene Scienza Nuova207 über die Anfänge des zivilisierten Europa in Italien zu begründen. Dies sei notwendig, weil Vico und andere Gelehrte – unter ihnen bekanntere Philologen wie Grimm, Bopp, Wilhelm von Humboldt und Champollion, aber auch italienische Historiker und Archäologen wie Ludovico Antonio Muratori und Luigi Lanzi – zwar die Notwendigkeit einer solchen Wissenschaft erkannt hätten, jedoch von „einem falschen historischen System“ („un falso sistema istorico“) in die Irre geführt worden seien.208 Vico sei zwar einer der bewundernswürdigsten Gestalten der italienischen Geistesgschichte, mit dem sich Mazzoldi nicht vergleichen wolle, doch dieser Bescheidenheitstopos hinderte Mazzoldi nicht daran, sich an eine epistemische Kritik der Wissenschaftlichkeit von Vicos System zu wagen:

205 206 207

208

the peoples inhabiting pre- Roman Italy, such as the Etruscans and the Latins. While Italic does not necessarily mean Italian, in classical philology the Italian language and people were considered to be descendent of the Italic populations. With the advent of comparative IndoEuropean philology, Italic came to refer to a branch of the Indo-European family of languages including Latin, Oscan, Umbrian, and the Romance languages. As a result, according to the Indo-European concept, even the people who spoke these languages were of an Aryan race. However, in accordance with this theory, some Italic populations such as the Etruscans were not Aryan but autochthonous of the Italian peninsula.“ De Donno 2006: 396. Vgl. auch Renfrew 1987: 67 u. Trautmann 1997: 6. Vgl. Mazzoldi 1840. Zur Biographie Angelo Mazzoldis vgl. Carannante 2008. Vico, Giambattista 1725: Principj di una scienza nuova d'intorno alla commune natura delle nazioni, Neapel (sog. Scienza nuova prima), Ders. 1730: Cinque libri de' principj di una scienza nuova d'intorno alla commune natura delle nazioni (Zweite Fassung), Ders. 1744: Principj di scienza nuova d'intorno alla commune natura delle nazioni, Neapel (Dritte Fassung). Mazzoldi 1840: 360. Mazzoldi wischte durch seine Akkumulation großer Namen die philologischen Errungenschaften des letzten Jahrhunderts beiseite und zeigte bereits in dieser etwas großspurigen Geste seinen Anspruch auf eine Fundamentalkritik des modernen philologischen Wissens seiner Zeit: „Noi non ignoriamo la grandezza delle fatiche che in tale studio fu spesa dal Padre Paolino, da Gori, Lanzi, Mazzochi, Passeri, Muratori, Vico, Bochart, Colebrooche [sic], Wilkins, Wilson, Humbold, Grim, Bopp, Burmont, Chezy, Mérian, Champollion, Rossellini. Niun di questi grandi però giunse alla meta, perché tutti questa s’incamminarono per la via di sistemi trovati falsi dalle tradizioni storiche […].“ Mazzoldi 1840: 362.

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Sentì il Vico potentemente nel secolo XVII il bisogno di una SCIENZA NUOVA dintorno alla comune natura delle nazioni; so non che non pareggiandosi in quest’uomo sovrano la grandezza degli studj, che si richiedevano a mandarla ad esecuzione, alla grandezza della mente dalla quale era nato il concetto, andò anch’egli traviato, siccome noi vedemmo, da un falso sistema istorico, e l’opera della SCIENZA NUOVA da lui tanto sapientemente immaginata, rimase ancora a farsi.209

Dieses falsche historische System führte Mazzoldis Meinung nach letzten Endes zur Verwechslung der ‚Pelasger mit den Griechen‘210, wohingegen die Pelasger in Italien zu suchen seien.211 Ein Grund dafür war, dass der Historiker Vico und der Etruskologe Lanzi der Erforschung noch unbekannter Sprachen und Schriftsysteme – also philologischem Wissen – zu große Bedeutung beigemessen, und bereits bekannte, geschichtlich durch Schriftquellen gesicherte Fakten – ja die Bedeutung der Geschichtswissenschaft an sich – vernachlässigt hätten. Allein diese könne jedoch wissenschaftliche Aussagen über das Alter und die Abfolge der Sprach- und Zeichensysteme erlauben: Il Lanzi vorrebbe darci una istoria perpetua e costante delle lettere come già il Vico delle nazioni; ma niuno ci condurrà giammai a stabilire la preminenza dell’una lingua o scrittura sull’altra, senza la guida degli studj istorici, alla cui mancanza si debbono ascrivere i delirj di tanti illustri linguisti che scrissero fino a’ di nostri.212

Diese Einschätzung der vicoschen Wissenschaft verwundert, wo doch gerade Vico selbst die Historizität der Nationen als Grundlage jeglicher Arbeit des Philologen festgesetzt hatte.213 An dieser Kritik wird daher deutlich, dass es Mazzoldi um eine allgemeine Kritik der Validität philologischen Wissens ging. Er lehnte nämlich die Erkenntnisse aus der vergleichenden Betrachtung der Sprachen im Hinblick auf das Alter der indischen Sanskritsprache und ihre Verwandtschaftsbeziehung zu den europäischen Sprachen – wie er sie in Frédéric Gustave Eichhoff Parallèles des langues de l'Europe et de l'Inde dargestellt fand – genauso ab wie die Erkenntnisse der klassischen Philologie.214 209 210 211 212 213

214

Ebd.: 360. Vgl. ebd.: 35. Vgl. ebd.: 203. Ebd. 229. „Questa Degnità per la seconda parte diffinisce [sic] i Filologi essere tutti i Gramatici, Istorici, Critici che son occupati d’interno alla cognizione delle Lingue e de’ Fatti dei popoli, così in casa, come sono i costumi e le leggi, come fuori, quali sono le guerre, le paci, l’alleanze, i viaggi, i commerzj.“ Vico 1862 [1744]: 71. Vgl. Eichhoff 1836. An der von Mazzoldi zitierten Eichhoff-Stelle (vgl. Mazzoldi 1840: 362) lässt sich zudem erkennen, dass der Italiener auf eine fundamentale epistemische Dekonstruktion eines anthropologisch etablierten indoeuropäischen Nexus zielte, um die Völker Europas neu zu positionieren. Mazzoldi griff nämlich in seiner Argumentation vor allem folgende Stelle aus den Parallèles an: „Tous les Européens sont venus de l’Orient; cette vérité confirmée par les témoignages réunis de la physiologie et de la linguistique n’a plus besoin de démonstration particulière. Il suffit d’ailleurs de jeter les yeux sur la carte pour en sentir l’évidence et la nécessité.“ Eichhoff 1836: 12-13.

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Alle bisherigen Theorien hätten sich anhand historischer Überlieferungen, den Texten und Monumenten der Antike, aber auch mittels Beschreibung physischer Charakteristika der Völker nicht verifizieren lassen. Laut Mazzoldi habe beispielsweise Eichhoff die Bedeutung der Hautfarbe, aber auch die sozialhistorisch etablierte Stellung der Sanskrit-Sprache innerhalb der indischen Gesellschaft übergangen. Die hellere Haut der Brahmanen sowie die Exklusivität des Sanskrit für diese gelehrte Herrscherkaste seien aber Zeugnisse dafür, dass diese soziale Gruppe von einem Volk stammen müsse, dessen Verbreitung und Herkunft zwar schwer zu rekonstruieren seien, von welchen aber nicht jegliche Erinnerung erloschen sein könne, wo doch von ihm aus jegliche Zivilisation erst ihren Ausgang genommen habe: È veramente un andar a ritroso di ogni buono principio logico il sostenere che l’incivilimento venne dall’Oriente; che della nazione indiana non appartiene alla razza bianca se non la sola casta imperante e docente, cioè quella de ’Bramini, che certo non era nata ma trapiantata ne ’luoghi, come il dimostra il colore della sua pelle; che la lingua sanscrita non fu mai, come lo confessa lo stesso Eichhoff, la lingua popolare dell’India; che non era per ciò nata nei luoghi, e che per conseguenza le origini di questa lingua debbono cercarsi presso un antico popolo civile, di cui non può essere spenta ogni memoria nel mondo, se da lui l’incivilimento del mondo si dipartì.215

Allein für sich genommen habe der Nachweis von sprachlichen Verwandtschaftsbeziehungen keinerlei Aussagekraft, wenn nicht die historische Logik der gesellschaftlichen Entwicklung tieferen Aufschluss über die Herkunft und die Beschaffenheit dieser Verwandtschaft geben könne. Implizit trennte Mazzoldi hier physische von sprachlicher Beschaffenheit, jedoch verfocht er weiterhin die zivilisatorische Vorrangstellung bestimmter Rassen und Sprachen. Sein epistemisches Ziel war dabei eher eine ‚Entphilologisierung‘ der Geschichtswissenschaft, da er seinen Fokus auf nicht-philologische Positivitäten wie historisch dokumentierte Ereignisse, aber auch naturhistorische Differenzierungen, zu denen Mazzoldi physiologische Unterschiede zählte, legte. Diese sollten die Grundpfeiler von Mazzoldis ‚Scienza Nuova‘ werden und dem Forscher Aufschluss über die Ursprünge der Völker, aber mehr noch über die wahren Begründer und Erben der Menschheit in zivilisiertem Zustand geben. Die linguistica für sich allein genommen sei Zeitverschwendung, da sie der Diachronie nicht gerecht werden könne und hierhin der Geschichtswissenschaft erkenntnistheoretisch unterlegen sei: [La linguistica, ML] era da sé solo insufficiente a rivelarci il comune principio delle nazioni, perché discoverte le correlazioni dell’una all’altra lingua, siccome da madre e figliuola, rimaneva poi sempre a cercarsi qual fosse la prima e qual la seconda. Non è perciò meraviglia se un tanto immenso studio di lingue, un tanto affaticare di sì alti ingegni tornò in niuno o poco frutto […].216 215 216

Ebd.: 363. Ebd.: 360.

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Wie sehr sich bei Mazzoldi Epistemologie und Ideologie mischen fällt jedoch erst in Anbetracht weiterer Kritikpunkte an Eichhoff auf. Dieser habe zunächst einmal in seinen schriftgenealogischen Überlegungen, möglicherweise mit Absicht, wichtige Hinweise auf die Überlegenheit der Italer unterschlagen, wenn er das etruskische Alphabet unter der Behauptung vergrub, dass die italischen Völker ihre Schriftsysteme von den Griechen oder gar von den Phöniziern empfangen hätten.217 Der emotionale Charakter von Mazzoldis patriotisch-ethnozentrischem Anspruch auf die Umdeutung der Geschichte im Sinne italischer Überlegenheit wird jedoch besonders im darauf folgenden Absatz deutlich. Mazzoldi dankt Eichhoff für den Hinweis auf die Bedeutung der Literatur in italienischer Sprache sowie der Dialekte und erklärt letztere daraufhin zu philologischen Relikten jener italischen Ursprache, die auf der Halbinsel gesprochen worden sei, bevor sich die italischen Pelasger auf das gesamte Mittelmeer verteilt hätten. Zugleich müsse – gemäß dieser Annahme – die Sprache der einfachen Italiener wesentlich älter als das gelehrte Italienisch der Gebildeten sein: Sicché ringraziando l’Eichhoff della buona opinione ch’ei dimostrò d’avere sul conto degli Italiani tenendo che la nostra letteratura conservi ancora, in mezzo alle rovine sotto le quali dorme un popolo d’eroi, tanto di forza da poter un giorno celebrare la nostra rigenerazione, faremo fine confortando chi vi fosse chiamato a tentare novellamente questi paralleli delle lingue, […]. Egli è al tutto mestiere il porsi per novella via; nella quale chi si metta, sarà al debole intendimento nostro, grandemente ajutato chi trovando giuste le nostre dottrine sull’antichissima sapienza degli Italiani, avrà dinanzi al lume della mente il principio che debbano raffrontarsi le lingue dotte degli antichi col moderno volgare e coi dialetti d’Italia, piuttosto che il volgare delle altre nazioni, colle lingue nobili colle quali a dati tempi scrissero gli Italiani.218

Die italienischen Dialekte, ja das volgare überhaupt sei daher mit den klassischen Sprachen Griechisch und Latein auch viel eher zu vergleichen, als die modernen Volkssprachen der anderen europäischen Völker mit den ‚ehrwürdigen‘ Idiomen der ruhmreichen mediterranen Völker Italiens. Französisch, Spanisch und anderes ‚Neuromanisch‘ sei doch nur zweitrangige Nachkommenschaft der antiken Sprachen. Ihre Sprecher müssten daher letztlich noch weiter entfernt von den ursprünglichen europäischen Zivilisationen verortet werden, als dies bei der einfachen italienischen Bevölkerung und ihren Dialekten der Fall sei. Da die Italiener sich in ihrem Wesen nicht verändert hätten, 217

218

„L’Eichhoff che aveva fatto proposito di darci il parallelo di tutte le scritture antiche, ommette, io non so come, nella parte seconda che si intitola dell’‘alfabeto’, le lettere etrusche, che per comune consentimento di tutti i dotti sono le più vetuste che si conoscano nel mondo; se per caso egli le ometta o per trarsi dagli occhi questo fuscello dell’antichissimo incivilimento degli Italiani, non saprebbe dirsi. Aggiunge anche che i popoli d’Italia hanno ricevuto le lettere dell’alfabeto dalle colonie greche (e da quali colonie?) e forse dai Fenicj; e conclude senz’altro che le popolazioni europee poste sul mar Tirreno venissero dall’Affrica [sic].“ Ebd.: 363. Ebd.: 363-364.

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sei dieses unter Ruinen begrabene Volk kultureller und zivilisatorischer Heroen der Erbe jener Weisheit der Italer, welche Vico bereits nachzuweise versucht habe.219 Trotz dieser optimistischen Ermutigung der Philologie als Dialektforschung blieb Mazzoldi seiner ‚Strategie‘ treu, die Zivilisationsgeschichte der Völker für lediglich in den antiken Textquellen oder Monumenten wiederentdeckbar, jedoch nicht durch philologische Methoden aus der Prähistorie heraus ‚indirekt‘ rekonstruierbar zu erklären. Dieses epistemische Konzept soll im Folgenden anhand einiger methodischer Prämissen des Werkes näher dargestellt werden. So zitierte Mazzoldi zur Bekräftigung seiner Kritik an den bisherigen Errungenschaften einer auf Erforschung und Rekonstruktion toter und beinahe vergessener Sprachen konzentrierten Philologie einen Satz des österreichischen Missionars Paolino da San Bartolomeo aus dessen 1798 veröffentlichter Dissertatio de antiquitate et affinitate linguarum Zendicae, Samscritanicae et Germanicae. In dieser Schrift wies dieser polyglotte Weltreisende zwar auf die große ethnographische und historiographische Bedeutung philologischer Erkenntnisse über die Zusammenhänge der Sprachen aller Völker hin, mahnte jedoch zu Vorsicht und Sorgfalt, welche bei der Beurteilung dieses Wissens walten müssten, da ansonsten philologische Spekulationen auf grammatikalischer Grundlage allzu leicht zu historischen Fakten erklärt würden: Die Sprachen der Völker übersteigen alle Monumente an Alter, und die Kenntnis von ihnen und der zwischen ihnen bestehenden Ähnlichkeit ist von größtem Nutzen um die Ursprünge der Völker zu enthüllen. ABER DER GEBRAUCH DIESER KENNTNIS MUSS NÜCHTERN UND GEMÄßIGT ERFOLGEN, UND DER VERMAG EBEN NUR DANN ETWAS, WENN ÜBERLEGUNG, BEWEISKRAFT DER ARGUMENTE UND DIE MONUMENTE IHM BEIPFLICHTEN.220

219

220

Und so ist der letzte Satz des Werkes zugleich eine Zusammenfassung von Mazzoldis Programm: „E forse chi si porrà per la via da noi indicata potrà molto più brevemente che colla sola considerazione del latino, conseguire quello che molto aggiustatamente e sapientemente s’era proposta il Vico di dimostrare, cioè, colle origini della lingua, L’ANTICHISSIMA SAPIENZA DEGLI ITALIANI.“ Ebd.: 364. „Linguae gentium super omnium monumentorum aetatem assurgunt, et earum cognitio atque affinitas plurimum prodest ad gentium origines detegendas. SED HUIUS COGNITIONIS USUS, SOBRIUS ET MODERATUR ESSE DEBET, ET SOLUM TUNC VALET, CUM RATIO, AUCTORITAS, ET MONUMENTA EIDEM ADSTIPULANTUR.“ Paolino da San Bartolomeo 1789 zitiert nach Mazzoldi 1840: 363. Dt. Übers. ML. Beachtenswert ist hier eine interessante semantische Unschärfe, welche bei der Übersetzung des lateinischen Substantivs monumentum ins Deutsche Auftreten kann. Dieses kann sich sowohl auf bauliche Überreste, wie ein Denkmal, ein Siegeszeichen, oder ein Grabmal beziehen, aber auch Aufzeichnungen und Schriftstücke im Sinne geschichtlicher Quellen bezeichnen. Vgl. den Eintrag ‚monu(-i-)mentum' in Stowasser 1998. Dies wäre auf epistemischer Ebene, da ja auch Mazzoldi auf die Aussagekraft der Schriftquellen hinweist, ein weiterer Beleg dafür, dass die quellen- und textkritische Funktion der Philologie als unabdingbares Instrument der Geschichtsforschung nicht in Frage gestellt wird.

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Mazzoldi vertrat unter Berufung auf diese Warnung gegenüber dem philologischen Wissen der linguistica das Argument fehlender Falsifizierbarkeit alternativer Erklärungsmodelle von frühen Völkerwanderungen und zivilisatorischen Entwicklungen, wenn es um ethnische Verwandtschaftsbeziehungen der europäischen Sprachen mit dem Sanskrit ging. Es gäbe zum Beispiel in den textlichen Überlieferungen der Frühzeit keinen Beweis dafür, dass die „razza bianca“ nicht von Italien aus eine hoch stehende Zivilisation in das von der „razza nera“ durchsetzte Indien gebracht habe. Dies würde die gesamte Geschichte des Indienmythos – ja die Beziehungen von ‚Orient‘ zu ‚Okzident‘ – historisch umkehren. Gelänge hierfür ein Beweis, wäre Mazzoldis patriotische ‚Ursprungsutopie‘ wissenschaftlich belegt und die Geschichte müsste neu geschrieben werden. Der europäische Okzident würde noch vor den alten Assyrern und Indern zum eigentlichen Quellgebiet des incivilimento und Italien zum Licht der Menschheit, lange bevor andere europäische Nationen das zivilisatorische Privileg für sich beanspruchen können: Che allorquando si parla di civiltà, si parla necessariamente di tempi e di fatti di cui gli uomini dovevano avere conservate memoria nelle tradizioni, che trovandosi la razza bianca nell’Europa e nell’Asia occidentale, niun ci dà diritto di derivare da questo fatto che l’incivilimento si dipartisse piuttosto dalla frazione di detta razza che abitò l’Asia, che da quella che abitò l’Italia; che prima di dare sentenza devesi cercare nelle memorie asiatici ed italiani se si avesse memoria della dipartenza e del trapiantamento di quella civiltà di cui si vuol comporre l’istoria; e che apparendo tanto dalle tradizioni assirie ed indiane, che i primi semi dell’incivilimento furono colà piantati da un popolo dell’Occidente e propriamente dagli Italiani […].221

Um nun auch eine Methodik zur wahrhaften Begründung dieser italozentrischen Scienza Nuova zu erhalten, müsse der Forscher sich zweier epistemischer Annäherungsweisen bedienen: Dem „geologischen Studium des natürlichen Ortes aller auf den Menschen bezogenen Ereignisse“ und dasjenige der „Erinnerungen an diese Ereignisse selbst, die die Tradition über die Jahrhunderte bewahrt hat und mit sich zog“222. Unter Ersterem verstand Mazzoldi keine Geologie im modernen Sinne, sondern eine Geographie der Orte der historischen Tatsachen, welche das Letztere als Quellenstudium dieser Tatsachen zu Tage fördern sollte. Eine Philologie, welche lediglich der Erforschung der Sprachen diene, müsse „die letzte Anstrengung“ („l’ultima fatica“) sein, da sie von den oben genannten, wahrhaft aussagekräftigen Zeugnissen über das Alter, die Geschichte, die genealogischen Verbindungen und die Verbreitung der Völker ab- und allein auf die Sprachen selbst hinlenke.223 Das philologische Wissen, welches aus der Rekonstruktion sprachlicher Genealogien gewonnen werde, sei lediglich zur Bekräftigung und Erhellung derjenigen Erkenntnisse 221 222

223

Ebd.: 362-363. „studio geologico della sede naturale di tutti i fatti umani“ und „memorie dei fatti stessi che la tradizione aveva conservate e trascinate attraverso i secoli“. Ebd.: 360. Ebd.

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relevant, die durch das Studium der Fakten und Ort erst zu Tage gefördert worden seien: La risurrezione delle lingue morte allontanando gli uomini da questi due studj che doveano [sic] premettersi, li volse invece ad un terzo, cioè, a quello delle lingue medesime e delle correlazioni che tra esse esistevano; il quale studio potea bene venirne in sussidio di que’primi due da noi indicati, e convalidare ed illuminare le conclusioni a cui essi avessero condotto […].224

Mazzoldi stellte dennoch sein Geschichtskonzept von den autochthonen italischen Zivilisationsbringern auf ein Fundament antiker Quellen, um sich nicht wie jene philologischen Historiker vor ihm durch ihre eigene Methode in die Irre führen zu lassen, indem sie sich allein an den textlichen Positivitäten orientierten. In den Epen Homers und der Mythographie Hesiods, den Mosaischen Büchern befände sich vielmehr das komprimierte und älteste Wissen der Menschheit in ihrem zivilisierten Zustand, das die italischen Pelasger in ein damals zivilisatorisch unbedeutendes Griechenland gebracht hätten: Dopo i libri mosaici, i poemi di Omero e di Esiodo con alcuni avanzi di inni antichi e canti sacri, debbono venerarsi come le più antiche scritture che esistano o fossero nel mondo. In essi stanno raccolte tutte le antiche memorie della civiltà dell’occidente e specialmente d’Italia, perché vi si inclusero tutte le memorie religiose e tradizionali che dai Pelasghi furono portate in Grecia.225

Geschichte schwankte in dieser Konzeption zwischen Ereignis- und Zivilisationsgeschichte der Völker und Nationen mit der italienischen Halbinsel im Zentrum. Dabei verstand Mazzoldi die Akteure dieser Geschichte durchaus als genealogische und auch ethnische Kollektive. So sehr er in seiner Konstruktion dabei die Bedeutung der linguistica relativierte, benutzte er dennoch das Wissen anderer Disziplinen – sofern es in sein Konzept passte – und scheute daher auch nicht vor physiologischen Determinismen zurück, die er aus der vergleichenden Anatomie ableitete. Dieser erkenntnistheoretische Eklektizismus wird neben seinen Spekulationen über die Verbreitungsdynamik der ‚weißen Rasse‘ an jener Stelle deutlich, wo Mazzoldi versucht, die hochstehende ägyptische Zivilisation in sein italozentrisches Konzept einzupassen. Afrika musste zum Ort prähistorischer Kolonisatoren aus Europa gemacht werden. Diese These war zwar philologisch leicht anfechtbar, da das nachgewiesen hohe Alter der textlichen Monumente der alten Ägypter dasjenige der ‚Uritaliener‘ bei weitem überstieg, sagte aber immer noch nichts über die ersten ethnischen Ursprünge dieser Völker aus. Hier musste anderes Wissen, als dasjenige der Textzeugnisse dem Historiker zur Hilfe eilen. Der Quellenforscher Mazzoldi wurde daher auf einmal zum Physiologen und berief sich auf die ‚moderne‘ blumenbachsche Schädellehre, um die sozialen Verhältnisse des antiken Ägypten rassenlogisch und rassistisch zu untermauern. Dabei beruhte 224 225

Ebd. Ebd.: 10-11.

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seiner Meinung nach der Unterschied zwischen dem einfachen Volk einer äthiopischen schwarzen Rasse und der herrschenden weißen Herrscherklasse/Herrscherrasse auf Physis und kognitiven Fähigkeiten. Wie im Falle der hellhäutigen Brahmanischen Kaste machte Mazzoldi für die altägyptischen Aristokraten die Hautfarbe zum beweiskräftigen Indiz ihrer Abstammung von den Völkern auf der anderen Seite des Mittelmeeres, also den italischen Pelasgern: Chi studia le memorie dell’Egitto antico, vede nella sua popolazione uno spartimento tra due grandi famiglie affatto dissimili così di colore come d’intelligenza e di costumi; la prima e maggiore delle quali, di cui componsi il popolo o direbbesi meglio la plebe, appartenente alla razza negra o etiopica che ha il suo ceppo nelle montagne dell’Abissinia da cui scende il Nilo; la seconda meno numerosa a cui appartengono tutti i membri delle caste imperanti e docenti, avente sua radice nella razza bianca indigena de’ paesi posti oltre il mare incontro alla costa d’Affrica [sic]. Blumenbach che ebbe ad isvolgere e notomizzare parecchie mummie tratte dalle catacombe d’Egitto, dimostrò fuor di dubbio comi i cranj loro appartenessero a queste due grandi famiglie divise e distinte […]. 226

Der Geschichtsgelehrte Mazzoldi bewegte sich also keineswegs allein auf dem Gebiet historischer Überlieferung und der Annalistik, sondern bediente sich opportunistisch gleichermaßen des textphilologischen wie des anatomischen Wissens. Jedoch mangelte es ihm dabei an der Kritik des Historikers – und insbesondere des Philologen – wenn er Quellen als Tatsachenberichte las, ohne sie in ihrer Textualität zu begreifen. Mazzoldi versuchte, das Argument der mythologischen Geschichtsschreibung durch Hinweis auf Vicos geistiges Wörterbuch hervorzuheben, also die Bedeutung des Mythos für das Denken der noch jungen Menschheit des heroischen Zeitalters als erster Form einer reflektierenden Wissenschaft in poetischer Sprache.227 Doch verfuhr er dabei eher narrativ-selektierend als kritisch-differenzierend durch bewusste Anordnung konkurrierender Mythen und deren Deutungsansätzen in Form der immer gleichen Zuspitzung auf ein italozentrisches Ursprungsnarrativ. Diese Vorgehensweise wird besonders an der Instrumentalisierung des Atlantismythos für das italo-pelasgische Projekt deutlich: Ausgehend von Platons vielrezipierten Atlantis-Stellen in seinem Timaios verlegte Mazzoldi das mythische Atlantis allein durch die Gleichsetzung einiger, in antiken Texten erwähnter Völker wie Oceaniti, Uranidi, Atalanti und Titani zusammen mit den Pelasghi

226 227

Ebd.: 275. „Io so bene che qui non mancherà chi mi opponga che tutte le discorse memorie appartengono alla mitologia; ma so anche di poter rispondere a costoro che ‘le mitologie’, siccome già scrisse il Vico, ‘sono le prime istorie delle nazioni’; […] che le prime notizie de’ fatti umani si trovano presso tutti i popoli antichi ‘sempre affidate alle poesie’; che le nazioni nel periodo eroico della loro esistenza ‘non hanno altra lingua né scrittura che poetica’, precedendo anzi la poesia e la musica, la scrittura. Noi non abbiamo bisogno di troppi ragionamenti per dimostrare queste verità già dal Vico posto in tanta luce di evidenza che non vi saprebbe aggiungere altro ingegno […].“ Ebd.: 194-195.

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nach Italien.228 Diese ‚kreative‘ Philologie in Form einer Deduktion historischer Fakten durch eine etwas grobkörnige Texthermeneutik führte schnell zu einigen fundamentalen Kritiken an der Pseudowissenschaftlichkeit von Mazzoldis methodischer Neugründung einer ‚Neuen Wissenschaft‘. In seiner großen Studie über den pythagoreischen Mythos mit dem Titel L'antica sapienza italica: cronistoria di un mito beschreibt Paolo Casini die Bedeutung von Mazzoldis phantasievollem Geschichtswerk im Kapitel „Angelo Mazzoldi: il romanzo degli italopelasghi“ als diejenige einer „bizarra rapsodia“.229 Casini kommt zu diesem historischen Urteil aufgrund der bereits von Zeitgenossen monierten methodischen Antiquiertheit, der Inkohärenz und des weitschweifend gelehrt fabulierenden Charakters des Werkes, welches in seiner ethnozentrischen Kernthese letztlich doch noch ganz auf den antirömischen und italophilen Theorien des 17. Jahrhunderts basierte und weder mit einer modernen Philologie noch mit einer methodisch avancierten Geschichtswissenschaft mithalten konnte.230 Im wissenschaftlichen Diskurs wurde Mazzoldis Schrift daher bald nach ihrem Erscheinen durch die Kritik einiger Philosophen und Historiker wie Bertrando Spaventa und Aurelio Bianchi-Giovini desavouiert.231 Obwohl der pythagoreische Mythos für die nationale Identität Italiens vor der politischen Einigung des Landes eine nicht geringe Rolle gespielt hatte, versank er bald in den Rang einer ‚Subkultur‘, obwohl er noch einige intellektuelle Rezipienten fand. Deren Meinungen waren allerdings für den philologischen Diskurs nicht von Interesse und standen in den meisten Fällen den institutionalisierten Wissenschaften fern, was sie für deren Diskurse disqualifizierte: Si può dire che il mito dell’antica sapienza italica, dopo aver dato un contributo non irrilevante all’ideologia unitaria, parve aver esaurito il suo compito non appena la sua stagione politica fu conclusa. Non mancarono maldestri tentativi di ripresa, condotti da curiose figure di dilettanti nostalgici e provinciali, estranei alle élites intellettuali di qualche rilievo nella cultura letteraria, filosofica, accademica nazionale.232

Diese Entwicklung zu Ungunsten des pythagoreischen Mythos lag zu einem nicht unerheblichen Teil auch daran, dass die methodisch immer differenzierter und effektiver arbeitende wissenschaftliche Erforschung des Alters, des Wandels, der Verbreitungswege und eben Genealogie der indoeuropäischen 228

229 230

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232

Zu Mazzoldis geschickt und phantasievoll gewobenen Argumentations- und Narrationssträngen, aber auch zur sehr schnell durchschaubaren ‚Methode‘ der Zentrierung textlicher Relikte, wie Namen und Termini auf Italien vgl. insbesondere das dreizehnte Kapitel „Dell’isola Atlantide“. Ebd.: 172 ff. u. 194. Casini 1998: 269. Vgl. Santamaria 1981: FN 90, wo dieser auf die bis in das 16. Jahrhundert zurückgehende These einer autochthonen, von äußeren Einflüssen freien italischen Urbevölkerung bei Gelli und Giambullari verweist. Zur Wirkung des pythagoreischen Mythos auf einige Intellektuelle des späten 19. Jahrhunderts, von denen der Anthropologe Sergi der bekannteste war, vgl. Casini 1998: 308-312. Ebd.: 308.

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und semitischen Sprachen und Mythen dieser italozentrischen Ursprungserzählung der alten Zivilisationen des Mittelmeeres die historische Grundlage entzog.233 So dekonstruierte der Historiker Aurelio Bianchi-Giovini die „Meinungen“ („opinioni“) Mazzoldis zu einer autochthonen italischen Zivilisation auf unnachgiebige Weise und disqualifizierte sie als nicht relevant für das philologische Wissen.234 Bianchi-Giovinis Auffassung von Geschichtlichkeit war – wie bereits im Kontext seiner Kritik an Cesare Cantù erwähnt – eine dynamische und sah keine von der „menschlichen Gesellschaft“ isolierten Volksgebilde vor. Die Gründe für das, was Gesellschaften bewegte, waren für ihn in erster Linie nicht innerlicher, sondern äußerlicher Natur. Insofern sei es der zivilisatorische Austausch, welcher den Historiker interessieren solle: Conviene considerare la storia di un popolo non come un’azione isolata, ma come un anello della gran catena che lega insieme tutta quanta l’umana società; né limitarsi a considerarla ne’soli suoi effetti interiori, ma cercare anco esteriormente le cause dei grandi movimenti sociali.235

Die Geschichte des Okzidents, Italien inbegriffen, sei daher nicht ohne die Geschichte des Orients denkbar. Während französische und natürlich deutsche Gelehrte durch ihre philologische Erforschung des orientalischen Altertums und des Mittelalters diesbezüglich viel geleistet hätten, habe Italien nur Bernardino Biondelli aufzuweisen, dessen Atlante linguistico d’Europa zur Zeit der Veröffentlichung von Bianchi-Giovinis Kritik ebenfalls kurz vor seiner Publikation stand: Le scienze della storia e gli studi antiquari sopra l’Oriente, ornai inseparabili dalla storia antica dell’Occidente, hanno da pochi anni fatto un gran progresso in Francia; ma la Germania è ancora la terra classica dell’erudizione e della critica, e sono prodigiosi i lavori che si fecero e si fanno quivi sulla teologia e la filosofia, sulla geografia e la storia, sulla giurisprudenza, sulle lingue, sulle antichità orientali e del medio evo […].236

Bianchi-Giovini wies darauf hin, dass Erkenntnisse der historischvergleichenden Sprachforschung in Mazzoldis ethnographischen Überlegungen vollkommen fehlten. Dies erlaubte es seiner Meinung nach nicht, diese

233

234

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Vgl. Casini 1998: 297 ff. Zur Kritik des Philosophen Bertrando Spaventa an der nationalistischen Ausdeutung des pythagoreischen Mythos, welche er als dem vicoschen Geschichtsverständnis vollkommen entgegengesetzt betrachtete vgl. Donato Jaja in Spaventa 1900: XCIX ff. Dieser frühe Historikerstreit zwischen Aurelio Bianchi-Giovini und Angelo Mazzoldi gipfelte in mehreren Publikationen und Gegenpublikationen von Kritik, Gegenkritik und schließlich den Letzten Beobachtungen über die Meinungen des Herrn A.M. über die italischen Ursprünge, den Ultime osservazioni sopra le opinioni del signor A. M. interno alle origine italiche. Vgl. Bianchi-Giovini 1842 und Carrannante 2008. Bianchi-Giovini 1841: 83. Ebd.

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Theoreme als wissenschaftliche Geschichtsforschung zu qualifizieren.237 Auf der anderen Seite werde die Mythenforschung als Mazzoldis bevorzugte Methode ebenfalls nicht nach systematischen – also wissenschaftlichen – Methoden praktiziert. Man könnte im folgenden Abschnitt daher auch den Vorwurf einer antiphilologischen Pervertierung Giambattista Vicos durch Mazzoldis willkürliche Anwendung und italozentrische Einengung von dessen universellen Prinzipien sehen: Niente sulla figliazione delle lingue che pur sono un così potente indizio per determinare l’origine de’popoli ed i loro vicendevoli rapporti. Anco il signor Mazzoldi ritiene che la prima storia tradizionale è la mitologia; ma questa, che si può dire una nuova scienza, stante il modo con cui è trattata dagli eruditi moderni, non pare che l’abbia studiata meglio della storia; ed egli, che fa derivare tutte le mitologie dalla Italia, lungi dal presentarcene l’istoria, cominciando dalle primitive e più semplici idee religiose e discendendo alle più composte; lungi dal presentarci lo sviluppo graduato del culto simbolico e farcene vedere le trasformazioni ne’ vari passaggi di paese in paese, non fa che gettarci sparsamente alcuni cenni che non hanno né ordine né connessione.238

Auch die zentrale Motivation von Mazzoldis Schrift, nämlich die Begründung einer neuen Wissenschaft der Völker, stellte Bianchi-Giovini in Frage. Diese sei nämlich letztlich nichts anderes als eine phantastische, nach persönlichen Vorstellungen und Wünschen entwickelte und wissenschaftlich verbrämte Idee. Indem er sich auf Adelungs Kritik an den 1767 vom Etruskologen und Priester Mario Guarnacci verfassten Origini italiche berief, betonte BianchiGiovini die Antiquiertheit und wissenschaftliche Unhaltbarkeit einer Geschichtsschreibung, die von exklusiven Genealogien ausging.239 Das vorgeb237

238 239

„Alla cognizione dei fatti materiali conviene aggiungere gli studi etnografici e filologici, senza dei quali omai non si può più scrivere storia alcuna della antichità.“ Biachi-Giovini 1841: 83. Ebd.: 8. „Nel 1767 Mario Guarnacci pubblicò a Lucca un folio col titolo Origini Italiche [es folgt das obige Adelung-Zitat, ML]: ‘Tutto il secondo libro tratta dei Pelasgi; ma quasi sempre fondandosi sopra ipotesi arbitrarie. Secondo lui, Pelasgi, Umbri, Aborigini, Ausoni, Eturschi, sono un popolo medesimo, e vuole che i Pelasgi dalla Italia passassero nella Grecia.’ Io non conosco altrimenti quest’opera, ma dalle citate parole, dell’Adelung ben si vede che il sistema del Guarnacchi sopra le origini italiche non è diverso da quello che il signor Mazzoldi ci dà ora come nuovo e tutto suo: tranne che il Guarnacchi riteneva che, salendo ad una certa epoca, gl’Italiani avessero una derivazione siriaca o fenicia; laddove il signor Mazzoldi pretende che siano derivati non d’altronde che dalla Italia.“ Ebd.: 5. Vgl. Guarnacci 1767-72: Origini italiche o siano Memorie istorico-etrusche sopra l'antichissimo regno d'Italia, e sopra i di lei primi abitatori nei secoli più remoti. Zur bedeutenden Rolle Guarnaccis in der italienischen Altertumsforschung als einer Gründerfigur der Etruskologie vgl. Vannini 2003. Zu seiner Stellung innerhalb der Entwicklung des philologischen Wissens im Italien des Settecento und dem immer engeren Zusammenhang von linguistica und ricerca storica als Emanzipation von der teoria letteraria vgl. Marazzini 1989: 111-112. Vgl. auch Adelung 1806-1817, Bd. 2. „In des Mario Guarnacci Origine Italiche, Lucca, 1767, fol. Handelt das ganze zweyte Buch von den Pelasgern; aber meist nach willkührlichen Hypothesen. Pelasger, Umbrer, Aborigines, Ausonier, Etrusker, sind ihm alle Ein [sic] Volk. Auch läßt er die Pelasger erst aus Italien nach Griechenland wandern.“ Ebd.: 367.

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lich wissenschaftliche Gerüst einer methodischen Kritik der Geschichte diene bei beiden Erforschern der italienischen Frühgeschichte im Grunde als identische Vorgehensweise zur Rechtfertigung persönlicher Interessen. Wo der eine die phönizischen und syrischen Ursprünge der Italiener hervorhebe, betone der andere deren autochthonen Ursprung. Diese Idee werde danach in einem System des kreativen und möglicherweise literarisch fruchtbaren Verwischens von historischen und fiktionalen Quellen argumentativ ausgebreitet. Diese mache nicht die Quellenforschung der kritischen Verifizierung von historischer Überlieferung dienstbar, sondern instrumentalisiere geschichtlich bekannte ‚Fakten‘ und Zitate für die eigene utopische Grundidee. Dieses Vorgehen stütze Mazzoldi auf Vicos Poetologie und mythische Semantik durch absichtliche Verwechslung der Vergangenheit mit der Gegenwart, der Hypothesen mit im Diskurs bereits akzeptierten Thesen und der Mythologie mit der Geschichte, ohne sich auf eine kritische Diskussion wissenschaftlicher Argumente und Gegenargumente als alternativen Theorien einzulassen: Ma il signor Mazzoldi, anzi che far precedere le ricerche alla determinazione dei fatti ha incominciato colla fissazione del suo sistema, indi per dimostrarlo spigolò negli autori i passaggi che parvero giovargli; e confondendo il probabile coll’inverosimile, le ipotesi coi fatti, i tempi moderni cogli antichi, affastellando la mitologia colla storia, le nozioni più vaghe colle più autentiche, Omero con Fazio degli Uberti, Esiodo colle Sibille, Erodoto con Suida, saltando di palo in frasca, senza mai una discussione finita, senza mai una dimostrazione, e rimandandoci continuamente con dei come diremo, come si vedrà e simili, finì a persuadersi di avere provato quello che realmente non esiste fuorché nella sua immaginazione.240

Eine vernichtende Kritik, die jedoch zumindest für die Philologie eine lange nachwirkende Verschiebung der Perspektive zur Folge hatte, wenn es darum ging, ein nationales Bewusstsein aus genealogischen Ursprungsnarrativen historisch zu rechtfertigen. Denn allein aus diesen ‚kollegialen‘ Debatten italienischer Historiker und Philologen zu Gunsten oder zu Ungunsten einer Entfaltung des pythagoreischen Mythos als epistemisch legitimiertem WissensDiskurs wird dessen Schwäche deutlich, da hier politische Wunschvorstellung und Wissenschaft nicht Hand in Hand in ihrer nationalistischen Argumentation gingen. Die Erzählung einer uralten italischen Zivilisation der Pelasger, Etrusker oder eines anderen Volkes auf philologischer Grundlage in ihrer Funktion als ‚ideologischer Kitt‘ des Risorgimento besaß von Anfang an nicht dieselbe diskursive Überzeugungskraft, wie sie die imperialistische Idee eines neu erstandenen dritten Rom, der Indoeurozentrismus und das Paradigma der arischen Überlegenheit entfalten sollten. Dieser philologisch korrigierte italozentrische Zivilisationsdiskurs musste sich auf ein epistemisches Fundament stützen, welches in seiner Angreifbarkeit wohl kaum im Stande war, die damit

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Biachi-Giovini 1841: 8-9.

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intendierte nationalistische Propaganda zu legitimieren. Und dies trotz einer pathetischen Überhöhungen durch literarisierte Geschichtsschreibung. Wichtig für eine Einordnung dieses eigentümlichen Werkes in den wissenschaftlichen Diskurs ist in diesem Zusammenhang jedoch neben dessen Inhalt auch der Zeitpunkt, zu welchem die Schrift veröffentlicht wurde. Dies fordert eine erneute Betonung des politischen Enjeus im historischen Kontext, wie es den oberflächlichen Patriotismus dieser ‚wissenschaftlichen‘ Aussagen begleitete. Mit Mazzoldi unternahm im Jahre 1840 reichlich spät ein italienischer Historiker den gescheiterten Versuch, den Indienmythos der vergleichenden Philologie deutscher Provenienz, aber auch das in philologischer Hinsicht französisch besetzte Ägypten als zivilisatorischem Urahn des aufgeklärten Frankreich zugunsten eines neuen vorrömischen Ursprungs-Mythos zu entkräften.241 Diese Ursprungserzählung wollte den Italienern sowohl ein emanzipatorisches Zivilisationsnarrativ fern von fremden pelasgischen, arischen, germanischen und anderen Invasionen als auch eine rezeptionswürdige Stimme einer ethnischen Einheit geben. Aus diesem Grund wurde der pythagoreische Mythos aus der epistemischen Perspektive einer sich als revolutionär begreifenden italienischen Geschichtswissenschaft – einer Scienza Nuova – erzählt, deren Erkenntnisse diejenigen einer von Nicht-Italienern dominierten Philologie widerlegen sollten. Gleichzeitig hätte durch die Verwissenschaftlichung dieses Mythos auch die griechische und ägyptische Antike italianisiert und der Gedanke der mediterranen Zivilisationsgemeinschaft gestärkt werden können. Ein autochthones Ursprungsnarrativ der italienischen Zivilisation sollte den als Projektionsraum bereits besetzten Orient ersetzen und so die Forderung nach italienischer Unabhängigkeit untermauern. Diese Befreiungsgeste begann bereits mit der Umdeutung der Geschichte im Sinne einer ‚antiken Unabhängigkeit‘ der Italer von den Hellenen und der Abstammung der weißen ägyptischen Adelsklasse als Begründer der europäischen Zivilisationen von den Pelasgern: „Le affabulazioni di Mazzoldi e i tòpoi di Gioberti sono, più che abbandonati, capovolti. La liberazione dall’invasione pelasga diventa la prima guerra d’indipendenza italiana.“242 Es handelte sich bei Mazzoldis Text also nicht einfach um eine trotzig infantile Selbstbehauptung des einfachen italienischen Volkes gegen die fremden nordischen Barbaren als Unterdrücker der nationalen Einheit, sondern um den durchaus kreativen Versuch der wissenschaftlichen Etablierung einer historisch wie ethnisch ‚stabilen‘ und bis in die Gegenwart kohärenten italienischen Identität. Für die heutigen Italiener wäre demnach die Überwindung der fremden Besatzung – die erste Besatzung der Italiener war diejenige durch das mächtige Rom – die Überwindung der sprachlichen wie kulturellen Zersplitte-

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Zur wichtigen, identitätsstiftenden Rolle des alten Ägypten für das zivilisatorische Selbstverständnis des napoleonischen und postnapoleonischen Frankreich vgl. Messling 2012e: 33-36. Casini 1998.: 295.

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rung unter Besinnung auf eine ferne Vergangenheit.243 Ein ähnliches Ziel verfolgte für Deutschland schließlich auch Friedrich Schlegels Indienprojekt. In seinem Eifer erlag Mazzoldi jedoch der Versuchung, seine berechtigte Forderung nach der Erforschung einer vorrömischen Epoche altitalischer Kulturen und Zivilisationen mittels historiographischer, philologischer und archäologischer Methodik in flacher patriotischer Emphase und zivilisatorischem Überlegenheitsdünkel zu begraben. Er gab ein ernsthaftes Projekt durch sein Bestehen auf eine eigene Epistemologie der Lächerlichkeit preis. Eine literarische Fiktionalisierung seiner phantasievollen Gegengeschichte hätte ihm diese Rezeption möglicherweise erspart. Ergänzend muss jedoch erwähnt werden, dass von prorömischer und papsttreuer Seite der wohl wirksamste Versuch unternommen wurde, die Pelasger für die neoguelfisch-patriotische Sache dienstbar zu machen.244 In seinem 1843 erstmals veröffentlichten Primato morale e civile degli Italiani postulierte der der Historiker und philologische Laie Vincenzo Gioberti als Vordenker der neoguelfischen Bewegung ein moralisches Primat der Italiener, das im Gegensatz stand zu Mazzoldis antirömischen Instrumentalisierung der Pelasger als autochthoner und von Rom dominierter Urbevölkerung. Ein Primat, welches sich nämlich gerade in der zivilisatorischen Dominanz des antiken Rom gezeigt habe. Diese zivilisatorische Vorrangstellung leitete Gioberti aus dem Paradigma des pelasgischen Nationalgenies – des „genio nazionale“ – ab, das unter anderem durch den Blutsbegriff mitformuliert wurde und tief in der itali-

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Mazzoldi 1840: 6. In Anbetracht von Benedetto Croces Verwunderung darüber, dass ein solches Werk überhaupt ernsthafte Leser gefunden habe, betonte Claudio Marazzini die Bedeutung von Mazzoldis italozentrischen Phantastereien für den italienischen Nationalismus. Denn die italienische Philologie habe sich auch nach Mazzoldi und Gioberti immer noch gegen die historisch-vergleichende linguistica an diesem Mythos bedient. Eine These, welche in dieser Studie jedoch relativiert werden soll. So basierte beispielsweise auch Carlo Cattaneos aktualisierende Konstruktion der italischen Autochthonie innerhalb der linguistica in erster Linie nicht auf philologischen, sondern auf ausdrücklich historischen Wahrscheinlichkeiten. Sie rief die Dialektforschung lediglich zur Hilfe, um die eigene Position gegen die indoeuropäische Ursprungshypothese der Philologie in Stellung zu bringen: „Le conclusioni di un autore come Mazzoldi possono sembrare assurde, ma non possono certo essere rimosse come non pertinenti rispetto alla storia della cultura linguistica, soprattutto perché esse si fondavano su istanze ben radicate in Italia, cioè sul desiderio di dimostrare l’autoctonia delle genti italiche ed il loro primato, quel primato che tornava ad essere Leitmotiv dopo il libro di Gioberti. Il nazionalismo italico emergeva soprattutto nei confronti della grammatica comparata, là dove il ‚primato‘ italico mostrava la sua natura eminentemente mediterranea e classicheggiante. Di contro, la linguistica comparata sembrava spostare i suoi interessi verso l’Oriente, e ciò era motivo di grande preoccupazione per molti studiosi italiani. L’India dello schlegeliano Über die Sprache und Weisheit der Indier sembrava portare lontano dal mare nostrum, e ciò riusciva intollerabile a chi era abituato a sentirsi al centro dell’universo.“ Marazzini 1989: 184-185. Für ein ausführliche Darstellung dieses neoguelfischen Nationalismus mit rassenlogischen Implikationen auf der Grundlage des pythagoreischen Mythos bei den Historikern Vincenzo Gioberti und Cesare Balbo vgl. Casini 1998: 272-296.

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enischen Bevölkerung verwurzelt sei.245 Hier treffen sich Mazzoldis und Giobertis Vorstellungen von den einfachen Italienern als Erben der europäischen Zivilisationsbringer, welche von ‚fremden Barbaren‘ einer germanischen Adelskaste seit Jahrhunderten unterdrückt würden: Se si vuol ripetere la nobiltà dalla prima origine delle famiglie, i men nobili degl’Italiani sono appunto i più dei patrizi, come quelli, che non furono di ceppo italico, discendendo dai barbari della Germania. E per contro i veri nobili d’Italia a questo ragguaglio sarebbero i popolani, nelle cui vene corre il sangue pelasgico fino e puro, o sì certo meno commisto; giacché il volgo del medio evo uscì dal patriziato antico, laddove i patrizi d’allora furono prole del volgo barbarico.246

Auch wenn die Italiener zivilisatorisch durch die gesellschaftlichen und politischen Umstände immer noch bevormundet würden, könne diese erniedrigende Tatsache nichts an der innersten pelasgischen Natur dieses von je her zu hohen zivilisatorischen Leistungen fähigen Volkes ändern: E sebbene sia fuor di dubbio che noi siamo civilmente scaduti, e che gli avoli nostri vennero conquistati, ciò non mi pare che debiliti la mia sentenza; perché la declinazione di alcuni stirpi e il predominio delle altre è un semplice effetto delle condizioni sociali, per cui esse corrono successivamente, e non dell’intima loro natura.247

Die Inanspruchnahme einer rassischen Identität stand somit auch bei Gioberti im Dienst eines gesellschaftlichen Patriotismus, der eine zivilisatorische Unterdrückung der Italiener durch die dynastischen Vertreter anderer Nationen, seien es österreichische Habsburger oder spanische Bourbonen, voraussetzte. Allerdings kam bei Gioberti als entscheidendes Element zu diesem rassenlogisch konnotierten Patriotismus hinzu, dass erst das Christentum den zivilisatorischen Genius der Pelasger zu seiner vollen Entfaltung gebracht habe, indem diese durch dessen Verteidigung und Verbreitung ihren Platz in der Geschichte gefunden hätten. Die pelasgische Ursprungserzählung der Italiener erfuhr auf diese Weise eine Überlagerung durch die universelle Heilsgeschichte der Vorsehung. Eine tiefere Funktion dieses moralischen Primats sei es nämlich, durch den römisch-katholischen Glauben als allein versöhnender Lehre dazu beigetragen zu haben, den ursprünglichen Frieden unter den Menschen wiederherzustellen. Zwar gebe es also laut Gioberti so etwas wie eine moralische und zivilisatorische Überlegenheit jener Nachfahren der Pelasger über die barbarischen Völker. Diese sei jedoch nicht in erster Linie ethnisch, sondern theologischmissionarisch fundiert, da die verschiedenen Varietäten der menschlichen Spezies rein oberflächlicher Natur seien und eher durch externe Faktoren wie 245

246 247

Zu den rassenlogischen Implikationen der epistemischen Argumentation des philologisch lediglich laienhaft bewanderten Gioberti (Vgl. Timpanaro 1973: 248-249), wie sie in seiner Forderung nach einer „rational ethnography“ zum Ausdruck kam vgl. Gensini 2013: 178-180. Gioberti 1862: 233-234. Gioberti 1846: 55-56.

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Klima, geographische Lage und Lebensweise hervorgerufen würden.248 Über die essenzialisierende Tendenz dieses Vorsehungsdenkens kann diskutiert werden. Wenn allerdings das Christentum einmal verbreitet sei und die Gewalt unter den Völkern abebbe, werde die Menschheit in ruhigeren Schritten – und nicht in Revolutionen – die Barbarei endgültig überwinden. Giobertis moderater Patriotismus ging also nicht in einer militanten Rassenlogik auf, sondern verschwamm in einer teleologisch-theologischen Geschichtsauffassung, auch wenn diese in ihrem universalistischen Selbstverständnis eine Inklusionslogik eher erzwang als eine pluralistische Offenheit zuließ: […] finché abolito affatto il regno della violenza, per opera del Cristianesimo, e fuse insieme le razze, il genere umano piglierà un assetto più fermo, e andrà di buon portante e con moto equabile, non a salti ed a scoppi di stragi e di rivoluzioni, com’è camminato finora; […] è uscita, come dire, dallo stato di barbarie e di guerra, per entrare negli ordini pacifici e civili, dove tutto corre a norma di leggi stabili e tranquille, con placido e uniforme movimento.249

Somit ist im moderaten und eigentlich konservativen Patriotismus Giobertis Zivilisation in prospektiver Hinsicht und nach der universalistischen Lehre des Dogmas nicht als statisch differenzierendes, endgültiges Kriterium der Völker zu verstehen. Doch genau die Verwendung eines ethnischen Begriffes erhält die Ambivalenz in Giobertis Logik. Seine ‚pelasgische Rasse‘ stand im Dienste derjenigen Religion, welche letztlich in anderem diskursiven Gewand das Neoguelfentum des italienischen Patrioten Gioberti ideologisch legitimierte. Giobertis Instrumentalisierung des pythagoreischen Mythos der PelasgerTheologen bleibt wie Mazzoldis Atlantis-Narrativ in ihrer Funktionalisierbarkeit nationalistische Politik, die sich – strategisch gedacht – Schützenhilfe durch wissenschaftliche Argumente erhofft. Dieses politische Denken galt auch für Giobertis Konzeption der philologischen Wissenschaft. Im Gegensatz zu Mazzoldi hatte nämlich Gioberti aufgrund seines Lobes einer katholischen Dimension der Latinità und der damit einhergehenden Wertschätzung der Sprache des alten Rom sowie der ihm folgenden urbs der Päpste keine Probleme, philologisches Wissen in seine Heilsgeschichte zu integrieren und als didaktische Maßnahme zu politisieren. Daher bedeutete Philologie für Gioberti in erster Linie klassische Philologie als gründliches Studium und Erlernen der alten Sprachen Griechisch und Latein mit dem Ziel ihrer Anwendbarkeit im Dienste der Zivilisation. Dies galt besonders im Hinblick auf das Italienische, welches zu Giobertis Zeit immer noch weit entfernt von seiner standardisierten Verwendung war. Allein eine 248

249

Vgl. Gioberti 1840: 281, zitiert in Gensini 2013: „There is only one human species, subdivided into different stocks and nations; ‘varieties existing within the same kind’ depend on modifications of the organic structure which are, in turn, determined by ‘climate, qualities of the place, way of living, and other conditions […] of society’. If political and religious hostilities rendered distances among nations dramatic, it is Christianity’s mission to ‘recover the primeval and natural unity of humankind’.“ Ebd.: 179. Gioberti 1846: 57.

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Rückbesinnung auf die Blüte der Sprache Ciceros und des Heiligen Stuhls könnte ein elegantes und literarisch fruchtbares Italienisch hervorbringen. Hier sei die vordringliche Aufgabe der Philologie zu sehen: La vera e perfetta intelligenza, quindi il possesso delle parole, consiste nel saperle adoperare, e nel poterle padroneggiare a suo talento. Perché mai nel cinquecento l’italiana eleganza era frequente fra gli scrittori? Perché fioriva in Italia lo studio del greco e del latino, e molti erano che potevano scrivere con garbo e purità di dettato, almeno nel secondo di questi idiomi; e alcuni di quei latinisti riuscirono così stupendi, che se ne sarebbe onorate il secolo di Cicerone.250

Philologie wurde von Gioberti – wie dies ja auch bei Cesare Cantù und Angelo Mazzoldi der Fall war – verstanden als eine unter vielen Hilfswissenschaften der Geschichtswissenschaft, sollte jedoch als pädagogische Wissenschaft zum Nutzen der Italiener klassische Bildung vermitteln. Gioberti sah in ihren Methoden und Erkenntnissen solange kein Problem, als in ihr ein „Primat der Bibel“ („il primato della Bibbia“) 251 und der (christlichen) Religion vorherrschte. Der Kampf gegen Atheismus und Säkularisierung innerhalb der Wissenschaften war erste Sorge Giobertis.252 So lässt sich der Klang folgender Sätze gegen Heterodoxie und Profanisierung aus heutiger Sicht am ehesten als ‚fundamentalistisch‘ bezeichnen: E ciò che dico della storia si deve ugualmente intendere della filologia, dell’archeologia, e di tutte le altre discipline, ausiliari di quella. Vedesi adunque la necessità di ristabilire in esse il primato della Bibbia, come quello della religione in tutti gli ordini della civiltà e della scienza, allargando e teologizzando, per così dire, l’investigazione dei fatti e dei monumenti, cui l’invalsa eterodossia secolareggiò e ristrinse, col sequestrarla dalla base delle credenze, o col renderla profana e spesso sacrilega.253

Trotz unterschiedlicher epistemischer Voraussetzungen standen diese mit dem philologischen Wissen der Zeit verschränkten genealogischen Theoreme und Ideologeme immer noch innerhalb der aufklärerischen Epistemologie, gegründet auf Vicos dynamischem Zivilisationsverständnis, welches mit einem „dominant diachronischen Blick“254 hierarchisierte zwischen Barbarei und den 250 251 252

253 254

Ebd.: 266. Ebd.: 179. Nicht nur Gioberti, sondern alle neoguelfischen Parteigänger hatten bei der wissenschaftlichen Aufrechterhaltung dieses Primats mit großen legitimatorischen Schwierigkeit zu kämpfen, nachdem Champollions Entzifferung der Hieroglyphen sowie dessen spektakulärer Sieg im römischen ‚Wissenschaftsduell‘ gegen Gustav Seyffarth im Jahre 1826 den vatikanischen Wissenschafts- und Geschichtsvorstellungen einen schweren Schlag versetzt hatte. Dazu Messling 2012e: 70-94. Gioberti 1846: 179. Trabant 2010: 189. Alle unterschiedlichen Dimensionen jener diachronen Perspektive, die sozial-institutionelle, die semiotische und die historisch-epochale, wie sie die vicosche Epistemologie prägten, beruhten auf einem anthropologischen Axiom, welches für Mazzoldis und Giobertis Konzeption der storia, aber auch für jene in den folgenden Kapiteln dargestellte ‚demokratisch-juristische‘ Vico-Rezeption des 19. Jahrhunderts durch Romagnosi und

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mythischen Ursprüngen der Zivilisation, die potentiell allen Menschen, seien sie in Völkern, Rassen oder Nationen zusammengefasst, zuteilwerden kann. So interessierte Mazzoldi nicht das Verfassen einer vergleichenden Universalgeschichte, sondern einer Zivilisationsgeschichte mediterraner Völker der Antike. Er wandte sich daher im Rahmen der Universalgeschichte, deren Gültigkeit für alle Individuen und Völker nicht in Abrede gestellt werden könne, an „quella sola parte di essa che s’attiene alle prime origini ed alle derivazioni dell’incivilimento delle nazioni antiche […].“255 Mazzoldi wie Gioberti ging es um den ‚ideologischen Kitt‘ einer nationalen autonomen Identität in Form einer exklusiven Ursprungserzählung. Diese war jedoch in den universellen Kontext der Weltgeschichte oder der Heilsgeschichte eingebettet. Der durchaus mit dem deutschen Indien- oder Griechenlandmythos vergleichbare rassistische – da essenzialisierende – Grundton, der die italienischen Kulturbringer über alle anderen Völker stellte, wurde durch die darauf folgende demütige Anerkennung von zivilisatorischem Niedergang, Eroberung und Vermischung der Völker historisch dynamisiert.256 Zusätzlich fehlte dem pythagoreischen Mythos jenes statische Unterscheidungskriterium struktureller Verfasstheit, das die vergleichende Philologie für eine Essenzialisierung kollektiver ‚rassischer‘ Überlegenheit geliefert hätte. Jenes Kriterium des von Anfang an bestehenden Unterschiedes der Sprachfamilien in ihrer Morphologie und Syntax, welches Friedrich Schlegel gestattete, die ursprünglich einheitlich denkende

255 256

Cattaneo entscheidend ist. Jürgen Trabant beschreibt auf prägnante Art dieses Axiom der „Gleichförmigkeit des menschlichen Geistes“ und seinen komplexen Zusammenhang mit dem vicoschen Geschichtsbegriff: „Allen menschlichen Gesellschaften liegt nun eine gleichförmige, politische und kulturell-semiotische Struktur zugrunde. Aufgrund der Gleichförmigkeit des menschlichen Geistes (uniformità d’idee, SN 3) bilden die Menschen überall, wo sie sich organisieren, einerseits dieselben Grund-Institutionen: Religion, Ehe, Bestattung. Dieser universellen gesellschaftlich-rechtlichen Organisation (diritto universale) entspricht andererseits, in der parallel dazu verlaufenden semiotisch-geistigen Organisation, ein allen Menschen gemeinsames geistiges Wörterbuch (dizionario mentale comune), das sich im Wesentlichen auf diese universellen Rechtsverhältnisse bezieht. So haben nach Vico z. B. alle Gesellschaften ein Wort für den Gründer der Polis, den Herkules, den ‚Vater‘, den ‚Autor‘, den ‚Poeten‘ des gemeinschaftlichen Lebens. Darüber hinaus entwickeln sich die gesellschaftliche Organisation und die semiotisch-kulturellen Formen nach demselben diachronischen Schema in der Abfolge eines göttlichen, heroischen und humanen Zeitalters. [...] Diese Abfolge der drei Zeitalter ist das diachronische Grundgesetz, das dem mondo civile zugrunde liegt. Es ist die Struktur der ‚Ewigen Idealen Geschichte‘ (storia ideal eterna, SN 7). Sie findet sich überall auf der Welt.“ Ebd.: 187-188. Das Kürzel SN und die darauffolgende Ziffer beziehen sich auf die Absatz-Zählung Nicolinis für die Scienza Nuova-Version von 1744. Vgl. Trabant 2010: FN 2. Mazzoldi 1840: 13. Auch diese Prämisse der Zyklenhaftigkeit historischer Prozesse zivilisatorischen Auf- und Niedergangs als warnender Hinweis auf die eigene historische Identität findet sich bei Vico vorgeprägt: „Das universelle Gesetz der Abfolge von göttlichem, heroischem und menschlichem Zeitalter ist des weiteren wiederholbar. Wenn, wie es in Europa mit dem Ende des Römischen Reiches geschah, eine ‚humane‘ Gesellschaft zerstört wird und in die Barbarei zurückfällt, kann sie wieder aufsteigen, nach den Gesetzen der storia ideal eterna.“ Trabant 2010: 188.

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Menschheit in ihrer kognitiven Verfasstheit zu differenzieren. Die Behauptung zivilisatorischer Überlegenheit der Italiener fand weder bei Mazzoldi noch bei Gioberti jenen atemporalen tieferen Grund, wie ihn die Sprache als Spiegel des Geistes lieferte. Es wiederholte sich bei ihnen lediglich tautologisch die Behauptung jener Überlegenheit anhand schriftlicher Quellen. Und diese standen und stehen auch in ihrer geoffenbarten Form durch eine Tradition der Überlieferung stets innerhalb der Geschichte, egal ob diese von den Menschen gemacht oder von Gott vorherbestimmt war. Wie schon kurz erwähnt, hängen diese vollkommen unterschiedlichen, aber gleichwohl eher politisch, denn epistemisch bedeutsamen Auslegungen und Instrumentalisierungen des pythagoreischen Mythos mit der Frage nach einer philologischen Begründung der Rassenlehren des ausgehenden Ottocento in eng zusammen. Damit der Anthropologe Giuseppe Sergi gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine zivilisatorische Überlegenheit der Italiener zu einer essenziellen Überlegenheit einer mediterran-italischen Rasse wissenschaftlich begründen konnte, musste er sich – wie schon Mazzoldi vor ihm – bei Narrativen bedienen, die anhand antiker Textquellen erarbeitet werden konnten, um sie zu historischen Tatsachen umzudeuten, die daraufhin wiederum mit einer physiologischen Rassenkunde vereinbar waren.257 Die Einordnung dieser durch naturwissenschaftliche ‚Beglaubigung‘ geschaffenen Entität der ‚euroafrikanischen‘ Italer-Italiener in eine globale Rassenlogik konnte nur durch eklektische Transdisziplinarität gewährleistet werden. Eine methodisch philologische Forschung hätte nämlich ein epistemisches Hindernis für den Anspruch auf die historische Wahrheit dieses Narrativs dargestellt. Denn jenes transdisziplinäre Konstrukt einer naturwissenschaftlichen, philologischen und historischen Epistemologie musste sich gegenüber den Erkenntnissen einer europaweit erfolgreichen, auch ethnographisch relevanten und empirisch arbeitenden Orientphilologie positionieren, die die zivilisatorische und ethnische Autochthonie einer italienischen ‚Urrasse‘ unwahrscheinlich machte.258 Dieser Mangel an epistemischer Unterstützung würde erklären, warum die diskursive Etablierung des rassenlogischen Narrativs der Pelasger erst relativ spät und zu Zeiten einer Ausdifferenzierung und Ermächtigung anthropologischer, ethnologischer und biologischer Wissenschaftsbereiche stattfand. Es bleibt in Anbetracht der geringen Wirkung des pythagoreischen Mythos auf den Diskurs der philologischen Wissenschaften daher fraglich, ob im Falle seiner Wirkung auf das späte Ottocento wirklich von einem Beitrag der Philologie zu Rassedenken und Rassismus gesprochen werden kann. Eher scheint es sich um eine anachronistische und einseitige Vereinnahmung niemals gänzlich in der Philologie anerkannter Narrative durch eine naturwissenschaftliche Anthropologie zu handeln. Denn der Mythos von der ‚alten italischen Weisheit‘ war bereits lange aus dem philologischen Wissen exkludiert und daher erkenntnistheore257 258

Vgl. Sergi 1898 u. 1900 sowie Ders. 1901 u. 1919. Vgl. De Donno 2006: 397.

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tisch disqualifiziert, ehe er von den ethnologischen Rassentheoretikern wiederbelebt wurde.

3. Arier und Semiten: Ein philologischer Rassendiskurs in Italien Im Gegensatz zu rassenlogischen Thesen italienischer Historiker, die unter Einbeziehung philologischer Argumente aus der Naturgeschichte übernommen wurden, und anders als die zahlreichen Genealogien der ‚mediterranitalienischen‘ Rasseerzählungen über Pelasger, Etrusker und Kelten, fanden ab der Mitte des 19. Jahrhunderts essenzialisierende Argumentationszusammenhänge in den philologischen Diskurs, die aufgrund epistemischer Dynamiken dem philologischen Wissen selbst entsprangen. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch eine erste Rezeption von Max Müllers Lectures on the science of language in Italien.259 Das Interesse an jenem Werk wurde gefördert durch eine positive Rezension, die der angesehene Professor für altgriechische Sprache und Literatur an der Universität Pisa, Domenico Comparetti, darüber verfasst hatte.260 Zudem war die 1864 erschienene Übersetzung von Müllers Lectures ins Italienische durch den Historiker und Rechtsgelehrten Gherardo Nerucci, Lehrer am Gymnasium von Pistoia, mitverantwortlich dafür, dass der Philologie in Italien eine veränderte epistemologische Funktion zukam. Aus dieser intensiven Müller-Rezeption entspann sich eine wissenschaftliche Debatte, welche von Giovanni Landucci und Sebastiano Timpanaro bereits ausführlich darsgestellt wurde.261 Die von Max Müller selbst angestoßene Diskus259

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261

Vgl. Müller 1861 u. Nerucci 1864. Nerucci forderte bereits vor seiner Übersetzung von Max Müllers Lectures ganz im Sinne seiner Tätigkeit als Pädagoge eine Modernisierung der Philologie sowie eine pädagogische Verbreitung der linguistica als einer neuen Naturwissenschaft. Diese müsse sich gegenüber einer zu anthropozentrischen Sprachphilosophie, vertreten von einigen christlichen Dogmatikern, und einer Philologie positionieren, welche noch im sprachlichen bzw. zeichentheoretischen Konventionalismus der Aufklärer und ihres menschlichen Opportunismus und Egoismus befangen sei, während doch die neue Sprachwissenschaft Aufschluss über die ursprünglich organische, aber gleichzeitig soziale Natur des Menschen Aufschluss geben könnte, ohne in Aberglauben und Pessimismus zu verfallen. Vgl. Nerucci 1862, Landucci 1977: 56-57. In seiner positiven Müller-Rezension folgte Comparetti nicht dessen Auffassung der Philologie als „scienza fisica“, kritisierte jedoch auch die radikalen Gegner von Müllers Philologie, die immer noch die biblische Ursprungserzählung als Argument gegen die anthropologischen Überlegungen des deutsch-englischen Sprachwissenschaftlers und Mythenforschers anführten. Vgl. Comparetti 1862. Diese Debatte um die Anthropologisierung der Philologie entwickelte sich aus den Spekulationen um eine sprachliche Mono- und Polygenese der Menschheit. Sie nährte in der Folge einen Disput zwischen dem ‚Altphilologen‘ Domenico Comparetti, dem positivistischen Mo-

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sion um die Naturwissenschaftlichkeit der linguistica verbesserte nämlich einerseits den Status philologischer Methoden und Erkenntnisse als bloßen Hilfsmitteln der Historiographie und verhalf ihr andererseits zum Prädikat einer anthropologischen Disziplin. Auf diesen naturwissenschaftlichen Positivismus im Umgang mit sprachlichen und textlichen Gegenständen und den epistemischen Paradoxien, welche sich daraus für eine sich immer mehr disziplinär ausdifferenzierte Philologie ergaben, muss noch näher eingegangen werden.262 Vorerst sei nur auf die Bedeutung dieser ‚Anthropologisierung der Philologie‘ und ‚Philologisierung der Geschichtsschreibung‘ für die vermehrte Rezeption einer arischen Ursprungserzählung in Italien hingewiesen, wie sie aus der Debatte um ein säkulares Geschichtsverständnis entsprang. Dieses schöpfte einen guten Teil seiner Überzeugungskraft aus dem Vertrauen in universelle mechanische Gesetze der Natur bei der Suche nach den Ursprüngen des Menschen als zentrale Erkenntnismöglichkeit aller Wissenschaften. Ein Denken, wie es 1878 in den Confessioni d‘un scettico des Veronesers Gaetano Trezza, Professor für lateinische Literatur an der Universität Florenz, zum Ausdruck kam: Se la vita è una, perché le leggi che governano il nostro mondo dovrebbero cangiarsi in un altro? Se lo spettroscopio ci manifesta l’unità fisica e chimica dei corpi celesti fino ai quali si distende, perché non si potrà dedurne l’identità delle leggi meccaniche anche là dov’oggi non è arrivato ma dove arriverà senza dubbio domani? Voi m’arrestate ai fatti conosciuti e certi dichiarando impossibile un di là da essi; ma come non v’accorgete che quel di là s’accorgia ad ogni nuova scoperta scientifica, e che quelle specie stabili che accettate come un gran fatto ignoto alla ragione incominciano a dissiparsi, rivelandosi un mondo nuovo ed immenso? Oh! Sono le origini appunto che ci è d’uopo d’interrogare; altrimenti, che sappiamo sulle cose? Sono le origini che ci aprono i loro segreti, e le più grandi conquiste scientifiche sono appunto conquiste d’origini.263

Diese optimistische Suche nach den Ursprüngen der Italiener war in Italien natürlich nicht erst seit den 60er und 70er Jahren des Ottocento ein Thema, wie die Diskussionen um den pythagoreischen Mythos zeigten. Und auch das nunmehr wichtig werdende ‚alte Indien‘ wurde nicht erst mit der Rezeption von Max Müllers Schriften zur genealogischen und kulturellen Wiege der Italiener stilisiert. Ein gehäuftes Auftreten von Aussagen, welches die Ursprünge und Verwandtschaftsbeziehungen der Italiener neben sprachtypologischen Vergleichen anhand einer Anthropologie der Mythen und der Literatur auf ei-

262

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dernisierer der Philologie Gherardo Nerucci und dem moderaten Katholiken, philologischen Laien und Anhänger einer selbstkritischen Wissenschaft Raffaello Lambruschini im Kontext der Veröffentlichung von Max Müllers Lectures. Vgl. Landucci 1977: 51-78, Timpanaro 1979: 406-419. Die Aufwertung der Philologie gegenüber der Philosophie und der Geschichtswissenschaft, als auch deren naturwissenschaftliche Neuausrichtung, wie sie dem positivistischen Enthusiasmus der zweiten Hälfte des Ottocento entsprang, betrafen auch das Wissen von den lettere und sollten die Frage nach einer scienza delle lettere entscheidend prägen. Trezza 1878b: 107-108, vgl. zu diesem Zitat auch Dionisotti 1998: 349-350.

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ne arische Abstammung festzulegen versuchte, lässt sich jedoch verstärkt ab den 60er Jahren des Ottoceno nachweisen. Neruccis Müller-Übersetzung entfachte in Florenz, jener Interimshauptstadt des jungen Italien, eine rege Kontroverse. Diese drehte sich nicht nur um den Status der linguistica als scienza, sondern auch um die Aussagekraft dieser positivistischen Philologie in der Frage nach einer sprachlichen und humangeschichtlichen Polygenese sowie nach der kognitiven Verschiedenheit der Menschheit, an welcher Vertreter einer am katholischen Dogma orientierten Philologie zweifelten.264 Giovanni Landucci hob dabei als Zeichen der Komplexität dieses Diskurses hervor, dass es nicht nur radikal-katholische Kreise waren, welche die Gefahr einer Wissenschaft sahen, die sich ihrer Auswirkungen auf das menschliche Zusammenleben möglicherweise nicht mehr bewusst sein könnte. Der Angst der Liberalen vor einer mittelalterlichen Tyrannis des katholischen Dogmas im jungen Nationalstaat, gerade in Anbetracht einer politisch unnachgiebigen Kirche, entsprach auf anderer Seite die Skepsis gegenüber einer moralisch enthemmten und wiederum dogmatischen Wissenschaft der materiellen Positivitäten. Neben Gherardo Nerucci kam in dieser Debatte dem katholischen Reformer, Pädagogen und philologischen Laien Raffaello Lambruschini eine Schlüsselrolle zu.265 Im Streit um die anthropologische Aussagekraft einer modernen linguistica trat letzterer als ein besorgter Vertreter der christlichen Werteordnung, aber auch vorsichtiger Mahner vor essenzialisierendem Denken auf, wie es aus einer sprachlich-anthropologischen Polygenese abgeleitet und für Hierarchisierungen aller Art instrumentalisiert werden konnte. Landucci erfasste die keinesfalls radikalen Positionen Neruccis und Lambruschinis in ihren tieferen, gesellschaftspolitischen Beweggründen: Questa polemica sul quindicinale fiorentino non fu importante dal punto di vista scientifico, ma dimostrò anche il desiderio di aggiornamento che si diffondeva 264 265

Vgl. Landucci 1977: 65. Carlo Dionisotti betonte im Zusammenhang mit Lambruschinis Rolle innerhalb der Debatte um die questione della lingua einerseits dessen Widerstand gegen die anthropologischen Ansprüche der linguistica und ihren säkularisierenden Genealogien und andererseits seine geringen Kenntnisse über die genauen wissenschaftlichen Hintergründe einer vergleichenden Sprachwissenschaft, welche er vor allem über eine Lektüre der Werke Ernest Renans kennenlernte. Lambruschini vertrat in der Frage der Sprachursprungshypothese eine monogenetische Position, welche er jedoch in der questione della lingua über die Ursprünge der italienischen Dialekte in ein pragmatisches und theologisches Urteil umwandelte. Das Italienische, „nostra bella lingua“ – wie auch immer dieses aussah – wollte er nicht aus einer von Sprachgelehrten künstlich geschaffenen barbarischen Zivilisation, sondern aus einer Natur als „figliola di Dio“ abgeleitet wissen, die letzten Endes nicht zu ergründen sei. Wie Dionisotti betonte, erlaubte er sich diese Ignoranz gegenüber den methodischen Neuerungen der vergleichenden Philologie aufgrund einiger antidogmatischer Schlüsse ‚säkularer‘ Philologen wie Renan, die er ungeachtet der wissenschaftlichen Stichhaltigkeit einiger sprachgenealogischer Überlegungen mit theologischer Eloquenz angriff. So lenkte Lambruschini den Fokus von der Frage nach den Ursprüngen der Sprache zu deren Perfektionierung im Sinne einer toskanischen Normsprache, welche ihre Legitimation in Gott und einer lebendigen Verwendung im Alltag finden solle. Vgl. Dionisotti 1998: 311-312.

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tra gli studiosi più giovani. Anche qui infatti, due generazioni sono di fronte. Non si può accusare Lambruschini di ottusità e di clericalismo; neppure è credibile che egli sia intervenuto per difendere il patrimonio cattolico dai pericoli derivanti dalle nuove idee in fatto di linguistica. Da questo punto di vista, egli era al di là di ogni sospetto. Nerucci, da parte sua, non aveva alcuna intenzione di attentare alla integrità della tradizione cristiana. Eppure da quelle pagine emergono due diverse concezioni della scienza, della cultura e della società. L’una fondata su un complesso di valori che dia stabilità all’ordine e alla pubblica moralità, che rispecchi la tradizione e sia una garanzia per il momento presente, momento di crisi per le stesse istituzioni. [...] L’altra fondata sul diritto della scienza e del metodo positivo, vagamente ispirato a Vico, che tiene conto dei fatti e delle dimostrazioni, ma che trascura sia l’ambizione totalizzante sia i pregiudizi del passato.266

Dennoch konnte diese in vielen Punkten selbstkritische und weitsichtige Auseinandersetzung mit ‚antihumanistischen‘ Auswirkungen eines säkularen Positivismus der Wissenschaften das verstärkte Auftreten und die vielfache Akzeptanz eines Paradigmas indoeuropäischer und schließlich arischer Überlegenheit, das auf einer polygenetischen Auffassung der Menschheit beruhte, innerhalb der italienischen Philologie der 60er und 70er Jahre nicht verhindern. Die ‚arische Thematik‘ etablierte sich somit nicht erst im Zuge der Anfänge italienischer Kolonialambitionen, der Verbreitung einer naturgeschichtlichen Anthropologie sowie der Entstehung einer epistemologisch legitimierten und schließlich institutionalisierten Indienphilologie. Sie sickerte mehr oder weniger wirkmächtig über die Schriften Bernardino Biondellis, Geatano Trezzas und seines Schülers Napoleone Caix sowie im Kontext eines hegelianischen ‚Geschichtsdarwinismus‘ bei Giacomo Lignana in die philologischen Diskurse der italienischen Wissenschaftslandschaft, wo sie sowohl die etablierte Sprach- als auch die entstehende Literaturwissenschaft affizieren sollte.267 Es soll im Folgenden nach den epistemischen und historischen Dynamiken gefragt werden, aufgrund derer diese zivilisatorische und auch ethnographische Ursprungserzählung der Philologie während ihrer Hochphase, den 60er und 70er Jahren des Ottocento, mit hierarchisierenden Tendenzen oder gar ei266 267

Landucci 1977: 55-56. Vgl. Biondelli 1841, 1845; Trezza 1870, 1878; Caix 1872. Auch während dieser Zeit aufkommender rassenlogischer Verklärungen der Italiener als Indoeuropäer und Arier in der Philologie war es allerdings schwer, an jener linguistischen Heterogenität Italiens vorbei zu argumentieren, wie sie Ascoli später in einer Stratum-Theorie historischer Bewegung entwickeln sollte. Die etruskischen, oskischen, keltischen und andere Substrate der Dialekte, germanische Superstrate, galloromanische, albanische und arabische Adstrateinflüsse in Antike und Mittelalter, später der Einfluss des Französischen waren nicht zu ignorieren. So schrieb Napoleone Caix, Professor für dialettologia am Istituto di Studii Superiori in Florenz, zur Notwendigkeit einer differenzierenden Dialektforschung: „I raffronti generali devono precedere, ma come scala ai parziali. Da ciò che la lingua italiana co’suoi dialetti forma parte della famiglia ariana, non viene lo che io possa, per ogni etimologia che si cerca, percorrere l’immenso dominio abbracciati dagli Ariani. Una voce ariana prima di divenire italiana fu latina o celtica, o germanica, o greca […].“ Caix 1872: XVIII.

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nem Postulat essenzieller kognitiver Diversifizierbarkeit der Menschheit anhand sprachlicher und textlicher Kriterien verbunden wurde. Dieser Vorgang lässt sich in den wissenschaftlichen Arbeiten italienischer Philologen ebenso beobachten, wie dies in Deutschland bei den Philologen Lassen und Schleicher sowie in Frankreich bei Gobineau und auch Renan der Fall war. Und dennoch gab es im soziokulturellen und historischen Kontext der Halbinsel einige Unterschiede in der Begründung des arischen Mythos. Ein Beitrag der italienischen Philologie zu den rassenlogischen und rassistischen Argumentationszusammenhängen dieses wirkmächtigen Paradigmas steht allerdings auch für die Geschichtsforschung außer Zweifel. Der Historiker Brunello Mantelli mahnt daher auch dringend eine stärkere Auseinandersetzung mit der Rolle der Geisteswissenschaften bei der Etablierung des Mythos im Diskurs an: Neben dem Rassismus der Naturwissenschaftler und dem Imperialismus der Nationalisten, der eine rassische Hierarchie behauptete, sind ferner diejenigen Geisteswissenschaftler hier zu berücksichtigen, die auch in Italien den ‚Mythos des Ariertums‘ etablierten. In dieser Hinsicht spielen vor allem diejenigen Disziplinen wie beispielsweise die Sprachwissenschaft eine Rolle, denen der Positivismus den Status der ‚exakten Wissenschaften‘ verschafft hatte.268

Das Rassedenken und der Antisemitismus, die in vielen Fällen jene ‚asiatische Aristokratisierung‘ einiger ‚auserwählter‘ europäischer Völker begleiteten, wurden dabei von italienischen Philologen billigend in Kauf genommen oder gar affirmativ hervorgehoben, ohne jedoch einen Selbstzweck oder gar den Hauptgrund für die kämpferische Verteidigung jenes ‚Ariertums‘ als wissenschaftlicher Errungenschaft darzustellen. Ohne diese Entwicklung entschuldigen oder gar beschönigen zu wollen, stellte Mauro Raspanti wichtige historische Ursachen für die Akzeptanz und diskursive Vereinnahmung jenes in Deutschland und Frankreich verbreiteten Paradigmas in Italien dar. Diese Gründe differenzieren eine vereinfachende historische Lektüre, welche das 19. auf direktem Weg mit dem 20. Jahrhundert verbindet. Das philologisch fundierte italienische ‚Ariertum‘ fungierte zweifellos als rassenlogisches und identitätsstiftendes Moment zivilisatorischer Überlegenheit der italienischen Bevölkerung. Daneben konnte der arische Mythos jedoch gleichermaßen zur Säkularisierung der politischen wie der wissenschaftlichen Diskurse beitragen, indem er nicht mehr – wie Giobertis Pelasger – eine italienische Nation und ‚Rasse‘ unter Berufung auf irgendein moralisches Privileg als Hüter des katholischen Glaubens in die Pflicht nahm. In einer neuen, auf europäischer Ebene epistemologisch und terminologisch legitimierten Gegenerzählung der arischen Ursprünge ordnete ein fortschrittsorientierter und antiklerikaler Liberalismus Italien in das Konzert moderner europäischer Nationen ein. Gleichzeitig positionierte er seine Anhänger im Diskurs gegenüber der Allmacht eines gesellschaftlich immer noch in weiten 268

Mantelli 2005: 218-219.

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Teilen akzeptierten Offenbarungswissens der christlich-universellen Heilsgeschichte, das von der liberalen Elite politisch wie epistemisch mit päpstlicher Herrschaft, Rückschritt und Aberglaube gleichgesetzt wurde: Non si capisce la forza d’attrazione dell’‚arianesimo‘ ottocentesco su larghi settori del pensiero laico e anticlericale, se si trascura il fatto che essa è dovuta anche alla carica liberatoria che il tema ariano sviluppava nei confronti della chiesa cattolica. La passione di un sapere originario, la seduzione del simbolismo solare, una visione del mondo naturalistica, svincolata dai precetti oppressivi della religione cattolica, la lotta antiascetica contra la morale dominante, tutta questa costellazione rimandava a un atteggiamento di una facile lettura per coloro chi hanno consapevolezza dei tragici esiti novecenteschi delle teorie dell’‚arianità‘. [...] Questo ‚sapere‘ legittimava la critica al sistema ideologico fondato sulla tradizione giudaico-cristiana che storicamente veniva identificata nella chiesa cattolica.269

Insbesondere das wissenschaftsfreundliche Klima im Florenz der zweiten Jahrhunderthälfte sollte den Diskurs um das arische Paradigma prägen und mit den Philologen Angelo De Gubernatis und Gaetano Trezza zwei von dessen Hauptvertretern hervorbringen. Sie machten in den 60er und 70er Jahren jenes europaweit grassierende Theorem einer arisch-semitischen Opposition in Italien bekannt. Dieses arisch-semitische Paradigma trat seit dem späten 18. Jahrhundert verstärkt im wissenschaftlichen Diskurs auf. Es lässt sich in seinen ‚hebräophilen‘ Ursprüngen bei Herder, bis zu seiner unterschiedlichen Ausarbeitung und Gewichtung bei zahlreichen Philologen, Religionswissenschaftlern und Historikern des 19. Jahrhunderts wie Max Müller, Ernest Renan, Adolphe Pictet und Ignaz Isaak Goldziher nachweisen.270 Eine historische Entwicklung, die Maurice Olender bereits in seiner vielrezipierten Schrift Les langues du Paradis. Aryens et sémites : un couple providentiel271 dargestellt hat. In diesem europäischen Kontext bestand eine Besonderheit der ‚italienischen‘ Ausgestaltung dieses Paradigmas darin, dass es sich trotz der oben erwähnten Debatte um Müllers Lectures bei der Beurteilung einer geschichtlichen Rolle indoeuropäischer Sprachen und Mythen im Vergleich mit ihren semitischen ‚Antagonisten‘ nur in Teilen auf die universalisierende Philologie des deutsch-englischen Gelehrten stützen konnte. Dies hatte einen Hauptgrund darin, dass Müllers wissenschaftliche Prämissen eine stark theologisierende 269 270

271

Raspanti 1999: 80. So betonte bereits Herder die ursprünglich rein konkrete Natur der „morgenländischen Sprachen“ (Herder 1772: 122). Gleichzeitig sei den Sprachen unzivilisierter Völker oder aber den nunmehr zivilisierten Völkern in ihrem primitiven Zustand ein Hang zu Animismus und Pantheismus eigen (Vgl. ebd.: 83). Erst das Hebräische sollte die Errungenschaft des Monotheismus mit sich bringen. Herder sah daher die Rolle der semitischen Sprachen in der zivilisatorischen Entwicklung der Menschheit durchaus positiv. Vgl. zu Herders Beurteilung der hebräischen Sprache Herder 1782: 663-665 u. 666 ff. sowie Messling 2008: 244. Zu Kulturtheorie und Humanitätsidee bei Herder vgl. Löchte 2005, insb. 48 ff. Vgl. Olender 1989.

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Tendenz aufwiesen und der Religion als universellem Anthropologikum eine besondere Rolle zuschrieben. Eine epistemische Grundierung der müllerschen Philologie, die Maurice Olender als „science stratégique“272 beschrieb und sich stark gegen Müllers großen Antagonisten Charles Darwin richtete: Qui lit les discours de Max Müller se trouve face aux choix intellectuels de celui-ci. Entre science du langage et religion des origines, ses présupposés théologiques déterminent sa démarche. Ainsi, lorsqu’il débat avec Charles Darwin (1809-1882) ou quand il donna à ses nombreux lecteurs les raisons qui le poussent à classer la nouvelle philologie parmi les sciences de la nature. Ou encore, quand il évoque les sources et les motivations chrétiennes du comparatisme. Cette méthode, il souhaite la promouvoir ou sein de la toute jeune science des religions qui peut, à l’occasion, prendre des allures militantes. […] En effet, pour lui, le développement du langage est rigoureusement articulé aux manifestations de ‚l’idée intuitive de Dieu‘.273

Müller, der „gute Schüler des Augustinus“ („bon disciple de saint Augustin“)274 machte die Gottesidee jenseits ihrer unterschiedlichen Ausprägungen zum Bindeglied und Ziel aller Menschen. Sie verband philologisch sowohl die semitischen als auch die indoeuropäischen Sprachen durch deren Funktion als Träger und reflektierende Instanzen einer instinkthaften Idee, die Grundlage der Religionen ist. Hier unterschied sich Müllers diskursive Gestaltung des Paradigmas im Kern von dessen Konzeption bei anderen Gelehrten, und eben auch von derjenigen des französischen Semitisten Ernest Renan. Dessen ‚Polytheisierung‘ des Christentums durch die Unterstellung arischer Einflüsse als relativierenden Elementen eines ‚monolithisch-fanatischen‘ Gottesglaubens semitischen Ursprungs, stand in Max Müllers Konzeption nicht mehr ein semitischer, sondern universeller monotheistischer Instinkt gegenüber, der sich in der christlichen Anthropologie aus einer geoffenbarten Natur sowie der Kreatürlichkeit des Menschen selbst ergeben habe: Renan ‚polythéise‘ le christianisme en l’aryanisant, Pictet, nous le verrons, ‚monothéise‘ les Aryens pour en faire de meilleurs chrétiens, et Max Müller, opposé à la théorie de ‚l’instinct monothéiste‘ des Sémites, voit surgir un monothéisme universel lorsque Dieu se révèle aux hommes lors de la Création biblique.275

Müllers diskursive Bestärkung der universellen Heilsgeschichte konnte den liberalen und säkularen Philologen im Florenz der 60er Jahre des Ottocento nicht entgegenkommen. Sie waren schließlich auf der Suche nach einer Wissenschaft, welche die Sprachen und Mythen indoeuropäischer Identität gegen eine Vereinnahmung durch christlich-dogmatische Lehrsätze immunisieren sollte, nachdem durch einen semitischen Antagonismus eine anthropologische Distanz zur Totalität des katholischen Dogmas geschaffen werden konnte. Ein 272 273 274 275

Vgl. ebd.: 167-175. Ebd.: 167. Ebd.: 175. Ebd.: 166.

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epistemologisch-ideologisches Dilemma, das sich bereits früh zeigte. Der moderate Philologe Domenico Comparetti konnte nur aufgrund des müllerschen ‚Theismus‘ in seiner Rezension der Lectures die katholischen Kritiker Max Müllers der kleingeistigen Beschränktheit und einer intellektuellen Paranoia bezichtigen, da letztere die müllersche Philologie als Bedrohung der gesellschaftlichen Ordnung zu Unrecht fürchten würden.276 Jedoch war er in seiner Gegnerschaft eher milde gestimmt. Indem Comparetti einerseits die Verortung der linguistica im Bereich der Naturwissenschaften kritisierte und zugleich auf den wissenschaftlichen Nutzen ihrer Erkenntnisse hinwies, hierbei sogar biblische Metaphorik verwandte277, präsentierte er Müllers Wissenschaftsverständnis versöhnlich und plädierte für einen Kompromiss von Wissenschaft und Religion. Die Furcht konservativer Denker vor einer durch neue Methoden und Forschungsgegenstände ermächtigten Philologie sei unbegründet und dennoch verstand Comparetti ihr Bangen um die vorherrschende Gesellschaftsordnung.278 Religion und Wissenschaft seien gleichermaßen essenziell für das Funktionieren einer Gesellschaft und bedrohten sich – jedenfalls im Falle der Lectures – keinesfalls gegenseitig: Generalmente i loro timori son dettati dai più sacri e nobili sentimenti che l’uomo possa avere. Temono per la religione e la morale, e non veggono che religione e la morale stanno, non meno della scienza, come elementi viventi e vitali anche nella odierna società, che esse sono in questa ordinati col tutto, come il tutto lo è con esse, e che non può darsi che in un corpo così mirabilmente organizzato, due parti così essenziali quali sono scienza e religione siano così incompatibili l’una coll’altra da non potersene tollerare la contemporanea esistenza senza che il tutto vada pericolando.279

Ein weiteres Argument, das von katholischer Seite stets gegen die Intention der vergleichenden Philologie vorgebracht wurde, bestand im Vorwurf einer Spaltung der doch gleich geschaffenen Menschheit. Auch hier versuchte Comparetti, Müller in Schutz zu nehmen, indem er eben jenen oben erwähnten demokratisierenden und von Olender als theologisch bezeichneten Impuls er276 277

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Vgl. Comparetti 1862. In einer wohl eher augenzwinkernd zu verstehenden Metaphorik stellte Comparetti Max Müllers Lectures als eine weitere Etappe des menschlichen Fortschritts dar. Einen Weg, den der Mensch doch seit seines verbotenen Naschens vom Baum der Erkenntnis einzuschlagen bestimmt gewesen sei und der doch auch so viel Gutes mit sich gebracht habe: „Ora, pretender che l’uomo rinunzi ad essa non è una pretensione puerile? Ripeto: egli ha gustato di quel frutto, e se era vietato può esser che ne sia punito, ma niuno potrà fare ch’egli ne dimentichi il sapore. Se veramente in ciò fosse del male, certo questo male sarebbe irreparabile. Per questa via è nata e cresciuta la scienza ed essa tanto strettamente a quella va unita, che noi non possiamo più in buona logica chiamar scienza quanto per quella via non si ottiene. Il libro del professore Max Müller, eminentemente scientifico, ne deriva immediatamente.“ Comparetti 1862: 1774-1775. Raffaello Lambruschini wurde von Comparetti nicht namentlich erwähnt, jedoch durch einen Hinweis auf seinen Müller-kritischen Artikel in der Zeitschrift La Gioventù als einer der angesprochenen Kritiker für den Leser kenntlich gemacht. Vgl. Comparetti 1862: 1774. Ebd.: 1775.

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wähnte, der sich in Müllers philologischer Anthropologie zeige. Eine sprachliche Genealogie, welche die Menschheit anhand philologischer Kriterien zu differenzieren sucht, ist für Comparetti kein stichhaltiges Argument konservativer Kräfte gegen Müller. Dessen anthropologische Spekulationen werden von Comparetti eher in dezidierter Opposition gegen sprachgenealogisches Rassedenken in Stellung gebracht, wie es von Argumenten zugunsten einer vermeintlichen Korruption der Sprachen und Dialekte sowie der Unvereinbarkeit der Sprachfamilien in der Philologie gestützt würde. Dieses Denken kritisierte Comparetti anhand der zu jener Zeit eben erschienenen Abhandlung Les langues et les races des belgischen Semitisten und Anthropologen Honoré Chavée.280 Gegen die Vereinnahmungen Max Müllers im Sinne rassistischer Diskurse schrieb er: Costituisce uno dei più bei pregi di quest’opera [die Lectures, ML], visto lo scopo a cui è diretta, il rilevare e rettificare che l’autore fa sempre, quando l’occasione gli si presenti, ben molti errori volgari nei quali spesso si veggon cadere molte persone anche assai colte. Spesso si sente dire che i dialetti nascono dalla corruzione di una lingua, che il greco, il latino, ecc., derivano dal sanscrito, che il tedesco e le lingue germaniche in genere derivano dal gotico ed altri simili falsi enunciati, che in parte son dovuti ad un sedimento di vecchie idee tuttora esistenti, in parte a malintese dottrine scientifiche. L’allontanamento di questi errori che pur troppo imbrattano spesso anche qualche libro, sarà un vero beneficio dovuto a queste letture. Il signor Chavée ultimamente pretendeva dimostrare che le lingue ariane e le semitiche non sono riducibili ad una origine comune, e da ciò pretendeva dedurre un argomento contro la comune origine del genere umano. Se egli si fosse informato meglio, avrebbe saputo che la comune origine di quelle famiglie di lingue non è in un certo senso quel grande assurdo che ei crede, ed in ogni caso avrebbe saputo che da qualche tempo i dotti si sono accorti che il problema della comune origine delle lingue non si connette necessariamente con quello della comune origine del genere umano.281

Anhand von Comparettis Rezension der Lectures wird ersichtlich, dass sich im Diskurs die anthropologische Ausarbeitung eines von der klassischen Geschichtswissenschaft emanzipierten philologischen Wissens allein ausgehend von Max Müllers zur Verfügung gestellter Anthropologie keinesfalls als Argument gegen eine christlich-dogmatische Wissenschaftstradition und viel280

281

Die anthropologische Polygenese des Menschen wird auch von Chavée ausdrücklich im Sinne des philologischen Wissens als „linguistique appliquée à l’ethnographie“ betont, wenn er den „génie ariaque [sic] et le génie sémitique“ als „spontanément créé des étoffes lexiques diverses“ entstanden ansieht und diese beiden „races créatrices“ als „diamétralement opposés à ceux de l’autre race“ in den Zusammenhang der arisch-semitischen Dialektik stellt, wie er letztere wissenschaftlich, d.h. anhand der „histoire naturelle du langage“ als „pluralité originelles des races humaines“ nachzuweisen suchte. Vgl. Chavée 1862: 59-60. Comparetti 1862: 1773-1774. Bei jenen ‚dotti‘, welche die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen sprachgeschichtlicher und ethnischer Genese hervorhoben, hatte Comparetti unter anderen Vertretern dieser Theorie in erster Linie wohl Carlo Cattaneo im Sinn, dessen sprachgeschichtliche Überlegungen seit den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts zahlreiche italienische Gelehrte beeinflusste. Dazu ausführlich Kap. II. 4. der vorliegenden Studie.

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mehr im Sinne einer Versöhnung mit dem universellen Wahrheitsanspruch der christlichen Offenbarung instrumentalisieren ließ. In Müllers philologischem Kosmos gießt der Mensch seine abstrakten Ideen begünstigt oder abgelenkt durch seine divergenten sprachlichen Möglichkeiten in mythologische Gestalten. Die zentrale Position einer natürlichen Religiosität als Axiom in Müllers Werk, eine Betonung des Monotheismus und der Superiorität des Christentums waren eher Argumente für, als gegen eine Kontinuität christlicher Epistemologie. Max Müllers Schriften konnten für antiklerikale Liberale daher nicht die einzigen und schon gar nicht die zentralen Referenzpunkte und Argumente für die Säkularisierung der Philologie in ihrer Distanzierung vom Gott der Bibel als erster Ursache der Sprachen und Mythen liefern. Zumal, wenn doch bereits deren erster italienischer Rezensent im illustren Namen des Professors aus Oxford für eine Versöhnung mit den Gegnern einer naturwissenschaftlich-materialistischen und antimetaphysischen Art der Philologie als Sprachwissenschaft und Mythenforschung plädierte. Doch auch ein anderer Vertreter des arischen Paradigmas wurde für eine rassenlogische Ausarbeitung dieser Ursprungserzählung nur selten bemüht. Dass der bereits erwähnte Arthur de Gobineau in Italien keinen Anklang fand, lag zu einem großen Teil an der besonderen Ausgestaltung jenes Paradigmas in seinem Werk.282 Im Gegensatz zu anderen europäischen Kontexten musste nämlich Gobineaus nordeuropäisch konnotiertes ‚Ariertum‘ in seiner Funktion als ethnisches Fundament nationalistischer Bestrebungen für Italien in seiner Tauglichkeit hinterfragt werden. Gobineaus Rassentheorie war für ein stolzes und rassenlogisch konstruiertes ‚Italienertum‘ schlicht wenig schmeichelhaft. Der nordfranzösische Adelige erklärte die Größe Roms mit dem Einfluss der arischen Hellenen, welchen die negative Wirkung der in Italien immer schon stark vorherrschenden Einflüsse eines als rassische Einheit verstandenen lateinisch-semitischen Blutes ,neutralisiert‘ habe, da weder die verstreut lebende autochthone Bevölkerung noch die nomadischen Semiten zur Entfaltung politisch konzentrierter Macht in der Lage gewesen seien. Ein Vorgang, der sich nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches und der Eroberung Siziliens durch die Araber zugunsten aus Afrika einströmenden semitischen Blutes in negativer Weise umkehren sollte. Diese wiederholte ‚Semitisierung‘ der italienischen Halbinsel habe zum zivilisatorischen Niedergang Italiens beigetragen.283 Das arische Paradigma bedeutete für die italienischen Leser in Gobi282

283

Zu den Unterschieden in der Ausgestaltung rassenlogischer Paradigmen im Frankreich des 19. Jahrhunderts, wie sie von Renan und Gobineau entwickelt wurden vgl. Todorov 1994: 106-114, 144 sowie Messling 2012f. Den ‚Kampf des Blutes‘, der in Italien stattgefunden habe und immer noch stattfinde beschreibt Gobineau folgendermaßen: „Depuis la conquête de la Sicile jusque assez avant dans les temps chrétiens, l’Italie n’a pas cessé de recevoir de nombreux, d’innombrables apports de l’élément sémitique, de telle façon que le sud entier fut hellénisé et que le courant des races asiatiques remontant vers le nord ne s’arrêta que devant les invasions germaniques. […] Ainsi ce ne fut que lorsque le sang hellénistique domina les anciens alliages dans les veines des Latins, que de la plèbe la plus vile, ou de la bourgeoisie la plus humble, exposées surtout à

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neaus Variante also zugleich die Spaltung der Bevölkerung der Halbinsel über den Blutsbegriff, der eine arisch-semitische Konkurrenz auf das mühsam errungene Staatsgebiet und in die italienische Bevölkerung selbst verlegte. Einen rassisch ‚degenerierten‘, semitischen Süden und ein ‚semitisches Plebejertum‘, das auch das Kleinbürgertum umfasste, dem aristokratischen und ‚reineren‘ germanischen Norditalien gegenüberzustellen, behinderte – zumindest im politischen Kontext des frühen italienischen Nationalstaats – den Aufbau einer italienischen Identität innerhalb der Bevölkerung durch ein selbstbewusstes moderates Bürgertum. Zumindest wirkten solche Aussagen auf der südeuropäischen Halbinsel gänzlich anders, als dies in Gobineaus gesellschaftskritischem Diskurs zur Aufrechterhaltung der Privilegien des nordfranzösischen Adels oder aber in Deutschland als erstem philologischem Zentrum eines nationalistisch ausdeutbaren ‚Indoeuropäertums‘ im 19. Jahrhundert der Fall war.284 Dies lag auch am ‚Anschlag‘ des Franzosen auf einen der wohl wichtigsten historischen Referenzräume der Italianità, der vom Verfechter einer nordischen Aristokratie einfach in eine arisch-germanische Zivilisationserzählung integriert wurde. Denn die zentrale Epoche eines neuzeitlichen italienischen Selbstbewusstseins, das sich gegenüber einer nordeuropäisch gotischen ‚Barbarisierung‘ behaupten musste, deren historische Fatalität für die Italiener spätestens im Sacco di Roma offensichtlich wurde, stilisierte Gobineau zur Fremdleistung und etikettierte die italienische Renaissance in ein ‚germanisches Zeitalter‘ um. Die kulturelle Blüte der süd-, mittel- und oberitalienischen Städte im 15. Jahrhundert, ihre Kunst und Literatur, waren in Gobineaus Geschichtskonzept mit der Befriedung der italienischen Halbinsel durch den ‚Sieg‘ des germanischen Blutes über weite Teile der Bevölkerung und der damit einhergehenden Aufgabe politischer Aktivitäten zugunsten kultureller Techniken erklärt: Lorsque le sang germanique eut presque achevé, au XVe siècle, de se subdiviser dans les masses de la haute Italie, la contrée entra dans une phase analogue à celle que traversa la Grèce méridionale après les guerres persiques. Elle échangea sa vitalité politique contre un grand développement d’aptitudes artistiques et littéraires.285

Diese Germanisierung des italienischen Rinascimento musste einem patriotischen Italiener der liberalen Elite – zumindest im frühen und mittleren Ottocento – einer zynischen Unverschämtheit gleichkommen. Das Aufblühen der Orientstudien in Italien und die „Indomanie der Romantiker“286 wurden daher größtenteils unter Vernachlässigung von Gobineaus Rassentheorien für die

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l’action des apports sémitisés, sortirent les plus beaux génies qui ont fait la gloire de Rome.“ Gobineau 1884 [1853-1855], Bd. II: 249-250. Zur umstrittenen Theorie einer zweiten indisch-germanischen ‚Renaissance‘ vgl. Schwab 1984. Gobineau 1884, Bd. II: 474. Haym 1856: 582.

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Konstruktion einer italienischen Identität auf Grundlage des arischen Paradigmas fruchtbar gemacht. Diese Rassenlogik konnte jedoch allein aus Gründen eines italienischen Selbstbewusstseins nicht einfach auf bestimmte Regionen und Völker Italiens übertragen werden. Zumindest, wenn man nicht aus anderen Interessen die ohnehin kaum vorhandene soziale Kohärenz eines jungen Nationalstaates weiter zu gefährden trachtete, indem man die in Italien seit der Antike bestehenden kulturellen, kommerziellen, politischen und genealogischen Verbindungslinien zu Ägypten und Arabien, nicht zu reden vom christlichen Rom der Päpste, als rein negatives Erbe ansah.287 Gobineaus rassistische Ausdeutung wirkte hier kontraproduktiv und so mussten eigene ‚arische‘ Ursprungsnarrative gefunden werden, welche sich auf alle Italiener als Mitglieder einer ‚edlen Rasse‘ beziehen ließen. Außer punktuellen Zitaten fanden Gobineaus Schriften daher im Gegensatz zu anderen Vertretern des arischen Paradigmas in der italienischen Wissenschaftslandschaft kaum Erwähnung. Es waren für weniger versöhnliche – und in rigoroserer Form säkular denkende – Vertreter der Philologie in Italien, als dies Comparetti oder Lambruschini sein konnten, eher die epistemischen Prämissen des europaweit wesentlich bekannteren Philologen Ernest Renan, die für die Zwecke der Propagierung einer neuen Philologie im Geiste eines liberalen Italien fruchtbar werden konnten und daher besonderen Anklang fanden.288 Dies lag neben Renans für die aufkommenden Orientstudien „verbindliche[n] Fachterminologie und Begrifflichkeit“289 an seiner deutlichen Ablehnung der sprachlichen Monogenese christlicher Prägung, wie er sie in der sprachanthropologischen Abhandlung De l’origine du langage290 vertrat. Ein weiterer Grund ist die von Renan vorgenommene Charakterisierung des Semitischen als Prinzip eines trockenen Dogmatismus, welcher im dialektischen Gegensatz, aber auch im Austausch mit einem von überbordender Phantasie und organischer Dynamik geprägten ‚Ariertum‘ stand. Im Gegensatz zu Arthur de Gobineaus pessimistischer Geschichte der Menschenrassen bot Renans philologische Geschichtsschreibung 287

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Zur mäßigen Gobineau-Rezeption in Italien aufgrund der oben genannten politischideologischen Gründe und der daraus resultierenden Ausgestaltung einer ‚italienischen Antwort‘ auf Gobineaus Theorie einer „Latin degeneration“, wie sie hier anhand der bereits erwähnten mediterranen Rassekonstruktionen und der noch darzustellenden ‚Arianisierung der Italiener‘ erfolgte vgl. De Donno 2006: 396-397. Strikt säkular denkende italienische Philologen wie Gaetano Trezza unterschieden sich ebenso wie Ernest Renan von Historikern wie Jules Michelet und Edgar Quinet. Erstere ließen säkularisierende Erkenntnisprinzipien in Methodik und Terminologie das gesamte System ihrer Wissenschaften prägen. Sie mussten sich dabei zumindest in ihrer Terminologie von den letztgenannten distanzieren, sobald diese die „Welt als Kirche“ oder die „Menschheitsgeschichte als Gottesdienst“ (Vgl. Said 2009: 163) verstanden: „[…]für Renan dagegen bedeutete die Hinwendung zur Philologie, alle Verbindungen zum alten christlichen Gott zu kappen, um Platz für eine neue Lehre – sehr wahrscheinlich szientifischer Art – zu schaffen, und diesem Vorhaben widmete er sein ganzes Leben.“ Ebd.: 164. Ebd.: 147. Vgl. Renan 1858a.

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daher den Vorteil einer exklusiven Fortschrittsteleologie des arischindoeuropäischen Geistes unter Einbeziehung der nach Renan einzigen zivilisatorischen Errungenschaft der Semiten: dem Monotheismus. In dieser historischen Funktionalisierung der Antagonisten eröffnete sich der Weg zu einer arisch dominierten Inklusion des für die italienische Identität doch so wichtigen ‚semitischen‘ Erbes des Christentums durch dessen indoeuropäische Umdeutung über die Philologie, ohne sich jedoch erneut dem katholischen Dogma unterwerfen zu müssen. Dies lag eben an der gleichermaßen säkularisierenden und religiösen Dimension der renanschen Linguistik als Schöpferin universalgeschichtlicher Prinzipien, die zwischen semitischen und ‚arischen‘ Sprachen vermittelte und differenzierte: Im ersten Sinne stand Renans Schöpfung folglich für die Darstellung, durch die man Gegenstände wie das Semitische als eine Art Geschöpfe betrachten konnte. Zweitens umfasste sie auch das ans Licht gebrachte Umfeld – im Fall des Semitischen eine orientalische Geschichte, Kultur und Mentalität. Drittens schließlich bezeichnete Schöpfung ein Klassifikationssystem für den Vergleich; und mit dieser ‚Komparatistik‘ strebte Renan ein komplexes Gefüge paradigmatischer Beziehungen an, die zwischen semitischen und indoeuropäischen Sprachen bestanden.291

Zusammen mit der speziellen Ausarbeitung des arisch-semitischen Dualismus anhand sprachsystematischer Unterschiede und den daraus folgenden vermeintlichen Prädispositionen der Arier sowie der Semiten zu bestimmten literarischen Gattungen, wurden dabei in Italien auch Renans essenzialisierende Tendenzen übernommen. Diese schlugen sich bekanntlich weniger in Form einer physischen Rassenlehre nieder, sondern entstanden durch historische Fixierung sprachtypologischer und literarischer Charakteristika der beiden historischen Antagonisten Arier-Semiten, welche diese philologischen Unterschiede zu kollektiven Differenzmerkmalen im Sinne verschiedener Genies erhob. Die Ambiguität des renanschen Rassebegriffs, der Kultur wie auch Sprache dem Menschsein überstülpt, fasst Tzvetan Todorov pointiert zusammen: Loin de séparer la langue (et la culture) de la ‚race‘, Renan, par l’emploi ambigu qu’il fait de ce dernier mot, légitime au contraire la production des ‚races linguistiques‘ : œuvre, comme il le dit, de la seule philologie, mais qui n’en sont pas moins ‚races‘ (physiques) pour autant. La ‚race linguistique‘ est le tourniquet qui lui permet de faire communiquer la ‚race‘ et la langue. Loin d’évacuer le concept de ‚race‘, l’œuvre de Renan permet qu‘il prenne un nouveau départ, puisque c’est avec lui (et quelques-uns de ses contemporains) qu’ ‚aryen‘ et ‚sémite‘ cesseront d’être des termes servant à désigner des familles de langues, pour s’appliquer aux ‚races‘, c’est-à-dire aux êtres humains.292

Doch formierte sich das arische Paradigma in Italien nicht allein aufgrund epistemischer Grundlagen der französischen und deutschen Philologie. Beglei291 292

Said: 166. Todorov 1989: 169.

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tend zu seiner hier dargestellten Rezeption als wissenschaftliches Narrativ, wie es im europäischen Ausland geprägt wurde, ist zu bemerken, dass De Gubernatis‘ und auch Trezzas rassenlogische Ausarbeitung dieses Narratives in Italien selbst von einer verstärkten methodischen Beschäftigung mit den indischen Sprachen, Texten und Mythen sowie der Etablierung einer systematisierten Indienforschung begleitet wurde. Erste wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit den Errungenschaften der deutschen Indienforschung lassen sich bereits seit den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts bei Domenico Valeriani, Giuseppe Maria Maggi und Stanislao Gatti nachweisen. Es handelte sich dabei jedoch eher um singuläre Erscheinungen, die noch keine breitere Beschäftigung mit dem indischen Orient hervorriefen.293 Eine institutionalisierte Indianistik, wie sie in Deutschland und Frankreich durch Forschungsgesellschaften und Fachzeitschriften Verbreitung fand, etablierte sich in Italien jedoch erst in den 50er Jahren, gefördert durch die wissenschaftsfreundliche Situation im Königreich Piemont-Sardinien unter König Carlo Alberto.294 Die Grundsteine hierfür waren erste Indienstudien und die Übersetzung bzw. Publikation des Rāmāyana295 durch den BurnoufSchüler Gaspare Gorresio. Dieser wurde 1852 auf den ersten Lehrstuhl für Sanskrit und letteratura indo-germanica an die Universität Turin berufen.296 Ebenfalls in Turin vollzog sich die Erstellung einer Grammatik des Sanskrit durch den Glottologen und Indologen Giovanni Flechia im Jahr 1856. Dieser konzipierte die Hochsprache des alten Indien auch im Hinblick auf ihre Rolle 293 294

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Zu den Anfängen der Indologie in Italien vgl. Dovetto 1994: 131. Vgl. Flechia 1856. Im Vorwort beschrieb der Orientalist den immensen Nachholbedarf, welcher auf der italienischen Halbinsel an Kenntnissen über das Sanskrit und überhaupt an den indischen Studien gegenüber den Ländern jenseits der Alpen immer noch bestehe: „Lo studio del sanscrito, introdottosi in Europa poco più di mezzo secolo addietro, viene ora generalmente riconosciuto come sussidio potentissimo della storia e filologia antica ed è fondamento della grammatica comparata delle lingue indoeuropee. Quindi principalmente l’ardore con cui questa lingua è coltivata oltremonti, massime in Allemagna [sic]. Sebbene l’Italia presentemente non si mostri gran fatto sollecita di questa sorta di discipline, è tuttavia da credere che né anche per questo rispetto essa non abbia da rimanersi più oltre nella sua indifferenza.“ Flechia 1856: Im Vorwort Seite 2, ohne Seitenzählung. Zur Entwicklung der Sanskritstudien innerhalb des weiteren Feldes der vergleichenden Grammatik in Italien von Flechia bis Luigi Ceci vgl. Dovetto 1994. Vgl. Gorresio 1843-1870. Bereits 1839 hatte Gaspare Gorresio in der Turiner Wissenschaftszeitschrift Subalpino einen Artikel veröffentlicht, in welchem er zur epistemischen Erweiterung der noch jungen „Studi sull’India“ aufrief und dabei auf die entscheidende Rolle der „studi filologici novellamente allargati“ hinwies. Damit stellte er das Indienprojekt in einen größeren diskursiven Zusammenhang. Er schwärmte über die Bedeutung der Erforschung einer „grand’epoca antica così feconda d’intelligenza“ für die „storia della specie umana“. Durch eine isolierte Fokussierung auf Indien sei dieses Projekt jedoch nicht zu bewerkstelligen und müsse mit der Erforschung zahlreicher, noch wenig bekannter Zivilisationen, wie der chinesischen und persischen, einhergehen. Im Gegensatz zu den pathetischen Überhöhungen der deutschen Indienbegeisterung wurde hier die Bedeutung des alten Indien durch den Kontext der Forderung nach einer komparativ arbeitenden Orientphilologie in Bezug auf andere Völker, Weltgegenden und Epochen zunächst relativiert. Vgl. Gorresio 1839: 33-34.

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als Fundament einer komparatistisch perspektivierten, indoeuropäischen Sprachwissenschaft.297 Eine eigene italienische Orientgesellschaft mit publizistischem Fachorgan wurde schließlich 1886 mit der Società Asiatica Italiana und ihrem Giornale eingerichtet.298 Die Italianisierung des arischen Paradigmas durch Angelo de Gubernatis in den 70er und 80er Jahren und ihr Widerhall in der patriotischen Dichtung des Giosuè Carducci ist also zu einer Zeit entstanden, in welcher die Indienstudien bereits in institutionalisierter Form als etablierte Disziplin an einigen Universitäten des Landes betrieben wurden.299 Jedoch hatte sich der Schwerpunkt der Wissensdiskurse über Fragen wie Rasse und Genealogie durch die Schriften Cesare Lombrosos, Paolo Mantegazzas, Enrico Morsellis, Luigi Pigorinis und schließlich Alfredo Niceforos sowie der Gründung der Società Italiana di Antropologia e Etnologia im Jahre 1870 bereits zu den anthropologisch-biologischen Wissenschaften verschoben.300 Fraglich bleibt daher die Stellung italienischer Philologen zu rassistischen und rassenlogischen Diskursen im europäischen Kontext zur Zeit der Etablierung einer methodischen und fachlichen Ausdifferenzierung des philologischen Wissens in Italien.301 Diese konnte erst auf Grundlage einer metho297

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Die Übersetzung des Rāmāyana sowie die Erforschung des Sanskrit verdankten sich der gezielten Förderung durch die piemontesische Regierung. Ein philologischer Beweis für die auch epistemische Modernität Piemonts innerhalb der italienischen Staatenlandschaft. Vgl. dazu die Widmung an König Carlo Alberto bei Gorresio 1843 sowie die Danksagung an die Minister Cibrario und Lanza bei Flechia 1856. Vgl. Bordas 2005: 106. Brunello Mantelli weist auf die institutionelle Verankerung von De Gubernatis hin, wenn er auf dessen Beitrag zum arischen Paradigma in Italien zu sprechen kommt: „Angelo De Gubernatis, der als erster Italiener ein Studium im neu eingerichteten Fach Philologie und Philosophie abgeschlossen hatte und als bedeutender Sprachwissenschaftler galt, hat vielleicht auch als erster in Italien einen Gegensatz zwischen arischer und semitischer Rasse behauptet.“ Mantelli 2005: 219. Zu De Gubernatis als wichtiger Figur für die Geschichte des Rassismus in Italien ab 1870 vgl. Raspanti 1999: 78-79. Zum „arianesimo laico e paganeggiante“ beim Dichter und Literaturhistoriker Carducci vgl. ebd.: 81 ff. Zur unterschiedlichen Stellung dieser Anthropologen, Kriminologen und Archäologen unter Hinweis auf ihre Werke in der Debatte um die Existenz und die Charakteristika der arischen Rasse vgl. De Donno 2006: 396. Die Forschungsergebnisse der ‚Società Italiana di Antropologia e Etnologia‘ fanden ihren publizistischen Ort im Archivio per l’antropologia e la etnologia. Vgl. Baldi 1988: 122 ff. Die Anfänge der italienischen Anthropologie liegen jedoch im Jahre 1857, als Giustiniano Nicolucci seine ethnologische Studie Delle razze umane veröffentlichte. Institutionalisiert wurde diese Disziplin jedoch erst nach der Einigung im Jahr 1870 mit der Gründung der Gesellschaft und der Einrichtung des ersten Lehrstuhls für Anthropologie an der Universität Florenz sowie der Berufung Paolo Mantegazzas zu dessen Inhaber. Vgl. Landucci 1988: 62 ff. Die orientalischen ‚Einzelphilologien‘ erlebten in den italienischen Staaten bereits Anfang des 19. Jahrhunderts einen starken Aufschwung. Im Gegensatz zur Indianistik entwickelte sich bereits früh durch die Forschungsreisen Giovanni Battista Belzonis sowie im Zuge der französisch-toskanischen Ägypten-Expedition von 1828 bis 1829 unter Beteiligung des Pisaner Orientphilologen Ippolito Rosellini und des Bibliothekars Costanzo Gazzera eine italienische Ägyptologie, welche in Turin durch die Sammlertätigkeit von Napoleons Prokonsul in Alexandria, Bernardino Drovetti, und Carlo Felice von Savoien gefördert wurde. Zu den Anfängen der Ägyptologie in Italien vgl. Zatterin 2008, Benvenuti G./Benvenuti F. 1970,

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disch vergleichenden Betrachtung der Sprachen, Texte und Schriftsysteme Europas, Asiens und Amerikas sowie deren systematischer Analyse und genealogischer Verortung durch die Pioniere der vergleichenden Philologie Rask, die Schlegels und Bopp vor und während der ersten Phase des Risorgimento ihren diskursiven Einfluss entfalten.302 Wissen, welches durch die Publikationen Bernardino Biondellis und Carlo Cattaneos in der renommierter Mailänder Wissenschaftszeitschrift Politecnico einer breiteren Leserschaft zugänglich gemacht wurde. Eine Entwicklung, welche noch diskutiert werden muss.

3.1. Das ‚arische Erbe‘ der Italiener und seine epistemischen Grundlagen Zunächst soll jedoch danach gefragt werden, inwieweit und warum die italienischen Modernisierer der Philologie als indoeuropäischer Sprach- und Mythenforschung an der wissenschaftlichen Ausarbeitung eines fatalen rassenlogischen Diskurses mitwirkten, der die Philologie in eine anthropologische Wissenschaft von den ‚essenziellen‘ Differenzen der Menschheit verwandelte. Auf der Suche nach einer breiteren italienischen Rezeption des arischen Paradigmas im wissenschaftlichen Diskurs gilt der in Deutschland ausgebildete Sanskritforscher, Indologe, vergleichende Mythenforscher und Literaturhisto-

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Guichard 2003, Curto 1979 sowie Messling 2012e: 70-79 u. 97-109. Auch das Studium der chinesischen Sprache, Schrift und Kultur hat in Italien seit den Forschungen der Missionare Matteo Ricci im 16. und Basilio Brollo im 17. Jahrhundert eine lange Tradition. So trug die 1725 im Königreich Neapel durch den Missionar Matteo Ripa gegründete Bildungseinrichtung für Orientstudien den Namen Collegio dei Cinesi. Vgl. zur Geschichte des Collegio und seiner nachfolgenden Institute Nicolini 1949 sowie Kwok 1982. Die Arabistik im Italien des Ottocento wurde durch den Historiker Michele Amari geprägt. Im Geiste des Empirismus, aber auch des risorgimentalen Patriotismus förderte er politisch und wissenschaftlich (ab 1859 als Professor für arabische Sprache und Geschichte an der Universität Pisa) die Systematisierung der italienischen Orientalistik, wobei er sich mit den arabischen Einflüssen auf die Geschichte der Halbinsel sowie auf eine italienische Identität auseinandersetzte. Politisch unterstützte er eine vorsichtige Einbindung Siziliens in ein Königreich Italien. Vgl. Gabrieli 1975: 47 ff., Marcolongo 1991. Im Bereich der Semitistik ragten Samuel Davide Luzzatto als Professor für hebräische Sprache und Literatur am Collegio Rabbinico in Padua (ab 1829) sowie ab den 70er Jahren in Rom Ignazio Guidi (als einer der Lehrer Giorgio Levi Della Vidas) im Feld der vergleichenden Semitistik-Studien heraus. Zur Biographie Samuel Luzzattos vgl. Rubin 2005: XI ff. Zu Guidis, Ascolis und Amaris Stellung als entscheidenden Wegbereitern der italienischen Orientalistik vgl. Gabrieli/Tessitore 2005 [1984]: 35 ff. Vgl. Bopp 1816 u. Ders. 1833 sowie Rask 1818 u. Ders. 1826. Der auf physischer Genealogie, kulturellen sowie kognitiven Gemeinsamkeiten beruhende ethnographische und genealogische Anspruch einer vergleichenden Philologie wird nicht nur in Bezug auf Friedrich Schlegels Indienprojekt deutlich. Auch der Däne Rasmus Rask begann seine Untersuchung Über das Alter und die Echtheit der Zendsprache und des Zend-Avesta, und Herstellung des Zend-Alphabets, welche sich der parsischen Sprache widmete, mit einem Hinweis auf die ethnische Identität ihrer Sprecher und ihrer Verbindungen zum eigenen „Menschenstamme“: „Das alte und einst so mächtige Persische Volk bildet ein unläugbares und sehr bedeutendes Glied in der Kette des Japetischen Menschenstammes [Rask fügte in einer Fußnote hinzu: „zu welchem wir selbst gehören“, ML], so wohl in Betracht seiner Thaten, als seiner Denkweise und Sprache.“ Ebd. 1.

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riker Angelo De Gubernatis neben dem Ethnologen und Sanskritisten Francesco Lorenzo Pullé als eine der ersten vorbereitenden Stimmen jenes Paradigmas zivilisatorischer und ethnischer Überlegenheit einer ‚arischmediterranen‘ Rasse.303 Angelo de Gubernatis prägte dabei als Pionier einer institutionalisierten italienischen Orientalistik den philologischen Diskurs maßgeblich, indem er sich sowohl als Sprachwissenschaftler als auch im Bereich der vergleichenden Mythologie europaweit Anerkennung erwarb. Das arische Paradigma entwickelte er besonders in seinen textgenealogischen und textkritischen Überlegungen zur vergleichenden Mythenforschung und stützte sich keineswegs allein auf eine sprachtypologische Hierarchisierung.304 Vor diesem Hintergrund muss noch einmal betont werden, dass diese ‚arische‘ Ausgestaltung eines philologischen Indoeurozentrismus keineswegs als Ausnahmeerscheinung innerhalb der italienischen Philologie gelten kann und De Gubernatis schon gar nicht der erste italienische Philologe war, der eine Theorie essenzieller Überlegenheit der europäischen Völker aus dem Wissen über sprach- und textgenealogische Verbindungslinien nach Indien aus einem indoeuropäischen Ursprungnarrativ entwickelte. Doch gewann diese genealogische Verortung der Italiener bei ihm eine neue Qualität, da De Gubernatis, im Gegensatz zu Bernardino Biondelli – einem frühen Vertreter dieses Überlegenheitsdenkens, auf den wir noch zurückkommen –, nach seiner Berliner Studienzeit und als profunder Kenner der deutschen Indienphilologie den Begriff des Arischen auf bereits weiter ausgearbeitete philologische Vorleistun-

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Die herausragende Stellung von Angelo De Gubernatis als leidenschaftlichem Sanskrit- und Mythenforscher sowie profundem Kenner des alten und modernen Indien innerhalb der Geschichte der italienischen Orientwissenschaften wurde bereits kurz nach seinem Tod und am Anfang des 20. Jahrhunderts vom deutschen Sanskritisten Ernst Windisch erkannt. Vgl. Windisch 1992 [1917]: 439-451. De Gubernatis‘ Vernetztheit mit anderen europäischen Gelehrten machten seine Schriften und Urteile über den Stand der Forschung zu wichtigen Indikatoren über den Fortschritt der Indienstudien in Italien aus europäischer Perspektive. Vgl. ebd.: 441. Er hatte in Berlin bei Franz Bopp und Albrecht Friedrich Weber studiert und erlangte ab 1863 durch den Einfluss des damaligen Unterrichtsministers Michele Amari bereits mit 23 Jahren einen Lehrstuhl für Sanskrit und Glottologia Comparata am Istituto di studii superiori in Florenz. Im Gegensatz zu anderen Kollegen, die sich der indischen Altertumskunde verschrieben hatten und die er, wie beispielsweise Max Müller und Adalbert Kuhn, als wissenschaftliche Leitfiguren und seine Vorbilder ansah (vgl. ebd.: 443), bereiste De Gubernatis den Subkontinent mehrmals und konnte sich so neben eines textphilologischen auch eines erfahrungsbasierten Interpretationsansatzes der indischen Zivilisation bedienen. Diesen machte er in Form von Reiseaufzeichnungen, den geographisch nach den Regionen des indischen Subkontinents gegliederten Peregrinazioni indiane (vgl. De Gubernatis 1886), der italienischen Öffentlichkeit zugänglich. Vgl. auch De Donno 2006: 397-398. Zum italisch-arischen Paradigma beim Anthropologen und Sanskritisten Francesco Pullé zwischen naturwissenschaftlicher Rassenlehre und Sprachforschung vgl. Pullé 1898 sowie Ders. 1927, darin insb. Kapitel XIII: „L’unità ario-italica“. Vgl. die immer häufiger auftretende Verwendung der Begriffe ‚Arier‘ und ‚arisch‘ in De Gubernatis 1873, 1880 und 1886, wo die identitätsbildende Intention der Begriffe durch die oft daran gekoppelte Wendung „nostra razza“ ersichtlich wird.

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gen und Paradigmen stützten konnte.305 So versuchte er unter Berufung auf Max Müller und Ernest Renan, eine arische Identität zum genealogischen, kulturellen und auch religiösen Distinktionsmerkmal der Italiener als „specifità“, als eine „via italiana all’arianesimo“306, wissenschaftlich zu gestalten. Diese bereits angesprochene Aktualisierung einer arischen Identität für die Italiener, im Einklang und doch in Konkurrenz zur gesellschaftlich etablierten Identifikationskraft des Christentums als monotheistischer Religion, lässt sich anhand von De Gubernatis‘ mythologischen Studien nachvollziehen. So entfaltete seine historische Beschreibung der indischen Mythenwelt und ihrer epischen Texte eine Semantik religiöser Rechtschaffenheit, wenn er die Mythologie Indiens und besonders den Sonnenkult als zentraler religiöser Bezugspunkt beschrieb. Die ‚alten Indier‘ gewannen durch diese positiven Attribute Vorbildfunktion für die ‚modernen‘ Indoeuropäer. Dem Rigveda gebührte nach diesem Denken ein ebenbürtiger Rang zur ‚semitischen‘ Bibel, sobald der Text in seiner Funktion als identitätsstiftende und tradierte Lektüre der Ahnen erkannt werde: I semiti leggono, meditano e quasi adorano la bibbia: la nostra bibbia, il nostro antico memoriale di famiglia, il primo libro in cui i nostri avi hanno letto, sono gli inni che gl’indiani chiamarono vedici i quali un giorno, un po’diversi, nella forma, da quelli che ci rimangono, ma, nella sostanza per un buon terzo identici, cantati o recitati insieme sotto un medesimo cielo dalla varie tribù che componevano la razza ariana, per frammenti, furono ricordati da tutte, e nella massima parte ci vengono conservati dalle quattro grandi raccolte indiane costituenti quello che chiamano i Vedàs.307

Mauro Raspanti hat auf diese problematische Textstelle aus den 1867 in der Rivista Orientale veröffentlichten „Frammenti dell’epopea vedica“ hingewiesen, wo die Veden zum Kulturerbe der arischen Rasse stilisiert wurden und auch die arisch-semitische Dialektik in einem italienischen Kontext weitergeführt wurde.308 Dennoch muss hier relativierend und zugunsten von De Gubernatis hinzugefügt werden, dass dieser weder in seinen frühen Schriften, wie der Übersetzung der ersten zwanzig Hymnen des Rigveda, noch später in seinen ‚kulturkomparatistischen‘ Arbeiten zu Heirats- und Begräbnisriten der indoeuropäischen Völker mit dem ‚Semitischen‘ jene explizit degradierenden Aussagen antisemitischer Tendenz stark machte, wie sie bei Ernest Renan zu finden sind.309 So konnte De Gubernatis den oben zitierten Artikel, jene „prime memorie dell’Ariana famiglia con vivo affetto“310 auch seinem jüdischen 305

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Vergleiche dagegen Ascolis vernichtende Kritik an den veralteten methodischen und historischen Prämissen von Biondellis Philologie, die in dieselbe Zeit wie De Gubernatis‘ erste Indienstudien fiel. Vgl. u. Kap. IV, 2.1. Raspanti 1999: 78. De Gubernatis 1867a: 259. Vgl. ebd. sowie Raspanti 1999: 78. Vgl. De Gubernatis 1864b, 1869 u. 1873. De Gubernatis 1867a: 259.

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Freund Graziadio Ascoli – dem „decoro della linguista“311 – widmen, ohne in Verlegenheit zu geraten. Die Rassenlogik des Angelo De Gubernatis beruhte in erster Linie auf exaltierter und exklusivierender Hervorhebung ‚arischer‘ Besonderheiten und weniger auf deren Negation durch ihr Gegenstück. Fatal war jedoch, dass der Indologe und Indienbegeisterte De Gubernatis bereits sehr früh auch auf epistemischer Ebene eine ‚superiorisierende‘ Fokussierung auf die arische Rasse vorbereitet hat. Zusätzlich betrachtete er die vermeintliche Vorrangstellung der Arier in Zusammenhang mit der Menschheitsgeschichte, was eine historische Rassenlogik zur Folge hatte.312 Er sollte diese Haltung schließlich in seinen Peregrinazioni indiane: India centrale pathetisch-patriotisch untermauern, wenn er sich der missionarischen Bedeutung seines eigenen ‚Ariertums‘ als Erbe der alten Inder und Hellenen freudig bewusst ist.313 So blieb De Gubernatis sehr nahe an dem exkludierenden Philologie-Verständnis von Ernest Renan, welchem er im Vorwort zu seinen Letture sopra la mitologia vedica voller Ehrfurcht dankte. Im Schatten des großen, französischen Gelehrten stehend, sah De Gubernatis seinen eigenen intellektuellen Werdegang vom Studenten des Semitischen zum Erlernen des Sanskrit, durch seinen Berliner Studienaufenthalt und die Werke Bréals, Kuhns und Müllers geschult, als Ansporn seinem Vorbild nachzueifern.314 Wie problematisch dieses Verhältnis für die rassenlogischen Implikationen von De Gubernatis‘ Epistemologie sein wird, kommt deutlich zum Vorschein, wenn man das exklusive Geschichtsverständnis als Grundlage jenes arischen Paradigmas näher betrachtet, wie es von seinen Schriften mitgeprägt wurde. Allein in seiner weiter oben zitierten Philologiedefinition machte De Gubernatis eine kleine – aber entscheidende – Einschränkung, wenn er die Aufgaben einer modernen Philologie in einem methodischen Vergleich sah, der den Logos der indoeuropäischen Rasse erkunden solle: Poiché il lavoro filologico non si riduce più oggi soltanto alla sterile pompa di un vasto sapere poliglottico, prezioso ancor esso quando sia rivolta a somministrar materia importante alla critica, ma vale essenzialmente per la sua virtù comparativa, in grazia de’nuovi strumenti indagatori che ci permettono di mettere in raffronto un numeroso ordine di fatti, per ricostruire, quasi per intero, almeno per la 311

Ebd. Ähnlich wie Ernest Renan sah Angelo De Gubernatis seine Studien als Vorarbeit für eine nachhaltige Ausifferenzierung der Orientalistik durch wissenschaftliche Spezialisierung an. Während er sich jedoch auf die indoeuropäischen Sprachen und Völker konzentrierte, sah Renan seine Aufgabe in der Ausarbeitung einer semitischen Philologie, welche der indoeuropäischen Linguistik ebenbürtig werden müsste. Diese Zielsetzungen betonte er in seiner Histoire générale des langues sémitiques von 1855, wo er die ‚Exzentrik‘ des Semitischen zu den ‚normalen‘, indoeuropäischen Sprachen in ein dialektisches Spannungsverhältnis stellte. Besonders aufschlussreich für die historische Konstruktion des semitischen Prinzips bei Renan ist das erste Kapitel des ersten Buches der Histoire générale über den „caractère général des peuples et des langues sémitiques“. Vgl. Renan 1858c [1855]: 1-25. 313 Vgl. De Gubernatis 1886: 7. 314 Vgl. De Gubernatis 1874: VI. 312

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razza indo-europea, la logica tradizionale, la quale se non è precisamente conforme alle logiche de’filosofi, offre all’osservatore un interesse maggiore di quelle, ed è poi forse meno capricciosa e superba.315

Durch die Einschränkung „zumindest für die indoeuropäische Rasse“ („almeno per la razza indo-europea“) ist die Rekonstruktion des menschlichen Denkens mit der Methode des philologischen Vergleichs vorerst auf die indoeuropäischen Sprachen, die Riten und Mythen der indoeuropäischen Völker als rassenlogischem Kollektiv begrenzt, wie De Gubernatis sie im Rigveda als dem ältesten Abschnitt der vedischen Bücher in reinster Form vorzufinden glaubte.316 Diese pragmatische Fokussierung auf ein Forschungsfeld ist natürlich legitim, jedoch erweiterte sie De Gubernatis um die Annahme, dass sich aus jenen vedischen Quellen die Grundlagen jeglicher Epik mittels des dualen Spannungsbegriffes eines Kampfes zwischen Licht und Finsternis ableiten ließen. Dieser Dualismus habe die ursprüngliche (Natur-)Religion der Arier charakterisiert und schließlich die Begründung der Mythologie sowie der darauf folgenden epischen Erzählung aus den Kämpfen der Heroen ermöglicht.317 Die fachliche Spezialisierung wurde zu einem universellen, rassenlogischen Paradigma der Geschichte, wie es bei Ernest Renan für das Semitische galt. Auch betrachtete der begeisterte Leser mythologischer Texte gerade die indoeuropäische Rasse, „unsere Rasse“ 318, nicht nur als historische Entität, sondern sah sie – noch stärker als Renan dies tat – durchaus im Sinne eines vitalistischen Paradigmas als physiologisch und in jedem Falle genealogisch privilegiert. Sie sei es gewesen, die im Kontakt mit der Natur jene „lebendigen Ideen“ („idee

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De Gubernatis 1873: 9. Vgl. Windisch 1992: 444. So verfasste De Gubernatis eine frühe texthistorische Arbeit über die Fonti vediche dell’Epopea (Vgl. De Gubernatis 1867b), die er Ascoli widmete. Anthropologische Implikationen prägten auch De Gubernatis‘ Überlegungen zur gattungsgeschichtlichen Entstehung und Tradierung des Epos als exklusivem, historischem Charakteristikum der arischen Rasse. Diese bestimmten seine später entstandenen Letture sopra la Mitologia Vedica (Vgl. De Gubernatis 1874). Ernst Windisch hat darauf hingewiesen, dass De Gubernatis dort in Anlehnung an Ernest Renan, dem er die Letture widmete, Ansätze einer Christianisierung der vedischen Dichtung durch Analogisierung christlicher und vedischer Mythologeme verfolge. Vgl. Windisch 1992: 444-445. Man sollte hier jedoch eher, wie dies bereits für Ernest Renan angesprochen wurde, von einer ‚Arianisierung‘ des Christentums sprechen, da durch eine textgenealogische Hierarchisierung nach dem Kriterium des Alters der zivilisatorische Vorrang nach De Gubernatis eindeutig der vedischen Überlieferung zukomme. Zwar ließen sich innerhalb der christlichen Texttradition zahlreiche Indizien für eine indisch-hellenischchristliche Genealogie anhand der analogen Verwendung von Motiven der indoeuropäischen Mythologie ausmachen. Narrative Gattungen, wie die christliche Legende ‚basierten‘ jedoch lediglich als moralische Überlieferung auf dem erzählerischen Reichtum des hellenischorientalischen Erbes: „Da questi esempi e da altri infiniti che si potrebbero addurre, par lecito il conchiudere: la leggenda cristiana non essere nata altrimenti che pel foggiarsi di una magnifica allegoria morale sopra un’antica ricchissima mitologia ellenico-orientale.“ De Gubernatis 1874: 223. De Gubernatis 1874: 14.

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vitali“)319 entwickelte, welche sie in die Form einer oralen und schließlich verschriftlichten mythologischen Überlieferung goss. Dies sei jedoch nur möglich gewesen, da im Blut des Menschen ein Stück weit dessen Charakter aufscheine und eben die Indoeuropäer die feineren Nervenbahnen und dadurch das feinere Empfindungsvermögen für die Eindrücke aus der Natur besäßen. So machte De Gubernatis in seinen Letture einen physiologisch motivierten Erklärungsversuch der überragenden kulturellen Leistungen der Arier, wie sie an der indischen Mythologie als Ausdruck eines von Natur aus überlegenen Geistes sichtbar würden: Siamo disposti a credere, perché non possiamo impugnarla, all’eredità del sangue; e incominciamo ad ammettere, se non ancora a proclamare, che si trasmette col sangue una parte dell’umano carattere. Ma che faceva essa intelligenza dell’uomo primitivo, quando si trovava ancora quasi priva di idee, al contatto della viva natura? Che poteva essa altro fare se non sopra la natura vivente creare idee vitali? E i miti sono la figura di quelle idee elementari, le quali s’improntarono con più forte impressione nella nostra razza, perché la razza nostra era la osservatrice dotata di fibre più delicate e sensibili, e più atta pertanto a comunicare come a ricevere le impressioni.320

De Gubernatis bezog sich hier weniger in einer identischen Terminologie als in der zugrundeliegenden Annahme einer bestimmten organischen Prädisposition zu kulturellen Sachverhalten in beinahe identischer Weise auf Ernest Renans Eloge an die griechische Mythologie als Reflex einer erhöhten Empfindlichkeit der Indoeuropäer, zu welcher dieser in seiner frühen kulturhistorischen Schrift Études d’histoire religieuse im Kapitel über die Religionen des Altertums anhob.321 In dieser ‚rassischen‘ Prädisposition zu einer phantasievollen ‚Hermeneutik der Naturphänomene‘, als axiomatisch postuliertem Differenzkriterium zu den Semiten, erblickte De Gubernatis‘ wissenschaftliches Vorbild den Ausdruck einer jugendlichen und natürlichen Unschuld der indoeuropäischen Völker. Im Gegensatz zu den Semiten stünden diese fern von 319 320 321

Ebd. Ebd. Vgl. Renan 1858b [1857]. Das Kapitel „Les religions d‘antiquité“ hatte Renan bereits 1853 als Rezension zu Joseph-Daniel Guigniauts Religions de l'antiquité considérées principalement dans leurs formes symboliques et mythologiques in einer Ausgabe der Revue des Deux Mondes von 1853 veröffentlicht. Vgl. Renan 1853 sowie Guigniaut 1825-1851. Es handelte sich bei Guigniauts zwischen 1825 und 1851 veröffentlichtem Mammutwerk um die französische Übersetzung und Überarbeitung verschiedener Texte des deutschen Philologen Georg Friedrich Creuzer. Dieser war vor allem durch sein 1812 veröffentlichtes Hauptwerk Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen rezipiert worden. Der in Marburg und Heidelberg lehrende Philologe Creuzer hatte als einer der ersten hellenophilen Philologen der Frühromantik den Zusammenhang zwischen Pelasgern und Indoeuropäern hergestellt, indem erstere die Weisheit Indiens durch eine brahmanische Priesterkaste empfangen hätten, welche Kolonien unter den pelasgischen Völkern des Mittelmeeres gegründet habe. Diese Weisheit verbreitete sich in Form der griechischen Mythologie und schließlich der Homerischen Epen über das gesamte Mittelmeer, ausgehend von Griechenland. Vgl. Williamson 2004: 123-150 u. Creuzer 1812.

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jeglicher dogmatischer Voreingenommenheit. Diese unschuldige Naturverbundenheit sei auf die besonders feine Wahrnehmung der Natur durch die Physis der ethnischen Ahnen aller indoeuropäischen Sprachen zurückzuführen: La mythologie grecque, ou, dans un sens plus général, la mythologie des peuples indo-européens, envisagée dans son premier essor, n’est que le reflet des sensations d’organes jeunes et délicats, sans rien de dogmatique, rien de théologique, rien d’arrêté. Autant vaut expliquer le son des cloches ou chercher des figures dans les nuées que poursuivre un sens précis dans ces rêves de l’âge d’or. L’homme primitif voyait la nature avec les yeux de l’enfant ; or, l’enfant projette sur toute chose le merveilleux qu’il trouve en lui-même.322

Obwohl Renan, im Gegensatz zu De Gubernatis, eben kein explizit physiologisches Fundament wie die „Nervenfasern“ („fibre“), sondern „junge und empfindliche Organe“ („organes jeunes et délicats“) bei den indoeuropäischen Völker am Werke sah, wird bei beiden Gelehrten eine erkenntnistheoretische Ambivalenz offensichtlich. Diese schwankte epistemisch zwischen naturhistorischer Spekulation über die anatomische Verfassung des Menschen sowie deren Leugnung zugunsten einer kulturhistorischen Erfassung kollektiver Differenzen durch eine idealistisch inspirierte Epistemologie. Eine Spannung, aus welcher sich eben jene Macht der renanschen Philologie ergab, die es ermöglichte, aufgrund eines verschleierten Abstraktionsprozesses die Illusion einer vollkommenen Erklärbarkeit des philologischen Gegenstandes durch den Wissenschaftler zu gewährleisten.323 Hier ist De Gubernatis in gewisser Weise ehrlicher als der historisch abstrahierende Renan, da er noch deutlicher seine Faszination für Physiologie und vergleichenden Anatomie hervorhob, wenn er auf deren Erkenntnisse über Genealogie (Blut) und Anatomie (Nervenfasern) der arischen Rasse verweist.324

322 323

324

Renan 1858b [1857]: 15. Diese Ambivalenz zwischen idealistischer Absraktion innerhalb der Geschichte und kokretisierender Analyse am ‚Sprach-Gegenstand‘ sowie die daraus resultierende ‚Macht des Philologen‘ hat Edward Said am Beispiel von Renans Histoire générale et système comparé des langues sémitiques anhand der Überzeugungskraft der Formalisierung deutlich gemacht, wie sie, trotz ihrer idealistischen Grundprägung, die „typographische[n] und strukturell an der vergleichenden Anatomie und Cuvier oder Geoffroy Saint-Hillaire“ orientierte renansche Sprachforschung entfaltete vgl. Said 2009: 168. Zu diesem doppeldeutigen wissenschaftlichen Anspruch zwischen Diachronie und Synchronie vgl. Renan 1858c [1855]: XII-XIII u. 425-426. Diese Auffassung einer epistemischen Verbindung der Philologie als Teilbereich der Anthropologie und die damit einhergehende Polygenese der Menschheit im biologischen Sinne wurde von De Gubernatis in seinem 1864 in der eigentlich konservativ-katholischen Zeitschrift La Gioventù erschienen Artikel „Delle genti e delle lingue ariane“ aufs Deutlichste bekräftigt. Dort forderte De Gubernatis, die anthropologische Forschung bei der Entstehung der Sprache beginnen zu lassen. Die Sprache des „ersten arischen Paares“ zu rekonstruieren heißt, einen Blick auf die arische „Rasse in ihrer Kindheit“ werfen zu dürfen. Vgl. De Gubernatis 1864a: 118 sowie Landucci 1977: 67.

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Seiner Aussage zur besonderen Physiologie der Arier schickte De Gubernatis allerdings einen Hinweis vorweg, der den epistemologischen Einfluss eines rein anatomischen Rassedenkens auf seine Konzeption der Philologie relativieren sollte. Im Gegensatz zu dieser physischen Differenzierbarkeit der Arier von den anderen Völkern sei nämlich das andere ‚große‘ Rasseparadigma der Italiener, die Erfindung der pelasgischen Rasse, nur ein Beispiel des künstlichen Versuchs einer ethnischen Homogenisierung Italiens durch phantasievolle Wissenschaftler. Diese hätten durch eine klassifikatorisch bequeme ‚ethnogonische‘ Überbrückung kultureller und sprachlicher Differenzen die Integration der Italiener in einen „mondo latino“ beabsichtigt, des es in dieser Form nie gegeben habe. Eine zivilisatorische Überlegenheit der italischen Völker als Angehörige einer pelasgischen Rasse sei unwahrscheinlich. Auch an den Gestaden des Mittelmeeres musste sich Religion, Gesetz, Sprache und schließlich Literatur zwangsläufig aus Barbarei und primitiver Existenz entwickeln. Aus dieser Dunkelheit wurde den Völkern des Mittelmeeres in erster Linie durch die physische Prädisposition der Indoeuropäer, und nicht der Pelasger, also durch die erwähnte höhere Sensibilität gegenüber der Natur, ein Weg zu zivilisiertem Zusammenleben und Kultur eröffnet. Der pelasgische Mythos unterlag in De Gubernatis‘ Philologie einem arischen Paradigma, das dennoch Giambattista Vicos Prämisse eines ‚barbarischen Urzustandes‘ aller Menschen berücksichtigen wollte: Ora non siamo più a questo punto; ma troppi di noi, quando, nello studio delle antichità italiche, ci troviamo confusi innanzi a costumanze, istituzioni, tradizioni, monumenti, non conformi alle nozioni che ci rese famigliari il mondo latino, le riferiamo a quella comoda razza pelasgica, inventata, come sembra, perché désse [sic] ospitalità a tutti que’popoli che la etnologia non ha ancora saputo determinare e classificare. E con questa preoccupazione continua, eccessiva, de’caratteri etnici, trascuriamo lo studio di quella unità più larga e potente ch’è l’uomo nell’immediato contatto con la natura.325

Die Bedeutung der vedischen Mythen werde somit nicht aus einer ‚mediterranen‘, sondern nur aus einer globalen Perspektive sichtbar, wenn die Wissenschaft verstanden habe, dass den Indoeuropäern keinesfalls die ‚apriorisch‘ historische Vorrangstellung im Sinne eines zivilisatorisch voll entwickelten Volkes zukomme. Die zivilisatorischen Leistungen aller Völker hätten sich aus jenem allgemeinen Anthropologikum eines unmittelbaren Kontaktes des Menschen mit der Natur entwickelt, mit welchem die gesamte Menschheit zurechtkommen musste und müsse. Unter Betonung dieses allgemeinen Ausgeliefertseins des Menschen an die natürliche Umwelt scheute De Gubernatis vor der Behauptung einer vollständigen Trennung der semitischen von den arischen Völkern zurück. Vielmehr blieb bei seiner philologisch vergleichenden Erforschung der Mythen die Hoffnung auf eine Verbindung zwischen Ariern und Semiten bestehen, wenn er in seinen Überlegungen zu den vedi325

De Gubernatis 1874: 13-14.

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schen Ursprüngen der biblischen Sintflut-Erzählung in der Manu-Episode des Shatapahta-Brahmana auf eine nicht nur textgenealogische Verbindungslinie beider ‚Sprachrassen‘ verwies.326 Unter Berufung auf den Berliner Herausgeber der Indischen Studien, Albrecht Weber, wünschte sich De Gubernatis geradezu, einen philologischen Beweis für die Nähe – wenn nicht gar Verwandtschaft – von Renans historischen Antagonisten sowie der arischen Völker untereinander gefunden zu haben.327 Wie Weber die Ursprünge des Sintflutnarrativs in einer Zeit vermutete, zu welcher die Völker des „arischen Stammes“ noch nicht getrennt waren, wollte De Gubernatis nachweisen, dass es gar Zeugnis von einer Epoche ablege, in welcher Arier und Semiten, wo nicht ‚ethnisch‘ so doch ‚zivilisatorisch‘, eine Gemeinschaft bildeten: Ma, come il Weber ha, nel primo volume de’ suoi Indische Studien, illustrato fin dall’anno 1850 la tradizione vedica del diluvio contenuta nel Catapatha Brâhmana, io spererei aver trovato negli stessi Inni del Rigveda la prova che la tradizione del diluvio appartenne non solo al periodo, nel quale i popoli della stirpe aria non erano ancora divisi, ma sì ancora a quello, in cui se la razza semitica e la turanica non formavano più una razza sola con l’ariana, erano, per lo meno, ancora intimamente congiunte con essa.328

Trotz seiner Ansätze genealogischer Verknüpfungen im Gegensatz zu typisierender Differenzierung von arischen Völkern und Semiten, und trotz seines Hinweises auf die natürliche Einheit der Menschheit, bleibt De Gubernatis‘ monumentalisierende Textlektüre der arischen Literatur als einer rassenlogisch aktualisierbaren Genealogie der modernen Indoeuropäer für die Entwicklung der italienischen Philologie als anthropologischer Wissenschaft eine epistemische Zäsur. Dies umso mehr, wenn man bedenkt, dass in einem weiteren Zusammenhang der allgemeinere Philologie-Begriff in De Gubernatis‘ Anthropologie des Logos mit einer physiologischen Erforschung des Menschen Hand 326

327

328

Die Episode des ‚Brahmana der hundert Pfade‘ (Shatapahta-Brahmana), einem der Opferund Ritualtexte (Brahmanas), welche jeweils einen Teil der vier Veden und damit zentrale Texte des Hinduismus darstellen, wird dem Textkorpus des Opferspruchveda (Yajurveda) zugeordnet. Es handelt sich dabei um eine rituelle Erzählung, in welcher der Gott Vishnu den Stammvater der Menschen Manu in Form eines Fisches vor der Sintflut warnte, nachdem letzterer den verwandelten Gott auf dessen Bitten hin vor den großen Fischen gerettet hatte. Selbst in einer Arche vor der Sintflut bewahrt, konnte Manu daraufhin nach dem Untergang der Menschheit durch sein Opfer und das daraus entsprungene weibliche Wesen den Erhalt der Menschen sichern. Zu Bedeutung und Inhalt der Brahmanas vgl. Winternitz 1996: 174209. Zur indischen Erzählung von Manu als ältester Form der Sintflut-Erzählung vgl. ebd.: 194-195. In De Gubernatis‘ Dizionario biografico degli scrittori contemporanei wird Albrecht Weber voller Wertschätzung für dessen patriotischen Charakter und für sein in vielfacher Hinsicht „enzyklopädisches“ Werk als „Fundgrube der Gelehrsamkeit“ bezeichnet: „I lavori del Weber sono una vera miniera d’erudizione non solo indiana, ma enciclopedica; e molte delle sue pagine contengono tanta dottrina che basterebbe ad altri per scrivervi sopra interi volumi. Il Weber è pure ardente patriota, e vivo e spesso mordace polemista.“ vgl. De Gubernatis 1879: 1062. De Gubernatis 1874: 224.

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in Hand zu gehen hatte, wie gezeigt wurde. Die Natur determinierte in der Argumentation des italienischen Indologen die sprachlichen, erzählerischen und kulturellen Leistungen des Menschen trotz einer prinzipiellen Gleichheit vor derselben. De Gubernatis‘ methodische Fokussierung auf die ‚arische Rasse‘ stellte durchaus eine rein pragmatisch spezialisierte Restriktion auf einen Forschungsgegenstand, nämlich die altindische Sprache und Literatur, dar. Sie stand in ihrer epistemischen Konzeption jedoch von Anfang an unter dem Einfluss von Renans exklusiver Geschichtsauffassung. Diese Ausrichtung mündete in beiden Fällen in die Ausarbeitung einer axiomatischen, da anthropologischen Hierarchisierung eines ethnischen Kollektivs. Durch die Methoden der Philologie – in De Gubernatis‘ Fall einer vergleichenden Mythologie wie sie Max Müller angedacht hatte – sollte nicht nur eine Erkenntnis der eigenen Ursprünge, sondern auch die Identifikation mit einem ‚Erbe‘ der Arier geweckt werden, die De Gubernatis auf seinen Reisen auch in Anbetracht des modernen Indien verspürte und enthusiastisch zum Ausdruck brachte.329

3.2. Von skeptischer Philologie und wissenschaftlichem Opportunismus Doch findet sich in der Geschichte der italienischen Philologie noch ein wesentlich militanterer Vertreter des arischen Paradigmas, der für dessen Verbreitung im wissenschaftlichen Diskurs von Interesse ist. Es handelt sich dabei um den Altphilologen und Literaturwissenschaftler Gaetano Trezza, der wie Ernest Renan in katholischem Umfeld sozialisiert worden war, aber schließlich zu einem erbitterten Gegner des dogmatischen Katholizismus wurde. Trezzas Suche nach einer säkularisierten philologischen Wissenschaft ließ ihn früh auf Renans Schriften aufmerksam werden, wobei er dessen Gedanken zu Philologie und Geschichte auf ‚kreative‘ Weise mit zahlreichen Strömungen positivistischen Denkens, wie der Philosophie des Philosophen Roberto Ardigò, dem Darwinismus und dem epikureischen Materialismus verband.330 Für 329

330

Zur aktualisierenden Rezeption des arischen Paradigmas durch Angelo de Gubernatis, wie er es bei Max Müller, Ernest Renan und, unter Einschränkungen, Arthur de Gobineau vorgeprägt fand im nationalen Kontext des Königreichs Italien, aber auch als Raum persönlicher Identifikation mit dem Forschungsgegenstand vgl. Solitario 1996: 168-169; Taddei 1997: 284. Trezzas diskursive Vereinnahmung Renans im Dienste einer säkularisierten Philologie und Geschichtsschreibung wird bereits in seiner Rezension zur Vie de Jésus offensichtlich. Vgl. Trezza 1863b. Giovanni Landucci sieht Trezzas Beitrag für die italienische Philologie, wie sie sich kurz nach Gründung des Königreiches institutionell entwickelte, vor allem in einer Reform der klassischen Philologie als pädagogischer Instanz. Die Philologie, verstanden als Didaktik des Griechischen und Lateinischen an den Schulen und Universitäten des Landes, sollte Trezzas Meinung nach Erforschung und Vermittlung dieser Sprachen mittels der Methodik der vergleichenden Philologie und vergleichenden Grammatik einer neuen ‚Lebendigkeit‘ zuführen. Seine Reform der klassischen Philologie war in erster Linie die Suche nach einer „ragione storica“ der grammatikalischen Formen des Lateinischen, die „la vivente logica che si espresse in quel complicato organismo“ (Trezza 1869: 51) freilegen sollten. Diese

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seine Konzeption einer lebendigen Altphilologie, wie sie dem Veroneser als pädagogisches Konzept gegenüber einer kalten Sterilität der Altertumswissenschaften vorschwebte, war die Rezeption von Theoder Mommsens Römische Geschichte und deren historiographische Methode entscheidend.331 Unter Hinweis auf Trezzas Politecnico-Artikel „Sulla psicologia delle schiatte“ hob bereits Piero Treves das schwierige Erbe dieses wenig erforschten Gelehrten für die italienische Geschichtswissenschaft hervor, dessen historisches Rassedenken sogar Spuren im Werk des antifaschistischen Historikers Gaetano De Sanctis hinterlassen hatte.332 Trezza wurde von Treves als eher problematische Figur der italienischen Wissenschaftsgeschichte gesehen, aber dennoch als zu Unrecht vergessener Reformator der Philologie für seine Leistungen gewürdigt. Von Trezza empfing der philologische Diskurs in Italien durchaus neue Impulse, wie in seiner enthusiastischen Rezeption von Mommsens lebendigem, aber kritischem Geschichtsverständnis gegenüber einem allzu formelhaften Klassizismus deutlich wurde. Jedoch ging diese Rezeption mit einer rassenlogischen Perspektivierung des Altertums einher: Non che d’oltr’Alpe, da un più maturo pensiero critico, da una più aperta cultura il Trezza derivasse soltanto il buono. Lo scritto del ‚Politecnico‘, ad esempio, dal quale si è citato più sopra l’elogio di Gino Capponi, s’intitola Sulla psicologia delle schiatte, e propugna, per obbedienza a teorie che oggidì mal si vogliono ambientare nella sola Germania, il più rigoroso ‚razzismo‘. Tanto, anzi, credette al ‚razzismo‘, al carattere etnico delle schiatte che fanno la storia, da propugnar, nella scia del Littré, un’esegesi ‚razziale‘ delle guerre puniche, su cui non varrebbe neppur più la pena d’insistere, quando ebbe a refutarla persino uno storico tedesco in regime hitleriano, non costituisse, quell’esegesi, mutuata, col tramite

331

332

Art klassischer Philologie sollte auch die Erschließung psychologischer und sozialer Faktoren der Antike miteinschließen: „Si potrà discutere sulla coerenza con cui Trezza applicava le teorie darwiniane alla storia della grammatica o alle formazioni storiche e si potrà discutere anche sull’esito vitalistico di un entusiasmo non sempre controllato, ma il suo merito maggiore consiste nell’aver tentato di rinnovare l’insegnamento del latino con l’introduzione della filologia e della grammatica comparata, di articolare la lingua con la civiltà e di congiungere la letteratura con la psicologia del popolo e la vita della società.“ Landucci 1977: 75. Eine epistemische Verknüpfung der Philologie mit darwinistischen Theoremen unter Einbeziehung völkerpsychologischer Ansätze sollte trotz dieser von Landucci monierten methodischen „Inkohärenz“ Teil eines Diskurses werden, der zu einer Hierarchisierung der Menschen nach geschichtlich relevanten ‚Rasse‘-Begriffen beitrug. Dieser Diskurs wies dem Kriterium der kognitiven Differenz der Völker eine entscheidende Rolle für deren Beurteilung zu und war von einer vitalistischen Logik durchdrungen, die sowohl in literarischen als auch sprachlichen Emanationen Ausdruck einer inhärenten Jugend und Kraft der Völker sah. Zu dieser problematischen Neuausrichtung der Philologie im Zeichen eines naturwissenschaftlichen Positivismus, welche Gaetano Trezza auf eine noch junge italienische Literaturwissenschaft zu übertragen suchte vgl. u.: Kap. III. Für eine Übersicht über die zahlreichen Einflüsse auf Trezzas Werk seit seiner jugendlichen Bewunderung für Mommsen vgl. Treves 1962: 993-1007. Vgl. Trezza 1863a, Treves 1962: 999.

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del Trezza, al Littré o ad analoghe fonti non germaniche, uno dei fondamenti della storiografia desantisiana.333

Im Folgenden soll deutlich werden, dass dieser „rigorose Rassismus“ sich wiederum zu einem großen Teil an der ‚arisch-semitischen‘ Opposition der renanschen Paradigmatik orientierte. Trezza übernahm wie De Gubernatis zwar in Ansätzen auch Renans ‚Arianisierung‘ des Christentums, jedoch legte er den Schwerpunkt auf eine säkularisierende Interpretation der hegelianischen Dialektik von zivilisatorischem Werden und Verfall als spannungsreicher Beziehung von Dominanz und Unterwerfung zwischen den beiden Rassen der Arier und Semiten. Eine Geschichtslogik, welche Trezza für die italienische Sache ‚aktualisierte‘. Auf einer dritten epistemischen Ebene suchte Trezza diese rassenlogische Geschichtsdialektik in seinem philosophischen und historischen Werk Lucrezio über die Bedeutung des römischen Philosophen Titus Lucretius Clarus (9755 v. Chr.) mit einem philologischen Vitalismus zu verbinden, der aus menschlicher Kreativität ein philologisches Prinzip und ein Differenzmerkmal des arischen Geistes werden ließ.334 Allein dieses vitalistische Prinzip literarischer Kreativität und Kraft begründe die Durchsetzungsfähigkeit der arischen Rasse in der Geschichte, während das semitische Denken befangen sei in der ewigen Wiederholung der gleichen literarischen Formen und Formeln und „Schritt für Schritt untergehen müsse“ („poco a poco perire“)335. Trezzas Dialektik nahm im Gegensatz zu De Gubernatis dabei einen scharfen Ton gegenüber den exkludierten Semiten an, wenn er im Geiste einer naturwissenschaftlichen Epistemologie der Philologie eine darwinistische Selektionsmetaphorik aus dem ‚Fortschritt des Geistes‘ ableitete. Die Befreiung des Geistes in der Geschichtlichkeit sei dem Semitischen fremd, das auch in dieser Geschichtlichkeit dem formelhaften Dogma religiöser Zentrierung verhaftet sei. Wie problematisch diese Sichtweise nicht nur dem heutigen Leser vorkommen muss wird deutlich, wenn man bedenkt, dass aus den folgenden Zeilen nicht klar wird, ob die dort vorgestellte Geschichtsteleologie lediglich deskriptiv und nicht als Appell verstanden werden soll. Wenn Trezza beschwörend anmahnt, dass in naher Zukunft das indoeuropäische Prinzip vollkommen über das semitische Prinzip triumphieren werde und „im Gefecht um das Leben“ („pugna per la vita“)336 jegliches Element semitischen Denkens „abstoßen“ werde, fällt es dem heutigen Leser sehr schwer, die Fatalität derartiger Aussagen zugunsten einer historisierenden Darstellung zu ignorieren: E chi consideri le due razze, dalle quali uscirono le più grandi scoperte nella scienza e nella coscienza, le razze veramente storiche, come le chiama il Renan, giacché esse sole hanno in gran parte formata la storia, troverà che il predominio 333 334 335 336

Ebd. Vgl. Trezza 1870. Ebd.: 24-25. Ebd.: 25.

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sempre crescente dell’aryana sulla semitica e la vittoria inevitabile del pensiero indo-europeo in un avvenire non lontano, dipende appunto da questo che io direi tendenza mitologica della prima. Le due forme in che si espressero, la mitologia e il monoteismo, portavano ciascuna in se stessa una rivoluzione di idee e di sentimenti che determinava il valore storico di quelle razze: era una pugna per la vita, come direbbe Darwin, e dovea vincere la forma più forte, cioè l’arya come più disposta alle esigenze dello spirito umano: la semitica era già destinata fin dal suo primo innestarsi coll’indo-europea a perire poco a poco: l’avvenire del mondo moderno si cova in questo travaglio operoso della storia che espelle da se qualunque elemento semitico che ripugni alla sua indole varia e progressiva, e fa prevalere la libertà dello spirito alla immobilità delle formole.337

Zugleich schrieb Trezza dieser arischen „Freiheit“ einen religionsskeptischen, dabei aber undogmatischen Mehrwert für die Entwicklung der italienischen Geschichte zu, der die italienische Philologie weniger in trockene Textkritik, als vielmehr in die Lebendigkeit des experimentellen Erforschens führen könne. Dieses neugierige Forschen mache den speziellen Charakterzug eines hellenisch-arischen Geistes aus, durch welchen das Erbe der Indoeuropäer, die auch von De Gubernatis betonte Nähe zur Natur, bereits früher zu fruchtbarer Blüte in der griechischen und römischen Philosophie gelangt sei. Diese stellten harmonische Verbindungen der überbordenden indischen Mythologie mit einer kritischen Skepsis dar. Diese Verbindung sei im Werk des Epikureers Lukrez zugleich in perfekter, aber letztlich doch tragisch gescheiterter Form nachvollziehbar. Sein De rerum natura habe sich in einer gegensätzlichen, aber über Jahrhunderte unterlegenen Position zur dogmatischen Nüchternheit einer vornehmlich christlich – und damit semitisch – geprägten Rezeption befunden.338 Diese Rezeptionslinie habe zwar mit dem Monotheismus „in sich 337 338

Ebd.: 24-25. So sah Trezza in De rerum natura, jenem großen naturhistorischen Lehrgedicht der römischen Antike, einen Übergang des arischen Geistes von der überbordenden Mythenwelt als Hermeneutik der Natur zur philosophischen Kritik an der Natur, wie sie seiner Ansicht nach die griechisch-lateinische Antike auszeichne: „Il Poema lucreziano esce da tutta la critica antica, e porta in se stesso, per così dire, i vestigi delle rivoluzioni per cui è passato il pensiero greco-latino. Anzi, a chi ben noti, pare che il mondo degli Aryas vi ricomparisca e vi si affermi prima di trasformarsi in un mondo novello.“ Ebd.: 9. Die Begeisterung Trezzas für den römischen Epikureer ist auch in einem europäischen Kontext zu sehen. So spielte Karl Lachmanns kritische Lukrez-Ausgabe von 1850 aufgrund der darin erzielten Erfolge beim Entlarven spätantiker Interpolationen des Originaltextes auf der Grundlage frühmittelalterlichkarolingischer und humanistischer Quellen eine bahnbrechende Rolle für die textkritische Methodik. Vgl. Brunhölzl 1962: 97. Die epistemische Bedeutung des Lukrez nahm ab der Mitte des 19. Jahrhunderts im Kontext des aufkommenden historischen Materialismus zu. So war eine weniger rassenlogisch motivierte und informative Darstellung seines philosophischen Lehrgedichts wenige Jahre vor Trezzas Veröffentlichung in Deutschland entstanden. Der Philosoph, Politiker und Theoretiker des Sozialismus Friedrich Albert Lange hat im ersten Band seines Hauptwerks, der 1866 veröffentlichten Geschichte des Materialismus, das Werk seines römischen ‚Kollegen‘ auf prägnante Weise in seinem inhaltlichen Aufbau sowie dem darin debattierten Konflikt von natürlicher Determiniertheit und der Freiheit des menschlichen Willens dargestellt. Vgl. Lange 1866: 36-59. Obwohl das „Drama“ um Verlust und Wiederfinden des Lukrez durch den Humanisten Poggio Bracciolini vor nunmehr 400 Jahren

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selbst den Keim religiöser Zukunft“ („in se stesso il germe dell’avvenire religioso del mondo“)339 getragen, jedoch mit dieser „religiösen Zukunft“ jegliche eigenständig geistige Entwicklung der Menschheit bedroht, wie sie in der Philosophie des Lukrez zum Ausdruck gekommen sei. Während Lukrez im Mittelalter dem Vergessen anheimfiel, habe die dominierende Herrschaft semitischer Dogmatik im Christentum überlebt und unterjoche nach wie vor in Form unnachgiebiger Wissenschaftsfeindlichkeit die Welt und vor allem Italien: Il principio semitico della creazione non appartiene alla scienza, perché non esca da nessun fatto né fisico né storico: è un’ignoranza coperta di mistero e gittata sulla ragione per contentarla dentro ai confini non superabili del dogma. Quindi il concetto che il cristianesimo s’era fatto del mondo fondandosi tutto su quel principio, allontanava la ragione umana dalla verità delle cose. Nel politeismo la scienza era più alta del sentimento, nel cristianesimo il sentimento era più alto della scienza, anzi era fuori della scienza.340

Dennoch weise der christliche Glaube durch den Einfluss der „philosphischen Rassen des Westens“ („razze filosofiche dell’occidente“) nicht mehr die alte Starrheit eines abstrakten Monotheismus, jene „semitische Starrheit“ („rigidità semitica“) auf, sondern gestehe dem menschlichen Geist „lebendige Beweglichkeit“ („viva mobilità“) zu.341 Allein diese Flexibilität habe das christliche Weltbild vor der Stagnation gerettet und ihm innerhalb der Geschichte einen wichtigen Platz zugewiesen, wobei es jedoch ständig vom Wiedererstarken dogmatischer Enge bedroht sei, solange Rationalität und Naturwissenschaft geleugnet würden. Und dennoch seien Glaube und Religiosität möglich und wünschenswert: „[…] il sentimento religioso non ha bisogno nè di simboli, nè di pontefici, né di templi.“342 Der „Tempel des Geistes“ („tempio dello spirito“) war in Trezzas szientistischem Konzept das einzig transzendentale Prinzip, welches ihm anbetungswürdig erschien, da es die Enthüllung der Wahrheit erlaube. Eben dieses Prinzip habe Lukrez gefehlt, da er trotz seiner prometheischen Skepsis der Natur nicht jenen „ewigen Protest der Seele“ („protesta eterna dell’anima“) einer selbstbewussten modernen Naturwissenschaft entgegenzusetzen wusste, wie dies der rebellische indoeuropäische Geist erst nach der Überwindung aller Dogmen ermöglicht habe.343 Diese historische Entwicklungsgeschichte des menschlichen Geistes zwischen religiösem Dog-

339 340 341 342 343

im 19. Jahrhundert beinahe vergessen und Lukrez in den „mainstream of modern thought“ fast völlig absorbiert war (vgl. Greenblatt 2011: 262), blieb der Text für säkular und materialistisch ausgerichtete Denker des 19. Jahrhunderts eine der wichtigsten historischen Bezugspunkte ihrer Argumentationsstrategien. Dies erkannte auch Karl Marx, nachdem er den von Hegel kaum beachteten Lukrez nach anfänglicher Skepsis sehr zu schätzen begann und im Kontext seiner eigenen Ideen häufiger zitierte. Vgl. Marx 1976 [1839]: 712, Lausberg 1999: 170, Mäder 2010: 195. Ebd.: 12. Ebd.: 13. Ebd.: 20. Ebd. Ebd.: 21.

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ma und naturverbundener Freiheit enthält eine politische Dimension. Trezza stilisierte die gesellschaftliche und wissenschaftliche Starre jener Jahre des Verzeichnisses der Irrtümer (Syllabus errorum), der vatikanischen Reaktion und des Unfehlbarkeitsdogmas zu einer Emanation eines ‚dogmatischen Prinzips des Semitentums‘.344 Dieses bedrohe das Wiedererstarken des philosophischen Erbes der Epikureer, indem es durch die Affirmation des Monotheismus und einer Erschaffung der Welt aus dem Nichts den arischen Geist der Antike wiederum zu beerdigen suche.345 Das semitische Prinzip wird durch Trezzas Aktualisierung einer antiken Dialektik epistemischer Siege und Unterwerfungen affirmativ als Feind des freien Denkens sowie des wissenschaftlichen Fortschritts dargestellt und zum Hindernis kritischen Denkens erklärt. Der Blutsbegriff spielte in dieser ideologischen Konstruktion durchaus eine wichtige Rolle. In ihm aktualisierte sich für Trezza die Identität einer verlorenen arischen und von „Gott bevorzugen“ Zivilisation mit seinem italienischen – und doch katholischen – Lesepublikum. Doch was den wahren Antagonismus zu den Semiten beträfe, so sei es nicht so sehr das Blut, sondern vor allem die sprachliche Differenz, welche die Italiener – im Gegensatz zu ihrem Glauben – Tag für Tag auf eine von den Semiten vollkommen verschiedene „psychologische Welt“ hinweise: 344

345

Das Erste Vaticanum unter Pius IX. von 1869-1870 endete mit der umstrittenen Unfehlbarkeitserklärung des Papstes in Glaubens- und Sittenfragen sowie mit der Besetzung des Kirchenstaates durch italienische Truppen. Zu den historischen Implikationen, welche den Zeitpunkt der Verkündung dieses Dogmas begünstigten vgl. Conzemius 1870. Der Syllabus wurde von Pius IX. am 08.12.1864 unter dem vollen Titel Syllabus complectens praecipuos nostrae aetatis errores in 80 Thesen veröffentlicht. Er richtete sich gegen absoluten Rationalismus, Naturalismus, Liberalismus, Indifferentialismus, Kommunismus usw. und ging mit der Enzyklika Quanta cura einher. Zur Erstarrung des Christentums in Politik und Äußerlichkeit äußerte sich Trezza noch wesentlich deutlicher in seinem Aufsatz „Il cristianesimo e la scienza“ (Vgl. Trezza 1878a: 59-82), in welchem er einem dogmatischen Christentum eine düstere Zukunft prophezeite. Nicht der Glaube selbst müsse sterben, sondern lediglich das metaphysische Prinzip eines in Symbolen ausdrückbaren, persönlichen Gottes, vermittelt durch eine unfehlbare Instanz. Diese müssten dem Glauben an die Durchdringungskraft und die Skepsis des Geistes weichen, dem immer noch der „sentimento cristiano“ als eine paradoxerweise säkulare „idea religiosa“ innewohne, welche auch in der neuen Zeit bestehen könne: „Che se il sistema del cristianesimo appartiene alla riflessione come la fece il passato, né può rimanersene saldo davanti alla novità del presente, lo spirito del cristianesimo è ricco d’immenso avvenire; la critica può ben disfarne le leggende ed i simboli, ma il sentimento ch’egli ha impresso nella coscienza sorvive [sic] a qualunque perdita; ciò che contrasta collo scienza non è la fede ma il sovrannaturale della fede, ciò che va morendo non è l’adorazione in ispirito ma l’infallibilità stolta che organizza le formole dell’adorazione, gli Dei sen vanno ma l’ideale rimane.“ Trezza 1878a: 73. Vgl. Trezza 1870: 10. Dieses ontologische Prinzip einer ewigen Kette erster Ursachen in der Ewigkeit der Materie ohne göttliche Intervention hatte nämlich bereits Lukrez mit seinem Satz vom Prinzip, dass „Nullam rem ex nihilo gigni divinitus umquam“ („[…] dass kein Ding niemals aus dem Nichts auf göttliche Weise gezeugt wird“, Lukrez, De rerum natura, 1. Buch, Vers 149, dt. Übers. ML) ausgedrückt, welches Trezza jedoch in der Bhagavad Gita als „moto operoso“ der Materie, als aktiv wirkendem und keinesfalls passivem Prinzip, bereits vorzufinden glaubte und somit wiederum den „lirismo orientale“ zum geistig-mythologischen Vater der griechisch-römischen Philosophie erklärte. Vgl. Trezza 1870: 55 ff.

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L’altra delle due grandi schiatte storiche, la schiatta venerabile dei nostri padri, il cui sangue ci corre nelle vene, il cui idioma, il più stupendo forse di quanti creò lo spirito umano, diviso in tante favelle che sembrano ignote fra loro, pur vive ancora traverso le lunghe rivoluzioni in tutte le lingue cognate dall’Indo all’estremo occidente d’Europa, è quella degli Aryas, schiatta privilegiata da Dio de’suoi doni più belli, iniziatrice delle grandi rivoluzioni dell’arte e della scienza. Che sia questo un mondo psicologico diverso per ogni parte dal semitico, ce lo attesta quel grande indicatore delle parentele umane che è il linguaggio.346

Dabei stimmte Trezza im Unterschied zu seinem Kollegen De Gubernatis, der ja eine Zusammenarbeit von Physiologie und Philologie forderte, mit Ernest Renan darin überein, dass eine Erforschung von anthropologischen Zusammenhängen, Unterschieden, oder aber gegenseitigen Einflüssen menschlicher Kollektive keinesfalls auf physiologischer Grundlage geschehen könne. Sie müsse vielmehr in ihren „subtilsten Verbindungsstellen“ („congiunture sottilissime“) anhand der Geschichte der Völker, ihrer Sprachen und ihrer textuellen Monumente deutlich gemacht werden, da die Unterscheidung der physischen Differenz eine „andere Faktenlage“ („un ordine di fatti distinto“) darstelle und somit einer anderen Wissenschaft unterstehe, wie Trezza einem Kapitel seiner Studi critici mit dem Titel „Le Schiatte“ voranstellte: Fra esse le due grandi schiatte storiche, come le chiama Ernesto Renan, la semitica e l’aryana furono meglio investigate per ciò che tengono congiunture sottilissime con quanto v’ha di più alto nella moderna civiltà. Messa da parte ogni indagine fisiologica che costituisce un ordine di fatti distinto, benché non senza attinenze con questi studi, cercheremo in quelle facoltà fondamentali che ci rivelino qualcosa dell’organismo psicologico di ciascuna.347

Für diese Wissenschaft habe der skeptische Geist Ernest Renans durch seine neue Art der Geschichtswissenschaft eine eigene Art positivistischer Geschichtsschreibung verwirklicht, die sich nicht anhand kalter Fakten orientiere, sondern im Hegelschen Sinne eine organische Dialektik entwickle.348 Obwohl Trezza dem metaphysischen Aspekt in Hegels Geschichtswissenschaft die Skepsis des Positivisten gegenüberstellte, sah er das große Verdienst des Deutschen darin, historische Fakten nicht mehr als „fixierte und unverbundene Quantitäten“ („Quantità fisse e staccate“) zu betrachten. Vielmehr seien sie bei Hegel in einer dynamischen, aber konkreten „Verschwörung von Kräften und Formen“ („una cospirazione di forze e di forme“) verbunden, in welcher das „Leben des Geistes und der Welt“ („la vita dello spirito e del mondo“) sichtbar 346 347 348

Trezza 1878a: 26. Ebd.: 15. „[…] il Renan per contrario, non seguace di nessuna metafisica, persuaso che l’infinita complessità delle cose sfugge alle esigenze delle formole, non s’appropriò dell’Hegel che alcuna di quelle grandi intuizioni che cangiarono l’indirizzo intellettivo del secolo decimo nono: egli non è un hegeliano come lo Strauss, tutt’altro; ma direi senza tema di paradosso che del sistema hegeliano egli ne colse le parti più vive e gittò [sic] la via le caduche, poco fedele alla lettura ma libero alunno dello spirito.“ Trezza 1863b: 133.

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werde.349 Dies entsprach Trezzas eigenem Verständnis des deutschen Idealisten, das ihn direkt in einen historischen Materialismus führen sollte, der jedoch weniger in ein gesellschaftliches Klassenbewusstsein, als vielmehr in eine historische Dialektik zwischen Dogma und freier Wissenschaft mündete. Renan mache in Vie de Jésus ein philosophisches Konzept zur Methode seiner Geschichtswissenschaft, indem er zwar positivistisch den ‚Fakten‘ vertraue, diese jedoch hegelianisch verbinde und daher ein lebendiges, und nicht in kalter Sterilität verharrendes historisches Panorama durch die Fokussierung auf die Person des Jesus erschaffe: Ecco una rivoluzione di scienza, forse la più ardita di quante ne fece il secolo decimo nono; […]. Come le poteri intorno alle quali si concertano i grandi problemi dello spirito umano, la Vie de Jésus del Renan non va giudicata con quelle analisi secche e dissolvitrici che scompongono gelidamente le membra vive d’un grande concetto, e staccandone qua e là le frasi le accozzano in una sintesi mostruosa ed inorganica, e invece d’un corpo ove scorra il sangue e il palpito della vita ti danno uno scheletro smunto e senza organi.350

Doch wie bei Renan und auch bei De Gubernatis spielte für Trezzas historisierenden und doch ‚lebendig-organischen‘ Blick auf Jesus von Nazareth, und trotz seines Anspruchs auf Wissenschaftlichkeit ein politisches Ziel historischer Identifikation über Text eine entscheidende Rolle. Diese Identifikation basierte auf der auch philologisch begründeten Ablösung des Christentums von seiner zentralen ‚semitischen‘ Bezugsfigur und vom Judentum als Buchstabengläubigkeit und „Durcheinander von Formeln“ („viluppo di formule“)351 überhaupt. Dabei konzentrierte sich Trezza nicht wie De Gubernatis auf die christliche Symbolik und eine arisch-semitische Genealogie von Narrativen des Alten Testaments, als vielmehr auf einen der Hauptakteure des Neuen Testaments, um ihn als Urheber einer philologischen Dialektik semitischer Formeln und arischer Narrative zu ‚arianisieren‘, oder besser zu ‚hellenisieren‘. Wie sich aus der antisemitischen Positionierung Trezzas erahnen lässt, geschah die arische Rekontextualisierung des Christentums daher nicht über 349

350 351

Im ganzen Textzusammenhang der etwas vereinfachenden Paraphrasierung von Hegels Gedankengebäude als Spannung zwischen metaphysischer Abstraktion und konkreter Faktizität im Raum der Geschichte wird Trezzas Hang zur historisch-kritischen Richtung des hegelschen Denkens offensichtlich: „Nell’hegelianismo v’ha due parti opposte, la metafisica e la critica, l’astratta e la storica, l’assoluta e la relativa; anzi chi noti un po’addentro in quel vasto sistema s’accorge come l’elemento metafisico sia profondamente implicato nello storico, tanto che la rivoluzione hegeliana si potrebbe chiamare lo sforzo arditissimo di trasferire la storia nella metafisica ed introdurre i fatti nelle formole a priori; quindi caduto facilmente l’elemento metafisico ed astratto, resta vivo e fecondo il critico e lo storico; e si potrebbe dire che nel sistema dell’Hegel la metafisica, ritorcendo la rivoluzione dentro sé medesima, si trasformò in un nuovo metodo nel quale i fatti non sono più considerati come quantità fisse e staccate l’una dall’altra, ma come una cospirazione di forze e di forme nelle quali si va facendo la vita dello spirito e del mondo.“ Ebd.: 133-134. Trezza 1863b: 128. Trezza 1878a: 70.

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eine Philologie als vergleichender Mythenforschung. Vielmehr suchte Trezza nach einer epistemischen Verbindung der Lehren des zwar semitischen, aber durch seine Zurückweisung der ‚mosaischen Dogmatik‘ des Judentums epistemisch wichtigen Philosophen Jesus mit den Griechen als den für Trezza eigentlichen Begründern der Menschlichkeit. Hierfür bot sich die Missionstätigkeit des hellenisierten Apostels Paulus von Tarsus an, der semitische und griechische Welt auf das Fruchtbarste durch seine Bildung, seine Reisen und seine Korrespondententätigkeit in Kontakt gebracht habe.352 Eine Tätigkeit, die dem Palästinenser Jesus in seiner Provinz verwehrt gewesen sei: Il cristianesimo piuttosto che una restaurazione del principio semitico n’è la più grande contradditoria; non è il compimento ma la negazione del semitismo iniziata da Gesù, che si fece con questo il creatore della religione dello spirito; in una parola è una grande antinomia sorpresa da S. Paolo nella rivoluzione morale, ancor poco avvertita, di Gesù, e che l’apostolo impetuoso di Tarso introdusse nel mondo greco latino perché vi fruttificasse per l’avvenire. Nel cristianesimo l’oriente semitico e l’occidente aryano si compenetrarono poco a poco, ma l’elemento semitico è destinato a perire, o meglio, a trasformarsi nell’indoeuropeo, come videro acutamente Bunsen, Baur, Renan; e andrebbe assai lungi dal vero chi tenesse il cristianesimo moderno ricco di metafisiche e di poemi, come identico al primitivo quale uscì dalla coscienza del Nazareno.353

Das Christentum in seiner aktuellen Form sei also seit seiner Übersetzung durch Paulus in den griechisch-lateinischen Kontext („mondo greco-latino“) durchdrungen von arischer Poesie und metaphysischen Lehrsetzen, welche eine auf das konkrete Erleben beschränkte Formelhaftigkeit einer semitischen Religion relativiert hätten. Wiederum betonte Trezza unter Berufung auf Renan, dass das semitische Element in einer hegelianischen Dialektik der ‚Anerkennung‘ untergehen, oder sich besser in das indoeuropäische „verwandeln“ („trasformarsi“) müsse. Dieses semitische Element habe nämlich die Entwicklung der christlichen Lehre von Anfang an behindert, da das nicht nur klima352

353

Auch in Trezzas religionskritischen Aussagen blieb die Frage nach der Rolle der Philologie als einer liberal-säkularen oder dogmatisch-theologischen Wissenschaft im Kontext eines philologisch begründeten Antisemitismus präsent. Es wäre aus dieser Perspektive als Plädyoer Trezzas für eine Säkularisierung der klassischen Philologie zu verstehen, wenn er schrieb, dass es dem Menschensohn verwehrt gewesen sei, die dem arischen Textkosmos vorbehaltene Weisheit zu kosten, welche allein durch seinen Apostel und dessen Kenntnisse über die griechische Welt für seine religiösen Ideen fruchtbar gemacht werden konnte. Dennoch sei es Jesus gewesen, der als erster der trockenen Buchstabengläubigkeit der jüdischen Religion, dem „Buchstaben, der tötet“, das freie Denken, „den Geist, der belebt“ entgegen gesetzt habe: „La vera, la grande opera del Figliuolo dell’uomo fu nell’aver saputo trasfondere nelle moltitudini quel sentimento nuovo, e d’aver liberato per sempre la religione da quel viluppo di formule che soffocava il mosaismo; d’avere posto la coscienza in luogo della legge, lo spirito che vivifica in luogo della lettera che uccide. Non direi che Gesù fosse giunto alle conseguenze ultime di quel principio, chè anzi, chi legga un po’dentro i sinottici, vi troverà, che l’antinomia religiosa non v’è ancor bene spiccata ma piuttosto latente; né ci volle meno che la iniziativa di S. Paolo, per sottrarla del tutto a quella pericolosa perplessità che forse ne avrebbe impedito l’avvenire.“ Ebd.: 70-71. Ebd.: 25.

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tisch, sondern auch intellektuell aride Klima Palästinas wenig zu seiner Verbreitung beigetragen habe, wo doch in dieser Provinz des römischen Reiches der fruchtbare Geist der indischen und griechischen Mythenwelt so gut wie unbekannt gewesen sei. Paulus stellte somit auch philologisch für Trezza eine Brücke zwischen antiker und christlicher Narration dar. Die perfekte Harmonie aus überbordender indischer Phantasie und dem Skeptizismus sei eben allein in der griechisch-römischen Mythenwelt, den großen Epen der Antike sowie der griechischen Philosophie und ihren römischen Nachfolgern, besonders beim frühen ‚Naturwissenschaftler‘ Lukrez, und letztlich in den abstrakten Gottesideen der Platoniker zu finden gewesen. All diese Produkte eines arischen Genies‘, darunter auch das ‚pelasgische‘ Rom, mussten ihre lebendigen Narrative gleichsam als Dünger („fruttificare“) der von Jesus gepflanzten Saat einer „Religion des Geistes“ („religione dello spirito“) hinzufügen: Al di là de’ suoi cari orizzonti di Palestina poco o nulla conobbe Gesù; le grandi epopee mitologiche e metafisiche della Grecia gli furono ignote; la violenta epopea di Roma gli passò davanti come una grande ombra, e parve pressoché indifferente verso quella civiltà pelasgica in che dovea [sic] più tardi fruttificare l’idea religiosa germogliata dal mondo semitico. Che sarebbe stato del genere umano se Gesù avesse partecipato a quel scetticismo in cui mettea foce tutta la scienza del suo tempo, e avesse compreso le leggi inesorabili della natura come le cantava Lucrezio, o adorato il Dio d’Anassagora e di Platone? E dell’animo avesse avuto quei smunti concetti che ne dà l’astrazione dell’analista?354

Der renansche Orientalismus der Philologie als epistemische Separation eines ‚semitischen Orients‘ von einem ‚arischen Orient‘, der belebend auf den Okzident gewirkt habe, nährte sich bei Trezza aus einer philologisch-textuellen Beschäftigung mit den klassischen Texten der europäischen Antike und nicht mit den Mythen des Orients. Seine Besprechung von Renans Leben Jesu zeigte bereits, wie sehr der abtrünnige und skeptische Priester Trezza eine hellenistische Säkularisierung der christlichen Überlieferung als einer gesellschaftlich und epistemisch integrierenden Instanz für die Konstruktion einer italienischen Geistes- und Rassengeschichte schätzte. In seinen Studi critici, einer Anthologie einiger seiner frühen Schriften, sollte er sich daher noch stärker einer philologischen Geschichtsdeutung der europäischen Völker widmen. In ihr erweiterte er die hegelianischen Ansätze seiner frühen Renan-Rezension zu einer Philologie der Geschichte, die eine Genealogie literarischer Gattungen als anthropologischen Konstrukten erlauben sollte.355 Diese konzipierte Trezza einerseits als zivilisatorische Evolutionsgeschichte und verfasste sie dennoch zugleich als eine Geschichte der Völker und Rassen, welche – gegen den Passatismus der ‚klassisch-römischen‘ und ‚römisch-katholischen‘ Lesart einer glorreichen italienischen Vergangenheit – die italienische von einer romanischen Identität auf wissenschaftlichem 354 355

Trezza 1863b: 140. Vgl. Trezza 1878a.

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Weg trennen sollte, um sie für eine säkulare und freie Zukunft zu öffnen. Die Frage nach der historischen Identität der Italiener jenseits von Latinità und katholischem Dogma war für Trezza von zentraler Bedeutung. Und so betonte er den Nutzen einer von methodischer Erforschung phonetischer, etymologischer Genealogien geprägten ‚Mythologie‘, wie sie in Europa langsam Verbreitung fand. Diese sollte jedoch weniger orientalisch-arische Textwelten in Verbindung zu den Narrativen der Bibel bringen. Vielmehr nütze sie dem besseren Verständnis der okzidental-arischen, doch nur vermeintlich so bekannten antiken Mythen als Narrativen einer indoeuropäischen ‚Urmythologie‘. Bisher sei dies von einer auf Teilaspekte des Mythos – wie Symbolik und kultischen Kontext – spezialisierten Mythenforschung nicht geleistet worden, da diese nicht die gemeinsame Grundlage vergleichender Methodik entwickelt habe: I più si fermavano [i dotti, ML] ai miti greci o romani come avessero in se stessi le ragioni del loro formarsi, e quindi torcendo l’etimologia al di fuori delle leggi fonetiche, ardivano ipotesi era poi lieve lo sdrucciolo a teorie preconcette che non poco guastarono e ancora guastano la scienza mitologica. Ma come sarebbe impossibile spiegare il latino ed il greco per se stessi, giacché le due lingue, giudicate fin qui come organismi esistenti da se, non altro sono che frammenti di una più antica mitologia nata là sugli acrocori dell’Himaus e lungo le rive dell’Oxo e dell Iaxarte.356

Erst die Deutschen Max Müller und Adalbert Kuhn, der Engländer George Cox und der Franzose Michel Bréal hätten die indoeuropäischen Ursprünge der antiken Mythenwelt durch Vergleich von einem Teilbereich der klassischen Philologie zu einer eigenständigen Wissenschaft auf Grundlage hermeneutischer Verfahren wie symbolischer Interpretation und sprachwissenschaftlicher Analyse der Phonetik und Etymologie mythischer Narrative werden lassen.357 Bereits die Bezeichnung dieser Wissenschaft als ‚indoeuropäische Mythenforschung‘ wäre jedoch – folgt man logisch Trezzas Konzeption des ‚My356 357

Trezza 1878a: 212. Vgl. ebd.: 211-231. Trezza diskutierte im Kontext der philologischen Suche nach den indoeuropäischen Ursprüngen der griechisch-römischen Mythenwelt die unterschiedlichen, methodischen Vorgehensweisen und Erkenntnisse der Gründerfiguren der vergleichenden Mythenforschung Kuhn, Müller, Cox und Bréal anhand des 1870 erschienenem Werks The Mythology of Arian Nations des Historikers George William Cox. Vgl. Cox 1870. Dieses wurde dabei von Trezza als lediglich in Teilen von eigenständigen Ideen geprägtes Werk kritisiert, da Cox das methodische Rüstzeug sowie einen guten Teil der darin enthaltenen Ideen, Müllers und besonders Bréals Vorarbeiten zu verdanken habe. Vgl. Trezza 1878a: 214. Letzterer ging vor allem durch den in seinem Hauptwerk Essai de Sémantique geprägten methodischen Begriff der Semantik als Grundlage einer gänzlich neuen Terminologie in die Geschichte der europäischen Philologie ein. Vgl. Bréal 1897. Doch bereits in den 60er Jahren veröffentlichte Bréal einige religionswissenschaftliche und mythologische Arbeiten über den Zoroastrismus und, was für Trezza besonders wichtig war, über zentrale Narrative der griechisch-römischen Antike, die der Italiener als „stupende monografie“ lobte. Trezza 1878a: 214. So verhandelte Bréal in seinem Werk über die den Mythos vom Kampf zwischen Herkules und dem Riesen Cacus die methodischen Grundlagen einer Anwendung symbolischer Hermeneutik auf die Mythenforschung. Vgl. Bréal 1862 sowie Ders. 1863 u. 1864.

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thos‘ – ein Pleonasmus, da die Schöpfung der mythologischen Literatur nur aus jenem ‚arischen Geist‘ entstehen konnte, welcher die von Renan und De Gubernatis verherrlichte überbordende Phantasie aufweise, die der Veranlagung der ‚semitischen Rasse‘ fehle. Diese sei ja laut Trezza durch ihr Kreisen um einen monolithischen Gottesbegriff weniger in der Stilistik, als in den Gegenständen der Erzählung in einer Monotonie befangen, die weder eine dynamische Charakterzeichnung noch ein diegetisch relevantes Individuum, und damit auch keinen Heros erlaube.358 Trezza ‚arianisierte‘ somit nicht wie De Gubernatis die Bibel mittels der historisch-vergleichenden Mythenforschung. Er verbannte das Alte Testament lieber gleich ganz aus dem Spektrum seiner Forschungsgegenstände und schuf auf diese Weise jene exklusive Wissenschaft einer indisch-griechisch-römischen Antike. Trezza berief sich dabei auf Max Müllers mythologische Genealogie, wie dieser sie in seinem Essay Comparative mythology entwickelte, wenn er auf die Schöpfungskraft und Kreativität einer arischen Erzähltradition hinwies, die aus der überbordenden Ambivalenz der indoeuropäischen Sprachen entstanden sei. Mit den Worten Müllers359 machte Trezza noch einmal deutlich, dass er diese Kreativität als historische Kontinuität auf das „immergleiche Blut“ („un sangue medesimo“) zurückzuführe. Affirmativ ergänzte er, dass es sich bei der indischen Mythenwelt sowie ihren epischen Nachfolgern – dem Rāmāyana der Inder, der Ilias der Griechen und den Nibelungen der Germanen – geradezu um unüberbrückbare „Gegenlogiken“ („controsensi“) zum düsteren liturgischen Monolog („tetro monologo“) der ‚semitischen‘ Gottesverherrlichung handle. Letztere böte dagegen weder nennenswerte narrative Kreativität noch eigenständig handelnde Akteure, noch Variation der Thematik: Quindi nella razza semitica tu non hai nessuna di quelle grandi manifestazioni dell’arte di cui furono così ricche, qual più e qual meno, come vedremo più, sotto le razze indo-europee. L’infecondità mitologica dell’idea religiosa vi rese impossibile l’epopea, la quale non si svolge che nel seno dei miti. ‘Il sangue che scorre in tutta la poesia antica’, osserva acutamente Max Müller, ‘è un sangue medesimo, è l’antico linguaggio dei miti; l’atmosfera nella quale si sviluppò la poesia primitiva degli Aryas era mitologica, e coloro che la respirarono non poteano [sic] sottrarsi agli influssi di cui era pregna’ […]. Il Ramayana, l’Iliade, i Nibelungen, sarebbero controsensi nel mondo semitico, il quale non ti porge che il tetro monologo di Iahweh solitario circondato appena da quelle sparute figure 358

359

Zu den nach Trezzas Auffassung seit ihren Ursprüngen unterschiedlichen ‚literarischen Charakteren‘ der Semiten und der Arier vgl. Trezza 1878a: 20-25, 31-33. Vgl. Müller 1909 [1856]. Im Original wurde der Blutsbegriff in einem weniger anthropologisierenden Kontext und vielmehr im Sinne einer ästhetischen Kontinuität ohne Gegensatz zu einem inferiorisierten ‚Gegenstück‘ gebraucht: „The later growth of epic and tragical poetry may be Greek, or Indian, or Teutonic; it may take the different colours of the different skies, the different warmth of the different climes; nay, it may attract and absorb much that is accidental and historical. But if we cut into it and analyse it, the blood that runs through all the ancient poetry is the same blood; it is the ancient mythical speech. The atmosphere in which the early poetry of the Aryans grew up was mythological, it was impregnated with something that could not be resisted by those who breathed in it.“ Ebd.: 144.

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senza rilievo e varietà individuale, mezzo spiriti e mezzo persone, che non sono che i passivi esecutori d’una volontà senza limiti.360

Trotz ihrer erzählerischen Kraft stellten für Trezza die indischen Epen lediglich eine primitive Vorstufe späterer Perfektion dar, da es für den Verfechter eines skeptischen Positivismus eben deren überbordende Figuren- und Ideenwelten waren, die eine harmonische Darstellung von abstrakten Begriffen und konkreten Phänomenen – und somit die Verbindungen des Göttlichen mit dem Menschlichen – verhindert hätten.361 Doch wo feste logische und narrative Strukturen in der Trockenheit und Einöde der semitischen Gebete fruchtlos verdorren mussten, hätten sie in der Welt der indischen Mythen zu einer konkretisierenden Rückbindung des Abstrakten an die Gesetze der Natur, zu neuen epischen Formen sowie zu Logik und Philosophie geführt. Transzendenz und empirisch-positivistisches Denken fanden in Trezzas historischem Narrativ allein in der epikureischen Philosophie zu einem Ausgleich, wie er den alten Indern noch nicht vergönnt gewesen sei. Spätestens an dieser Brechung des arischen Mythos wird deutlich: Trezza befand sich in einem epistemischen Dilemma. Einerseits musste er seine apriorisch aufgeladene und teleologische Geschichtsphilologie als Lob der abstrakten Imagination bis zur Gegenwart weiterführen, andererseits begriff er sich als liberalen, skeptischen Empiriker, der in seinen erkenntnistheoretischen Prämissen einer Natur verpflichtet blieb, die nachvollziehbaren, a posteriori formalisierbaren Regeln unterlag. Diese mussten sich schließlich auch in der mimetischen Verbindung von Natur und Menschenwelt innerhalb säkularer Narrative des Menschen widerspiegeln. Dieser epistemischen Anforderung konnte jedoch das indische Epos durch einen in Figuren und Göttern abstrahierenden Naturbegriff nicht gerecht werden. Trezza machte daher einfach einen „krankhaften Geisteszustand“ („contemplazione malata“) der arischen Rasse geltend, welche in ihrer Frühzeit aus Ehrfurcht gegenüber der Natur in eine „umherirrende Fassungslosigkeit“ („perplessità vagabonda“) kreativer Imagination des Individuums verfallen sei: Nell’India il genio degli Aryas gittò [sic] le bozze scomposte di un mondo senza confini ove l’immaginazione giganteggia e l’ideale soffoca il reale; il sentimento della natura vi schiaccia l’individuo, che poco o nulla spicca da quel fondo panteistico; […]. Quindi nell’epopea orientale il divino e l’umano non armonizzano ma ondeggiano in una specie di perplessità vagabonda, campati in aria come una gran visione piena di misteri e di terrori.362

Erst die griechische Mythologie habe jenen Ausgleich zwischen Göttlichem und Menschlichem, ja überhaupt das „Menschliche“ („l’umano“) als eine 360 361

362

Trezza 1878a: 21. „Nessuna schiatta conobbe meglio i segreti e il pericolo dell’immaginazione che l’Indiana, ma nessuna del pari giacque più sopraffatta ed impotente di sé medesima nelle pigre estasi d’una contemplazione malata.“ Ebd.: 33. Ebd.: 31.

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Spannung zwischen sterblichen, aber selbstbewussten Individuen in Form tragischer Helden und der Natur erschaffen.363 In ihren Narrativen seien die Kräfte der Natur in einer „ästhetischen Eurythmie“ („euritmia estetica“) gebändigt und verbunden worden, welche Götter und Menschen immer vor dem gemeinsamen Hintergrund einer Welt der Ideen abbildeten. Però la rivoluzione, che il genio greco introdusse nella mitologia rivela uno dei monumenti più grandi della storia: la personificazione delle forze della natura in una euritmia estetica, il dramma della vita capovolto nelle teogonie, il divino e l’umano concertati nel sentimento vivo dell’ideale, ecco la mitologia greca.364

Anders als Renan, der in den historischen Semiten eher ein philologisch untermauertes Prinzip, denn eine rassenlogische Verbindung zum modernen Judentum sah und vorsichtig war, was Bemerkungen über das Fortleben des semitischen Geistes in der modernen Zivilisation betraf, weitete Trezza den renanschen Antagonismus zwischen Ariern und Semiten zu einer aktualisierten, philologischen Rassenlehre aus.365 Arier und Semiten des Altertums, Griechen und Römer der Antike wurden von ihm in einer modernen Entsprechung gegenüber gestellt. Die „Enkel der Arier“ („nipoti degli Aryas“), Romanen und Germanen, würden ein neues dialektisches Paar rassischer Antagonisten bilden.366 Und wieder sei es Aufgabe der Philologie, anhand einer wissenschaftlichen Analyse der ihrem ‚Geist‘ entsprungenen Narrative den Charakter dieser Rassen zu erkunden. Diesmal sei es jedoch nicht die vergleichende Mythenforschung, sondern die vergleichende Literaturgeschichtsschreibung, welche einiges über die germanischen und ‚neulateinischen‘ Völker und die Rolle, welche sie in der Geschichte zu spielen hätten, verraten könne. Auf Grundlage dieser Annahme sah Trezza die Zukunft Italiens allein durch eine Annäherung

363

364 365

366

„Col popolo greco per contrario comincia veramente l’umano: un vero popolo di genio, il cui organismo psicologico fu il più perfetto di quanti uscirono dalla mano creatrice della natura.“ Ebd.: 34. Ebd.: 35. So forderte Renan wissenschaftliche Vorsicht, welche den Forscher bei der Verbindung des Bluts- mit dem Rassebegriff im historischen Kontext leiten solle: „Les jugements sur les races doivent toujours être entendus avec beaucoup de restrictions : l’influence primordiale de la race, quelque immense part qu’il convienne de lui attribuer dans le mouvement des choses humaines, est balancée par une foule d’autres influences, qui parfois semblent dominer ou même étouffer entièrement celle du sang. Combien d’Israélites de nos jours, qui descendent en droite ligne des anciens habitants de la Palestine, n’ont rien du caractère sémitique, et ne sont que des hommes modernes, entraînés et assimilés par cette grande force supérieure aux races et destructive des originalités locales, qu’on appelle la civilisation!“ Renan 1858c: XVXVI. „Come la storia del mondo antico si compone in gran parte dell’elemento semitico e dell’aryano, così la storia del mondo moderno, in cui si compenetrano, per modo di dire, que’due grandi principii fattivi di civiltà, si compone e si svolge nell’antagonismo delle due maggiori schiatte nipoti degli aryas, la neolatina e la germanica.“ Trezza 1878a: 45.

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an das überlegene germanische Denken – ein Denken der ‚großen Entwürfe‘ – gesichert, wie es Hegel selbst repräsentiere.367 Die neuromanischen Völker hätten sich durch ihre unkritische Übernahme religiöser Dogmen des Katholizismus und durch die Pedanterie eines banalen quantifizierenden Positivismus des ‚Faktensammelns‘ einer entscheidenden Möglichkeit zu Entwicklung und wissenschaftlicher Initiative beraubt. Trotz Trezzas Skepsis gegenüber metaphysischen Spekulationen habe allein aus der germanischen ‚Innerlichkeit‘ des Idealismus der Positivismus ein grundierendes Konzept bekommen, welches ihm eine erneuernde Funktion ermöglicht habe, um schließlich in den Werken Goethes, Lessings und anderer ‚Germanen‘ Literatur zu werden. Das Primat deutscher Gelehrter, Schriftsteller und Philologen über die Wissenschaften des 19. Jahrhunderts begründete Trezza mit einem „germanischen Genie“ („genio germanico“), welches durch die Befreiung des skeptischen Individuums aus der Dogmenhaftigkeit des Christentums im Zeitalter der Reformation sowie seine Vorliebe für fruchtbare Abstraktion seine Kraft zu Veränderung und neuen Erkenntnissen bezöge.368 Wenn schon die romanischen Völker nicht den Vorrang für sich beanspruchen könnten, gelte es, diesem Denken nachzueifern. Ein anthropologischer Vitalismus verbindet sich in diesem Konzept des historischen Vorbilds mit einem idealistischen Geschichtsbegriff: Così difettosa com’è idealmente la razza latina, non disposta all’iniziativa religiosa e scarsa di quel genio critico che si trasfonde nei tempi e fa circolare la vita per entro alle morte tradizioni dell’antichità, invece che correr dietro ad un primato impossibile, dovrebbe accostarsi più docilmente alle schiatte germaniche, innestando nel suo genio manchevole taluno di quei germi fecondatori di più giovani vite.369

Diese Problematik greifen wir an anderer Stelle im Zusammenhang mit den Darwinistischen Ausdeutungen von Trezzas Literaturbegriff noch einmal auf.370 Vorerst soll noch einmal anhand eines epistemischen Paradoxes das Scheitern Trezzas im Diskurs und seine dennoch nicht geringe Bedeutung für 367

„Ora l’avvenire, come nota Renan, è germanico, e l’Hegel si trova nel vero (in un certo senso) quando ne dice che la rivoluzione dello spirito si matura nella coscienza germanica; come quella che più di tutte è vicina all’Ideale, posseditrice di quell’iniziativa che cangia lo stampo intellettuale di un secolo.“ Ebd.: 55. 368 Ebd.: 47. Wieder war es die Emanzipation der italienischen Wissenschaften von der Last katholischer Dogmen, welche Trezza umtrieb, wenn er von einer ‚romanischen‘, falschen Auffassung des Christentums als „Macht“ („potere“) im Gegensatz zu einer ‚germanischen‘ Interpretation desselben als „Freiheit“ („libertà“) schrieb. Befördert wurde diese Germanophilie in Anbetracht des historischen Kontexts wohl auch durch die Erfolge des soeben gegründeten Deutschen Reichs während der frühen Gründerjahre unter Bismarck: „La schiatta germanica per contrario ne colse con intuizione divinatrice il di dentro, e capovolgendo, per modo di dire, il metodo latino, comprese il cristianesimo com’egli è veramente, cioè non come un potere ma come una libertà.“ Ebd. 369 Ebd.: 54-55. 370 Vgl. u. Kap. III.2.2.

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die Integration des arischen Paradigmas in die italienische Philologie herausgestellt werden. In Trezzas antiklassizistischen und doch auf die Texte der klassischen Antike bezogenen philologischen Ausdeutungen des arischen Paradigmas sollte ein wissenschaftlicher Ausweg aus den dogmatischen Lehrmeinungen einer philologischen Hermeneutik humanistischer Prägung gewiesen werden. Aus dieser jahrhundertealten Nabelschau musste sich die italienische Philologie in Anbetracht der methodischen und inhaltlichen Entwicklungen im philologischen Wissen befreien. Einerseits wollte Trezza mit seiner Betonung des poetischen Geistes der ‚hellenischen Arier‘ eine Altphilologie angreifen, welche sich in Italien noch immer als fortschrittsfeindliches Anhängsel und Bewahrerin einer Rhetorik römischer Geschichtstradition sah. Eine Disziplin, die methodisch unflexibel nicht vor der fortschrittlichen Methodik der historischvergleichenden Philologie, wie sie im Ausland betrieben wurde, bestehen konnte. Andererseits machte Trezza durch seine Fokussierung auf den epikureischen Materialismus einen Geschichtspositivismus stark, der sich mittels des lukrezschen Naturverständnisses – als rassenlogisch legitimiertem Ausdruck kreativer Lebendigkeit gegenüber der Natur – dem Determinismus des empirisch Realen und jenem belanglosen Faktensammeln des aufklärerischen Positivismus zu entziehen suchte. Das Paradox bestand nun darin, dass Trezza sich trotz dieser beiden epistemischen Prämissen gegen jegliche idealistische Ausdeutbarkeit seines Philologiebegriffs versperrte und dadurch wiederum in einen Determinismus historischer ‚Fakten‘ verfiel. Hier betonte Treves den Einfluss der deutschen Romantik als entscheidender Ursache für die Überwindung einer starren Philologie, welche aber bei Trezza aus Angst vor der Rückkehr in eine metaphysisch begründete Dogmatik gleichzeitig in eine Dialektik des ‚Realen‘ und nicht des ‚Rationalen‘ umgebettet wurde: Ugualmente caduco era l‘apporto, che il Trezza credeva di dover desumere da codeste dottrine lato sensu ‚razziali‘ e immettere come un utile correttivo dell’indiscriminato classicismo nostrano: la negazione, cioè, mommsenianoromantica della poesia e facoltà poetica o mitopoietica dei Romani, e la deterministica rivendicazione non della dialettica razionalità del reale, ma del mero fatto compiuto.371

Diese letztendlich offensichtlich werdende Unvereinbarkeit von Positivismus und Idealismus, zwischen empirischem Anspruch und Kampf gegen eine dogmatische Instrumentalisierung des Transzendentalen zieht sich durch das gesamte Werk Trezzas und führte letztlich auch zu dessen Scheitern im Sinne einer polemischen Rezeption, welche die Widersprüche seines Werkes hervorhob und dieses schließlich dem Vergessen anheim gab.372 Auch seine Aktualisierung und wissenschaftliche Aufarbeitung der Werke des Lukrez sollte 371 372

Treves 1962: 1000. Vgl. ebd.: 1006.

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durch die kommentierte Ausgabe von De rerum natura des Mailänder Orientalisten Carlo Giussani nach Trezzas Tod übertroffen werden.373 Dennoch war es die ausdauernde Initiative, welche Trezza in zahlreichen Veröffentlichungen bewies, die dazu beitrug, die epistemischen Prämissen der italienischen Wissenschaften weiter zu säkularisieren. Die schriftlichen Zeugnisse der Antike wurden von ihm auf eine neue, nicht unproblematische Weise in einer geschichtlichen longue durée begriffen, die nicht allein das Mittelmeer umfasste: La sua filosofia, che negava l’immortalità delle anime, rivendicava l’immortale concatenazione delle opere, riconoscendo a ciascuna il suo luogo nella storia e il suo frutto. Così egli sapeva che sarebbe stato, e noi retrospettivamente sappiamo che così fu, anche dell’individua opera sua: simbolo e testimonianza tuttavia non spregevoli né caduchi d’un trentennio di arduo lavoro italiano.374

Dass Trezza dabei trotz zahlreicher Gegenbeispiele, in denen er einen demokratischen Liberalismus mit einem säkularen Humanismus verband, in seinem säkularisierenden Eifer im Wissensraum der Philologie rassistisch argumentierte, zeugt von einer gewissen ‚Skrupellosigkeit‘ im Kampf gegen seine ideologischen Gegner, die eine antisemitischen Rhetorik auf Kosten einer kulturellen Minorität in Europa und Italien instrumentalisierte. Anders als Renan unterschied Trezza dabei nicht einmal mehr zwischen modernem und historischem Judentum. Die skeptische Haltung des Liberalen Trezza gegenüber einer dogmatischen Macht traditioneller Methoden und Ausrichtungen der Philologie kann daher keineswegs als Entschuldigung für jene vorbereitende Rolle geltend gemacht werden, welche Philologen bei der Vorbereitung einer biologisch-hierarchisierenden Rassenlogik spielten. Diskursive Alternativen zu dieser rassenlogischen Ausdeutung historischer Entwicklungen durch die Philologie waren vorhanden, wie andere ‚säkulare‘ Gelehrte bewiesen, die zur selben Zeit forschten und veröffentlichten.375 Bereits diese beiden Beispiele, Angelo De Gubernatis und Gaetano Trezza, zeigen jedoch, dass auch im geistig-kulturellen Klima des jungen Nationalstaats Italien mit seinen emanzipatorischen und daher oftmals ‚antigermanischen‘ Diskurse der Mythos arischer Überlegenheit, wie er aus dem Norden nach Italien gelangte, in den Wissenschaften sehr schnell Anhänger fand. Er nahm eine diskursive, aber auch politische Funktion als säkularisierendes Element philologischen Wissens ein, um schließlich von Medizinern, Anthropologen und politischen Theoretikern aufgegriffen und kontrovers diskutiert zu werden.376 Durch den italienischen Anthropologen Alfredo Niceforo in seinen Studien zur Italia barbara contemporanea erfuhr dieses unverwüstliche 373Vgl. 374 375 376

Giussani 1896-98. Treves 1962: 1006. Vgl. u.: Kap. II. Zur Wirkung dieser säkularisierenden Funktion des arischen Mythos auf den Reformsozialisten Leonida Bissolati (1857-1920) und die ideologische Ausarbeitung des arischen Paradigmas im 20. Jahrhundert vgl. Raspanti 1999: 82-85.

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Paradigma schließlich seine fatale ‚innenpolitische‘ Wendung als rassenlogische Antwort in der Questione meridionale.377 In seiner naturwissenschaftlichen Form wurde das arische Paradigma dabei zum Distinktionsmerkmal der Norditaliener erklärt und in seiner Wirkung auf deren physische und psychische Beschaffenheit diskutiert. Dieses ‚Ariertum‘ diente schließlich auch zur Erklärung sozialer Unterschiede. Die zivilisatorische Rückständigkeit der unteren Klassen und des Mezzogiorno war mit dessen Abwesenheit einfach und schnell erklärt. Dabei konnte es bis zu einem gewissen Grade die Frage nach sozialen, kulturellen und politischen Ursachen dieser Unterschiede überdecken.378 Dies ist insofern eine Ironie der Geschichte, als dass die gobineausche Spaltung Italiens, welche in der Philologie – sogar bei Trezza – nur wenig Anklang gefunden hatte, im Kontext einer naturwissenschaftlichen Anthropologie gegen Ende des Jahrhunderts noch einmal aufleben konnte.

4. Autochthonie vs. Indoeuropäertum: Philologische Vorleistungen zu Rassedenken und Rassismus? Trotz der relativierenden Prämissen eines universellen Zivilisationsbegriffes oder einer universellen Heilsgeschichte einer menschlichen Spezies dürfte klar geworden sein, dass die italienische Philologie zumindest in Bezug auf das arische Paradigma im eigenen Feld eine diskursive Vorleistung erbracht hat, welche die rassenlogischen und rassistischen Narrative des späten 19. Jahrhundert in Anthropologie und Biologie mit ermöglichte. Diese Feststellung gilt auch dann, wenn dieses philologische Narrativ durch anthropologisches Wissen in Form von Argumenten aus Schädelforschung und Rassetypologien ergänzt und überlagert wurde. Denn diese Überlagerung aktualisierte nur ein weiteres Mal jene diachron-genealogisch anzusetzende These einer hochzivilisierten Urbevölkerung, die eine kollektive Identität der Italiener als rassische Identität in eine globale Hierarchie der Völker und Rassen stellte. Doch soll noch einmal betont werden, dass diese beiden Rassenarrative nicht dieselbe Stellung innerhalb der Philologie einnahmen. Nach dem Stand der heutigen Forschung war der These einer italisch-pelasgischen Autochthonie nicht die gleiche Stellung im wissenschaftlichen Diskurs beschert, wie sie dem arischen Paradigma als ethnischem Identifikationspunkt zukommen sollte. Das Heranziehen fragwürdiger historischer Textpassagen und Etymologien als akzeptierten Belegen für eine prähistorische italische, etruskische oder pelasgische Ursprungserzählung galt innerhalb Philologie des 19. Jahrhunderts 377 378

Vgl. Niceforo 1898. Vgl. Raspanti 1999: 80.

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bald als unwissenschaftlich. Die methodischen Standards einer vergleichenden Morphologie und später Phonetik ließen jene nicht zu ignorierende Positivität der indoeuropäischen Sprachenverwandtschaft erscheinen, von der aus sich die Frage nach der ethnischen Zugehörigkeit der Italiener anhand ihrer Sprache stellen musste, um innerhalb der Philologie wissenschaftliche Gültigkeit zu erlangen.379 Ein Vorrang der indoeuropäischen Ursprungsthese wird im 379

Das Volk und die Sprache der Etrusker erwiesen sich jedoch auch im späteren 19. Jahrhundert – aufgrund ihrer zwar breiten, archäologischen Dokumentierbarkeit anhand von Monumenten, Objekten und Schriftzeugnissen, aber weiter bestehenden, philologischen Unerschlossenheit – als fruchtbare Anknüpfungspunkte für ethnisch instrumentalisierbare Ursprungsnarrative der Italiener. Noch in den 50er Jahren des Ottocento wurde von katholischer Seite über die möglicherweise semitischen Ursprünge der Etrusker und damit die semitische Natur der Italiener spekuliert. Sofort wurde auch gegen jenes philologisch untermauerte Ursprungsnarrativ harsche und gewichtige Kritik an der methodischen Unzulänglichkeit der Rekonstruktionsversuche laut. So dekonstruierte Graziadio Ascoli minutiös die Erkenntnisse des deutschen Orientalisten und Theologen Johann Gustav Stickel sowie die Methoden und Thesen des Jesuiten und Archäologen Camillo Tarquini insbesondere aufgrund von dessen mangelhaften Kenntnissen über Lexik, Phonetik und Grammatik des Hebräischen. Vgl. Ascoli 1860. Tarquini hatte in einigen in der 1850 von Jesuiten gegründeten Zeitschrift Civiltà Cattolica veröffentlichten Artikeln über die trotz lateinischer Einflüsse noch ersichtliche Verwandtschaft der etruskischen mit der aramäischen und hebräischen Sprache spekuliert. Vgl. Tarquini 1857a und 1857b. Er tat dies aufgrund phantasievoller Übersetzungen etruskischer Inschriften, unter anderem derjenigen im Hypogäum von San Manno im umbrischen Perugia. Vgl. Tarquini 1857b: 728 ff. Diese wurden bereits im 18. Jahrhundert von Scipione Maffei als besonders bedeutend erachtet. Auch versuchte er sich an einigen etruskischen Toponymen und Götternamen anhand eines Vergleiches der konsonantischen Radikale einiger hebräischer Wörter mit deren vermeintlichen Entsprechungen in etruskischer Sprache. Vgl. Tarquini 1857b: 732, 741. Auch in textgenealogischer Hinsicht spekulierte Tarquini mit gewagten Verbindungslinien seiner etruskischen Texte, wenn er die poetische Kraft seiner italienischen Übersetzung etruskischer Inschriften mit der „forza di poesia“ der Heiligen Schrift und der Göttlichen Komödie in einen ästhetischen Zusammenhang zu bringen suchte. Vgl. ebd.: 732. Etrusker und Pelasger wurden dabei wie bei Mazzoldi anhand einiger Belegstellen bei antiken Autoren gleichgesetzt und mit den modernen Italienern in Verbindung gebracht, obwohl sich deren ursprünglich pelasgische Sprache natürlich bis zur Unkenntlichkeit verändert habe. Diese Entwicklung sei wiederum auf die semitische Nomadenhaftigkeit der Pelasger-Etrusker und ihren Kontakt mit anderen Völkern zurückzuführen. So hätten sich lexikalische Überreste dieser verlorenen Sprache und der etruskischen Kulturen im Italienischen vor allem in Form von Ortsnamen, religiösen Bezeichnungen und regionalen Bräuchen erhalten. Vgl. Tarquini 1857a: 571. Der ideologische Grund dieser philologischen Spekulationen im Geiste eines semitischen Paradigmas ist klar ersichtlich: Der wissenschaftliche Nachweis einer sprachlich-zivilisatorischen Verwandtschaft von Italienern und Hebräern durch Archäologie und Philologie würde das Etruskische als Ursprache der italienischen popolazioni, deren kanaanitische Reste im modernen Italienisch zu finden seien (vgl. Tarquini 1857a: 573), zu einem Verwandten der Sprachen der Offenbarung machen. Die genealogische Dominanz des Lateinischen und die wissenschaftliche Fokussierung auf dessen indoeuropäische Natur wäre philologisch gebrochen worden. Nicht mehr die seit jeher das italienische Selbstverständnis beherrschende lateinische Sprache als Verwandte des Sanskrit, das nach Tarquini zusammen mit dem Bacchus-Kult aus Indien nach Italien gelangt sei (vgl. ebd.), sondern die biblischen Sprachen würden zu neuen Bezugsgrößen für philologische Ursprungsforschung. Ascolis hartes Urteil über diesen Versuch einer religiös motivierten ‚Semitisierung‘ des Italienischen lässt zwar keinerlei Zweifel an seinem Bewusstsein über die versuchte Instrumentalisierung philologischer Ansätze im Kontext der Archäologie für partikula-

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Diskurs um die methodische Ausarbeitung einer Erforschung der ethnischen Substrate italienischer Dialekte durch Bernardino Biondelli und Carlo Cattaneo sowie später durch Graziadio Ascolis Ausarbeitung der Substrattheorie ersichtlich.380 Das wiederholte Rekurrieren auf Textquellen der Antike lässt den pythagoreischen Mythos möglicherweise als Narrativ der Philologie erscheinen, wurde aber durch Angelo Mazzoldi selbst explizit in den Bereich der Geschichtsschreibung gestellt und durch Aurelio Bianchi-Giovini mit philologischen Argumenten bekämpft. Auch formierte sich parallel zum pythagoreischen Mythos bereits früh ein philologischer Indoeurozentrismus, der in selbsterklärtem Gegensatz zur autochthonen Theorie Mazzoldis stand und den Fokus der Wissenschaften auf andere europäische Regionen zu verlagern suchte. Als Mazzoldi die atlantischen Ursprünge der Italiener propagierte, forderte Bernardino Biondelli in seinem Politecnico-Artikel „Influenza delle nazioni germaniche, slave e finniche sugli studj dall’epoca del risorgimento delle lettere fino a noi“ die verstärkte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit jenen ‚barbarischen‘ Völkern, welche nördlich der Alpen auf Italien intellektuell und physisch in Form von Rassenmischung („un miscuglio incomprensibile di razze“) eingewirkt hätten.381 Biondelli hielt trotz dieser Öffnung gegenüber nordischen Einflüssen an einer ‚mediterran-klassischen‘ Zivilisationserzählung fest, welche gleichzeitig die orientalische Herkunft aller Kenntnisse, Fertigkeiten und Leistungen der Völker des Mittelmeeres als „gemeinsames Erbe der gesamten Menschheit“ („patrimonio comune di tutto il genere umano“) betonte. Jener

380 381

re Interessen, kritisierte jedoch in erster Linie methodisch den Hang Tarquinis sowie der gesamten Zeitschrift Civiltà Cattolica zum wissenschaftlichen Anachronismus. Gleichzeitig propagierte der Theoretiker des Nesso ario-semitico die wissenschaftliche Überlegenheit seines eigenen Verständnisses einer phonetischen, ‚alitterarischen‘ und gegenüber simplifizierenden, etymologischen und textphilologischen Deduktionen skeptischen Philologie, die sich methodisch klar von der Archäologie zu unterscheiden habe: „Il quale [Tarquini. ML] mostrerà ancora, che il fondamento della lingua latina è con tutta probabilità cananeo, comeché egli non nieghi avervi non poca parte anche il sanscrito, ‘venuto forse insieme con Bacco dall’India, e col rimanervi di alcuni suoi compagni in Italia rimasto’. Farà vedere similmente, che un gran deposito cananeo, non ha potuto dissiparsi né svellersi dalle nostre popolazioni per tanta serie di vicende e di anni, giaci nella lingua che noi parliamo; e già abbiam visto il Padre pellegrinare in Palestina a cercarvi l’origine del di italiano. Romanzerie letterarie, che forse potevano andar perdonate al Giambullari; ma che, posteriori di buoni tre secoli al suo Gello, costituiscono invero uno di quegli enormi anacronismi a cui la Civiltà Cattolica ci vorrebbe condannati.“ Ascoli 1860: 34. Zu Ascolis positivistischem Verständnis seiner Orientstudien gegenüber katholischen Gelehrten wie Angelo Secchi und Camillo Tarquini vgl. auch Brambilla 2009: 88-90. Vgl. Biondelli 1840a, Cattaneo 1846b [1841] u. Ascoli 1881-1882. Vgl. Biondelli 1839b: 31: „Checché ne fosse, anche Roma scomparve, e soggiacque a quel settentrione medesimo, che avrebbe potuto molto prima meditare e conoscere. Una lotta ostinata d’alcuni secoli, che sparse il terrore e la desolazione in tutte le contrade d’Europa, sotterrando cogli archi di trionfo ogni passata grandezza, ed un miscuglio incomprensibile di razze, che perdettero ogni traccia della loro primitiva origine, prepararono un’era novella al continente europeo.“

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mediterrane Indoeurozentrismus gehorchte dabei ganz dem monologischen Zivilisationsmodell einer zentrierenden Darstellung der Vergangenheit. Im fernen Indien entstanden, seien Literatur und Wissenschaft aus ihren Refugien an den Gestaden Griechenlands nach Rom gelangt, während im Rest der Welt „Vergessen und Verachtung“ („oblivione e disprezzo“) gegenüber der Zivilisation geherrscht hätten: Vi fu un tempo in cui la somma delle umane cognizioni patrimonio comune di tutto il genere umano, trovavasi ristretta entro i confini di alcune provincie meridionali d’Europa. Pochi scogli dell’Archipélago furono per alcuni secoli il solo ricetto delle lettere e delle scienze. [...] Sulla cima dell’Olimpo aveva il suo trono il padre dei numi, circondato da tutta la schiera de’celesti; sul Pindo albergavano con Apollo le Muse; oblivione e disprezzo frattanto coprivano il rimanente del globo. La sapiente Grecia, depositaria delle antiche dottrine d’Oriente, e culla di tante scienze moderne, scomparve, e lasciò a Roma il ricco retaggio delle dottrine de’suoi figli.382

Im Gegensatz zur These einer zivilisatorischen Autochthonie der Italer war die Theorie von der Zugehörigkeit der italischen Stämme zu den indoeuropäischen Völkern oder gar zu einer indoeuropäischen Rasse durch Erkenntnisse über die Verwandtschaftsbeziehungen ihrer Sprachen sowie dem daraus abgeleiteten hohen Alter des Sanskrit gestützt: Aktuelles philologisches Wissen, wie es damals europaweit diskutiert wurde. Neben Bernardino Biondelli kann auch der Historiker Aurelio Bianchi-Giovini als Zeuge und Förderer der Bedeutung dieses Wissens im Diskurs angeführt werden. Durch sein Rekurrieren auf philologische Argumente und trotz seiner Gegnerschaft zum italozentrischen Pythagoreer Angelo Mazzoldi war er in diesem Sinne eine der vorbereitenden Stimmen für eine philologisch basierte Ethnographie, die für identitäre Modelle der Gegenwart instrumentalisiert werden konnte.383 Noch vor der Begründung einer italienischen Indienforschung und der Übersetzung des Rāmāyana ins Italienische durch Gaspare Gorresio in den 50er Jahren, betonte Bianchi-Giovini die Bedeutung des Sanskrit für die sprachliche und ethnische Zuordnung der ursprünglichen Bevölkerung der europäischen Halbinsel. Unter Berufung auf den Leipziger Sprachforscher Johann Christoph Adelung übernahm er dessen Theorem einer ‚pelasgischen Ursprache‘ und erklärte diese verlorene Sprache sowie ihre Sprecher nicht nur zum philologischen, sondern ethnischen Teil der indoeuropäischen Familie.384 Die sprachliche Verwandtschaft des Lateinischen und Griechischen, den Nachfolgern des Pelasgischen, mit dem Sanskrit sei Beweis für das asiatische Herkunftsgebiet dieser ‚indoeuropäisierten Pelasger‘ und konnte für Bianchi-Giovini daher historisch – als 382 383

384

Ebd. Auf die bedeutende Rolle des Historikers Bianchi-Giovini für die Entwicklung der ‚linguistica‘ in ihrer frühen Phase hat bereits Domenico Santamaria hingewiesen und dabei auch dessen Beitrag zur Substrattheorie hervorgehoben. Vgl. Santamaria 1981: 49-56. Zur Position des Pelasgischen innerhalb Adelungs spätaufklärerischer, universalistisch konzipierter Sprachordnung vgl. Adelung 1806-17, Band 2: 379 ff.

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epistemologisch akzeptiertes Faktum der Philologie – letztlich für anthropologische Ursprungsnarrative der Italiener geltend gemacht werden: Ma l’Adelung, a parer mio, ha dimostrato in un modo indubitabile che tutti i popoli discesi dai Pelasgi parlavano dialetti di una medesima lingua, e quindi che la lingua pelasgica deve essere stata il ceppo da cui ramificarono i vari dialetti che si legano colle lingue greca e latina. E queste due, come risulta dal confronto, tenendo vincoli di parentela col sanscrit e risultando derivate da una fonte comune con essa e colle lingue slave e germaniche: siamo indotti a congetturare che i Pelasgi partissero incirca da quel medesimo punto dell’Asia centrale da cui partirono le tribù slave e germaniche, e quegli altri che diffusero il sanscrit nel Cascemir e nell’India, e lo zend nella Persia.385

Bianchi-Giovini konnotierte diese ethnographischen Einordnungsversuche der Pelasger jedoch nicht mit kulturell und zivilisatorisch hierarchisierenden Aufladungen der Superiorität und vertrat auch keine grundsätzlich dekadenztheoretische Position bei seiner Betrachtung der Entwicklung indoeuropäischer Sprachen. Gerade in der Geschichte, dem Austausch und der Vermischung der Völker erkannte er den Grund für zivilisatorischen Fortschritt und in der Isolation eines Volkes den Hauptgrund für dessen Verfall in kulturellen Rückschritt. Dennoch relativierte er diese ‚optimistische‘ Position, indem er im Prozess des Wandels der indoeuropäischen Sprachen durchaus eine Reduktion von Komplexität in der grammatikalischen Struktur sowie eine Einbuße an Regelhaftigkeit und Präzision durch ihren Kontakt mit anderen Sprachen ausmachte.386 Doch gerade durch die Reduktion ihrer Komplexität hätten diese Sprachen in ihrer späteren Form „Beweglichkeit“(„mobilità“) und „Klarheit“ („chiarezza“) gewonnen: Le lingue [madri, ML] quanto più si allontanarono dalla primitiva loro origine e si mescolarono di stranieri elementi, tanto più si decomposero, si analizzarono, acquistarono mobilità, fluidità, chiarezza, si piegarono molto più agevolmente ai bisogni del pensiero; ma perdettero della natia loro semplicità, perdettero della energica loro concisione e di quella quasi matematica regolarità che è il privilegio degli idiomi antichi e moderni.387

Die Einordnung der Völker und ihrer Sprachen stand also bei Bianchi-Giovini in jenem weiteren Kontext universeller Zivilisationsgeschichte, der den Austausch durch Handelsbeziehungen und Migration als eine Dynamik des Fortschritts begriff. Dies unterschied seine Epistemologie grundsätzlich von jener Dialektik hierarchisierender Annahmen, wie sie später in der Ausweitung des Indoeurozentrismus zum arischen Paradigma bei Gaetano Trezza und Angelo 385 386

387

Bianchi-Giovini 1841: 56. Nach Gino Bottiglioni kommt daher dem Historiker Bianchi-Giovini die Rolle eines Wegbereiters für die ethnographische Sprachwissenschaft Ascolis zu. Domenico Santamaria relativierte diese Auffassung jedoch insofern, als dass er die ‚eigentliche‘ Pionierarbeit neuer Ideen der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft Bernardino Biondelli zugestand. Vgl. Bottiglioni 1951 u. Santamaria 1981: 59. Bianchi-Giovini 1841: 19.

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De Gubernatis zu finden sein werden. Der pythagoreische Mythos war, wie die Anfänge indoeuropäischer Identitätsfindung, auf der Grundlage dieser Epistemologie als historisches Narrativ im wissenschaftlichen Diskurs präsent, während zugleich der prospektive Zivilisationsbegriff der Aufklärung die italienische Philologie entscheidend prägen sollte, wie in den nächsten Kapiteln zu erörtern sein wird. Das arische Paradigma bedurfte in Italien mehr als nur einer philologischen Fokussierung auf Indien, um zu einem eigenen rassenlogischen Diskurs zu werden, da es einer starken Tradition historischer Relativierung – auch in Bezug auf die eigene Identität – gegenüberstand. Sprache und Literatur waren in vielen philologischen Aussagen keine Emanationen eines kollektiven Geistes, sondern nur zwei unter vielen Faktoren des allgemein-menschlichen Zivilisationsprozesses, wie ihn Giambattista Vico beschrieben hatte, und mussten sich teleologischen Funktionalisierungen unterordnen, die Bianchi-Giovini oben als „Bedürfnisse des Denkens“ („bisogni del pensiero“) bezeichnet hatte. Dieser epistemische Kontext, der eine texthistorisch und etymologisch arbeitenden Philologie prägte, die noch ganz von aufklärerischer Axiomatik wie der Universalgrammatik geprägt war, führte zum wissenschaftlichen Widerstand gegen Verortungen der Italiener innerhalb einer bestimmten Völker- bzw. Sprachfamilie anhand sprachlicher Genealogien. Neben den Äußerungen Bianchi-Giovinis lassen sich Zeugnisse dieses Epistems eines zivilisatorischen Universalismus bereits während einer Phase des Wandels im philologischen Wissen und der Forderung nach einer neuen, auf Oralität fokussierten, historisch-vergleichenden linguistica bei Giacomo Leopardi feststellen, um schließlich in den Aussagen Carlo Cattaneos, Gabriele Rosas und Graziadio Ascolis ihre Wirkung im Diskurs der Philologie zu entfalten.388

388

Zu Leopardis Stellung in der linguistica preascoliana sowie seinem ‚paneuropäischen‘ Denken in Fragen sprachlicher Entwicklung vgl. De Mauro 1993 [1963]: 9, Santamaria 1981: 182-184 sowie Gensini 1984 u. Ders. 2013.

II. UNIVERSALGESCHICHTE UND FORTSCHRITT – DIE NEUORDNUNG DES PHILOLOGISCHEN WISSENS IM FRÜHEN 19. JAHRHUNDERT

Wie bereits aus den oben dargestellten Konstruktionsversuchen einer ethnischen Identität der Italiener ersichtlich wird, lässt sich rassenlogisches Ursprungsdenken im 19. Jahrhundert zwar nicht von der Geschichtswissenschaft trennen, beinhaltete am Beginn des Ottocento jedoch neben der naturgeschichtlichen auch eine philologische Komponente. Die epistemische Annäherung zwischen anthropologischen und philologischen Fragestellungen wurde dabei in erster Linie von einer neuen Methodik bei der historischvergleichende Erschließung der Sprachen des Orients als grammatikalischen und phonetischen Phänomenen begünstigt. Sie konnte sich aber auch auf eine anthropologische Erweiterung textphilologischer und zeichentheoretischer Erkenntnisse der Spätaufklärung in Deutschland und Frankreich berufen, wie sie sich in der humanistischen Fundierung von Friedrich August Wolfs Philologieverständnis, aber auch dem universellen Anspruch der Ideologen sowie der französischen Ägyptenforschung seit Napoleon abzeichnete.389 Auch an Italien ging dieser sich im frühen Ottocento immer klarer abzeichnende, europaweite Wandel als methodische und disziplinäre Ausdifferenzierung des philologischen Wissens nicht spurlos vorüber.390 Eine moderne, methodologisch differenziertere und in ihren Objekten erweiterte Philologie als Alternative zur klassischen Textphilologie brachte hier wie andernorts in Europa eine verstärkte Konzentration auf den systematischen Vergleich grammatikalischer Unterschiede mit sich. Auch die getrennte Analyse von Zeichen389

390

Zur Bedeutung zeichentheoretischer Überlegungen der Textphilologie Friedrich August Wolfs sowie der französischen Ideologen für die Entwicklung der Vorstellung von einer historischen Anthropologie als einer wichtigen epistemischen Voraussetzung für die methodische Erforschung jener „lautlich orientierten Welt“ der Linguisten, wie sie später in Deutschland ihre Systematisierung erfahren sollte vgl. Messling 2012e: 51-57. Ergänzend zu Brigitte Schlieben Lange wird hier die Kontinuität betont, die in diesem Überschreiten einer epistemischen Schwelle lag. Vgl. auch Schlieben Lange 1986: 198. Eine umfassende Darstellung über Entwicklung und Akteure der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft im Italien des frühen Ottocento bietet Santamaria 1981 u. 2008. Die vergleichsweise späte wissenschaftliche Institutionalisierung der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft in Italien trotz ihrer Anfänge im frühen 19. Jahrhundert findet ihr Gegenstück in der Entwicklung einer italienischen Sprach- und Literaturgeschichtsschreibung. Das erste weiter verbreitete literaturhistorische Standardwerk nach Paolo Emiliani Giudicis Storia delle Belle Lettere in Italia von 1844 entstand nach der politischen Einigung in der Zeit von 1861 bis 1871 mit Francesco De Sanctis‘ Storia della letteratura italiana. Ein umfangreicher sprachhistorischer Diskurs gar erst nach dem zweiten Weltkrieg. Vgl. dazu Michel 2005: Kap. 1.2.2.

VÖLKER, SPRACHEN, FORTSCHRITT: PHILOLOGIE UND GESCHICHTE

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haftigkeit und Oralität der Sprachsysteme wurde durch diese Modernisierung vorbreitet. Nur fand diese neue Art philologischer Forschung in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts noch keinen Widerhall auf breiter wissenschaftlicher Basis. Die strukturell durch den klassisch-humanistischen Traditionalismus bedingte griechisch-römische Restriktion der Textphilologie dominierte in Form von Literarisierung und Rhetorisierung den Philologiebegriff in Italien. Ein Zustand, wie er noch im späten 19. Jahrhundert beklagt wurde.391 Dabei war man sich des Reichtums an archivarisch gesammelten, aber philologisch unaufgearbeiteten Textmaterialien orientalischer Provenienz durchaus bewusst, wie die erfolgreichen philologischen Expeditionen des Kardinals und Palimpsest-Forschers Angelo Maj durch die Schätze der Vatikanischen Bibliothek bewiesen.392 Dennoch sah man es besonders in den kuriennahen Kreisen des wissenschaftlichen Italien als die dringlichste Aufgabe der Philologie an, die Wahrung der biblischen Überlieferungen über den Menschen zu belegen und gegen neuere, für diesen Wahrheitsanspruch gefährliche Erkenntnisse und Paradigmen zu verteidigen. Die Zurückdatierung altorientalischer Sprach- und Schriftsysteme und insbesondere der ägyptischen Hieroglyphenschrift stellte daher eine gefährlich abweichende Lehrmeinung innerhalb der philologischen Wissenschaft dar.393 So wäre als ein beredtes Beispiel für diese theologischen Widerstände von Verteidigern einer biblischen Anthropologie gegen das neue philologische Wissen vom Menschen anhand seiner Zeichen, Texte und Sprachen der orientalistisch interessierte Abbé Michelangelo Lanci zu nennen. Dieser versuchte in seinen zahlreichen philologischen und archäologischen Abhandlungen etruskische, altägyptische, phönizische und arabische Inschriften und Textzeugnisse in ein biblisches Korsett zu zwängen.394 Er wählte dazu 391

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Zum Thema der Literarisierung der italienischen Philologie vgl. auch Ghinassi in Migliorini 1988: X sowie Michel 2005: 20. Nach den Exzessen des Positivismus der Junggrammatiker gegen Ende des 19. Jahrhunderts gewann im Zuge des Neoidealismus diese zuvor geächtete Literarisierung wieder an Bedeutung als mit Benedetto Croce Sprach- und Literaturgeschichte bzw. Linguistik und Ästhetik eine epistemische Identifizierung erfuhren. Vgl. Croce 1990 [1902]. Wie z. B. das von Angelo Maj gemeinsam mit Jean-Francois Champollion herausgegebene Verzeichnis altägyptischer Papyri der Vatikanischen Bibliothek zeigt. Vgl. Maj/Champollion 1825. Ironischerweise führte bei Angelo Maj die Entwicklung neuer Methodik der Erforschung von Palimpsesten und das Freilegen früherer Textschichten zu einer Vernachlässigung seiner Beschäftigung mit wichtigen Sprachen des ‚Orients‘ wie Hebräisch, Aramäisch, Syrisch, Arabisch und Amharisch. Vgl. Mallette 2010: 8-9. Vgl. Messling 2012e: 79-85. Lanci versuchte von allen Seiten eine ‚philologische Verteidigungsfront‘ gegen diejenigen in den Diskurs einsickernden Widersprüche zu errichten, welche ein vorklassisches Altertum der Menschheit gegen die biblische Offenbarung positionierten. Zu diesem Zwecke versuchte er, neben den eigentlich orientalischen Völkern wie Phöniziern, Ägyptern (vgl. Lanci 1825, 1826, 1827), auch die seiner Ansicht nach phönizisch-stämmigen Etrusker (vgl. Lanci 1838: 7-8) in einen biblischen Orient zu integrieren. Eine Idee, welche später vom etruskologisch interessierten Jesuiten Camillo Tarquini aufgegriffen und gleich darauf von Ascoli dekonstruiert werden sollte.

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diejenigen zivilisatorischen Hinterlassenschaften antiker Völker aus, welche ihm geeignet erschienen, Textstellen der Heiligen Schrift zu belegen und stellte sich auf Grundlage dieser eklektizistischen Bibel-Archäologie in offene Opposition zu Gelehrten wie Jean-Franҫois Champollion.395 Trotz dieser epistemischen Widerstände gegen eine methodische Modernisierung der Philologie konnte sich in Italien seit der napoleonischen Ära sowohl der diachrone als auch der synchrone Raum einer vergleichenden Betrachtung von Schriftsystemen, Sprachen und Texten durch eine Erweiterung des zur Verfügung stehenden Forschungsmaterials weiter ausdehnen. Zeugnisse davon sind die bereits erwähnten Turiner Anfänge der italienischen Ägyptologie, die ‚Entdeckung des Sanskrit‘ durch Paolino da San Bartolomeo, die Erforschung der koptischen Sprache durch Amadeo Peyron, und die Auseinandersetzung des Mailänder Numismatikers Carlo Ottavio Castiglioni mit der gotischen Sprache sowie der Philologie Jakob Grimms und Franz Bopps.396 Außerhalb Italiens entwickelte der piemontesische, aber zwangsexilierte Historiker und Philologe Carlo Denina einen paleocomparativismo, welcher eini395

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Gegen die „geistig Unfruchtbaren“ („Sterili di mente“, Lanci 1827: 1) der Philologie seiner Zeit rechnete Lanci auch den großen Champollion, gegen dessen öffentliche Verteidigung seiner Theorien über die Hieroglyphenschrift in Rom er intrigierte. Vgl. Messling 2012e: 75. Dabei betrachtete sich der Abbé als im Dienste einer „guten und wahren“ Philologie stehend, wenn er nicht nur das Ziel, sondern gleich auch die Methode seiner ägyptologischen Forschungsbemühungen beschrieb. Diese stellte er als Kultivierung der Wissenschaft zugunsten der Offenbarung durch „Auswahl“ des „schönsten“ und für die biblische Überlieferung „vorteilhaftesten Teils“ der Erkenntnisse über die alten Ägypter dar: „E tal coltura consisteva appunto nello scegliere tra le più belle scoperte egiziane la parte vantaggiosa allo intendimento dei passi oscurissimi della Bibbia, ed applicando quella a questa, trovar ragione dell’una con l’altra, e far conoscere quanto di bene deriva dal progredimento delle nuove investigazioni su le antichità degli egizj, ove il senno sia guida, e il buon volere lo sproni.“ Lanci 1827: 1. Zur Bedeutung von Paolino da San Bartolomeo im europäischen Diskurs über die Rolle des Sanskrit im Kontext einer religionswissenschaftlichen Epistemologie vgl. Marazzini 1989: 169-175. Zur Erforschung und lexikalischen Erschließung der koptischen Sprache durch den piemontesischen Orientalisten Amadeo Peyron vgl. Kasser 1998 sowie Peyron 1824 u. 1835. Eine historisch fundierte Einführung zu Amadeo Peyrons Leben und seinen Schriften bietet Treves 1962: 871-882. Einige Jahre vor Peyrons Veröffentlichungen hatte im Jahr 1819 zusammen mit Angelo Maj der Archäologe und Numismatiker Carlo Ottovio Castiglioni als Mitarbeiter der ambrosianischen Bibliothek Mailand die von Maj 1817 unter deren Palimpsesten entdeckten Fragmente der gotischen Bibelübersetzung des Bischofs Wulfila mit einem Vorwort über die gotische Herrschaft im italienischen Frühmittelalter herausgegeben. Vgl Castiglioni/Maj (Hrsg.) 1819. Über die Bedeutung dieses Werkes für die Erforschung der Gestalt der gotischen Sprache schrieb Castiglionis Biograph Bernardino Biondelli: „Mentre i più distinti filòlogi inglesi, tedeschi e scandinavici [sic] se ne disputavano invano la soluzione, da questo remoto angolo d’Italia comparve d’improvviso nell’agone Carl’ Ottavio Castiglioni, colle doviziose reliquie dei palinsesti ambrosiani, e sedendo àrbitro fra loro, coll’autorità dei fatti avvalorata da una serie di osservazioni e raziocinj, dissipò le dubbiezze, rettificò gli errori ed arrichì di nuovi elementi la gramàtica [sic] ed il lessico sin allora appena incoati.“ Biondelli 1856: XXV. Biondelli verwies in diesem Zusammenhang auch auf einen nicht veröffentlichten Aufsatz Castiglionis mit dem Titel „Osservazioni filologiche sulle opere di Bopp e di Jacopo Grimm“ sowie andere unvollendete Studien mit Themenstellungen der historischvergleichenden Philologie und Indoeuropäistik wie z. B. „Analogia fra il Maltese e l’Arabo“, „Le lingue lettiche [sic] appartengono allo stipite indo-germanico“, u.a. Vgl. ebd.: XLII.

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ge Grundideen der linguistica vorwegnahm. Sein Clef des Langues wurde jedoch in Berlin auf Französisch verfasst und dort 1804 publiziert.397 Nicht allein die questione della lingua, die biblische Überlieferung und die Texte der klassischen Sprachen beschränkten also den anthropologischen Horizont der italienischen Philologie im frühen 19. Jahrhundert. Für eine Diskursanalyse problematisch ist im Falle Italiens der Umstand, dass sich zahlreiche frühe Veränderungen im philologischen Wissensdiskurs durch Rezeption ausländischer Texte und eigene Überlegungen allein in der Verborgenheit privater Studien abspielten, die nicht veröffentlicht wurden. Wie Castiglionis bis heute nicht publizierte Essays zu den Entwicklungen innerhalb der deutschsprachigen Philologie, gelangten auch die philologischen Projekte des Dichters Giacomo Leopardi lange Zeit nicht an die italienische Öffentlichkeit.398 In seinem gewaltigen, zwischen 1817 und 1832 entstandenen Zibaldone dei Pensieri, der jedoch erst 1898 erschien und auch in seinen unveröffentlichten Aufzeichnungen zum Parallelo delle cinque lingue – einem Projekt zur vergleichenden Betrachtung der ‚mediterranen‘ Sprachen Griechisch, Lateinisch, Spanisch, Französisch und Italienisch – widmete sich Leopardi den methodischen Prämissen einer vergleichenden Betrachtung der Sprachen.399 Die im Zibaldone vorgestellte Methodik der vergleichenden Sprachbetrachtung unterschied sich grundlegend von Friedrich Schlegels und Franz Bopps Konzentration auf die Morphologie der Sprachen, indem Leopardi die Bedeutung einer vergleichenden Erforschung der Lexik als etymologische Suche nach dem historischen Wandel der Bedeutung und den semantischen Ursprüngen des Wortes als ‚bedeutendem Laut‘ in anderen Sprachen hervorhob. Die Geschichte der Wortgestalten und der Wortbedeutungen stellte für den Literaten ein Sammelbecken zivilisationsgeschichtlicher Indizien dar, die dabei helfen würden, „Fortschritte des menschlichen Geistes“ („progressi dello spirito umano“), aber auch die Verbindungen der Sprachen und verstreuten Völker der Erde zu erkunden: 400 Le origini delle nazioni (oltre ai progressi dello spirito umano, e la storia de’ popoli, cose tutte fedelmente rappresentate nelle lingue), le remotissime epoche loro, le loro provenienze, la diffusione del genere umano, e la sua distribuzione pel mondo, in somma la storia de’ primi ed oscurissimi incunaboli della società, e de’ suoi primi passi, non d’altronde si può maggiormente attingere che dalle eti397

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Vgl. Denina 1804. Zu Deninas ‚paleocomparativismo‘ auf den epistemischen Grundlagen der Aufklärung, seine Bedeutung als Vorreiter Cattaneos bei der Erforschung der italienischen Dialekte und die Rezeption seiner wissenschaftlichen Neuerungen in Italien durch Melchiorre Cesarotti und Vincenzo Cuoco vgl. Marazzini 1989: 127-165 sowie Ders. 2004. Für eine umfassende Darstellung des sprachtheoretischen Schaffens Leopardis unter Berücksichtigung der gesellschaftspolitischen Dimension seiner Epistemologie vgl. Gensini 1984. Vgl. Leopardi 1899. Zu Leopardis Projekt des Parallelo vgl. Steinert 2005: 153 ff. u. Gensini 1984: 8 ff. u. Marazzini 1989: 175 ff. Eine erkenntnistheoretische Fokussierung, wie sie Anfang des 19. Jahrhunderts weit verbreitet war und noch Hervás‘ und Adelungs methodisch-synchrone Sprachbetrachtung mitbestimmte. Vgl. Trabant 2003: 229-239.

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mologie, le quali rimontando di lingua in lingua fino alle prime origini di una parola, danno le maggiori idee che noi possiamo avere circa le prime relazioni, i primi pensieri, cognizioni ec. degli uomini.401

Dabei vertrat Leopardi eine klar monogenetische Auffassung der philologischen Glotto- und humangeschichtlichen Phylogenese. Er hielt sowohl den feststellbaren Sprachwandel als auch die Aufspaltung einer physisch in ihren Anfängen homogenen Menschheit in verschieden erscheinende Rassen für historische Tatsachen, die der Separation der einheitlichen Menschengruppe geschuldet seien. welche sich durch unterschiedliche Lebensumstände und Verhaltensweisen im Laufe der Geschichte kollektiv verändert hätten. Wie zwanzig Jahre später Carlo Cattaneo stand Giacomo Leopardi einer ethnographischen Verortung der Völker allein anhand ihrer Sprachen skeptisch gegenüber. Ein Volk oder eine Nation könne sich soweit ausbreiten, dass sich auch deren vormals einheitliche Sprache durch unterschiedliche Prozesse einer allmählichen Konventionalisierung innerhalb verschiedener Gruppen dieses Volkes aufspalte. Dadurch entstünden Differenzen bei der sich wandelnden Systematisierung der ‚Ursprache‘. Ethnisch wäre dieses Kollektiv dasselbe, während sich seine Sprache diversifiziert habe.402 Es mag also verschiedene Sprachen, verschiedene Völker, Nationen und Rassen geben. Sie gehörten jedoch nur einer Spezies Mensch an und unterlägen derselben Tendenz zu wachsender sozialer und sprachlicher Komplexität in ihren Organisationsformen. Leopardi folgte dabei noch dem teleologischen Sprachbegriff der Aufklärung, nach welchem Sprachen für immer primitiver erachtet wurden, je näher sie als lose verbundene Zusammenschlüsse lautlicher Interjektionen am ‚Ursprung der Menschheit‘ lagen, bevor sie durch fortschreitende Organisation menschlicher Kollektive als konventionalisierte Kommunikationsmittel zu komplexeren Gebilden reifen konnten. Jedoch teilte er deshalb keinen aufklärerischen Universalismus, der unter Zivilisation letztlich ein homogenes Modell europäischer Überlegenheit erblickte.403 Sprachliche Differenzierungsprozesse waren

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Leopardi 1899: 50-51. Vgl. Gensini 2013: 178. Leopardi war sich sehr wohl der durch die indoeuropäische Philologie möglich gewordenen Einteilung der Menschheit anhand sprachlicher Gemeinsamkeiten und Unterschiede bewusst, wie er auch die Fortschritte der philologischen Entwicklungen in Deutschland und ihrer Darstellung in italienischen Zeitschriften der Zeit verfolgte. Vgl. Marazzini 1989: 176-178. So muss auch vor dem hier dargestellten epistemischen Kontext einer Trennung von ‚Ethnos‘ und ‚Sprache‘ seine Bezugnahme auf William Jones gelesen werden, wenn Leopardi von einer „prima“ und einer „seconda razza Persiana“ schrieb, die hier wohl eher als nazione zu verstehen war. Vgl. Leopardi 1899: 48. Denn im Kontext dieser Stelle betonte Leopardi wiederum ausdrücklich den gemeinsamen Ursprung der Sprachen und Völker. Vgl. ebd.: 49. Stefano Gensini betont dabei Leopardis Wertschätzung eines zivilisatorischen Relativismus, welcher die ethnischen Varietäten des Menschen und die Unterschiede der Nationen positiv bewertete und als wichtig erachtete. Dieses Konzept stand einem modernen esprit géométrique der französischen Aufklärung als Forderung homogenisierender Akkulturation gegenüber. Vgl. Gensini 2013: 178.

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in Leopardis Konzept anthropologische Universalien und keine Kriterien der kognitiven Differenz ihrer Sprecher: Diffondendosi dunque pel globo il genere umano, e portando con se per ogni parte quelle scarsissime e debolissime convenzioni di suono significante, che formavano allora la lingua; si venne stabilendo nelle diverse parti, e la società cominciò lentissimamente a crescere e camminare verso la perfezione. Primo e necessario mezzo per l’una parte, e per l’altra effetto di questa, è la sufficienza e l’organizzazione della favella. Venne dunque lentamente a paro della società, crescendo e formandosi la favella, sempre sul fondamento o radice di quelle prime convenzioni, cioè di quelle prime parole che la componevano. Queste erano dappertutto uniformi, ma le favelle formate non poterono essere uniformi, né conservarsi l’unità della lingua fra gli uomini.404

Gesellschaft, also menschliches Zusammenleben in unterschiedlichen historischen Kontexten, schaffe und beeinflusse die Sprachentwicklung und Sprachorganisation in Form von Grammatik und Syntax, welche zwar in ihren Anfängen ähnliche semantische Voraussetzungen, nämlich „äußerst seltene und schwache“ („scarsissime e debolissime convenzioni“) bedeutungstragende Lauteinheiten aufweise, aber langsam durch den engeren sozialen Austausch zu unterschiedlichen Sprachen geformt wurde. Leopardis historische Sprachforschung war als eine philologische Erkundung gesellschaftlicher Dynamiken konzipiert und sah keine anthropologischen Typologien vor. Sprachwandel kann in dieser noch stark aufklärerischen Epistemologie eine seit jeher bestehende Grundbedingung der Geschichtlichkeit der Spezies Mensch darstellen, die in ihren vielfältigen Erscheinungsformen niemals statisch, sondern variabel ist und sein wird. Rassenlogische Taxonomien waren für Leopardi rein äußerlich und vergänglich, indem sie sich zusammen mit den Lebensumständen der Gesellschaft, den Vermischungen der Menschen und Völker änderten, so wie sich auch die Sprachen durch ihre Funktion als Kommunikationsmittel zwangsläufig verändern mussten. ‚Rassen‘ hatten für Leopardi philologisch keine Bedeutung. Doch nicht nur im verborgenen Diskursraum unveröffentlichter Studien widmeten sich Gelehrte in Italien der vergleichenden Betrachtung der Sprachen sowie der Frage nach ihrer anthropologischen Aussagekraft in Bezug auf Genealogie und Denken ihrer Sprecher. Einer der erfolgreichsten unter ihnen war wohl der spanische Jesuit Lorenzo Hervás y Panduro, der sich dem vergleichenden Studium zahlreicher außereuropäischer Sprachen anhand grammatikalischer Kriterien zuwandte und so im Stande war, noch vor Wilhelm von Humboldt die malayisch-polynesische Sprachgruppe zu erkennen sowie eine erste Klassifizierung der amerikanischen Sprachen vorzunehmen.405 Noch 404 405

Leopardi 1899: 44. Zur epistemischen Grundierung des philologischen Werkes dieses vor den Verfolgungen Karls III. aus Spanien zusammen mit anderen Mitgliedern seines Ordens nach Rom geflohenen Hervás vgl. Marazzini: 178-181. Dessen Forschungen profitierten nicht so sehr vom Korpus der Missionarsgrammatiken, als vielmehr von der konzentrierten Verfügbarkeit philologi-

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Ende des 18. Jahrhunderts veröffentlichte der Geistliche eine gewaltige Kosmographie in italienischer Sprache unter dem Titel Idea dell’Universo. Der 17. Band Catalogo delle lingue conosciute e notizia della loro affinità, e diversità widmete sich den grammatikalischen Charakteristika von 300 bekannten Sprachen. Er erschien 1784 in Cesena und darf als Hervás‘ philologisches Hauptwerk gelten.406 Unter dem Titel Catálogo de las lenguas de las naciones conocidas wurde diese Sammlung jedoch nicht nur in Italien, sondern nach ihrer Veröffentlichung in Madrid zwischen 1800 und 1805 auch in Spanien bekannt und zu einem der einflussreichsten Schriften in der Geschichte des philologischen Wissens.407 Durch dieses Werk begann das Jahrhundert auch in der ‚romanischen Welt‘ mit einer Philologie, die den Anspruch darauf erhob, als anthropologisches Projekt die ethnische Genealogie der Völker anhand ihrer Sprachen zu erhellen.408 Diese Zielsetzung macht Hervás zu Beginn seines Werkes dem Leser deutlich: En la presente obra me propongo observar todas las lenguas del mundo conocidas, y consiguientemente las naciones que las hablan: y la observación de estas me hace retroceder hasta tocar y descubrir su orígen, por lo que esta obra, que intitulo de las lenguas conocidas, es histórico-genealógica de las naciones del mundo hasta ahora conocidas.409

Gerda Haßler hat in ihrem Aufsatz „Typologie und Anthropologie bei Lorenzo Hervás y Panduro“ auf die essenzialisierenden Tendenzen dieser vergleichenden Betrachtung der Völker anhand ihrer Sprachen hingewiesen, bei welcher zum ersten Mal die Kunst grammatikalischer Struktur, der artificio gramatical, in den Mittelpunkt rückte und zu einem kognitiven Anthropologikum wurde: Das wirklich Neue im Catálogo von Hervás war die Betonung der Stabilität der grammatischen Struktur der Sprache. Dank dieser Stabilität sollte der artificio gramatical zu dem entscheidenden Kriterium für die Klassifizierung der Natio-

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scher Information durch seine in Rom versammelten missionierenden Mitbrüder und hatten letztlich eine „Krise des sprachwissenschaftlichen Erbes der Missionare“ zu Gunsten der historisch-vergleichenden Methode zur Folge. Vgl. ebd.: 179. u. Haßler 2004: 91. Vgl. Hervás 1770-1787 sowie Trabant 2003: 233-239. Vgl. Hervás 1800-1805. Die Tätigkeit des Sprachensammelns als Vertiefung anthropologischen Wissens, wie sie Adelung und Hervás betrieben, stand ganz in jener Epistemologie der Taxonomien, wie sie nach Foucault die frühe Neuzeit kennzeichnete: „Doch trotz ihres Verbleibens auf einem Nebengebiet der Wissenschaftsgeschichte repräsentieren die Sprachensammlungen des späten 18. Jahrhunderts wie kaum ein anderer Umgang mit dem Sprachthema ein zeitgemäßes anthropologisches Interesse. Sie entstanden aus einer Sammlungseuphorie, die verschiedene Erscheinungsformen kannte. Ebenso wie man Tiere, Pflanzen, Mineralien und andere Gegenstände aus entfernten Gebieten ausstellte, erfreuten sich Lebensäußerungen des Menschen einer großen Beliebtheit auf Ausstellungen und in Naturalienkabinetten europäischer und nordamerikanischer Städte.“ Haßler 2004: 100. Hervás 1800-1805, I: 1.

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nen werden, insofern die Mentalitäten immer wieder über die Art und Weise der Ideenanordnung zutage treten würden.410

Man kann diesen artificio gramatical, welcher die Wörter und Ideen ordnet, und den Hervás als „Grundlage“ („fondo“) und „jeder Sprache eigentümlich“ („propio de cada lengua“) bezeichnete, tatsächlich als determinierendes Differenzkriterium betrachten, indem er nach Hervás auch die zivilisatorische Entwicklung eines Volkes, seinen Charakter und seine Klassifizierbarkeit kollektiv aus der Sprachlichkeit selbst bestimme. Denn der menschliche Geist, in Form der „menschlichen Erfindungskraft“ („invención humana“) habe keinerlei Einfluss auf diesen artificio.411 Die Übernahme der aristotelischen Opposition zwischen materieller und formaler Bereicherung einer Sprache durch die Bildung neuer Wörter anhand grammatikalischer oder rein lexikalischer Kriterien, vertiefte dabei epistemisch die spaltende Wirkung dieser kognitiven Essenz, da der damit einhergehende Körper-Geist-Dualismus keinen materiellen Determinismus des menschlichen Geistes als universalisierender und damit gleichmachender Instanz mehr zulässt.412 Doch Hervás fügte dieser epistemischen noch eine ontologische Dimension hinzu. Eine unüberwindbare Verschiedenheit der Sprachen widersprach nämlich Hervás‘ eigenen theoretischen Ansätzen zu einer natürlichen Universalsprache eben in der Anordnung der Wörter, wie er sie auch in seinen Forschungen zur Sprache der Taubstummen vertrat. Hervás fand für dieses Dilemma ein Mittel, wie Haßler weiter ausführt, um einen grundsätzlichen sprachlichen Universalismus mit einer essenziellen Differenz und der Offenbarung zu versöhnen. Denn erst göttliche Intervention habe die Verschiedenheit der Sprachen verursacht: Die natürliche Ordnung der Wörter entspricht nach Hervás der Anordnung der Gebärden in der Kommunikation Taubstummer. Wie Hervás bereits 1792 in einem theologischen Traktat festgestellt hatte, besteht zwischen dieser mentalen und natürlichen Grammatik und den artifiziellen Sprachen, die normalerweise in der menschlichen Kommunikation benutzt werden, ein enormer Unterschied. Da die natürliche Sprache der gesamten Menschheit und – bis zu einem gewissen Grade – sogar den Tieren gemein sei, beweise die Verschiedenheit der arbiträ410 411

412

Haßler 2004: 98. Vgl. Hervás 1800-1805, I: 23. Zum Konzept einer tiefen und als gleichwertige zu erforschenden Individualität der Sprachen, eines génie des langues, wie es der französischen Aufklärers Étienne de Condillac im zweiten Teil seines Essai sur l’origine des connoisances humaines von 1746 prägte vgl. Trabant 2003: 170-177. „Auch im Hinblick auf die Integration neuer Wörter in eine Sprache betont Hervás wiederum die grammatischen Prozesse. Während die materielle Bereicherung in der einfachen Übernahme von Wörtern aus anderen Sprachen gesehen wurde, wie zum Beispiel ins Spanische aus amerikanischen Sprachen maiz, tomate, tabaco, cacao, chocolate aufgenommen wurden, bestehe ein anderer Perfektionstyp in der formalen Perfektion, welche die Bildung neuer Wörter ausgehend von grammatischen Prozeduren erlauben würde. In dieser Unterscheidung von materieller und formaler Bereicherung nimmt Hervás die aristotelische Opposition auf, nach der die Form das aktive und organisierende Prinzip ist, die Materie dagegen eine passive Substanz. Dieses bipolare Verhältnis wird im beginnenden 19. Jahrhundert in der Sprachtheorie Humboldts produktiv werden.“ Haßler 2004: 99.

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ren Sprachen, daß diese nicht auf natürlichem Wege entstanden sein konnten. Sie seien das Ergebnis einer göttlichen Intervention und ihre Sammlung in einem Katalog würde die empirischen Daten und die göttliche Lehre von der Sprachverwirrung miteinander vereinen.413

Die Arbitrarität von Sprache wird damit aus dem Bereich der menschlichen Gesellschaft genommen und in eine apodiktische Aussage verwandelt. Jedoch werden nicht nur Empirie und Offenbarung vereint, sondern das biblische Narrativ der babylonischen Sprachenverwirrung wird vom Mythos zum universellen Kriterium von Differenz. Dies bedeutet auch, dass die Unterschiede der Sprachen zwar nicht physischer Determinierung unterworfen wären, aber ontisch durch den göttlichen Willen mit bestimmten Völkern verbunden werden könnten und deren genealogische Bestimmung ermöglichten. Hervás‘ platonische Konzeption des menschlichen Geistes, die im Gegensatz zu Lockes tabula rasa dem kreatürlichen Menschen eingeborene Ideen innerhalb der natürlichen Grammatik zugestand, ermöglichte also zweierlei: Eine Versöhnung von Wissenschaft und Offenbarung in Form einer grundsätzlichen und nicht zu beeinflussenden Differenz und eine funktionale Konzeption von Sprache im Sinne einer natürlichen Universalsprache. Hervás jedoch keineswegs konsequent seinem eigenen Platonismus, wenn er andernorts die Sprache zum Fundament der Ideen werden ließ. Gerda Haßler erwähnt in diesem Zusammenhang den Aufsatz „El hombre fisico“ aus dem Jahre 1800, wo der ‚Sprachensammler‘ – aufbauend auf den Theorien Lockes und Condillacs – die Möglichkeit von außersprachlichen Ideen verwarf und allein Völkern mit einem großen Wortschatz die Fähigkeit zu Ideenreichtum zugestand.414 Nach dieser Theorie wären auch barbarische Völker in der Lage, durch lexikalische Bereicherung ihrer Sprachen zivilisiert zu werden. Hervás argumentierte hier im Widerspruch zu seinen sprachidealistischen Ansätzen und ‚demokratisierte‘ die menschliche Kognition: Si para una nueva idea útil no se inventa un nombre derivado que la exprese, la idea perece. Nuestro pensar es pediseqüo del hablar: no solemos tener ideas, sino de las palabras que sabemos; por lo que quien habla bien una lengua abundantísima de palabras, tiene más ideas que el que habla una lengua escasa de aquellas.415

Ausgehend von Hervás‘ epistemischer Inkonsequenz bleibt also die Frage, ob nicht bereits dieser frühe Versuch einer wissenschaftlich fundierten Klassifizierung der Sprache nach grammatikalischen und lexikalischen Gesichtspunkten eine Vorlage essenzialisierenden Denkens darstellte, das eine unüberwindbare Kluft innerhalb der Menschheit zu schaffen im Stande war. Gegen eine solche Auslegung würde das Argument sprechen, dass der Sprachdeterminismus des Individuums durch den artificio gramatical der artifiziellen Sprachen 413 414 415

Ebd.: 95. Vgl. Hervás 1800, Haßler 2004: 96-97. Hervás 1800, II: 282.

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noch in einer universellen Konzeption des allgemein menschlichen Denkens verwurzelt blieb. Denn der menschliche Geist wäre aufgrund seiner Lernfähigkeit gegenüber neuen Worte – im Sinne der aristotelischen materiellen Bereicherung der Sprache – auch in anderen Sprachen weiterhin aufnahmefähig für neue Ideen. Nicht die Grammatik wäre Ausdruck einer essenziellen und unüberwindbaren Überlegenheit oder Besonnenheit der Völker. Sprachen würden gemäß dieser Lesart zu einer zivilisatorischen Überlegenheit aufgrund lexikalischer Erweiterung führen, die einige Völker „mas ó menos civiles y sabias“ mache, sie zu Ideenreichtum und Wissenschaft befähige.416 In dieser Auffassung bricht sich einerseits noch der christliche Universalismus in Bezug auf die menschliche ratio Bahn, der den „menschlichen Geist“ („espíritu humano“) als „göttlichen Funken“ („centella de la divinidad“), als Differenzmerkmal des Menschen von den Tieren ansah, andererseits aber auch der universelle Zivilisationsbegriff der Aufklärung, selbst wenn Hervás sich selbst keinesfalls mit jenem „düsteren Zeitalter“ („tenebroso siglo“) verbunden wissen wollte417. Die Philologie erhob somit früh im 19. Jahrhundert den Anspruch auf die Rekonstruierbarkeit ethnischer Genealogien aufgrund Klassifizierung und Vergleich, basierend auf einer essenziellen, da gottgewollten sprachlichen Verschiedenheit jenseits des Einflusses der „menschlichen Erfindungskraft“ („invención humana“). Dieselbe göttliche Instanz, welche den Menschen vom Tier unterschied, teilte die Menschheit in ihrer Sprachlichkeit. Die epistemischen Grundbedingungen für rassistisches Denken wären somit durchaus erfüllt, auch wenn der Universalismus noch überwog. Bemerkenswert ist, dass der zugrunde liegende Essenzialismus zwar mit einem biblischen Narrativ in Verbindung mit einem dogmatischen Postulat göttlicher Intervention gerechtfertigt wurde, sich aber dennoch epistemisch auf der Höhe der Zeit, also empirisch, gab. Trotz dieses relativierenden Kontextes blieb diese neue und von Hervás als einem der ersten ausdrücklich geforderte Verwobenheit philologischen Wissens mit anthropologischem Anspruch dadurch ein epistemisches Konstrukt, welches deterministisches Potential in sich barg.

416 417

Vgl. Hervás 1800-1805, I: 23. Hervás 1800, II: 169. Vgl. Haßler 2004: 92 sowie ebd. zu Hervás‘ Trennung zwischen Philosophie und Theologie, Offenbarung und menschlicher Natur.

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1. Nicolas Wiseman: Philologische Ethnographie als Spiegel biblischer Offenbarung Lorenzo Hervás sollte nicht der einzige Forscher in vatikanischen Diensten bleiben, der aufgrund sprachlicher und textueller Befunde die wahrscheinlichen Gestalten ethnischer Genealogien auslotete und dafür den Nutzen einer anthropologischen Philologie diskutierte. Eine der ersten ausführlicheren ‚Werbemaßnahmen‘ in Italien für eine derartige Wissenschaft – die dabei allerdings vor allem als Ergebnis grundlegender methodischer und inhaltlicher Neuerungen innerhalb der deutschen Philologie angesehen wurde – erfolgte zwanzig Jahre nach Erscheinen des letzten Bandes von Hervas‘ Catálogo und ebenfalls von ‚klerikaler‘ Seite. In einer Reihe von Vorlesungen, die eigentlich für den privaten Unterricht konzipiert waren, trug Nicolas Wiseman, der damalige Vizerektor des Päpstlichen Englischen Kollegs zu Rom und spätere Erzbischof von Westminster, im Jahr 1835 in ebenjenem Kolleg die Ergebnisse seiner Beschäftigung mit den Wissenschaften, darunter die Philologie, einem größeren italienischen Publikum vor. Der polyglotte Orientalist Wiseman erwähnte bei dieser Gelegenheit auch seinen ‚Vorgänger‘ Lorenzo Hervás als methodisch noch unvollkommenen und zaudernden, jedoch für jeden Ethnographen nach wie vor nützlichen Pionier dieser Wissenschaft im südlichen Europa.418 Wiseman stand seinem Vorläufer epistemisch insofern nahe, als dass auch er versuchte, biblische Offenbarung und den Anspruch auf Empirizität zu versöhnen, und durch die vergleichende Betrachtung von Sprachen philologisches Wissen für die Erforschung der unterschiedlichen Funktionsweisen des menschlichen Geistes fruchtbar zu machen. Großes Ziel dieser ‚römischen Vorlesungen‘ war darüber hinaus die Versöhnung der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Naturforschung, vor allem der immer einflussreicher werdenden Evolutionstheorien, der Archäologie, aber auch des Studiums der orientalischen Literatur mit dem geoffenbarten Wissen. Bereits ein Jahr nach ihrer öffentlichen Lesung wurden die Vorlesungen unter dem Titel Twelve lectures on the connexion between science and revealed religion in London veröffentlicht.419 Für diese Versöhnung von scienza und religione eignete sich Wisemans Ansicht nach nun insbesondere auch die historisch-vergleichende Erforschung der Sprachen anhand ihrer morphologischen Struktur. Dies mag überraschen, da doch seit Schlegels erkenntnistheoretischer Aufwertung des Sanskrit sowohl die Genealogie der Sprachen als auch ihr Alter fundamental von der biblischen Überlieferung abwich, und dadurch bekanntlich die Stellung des Hebräischen als Ursprache des Menschen nachhaltig in Frage gestellt wurde.420 418 419 420

Vgl. Wiseman 1842: 20-21. Vgl. Wiseman 1836. Zu dieser Entthronung des Hebräischen vgl. Trabant 2003: 242 sowie Olender 1989: 52.

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Wiseman verteidigte jedoch emphatisch die Notwendigkeit, sich mit diesem neuen Wissen auseinanderzusetzen. In Form einer Apologetik der modernen Wissenschaften präsentierte er – als päpstlicher Funktionär im fortschrittlichen England der Spätphase der Industriellen Revolution wohl auch im eigenen Interesse – dem kritischen Publikum das katholische Rom als ernstzunehmendes Zentrum der ‚physical sciences‘ sowie der Orientstudien.421 Dies ist insofern verständlich, als dass die harsche Verurteilung von Naturalismus, Liberalismus und Rationalismus durch Papst Gregor XVI. in dessen Enzyklika Mirari vos aus dem Jahr 1832 kaum geeignet war, die Bedeutung wissenschaftlicher Neuerungen positiv zu würdigen.422 Auch herrschten dieser presse- und technikkritische Papst und seine ebenso liberalismuskritischen Staatssekretäre Tommaso Bernetti und Luigi Lambruschini in einem Klima kultureller und wissenschaftlicher Stagnation im Kirchenstaat.423 Unter den römischen, von Gregor XVI. geschätzten ‚Intellektuellen‘ dieser Zeit ragen vor allem der Hauptkustos der Vatikanischen Bibliothek Angelo Maj und dessen Nachfolger Giuseppe Mezzofanti, der publikationsscheue Plurilinguist und Mitglied der Congregatio de Propaganda Fide, heraus. Beide zählten zu Wisemans Bekanntenkreis, wie er selbst in den anekdotisch-autobiographischen Recollections of the last four popes and of Rome in their times betonte.424 Im Vergleich zu den zwar polyglott gebildeten, aber einer älteren Philologie verpflichteten Arbeiten dieser Gelehrten und im Gegensatz zu Hervás stellten Wisemans öffentliche Lectures für das Selbstverständnis dieser Wissenschaft tatsächlich eine Zäsur dar. 421

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Die negative Wahrnehmung Roms und des restaurativen Italien als Orten wissenschaftlicher Rückschrittlichkeit in England wurde von Wiseman mehrmals zurückgewiesen. Vielmehr sei Rom in Anbetracht der dortigen Universitätslandschaft und des demokratischen Zugangs zu Bildung ein Ort freien Forschens und Arbeitens im Dienste der Religion: „More than once I have had opportunities of vindicating Italy, and Rome especially, from silly calumnies in this regard. I have proved that this city has been the foremost in encouraging and aiding science and literature, the tendency of which was to probe the foundations of religion to their very centre, without jealousy and without alarm. There is no country, perhaps, where the higher departments of education are so unreservedly thrown open to every rank, where the physical sciences are more freely pursued, and where oriental and critical literature have been more fostered than here. This city possesses three establishments in the form of a University, in which all the branches of literature and science are simultaneously cultivated under able professors […].“ Wiseman 1836, Bd. 2: 309. Zur Rolle der Enzyklika innerhalb der ‚Römischen Reaktion‘ vgl. Jedin 1971, Band V: 336 ff., insb. 341. Zur historischen Einordnung Gregors des XVI vgl. Müller/Balz/Krause 1997, Band 27: 13-14 und deren Fazit einer Kontinuität des Antiliberalismus: „In der vorkonziliaren Zeit haben nach der Französischen Revolution die Päpste Gregor XVI. (1831-1846), Enzyklika Mirari vos (1832), Pius IX., Quanta cura (1864), und noch Leo XIII., Libertas praestantissimum (1888), die Irrtümer des politischen Liberalismus, der Menschenrechte, der Religionsfreiheit verurteilt. Gewissensfreiheit wurde ‚Wahnsinn‘ genannt. [...] Eine vorsichtige Annäherung an die Demokratie zeichnet sich erstmals bei Leo XIII. ab.“ Zu Politik und Kultur unter Gregor XVI. Vgl. Martina 2000. Zur Universitätspolitik Gregors XVI. Vgl. Mathes 1975: 124 ff. Vgl. Wiseman 1858: 421 ff. u. 429 ff.

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In den ersten beiden Vorlesungen mit dem Titel „On the comparative study of languages“ erläuterte der Engländer voller Enthusiasmus – allerdings erst 27 Jahre nach Erscheinen von Friedrich Schlegels Über die Sprache und Weisheit der Indier – einem italienischen Publikum die Erkenntnisse der historischvergleichenden Philologie deutscher Provenienz. Er betonte dabei die fundamentale, da methodische Bedeutung des Vergleichs von Sprachen anhand ihres grammatischen Baus. Interessant daran ist, dass Wiseman gleich nach dem Kapitel über die Philologie in der dritten Vorlesung auf die naturhistorische „Geschichte der menschlichen Rasse“ eingeht.425 Im epistemischen Kontext des philologischen Wissens sprach er das Problem der Existenz und Erforschung von Varietäten einer einzigen menschlichen Rasse an, wie es die naturgeschichtlichen Wissenschaften aufwarfen und diskutierten. Deren Argumente würden jedoch nicht ausreichen, um diese anthropologische Differenz zu begründen oder zurückzuweisen. Daher pochte Wiseman auf die Notwendigkeit einer physiognomischen Ethnographie als Schwesterwissenschaft einer philologischen Ethnographie: For, assuredly, the attempt to trace out the course and origin of each variety in the human species, back to one common progenitor, must seem an almost hopeless task; when we consider how the investigation it requires has been involved in numerous and complicated questions, by the contradictory statements of writers, and by the conflicting principles on which it has been conducted. Still the successful results of the science last discussed, may well encourage us to undertake the examination of this its sister science – the history of the human race. It may, indeed, be said, that their objects are very nearly the same, even so far that a common name might perhaps be given them, descriptive of their object, with a distinctive epithet to mark the processes whereby they seek to attain it. And if the former was rightly called philological, this might be not inaptly styled physiognomical Ethnography.426

Wiseman berief sich bei seiner epistemischen Konzeption dieser Art der Philologie nicht so sehr auf diejenigen Vertreter der komparatistischen Methode, die in lexikalischen Affinitäten nach sprachlichen Unterschieden und Gemeinsamkeiten suchten und zu denen er neben dem Geographen Adriano Balbi und den Sinologen Heinrich Klaproth und Jean-Pierre Abel-Rémusat „perhaps“ auch Friedrich Schlegel zählte, sondern auf die Verfechter einer differenzierenden Betrachtung von Sprache allein auf grammatikalischer Grundlage.427 Den zu dieser Zeit bereits verstorbenen Wilhelm von Humboldt sah er in diesem Sinne als ersten ethnographischen Philologen an. Dessen Theorien von der Geisteskraft und der inneren Sprachform seien Bestätigung seiner eigenen Ansichten über die Formen des menschlichen Denkens und die Möglichkeiten

425

426 427

Vgl. Wiseman 1836: „Lecture the third; on the natural history of the human race“, Bd. 1, 143 ff. Ebd.: 145. Vgl. ebd.: 71.

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des Nachweises geistiger Vervollkommnung des Menschen anhand der vergleichenden Betrachtung seiner Sprachen: This profound linguist, perhaps beyond any other, brought a spirit of analytical enquiry in contact with a vast store of practical ethnographic knowledge, and used the study of languages in a way that few have done besides, as a means to arrive at a better acquaintance with the forms of thought, and with the processes of mental improvement.428

Jedoch standen bei Wiseman diese Erkenntnisse stets in engem Kontakt mit der Naturgeschichte. Es sei eben diese von ihm selbst propagierte philologische Ethnographie, deren Erfolge dazu ermutigen sollten, das vergleichende Studium der physiognomischen Varietäten des Menschen zu vertiefen und weiterzuentwickeln. Der philologische Diskurs müsse sogar eng mit einem naturgeschichtlichen und letztlich auch rassenlogischen Diskurs verbunden werden, da die Philologie nur so diese physischen Verschiedenheiten des Menschen wissenschaftlich relativieren könne, um letztlich die grundsätzliche Einheit der „menschlichen Rasse“ („human race“) hervorzuheben. Der Glaube an die Universalität christlicher Heilslehre fordere es von den Gelehrten geradezu, durch die Philologie im Einklang mit der Naturgeschichte einen Nachweis über diesen gemeinsamen Ursprung der Menschheit – die Wiseman dennoch nach Aristoteles in vier Rassen oder Typen einteilte – zu erbringen.429 Die Ergebnisse der vergleichenden (Sprach-)Forschung würden durch die Schaffung immer größerer Sprachfamilien zu diesem Nachweis beitragen, indem sie eine sprachliche und gattungsgeschichtliche Monogenese ein Stück wahrscheinlicher gemacht hätten: Instead of being perplexed with a multiplicity of languages, we have now reduced them to ascertain very large groups, each comprising a great variety of languages formerly thought to be unconnected, and thus representing, as it were, only one human family, originally possessing a single idiom. Now every succeeding step has clearly added to this advantage, and diminished still farther any apparent hostility between the number of languages and the history of the dispersion.430

Wiseman betonte in diesem Zusammenhang besonders die Forschungen des Kaukasus-Reisenden Heinrich Julius Klaproth zur Sprache der Osseten.431 428 429 430 431

Vgl. ebd.: 79. Vgl. ebd.: 151 ff. Wiseman 1836, Bd. 1: 49-50. Wiseman verwies hier auf Klaproths methodische Beschreibung der ossetischen Sprache anhand eines Wörterbuchs und einer Grammatik in Klaproth 1823, Bd. 2: 448 u. 470 ff., wo dieser feststellte: „L’analyse de la langue des Ossètes fera voir quelle appartient à la souche médo-persane.“ Klaproth 1836: 448. Zuvor setzte Klaproth aufgrund historischer Ethnonyme die Osseten mit den antiken Medern und den Arioi Herodots gleich: „Il résulte évidemment de tout ce qui précède, que les Ossètes, qui se nomment eux-mêmes ‘Iron’, sont les Mèdes, qui se donnaient à eux-mémes les nom d’‘Iran’, et qu’Hérodote désigne par celui d’‘Arioi’. Ils sont encore les Mèdes-Sarmates des anciens et la colonie médique établie dans le Caucase

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Durch seine Klassifizierung dieser Sprache als medopersisches – und damit indoeuropäisches – Idiom, habe dieser kosmopolitische Orientalist die Darstellung des dänischen Geographen Conrad Malte-Brun widerlegen können, der die Sprachen des Kaukasus in einer separaten Familie zusammengefasst hatte.432 Ein Beispiel dafür, dass die „offensichtliche Feindseligkeit“ („apparent hostility“) zwischen der großen Anzahl der Sprachen durch diese neue Art der geschichtlich-vergleichenden und methodisch-kritischen Philologie „vermindert“ („diminished“) und somit auch die „menschliche Familie“ („human family“) näher zusammengebracht werden könne. Dies klingt nach einem eindeutigen Standpunkt Wisemans. Doch verhinderte seine ‚Ethnographisierung‘ des philologischen Wissens zugleich auch eine epistemisch fundierte, essenzialisierende Differenzierung der Völker und Varietäten des Menschen? Jenseits einer versöhnlich-prospektiven Hoffnung blieb nämlich eine gewisse Ambivalenz in der Rezeptionsmöglichkeit von Wisemans Aussagen erhalten, da dieser Friedrich Schlegels invertierter Zivilisationsgeschichte einer ursprünglichen kognitiven Differenzierung der Menschengruppen nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstand und die Möglichkeit einer anderen Art der Essenzialisierung offen ließ, die den auch theologisch geschulten Vertretern einer linearen Fortschritts- und Zivilisationsteleologie widersprach. Man könnte nämlich – wie dies ja schon Hervás in seinem Konzept des artificio gramatical zumindest andachte – die zivilisatorische Verschiedenheit während der Anfangsphase der Menschheit als gottgewollte Verschiedenheit interpretieren, die im Plan der Vorsehung verankert war. Deren Ziel sei dabei nicht die physisch-materielle Verteilung der menschlichen Varietäten, oder deren Ausstattung mit verschiedenen Äußerungsformen gewesen. Diese beruhten vielmehr als Folge in der nach kollektiven Kriterien vorgenommenen Verteilung der intellektuellen Fähigkeiten unter den Menschen. Sprache ist für Wiseman „Fleisch des Gedankens“ („incarnation of thought“), woraus folge, dass der Geist einer Nation („mind of a nation“) notwendigerweise mit deren Sprache

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par les Scythes. Ils sont les ‘As’ ou ‘Alains’ du moyen âge; ils sont enfin les ‘Iasses’ des chroniques russes, d’après lesquelles une partie des monts Caucases fut nommée les ‘monts Iassiques’.“ Ebd.: 447. Vgl. Malte-Brun 1812, Bd. 2: 580. „A côté et même au milieu de cette grande famille, composée de langues-mères les plus parfaites, nous voyons d’autres familles grossièrement combinées, n’offrant aucune ressemblance, ni entr’elles, ni avec les langues indogermaniques. […] Le Caucase situé au centre des régions où dominent les langues indo-germaniques, loin de présenter une souche commune de ces langues, en interrompt la chaîne et nous offre dans le géorgien, le circassien, l’arménien et quelques autres idiomes singulièrement rudes et simples, une famille ou plutôt un groupe de langues à part, langues peu connues et sans doute très-anciennes.“ Malte-Brun 1810: 579-580. In Anbetracht dieser Verschiedenheit der Sprachen untereinander fragt Malte-Brun: „Serait-il possible que le caractère et le génie différent des langages humains, fussent les résultats d’une différence héréditaire dans les organes de la parole? Si l’on admettait ce principe, on pourrait en tirer des conclusions importantes.“ Ebd.: 583.

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übereinstimmen müsse („must necessarily correspond“).433 So seien die „Dialekte“ („dialects“) der an Partikeln und grammatikalischen Formen „verarmten“ („destitute“) semitischen Sprachfamilie zwar am besten geeignet für „die einfachsten historischen Narrative“ („simplest historical narratives“) und „exquisiteste Poesie“ („most exquisit poetry“), jedoch könnten sie kaum metaphysisches und philosophisches Denken hervorbringen. Dennoch, oder gerade wegen ihres konkreten und realitätsbezogenen Charakters seien in ihnen die größten religiösen Offenbarungen der Menschheit zuteil geworden. Das Hebräische und die Sprache des Koran seien Zeugnisse dieser religiösen Poesie auf der Basis einer ‚Metaphorik der äußeren Welt‘: The Semitic family, destitute of particles and grammatical forms suited to express the relations of things, stiffened by an unyielding construction, and confined by the dependence of words upon verbal roots to ideas of outward action, could not lead the mind to abstract or abstruse ideas; and hence its dialects have been ever adapted for the simplest historical narratives, and for the most exquisite poetry, where mere impressions or sensations are felt and described in the most rapid succession; while not a school of native philosophy has arisen within their pale, not an element of metaphysical thought occurs in their sublimest compositions. Hence are the deepest revelations of religion, the awfulest denunciations of prophecy, the wisest lessons of virtue, clothed in Hebrew, under imagery drawn from outward nature. And in this respect, the author of the Koran necessarily followed the same course.434

Der gottgewollte, konkretisierende ‚Bau‘ des Hebräischen und Arabischen habe das Denken der Semiten beeinflusst. Das Denken der Semiten habe wiederum ihre Narrativik zu einem gattungsgeschichtlichen Käfig zwischen religiösen Sprüchen und Weisheitslehren ohne jegliche Abstraktion werden lassen. Die prophetischen Bücher der Bibel und der Koran wäre nach dieser Auffassung nichts als in Worte gegossene, jedoch von Gott geoffenbarte ‚Physis ohne Metaphysis‘. Die Bildung der Worte innerhalb der semitischen Sprachfamilie sei allein von den Wurzeln abhängig, wodurch ihre Sprecher zwar befähigt seien, äußerliches Handeln auszudrücken, jedoch den Bewegungen des Denkens an sich nicht gerecht werden könnten. Die Ideen würden so im unreflek-

433

434

Obwohl Wiseman an dieser Stelle nicht direkt auf Wilhelm von Humboldt verwies, lässt sich doch in der epistemischen Frage nach dem Zusammenhang individueller innerer Sprachform und kollektiver sprachlicher Prädisposition dessen Einfluss nicht verleugnen: „But we are not, I think, to imagine, that Divine Providence, in distributing to different human families this holy gift of speech, had no farther purpose than the material dispersion of the human race, or the bestowing on them varied forms of utterance; there was doubtless therein a deeper and more important end – the sharing out among them of the intellectual powers. For language is so manifestly the embodying power, the incarnation, so to speak, of thought, that we can almost as easily imagine to ourselves a soul without a body, as our thoughts unclothed by the forms of their outward expression. And hence these organs of the spirit’s conceptions must, in their turn, mould, control, and modify, its peculiar character, so that the mind of a nation must necessarily correspond to the language it possesses.“ Ebd.: 138-139. Ebd.: 139-140.

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tierten a posteriori verharren und könnten – als geoffenbarte und nicht erschlossene – lediglich poetisch umschrieben werden. Dem vermeintlich simplen und naturverhafteten Charakter der semitischen Sprachen als Ursachen geoffenbarter Religion stellte Wisemans sprachanthropologisches Argumentieren die überbordende Kreativität der flektierenden indoeuropäischen Sprachfamilie im ‚metaphysischen Raum‘ der Philosophie entgegen. Denn die ‚Gattung‘ des philosophischen Systems sei der kulminierende Punkt einer ihnen entsprungenen Narrativik, wie im alten Indien, im antiken Griechenland und im zeitgenössischen Deutschland offensichtlich geworden sei. Dies habe allein daran gelegen, dass eine flektierende Sprache „ein geeignetes Instrument“ („a fit instrument“) darstelle, um die Form der Ideen selbst zu analysieren: Hence, while it [the Indo-European, ML] is a fit instrument for effecting the loftiest designs of genius, it is no less powerful in the hands of the philosopher; and in it, and by it, have arisen those varied systems, which, in ancient India, and in later Greece, and in modern Germany, have attempted to fathom the human understanding, and analyze to their primitive elements the forms of our ideas.435

Der am besten – da philologisch wie philosophisch zugänglichste – erfahrbare Ausdruck intellektueller Überlegenheit einer Sprache werde jedoch durch die großen philosophischen Werke des deutschen Idealismus repräsentiert. Denn in ihnen wirke sich der ‚Geist‘ der deutschen Sprache am deutlichsten aus, indem sich der sprachbedingte apriorische Zweifel am Subjekt des Menschen im grammatikalischen ‚Subjekt‘ der Sprache spiegle. Diese metaphysische Prädisposition sei zwar ein allgemeines Charakteristikum der indoeuropäischen Sprachenfamilie, konnte jedoch nur im deutschen Sprachraum ihre volle Entfaltung erfahren, da sich hier die grammatikalischen Charakteristika und Vorzüge dieser Familie am deutlichsten eingeprägt hätten. Das Deutsche erlaube es beispielsweise viel einfacher als die anderen europäischen Sprachen, durch Objektivierung des sprechenden Subjektes, dessen eigene Bedingtheit zu erkennen. Das kritische Hinterfragen des ‚Ich‘ war für Wiseman dabei nicht nur morphologisch, sondern in erster Linie syntaktisch bedingt: As an illustration of these remarks, I may say that, in our times, the transcendental philosophy could hardly have arisen in any country except Germany, whose language possesses the characteristics of the family more than any other, and could most easily permit or suggest the using of the first pronoun objectively, a violence too great, in other European languages.436

Dieser Argumentation lag jedoch dieselbe Tautologie zugrunde, wie sie bereits bei Hervás dargestellt wurde, da in ihr die Sprachentwicklung dem Einfluss des Menschen mal ausgesetzt ist, mal entzogen wird, indem ihr Charakter von Hervás wie von Wiseman letztlich aus dem Postulat einer göttlichen 435 436

Ebd.: 140. Ebd.: 140, FN.

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Prädestination gerechtfertigt werden sollte. Denn die Entwicklung einer für abstraktes Denken geeigneten Syntax war hier ja bereits Ausdruck einer von nicht hinterfragbarer Instanz ungleich verteilten, höheren Intelligenz und habe deren Entwicklung nicht zur Folge gehabt. Hier ist wiederum jenes hierarchisierende Essenzialisieren in Form theologischer Apodiktik zu finden, wie es auch das anthropologisch-rassistische Denken auszeichnet. Apodiktisch auch deshalb, da bei Hervás und Wiseman die Richtinstanz in Bezug auf sprachliche Differenz kein menschliches Prinzip wie Besonnenheit oder Vernunft war, sondern göttlicher Wille als vorontisches Axiom diese Besonnenheit erst schuf. Grundsätzlich folgte Wiseman somit folgender epistemischer Prämisse, die in weiten Teilen dem schlegelschen Ursprungsmodell folgte: Der Mensch kam nicht aus der Barbarei zur Zivilisation, sondern war von Anfang an durch Gott an einen bestimmten erhabenen Platz innerhalb der Natur gesetzt worden, welcher sich bis in die Gegenwart erkennen ließe. Zwar seien die intellektuellen Fähigkeiten der Menschen nicht gleich, aber dennoch gerecht verteilt worden, wie Wiseman an den Sprachfamilien zu erkennen glaubte.437 Die Semiten seien durch die göttliche Gnade der Offenbarung zu höheren zivilisatorischen Leistungen in Form von Poesie und Religion, jedoch nicht zur Philosophie fähig. Diese sprachanthropologische Konzeption des Menschen im Dienste der Offenbarung widersprach dabei auf der einen Seite den zivilisationskritischen Philosophen wie Rousseau, aber auch aufklärerischen Verfechtern des universellen Fortschrittsgedankens aus einem unwürdigen Zustand der Barbarei wie Vico, sowie natürlich den Evolutionstheoretikern und Vertretern einer Polygenese des Menschen, den „entwürdigenden Theorien von Virey und Lamarck“ („degrading theories of Virey and Lamarck“)438, welche im Widerspruch zur biblischen Schöpfungsgeschichte stünden: This reasoning is of course opposed to the popular theory of ordinary philosophers; that the natural progress of men is from barbarism to civilization, and that the savage must be considered the original type of human nature, from which we have departed by gradual efforts. But the reasoning I have pursued, the reflection that nature, or rather its Author, will place his creatures in the state for which he intended them, that, if man were formed in body, and endowed in spirit, for a social and domestic life, he can have been not more cast originally into dessert or a forest, savage and untutored, than the sea-shell can have been first produced on the mountain’s top, or the elephant been created amidst the icebergs of the pole; this reflection must exclude the idea that the savage state is any but a degrada-

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438

Zu Wisemans Verteidigung der biblischen Offenbarung im Buch Genesis und ihrer Vereinbarkeit mit der Naturgeschichte des Menschen, wie er sie gegen die Kritik des Vorsitzenden des Royal College of Surgeons, Sir William Lawrence, vorbrachte vgl. ebd. 147 ff. Wiseman 1836: 206. Gemeint sind die Evolutionstheoretiker Julien-Joseph Virey (17751846), Anhänger einer polygenetischen Konzeption der Evolutionsgeschichte und der einflussreiche Jean-Baptiste de Lamarck (1744-1829), Theoretiker einer Theorie des evolutionären Transformismus der Lebewesen.

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tion, a departure from the original destiny and position of man. Such is the view taken by the learned Frederick Schlegel […].439

Wiseman sah daher in Friedrich Schlegels zivilisationsgeschichtlichem Modell eine Theorie der Degeneration des ursprünglich bereits perfekt zivilisierten, jedoch nicht gleich zivilisiert erschaffenen Menschen. Wie Cantù bezog er sich bei dieser Überlegung auf die Argumente des späten Friedrich Schlegel, diesmal auf dessen Philosophie der Geschichte.440 Die Tatsache einer dort postulierten, überall in der Geschichte sichtbaren Depravation der menschlichen Zivilisationen sei zwar ebenso bedauerlich wie die erniedrigenden Theorien der Evolutionstheoretiker, jedoch sei der Verfall der einst hochentwickelten Sprachen und Völker auch als göttliche Mahnung davor zu verstehen, die eigene ‚Zivilisiertheit‘ als ewig und unabänderlich gegeben zu betrachten. Doch mochte Wiseman in dieser Annahme kein Argument für einen universellen Zustand der Barbarei erkennen – weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft – und in der Geschichte schon gar keine ‚Evolution‘ als „Perfektionierung einer affenhaften Bosheit“ („perfecting of the ape’s maliciousness“) des Menschen. Auch der „niedrigst stehende Wilde“ („the lowest savage“) sei in diesem Sinne von Anfang an als ein Bruder zu betrachten, der allenfalls erst wieder dem Glauben an seine göttliche Bestimmung als höchster von Gott geschaffener Kreatur zugeführt werden müsse: [Schlegels Zivilisationsmodell, ML] assuredly, is more consoling to humanity than the degrading theories of Virey and Lamarck; and yet there is inmixed [sic] therewith some slight bitterness of humiliation. For, if it was revolting to think that our noble nature should be nothing more than the perfecting of the ape’s maliciousness, yet is it not without some shame and sorrow that we see that nature 439 440

Ebd. Wiseman bezieht sich auf Schlegel 1829: 46-48, wo die rassenlogischen und rassistischen Implikationen dieses Zivilisationsmodells offensichtlich werden, wenn vergleichende Anatomie, Physiognomik und Charakterkunde Aufschluss über den Platz menschlicher Kollektive innerhalb der Geschichte geben sollen: „Wenn der Mensch und das Menschengeschlecht einmal ins Verderben und ins Sinken geräth, so läßt sich nicht wohl im Voraus die Gränze bestimmen, bis wohin er von Stufe zu Stufe heruntersinken und dem Thiere sich annähern könne; eben weil er von Ursprung aus ein freyes, dann so veränderliches und selbst organisch genommen höchst biegsames Wesen ist. Noch weit unter dem Neger herab, der schon wegen seiner organischen Kraft und Lebendigkeit, dann auch wegen seines gelehrigen und mehrentheils gutartigen Charakters noch gar nicht aus der tieffsten und letzten Stufe der Menschheit steht; bis zu den unförmlichen Patagonen, den fast blödsinnigen Pescherähs, den gräulichen Menschenfressern auf Neu-seeland, von denen selbst die Abbildungen Grausen erregen, müssen wir also nun diesen Faden der Erklärung, als die einzige menschlich richtige Ansicht festhalten. [...] Weit entfernt aber, mit Rousseau und seinen Anhängern in dem Naturzustande auch der besten und edelsten Wilden den wahren Anfang der Menschheit und die eigentliche Grundlage des gesellschaftlichen Vertrages zu suchen, oder gar auf das Experiment zu verfallen, die bürgerlichen Verhältnisse wieder auf jenes gepriesene Ideal in dem vermeynten Naturzustand des Menschen zurückführen zu wollen, können wir darin nur einen Zustand der Verwilderung und eine Ausartung sehen und erkennen. Der Mensch ist also seinem Ursprunge nach und von Haus aus, an und für sich kein Wilder; wohl aber kann er es werden, immer und überall und auch noch jetzt […].“ Ebd.

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anywhere sunk and degraded from its original beauty, till men should have been able plausibly to sustain that odious affinity. Yet may this be of ‚sweet use‘ to us, in checking that pride which the superiority of our civilization too often excites, by recalling to our minds, that, if we and the lowest savage are but brethren of one family, we are, even as they, of a lowly origin, and they, as we, have the sublimest destiny […].441

Deutlich wird hier, dass die Rezeption des späten Friedrich Schlegel eine statisch sich erhaltende Aufteilung der Menschheit nach sprachanthropologischen Kriterien relativierte, wie sie auch durch das theologische Argument der göttlichen Vorsehung mitgeschaffen wurde. Letztlich rekurrierte Wiseman jedoch auf das christliche Axiom der Kreatürlichkeit des Menschen als von Gott gleich geschaffenem und göttlicher Gnade teilhaftem Individuum. Dies natürlich nur innerhalb der katholischen Form des Christentums als Hüterin der ‚universellen‘ Geschichte biblischer Offenbarung. Die arisch-semitische Opposition blieb jedoch als zivilisationskritischer Anhaltspunkt innerhalb der Epistemologie genauso bestehen wie Ansätze aufklärerischer Hierarchisierung zwischen „wild“ und „zivilisiert“. Auch die physische Taxonomie der Rassen sowie die Faszination für Ethnographie und Physiognomie des späten Schlegel waren von Wiseman für die Philologie übernommen worden. Der zivilisatorische Stellenwert der ‚alten Indier‘, das hohe Alter des Sanskrit, die Zweitrangigkeit des Hebräischen als Sprache der Offenbarung und die Erkenntnisse von der Verwandtschaft der indoeuropäischen Sprachen konnten auf diese Weise jedoch von einer christlichen Wissenschaft toleriert werden. Gleichzeitig ordneten sich Symptome zivilisatorischer Dekadenz, wie beispielsweise Depravation der Sprachen durch Verarmung an flektierenden Wurzeln und ihre ‚synthetische‘ Aufspaltung, dem Vertrauen in die gottgewollte Erlösung der Menschheit unter. Diese universalisierende Sichtweise bewahrte Wiseman vor einer allzu großen eurozentrischen Arroganz aufgrund der Errungenschaften der eigenen Zivilisation, welche allein gottgegeben ist und jederzeit rückgängig gemacht werden könnte. Dies auch unter der Bedingung, dass die prinzipielle Überlegenheit der indoeuropäischen Sprachen – und eben auch Völker – von Wiseman nicht in Frage gestellt wurde. Die neue Methode der Philologie sollte so auch für das katholische Italien ‚hoffähig‘ gemacht werden. Doch trotz dieser Öffnung des philologischen Diskurses am päpstlichen Hof für eine neue Epistemologie blieben Wisemans Vorlesungen auch in ihrer schriftlichen Form in englischer Sprache und aufgrund ihrer Londoner Veröffentlichung nur von begrenzter Bedeutung für eine später sich entwickelnde, genuin italienische und komparatistisch arbeitende Philologie. Es sollte nämlich nicht das klerikale Umfeld im Rom der ersten Jahrzehnte des Ottocento, sondern die bereits fortschrittlichere und stark an Deutschland sowie Frankreich orientierte Wissenschaftslandschaft Norditaliens sein, die der Epistemologisierung und Formalisierung des philologischen Wissens von den Sprachen 441

Wiseman 1836: 206-207.

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in Gestalt der linguistica auch auf der Halbinsel zu größerer Verbreitung verhalf. In den habsburgischen Gebiete sowie Piemonts entfaltete sich schließlich jenes epistemische und diskursive Gepräge, das für die Diskussion rassenlogischer und rassistischer Theoreme und Ideologeme innerhalb einer institutionalisierten italienischen Sprach- und Literaturwissenschaft von enormer Bedeutung sein würde.

2. Zivilisationsfaktor und Instrument des Fortschritts: Eine ‚angewandte Wissenschaft‘ der Sprachen und Texte Im Gegensatz zum Königreich Neapel und dem Kirchenstaat lässt sich die politische Situation Norditaliens und der Toskana während der 30er und 40er zwar nicht als liberal bezeichnen, ermöglichte aber dennoch eine verstärkte publizistische Tätigkeit. Deren Auswirkungen auf Form und epistemische Basis der wissenschaftlichen Diskurse waren keineswegs marginal, wie italienischen Intellektuellen bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts bewusst wurde und wie es in der historischen Forschung nach wie vor betont wird.442 Mit der politischen und intellektuellen Emanzipation einer bürgerlichen Elite von Ärzten, Anwälten, Beamten, Historikern und Gelehrten auf Grundlage eines aufklärerischen Rationalismus gewannen bereits Anfang des 19. Jahrhunderts pragmatische, zu den arti utili – den technischen, ökonomischen und Naturwissenschaften – tendierende philosophische Strömungen an Bedeutung. Eine Entwicklung, die sich in den Zeitschriften eines regen liberalen Journalismus materialisierte. Empirismus, Utilitarismus, Sensualismus, später dann Positivismus wurden im publizistischen Umfeld fortschrittsorientierter Journale wie den Annali Universali di Statistica (1824-1844), der Antologia (1821-1832) und später dem Politecnico (1839-1844 u. 1859-1868/69) rezipiert und auf eine gesellschaftliche und wissenschaftliche Anwendung hin diskutiert.443 Die 442

443

Rege journalistische und publizistische Tätigkeit in der Lombardei, in Piemont und im Veneto war für die Herausbildung einer italienischen Öffentlichkeit unabdingbar. Dabei wurde auch unter Zensur eine diskursive Vielfalt und Spannung durch die Veröffentlichung liberaldemokratischer, aber auch reaktionärer Zeitschriften gewährleistet. Diesem wichtigen historischen Phänomen risorgimentaler Publizistik und Carlo Tenca als einer ihrer zentralen Figuren widmeten sich bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche Artikel und Studien. Vgl. beispielsweise Massarani 1887, Fortis 1897, Cazzamini Mussi 1934 u. Ders. 1935, Del Corno/Porati 2005, Padovani 2010. Von der großen Bedeutung einer vielfältigen Zeitschriftenlandschaft für die intellektuelle und politische Entwicklung Italiens während der ersten Hälfte des Ottocento zeugt noch 1846 Carlo Tencas Plädoyer für einen qualitativ hochwertigen, aktuellen sowie intellektuell dynamischen Journalismus als „elemento indispensabile della letteratura“. Ein solcher war in Italien seit dem Settecento durch Zeitschriften wie dem Caffè, später dem Conciliatore und den

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Förderung des Gemeinwohls durch die Wissenschaften hatte dabei seit der Gründung des romantischen Conciliatore – Foglio scientifico letterario (18181819) – jener kurzlebigen, aber einflussreichen gemäßigt-„liberalen Zeitschrift der frühen Restaurationszeit“ 444 – oberste Priorität. So wurde dieses von österreichischer Zensur verfolgte publizistische Organ zu einem intellektuellen Ort nationalen, aber auch nationalistischen Denkens. Das Journal stand dabei unter dem Motto der „allgemeinen Nützlichkeit“ („l’utilità generale“): L’utilità generale deve essere senza dubbio il primo scopo di chiunque vuole in qualsiasi modo dedicare i suoi pensieri al servizio del Pubblico.445

Der Foglio azzurro war in seiner epistemischen Verortung stark beeinflusst durch den Antisensualismus des Romantikers Ludovico di Breme. Jener Vordenker des italienischen Liberalismus orientierte sich philologisch und sprachphilosophisch jedoch noch am aufklärerischen Universalismus und rezipierte aus dieser Perspektive auch die methodischen und inhaltlichen Neuerungen des philologischen Wissens.446 Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich in ‚seinem‘ Journal zwar ein erster italienischer Hinweis auf die Bedeutung jener „modernen, vielsprachigen Philologen“ („moderni filologi poliglot-

444 445 446

Annali Universali beheimatet und sollte nun unter Tencas Leitung durch die Rivista Europea forgesetzt werden. Stärker als eine eher rückwärtsgewandte, literarische Kultur stellte dieses ‚journalistische Italien‘ und sein bürgerliches Publikum für den Revolutionär und Publizisten trotz mancher „Frivolitäten“ einen wichtigen Diskursraum liberaler Ideen dar. Vgl. Tenca 1846 in Scalia 1959: 80: „Vorremmo soprattutto ricordare a chi nega i benefizii del giornalismo, che le riforme civili, onde va gloriosa la Lombardia nel secolo scorso, erano suggerite da un umile foglietto settimanale; che un altro foglio modesto abbatteva nel breve periodo d’un anno la vecchia letteratura; e che il campo, in cui scendevano Romagnosi e Gioja [sic] a diffondere tanta luce di sapienza, è campo di onorevoli tradizioni. Il giornale è divenuto oggidì un elemento indispensabile della letteratura, quasi una pubblica necessità, e s’egli è per lo più frivolo e vano da noi, ciò avviene per le medesime cagioni che mantengono povera la letteratura. Piuttostoché adirarci e scagliar l’anatema contro la frivolezza del giornalismo, vorrebbonsi cercar di dirigerlo, di sollevarlo a dignità di scopo, di renderlo, quel che dev’essere, possente mezzo di educazione pubblica. Perché noi crediamo che il danno non sia tanto nell’allargamento dei cattivi giornali, quanto nella mancanza dei buoni.“ Zur utilitaristischen Ausrichtung dieser journalistisch-liberalen Epistemologie vgl. Gernert 1990: 31 ff. Zur programmatischen Ausrichtung sowie dem intellektuellen Umfeld der Antologia von Gian Pietro Vieusseux vgl. ebd.: 32 ff. sowie Volpi 2002. Zu Zielen und Inhalten des Conciliatore und des Habsburgischen Gegenprojekts der Biblioteca Italiana ossia giornale di letteratura, scienze ed arti (1816-1841) vgl. Gernert 1990: 28 ff. Ebd.: 28. Branca 1954, Bd. 1: 6, zitiert in Gernert 1990: 31. Ludovico di Bremes philologische Konzepte waren noch stark vom Denken der französischen Aufklärung, den idéologues, aber auch Court de Gébelins Histoire naturelle de la parole geprägt, wie vor allem in seinem Artikel „Storia naturale della favella“ von 1819 deutlich wurde. Ergänzend verband Di Breme eine Rezeption von August Wilhelm Schlegels typologischen Begriffen der ‚analytischen‘ und ‚synthetischen‘ Sprachen mit einem dynamischen Konzept sprachgeschichtlicher Entwicklung zwischen einer prähistorischen und einer klassischen Periode der Sprachentwicklung, was zu einer komplexen philologischen Epistemologie an der Schwelle zur historisch-vergleichenden Philologie führte. Vgl. Marazzini 1984: 155 ff. u. Ders. 1989: 204-210 sowie Ders. 1991: 55 ff.

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ti“), die Komparatisten aus Deutschland, findet. Ihre Erkenntnisse wurden jedoch in eine spätaufklärerische Lesart eingebettet. Ludovico di Breme schätzte – auch aufgrund persönlicher Bekanntschaft – besonders August Wilhelm Schlegel als Exponenten einer neuen „europäischen Sprachwissenschaft“ („linguistica europea“)447. Von den Ergebnissen dieser vergleichend arbeitenden, auf die morphologische Struktur der Sprachen fokussierten Wissenschaft erhoffte sich Breme jedoch einen praktischen Nutzen, nämlich die Förderung von Zivilisation und Fortschritt durch Sprache. Nicht so sehr neue Erkenntnisse über den Ursprung der Völker, sondern die aufklärerische Suche nach einem „ersten allgemeinen Sprachsystem“ („sistema di lingua generale primitiva“), der Grammatik einer vergessenen Universalsprache war es, welcher diese vergleichende Methode dienen sollte. Durch den systematischen Nachweis dieser Ursprache könnte deren grammatikalischer Charakter in ähnlicher Form möglicherweise wiederbelebt werden. In ihm würden sich entweder die Vorzüge aller verglichenen Sprachen vereinen, oder aber direkt aus der rekonstruierten Ursprache selbst zur Geltung kommen: Questi da un copioso corredo di lingue sì spente che vive provansi a dedurre un sistema di lingua generale primitiva da riporre in uso, o si limitano a volerne comporre di pianta una sola che riunisca i singolari pregi di tutte.448

Dieses gleichermaßen universalgeschichtliche, wie patriotisch-pragmatische Fortschritts- und Nützlichkeitsdenken wurde im Begriff des incivilimento zusammengefasst. Als Bindeglied zwischen dem teleologischen Geschichtsbegriff des spätaufklärerischen Rationalismus und den gesellschaftlichen sowie wissenschaftlichen Herausforderungen des frühen Ottocento wirkte es sich nicht nur innerhalb der Philologie aus, sondern war Bestandteil einer Epistemologie, die bereits vor Französischer Revolution und napoleonischer Herrschaft die italienische Philosophie zu prägen begonnen hatte.449 Diese war ver447

448 449

Di Breme in Branca 1954: 158. Zu Bremes Bekanntschaft mit A.W. Schlegel vgl. Krömer 1961: 137 ff. Breme in Branca 1954: 158. Wie sehr beispielsweise der pragmatisch-empirische Ansatz des englischen Aufklärers John Locke bereits im 18. Jahrhunderts in den philosophischen Diskurs auf der italienischen Halbinsel eingedrungen war, zeigt sich in den späten Schriften des neapolitanischen Ökonomen und Philosophen Antonio Genovesi, der mit einem gefeierten Werk über nationalökonomische Theorie in italienischer Sprache zu einem der wohl einflussreichsten, italienischen Wirtschaftstheoretiker der Aufklärung avancierte. Im fünften Kapitel des fünften Buches seiner von Romagnosi kommentierten Logica pei Giovanetti von 1766 wurden von ihm die Objekte sowie die epistemischen Prämissen der Wissenschaften in ihrer Bedeutung für die jungen Italiener, als die „parti dello scibile che conviene coltivare, se vogliono essere utili a sé e alla patria“ behandelt. Genovesi 1766: 177. Er rekurrierte im Folgenden auf John Lockes Wissenschaftsverständnis, wie dieser es in seinem Essay Concerning Human Understanding von 1690 vertrat. Über die „Division of Sciences“ schrieb Locke: „All that can fall within the compass of human understanding being either, first, the nature of things, as they are in themselves, their relations, and their manner of operation: or, secondly, that which man himself ought to do, as a rational and voluntary agent, for the attainment of any end, especially happiness: or, thirdly, the ways and means whereby the knowledge of both the one and the other of

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breitet unter aufklärerischen Denkern wie Antonio Genovesi und kam schließlich verstärkt nach den politischen und epistemischen Einschnitten der Revolutionsjahre bei dem politisch engagierten Ökonomen Melchiorre Gioia zum Vorschein.450 Auch zahlreiche Anhänger der italienischen Freimaurerei liberaler und philanthropischer Prägung verbanden teleologisches Zivilisationsdenken und universellen Rationalismus mit einem bürgerlichen Fortschrittsbegriff.451 Die epistemische Landschaft im Italien des frühen Ottocento war in diesem Sinne ebenso fragmentiert wie die politische. Dabei standen sich vom Sensualismus Condillacs sowie John Lockes Empirismus geprägte Rechtsgelehrte, wie der Kriminologe, Philosoph und engagierte Freimaurer Giandomenico Romagnosi, idealistische Philosophen wie der gemäßigten Kantianer Pasquale Galluppi, und Ontologisten wie Antonio Rosmini und Vincenzo Gioberti, gegenüber.452 Diese Philosophen motivierten durch ihre Auseinandersetzungen mit den Fundamenten des Denkens und der Erkenntnis, die sie auf Italienisch veröffentlichten, eine diskursive Spannung, welche den Ansprüchen der unterschiedlichen Denkströmungen auf epistemischen Vorrang geschuldet war und letztlich der Schaffung akzeptierten Wissens diente. Die Forderung nach erfahrungsbasierter, aposteriorischer Verifizierung einerseits, und die apriorische Logik eines oftmals theologisch legitimierten Idealismus andererseits, affizierte auch die Frage nach Methoden und Gegenständen des philologischen Wissens.453

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these is attained and communicated.“ Locke 1836 [1690]: 549. Genovesi betonte nach diesem Hinweis noch einmal den spekulativen Charakter der Wissenschaften von den Dingen „an sich“ sowie den praktischen Charakter der zweiten Kategorie von Wissenschaften und nannte „necessità“, „commodità“ und „piacere del bello“ als Leitprinzipien aller Künste und Wissenschaften. Das Interesse des Menschen sei stets die letzte zu befragende Instanz und das Ziel aller Studien, seien sie noch so spekulativ verfasst: „Tutte le scienze e tutte le arti hanno i loro fini. Da questi fini debbono nascere i principii, su di quali si vogliono condurre; ma questi fini tutti prendonsi dall’interesse che vi ha l’uomo. Non vi ha niuna scienza tanto astratta e speculativa, il cui fine non sia l’uomo medesimo; niun arte che non debba servirgli.“ Genovesi: 178. Für einen Überblick über die italienische Philosophie des frühen Ottocento vgl. Höllhuber 1969: 27 ff. Über den Begriff des incivilimento bei Gioia und Romagnosi als „ökonomische, moralische und politische Vervollkommnung der ‚sozialen Ansammlung‘“ vgl. Schiera 2005: 80-81. Zur politischen und ideengeschichtlichen Rolle der Freimaurerei vor und nach 1848 sowie ihrem losen Zusammenhang mit der Carboneria vgl. Della Peruta 2007: 77-96 sowie Reinalter 2010: 24, 27, 88-92. Vgl. Mistrali 1907: 23, 62 ff. sowie Fermi 1917. Der Hegel-Schüler Karl Rosenkranz fasste die Situation der Philosophie im Italien der Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jahrhundert folgendermaßen zusammen: „Die Italienische Philosophie hatte sich am Ende des vorigen Jahrhunderts den Locke’schen Sensualismus, zumeist in der Condillac’schen Form, angeeignet und ihn den scholastischen Systemen entgegengesetzt. Es war dies eine gute Vorschule für die Aufnahme der Kant’schen Philosophie. Sehr natürlich gingen aus diesen Verarbeitungen auch Versuche hervor, eigenthümliche Bahnen einzuschlagen. Rosmini, Pasquale Galuppi u. A. gehören hieher. Gioberti wollte eine nationale Philosophie begründen, und ging deshalb auf die Pythagoreische zurück, die in Italien

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Die Figur des Philosophen und Juristen Giandomenico Romagnosi war dabei für die Ordnung des philologischen Diskurses insofern von besonderer Bedeutung, als es dessen historische und ametaphysische Geschichts- und Zivilisationsbetrachtung sein sollte, welche auch die text- und sprachwissenschaftlichen Schriften seines großen Schülers Carlo Cattaneo entscheidend beeinflusste.454 Letzterer studierte zusätzlich zu seiner Festanstellung als Grammatiklehrer für Latein an Romagnosis Mailänder Privatschule Recht und war auch für dessen Zeitschrift Annali universali di statistica economia pubblica, storia, viaggi e commercio tätig.455 Während dieser entscheidenden Phase in Cattaneos Biographie sollten nämlich philologische Themen ihren Platz in dessen ‚Wissenskosmos‘ finden: Sono questi gli anni in cui il Cattaneo si costruisce una solida cultura economica, storica e giuridica, senza tralasciare gli studi più diversi, da quelli linguistici e letterari a quelli geografici, con i quali alimentava i suoi numerosi interessi. E in questo periodo di più intense letture e di più frequenti rapporti personali che si forma l’orientamento fondamentale e definitivo del pensiero cattaneano, che nella cultura italiana dell’età risorgimentale rappresenterà la ripresa e la fusione in forme nuove dei principali motivi della tradizione empiristica, illuministica e vichiana la cui comune tradizione in Italia vi era già avuta in diversi esponenti dell’illuminismo italiano, come pure nel Romagnosi, da essi direttamente discendeva. Accanto al Romagnosi il Cattaneo visse il periodo più importante della sua formazione, e l’influenza che ne ricevette fu indubbiamente decisiva […].456

Dieser entscheidende Einfluss empirizistischer, aufklärerischer und vicoscher ‚Tradition‘ sollte über Cattaneo für den Charakter der italienischen Philologie in zunehmendem Maße an Bedeutung gewinnen. Spätestens dann, als der publizistisch rege Lombarde wissenschaftliche Diskurse in seinem eigenen Fachorgan Politecnico – Repertorio mensile di studj applicati alla prosperità e coltura sociale durch Auswahl und eigenen Beitrag beeinflussen konnte und dies auch im Bereich des philologischen Wissens tun sollte. Das zentrale wissenschaftliche ‚Vermächtnis‘ Romagnosis an Cattaneo bestand dabei in der

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vornehmlich geblüht und aus welcher Platon geschöpft habe. Er verband aber mit dem Platonismus die Kant’sche Ethik.“ Rosenkranz 1867: 194. Vgl. dazu Romagnosis Artikel „Del Kantismo“ in der Biblioteca Italiana aus dem Jahr 1828, wo er über Kants Metaphysik und ihre Verabsolutierung bestimmter Begriffe sowie eine seiner Ansicht nach darin zu findende statische Betrachtung des menschlichen Geistes schrieb: „La dottrina protologica di Kant, a parlare con tutta franchezza, ti presenta una speculazione che sta fra le nuvole, e vi sta nuvolescamente. Sta fra le nuvole, perché nel campo immenso di uno sbrigliato possibile non ti adduce né ragione, né fondamento comprovato di veruna legge e di veruna tendenza dello spirito umano; ed anzi prescinde da qualunque genesi positiva dei poteri e delle funzioni, assumendo nozioni assolute. Non veggiamo nemmeno il perché domini il senso comune contro la pazzia o la stupidità che spesso si verificano in fatto, né le fasi mentali delle diverse età.“ Romagnosi 1828: 576. Vgl. Gernert 1990: 66 ff. Lacaita 1968: XXV. Zu dieser Stelle und weiteren biographischen Details in Cattaneos frühen ‚Lehrjahren‘ vgl. Gernert 1990: 67.

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Zentrierung aller epistemischer Prämissen auf eine dynamische und anthropozentrische Universalgeschichte, verwurzelt im aufklärerischen Begriff des incivilimento sowie in einem damit einhergehenden enzyklopädischen Interesse an unterschiedlichsten Kulturtechniken und sozialen Kontexten. Auch wenn Cattaneo keinesfalls in direkter Linie mit seinem Lehrer gesehen werden kann, wurde die Entfaltung dieses Geschichtsdenkens von der ersten großen VicoRezeption im 19. Jahrhundert durch Romagnosi vorgeprägt und sollte die spätere Auslegung des neapolitanischen Philosophen durch seinen Schüler Cattaneo in weiten Teilen bestimmen, wie Antonio Palermo betont: Ma sul vichismo del Romagnosi, e di conseguenza sull’entità della sua funzione di tramite verso Cattaneo che, nella sua eterodossia, è certamente tra i maggiori beneficiari del ritorno del Vico, la discussione forse può essere considerata ancora aperta. Di sicuro l’ascendenza del Romagnosi sul Cattaneo è riconducibile ai suoi interessi enciclopedici […]. Una tale varietà di temi e di occasioni ebbi il suo centro nella ‚civile filosofia‘ o più puntualmente nell’ ‚incivilimento‘, il concetto cardine di tutta l’opera del Romagnosi, che dà anche il titolo alla sua opera maggiore, Dell’indole e dei fattori dell’incivilimento con esempio del suo risorgimento in Italia (1832).457

Dieses historische Verständnis ermöglichte es Cattaneo, Individuen als Produzenten des zivilisatorischen Fortschritts, aber auch als soziale Akteure zu begreifen, die erst in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit innerhalb der Familie oder in größeren Gemeinschaften zu dieser kreativen Produktionstätigkeit in Sprache, Kunst, Religion, Wissenschaft und Technik fähig sind. Dennoch ging Cattaneo weiter als Romagnosi, indem er einen zentralen Aspekt von Vicos Denken ins Zentrum seiner Betrachtungen stellte. Dieser führte ihn zu einer noch größeren intellektuellen ‚Flexibilität‘ bei der historischen Betrachtung einer ‚Natur der Dinge‘ als dies Romagnosi möglich war, der noch stark in den „Käfigen der ‚Gesetze‘ und ‚Formen‘“ („gabbie di ‘leggi’ e di ‘forme’“)458 des aufklärerischen Rationalismus gefangen war. Cattaneo übernahm von Vico eine Entessenzialisierung dieser Formen und Gesetze durch die Reduktion des Naturbegriffes auf den Identitätsbegriff der Dinge in der Zeit: Cattaneo, con ben altro respiro storiografico, farà anch’egli sua la lezione del Vico, focalizzandola sostanzialmente, possiamo dire, sulla ‚degnità‘ essenziale: ‚Natura di cose altro non è che nascimento di esse in certi tempi e con certe guise; le quali sempre, che sono tali, indi tali, e non altre nascon le cose‘.459

Diese Übernahme hatte für Cattaneos epistemische Grundierung der Philologie und sein Denken über eine ‚Natur der Sprachen‘ eine nicht zu unterschätzende Wirkung, wie zu sehen sein wird. Für beide lombardischen Denker, 457 458 459

Palermo 2000: 6-7. Ebd.: 6. Ebd. Das Zitat bezieht sich auf das 14. der „Assiomi o Dignità, così Filosofiche, come Filologiche“ (Vico 1862 [1744]: 68) der Neuen Wissenschaft von der gemeinsamen Natur der Völker im ersten Buch der dritten Ausgabe der Scienza Nuova Vicos. Vgl. ebd.: 72.

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Romagnosi wie Cattaneo, gilt gleichermaßen: Akkumulation von Wissen und Zivilisation sind zwei die Menschheit und nicht einzelne Völker betreffende Dynamiken. Diese Prozesse sind dabei keinesfalls notwendig vorherbestimmt, sondern hängen stets von individuellen Voraussetzungen ab, welche dem Fortschritt als im kollektiven Bewusstsein der Gesellschaft verankerte oder zu verankernde, artifiziell hergestellte Geisteshaltung Rechnung tragen müssen. Sie gehen stets mit einer offen-rezeptiven Einstellung zugunsten der Zivilisation unter dem Begriff der perfettibilità einher: L’incivilimento viene dal Romagnosi considerato come un complesso di funzioni artificialmente ordinate nel consorzio sociale; la perfettibilità come una semplice attitudine a ricevere l’educazione artificiale dell’incivilimento.460

Im Gegensatz zum homogenisierenden Zivilisationsbegriff einer eurozentrischen Aufklärung wäre der so verstandene zivilisatorische Fortschritt potentiell universell, in seiner konkreten Form jedoch von Volk zu Volk verschieden und in seiner spezifischen Prozessualität nicht einfach aufzuoktroyieren. Ein allgemeines Gesetz, das diesen universellen und doch spezifischen Zivilisationsprozess regelt, gibt es nicht. Jedoch gelangten früher oder später menschliche Kollektive über die „im gesellschaftlichen Zweckverband künstlich geordneten Funktionen“ („funzioni artificialmente ordinate nel consorzio sociale“) zur Zivilisation. Der incivilimento wird von Romagnosi allein durch seine Vorbereitung und Stimulation durch die (äußere) Natur und den Widerstand gegen sie im menschlichen Zusammenleben, seiner Bekräftigung durch die Religion und schließlich seiner Verankerung in der Sesshaftigkeit und im Ackerbau begründet. Eine Rechtfertigung europäischer Überlegenheit aus einem zentralen, historisch fixierbaren Ausgangspunkt von Zivilisation – verstanden als tradiertes Erbe Indiens, Griechenlands oder Roms – könne es nicht geben, wo doch zu beobachten sei, dass sich Zivilisation trotz Phasen der Barbarei und „äußerst harter Lebensumstände“ („vita durissima“), die Menschen zu Kannibalen werden ließen, überall durchsetze: Di sopra ho fatto osservare che l’incivilmento [sic] viene preparato e stimolato dalla natura, ingerito e avvalorato dalla religione, radicato ed alimentato dall’agricoltura. I poteri originari dell’incivilimento si possono dire racchiusi entro questi tre capi. Quanto al primo, è vero, o no, che colla famiglia, colla naturale simpatia, colla necessità di agire coi mezzi artificiali per alimentarsi, per ricoverarsi, per difendersi, per allevar le prole, la natura nella specie perfettibile prepara e stimola la socialità? Ma il passaggio ai primordj dell’incivilmento fu certamente comunicato, sia a popoli bambini, come fu detto, sia dappoi a tribù selvagge che da secoli e secoli conducevano una vita durissima, e spesso dalla fame si divoravano a vicenda, come Diodoro Siculo ricorda dei primi Egiziani, come

460

Ferrari 1839: 30-31.

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fu ritrovato accadere nella scoperta dell’America, e come tuttodì si pratica nella nuova Zelanda ed in altri luoghi ancora.461

Zivilisation oder ‚Zivilisierung‘ beruhte für Vico, Romagnosi und Cattaneo auf materiellen und äußeren Faktoren: im gesellschaftlichen Zusammenleben, im Austausch der Nationen sowie in der Hinwendung zu Ackerbau und Recht. Sie vollzog sich nicht allein in den psychologischen Prozessen individueller oder kollektiver Veranlagung. Diese ‚natürliche‘ Entwicklung geht in unterschiedlichen Formen vonstatten, welche sich in den Unterschieden der Rechtstraditionen und sozialen Ordnungen wiederspiegle. Es ist die Relationalität der Menschen und Menschengruppen untereinander, welche Zivilisation in einem Kampf mit den Lebensumständen durch pragmatische Regeln des Zusammenlebens ermöglicht habe und immer wieder ermögliche. Doch las Romagnosi Vico weniger philologisch als zivilisationshistorisch. Sprachen, und überhaupt Sprache, spiele zwar vor dem Hintergrund einer Menschheit in der Dynamik verschiedener universalgeschichtlicher „Zeitalter“ („età“) des zivilisatorischen Fortschritts eine wichtige Rolle. Allerdings ließen sich dieser philologischen Geschichtlichkeit andere „Faktoren“ („fattori“) oder „Agenten“ („agenti“) der Zivilisation überordnen.462 Im Unterschied zu Vico bewegte sich 461

462

Romagnosi 1835 [1832]: 62. Giuseppe Ferrari, ein anderer großer Romagnosi-Schüler, erster Herausgeber von Vicos gesammelten Schriften und durch seine hegelianisch beeinflusste Vico-Rezeption ‚Antagonist‘ des Empirikers Cattaneo, stellte in seinem Aufsatz „La mente di G. D. Romagnosi“ dessen Konzept des incivilimento, wie Romagnosi es in seiner Schrift Dell’indole e sui fattori dell’incivilimento darlegte, in Frage. Pessimistisch widersprach er Romagnosi, indem er dessen Zivilisationsbegriff eine innere Natur der Völker hinzufügte und damit ein potentielles Essenzial als Differenzkriterium schuf: „Ogni nazione è perfettibile e può ricevere la civiltà, ma l’incivilimento di fatto suppone il duplice concorso della capacità e della educazione della natura e dell’arte. [...] Le memorie della storia non ci ricordano che l’esistenza originaria d’un solo incivilimento nato in un dato punto del globo e di là propagato coll’istruzione e colla conquista alle altre genti; la storia e l’esperienza ci mostrano la più alta ripugnanza delle genti ad abbandonare lo stato selvaggio per passare alla vita stanziata agricola, ch’è la prima condizione di un ordinamento civile; la storia non autorizza pertanto la presunzione che per un andamento naturale tutte le nazioni della terra possano elevarsi alla vita civile in forza di una legge comune e d’un interno e proprio impulso […].“ Ferrari 1839: 31. Zur Kontroverse zwischen dem am Individuum in der Gesellschaft – der „ideologia sociale“ im Spiegel der „interiore psicologia“ – orientierten Cattaneo, der diese soziale Interpretation Vicos mit dem englischen Empirismus und Utilitarismus zu verbinden suchte, und dem von Hegel und Cousin beeinflussten Ferrari, der Vico in Paris bekannt machte vgl. Palermo 2000: 7-9. Zur eher negativen Rezeption Ferraris im Italien des Novecento durch wichtige Intellektuelle wie Croce und auch Gramsci vgl. ebd. 19-22. Ferrari wies indirekt auf eine epistemische Distanz hin, welche den Rechtstheoretiker und Zivilisationshistoriker Romagnosi vom ‚philologischen‘ Philosophen Vico trennte. Denn die Sprache erscheint nicht in Romagnosis Aufzählung der Zivilisationsfaktoren, während sie doch in Vicos Epistemologie eine entscheidende Rolle als Erkenntnisinstrument der historischen Gestalten eben dieser Zivilisationsfaktoren in Symbolen und Bildern spielt: „Gli agenti (fattori) dell’incivilimento sono la ragione, l’agricoltura, il governo, la concorrenza e la opinione. La religione lo ingerisce e lo avvalora colle speranze e coi timori dei poteri invisibili; l’agricoltura la radica collo sbandire la vita nomade, e lo alimenta colle sue ricchezze coll’introdurre l’ordine delle successioni, i matrimonj, e collo stabilire la divisione de’lavori; il governo lo asseconda e lo tutela mantenendo la libertà e la concorrenza negli atti sociali

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Romagnosi in der sensualistischen Epistemologie. Er sah Eindrücke und Funktionalisierung von Umwelt für die Ausbildung von Sprache als entscheidend an. Sprachlichkeit selbst war für ihn eine anthropologische Verarbeitungsfunktion aposteriorisch erkannter Kategorien. Sie wäre daher ebenfalls das Produkt einer Entwicklung, gefördert durch Tradierung erworbenen Wissens, welches außersprachlich im Umgang mit der Umwelt (‚den Dingen‘) erworben wurde. Somit lag Zivilisation für Romagnosi nicht in erster Linie in der Sprache selbst, oder gar in ihrer formalen Vollkommenheit innerhalb der Literatur, sondern allein im durch die Sprache vermittelten Wissen begründet. Dies gelte auch für das Italienische, welches seine Gestalt und literarische Funktion als Sprache ewiggleicher „Liebesabenteuer und ritterlicher Unternehmungen“ („amorose e cavalleresche imprese“) aus den Umständen der Geschichte erhalten habe. Diese Umstände änderten sich und damit müsse sich auch die Gestalt des Italienischen ändern: Una lingua non è che uno strumento onde presentare il sapere. Senza le cose, a che vale la lingua? Forsecché l’italiana favella doveva essere condannata a folleggiare per sempre in amorose e cavalleresche imprese o a tremare colle leggende delle apparizioni e delle diavolerie? Tradizionale è sempre il saper nostro, e il suo tesoro consiste nell’eredità conservata de’nostri maggiori a mano a mano aumentata o raffazzonata dai posteriori.463

Für die Philologie in Italien bedeute dies, dass sie sich auf die Sprachen jener Epochen größten zivilisatorischen Fortschritts in Italien konzentrieren solle, wie ihn Romagnosi in der griechisch-römischen Antike verwirklicht sah. Der Historiker Romagnosi ist in diesem Sinne ein konservativer Anhänger der

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contro le violenze; la concorrenza libera lo estende e lo perfeziona promovendo la produzione ed i ben essere colla forza stessa dell’egoismo che vuol farsi centro delle utilità e assorbire tutt’i servigi.“ Ferrari 1839: 93-94. Ferrari fasste die drei Zeitalter Romagnosis, demjenigen der „Empfindungen“, der „Fantasie“ und der „Rationalität“ analog zu Vicos göttlichheroisch-menschlicher Triade folgendermaßen zusammen: „Considerata nella sua sistematica unità, il corso della civiltà si divide ne‘ tre stadj della fondazione, dell’ingrandimento e della signoria: nella storia della civiltà l’intelligenza corre tre stadj, l’età dei sensi in cui la mente soggiace al corso fortuito delle sensazioni, quella della fantasia in cui trovasi abbandonata alla analoghie, finalmente quella della ragione in cui l’uomo trionfa degli eventi e delle analogie col metodo […]. Da ciò si vede che la storia dell’intelligenza e della civiltà coincide colla legge suprema di competenza causale a mostrarci la mente umana dipendente dalle persone e dalle cose esteriori per una lunga serie di azioni e reazioni di cui il principio si nasconde nel seno della natura, e lo sviluppo abbraccia i secoli e le nazioni.“ Ferrari 1839: 95. Trotz der Ähnlichkeit zum Denken Giambattista Vicos, unterscheide sich Romagnosi in seiner methodischen Ausarbeitung fundamental vom großen Denker des Settecento: Während Vico zwar ein historisch-induktiv vorgehender Gelehrter war, seien seine geschichtlichen Zivilisationsfaktoren aufgrund ihrer genialischen und modellhaften Präkonzeption vom Anachronismus der Neuzeit durchdrungen. Im Gegensatz zur ‚associabilità‘ Vicos, folge der ‚Geometriker‘ Romagnosi stets dem Urteil („giudizio“) und ordne daher seine Wissenschaft in systematischer Form, gemäß den akribisch nachgewiesenen Umständen der Zeit an, was ihn jedoch andererseits von Vicos „tiefer Intuition“ („intuizione profonda“) entferne. Vgl. Ferrari 1839: 67-75. Romagnosi 1835: 220.

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klassischen Textphilologie, da sie – und nicht die philologischen Querelen unterschiedlicher Parteigänger in der questione della lingua, die „Dilettanten im italienischen ‚Schönsprech‘“ („amatori del bel dire italiano“) – in der Lage sei, den Italienern die Reste ihrer Vergangenheit zugänglich und eben auch nutzbar zu machen, um anhand dieser Richtschnur verlorene zivilisatorische Größe zurückzugewinnen.464 Der Nutzen philologischer Studien bestand für Romagnosi auch nicht darin, sprachlich-ethnische Genealogien aufzudecken, sondern vergessenes Wissen in den Dienst zivilisatorischen Fortschritts zu stellen. Spekulationen über die Anfänge der Menschheit anhand philologischer Kriterien führten seiner Meinung nach dagegen ins Leere, sobald das Imaginäre zur historischen Dokumentation werde. Romagnosi schien sich der philologischen Bedeutung der vicoschen „Wissenschaft von den Dingen und menschlichen Geschichten“ („La scienza delle cose e delle storie“) nicht bewusst zu sein, wenn er sie als „Rückgriff auf die Vorstellungswelten“ („ricorso agli immaginari“) ablehnte, wie er dies in seinen „Pensieri sopra un’ultra metafisica filosofia della storia“ deutlich machte, die er als Anhang zu Dell‘indole e dei fattori dell‘incivilimento veröffentlichte: La scienza delle cose e delle storie umane iniziata in Italia dal Vico, indi per qualche profilo trattata da altri, dentro quali limiti e sotto quale punto di vista deve essere assunta e studiata? Ecco una questione di metodo, ma tale che dalla di lei soluzione dipende la sorte ed il valore della scienza medesima. Sapere l’origine e le vicende della umanità formò, come forma tuttavia, un bisogno delle genti, e però sempre si pensò soddisfare a questa curiosità a qualunque costo. In mancanza di dati positivi si ebbe ricorso agli immaginari. Ciò era naturale nell’ignoranza della storia e della filosofia.465

Dieses Misstrauen gegenüber einer philologischen Geschichtswissenschaft im Dienste des Idealismus, die „nichts als Fabeln über Fabeln gebahr“ („non diedero che favole ed altro che favole“)466 wurzelte für Romagnosi allerdings epistemisch noch tiefer in einem Geistbegriff, der sich über die Geschichte erhebe und eine Metaphysik begründe, die der Forderung nach einer positivistischen Nachprüfbarkeit und Differenziertheit widerspreche. Hieraus rührte für Romagnosi die Notwendigkeit, Vico methodisch, das heißt empirisch zu modernisieren, so dass dieser leicht missverstandene Gelehrte nicht mythologischen Ursprungsnarrativen anheimfiele. Denn Carlo Cattaneos Lehrer sah den Einfluss romantischen Denkens in Italien mit Skepsis und auch Ablehnung. So war er kurz nach Veröffentlichung seines literaturgeschichtlichen Essays „Della Poesia considerata rispetto alle diverse età delle nazioni“467 im Conciliatore gezwungen, auf abermals aufblühende Spekulationen über die germanische Herkunft des italienischen Volkes zu antworten, wie sie die Redaktion 464 465 466 467

Vgl. Ebd. Ebd.: 287-288. Ebd.: 288. Vgl Romagnosi 1818a.

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der Zeitschrift unter dem Einfluss des Dichters Giovanni Berchet in einer Anmerkung zu Romagnosis Artikel hinzufügte.468 In seiner Replik auf diese nota, welche unter dem Titel „Delle fonti della coltura italiana. Lettere di G. D. R. Romagnosi ai compilatori del ‘Conciliatore’“ am 11. Oktober 1818 ebenfalls im Conciliatore erschien, hob Romagnosi die Trennung von zivilisatorischer Entwicklung, Genealogie und Ethnizität der Italiener klar hervor. Die romantische Suche nach den genealogischen Ursprüngen interessierte ihn nicht und er wunderte sich, dass seine Frage nach den Anfängen der italienischen „Kultur“ („civiltà“) anhand der Altäre, der Plätze, der politischen Bräuche und der Mythologie derart missverstanden werden konnte, dass man sie mit jener ethnographischen nota der Redaktion versah: Io non so se il maggior numero delle famiglie latine sieno [sic] state trucidate o abbiano emigrato; non so nemmeno se la maggior parte delle lor donne siensi maritate coi settentrionali, o se il numero di questi sia stato maggiore di quello dei latini superstiti. [...] Io non aspiro alla gloria di tessere alberi genealogici, specialmente dopo che ho imparato che le razze si naturalizzano nei paesi nei quali sono trapiantate, e realmente cessano d’essere straniere. In vece confesso di essere curioso del perché sia stata apposta questa nota alla mia proposizione, nella quale io dicevo che „i primordii della italiana civiltà si possono illustrare colle are e colle piazze latine, coi costumi politici e col meraviglioso mitologico“ […]. Altre è difatti la fisica derivazione degli odierni italiani da voi supposta, ed altro sono i primordii della moderna civiltà.469

Doch beließ es Romagnosi nicht bei dieser gleichermaßen ‚philologischen‘ wie ‚anthropologischen‘ Kritik an den Einflüssen der deutschen Romantik auf die italienische Literatur. Auf einer tieferen epistemischen Ebene sah er hinter den universalgeschichtlichen Spekulationen der Romantiker die Auswirkungen einer Epistemologie, wie er sie in der Geschichts- und Rechtsphilosophie Georg Friedrich Wilhelm Hegels exemplifiziert fand und die aus seiner Perspektive eine Gefahr für den ontologischen Anspruch darstellte, der mit dem Begriff der umanità verbunden war. Romagnosi erkannte bereits sehr früh die 468

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Zur Auseinandersetzung zwischen Berchet und Romagnosi über den Einfluss deutscher Gelehrter und Schriftsteller, allen voran Friedrich Schiller, auf die Lyrik der italienischen Romantik vgl. Camerino 2006: 212-213. Romagnosis Skepsis gegenüber der Romantik spiegelt sich in einem klassizistischen Identitätsbegriff der Italiener unter Leugnung eines ‚belebenden Impulses‘ romantischer Einflüsse auf deren ästhetische und zivilisatorische Verfasstheit: „Romagnosi nega la distinzione tra classico e romantico e, soprattutto, nega che i primordi della civiltà italiana, legata tenacemente a quella latina, abbiano minor titolo di quelli germanici a rappresentare un esempio di originalità.“ Ebd. 212. Die nota der Redaktion des Conciliatore ließ keinen Zweifel an der anthropologischen Grundierung ihrer Begeisterung für die deutsche Romantik, als liberalem Gegenmodell zum verbrauchten lateinischen Identitätsmodell des Klassizismus: „L’autore di quest’articolo non ci negherà che dopo la mescolanza dei popoli del nord coi tralignanti figli dei Romani si è cominciata una nuova generazione d’Italiani, dalla quale noi deriviamo in linea retta, e che non può considerarsi, esattamente parlando, come una nazione d’origine latina.“ Anmerkung der Redaktion des Conciliatore auf Romagnosi 1818a zitiert in Romagnosi 1818b: 43. Ebd. Zur Rezeption dieses Artikels bei Cattaneo vgl. Timpanaro 1973: 244.

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Tendenz einer ‚germanozentrischen‘ Teleologie der Geschichte, wie sie der deutsche Idealismus mit sich gebracht habe und der er als Italiener nicht folgen könne.470 Hegels ‚Homogenisierung‘ des Geistbegriffs in den Grundlinien der Philosophie des Rechts kreiere keine einheitliche Menschheit, sondern eine künstliche ‚Asymmetrie‘ des Geistes, die Frankreich und Preußen eine überlegene, den kolonialisierten Völkern Amerikas und Afrikas eine inferiore Position zuschreibe.471 Die weltweite Dominanz des europäischen Geistes in der Dialektik von Unterwerfung und Herrschaft rechtsetzender über rechtlose Völker sei von Hegel jedoch zu stark von der Gegenwart aus verfolgt worden, wo sie doch auf lange Sicht nur eine weitere kurze Episode bleiben könnte. Dies stelle eine „enorme historische Verstümmelung“ („enorme mutilazione storica“)472 dar: Le epoche dell’Hegel sono in sostanza le dominazioni di un popolo sopra di un altro, durante le quali i popoli soggetti sono senza forza e senza diritto. Ora quest’epoca si verificò pur troppo in senso attivo per parte degli Europei e soprattutto degli Spagnuoli [sic], ed in senso passivo per parte dei poveri Americani e dei poveri Affricani [sic]. Tutto poi considerato il grande avvenimento ed il possesso dell’America per parte degli Europei, sì nella grandezza, sì nella durata, e sì finalmente nell’influenza economica morale e politica, vale assai più della breve esistenza delle grandi monarchie Assiria, Babilonese, Persiana e Greca.473

Es ist vor diesem epistemischen Hintergrund, dem ‚historischen Imperativ‘ einer universellen zivilisatorischen Dynamik von Verfall und Wiederaneignung älterer Errungenschaften kein Wunder, dass der Jurist Romagnosi auch zum Thema einer hierarchischen Trennung der Menschheit nach anthropologischen Menschenrassen eine eindeutige Meinung vertrat und so etwas wie eine physische Kategorisierung des Menschen aus seiner Konzeption einer positiven Rechtsprechung verbannte. Diese Trennung nach äußeren Merkmalen sei ein oberflächliches und kontingentes, jedoch keinesfalls essenzielles Kriterium, welches es empirisch erlaube, Rechtssubjekte nach Rassen zu unterscheiden.

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Und so kritisierte er den Philosophen ausgiebig in seinem Dell’indole. Gleichzeitig war er sich seiner mangelhaften Kenntnisse des deutschen Philosophen bewusst, was Romagnosi jedoch nicht darin hinderte, aus seiner Abneigung gegenüber dessen kollektiver Privilegierungen und eben auch ethnischer Inferiorisierungen menschlicher Kollektive einen Hehl zu machen: „L’unità divina e la natura umana vanno a scuola nel mondo germanico ed eccole riconciliate. Nel mondo germanico si verifica, dice l’Hegel, possesso della verità concreta delle cose, della verità morale, in ciò che ella ha di più intimo, di più potente, di più normale. Ma io non voglio entrare in una provincia non mia, e qui finisco.“ Romagnosi 1835: 293-294. Die langen Zitatstellen, welche Romagnosis Hegelkritik begleiten, beziehen sich allerdings nicht auf den Primärtext des Philosophen, sondern sind italienische Übersetzungen der paraphrasierenden Darstellung der Hegelschen Rechtsphilosophie durch den französischen Rechtsgelehrten Eugène Lerminier, der zur Zeit der Veröffentlichung von Romagnosis zivilisationsgeschichtlicher Abhandlung als Professor für Rechtsgeschichte am Collège de France arbeitete. Vgl. ebd.: 289 ff. nach Lerminier 1835 [1829]: 296 ff. Romagnosi 1835: 291. Ebd.

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So schrieb Romagnosi im vierten Kapitel des zweiten Buches seiner 1825 erschienenen Istituzioni di civile filosofia ossia di Giurisprudenza Teorica: Tutti gli alberi sono egualmente alberi; ma tutti gli alberi non sono eguali. Con questa frase quale idea indicate voi? Voi mi dite che tutti gli alberi hanno la stessa costituzione, la stessa economia, le stesse leggi estrinseche, sia meccaniche, sia chimiche, malgrado la loro rispettiva differenza. Le differenze ch’esistono fra gli uomini non sono così grandiose come quelle ch’esistono fra gli alberi: esiste una sola specie di uomini malgrado le differenze delle razze distinte dai naturalisti. Queste differenze sono modali, non essenziali. Vi ha dunque simultaneamente fra gl’individui umani un complesso di somiglianze essenziali accoppiato a differenze modali. Di fatto, se riguardiamo l’uomo fisico, la sua costituzione, i suoi bisogni, la sua origine, il suo fine, e tutto il corredo delle prerogative conseguenti, noi le troviamo perfettamente simili, malgrado le differenze accessorie, e, dirò così, modali ed eventuali che distinguono l’uno dall’altro individuo.474

Doch was haben diese philosophischen und rechtswissenschaftlichen Überlegungen eines in ‚sprachwissenschaftlichen‘ Dingen eher skeptischen Gelehrten mit der Entwicklung des philologischen Wissens in Italien zu schaffen? Die Antwort liegt in der interdisziplinär wirksamen Rezeptionsgeschichte einer epistemischen Grundierung und deren Übertragung auf neue philologische Methoden. Es sollte nämlich nicht so sehr Romagnosis ‚konservatives‘ Verständnis der Philologie, als vielmehr ein ‚historischer Imperativ‘ sein, der seine universalgeschichtliche Prämisse auf anthropologische Ausdeutungen philologischen Wissens übertrug und für die Beurteilung sprachlicher Differenz relevant werden ließ. Die Historizität Italiens und der Italiener konnte von Anfang an – getrennt von ethnischen und genealogischen Theorien – allein aus der politischen, rechtlichen und kulturellen Dynamik begriffen werden. Romagnosis Geschichtspositivismus begleitete als diskursiver ‚Schatten‘ die Neuformierung des philologischen Wissens als Emanzipation einer neuen Methode des strukturellen Sprachvergleichs innerhalb der entstehenden linguistica, wie sie sein Schüler Carlo Cattaneo zu befördern suchte. Cattaneos Kritik an den genealogischen Spekulationen der deutschen Romantik hatte einen Vorläufer in Giandomenico Romagnosis skeptischer Haltung gegenüber dem absoluten Idealismus, sobald dessen Argumente in ethnisches und kognitives Überlegenheits- und Reinheitsdenken umschlugen. Gemeinsam mit seinem Mitarbeiter und Kollegen Bernardino Biondelli propagierte Cattaneo in Italien schließlich wesentlich nachhaltiger als Wiseman oder Bianchi-Giovini die Notwendigkeit und Nützlichkeit einer Empirisierung und Modernisierung des philologischen Wissens im Diskurs der Wissenschaften. Beide erkannten zusammen mit der ethnographischen Relevanz der vergleichenden Methode der linguistica auch deren politische Instrumentalisierbarkeit für das identitäre und wissenschaftliche Selbstverständnis der Italiener. Im patriotischen Tonfall ihrer Artikel, die sie in Cattaneos Politecnico 474

Romagnosi 1825: 1219.

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veröffentlichten, erklang die Aufforderung zu einer Emanzipation der italienischen Philologie von der bloßen Rezeption ‚ausländischen‘ philologischen Wissens, aber auch zur Reform antiquierter Methoden und Gegenstände.475 Cattaneos und Biondellis Artikel stellten daher eine frühe Entwicklung hin zu jenen tiefgreifenden epistemischen, aber auch institutionsgeschichtlichen Umwälzungen dar, welche in der zweiten Hälfte des Ottocento die Herausbildung systematisierter Orientphilologien sowie einer italienischen Sprach- und Literaturwissenschaft ermöglichten. Jene Veröffentlichungen, die auf eine vergleichende, weltweit anwendbare Sprachforschung fokussiert waren und in einem der prestigereichsten Wissenschaftsjournale der Zeit erschienen, versuchten, Ziele, Aufgaben und Bedeutung dieser inhaltlichen und methodischen Neugestaltung des philologischen Wissens einem breiteren Publikum in italienischer Sprache nahe zu bringen. Dabei soll im Folgenden gezeigt werden, wie trotz Cattaneos Romagnosi-Rezeption durch jene Modernisierung der Philologie auch ihr epistemisches Potential für anthropologische und rassistische Argumentationszusammenhänge wuchs.

3. Bernardino Biondelli: Von der Physis des Geistes In den Politecnico-Artikeln Carlo Cattaneos und Bernardino Biondellis zur linguistica wurde der Nutzen einer historisch-vergleichenden Philologie der Sprachen zum ersten Mal in Italien ausführlich und wirksam betont. Gleichzeitig kann an ihnen nachgewiesen werden, dass trotz der beschriebenen Zivilisationslogik universeller Geschichtsprozesse auch in der italienischen Philologie die Gefahr bestand, das Wissen von den Sprachen und Literaturen der Völker in seiner methodisch aktualisierten Form anthropologisch zu ‚enthistorisieren‘. Die deterministischen Ansätze in der Sprachtypologie August Wilhelm Schlegels und noch mehr die ‚anatomische‘ Differenzierung des menschlichen Geistes über eine vergleichende Grammatik durch dessen Bruder Fried475

Es handelt sich dabei um die Artikel „Sullo studio comparativo delle lingue“ (vgl. Biondelli 1839a) und „Sull’origine e lo sviluppo della lingua italiana“ (vgl. Biondelli 1840a) von Bernardino Biondelli sowie die Rezension Carlo Cattaneos zu Biondellis Atlante Linguistico d’Europa (vgl. Cattaneo 1841a). Neben den o.g. zwei Artikeln zur linguistica schrieb Biondelli für das Politecnico noch drei weitere philologische Artikel, die sich zwei literaturhistorischen und einem literaturkritischen Thema widmeten. Neben dem bereits erwähnten Artikel „Influenza delle Nazioni germaniche, slave e finniche sugli studii, dall’epoca del risorgimento delle lettere fino noi“ (vgl. Biondelli 1839b) waren dies „Della lingua e letteratura portoghese“ (vgl. Biondelli 1840b) und die Rezension zu „NarodueSrbskePiesure ec. Raccolta di canzoni serbiche publicata da Vuk Stephánović Karadcić. Volumi 4; Lipsia, 1841, seconda edizione riveduta ed accresciuta dall‘autore.“ Vgl. Biondelli 1841b. Zur Mitarbeit Biondellis am Politecnico vgl. Gernert 1990: 211 ff.

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rich fanden mit Bernardino Biondelli Eingang in das Argumentieren eines fortschrittsorientierten und antimetaphysisch eingestellten Liberalen.476 Dabei darf nicht übersehen werden, dass dieser Veroneser Mathematik-, Geographie- und Geschichtslehrer den philologischen Diskurs durch seine Schriften zur linguistica und durch seine späteren Veröffentlichungen über die galloitalischen Dialekte entscheidend prägen sollte.477 Als Carlo Cattaneo ihn für die Mitarbeit an seinem Politecnico gewann, war Biondelli lediglich ein Laie auf dem Gebiet des philologischen Wissens, und besonders jener neuen Wissenschaft der linguistica. Diese stellte für ihn ein „studio comparativo di tutte le lingue“478 dar, das ihn im Laufe der Jahre zu einem angesehenen Experten auf diesem Gebiet werden ließ, bis er sich in den 40er Jahren der Numismatik zuwenden sollte, um schließlich im Jahr 1854 von der Accademia ScientificoLetteraria di Milano auf den Lehrstuhl für Archäologie berufen zu werden. Biondellis Bedeutung für die italienische Wissenschaftslandschaft war lange Zeit von der harschen – aber nur teilweise berechtigten Kritik – seines Kollegen Graziadio Ascoli verdunkelt, der in ihm einen populärwissenschaftlichen und unselbständigen „Verbreiter“ („divulgatore“) fremder Erkenntnisse sah.479 Dennoch geschah es – wie Domenico Santamaria in seiner ausführlichen Biondelli-Studie gezeigt hat – in den späten 30er und frühen 40er Jahren des 19. Jahrhunderts vor allem unter seinem Namen, dass philologisches Wissen in Italien unter dem Begriff einer linguistica in konzentrierter publizistischer Form verfügbar war und verbreitet wurde, obwohl Biondelli nicht der erste Vertreter der historisch-vergleichenden Methode in Italien war.480 476

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Zu Leben und Werk Biondellis vgl. De Mauro 1968. Eine anthropologische Ausdeutbarkeit der Sprachforschung im Geiste eines indoeuropäischen Überlegenheitsdenkens wurde zu einem großen Teil durch die fehlende Erkenntnis einer Differenz sprachlicher Zeichen und Formen gegenüber der Semantizität der Texte ermöglicht. Aus dieser Identifizierung wurden semantische Charakteristika in einer axiomatisch festgelegten Kollektivierung zu Sprachtypen. Diese fatale methodologische Unschärfe hat die Romanistin Maria Selig anhand der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen August Wilhelm Schlegels typologischem Ansatz im Vergleich mit früheren und späteren sprachtypologischen Theorien aufgezeigt. Vgl. Selig 2013: 271-295, insb. 293. Zur naturphilosophisch-anthropologischen Rezeption von Friedrich Schlegels organischer Bildung der „Structur der Sprache“ als epistemischem Analogon zur vergleichenden Anatomie vgl. Timpanaro 1972: 90. Vgl. Biondelli 1853. Zu Biondelli als ‚Modernisierer‘ der italienischen Philologie in seiner Rolle als Propagator der Methoden der linguistica als Vergleichender Grammatik, aber auch als wichtigem eigenständigen Vordenker der dialettologia, welcher nicht einfach die Grundlagen für die ascolische Methode legte, sondern selbst eine Größe im Diskurs darstellte vgl. Santamaria 1981: 153-182. Biondelli 1839c: 3. Vgl. Ascoli 1861: 4 u. Santamaria 1981: 111-121. „Prima di tutto va posto in evidenza che il Biondelli, continuando gli interessi di linguistica indoeuropea come si sono già manifestati in precedenza, e aderendo pienamente alle istanze di rinnovamento culturale propugnate dal Politecnico del Cattaneo, ha concepito con l’ALE [Atlante linguistico d’Europa, ML] una sintesi utile, soprattutto, originale degli studi linguistici europei del primo Ottocento, nel senso che egli ha fornito in un solo scritto la più ampia e aggiornata rassegna, compiuta da uno studioso italiano, dei più rilevanti contributi apparsi

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Biondelli sah das wissenschaftliche Potential einer modernen vergleichenden Wissenschaft von den Sprachen im Dienste positivistischer Epistemologie, in der jene als ‚vergleichende Anatomie der Völker‘ dem zivilisatorischen Fortschritt, aber auch der Strukturierung einer italienischen Identität und ethnischen Geschichte durch empirische Studien förderlich sei.481 In seinem ersten Politecnico-Aufsatz „Über das vergleichende Sprachenstudium“ („Sullo studio comparativo delle lingue“)482 versuchte Biondelli daher, in allgemein verständlicher Form seinen Lesern jene Neuerungen in Methode und Gegenständen der Philologie darzustellen, wie sie sich unter anderem aus der Trennung von Lexik und Grammatik sowie Phonetik und Semantik der Sprachen ergaben. Biondelli verschob dabei das Augenmerk von der textlichen Betrachtung der Sprachen hin zur gesprochenen Sprache. Allein in ihr würden jenseits der Konventionalität der Schriftsprache diejenigen ‚Relikte‘ sichtbar, die Aufschluss über Historie und Abstammung ihrer Sprecher geben könnten. Die Erforschung der Sprachen und Dialekte vermittelte auch für Biondelli also nicht nur historische, sondern anthropologische Erkenntnisse über Verwandtschaftsbeziehungen und Abstammungslinien. Dieses doppelte Nutzpotential sollte ein Anlass für italienische Philologen sein, sich weniger mit der Sprachenfrage und der italienischen Schriftsprache, als vielmehr mit den Dialekten als den eigentlichen Zeugen und Bürgen einer dunklen und mit textphilologischen Mitteln nicht zu erschließenden Vergangenheit zu beschäftigen. Biondelli selbst suchte diese Forderung später in seinem später entstandenen Saggio sui dialetti Gallo-Italici umzusetzen.483 In prospektiver Hinsicht sah Biondelli die Vermischung der Sprachen und Dialekte mit anderen Idiomen keineswegs negativ, da dieser Prozess des Sprachwandels und auch der Vermischung der Völker für ihn den natürlichen Lauf der Geschichte darstellte, der ja letztlich die Dynamik des incivilimento bestimmte.484 Doch Biondellis wis-

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in Europa di quel periodo in materia di linguistica indoeuropea, rassegna che esprime pure una personale valutazione critica dell’autore.“ Ebd.: 213. Biondelli sollte sich in seinen späteren Schriften der Philologie als linguistica immer mehr als einer anthropologisch-biologischen Wissenschaft nähern. Vgl. hierzu insbesondere die Einführung zu den Studi linguistici, in welcher Biondelli wiederum die große Bedeutung der Sprachklassen als Entsprechungen zu den Menschenstämmen der Physiologie hervorhob und sie nach der gängigen Hierarchie von isolierend-primitiven zu flektierend-vollendeten Sprachen einteilte. Vgl. Biondelli 1856: 14 ff. Epistemisch stellte er die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft an die Seite von Ethnographie und Anatomie und sah in sprachlichen Merkmalen, ebenso wie in Hautfarbe und Skelettbau, grundlegende Unterscheidungsmerkmale der „Nationen“ im ethnischen Sinn. Vgl. ebd.: 9. Vgl. Biondelli 1839a, als Extradruck von Biondelli 1839c. Für einen zusammenfassenden Überblick über Biondellis methodische Neuerungen vgl. Gensini 2013: 181. Vgl. Biondelli 1853. Wieder ist es letztlich die historisierende Epistemologie, der auch Cattaneo folgte, welche Zukunft und Vergangenheit in den Raum der Geschichte stellte und somit zumindest prospektiv sprachliche Identität relativierte: „Biondelli agrees with Cattaneo’s opinion that the plurality of languages is the physiological outcome of linguistic ‘contact’: the superimposition of one language onto another, under certain geographic and temporal conditions, is the premise

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senschaftliche ‚Blickrichtung‘ lag nicht in der Prospektivität der Zukunft, sondern in den Geschehnissen der Vergangenheit und ihrem Potential für die Gegenwart. Aufgrund der erwähnten epistemischen Möglichkeiten ergaben sich daher seiner Ansicht nach neue Aufgaben für eine linguistica, welche Sprachwandel ‚kartographisch‘ erfassen und gleichzeitig Identität herstellen konnte. Sie wurde zu mehr als nur einer Hilfswissenschaft der Geschichte. Biondelli verstand die linguistica sowohl als epistemische Ergänzung zur synchronvergleichenden Ethnographie als auch als Instrument ethographischer Ursprungsforschung im diachronen ‚Raum‘ der Geschichte: Gewaltige Hoffnung setzen wir in das Studium der Sprachen, weil der Vergleich der Traditionen, Künste und der Opferkulte bisweilen irreführend ist; aus der Geschichte haben wir nämlich vielfach, und von den meisten Sachverhalten zwischen den Völkern erfahren, dass dieselben Traditionen mit einem unterschiedlichen Stamm geteilt werden. Von daher muss zu der Tatsache, dass schließlich die Gemeinsamkeit oder der analoge Charakter der Opfer, der Gewohnheiten und der übrigen derartigen Dinge bei der Erschließung der Ursprünge Beweiskraft erhält, zugleich der unvermeidliche Beweis einer Sprachähnlichkeit zu dieser Analogie oder Gemeinsamkeit hinzutreten.485

Zusammen mit dieser explorativ-ethnographischen Funktion einer vergleichend arbeitenden linguistica wuchs auch deren historiographische Bedeutung als universelle Methode zur Herleitung ethnischer Ursprünge. Dadurch erlangte sie wiederum eine erkenntnistheoretische Ermächtigung als anthropologisches Modell gegenüber den Begrenzungen der Geschichtswissenschaft. Obwohl die Geschichte nach wie vor wertvolles Faktenwissen über die Ursprünge des Menschen erbringen könne, indem sie neben den schriftlichen Quellen die „Traditionen“, „Künste“ und „Opferkulte“ („traditiones“, „artes“ und „cultus sacri“) der Völker untersuche, ließe sie den fragenden Kundschafter über die Gründe ihrer Entstehung, ihre soziale Funktion und ihren ‚Export‘ zu anderen Völkern im Unklaren. Dies läge ganz einfach daran, dass allein die Sprache ein unverwechselbares „Charaktermerkmal“ („tipo caratteristico“) der Nation sei. Zusammen mit dieser Annahme schwingt in Biondellis Sprache ein ‚medizinischer‘ Ton mit, der eine physische Materialität in den geistigen Cha-

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for a kind of ethnographic and linguistic ‘contamination’ which must not be seen negatively but rather as the normal way of language innovation.“ Gensini 2013: 181-182. Biondelli 1858: XXI: „Spem potissimum in studio linguarum reponimus, cum traditionum, artium, cultusque sacri comparatio interdeum sit fallax; ex historia enim compertum habemus quam multifariam, pluribusque de causis inter gentes, ut diversi stipitis, eaedem traditiones communicentur. Hinc est quod tum demum sacrorum, consuetudinum et id genus rerum caeterarum sive communitas sive analogia in exquirendis originibus vim demonstrationis obtinebit, quum isti analogiae vel communitati ineluctabile linguarum similitudinis testimonium accedet.“ Dt. Übers. ML. Biondelli stellte diese epistemische Vorrangstellung der linguistica seinen Betrachtungen über die Sprache der Azteken voran, die er wiederum in sein Vorwort zu einem von ihm herausgegebenen Evangeliar in Nahuatl-Sprache eingebunden hatte. Dieses schrieb Biondelli dem Franziskanermissionar und Ethnographen Bernardino de Sahagún (1499-1590) zu, den Biondelli jedoch als Bernardino de Ribeira vorstellte. Zu dieser unklaren Textgeschichte vgl. León-Portilla 1999: 31-32.

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rakter von Sprache trug und eher an statischen Vergleich und Typisierung anatomischer Merkmale, als an die historisch-diachrone Dynamik des Sprachwandels denken lässt: Si riconobbe che il linguaggio d’una nazione forma quasi un tipo caratteristico della medesima, del pari che la struttura dello scheletro della medesima e il colore della pelle […].486

Diese epistemologische Metapher, durch die philologisches mit anatomischem Wissen ‚verbildlicht‘ wird, lässt sich auch in jener Analogisierung von vergleichender Grammatik und Anatomie erkennen, wie sie sich bereits Friedrich Schlegel erlaubte.487 Für Biondelli ist diese Verknüpfung jedoch mehr als nur eine Metapher, da bei ihm der äußerlich-klassifikatorische Aspekt selbst, als empirische Faktizität, nicht unerheblich ist, wie sich nebenbei auch aus seiner Profession als Geographielehrer vermuten lässt: Der empirische Anspruch ‚erhob‘ die linguistica zu einer Helferin der Geographie und der frühen Ethnographie, indem sie eine „philosophische Klassifikation der menschlichen Familie“ („classificazione filosofica dell’umana famiglia“)488 ermögliche. Allerdings baute Biondelli diese anatomische Klassifizierung deterministisch und hierarchisierend aus und ließ sie dadurch zu Rassismus werden. So verknüpfte er die wissenschaftlichen Diskurse miteinander und machte die Physiologie zur argumentativen Stütze der Philologie. Denn in Übereinstimmung mit den Physiologen erklärte Biondelli in seinem Aufsatz zum vergleichenden Sprachenstudium aus der entgegengesetzten Perspektive die Wirkung physischer Merkmale gewisser Menschengruppen sowie die körperlichen Organe des Menschen zu materiellen Ursachen intellektueller Fähigkeiten und Determinanten kognitiver Möglichkeiten: Ora egli è fuor d’ogni dubbio, che il complesso delle facoltà intellettuali dell’uomo è strettamente collegato agli organi materiali componenti il suo cervello; e questi organi, manifestandosi nel complesso delle forme esterne del capo, costituiscono ciò che i fisiologi chiamano tipo caratteristico e distintivo di ciascuna nazione. Così è, che al bel cranio ovale e simmetrico della razza caucasica va unito il più ricco corredo di facoltà intellettuali, mentre la stupidità caratterizza d’ordinario il povero Negro dal cranio deforme e compresso; così tre

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Biondelli 1839c: 4. Wie Angelo De Gubernatis durch den wohl kaum metaphorisch gemeinten Hinweis auf die „Nervenfasern“ („fibre“) der Arier als physischen Ursachen der arischen Sprachen der Philologie eine größere epistemische Nähe zur Anatomie zugestand als Renan dies tat, übertraf Biondelli die schlegelsche Vorlage, indem er dessen vorsichtige Analogisierung strukturaler Ähnlichkeiten der wissenschaftlichen Verfahren von Philologie und Naturgeschichte ‚bildlicher‘ ausführte. Aus der ‚Anatomie‘ Schlegels wurde nun ‚Skelett‘ und ‚Hautfarbe‘: „Jener entscheidende Punkt aber, der hier alles aufhellen wird, ist die innre Structur der Sprachen oder die vergleichende Grammatik, welche uns ganz neue Aufschlüsse über die Genealogie der Sprachen auf ähnliche Weise geben wird, wie die vergleichende Anatomie über die höhere Naturgeschichte Licht verbreitet hat.“ Schlegel 1808: 28. Ebd. 5.

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forme craniologiche perfettamente distinte corrispondono all’ingegno assai diverso dell’Italiano, del Francese e del Germano.489

Dieses Zitat ist lange vor den Arbeiten Cesare Lombrosos ein Schlüsselzeugnis für einen wissenschaftlich legitimierten absoluten Determinismus. Das philologische Wissen lieferte hier den diskursiven Raum für rassistisches Denken, bevor der medizinisch-biologische Determinismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts seinen Siegeszug in Ethnologie, Anthropologie und Kriminologie antreten und durch die mechanistische Sprachauffassung Paolo Marzolos auch in der Philologie Fuß fassen sollte.490 Die historisch-anthropologische Aussagekraft der linguistica ließ für Biondelli die italienischen Dialekte zu interessanten Positivitäten im philologischen Wissen werden. Bereits als „Denkmäler“ („monumenti“) längst verlorener Sprachen von Interesse, werden sie nun zu wichtigen Zeugnissen der „italischen Ursprünge“ („origini italiche“).491 So ließen sich aufgrund der Hartnäckigkeit bestimmter phonetischer, syntaktischer und semantischer Merkmale der Sprache, besonders jedoch aufgrund der erkenntnistheoretischen Analogisierung mit der vergleichenden Anatomie, Rückschlüsse auf die italischen oder nicht-italischen Völker ziehen, die als Erzeuger dieser prälateinischen Sprachen gelten können. Biondellis Ziel war seiner eigenen Angabe zufolge kein „unnützer Konkurrenzkampf mit den anderen [europäischen, ML] Nationen“ („un’inutile gara colle altre nazioni“)492 um rassische Überlegenheit oder zivilisatorisches Erstgeburtsrecht. Noch wollte er – wie in den genealogischhistorischen Spekulationen des 18. Jahrhunderts – eine vorher ‚gewählte‘ germanische, keltische, pelasgische oder atlantische Natur der Italiener postulieren oder aus Textquellen ‚destillieren‘. Biondelli plante nichts weniger, als den alten Namen vergessener Völker durch philologisches Wissen Leben einzuhauchen, um den modernen Italienern ein historisches Bezugsmodell zu liefern, das jedoch noch nicht feststand. Sein patriotischer Ehrgeiz war daher wesentlich umfassender als derjenige aufklärerischer Historiker mit ihren ‚soliden‘ Ursprungsnarrativen, wenn er die noch unklare Identität der Italiener – ob autochthon oder nicht – in einen Vergleichskontext „mit den zivilisiertesten Nationen“ („colle nazioni più incivilite“) aus Geschichte und Gegenwart stellen wollte, obwohl er für eine solche Annahme noch keinen Beweis in Händen hielt. Dieses Ziel beschrieb Biondelli noch in der unbearbeiteten Neuauflage seiner Studi linguistici von 1856: La ricerca delle nostre origini non è diretta a promuovere un’inutile gara colle altre nazioni, contendendo loro anteriorità di natali, nobiltà di schiatta, priorità d’incivilimento; ma bensì a scoprire chi furono i nostri maggiori, onde stabilire quali rapporti di fratellanza ci collegano agli atri popoli, a diradare una volta le 489 490 491 492

Biondelli 1839c: 24. Vgl. u.: Kap. III. Vgl. Biondelli 1856: 22 ff. Ebd.: 42.

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dense tenebre, che ravvolgano la prima istoria del genere umano. L’Italia, da qualunque stirpe traesse i suoi primi abitanti, sia che prima svolgesse nel proprio seno i germi dell’umana civiltà, sia anche li ricevesse dai Fenici, dai Pelasgi, dai Tirreni, o dai Greci, non ha bisogno di mendicare veruna gloria, né teme verun confronto colle nazioni più incivilite del mondo antiche e moderne.493

Eine Stärkung des italienischen Selbstbewusstseins durch die Wiedererlangung einer verlorenen und genealogisch nachvollziehbaren Kollektiv-Identität der Italiener war somit ein wichtiges Ziel von Biondellis Konzeption der Philologie. Jedoch gewann bereits seine dafür angewandte Methode der Bloßlegung sprachlicher Substrate in den ‚lebendigen‘ Dialekten der Halbinsel insofern einen eher statischen Charakter, als dass Biondelli jenes auch von Cattaneo vertretene Theorem der ‚Sesshaftigkeit‘ der Völker mit Schlegels postulierter ‚Hartnäckigkeit‘ bestimmter sprachlicher Merkmale verband. Innerhalb einer Sprache stellten für ihn Aussprache, Vokabular, Grammatik und Syntax Differenzkriterien dar, um Volk von Volk zu unterscheiden.494 Mittels dieser philologisch erwiesenen Differenz beziehungsweise „Blutsverwandtschaft“ („consanguineità“) werde dann auch eine ethnographische Festschreibung und Einteilung der italienischen Völker in voneinander verschiedene italienische „Sippen“ („schiatte“) und „Stämme“ („stirpi“) möglich, um sie schließlich in größere Völkerfamilien einzuordnen oder zu autochthonen Ethnien zu erklären. Dies wäre der erste Schritt zu jener ‚Wiederbelebung‘ der alten Namen für die Gegenwart. Um ihnen Bedeutung für die ‚Nachfahren‘ zu 493 494

Ebd. Zwar handelt es sich bei den Aussagen Biondellis zur Genealogie der Italiener, wie gesagt, in erster Linie noch um eine genealogische und ethnographische Ursprungssuche, wie sie in Italien eine lange Tradition besaß. Doch fällt bei Biondelli die vollkommene Identifizierung von Ethnie und Sprache ins Auge: „Abbiamo altrove dimostrata l’invincibile tenacità dei popoli nel serbare le forme e gli elementi che costituirono le primitive lor lingue, anche a traverso le migrazioni e le conquiste, e in onta alla violenta sovrapposizione di nuove favelle. Abbiamo allora notato, fra i principali e più distintivi elementi dei linguaggi parlati, la pronuncia, o il sistema sonoro, il vocabolario, ossia la raccolta delle voci proprie di ciascuna lingua, la grammatica, o il vario modo di comporle e d’infletterle, e la sintassi, o meglio il sistema concettuale proprio d’ogni singola popolazione. Una lunga serie di esempi attinti alla storia delle lingue meglio conosciute ci rese agevole dimostrare l’impossibilità della totale distruzione di questi elementi, senza la distruzione del popolo che li ha succhiati col latte […].” Biondelli 1856: 27. Auch hier besteht wieder eine starke epistemische Parallele zu Friedrich Schlegel, da auch dieser die Hartnäckigkeit grammatikalischer Strukturen gegenüber rein lexikalischen „Einmischungen“ betonte. Und auch Schlegel übertrug diese Hartnäckigkeit der Sprache ohne zu zögern auf die ethnische ‚Reinheit‘: „Es haben alle diese abgeleiteten Sprachen, so wie die Völker selbst, eine mannichfache und zwar zum Theil ganz verschiedne Einmischung des Fremdartigen erfahren. Dieß hat sie nothwendig unter sich noch mehr entfremden müssen. Ich rede nicht bloß von solchen Einmischungen, wie die des Arabischen in der persischen, des Französischen in der englischen Sprache, wo die eingedrungenen Worte, weil sie nicht ganz in die grammatische Form der andern Sprache verschmelzen, sondern zum Theil ihre eigne behalten, sich dadurch gleich als Fremdlinge verrathen; Beispiele übrigens, welche einen sprechenden Beweis liefern, welche hartnäckige Bestandheit jede ursprünglich edle, d.h. organisch entstandene und gebildete, Sprache hat, und wie schwer sie selbst durch die gewaltsamste Einmischung unterdrückt werden kann.“ Schlegel 1808: 73.

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verleihen, mussten sie erst mittels des Indikators Sprache als eigene, weniger oder mehr vermischte Einheit, gleichsam für die Gegenwart nachvollziehbar gespiegelt, wiedergefunden werden: La ricerca delle nostre origini non è già una semplice questione di nomi, ma bensì di stirpi. Si tratta di conoscere, non solo come si chiamassero, ma a quale schiatta appartenessero i nostri maggiori, e con quali altre si fondessero, per determinare quali e quanti rapporti di consanguineità ci collegano alle altre nazioni antiche e moderne. Finché non siano determinate queste stirpi e questi mutui rapporti, a che ci giova sapere, se i nostri primi padri si chiamassero Tirreni, Pelasgi ed Iberi, piuttosto che Aborigeni, Opici, o Saturnii?495

Dieses Zitat verdeutlicht, wie sehr Biondelli auch im Kontext Italiens vom Standpunkt exkludierender und inkludierender Mechanismen der Differenz aus argumentierte und keineswegs die unumgängliche Vermischung der Ethnien und Stämme als immerwährendes Gesetz in Vergangenheit wie Zukunft betonte. Ein solches Gesetz wäre auch im Kontext von Biondellis eigener Interessenlage problematisch. Denn sein anthropologisches Denken hatte auch eine andere Seite, welche Biondelli ebenfalls berücksichtigen musste, und welche eine gewisse ethnische Differenz zwischen den Völkern benötigte, um eine ‚stabile‘ Identität der Italiener zu gewährleisten. Er sah es doch als einen Aufgabenbereich der neuen Sprachwissenschaft an, „brüderliche Beziehungen“ („rapporti di fratellanza“) zwischen den Völkern zur leichteren Förderung des „gesellschaftlichen Glücks“ („sociale felicità“) aufzubauen: E, dappoiché i moderni studj storici, fisiologici e linguistici ridussero quasi tutte le nazioni d’Europa in una sola famiglia, svelando i loro molteplici rapporti di fratellanza, abbia anch’essa ad unire i proprj sforzi a quelli di tanti altri popoli, per conseguire più agevolmente il grande intento della sociale felicità.496

Soweit ist Biondelli noch ganz dem aufklärerischen und natürlich politischen Begriff der fratellanza, ein Erbe der großen Revolution und des frühen Risorgimento, sowie einer utilitaristischen Ethik verpflichtet. Jedoch kann die Universalität der gleichzeitig propagierten Brüderlichkeit unter Patrioten bei Biondelli bezweifelt werden, da diese lediglich die indoeuropäischen Völker und Sprachen zu umfassen schien. Diese Restriktion soll hier jedoch als zentrales Kriterium für die Beurteilung und den Beitrag des Philologen Biondelli zu Rassedenken und Rassismus verstanden werden, da mit ihr die ‚tiefere‘ Essenzialiserung der Menschen als sprachlichen und geistigen Wesen nach dem Gesichtspunkt des Geistes dessen Epistemologie zu bestimmen begann, sobald Biondelli von einer ‚mentalen Typologie‘ ausging. Zwischen den Sprachen herrschten laut Biondelli von Anbeginn an Unterschiede, die deshalb essenziell seien, weil die „Geistestypen“ („tipi mentali“), welche sich an der Funktionsweise der Sprachen ableiten ließen eben nicht 495 496

Biondelli 1856: 38. Biondelli 1839b: 49.

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durch „die Empfindungstypen“ („tipi sensitivi“), also die unterschiedlichen Veranlagungen der Menschen zu sinnlicher Erfahrung, sondern durch ebenjene tipi mentali selbst reguliert würden. Nur durch eine Betrachtung der Sprachen nach den Prinzipien ihres Baus träten die tipi mentali hervor. Als wissenschaftliche Kriterien für diese Betrachtung der Sprachen definierte Biondelli die stärkere Synopse von Grammatik und Phonetik, bei ihm definiert als sistema ideotomico, worin er das System der Anordnung und Abfolge der Ideen und Begriffe innerhalb einer Sprache verstand, und dem sistema fonetico als Abstufungen der Töne, welche die besondere Aussprache jedes Volkes ausmachten.497 Es ist dabei für Biondelli von entscheidender Bedeutung, die Sprache des einfachen Volkes in all ihrer dialektalen Vielfalt und nicht die Sprache der „Gebildeten“ („dotti“) zum wissenschaftlichen Objekt zu machen, um anhand dieser Kriterien Aussagen über ethnische Relationen und eben auch den tipo mentale der Ethnie zu treffen.498 Wandel in Sprachen und Dialekten sei zwar möglich, das innere Funktionsprinzip der Sprachen verbleibe jedoch durch die gemäß „göttlicher Vorsehung“ („divina Providenza“) verteilten Typen des menschlichen Geistes in seiner heterogenen Statik. Sprache sei zwar dynamisch und ändere sich durch die „Geschehnisse des Lebens“ („le vicende della vita“), die geistige Essenz ihrer Sprecher bleibe jedoch dieselbe: Ciò premesso, se, come ci attestano le osservazioni costanti di tanti fisiologi, questo tipo impresso dalla divina Providenza in ciascuna nazione si mantiene invariato, a traverso l’avvicendarsi dei secoli, e nonostante il cangiamento del suolo e del clima, come potrà variare il tipo mentale, che è in certo modo il regolatore del tipo sensitivo? Né con ciò vogliamo dire, che il linguaggio sia stazionario, in tutta l’estensione del vocabolo, come una lingua morta conservata nei codici delle biblioteche, o come i cadavere imbalsamati negli scaffali d’un museo. Non v’ha dubbio che le vicende della vita diano continua mobilità a tutti i dialetti parlati; essi cangiano insensibilmente ogni giorno […]. Ma troveremo cangiati i nomi delle cose, troveremo le espressioni accomodate al genio dei tempi, non già la loro forma, la quale sarà sempre modellata sul medesimo tipo.499

Trotz des Hinweises auf die „Physiologen“ („fisiologi“) – die vergleichenden Anatomen, Evolutionstheoretiker und Naturhistoriker – zeigt diese Aussage eine deutliche Abkehr von der Epistemologie des Sensualismus, obwohl Biondelli mit seiner Analogie auf die Empirizität seiner Konzeption der linguistica pochte. Der Mensch und seine Sprache werden hier jedoch eher aus der epistemischen Perspektive des Idealismus, denn des Sensualismus und seiner Geschichte der äußeren Einflüsse betrachtet. Denn dieser Geist ist keine tabula rasa, welche durch die Materialität der Welt oder der vermittelten Ideen ‚geprägt‘ wäre. Vielmehr verwertet er Erfahrung in der Sprache gemäß eines regulierenden tipo mentale. Durch dieses ‚Schwenken ins Innere‘ ist es auf 497 498 499

Vgl. Biondelli 1839c: 20 ff. u. 15 ff. Vgl. ebd.: 14. Ebd.: 24-25.

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einmal nicht mehr die Funktionalität der Sprache als Instrument der Zivilisation, sondern ihre Anatomie als Ausdruck der Gestalt des Geistes, welche ins Zentrum der Betrachtung rückt. Dies ist eine Umkehr von Vicos Epistemologie zugunsten des idealistischen Geistesbegriffs, welche Romagnosi durch seine Kritik an Hegel zu verhindern gesucht hatte. Differenzen im Sprachbau werden bei Biondelli nun zu Indikatoren einer tiefen kognitiven Verschiedenheit der Menschheit. Doch erwähnte er hier nicht Schlegel oder Hegel als Inspirationsquellen, sondern berief sich auf Wilhelm von Humboldt, dessen theoretische Vorarbeit für seine Auffassung von linguistica entscheidend gewesen sei. Frühe Empiriker und Sensualisten, von Bacon und Locke bis zu Condillac, aber auch Herder hätten durchaus die Bedeutung einer Sprachbetrachtung als Mittel zur Erforschung des menschlichen Geistes in Form einer Philosophie der Sprache erkannt.500 Aber erst Wilhelm von Humboldts Lettre à M. Abel Rémusat, sur la nature des formes grammaticales en général und Ivan Aleksandrovič Goulianoffs Discours sur l’étude fondamentale des langues hätten den epistemischen Fokus weg von der Erforschung von Sprache als artifizio, als Kunstgriff und Instrument des Fortschritts eines universellen, menschlichen Geistes, auf die Illustration allgemeiner Prinzipien einer vergleichenden Betrachtung der Grammatiken zahlreicher Sprachen gerichtet.501 Ihr Ansatz des Grammatikvergleichs auf der Grundlage systematisch gesammelten Sprachmaterials sei für die linguistica nach Biondellis Meinung der einzige Weg zu sicheren Erkenntnissen über den menschlichen tipo mentale: Goulianoff ed il barone Guglielmo di Humboldt ne spinsero la teoria alla più raffinata precisione; ma diressero i loro profondi studj alla illustrazione della grammatica generale, ed alla redazione dei canoni per lo studio fondamentale

500

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Biondelli zitiert keine konkrete Aussage Herders, bezog sich aber wohl auf die bekannte ‚philologische‘ Herderstelle zum Sprachvergleich: „Der schönste Versuch über die Geschichte und mannichfaltige Charakteristik des menschlichen Verstandes und Herzens wäre also eine philosophische Vergleichung der Sprachen: denn in jeder derselben ist der Verstand eines Volks und sein Charakter eingeprägt.“ Herder 1785: 277. Zu Inhalt und Entstehung des Volksgeistdenkens im 18. Jahrhundert und Herders viel diskutierter Unterscheidung der Begriffe ‚Volk‘ und ‚Nation‘ vgl. Mährlein 2000: 17 ff. Biondelli erwähnte auch hier keine explizite Textstelle. Er zitiert die beiden Denker auch nicht direkt, sondern nennt lediglich in der Fußnote ihre beiden Werke. Vgl. Goulianoff 1822 u. Humboldt 1827 sowie Biondelli 1839c: „Bacone fu il primo che, abbracciando d’un solo colpo d’occhio la congerie tutta delle cognizioni umane, tentasse sviluppare il carattere e l’importanza filosofica del linguaggio; questo tentativo, appena tracciato dal filosofo inglese, fu in séguito condotto a termine da Locke, il quale, riconoscendo nel linguaggio un mezzo sicuro d’analisi, lo considerò come un vero collaboratore del pensiero; e da quell’istante la teoria del linguaggio entrò nella giurisdizione del filosofo. In séguito fu più diffusamente svolta da Condillac, da Rousseau, da Süssmilch, da Herder ed altri, i quali emisero differenti sistemi; ma tutti questi celebri pensatori considerarono il linguaggio in generale, e cercarono nel suo artifizio il processo dello spirito nella formazione delle idee, o nell’origine la formazione della parola.“ Ebd.: 20.

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delle lingue. Noi consideriamo invece questa teoria, nella sua applicazione alla linguistica, come mezzo sicuro per ottenere le più soddisfacenti risultanze.502

Es ging Biondelli in seinem Verständnis einer grammatica generale allerdings nicht um eine aufklärerisch gefärbte grammatica universale, im Sinne von Humboldts ahierarchischer Einbettung der Sprachen, insbesondere des Chinesischen, in eine universelle Logik der Anordnung, deren Regeln in allen Sprachen auffindbar sein müssten.503 Aus dieser Perspektive wäre eine Universalgrammatik der ernstzunehmende Hinweis auf einen universellen und nicht typologisch unterteilbaren Geist und dieser würde Biondellis ‚mentaler Typologie‘ widersprechen. Es geht ihm vielmehr um die allgemeinen methodischen Kriterien, nach welchen die linguistica Sprachen und nicht Sprache überhaupt urteilen soll. In der Betrachtung der Sprachen unter grammatikalischen Gesichtspunkten ließen sich danach mit Goulianoff auf die unterschiedlichen „organischen Formen des Denkens“ („formes organiques de la pensée“) schließen, von denen aus erst eine „allgemeine Grammatik“ („grammaire générale“) als Betrachtung dieser „organischen Formen des Denkens, verbunden mit denjenigen des Wortes“ („formes organiques de la pensée associées à celles de la parole“) hervorgehen könne504. Diese organischen Formen des menschlichen Denkens bräuchten aber nicht unbedingt im Sinne einer universellen Geistigkeit, sondern könnten typologisch interpretiert werden, wie dies für eine universelle, also in allen Sprachen nachweisbare Logik der Systematisierung von Sprache nicht der Fall wäre. Die Widersprüchlichkeit von Biondellis Epistemologie der linguistica wird nun deutlich: Sprache war für ihn Ausdruck und Regulator des Geistes. Gleichzeitig begriff er Sprachen als anatomische Merkmale genealogisch verbundener Kollektive, sobald sie anhand ihrer grammatikalischen Systematik erfasst wurden. Auch könne die physische Beschaffenheit dieser Kollektive Aufschluss über die Beschaffenheit ihres tipo mentale geben. Die ‚Physiologisierung‘ oder frühe ‚Biologisierung‘ der Philologie im deterministischen Sinne ist bei Biondelli jedoch lediglich in Ansätzen gegeben, da seine Theorie im 502 503

504

Ebd.: 20-21. Bezeichnenderweise unterschlug Biondelli bei seiner Erwähnung des Humboldt-Briefes den Nachsatz „et sur le génie de la langue chinoise en particulier“. Dies ist insofern von Bedeutung, als dass Humboldt in diesem Brief das Merkmal der ‚Grammatik‘ auch auf das Chinesische ausdehnte, also auf eine Sprache, welche lange Zeit als bar jeder Grammatik galt. Gleichzeitig leitete Humboldt daraus auch die Universalität des menschlichen Geistes ab: „In diesem Zusammenhang entscheidend ist, das Humboldt von der Vorstellung eines formalen Mangels des Chinesischen übergeht zu einer allgemeinen Sprachkonzeption, nach der die grammatischen Regeln der Sprachen schlicht mehr oder weniger explizit werden können, ohne dass dabei je die logischen Relationen verloren gingen. [...] Die dahinter liegende Überlegung ist einfach und folgenreich zugleich: Da jede Sprache geeignet ist, alle denkbaren Relationen und Modalitäten auszudrücken, in jeder Sprache also prinzipiell alles sagbar ist, kann es keine Sprache geben, die weniger oder gar nicht ‚grammatisch‘ wäre. Die logischen Verknüpfungen sind universell, es gibt also so etwas wie eine universelle Grammatik, die geistiger Natur ist […].“ Messling 2008: 255. Goulianoff 1822: 2-3.

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metaphysischen Raum der Kognition angesiedelt war und lediglich behelfsweise die vergleichende Anatomie zur Hilfe rief. Die unterschiedlichen physischen Merkmale der Menschenrassen sind nach Biondelli dennoch analog zu den unterschiedlichen Funktionsweisen der Sprachen Beweise für die Existenz verschiedener Geistestypen, welche sich wiederum in erster Linie anhand dieser Positivitäten in der vergleichenden Anatomie und der linguistica postulieren lassen. In dieser Tautologie liegt die Essenzialisierung des Menschen über die Philologie und die Physiognomie. Unter dem Analagon der Anatomie als vergleichender Methode begriff Biondelli Sprachen typologisch und argumentierte deterministisch, während er die Kriterien des methodischen Vergleichs nach Humboldt als universell gültige verstand. Dies ließ jedoch eine unveränderbare, hierarchische Anordnung der verglichenen Völker und Rassen zu, welche neben ihren Sprachsystemen auch ihre Literatur umfasste. Diese hierarchisierende Axiomatik schränkte deren perfettibilità, ihre Zivilisierbarkeit, stark ein, wie in einer später erschienenen Schrift Biondellis noch deutlicher werden würde. Denn auch im ersten Band seines unvollendet gebliebenen Sprachatlasses Atlante linguistico d’Europa von 1841 divergierte Biondellis Konzept der „Menschheit“ („umanità“) und ihrer Geschichtlichkeit von den universalgeschichtlichen Vorstellungen vom Prinzip einer allgemeinen Sprachentwicklung und einer gemeinsamen Ursprache durch das Axiom einer sprachtypologischen Anatomie der Völker als statischen und ahistorischen Gegebenheiten: Da questa prima divisione generale fondata sull’intrinseca natura degli idiomi stessi, appare manifesta l’assurda pretesa di coloro, che, indagando rapporti, e forzando etimologie, intesero nello scorso secolo a ricondurre tutte le lingue del globo ad un solo stipite primitivo, mentre nessun fatto storico ci addita una sola lingua semplice trasformata in lingua inflessiva, o viceversa […].505

Die erste „allgemeine Teilung“ („divisione generale“) der Menschheit war also auf die „innerste Natur der Sprachen selbst“ („intrinseca natura degli idiomi stessi“) gegründet. Diese kognitive Essenz werde – wie vorher ausgeführt – am Bau einer Sprache ersichtlich und bestimme jenseits aller Geschichtlichkeit den Menschen und dessen Denken. Doch von dieser Teilung sind Biondellis Meinung nach eben nicht nur die Sprachen, sondern mit ihnen auch die aus ihnen gewobenen Texte betroffen, welche sich parallel zu ‚Korruption‘ und Wandel der Sprachen verändern würden. Biondellis Historisierung erstreckte sich also durchaus auch auf die lettere, stellte die Sprachen jedoch als anthropologische Grundkonstanten durch ihren typologischen Charakter an den Anfang und an das Ende eines wissenschaftlichen Narrativs teleologischer Literaturgeschichte. So lasse sich die reiche Literatur der Sanskritsprache historisch in drei Epochen gliedern, welche wiederum den drei vicoschen Zeitaltern und auch antiker Dekadenz505

Biondelli 1841: 248.

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theorie entsprächen, indem Biondelli von einem ‚Goldenen Zeitalter‘ ausging. Das mythische Zeitalter des alten Indien habe die Veden und andere liturgische Werke hervorgebracht, das heroische Zeitalter epische und juristische Werke, wie den Kodex des Manu, die Manusmrti, die Purâna und das Rāmāyana und das historische Zeitalter die Poesie Jayadévas und die Dramen des Kalidasa.506 Doch nach diesen Epochen sei die Literatur des Subkontinents Opfer eines sprachlichen und zivilisatorischen Niedergangs geworden. Diese Entwicklung habe eine philologische und eine ethnische Ursache. Einerseits habe sich die Schriftsprache von der gesprochenen Sprache entfernt, worauf eine ‚Entliterarisierung‘ der Gesellschaft aufgrund mangelnder Lesekenntnisse gefolgt sei, andererseits seien zahlreiche fremde Völker in Indien eingefallen und hätten die blühende Zivilisation und insbesondere die Sprache der alten Inder korrumpiert: A questa età, che si può denominare l’età dell’oro della letteratura sanscrita, successe la sua decadenza. Nel volgere dei secoli, come suol sempre avvenire, la lingua parlata si allontanò a poco a poco e per insensibili gradi dalla scritta, sinché fu necessario uno studio per intenderla ed usarla. Si aggiunsero le tante migrazioni dei popoli, e più di tutto le ripetute invasioni degli Arabi, dei Gòridi, degli Afgani, dei Turchi, e dei Bucari, che, opprimendo l’India con ferreo giogo, vi distrussero i monumenti della primitiva civiltà, e fondendo i proprii nei dialetti dei vinti, formarono quelle tante favelle che tutt’ora sono parlate e scritte nelle varie regioni della penisola, e che, sebbene conservino i segnali della primitiva comune origine, non lasciano d’essere perfettamente distinte.507

Doch dieser gesellschaftskritischen Perspektive zivilisatorischen Niedergangs durch Verlust des literarischen Wissens lag nicht mehr der universelle Zivili506

507

Vgl. ebd.: 23. Die epochale Aufteilung dieser Textquellen hat Biondelli wohl von Friedrich Schlegel übernommen, welcher den bis dato bekannten Werken des alten Indien einen bestimmten Platz in der Literatur als ‚Sittengemälde‘ der alten Inder zugewiesen hat. Schlegels Literaturgeschichte umfasste jedoch in einer feineren Unterscheidung vier Epochen, in denen ganz ‚unvicianisch‘ Gesetz nicht auf Religion folge, sondern von Anfang an mit dieser zusammen die Grundlage der Gesellschaft bilde. Auf Gesetz und Religion, festgelegt durch die Veden und den 1794 von William Jones ins Englische übersetzten Gesetzeskodex Manusmrti (vgl. Winternitz 1996: 10) als erster Epoche der indischen Literatur, folgte deren erste philosophische Ausarbeitung durch die epischen Dichtungen des Rāmāyaṇa während einer zweiten Epoche. Eine weitere und noch feinere, gesellschaftsethisch verbindliche Systematisierung der Vedischen Philosophie erfolgte schließlich während der dritten Epoche in den ‚Devotionalien‘-Texten der Puranas und den Überlieferungen der Vedânta-Schule. Die indische Lyrik und Dramatik als ‚Vulgarisierung‘ der Brahmanischen Weisheit charakterisiere schließlich die vierte Epoche der indischen Literatur durch die Werke historisch verbürgter Individuen wie der Sanskritdichter Kalidasa und Jayadeva. Vgl. Schlegel 1808: 149-152. Biondellis Verbindung von Schlegels literaturgeschichtlicher Einteilung mit vicianischen Zivilisationsepochen als einem textgeschichtlich gerechtfertigten Ursprungsnarrativ, welcher neben einer sprachtypologischen Sonderstellung der flektierenden Sprachen auf die Exklusivität einer Literaturgeschichte aller indoeuropäischen Völker setzte, sollte später bei Giacomo Lignana wieder virulent werden, wenn dieser sich explizit auf Vico berief, um darwinsches Evolutionsdenken in die philologische Wissenschaft zu integrieren. Vgl. Lenz 2013a: 332 ff. Biondelli 1841: 24.

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sationsbegriff der Aufklärung, und auch nicht der Fortschrittsbegriff des 19. Jahrhunderts zugrunde. Es ist die ursprüngliche Statik der schlegelschen Dichotomie zwischen „lichter Besonnenheit“ und „thierischer Dumpfheit“, nun repräsentiert im tipo mentale der Sprache, die bei Biondelli eine beinahe soziologische Historisierung der Literatur durch ein anthropologisch verstandenes Kriterium der Sprachlichkeit fixierte. Auch etwas vom mythologisierenden Spiritualismus der deutschen Romantik leuchtet in Biondellis Sprachatlas auf, wenn dieser ein „geheimes Prinzip“ („arcano principio“)508 vermutet, das den indoeuropäischen Stamm – glotto- wie ethnogenetisch, sprachlich wie literarisch – von allen anderen Stämmen unterscheide. Hier wird die Anthropologie fatales Zivilisationsnarrativ, da Biondelli sein Argument zur apologetischen Begründung jeglicher zivilisatorischer Missionierung und sogar des Kolonialstrebens der Europäer werden lässt. Angefangen bei den Eroberungszügen des römischen Imperiums, über die spanische Conquista auf dem amerikanischen Kontinent, bis zur portugiesischen Kolonialisierung Afrikas, Asiens und Ozeaniens.509 Allein aus dem philologischen Grund einer Verbreitung von höchster Zivilisation durch die Vorzüge eines in flektierenden Sprachen redenden und schreibenden tipo mentale sei demnach eine politische Ausweitung der Vormachtstellung Europas über die zahlreichen – immer noch der ‚Natur‘ unterworfenen –Völker wünschenswert, die glücklich sein dürften, die Überlegenheit des indoeuropäischen Stammes zu bewundern: E se finalmente ci faremo a considerare, come le sole nazioni europee siansi arditamente lanciate su tutti i punti del globo, fondando ovunque colonie e regni, mentre tanti altri innumerevoli popoli vivono dai più rimoti secoli rinchiusi tra i confini da Natura loro assegnati, compresi d’ammirazione, saremo pur costretti a conchiudere, che nel soprannaturale artificio del mondo intellettuale v’ha qualche arcano principio che distingue e solleva da ogni altro lo stipite indoeuropeo!510

Interessant ist, dass Biondelli – vielleicht auch als ‚versöhnenden‘ Beitrag aus gewachsenem Bewusstsein über die europäische Kolonialgeschichte – in seinen späteren Studien zur Sprache der Azteken eine philologische und damit kulturelle Annäherung an die Völker der Neuen Welt versuchte. Ausgehend von einigen gewagten grammatikalischen Überlegungen zur Suche nach den 508 509

510

Ebd.: 261. Besonders der Größe der lateinischen Sprache setzte Biondelli hier ein patriotisches Denkmal, da deren – und es fällt schwer, hier tatsächlich keinen Zynismus zu sehen – „wunderbare Verbreitung“ das eigentliche zivilisatorische Erbe Roms an die Welt, vermittelt durch Spanier und Portugiesen sei: „Le vaste regioni occupate in Europa dalle lingue latine rammentano la potenza del romano impero, del quale, sebbene disciolto da tanti secoli, accennano ancora i lati confini. La prodigiosa loro diffusione in America è monumento irrefragabile della passata grandezza spagnuola [sic], la cui lingua è ora parlata dall’estremo angolo settentrionale del Messico, sino alla punta più meridionale del Chili; così la rimota loro propagazione in Africa, in Asia e in Oceania attesta il potente dominio ch’ebbero un giorno i Portoghesi su tutti i mari.“ Ebd.: 260- 261. Ebd.: 261.

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indoeuropäischen Wurzeln aztekischer Verben und Substantive, der Ähnlichkeiten zwischen der Nahuatlsyntax mit der lateinischen Syntax, zeichentheoretischen Spekulationen sowie etymologischen Vergleichen über mythologische Namen, erhöhte sich für Biondelli die Wahrscheinlichkeit einer Verwandtschaft des Aztekischen mit den synthetischen Sprachen.511 Die Kultur dieses indigenen Eroberer- und Herrschervolkes habe aufgrund des durch seine Sprache bewiesenen „intellektuellen Vermögens“ („intellectus“) einen würdigen Platz unter den zivilisierten Völkern verdient. Die Erforschung einer doch so andersartigen Kultur und Zivilisation würde unter dieser Prämisse aus der Perspektive des Bekannten erfolgen und es auch erlauben, zahlreiche allgemein verbreitete Vorurteile und Abneigungen gegenüber den indigenen Völkern des amerikanischen Kontinents – „genericas animadversiones“ 512 – leichter zu überwinden. Am Ende dieser Ausführungen kommt Biondelli zu folgendem Schluss: Nachdem sich also der synthetische Charakter, der sich auf einzigartige Weise des flektierenden Prinzips erfreuenden Nahuatl oder Azteken-Sprache gänzlich gezeigt hat und dargestellt wurde, bleibt noch übrig [zu sagen, ML], dass sie zur äußerst verzweigten Familie dieser Art dazugezählt werden muss, sowie dass ihr philosophischer Organismus und die Menge an Wörtern mit mehreren Wurzeln und an grammatischen Formen für das bedauernswerte Volk, dem sie nutzte, aufgrund seines intellektuellen Vermögens, einen Platz unter den berühmteren [Völkern, ML] beanspruchen.513

Ganz im Sinne der Epistemologie seiner philologisch gestützten Ethnographie des Vergleichs zog Biondelli auch andere Untersuchungsgegenstände als Sprache, wie beispielsweise Begräbnisriten und Glaubenswelt der Azteken, hinzu, in denen er Ansätze des Monotheismus zu erblicken glaubte.514 So spie511

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In seinem zwei Jahre nach Veröffentlichung von Sahagúns Evangeliar erschienenen Aufsatz über die Nahuatl-Sprache fasste Biondelli seine sprachwissenschaftlichen Überlegungen noch einmal zusammen. Obwohl er eine explizite Abstammung der Azteken von einem Stamm der indoeuropäischen Familie unter dem Vorbehalt der Vorsicht stellte, machte er doch deutlich, dass er dies zumindest aus textphilologischen Quellen als wahrscheinlich erachtet wissen möchte, wenn er auf Autoren der griechisch-römischen Antike wie Platon, Solon, Strabo, Plinius und Tertullian hinweist, denen die Existenz des amerikanischen Kontinents bereits lange vor dessen europäischer (Wieder-)Entdeckung bekannt gewesen sei. Vgl. Biondelli 1860: 13-14. Biondelli 1858: XXX. „Postquam igitur linguae nahuatl sive aztecae indoles singularem in modum inflexionibus gaudens, et synthetica omnino inventa sit et demonstrata, restat ut amplissimae familiae ejusdem generis adnumeretur, quemadmodum philosophicus ejus organismus et copia complurium tum radicalum vocum tum formarum grammaticalium miserandae genti, quae ea utebatur, sedem inter clariores, ob intellectus dotes, vindicat.“ Dt. Übers. ML. Ebd. In Grabbeigaben und der Art der Bestattung machte Biondelli Analogien zu den Begräbnisriten der Etrusker und Ägypter aus. Weiter versuchte er sich an etymologischen Analogisierungen auf der Basis phonetischer Vergleiche, wenn er im Wort ‚Teotl‘ das griechische ‚θεός‘ und das lateinische ‚Deus‘ wiederfindet und somit auf den aztekischen Glauben an ein höchstes, unsichtbares, nicht darstellbares und allmächtiges („omnipotente“) Wesen schloss. Diese Fähigkeit zu metaphysischer Abstraktion wäre neben der Sprache schließlich ein weiterer

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gelte sich in seinen aus heutiger Sicht bisweilen absurden Spekulationen über aztekisch-altgriechische Sprachverwandtschaft bereits ein Fragment kulturanthropologischen Denkens um die Mitte des 19. Jahrhunderts wieder. Biondelli argumentierte allerdings letzten Endes immer im Sinne indoeuropäisch dominierter Hierarchisierung, wenn er mit diesem Versuch die vollkommene Andersartigkeit einer alten Zivilisation des amerikanischen Kontinents durch historische Universalisierung des Indoeuropäertums zu relativieren suchte. Sein incivilimento blieb nämlich trotz dieser zivilisatorischen Inklusion auch prospektiv im Sinne der „voranschreitenden Entwicklung“ („progressivo sviluppo“) des „menschlichen Geistes („spirito humano“) noch gänzlich privilegierendes Charakteristikum der indoeuropäischen nazioni, verstanden als genealogische Kollektive und höchste Repräsentanten „menschlicher Erfindungskraft“ („ingenio dell’uomo“). Einzig flektierende Sprachen seien Zeichen der „großen Überlegenheit der Nationen, welche sie sprechen“ („grande superiorità delle nazioni che li parlano“) und würden dies auch weiter sein. Einzig diese Völker hätten der Menschheit die „Segnungen der Zivilisation“ („beneficj dell’incivilimento“) gebracht und würden sie ihr weiterhin zuteilwerden lassen515. Beweis für diese exklusive Stellung in Vergangenheit und Zukunft war, ist und bleiben für Biondelli sowohl die teils friedliche, teils militärische Verbreitung der flektierenden Sprachen über die ganze Welt als auch ihre Dominanz im Reich des menschlichen Geistes. Einen kausalen Zusammenhang zwischen sprachlicher und militärischer Beherrschung – allerdings in umgekehrter Reihenfolge – schien er nicht sehen zu wollen: Ma, se la storia delle nazioni indo-europee racchiude in se stessa gli annali di quasi tutto il Mondo, quella delle loro lingue abbraccia altresì in tutta quasi la sua estensione il progressivo sviluppo dello spirito umano, mentre in esse troviamo racchiuso quanto nel corso di tanti secoli l’ingegno dell’uomo ha saputo produrre d’utile e di grande.516

Von großer Bedeutung für die Beurteilung dieser essenzialisierenden Aussagen innerhalb des philologischen Diskurses in Italien und für die Entwicklung der neu entstehenden linguistica ist jedoch die Tatsache, dass sich aus demselben Lager liberaler Befürworter einer empirisch arbeitenden und sich als fortschrittlich verstehenden Philologie großer Widerstand gegen die Auslegung von Sprachlichkeit als anatomischem Merkmal regte. Dies geschah beinahe zeitgleich und im unmittelbaren publizistischen Umfeld von Biondellis Aussagen in Form von Carlo Cattaneos Rezension zum ersten Band des Atlante linguistico.517 Daher sei an dieser Stelle noch einmal die Bedeutung Cattaneos für die weitere Entwicklung der epistemischen Grundierung der italienischen

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Beweis für den philosophischen und nicht allein materialistisch-naturverhafteten Charakter der Azteken. Vgl. Biondelli 1860: 15. Biondelli 1841: 254. Ebd. Vgl. Cattaneo 1841 u. 1846b.

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linguistica durch sein Eingreifen an dieser Stelle betont. Cattaneo erkannte durchaus die tiefen Unterschiede sowie die Verwandtschaftsbeziehungen der Sprachen an, die sich für ihn aber einerseits durch die im System selbst – und nicht im Geist der Sprecher – verwurzelte grammatikalische Unvereinbarkeit zweier Sprachsysteme, und andererseits aus dem Einfluss der Sprachen fremder Völker – und nicht dieser Völker selbst – ergeben hätten. In seiner berühmten Rezension zur Vita di Dante von Cesare Balbo, in welcher sich der Patriot gegen eine ‚Germanisierung‘ der italienischen Sprachen und ihrer Dialekte wehrte, benutzte Cattaneo gleich Biondelli die Körpermethapher zur Darstellung eines Sprachsystems.518 Jedoch tat er dies, um aus der tiefen Verschiedenheit bestimmter grammatikalischer und syntaktischer Besonderheiten die Unhaltbarkeit eines an die Sprache gekoppelten Geistestypus analog zu einer ethnischen Fundierung desselben Typus herauszustellen: Inoltre le lingue potrebbero assomigliarsi ai corpi, nei quali bisogna discernere le fibre vitali dalla linfa e dal polpaccio che le riempie. Nelle lingue romane questa tessitura rimase tutta latina; nella inglese rimase tutta germanica; perloché la differenza fra loro non è cosa d’un di più o d’un di meno, ma una differenza fondamentale e organica. E in ciò non ebbe influsso il numero delle schiatte straniere, perché un popolo radicale assimilò a poco a poco gli avventizii.519

Cattaneos Schriften und die dort propagierte strikte Trennung von ‚Blut‘ und Sprache, ‚Rasse‘ und Sprachtypus im Kontext einer universellen Geschichte des menschlichen Geistes sind Indizien für die Existenz eines italienischen Gegendiskurses, welcher sich als resistent gegen ein philologisch fundiertes Rassedenken erwies und dem wir uns nun zuwenden wollen. Infrage gestellt wurde hier überhaupt die Möglichkeit einer essenziellen Unterteilung der Spezies Mensch. Dies hatte oft auch einen politischen Hintergrund, welcher die Instrumentalisierbarkeit von rassenlogischen und rassistischen Narrativen für Sklaverei und Kolonialismus erkannte und ablehnte. Dieser Diskurs war zwar noch vom universalistischen Anspruch einer aufklärerischen und bisweilen technokratisch verstandenen ratio auf zivilisatorischen Fortschritt durchdrungen, wurde aber neben einer kritischen Betrachtung europäischen Überlegenheitsdenkens eher von einer achtenden Anerkennung kultureller und zivilisatorischer Leistungen aller Völker in Sprache und Literatur, als von Herabsetzung und Verachtung innerhalb epistemisch fixierter philologischer oder biologischer Essenzialismen begleitet.520

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Vgl. Cattaneo 1839a. Ebd.: 325-326. Die These eines ‚antirassistischen‘ Gegendiskurses in den Schriften Carlo Cattaneos und Gabriele Rosas, welche in den folgenden Kapiteln ausführlich diskutiert werden soll, findet sich zusammen mit einigen dafür sprechenden Argumenten in der verkürzten Form einer vorläufigen Arbeitshypothese in Lenz 2012. Dieser publizierte Vortrag diente der Vorstellung und gemeinschaftlichen Diskussion erster Thesen, Themenstellungen und Vermutungen zu meinem in dieser Studie ausgearbeiteten Dissertationsprojekt im Rahmen des literaturwissen-

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4. Carlo Cattaneos historisches Prinzip als Epistem der Philologie Die Bedeutung des lombardischen Patrioten Carlo Cattaneo für den Charakter zahlreicher Diskurse der italienischen Wissenschaftslandschaft beruhte auf seiner Rolle als vielseitig interessierter und publizistisch äußerst aktiver Gelehrter, der sich neben seinen Studien der Rechtswissenschaften, der Geschichte, der Literatur und der klassischen Sprachen auch mit politischen, ökonomischen, technischen und naturwissenschaftlichen Themen auseinandersetzte.521 Seine publizistische Tätigkeit als Herausgeber des 1839 von ihm gegründeten Politecnico machten den politischen Befürworter eines föderalen, demokratischen und liberalen Italien zu einem Vordenker der italienischen Einheit, aber auch zum Fürsprecher und Verfechter einer fortschrittsorientierten und dynamischen Wissenschaftslandschaft.522 Cattaneos Epistemologie war, wie bereits erwähnt, stark geprägt von seinem Lehrer Giandomenico Romagnosi, über den er in seinem Aufsatz „Delle dottrine di Romagnosi“ schrieb:

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schaftlichen Doktorandenkolloquiums von Prof. Dr. Ottmar Ette und wurde von mir im Januar 2011 am Institut für Romanistik der Universität Potsdam gehalten. Zu Cattaneos vielseitigem ‚Bildungshintergrund‘ vgl. Ambrosoli 1959. Zur Biographie Cattaneos und seiner epistemischen Prägung durch Vico und Romagnosi, aber auch Locke und Bentham vgl. Palermo 2000: 1-22. Zentrale Bedeutung im Hinblick auf den Fortschritt Italiens hatte für Cattaneo die Prägung der Halbinsel durch zahlreiche, urbane Zentren. Sie stellten für ihn, besonders seit ihrer Blüte im 15. Jahrhundert Horte bürgerlichen Selbstbewusstseins dar. Jenes principio civile, welches sich seiner Ansicht nach in einem System des Föderalismus wieder entfalten sollte. Interessant ist, dass Cattaneo das föderale Prinzip auch auf die italienische Aristokratie, das Stadtpatriziat, anwandte. Dem italienischen, ‚oligopolisch-dynastisch‘ organisierten Patriziat der städtischen Zentren stellte Cattaneo das ‚feudal-monopolistische‘, allein auf Genealogie („sangue“) und nicht auf rechtlicher Grundlage („legitimità“) basierende Standesbewusstsein des (nord-)europäischen Adels gegenüber. Nur vor dem Hintergrund dieser politischen Dialektik sind auch sein Misstrauen gegenüber den nordeuropäischen Zivilisationsnarrativen und sein oftmals antideutscher Patriotismus zu verstehen. Vgl. Cattaneo 1846c in Sestan 1952: 834. Zur historisch etappenhaften Genese von Cattaneos föderaler Theorie und überhaupt seines politischen Denkens vgl. Bobbio 1971: 25 ff. sowie Ambrosoli 1999: Introduzione. Gaetano Salvemini schilderte das Engagement Cattaneos zu Gunsten seines Politecnico als Autor und Herausgeber und lieferte eine Aufzählung der weitläufigen wissenschaftlichen Gebiete, unter ihnen Literaturkritik und Sprachwissenschaft, zu welchen die Zeitschrift beizutragen suchte, was einen gewissen fragmentarischen Charakter zur Folge hatte: „Demografia, architettura, ragioneria, pubblica istruzione, geografia, monete, banche, geologia, critica letteraria italiana e straniera, archeologia, filosofia, storia politica e civile, storia delle scienze, discipline carcerarie, dogane, strade ferrate, idraulica, linguistica, dialettologia, chimica, antropologia, agricoltura […].“ Salvemini 1993: 4.

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Romagnosi fu grande nell‘arte delle esperienze naturali, grande in matematica, grande in antiquaria, grande in filosofia, grandissimo in giurisprudenza e in tutta la sequela delle dottrine per le quali si regge questa civile società.523

Wie erwähnt waren es allerdings nicht so sehr Romagnosis Überlegungen zur Philologie, die Cattaneo beeinflussen sollten, sondern seine ametaphysische Konzeption von Geschichte und Wissenschaft. Bereits aus dem Hinweis auf die „natürlichen Erfahrungen“ („esperienze naturali“) wird deutlich, dass es empirische Methodik war, die Cattaneo wie Romagnosi als dringend notwendiges epistemisches Fundament für den Fortschritt Italiens erachteten. Cattaneo sparte daher nicht mit Kritik an den italienischen Gegnern des Sensualismus, zu denen er neben Pasquale Galluppi und Pasquale Borrelli vor allem den Philosophen Antonio Rosmini rechnete.524 Erkenntnistheoretisch ging mit diesem Lob der Empirie die Konzeption einer streng induktiven Methodik als Kriterium von Wissenschaftlichkeit einher, wie sie Cattaneo für alle scienze forderte.525 Dieses empirische Kriterium basierte auf einer historischen Anthropologie, die dem „universellen Denken“ („pensiero universale“) in all seinen Erscheinungsformen nachgehen sollte. Die epistemische Vorlage für dieses Epistem bot Giambattista Vicos Scienza Nuova.526 Über den dort enthaltenen Begriff vom Menschen in seiner Geschichtlichkeit erblickte Cattaneo eine vollkommen neue Art des Wissens über die Gründe für die Differenz zwischen den Völkern und des ‚Verharrens‘ einiger in der Zivilisation, ohne, dass diese Differenz vorausgesetzt werden müsste. Denn Zivilisation war für Cattaneo ein Zustand, dessen Fortbestehen es zu erklären galt: Ecco dunque vasto e nuovo argomento: lo sviluppo istorico [sic] del pensiero universale: narrare per quali impulsi e con qual procedimento lo stesso genere umano, ch’erra tuttavia nelle selve d’un emisferio [sic], abbia potuto in altro emisferio tessere intorno a sé l’ampia tela delle leggi, dei riti, delle scienze, delle arti, e siasi talmente inviluppato in questa sua fattura che non se ne possa più sciogliere per tornare alla primiera selvatichezza.527

Der menschliche Geist war für Cattaneo stets historisch kontextualisiert und konnte nicht als abstrakte Entität erfasst werden. Er werde allein indirekt über den historischen Menschen als gesellschaftlich orientiertes Individuum, dem „Menschen an jenem Ort und zu jener Zeit“ („uomo in quel luogo e in quel tempo“)528, konkret und fassbar. Diese indirekte Erfassbarkeit des Geistes durch die Erzeugnisse des Menschen in der Geschichte und seine Spezifizierung und Zersplitterung in eine konkrete historische ‚Phänomenologie des 523 524 525

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Cattaneo 1846a in Sestan 1952: 302. Vgl. ebd.: 299-314. Zum Wissenschaftsverständnis Cattaneos vgl. Gernert 1990: 117 ff., zu seiner Unterscheidung der Begriffe scienza und arte vgl. ebd.: 107 ff. Zur Vico-Rezeption Carlo Cattaneos vgl. auch seinen Aufsatz über die Philosophie Giambattista Vicos „La scienza nuova di Vico“. Vgl. Cattaneo 1839b in Sestan 1952: 329-360. Ebd.: 333-334. Ebd.: 334.

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Geistes‘ könne allein a posteriori und durch die Betrachtung möglichst vieler seiner Erscheinungsformen erfolgen. Auf diese Weise werde inmitten einer gleichsam ‚prismatischen‘ Aufspaltung der Geist in seiner „grundlegenden und konstanten Natur“ („sua natura fondamentale e costante“), jedoch nicht in seiner Essenz, erkennbar: Noi non possiamo afferrare lo spirito umano, non possiamo scrutarne l’essenza, non possiamo conoscerlo se non in quanto si manifesta con li atti suoi e le sue elaborazioni. [...] È adunque mestieri studiarlo in quante più situazioni e più diverse si possa. Quando avremo contemplato il poliedro ideologico nel massimo numero delle innumerevoli sue facce, allora i tratti comuni ad esse tutte ci segneranno al sua natura fondamentale e costante; li altri indicheranno il variato campo della sua perfettibilità.529

Cattaneos Vico-Rezeption unterschied ihn von jenem Geistes-Universalismus der Aufklärung, welcher sich im Idealismus widerspiegelte und einen universellen Zivilisationsbegriff in den Kategorien und Ideen der menschlichen ratio suchte. Der Mensch und seine Vernunft waren bei Cattaneo im Individuum als historischem Wesen gebunden. Dieses werde jedoch nicht überall auf die gleiche Weise zivilisiert, sondern befinde sich als soziales Wesen stets in Relation zu den ‚Anderen‘.530 Cattaneos historisches Axiom umfasste jedoch auch eine aufklärerische Seite: Es hierarchisierte die Völker nach dem Grad ihrer Zivilisiertheit in ‚Menschen‘ und ‚Barbaren‘ anhand der Art ihres sozialen – das heißt bei Cattaneo demokratischen – Zusammenlebens.531 Der Kannibale stand hier auf der untersten Stufe der Zivilisationsleiter, während die Förderung des Allgemeinwohls in den „utopischen Phantasien feinfühlendster Mildtätigkeit“ („utopie della più delicata beneficenza“), an denen sich der „europäische Denker erfreut“ („il pensatore europeo si delizia“)532, den Gipfel der Zivilisation darstelle. Cattaneo begriff diese Unterscheidung jedoch aus der Perspektive einer selbst geschichtlich gewordenen ratio. Diese Relativierung verhinderte damit eine Essenzialisierung des Menschen durch ein homogenes und statisches menschliches Subjekt, wie es von Platon und Aristoteles, bis hin zu 529 530

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Ebd. Das cartesianische Subjekt stellte für Cattaneo einen unzureichenden Garanten für die Untersuchung des Menschen dar, solange es sich nur mit sich selbst im Bewusstsein beschäftige und die Subjektivität des ‚Anderen‘ im Spiegel der Geschichte geringschätze: „Chi si rinserrasse con Cartesio nella solitudine della coscienza, non potrebbe mai scoprirvi il concetto di quelle tante trasformazioni a cui l’uomo soggiace. Se non contempla sé nelli [sic] altri, ossia nell’istoria, crede impossibile i conviti dei cannibali, le superstizioni dei Negri, i furori delli [sic] unni, la corruzione del Basso Imperio.“ Ebd. Cattaneo nannte hier zivilisatorische Distinktionsmerkmale nichteuropäischer Völker sowie eine rassische Zuordnung. Dass diese Zuschreibungen jedoch keine essenziellen Merkmale darstellen, soll aus der weiteren Argumentation klar werden. Zur Bedeutung der Stadt als Entstehungsort von Zivilisation durch die Möglichkeit demokratischer Selbstorganisation, wie Cattaneo sie aus der Historie der italienischen Stadtstaaten ableitete vgl. Sabetti 2007. Cattaneo 1839b in Sestan 1952: 333.

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Kant und Spinoza vorausgesetzt werde.533 Zwischen der synchronen Betrachtung der Völker in der Gegenwart und der idealistischen Epistemologie tue sich durch die Verabsolutierung des Subjekts ein unüberwindbarer Abgrund auf, der nach universellen Kriterien die gleichzeitige Existenz von Barbarei und Zivilisation nicht erklären könne, solange die menschliche Vernunft als essenzielles Merkmal begriffen wird. Der Abgrund zwischen Wirklichkeit und Doktrin, zwischen einem universellen Vernunftwesen und der Existenz asozialer Kannibalen neben europäischen Zivilisationstheoretikern wird nämlich sofort überwindbar, sobald sich letztere selbst in erster Linie als historische Wesen begriffen, wie Vico dies getan habe: Sopravvive tuttora su qualche remota spiaggia del globo l’uomo cannibale che contende alle fiere le carni del suo simile, mentre il pensatore europeo si delizia nelle utopie della più delicata beneficenza. Questi due viventi stanno a contrarii estremi dell’umanità; fra l’uno e l’altro s’interpone tutta l’innumerevol serie delle varietà nazionali e delle trasformazioni istoriche. Ebbene sotto il fioco e dubio [sic] lume della metafisica, e nell’angusto campo della coscienza psicologica, non appare fra questi due ripugnanti divario alcuno; nel selvaggio e nel pensatore la metafisica trova la stessa quantità d’uomo e la stessa qualità. [...] Qui, fra la dottrina e il fatto dell’uomo, si spalanca un abisso incommensurabile.534

Wie sein Mentor Romagnosi setzte auch Cattaneo Vicos Geschichtsphilosophie in Kontrast zu Hegels großer antagonistischer Konzeption von Historizität als dialektischer Spannung. Er unterschied sich dabei in seinem Urteil über die Bedeutung von Hegels Philosophie. Im Gegensatz zu Romagnosis strikter Ablehnung Hegels machte dessen systematische Konzeption der idealistischen Epistemologie für Cattaneo einen differenzierteren Begriff vom Menschen in seiner Geschichtlichkeit zugänglich. Zwischen Hegel und Vico bestehe Gemeinsamkeit in einem Geschichtsbegriff, der die abstrakten Ideen wie ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Wahrheit‘ in einen dynamischen Fortschrittsprozess einbette. Hegel sei hier durch sein intensiveres Studium der historischen Fakten und die Vorarbeit anderer Gelehrter an den etablierten deutschen Universitäten klar im Vorteil gegenüber dem engen intellektuellen Bewegungsspielraum italienischer Gelehrter, darunter Vico, gewesen.535 Cattaneos historisierender Fort533

534 535

„Aristotele può edificare nell’uno e nell’altro lo stesso numero di categorie; Platone pone a giacere nel selvaggio lo stesso stuolo d’idee che vigila nel pensatore; Kant dovrebbe distillare dall’uomo e dall’altro la stessa ragione pura, perché i fatti dell’istoria sono per lui mere parvenze d’un’uniforme subiettività […].“ Ebd.: 333. Ebd. 334. „Con altre astrattissime frasi Hegel involge una variazione dello stesso motivo. Anch’egli dice che l’istoria è il graduale sviluppo della giustizia ideale, e per dirlo colla sua formola, ‘l’istoria è l’obiettivazione dell’idea, cioè l’idea’ della mente, che, venendo effettuata, diviene un fatto esteriore, un obietto. Anch’egli ha il trionfo progressivo della verità; e siccome la verità succede all’errore e si svolge dal suo seno, così Hegel non solo giustifica il fatto, ma benanco l’errore.” Hegel sage im Prinzip nichts anderes als Vico, wenn er die Geschichte zum Ausgangspunkt seines Geistesbegriffes und seiner Philosophie nimmt, jedoch erweitere er durch seine Gelehrsamkeit und das Studium eines reicheren Quellenmaterials das empirische Studium der Geschichte, wie es dem Gelehrten aus Neapel noch nicht vergönnt gewesen sei:

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schrittsbegriff unterschied sich jedoch durch seine Abkoppelung vom ‚totalisierenden‘ Moment hegelianischer Dialektik, wie es sich nach Cattaneo insbesondere am Konzept von Geschichte als objektivierten Ideen des Geistes zeige.536 Das „universelle Denken“ („pensiero universale“) bleibt ja, wie gerade erwähnt, in Cattaneos Geschichtsverständnis nur indirekt an den geschichtlichen Fakten erfassbar und kann sich nicht selbst zum Objekt machen. Dies bedeutet auch – und hier sind wir wieder bei den empirischen Methoden der Wissenschaften angelangt –, dass sich Geschichte nicht als unmittelbare Emanation der abstrakten Idee, als „Objektivierung“ („obiettivazione“), sondern allein als deren konkrete, aber empirisch vermittelte Erscheinungsform in prozessualer Form, als „Entfaltung“ („sviluppo“) verstehen lasse. Diese Relativierung Hegels hatte auch einen Grund in Cattaneos Abneigung gegenüber dem Exklusivitätsanspruch jener deutschen Denker, die – wie Friedrich Schlegel dies in seinem ‚eingenordeten‘ Indiennarrativ getan habe – eine geistige Exklusivität bestimmter Ideen als Distinktionsmerkmal aus der Genealogie ableiteten und epistemisch zu legitimieren suchten. Am Beitrag der deutschen Universitäten zum Studium des Orients und der nordischen Völker bestehe allerdings kein Zweifel.537 Jedes Volk könne zwar durch seine in Geschichte und Natur verwirklichten Ideen verschiedene zivilisatorische Beiträge leisten, jedoch sei dies kein exklusives Sonderrecht auf Fortschritt im Sinne einer Veräußerung speziell ihm eigener Ideen, da der Empiriker Cattaneo keinen platonisch apriorischen Ideenbegriff akzeptierte, durch den sich der Geist irgendwann selbst erkennen werde. Cattaneo unterstellte Hegel hier eine politische Intention, da letzterer die deutsch-preußische Gelehrsamkeit zu einem historischen Privileg erheben wolle:

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„Ma la parte originale e utile di queste dotte opere non risiede tanto nel motivo fondamentale, che ricade sempre in quello di Vico, quanto nello sviluppo delle variazioni istoriche, o vogliam dire nella somma copia dei fatti, che danno alla dottrina più largo fondamento esperimentale, mentre Vico, dopo aver percorso uno studio brevissimo d’esperienza istorica, si commise tutto alle generalità.“ Ebd.: 351-352. Das ‚Verschwinden‘ der menschlichen und empirisch erfassbaren Pluralität innerhalb der ontoteleologischen Totalität des Begriffes und die ‚Gewalttätigkeit‘, welches dieses Denken auf die Multirelationalität menschlichen Zusammenlebens auszuüben imstande ist, beschrieb der Philosoph Paul Ricœur eindringlich anhand des hegelianischen Begriffes der Anerkennung: „Cela dit, ce qui tient la problématique de Hegel éloignée de la nôtre, c’est la référence spéculative, sans contrepartie empirique, à l’identité, à la totalité – avec ses corollaires : intuition versus conceptualité, indifférence versus différence, universalité versus particularité. C’est cette forme d’ontothéologie que empêche la pluralité humaine d’apparaître comme l’indépassable référence des relations de mutualité, scandées par la violence, que parcourt le discours hégélien, depuis le niveau de la pulsion et de l’amour jusqu’à celui de la confiance au sein de la totalité du peuple.“ Ricœur 2004: 161. Der Aufholbedarf Italiens, insbesondere in der Orientphilologie, aber auch beim Studium der germanischen und skandinavischen Sprachen war Cattaneo schmerzlich bewusst: „La copia dell’erudizione germanica, massime interno alle cose dell’oriente e del settentrione, supera smisuratamente l’angusto recinto in cui sogliono pur troppo rinchiudere li sguardi loro i nostri studiosi.“ Cattaneo 1839b in Sestan 1952: 352.

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Un principio più suo [Hegel, ML] si è quello di ripartire ai diversi popoli della terra questa immensa impresa di sviluppare l’umanità; cosicché ciascun popolo vi contribuisca in diverso modo, ciascun popolo effettui un’idea sua propria; e dal concorso successivo d’esse tutte si compie l’idea universale, ossia l’ultima manifestazione dell’idea; ossia l’idea, che, dopo aver percorso tutte le forme, riconosce e contempla se medesima. Ognun vede che tutte queste astrazioni esprimono una tendenza a involgere principii semplici in grave apparato scientifico, per compiacere al genio d’una nazione che si fece sempre prediletta gloria delle sue università.538

Der Mensch kommt dagegen in Cattaneos historischem Modell immer und überall aus der Barbarei, egal welche Rolle er im Geschichtsprozess zu spielen hat und bedarf einer Methode seiner Erforschung, nicht eines Grundes seiner Rechtfertigung als zivilisatorischem Ausnahmefall und Beispiel höheren Bewusstseins. In diesem Sinne habe der Vordenker des Empirismus, John Locke, durch seine Leugnung platonischer, dem Menschen eingeborener Ideen und durch sein Konzept einer tabula rasa die Erforschung des menschlichen Geistes als empirisch erfassbarer, geschichtlicher Prozessualität überhaupt erst ermöglicht. Dieses historische Verdienst gelte auch noch in einer Zeit, in welcher Vertreter des Idealismus – aber auch christlicher Dogmatik – die Bedeutung des Empirismus für die Freiheit des Menschen zu behindern suchten.539 Cattaneos Epistemologie war zudem eine pädagogisch orientierte: Durch die Verbreitung wissenschaftlicher Errungenschaften in einer Sprache, die möglichst vielen Lesern verständlich war, sollte unter der Bevölkerung der italienischen Halbinsel neben einem nationalen Bewusstsein der Ehrgeiz geweckt werden, am Prozess einer europäischen Modernisierung durch technische und wissenschaftliche Reform teilzunehmen. Dazu musste jedoch ein gesellschaftlicher Konsens darüber herrschen, was als Wissenschaft zu bezeichnen ist. Fortschrittsorientierte interdisziplinäre Fachzeitschriften liberaler Prägung, wie Giandomenico Romagnosis Annali universali di statistica, Carlo 538 539

Ebd.: 351. „[Das ehrende Gedenken an Locke, Anm. ML] riesce tanto più commendevole in questi tempi, in cui l‘impostura intraprese a calunniare al tribunale dell’ignoranza il nome, le opere e l’animo di quell’uomo onorando, il quale, negando le idee innate e scotendo le tradizioni su le quali riposava un boriosa inerzia, riaperse il campo allo studio dell’uomo interiore e all’istoria dell’intelletto.“ Cattaneo 1846a in Sestan 1952: 299. Diese zeitkritische Aussage eröffnet Cattaneos Aufsatz über die Lehrmeinungen seines Lehrers Romagnosi. Sie bezieht sich auf die Notwendigkeit eines ehrenden Andenkens an den britischen Philosophen Locke, wie es in der Errichtung einer Statue durch die „amatori del vero e del giusto“ ihm zu Ehren vor dem University College in London zum Ausdruck kam. Diese Universität war für Cattaneo ein Symbol eines egalitären Liberalismus, da sie gegründet wurde von der „liberalità privata“ für die „uomini di tutte le genti, senza parzialità e senza privilegio“. Dieser Kontext der Aussage macht die Verwobenheit von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft deutlich, wie sie alle Schriften Cattaneos prägte. Der säkulare Humanismus des bürgerlichen Liberalen Cattaneo kommt hier genauso deutlich zum Ausdruck wie die positivistische Verknüpfung von wissenschaftlichem mit sozialem Fortschritt. Absoluter Idealismus und christlicher Platonismus haben in Cattaneos patriotischem Konzept die Stellung von rückschrittlichen Ideologien und in den Wissenschaften unfruchtbaren Epistemologien.

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Tencas Crepuscolo oder Carlo Cattaneos Politecnico sind daher in der Selektion ihrer Themen und Fachbereiche im materiellen Sinne Orte aktueller wissenschaftlicher Diskurse im Dienste des Patriotismus.540 Sie prädestinierten sich selbst für diese Aufgabe, da in ihren Programmen ein klarer Anspruch auf Epistemologisierung und Formalisierung, also Wissenschaftlichkeit, geltend gemacht wurde und sie im Gegensatz zur enzyklopädischen Verbreitung von Wissen den Vorteil höherer Publikationsfrequenz mit sich brachten.541 Ob sich die Aussagen der hier diskutierten Gelehrten in der longue durée in den Diskurs einschrieben, verworfen wurden oder widersprachen ist in diesem Sinne zweitrangig. Denn bereits ihr Erscheinen in jenen Zeitschriften machte ihren Status als wissenschaftliche Forschung einer nicht immer fachlich vorgebildeten Leserschaft deutlich. Diese Verwissenschaftlichung der Gesellschaft und der Diskurse als pädagogisch-erzieherisches Ziel des Autors und Herausgebers Carlo Cattaneo fasste Gaetano Salvemini prägnant, doch differenziert, zusammen, wenn er das Kriterium der Empirizität und methodischen Solidität bei Cattaneo keineswegs allein auf den unmittelbaren praktischen Nutzen der Naturwissenschaften beschränkt sah. Denn obwohl die „nutzbringenden Künste“ („arti utili“) Vorrang im Politecnico hatten, war das tiefere Ziel die Empirisierung aller Wissenschaften. Neben der linguistica sollte daher auch die kritische Betrachtung der Literatur einen Platz unter den scienze finden, solange sie denn dem „Studium des inneren Menschen“ („lo studio dell’uomo interiore“) als Teil der Gesellschaft diene, also nicht „geschwätzig“ („ciarliera“) im Sinne einer rein rhetorisch-ästhethischen und damit für Cattaneo politisch wie gesellschaftlich nicht relevanten Kunst (arte) im eigentlichen Sinne wäre: Il ‚Politecnico‘ voleva diffondere la coltura scientifica e promuovere le applicazioni pratiche della scienza. Intendeva per scienza non solamente quella che provvede con la meccanica, con la chimica, con la fisica, ai bisogni più prossimi della vita: anche le discipline, che riguardano la società, debbono essere fecondate dal metodo scientifico; anche lo studio dell’uomo interiore deve essere scienza. La letteratura non era esclusa, purché non fosse ‚letteratura ciarliera‘ […].542

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Zum patriotischen Charakter des Crepuscolo, einer Zeitschrift, welche durch die Subversivität ihres liberalen Gedankenguts der österreichischen Zensur stets ein Dorn im Auge war vgl. Leone Fortis’ Charakterisierung dieser freidenkerischen ‚Verdächtigkeit‘ durch inhaltliche Komplexität aus dem Jahre 1897: „Nel Crepuscolo si faceva dell’alta letteratura, dell’alta critica e degli alti studi sociali e scientifici, entro i quali palpitava sempre quel tal sentimento patriottico che rendeva il giornale fieramente sospetto all‘autorità austriaca – sospetto più per quel tanto ch’essa non capiva, che per quel poco ch’essa capiva – più per i sottintesi, più per quanto s’ intravvedeva fra le righe di quanto vi era stampato.“ Fortis 1897: 994-995. Cattaneo kritisierte diese mangelnde publizistische Flexibilität enzyklopädischer Schriften an Alexander von Humbolts Kosmos. Vgl. dazu Gernert 1990: 253 sowie Cattaneo 1844. Salvemini 1993: 4. Eine zusammenfassende Übersicht über Cattaneos literaturkritische Arbeiten sowie die Grundierung seines klassizistisch-patriotischen Literaturbegriffs bietet Palermo 2000: 13-15.

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Der Verwendung von Sprache in diesem publizistischen Kontext kam dabei eine besondere Bedeutung zu, da zur Darstellung wissenschaftlich komplexer Zusammenhänge durch neu geschaffene Fachausdrücke für das Italienische ganz eigene, aus pragmatischer Notwendigkeit sprachnormierende Maßstäbe angelegt werden mussten. Wissensvermittlung stützte sich im Politecnico und besonders in Cattaneos Artikeln auf die teleologische Dimension der Sprache unter Vernachlässigung der Stilistik. Dies geschah zwar auf Kosten terminologischer und syntaktischer Eleganz, hatte jedoch durch den rezeptiven Kontext einer verhältnismäßig weit verbreiteten Zeitschrift einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Verwendung semantischer und grammatikalischer Wendungen.543 Sprache wurde damit zum Instrument der Erziehung nach dem Kriterium kommunikativer Effizienz und nicht der ästhetischen oder gar grammatikalischen Vollkommenheit. Dies galt besonders für den „politischen Erzieher“ („educatore politico“) Cattaneo und die Rolle der Sprache in seinem publizistischen Lebenswerk, aber auch in seinen epistemischen Überlegungen zur Philologie.544 In diesen politischen und wissenschaftlichen Äußerungen fand der triadisch universelle Prozess von Sprache als geschichtlichem Phänomen, wie es Giambattista Vico beschrieb, deutlichen Niederschlag. Auch dessen sematologischer Sprachbegriff einer poetisch-mythischen Ursprache, die sich stufenweise zu einer prosaischen Zivilisationssprache entwickelte klingt an.545 Cattaneo blieb dabei seiner oben beschriebenen Epistemologie treu und hierarchisierte nicht nach ‚Zivilisationssprache‘ und ‚Barbarensprache‘, denn Sprachlichkeit war für ihn ein universelles und dennoch historisch zu kontextualisierendes Phänomen. Trotz Unterschieden in Lexik und Grammatik dienten Sprachen für ihn in erster Linie der Entfaltung des incivilimento durch die intersubjektive Verständigung und entwickelten sich im Laufe der Zeit auf unterschiedlichen Wegen von barbarischen, rohen und ungeschliffenen Sprachen zu literarischen Hochsprachen. 543 544

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Vgl. Lenz 2012: 24. Zur Rolle der Sprache bei Cattaneo als „educatore politico“ der Italiener vgl. De Mauro 2004. Den zentralen Zusammenhang von Sprache als Kommunikationsmittel, Wissenschaft und menschlichem Zusammenleben im dynamischen Raum der Gesellschaft durch Wissen, wie er Cattaneos sprachphilosophische Überlegungen durchzog und zur ‚Entliterarisierung‘ der Sprache führte, betont Angelica Gernert: „Um den weiteren Gedankengang nachvollziehen zu können, muß an dieser Stelle daran erinnert werden, daß Carlo Cattaneo prinzipiell auf Nutzanwendung von Sprache abzielt, Sprache im utilitaristischen Funktionskontext der Gesellschaft versteht und ihre besondere Bedeutung als Medium nicht nur im allgemeinen Sinne der Wissens-, sondern auch speziell der Wissenschaftsvermittlung hervorhebt. Wissenschaft aber ist für ihn Phänomen wie auch Symbol der menschlichen Unità; und insofern ist es konsequent, daß die alltägliche Informations- und Kommunikationsfunktion der Sprache und nicht ihr elitärer Konsum als literarisches Kunstwerk eindeutige Priorität besitzt.“ Gernert 1990: 217. Zu den besonderen Charakteristika von Vicos „Sematologie“ und der „Reform der natürlichen Sprache im Dienste der Wissenschaft, die Konstruktion einer Sprache der Wissenschaft“ gegen eine „hermeneutische Wissenschaftstheorie“ vgl. Trabant 1994, insb. 120-123.

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Cattaneo trennte dabei klar deren wissenschaftlich-philologische Betrachtung von der physiologischen Betrachtung des Menschen und somit linguistica von ‚ethnologisch-anatomischer‘ antropologia, ohne jedoch die ethnographische Beweiskraft der Sprachforschung in Abrede zu stellen. Sebastiano Timpanaro beschrieb den speziellen und wirkmächtigen Charakter von Cattaneos Beitrag zum philologischen Wissen mit dessen Fähigkeit, mittels seines sprachanthropologischen Modells – jenseits des Dualismus von physisch-biologischer Determiniertheit von Sprache und Sprachidealismus – ein historisches Verständnis sprachlicher und auch literarischer Prozessualität zu vermitteln: E si apprezzerà anche il fatto che il Cattaneo, a differenza degli Humboldt e di molti linguisti recenti, abbia saputo distinguere la linguistica dell’antropologia senza per questo cadere in una concezione idealisteggiante della lingua, senza contrapporre schematicamente alla naturalità della razza l’assoluta ‚spiritualità‘ del linguaggio.546

Für die Frage nach dem Beitrag der Philologie zu rassistischem und rassentheoretischem Denken ist der Lombarde aufgrund seiner klaren und weitsichtigen Aussagen zum Problem des Rassismus eine Schlüsselfigur im Diskurs. Dem Vergleich und der Hierarchisierung der Völker, ihrer Sprachen und Literaturen im epistemischen Raum der Philologie wurden durch Cattaneo immer wieder und in mehreren Schriften die axiomatischen Voraussetzungen der universellen und kognitiv gleich verfassten umanità sowie die Sprachlichkeit als universelle, in erster Linie soziale Funktion zur Übermittlung menschlicher Erfahrungen, Interessen, philosophischer und religiöser Vorstellungen entgegengesetzt. Dies würde für die Wissenschaftsgeschichte insofern relevant werden, als dass der naturwissenschaftliche Rassismus im Gefolge von Imperialismus und Kolonialismus und dessen Instrumentalisierung philologischer Narrative nach Cattaneos Tod auch in Italien seinen Höhepunkt erreichen sollte und im 20. Jahrhundert fortwirkte: Se si pensa, poi, che la confusione tra concetti linguistici e concetti razziali imperverserò nella cultura europea ancora per parecchi decenni dopo la morte del Cattaneo, per riapparire ancora in tempi recenti a sostegno delle ideologie più reazionarie, si apprezzerà tanto più il valore di quella rigorosa distinzione.547

Gleichzeitig tat sich Cattaneo als Philologe mit ethnographischem Anspruch hervor, wie Sebastiano Timpanaro in seinen beiden grundlegenden Studien zur Bedeutung des Lombarden für die Philologie betont hat.548 Es waren nämlich Cattaneos „teorie etnolinguistiche“, wie beispielsweise die These des ethnischen Substrats als Kriterium sprachlicher Differenzierung als auch sein Einfluss auf das Denken des Glottologen Graziadio Ascoli, die ihn für die Ge546 547 548

Timpanaro 1973: 264. Ebd. Dabei handelt es sich um die beiden Aufsätze „Le idee linguistiche ed etnografiche di Carlo Cattaneo“ und „L’influsso del Cattaneo sulla formazione culturale e sulla linguistica ascoliana“. Vgl. Timpanaro 1973: 229-358.

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schichte der italienischen linguistica wichtig werden ließen.549 Das philologische Wissen – wie es die empirische und vergleichende Betrachtung von Sprachen ans Licht brachte – erhielt trotz einer noch geringen Präzisierung bei der formalen Darstellung von Phasen des Wandels und der Ausdifferenzierung der Sprachen und Sprachfamilien neben Bernardino Biondelli durch Carlo Cattaneo einen Förderer und Interpreten.550 Seine Betonung des besonderen Nutzens einer Erforschung der Dialekte und Substrate führte jedoch zu anderen ‚ideologischen‘ Schlussfolgerungen als jene protobiologische Differenzierung, die Bernardino Biondelli in seinen Schriften stark machte. Und dies obwohl beide noch stark von aufklärerischer Erkenntnistheorie und den Paradigmen des Sensualismus geprägt waren. Letzterer wurde jedoch bei Biondelli durch die Rezeption des Idealismus relativiert, während Cattaneo eine eindeutig positivistische Richtung einschlug: Il Cattaneo e il Biondelli […] hanno tentato di contemperare la linguistica settecentesca con quella del primo Ottocento, verificando e sviluppando idee e teorie di stampo illuministico con la diretta osservazione dei dati empirici, e con la comparazione.551

In seiner Rezension des Atlante linguistico d‘Europa552 forderte Cattaneo daher, stets die historische Natur von Sprache im Auge zu behalten. Sprachliche und ethnische Genealogie müssten getrennt werden, sofern ihr Zusammenfallen nicht geschichtlich belegt sei: L’identità o la similitudine delle lingue prova bensì la correlazione di qualche gran vicenda istorica fra due popoli, ma non mai l’identità della stirpe.553

Es soll an dieser Stelle jedoch ergänzt werden, dass Cattaneos epistemisches ‚Abmessen‘ der Möglichkeiten philologischen Wissens nicht nur die Erforschung von Sprachen durch die linguistica, sondern auch die filologia als Textwissenschaft umfasste. Auch hier versuchte er, ethnische Genealogie von Zivilisationsgeschichte zu trennen, wenn er sich mit den Texttraditionen antiker Kulturen und deren Überresten in den Mythen anderer Völker befasste. So wagte auch er im Geiste der Zeit einen Versuch, die Ursprünge der italischen Zivilisationen philologisch zu ergründen. Diese vermutete er anhand textlicher Quellen in Persien. In seinem 1861 erschienenen Aufsatz „Le origini italiche 549

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Zur wissenschaftsgeschichtlichen Eindordnung Cattaneos durch Timpanaro vgl. auch Santamaria 1981: 70 ff. Stefano Gensini bezeichnet Cattaneo gar als „the real ‘Altvater’ of Italian language studies.“ vgl. Gensini 2013: 173. Sebastiano Timpanaro wie auch Domenico Santamaria betonen, dass Cattaneo zwar historisch-ethnographische Rekonstruktionsversuche anhand morphologischer und lexikalischer Ähnlichkeiten verschiedener Sprachen unternahm, jedoch noch nicht den Grad an Formalisierung dieses philologischen Wissens in der Darstellung der Phasen von Sprachwandel und Differenzierung von Sprachen erreichte, wie er bei Bopp, Pott und Schleicher zu finden ist. Vgl. Timpanaro, zitiert in Santamaria 1981: 80-81. Santamaria 1981: 76. Vgl. Cattaneo 1841 und 1846b in Sestan 1952. Ebd.: 633.

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illustrate coi libri sacri dell’antica Persia“ begab er sich auf Grundlage seiner bereits auf dem Gebiet der linguistica erworbenen Kenntnisse auf die textphilologische Suche nach der ursprünglichen Weisheit der Völker des „alten Italien“ („prisca Italia“). Diese vermutete er – wie könnte es nach der Widerlegung des pythagoreischen Mythos und den Beweisen für die indoeuropäische Sprachenverwandtschaft zu jener Zeit auch anders sein – weder in Italien selbst noch in Afrika, sondern im zentralasiatischen Osten: Ma è da rilevare nella lontana prospettiva dei secoli, a capo di quella arcana tradizione dalla quale abbiamo innegabilmente ricevuto il succo e il sangue della nostra lingua, il fatto splendido d’una sapienza antica, più antica di quella dell’Egitto […].554

Diese Aussagen scheinen auf textgenealogische Konstruktion ethnischer Ursprungsnarrative abzuzielen, die den Italienern nicht nur die Grundlagen ihrer Sprache, sondern auch die Fundamente ihrer Identität aus der etruskischen und römischen Mythologie als „Saft und Blut“ („il succo e il sangue“) einer alten Weisheit nahebringen wollte. Diese Weisheit könnte zusammen mit der Ethnie tradiert worden sein. Anhaltspunkte für die Ursprünge dieser Weisheit sollten nun auf philologischem Wege, jedoch nicht mehr allein mittels der linguistica in der Phonomorphologie, im „nackten Wort“ („nuda parola“), oder durch etymologische Ableitungen gesucht werden.555 Zur Zeit der Veröffentlichung jenes Artikels, den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts – als die vergleichende Mythenforschung aufkam und Max Müllers Werke in Italien rezipiert wurden – eröffnete auch die textliche Überlieferung von Mythen, Ritualen und Kulten der alten Zivilisationen der Geschichtsforschung neue methodische Wege: Dopo le origini delle nostre lingue e delle nostre superstizioni, ecco dunque le origini delle nostre filosofie; i cui primi semi vennero tramandati forse a noi nei misterii di Samotracia e d’Eleusi, nel silenzio dei Pitagorici, nell’antro d’Egeria, nelle cave querce dei Celti e dei Lituani.556

Cattaneo richtete sein Augenmerk auf Mythologie und Religion des alten Persien und besonders auf das Buch Yaçna, die ‚Anbetung‘. Dieser rituelle Text des Religionsstifters Zarathustra begleitet die zentrale Zeremonie der Zoroast554

555 556

Cattaneo 1861b: 90. Cattaneo verließ sich dabei auf die Erkenntnisse jener Orientalisten und Philologen, welche sich zuallererst mit den Schriften der alten Perser beschäftigt haben. Unter ihnen ragt als einer ihrer Pioniere der Pariser Orientreisende Abraham Hyacinthe AnquetilDuperron heraus. Dessen Übersetzung des Zend-Avesta sowie seine Beschreibungen der parsischen Religion und Kultur stellten durch die darin dargestellten neuen Erkenntnisse über die Mythologie der zentralasiatischen Völker auch für Cattaneo herausragende Leistungen zur Erweiterung des philologischen Wissens über die Ursprünge der Europäer dar. Nach Eugène Burnoufs Kommentar zu den kultischen Texten des Yaçna/Yasna und Champollions Entzifferung der Hieroglyphen, sollte Cattaneos Ansicht nach die Einschätzungen über das Alter der altpersischen Texte neu bewertet und auch für die italischen Ursprünge fruchtbar gemacht werden. Vgl. ebd.: 87-89. Vgl. Anquetil-Duperron 1771 u. 1776 sowie Burnouf 1833-1835. Vgl. Cattaneo 1861b: 93. Ebd.: 95.

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rier und stellt den wichtigsten Teil ihrer Sakralliteratur, des Avesta, dar. In seinen Kapiteln glaubte Cattaneo die bereits zu Literatur geronnene Lebenswelt der alten Perser in ihrer Bedeutung für die europäische Philosophie zu erkennen.557 Er setzte ihre Glaubenswelt daher mit der griechischen Mythologie und einigen Überlieferungen über die römische Frühzeit in Verbindung. Die persischen Texte deutete er als Zeugnisse für die Ursprünge von Narrativen der europäischen Zivilisationen, wie der Anbetung des Feuers und schließlich des Monotheismus, welche sich durch Priesterkolonien ‚herumgesprochen‘ hätten. Diese Narrative konnten sich jedoch – im Gegensatz zu den Sprachen – nur auf Grundlage einer zivilisatorisch bereits entwickelten Gesellschaft erhalten. Diese musste Ackerbau und Viehzucht als Voraussetzungen einer religiösen Gesetzgebung und einer daraus hervorgegangenen Literatur kennen, welche diese Welt erst „gemalt“ („dipinge“) 558 habe und damit als prozessual entstanden erschließbar mache. Die lettere dienten in Cattaneos erkenntnistheoretischem Konzept daher als Indikatoren eines Zivilisationsprozesses, insofern sich in ihrer poetischen und liturgischen Verwendung Sprache bereits der unmittelbaren Notwendigkeit einer rein teleologischen Dimension entzogen habe: Solo in seno a una società che avesse già compiuto la stabile conquista delle piante e degli animali, che la natura concedesse a quelle feconde regioni a prima dote dell’agricoltura e della pastorizia, potevano i popoli avere una vita ordinata e abbondevole, qual si richiede a proteggere e fomentare il genio d’una placida contemplazione. Il testo dell’Yaçna dipinge infatti il mondo prima felice e poi santo.559

Diese bereits entwickelte und geregelte Lebenswelt werde in den schriftlich fixierten religiösen Epen, liturgischen Texten, sodann Mythen und Heldenerzählungen in ihrer allmählichen Entwicklung reflektiert. Die Literarizität von Texten stellte für Cattaneo also nicht nur einen ‚geschwätzigen‘ Überschuss von Sprache dar, der letztere gefangen hielt in rhetorischer und stilistischer Sebstbezüglichkeit. Sie war auch emanzipatorischer Gradmesser und Faktor in der Zivilisationsgeschichte, der wichtige Hinweise auf die genauen Abläufe und Verbreitungswege zivilisatorischer Entwicklungen und wiederum auch auf die Herkunft eigener Denkweisen liefern konnte. Wieder ganz im Zeichen des Patriotismus, nützte die Überbringung des Wissens der alten Perser an Etrusker, Sabiner und schließlich Römer, natürlich in erster Linie dem Konstrukt eines italienischen ‚Gedächtnisses‘, welches weit über das Rom der Päpste und Cesaren hinausreichte. Dieses Erbe sei einst durch kleinere Verbände aus Persien, organisiert in Priesterkolonien, mündlich und schließlich schriftlich 557

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Zu Aufbau, Inhalt und religiöser Bedeutung des Yasna, der als primärliturgischer Text verschiedene Kanonisierungen im Kontext des Avesta erfuhr vgl. Kotwal/Boyd 1991 u. Reichelt 1968 [1911]: 168-170. Cattaneo 1861b: 95. Ebd.

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im ganzen Mittelmeerraum verbreitet worden.560 Doch an dieser Stelle warnt Cattaneo abermals vor einer ethnisch-genealogischen Deutbarkeit mündlich oder schriftlich überlieferter Narrative in Kult und Mythos. Wie schon in der Konzeption der linguistica verhinderte Cattaneos Epistemologie auch in seiner patriotischen Ausdeutung der Mythenforschung jegliche rassenlogische Spekulation. Wissen und Weisheiten – im Plural! – sind nicht an ein Volk und eine Sprache gebunden, sondern wandern in Büchern, Texten und mündlicher Überlieferung. Die Literatur ist, bildlich gesprochen, das Blut des Wissens und keine Erweiterung des ethnischen Kollektivs: Ecco adunque risplendere sulle origini italiche non solo una famiglia di lingue, ma una famiglia di legislazioni, una famiglia di sapienze. [...] No, non si può dire d’alcuna nazione che venisse dall’Irania così fatta quale apparve in Europa; ma possiamo ben supporre che si generasse nell’Europa stessa dai varii elementi che vi si scontrarono nei casi delle guerre, dei commercii, delle servitù. […] Molto meno, senza miscela coi selvaggi, avrebbero potuto costituir popoli di così diverso aspetto come sono ancora in Europa, sebbene ad ogni generazione l’elemento asiatico e l’europeo vadano sempre più mescendosi.561

Diesem kollektiven Überlieferungsprozess mythisch-religiöser Zivilisationsnarrative als einer ‚Familie des Wissens‘ entspricht also eine physische Vermischung ihrer Autoren und Erzähler. Dies zeugt von der Universalität zivilisatorischer Errungenschaften, da sie in der kognitiven Homogenität der ‚Menschlichkeit/Menschheit‘ (umanità) bewahrt werden. Obwohl Cattaneo eine polygenetische Auffassung der Sprachen vertrat und vor allem in seinen frühen Schriften von einer Sesshaftigkeit der italischen Völker ausging, überwog bei ihm innerhalb der gewaltigen Zeiträume der Universalgeschichte das Moment langsamer, aber stetiger Vermischung der Sprachen und Völker.562 560

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Obwohl indische Priesterkolonien einen Bestandteil des schlegelschen Zivilisationsmythos bilden, interpretiert Cattaneo sein ‚persisches Narrativ‘ einer missionarischen Verbreitung der Weisheit unter den Völkern des Mittelmeeres aus Vicos Sematologie eines göttlichen und schließlich heroischen Zeitalters. Der Auftrag des Gottes Ahura Mazda an Zoroaster als poetischen Charakteren erzähle von der Missionierung des mythischen Europa vor den Philosophien der Antike: „Come la Roma dei Cesari precede la Roma dei Papi, così l’eroe Yima, Yima il glorioso (Yima Kchaeto, il Gemshid dei poeti persiani), e Feridun e Rustan e Kekobad e altri eroi precedono ‘l’astro d’oro’; ché così suona il nome e soprannome di Zoroastre o Zarathustra, il pontefice nel cui nome regnano i magi, l’eletto fra tutti i mortali a salire al cospetto della sapienza e udir la sua parola: - ‘O Zoroastre! Io, che sono Oromanza, dissi: O puro Yima, compi la mia legge, medita, insegna al mio popolo. [...] E gli pose in mano una spada, la lama della quale era d’oro, l’elsa della quale era d’oro. Il re Yima la impugnò; e allora il re Yima s’inoltrò per trecento terre. E quelle terre si empirono d’animali domestici e d’armenti e d’uomini e di cani e di volatili e di fuochi rutili e fiammeggianti.’ Questo procedere di terra in terra svela quel genio fondatore di colonie sacre e rituali che poi si vide negli Etruschi, nei Sabelli, nei Romani.“ Ebd.: 95-96. Ebd.: 91-92. Cattaneo war Anhänger der Agglutinationstheorie immer komplexer und enger werdender Zusammenschlüsse von Wurzelwörtern sowie Vertreter einer polygenetischen Sprachursprungshypothese organisch sich von vielen geographischen Zentren aus entwickelnder Sprachen. Auch nahm er den schuchardtschen Gedanken der Elementarverwandtschaft zwischen

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Verschiedene tipi mentali, die anhand der Sprachen dargestellt werden könnten und Prämissen zivilisatorischer Leistungen wie Sprache, Schrift und Literatur darstellten, waren in Cattaneos Zivilisationsgeschichte nicht vorgesehen. Die vergleichende Betrachtung philologisch relevanter Erzeugnisse menschlicher Kollektive musste für ihn historisch kontextualisiert, unter Wertschätzung und Anerkennung der zivilisatorischen Fruchtbarkeit von Differenz und Vermischung geschehen. Kulturelle oder physische Differenzen relativierten keineswegs die Universalität des pensiero universale, seine historische und viellogische Komplexität, die zu Fortschritt, aber auch Barbarei führen konnte und kann, sondern machten diese Universalität erst sichtbar. Cattaneos spätere Schriften zu philologischen Themen, wie die eben vorgestellte zu den persischen Ursprüngen der mediterranen Weisheit, sind ebenso von diesem universellen Menschheitsbegriff geprägt, wie es seine früheren Überlegungen zu Vico und Romagnosi waren. Die epistemische Grundierung, die Cattaneo einst von seinem Lehrer übernommen hatte, bestimmte seine Schriften also noch zu Zeiten seines Exils in der Schweiz, als er sich ab 1850 verstärkt auf naturwissenschaftlich-anthropologische Fragestellungen mit Tendenz zur Psychologie konzentrieren wird.563 In den nächsten Kapiteln soll nun an konkreteren Beispielen diskutiert werden, wie die hier dargestellte epistemische Grundierung verschiedene Argumentationszusammenhänge von Cattaneos philologischen Schriften bestimmte.

4.1. Alter und moderner Orient: Philologische Faktoren im universellen Zivilisationsprozess Besonders der sozialen Funktion von Sprache und Literatur als Vermittlern und Speichern des Wissens, kam in Cattaneos philologischer Epistemologie große Bedeutung zu: Die Sprachlichkeit des langsam sich aus der Barbarei entwickelnden Menschen musste stets auch im Hinblick auf ihre zivilisatorische Funktion hin untersucht werden, nämlich die Eignung für demokratisches Handeln und gesellschaftlich wirksamen Ideenaustausch. Durch diesen Austausch werde der Zivilisationsprozess in Gang gesetzt und am Laufen gehalten, egal ob dieser Prozess mit friedlichem Handel oder militärischer Eroberung einherging.564 Denn alle Völker und Nationen durchliefen in ihrer Geschichte Phasen der Barbarei und Phasen der Zivilisation, Phasen der Knechtschaft und Phasen der Herrschaft, ohne deshalb in einem dieser Zustände ver-

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den Sprachen vorweg, welche aus der menschlichen Natur entspringe. Als epistemologische Hintergründe für Cattaneos Sprachursprungshypothese wurden von Timpanaro neben Epikur und Vico, besonders Giandomenico Romagnosi und Melchiorre Cesarottis Saggio sulla filosofia delle lingue als entscheidende Einflüsse erkannt. Vgl. Cesarotti 1800: 9-10 sowie Timpanaro 1973: 273-275. Vgl. Santamaria 1981: 74-75. Vgl. Timpanaro 1973: 273-275.

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harren zu müssen. Dies habe bereits für Vico ein „principio naturale“ der menschlichen Geschichte dargestellt: Vico, dopo ch’ebbe scoperto nelle istorie della Grecia e di Roma un procedimento comune, lo riputò principio naturale di tutto il genere umano; e lo circoscrisse a un ricorso perpetuo d’emancipazioni che dalla omerica violenza conducono le genti all’equità civile, onde poi per la curva d’un inevitabile corruttela, e quindi d’una recidiva barbarie, s’inaugura una nuova carriera d’emancipazioni.565

Über den Wert einer Sprache konnte daher für Cattaneo allein nach dem Grad ihrer Funktionalität für den kommunikativen Austausch und ihrer Effizienz bei der Verbreitung von Ideen innerhalb eines gesellschaftlichen Kollektivs geurteilt werden. Diese Ideen umfassten zwar im utilitaristischen Sinne in erster Linie technische Entwicklungen in Bereichen der Infrastruktur, der Ökonomie, der Landwirtschaft und des Bildungsstandes der Bevölkerung, beeinflussten aber auch den Grad an interner und externer Souveränität dieser Gesellschaft durch Partizipation am Ideenaustausch. Cattaneos Lehrer Romagnosi konzipierte Sprache in erster Linie als kommunikatives Mittel, das vorsprachliche Erfahrung für die Gesellschaft nutzbar und partizipativ erfahrbar machte. Der utilitaristische Funktionskontext von Cattaneos Sprachauffassung politisierte dieses pragmatische Sprachverständnis seines Lehrers weiter und reflektierte dabei noch stärker jenes Mittel Sprache, das doch für die Emanzipation eines Volkes oder auch einer Bevölkerung so wichtig zu sein schien. Dies hatte den Nebeneffekt, dass jegliche mystische Verklärung von Grammatik und Lexik ‚ideologisch‘ komplexer bewerteter Sprachen, wie sie beispielsweise die Erforschung des Sanskrit seit Schlegels Indienprojekt begleiten konnte, abgewiesen wurde. Der Mythos von der Erhabenheit des Sanskrit war Cattaneos Ansicht nach für die ‚orientalische Gegenwart‘ bedeutungslos, da die gesellschaftliche Funktion dieser Sprache der Situation im Indien des 19. Jahrhunderts nicht mehr gerecht werden konnte. Ausgehend von der oben zitierten Anspielung auf Giambattista Vico wagte Cattaneo in diesem Sinne einen kühnen Vergleich zwischen indischem Subkontinent und italienischer Halbinsel. Dabei meinte er, Ähnlichkeiten in der geographischen und klimatischen Situation, aber auch im Zivilisationsprozess der beiden „Halbinseln“ („penisole“) zu erkennen, welche durch zahlreiche ethnische Einflüsse geprägt seien.566 Mit diesem Plädoyer für eine solidarische 565 566

Cattaneo 1845b in Sestan 1952: 783. „La penisola indostanica rammenta sotto certi aspetti naturali, sebbene con superficie dieci volte maggiore, l’Italia.“ Cattaneo 1845b in Sestan 1952: 784. Cattaneo vergleicht darauf Gebirge, Flüsse, Hochebenen und Nachbarländer. Anschließend kommen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der klimatischen Bedingungen zur Sprache, welche in der Landwirtschaft – einem der wichtigsten vicoschen Zivilisationsfaktoren – völlig verschiedene Auswirkungen zur Folge gehabt hätten. Nebenbei ist zu bemerken, dass Cattaneo an der Entstehung der indischen Hochkultur semitische Einflüsse, nämlich den Austausch mit phönizischen und arabischen Händlern beteiligt sah. Deren Handelskolonien auf dem Westteil des Kontinents hätten – ähnlich wie an den italienischen Gestaden die Ausbreitung der Etrusker – zivilisationsför-

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Auseinandersetzung der Italiener mit den ‚modernen‘ – und nicht den ‚alten' – Indern eröffnete Cattaneo seinen Aufsatz „Sull’imperio indo-britannico“, der 1845 in der liberalen Mailänder Zeitschrift Rivista Europea erschien und unter dem Titel „Dell’India Antica e Moderna“ wiederveröffentlicht wurde.567 In diesem Dokument zeitkritischer Betrachtung ‚orientalischer Verhältnisse‘ versuchte Cattaneo, jene Faktoren ausfindig zu machen, die zu jener „Bewegungslosigkeit“ („immobilità“) Indiens geführt hätten, die jeglichen Fortschritt verhindere und die Souveränität eines ganzen Volkes gefährde. Vicos universelle Bewegung des Zivilisationsprozesses, seine „Formel“ („formula“) der Zivilisation, scheint nämlich für das moderne, in britischer Knechtschaft gehaltene Indien zu einem Halt gekommen zu sein: Ma questa sua formula non porge il filo dell’incivilimento indiano, nel quale, in luogo delle successive trasformazioni, regna il principio d’una ferrea perpetuità, come se la natura umana fosse colà costrutta d’altri elementi.568

Natürlich lag die Rückständigkeit des modernen Indien für Cattaneo nicht an der Andersartigkeit seiner Bevölkerung, der „einzigartigen Natur der indischen Nation“ („natura singolare della nazione inda“)569, denn die menschliche Natur sei ja überall und immer durch perfettibilità ausgezeichnet. Die fortschrittshemmenden Faktoren, unter denen diese Nation zu leiden habe, seien anderer Art und beträfen dennoch nicht nur in erster Linie die britische Fremdherrschaft, sondern – man bedenke die vom Demokraten Cattaneo aufgerufene Parallele zu Italien – die innergesellschaftliche Bevormundung des Großteils der indischen Bevölkerung durch die Priesterkaste der Brahmanen.570

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dernd gewirkt: „Come nei primi tempi si diffuse sui lidi d’Italia la civiltà etrusca, così su le rive occidentali dell’India approdarono in cerca di perle e d’altre dovizie i Fenici, o Arabi marittimi […].“ Ebd.: 786. Vgl. Cattaneo 1845a u. Cattaneo 1845b in Sestan 1952: 783-826. Zur Vertiefung der Thematik des kolonialisierten Indiens im zeitgenössischen, europäischen Diskurs vgl. den Hinweis in Sestan 1952 auf Cattaneos Referenzartikel von Auguste Barchou de Penhoen („Histoire de la conquête et de la fondation de l’Empire Anglais dans l’Inde“, 1841 sowie „L’Inde sous la domination anglaise“, 1844), Eduouard de Warren („L’Inde anglaise en 1843“, 1844) und G. D. Romagnosi („Note alle Ricerche istoriche sull’India antica del Robertson“, 1827), welche sich ebenfalls mit der britischen Kolonialherrschaft und der Situation des modernen Indien auseinandersetzten. Vgl. Sestan 1952: 783 unten. Cattaneo 1845b in Sestan 1952: 783. Ebd. Cattaneo bezog sich hier explizit auf Romagnosis ‚Antimystizismus‘ in dessen Ricerche storiche sull’India antica sowie in dessen Delle leggi dell’incivilimento, wenn er die Vergöttlichung der Natur gleichsetzte mit einem Hindernis für jegliche naturwissenschaftliche Erkenntnis, also auch für Fortschritt, da letzterer der Entmachtung jener Elite gleichkäme, welche die Deutungshoheit über die Geheimnisse der Natur innehabe. Im Falle Indiens also der Kaste der Brahmanen: „Ma, come osserva l’illustre Romagnosi, queste dottrine delle potenze naturali, dopo aver vestito li astri coll’imponente maestà d’esseri intelligenti e dominatori, dovevano bentosto proscrivere come nociva ogni cognizione che potesse spogliarli delle qualità e delli [sic] onori loro attribuiti; perloché, occultati i principii e le ulteriori scoperte, le dottrine arcane dei sacerdoti si divisero sempre più dalle popolari. – Per tal modo le dottrine che avevano dato il primo impulso alla cultura, divennero ben presto ostacoli ad ogni progre-

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Denn diese halte ein mächtiges Unterdrückungsinstrument in Händen: Das ‚altehrwürdige‘ Sanskrit. Neben der Instrumentalisierung von Wissen für die Aufrechterhaltung einer starren Sozialstruktur und der Instrumentalisierung dieser Instrumentalisierung durch die Briten, die Indien unter dem Vorwand der Modernisierung in bewusster Rückständigkeit und Abhängigkeit hielten, sei es eben auch die Sprache und Schrift der brahmanischen Elite, welche einen zivilisatorischen Wissensspeicher zu einem sozialen Exklusionsfaktor mache und eine demokratische Wissensvermittlung untergrabe.571 Cattaneo ruft daher in seinem Artikel dem Leser noch einmal die bekannten Erkenntnisse über die Verwandtschaft des Sanskrit mit dem Persischen und zahlreichen antiken und modernen europäischen Sprachen ins Bewusstsein. Weiter folgte er in einem Absatz zur Schrift der Brahmanen dem zeichentheoretischen Dreischritt der Aufklärung aus hieroglyphischen, ideographischen und phonetischen Zeichen. Er verlegte die Entstehung des verschriftlichten Sanskrit von diesem Modell ausgehend in eine jüngere Zeit als diejenige der vermeintlich rein ideographischen Zeichen des Chinesischen oder gar der ägyptischen Hieroglyphen.572 Doch nicht auf diese philologischen Spekulationen und Diskussionen über die historische Größe und Überlegenheit der Sanskritsprache oder die Vorzüge der Lautschrift kam es ihm im Falle der indischen Zivilisation eigentlich an. Cattaneo wechselte scharfsinnig seine Perspektive, was auch den heutigen Leser überrascht, der mit den epistemologiekritischen Machttheorien Foucaults und Gramscis lange vertraut ist. Vom Zivilisationshermeneutiker eines ver-

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dimento.“ Ebd.: 785-786 sowie zu den Hinweisen auf Romagnosis Artikel vgl. ebd.: 785, FN 3. Cattaneo stand zwar bestimmten Neuerungen in Tradition und Gesellschaft durch die Kolonialherren prinzipiell positiv gegenüber, betonte aber gleichzeitig deren stets vorrangiges Eigeninteresse, welches letztlich im Vorenthalten wirklich nutzbringenden Wissens durch eine „heuchlerische Wissenschaft“ in den religiösen Sanskrit-Kollegien von Benares und deren „vergiftete Moral“ der religiösen Sittenstrenge jegliche ‚inneren‘ wie ‚äußeren‘ Emanzipationsbestrebungen der indischen Bevölkerung verhindere: „Ma l’Inghilterra, se da una parte spegne i roghi delle vedove, ed estermina [sic] le scellerate bande dei Pindarri e dei Fansigari, dall altra essa rattiene i suoi missionarii, e protegge nei collegi di Benares la trasmissione d’una scienza mendace, d’un illimitata rassegnazione, d’una morale avvelenata.“ Ebd.: 826. Zur Aktualität dieses Gedankens eines ‚philologischen Kolonialismus‘ in seinen Auswirkungen auf das heutige Indien vgl. Nair 2013. Vgl. ebd.: 788. Cattaneo führte diesen Gedanken ausführlicher in seiner Rezension von Biondellis Atlante linguistico d‘Europa aus, als er nach einer zivilisatorischen ‚Primogenitur‘ der semitischen oder indoeuropäischen Schriftsysteme fragte: „La oscurità è grande; ma questo sembra certo, che gli ieroglifi [sic] abbian dovuto precedere agli altri modi di perpetuar la parola; ora, gli ieroglifi si collegano strettamente coi nomi figurati e coll’ordine fortuito dell’alfabeto fenicio, del quale furono senza dubio [sic] presi i più antichi alfabeti europei. In alfa, beta, gamma, delta, i Greci ripeterono, senza intendere, le parole semitiche alef, beth, gimel, delth, cioè bue, casa, camello [sic], porta, che i Latini ridussero alla positiva e pura rappresentanza dei suoni a, b, c, d, senza però rifonder l’ordine dell’originale semitico. Al contrario l’alfabeto sanscrito, col suo bellissimo ordine scientifico, colle molte sue vocali, co’ suoi nomi strettamente desunti dai suoni ch’esprimono, col suo procedimento da sinistra a destra, palesa l’opera d’un età più tarde e riflessiva.“ Cattaneo 1846b in Sestan 1952: 624.

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gangenen ‚Orient‘ wird er zum Kritiker philologischer Hegemonie im modernen Indien. Den Pädagogen Cattaneo interessierten nicht die Vorteile alter Weisheit für Europa, sondern die Vorteile, welche die Elite der indischen Gesellschaft als ‚Beherrscher‘ des Diskurses aus Deuten, Sprechen und Schreiben des Sanskrit immer noch zu Lasten demokratischer Entwicklung zogen. Nicht die teleologische, sondern die hegemoniale Funktion ist es, in welcher die gesellschaftliche Relevanz einer altehrwürdigen Sprache für Cattaneo bestand und auf die er den Leser aufmerksam machte. Das Sanskrit sei allein schon durch die Exklusivität seiner schriftlichen Verwendung im religiösen Bereich künstlich – also aus menschlichem Interesse – ‚esoterisiert‘ und mystifiziert worden. Der Priester als hermeneutisch ‚bevollmächtigter‘ Philologe und Kenner der eigentlichen Bedeutungen alter Zeichen und Sprachen, als ein pädagogischer Wissensvermittler, wird für Cattaneo zum Unterdrücker, sobald er die Kunst des Deutens dem Laien ‚eifersüchtig‘ mit metaphysischen Begründungsversuchen vorenthält. Die Sanskrit-Sprache sei nur noch ein perfides Machtinstrument, da sie weder in Form profaner Inschriften, die zumindest theoretisch für jeden les- und deutbar wären, noch in der demokratischen Verbindlichkeit der Gesetzestexte zugänglich sei: Anzi, pare che i bramini ne facessero un’arte secreta e gelosa, poiché non posero iscrizioni sui publici [sic] monumenti; e ancora ai tempi di Megastene non avevano dato al popolo leggi scritte. E ancora oggidì professano che i sacri libri di Brama fossero per più generazioni trasmessi a voce, e solo assai tardi si riducessero a scrittura.573

Sprache, Schrift und Literatur als Instrumente der Vermittlung und Orte der Speicherung von Wissen wurden von Cattaneo also – unabhängig von der historischen Stichhaltigkeit der oben getroffenen Aussagen – in der gesellschaftlich geprägten und prägenden Funktion für ihre Sprecher betrachtet, was sie im Falle des Sanskrit zu einer „arte secreta e gelosa“ der Elite machte.574 Daher war die alte Brahmanensprache für Cattaneo nur noch ein kollektives Distinktionsmerkmal und Zeichen der Überlegenheit ihrer sich als Lehrmeister gerierenden Kaste. Dem restlichen indischen Volk komme jedoch nicht die Rolle des Schülers, sondern des gehorchenden Bewunderers zu, der im ‚Frontalunterricht‘ hört, verehrt und unkritisch akzeptiert, ohne das Gehörte nach inhaltlichen Kriterien hinterfragen oder gar vermitteln zu können. Er muss im Diskurs stumm bleiben.575 Religionskritik gesellschaftliche Emanzipation bliebe

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Cattaneo 1845b in Sestan 1952: 788. Cattaneos historische Quellen für diese Aussage waren tatsächlich etwas weniger aktuell, als seine zeitkritische, politische Analyse der Situation auf dem indischen Subkontinent. Neben Paolino da San Bartolemeos Systema Brahamanicum liturgicum. Mythologicum, civile von 1791 berief sich Cattaneo auf Fragmente des griechischen Historiker Megasthenes (ca. 350290 v. Chr.). Vgl. ebd.: FN 1. Inwieweit sich in dieser Argumentationsfigur und in diesem kolonialismuskritischen Verständnis von Sprache bereits die Frage nach der Stummheit des Subalternen aufdrängt, wie

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den anderen Kasten dadurch verwehrt. Eine Parallelkritik an der italienischen Situation, am Kirchenlatein und seiner Verwendung in der katholischen Liturgie des 19. Jahrhunderts im Kontext der bereits erwähnten hohen Analphabetenrate im damaligen Italien drängt sich hier natürlich auf. An der aktuellen gesellschaftskritischen Relevanz, welche dieser ‚reformatorische‘ Aufruf zur Kritik an einem philologischen Mythos jenseits des indisch-italienischen Kontexts bereithält – jener demokratischen Forderung nach Bildung und Chancengleichheit für die gesamte Bevölkerung –, ändert eine religions- und kirchenkritische Primärintention nichts. Eine ähnliche Argumentationslinie wird auch in Cattaneos Beschäftigung mit dem ‚noch ferneren Orient‘ deutlich. Diesmal jedoch nicht in Form einer Entmystifizierung, sondern als Entmächtigung negativer Narrative der Philologie über Sprache und Schrift einer nicht-europäischen Zivilisation. In seiner Rezension von Biondellis Atlante tendierte Cattaneo noch zur aufklärerischen These von der ethnischen und sprachlichen Isolation der chinesischen Zivilisation, deren Sprache und Schrift, „zerbrochen in Einzelteile und nicht gebunden mittels Wortbeugungen und nicht einmal mittels Affizierungen“ („spezzata in elementi e non agglutinata colle inflessioni e nemmeno cogli affissi“), alle Anzeichen „höchsten Alters“ („altissima vetustà“) aufweise576. Dies sei der geographischen Lage des chinesischen Reiches geschuldet: Poiché presso quella nazione, tanto il principio della scrittura, quanto quello della lingua, ancora spezzata in elementi e non agglutinata colle inflessioni e nemmeno cogli affissi, perpetuarono uno stato di cose che, mentre non si palesa desunto dall’indopersico né dal semitico, mostra tutti i segnali d’una altissima vetustà. E si svolse nel seno d’una stirpe che per lungo tempo si sottrasse ad ogni mescolanza tanto corporea quanto intellettuale, poiché divisa dal rimanente del mondo per inabitati altipiani e per mari non ancora navigati.577

Cattaneos Betrachtung der chinesischen Sprache geschah hier noch nach dem Maßstab exemplarischer Fortschrittsgeschichte der Aufklärung und führte zurück zu einem Universalismus der ‚Entwicklungsgrade‘. Die Anfänge der chinesischen Zivilisation wurden weit zurückdatiert, ohne sie jedoch als primitiv zu hierarchisieren, sondern vielmehr Respekt vor der historischen Vielfalt zeigen. Dies sollte einige Jahre später, kurz nach Ende der beiden Opiumkriege im Jahr 1860, in einer anderen Schrift deutlich werden. Als Cattaneo in seinem Essay über „La China antica e moderna“, von der chinesischen Zivilisation schrieb, betrachtete er sie nicht mehr aus der Perspektive jenes philologischen Narratives der Aufklärung, jener statischen Isolation in einem eigenen Raum

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sie Gayatri Spivak ca. 150 Jahre später explizit stellen wird, wäre eine eigene Studie wert. Vgl Spivak 1988. Cattaneo 1846b in Sestan 1952: 638. Ebd.

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der Geschichte, gefördert durch eine ‚vereinzelnde‘ Sprache und Schrift.578 Wie im Falle Indiens zweifelte Cattaneo in Anbetracht verstärkter Kolonialbestrebungen im Reich der Mitte vielmehr an der Zivilisiertheit der Europäer und fragte, „weniger getrübt von heimischen Illusionen“, nach den „geheimen Gründen, durch welche trotz ihrer Bevölkerungszahl, ihrer Zivilisiertheit und ihres Reichtums, eine Nation sich in den Strudel von Ohnmacht und Sklaverei ziehen lassen kann“579. Wie sollte jedoch nach den Gründen für diese hegemoniale Asymmetrie gefragt werden, ohne dass der europäische Blick gleich von seiner eigenen Superiorität ausging? Denn Cattaneo wies darauf hin, dass selbstverständlich auch das territorial und demographisch schon damals gewaltige China eine enorme Teilhabe an der universalhistorischen Dynamik des internationalen Austauschs der Völker durch Handel, Eroberung und Reisen hatte. Diese habe zu einer reichen, alten und mächtigen Zivilisation mit hoch entwickelter Sprache und Schrift sowie zu einem großen Kanon literarischer Meisterwerke der Philosophie und Dichtung geführt, dem zu Unrecht das Prädikat der Statik aufgeprägt wurde.580 Historische Dynamik sei vom Beginn der chinesischen Geschichte an nachweisbar, da doch seit dem ersten Kaiser ein chinesisches Großreich durch die gewaltsame Vereinigung zahlreicher Völker zu einer Nation, einer Kultur mit einer Sprache und Schrift zusammengefasst werden musste: Chi reputa immobile la Cina, se consulterà le istorie, la vedrà in agitazione continua. La vedrà dissodare primieramente un vasto territorio, arginare fiumi, scavar canali, diffondere lungo le mille valli dei due fiumi colonie d’agricultori [sic], città innumerevoli; assorbire le tribù barbare dei monti; abbracciar tutti i suoi popoli in una sola civiltà col vincolo d’una sola lingua; inventar leggi, arti e scrittura; e tuttociò quando l’Europa stava pertinacemente selvaggia e impotente. Poi scomporsi in più regni federati; e in quella comparativa libertà svolgere popolari e vari filosofie; poi rannodarsi, or in un imperio, ora in due, il Catai e il Mangi di Marco Polo: soffrir come l’Italia due volte la conquista dei barbari; la prima volta cacciarli; la prima e la seconda ammansirli e aggregarli alla sua civiltà. Intanto un assiduo lavoro mentale propagava da una parte la filosofia socratica di Confucio, la filosofia astratta di Lao Tse, la metafisica in veste teologica dei Buddisti […].581 578 579

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Vgl. Cattaneo 1861a. „[…] in ampie proporzioni, e in prospettiva meno intorbidata da domestiche illusioni, le arcane cause per le quali, nulla ostante il numero e la civiltà e la ricchezza, una nazione può lasciarsi trarre nel vortice dell’impotenza e della servitù.“ Ebd.: 199. Der Reichtum der chinesischen Literatur sei beeindruckend und könne nur damit erklärt werden, dass daran ein großes Volk kontinuierlich und in gewaltigen Zeiträumen gearbeitet habe, ohne den „tiefen und kontinuierlichen Unterbrechungen“ durch andere Völker ausgesetzt gewesen zu sein, wie sie für europäische, kleinasiatische und afrikanische Völker geltend gemacht werden könnten: „La letteratura cinese è d’una ricchezza, che parrà incredibile a chi non pensi ch’è l’opera continua d’una numerosa nazione, la cui civiltà, nel corso di cinquanta secoli, non ebbe alcuna di quelle lunghe e profonde interruzioni che afflissero l’Italia e la Grecia, e spensero interamente i Fenicj e li Egizj.“ Cattaneo 1861a: 218. Ebd.: 221-222.

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Was Europäer die Statik der chinesischen Zivilisation nannten und aus einem unzureichenden Schriftsystem und einer zu komplexen, da zu wortreichen, Sprache ableiteten, sei vielmehr die Kontinuität sozialer und kultureller Stabilisatoren der chinesischen Zivilisation als einer sehr erfolgreichen Gesellschaftsordnung. Diese Stabilisatoren hätten China zu denselben und noch größeren technischen, militärischen und philosophischen Leistungen befähigt als die europäischen Völker und Nationen. Auch wenn der Vergleich zwischen Buddhismus und Metaphysik, abstrakter Philosophie und Taoismus sowie sokratischer Philosophie und Konfuzianismus etwas eurozentrisch perspektiviert erscheint, zeugt er doch von der demokratischen Intention, die dahinter stand: Wissen ist überall in seiner Komplexität aus einer individuellen Erfahrungswelt der Umgebung, doch immer vor demselben Horizont ‚allzumenschlicher‘ Fragestellungen entstanden. Und doch sei diese Jahrtausende währende, immer wieder erfolgreich verteidigte gesellschaftliche Stabilität ein ‚vergifteter Apfel‘ gewesen. Dessen zentralisierendes, vom Pekinger Herrscher gesteuertes Prinzip habe zwar zu einem perfekt funktionierenden System, einer durchhierarchisierten Gesellschaftsordnung, geführt. Doch konnte es sich allein in seinem „expansiven Geist“ („spirito expansivo“) durch Eroberung großer Gebiete weiter entwickeln. Den „Erfindergeist“ („spirito inventivo“) des Einzelnen habe es jedoch unterdrückt und die Gesellschaft in vorgeschriebenem Ritus und Zeremonie erstickt.582 Nicht eine chinesische Rasse, oder ein chinesischer Geist, oder die Sprache als Mittel der Kommunikation, sondern die gesellschaftspolitische Rigidität der Form habe die Chinesen schwach gegenüber den Europäern werden lassen. Da die Anpassung an soziale ‚Umgangsformen‘ das Denken des Einzelnen durch Institutionen wie Familie, Schule und Militär in allen Bereichen ‚von oben‘ beherrsche, werde die Kontinuität dieser Formen bewahrt. Dies sei jedoch um den Preis jeglicher Spontaneität geschehen, die allein der Freiheit des Individuums von familiären und staatlichen Zwängen entspringe: È più da filosofo il credere che i riti e le cerimonie e le altre istituzioni artificiali repressero nei Chinesi [sic] la forza geniale e spontanea.583

Die Stärke der Europäer sei an deren Fähigkeit gebunden, in langen gesellschaftlichen Kämpfen und Kriegen (endlich) Strukturen geschaffen zu haben, die es dem aufgeklärten Individuum ermöglichten, einen gewissen Freiraum an Entfaltungsmöglichkeit im privaten – im besten Falle auch im staatlichen – Raum für sich zu beanspruchen. Hier entschuldigte Cattaneo tatsächlich zusammen mit der Aufklärung den Kolonialismus „mittels Waffen und Handel“ („per forza d’armi e di commercio“)584 zur Stärkung des chinesischen Volkes, indem er sich vom Einfluss britischer Ideen auf die starre Gesellschaftsord582 583 584

Vgl. ebd.: 221. Ebd.: 222. Ebd.

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nung des Kaiserreiches eine Dynamisierung der Verhältnisse erhoffte. Chinesische Familien sollten aus der Pflicht zu Ritual und Staatsdienst entlassen, die Frau, welche durch übertriebenes Patriarchat und die Polygamie der Adelsklasse unterdrückt sei, in eine bessere Stellung innerhalb der Familie gebracht werden. Weiter seien rechtlich zugesichertes Privateigentum ohne Zugriff des Fürsten und eine Vereinfachung der Schrift in den Schulen wünschenswerte Entwicklungen. Trotz dieser sehr großspurigen napoleonischen Zivilisationshoffnung durch die Emanzipation des freien Bürgertums, relativierte Cattaneo den Mythos vom essenziell statischen China, wie ihn Philosophie und Philologie sowie die europäischen Geschichtsbücher perpetuierten.585 Diese Richtigstellung eines Wissensdiskurses kann durchaus als Aufdecken einer aufklärerischen ‚textual attitude‘ über den fernen Orient bezeichnet werden. Auf philosophischer Ebene machte Cattaneo dies auch in seinen unter dem Titel Frammenti veröffentlichten historischen Überlegungen zu einer Universalgeschichte deutlich.586 Dabei nahm er explizit Bezug auf Hegels Philosophie der Weltgeschichte und den ersten Band des Lehrbuchs der Universalgeschichte, das vom konservativen Historiker Heinrich Leo, späterem Mitglied des preußischen Herrenhauses, verfasst wurde.587 In diesen Werken werde, so Cattaneo, die unhaltbare Argumentationsvorlage geschaffen, einzelne Völker kategorisch von den Zivilisationsprozessen auszunehmen, wie dies Hegel und Leo mit China und Indien versucht hätten. Die fundamentale Bedeutung einer axiomatischen Unüberwindbarkeit der hegelschen Enthistorisierung bestimmter Teile des Orients in all ihrem Gegensatz zu Cattaneos Epistemologie der Geschichte wird deutlich, wenn man die tautologische Argumentation des Berliner Philosophen direkt betrachtet. Dieser begründete sein Herausnehmen der Inder und Chinesen aus der Geschichte mit der Unfähigkeit des chinesischen, aber auch des indischen Volkes zu Freiheit als eigenständiger „Reflexion in sich“. Diese Statik des Kollektivs determiniere wiederum in letzter Kon585 586 587

Vgl. Sabetti: 480. Frammenti d’istoria universale. Vgl. Cattaneo 1846c in Sestan 1952: 827-846. Vgl. Leo 1835. Zu Cattaneos genauen Kritikpunkten an Heinrich Leos Auffassung von Geschichtlichkeit unter Exklusion bestimmter Völker vgl. dessen Rezension zum ersten Band von Leos Lehrbuch mit dem Titel „Dell’Evo Antico“. Vgl Cattaneo 1840a: insb. 7-8. Der Liberale Cattaneo als Autor der Interdizioni Israelitiche (vgl. Cattaneo 1860 in Sestan 1952: 361-484) musste Leo auch in anderer Hinsicht als ideologischen Gegner wahrnehmen, da letzterer gerade in den jüdischen Emanzipationsbewegungen durch rechtliche Gleichstellung eine Gefahr für die etablierte, gesellschaftliche Ordnung der Restaurationszeit erkannte: „In seiner romantischen Vorliebe für das Mittelalter, in seiner konservativen Verehrung für einen ‚organisch‘ christlichen Ständestaat mußte Leo die Entwicklung zu einer liberal-bürgerlichen und ansatzweise demokratischen Gesellschaft als vollständiger Irrweg erscheinen. Die Emanzipation der Juden war sichtbarer Ausdruck des Modernisierungsprozesses und wurde deshalb abgelehnt.“ Hoffmann 1988: 71-72. Die Schriften Heinrich Leos weisen durchaus antisemitische Tendenzen auf, die sich durch die Betrachtung jüdischer Religionszugehörigkeit als unüberwindbare „Völkerscheide“ (vgl. Hoffmann 1988: 68) im hier definierten Sinne als rassistisch, da essenzialisierend und hierarchisierend qualifizieren lassen. Vgl. ebd.: 56. Zu Heinrich Leo vgl. Engelmann 1953: 117 sowie die Monographie von Maltzahn 1979.

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sequenz jedes Individuum als materiellen Teil dieser Völker, da dessen Denken elementar und „ohne Subjectivität“ sei. Dies bedeutet, dass dem Individuum Substanz und sein Substantielles, seine „Sittlichkeit“, immer ein Äußeres bleibt, ohne dass es allein aus eigener Kraft in Freiheit zum sittlichen Subjekt werden könne. Freies Nachdenken sei ihm durch diese fehlende Entfaltungsmöglichkeit nicht möglich und es bliebe von Despotie und Unterordnung durch Könige, Kaiser oder ‚reflektiertere‘ Kolonialherren abhängig. Volk und Individuum als konstitutiver Teil des Volkes werden in dieser Argumentation in eins gesetzt: China und Indien liegen gleichsam noch außer der Weltgeschichte, als die Voraussetzung der Momente, deren Zusammenschließung erst ihr lebendiger Fortgang wird. Die Einheit von Substantialität und subjectiver Freiheit ist so ohne Unterschied und Gegensatz beider Seiten, daß eben dadurch die Substanz nicht vermag zur Reflexion in sich, zur Subjectivität, zu gelangen. Das Substantielle, das als Sittliches erscheint, herrscht hier somit nicht als Gesinnung des Subjects, sondern als Despotie des Oberhaupts.588

Für Cattaneo dagegen gibt es auch in autokratischen Gesellschaften kein Individuum ohne Gesinnung als Subjekt und schon gar kein Volk, welches deshalb außerhalb der universellen Dynamik der Geschichte stünde. Geschichte und freie Sittlichkeit entstünden zwangsläufig durch die ‚Geschichten‘ des menschlichen Zusammenlebens und der menschlichen Natur als allein schon geschichtsträchtiger Essenz, ob nun regiert oder reflektiert. Auch ein gehemmter Zivilisationsprozess mache das durch ihn betroffene Volk einer geschichtlichen Betrachtung würdig, da dies eine weitere, interessante Erscheinungsform der umana natura sei, die man immer auf Ursachen zurückführen könne, die außerhalb des geknechteten Subjekts liegen: Benché dunque Hegel abbia giudicato estra-istoriche molte nazioni, e Leo ponga fuori dell’istoria persino i Chinesi, noi crediamo degno argomento d’istoria ogni modo d’essere dell’umana natura nei popoli, e anche quelle cagioni qualunque siano che produssero la loro immobilità.589

Diese Zurückweisungen eines exklusiven Geschichtsbegriffs bei der Betrachtung orientalischer Zivilisationen sollen an dieser Stelle in Kontrast gesetzt werden zu einer weniger ‚demokratischen‘ Aussage Cattaneos. Diese ließ selbst bei jenem Verfechter des historischen und philologischen Pluralismus eine Relativierung des zivilisatorischen Universalismus und dessen hierarchisierende Tendenz zutage treten, sobald dieser Universalismus einem nationalistischen Kalkül diente. Ausgerechnet in seiner Rezension des 1845 erschienenen ersten Bandes von Alexander von Humboldts Kosmos propagierte Cattaneo jene aufklärerische Opposition der Völker, jene Spannung zwischen den beiden Polen ‚Zivilisation‘ und ‚Barbarei‘, indem er die von Humboldt 588 589

Hegel 1840: 141-142. Cattaneo 1846c in Sestan 1952: 841.

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postulierte „Einheit des Menschengeschlechtes“ ablehnte, wie letzterer sie durch seine Behauptung „es giebt höher [...] veredelte, aber keine edleren Volksstämme“ 590 untermauerte. Dabei setzte Cattaneo sogar sein Prinzip der perfettibilità aufs Spiel, wenn er die Menschheit in leichter bzw. schwerer zivilisierbare, oder gar im „unheilbaren“ Zustand der Barbarei verkümmernde Völker einteilte. Entgegen seiner oben erwähnten Hegelkritik sprach er auf einmal dort von der „Wesensart“ („indole“) der Völker, wo Humboldt allein die Geschichte verantwortlich machte. Die von Humboldt postulierte absolute Gleichheit der Völker schien Cattaneo aus irgendeinem Grunde zu weit zu gehen: Ora, a questo [se vi sono popoli più nobilitati dalla civiltà, nessuno ve ne sia di più nobil indole, ML] ripugna il fatto di tribù innumerevoli che vissero e perirono insanabilmente selvagge, e d’altre che feroci dell’animo e indocili della mente stettero per molti secoli accampate sulle frontiere dei popoli civili, […] né si arresero alla civiltà se non per violenta convivenza, per infiltramento d’istituzioni straniere e per inosservato incrociamento di secolari immigrazioni, che furono assiduo innesto sovra il caparbio sterpo nativo. Non può dirsi nobile la natura che non si mostra mai con nobili fatti. Né si deve contendere il diritto d’una giusta superbia a quelle nazioni che presti e docili al primo impulso di civiltà divennero maestre e benefattrici alle altre di più torpida natura. Né queste, se dopo migliaia d’anni giunsero finalmente a degenerar quasi dalla avita brutalità pareggiandosi alle prime, possono sdebitarsi d’ogni gratitudine verso di loro, attribuendo il tardo e faticoso fatto a nobile spontaneità della propria natura.591

Warum diese vehemente Betonung der starren Dauerhaftigkeit natürlicher, zivilisatorischer Unterschiede der Völker gegenüber der sonst doch immer so wirkmächtigen Geschichte? Cattaneo fand nämlich ansonsten sehr viel Lob für 590

591

Vgl. Cattaneo 1844: 624. Cattaneo bezog sich auf folgende Stelle in Alexander von Humboldts ‚Kosmos‘ und übersetzte auch den zweiten Satz ins Italienische, wobei er jedoch für den Begriff ‚Volksstamm‘ nicht das genealogische stirpe oder razza, sondern popolo als einem noch nicht zur nazione gewordenen, zivilisatorischen Kollektiv verwendete, was eine rassistische Ausdeutung von Cattaneos Humboldt-Kritik erschwert (Vgl. ebd.): „Indem wir die Einheit des Menschengeschlechtes behaupten, widerstreben wir auch jeder unerfreulichen Annahme von höheren und niederen Menschenracen. Es giebt bildsamere, höher gebildete, durch geistige Kultur veredelte, aber keine edleren Volksstämme. Alle sind gleichmäßig zur Freiheit bestimmt.“ Humboldt, A. v. 2004: 385. Relativierend muss zu dieser anthropologischen Aussage Alexander von Humboldts jedoch auf eine gewisse Haftung seines philologischen Denkens am Einfluss der Abstammung auf die grammatische Struktur einer Sprache hingewiesen werden, welche die „Erdgewalt“ mit der „Geisteskraft“ in Verbindung setzte und so Ansätze eines essenzialisierenden Denkens aufwies. Vgl. Trabant 2013: 141-150. Dies jedoch nur in Ansätzen, als für Alexander von Humboldt eine Determinierung durch die genetische Abstammung niemals die Freiheit des menschlichen Geistes zu dominieren im Stande war: „Abstammung bestimmt nach Alexander von Humboldt die ‚innere‘, d.h. die grammatische Struktur einer Sprache. Diese ist eine fundamentale geistige Eigenschaft der Menschen, die diese Sprache sprechen. Aber keine sprachliche Differenz ist so tief, dass man von verschiedenen Klassen von Sprachen oder gar Menschen sprechen könnte, und keine sprachliche Eigenschaft ist geistig so determinierend, dass man nicht über sie hinausdenken könnte.“ Ebd.: 149. Cattaneo 1844: 624-625.

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das humboldtsche Großprojekt eines transdisziplinären und demokratischen Wissenschaftsbegriffes, den er ja auch selbst in den offenen und öffentlichen Debatten innerhalb seines Politecnico zu verwirklichen suchte?592 Vielleicht kann eine politische Unterstellung weiterhelfen. Man sollte sich natürlich fragen, welche Barbarenhorden ein italienischer Patriot meinen könnte, welche einst quasi ‚vor der Haustür‘ der zivilisierten Menschheit standen („stettero per molti secoli accampate sulle frontiere dei popoli civili“), deren hochentwickelte Gesellschaft sie langsam ‚infiltrierten‘, ihre Institutionen besetzten und schließlich das störrische einfache Volk dominierten! Bestimmt waren damit weder Menschenfresser noch ‚Hottentotten‘ gemeint! Cattaneo schrieb schließlich im Zusammenhang mit diesen barbarischen Stämmen und Völkern – die erst spät, überhaupt nicht oder nur durch gewaltsames Zusammenleben und durch die Vorleistungen anderer zur Zivilisation gelangt seien – von einer undankbaren Haltung gegenüber den Zivilisationsbringern („possono sdebitarsi di ogni gratitudine“). Durch nordische Zivilisationsnarrative gekränkter Stolz des Patrioten und eine in jenen vorrevolutionären Jahren virulent werdende antiösterreichische Haltung lassen deshalb eher an einen polemischen Kommentar als an eine eurozentrische Zivilisationslogik zur Unterdrückung afrikanischer oder amazonischer ‚Wilder‘ denken. Die Kritik an der zivilisatorischen Gleichheit aller Völker wäre als Forderung nach Anerkennung der zivilisatorischen Leistungen des mediterranen Europa als rechtmäßigem Erben der klassischen Antike zu verstehen. Die früheren Barbaren und ihre philosophischen Nachfolger hatten für Cattaneo einfach 592

Für Alexander von Humboldt wie für Carlo Cattaneo galten die Ideale der Französischen Revolution, welche die Aufklärung breiter Bevölkerungsschichten zum politischen und publizistischen Ziel werden ließen: „Durch den Aufbau geeigneter Präsentations- und Repräsentationsformen von Wissen zielte Humboldt auf eine ‚Popularisierung und Demokratisierung‘ der Wissenschaft und damit letztlich darauf ab, Wissen für möglichst breite Bereiche der Bevölkerung […] zugänglich und gesellschaftsfähig zu machen und darüber hinaus in durchaus gesellschaftsverändernder Absicht zugunsten der Entfaltung einer bürgerlichen Informationsund Wissensgesellschaft einzusetzen. Für diesen Intellektuellen avant la lettre, der Zeit seines Lebens auch in Preußen den Idealen der Französischen Revolution verpflichtet blieb, ist Wissenschaft ohne Öffentlichkeit schlicht undenkbar: Die humboldtsche Wissenschaft ist eine zutiefst öffentliche – und in diesem Sinne politische – Wissenschaft.“ Ette 2009: 21. Jedoch lag genau in diesem Anspruch auch Cattaneos Kritik an Humboldts Kosmos, da er vor allem an der Art der humboltschen Wissensverbreitung ein Defizit im Medium selbst ausmachte, welches den Meinungsbildungsprozess behindere und auf die seiner Ansicht nach größere Dynamik der Zeitschriften setzte, die eine ständige Revision und Diskussion wissenschaftlicher Ergebnisse vor den Augen der Öffentlichkeit zuließen: „Cattaneo entsprach auch seiner liberalen und stringenten Fortschrittsüberzeugung, indem er die durch die Zeitschrift gebotenen Möglichkeiten nutzte und nicht nur verschiedene Autoren zum gleichen Thema zu Wort kommen, sondern auch bereits veröffentlichte Meinungen durch neue Erkenntnisse revidieren ließ. In der Aktualität der Berichterstattung über die jeweiligen Erkenntnisfortschritte, in der Möglichkeit zum Fortschreiben des Fortschritts liegt der entscheidende Gewinn. Dabei symbolisiert allein die Zeitschriftenform schon die von ihm immer wieder geforderte mutabilità. Schließlich eröffnet sich Cattaneo mit seiner Zeitschrift die von ihm selbst als liberales Ansatzfeld propagierte öffentliche Meinung, um über eine Art von dialogischer Reaktionsfähigkeit aktuell und direkt am Meinungsbildungsprozess mitzuwirken.“ Gernert 1990: 253.

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kein Recht, ihre eigene Zivilisiertheit plötzlich zu einer spontanen Naturerscheinung zu erklären und sollten der Geschichte gefälligst dankbar sein. Das galt für die Schlegels wie für Hegel. Hier musste auch der sonst eines ungezügelten Nationalismus eher unverdächtige Preuße Alexander von Humboldt eine Lektion in Demut durch einen hart für sein Land kämpfenden Italiener lernen. In der Forschung wurde daher in diesen Äußerungen eine strategische Höherstellung der italienischen Zivilisationsgeschichte gesehen, die als leuchtendes Beispiel für die patriotischen Ziele des Risorgimento instrumentalisierbar gemacht werden sollte, um den Anspruch der italienischen Geschichte – also die eigene, klassizistische ‚boria nazionale‘ – gegen den ‚Dünkel‘ anderer sich formierender nationaler Identitäten in Stellung zu bringen.593 Dennoch wird an jener Ablehnung einer eindeutigen Aussage zugunsten der prospektiv wie retrospektiv gültigen Gleichheit aller Menschen deutlich, dass es Cattaneo, der trotz seines weltweiten Horizontes auf Italien fokussiert blieb, an einer gewissen Freiheit des transarealen Denkens fehlte, wie sie in Alexander von Humboldts Kosmos verwirklicht wurde. Hier konnte sich der Weltreisende Humboldt dem zentrierenden Erbe der Aufklärung etwas weiter entfernen als dies der unermüdliche ‚Volkserzieher‘ Cattaneo vermochte, auch wenn Humboldts „kulturvergleichende Perspektivik“ selbst immer noch einer interkulturellen Denkweise ‚abendländischer‘ Zentrierung unterworfen blieb.594 Hier sei jedoch auf den entscheidenden Punkt hingewiesen, welcher Cattaneos fortschrittsgläubigen Universalismus und Humboldts dynamisches Denken weltweiter Wechselwirkungen unterscheidet, wie es bei Letzterem in der Einleitung zu den Vues des Cordillères et Monuments des Peuples Indigènes de l‘Amérique deutlich wurde: Dieser neue Diskurs über die Neue Welt […] beinhaltet jenseits dieser fundamentalen Veränderungen zugleich aber ein Festhalten an einer abendländischen Zentrierung, die freilich gerade dadurch, daß sie sich selbst thematisiert, auch selbstreflexiv und selbstkritisch gewendet werden kann. Innerhalb dieses transareal fundierten interkulturellen – und eben nicht transkulturellen, da nicht von verschiedenen kulturellen Positionen aus die Phänomene betrachtenden – Standpunkts entfaltet Humboldt (s)eine neue Ordnung der Weltkulturen (civilisations), die stets von einem dynamischen Verständnis globaler Wechselwirkungen aus beleuchtet werden.595

Diese bei Cattaneo fehlende Perspektive der Skepsis auf eine abendländische Zentrierung des Wissens außerhalb der Kolonialismus-Problematik, einer Perspektive also, die interkulturell sichtetet und dennoch einer selbstkritischen Analyse unterzogen wurde, und daher eben nicht mehr allein europäisch 593

594 595

„In questa posizione del Cattaneo è probabilmente presente una esigenza politica, che era quella di tendere a ricollocare la storia italiana in una interpretazione adeguata allo sforzo risorgimentale allora in atto; ma certamente l’egualitarismo humboldtiano dovette in qualche modo apparire eccessivo per il suo tempo (e non soltanto per il suo).“ Giura Longo 1992: 27. Vgl. dazu Ette 2009: 217-220. Ebd.: 220.

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zentriert war, führte in Cattaneos Konzeption kultureller Differenz zu einer ambivalenten Beurteilung unterschiedlicher Wissensformen.596 Einerseits betonte der Lombarde die Offenheit und Notwendigkeit kulturellen Austauschs auf das Deutlichste und lehnte essenzielle Unterschiede in der menschlichen Kognition ab, andererseits musste er jedoch immer noch auf vorgefertigte Urteile rekurrieren, wie sie einigen Mythen der europäischen Aufklärung verhaftet blieben. Cattaneos Konzept einer philologischen Erschließung der Völker und Zivilisationen – nicht nur des Orients – schwankte dort zwischen aufklärerischem Eurozentrismus und der Betonung kultureller und zivilisatorischer Gleichberechtigung, wo Humboldt bereits einen Perspektivenwechsel erreicht hatte. Dabei argumentierte Cattaneo aber weder essenzialisierend noch machte er sich zum Sprachrohr europäischer Unterdrückung im Dienste des Fortschritts. Incivilimento und perfettibilità stehen in seinen Schriften als ethische Aufforderungen zu Solidarität in Zusammenhang mit dem homogenisierenden Axiom der umanità, also der essenziellen Gleichheit aller Menschen und nicht der indole als statischer Essenz der Völker. In Anbetracht der Instrumentalisierbarkeit europäischer Fixierungen zivilisatorischer, aber auch physischer Differenz durch die Befürworter der Sklaverei in Nordamerika wird Cattaneo eine immer stärkere Skepsis gegenüber eurozentrischem Zivilisationsdenken und den Normen europäischer ‚Zivilisations-Ästhetik‘ an den Tag legen.597 Im Folgenden soll jedoch der Beitrag Cattaneos zu philologischen Themen noch näher betrachtet werden, um so die Auswirungen jener dargestellten, historischen Epistemologie auf die anthropologischen Implikationen seiner Argumentationszusammenhänge zu erörtern.

4.2. Eine pädagogische Wissenschaft Schon seit seiner Jugend beschäftigte sich Cattaneo mit den Neuerungen im philologischen Wissen, die sich unter dem Begriff der linguistica formiertem. Er tat dies in einer kleinen Skizze zu einem groß angelegten Werk über die Verwandtschaft des Italienischen mit der walachischen Sprache, die in jenem südlichen Teil des heutigen Rumänien gesprochen wurde, der zu Beginn des 596

597

Zu jenem humboldtschen Projekt, welches aus der ‚Entprovinzialisierung‘ der Wissenschaften, und trotz einer immer noch zentrierten Verankerung im europäischen Denken, eine Alternative zum tradierten Narrativ der europäischen Moderne darstellte vgl. Ette 2002. Vgl. Timpanaro 1973: 278-279. Sebastiano Timpanaro verwies hier auf die Kritik Cattaneos, welche dieser in seinen späteren Schriften an den physiologisch fundierten Rassentheorien übte (vgl. Cattaneo 1862), wie sie zur Rechtfertigung der Sklaverei herangezogen wurden. Ein barbarisches Phänomen der Neuzeit, gegen welches er bereits seit den 30er Jahren scharf stritt. Cattaneo blieb dabei zwar auch im anthropologischen Sinne Polygenetiker stellte jedoch die physische Vermischung der Rassen und Völker über die Jahrhunderte in den Vordergrund. Cattaneos philologische Spekulationen ähneln in ihrer prospektiven Dynamik seinen anthropologischen, indem die Menschheit dem Paradigma einer Tendenz zur Vereinigung unterliege.

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19. Jahrhunderts unter dem Namen Fürstentum Walachei unter osmanischem Einfluss stand.598 Obwohl der junge Gelehrte seine Skizze bereits in den 20er Jahren verfasst hatte, veröffentlichte er sie erst 1837 unter dem Titel „Nesso della nazione e della lingua Valacca e’Italiana“. Hier formulierte Cattaneo bereits die Grundlinien seines historischen Prinzips bei der Betrachtung eines Idioms oder dem Vergleich mehrerer Sprachen, das er später in seiner Biondelli-Rezension des Atlante linguistico weiter ausführen sollte und durch welches er das Paradigma einer strikten Trennung von Sprach- und Blutsverwandtschaft im italienischen Wissenschaftsdiskurs zur Geltung verhalf. Dennoch war der hauptsächliche Grund für die Beschäftigung mit einer derartigen Thematik ein durchaus ethnographisches Forschungsvorhaben, das on patriotischer Gesinnung getrieben war. Es ist der ‚Weg das Lateinischen‘, seine Transformationen als gesprochene Sprache nach dem Untergang des römischen Reiches und noch vor seiner romanischen ‚Babelisierung‘, welchen Cattaneo durch seinen Sprachvergleich von Walachischem mit dem Italienischen nachvollziehbar machen wollte: Cosicché quasi tutte quelle deviazioni dalla lingua latina le quali sono comuni tanto all’italiano quanto al valacco, si dovrebbero credere già nate prima dell’epoca della separazione. Quindi si potrebbero riguardare in certo modo come segni monumentali da cui indurre lo stato della lingua parlata a que’ tempi e misurare fino a quel punto fosse progredita la trasformazione del solenne latino nelle agili favelle romanze.599

Das Verständnis der walachischen Sprache, die von einem Volk gesprochen werde, das durch historische Verwandtschaftsbeziehungen den Italienern verbunden sei, sollte durch deren grammatikalische und lexikalische Nähe zum Italienischen Aufschluss über die eigene ‚lateinische‘ Identität geben, der dieses Studium neue Quellen der Erkenntnis erschließen könnte.600 Diese patriotische Hervorhebung der „Blutsverwantschaft“ („consanguineità“) der italienischen mit der walachischen, später rumänischen Nation lässt dabei neben der sprachlichen auch eine ethnische Spurensuche vermuten. Sie sollte die Bewohner der beiden einstigen Territorien des römischen Reiches, die nun von ausländischen Mächten regiert wurden, näher zusammenbringen.601 In der letz598

599 600

601

„I Valacchi chiamano sé Romani e Terra Romanesca la loro sede principale che i loro dominatori Ottomani chiamano Eflak e gli Europei Valacchia.“ Cattaneo 1837: 129. Ebd.: 153. Diese Suche nach den Ursprüngen nationaler Identität, wie sie in den „nazionali istituzioni“ und den „letterature“ gefestigt werde, sah Cattaneo als Grund für die europaweite und auch in Italien wahrnehmbare Popularität des Sprachenstudiums: „Pare che per l‘illustrazione delle nostre cose patrie nulla sia più giovevole delle indagini praticate sulle nazioni e sulle lingue congiunte per antica consanguineità alla nostra. [...] Certo non v’è più sicura via per appagare l’universale desiderio surto [sic] fra i dotti di risalire cautamente e fondatamente alle sorgenti delle nazionali istituzioni e delle letterature.“ Ebd.: 132. In Rumänien waren es im 19. Jahrhundert bis zur rumänischen Revolution 1848 vor allem das habsburgische Österreich, das Osmanische Reich und Russland, die ihren hegemonialen Einfluss auf die späteren, rumänischen Territorien Moldau, Walachei und Transsylvanien ausüb-

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ten Fußnote des veröffentlichten Essays erklärte der ‚gereifte‘ Cattaneo mit mildem Blick auf seinen jugendlichen Ehrgeiz den Anlass für diese frühen und nunmehr vernachlässigten Ambitionen als Erforscher von Sprachen und Dialekten. Laut eigenen Angaben begann er, sich aus patriotischen und historiographischen Gründen mit dem „leichten und nebensächlichen Studium“ („uno studio leggiero ed accessorio“) des Sprachvergleichs eher beiläufig auseinanderzusetzen, um „dem Einfluss der barbarischen Invasionen auf die italische Sprache“ („l’influenza delle invasioni dei barbari sulla favella italica“) nachzuspüren, aus reiner Neugierde und ohne „schriftstellerisches Vorhaben“ („non per proposito letterario“)602. Obwohl er sich, wie er weiter schreibt, nunmehr „Studien gänzlich anderer Art“ („studj d’indole affatto diversa”) widmete, kann Cattaneo uns mit der Tatsache der Veröffentlichung dieser jugendlichen ‚Lappalie‘ nicht über die Bedeutung hinwegtäuschen, die er seinem frühen philologischen Projekt beimaß. Dessen gewaltige Gliederungsskizze stellt dem Leser den Plan einer fünfteiligen Sprachgeschichte vor, die von den prähistorischen Sprachen der italienischen Halbinsel bis zur gegenwärtigen Situation des Italienischen ausgearbeitet werden sollte. Dabei ging es Cattaneo auch um das Aufzeigen rechts-, wirtschafts- und ideengeschichtlicher Prozesse, die sich in der Sprache und Literatur niedergeschlagen hätten.603 Cattaneo begann sein Projekt mit der axiomatischen Annahme einer sowohl sprachlich wie ethnographisch durch Mischverhältnisse geprägten Ursprungssituation in Europa und auf der italienischen Halbinsel und überschrieb die ersten beiden Kapitel des ersten Teiles mit den thesenhaften Titeln: 1. Delle origini e della confusa discendenza delle genti europee, e delle lingue.

602

603

ten. Zu den Anfängen des rumänischen Nationalbewusstseins, den Unabhängigkeitskriegen und deren politischen Akteuren vgl. Maier 1989: 27-84. „Per verità era [der vorliegende Artikel, ML] frutto di uno studio leggiero ed accessorio, fatto per rischiarare un argomento più vicino e nazionale. Si era egli proposto di determinare partitamente l’influenza delle invasioni dei barbari sulla favella italica. Vi si era imbarcato non per proposito letterario, ma per mera curiosità destata dal casuale confronto tra alcune lingue a cui si era applicato fin dalla adolescenza. [...] Ciò che era faticoso allora, è divenuto in questi anni assai facile per le cure che molti stranieri vi posero. Intanto l’autore [Cattaneo, ML] si venne affezionando a studj d’indole affatto diversa, sicché non gli sembra omai [sic] di poter facilmente ritornare a questi.“ Cattaneo 1837: 153-154. Vgl. Cattaneo 1837: 154-157. Sebastiano Timpanaro stellte aufgrund des ‚transdisziplinär’universalhistorischen Charakters dieser Skizze die gesellschaftspolitische Intention des Projekts heraus, welches durch Aktualisierung aufklärerischer Methodik und Epistemologie Cattaneos patriotische Konzeption einer italienischen Zivilgesellschaft aus der Geschichte ableiten sollte: „Da quell’abbozzo appare evidente il carattere storico generale, e non puramente linguistico, che l’opera avrebbe avuto. Lo stretto legame con la storia e l’etnografia è un carattere comune a tutta la linguistica del Settecento e della prima metà dell’Ottocento; ma qui esso appare in forma particolarmente accentuata. I titoli di molti capitoli accennano ad argomenti di storia giuridica ed economica, assai lontani della linguistica. Era insomma uno studio sul passaggio dalla società tardo-romana alla società feudale e poi comunale quello che il Cattaneo, sotto l’influsso del Romagnosi, aveva progettato.“ Timpanaro 1973: 231.

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2. I primi Itali furono di varie stirpi e di varie favelle, e tutte miste.604

Dieses Axiom stützte er jedoch nicht allein auf die Philologie. Cattaneo stand bereits hier der Erforschung ethnographischer Ursprungsszenarien allein anhand von Erkenntnissen des vergleichenden Studiums über grammatikalische und syntaktische Gemeinsamkeiten von Sprachen eher misstrauisch gegenüber, sobald daran genealogische Verwandtschaftsbeziehungen geknüpft wurden. So sei beispielsweise die Bildung des Plurals bei Walachen und Italienern beinahe identisch. Man könne aber auch die Walachen allein anhand der syntaktischen Postposition des Artikels mit Bulgaren und Albanern zu einem Volksstamm zusammenfassen. Dies hieße für die Italiener, dass sie aufgrund der Position des Artikels mit Spaniern und Franzosen ein Volk bilden, und damit auch die italischen Völker zusammen mit Iberern und Kelten von alters her als ein Volk begriffen werden müssten. Dieser These widersprächen jedoch Geschichtsschreibung und Archäologie: L’uso di posporre gli articoli è comune a qualche altro linguaggio, al basco, per esempio, e all’islandese; ed eziandio ai linguaggi di due popoli confinanti col valacco, cioè l’albanese e il bulgarico. [...] Ma se l’aver gli Albanesi, Bulgari e Valacchi comune l’uso di posporre l’articolo fa prova ch’essi siano d’un solo stipite, ne verrebbe di conseguenza medesimamente che l’avere gli Italiani, i Francesi, gli Spagnuoli comune l’uso di anteporlo, farebbe prova che gli Itali antichi, gli Iberi e i Celti fossero di uno stipite solo. [...] Questa maniera di classificar le nazioni su una sfumata somiglianza di forme grammaticali è troppo ardita e leggiera.605

Für Cattaneo stand fest, dass die Befunde der linguistica – für sich genommen – eben nicht die gleiche Aussagekraft besaßen, wie dies für die Ergebnisse der vergleichenden Anatomie oder gar der Archäologie geltend gemacht werden konnte. Die Gegenstände dieser Sprach-Wissenschaft waren für Cattaneo von gänzlich anderer, nämlich konventioneller und gesellschaftlicher Natur. Viele andere Faktoren seien für eine Theorie über die physisch-ethnische Genealogie der Völker mit in die Betrachtung einzubeziehen. Ein weiterer Grund für die Unmöglichkeit einer solchen genealogischen Völkergeschichte allein durch Sprachforschung lag für Cattaneo in der historischen Unwahrscheinlichkeit statisch-homogener Kollektive in Form von Ethnien, welche sich in einer ‚reinen‘ Urform über Jahrtausende erhalten hätten. Daher sei auch die historisch-nachvollziehbare Existenz ethnographisch klar mit diesen Völkern korrespondierender Sprachen äußerst schwer vorstellbar. Dieses Axiom der ‚vermischten‘ italischen Ursprünge aus philologischer Perspektive findet sich bereits in einer Schrift Melchiorre Cesarottis, einem der bekanntesten Philologen des Settecento, der durch seine italienische OssianÜbersetzung Aufmerksamkeit erlangt hatte. Der in Padua lehrende Professor für Altgriechisch und Hebräisch, Freund und Lehrer Ugo Foscolos, bezog in 604 605

Cattaneo 1937: 154. Ebd.: 144-145.

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seinem 1800 publizierten Saggio sulla filosofia delle lingue den ethnischen Reinheitsbegriff bewusst und kritisch auf die Sprache, indem er die Möglichkeit einer ‚reinen‘ Ursprache und die Vorstellung von ‚reinen Völkern‘ kategorisch ablehnte.606 Eine derartige Sprache, so sie denn irgendwo existiere, wäre formenarm und gar als „barbarisch“ („barbara“), „eher als ein Jargon, denn als eine Sprache zu bezeichnen“ („dovrebbe dirsi piuttosto un gergo che una lingua“). Jede der kultiviertesten Literatursprachen beinhalte nämlich zahlreiche Vermischungen mit anderen Sprachen, wie sich anhand der Anzahl von Synonymen, den unregelmäßigen Verben, Substantiven oder syntaktischen Irregularitäten nachweisen lasse: Niuna lingua è pura. Non solo non n’esiste [sic] attualmente alcuna di tale, ma non ne fu mai anzi non può esserlo: poiché una lingua nella sua primitiva origine non si forma che dall’accozzamento di varj idiomi, siccome un popolo non si forma che dalla riunione di varie e disperse tribù. Questa originaria mescolanza d’idiomi nelle lingue si prova ad evidenza dai sinonimi delle sostanze, dalla diversità delle declinazioni e coniugazioni, dall’irregolarità dei verbi, dei nomi, della sintassi, di cui abbondano le lingue più colte. Quindi la supposta purità delle lingue, oltre che è affatto falsa, è inoltre un pregio chimerico; poiché una lingua del tutto pura sarebbe la più meschina e barbara di quante esistono, e dovrebbe dirsi piuttosto un gergo che una lingua.607

Während Cesarotti die Frage der Reinheit und der Vermischung von Sprache in erster Linie auf die questione della lingua, im Speziellen auf das Verhältnis des Französischen zum Italienischen bezog, sah Cattaneo dieses Argument sowohl in Bezug auf die rumänische Sprache als auch auf das rumänische Volk in dessen Verbindung zu den antiken und modernen Italienern wirksam. Schließlich sei das von den Römern eroberte Gebiet jenseits der Alpen, „vom Inn bis zu den Karpaten“ („dall’Enno ai Carpazj“), von den unterschiedlichsten Stämmen und Völkern – barbarisch oder zivilisiert spielt dabei keine Rolle – bewohnt gewesen, bevor und nachdem die italischen Eroberer ihren Fuß darauf gesetzt hätten: Altronde il supporre che avanti la conquista romana una sola purissima stirpe occupasse tutta l’immensa valle che si stende dall’Enno ai Carpazj è una vera assurdità. Poiché se dopo l’epoca istorica vi penetrarono Persi e Sciti e Celti e Greci e Romani e genti di tutto il romano impero, poi Goti, Avari, Alani, Unni, Slavi, Ungari, Turchi, Tedeschi, Zingari, Armeni ed Ebrei, quante strane genti non vi dovevano esser penetrate prima dell’epoca istorica, quando non solo il Setten-

606

607

Vgl. Cesarotti 1800. Zu ausführlichen biographischen Informationen über Melchiorre Cesarotti als eine der vorbereitenden Stimmen der italienischen Romantik und zentraler Figur der italienischen Philologie an der Schwelle zwischen Settecento und Ottocento, die ihre Bedeutung auch aus einem alles andere als unerheblichen, intellektuellen Einfluss auf den jungen Ugo Foscolo erhält. Vgl. Chiancone 2013. Ebd.: 9-10.

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trione ma tutta quanta l’Europa era occupata da tribù barbare, erranti, senza aratri e senza tetti?608

So betrachtete Cattaneo die vergleichende linguistica zwar als Mittel zum tieferen Verständnis für sprachliche Verwandtschaftsverhältnisse und damit als Indiz für Sprachkontakt in vergangenen Epochen, jedoch schätzte er sie weniger als geeignetes Mittel, ethnische Differenz und Identität für die Gegenwart zu aktualisieren – oder gar zu fixieren. Möchte man also die Gründe für die verschiedenartige Funktionsweise, den Aufbau und den Wandel der Sprachen verstehen, sollte man seiner Meinung nach die linguistica in einen wissenschaftlichen Kontext einbetten, der in seinen Methoden und Darstellungsweisen der Historizität seiner Untersuchungsgegenstände höchste erkenntnistheoretische Priorität zuweist. Dieses principio istorico, Cattaneos historisches Prinzip, ist epistemisches Fundament und eigentliche Perspektive, aus der er die neue Wissenschaft von den Sprachen propagierte. Es ist eine methodologische Folgerung aus dieser Sichtweise war es, dass sie es verhinderte, den Blick des Forschers allein auf die systematische Dimension synchronen Sprachvergleichs zu verengen. Es war vielmehr der im Hintergrund mitgedachte Kontext gesellschaftlichen und politischen Wandels, der aus der linguistica letztlich für Cattaneo eine – wenn auch zu hoch bewertete – arte utile machte, die Auskunft über jenen ‚Zivilisationsfaktor‘ Sprache und damit die Geschicke ganzer Völker und Nationen geben konnte.609 Sie 608 609

Cattaneo 1837: 145. Dass Cattaneos Philologie sowohl Literatur- und Sprachgeschichte im selben politischen Kontext zusammenfasste, erschließt sich bei der Lektüre seiner literaturkritischen Rezension von Cesare Balbos Vita di Dante (vgl. Cattaneo 1839a). Cattaneo bewegte sich hier nicht nur auf der literatur- und rezeptionsgeschichtlichen Ebene des danteschen Werkes, sondern nutzte die Gelegenheit, um auch im Sinne der linguistica sprachhistorische Überlegungen ausgehend von den Theorien Muratoris und Balbos einfließen zu lassen. Also jenes politisch instrumentalisierte Ursprungsdenken, das in Italien den philologischen Diskurs beherrschte und die gesamte Philologie vereinnahmte, wovon er selbst nicht ausgeschlossen war. Er betonte dabei die Eigenständigkeit einer „identità“ der Italiener aufgrund ihrer gemeinsamen Geschichte, trotz des Austausches mit anderen Völkern (vgl. ebd.: 325-328). Jedoch ging es in dieser kurzen Werkkritik nicht eigentlich um einen zentralen Streitpunkt des Settecento und frühen Ottocento, jene Debatte um die Ursprünge der italienischen Sprache, die er nur nebenbei erwähnte, sondern um die Konzeption der Figur Dante Alighieris, wie sie von den zahlreichen kommentierten Werkausgaben, Biographien, biographischen Skizzen in einer bereits Jahrhunderte währenden Rezeptionsgeschichte konstruiert wurde. Cattaneo verwarf dabei sowohl eine Instrumentalisierung Dantes im Sinne einer neoguelfischen Rhetorik als auch überhaupt Balbos Versuche, die mittelalterlichen und so nicht mehr existierenden Voraussetzungen guelfischer oder ghibellinischer Identität für das Verständnis des zeitgenössischen Italien fruchtbar zu machen (vgl. ebd.: 323). Dante sei eben weder guelfischer Kaufmann noch ghibellinischer Adeliger. Vielmehr gewänne der Dichter „Anstand und Würde“ („decenza e dignità“) durch eine Verschiebung der Perspektive auf die Rezeptions- und Publikationsgeschichte seiner Werke als „unwiderstehliche Waffe des Bürgertums“ („irresistibile arma civile“) sowie der Deutung der Figur des Dante als Ausdruck eines emanzipierten Geistes (Vgl. ebd.: 317). Wie Cattaneo Dante im Sinne einer italienischen, aufgeklärten Identität von aristokratischen und päpstlichen Ansprüchen zu entideologisieren suchte, wollte er auch Balbos Überlegungen und die des von ihm zitierten Muratori zur italienischen Sprache von

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stand damit zwar der Archäologie nahe, hatte jedoch auch eine große soziale Verantwortung. Eben aus diesem Grunde musste die linguistica sich mit anderen Wissenschaften, wie Geschichte und Philosophie versöhnen: Dacché gli studj di lingua sono per molte necessarie cagioni i più popolari di tutti in Italia, e il maggior numero pur troppo degli studiosi tiene a quelli più che ad altri rivolto lo sguardo, non gioverà tanto il riprovarli e dispregiarli com’altri fa, quanto il trarli da confini troppo angusti e municipali, estenderli, collegarli coll’istoria e riconciliarli colla filosofia.610

Der empirisch vorgehende Sprachforscher ist laut Cattaneo also erst dann von Nutzen für die Gesellschaft, wenn er seine Erkenntnisse in einen historischen Kontext einordnet und auch für philosophische Überlegungen gebraucht. Jedoch habe er darüber hinaus eine noch wesentlich dringendere Aufgabe: Gerade die verschiedene Entwicklung der Sprachen aufgrund der weltweiten Verbreitung und Zerstreuung ihrer Sprecher mache es zur Aufgabe des Philologen, sie durch das Aufzeigen effizienter und dennoch kunstvoller Verwendung etablierter lexikalischer und grammatikalischer Formen zum ‚Entwicklungsmotor‘ einer Nation werden zu lassen. Zumal sich die betrachteten Völker im Verlauf der Geschichte möglicherweise als feindliche und rivalisierende Gruppen gegenüberstanden. Cattaneo sah daher die philologische Weiterentwicklung der walachischen Sprache als politische Herausforderung im Dienste des rumänischen Patriotismus: Devesi un contributo di lode a coloro che dalle forze dell’ingegno si studiano di preparare la strada ai progressi ai quali l’efficacia irresistibile del tempo condurrà la nazione valacca. Il primo elemento di sociale perfezionamento è senza dubbio il linguaggio, molto più se i popoli che lo parlano siano dispersi sotto varie dominazioni ed associati dalla sorte a nazioni straniere e rivali che li traggono per opposti sentieri.611

Cattaneo vertraute im Falle Rumäniens ganz auf die kommunikativteleologische Funktion von Sprache und Schrift, welche von Fremdherrschaft ‚unterdrückte‘ Stämme und Völker zu demokratischen Zivilgesellschaften, also Nationen, zusammenfassen könne. Literaturgeschichtlich gesehen, habe die rumänische Sprache nämlich außer grammatikalischen Werken noch wenig

610 611

deren Germanisierung befreien, ohne dabei jedoch in einen expliziten Antigermanismus zu verfallen (vgl. ebd.: 325). Die romanischen Sprachen beinhalteten nach Cattaneo eben nicht mehr germanische Elemente als andere Sprachfamilien und das Italienische weise eben nicht mehr Mischungen mit deutschen Wörtern und Endungen auf, je weiter nördlich diese anzusiedeln seien. Dies gelte allein für die italienische Schriftsprache in ihrer poetischen Verwendung. Gleichzeitig mögen zwar Sprachen kleiner Stämme zu Handelssprachen großer Völker werden, die Völker selbst jedoch ihren Charakter kaum verändern. Cattaneos patriotisches Enjeu wird deutlich: Die Betonung kultureller Eigenständigkeit Italiens für einen souveränen und zu Modernisierung bereiten Italien gegen die ständige philologische Vereinnahmung durch politische Hegemonien, welche durch ihre Rezeptionsmuster zentrale Figuren, ja sogar die italienische Sprache selbst vereinnahmen, um diese in ‚fremden‘ Narrativen aufzulösen. Cattaneo 1837: 132. Ebd.: 130.

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Interessantes vorzuweisen.612 Dieser Mangel habe jedoch allein einen philologischen Grund, da eine normierte Schriftsprache als Ansporn literarischer Produktion geschaffen werden müsse. Literatur war also für Cattaneo demokratischer und daher allseitig zugänglicher Speicher von Wissen. Ihr zuliebe müssten Streitigkeiten über diese Normierung beigelegt werden. Dieser Hinweis beinhaltete auch eine eindeutige Warnung an die Italiener, sich in der Arbeit an ihrer gemeinsamen Sprache der Rechthaberei pedantischer Philologen zu enthalten, da dies nur Zwietracht in der Sprachenfrage sähe und literarische Produktion erschwere: Invece di splendide ed eleganti opere d’ingegno i Valacchi non produssero finora che lavori grammaticali. Quelle controversie minuziose che agli occhi di taluno sembrano nella nostra nazione un segno di senile decadimento e d’impotenza e che sursero [sic] solo due secoli dopo che la lingua nostra era florida e robusta, infestano già prima quasi del suo nascere la letteratura valacca. Tre alfabeti e forse quattordici diversi sistemi d’ortografia dividono fra loro i pochi letterati e i pochissimi libri. Né credo che di quanti libri furono sinora impressi in lingua valacca due soli si trovino in cui si serbino uniformi le regole della scrittura.613

Laut Cattaneo habe die zu seiner Zeit noch lange nicht durchgesetzte lateinische orthographische Normierung der rumänischen Schriftsprache zu einer formal disparaten literarischen Produktion geführt. Diese Uneinheitlichkeit habe wiederum ihre rezeptive Verbreitung und damit den incivilimento der rumänischen Gesellschaft verhindert.614 Eine Weiterentwicklung der Sprache 612

613 614

Cattaneos Urteil erscheint aus heutiger Perspektive allzu harsch, da trotz dieses Mangels einer rumänischen Literatursprache, sich bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts eine größtenteils ‚klassizistisch‘ geprägte, rumänische Literatur durch Dichter wie Gheorghe Asachi (17881869) und Costache Conachi (1778-1849) sowie durch die Liebeslyrik Alecu Văcărescus (1792-1863) und die dichterische Tätigkeit Ioan Cantacuzinos (1757-1828) von einer rein didaktischen, religiösen und historiographischen Funktion zu emanzipieren begonnen hatte. Vgl. Hitchins 1996: 126-127. Dennoch dominierten noch Grammatiken, Übersetzungen religiöser Texte sowie historiographische Werke die publizistische Landschaft in den von polnischen, österreichischen, osmanischen und ab 1812 auch russischen Herrschaftseinflüssen geprägten rumänischen Territorien. Die erste Grammatik des Rumänischen waren die 1780 erschienenen Elementa linguae daco-romanae sive valachicae, herausgegeben von den beiden Dichtern, Historikern und Philologen der Transylvanischen Schule, Gheorghe Șincai und Samuil Micu. Während Cattaneo seinen Text verfasste, erschien 1925 das Buda Lexicon, eine wichtige Quelle zu Orthographie und Grammatik des Rumänischen. Vgl. Popa 1980: 39. Eine rumänische Gesellschaft zur Pflege von Literatur in rumänischer Sprache wurde nach den Rumänischen Revolutionen von 1848 mit der Asociaţia Transilvană erst 1861 in Sibiu gegründet. Zur Rolle der in allen rumänischen Territorien verbreiteten, religiösen Literatur als wichtigem Faktor bei der Herausbildung einer rumänischen Schriftsprache vgl. Popa 1980: 22-23. Cattaneo 1837: 131. Die Verbreitung aufklärerischen Gedankenguts in Rumänien war durch die erste, nationale ‚Kulturbewegung‘, die Siebenbürgische oder Transylvanische Schule, die Școala Ardeleană, jene klerikale und doch an Ideen der französischen Aufklärung orientierte Bewegung von Philologen, Schriftstellern, Historikern und Theologen eng mit der römisch-katholischen Kirche und Rom verbunden. Sie trug maßgeblich zum Entstehen des rumänischen Nationalgedankens, aber auch zur wissenschaftlichen Diskussion der ‚Dako-romanischen Kontinuitäts-

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innerhalb der „unwiderstehlichen Effizienz der Zeit“ („l‘efficacia irresistibile del tempo“) hing für Cattaneo also nicht von externen klimatischen oder gar inneren ethnischen – also stets unbeeinflussbaren Faktoren – ab. Vielmehr müsse sie durch den Menschen selbst durch bewusste Verwendung von Sprache „vorbereitet“ („preparata“) werden615. Genauer gesagt werde diese Sprachpädagogik durch einzelne Vorreiter der Zivilisation, die sich einer eleganten, und dennoch effizienten Verwendung von Sprache verschrieben – durch einen „Stamm großer Menschen“ („stirpe degli uomini grandi“) – ermöglicht, die sich überall, auf allen Kontinenten und unter allen Völkern finden ließen. Der komplementäre Vorbildcharakter der Literatur zur Sprache scheint hier in Verbindung mit der Idee des literarischen Genies zu kommen, jedoch weniger im Sinn der Romantik, als vielmehr des aufgeklärten Dichters einer nüchtern klassizistischen Form im Dienste der Verständlichkeit, da es sich nicht um den künstlerischen, sondern den „wissenschaftlichen Ruhm“ („gloria scientifica“)616 der Nationen handelt, dem dieses Genie zu dienen habe. Durch ‚effiziente‘ Verwendung von Sprache solle es den natürlichen Prozess des Sprachwandels im Sinne eines demokratischen Gebrauchs bündeln und beeinflussen. Die wissenschaftliche Erforschung, Aufzeichnung, Normierung sowie kunstvolle, aber nicht gekünstelte Verwendung einer Sprache im literarischen Werk werde daher zu einem wichtigen Beitrag für den Fortschritt der gesamten Menschheit durch die erweiterte Möglichkeit der Kommunikation auf Grundlage gespeicherten Wissens. Hier leiste der Philologe, Schriftsteller und Dichter als Pädagoge seinen Beitrag für das „große Werk der Kultur“ („grand’opera della cultura“), und damit für das gesamte „Menschengeschlecht“ („genere umano“): Quindi quei pochi che tentarono di fissare la lingua valacca, di accertarne le forme e di agevolarne al maggior numero l’uso più franco ed elegante, hanno ben meritato e dalla loro nazione e dalla universa [sic] umanità. Poiché ogni

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theorie auf philologischer wie ethnographisch-genealogischer Grundlage bei. Im hier erwähnten Zusammenhang ist sie insofern interessant, als dass von ihr tatsächlich zwischen 1770 und 1881 insgesamt 43 verschiedene Orthographiesysteme vorgeschlagen wurden. Die kyrillische Schrift wurde in den rumänischen Territorien vor allem in der literarischen Praxis nach und nach durch lateinische Buchstaben ersetzt, was zwischen 1825 und 1860 in zahlreichen Texten zur Herausbildung einer Mischschrift, dem sog. alfabet civi‘ führte, bis im Jahre 1860 schließlich das Lateinische als verbindliche Schriftnorm durchgesetzt wurde. Vgl. Schlösser 2001: 111. Zur Verbreitung der europäischen Aufklärung in Rumänien und ihrer engen Verwobenheit mit klerikalen Strukturen sowie zu einem Überblick über weiterführende Literatur zum Thema vgl. Lemny 1995. Cattaneo 1837: 130. Ebd. Cattaneos Misstrauen und Skepsis gegenüber dem romantischen Katholizismus und psychologisierender Innerlichkeit entsprach sein Hang zu klassizistischer Ästhetik und historisierenden Themen. Dieser kam in Cattaneos Balbo-Rezension (vgl. Cattaneo 1839a) und seinen sarkastischen Kommentaren zu Niccolò Tommaseos Fede e bellezza (vgl. Cattaneo 1840b) genauso zum Tragen, wie in der gegen A. v. Humboldt vertretenen Zivilisationsrhetorik des ‚Mediterranen‘. Vgl. Timpanaro 1973: 234-236, 272 sowie für weiterführende Literaturangaben vgl. ebd.: 234, FN 12.

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nuovo popolo che o prende parte o si accinge a prender parte alla grand’opera della cultura, è un prezioso acquisto per gli altri tutti. Ogni nazione è capace di gloria scientifica, e la stirpe degli uomini grandi è disseminata parcamente sotto ogni cielo, per cui è interesse del genere umano che sotto ogni cielo del pari le si apra l’adito alla sua gloriosa vocazione.617

Der aufklärerische Anspruch von Cattaneos Epistemologie wird also bereits in seinen frühen philologischen Studien sichtbar. Die Philologie ist für ihn nicht allein Altertumswissenschaft, sondern Lehrmeisterin des Fortschritts durch die Förderung des Bewusstseins über die Sprachen und Schriftsysteme der Nationen, welche erst auf der Grundlage dieses Bewusstseins zu Konventionalisierung und Rezeptionsmöglichkeit, zu effizienter und dennoch eleganter Verwendung in Form literarischer Produktion führe. Erst dadurch werde gesellschaftlicher Fortschritt und überhaupt (demokratische) Gesellschaft möglich. Sprache, Schriftsystem und Literaturen als prospektiv verfasste ‚Institutionen‘ stellten für Cattaneo das zur Verfügung stehende Material dar, aus dem jede nazione entstehe müsse, wenn sie das ‚leopardianische‘ Dasein als popolo hinter sich lassen wolle. Kultur und Literatur, geboren aus der reflektierten und reglementierten Verwendung von Sprache und Schrift sind daher kein Privileg bestimmter Völker. Jede Sprache trägt das Potential zu Literarizität in sich, wenn sie denn durch einige philologische Vorreiter verwendbar gemacht wird. Die Überlegenheit bestimmter Zivilisationen lässt sich aus dieser Argumentation also keinesfalls anhand sprachwissenschaftlicher Befunde und literarischer Zeugnisse für die Zukunft festschreiben. Retrospektiv sind Spekulationen über die ethnische ‚Reinheit‘ eines Volkes anhand dieser Befunde und Zeugnisse für Cattaneo nutzlose und unwissenschaftliche Luftschlösser.

4.3. Ursprungsdenken als pseudowissenschaftliches Narrativ: Kritik an Friedrich Schlegels Indien-Projekt Die im vorigen Kapitel dargestellten epistemischen Prämissen finden sich in wesentlich elaborierterer Form auch in Cattaneos Rezension zu Bernardino Biondellis Atlante linguistico d‘Europa.618 Auf die Bedeutung dieses Textes in der italienischen Philologie haben bereits Sebastiano Timpanaro und Domenico Santamaria aufmerksam gemacht.619 Dieser Aufsatz stellte lange vor der ‚Blütezeit‘ systematischer Rassentheorien der Anthropologie einen Argumentationszusammenhang her, der im diskursiven Raum der Wissenschaften philologisches Wissen klar gegen biologische Spekulationen positionierte. Der Text mit dem später hinzugefügten Titel „Il principio istorico delle lingue europee“ erschien erstmals 1841 in der sprachwissenschaftlichen Sektion des 617 618 619

Ebd.: 130-131. Vgl. Cattaneo 1841 u. Ders. 1846b in Sestan 1952. Vgl. Timpanaro 1973: 257 ff. u. Santamaria 1981: 28 ff.

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Politecnico. Allerdings kann keineswegs als kritische ‚Buchbesprechung‘ bezeichnet werden, da Cattaneo darin kaum auf das Werk seines Kollegen eingeht.620 Vielmehr ist er die ausführliche Darlegung eigener Epistemologie in Verbindung mit jener neuen Wissensformation der vergleichenden linguistica, welche die deutsche Orientphilologie bereits zu so großem Ansehen geführt hatte. Das in der Rezension dargestellte Ziel der linguistica bleibt im Kern mit demjenigen identisch, welches Cattaneo bereits im Nesso dargestellt hatte: Die Epistemologisierung und Formalisierung philologischen Wissens – verstanden als Sammeln von Erkenntnissen über Sprachen und Dialekte anhand methodischen Vergleichs – muss innerhalb einer historischen linguistica geschehen, die vor allem einem pädagogischen Zweck dienen solle. Mit diesem Zweck verfolgte Cattaneo eine für die questione della lingua entscheidende Funktion: Die Identifikation der Italiener mit einer noch zu konstruierenden Nationalsprache trotz der Vielfalt gesprochener Dialekte. Letztere stellten für Cattaneo einerseits Hindernisse dieser Identifikation dar, könnten jedoch andererseits wichtige Hinweise auf historische Prozesse liefern, welche der Geschichtswissenschaft bisher verborgen geblieben waren. Die Funktionalität der Dialekte als „Zeichen eines oftmals feindlichen Ursprungs“ („segni d’un origine spesse volte nemica“) der Bewohner verschiedener Regionen eines „Vaterlandes“ („patria“) für den incivilimento Italiens sei allerdings eher begrenzt. Die linguistica solle den „ungebildeten Bevölkerungsschichten“ („inculte populazioni“) daher vielmehr Lehrmeisterin des ‚richtigen‘ Sprachgebrauchs sein, indem durch das Erlernen grammatikalischer Gesetzmäßigkeiten das leichtere Erlernen von Sprache möglich werde. Andererseits möge sie als ‚werbende Instanz‘ die Wertschätzung einer Sprache fördern, die durch demokratische Konvention standardisiert wurde und eine Möglichkeit gesellschaftlicher Partizipation darstellen könnte: I copiosi fatti si vanno ordinando in una nuova scienza delle lingue, la quale, come le scienze dei tempi e dei luoghi e dei monumenti, sarà nuovo lume all’istoria. E se si vogliono più prossimi vantaggi, la linguistica prepara l’arte d’impararne con prontezza un numero prodigioso. Essa inoltre, studiando il fatto antichissimo della loro propagazione, può insegnarci il modo più breve di condurre le inculte [sic] popolazioni dall’uso dei loro solitari idiomi a quello di qualche favella illustre, sicché possano, come dice Biava, varcar finalmente il limite d’una selvaggia vetustà, e associarsi d’un tratto ai progressi del genere umano. E coll’arte medesima si può dirigere lo sforzo della popolare istruzione contro i cardini fondamentali di quei dialetti, i quali, essendo segni d’un origine spesse volte nemica, perpetuano talvolta la discordia e la debolezza fra gli abitatori d’una patria comune.621 620

621

Zur Bedeutung der Philologie innerhalb des Politecnico und dem dort vertretenen und von Cattaneo entscheidend geprägten Paradigma nationaler Einheit durch Sprache sowie der „Sprachforschung als historische[r] Wissenschaft“ vgl. Gernert 1990: 198-218. Cattaneo 1846 in Sestan 1952: 618.

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Erst durch diese Identifikation mit der patria werden Bevölkerungen (popolazioni) in einen gemeinsamen zivilisatorischen – das heißt rechtlichen und politischen – Kontext eingebettet. Nur so werde popolo zu nazione. Cattaneo hierarchisiert also im Geiste einer aufklärerischen Teleologie, wenn er eine klassische „illustre Sprache“ („favella illustre“) in Form einer Literatursprache von der Sprache der „wilden Ursprüngen“ („selvaggia vetustà“) der Völker trennte.622 Er sah auch Unterschiede in der zivilisatorischen Eignung einer Sprache für die Entwicklung organisierter menschlicher Kollektive, da der Genius einer Nation nicht im Blut, sondern in einer „geheimen Tugend“ („secreta virtù“) des humboldtianisch verstandenen Sprachbaus wurzle. Diese erlaube einigen Völkern ein leichteres Verstehen, während dieses bei anderen „stumpf und steril“ („torpido e sterile“) sei. Cattaneo führt diese problematische Wertung in seinem Aufsatz jedoch nicht weiter aus. Aus dem Kontext wird allerdings ersichtlich, dass er sie wohl keinesfalls in einem essenzialisierenden Zusammenhang gebrauchte. Der menschliche Intellekt sei zwar eingebunden in den Kontext der Nation, jedoch nach wie vor lernfähig, also perfettibile und könne eine sterile Sprache durch bewusste Anpassung an die Notwendigkeit ihrer Anwendungszusammenhänge formen sowie durch die Lehren einer didaktisch verstandenen linguistica den „Durchgang“ („varco“) von Sprache zu Sprache finden, um durch deren Gefilde „geschwind zu fliegen“ („voli velocemente“). Auch zielte Cattaneo bei seiner Sprachkritik nicht so sehr auf die Unterschiede zwischen den ‚großen‘ Sprachfamilien, sondern auf die Eigenheiten der ‚kleinen‘ Dialekte ab: Essa [la linguistica, ML] può agevolare il varco per cui l’intelletto voli velocemente da lingua a lingua; può cogliere il secreto di sopprimere i rudi dialetti; rannodare le nazioni; fare che tutti i popoli acquistino l’uso di quelle illustri lingue, per secreta virtù delle quali l’intendimento torpido e sterile presso alcune nazioni, fu grande e fecondo presso le altre. Il secreto del genio nazionale non risiede tanto nel sangue, quando nel linguaggio.623

Jede Sprache habe also einen Wert. Dieser bestand für Cattaneo, wie er nicht müde wird zu betonen, in ihrer Effizienz zu kommunikativer Interaktion unter den Nationen, gemessen an ihrem Verbreitungsgrad und nicht ausschließlich ihrem Potential zu literarischem Schaffen. Er begrenzte die Rolle der Dialekte damit auf eine historische. Diese Hierarchisierung erleichterte gleichzeitig die Herabsetzung nicht europäischer Völker oder kleinerer Bevölkerungsgruppen durch eine homogenisierende und eurozentrische Zivilisationsrhetorik. Dies auch unter jener anderen großen Prämisse, dass der genio nazionale keines622

623

Der Ursprung des von Cattaneo angeführten Zitats des Mundartdichters Samuele Biava ist unbekannt. Jedoch lässt sich vom Hinweis auf den romantischen Poeten ableiten, dass es dem föderal denkenden Cattaneo nicht um die Entwertung regionaler Besonderheiten in Sprache und Kultur ging, sondern lediglich um die Notwendigkeit zur Aufgabe sprachlicher und damit gesellschaftlicher Isolation in Monoglossie zu Gunsten der kommunikativen Effizienz im Sinne des Fortschritts. Vgl. Sestan 1952: 618 unten. Cattaneo 1846b in Sestan 1952: 652.

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falls typologisch, sondern prozessual und historisch konzipiert ist. Cattaneos nicht unbedingt positive Einschätzung der Rolle von Dialekten innerhalb des incivilimento und bei der Konventionalisierung von Sprache als den „rostigen Überbleibseln“ („rugginose reliquie“)624 vergangener Epochen sollte später bekanntlich von Graziadio Ascoli – einer der wichtigsten Figuren innerhalb der Geschichte der italienischen Dialektologie – relativiert werden. Die ‚Bewahrung‘ der Dialekte als nützlichen pädagogischen Instrumenten hielt Cattaneo in seiner Rezension jedoch für durchaus wichtig. Deren Behandlung durch Bernardino Biondelli lobte er als wichtige epistemische Erweiterung des philologischen Wissens und eine willkommene Einladung zum Studium einer gemeinsamen patria durch Gelehrte aus unterschiedlichen Teilen Italiens. Es war jedoch der Hinweis auf eine Fehlentwicklung, die in Cattaneos Augen die linguistica auf seltsame Abwege führte, dem in seiner Rezension entscheidende Bedeutung zukam. Denn nicht zur Suche genealogischer Mythen, die zwangsläufig in „nationalem Dünkel“ („boria nazionale“) münden würden, sondern aus „dem einfachen und schlichten Verlangen nach Erkenntnis der Wahrheit“ („semplice e schietto desiderio di conoscere la verità“), den positiven Fakten der Geschichte also, solle das Studium der Dialekte in Italien fleißig betrieben werden. Es wäre dadurch Gegengift zu mystisch-mythischversponnenen Ursprungserzählungen. Der polemische Hinweis auf die „Atlantisse“ („Atlantidi“) Angelo Mazzoldis und anderer ‚Historiker‘ ist nicht zu überlesen: A questo grande e non difficile studio dei dialetti devono concorrere tutti gli studiosi delle diverse parti d’Italia, non per boria nazionale, non sull’arbitraria traccia d’Atlantidi disfatte e rifatte, ma per semplice e schietto desiderio di conoscere la verità, come si verrà manifestando; poiché i figli d’una illustre patria debbono star contenti e gloriosi alla semplice e nuda verità.625

Von Cattaneo kritisch gesehen wurde die Tendenz, aus den Erkenntnissen der linguistica typologische Differenzierungen als anthropologischen Konstanten abzuleiten. Ein Paradigma, das Cattaneo ablehnte, da es jenem Zusammenwachsen der umanità zuwider lief, das sich für den Philologen Cattaneo doch gerade durch die linguistica anhand des Sprachwandels darstellen ließe. Die Vereinigung – und nicht das Auseinanderdriften – bestimmt nach Cattaneo den weltweit beobachtbaren Sprachwandel und ging Hand in Hand mit dem incivilimento der Universalgeschichte. Diese Teleologie bewahrte durchaus noch eine anthropologische Dimension. Wie im ‚Italien der Dialekte‘ würde erst eine einheitliche Sprachlichkeit, begleitet von allgemeiner Bildung und infrastruktureller Modernisierung, die Stämme zu Völkern, die Völker zu Nationen und die Nationen zu einer Menschheit werden lassen:

624 625

Ebd.: 653. Cattaneo 1846b in Sestan 1952: 653-654.

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Le lingue vive d’Europa non sono le divergenti emanazioni d’una primitiva lingua commune [sic], che tende alla pluralità ed alla dissoluzione; ma sono bensì l’innesto d’una lingua commune sopra i selvatici arbusti delle lingue aborigene, e tende all’associazione ed all’unità. Se una volta in diverse parti d’Italia e delle isole si parlò il fenicio, il greco, l’osco, l’umbro, l’etrusco, il celtico, il carnico, e Dio sa quanti altri strani linguaggi, come tuttora avviene nella Caucasia, la sovrapposizione d’una lingua commune avvicinò tanto fra loro i nostri vulghi, che ora agevolmente s’intendono fra loro. Il tempo, che cangiò le lingue discordanti in dialetti d’una sola lingua, corrode ora sempre più le differenze dei dialetti; e lo sviluppo delle strade e la generale educazione promuovono sempre più l’unificazione dei popoli.626

Dennoch stand diesem philologischen ‚Optimismus‘ gegenüber der Verschmischung und des Zusammenwachsens der Sprachen und Völker durch Handel und kulturellen Austausch in der Retrospektive eine eher statische Konzeption der Ethnogenese gegenüber, die der Dialektforschung allein ihre Berechtigung verleihe und sie dennoch von dünkelhaften Ursprungsnarrativen abhalten müsse. In Cattaneos anthropologischer Überlegung verschwammen nämlich die sprachlichen Unterschiede zwischen den Völkern eher als die ethnischen. Die Völker neigten trotz ihres Zusammenwachsens zur sedentarietà, einer zähen Sesshaftigkeit, welche ‚biologische‘ Vermischung nur über sehr lange Zeiträume hinweg vonstatten gehen ließ.627 Diese ethnische Zähigkeit halte Idiome oftmals an einem Ort präsent, obwohl sie sich über Generationen ethnisch identischer Sprecher langsam wandelten, um schließlich zu ‚verwitterten‘ Resten der Vergangenheit, zu Substraten neuer Sprachen zu werden: I confini delle lingue variarono; quelle delle stirpi assai meno, e ne rimase la traccia nei dialetti; le vere trasposizioni di popoli si riducono a poche, e divise da vasti intervalli di tempo.628

Die Sprachen Europas und die Dialekte Italiens sind in diesem Modell also in ihren Ursprüngen nicht aus einem, sondern aus vielen Uridiomen entstanden und langsam durch das „Aufpfropfen“ („innesto“) einer gemeinsamen Sprache zu größeren Sprachfamilien verschmolzen. Ähnlich der Sprachvermischung wandernder Menschenhaufen des heroischen Zeitalters in Giambattista Vicos Scienza Nuova, ging Cattaneos Sprachursprungshypothese also von einer polyzentrischen Bildung von Stammesidiomen aus.629 Die Gemeinsamkeiten der 626 627

628 629

Ebd.: 652. Zu Cattaneos Beitrag zur Substrattheorie unter Betonung der sedentarietà vgl. Timpanaro 1973: 262 u. Silvestri 1977: 60 ff. Cattaneo 1846b in Sestan 1952: 628. Über den Ursprung der Sprachen schrieb Vico in den Erläuterungen zur allegorischen Darstellung der Scienza Nuova: „[Le lingue, ML] si formarono prima ciascuna nelle proprie lor terre, ove finalmente si ritrovarono a sorte fermati dal loro divagamento ferino, gli Autori delle Nazioni, che si erano, come sopra si è detto sparsi e dispersi per la gran selva della Terra; con le quali Lingue natie lunga età dopo si mescolarono le Lingue Orientali, o Egiziache, o Greche con la trasmigrazione de’ popoli fatte nelle marine del Mediterraneo, e dell’Oceano che si è sopra accennata.“ Vico 1862 [1744]: 26.

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indoeuropäischen Sprachen wurden in seiner Theorie durch aus Asien einwandernde Indoperser verursacht. In ihnen sah Cattaneo jedoch kein massenhaft in Europa einfallendes Kriegervolk, das sich im Sinne der großen europäischen Völkerwanderungen der Spätantike gen Westen bewegte, sondern – wie auch Friedrich Schlegel – kleine Gruppen von Angehörigen der Priester-, Krieger- und Händlerkasten kulturell hochstehender Priesterreiche. Dies geschah zu einer Zeit, als Europa zwar bereits dicht bevölkert war, aber noch in Barbarei verharrte.630 Diese indopersischen Völker hätten sich wiederum in ständiger Konkurrenz und in kontinuierlichem Austausch mit den semitischen Völkern befunden. Keine dieser beiden Großfamilien sei der anderen überlegen gewesen, beide kannten Phasen der Barbarei und der Zivilisation. Auch trennte Cattaneo zivilisatorische von militärischer Überlegenheit, wenn er schrieb, dass es auch die militärischen Niederlagen seien, die Chancen auf zivilisatorischen Fortschritt brächten, während die siegreichen Völker bald der Verrohung anheimfallen konnten: La famiglia indopersica, ordinata nei grandi imperii sacerdotali di Brama e d’Oromanze, in remotissime età, quando l’Europa giaceva in profonda barbarie, si trovò sin da quei tempi a vicino confine ed in continua lutta colla famiglia semitica […]. L’una e l’altra stirpe fu civile alla sua volta, quando l’altra era imbarbarita; ambedue passarono dall’idolatria alla più sottile spiritualità, da Visnù, da Osiride, da Bela, da Giove, a Oromanze, a Budda, ad Allà; ambedue s’incrudelirono nella vittoria e s’incivilirono nella sconfitta, e nel corso dei secoli avvicendarono lo zela della fede e l’amore della scienza coll’avidità del commercio e col furore della preda.631

Barbarei und Zivilisation, Götzendienst und Spiritualität aller Religionen, Grausamkeit im Sieg und zivilisiertes Handeln in der Niederlage, Glaubenseifer und Liebe zur Wissenschaft, Händlergier und kriegerische Beutewut. Diese Zustände bestimmten für Cattaneo die Geschichte jener historischen ‚Antithese‘, welche doch andere so leicht zur Parteinahme für eine dieser beiden ‚Sprachethnien‘ verleitete. Er näherte sie einander an, ja machte sie letztlich vor der Geschichte gleich. Der zukunftsorientierten Idee vom sprachlichen Zusammenwachsen der Völker entsprach also in Cattaneos Denken eine philologisch-historische Ethnographie der Vergangenheit, welche die Exklusivität einer einstmals vorherrschenden Zivilisationssprache in Europa ablehnte. Cattaneo widersprach daher Georg Friedrich Grotefends Idee vom Zerfall einer griechischen Sprache, die über das ganze Mittelmeer verbreitet gewesen sei und auch dessen genealogischer Spekulation über die Verwandtschaft des

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Zu Cattaneos Theorie über die Indoeuropäer in ihren Parallelen zu den migrationstheoretischen Überlegungen Friedrich Schlegels sowie Cattaneos Vergleich der indoeuropäischen Kolonisatoren mit den in Europa verfolgten Besiedlern Nordamerikas und Australiens vgl. Timpanaro 1973: 260-261. Cattaneo 1846b in Sestan 1952: 624.

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Griechischen mit der Sprache der Umbrer.632 Auch Christian Gottlieb von Arndts These der Dominanz einer einzigen Sprache im alten Europa – nämlich des verlorenen Keltischen – war für Cattaneo ein wissenschaftliches Märchen.633 Grundlegendes Paradigma der wissenschaftlichen Betrachtung europäischer Sprachen müsse die Annahme einer Assimilierung und „Korrosion“ sprachlicher Differenzen sein, welche die Dialekte zusammenführte. Ein Prozess, der in Italien, Frankreich und auf den britischen Inseln vorherrschend gewesen sei: Quindi non è scientifica né vera l’idea di Arndt e di moltissimi suoi connazionali, che nella primitiva Europa dominasse un’unica lingua primigenia, celtica o scitica; non è scientifica l’idea dei Grotefend, che la prisca lingua greca si sia scomposta in più lingue così diverse ‘ut non mirandum sit quod tandem Graecis barbarae viderentur’. Il tempo dilata il campo delle lingue, e perciò ne diminuisse il numero; Esso ne scolora le differenze, nella stessa misura che dilata e congiunge i consorzi civili, e costruisce le tribù in popoli, e i popoli in nazioni.634

Cattaneo distanzierte sich durch diese Kritik deutlich von Biondelli. Letzterer zitierte Grotefend in seinem Atlante für seine eigene genealogische Theorie über die Sprache des alten Latium in ihrer Verbindung zur etruskischen und hellenischen Sprache.635 Arndts Erkenntnisse waren für Biondelli Hinweise auf die Verwandtschaft der albanischen Sprache mit dem Keltischen und den anderen indoeuropäischen Sprachen.636 Aus diesen Erkenntnissen und den Argumenten anderer Gelehrter, darunter Franz Bopp, folgerte Biondelli daher die 632

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Cattaneo bezog sich auf eine auch von Biondelli zitierte Grotefend-Stelle in dessen Rudimenta linguae Umbricae, ex inscriptionibus antiquis enodata (1835-1838), in welcher dieser die alten Griechen von den Hellenen unterschied, um aufgrund der sprachlichen Verschiedenheit der älteren mit den jüngeren hellenischen Idiomen eine genealogische Verbindungslinie zu den italischen Umbrern herzustellen. An deren Sprache sei der griechische Ursprung noch erkennbar, wohingegen sich andernorts die hellenischen Dialekte bis zur Unkenntlichkeit verändert hätten. Vgl. Grotefend 1839: 8. Der ethnographische Exklusivitätsanspruchs Von Arndts Suche nach den keltischen Substraten in den europäischen Sprachen wird deutlich, wenn das keltische Element zur Essenz der europäischen Sprachen und damit zum paneuropäischen Ursprungsnarrativ im wissenschaftlichen Gewand umgedeutet wird: „Es gab zur Zeit des ersten Anfangs der Geschichte unseres Welttheiles (wahrscheinlich schon lange vor der Ankunft der slawischen und germanischen Sprachen) in den westlichen Gegenden Europens, eine, uns übrigens ganz unbekannte Sprache, die man mit dem Namen keltische Sprache bezeichnete. Man hat über diese Sprache in neuern Zeiten verschiedene große Werke geschrieben, und sie bald zur Ursprache des Menschengeschlechts (langue primitive), bald zu einer Art von mystischer Sprache gemacht, die man überall suchte, und überall zu finden glaubte. Vielleicht würde man die streitenden Stimmen am besten vereinigen, wenn man annehmen wollte: daß die alte verlorene keltische Sprache ein großer (vielleicht aus den Ursprachen Europens gemischter) Sprachstamm gewesen sey, dessen verschiedene Zweige sich einmal über den größten Theil Europens verbreitet haben; daß diese keltische, oder sogenannte Ursprache unsers Welttheils, nachher durch andere eingedrungene Sprachen von fremden Stämmen, zwar überall bedrängt oder vertrieben, aber doch nicht gänzlich vernichtet sey […].“ Arndt 1818: 6. Cattaneo 1846b in Sestan 1952: 653. Vgl. Biondelli 1841: 96. Vgl. Ebd.: 71.

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einstige Einheit der Indoeuropäer, entstanden aus hellenischer Verarbeitung orientalischer Weisheit und der Verbundenheit dieser Zivilisationsbringer mit den Völkern des Nordens durch „einen regelmäßigen und philosophischen Aufbau“ („una regolare e filosofica tessitura“) der indoeuropäischen Sprachen.637 Dagegen hielt Cattaneo auch im Hinblick auf die europäischen Sprachen – insbesondere auf die Sprachen des Mittelmeeres – an seinem historischen Paradigma vicoscher Prägung fest, das nicht irgendeine mythische Urzivilisation, sondern die Barbarei zum historischen Ausgangspunkt und Indiz für die zukünftige Entwicklung der Menschheit nahm. Diese heterogenisierende Sichtweise auf die prisca Europa führt uns zum Kernpunkt von Cattaneos Rezension: Der Kritik an Friedrich Schlegels Indien-Mythos. Zwar folgte Cattaneo – trotz seiner Skepsis gegenüber der Theorie sprachlichen Auseinanderdriftens der europäischen Sprachen – Schlegel in der Annahme grammatikalischer Depravation und Simplifizierung der indoeuropäischen Sprachen, wie letzterer sie in der formalen Verarmung des Sanskrit und des Lateinischen im Vergleich zu den modernen, indoeuropäischen Sprachen erkannte. Jedoch machte Sebastiano Timpanaro bereits deutlich, dass es Cattaneos Paradigma von Sprache als sozialem Phänomen war, das zwischen den Brüdern Schlegel und Cattaneo einen tiefen epistemischen ‚Graben‘ darstellte: Al pari dei Schlegel e di W. von Humboldt, egli [Cattaneo, ML] era convinto che le lingue, a seconda della loro maggiore o minore ricchezza di possibilità espressive, promuovessero o inceppassero lo sviluppo intellettuale dei popoli che le parlavano. Ma mentre gli Schlegel, misticheggianti e reazionari, vedevano il non plus ultra nella lingua e corrispettivamente, nella ‘sapienza’ degli indiani, il Cattaneo aveva ben altri ideali: la civiltà non era per lui sapienza contemplativa, ma attività modificatrice della natura, scienza che si traduce in progresso economico, vita politica che tende a costituire associazioni sempre più vaste senza però introdurre un’uniformità desolante, senza violare i diritti dei singoli gruppi minori.638

Dieser ‚Graben‘ einer „verändernden Tätigkeit der Natur“ („attività modificatrice della natura“) relativierte die mystifizierende Bedeutung des vermeintlichen Formenreichtums alter Hochsprachen als Gegensatz zur grammatikali637

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Biondelli nennt im Hinblick auf die Erforschung der antiken italischen und griechischen Sprachen neben Grotefend, Burnouf, Thiersch und Raynouard, für den Nachweis der Verwandtschaftsbeziehungen zahlreicher Sprachen durch Vergleich neben Arndt und Bopp, auch Rask, Dorn, Xylander und Eichhoff. Zu den genauen Werkangaben vgl. Biondelli 1841: 14. Biondelli enthierarchisierte dadurch die indoeuropäische Sprachfamilie, indem er die Superiorität aller indoeuropäischer Sprachen, nicht nur der klassischen Zivilisationssprachen Griechisch und Latein, betonte: „Non v’ha dubbio: quei classici idiomi ai quali testé si prodigava generalmente il nome di madri-lingue, e che si divisero per tanti secoli l’esclusivo onore di lingue culte, non sono più per il linguista se non dialetti affini e derivati, i quali, non solo hanno comune colle lingue credute barbare l’origine, ma si dividono eziandio con esse il vanto d’una regolare e filosofica tessitura.“ Ebd.: 15. Timpanaro 1973: 264-265.

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schen Armut moderner Sprachen für die Wissenschaft im Sinne aufklärerischer clarté. Der fehlende Zusammenhang von gleichmäßiger Sprach- und Kulturentwicklung, wie ihn die Aufklärung in Form eines universell gültigen und linear konzipierten Fortschrittsoptimismus auf Grundlage einer homogenen ratio des Menschen vertrat, war nämlich seit Friedrich Schlegels fundamentaler Erkenntnis von der Verarmung der indoeuropäischen Sprachen in ihren grammatikalischen Strukturen epistemisch in Frage gestellt. Diesen Zweifel an aufklärerischen Lehrmeinungen umging Cattaneo jedoch durch seinen Glauben an die perfettibilitá und die verbindende Kraft der kommunikativen Funktion von Sprache. Er rettete somit ein Stück teleologischer Paradigmatik der Spätaufklärung, um einem degenerativen Sprachdenken auszuweichen, das sich doch allzu leicht in eine deterministische und dadurch undemokratische Dialektik zwischen Zivilisationsadel und ewig darbendem ‚Barbarenplebs‘ stellen ließe. Im Gegensatz zu Bernardino Biondelli verwarf Cattaneo daher Friedrich Schlegels These von der Weisheit der alten Inder, die sich zusammen mit einem wandernden Priester- und Kriegervolk bis nach Europa ergossen hat. In Schlegels Ursprungstheorie sah der Lombarde nichts anderes als eine ‚indischdeutsche‘ Fortsetzung jener Ursprungsmythen, die den europäischen Nationen seit dem 18. Jahrhundert – allein aufgrund philologischer Narrative – eine Sonderstellung im universellen Zivilisationsprozess einzuräumen suchten.639 Ein Aberglaube der indischen Völker an Schlegels „wunderbaren Begriff von der hohen Würde und Weisheit des Nordens“, der die indischen Stämme auf der Suche nach dem Weltenberg Meru nach Germanien geführt habe, war für den Südeuropäer ein Märchen, das sich nicht einmal in den Sagas und Mythen der germanischen Barbaren nachweisen lasse und geographisch äußerst unwahrscheinlich sei.640 Zwar könnte es Wanderungen nach Westen gegeben haben, aber dieser ‚Westen‘ lag für Cattaneo weiter südlich: Ma come mai codesti popoli, che dai più eccelsi monti del continente, dai monti sacri della religione loro, andavano a furia cercando il monte Merù nelle interminabili pianure della Scizia e della Sarmazia, come mai, giunti al fine della vana loro corsa, non ricordarono tampoco nelle loro saghe il nome del famoso monte? […] Del resto non appare gran fatto codesta mirabile idea dell’eccellenza del settentrione, dacché la supposta direzione di quelle orde primitive, dalle foci del 639 640

Vgl. Cattaneo 1846b in Sestan 1952: 625. Vgl. ebd.: 631. Cattaneo bezieht sich auf Schlegel 1808, Buch III, 3. Kap.: 194, „Von den indischen Kolonien und der indischen Verfassung“, wo die „Verehrung des Nordens“ zum Topos und Zentrum der indischen Literatur erklärt wurde: „In der indischen Mythologie findet sich etwas, was diese Richtung nach Norden vollkommen erklären kann; es ist die Sage von dem wunderbaren Berg Meru, wo Kuvero, der Gott des Reichthums, thront. Mag nun dieser Begriff aus einer missverstandenen Ueberlieferung, oder aus was immer für einer dunklen Naturansicht und Naturaberglauben entstanden sein; genug, diese hohe Verehrung des Nordens, und des heiligen Berges im Norden ist da, und sie ist nicht blos [sic] eine Nebensache in dem ganzen Systeme der indischen Denkart, sondern ein überall wiederkehrender allen ihren Dichtungen tief eingeprägter Lieblingsbegriff.“

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Volga a quelle della Loira e del Reno, sarebbe per verità verso ponente; e a ponente fanno faccia tutte quelle squadre istoriche di Gaeli, di Cambri, die Germani, di Lituani, di Slavi.641

Für den Italiener waren es keinesfalls die barbarischen Völker jenseits der Alpen, die zuerst der orientalischen Weisheit teilhaftig wurden. Insofern sah er die ‚Würde‘ und ‚Weisheit‘ zwar in der einstmals unleugbar vorhandenen Fortschrittlichkeit der indischen Zivilisation, jedoch kaum in wilden Gegenden europäischer Peripherie jener sagenhaften Zeit. Cattaneos klassizistische und patriotische Prägung brach sich hier wieder Bahn, wenn er Kelten, Germanen und Slaven als armselige Nachzügler der Römer und Griechen herabsetzte.642 Wie gegenüber Alexander von Humboldt betonte Cattaneo die zivilisatorische Vorrangstellung des Mittelmeeres in einer eher ‚trotzigen‘ als essenzialisierenden Feier der Latinità gegenüber Friedrich Schlegels indisch-nordische Zivilisationsmystik. Dieser Patriotismus erhob jedoch aufgrund seiner epistemischen Fundierung nicht den Anspruch auf zivilisatorische – und schon gar nicht ethnische – Exklusivität innerhalb des großen ‚Reigens der Geschichte‘.643 Besonders polemisch stimmen Cattaneo daher die genealogischen und typologischen Selbstbestimmungen der europäischen Nationen, sobald philologisches Ursprungsdenken und zivilisatorische Überheblichkeit mit offensichtlichen physischen Unterschieden in Konflikt gerieten. Dies sei dann der Fall, wenn vermeintlich inferiore und beherrschte Völker in den Augen ihrer Kolonisatoren-‚Gönner‘ beginnen, die Sprache der Eroberer und Kolonisatoren zu sprechen. Frankreich bot ihm mit seinem ‚germanischen‘ Gründungsdokument des Frühmittelalters, der Präambel zur fränkischen Lex Salica, einen Anlass für die spöttische Exemplifizierung der Untragbarkeit jeglichen exklusiven Ursprungsdenkens auf sprachlicher Grundlage: Per trovare l’origine di quei Franchi, che perfino nei preamboli delle loro leggi, vantavano la candidezza dei loro volti (‘Gens Francorum inclyta…candore et forma egregia’), si dovrà dunque retrocedere faticosamente sulle tracce dei bruni Zingari fino alle pianure dell’Indo. Se così fosse, ai nostri giorni i Francesi si dovrebbero parimente dire del medesimo sangue dei Negri di Haiti, perché questi essendo raccolti qua e là per l’Africa da molti paesi di diversa favella, dovettero intendersi anche fra loro colla lingua dei loro padroni?644

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Cattaneo 1846b in Sestan 1952: 631. Vgl. Timpanaro 1973: 270-273. Es ist vielleicht zu hart geurteilt, wenn Timpanaro Cattaneo neben einem demokratischen „patriottismo europeo“ einen antiaristokratischen „patriottismo antiasiatico“ unterstellte. Cattaneo verteidigte zwar die zivilisatorische Vorrangstellung der mediterranen Völkerschaften aufgrund ihrer frühzeitigeren Zivilisierung durch aus Asien kommende Einflüsse, gebrauchte dabei jedoch, wie Timpanaro selbst hervorhob, immer noch den mystischen Begriff der Pelasger als Mittler zwischen Asien, dem Orient und der mediterranen Welt. Vgl. ebd.: 265-266. Cattaneo 1846b in Sestan 1952: 632.

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Diese Kritik am Paradigma der Blutsverwandtschaft aller Sprecher derselben Sprache ist zugleich ironische Kritik am zivilisatorischen Überlegenheitsdenken der weißen Europäer, indem es die Sprache von Haiti, Kolonialfrankreichs schmerzlich verlorener ‚Perle‘ der Karibik, in hämischen Kontrast zum physisch-rassischen Identitätsentwurf eines grundlegenden Gesetzestextes der französischen Nation anführte.645 Jedoch war und bleibt der tiefere Grund für diese Aussage ein epistemischer: Eine genealogische Privilegierung eines bestimmten Volkes in der Geschichte ließ sich für Cattaneo wissenschaftlich weder mit physischen noch mit sprachlichen Unterschieden belegen. In seiner Skepsis gegenüber idealistischem oder romantischem Transzendenzdenken war Cattaneo ein aufgeklärter und skeptischer Positivist. Bei ihm zeigte sich die italienische Philologie resistent gegen jene reaktionäre Interpretation einer metaphysischen Genealogie des Geistes, die der Positivismus durch die schlegelsche Philologie zu erben drohte. Diese Art eines paradoxen, metaphysisch modifizierten Positivismus machte die Polygenese des Menschen in sprachlicher und biologischer Hinsicht zu einem Hauptkriterium ihrer Epistemologie und zersetzte den Universalismus der ratio als Kernprinzip aufklärerischen Denkens. Die Instrumentalisierbarkeit dieser Relativierung der Menschlichkeit (umanità) für die antidemokratischen Interessen von Antiabolitionisten und Befürwortern des Kolonialismus lag bereits für Cattaneo auf der Hand. Schlegels Philologie, die methodisch fruchtbare Anreize bot und epistemisch doch so viele Prämissen und Axiome der Aufklärung in den Wind schlug, war für Cattaneo Ausdruck dieses Zwiespalts, der positivistisches Gebaren von Anfang an begleitete. Ein Gebaren, das sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts doch immer stärker im philologischen Diskurs durchzusetzen begann: Il Cattaneo da un lato vedeva affermarsi principii per i quali aveva sempre combattuto: valore preminente della scienza, negazione di ogni metafisica, assoluta laicità. Dall’altro osservava con sospetto certi elementi antidemocratici e inconsapevolmente metafisici che il positivismo aveva ereditato non tanto dall’illuminismo settecentesco, quanto dal romanticismo. Uno di questi elementi era appunto il poligenismo linguistico e razziale, che, sebbene presentato sotto veste rigorosamente scientifica, rivelava la sua diretta discendenza della conce-

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Zum Problem einer politischen Epistemologie kolonialistisch perspektivierter Philologie, wie es in der Einordnung von Kreolsprachen und kreolischer Literatur im Kontext des französischen Kolonialismus während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts offensichtlich wurde vgl. Krämer 2013a u. 2013b. Cattaneo sprach mit der Frage nach der französischen ‚Identität‘ über Sprache mit Haiti ein gänzlich neues ‚Paradigma‘ gegenüber der Frankophonie an, welches gerade im Bereich der Literatur neue Räume der Emanzipation von festen Identitätsmustern erschließbar machen sollte. Zwar konnte ihm dies Entwicklung jenseits einer Dialektik zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten noch nicht bewusst sein. Sie wäre jedoch eine logische Entwicklung aus den Paradigmen seines universalgeschichtlichen Verständnisses. Vgl. Müller 2012.

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zione romantico-reazionaria di Friedrich Schlegel, ed era poi sempre più esplicitamente diventato uno strumento di interessi schiavisti e colonialisti.646

Was Victor Klemperer aus der Retrospektive noch einmal deutlich machte – die Verbindungslinien ideologischer Prämissen der Romantik mit dem Rassismus im Feld der Philologie – war für den demokratischen ‚Aufklärer‘ Cattaneo bereits eine sich abzeichnende und gefährliche Entwicklung. Cattaneo kritisierte Friedrich Schlegel aufgrund einiger kulturanthropologischer Aussagen, die dieser vor allem im zweiten Buch seines Werks Von der Sprache und Weisheit der Indier formulierte. Damit gab er zu erkennen, dass es ihm nicht um eine Fundamentalkritik an dessen nützlicher Methode des Sprachvergleiches ging, wie sie im ersten Buch Darstellung fand, sondern um Schlegels anthropologisch und historisch zweifelhafte Epistemologie. Der Positivist Cattaneo wandte sich gegen die von transzendentalen Begriffen geprägte Geschichtsauffassung des Romantikers, „nach welcher das historische Geschehen auf die geistigen Werte zu beschränken ist“647. Cattaneos Rezension zu Biondellis Atlante linguistico wollte – als Einmischung in den philologischen Diskurs – die in Italien gerade erst beginnende Verbreitung jener vergleichenden linguistica von einem erkenntnistheoretischen Mystizismus befreien und doch vom Nutzen einer neuen Technik profitieren. Cattaneo setzte mit der Trennung von Sprache und Blut ein methodisches Paradigma, das auf dem Axiom einer Historizität beruhte, die sozial und nicht physiologisch verfasst war und der Mensch und Sprache in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterworfen sind: „Eine Sprache einzuführen bedeutet nicht, den Venen anderes Blut einzuflößen“ („Introdurre una lingua non significa infondere nelle vene un’altro sangue“)648. Sprach- und Dialektvergleich wären dadurch zwar für das Kartographieren von Beziehungen und Unterschieden zwischen den Völkern und Nationen durchaus von Nutzen und in diesem Sinne ethnographisch, jedoch besäßen sie keinerlei Aussagekraft über biologische Kriterien wie den Grad an physischer Vermischung eines Volkes. Als ein Erbe der Aufklärung, aber auch des Humanismus, bliebe die umanità einzige ‚Essenz‘ des Individuums als eines anthropologischen Konzepts, das im Gegensatz zum geschlossenen Kollektiv-Individuum eines statischen Volksgebildes die Geschichte bestimmte.649 Umanità nicht nur als Menschheit im Sinne des genere umano, sondern als kollektive, menschliche Potentialität jenseits der Historie! Diese eine Essenz des Menschen ist für den Aufklärer aller Italiener die tiefere Bedeutung von des Begriffs, den er gegen die mystifizierenden Tendenzen der deutschen Romantik und später gegen die deterministischen Theorien des Biologismus – die historische Umkehrung von Ursprung und Fortschritt ersterer und die atemporale Statik letzterer – betonte. 646 647 648 649

Timpanaro 1973: 277. Lederbogen 1908: 39. Cattaneo 1846b in Sestan 1952: 648. Zu diesem Konstrukt bei Fr. Schlegel vgl. Lederbogen 1908: 73.

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Mit seiner harschen Kritik an der Anthropologie Samuel Mortons und der amerikanischen Rasseforscher Josiah Nott und George Gliddon, sowie an der Instrumentalisierung wissenschaftlicher Typologie physisch fixierter Menschenrassen im Dienste der Sklaverei, zeigte Cattaneo in späteren Schriften deutlich, wie sehr ihn die Problematik einer Spaltung und die damit einhergehende statische Hierarchisierung der Menschheit auf allen Seiten des Wissens vom Menschen umtrieb. Durch die Erkenntnis der historischen Irrationalität, die rassistischen Theoremen und Ideologemen zugrunde lag, war bereits die Existenz dieser Theorien eine Beleidigung für Cattaneos Wissenschaftsverständnis: „Die Autoren [Morton, Nott und Gliddon, ML] haben der Wissenschaft die Politik untergeschoben, der Wahrheit das Vorurteil“ („Gli Autori hanno sottomesso alla politica la scienza, al pregiudizio la verità“)650. Die Historizität als theoretischer Dreh- und Angelpunkt von Cattaneos Empirie wurde durch die Typologien der anthropologischen Rassenlehren und des Rassismus genauso mit Füßen getreten wie das demokratische Gesellschaftsverständnis des Lombarden. Es waren die zivilisatorischen Argumente demokratischer Aufklärer zu staatlicher Organisation und Menschenrechten, nicht diejenigen der Physiologen und Evolutionstheoretiker, die für Cattaneo über die Nähe zu tierischer Barbarei zu entscheiden hatten. Diese konnten im demokratischen Sinne keinerlei ‚genetisch‘ begründete Hegemonie bestimmter Gruppen innerhalb der Menschheit zulassen. Die Gestalt des Apoll von Belvedere, die in Nott und Gliddons 1854 erschienenen Abhandlung Types of Mankind zum Paradigma physischer Schönheit und intellektueller Überlegenheit des europäischen Menschen erhoben wurde, konnte von Cattaneo daher in ihrer legitimatorischen Funktion einer ästhetischen Engstirnigkeit aristokratischer Eurozentristen und Rassisten entlarvt werden.651 Ihre graphisch-anthropologische Instrumentalisierung als Rechtfertigungsgrund für die Erniedrigung der Afroamerikaner in der Sklaverei durch Nott, Gliddon und Morton verwandelte sich in der Argumentation des Italieners von wissenschaftlicher Forschung zu einem willkürlichen Akt unmenschlicher Barbarei: Noi vorremmo poter torre dal prezioso volume quel foglio dove si prende a prestito dall’opera di Martin, L’uomo e le scimie [sic] (Man and Monkeys), l’idea di delineare il volto e il cranio d’un Negro tra quelli dell’Apollo di Belvedere e 650 651

Cattaneo 1862: 357. Ganz im Gegensatz zur anthropologischen Idealisierung der griechischen Plastiken vom Menschen als Beweise einer Theorie der physischen und intellektuellen Überlegenheit der ‚Japhetischen Rasse‘ beim englischen Naturforscher William Charles Linnaeus Martin: „As an illustration of the Greek style of head, that of the Apollo […] has been selected; not indeed, that it was a copy of any individual of that nation; but, what is far more important, it embodies the conceptions of the Greeks themselves, with respect to physical excellence, and intellectual greatness; it is an exalted or deified personification of the Greek physiognomy, such as the sculptor contemplated it in his countrymen, and it exhibits all the peculiarities of the Greek type. [...] This harmony, between the upper and lower parts of the face, is conspicuous in all the Greek representations of heroes, or of deities.“ Martin 1841: 230.

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d’una scimia. A noi non importa che un Negro sembri nelle sue forme più vicino ad una specie qualsiasi d’animali che a un Dio. Noi collochiamo l’uomo al supremo grado d’una scala che comincia dalle monadi organiche per ascendere fino al selvaggio, cioè fino all’essere parlante. Questo a noi pare già un gran progresso. E dal selvaggio più vicino al bruto, per noi, comincia un’altra scala, che ascende fino agli eroi della ragione e dell’umanità. Tutte le nazioni che diedero alcuno di codesti eroi, sono venerabili per noi; ma tutte le altre per noi sono egualmente inviolabili; e non riconosciamo egemonie del genere umano.652

Analog zu den universellen Fortschritts-Gesetzen Auguste Comtes, philosophischer Vater des Positivismus, war für Cattaneo jene Gleichheit der Menschen, die alle offensichtlichen Unterschiede der Völker und Ethnien überwand, keine allein ethisch verbindliche Tatsache, hervorgerufen durch einen Hang zur Brüderlichkeit, der dem Menschen mystisch eingeboren wäre. Sie war vielmehr als politische Notwendigkeit Garant für den sozialen Konsens, der in der menschlichen perfettibilità als universellem Keim der Zivilisation angelegt war, aber erst im Fortschritt, vermittelt durch Wissenschaft und Pädagogik, realisierbar gemacht werden musste.653 Im Gegensatz zu Comtes kritischer Einschränkung des Gleichheitsbegriffs umfasste dieser bei Cattaneo jedoch nicht nur die sozialen und epistemischen Prozesse menschlicher Entwicklung, sondern auch deren politische Umsetzung.654 Eine essenzielle Differenzierung der Menschheit durch die Wissenschaft war für ihn weder aus epistemischen noch aus politischen Gründen tragbar, weder in der Philologie noch in den anthropologischen Naturwissenschaften.655 Vor diesem Hintergrund sprach Sebastiano Timpanaro – in Anbetracht seines Gesamtwerks – Cattaneo zu Recht nicht nur von jeglichem Rassismus, sondern auch von einem italienischen Ethnozentrismus als Gegengewicht zum deutschen Indoeurozentrismus frei, wie er bei Cattaneo hier und da als klassizistischer Dünkel zum Vorschein kam, wenn es um die Schriften deutscher Gelehrter ging:

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Cattaneo 1862: 357. Cattaneo bezog sich im vorliegenden Zitat auf die graphische Darstellung des Kopfes des Apoll von Belvedere über denjenigen eines ‚Schwarzen‘ und eines Schimpansen, welche den Zeichnungen der entsprechenden Schädelform zur Seite gestellt wurde. Nott und Gliddon hatten die Graphik aus William Martins Abhandlung Man and Monkeys übernommen vgl. Nott/Gliddon 1854: 458, Fig.: 339. Zur Universalität von Comtes Drei-Stadien-Gesetz, und dessen Konzeption von sozialer Statik als Garanten des sozialen Konsenses sowie andererseits dynamischer Prozesse als Motoren des Fortschritts im Système de politique positive (1851-1854) vgl. Bock 2003: 43, 46-50. Im Gegensatz zu Cattaneo, welcher einen affirmativen Gleichheitsbegriff vertrat, war Comtes Konzept der positivistischen Universalität von wesentlich skeptischerer Natur in Bezug auf die menschliche Gleichheit, wie aus seinem Cours de philosophie positive (1830-1842) ersichtlich wird. Obwohl Comte in Demokratie, universellem Wahlrecht und dem volonté générale in erster Linie Dogmen des metaphysischen Zeitalters zur Überwindung des Ancien régime sah, wähnte er in diesen Grundsätzen auch die Gefahr der Anarchie und einer Diktatur der Masse. Das Dogma der Gleichheit wurde von Comte ebenso wie die Souveränität der Völker daher abgelehnt. Vgl. Angenot 2004: 14 ff., 39-40. Vgl. Timpanaro 1973: 282.

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Ma l’importante è che il Cattaneo non contrapponeva al primato della razza germanica un non meno cervellotico primato della razza mediterranea (come poi farà Giuseppe Sergi) o della razza bianca in generale, ma anzi considerava la tardiva fioritura culturale dei popoli germanici come la prova migliore che ‘non bisogna disperare di alcuna parte del genere umano’ che non esistono razze votate per sempre alla barbarie o alla schiavitù. [...] Così il razzismo era combattuto non in nome di pure esigenze morali – inefficaci contro chi faceva orgogliosamente appello alla scienza –, ma proprio smascherandone il carattere pseudoscientifico: ‘È un’idea barbara, che s’involge nei panni della scienza. È tempo di ridurla alla sua barbara nudità‘.656

Ergänzend muss hinzugefügt werden, dass Cattaneo zwar die Pseudowissenschaftlichkeit des Rassismus entlarven, jedoch dessen Epistemologisierung im Zuge des physischen Determinismus und der Evolutionstheorien, wie sie auch innerhalb der italienischen Philologie stattfand, nicht verhindern konnte. Eine Entwicklung, die uns noch beschäftigen wird.

5. Ein skeptischer Mahner – Gabriele Rosa und die ‚Anthropologisierung‘ der Philologie Die Widerstände, die sich mit Romagnosis und Cattaneos historischem Modell einem innerhalb der Philologie grassierenden Rassedenken entgegenstellten, sollten den Diskurs auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht unerheblich beeinflussen. Als durch die Rezeption der Schriften Ernest Renans und Max Müllers das Kriterium der Rasse und das arische Paradigma auch in Italien höhere Relevanz für das philologische Wissen erfuhren, finden sich Carlo Cattaneos Argumentationszusammenhänge – seine historische Kontextualisierung von Sprache und Kultur – in den Schriften des demokratischen Historikers, Philologen, Schriftstellers und Regionalforschers Gabriele Rosa wieder. Dieser berief sich unermüdlich auf seinen lombardischen Mitstreiter für ein liberales Italien der Demokraten und auf seine Argumente gegen essenzialisierende und deterministische Paradigmen. Gleichzeitig hatte Cattaneos epistemologische Konzeption der Philologie Einfluss auf Rosas intensivere Beschäftigung mit der dialektalen Vielfalt in den italienischen Regionen.657 Doch ergänzte Rosa Cattaneos historisches Paradigma in einem zent656 657

Ebd.: 280, die Zitate beziehen sich auf Cattaneo 1862: 355. Vgl. Santamaria 1980: 202-204. „In conclusione, il Rosa risulta essere l’unico studioso ottocentesco, così crediamo, che abbia maggiormente compreso e posto in evidenza le più importanti idee linguistiche del Cattaneo, appena alcuni anni dopo la loro formulazione. [...] Va anche attribuito al Rosa il merito di aver approfondito la lezione del Cattaneo con l’acquisizione di nuovi argomenti derivanti soprattutto dalla sua esperienza di dialettologo, e

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ralen Punkt, indem er universalgeschichtliche Fragestellungen der Philologie noch stärker auf die Funktion von Sprache im situativen Kontext gesellschaftlichen Zusammenlebens konzentrierte: In effetti, il Rosa giunge alla sua teoria in quanto accoglie lo storicismo cattaneiano come una base di impostazione teorica mediante la quale perviene ad acquisizioni che non sono, sì, del Cattaneo, ma che vanno intese come un ulteriore sviluppo del pensiero del Cattaneo: infatti da una stretta correlazione tra lingua, storia e civiltà si passa a una stretta interrelazione tra lingua, storia, civiltà e società; da una stretta interrelazione tra lingua e pensiero si passa a una stretta interrelazione tra lingua, pensiero e società […].658

Gabriele Rosa, der aus Bergamo stammte, war mit Graziadio Ascoli befreundet und tat sich als einziger Mitarbeiter von dessen Studj orientali e linguistici hervor.659 In seinem politischen Engagement stand er dem intellektuellen Patrioten Carlo Cattaneo nicht nach, schwankte jedoch seit seinen politischen Anfängen als Mazzinianer zwischen einer radikal-republikanischen sowie unitarischen Form der Demokratie und dem eher gemäßigten Prinzip des Föderalismus, wie ihn sein norditalienischer Mitstreiter für ein vereinigtes Italien wünschte.660 Eine Parallele zu Cattaneo bestand darin, dass sich Rosa eher als (Universal-)Historiker, denn als Philologe verstand, auch wenn er in Gefolgschaft Vicos in der poetischen Sprache, den Mythen und den religiösen Epen die ersten ‚Geschichten der menschlichen Geschichte‘ als Ausdruck der ihnen zugrundeliegenden „natürlichen und zivilgesellschaftlichen Tatsachen“ („fatti naturali e civili“) erblickte.661 Dieses universalgeschichtliche Konzept prägte die weitschweifende Thematik von Rosas zahlreichen landeskundlichen, historischen, philologischen und politischen Abhandlungen, Rezensionen und Zeitschriftenbeiträge.662 Er befasste sich daher auch intensiv mit neueren Entwick-

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dalla sua attività divulgativa dei progressi a cui era pervenuta la linguistica tedesca nel decennio 1845-1854. Pertanto l’influenza del Cattaneo sul Rosa si esplica non solo sul piano strettamente dialettologico, come ha osservato l’Ascoli, quanto specialmente sul piano della linguistica teorica con particolare riguardo alla problematica del mutamento linguistico.“ Ebd.: 211. Ebd.: 210. Vgl. Brambilla 2009: 87. Zur politischen Biographie Gabriele Rosas und seiner intensiven Tätigkeit als intellektueller Theoretiker eines demokratischen Italien zwischen Carlo Cattaneos Föderalismus, Giuseppe Mazzinis radikalem Republikanismus sowie Argumenten und Ideen des Sozialismus vgl. Angelini 2003: 9-74. Vgl. Rosa 1847: 427. Zahlreiche Arbeiten Rosas befassten sich mit regionalhistorischen Themen. Dabei widmete er sich in erster Linie den norditalienischen Regionen wie der Lombardei (vgl. Rosa 1857) und den Tälern um den Lago d’Iseo (vgl. Rosa 1850, 1886, 1881) sowie Städten wie Brescia und seinem Geburtsort Bergamo (vgl. Rosa 1855). Aber auch über die mittelitalienische Stadt Ascoli Piceno verfasste Rosa eine umfangreiche geschichtliche Abhandlung. Vgl. Rosa 1869.

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lungen innerhalb der Philologie, noch bevor diese einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden und stand ihnen keineswegs ablehnend gegenüber.663 So fand Rosas Tendenz zu einer ‚Vergesellschaftung‘ der Philologie, wie sie Domenico Santamaria beschrieben hat, bereits sehr früh publizistischen Ausdruck, wenn er noch vor der Veröffentlichung von Max Müllers Lectures die vergleichende Erforschung der Mythen nicht nur als historische Forschung erfasste, sondern ihre soziale Funktion und Relevanz betonte. In „Dei Miti Greci e Latini“, einem Artikel, der 1847 in der Rivista Europea veröffentlicht wurde, forderte Rosa neben einer kritischen und methodischen Untersuchung der gut überlieferten griechisch-römischen Mythenwelt auch ihren Vergleich mit den Mythen anderer Zivilisationen.664 Parallel zu Cattaneos Konzeption der linguistica galt für Rosas Skizze vergleichender Mythenforschung die Prämisse, dass die Verbreitung und Vermischung mythologischer Narrative der ‚klassischen‘ Antike vor dem Hintergrund einer historischen Anthropologie unter Emanzipation von Vicos theologischer Axiomatik verstanden werden müsse. Unter der Prämisse, dass der Mensch überall gleich geschaffen sei, habe Vico nämlich den falschen Schluss gezogen, dass sich der Keim der Zivilisation in vereinzelten Trägervölkern isoliert und unabhängig entfaltet habe. Dies könne aber nur für einige Völker Zentralasiens oder im präkolumbianischen Amerika der Fall gewesen sein. Für das Mittelmeer und Kleinasien gelte diese Annahme sicher nicht, da hier bereits früh ein reger Ideenaustausch stattgefunden habe. Rosa folgte daher den säkularisierenden Modifikationen der vicoschen Konzepte durch Romagnosi und Cattaneo wenn er Mythos und Religion in ihren Grundformen nicht aus der Vorsehung – verstanden als im Prinzip identisch nachvollziehbare Prozesse –, sondern als Phänomene begriff, die aus der historischen Verfasstheit der menschlichen Natur im Kontext unterschiedlicher Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens entstanden.665 663

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Dies gilt vor allem für die Entwicklungen der Philologie in Deutschland im Bereich der linguistica, wobei Rosa sich insbesondere mit dem Sprachdenken Wilhelm von Humboldts auseinandersetzte. Vgl. Rosa 1852. Rosa befasste sich dabei auch mit den modi der Überlieferung dieser Mythen aus zeichentheoretischer Perspektive. Er ging dabei vom triadischen Modell der aufklärerischen Zeichentheorie aus, welches ikonographische, ideographische und phonetische Zeichensysteme in eine hierarchische Ordnung mehr oder weniger zivilisierender Funktionalität für das Denken stellte (vgl. Messling 2011b: 251-259), und deutete die ideographische Schrift durchaus positiv als Fanal der Phantasie, da ihre vermeintlich fehlende Eindeutigkeit eine dem historischen und sozialen Kontext ihrer Deuter geschuldete Lesart der Zeichen zur Folge hatte, welche als Geburtsstunde von Mythen gelten könne: „Né solo le lingue hanno contribuito a dare estensione ai miti, ma eziandio la scrittura ideografica, cioè i geroglifici rappresentanti non i suoni ma le idee; i quali per semplificazione non dipingevano intero l’oggetto che doveano [sic] rappresentare, ma solo una parte di esso, talché diventavano traslati, figurando due corna per esprimere il bue e l’equinozio di primavera, una mano per la reggenza, un’ala per la rapidità, ecc. Questi segni od emblemi, applicati alle teste degli eroi e de’numi, e passati con loro fra popoli che non conoscevano la chiave dell’enigma, furono spiegati in modo diverso dal loro vero significato, e quelle nuove spiegazioni furono nuove leggende mitiche lontane dalla storia.“ Rosa 1847: 428. Vgl. ebd.: 429.

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Dieses sei mächtiger Gestalter der Nationen, ihrer Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Weder durch göttlichen Willen noch allein aus Furcht vor der Natur, sondern aus „moralischen Bedürfnissen“ („bisogni morali“) und den Empfindungen der Individuen im Austausch miteinander sei die erste Religion in Form des Pantheismus entstanden. Aus ihr seien Gesetzgebung und Ethik der Völker in all ihrer Differenz entsprungen.666 Die wissenschaftliche Erforschung der Mythologie ‚klassischer‘ Völker der Antike sei besonders fruchtbar, weil sie viel eher als die Mythologie der Inder, Ägypter und Kelten – laut Rosa von einer Priesterkaste unterdrückte Völker – von den Spuren größerer bürgerlicher Freiheit und der Zweitrangigkeit des Priestertums gegenüber Militär und Handel geprägt sei. Wie bei Cattaneo verwandelt sich an dieser Stelle Rosas politische Einstellung zu einer philologischen Geschichtshermeneutik, wenn er Form und Entstehung des Mythos der ‚klassischen‘ Antike durch gesellschaftlichen Zeitbezug für eine vergleichende Erforschung interessant machen wollte. Die bürgerliche Freiheit des nördlichen Mittelmeeres habe nämlich eine Entwicklung der Mythen als freien Äußerungen jener antiken Nationen in poetischer Sprache aus den ursprünglichen, in der sozialen und historischen Situation des Menschen verwurzelten Glaubensvorstellungen ermöglicht, welche nicht durch eine Priester- oder Herrscherklasse reglementiert waren. Zugleich sprach sich Rosa in diesem philologischen Text für das föderale Prinzip einer Anerkennung ethnischer und dialektaler Differenz innerhalb des Staates und gegen dessen Zentralisierung aus, sofern diese Unterdrückung religiöser, kultureller und sprachlicher Vielfalt bedeutete. Dabei gebrauchte Rosa sogar den Begriff der razza für die vom Zentralstaat unterdrückten Bevölkerungsteile. Philologisches Wissen über die „ursprünglichen historischen Prinzipien“ („principj storici primitivi“) der alten Völker des Mittelmeeres in Form der Mythenforschung wird zur Legitimation einer politischen Gesellschaftsordnung in Form föderaler Demokratie, einer Ordnung, die sich vom zentralistischen Modell der französischen Aufklärer und der radikalen Republikaner, aber auch von der neoguelfischen Zentrierung auf die päpstliche Instanz von Grund auf unterschied: Lo studio poi delle mitologie greca e romana può riuscire più fecondo d’istruzione che non quello delle altre mitologie; perché nell’Egitto, nell’India ed in altre nazioni orientali, e fra i Celti essendosi organizzata una compatta e forte gerarchia sacerdotale, quella tiranneggiò tutte le credenze […]. Per tal modo tolsero alle primitive credenze ed ai riti le forme loro originali, e lo spirito di unità e centralizzazione governativa operò sulle razze e sulle lingue, facendo andare quasi perdute le traccie [sic] distintive delle singolarità aborigene. Nella Grecia e nell’Italia invece, tranne che fra gli antichi Etruschi, salì sopra tutti il potere militare e mercantile, e si tenne subordinato il sacerdozio; laonde non vi ebbe mai tirannia assoluta di credenze, e dominò il principio delle libertà civili, per cui poterono coesistere e svolgersi contemporaneamente varii elementi di civiltà, né il 666

Vgl. ebd.: 425-426.

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sopravvenire di riti e miti nuovi abolì le pratiche e le credenze degli antichi, ma solo in parte le trasformò. [...] E una profonda analisi delle mitologie greche ed italiche guiderebbe a scorgere i varii elementi che la composero, e la loro derivazione, e l’epoca relativa della loro sopravvenienza, ed aiuterebbe più che altro studio a sviscerare i principj storici primitivi di quelle nazioni.667

Diese Konzeption einer vergleichenden Mythologie als Bloßlegung wirtschaftlicher und militärischer Geschichte der Mittelmeervölker, welche sich in den Mythen der Griechen und Römer äußerte, sollte eine monumentalisierende Textlektüre verhindern, wie sie doch aus einer religiös-metaphysisch überhöhten Ausdeutung durch jedwedes literarische ‚Priestertum‘ erwachsen konnte. Der Hinweis auf die Etrusker erfolgte an dieser Stelle nicht willkürlich. Den Gegenentwurf zu diesem Geschichtsmodell stellte nämlich Mazzoldis mythologische Geschichtsschreibung dar, welche die Monumentalität ihrer literarischen Gegenstände als Zeugnisse für die Überlegenheit der Pelasger dadurch gewährleisten wollte, dass sie Geschichte direkt aus der Semantik des Textes ableitete, ohne letztere jedoch einer kritischen Quellenforschung oder gar dem Vergleich zu unterziehen. Als Rosa seine ‚Geschichte der Geschichtsschreibung‘ unter dem Titel Storia generale delle storie 1865 erstmals veröffentlichte, charakterisierte er daher noch deutlicher die epistemische Trägerfunktion der Geschichtswissenschaft als synthetisch arbeitender Dachwissenschaft aller anderen Wissenschaften.668 Auch besaß sie in Rosas Konzeption von scienza wie für Cattaneo eine axiomatische Funktion innerhalb der wissenschaftlichen Methodik. In diesem kurze Zeit nach der politischen Einigung verfassten Werk modifizierte Rosa seine Betonung jener ‚Macht‘ historischer Unterschiede der Völker und ihrer Auswirkungen auf deren zivilisatorische Entwicklung, die er für die vergleichende Mythologie als Ausdruck einer ‚föderalen‘ Betrachtung der antiken Völker des Mittelmeeres noch ins Feld geführt hatte. Vielmehr wurde die Philologie nun zum Beweis für die Einheitlichkeit des „menschlichen Geistes“ („spirito umano“). In den Erkenntnissen der vergleichenden linguistica erkannte Rosa die Bestätigung der vicoschen Annahme von der universellen Einheitlichkeit und Einmaligkeit (unicità) der Menschheit und interpretierte mit Franz Bopp einen ihrer Gründerväter in diesem Sinne. Diese Deutung Rosas kann als sehr großzügig formuliert gelten, wo doch Bopp selbst seinen Schwerpunkt in erster Linie auf die Lautgesetze indoeuropäischer Sprachen und nicht auf eine universelle Sprachphilosophie gelegt hatte: Francesco Bopp da Magonza, sino dal 1833 con una grammatica comparata (Vergleichende Grammatik) tentò ridurre a leggi uniche le apparenti grandi va667 668

Ebd.: 435-436. Die metawissenschaftliche Geschichtsforschung, die methodische Wissenschaftsgeschichte findet in Rosa einen ihrer frühen Verteidiger: „Ebbero quindi storie parziali e generali non solo le arti belle, e la poesia, e le letterature principali antiche e moderne, ma anche le scienze, specialmente da che si comprese quanta parte d’ogni disciplina sia la storia di essa.“ Rosa 1873 [1865]: 15.

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rietà organiche dei linguaggi antichi e moderni. Così viensi dimostrando l’unità dello spirito umano, e quindi la necessità che la storia, per afferrare i fili od i capi saldi delle leggi generali che governano lo sviluppo dell’umanità, dai particolari salga all’universale […]. Tale unicità e conseguente universalità della storia fu già astratto stabilita da Vico, quando nel 1726 scrisse: tutti gli elementi del mondo delle nazioni stanno rinchiusi in ogni uomo. Colla quale sentenza quell’ingegno acutissimo stabiliva due cardini della storia: che ogni uomo, quindi ogni gente, ogni popolo, in qualunque tempo, porta suo tributo nella fiumana ognora crescente della storia dell’umanità; che le origini della civiltà ed i frutti storici stanno in germe nel selvaggio, e che ogni razza è chiamata a sviluppare l’organismo umanitario, ciò che poscia venne provando meglio la linguistica.669

Rosa verteidigte in dieser Aussage nicht nur die linguistica, sondern Philologie und Geschichtswissenschaft insgesamt gegen eine Entwicklung, in welcher er deren epistemische Entmachtung erblickte. Die Philologie beging in seinen Augen den Fehler, sich immer mehr den Naturwissenschaften anzudienen und letztlich Aussagen zu treffen, welche ihre Methodik für sich genommen nicht zulasse. Die Suche nach den Ursprüngen der Menschheit anhand der Sprache ist für ihn ein Beispiel dieser epistemischen Verwirrung. Bereits sieben Jahre vor dem Erscheinen seines Plädoyers für eine universalistische Geschichtswissenschaft machte Rosa sich daher für das historische Prinzip und gegen eine schleichende biologische Anthropologisierung und ‚Desozialisierung‘ des philologischen Wissens stark, wie er sie durch die Tendenz zu einer unkritischen Rezeption wissenschaftlicher Lehrmeinungen französischer Provenienz über die rassische Natur der Sprachen gefördert sah.670 Diese Lehrmeinungen hätten aufgrund kultureller und wissenschaftlicher Hegemonie des Französischen in Europa wesentlich weniger Rechtfertigungsbedarf als die wissenschaftlichen Werke in deutscher, englischer, den skandinavischen oder eben italienischer Sprache, die immer erst durch französische Übersetzungen und Kommentare ihre europaweite Legitimierung erfahren 669

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Rosa 1873: 8. Rosa zitierte Vico im oben stehenden Zitat nicht wörtlich und machte auch keine Seitenangaben, sondern bezog sich wohl auf folgende Stelle in der Prima Scienza Nuova von 1725: „Perché siccome gli uomini universalmente delle cose nuove e non conosciute giudicano, e si spiegano con idee e voci da esso loro conosciute ed usate; così per questa proprietà della mente umana dovettero fare l’intere nazioni.“ Vico 1843: 163-164. Es muss jedoch ergänzt werden, dass Rosa diese enthistorisierende Tendenz als eine generelle Entwicklung im philologischen Wissen wahrnahm, die sich nicht ausschließlich auf Frankreich beschränkte. Bereits bei Adelung und besonders bei Friedrich Schlegel sei die Verbindung der linguistica und der Vergleich der Sprachen eine anthropologische Abstraktion, welche die Illusion einer Möglichkeit zu Sprache ohne Gesellschaft entstehen ließe: „Ma Federico Schlegel nel principio di questo secolo, studiando le lingue secondo la loro struttura organica, ne determinò le originarie differenze caratteristiche che ordinò in tre grandi classi. […] E, procedendo, si vide sempre più chiara la colleganza della linguistica colla storia della civiltà, e coll’antropologia. Giacché, se v’hanno differenze organiche originarie negli idiomi, esse devono corrispondere alle varietà fisiche […]. Ma d’altra parte sta il fatto che lingua e civiltà congenite sono essenzialmente sociali, e che la fecondità del pensiero e del fisico non nasce solo per attriti fra genti della medesima stirpe, ma anche fra specie differenti.“ Rosa 1858: 354.

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müssten.671 Rosa sah in der Eloquenz der französischen Wissenschaftssprache zwar einerseits eine große Chance für die Verbreitung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in ganz Europa, jedoch andererseits auch die Gefahr mangelnder Tiefe durch Rhetorizität. Mit dieser ging für den Positivisten zugleich die Abwendung vom untersuchten Gegenstand einher, was eben der Wissenschaft selbst schade, die abhängig von methodischer und nicht sprachlicher Legitimierung sein müsse: Tale spirito d’evidenza e di popolarità [des Französischen, ML] talvolta nuoce alla profondità della scienza, e favorisce la vernice a detrimento della sostanza; ma nell’economia della civiltà e dell’umanità è molto rilevante e necessario. Ed il connubio dell’arte colla scienza, e la fecondazione di questa per l’eloquenza portò alti frutti in ogni tempo presso qualunque nazione.672

Besonders in einigen Aussagen Gobineaus und Renans sah Rosa jenes Prinzip einer unwissenschaftlichen – da erkenntnistheoretisch nicht relevanten – Überzeugungsrhetorik französischer Kulturhegemonie über Sprache am Werke, die für die Wissenschaftlichkeit der Philologie aufgrund einer Popularisierung durch mangelnde Tiefe sowie durch eine dahinter stehende Ideologie des ‚anthropologischen Partikularismus‘ gefährlich werden könne.673 671

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Rosas Lamento über die zunächst intellektuell, dann politisch-institutionell, dann militärisch gefestigte Dominanz des Französischen in Europa eröffnete seine im Folgenden zitierte Renan-Rezension: „Gli attriti dell’università di Parigi, de‘ parlamenti francesi, delle imprese militari che aveano capo ed inspirazione nella metropoli, operarono per tempo nella lingua e nella letteratura francese quel luogo ed immensurabile lavoro sociale che loro diede sopra l’altre dell’Europa perspicuità, precisione, semplicità. Condizioni queste essenziali alla popolarità; il perché la lingua e lo spirito francese sono i più diffusi nel vecchio mondo civile, i rivolgimenti vibransi immediatamente in tutta Europa, e le scoperte scientifiche dell’Italia, della Germania, dell’Inghilterra, della Scandinavia hanno bisogno di elaborazione francese a specolarsi del popolo europeo.“ Ebd.: 353. Es ist klar, dass Rosa an dieser Stelle auf das aufklärerische Ideologem von der besonderen Klarheit und Präzision des Französischen abzielte. Diese Sichtweise kommt am deutlichsten in der berühmten Sentenz des italienischstämmigen Schriftstellers Antoine de Rivarol (eigentlich Antoine Rivaroli) über die „Géométrie tout élémentaire“ des Französischen aufgrund seiner Syntax zum Ausdruck: „Ce qui n’est pas clair n’est pas français; ce qui n’est pas clair est encore anglais, italien, grec ou latin. Pour apprendre les langues á inversions, il suffit de connaître les mots et leurs régimes; pour apprendre la langue française, il faut encore retenir l’arrangement des mots.“ Rivarol 1784: 49. Für Rosa waren diese positiven ‚Eigenschaften‘ der französischen Sprache keineswegs von jeher inhärente Merkmale, sondern in erster Linie artifizielle (oder zivilisatorische) Ergebnisse einer spannungsgeladenen Sprachpolitik als Durchsetzung hegemonialer Interessen einer zentralisierten Nation. Diese suchten durch „Reibereien innerhalb der Pariser Universität, den französischen Parlamenten und den militärischen Unternehmungen“ die kulturelle Vorreiterrolle des Zentrums Paris und damit Frankreichs in Europa auch durch sprachliche und literarische Popularität zu sichern. Rosa 1858: 353. In der ironisch kommentierten „dottrina und fecondia“ der gobineauschen Rassentheorie und den weitläufigen Spekulationen des Grafen sah Rosa unhaltbare Widersprüche am Werk, welche für ihn eher historische Mutmaßungen darstellten, die wissenschaftlich als „non accetabili“ zu qualifizieren waren. Diese Widersprüchlichkeiten entstünden aus der wissenschaftlichen Axiomatik Gobineaus, welche einigen Völkern zusammen mir ihrer ‚rassischen‘ auch eine ‚charakterliche‘ Identität als historisch stabile Größen zuschreibe, wo es näher läge, poli-

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In seiner Rezension zu Ernest Renans 1858 erschienenem Essay De l’origine du langage, die Rosa in Carlo Tencas liberaler Zeitschrift Crepuscolo veröffentlichte, berief er sich daher ausdrücklich noch einmal auf Carlo Cattaneos zivilisatorisch-historische Sprachbetrachtung.674 Dessen Epistemologie stellte er in offene Opposition zu den europaweit gelesenen und – wie im Kapitel über das arische Paradigma gezeigt – auch in Italien immer stärker rezipierten sprachanthropologischen Theorien des französischen Orientalisten.675 An Ernest Renans Essay über den Ursprung der menschlichen Sprache kritisierte Rosa in erster Linie eine epistemisch ambivalente Interpretierbarkeit im Sinne physiologischer und philologischer Differenzierung nach ahistorisch pauschalisierenden Typensystemen. Er war sich dabei bewusst, dass Renan Rasse und Sprache keineswegs als absolute Differenzkriterien setzte und auch die Anthropologisierung der Philologie kritisch betrachtete.676 Jedoch liefere die Argumentationsstruktur des Franzosen zwei Prämissen für rassenlogische Spekulationen im philologischen wie im physiologisch-anatomischen Sinne, indem dieser eine polygenetische Sprachursprungstheorie verfocht, die Menschen wie Sprachen der Trennung in kollektiv verfasste, „sehr verschiedene Bestandteile“ („éléments très divers“) sowie einem „Genie jeder Rasse“ („génie de chaque race“) unterwarf.677 Obwohl Rosa mit Renan in dessen theoretischer

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tische, historische und geographische Einflüsse für Analogien und Mentalität der Völker geltend zu machen. Die heroischen Kriegervölker Skandinaviens und Großbritanniens alter Zeiten seien eben nicht mit den heutigen Engländern, Norwegern oder Dänen zu vergleichen. Auch der ‚Heldenmut‘ des ‚modernen‘ algerischen Freiheitskämpfers Abd el-Kader im Vergleich mit demjenigen des antiken ‚Algeriers‘ Jugurtha oder der Heroismus des Cid verglichen mit demjenigen des Lusitanerführers Viriathus rührten weniger aus dem Charakter ihrer jeweiligen Rasse, als aus der ähnlich unfreien Situation der von ihnen verteidigten Völker. Vgl. Rosa 1858: 356. Zu diesem Text im Kontext des liberalen Crepuscolo vgl. Lenz 2012: 28-37. Zu Carlo Tencas Tätigkeit für das Crepuscolo vgl. Padovani 2010. Rosa erwähnte diese kleine Rezension auch in einem Brief an Graziadio Ascoli aus dem Jahre 1864 im Kontext eines Lobes für dessen Studien zum Nesso ario-semitico. Rosa betonte darin überdeutlich, dass es ihm um die anthropologische Qualität der renanschen Trennung von arischen und semitischen Sprachen ging: „Me godo anche perché guidato solo dal buon senso e da qualche lume storico aver nel Crepuscolo del 6 Giugno 1858 combattuto Renan che, come suole alla leggera aver voluto stabilire l’irriducibilità delle lingue semitiche e delle ariane, e la radicale loro organica differenza derivata dalla distinzione delle razze fisiche.“ Aus Rosas Brief an Ascoli zitiert nach Lenz 2012: 28. Alle Angaben zum Brief vgl. ebd. Endnote 36. Vgl. Rosa 1858: 356. Rosa wies ausdrücklich auf diesen im Kontext so widersprüchlichen Zweifel Renans an ethnogenetischen Spekulationen im Bereich der Philologie hin, wie sie noch in der aufklärerischen Epistemologie üblich waren. Vgl. Rosa 1858: 356, nach Renan 1858a: 203: „[…] mais certainement elles [les langues, ML] ont été distinctes, et le principe de l’ancienne école: ‘Toutes les langues sont des dialectes d’une seule’ doit être abandonné à jamais. Mais de cette vérité fondamentale, est-on en droit de conclure qu’il n’y a eu entre les peuples qui parlent des langues de familles diverses aucune parenté primitive? Voilà sur quoi le linguiste doit hésiter à se prononcer. La philologie ne doit pas s’imposer d’une manière absolue à l’ethnographie, et les divisions des langues n’impliquent pas nécessairement des divisions de races.“ Vgl. Rosa 1858: 356 nach Renan 1858a: 29 sowie ebd.: 16.

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Prämisse eines spontanen Sprachursprungs aus verschiedenen Zentren der Sprachentwicklung übereinstimmte, lehnte er daraus folgende pauschal hierarchisierende Annahmen über divergierende Sprach- und auch Zeichensysteme ab, da er selbst dem Modell universalgeschichtlicher Diachronie folgte, welche von einer universellen Monosyllabizität früher Sprachsysteme sowie der sprachfixierenden Wirkung unterschiedlicher Schriftsysteme ausging.678 Renan habe in seinen theoretischen Ausführungen und Argumentationszusammenhängen Wilhelm von Humboldts zentrale sprachanthropologische Differenzierung ignoriert. Dessen Feststellung gegenseitiger Beeinflussung von Individualität als „eigene[m] Standpunkt der Weltansicht“679 und Sprache als kollektivem Phänomen erlaube keine abstrakten Pauschalurteile über geistige Essenzen, die Genie ohne die ‚inneren‘ Vorgänge der Rezeption und Umformung von Sprache durch das Individuum beachteten. Zwar sähe auch Renan letztlich die Gemeinsamkeit in der Verschiedenheit der Sprachen der Menschheit. Seine pauschalisierenden Annahmen auf dem Weg dorthin, relativierten jedoch diese Schlussfolgerung: Negli studi sulle razze mostrammo già come i fatti storici conducano alla conclusione che, pure ammesse le varietà originali delle specie, queste concorrano a 678

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So beklagte Rosa, dass die Beschäftigung europäischer Gelehrter mit dem Chinesischen noch immer von einem zeichentheoretischen Determinismus ausginge, welcher der Oralität des Chinesischen nicht genügend Beachtung schenke und durch die Fokussierung auf die ideographische Natur der chinesischen Schrift die These von dessen vermeintlicher Monosyllabizität und lexischer Statik gleichsam konserviere. Rosa zitierte hierfür den Sinologen Antoine Bazin, der in seiner zwei Jahre vor Renans Essay erschienen Grammaire mandarine, ou Principes généraux de la langue chinoise parlée (vgl. Bazin 1856) auf die Vielfalt des gesprochenen Chinesisch sowie die Unterschiede zwischen modernem und klassischem Chinesisch hingewiesen hatte. Auch Ernest Renan habe immerhin eine Dynamisierung des statischen Chinesisch durch tibetische und indische Einflüsse eingestanden. Vgl. Rosa 1858: 355. In der ideographischen Schrift selbst sah Rosa keineswegs wie Renan einen Ausdruck der „sècheresse d’esprit e du cœur“ der „race chinoise“ (Renan 1858a: 195), sondern betonte die Universalität der ideographischen Schrift, wie sie auch auf dem amerikanischen Kontinent in den zu diesem Zeitpunkt noch unentzifferten Schriftzeichen der indigenen Völker Nord- und Mittelamerikas, der Maya und Azteken verwendet worden sei, obwohl deren Sprachen äußerst flexibel agglutinierten. Die phonetische Schrift in Form des Alphabets sei hingegen allein dem Zufall geschuldet gewesen und keineswegs in der Natur der Völker angelegt: „Ma è facile opporgli che pure i messicani e lingue extremamente conglomerate e flessibili usarono scrittura ideografica, che ogni tentativo di scrittura in origine fu pittura, e che la fonetica, o l’alfabeto, escì quasi per caso, poco per volta dalla fusione di varie tradizioni, di studi diversi.“ Rosa 1858: 356. Diese Spannung zwischen individueller Weltansicht und kollektiver Objektivität im Raum der Sprache, welcher eine innere wie eine äußere Dimension besaß, hielt diesen Raum gleichzeitig in ständiger Bewegung: „Da aller objectiven Wahrnehmung unvermeidlich Subjektivität beigemischt ist, so kann man, schon unabhängig von der Sprache, jede menschliche Individualität als einen eigenen Standpunkt der Weltansicht betrachten. Sie wird daher noch viel mehr dazu durch die Sprache, da das Wort sich der Seele gegenüber auch wieder, wie wir weiter unten sehen werden, mit einem Zusatz von Selbstbedeutung zum Object macht und eine neue Eigentümlichkeit hinzubringt.“ Humboldt, W.v. 1836: 58. Zu jener dynamischen Opposition der „Gewalt des Individuums“ gegen die „Macht des Systems“ vgl. Messling 2004.

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formare una sola umanità, che a questa varietà non corrisponda diversità irreducibile dello spirito. A questo ristultato per vie diverse giunse Renan, il quale pose questa sentenza: ‘l’unità della lingua è come quella dell’umanità, risultante da elementi molto diversi’ cui fa commento l’adagio di G. Humboldt: che, ‘trattando di lingua bisogna evitare asserzioni generali’.680

Doch Rosa blieb nicht bei dieser erkenntnistheoretischen Kritik stehen. Wie bereits in seinen Äußerungen zum Nutzen einer vergleichenden Mythenforschung reflektierte er die philologische Frage nach den Ursprüngen der Menschheit in Hinblick auf ihre Bedeutung für das gesellschaftliche Zusammenleben. Dabei bezog er das Argument ethnischer Verfasstheit von Sprache auf die italienische Situation. In der dadurch auftretenden Spannung zwischen ethnischem Pluralismus und exklusivem génie der Rasse im Spiegel der Sprache vertrat er affirmativ und pragmatisch einen sozialen Pluralismus, der die Vielfalt ethnischer Gruppen, die Italien prägten und prägen – der Italer, Osker, Sabiner, Slaven, Kelten, Germanen, Griechen und vieler anderer – als nationales ‚Charakteristikum‘ begrüßte, ohne weiter philologisch auf diverse sprachliche Verfasstheiten einzugehen. Der italienische Nationalismus erfuhr bei Rosa unter Umgehung der questione della lingua somit aus historischer Perspektivierung heraus eine pluralistische Komponente. Diese entfaltete sich innerhalb eines kleinen rezensierenden Aufsatzes, der als Gegenentwurf zu einem Sprachdenken fungierte, das die Ursprünge der Sprache einer Nation immer noch als anthropologisches Differenzial im epistemischen Hintergrund beließ. Dieses aus der Historisierung der Anthropologie entstandene Denken der Pluralisierung von Identität wollte Rosa ein nationales Selbstverständnis der Italiener fruchtbar machen, welches sich als ‚italienisch‘ und dennoch offen verstand: Ma è forse il popolo italiano una razza speciale, è forse nato in questa terra con questo tipo fisico e spirituale, o ci è venuto con questo stampo? La storia ci dice nessuna nazione risultare dalla commistione di elementi sì diversi come l’italiana. Aborigeni, pelasgi, (ario-irani), semiti, liguri (africani), slavi, teutoni, celti, epiroti ed altri in origine, poi turani, slavi, sciti, goti, franchi, longobardi, greci, e va dicendo, che si fondono su questo suolo, a formare una sola nazione.681

Rosa sollte dieses (sozio-)historische Prinzip in all seinen Werken beibehalten und wie Cattaneo auch gegen den erstarkenden physiologischen Rassismus stark machen.682 Dadurch wird deutlich, dass er durch die vielen Aussagen zu680 681 682

Rosa 1858: 355-356. Ebd.: 356. So in seinem Artikel „Il moto nella civiltà“ aus dem Jahre 1890, wo Rosa ein weiteres Mal seinen Skeptizismus gegenüber zoologischer und ethnologischer Anthropologie betonte. Diese hätten Philologie und Geschichte bei der Suche nach den Ursprüngen abgelöst, obwohl doch die letzteren beiden Wissenschaften bewiesen hätten, dass die Zivilisationsgeschichte des Menschen eine soziale und keine rassische war: „La zoologia e l’etnologia non dimostrarono ancora se il genere umano escì [sic] da ceppo unico, o dalla fusione di razze varie origi-

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gunsten einer epistemischen Zuspitzung auf die Geschichtlichkeit als später Vertreter in jenen Diskurs einzureihen ist, der das wissenschaftliche Italien des frühen Ottocento seit Leopardi und Romagnosi prägte. Die civiltà als soziales Phänomen blieb im Denken von Cattaneos patriotischem Mitstreiter für ein souveränes Italien der Motor und das Ziel historischer und sprachlicher Entwicklung aller Völker und Nationen trotz und vielmehr durch all ihre Unterschiede. Sie ließ aus jener ‚Essenz‘ der umanità die Menschheit erscheinen. Sprachliche und überhaupt kognitive Verfasstheit des Individuums wären so von seiner genealogischen ‚Identität‘ zu trennen.683 In seiner universalgeschichtlichen Abhandlung Delle origini della civiltà in Europa (1861) sah sich Rosa auf Grundlage dieser Überzeugungen gezwungen, einer für ihn besorgniserregenden Entwicklung Rechnung zu tragen. So sprach er Erkenntnisse der Völker- und Rassenkunde über die Unterschiede der menschlichen Rassen sowie ihrer Vermischung im Sinne einer beschreibenden Rassenlogik an, da er diese nicht mehr ignorieren konnte. Hier zeigte sich ein immer stärker werdender Einfluss des Rassebegriffs von Seiten der Naturgeschichte, der zum universalgeschichtlichen Kriterium wurde.684 Rosa

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nariamente diverse. La scienza mise solo in sodo l’unità spirituale ed educativa della umanità. La storia e la etnografia trovarono ovunque le società umane, anche se selvagge […], già composte di elementi originalmente diversi, che necessità di caccia, di difesa addusse insieme. [...] L’impossibilità di poter studiare fisiologicamente e psicologicamente l’uomo primitivo, il fatto d’averlo trovato ovunque in tribù commiste, rende vane le teorie delle qualità specifiche morali native di alcuni popoli. Le cui attitudini speciali non sono native, ma derivano dalla storia, non sono fisse, ma modificansi nel moto della vita pel contatto di altri popoli, per necessità nuove.“ Rosa 1890 in Angelini 2003: 195. Domenico Santamaria sieht innerhalb der Geschichte der italienischen Sprachwissenschaft in Rosa insofern einen der wichtigsten Erben von Cattaneos philologischem Denken, als dass ersterer sich von anderen Vertretern einer vorascolianischen linguistica dadurch unterschieden habe, dass er Cattaneos klare Trennung von ‚Ethnos‘ und ‚lingua‘ als zentrales wissenschaftliches Vermächtnis seines lombardischen Mitstreiters für gesellschaftlichen Pluralismus im freien Italien betonte: „Ma ciò che spiccatamente distingue l’atteggiamento del Rosa nei confronti di altri preascoliani non è solo l’aver recepito subito la teoria del Cattaneo, mentre la tesi opposta era predominante, e pure nel nostro secolo non ne mancano sostenitori, ma anche e soprattutto l’avergli riconosciuto esplicitamente il merito di aver posto in evidenza la dissociazione tra le due nozioni, vale a dire tra l’affinità linguistica e l’affinità etnica e razziale, e, ancora, l’aver riprodotto i passi più significative che, sotto questo punto di vista, si trovano nell’opera cattaneiana con particolare riferimento al saggio del 1841. Pertanto il Rosa ci sembra uno dei pochi preascoliani che abbiano compreso e apprezzato, fin dalla seconda metà degli anni quaranta, uno dei punti più rilevanti del pensiero linguistica del Cattaneo.“ Santamaria 1981: 28. Vgl. Rosa 1861. Dass Rosa hier zwar die Ethnographie und die Naturgeschichte miteinbezog, aber vor allem die civiltà als Determinanten der Völker sah, wird bereits im Vorwort deutlich, wo er die „Phänomene und das Wirken der Zivilisation“ auf die stirpi als Dreh- und Angelpunkt jeglicher wissenschaftlicher Erkenntnis begriff. Vgl. ebd. XV. Den Erkenntnissen der Philologie wie der Entzifferung der Hieroglyphen und der Keilschrift, der Erforschung und Veröffentlichung von altindischen Texten sowie dem wissenschaftlichen Vergleich der indoeuropäischen mit der Sprache der Arier (vgl. ebd. 134 ff.) galt dabei seine besondere Beachtung bei der Erforschung des noch ‚barbarischen‘ Europa: „Tali scoperte apersero nuove regioni nella storia delle origini europee, giacché svelarono nelle lingue, nelle religioni, nelle

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betonte wenig später in seiner Storia generale, dass diese sichtbaren Unterschiede menschlicher Kollektive willkürliche Grenzziehungen bedeuteten, die allenfalls als Varietäten bezeichnet werden könnten und historisch gesehen wenig Aussagekraft besäßen.685 Keinesfalls würden sie über eine mögliche physische oder geistige Polygenese oder Monogenese der Menschheit Aufschluss geben. Noch eindringlicher als der ‚Migrationsskeptiker‘ Cattaneo schilderte er das unausweichliche, und historisch wie ‚biologisch‘ überall erfahrbare Phänomen einer Mischung der Völker und Ethnien, welches er als unabgeschlossenen und seit jeher stattfindenden Prozess darstellte, der auch von den anthropologischen Vertretern einer naturhistorischen Polygenese nicht geleugnet werde: La miscela e la fusione delle tradizioni accompagnasi con quella delle razze, le quali si trasfusero per modo, che non avvenne alcuna, pure di quelle che paiono le genuine, come la nera, la rossa, la mongola, l’australe, l’arctica, che almeno ai confini, non appaia commista. Laonde i passaggi dell’una all’altra sono così graduati da non potersi determinare i rispettivi limiti. Talché alcuni argomentano tali razze poter essere varietà accidentali, indotte dai tempi, dai luoghi, dai modi, dalle elezioni. Mentre i poligenisti ammettono essere ora per le molte commistioni impossibile determinare quali e quante fossero le razze originarie naturali.686

Rosa wird an manchen Stellen seiner universalgeschichtlichen Abhandlungen dennoch etwas ambivalent, was die Bewertung ‚rassisch‘ bedingter Unterschiede betraf. In einer kleinen Bemerkung ließ er – weniger essenziell, als an der Oberfläche der menschlichen Gestalt verhaftet – das schleichende Eindringen eines ‚Apriori‘ des ästhetischen Urteils, aber auch der materiellen Unvereinbarkeit über das physiologische Rassekriterium als anthropologischer Determinante in eine Geschichtsschreibung erkennen, die trotz ihrer Universalität und ihrer Prämisse der Einheitlichkeit menschlicher Kognition dadurch eine Relativierung erfuhr. So könnten sich Schwarze und Eskimos, kultivierte Europäer und wilde Australier in dieser physisch bestimmten Zivilisationslo-

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tradizioni, nelle arti, nelle costumanze dei popoli dell’Europa, intime colleganze con quelli dell’India, della Persia, dell’Assiria, dell’Egitto, dell’Africa, dove ferveva lavoro di civiltà da molti secoli, mentre l’Europa sanguinava nella selvatichezza.“ Ebd.: 135. Auch die rassenlogischen und rassistischen Annahmen der ‚naturalisti‘ fanden Erwähnung. So zitierte Rosa die geläufigen Hierarchisierungen wie die intellektuelle, moralische, physische und ethische Überlegenheit der weißen Rasse in Zusammenhang mit den flektierenden Sprachen, ohne jedoch darauf einzugehen. Vgl. ebd.: 136 ff. Die menschliche Rasse habe sich laut den Ergebnissen zahlreicher, auch rassenlogisch argumentierender Gelehrter der Naturgeschichte von Buffon und Blumenbach bis hin zu Pritchard, Vogt, Morton und Aggasiz immer vermischt und werde dies auch weiter tun. Gemäß dem zivilisatorischen Grundprinzip des Fortschritts durch kommunikativen Austausch seien die rassisch am meisten ‚durchmischten‘ Völker die zivilisiertesten aufgrund kultureller Überlegenheit, da allein die Dynamik der Vermischung als kreativer Funken, welcher der physischen und kulturellen Differenz entsprang, zivilisatorische Entwicklung entzündete und letztlich Fortschritt ermöglicht habe. Vgl. Rosa 1873. 18-20. Ebd.: 9-10.

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gik durch ihre gewaltige Differenz abstoßen oder zerstören, ohne eine zivilisatorische Gemeinschaft hervorgebracht zu haben: Così dal cemento di famiglie, di tribù, di genti, di nazioni, quando non sieno [sic] così dissimili moralmente o fisicamente da distruggersi o respingersi, come Negri ed Esquimesi, colti europei ed australi i più selvaggi, escono scintille provocanti combustioni generatrici di prodotti nuovi, successivi e continui.687

Rosa stand der Vereinbarkeit extremer Differenzen der physischen Gestalt, aber auch der Sprache menschlicher Kollektive skeptisch gegenüber und verfiel damit bereits auf gewisse Weise jener beginnenden Relativierung der Universalgeschichte durch die anthropologischen Differenzierungen der Naturgeschichte, wie sie ab den 50er Jahre des 19. Jahrhunderts das wissenschaftliche Italien prägen sollten.688 Dennoch stellten Philologie und linguistica für Rosa in erster Linie anthropologische Gegenentwürfe zur Naturgeschichte dar, wenn es darum ging, die Prinzipien der Universalgeschichte zu verteidigen. So geriet Rosa letztlich in das Dilemma, trotz seiner Trennung von Philologie und Anthropologie, die Erkenntnisse der ersteren zu anthropologisieren. Dies wird auch daran deutlich, dass er mit Paolo Marzolo bereits einen der ersten Vertreter physiologischer Sprachbetrachtung in Italien zitierte. Gerade in der Annahme, dass sich Sprache und Geist parallel zueinander entwickeln, blieb bei Rosa das Element der Physis bereits als gefährliche Determinante im Hintergrund seiner Epistemologie, obwohl di unità des menschlichen Geistes durch die soziale Verfasstheit von Sprache weiterhin die oberste Prämisse jeglicher Sprachforschung darstelle: Questa teoria [Die von Romagnosi formulierte Theorie des universellen Fortschritts des menschlichen Geistes durch sozialen Kontakt, ML] riceve conferma 687 688

Rosa 1862: 20. In diesem Sinne erfuhr Rosas Zivilisationsuniversalismus auch an anderer Stelle eine problematische Relativierung, indem er Anthropologie und Philologie im terminologisch unklaren Sinnzusammenhang des „mondo fisico e morale“ wieder annäherte. So betonte er die zivilisationshemmende Kraft der „Extreme“ („estremi“) als zu großen Unterschieden in Sprache und Physis im Gegensatz zu den „Varietäten“ („varietà“) als fruchtbaren Dynamisierern der Zivilisationsentwicklung. Diese Unterscheidung bezog er auf die fehlende „physische und moralische Vermischung“ zwischen Europäern und den von ihnen extrem verschiedenen nordamerikanischen Ureinwohnern. Jene Verschiedenheit werde zu einer geringeren Auswirkung ihrer Sprachen auf die Standardsprache Amerikas führen, wohingegen die Ureinwohner des europäischen Kontinents zahlreiche Spuren in den Substraten der heute noch gesprochenen Dialekten hinterlassen hätten: „Fra la coltura dei popoli che vennero nell’Europa dall’Asia o dall’Africa, e le orde indigene che vi rinvennero, non correva tanta differenza come fra gli Europei ed i selvaggi d’America, quindi la fusione delle varie stirpi e tradizioni nell’Europa, poté essere più facile ed estesa, che fra gli Europei e gli Americani, i quali poco si fusero fisicamente, pochissimo moralmente. Essendo legge costante nel mondo fisico e morale, che gli estremi si escludono e respingono, le varietà si fecondano. Per cui nel substrato degli Americani de’secoli venturi, pochissime traccie [sic] saranno rinvenibili degli aborigini [sic], mentre fra gli Europei, anco i meglio penetrati dal sangue e dalla civiltà degli antichi continenti, sono più frequenti e facili a distinguere le traccie che vi lasciarono gli indigeni.“ Rosa 1861: 136.

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dalla genesi e dalla storia delle lingue. Esse, come dice Rapp, sono la nostra storia e le ultime conclusioni dei linguisti più profondi G. Humboldt, Grimm, Steinthal, Marzolo, persuadono, che lo spirito e la lingua sorgono e si sviluppano insieme, ch’essa è l’attività dello spirito perpetuamente innovantesi, onde risulta unità dello spirito e della lingua, congenita al pensiero, essenzialmente sociale, quantunque parli un sol uomo, tendente all’universalità come la società, ed avvivata continuamente dal moto presente e dall’eredità delle tradizioni in essa accumulate.689

Trotz seiner Ambivalenz in der Bewertung von ‚Differenz‘ blieb es Rosas Verdienst, bereits früh auf die Konsequenzen einer anthropologischen Philologie hingewiesen zu haben, die physische Ethnizität als abstrakte Determinante vor die kulturelle oder soziale Verfasstheit menschlicher Differenzen setzte. Die von Romagnosi, Cattaneo und Rosa dagegengehaltene Geschichtlichkeit menschlicher Kollektive und Ethnien war gerade in der historischen und epistemischen Situation des italienischen Risorgimento erste Bedingung für pluralistisches, aber in seiner Kehrseite der Identitätssuche auch nationales Denken, da sie ‚italienische‘ Identität in einem Zusammenhang historischer Kontextualisierbarkeit und Dynamik ermöglichte. Das Zusammenwirken von Universalgeschichte und historischer Relativierung bei den sozial determinierten Überlieferungsmodi mythischer Narrative, wie es Rosa an seiner Konzeption einer vergleichenden Mythologie geltend gemacht hat, als auch sein Konzept der linguistica, das auf einen universellen Menschheitsbegriff pochte, der im historisch konzipierten Individuum verankert war, machten sein Denken offen für ein kulturell differenziertes und dennoch universalistisch verfasstes Verstehen des ‚Anderen‘. Dieses Enjeu blieb gleichwohl noch gänzlich dem Fortschrittsdenken des 19. Jahrhunderts verpflichtet, das einem gewissen Eurozentrismus genausowenig entkam wie Cattaneo in seiner aufklärerischen Fokussierung.690

689 690

Ebd. Dennoch besteht auch noch in der Diskussion um die aktuellen Möglichkeiten der Philologie – vor allem im Dialog mit sozialpolitischen Fragestellungen – nach wie vor die Notwendigkeit einer mutigen Offenheit gegenüber der Logik des ‚Anderen‘, wie sie in der Vielfalt an Motiven, Stilen, Gattungen und Medien der Literatur zum Ausdruck kommen kann. Dieser Pluralismus der Positionen muss dabei stets eine Akzeptanz des ‚Anderen‘ in seiner Individualität als unbedingter Prämisse beinhalten, welche weit über die Toleranz, jene „gestundete Zeit“ und „Duldung auf Widerruf“ beinhaltet, um nachhaltig Zusammenleben zu ermöglichen. Vgl. Ette 2004: 253-277. Denker wie Rosa können zu dieser Frage durch ihre radikale Achtung vor dem Individuum immer noch wichtige Denkanstöße beisteuern.

III. VON DER ‚STORIA UNIVERSALE‘ ZUR ‚STORIA NATURALE‘ – DAS BEISPIEL DER LITERATURGESCHICHTE

Und doch dürfen die im vorigen Kapitel beschriebenen ‚antirassistischen‘ Aussagen – abgeleitet aus dem epistemischen Fortwirken von Cattaneos universalhistorischem Prinzip – nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts in der italienischen Philologie ein bedeutender epistemischer Wandel abzeichnete. Dieser bedingte einen erkenntnistheoretischen Perspektivenwechsel auf Sprache und Literatur. Im Zuge einer europaweit feststellbaren Entwicklung erfuhr der anthropologische Rassebegriff – und mit ihm essenzialisierende Unterscheidungen und Determinierungen der Menschheit – eine Aufwertung für das philologische Wissen. Differenzierungen anhand sprachtypologischer Merkmale oder des Geistes gingen einher mit der Frage nach dem Einfluss der menschlichen Physis, verstanden als Kriterium der Philologie. Carlo Dionisotti hat einen Grund für diesen Wandel beschrieben, indem er zusammen mit einer verstärkten Rezeption des Positivismus englischer und französischer Prägung die ‚Aufwertung‘ philologischer gegenüber philosophischen Erklärungsansätzen des deutschen Idealismus bei der Frage nach historischen Dynamiken erkannte. Diese Aufwertung sollte prägende Figuren der italienischen Philologie der zweiten Hälfte des Ottocento zu einer stark historiographisch geprägten Wissenschaft führen, die ihr epistemisches Fundament jedoch in der materialistischen Axiomatik des Positivismus fand. Dieser war auch eine Frucht der Krise einer bis dato eher in der süditalienischen Philosophie, denn in der Philologie rezipierten idealistischen metafisica. Der Historiker Pasquale Villari und seine Konzeption jenes noch lange wirkenden Antagonismus zwischen „der lateinischen und der germanischen Zivilisation“ („civiltà latina e la civiltà germanica“) wäre hier als ein Beispiel für diese anthropologisch-philologische Entwicklung des Positivismus zu nennen: La conversione dalla filosofia alla filologia, da una storiografia filosofica a una storiografia filologica, è fenomeno vistoso e importante in quel decennio 18501860, che fu decisivo per il Carducci, il D’Ancona e il Comparetti, nati nel 1835, e per altri poco più anziani, come il Villari, l’Ascoli, il Teza, Bartoli. Fra questi, il meridionale Villari basta a rendere testimonianza di una crisi propriamente filosofica, del declino di quell’idealismo tedesco che tanta fortuna aveva avuto e ancora aveva nell’Italia meridionale, e per contro dell’avvento di quel positivismo franco-inglese, che tanta fortuna avrebbe avuto di lì a poco nell’Italia settentrionale.691 691

Dionisotti 1998: 348 u. Villari 1862 [1861]. Zu Pasquale Villaris auch epistemisch fruchtbar gemachtem nationalistischen Antagonismus der beiden civiltà diente seine Gegenüberstellung

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Wie Domenico Comparettis Hoffnungen auf die ungeahnten Möglichkeiten einer weiter ermächtigten, empirischen scienza filologica – in England von Max Müller propagiert –, bestimmte jene von Dionisotti beschriebene Aufwertung der Philologie in Form einer philologischen Geschichtsschreibung zweifellos den gesamtitalienischen Diskurs der zweiten Hälfte des Ottocento. Als mit dem Pisaner Alessandro D’Ancona und anderen Vertretern einer historischen Schule (scuola storica) italienischer Gelehrter die Konzeption einer faktengesättigten positivistischen Literaturgeschichtsschreibung auf der einen Seite, und mit dem Neapolitaner Francesco De Sanctis auf der anderen Seite, eine ästhetisch-kritische Methode nationaler Literaturgeschichtsschreibung erste Ausarbeitung und Anwendung erfuhren, wurde der neue Einfluss philologischen Wissens auf die Debattenkultur der italienischen Wissenschaften offenbar.692 Beide ‚Strömungen‘ früher italienischer Literaturwissenschaft waren trotz unterschiedlicher Ansätze von Anfang an eng miteinander verwoben, so dass De Sanctis in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts und am Vorabend des ersten Weltkriegs zusammen mit D’Ancona für eine nationale Literaturgeschichtsschreibung vereinnahmt werden konnte. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als in der italienischen Philologie die Dominanz von Ascolis Glottologie dem Wiedererstarken des Idealismus durch Benedetto Croce und Giovanni Gentile wich und ein kultureller Nationalismus der Italiener den Blick auf das soeben zu Ende gegangene Jahrhundert ‚versöhnlich‘ stimmte.693 Für die Erklärung eines Zusammenhangs rassenlogischer Argumentationsmuster mit philologischem Wissen erscheint Dionisottis Gegenüberstellung einer „philologischen Geschichtsschreibung“ („storiografia filologica“) gegenüber einer („philosophischen Geschichtsschreibung“) „storiografia filosofica“ rein terminologisch allerdings eher ungünstig. Denn es bleibt zu bedenken, dass mit Graziadio Ascoli ein methodisch wie inhaltlich ‚puristischer‘ Philologe – mehr noch als der Literaturwissenschaftler Pio Rajna – schließlich auch im Ausland die scuola italiana einer ‚romanischen‘ Philologie vertreten sollte.694 Doch blieb natürlich auch Ascolis Epistemologie stark von Carlo

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des deutschen Idealismus zum italienischen ‚Vicismus‘ als historischem Ansporn eigener Identität im Denken der Italiener. Vgl. ebd.: 63-66. Zu den Protagonisten der scuola storica, den Auseinandersetzungen zwischen Francesco De Sanctis, Alessandro D’Ancona, Domenico Comparetti, Pio Rajna und anderen über die epistemischen Prämissen einer historiographischen Literaturwissenschaft sowie die Komplexität der persönlichen Beziehungen dieser Gelehrten untereinander, welche die italienische Literaturwissenschaft sowie die Entstehung einer romanischen Philologie in Italien ab den 1860er Jahren entscheidend prägten vgl. die umfangreiche und erweiterte Studie von Guido Lucchini 2008 [1990]. Vgl. ebd.: 7-10. Vgl. Lucchini 2008: 421. Lucchini widerspricht Dionisottis Einordnung einer auch geographisch repräsentativen Trias der italienischen Philologie. Diese bestünde aus dem Neapolitaner De Sanctis, dem Römer Comparetti und dem aus dem habsburgischen Italien stammenden Ascoli. Durch ihre Hauptwerke, die Storia della letteratura italiana (1870-71), Virgilio nel Medio Evo (1872) und die Saggi ladini (1873), die die „foundations of modern Italian scholarship“ (Dionisotti 1972: XX) gelegt hätten, würden sie jeweils eine mediterrane Strömung

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Cattaneos philosophischer Historisierung der Philologie beeinflusst, wie Sebastiano Timpanaro ausführlich dargelegt hat.695 Sogar der konsequenteste Vertreter einer naturwissenschaftlichen linguistica, Paolo Marzolo, bediente sich universalgeschichtlicher Theoreme der Aufklärung und orientierte sich an ihren philosophischen Konzeptionen des Menschen, obwohl er der Philologie einen eigenständigen Rang bei der Erklärung der Geschichte einräumte, wie im folgenden Kapitel deutlich werden soll. Zudem sei noch einmal auf das Auftreten des arischen Paradigmas hingewiesen, welches sich immer noch stark von epistemischen Prämissen des deutschen Idealismus durchdrungen war, wie der Fall Giacomo Lignana zeigt. Jenes erkenntnistheoretische Amalgam aus Philologie, Philosophie und Geschichtsforschung blieb also in verschiedenen Mischungsverhältnissen bestehen als die Philologie eine Aufwertung gegenüber der Historiographie erfuhr, was allerdings auch Dionisotti, trotz dieser terminologisch ungünstigen Opposition, so gesehen hat: La filologia nuovamente venuta di moda non mancava di un qualche fondamento filosofico. Il pregio allora attribuito allo studio delle lingue, in ispecie delle lin-

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des Hegelianismus, eine altphilologische Gelehrsamkeit und die moderne, vergleichende Sprachwissenschaft aufs Reinste verkörpern. Diesem Urteil hinge laut Lucchini jedoch noch die stark hegelianische Prägung der Rezeption des De Sanctis als Opposition zu Ascolis Positivismus an, wie sie der Einfluss Croces auf Dionisotti bewirkt habe. Diese Prägung überdecke jedoch eine ‚Asymmetrie‘ in der europäischen Rezeptionsgeschichte der italienischen Philologie. Während nämlich die Saggi ladini und der Virgilio im Ausland durch Übersetzungen ins Deutsche und Englische, und im Falle Ascolis die Auszeichnung durch die Berliner Akademie eine breitere Rezeption erfuhren, lag De Sanctis‘ Storia bis zu Croces ‚Wiederbelebung‘ vernachlässigt da. Vgl. Lucchini 2008: 28-29. Demgegenüber erfuhr der Nachfolger von Napoleone Caix, der seit 1873 als erster Lehrstuhlinhaber für ‚Letterature neolatine‘ in Mailand als Begründer der italienischen Romanistik angesehene Pio Rajna, durch seine beiden Hauptwerke über die Fonti dell’Orlando Furioso (Vgl. Rajna 1876) sowie die Origini dell’epopea francese (Vgl. Rajna 1884) europaweit Anerkennung. Auch institutionsgeschichtlich war Rajna für die italienische Philologie von größter Bedeutung. Dieser erkannte nämlich die sprachwissenschaftlichen Grundlagen der Textwissenschaften an, forderte aber eine von der linguistica comparata, aber auch der letteratura italiana separierte Institutionalisierung der Lehrstühle für romanische Philologie als letterature neolatine. Vgl. Lucchini 2008: 223-224. Vgl. Timpanaro 1973: 285-357. Trotz persönlicher und wissenschaftlicher Differenzen zwischen beiden Gelehrten hob Sebastiano Timpanaro zahlreiche fundamentale Gemeinsamkeiten hervor, welche eben aus jenem säkularen, historischen Denken erwuchsen, das die italienische Philologie das ganze 19. Jahrhundert hindurch prägen sollte. Nur ein Beispiel wäre die ablehnende Haltung beider Gelehrter gegenüber einer theologischen Geschichtsschreibung und Philologie, wie sie Cesare Cantù betrieb: „Gli stessi motivi che contrapponevano l‘Ascoli al Cantù dovevano invece avvicinarlo al Cattaneo: la convinzione che il linguaggio avesse avuto origine puramente umana, che anche le più perfette e complicate forme flessionali fossero derivate da agglutinazione di monosillabi originariamente autonomi, l’interesse per i rapporti tra linguistica ed etnografia, l’ammirazione per Vico (ma per un Vico liberato dalle nebbie teologiche e rivissuto con spirito progressista), erano tutti elementi di consenso tra il Cattaneo e il giovane goriziano. Si aggiunga che il Cattaneo era l’autore delle Interdizioni israelitiche, cioè dell’opera più profonda, chiara ed efficace che fosse stata scritta in Italia a favore dell’emancipazione degli ebrei.“ Ebd.: 288.

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gue orientali, e d’altra parte allo studio delle tradizioni popolari, presupponeva la speranza di toccare per quelle vie il fondo naturale, originario della storia umana: onde nel campo della ricerca letteraria, come in quello della ricerca scientifica, l’insistenza sulle origini.696

Ein verändertes Geschichtsbewusstsein. das erneut eine verstärkte Suche nach den – und eine Idealisierung der – eigenen Ursprünge mit sich brachte, lässt sich noch aus einem anderen Grund ableiten. Im philologischen Wissen erblickte man die Möglichkeit unmittelbarer politischer und historischer Einflussnahme. Der Nationalismus der Intellektuellen war auch im Jahrzehnt vor 1861 nach den verheerenden Niederlagen der Republikaner und radikaleren Demokraten in den vorerst gescheiterten Aufständen von 1848 keineswegs erschöpft. So vertrat beispielsweise Giovenale Vegezzi-Ruscalla, Professor für rumänische Sprache und politisch engagierter Patriot im Turin der 50er Jahre, einen chauvinistischen Nationalismus, der seine philologischen Schriften in Form proitalienischer Rumänophilie und antifranzösischer Haltung prägte. Im Streit um die Ansprüche des imperialen Frankreich, das den Piemontesen Unterstützung gegenüber Habsburg nur gegen Abtretung des sabaudischen Nizza zusagte, griff Vegezzi-Ruscalla auf sprachpolitische, nationalistische und auch genealogische Spekulationen über den italienischen Stamm (stirpe italiana) zurück, um politische Ansprüche Italiens auf Nizza wissenschaftlich zu rechtfertigen. Dabei sei es sowohl die Herkunft des in Nizza gesprochenen Dialekts, welchen er zu den italienischen Dialekten rechnete, als auch die Literatursprache und in der Bevölkerung verwurzelte Verwendung des Italienischen, die ihm als aussagekräftige Belege über die italienische Nationalität der Region und ihrer Bewohner galten.697 Obwohl Vegezzi-Ruscalla kulturelle Faktoren, wie Sprache und Literatur als Zeichen nationaler Zugehörigkeit deutete, war diese über die Faktoren Ethnie und Abstammung mitdeterminiert.698 Philologie musste für den patriotischen Gelehrten daher in sprachpolitischem Nationalismus fruchtbar gemacht werden, indem sie einerseits gegen dominante 696 697

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Dionisotti 1998: 349. Vgl. Vegezzi-Ruscalla 1860. Als Belegtext für diese Annahme diente Vegezzi-Ruscalla das Gleichnis vom verlorenen Sohn, welches er seinem Artikel in französischer, italienischer Sprache und im Dialekt der Stadt Nizza hinzufügte. Auf dieser Grundlage traf er in Fragen nationaler Identität eine sprachgenealogische Entscheidung: „Se il dialetto di Nizza avesse avuto maggior somiglianza colla lingua francese che non coll’Italiano, allora, malgrado la diversa sudditanza de’Nicesi, questi sarebbero di nazionalità francese.“ Ebd.: 16. Auch die italophone Literatur und die freiwillige Verwendung des Italienischen in Verwaltung und Kirche Nizzas seit dem 16. Jahrhundert zeugten von der italienischen ‚Identität‘ der Einwohner. Vgl. ebd.: 18-19. Doch ging diese nationalistische Argumentation zwei Wege, wenn VegezziRuscalla an anderer Stelle eine italienische Identität ethnogenetisch abzuleiten suchte und die Ligurer zu den „popolazioni italiche primigenie“ rechnete. Vgl. ebd. 33-34. Zu Vegezzi-Ruscallas komplexem und in seiner argumentativen Struktur nicht immer einheitlich vertretenen Nationenbegriff, welcher zwischen den Argumenten ‚Territorium‘, ‚Rechtstradition‘ des Kollektivs, ‚Ethnogenese‘, ‚Sprache‘ und den „materiellen Interessen der Bevölkerung“ schwankte vgl. Bauer 1999: 73-81 sowie Vegezzi-Ruscalla 1854.

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Sprachen wie das Französische Argumente lieferte und andererseits durch vergleichende Sprachforschung und Dialektforschung genealogische Verbindungslinien der Nationen nachvollzog. Soweit nichts Neues! Dabei verfuhr Ruscalla in seiner sprachgenealogischen Argumentation alles andere als kohärent, wie Domenico Santamaria betont hat. Denn dieser feurige Patriot erzielte zwar als ‚Romanist‘ durchaus beachtenswerte Leistungen, folgte jedoch in einem indoeuropäischen Kontext allein den gängigen typologischen Schemata, wie sie Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelt worden waren. Seine politische Instrumentalisierung sprachtypologischer Modelle bedeutete zugleich beliebige Verbindung von Sprache und Abstammung, je nach dem Ziel einer Inoder Exklusion von Völkern im nationalistischen ‚Raum der Identitäten‘.699 Es war ein pragmatischer Nationalismus, der die Epistemologie VegezziRuscallas prägte und seine Argumente bestimmte. Und er war dabei keineswegs der einzige Philologe. Denn auch in den konstitutiven Schriften einer italienischen Literaturwissenschaft, die sich ab den 60er Jahren etablierte, wurde das spezifisch ‚Italienische‘ einer literarischen Tradition zu einer kulturellen Genealogie erhoben, die anthropologische Züge trug. Dieses Potential von Textlektüre für die Bildung einer nationalen Ästhetik wurde mit Luigi Settembrini in der Einleitung bereits angesprochen, kann jedoch in vielerlei Spielarten auch bei anderen Gründerfiguren einer italienischen Literaturgeschichtsschreibung und Literaturkritik bis in die 70er Jahre festgestellt werden. So war beispielsweise Giosuè Carducci als Professor für Letteratura Italiana an der Universität Bologna in seiner 1874 veröffentlichten literaturhistorischen Abhandlung Dello svolgimento della letteratura nazionale, darauf bedacht, die Charakteristika der italienischen Literatur von anderen europäischen Literaturtraditionen zu trennen.700 Darin reflektierte Carducci über stilistische und gattungsgeschichtliche Spezifika einer noch zu gründenden italienischen Nationalliteratur als einem Identifikationsraum, der weder aus der höfischen noch aus einer geistlichen Tradition, sondern allein aus der einfachen Bevölkerung (popolo) begründbar sein sollte. Das Distinktionsmerkmal der italienischen Literatur müsse das „volksnahe Prinzip“ („principio popolare“) werden. Carducci griff dabei auch auf Konzeptionen genealogischer Reinheit zurück, wenn er die Italiener zu einem alten Volk stilisierte, welches aus den „Ruinen Roms“ („dalle ruine [sic] di Roma“) entstanden sei und sich dessen zvilisationsstiftenden Charakter durch die Jahrhunderte bewahrt habe: 699

700

Vegezzi-Ruscalla war trotz seiner ideologischen und rassenlogischen Spekulationen einer der ersten Philologen, die in Italien eine methodische Philologie als ethnographische Naturwissenschaft forderten, welche die wechselseitigen Einflüsse der indoeuropäischen Sprachen nachvollzöge und deren Fehlen er Franz Bopps Konzeption einer vergleichenden Sprachwissenschaft vorwarf. Vgl. Santamaria 1981: 36-37. Vgl. Carducci 1874. Diese Abhandlung ist vielmehr eine Zusammenstellung von fünf Vorlesungen, welche Carducci zwischen 1869 und 1871 an der Universität Bologna hielt, wo er bis 1904 tätig war.

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L’italiano non è popolo nuovo: altrove dalla mistura dei gallo romani e degl’iberi coi burgundi coi vandali i francesi i catalani i castigliani: qui permane l’Italia, qui l’Italia delle confederazioni umbre latine samnitiche liguri etrusche, l’Italia della guerra sociale, risorge dalle ruine [sic] di Roma. L’Italia ha dunque un principio di civiltà proprio ed antico; e, quando sarà tempo che questo sormonti agli atri principii i quali dettero una prima e nuova civiltà al resto d’Europa, allora anche l’Italia avrà una letteratura.701

Das emanzipatorische Potential des einfachen Volkes habe bereits im literarisch glorreichen Trecento Italien zu einer kulturellen Blüte geführt, die sich gegen und an Kaiserhof und Heiligem Stuhl zu behaupten wusste. Im Gegensatz zur mittelalterlichen Literatur Deutschlands und Frankreichs beruhe die italienische Textkultur weniger auf einer „Kultivierung von Konvention privilegierter Ordnung“ („civiltà di convenzione di un ordine privilegiato“)702, welche sich in den Werken der höfischen Dichtung und trotz aller historischer Wirren der Reformation im Norden erhalten habe. Die Würde des italienischen Volkes und die Kraft seiner Literatur, wie sie seit den tre corone des Trecento wieder aufblühte – und hier stimmt Carducci mit Settembrini überein – bestünde vielmehr von jeher in einer genuinen Selbstauffassung als Nation, da die Italiener durch die Jahrhunderte ihren „antiken Genius“ („genio antico“), jenes republikanische „römische Element“ („elemento romano“) bewahrt hätten, das besonders sie zu demokratischem Zusammenschluss befähige. Durch jenes ‚eingeborene‘ Republikanertum besitze Italien durch Recht, Handel und Kunst eher als andere Nationen Europas eine zivilisatorische Kontinuität von unten, die sich nun jedoch den Gegebenheiten der Neuzeit anpassen müsse. Der „Leim“ („glutine“), der das neue mit dem antiken Italien verbinde, sei eben jener bürgerliche Charakter der italienischen Literatur, der sich sowohl gegen klerikale als auch höfische Künstlichkeit seit dem Mittelalter behauptet habe. Er sei die „dritte und wahrhaftigste Kraft“ („terzo e più vero potere“)703 der Italiener. Dieser Charakter weise jedoch selbst zwei Aspekte auf. Einerseits sei er durch den Klassizismus einer römischen Tradition der Norm und der konservativen Strenge bestimmt, die auf die Bewahrung etablierter, ästhetischer Formen in Kunst und Literatur poche und der Literatur einen ‚aulischen‘ und gelehrten Charakter verleihe. Andererseits sei es das eigentlich italische – das plebejische und föderale – Element eines Roms der Bürgerkriege und der innergesellschaftlichen Konflikts, das sich in den stilistischen Rhapsodien und der Vielförmigkeit dialektaler Dichtungen widerspiegle: Se non che, questa forza vitale che fermentò lunghi secoli occulta ne’ residui dell’antica Italia, che fu come il glutine della nuova Italia, che per ciò può dirittamente considerarsi come l’elemento nazionale, non è del resto un proprio e pu701 702 703

Ebd.: 9. Ebd.: 8-9. Ebd. 18.

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ro elemento. Ma è anzi una forza complessa, che si spiega per due maniere di azione in effetto, se non opposti diversi. Per una parte, in quanto ella mira alla ristorazione alla conservazione alla unità nelle forme delle istituzioni e dell’arte, in quanto ella torna a un ideale di nazione di letteratura di stile, il suo elemento è romano e l’azione sue è dotta e aulica: per un’altra parte, in quanto ella tende al rinnovamento e alla varietà, e si produce nelle mille forme dialettali rapsodiche tradizionali della regione e del comune, il suo elemento è l’italico della guerra sociale, e l’azione sua è popolare o plebea.704

Beide Aspekte des principio popolare, sowohl der zentralisierende Einfluss einer gelehrten und stilistisch an den Idealen der romanità orientierten Literatur als auch das belebende Element einer ursprünglichen Kreativität sozialer und dialektaler Unterschiede, die in Stil und Form experimentierfreudige Vielfalt hervorbringe, müssten in einer „Harmonie beider Prinzipien“ („armonia dei due principii“)705 für die italienische Literatur der Gegenwart furchtbar gemacht werden. Erst dadurch gelange eine Nationalliteratur der Italiener wieder auf Augenhöhe mit den kulturellen Leistungen der anderen Europäer: Perocché in Italia il principio popolare era la forza dell’elemento romano connaturato al terreno e ritemperatosi alla vita novella. Educato nelle tradizioni della civiltà antica, raffermatosi nell’uso dei reggimenti e delle leggi, con gli attriti con le industrie co’viaggi e i commerci s’era fatto pratico di tutta l’Europa. Scelse il tempo e il luogo opportuno, e poi guidato dal genio antico, e conscio dei nuovi fati, procedé grave severo all’opera letteraria: Già lo dissi: l’Italia avrà letteratura nuova e sua, quando il principio popolare, più veramente qui nazionale, potrà equilibrarsi o sormontare agli altri, l’ecclesiastico e il cavalleresco. Ora siamo al punto.706

Carduccis historische Literaturwissenschaft beruhte also trotz dieser Gedanken zu einer spezifisch italienischen Ästhetik immer noch auf einem historischen Prinzip, das die Wechselfälle der Geschichte zur Grundlage literarischer Entwicklung erklärte und einen europäisch wirksamen, politischen Konflikt – jenen alten inneritalienischen Kampf zwischen Guelfen und Ghibellinen, zwischen höfischen und geistlichen Formen literarischer Produktion – zum Drehund Angelpunkt seiner Dynamik nahm. Ausgehend von dieser Betonung einer vitalen, ‚volkskulturellen‘ Genealogie der Italiener, aber auch in Anbetracht damit einhergehender nationalistischer und italozentrischer Überhöhungen sowie zuletzt der Funktion einer nationalistischen Literaturgeschichtsschreibung und Literaturkritik könnte man nun den Fokus auf jenen essenzialistisch ausdeutbaren Identifikationsraum des italienischen Nationalismus legen, den auch Vegezzi-Ruscalla über die Philologie zu eröffnen suchte. Doch eine zu starke Konzentration auf dieses politisch aufgeladene Philologieverständnis mit der Aura eines bisweilen übertrieben ‚völkischen‘ Nationaldünkels würde die Auswirkungen jener tiefgreifend 704 705 706

Ebd.: 20. Ebd. Ebd.: 40-41.

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wirkenden, epistemischen Verschiebung verdecken, die am Beispiel Gabriele Rosas nur angedeutet wurde. Denn zwischen den 50er Jahren bis in die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts änderte sich zusammen mit der Epistemologie auch das philologische Wissen radikal. Noch stärker als jener Nationalismus der Oberfläche qualifizierte diese Entwicklung essenzialisierender Positionen und den Rassebegriff für das wissenschaftliche Argumentieren der Philologie. Es scheint weniger ‚der Italiener‘ als privilegierter Erbe einer Nationalsprache und Nationalliteratur, als vielmehr der Blick auf das Sprach- und Kulturwesen Mensch gewesen zu sein, der rassistisches Argumentieren und hierarchisierende Aussagen jenseits fabelhafter Ursprungsmythen und genealogischer Monumentalisierungen durch Texte und Sprachen ermöglichte. Ein wichtiger, jedoch nicht der einzige Grund dafür war der Versuch, die physischen Voraussetzungen des Menschen zu zwar historisch verfassten, letztlich jedoch determinierenden Kriterien in Bezug auf Sprachlichkeit, Schriftentwicklung und ästhetische Gestaltung literarischer Formen und Inhalte zu etablieren. Bekanntestes Beispiel für diese Entwicklung war wohl der Philologe Costantino Nigra, der in seinem Artikel „La poesia popolare italiana“, den er 1876 in Gaston Paris’ Romania veröffentlichte, seine Erkenntnisse über die italienische Volksdichtung auf das axiomatische Fundament eines unterschiedlichen „besonderen Empfindens der Ethnie“ („sentimento etnico speciale“) stellte, das nach ästhetischen Kriterien einen süditalienischen von einem norditalienischen ‚Volkscharakter‘ trennte.707 Dabei argumentierte er jedoch weniger hierarchisierend, als diversifizierend: Ma la poesia popolare, al pari della lingua, è una creazione spontanea, essenzialmente etnica. Razza, lingua e poesia popolare sono tre forme successive della medesima idea, e seguono nella loro genesi e nel loro sviluppo un procedimento analogo. Con ciò noi non vogliamo escludere la possibilità del passaggio della poesia popolare da una nazione ad un’altra. Quello che accadde della lingua poté accadere della poesia popolare. In tal caso sarà cómpito della storia il cercar la ragione del fatto, e il discernere in questa poesia mutuata la parte originaria e la parte che poté esservi aggiunta di proprio dalla nazione che l’adottò e seppe assimilarsela. Però si può stabilire per principio generale, che la poesia popolare è

707

Vgl. Nigra 1876. Nigras Beitrag zur Entwicklung der italienischen Philologie bestand in einer exakteren, methodologischen Fundierung einer wissenschaftlichen Erforschung der Volksdichtung. Diese sollte nicht mehr anhand der allgemeinen Sujets wie Liebesleid, Kampf- und Spottlied, sondern in einer Untersuchung der spezifischen Formalisierung der Sujets im Kontext einer bestimmten Region erfolgen, welche weitere geographische Vergleichsräume erlaubte. Nigra ‚entprovinzialisierte‘ durch einen weiteren Vergleichsraum die italienische Volksdichtung. Sein Positivismus ethnischer Substrate in der Dichtung trug jedoch durchaus anthropologische Züge, welche allgemeine Aussagen über die Unterschiede der Volkscharaktere traf und damit die andere Seite jenes neuen Positivismus verdeutlichte, welche den Menschen nicht nur empirisch erfasste, sondern ihn auch immer wieder in typenhafte Kollektive einschloss. Vgl. Di Giovanni 2012: 18-19, Lucchini 2008: 283.

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creazione spontanea della popolazione che la canta, risponde al sentimento etnico speciale della medesima.708

Anhand philologischer – genauer textgattungsgeschichtlicher – Unterschiede bei der geographischen Verbreitung metrischer und motivischer Besonderheiten von Texten der Volksdichtung glaubte Nigra die unterschiedlichen Vorstellungswelten zweier „verschiedener Rassen“ („razze distinte“) innerhalb Italiens vorzufinden, deren Charaktere sich unmittelbar und auf jeweils vollkommen unterschiedliche Weise in einer Literatur ausdrückten, die zunächst in einer Tradition der Oralität stand und schließlich schriftlich fixiert wurde. Während die ‚unteritalienische‘ Volkslyrik durch lebhafte und dennoch formal so exakt ausgeführte Streit- und Liebesreime – die strambotti und stornelli – die ältesten und kreativsten, wenn auch volkshaft einfachen Ausdrucksformen italienischer Dichtung bereitstelle, sei Oberitalien von der eher ernsteren, narrativeren, nordeuropäischen canzone geprägt, die einer keltisch-romanisch beeinflussten Ästhetik der Troubadour-Dichtung voll schwerer Gedanken unter Vernachlässigung formaler Verbindlichkeit verpflichtet sei. Hier entwickelte Nigra aus jenem zwei Jahre vorher von Carducci gefeierten, volkshaften Prinzip der italienischen Literatur beinahe eine ganze literarische Anthropologie der Italiener, die bei den Süditalienern eine antike Latinität am Werke sah, die in deren Lyrik fruchtbar geworden, jedoch gänzlich anders verfasst sei als die Latinità des Nordens. Dieses auf eine neue Art differenzierende Interesse für die Ursprünge der Italiener in ihrer Literatur traf zwar pauschalisierende Annahmen über die Charaktere des Südens und des Nordens, erhob jedoch die Ästhetik des Mezzogiorno zu einem fruchtbaren, lebendigen und keineswegs schlampig-formlosen Gegensatz zur formhaften Schwere des Nordens: Lo strambotto (come lo stornello) è originale ed indigeno nell’Italia inferiore. La canzone è solamente in parte indigena nell’Italia superiore, in parte è comune ad altre popolazioni romanze. La poesia dell’Italia inferiore è lirica, quella dell‘Italia superiore è generalmente narrativa. La prima è soggettiva, la seconda è oggettiva. La prima ha per argomento ordinario l’amore, la passione e l’affetto dell’animo, e più raramente un concetto morale o politico o un’allusione a fatti storici; la seconda ha per argomento fatti storici, racconti romanzeschi e familiari, e, per una parte soltanto, l’amore. [...] La prima, senza cessare d’essere popolare e comunque dettata dal popolo incolto, ha una forma appena meno artificiosa e quasi altrettanto accurata che la migliore poesia dotta; la seconda invece conserva la veste negletta e disadorna, ma schietta ed ingenua della poesia d’origine popolare. Nella prima dominano la preoccupazione della forma e l‘indulgenza del suono; nella seconda la forma è subordinata al pensiero.709

Der fatale Determinismus, der in diesen Sätzen zum Ausdruck kommt, liegt nicht in der positiven Bewertung der Ästhetik, sondern eben in der methodisch-vergleichenden Auseinandersetzung formaler und inhaltlicher Vielfalt 708 709

Nigra 1876: 427. Ebd.: 427-428.

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auf der Grundlage eines anthropologischen Essenzials der Naturgeschichte, einer „ethnischen Empfindungsart“ („sentimento etnico“). Hier, und nicht im übertrieben schrillen Nationalismus Vegezzi-Ruscallas wird der Wandel in der Epistemologie deutlich, der die Philologie des späten Ottocento entscheidend prägte. Weniger in der Vereinnahmung der Geschichte zu politischer Ranküne, als vielmehr in der vergleichenden Betrachtung der physischen und ‚sentimentalen‘ Natur des Menschen selbst, vermittelt durch den ästhetisch erfahrbar gemachten Ausdruck kollektiver Vorstellungs- und Empfindungswelten, entstand in Italien die epistemische Vorlage, die historische Philologie zu naturwissenschaftlichem Determinismus werden lassen konnte. Die beiden wohl prominentesten Gründerfiguren einer (national-) italienischen Literaturkritik und Literaturgeschichtsschreibung, Giosuè Carducci und Francesco De Sanctis, waren jedoch zweifellos immer noch stark an einer Darstellung und Analyse literarischer Texte orientiert, die ästhetisch-subjektiv historische Singularität und Kontextualisierung bewahrte. Bei De Sanctis wird dies durch seine individuell-biographisierende Darstellung literarischer Entwicklungen, bei Carducci durch eine kritische Beurteilung historischer und weniger anthropologischer Dynamiken anhand literarischer Werke ersichtlich, die zumindest seine frühen philologischen Schriften prägte.710 Doch klang auch bei Carducci die von Nigra weitergeführte Frage nach der anthropologischen Verankerung des nationalen Charakters der italienischen Literatur in der ‚Natur‘ des Volkes bereits an.711 Es waren theoretische Arbeiten einiger positivistischer Philologen zu den Grundlagen einer scienza delle lettere, die wesentlich expliziter eine Rassenlogik zur Grundlage literarischer Charakteristika und deren wissenschaftlicher Beurteilung zu machen versuchten, als dies allein ein nationaler Rassestolz vermocht hätte. Wie Guido Lucchini bereits ausführlich herausgearbeitet hat, wurden sowohl die Vertreter der scuola storica der zweiten Hälfte des Ottocento (Vallardi, D'Ancona, Comparetti, Rajna) als auch der später an sie angenäherte Francesco De Sanctis stark von einer Art des Positivismus beein710

711

Antonio Palermo sieht in Giosuè Carducci und Francesco De Sanctis trotz ihrer oftmals betonten epistemischen und persönlichen Differenzen aus einer erweiterten historischen Perspektive keine Antagonisten im philologischen Diskurs, sondern eher komplementäre Akteure, welche jeder auf seine Weise, das historiographische Selbstbewusstsein der italienischen Philologie wissenschaftlich zu untermauern suchten: „Ci riferiamo al fatto che De Sanctis e Carducci costituirono negli anni della loro attività, a partire per lo meno dall’indomani dell’Unità, un ‘sistema binario’, puntualmente contrappositivo, e dunque ‘parallelo’, sia nella loro coscienza critica – ossessivamente in quella del Carducci – sia in quella dei loro rispettivi scolari, sia nella più generale consapevolezza culturale del loro tempo.“ Palermo 2000: 44. Aus dieser Faszination für die kollektiven Spezifika einer Ästhetik der italienischen Nationalliteratur, die zu einem guten Teil einem säkularen Volksgeist liberaler und antiklerikaler Opposition entsprang, fällt es dennoch schwer, nicht eine gewisse Kontinuität mit jenem Antisemitismus auszumachen, der in Carduccis hellenisierender und arisierender Lyrik und in einigen seiner Briefe sichtbar wird und welcher dessen dichterischem Ideal eine anthropologische Komponente hinzufügte. Vgl. Burgio 1999: 81, Contarino 1989: 105 ff., Piromalli 1988: 134, u. Russo 1957: 69 ff., 339 ff.

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flusst, der weniger historischer Quellenforschung, als einer analogisierenden Art der Empirie als „historischer Methode“ („metodo storico“) folgte. Eine epistemologische Entwicklung, die lange Zeit übersehen wurde: Occultando che la nascente scuola storica, in modo quasi palese, si era schierata tutta contro De Sanctis, gli ultimi rappresentanti di quella scuola non solo si dimostravano assai poco ‚storici‘, ma soprattutto lasciavano in eredità a Croce e Gentile l’amministrazione della cultura del secondo Ottocento, passando sotto silenzio un nodo fondamentale, il cosidetto ‚metodo storico‘ appunto, in cui si era identificata la storiografia letteraria del positivismo.712

Dieser vernachlässigte positivistische Charakter der scuola storica umfasste die gesamte italienische Philologie. Er stellte sowohl für deutliche Befürworter einer epistemischen Annäherung der Philologie an die empirischen Grundlagen von Naturgeschichte und Positivismus, wie den Literaturhistoriker Ugo Canello, als auch für weniger ‚radikale‘ Positivisten wie Arturo Graf, einem der Begründer der italienischen Komparatistik, die Möglichkeit neuer, empirischer Herangehensweisen an (text-)gattungsgeschichtliche Entwicklungen dar. Diese Entwicklung lässt sich anhand einer betont naturwissenschaftlich gehaltenen Neuordnung philologischer Terminologie nachvollziehen.713 Auch argumentative Anleihen bei vergleichender Anatomie und Naturgeschichte sollten für eine ‚evolutionstheoretische‘ Philologie unter Betrachtung von lingue und lettere bei Giacomo Lignana sowie für eine ‚rein‘ naturgeschichtliche linguistica bei Paolo Marzolo relevant gemacht werden. Auf die Arbeiten dieser beiden Philologen soll aufgrund rassenlogischer und deterministischer Hierarchisierungen innerhalb ihrer Argumentationszusammenhänge und in Anbetracht ihrer Wirkung im Diskurs näher eingegangen werden.

712 713

Lucchini 2008: 10. Zum Einfluss der positivistischen critica francese, insbesondere von Taine, auf die italienische Literaturwissenschaft vgl. Kablitz 1991: 44 mit dem dortigen Hinweis auf Tonelli 1914. Lucchini, unter Hinweis auf den Discorso su Beatrice von 1872 weist auch auf die sogar bei Alessandro D’Ancona immer häufiger werdende Verwendung von darwinistischen Termini hin, um literaturhistorische Gegenstände zu erhellen, die letzterer jedoch in einem psychologisierenden Zusammenhang verwandte. Vgl. Lucchini 2008: 38. Der ab den 70er Jahren in Rom und Turin lehrende Arturo Graf, Professor für romanische und italienische Literatur, setzte sich intensiv mit Völkerpsychologie und Darwinismus auseinander. In seinen literaturtheoretischen Schriften Storia letteraria e comparazione (Vgl. Graf 1993 [1876]) und Di una trattazione scientifica della storia letteraria (Vgl. Graf 1877a) forderte er eine stark empirische Ausrichtung der Literaturwissenschaft, welche soziale Umstände und kollektiv psychologisierende Faktoren in ihrem Einfluss auf die Literaturgeschichte geltend machte. In seinen Considerazioni intorno alla storia letteraria (Vgl. Graf 1877b) betonte er gleichwohl die Eigengesetzlichkeit und Komplexität produktions- und rezeptionsästhetischer Zusammenhänge. Diese würden keine Sicht auf literarische Werke als determinierte ‚Produkte‘ der Umstände erlauben, sondern lediglich als von diesen beeinflusste und diese beeinflussende dynamisch verfasste ‚Funktionen‘. Vgl. Dionisotti 1998: 335, Izzi 2002. Zur fachgeschichtlichen Bedeutung Arturo Grafs für die Entstehung einer vergleichenden Literaturwissenschaft in Italien vgl. Apweiler 1997. Zu Arturo Grafs Skepsis gegenüber der Anwendung naturwissenschaftlicher Theorien wie der Evolutionslehre auf die Literaturgeschichte vgl. ebd.: 138-143.

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Vorsichtig und unter dem Vorbehalt, dass diese Strömung innerhalb der Philologie keineswegs unwidersprochen akzeptiert wurde, kann für die Entstehung einer italienischen Literaturwissenschaft ab den 60er Jahren des Ottocento mit Wolfgang Asholt eine Parallele zu epistemischen Entwicklungen in Frankreich gezogen werden, wo die Literaturwissenschaft aus ihrer prädisponierten, pädagogischen Funktion als Trägerin nationalen Selbstbewusstseins mit einem positivistischen Anspruch einherzugehen begann: Nach dem Vorbild der großen Erzählung der Historiker wird die evolutionäre wie die positivistisch begründete Literaturgeschichtsschreibung zum opus magnum der Literaturwissenschaft. Beide werden durch einen ausgeprägten Determinismus und ein omnipräsentes Kausalitätsprinzip charakterisiert und für beide Konzeptionen ist die Literatur neben der Geschichte die eigentlich nationale Identität konstituierende und -stiftende Kraft. Aufgabe der Literaturwissenschaft und des Literaturunterrichts ist es, diese Funktion der Literatur in den Institutionen von Schule und Hochschule überzeugend wahrzunehmen und in der nationalen Öffentlichkeit als selbstverständlichen Teil des nationalen und kulturellen Selbstbildes zu verankern.714

Diese Dynamik brachte schließlich auch in der historisch orientierten italienischen Philologie ein verstärktes Auftreten deterministischer Erklärungsansätze mit sich, die im philologischen Urteil das konstruierte Unterscheidungskriterium der Rasse, das dabei gleichermaßen von physiologischen wie philologischen Argumenten gestützt wurde, als Bindeglied naturwissenschaftlicher und historischer Erklärungsansätze vereinnahmten. Der Anspruch einer naturwissenschaftlichen und empirischen Literatur- und Sprachgeschichtsschreibung im wissenschaftlichen Diskurs sollte auf diese Weise methodisch und epistemologisch verankert werden. Tzvetan Todorov hat diesen europaweit stattfindenden Wandel der Epistemologie in seinen Auswirkungen auf Rassedenken und Rassismus beschrieben und ihn als eine ins Religiöse gesteigerte Wissenschaftsideologie begriffen. Dieser neue Glaube, von Todorov zusammengefasst unter dem Begriff des scientisme, konnte auf einige Axiome und Argumente wissenschaftlicher Diskurse der Aufklärung im Frankreich des späten 18. Jahrhunderts zurückgreifen, um sich nun methodisch und fachlich weiter auszudifferenzieren. Er manifestierte sich dabei in vielfacher Form, fand gleichermaßen Eingang in den taineschen Literatur-Positivismus, wie er Renans Philologie und Gobineaus Historie der Rassen neben all ihren idealistischen Prämissen715 mitgeprägt hat: La doctrine racialiste, on l’a vu, est liée dès ses débuts à l’avènement des sciences, ou plus exactement au scientisme, c’est-à-dire l’utilisation de la science pour fonder une idéologie. La coprésence de Buffon et de Diderot dans l‘Encyclopédie n’est pas un hasard. Nous retrouverons les deux doctrines encore 714 715

Asholt 2013: 367-368. Zur Debatte um Gobineau als Dekadenztheoretiker und die Aspekte positivistischer Paradigmatik in seinem Wissenschaftsverständnis vgl. Messling 2012f.

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plus étroitement enchevêtrées au cours de la seconde période, culminante, de la pensée racialiste, pendant la deuxième moitié du XIXe siècle. Il est donc nécessaire d’examiner les prémisses scientistes de la doctrine des races chez ceux-là mêmes qui en seront les propagateurs les plus zélés: Taine, Renan, Gobineau.716

Es genügt also nicht, einfach eine Neuordnung wissenschaftlicher Prioritäten in Bezug auf einige Forschungsobjekte zu postulieren. Vielmehr muss einer axiomatischen Verschiebung nachgegangen werden, die sich langsam abzeichnete und in zahlreichen wissenschaftlichen Texten wahrnehmbaren war. Diese Verschiebung lässt sich schon im sprachmechanischen Paradigma der Aufklärung nachweisen und fand um die Mitte des Jahrhunderts auch in Italien Verbreitung. Der Mensch sollte nun nicht mehr nur als historischer Akteur, sondern auch als individueller Produzent von Text und Sprache betrachtet werden. Nicht mehr nur in der prospektiven Dynamik seiner perfettibilità sollte er gesehen, sondern als physisches und zugleich rationales Wesen im individuellen und kollektiven Sinn begriffen werden. Seine ‚kognitive‘ Geschichte ist aus dieser Perspektive zwar eine Abfolge zivilisatorischer Entwicklungen, die aber nicht mehr individuell und durch Zufall – oder gar göttliche Vorsehung – zu begreifen sind, sondern von bestimmbaren Faktoren abhängen, die das menschliche Denken und Handeln determinieren, aber auch pathologisch beeinflussen können. Dies nur, um in einer Bewegung der Rückermächtigung gegenüber der Natur, wiederum die Möglichkeiten der Determinierbarkeit und Beeinflussbarkeit dieser Faktoren auszuloten. Auch Benedetto Croce konnte diese oftmals verwirrende und in ihren epistemischen Hybridformen verwirrte Entwicklung einer antiidealistischen Dezentrierung des Menschen im Kontext der Geschichte und seiner Biologisierung, die sich über die gesamte zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts erstreckte, in seiner Estetica noch aus der Perspektive kurzer zeitlicher Distanz zusammenfassen: Il terreno perso dalla metafisica idealistica fu conquistato, nella seconda metà del secolo decimonono, dalla metafisica positivistica ed evoluzionistica: sostituzione confusionaria delle scienze maturali alla filosofia e accozzaglia di concetti materialistici e idealistici, meccanici e teleologici, con coronamento scettico e agnostico. Tratto caratteristico di tale indirizzo fu il disprezzo verso la storia, e, in ispecie, verso la storia della filosofia; onde venne per esso a mancare quel collegamento con la serie formata dagli sforzi secolari dei pensatori, che è condizione di ogni fecondo lavoro e di ogni progresso vero.717

Die bloße Möglichkeit einer Existenz nachvollziehbarer, da determinierter Prozesse schritthafter Weiterentwicklung des Menschen – in einer paradoxen ‚Metaphysik der Natur‘ jenseits aller Geschichtlichkeit – stellte zusammen mit einer unkritischen Wissenschaftsgläubigkeit bei der Erfassung dieser Prozesse für den idealistisch geprägten Croce eher einen Rückschritt, denn eine Fortset716 717

Todorov 1989: 137. Croce 1990 [1902]: 495.

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zung jener Fortschrittsbewegung dar, die einer gesunden kritischen Skepsis gegenüber jeglicher epistemischer Entwicklung automatisch entspringen müsste. Denn sie war eher eine neue Gläubigkeit an die Transzendenz, sobald sie historisches Denken verhindere. In ihr erschien ein Menschheitsbegriff, der einige Philologen leitete, die nun versuchten, kulturelle und zivilisatorische Differenzen in expliziter Anspielung auf die epistemischen Voraussetzungen der Naturgeschichte auszuloten. Das Kriterium ‚rassischer‘ Zugehörigkeit war dabei nur einer dieser Faktoren, die Sprache und Schrift der Menschen mehr oder weniger mitbestimmen konnten. Noch bevor in den 70er Jahren des Ottocento durch Giacomo Lignana und Gaetano Trezza der darwinistische Kampfbegriff in seiner Relevanz für die Philologie entdeckt wurde, wandelte sich im philologischen Diskurs der italienischen Halbinsel die universelle Geschichte der umanità zur Geschichte des Naturwesens Mensch in seiner individuell wie kollektiv wirkenden natürlichen – das heißt prioritär physischen – Verfasstheit. Als ein Eckdatum kann dabei das Jahr 1857 angesehen werden, als in Neapel eine erste umfassende ‚Rassenkunde‘ in italienischer Sprache unter dem Titel Delle razze umane in zwei Bänden veröffentlicht wurde.718 Verfasst hat sie der Mediziner und Physiologe Giustiniano Nicolucci, der neben Paolo Mantegazza als prägende Figur einer Institutionalisierung der italienischen Anthropologie in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts angesehen werden kann.719 Der Titel dieser Schrift weist zwar auf den rassenlogischen Inhalt des Werkes hin, gibt aber durch das dazu gesetzte lateinische Bibelzitat „Ex uno omne genus hominum“720 zu verstehen, dass der Rassebegriff im Sinne einer monogenetischen Grundkonzeption der menschlichen Gattung synonym zum Begriff der ‚Varietät‘ gebraucht wird, auch wenn dies den Autor nicht von hierarchisierenden Einordnungen dieser ‚Varietäten‘ abhielt. Die Philologie war für Nicolucci 718 719

720

Vgl. Nicolucci 1857. Zur Bedeutung von Paolo Mantegazzas Konkurrenten Nicolucci als einer lange Zeit beinahe vergessenen Figur der italienischen Wissenschaftsgeschichte, die dennoch großen Anteil an Etablierung und Institutionalisierung der anthropologischen Studien in Italien hatte vgl. Fedele/Baldi 1988. Das dem Werk vorangestellte Zitat als Bekundung von Nicoluccis monogenetischer Konzeption des Menschen bezieht sich auf Apostelgeschichte 17, 26. In der katholischen Einheitsübersetzung: „Er hat aus einem einzigen Menschen das ganze Menschengeschlecht erschaffen, damit es die ganze Erde bewohne.“ Allerdings könnte der zweite Satz des Verses „Er hat für sie bestimmte Zeiten und die Grenzen ihrer Wohnsitze festgesetzt“ auch ein Ansporn für jene Kunde menschlicher Differenz sein, wie sie die Epistemologie der neuen (Natur-) Wissenschaft vom Menschen darstellte. Nicolucci stellte auch die Grenzen der ethnologischen Wissenschaft klar, wenn es um die Ursprünge des Menschen ging: „Però l’Etnologia, come di leggiero si comprende, non può risalire a’cominciamenti della umanità, né accompagnare le prime migrazioni dell’uomo sulla faccia della terra, né scuoprire [sic] direttamente le origini delle odierne più cospicue varietà, o razze umane, le quali già esistevano fin da quando a noi cominciarono ad essere trasmesse le più antiche memorie che possediamo intorno alla nostra specie […].“ Nicolucci 1857: 1. Auch der ‚fromme‘ Monogenetiker Nicolucci fand gleichwohl immer wieder Argumente für eine Hierarchie der Rassen, wobei er Rasse und „costumanze“ des „tipo ellenico“ den Vorzug gab. Vgl. Fedele/Baldi 1988: 55-56.

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dabei – neben Anatomie, Geschichtswissenschaft und Archäologie – als Hilfswissenschaft für die Ethnologie unabdingbar. So gab der Ethnologe im Kapitel über die „arische Rasse“ („Razza Ariana“) eine kurze Übersicht über die weite Verbreitung der Idee einer arisch-semitischen Ursprache unter den Gelehrten der Epoche und benutzte philologisches Wissen als unterstützendes ‚Argumentationsmaterial‘ für die Subsumption der semitischen Völker unter die ‚arische Rasse‘: Grazie agli studi di filologia comparata inaugurati, non è molti anni, in Alemagna, può oggi asseverarsi, che vi ha tale analogia fra gli alloqui semitici e i parlari degli Indo-Europei, che bene può stabilirsene la reciproca parentela, e la filiazione, per così dire, da una medesima lingua originaria, o matrice: lingua rudimentaria, forse analoga al cinese, gli elementi della quale durano tuttora nelle radici bilitterali dell’ebraico, le quali offrono i più notevoli ravvicinamenti con le radici analoghe delle lingue Indo-Europee. Tale almeno è la opinione, non dirò solamente di Fürst, e Delitzsch, i quali ci sembra che abbiano tropp’oltre spinto il loro metodo di comparazione, ma di Bopp, G. di Humboldt , Gesenius, Lassen, Ewald, Lepsius, Pott, Luzzatto, Dietrich, Bunsen, Boettinger, Kunick ed altri.721

Nicoluccis enthusiastischer Hinweis auf die Ergebnisse der „vergleichenden Philologie“ („filologia comparata“) deutscher Prägung sowie das Aufrufen einiger ihrer herausragenden europäischen Vertreter diente als Zeugnis in der Frage nach der Einordnung der physiologisch ‚weißen‘ semitischen Rassen. Diese sollten eine Unterkategorie der arischen Rassen bilden, da die Wurzeln beider Sprachfamilien in einer ‚primitiven‘ monosyllabischen Ursprache lägen. Bei diesen Überlegungen unterstrich Nicolucci sein biblisch-mahnendes Eingangsmotto zum Thema ‚Menschenrassen‘ und konnte dabei doch nicht über den erkenntnistheoretischen Wandel hinwegtäuschen, der seine Perspektive auf den Menschen als Forschungsgegenstand bestimmte. Es handelte sich schließlich bei Nicoluccis Werk nicht um eine philologische Arbeit, sondern um einen „ethnologischen Essay“ („saggio etnologico“), eine ausführliche Typologie der Rassen anhand physischer Merkmale von Menschengruppen, die diese Gruppen wissenschaftlich zu differenzieren und zu erfassen suchte.722 Das philologische Wissen hatte sich hier klar dem physi721 722

Nicolucci 1857: 57. Zur verwirrenden, terminologischen Überschneidung zwischen etnologia und antropologia muss darauf hingewiesen werden, dass sich erst ab den Jahren nach Veröffentlichung des saggio der Terminus Anthropologie für eine naturwissenschaftliche Erforschung des Naturund Kulturwesens Mensch etablieren sollte, welche auch die Kunde von den menschlichen Rassen als Ethnologie umfasste: „Lo stesso termine di ‘etnologia’ in luogo di antropologia risente di Herbert Spencer, di James Prichard, dello sboccio di società di ‘etnologia’ degli anni `30 e `40 da Mosca a Parigi a Londra, e indirettamente dei viaggiatori e dei compilatori tedeschi (Barthold G. Niebuhr, Gustave F. Klemm, Alexander von Humboldt di Cosmos). Erano gli ultimi anni in cui etnologia significò lo studio delle razze umane, come aveva fatto per un trentennio. Si può dire che le Razze umane uscirono nel preciso momento in cui il nome di ‘antropologia’ fu rifondato in senso moderno, confinando etnologia in un’accezione più limitativa.“ Vgl. Fedele/Baldi: 44-45.

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ologischen Wissen der Mediziner, Ethnographen und Kraniologen unterzuordnen, sobald es darum ging, anthropologisch ‚verlässliche‘ – das heißt in diesem Falle quantifizierbare und verwendbare – Ergebnisse zu erzielen. Diese setzten eine aposteriorische Auffassung des Menschen voraus, die dessen Individualität und seine ethnische Zugehörigkeit organisch-anatomisch verstand und klassifizierbar machte. Die Paradigmen, Thesen, Hypothesen und Theorien der Philologie mussten sich früher oder später einem Wissen vom Menschen öffnen, das dessen materielle Natur zum Universal der Geschichte erklärte. Der Rassebegriff wurde in diesem epistemischen Kontext zu einem ernsthaft diskutierten Kriterium philologischer Analyse, wo er von Cattaneo oder Rosa, ja bereits von Leopardi als banale Erklärung einer historischen Simplifizierung sozialer Komplexität abgelehnt worden wäre. Um daher nicht verkürzt das Aufscheinen des arischen Paradigmas als einzigem Ausdruck eines Beitrages der Philologie zu Rassedenken und Rassismus zu verstehen, bedarf es eines näheren Blicks auf diesen langsam stattfindenden epistemischen Wandel. Hier wurde das philologische Wissen nachhaltig einer kategorischen Kontextualisierung innerhalb des Raums der Geschichte entrissen und geöffnet für anthropologische Determinismen, die die Geschichte des Menschen, seiner Sprachen und Texte sowohl in die Geschichte der Natur als auch in die Teleologie der Evolution einzuschreiben versuchten.

1. Paolo Marzolo: Der Körper als philologisches Axiom Frühe Beispiele einer ‚Physiologisierung‘ der Philologie im Italien des Ottocento sind die Schriften des 1811 in Padua geborenen Arztes und Philologen Paolo Marzolo. Dieser Gelehrte war neben seiner Mitarbeit an Carlo Cattaneos Politecnico ab 1860 Professor für griechische Literatur an der Accademia in Mailand und hatte ab 1862 eine Professur an der Universität Pisa für Grammatica e Lingue comparate inne. Als philologisch interessierter Medizinstudent wandte Marzolo sich bereits in den 40er Jahren und unmittelbar im Anschluss an seine Dissertation im Fach Medizin über sprachpathologische Phänomene den Problematiken einer universellen Zeichentheorie zu, wie sie von der französischen Aufklärung diskutiert worden waren.723 Marzolo gelangte auf dieser Grundlage zu einer ‚universellen‘ und dennoch in erster Linie sprachwissenschaftlichen Konzeption von Philologie. Ihre Epistemologie war von physio723

Zu Paolo Marzolo vgl. die bereits kurz nach seinem Tod erschienene Biographie von Matteo Ceccarel. Vgl. Ceccarel 1870 sowie Savoia 2008. Marzolos erste Veröffentlichung, seine medizinische Dissertationsschrift De vitiis loquelae von 1834 befasste sich mit den Zusammenhängen von Sprache und Anatomie, wobei bereits hier die menschliche Sprache (linguaggio) vor allem als organisches Phänomen verstanden wurde. Vgl. Savoia 2008: 512.

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logische Faktoren bestimmt und begriff Sprache, Schrift und nicht zuletzt die literarische Produktion des Menschen als universelle, aber in ihrer Determiniertheit dennoch einzeln erfassbare Charakteristika eines mechanisch arbeitenden Organismus. Dieses Konzept und sein epistemisches Fundament soll im Folgenden im Hinblick auf essenzialisierende und deterministische Positionen näher betrachtet werden, da es den Inhalt von Marzolos Hauptwerk, den auf 16 Bände angelegten Monumenti storici rivelati dall’analisi della parola, bestimmte, von denen im langen Zeitraum vom 1847 bis 1866 nur vier Bände erschienen. Marzolos Projekt war überaus ambitioniert, denn es handelte sich um einen gänzlich neuen, ‚michelangelesken‘ Ansatz von Philologie, der sie auf einen Schlag modernisieren und an die empirischen, experimentell arbeitenden Naturwissenschaften anpassen sollte.724 Ein Teilbereich dieser Philologie, die linguistica als eine ‚Physiologie der Sprachen‘, sollte in den Rang einer Naturwissenschaft erhoben werden. So würde es durch Etymologie und Erforschung der Zeichen in Verbindung mit Medizin, Physiologie und vergleichender Anatomie möglich werden, geschichtliche Fakten anhand etymologischer Dynamiken der Wörter und ihrer zeichenhaften Konventionalisierung zu hinterfragen. Danach sollten die allgemeineren Gründe für diesen Wandel – wie Umwelt, Ernährung, aber auch körperliche Verfasstheit – näher erschlossen werden. Jenseits der Zufälligkeit aller historischen Ereignisse sollten zuletzt die universellen Gesetze der Naturgeschichte in ihrem Wirken auf und durch die Ideen des Menschen – erfassbar anhand der menschlichen Sprache sowie ihrer Aufzeichnung und ästhetischen Weiterentwicklung – verstanden und beeinflusst werden.725 Marzolo ging dabei davon aus, dass die Fähigkeit des Menschen zu sozialem Verhalten, Kommunikation und kultureller Produktion von den primitivsten Anfängen bis zum hochkultiviertesten Gesellschaftsgefüge als Prozess im Mikrokosmos der gegenwärtigen Gesellschaft nachvollziehbar und in einer synchronen Gegenüberstellung vergleichbar sein müsse. Die Erschließung menschlicher civiltà, und damit Sprach- und Zeichensysteme, wäre also nicht 724

725

Diese Bände erschienen in den Jahren 1847, 1859, 1865 und 1866. Ascolis Urteil über Marzolo, jenes „giudizio liquidatorio“, welches in dessen Monumenti eine Universalglottologie ohne adäquate Mittel sah, sollte auch Marzolos Rezeption im 20. Jahrhundert prägen, oder besser verhindern. Vgl. Savoia 2008: 511-512 sowie Tagliavini 1963: 135-138, 365. Ascoli stellte Marzolo Wilhelm von Humboldt, dem „promotore della scienza del linguaggio“ gegenüber und äußerte sich in übertriebenem Lob zwiespältig, wenn nicht gar ironisch, über diesen ‚Versuch‘ des Italieners: „Un tentativo di glottologia universale ha l’Italia ne’ Monumenti storici rivelati dall’analisi della parola, di Paolo Marzolo, opera condotta con mezzi inadeguati, ma con oltre potenza d’ingegno. Il Marzolo era di certo anche per me un vero eterodosso; ma un eterodosso geniale, poderoso, michelangiolesco, dinanzi al quale dovevamo tutti inchinarci.“ Ascoli 1877: 42, FN 8. Zu dieser im ersten Band angelegten Projektskizze vgl. Marzolo 1847. Für eine Darstellung von Marzolos epistemischen Grundlagen sowie zu seinen philologischen und philosophischen Quellen vgl. Savoia 2008: 515-524.

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mehr nur auf geschichtliche Erforschung angewiesen, da sie der Notwendigkeit naturgesetzlicher Mechanik unterworfen sei, die im Kleinen wie im Großen wirke: Perciò quest’opera partendosi dall‘anatomia e dalla fisiologia dell’uomo approfitta dei fatti ideologici, e sotto questo riguardo non isdegna [sic] di tener nota degli errori già giudicati dell’umano intelletto e di studiarlo in tutte le sue condizioni organiche e sociali. Persuaso che nello spazio vi si possa leggere la storia retrograda del tempo, pensai che nei varii strati dell’umana società, nelle varie caste possano incontrarsi tutte le condizioni, tutti i gradi, dall’infimo pei medii fino al massimo dell’incivilimento; sicché, cominciando dopo il cretino dallo sciocco in istato fisiologico ed arrivando fino all’uomo di maggior senno e coltura, si trovi presente tutta la posizione dell’umano intelletto dagli Autoctoni o da un Adamo fino ad un Thiers, e così dal governo di famiglia fino ad una monarchia.726

Bereits in dieser Projektskizze ist die Wirkung der fatalen Voraussetzung einer statischen Zivilisationhierarchie offensichtlich, die aus dem aufklärerischen Universalismus geboren wurde und eine Verengung des Zivilisationsbegriffes zugunsten normierender Paradigmen ermöglichte. Der „Idiot“ („sciocco“), der sich in derselben Gemeinschaft wie der „Mensch von größter Vernunft und Kultur“ („uomo di maggior senno e coltura“) befände, mache im Kleinen die Geschichte der Menschheit von den Wilden bis zu den Gipfeln (natürlich europäischer) Kultur nachvollziehbar. In diesem sozialen ‚Atavismus‘ zeichnete sich bereits eine Essenzialisierung ab, die durch die Unhintergehbarkeit und Ahistorizität ihrer determinierenden Faktoren weit über bloßes Rassedenken oder einen indoeuropäischen, nationalistisch unterlegten Dünkel hinausging. Ihre epistemische wie auch gesellschaftspolitische Wirkmächtigkeit ist nicht zu unterschätzen.727 Wie groß dennoch die Erwartungen an eine verbindende Wirkung von Marzolos universeller Philologie auf Seiten pluralistisch und demokratisch argumentierender Gelehrter waren, lässt sich aus einer enthusiastischen Stellungnahme Gabriele Rosas ablesen. Dieser erhoffte sich von der Veröffentlichung des zweiten Bandes der Monumenti storici rivelati dall’analisi della parola im Jahre 1856 einen Beitrag zur Überwindung jener essenziellen Kluft zwischen arischen und semitischen Sprachen und Völkern, wie sie in seinen Augen vor allem von französischer Seite, allen voran Renan und Gobineau, propagiert wurde. In seiner Renan-Rezension von 1858 verkündete Rosa voller Begeisterung: E Marzolo nella vasta opera, che ora finalmente si pubblicherà a Padova, verrà documentando come non esista incompatibilità fra la famiglia delle lingue semi726 727

Marzolo 1847: 13. Es soll bereits hier darauf hingewiesen werden, dass der von Marzolo zum Studium der Medizin ermutigte Cesare Lombroso, seine theoretische Konzeption des gesellschaftlichen Atavismus zu großen Teilen seinem philologischen Lehrer Marzolo verdankte. Vgl. Palano 2002: 72-73. Ein epistemisches ‚Erbe‘ auf das weiter unten noch einmal eingegangen werden soll.

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tiche e quella delle indo-europee, e come dagli stessi elementi naturali poteano [sic] determinarsi anche in tempi non si primitivi, le due correnti.728

Es stimmt, dass der von aufklärerischen Argumenten beeinflusste Marzolo eine kategorisch typologische Einteilung der Sprachfamilien ablehnte und diese bereits durch Wilhelm von Humboldt als widerlegt ansah.729 Damit erteilte er auch der Unvereinbarkeit der arischen mit der semitischen Sprachfamilie eine Absage, da die universelle, physische Mechanik seiner Sprachkonzeption alle Völker und ihre Sprachen umfasste und es nicht erlaubte, die menschliche Kognition allein aufgrund sprachlicher und zeichenhafter Kriterien essenziell zu unterscheiden. Weiterhin sah Rosa richtig, dass Marzolos Epistemologie einen anthropologischen Nachweis für die polygenetische Entstehung der menschlichen Spezies anhand sprachlicher Differenzen nicht vorsah, da hier die Sprachfähigkeit eher ein Nachweis für eine Monogenese des Menschen ist. Diese Monogenese des Menschen verband Marzolos Sprachanthropologie mit der an sich ebenfalls ‚demokratisierenden‘ Wirkung darwinistischer Axiomatik, die grundsätzlich eine monogenetische Entwicklung des Menschen voraussetzte, aber bei einigen philologischen Interpreten des Darwinismus wie Schleicher und Lignana in eine philologisch belegbare Polygenese des Menschen umgedeutet wurde.730 Im Gegensatz dazu folgte Marzolo jedoch strikt einem Axiom grundsätzlicher Gleichheit menschlicher Physis und Kognition in ihrem Urzustand: A differenza di questi [Lignana und Schleicher, ML] la concezione di Marzolo, pur non riferendosi esplicitamente a teorie evoluzioniste, assume che comunque la fase originaria sia stata uguale per tutte le lingue e abbia incluso le categorie fondamentali del linguaggio, risultando particolarmente in sintonia con una prospettiva evoluzionista simile a quella fissata dalla teoria darwiniana.731

Jedoch wird dieser Universalismus philologischer Kategorien und Axiome in seiner mechanischen Anwendbarkeit keineswegs zu einer Aufhebung oder gar Relativierung des Rassedenkens führen. Im Gegenteil: Die Annäherung von linguistica und fisiologia, die Rosa verurteilt hatte, würde bei Marzolo im Kontext eines philosophisch begründeten Materialismus zu einer untrennbaren epistemischen Verbindung werden, die jegliches Denken und Forschen über Sprache und Positivitäten, die für das philologische Wissen relevant waren, bestimmte. Zudem war es nach wie vor Ziel der Philologie, genealogische Zusammenhänge zwischen Menschengruppen – diesmal anhand der Entstehungsbedingungen Wörtern – aufzuzeigen.

728 729 730 731

Rosa 1858: 355. Vgl. Marzolo 1847: 12. Zu dieser ‚schwachen Monogenese‘ Marzolos vgl. Savoia 2008: 535-538. Ebd.: 538.

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1.1. Ein Erbe der Aufklärung: Von der Kette der (Sprach-)Lebewesen Um zu verstehen, dass es Marzolo um nichts weniger als eine materialistische Reform des philologischen Wissens durch ein eigenes theoretisches System ging, genügt bereits ein Blick in das Vorwort zu den Monumenti storici, welches im Jahr 1847 separat vom ersten Band veröffentlicht wurde.732 Es kann als Ankündigung des noch zu Erwartenden und Programmschrift verstanden werden. In ihm bekannte sich Marzolo zu einer nicht mehr allzu aktuellen Epistemologie, die vom antiken Materialismus bis zu den Paradigmen der Aufklärung reichte und sie ‚naturwissenschaftlich‘ zu aktualisieren versuchte. Er legte den Fokus weg vom Vergleich der Sprachsysteme zurück auf die Worte als eigentlichen Objekten philologischer Forschung. Einer Prämisse der aufklärerischen Zeichentheoretiker folgend, waren für Marzolo Worte in erster Linie bedeutende Zeichen, die sich in ihrer Lautgestalt nach äußeren Umständen wandeln konnten, sich jedoch stets auf gemeinschaftlich bedeutete Gegenstände bezögen und nach bestimmten naturwissenschaftlichen Gesetzen angeordnet würden.733 Hieraus folge zwar bis zu einem gewissen Grade eine Konventionalität der Zeichenhaftigkeit. Jedoch sei diese Konvention keineswegs intentional oder apriorisch von Individuen festgelegt worden, sondern unterlag außersprachlichen Determinanten. Sowohl die schriftlichen als auch die phonetischen Wortzeichen wären in diesem Sinne eher als Lebewesen denn als Schöpfungen des Menschen zu betrachten, die aus physiologischen Voraussetzungen, sozialen Umständen und Bedürfnissen in Form von Interjektionen, 732 733

Vgl. Marzolo 1847. Im Sinne der aufklärerischen Philologie reflektierten für Marzolo sprachwissenschaftliche Sachverhalte allgemeingültige Funktionsgesetze des menschlichen Geistes bei der Wortbildung. Diese Theorie hatten bereits Nicolas Beauzée in seiner Grammaire Générale von 1767 und Charles de Brosses in seinem 1765 erschienenen Traité de la formation mécanique des langues, et des principes physiques de l’étymologie mit seiner Theorie einer fünffachen Ordnung der primitiven Wortgestalten angedacht. Vgl. Savoia 2008: 519-521. Je nach den äußeren Umständen bringe der Mensch divergierende Wortzeichen hervor, welche wiederum nach allgemeinen Gesetzen systematisiert und konventionalisiert würden: „Pur consapevole della nuova glottologia comparata e dei suoi risultati, mira [Marzolo, ML] infatti ad una ricostruzione dei processi di natura fisiologica che portano alla creazione delle parole; presegue [sic] cioè una finalità strettamente collegata a questioni come appunto l’origine del linguaggio e la lingua originaria. A questo proposito in Monumenti storici Marzolo distingue tre cause naturali nella formazione dei vocaboli: parole di origine automatica, come parole formate da elementi labiali per ‘madre’ e ‘padre’, parole di origine patetica, cioè basate sulle interiezioni, parole di origine onomatopeica.“ Savoia 2008: 519. Dennoch ‚vergegenwärtigte‘ Marzolo das Theorem einer „prima età linguistica“, indem er nicht mehr eine historisch konnotierte ‚Ursprungssprache‘ annahm, sondern die Prozesse einer „Naturgeschichte der Sprachen“ kontinuierlich bei der Bildung oder dem Wandel der phonetischen Wortzeichen am Werk sah: „L’idea di Marzolo è che la maniera in cui ora si producono nuove parole o cambiano quelle esistenti dipende dagli stessi meccanismi fisiologici alla base dell’ipotetica prima lingua, per cui la ‘storia naturale delle lingue’ è una prova della ‘continuità del processo ideologico-fonetico’, cioè del processo attraverso il quale successioni di suoni si abbinano a significati.“ Ebd.: 519-520.

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Lautmalereien und Nachahmungen geboren würden und damit gleichzeitig in der Mechanik der Naturgesetze gefangen und verstehbar seien. Hier trennte sich Marzolo von der alten Wunschvorstellung einer institutionalisierbaren Universalsprache, die den Menschen in präbabelische Zustände zurückführen könnte: Dopo lo studio di varii anni in questo argomento, io sono persuaso, che un linguaggio capace di provvedere perfettamente ai bisogni futuri possibili degli uomini e generale non potrebbe a priori venire istituito. Unite un turco, un italiano, od altri ignari della lingua a vicenda uno dell’altro, e v’accorgerete del ridicolo e dell’assurdità del teorema d’alcuni, che le lingue sono convenzioni.734

Bar jeglicher Illusion, was einen sprachlichen Universalismus betrifft, habe die Philologie ihre Lektion von den Naturwissenschaften – und in erster Linie von den Ansätzen der Naturgeschichte – noch zu lernen. Die Universalität der Naturgesetze sei von den französischen Universalgrammatikern, insbesondere aber von Buffons Freund Charles de Brosses, durchaus angedacht worden. Jedoch hätten sie diese komplexen Gesetze nicht konsequent in ihre Epistemologie integriert. Im Laufe des Ottocento hätten sich daher durch fixe Typologien und die Illusion einer beinahe apriorischen Voraussetzung kohärenter Sprachsysteme als Ausgangspunkten sprachwissenschaftlicher Komparatistik Wissenschaft und Wunschdenken vermischt. Eine Mitschuld an jenem epistemologischen ‚Charakter‘ der filologia, der sie gegenüber den Naturwissenschaften unwissenschaftlich anmuten ließ, gab Marzolo schlicht dem Postulat einer apriorischen Möglichkeit von Sprache, die von der physischen Determiniertheit des Lautwandels absah. Dieses Postulat habe dem irrigen Begriff der Institution Sprache seit Rousseau eine zu große Bedeutung beigemessen und sich in Kämpfen um Konventionalität oder apriorische Existenz einer Ursprache aufgerieben.735 Dabei habe man nicht begriffen, dass die Gründe für die Unmöglichkeit einer Universalsprache sowie der nur bedingt möglichen Konventionalisierung woanders zu suchen seien. Marzolo sieht hier eine Lebensumständen, körperlichen Unterschieden und Bedürfnissen geschuldete Differenz der Menschen untereinander am Werk, die auch ihren Geist beeinflusse: Perché le lingue sono lavoro automatico e continuo delle umane società, sono l’effetto, il prodotto sintetico complicatissimo degli eventi, sono relative ad ogni speciale umana riunione e ai suoi rapporti colle cose: per cui si tratta dell’organizzazione dell’uomo e dei suoi bisogni per una parte, e per l’altra delle circostanze tra le quali egli si trova di terreno, d’aria, di stato politico ecc.; e lo sviluppo delle lingue segue parallelamente gl’individuali e i sociali bisogni e l’opera dei mezzi relativi.736

Der Zusammenhang dieses automatischen Prozesses allmählicher Konventionalisierung von funktionellen Lautzeichen mit den Faktoren, die diese Dyna734 735 736

Marzolo 1847: 6. Vgl. ebd.: 7. Ebd.: 6.

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mik determinierten – der Lebenssituation der Gruppe wie des Individuums, der zur Verfügung stehenden Nahrung, den gebrauchten Werkzeugen und eben der Abstammung und Rasse – könnten nun Aufschluss über das Entstehen und die Gründe für die spezielle Form von Sprachen und Zeichensystemen geben. Philologie würde so zu einer empirischen Hermeneutik der Geschichte als Rekonstruktion vergangener Gesellschaften und Lebensumstände. Andererseits müssten die Erkenntnisse der Philologen um epistemische ‚Puzzleteile‘ ergänzt werden, die Physiologen, Mediziner und Anatomen liefern könnten. Denn die bisherige Philologie könne zwar die Funktionsweise ihrer Forschungsgegenstände, die dynamische Anordnung und den Wandel der Worte und Sprachen nachvollziehen, jedoch nicht die Prozesse erklären, die diese stetig hervorbrächten. Die ‚Maschine Mensch‘ bliebe in diesem epistemischen Ansatz ein ungelöstes Rätsel wie Marzolo in seinem 1861 im Politecnico veröffentlichten Artikel „Über den Wechsel in der Beziehung zwischen Aktion und Bewusstsein beim Fortschritt des Menschen“ („Del cangiamento di rapporto tra l’azione e la conoscenza nel progresso dell’uomo“) schrieb: I fisiologi stanno ai non naturalisti che trattano l’argomento del linguaggio, come a quelli che, vedendo un prodotto qualunque d’una macchina, si pongano a ragionare sulla struttura di quello; mentre essi lo vedono nell’atto d’essere prodotto ed anzi possono esaminare la macchina nell’atto di produrlo. Il possibile non si può concedersi fra le nozioni, se non in quanto sia dedotto dalla somma di ciò che fu in fatto.737

Um mit den Naturwissenschaften newtonscher Prägung – der Physik, Physiologie und Geographie – mithalten zu können, habe sich die Philologie von einer apriorischen Sprachauffassung endgültig zu lösen, um sich in eine aposteriorische, empirische Wissenschaft induktiver Schlüsse zu verwandeln. Voraussetzung dafür sei es, Sprache endlich in ihrer Doppelnatur als konventionelles Produkt der gesellschaftlichen Dynamiken, aber auch der natürlichen Determinanten wie Körper und Ernährung zu betrachten, um anhand ihrer Bestandteile, der Laute und Wörter, Rückschlüsse auf die Geschichte der Natur zu werfen, welche die Sprache nach allgemeinen Gesetzen bestimme. Das historisch Nachgewiesene sollte Marzolo dabei vor der Unendlichkeit des Möglichen bewahren: Nei temi grammatici trattati per iscopo [sic] ideologico e con estensione e profondità i filosofi filologi partirono il più delle volte da argomenti a priori; e questa è la ragione per cui le loro opere riescono assai lunghe con intralciatissime [sic] questioni e spesso oscure, divagando per gl’infiniti del possibile. [...] Io invece, comunicando le mie opinioni, mi rivolgo a contemplare la via medesima per cui a queste venni condotto, cioè quella dei fatti incontrati in copia nello studio delle lingue; partito perciò a posteriori enuncio come base del mio trattato ciò che per me è già corollario: quindi da meschini principii procedo, poggiando 737

Marzolo 1861a: 374.

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su quanto accadde anziché su quello che poteva accadere, con economia rigorosa di tempo […].738

Das Bekannte, Naheliegende in der Sprache des Menschen ist dabei laut Marzolo noch lange nicht ausschöpfend erforscht. Es ist für ihn jedoch Ausgangspunkt seiner Philologie, die in erster Linie keine Wissenschaft der Bücher, sondern der lautlichen, gesprochenen Wortmaterialien sein solle. Diese seien – wie Lebewesen in ihren natürlichen Habitaten – auf ihre Entstehungsbedingungen im Organismus der Sprecher hin zu untersuchen: L’osservazione deve‘ essere sempre prestata al punto più vicino, immediato, se è possibile, della produzione dei fenomeni. Perciò lo studio del linguaggio si deve cominciare sui parlanti, anzi che sui libri; e nelle lingue vive a noi note, anzi che su quelle distanti per tempo o per luogo e segregate da quelle che si conoscono.739

Die Materialität dieser lebendigen Worte, welche der Philologe ‚am Objekt‘ beobachten könnte, sowie ihre bekannte außersprachliche Entstehungsgeschichte würden es erlauben, induktiv eine „Algebra der moralischen Zustände und intellektuellen Distanzen“ („un’algebra degli stadii della morale e delle distanze intellettuali“) zu entwickeln. Von diesem Standpunkt aus könnte mittels der vorgefundenen sprachlichen Naturgesetze zu einem späteren Zeitpunkt jegliches Sprach- und Zeichensystem verstanden werden. Dadurch könne es auch im Mikrokosmos der Gesellschaft in seiner Validität für die intellektuellen Bedürfnisse und das soziale Zusammenleben beurteilt werden. Jeder Sprache, jeglichem Sprachvermögen des Individuums komme dabei eine Rolle und ein Platz als Element innerhalb einer größeren Naturgeschichte zu, welchen es einnähme, aus dem es sich weiterentwickeln könne oder an dem es verharren müsse. Dass Marzolo diese Anordnung sprachlicher Formen hierarchisch verstand, wird am Bild der Gesellschaftspyramide deutlich, deren Bestandteile anhand der Sprachen kleinerer und größerer Gemeinschaften untersucht werden sollten: Dalla prima parte anzi di quest’Opera, cioè dalla storia naturale linguistica stessa, […] risulteranno di tratto in tratto inevitabili conseguenze per la successione degli eventi nell’umana famiglia, le quali conseguenze costituirebbero da se a priori una storia eterna, una scienza dei possibili nell’umana società, un’algebra degli stadii della morale e delle distanze intellettuali, un regolo, un compasso di critica per ogni racconto che venga offerto; dove cioè si assegna e si dimostra l’unico possibile spazio, l’unica epoca e condizione ad ogni genere e classe d’eventi; quindi il congegnarsi dei materiali a costituire ciascun elemento e talora i gradini della piramide sociale.740

Marzolo ging, wie erwähnt, für diesen ersten Teil seines Werkes, einer sprachwissenschaftlichen Naturgeschichte, von mehreren determinierenden 738 739 740

Marzolo 1847: 12. Marzolo 1861a: 375. Marzolo 1847: 28.

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Faktoren aus, die seine ‚Wortlebewesen‘ bestimmten. Diese würden sich den individuellen und sozialen Bedürfnissen anpassen, indem sie von automatischen Lauten bis hin zu sozialen Kommunikationsformen, die durch Nachahmung erworben wurden, immer komplexere Formen annahmen. Die intellektuelle Trägheit der Volksmasse mache es beispielsweise notwendig, komplizierte Fragestellungen und Sachverhalte in vereinfachten Bildern darzustellen. Aus dieser Notwendigkeit hätten sich die bilderreiche Sprache des einfachen Volkes und schließlich die Mythen entwickelt. Daneben seien es der Reichtum an zur Verfügung stehenden Gebrauchsgegenständen, die zu benennen waren, die Ernährungssituation, die Abstammung des Individuums und eben auch seine Rasse, die Lautgestalt, Komplexität und Vollkommenheit einer Sprache ausmachten. Oder wie Marzolo schließlich im zweiten Band seines Werkes deutlich ausführte: Alcune successioni di atti articolatori, e quindi di suoni, sono naturalissime, spontanee; l’un moto succede all’altro quasi per conseguenza necessaria, per legge d’inerzia, dietro il primo impulso ricevuto […]. Questa causa è inerente a date disposizioni organiche di razza, per cui quelle date successioni di suoni che sono spontanee in un popolo, sotto un dato clima, non lo sono per un altro popolo d’abito organico diverso e degente sotto condizioni climatiche diverse.741

Dieser Determinismus schloss eine vollkommen subjektive ästhetische Hierarchisierung der Rassen und Nationen keineswegs aus. Vielmehr sah Marzolo die Nachahmungstätigkeit des Menschen in engem Zusammenhang mit dessen Tendenz zur Euphonie, der Bevorzugung ‚wohlklingender‘ Laute. Auch diese sei abhängig von der physischen Gestalt des Sprechers, die wiederum von Rasse zu Rasse divergiere: Le produzioni fonetiche sono in rapporto della struttura della persona, come si può dedurre dallo studio comparato delle varie razze e delle lingue relative. Le lingue sono meno aggradevoli nei popoli meno bene conformati. I Ghiolof (Senegal) hanno la lingua più dolce di tutti i Negri, e sono i più belli di tutti.742

An dieser Aussage wird jene Illusion einer Kausallogik sichtbar, die es Marzolo erlaubte, anhand erkenntnistheoretischer Legitimierung des ästhetischen Urteils hierarchisierende Werturteile über Sprachen, Rassen und Kulturen zu fällen, ohne sich dem Vorwurf subjektiver Beliebigkeit aussetzen zu müssen. Die Tautologie des ästhetischen Urteils wurde ‚empirisiert‘.743

741 742 743

Marzolo 1859b: 283. Marzolo 1859a: 83. Auf diesen Prozess der Verwissenschaftlichung ästhetischer Urteile durch apriorische Einbettung in die eigene Argumentation, wie er bei Paolo Marzolo zu finden ist, und seine Bedeutung für wissenschaftlich legitimiertes rassistisches Denken, habe ich bereits an anderer Stelle kurz hingewiesen, ohne jedoch auf den Aussagekontext und die epistemischen Mechanismen näher eingehen zu können. Dies soll mit diesem Kapitel nachgeholt werden. Vgl. Lenz 2013a: 337-341.

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Anhand der Degeneration oder aber der Annäherung der Sprachen an ein ästhetisches Ideal harmonischer Sprachbildung, das über komparatistische Kriterien zu definieren sei, könne durch Vergleich eines Wortzeichens mit anderen Wortgebilden innerhalb derselben Sprache und mit anderen Sprachen ein Verständnis des Status eines Sprachsystems, seiner Genealogie und seines Wertes gewonnen werden. So beschrieb Marzolo die Wohlklänge („eufonie“) der Worte als ein Ideal, zu dem alle Völker nach allgemeinen Lautgesetzen streben würden: Fra le quali leggi esponendosi quella così costante delle eufonie, si daranno in un volume a parte le tavole di ragguaglio dell’eufonia di tutte le nazioni in generale e parziali per tutte le lingue che vengono considerate e si prestano nelle varie parti di questa opera. Assicurati i suoni radicali e dimostrato il processo subíto da questi per ridursi alle date trasformazioni ed alla produzione di tante altre parole, si stabilirà la cronologia delle parole, e quindi se ne porgeranno le tavole, delle quali si potrà facilmente valersi e con molta utilità nei varii temi della storia; poi si daranno gli alberi etnogonici ossia genealogici delle parole, coi quali compie la prima parte, cioè La storia naturale delle lingue.744

Mittels synoptischer Tafeln, auf denen er einander auf der semantischen Ebene entsprechende Lautgestalten in unterschiedlichen Sprachen aufführt, wollte Marzolo diese Naturgeschichte der Sprachen in einen vergleichenden Zusammenhang bringen. Auf diese Weise könnte sowohl auf das Alter der Wörter als auch der Sprachen geschlossen werden, die unter den Gesetzen der Euphonie miteinander verglichen werden sollten. Ausgehend von diesem Plan seines Werks, der hier nur in Ansätzen skizziert werden kann, wollte Marzolo – wie der Naturhistoriker Buffon – eine Kette der (Wort-)Lebewesen oder ein ‚philologisches Mosaik‘ aus dem ungeordneten Material rekonstruieren, das von der Natur vorgegeben war. Auch wenn es sich bei Zeichen und Sprachen um ‚Produkte‘ handelte, die bereits durch den Menschen vorgeformt waren, galt es, sie in eine taxonomische und gleichzeitig evolutive Reihe zunehmender Komplexität zu stellen: La mia Opera si può paragonare, per la costruzione ed il processo di una specie empirica a forza di analisi delle mie letture ed esperienze continuate, ad un lavoro di musaico, di cui io ho trovati i pezzi e me li sono messi come lo stampatore distribuisce gli elementi calcografici in tante case, donde li estrae e li colloca opportunamente. [...] Tali pezzetti dovevano esistere, come per Buffon, che aveva scoperto la scala degli esseri, dovevano esistere i relativi esseri corrispondenti ad ogni gradino […].745

Mehr noch als die bisherige Philologie sollte sich der neue Philologe als ‚Mosaikkünstler‘ seines Materials ein zweites Mal bemächtigen, indem er es nicht einfach in seiner Anwendung – der Analyse von Phonetik und Grammatik – untersuchte, sondern es in seinen Entstehungsprozessen nachvollzog. Obwohl 744 745

Marzolo 1847: 21. Ebd.: 24.

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dies bereits eine gewaltige Aufgabe war, stellte all diese glottologische und komparatistische Vorarbeit der linguistica lediglich das methodische Apriori dar, von dem aus nun die Geschichte des Menschen vor dem Hintergrund der Naturgeschichte untersucht werden sollte. Sobald einmal erste Bedeutungszuweisungen anhand bestimmter Laute in den sozialen Gebrauch gekommen waren schwankten diese nämlich mit der Zeit und mit den Umständen, je mehr sich die Lautäußerungen des Menschen von seinen ersten Sinneseindrücken lösten und sich von automatischen ‚Hervorbringungen‘ in konventionelle Mittel der Kommunikation verwandelten: L’Opera fino a questo punto deve servire di base coll’autenticare le etimologie alla dimostrazione dei temi storici ai quali si verranno applicando. Questa parte preparatoria avrà fatto passare la linguistica al rango di scienza naturale. In questa parte io credo di aver fissati i rapporti attivi e passivi della parola col pensiero dalle sue origini fino alle più minute filologiche questioni. Essa comincia ove resta interrotta la logica e la ideologia, la continua e in qualche intervallo la compie, e tali apparati di scienza che procedono a priori procedendo essa stessa congiunge alla scienza a posteriori, con quella cioè degli eventi già scorsi.746

So lag es nun an der Philologie, dieses Schwanken als Indikator seiner Determinanten – die historischen, geographischen, klimatischen und physischen Dynamiken – auszudeuten, denen die Sprecher unterworfen waren. Sogar ohne Rückgriff auf historisches Wissen sollten im letzten Teil von Marzolos ‚Geschichte der Wörter‘ Schlüsse über längst vergangene Menschheitsepochen gezogen werden. Der große Traum einer Philologie als Meisterin der Altertumswissenschaften, wie er Anfang des Jahrhunderts Friedrich Schlegel beseelte, schien hier noch einmal auf: La seconda parte investigherà la condizione dei popoli nei tempi anteriori alla storia e quindi sarà l’oggetto più nuovo di queste indagini.747

Die Philologie wird so als Etymologie wieder zur Geschichtswissenschaft, um anhand einzelner Wörter und Laute, ohne geschichtliche Fakten, die Lebensumstände von Völkern und Nationen ableiten zu können. Diese etymologische Geschichtswissenschaft sollte im zweiten Teil von Marzolos Monumentalwerk

746 747

Ebd. Ebd.: 23. Zu diesem Traum einer universellen Philologie, der den ‚Vernünftler‘ Marzolo an das Ziel des Romantikers Schlegel annäherte und den er empirisch und naturwissenschaftlich begründen wollte, schrieb Schlegel Anfang des Jahrhunderts: „Während nun auf der einen Seite alle Vernünftler und die, welche vorzüglich in der Gegenwart leben und von dem Geist derselben sich lenken und beherrschen lassen, fast ohne Ausnahme dem verderblichen und zerstörenden Grundsatze ergeben sind, alles durchaus neu und von vorn wie aus Nichts erschaffen zu wollen, ist auf der andern Seite wahre Kenntniß des Alterthums und der Sinn für dasselbe fast verschwunden, die Philologie zu einer in der That sehr schaalen und unfruchtbaren Buchstabengelehrsamkeit herabgesunken, und so bei manchen erwünschten Fortschritten im Einzelnen, doch das Ganze zersplittert und weder Kraft noch lebendiger Geist darin sichtbar.“ Schlegel 1808: 212.

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unter dem Titel Storia dimostrata da ragioni etimologiche abgehandelt werden, der jedoch größtenteils unveröffentlicht blieb. Eine Besonderheit war dabei die hypothetische Möglichkeit einer Degeneration der Etymologie. Marzolos Hinweis auf die ‚Degenerierbarkeit‘ der Wörter im Sinne einer ‚falschen‘, da missverständlichen Wortbildung oder deren assoziative Übertragung von einer Sprache in die andere, stellte für den Mediziner ein pathologisches Problem dar. So sollten anhand der erstellten Sprach- und Worttafeln auch Fehlentwicklungen in der ‚Kette der Wortlebewesen‘ als einer „monströsen Verwandlung in Klang und Gestalt“ („metamorfosi mostruosa nel suono e nella figura“) dargestellt und erklärt werden.748 Marzolo verstand unter solchen ‚falschen‘ Etymologien alle Herleitungen eines Begriffes, die sich von einer nach den vorher definierten Lautgesetzen ‚normalen‘ Lautbildung sowie ihren ursprünglichen Bezugsbegriffen innerhalb eines Sprachsystems gelöst haben, um sich aus einer anderen Sprache heraus neu zu definieren. Sie bezeichneten auch Worte, welche nicht mehr ihrer Zeichenfunktion nachkommen könnten. Diese Möglichkeit zur „Perversion“ („pervertimento“) sei zu jeder Zeit und überall gegeben: Ogni voce, ogni parola ed ogni lingua considerata nella storia speciale d’una singola nazione o d’un periodo di tempo, realmente subisce questo processo di emettersi, di prendere forma grammaticale, cioè di adattarsi ad un sistema grammaticale relativo al luogo ed al tempo giusto le abitudini della nazione che la parla, di comporsi, di elaborarsi, di arricchiarsi [sic] di sensi, di moltiplicare le proprie forme ec., e poi di corrompersi e discendere così da riuscire mostruosa e perciò irriconoscibile, e d’altra parta perdere i proprii significati ed il proprio rango grammaticale, e finalmente di andare in dimenticanza per la sostituzione fattale di un’altra parola, od in massa di un altro sistema di parole, di un’altra lingua.749

Mit der Systematisierung von Sprache sei bereits ihre ‚Erkrankung‘ als Möglichkeit gegeben. Die Pathologie und der medizinische Atavismus wurden bei Marzolo zu philologischen Konzepten, indem für ihn sprachliche Verschiedenheit auf Fehlentwicklung oder Zurückgebliebenheit schließen ließ. Es verwundert vor dem Hintergrund dieser naturhistorisch-materialistischen Sprachtheorie nicht, dass Marzolo auch innergesellschaftlichen Entwicklungen Aufmerksamkeit schenkte und in den unteren Klassen der Gesellschaft Merkmale einer primitiven Urgesellschaft bar jeglicher höherer Kultur sah. An dieser Stelle verband sich die Paradigmatik der bürgerlichen Aufklärung mit den sozialen Umbrüchen um die Mitte des 19. Jahrhunderts: Si videro molti uomini non essere molto al di sopra d’un fanciullo robusto. I Lapponi, i Samoiedi, gli abitanti del Kamschatka [sic], i Cafri, gli Ottentoti [sic] sono in riguardo dell’uomo in istato di prima natura ciò che erano altre volte le corti di Ciro e di Semiramide in confronto degli abitanti delle più divise vallate. 748 749

Marzolo 1847: 21. Marzolo 1859a: 80.

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E nullameno questi abitanti del Kamschatka e questi Ottentoti dei nostri giorni, così superiori agli uomini in istato selvaggio, sono specie di animali che vivono sei mesi dell’anno nelle caverne, che divorano e sono divorati dagli insetti che colonizzano la loro epidermide. In generale la specie umana è di pochi gradi più civilizzata dei Kamtschadali, e la moltitudine degli uomini che agiscono automaticamente e per il modo di moto loro comunicato è forse in proporzione di cento ad uno verso quelli che pensano, e questi ancora in proporzione assai copiosa paragonati con quelli che date maniere di moto possono imprimere; e tale è il numero dei proletarii che passano la loro vita con pene e sforzi giornalieri per prolungarla di un giorno senza aver sentita l’azione dell’arte, ch’ell’è assai ovvia l’occasione di sorprendere i lavori ideologici nella loro semplicità.750

Indem er in den Monumenti storici noch dem aufklärerischen Anspruch auf das Auffinden allgemeingültiger Gesetze der Wortbildung folgte, schuf Marzolo eine epistemische Schablone der Philologie, die den Diskurs über Sprachund Zeichensysteme in eine materialistische und gleichzeitig historische Teleologie stellte. Diese Teleologie legitimierte sich zwar aus ihrer Verbindung mit universell naturgeschichtlichen Notwendigkeiten, verabsolutierte jedoch die ästhetischen und funktionalen Kriterien europäischen Sprachdenkens durch ein ebenso universelles Normdenken. Nicht nur die Sprache, sondern die Physis des bürgerlichen, gesunden Durchschnittseuropäers erhob sich so zum Maß aller Dinge. Sprachliche und semantische Devianzen von dieser Norm wurden von Marzolo trotz gegenteiliger Beteuerung keineswegs als fruchtbare Differenz geschätzt, sondern schlicht als Vorstufen zum ‚erwachsenen‘ und ‚gesunden‘ Menschen inferiorisiert, die im physischen Automatismus gefangen waren. Durch die Anwendung der aufklärerischen Idee einer vielgliedrigen – aber determinierten – Kette der Lebewesen wurden der Wilde wie der Proletarier in ihrer mangelhaften, atavistischen Natur fixiert. Ein Aufstieg zu Kultur und ein Entweichen aus ihrer Determiniertheit wurden weniger wahrscheinlich. Die diachronen Entwicklungsmöglichkeiten der Evolutionstheorien kamen in dieser ‚Zivilisationspyramide‘ nicht zum Tragen. Das Axiom der perfettibilità löste sich vom Individuum und wurde zur gesellschaftlichen Potentialität. Daher war sie nicht mehr ein angeborenes und prospektives Merkmal der umanità ohne Rücksicht auf Stand und Klasse, sondern eine sekundäre Wirkung, die sich erst über den Vergleich verschiedener Individuen erschloss und die allein der Fähigkeit der Spezies Mensch zur imitazione und der Möglichkeit, die eigene Determiniertheit zu hinterfragen, entsprungen war. Der Optimismus der Aufklärung in Bezug auf die enträtselnde und durchdringende Kraft der ratio gegenüber den Phänomenen der Natur brach sich hier noch einmal Bahn und blieb im sensualistischen Sinne dennoch skeptisch gegenüber der Macht menschlicher Schöpferkraft, solange ihr nicht eine prima causa zugrunde lag, der sie unterlag, die aber auch erklärt und beeinflusst werden konnte. 750

Marzolo 1847: 13.

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Die Schattenseite dieses aufklärerischen Denkens – jene Polarisierung von Norm und Devianz, die mit dem Versuch einer Normierung der Sprache auch das Phänomen der „Normalität als Flexionsdynamik“ im Gegensatz zum ‚Entarteten‘ mit in die Welt gesetzt hatte – wurde von Georges Canguilhem bereits eindrucksvoll dargestellt.751 Doch lag Marzolos deterministischer und trotzdem wissenschaftsoptimistischer Haltung gleichzeitig eine entgrenzende Wirkung zugrunde, da sich der Mensch nicht mehr allein in Bezug auf das Verständnis seiner eigenen Schöpfungen wie Sprachen, Zeichen und Texte verstehen sollte – ein Axiom des vicoschen Geschichtsmodells –, sondern weiter in den Positivitäten der Natur die letzten Urgründe des Daseins suchen musste. Der Mensch als Subjekt der Geschichte und Wesen, das erst durch die Naturgeschichte zur Erkenntnis befähigt worden war, sollte sich in Marzolos Philologie gegen die historische Faktizität der eigenen Kulturprodukte – Sprache, Schrift, Text – und gegen die Allmacht des historischen Paradigmas auflehnen, indem er sich aus deren natürlicher Begrenztheit zu verstehen suchte. Jedoch entstand aus eben dieser Auflehnung auch ein Problem, welches dem Erkenntnisobjekt philologischer Forschung selbst innewohnte und dem wir uns im folgenden Kapitel widmen wollen.

1.2. Literatur als Anthropologie kollektiver Empfindung Marzolo wollte nicht nur Sprache naturwissenschaftlich problematisieren, sondern er versuchte auch, das Phänomen Literatur für eine deterministische Philologie erklärbar zu machen und ihm einen Platz im Diskurs naturgeschichtlicher Positivitäten zuzuweisen. Dabei sollte dieses Phänomen eine epistemische Relativierung erfahren, um Texte gegen die Eigengesetzlichkeit ästhetischer Produktion auf ein anthropologisches Phänomen reduzieren zu können. In seiner Vorlesung „Über die Beziehungen und Unterschiede zwischen Literatur und Wissenschaft“ („Dei rapporti e delle differenze tra le lettere e le scienze“), die Marzolo am siebten Januar 1862 an der Universität Neapel hielt und später im Politecnico veröffentlichte, wurde jenes Dilemma offenbar, das deterministisch argumentierende Philologen noch lange umtreiben sollte: Die Suche nach universellen Gesetzen, die sprachliche und zeichentheoretische Phänomene bestimmten, ließ sie nämlich in einer gewissen Ratlosigkeit gegenüber der Eigengesetzlichkeit literarischer ‚Objekte‘ zurück.752 Dieses Dilemma sollte schließlich durch epistemische Komplementärkonstrukte – wie der Übertragung evolutionstheoretischer Theoreme und des darwinistischen 751

752

Vgl. Schuller 1999: 124-125 sowie Canguilhems Hinweis auf die Wirkung jener gesellschaftspolitischen und epistemischen Wirksamkeit, die im normierenden Anspruch der französischen Grammatiker seit Vaugelas verborgen lag. Vgl. Canguilhem 1972 [1966]: 181. Vgl. Marzolo 1862.

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Selektionsmechanismus – auf die Literaturwissenschaft gelöst werden. Zudem konnte man auf die bekannte universalgesetzliche Trias des literaturwissenschaftlichen Positivismus, „race, milieu et moment“, rekurrieren, wie sie der Literaturhistoriker Hippolyte Taine in seiner Histoire de la littérature anglaise ein Jahr vor Marzolos Vorlesung angedacht hatte.753 Mit Taines literaturwissenschaftlichem und von Auguste Comte beeinflusstem Positivismus sollten sich in Frankreich die Literaturhistoriker Ferdinand Brunetière und Gustave Lanson durchaus kritisch auseinandersetzen, als sie neben dem Konzept einer Nationalliteratur auch die epistemische Aufwertung einer Wissenschaft der Nationalliteraturen verfolgten.754 Im Italien der 70er und 80er Jahre sollten die beiden Philologen Giacomo Lignana und Ugo Canello den ‚Weg des Positivismus‘ einschlagen. Letzterer versuchte in seiner Storia della letteratura italiana del secolo XVI eine praktische Anwendung des tainschen Modells auf die italienische Literatur und ist dabei sowohl epistemisch als auch im Urteil seiner Zeitgenossen im Diskurs gescheitert, wie Andreas Kablitz bereits dargestellt hat.755 Jedoch begann dieses Scheitern einer streng positivistischen Literaturwissenschaft – als epistemisches Paradox zwischen dem Theorem einer universellen Dynamik literarischer Produktion und der Eigenlogik des literarischen Kunstwerks – in Italien bereits zwanzig Jahre vor Ugo Canellos Storia und unabhängig vom tainschen Positivismus im Literaturverständnis Paolo Marzolos offensichtlich zu werden. Wie gezeigt beherrschte – ja integrierte – bei Marzolo die Epistemologie der Naturwissenschaften die Philologie und nicht umgekehrt, indem erstere die Grundlagen zum Verständnis einer universellen Semiotik der Wörter und Schriftzeichen zu liefern hatte. Aufgrund der physiologischen Vorbestimmtheit sowie der großen Bedeutung, die Marzolo der Fähigkeit des Menschen zu 753

754

755

Diese Trias, die den „moralischen Zustand“ des Produzenten eines Textes bestimmte, verstand Taine als „Quellen“ jeglicher literarischer Produktion: „Trois sources différentes contribuent à produire cet état moral élémentaire, la race, le milieu et le moment.“ Taine 1895 [1863]: XXII. Die kollektive Verfasstheit dieser drei Kriterien betonte Taine ein paar Seiten nach dieser ersten Definition: „Il y a donc un système dans les sentiments et dans les idées humaines, et ce système a pour moteur premier certains traits généraux, certains caractères d’esprit et de cœur communs aux hommes d’une race, d’un siècle ou d’un pays.“ Ebd.: XXVIII. Zum Positivismus in der französischen Literaturgeschichtsschreibung vgl. Wellek 1977, Bd. 3, 26-74. „Taine, der durch sein Werk Les philosophes français du XIXe siècle (1860) bekannt wurde, stellt sich dort in die Tradition Hegels und betrachtet die großen und kanonischen literarischen Werke als den vollkommenen Ausdruck ihrer Epoche. Doch es sollte weniger der ‚Philosoph‘ Taine sein, der von der französischen Literaturwissenschaft rezipiert wurde, als der empirisch-positivistische Literaturhistoriker. [...] Die Nachfolger Taines sehen sich also dem methodischen Druck und der institutionellen Konkurrenz einer Geschichtswissenschaft ausgesetzt, die sich bewusst ‚verwissenschaftlichen‘ will und deren Beispiel die Literaturwissenschaft folgt, oder, besser gesagt, folgen muss.“ Asholt 2013: 366. Vgl. Canello 1880. Zu Biographie und Werken jenes beinahe vergessenen Philologen des späten Ottocento, der sich sowohl sprach- als auch literaturwissenschaftlichen Themen zuwandte vgl. Kablitz 1991 sowie Daniele/Renzi 1987.

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Empfindungen als Sinneseindrücken (sentimenti) zuschrieb, war auch das Spiel mit Sprache und letztlich jegliche Ästhetik der Textproduktion bis zu einem gewissen Grade determiniert. Jedoch stellten sich hier Unvorhersehbarkeit und spielhafter Charakter des Textes, also seine Literarizität, als gewaltiges Problem für die Mechanik der Vorhersagbarkeit universeller Zeichenprozesse heraus, wie sie Marzolo für seine philologische Methode in Anspruch nehmen wollte. Besser sei es, die ‚Literatur‘ streng von der ‚Wissenschaft‘ abzugrenzen. Diese Trennung von letteratura und scienza hatte wiederum einen tieferen epistemischen Hintergrund, der im Anspruch auf die absolute Verstehbarkeit der inneren Vorgänge des Subjekts, seiner Motive und Verarbeitungsformen realer Eindrücke gründete. Die Literatur könne laut Marzolo jedoch nicht nach den ‚wahren‘ Beweggründen des Subjekts fragen, sondern behelfe sich mit der abbildenden Funktion des Geschichtenerzählens als des sekundären Spiegels individuell ‚erschriebenen‘ und in kollektiven Formen fixierten Erfahrungswissens. Dies bedeutete für den Sprachanthropologen Marzolo epistemisch, dass die Literatur als Objekt nicht im methodischen System einer unmittelbar ‚empirischen‘ scienza zu erfassen sei: La narrazione pertanto dei fatti d’interesse nazionale fu la prima maniera di sapere, così che il nome generico ἱστορία (conoscenza) da ἵστημι (sapere, conoscere) si ristrinse ad indicare questo solo genere di cognizioni, appunto la storia. Ma la storia, prima descrive l’azione umana come appare o come fu tramandata, non tende ad esaminarne le basi: narra secondo il corso contingente, eventuale di ciò che ha veduto od udito, né si cura delle cause vere, ripete quelle che si dicono, segue l’opinione credula, né si segrega dagli idioti.756

Es findet sich bei Marzolo bereits jener Literaturbegriff vorgeprägt, der später auch die positivistische Literaturgeschichtsschreibung Canellos durchdringen sollte. Literatur war hier befangen in einer universellen Semiotik, welche ihr – im Gegensatz zur einfachen Abbildfunktion der Worte – zwar eine komplexe, aber immer nur indirekte und schwer nachvollziehbare darstellende Wiedergabe (rappresentazione) der Ideen zugestand. Wenn Andreas Kablitz diesen Literaturbegriff bei Canello auf Taine zurückführte, so lässt er sich bei Marzolo allgemeiner in einem Wunsch nach der Erklärbarkeit von Kontingenz durch semantische Erweiterung des aufklärerischen Zeichenbegriffes nachvollziehen. Grund ist bei Canello wie Marzolo die Überforderung einer naturwissenschaftlichen Ideologie durch die Literatur, worauf mit einer Reduktion an Komplexität reagiert wurde: Das hervorstechendste Merkmal des hier formulierten Literaturbegriffs ist erneut dessen Reduktion auf eine bloße Abbildfunktion. ‚La letteratura‘ hat keinen anderen Realitätsstatus als eben den einer ‚rappresentazione‘ und geht auf in der Zeichenfunktion für einen bestimmten Typus mentaler Entitäten, für einen ‚complesso d’ideali e d’idee‘. Den Ausgangspunkt also bildet wie bei Taine auch eine semiotische Fundierung der Literatur, die sie zum Signifikanten eines dann 756

Marzolo 1862: 7-8.

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in der bezeichneten Weise bestimmten Signifikats erklärt. Diese semiotische Bestimmung von Literatur erweist sich zugleich als ein Modus der Ausgrenzung, der Ausgrenzung der Eigenschaften des Signifikanten, der allein aus der Perspektive seiner Zeichenfunktion Gestalt gewinnt.757

Die Literatur muss in dieser vereinfachten philologischen Epistemologie immer mehr der Wissenschaft weichen. Letztlich werde sie sich auf Nischen menschlicher Erfahrung und Formen des Schreibens zurückziehen müssen, auf welche die Wissenschaft keinen Anspruch erhebe: Briefroman und Konversation, Fantasie und Leidenschaft, Gedicht, Roman, Drama, Satire, Lyrik, Rede, Panegyrik, Sermon und feierliches Lob. Dieser Emanzipationsprozess der Wissenschaft von der Literatur habe eine Parallele im Individuum, indem äußere Einflüsse sowie Sinneseindrücke und Bewegungen des einzelnen Bewusstseins auf immer komplexere Weise verarbeitet würden: E così, sia per parte della continuazione o ripetizione delle cause oggettive agenti sulla persona, sia pel modificarsi della sua costituzione, mentre nella prima età prevale il sentimento, di mano in mano che la vita procede supera il giudizio e la riflessione; nella prima si ama fermarsi nel senso stesso che si prova, dopo invece se ne ricercano le cause.758

Die aufklärerische Emanzipation des Menschen von seinen Sinneseindrücken, vollzog sich für Marzolo sowohl im Individuum als auch durch das Verlassen der Passionen im textlichen Ausdruck. Aufklärerisches Emanzipationsstreben und positivistische Kritik jeglicher Metaphysik werden hier zu Antipoden der Literatur im Dienste der Wissenschaft. Doch besaß für Marzolo Literatur dennoch eine wichtige Funktion als erste Abbildung des „kontingenten Ablaufs“(„corso contingente“) der ‚Geschichte des Subjekts‘ und habe als weltweiter Speicher an „lebenspraktischem Wissen“ („cognizione specialmente sulla pratica della vita“) das menschliche Individuum ermächtigt, sich jenseits eines unmittelbaren Erfahrungsschatzes nach den Richtlinien tradierter Ankerpunkte zu richten, die sich wiederum innerhalb der Geschichte objektivieren ließen: E collo scorrere dei secoli si va sempre più acquistando qualche cognizione specialmente sulla pratica della vita, su cui si vanno formulando i precetti e le massime, e taluno sorge che ne fa la compilazione: ecco i libri di Con-fu-tse nella China, il codice di Manù nell’India, i proverbii che passano sotto il nome di Salomone presso gli Israeliti.759

So sehr Marzolo die Literatur in ihrer Bedeutung für das Wissen über den Menschen relativieren wollte, musste er ihr dennoch zugestehen, dass sie es war, die den Hang zu imitatio und Spiel förderte und letztlich Wissenschaft

757 758 759

Kablitz 1991: 56. Marzolo 1862: 12. Ebd.: 9.

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entstehen ließ.760 Erfuhr sich der Mensch in seinen Zeichen, Schriften und Sprachen als determiniertes Lebewesen, zeige sich in der Literatur die höchste Entfaltung der imitatio als evolutive Kraft bei der Entwicklung zivilisatorischer Fähigkeiten. Gleichzeitig kristallisiere sich aus den Gegenständen, die im literarischen Spiel erfasst werden, die Wissenschaft als eigenes, prosaisches Schreiben über diese Gegenstände heraus. Eine Prosa, die sich allmählich ganz vom Spiel entfernt habe: Allora fu che si isolò [la scienza, ML] dalle lettere, e prima pel metodo, poiché si investigavano i fatti analoghi od entranti nello studio che si era proposto, e, trovati, si distinguevano dagli altri indifferenti, che perciò negligevansi. Così la scienza procedette coll’analisi portata pazientemente per riuscire poi colle sue economie alla sintesi. Ora queste due operazioni, che applicati opportunamente, fanno la via al sapere, e il cui talento designa il genio scientifico, alla letteratura sono affatto antipatiche.761

Schon allein dazu, diesen Emanzipationsprozess nachvollziehbar zu machen, forderte der Professor für altgriechische Literatur eine Letteratura comparata, eine vergleichend arbeitende, methodische Literaturwissenschaft als epistemische Notwendigkeit zur Vervollkommnung seiner Filologia comparata. Ihr widmete er seine Antrittsvorlesung an der Universität Pisa. Literatur gehöre nämlich durchaus zu jenen nur auf den ersten Blick zufälligen „Tatsachen“ („fatti“), aus deren Analyse sich eine natürliche Ordnung ableiten lässt. Dies gilt sogar unter der Voraussetzung, dass große Abstände diese Positivitäten trennen, um sich erst durch den Fleiß des Forschers zusammenzufügen. Diese Arbeit sei in der vergleichenden Anatomie sowie der vergleichenden Philologie, gemeint ist die linguistica, bereits geschehen.762 Marzolo forderte aus seinen beiden epistemischen Oppositionsbegriffen eine allgemeine Literaturtheorie, die auf der universellen Zeichenhaftigkeit der Sprache basierte. So stellte er fest, dass es sich bei scienze und letterature zwar um zwei getrennte Formen der Auseinandersetzung mit Lebenswelt durch den Menschen handle, welche – darin folgte er ganz dem aufklärerischen Subjektbegriff – in der cartesianischen Ratio (razione) als dem Vermögen der Reflexion einerseits, und in der Unmittelbarkeit der Affekte (affetti) andererseits ihren Ursprung hätten. Beide müssten sich jedoch letztlich der Zeichenhaftigkeit der Worte als materiellen Vermittlern bedienen, um über760

761 762

Marzolo sah Fortschritt keineswegs allein durch die Bedürfnisse („bisogni“) determiniert, da Wissenschaft sich aus der Spielnatur des Menschen ergeben habe: „Ma non il solo bisogno induce gli uomini ad investigare le cause dei fenomeni, la loro continuità, e a dedurne le applicazioni; innumerevoli sono i doni fattici dalla pura speculazione disinteressata, la quale, quantunque più tarda, vinse in efficacia ogni altro movente; che se il pericolo di Siracusa mosse Archimede a prendere il raggio del sole per punire la folla superba, nulla stringeva il Galilei, quando in Pisa le oscillazioni della lampada gli tolsero il sonno, nulla mancava a Newton per non poter distrarre il pensiero dalla caduta di quella mela che propalò il segreto del firmamento.“ Ebd.: 10. Marzolo 1862: 10. Vgl. Marzolo 1863: 204.

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haupt verstanden und gesellschaftlich wirksam zu werden, auch wenn die Naturwissenschaften im empirischen Experiment nicht vollkommen auf Zeichen angewiesen seien, um Versuchsanordnungen mit Hilfe von Gerätschaften zu wiederholen. Die Erklärung des Gezeigten könne hier nach der ‚Herstellung‘ des Wissens durch die erfahrbare Performanz des Versuchs erfolgen, wohingegen der performative Charakter der Literatur als Ausdruck der Prozesse im Individuum sich auch auf der Bühne stets der Zeichen bedienen müsse, um erfahrbar zu werden: Il fatto intimo di ciò che si passa in umana persona, intanto che è commossa dagli affetti o che pensa, non può rivelarsi agli altri sensi. Anche nel drama [sic] rappresentato, quantunque l’azione che si vede faccia molto comprendere simpaticamente e per induzione, vi ha sempre una parte che bisogna narrare: se volete anche senza parola colla mimica, che è pure sempre una maniera di significare.763

In diesem Sinne könne es Literatur nur dort geben, wo bereits eine gesellschaftlich etablierte Sprache vorherrsche, als deren Erweiterung sie funktioniere, aber durch die sie auch in ihrer Funktionalität begrenzt sei. Dies dürfe jedoch nicht so verstanden werden, dass die Dichter und Schriftsteller die Erfinder neuer Wortzeichen seien, sondern als „Arbeiter“ („manifatturieri“) an der Sprache vielmehr das rohe Zeichenmaterial verfeinerten und gleichsam alchimistisch zur Reinheit reduzierten: Per la produzione letteraria è indispensabile che la lingua già esista; ma la letteratura vale all’incremento ed all’uso di quella tanto che si deve considerare siccome un momento indispensabile nel processo linguistico. In fatti gli autori non sono già i creatori delle lingue, come spensieratamente si ripete, quanto all’italiana, di Dante, di Petrarca, di Boccaccio; perché se uno si mettesse in capo di creare una lingua, chi lo capirebbe? ma si sono come i manifatturieri che riducono le materie gregge a pulitura e le applicano a nuovi profitti.764

Literarische Produktion werde rezeptionsästhetisch insofern nur innerhalb einer Nation und in der zeitlichen Gegenwart wirklich ‚fruchtbar‘. Sobald Zeit und Umstände der Verwendung einer nur wenig oder kaum bekannten Sprache nicht geklärt seien, könne auch die Literatur nur bedingt der Wissenschaft zugänglich werden. Stilistische und narrative Entscheidungen seien nur bis zu einem gewissen Grade vermittelbar, die grundlegende Kreativität und das Stilempfinden des Menschen gebunden an die Umstände. Die Ästhetik sei relativ und verhindere die Verständigung der Menschen untereinander, solange letztere nicht die kulturellen Codes eines anderen Volkes teilten, wie sie sich in der Literatur manifestierten: Ma la letteratura, come ogni cosa, è relativa; conviene a tali circostanze di tempo e di luogo, di costumi, di passioni, di abitudini di considerare e di giudicare le

763 764

Marzolo 1862: 13. Marzolo 1863: 207-208

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cose. Se quindi si trasporti ad una nazione molto diversa non può convenire; non può dare stimolo a continuazione.765

So sei die Literatur der Griechen und Römer bei den Arabern letztlich auf fruchtlosen Boden gefallen. Aufgrund der kulturellen Restriktion ihrer Religion, des islamischen Monotheismus, seien die Schriften der Antike, welche auf der Grundlage einer polytheistischen oder pantheistischen Kosmologie entstanden waren, in der arabischen Welt „verstümmelt und deformiert“ („mutilate e diforme“) 766 geblieben, also steril und in inferiorer Vergleichsposition. Dennoch könne ein weites Studium der Literaturen aller Nationen „gewisse Fehlwahrnehmungen durch Eigenliebe“ („certe fallacie dell’amor proprio“) 767 korrigieren, wie sie einer monumentalisierenden Textlektüre entsprängen, was allerdings bei Marzolo die Möglichkeit zu einer Hierarchisierung der verglichenen literarischen Phänomene nicht behindert. Marzolos Konzept des Subjekts folgte einem radikal-sensualistischen Paradigma und verleugnete jeglichen Idealismus eingeborener Ideen, die sich in Literatur universalisierend niederschlügen. Die Form und das ästhetische Urteil der Poeten und Schriftsteller seien der mehr oder weniger entwickelten Sensibilität des Individuums sowie seiner Erziehung geschuldet, während der Wissenschaftler auf Urteile zu verzichten habe, kein ‚gut‘ und kein ‚böse‘, kein ‚schön‘ und kein ‚hässlich‘ kenne. Der Literatur bliebe allein die zweitrangige Aufgabe eines Kommunikationsmittels, um dem rhetorischen Wirkungsschema der Antike Genüge zu tun.768 Andererseits könne sie in Form der vergleichenden Literaturwissenschaft anhand einer Analyse literarischer Hervorbringungen der Rede („eloquio“), wie sie „zu unterschiedlichen Zeiten bei den unterschiedlichen Stämmen“ („nei diversi tempi dalle varie stirpi“) aufträten, das ergründen, was im Menschen den Umständen von Zeit, Ort und eben Genealogie entsprang, und was in der „menschlichen Natur“ („natura umana“)selbst verankert ist: Nell’argomento dei prodotti artistici dell’eloquio, la comparazione di ciò che si fece nei diversi tempi dalle varie stirpi deve recare analoghi vantaggi in questa parte scientifica curiosità a quelli che dal confronto si ottennero negli alti rami di sapere. Ci farà distinguere ciò ch’è relativo alle circostanze di luogo e di tempo, da ciò ch’è proprio dell’umana natura, appunto come nelle consuetudini morali dei popoli diversi si distingue ciò ch’è solo accidentale del tempo e del luogo, con cui pure l’umana società è compatibile, da quelle senza di cui l’umana società non esisterebbe.769

765 766 767 768

769

Ebd.: 212 Ebd. Ebd.: 219. Zur von Quintilian und Cicero geprägten Trias der Rhetorik aus rationaler Belehrung (docere), gemäßigter Affizierung des Publikums (delectare) und Ansporn zu emotionaler Reaktion (concitare) sowie der für die klassische Literaturtheorie damit einhergehenden grundlegenden Stillehre vgl. Ueding 2005: 73-77, Dockhorn 1968: 52-54. Marzolo 1863: 213-214.

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Die Umstände der Zeiten und Orte bestimmten schließlich die Anwendung der Wortzeichen in der Literatur und beließen diese in ihrer kulturellen Isolation, solange nicht die vergleichende Gegenüberstellung literarischer Erzeugnisse sie wenigstens in Ansätzen dieser Bedingtheit entriss, wie sie jener gesellschaftlichen Funktion als zunächst rhetorisches Mittel des Individuums entsprach. Literatur hatte in diesem Wissenschaftsverständnis letztlich keine Berechtigung, ‚selbst‘ zu sprechen, sondern musste erst in ihrer determinierten Zeichenhaftigkeit ein zweites Mal nachvollzogen werden, um für ein tieferes Verständnis des Menschen fruchtbar zu sein. Im Gegensatz zu Canello, der aufgrund einer ‚verkettenden Verschachtelung‘ höherer Kaussallogiken versuchte, die Zeichenhaftigkeit der Literatur innerhalb eines Determinismus zu verankern, der wiederum selbst auf Zeichenhaftigkeit beruhte, verzichtete Marzolo auf die endgültige Erklärbarkeit des Phänomens Literatur als naturwissenschaftlichem Phänomen und blieb insofern ehrlicher als andere szientistische ‚Deterministen‘.770 Der Preis dieses Verzichts: Die Literatur wurde ein Stück weit entwertet zugunsten anderer Gegenstände, die das Phänomen Mensch besser in einen vorhersehbaren und steuerbaren Kontext integrierten. Gesellschaftliche Verständigung brauchte als endgültigen Interpreten den Naturwissenschaftler, um universell möglich zu werden. Das Lebenswissen der Archive war hier mit einem materiellen Ursprung versehen, der den Kern von Marzolos Essenzialismus des Individuums darstellte. Die Analisi della parola ‚enthüllte‘ tatsächlich ‚Monumente der Geschichte‘, wie es der Titel von diesem monumentalen Werk bereits ankündigte, jedoch war diese Geschichte letztlich eine Reduktion auf eine automatistische Weltansicht, die sich kaum als Organismus, sondern eher als aufklärerische Welt-Maschine darstellte, die in der Norm ‚wie geschmiert‘ lief und bei Devianzen ins Stottern geriet. Daran konnte in Marzolos Epistemologie auch der störrische Charakter literarischer Zufälligkeiten als verbindende Dynamik einer offenen Perspektive auf die Welt nichts ändern.

770

Was Andreas Kablitz als Fazit zu Canellos missglückter ‚Vernaturwissenschaftlichung‘ der Literaturwissenschaft schreibt, gilt auch für Marzolo, dessen pansemiotische Philologie letztlich nicht im Stande war, einem Phänomen gerecht zu werden, das seinen innersten Kern im Spiel mit den Zeichen hat: „Canellos Storia belegt aus einer doppelten Perspektive, wie das um der Wissenschaftlichkeit der Rede über den literarischen Gegenstand willen adaptierte Kausalmodell dieser Rede gegenüber äußerlich bleibt. Denn es hebt zum einen den Gegenstand in den ihm zugeordneten Ursachen auf – und löst doch den Kausalnexus dieser Reduktion auch schon wieder auf, weil er nur noch terminologisch als Etikett anders formierter Phänomene zurückbleibt. Noch scheint der wissenschaftliche Zugriff auf die Literatur, der letztlich eine ‚fremde‘ Rede usurpiert, nicht gelingen zu wollen, und gerade die zweifache Erosion aufgrund einander widerstreitender Konsequenzen einer Integration der Literatur in einen kausalen Bezugsrahmen macht den problematischen Status sichtbar.“ Kablitz 1991: 67.

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1.3. Eine philologische Pathologie Marzolos großes Philologie-Projekt fand laut eigener Einschätzung nur wenig Beachtung in der italienischen Gelehrtenlandschaft, auch wenn Gabriele Rosa das Werk enthusiastisch erwähnt hatte. Marzolo beklagte sich bitterlich über das mangelnde Interesse der Zeitgenossen an seiner philologischen Theorie, die doch schon seit 1847 die Aufmerksamkeit der italienischen Öffentlichkeit auf sich ziehen hätte müssen: Il danno che n’ebbi nella pubblicazione [die Analisi, ML] cominciata nel 1847, giunto a tale ch’io non ebbi mezzi da sostenerla a mie spese, d’onde la remora dell’edizione, finchè alcuni miei amici si riunirono per procurare il fondo al tipografo, me fecero avvertito che tutto quanto esibiva, che a me pareva una catena di verità di grande importanza, non solo non parve necessario, od utile almeno, ma neppure aveva eccitata la curiosità. Ben m’accorsi, oltre la considerazione delle speciali condizioni dei tempi, che l’indifferenza del pubblico a quei miei studii era indotta dal modo in cui presentavasi la mia opera; ma se, per renderla avvicinabile e piccante, avessi voluto cangiarne l’economia, ne avrei distrutta l’entità.771

Doch sollten seine Überlegungen nicht gänzlich wirkungslos bleiben. Gerade Marzolos Anthropologie, welche die Spezies Mensch und die vielfältigen Erscheinungsformen ihrer sprachlichen Erzeugnisse weltweit über historische, soziale und biologische Determinanten zu erfassen suchte, sollte in den Schriften Cesare Lombrosos widerhallen. Dieser begann in der Philologie als Marzolos Student und ‚konvertierte‘ zum weltweit erfolgreichen Mediziner und Kriminologen.772 Mit seinem Mentor teilte er die Begeisterung am physischen Positivismus menschlicher Anatomie, aber auch eine Faszination an Ausdrucks- und Schreibformen von Individuen, die von der gesellschaftlichen ‚Norm‘ abwichen, wie Geisteskranke, Genies oder Kriminelle. Lombroso verwendete den Rassebegriff durchaus in differenzierten Zusammenhängen und war auch ein erklärter Gegner des europaweit grassieren-

771 772

Marzolo 1861b: 616. Der Einfluss von Paolo Marzolo auf Cesare Lombroso wurde bereits mehrfach untersucht. Vgl. Bulferetti 1975: 19-23, Villa 1985: 92-104, Frigessi 2000: 334-336. Auch die unzutreffende Bezeichnung Marzolos als ‚Darwin der italienischen Anthropologie‘ ging auf Lombroso zurück. Jutta Person fasst in ihrer Studie zu Physiognomik, Atavismustheorien und Kulturkritik zwischen 1870 und 1930 dieses Lehrer-Schüler Verhältnis folgendermaßen zusammen: „1835 in Verona als Sohn jüdischer Kaufleute geboren, findet Lombroso in dem Linguisten Paolo Marzolo, dem ‚Darwin der italienischen Anthropologie‘, einen Mentor, der ihm zu einem Medizinstudium an der Universität Pavia rät. Marzolos positivistische Sprachwissenschaft prägt ihn grundlegend: Zum einen eröffnet sich ihm der Zusammenhang zwischen physischer und moralischer Welt, der die geistige Verfasstheit des Menschen auf seine natürlichen Bedingungen zurückführt. Zum anderen entwickelt Lombroso eine Faszination für alle Formen des devianten Ausdrucks, die sich sowohl in seinen Analysen von VerbrecherJargons und der Interpretation ‚geisteskranker‘ Lautpoesie niederschlägt als auch in der Lektüre literarischer Werke.“ Person 2005: 57.

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den Antisemitismus.773 Seine kategorische Verwendung der unterschiedlichsten sozialen, kulturellen, sprachlichen und physischen Determinismen, welche die typisierende Konstruktion der ‚Frau als Prostituierter‘ oder des ‚Verbrechermenschen‘ als humanen Atavismen erlaubten, waren jedoch in ihrer essenzialisierenden Wirkung und durch ihre wissenschaftliche Rhetorizität ebenso wirkmächtig wie eine bloß ‚oberflächliche Typologisierung‘ der Menschen nach phänotypischen Merkmalen.774 Dies gilt auch der Tatsache zum Trotz, dass Lombroso selbst die positive Wirkung dieser Typen an Verrückten und Genies für die Gesellschaft durchaus betonte und in seiner erfolgreichen Studie Genio e follia den Zusammenhang von Kreativität und Wahnsinn analysierte.775 Hieraus entstand eine seltsam optimistische und aus heutiger Sicht doch so beängstigende Mischung aus Gegnerschaft zu fixistischen Dekadenzund Degenerationstheorien, wie sie Gobineau und der Psychiater Bénédict Morel geprägt hatten, und propagierter Regulierbarkeit gesellschaftlicher ‚Fehlentwicklung‘ mittels Durchsetzung normierender Maßnahmen durch die Wissenschaften. Renzo Villa wies auf die enorme Wirkung dieses anthropologisch-politischen Diskurses speziell auf das italienische zwanzigste Jahrhundert hin, wo dieser den vitalistischen Nationalismus der Faschisten sowie den ‚common sense‘ („buon senso“) des Kleinbürgertums mitbestimmen sollte: Gobineau aveva sviluppato la riflessione sulle diseguaglianze nell’arco di quel radicale pessimismo che osserva la decadenza dell’Adamo primitivo, esattamente come l’altro fissista che si muove in un orizzonte antropologico di obbedienza cristiana, ovvero Morel. Lombroso attraverso l’atavismo e Nordau con un’idea di degenerazione culturale propongono l’immagine di una negatività biologica che una nuova classe di scienziati può combattere: proprio perché apparentemente meno pessimisti il loro messaggio risulterà più ambiguo ed inquietante. In ogni caso esso sarà una componente essenziale del sistema di idee dominante nel mondo italiano.776

Die Kehrseite dieses positivistischen Glaubens an den anthropologischen ‚Fortschritt‘ bestand darin, dass der Menschen unter Abwägung beliebiger physischer, psychischer und sozialer Merkmale stigmatisiert und durch Exklusion ‚desozialisiert‘ werden konnte. Dieser neue pathologisierende Maßstab 773

774 775

776

Zu den epistemischen Widersprüchen zwischen Lombrosos misogynen Schriften und den veränderten Standards bei seinem Versuch einer Bekämpfung des Antisemitismus auf wissenschaftlicher Grundlage in seiner Schrift L’antisemitismo e le scienze moderne, welche dennoch von gängigen, antisemitischen Stereotypisierungen und einer gewissen ‚jüdischen Selbstbeschuldigung‘ durchdrungen war vgl. Lombroso 1894, Harrowitz 1994: 41-62. Vgl. Lenz 2013a: 340. „Licenziando la quarta edizione, prima da Bocca, di Genio e follia, Lombroso diffonde l’idea di una società che avanza grazie a folli geniali, a degenerati di ingegno, grazie cioè alla determinazione culturale di componenti biologiche […].“ Villa 1999: 408. Vgl. Lombroso 1864. Jenes ursprünglich auf eine Antrittsvorlesung an der Universität von Pavia zurückgehende Werk begründete durch seine zahlreichen Auflagen sowie seine Übersetzung ins Deutsche unter dem Namen Genie und Irrsinn den internationalen Durchbruch Lombrosos. Vgl. Person 2005: 58. Villa 1999: 409.

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relativierte bis zu einem gewissen Grade ein rein deskriptives Rassedenken, das sich allein auf genealogische und kollektiv vererbte physiognomische Merkmale berief. Ein solches Denken könnte in prospektiver Hinsicht letztlich doch eine Bedeutungslosigkeit dieser Unterschiede vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung oder klimatischer Veränderungen feststellen, wohingegen die kriminologischen oder pathologischen Typologien von Anfang an mit einem gesellschaftspolitischen, wenn nicht gar volkshygienischen Anspruch einhergingen.777 Dieser Anspruch äußerte sich bei Lombroso in der Verbindung anthropologischer Studien mit Überlegungen zu Jurisdiktion und Strafrecht. Allein diese Verknüpfung zeigt die Macht einer Wissenschaft, die spätestens ab diesem Zeitpunkt auf bestimmte soziale Gruppen entmündigend wirken konnte, sobald ‚Wahnsinn und Gesellschaft‘ der Deutungshoheit (national-) staatlicher Instanzen unterlagen. Diese konnten dabei auf jene epistemische Kontinuität einer Polarität von Normalität und Devianz zurückgreifen, welche die Epistemologie seit dem 18. Jahrhundert beherrschte und nun wieder aktualisiert wurde. Georges Canguilhem und Michel Foucault haben die Wirkung dieser Entwicklung auf das 20. Jahrhundert in ihren Schriften ausführlich dargestellt.778 Erst mit den Schriften dieser beiden Philosophen ist es möglich, die Brisanz von Marzolos halb aufklärerischer, halb modern positivistischer Epistemologie für die Zusammenhänge von Rassedenken und Rassismus mit dem philologischen Wissen in Italien zu erkennen. In dem von Marzolo propagierten Anspruch der Philologie, die Entwicklungen und eben auch Fehlentwicklungen des Lebens in seiner sprachlichen, zeichenhaften und textlichen Manifestation zu erhellen, verbarg sich bereits jenes bei Lombroso offen zutage tretende Potential einer Hierarchisierung, welche die Gesellschaft zu ‚ordnen‘ suchte. Vor diesem Hintergrund kann auch jenes ästhetische Apriori der Norm in der Entwicklung phonetischer und semantischer Formen, das Marzolo als ein Differenzkriterium ausmachte, mit Renzo Villa in all seiner folgenschweren Beliebigkeit entlarvt werden, indem Marzolo dieses in den naturhistorischen Kontext einer ‚Kette der (Wort-)Lebewesen‘ einbettete: .

Ed è vero – e decisivo – che la fine secolo forgiò l’ulteriore strumento per l’ideologia razzista: la degenerazione, nozione quanto mai diffusa nel suo transito dall’area francese a quella tedesca ed italiana. L’opposizione evoluzione/degenerazione è la più tipica antinomia del pensiero positivo: per questo il razzismo novecentesco continuerà a vivere proprio nel mito eugenico del progresso evolutivo cui si oppone la degenerazione rappresentata dagli inferiori, che diverranno anche la razza da eliminare. Le campagne razziste sempre muovono 777

778

Zum Einfluss Cesare Lombrosos auf die spätere Kriminalbiologie vgl. Simon 1999: 231. Zur gesellschaftlichen Relevanz wissenschaftlicher Präsentationsformen einer von Lombroso mitkonstruierten ‚Metaphysik des Bösen‘ und ‚Abnormen‘ in musealer sowie pädagogischer Hinsicht und ihrer dadurch ermöglichten, diskursiven Etablierung vgl. Regener 1999. Zur unterschiedlichen Gewichtung und den unterschiedlichen Bezugsfeldern der Kategorien ‚Normalität‘ und ‚Normalisierung‘ in Canguilhems grundlegender Normalismusthoerie und deren stärkerer Historisierung in der foucaultschen Diskursanalyse und den machtkritischen Schriften des Philosophen vgl. Link 2009 [2006]: 110-127.

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da una paura di decadenza, da un’ossessione degenerativa, e l’orizzonte mentale del senso comune utilizzerà questa nozione per giustificare o spiegare le forme più aberranti di emarginazione, reclusione, totalitarismo.779

Das, was Marzolos Aussagen aus der historisch langen Sicht einen bitteren Nachgeschmack verleiht, ist nicht so sehr ihre epistemische Intention, die durch ihren Universalismus die monogenetische Verfasstheit und die Relativität der physischen Erscheinung des Menschen in Bezug auf seine Umgebung betonte. Es ist ihre affirmativ intendierte Neuordnung der Episteme, welche – aus dem guten Glauben an die universelle Gleichheit des Lebewesen Mensch – diesen auch in seiner kulturellen, sprachlichen und kreativen Potentialität gleichsam ‚gefangen nahm‘. Lombroso machte diese Transformation universalistischen Denkens in Fixismus in seiner Rasseschrift über den Gegensatz zwischen „dem weißen und dem schwarzen Menschen“, L‘uomo bianco e l‘uomo di colore, an einer Stelle deutlich, an der er die Richtigkeit der Schrifttheorie seines Lehrers Marzolo bestätigte. Dieser habe das phönizische Alphabet aus der spontanen Notwendigkeit einer pragmatischen Abstraktion von Alltagsgegenständen und siderischen Symbolen hergeleitet, deren letzte Ursache in der universellen Fähigkeit des Menschen zur Imitation läge: Ma, un giorno aguzzati probabilmente dai forti bisogni dei commercj, i Fenicj riuscirono a trasformare l’immensa e confusa raccolta ideografica nel nostro alfabeto. Secondo il Marzolo, essi vi si adoperarono come usano le mamme coi bimbi, quando loro apprendono le lettere facendole raffigurare dapprima sotto la maschera ed i contorni di qualche oggetto notissimo, per esempio un pomo od un’oca.780

Doch deutete Lombroso diese Lehre über die Fähigkeit des Menschen zur Imitatio, welche doch eigentlich ein Universal darstellen müsste, um. Trotz ihrer ähnlichen Ursprünge wurde bei ihm stattdessen aus der Differenz der Zeichensysteme und Sprachen ein Kriterium zur hierarchischen Einordnung. Diese Einordnung beruhte allerdings im Grunde auf einem Urteil, das Sprache und Schrift nicht nach ihrer Funktionalität, sondern nach apodiktisch gesetzten Kriterien der Ästhetik differenzierte. Diese unterschieden den Menschen letzten Endes nicht nach dessen Sprach- und Schriftsystemen – ja nicht einmal nach den Unterschieden zu einer Fähigkeit der Imitation –, sondern machten letztlich die Differenzen der Physis zu einem Essenzial, welches auch die besondere Gestaltung der Imitatio vorprägte. Die Folge war ein Rassismus im engeren Sinn physischer Differenz, der letztlich gänzlich im ‚weißen‘ griechischen Körperideal und der vermeintlich daraus resultierenden Fähigkeit zu gelungener ästhetischer Nachahmung verankert war. Dieser Rassismus bediente sich dennoch ausdrücklich philologischer Paradigmatik und Terminologie, um von ‚Rasse zu Rasse‘ deren ‚Sprach-‘‚ und ‚Schriftprodukte‘ zu begutachten 779 780

Villa 1999: 408 Lombroso 1871: 69-70.

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und noch einmal möglichst feierlich und wissenschaftlich die Feststellung einer Überlegenheit der weißen Rasse zu postulieren: Mi sono fermato a lungo, troppo forse, sulle lingue, perché queste sono il più limpido specchio, e furono il primo ed il più potente ammennicolo della umana attività. La scrittura alfabetica ed il linguaggio a flessione, furono le forze che elevarono la razza bianca dall’epoca della pietra a quella del vapore. E difatti quelle razze che si mostrarono più o meno inferiori nel linguaggio o nella scrittura, mostrarono una grande inferiorità nelle arti così meccaniche come estetiche.781

Lombroso fixierte durch seinen physischen Universalismus historisch, sozial und eben auch körperlich differente menschliche Kollektive in einem Zustand, welcher ihre Inferiorität aus einem ästhetischen Urteil über philologische Kriterien herleitete, das er von der aufklärerischen Epistemologie seines Lehrers Marzolo übernommen hatte. Dabei wurde der Universalismus der kommunikativen Funktion von Sprache und der Glaube an deren Übersetzbarkeit – wie sie das aufklärerische Denken auch prägte und noch auf Cattaneos Sprachkonzeption einwirkte – zugunsten einer anthropologisch divergierend verfassten und damit der Kontingenz enthobenen Zeichenhaftigkeit von Sprache und Schrift relativiert. Diese ließ zwar einen Ratio-Begriff als Schlüssel zu den ‚Geheimnissen der Natur‘ zu. Im Gegensatz zum aufklärerischen Optimismus wurde dieser jedoch durch die Materialität der physischen, sozialen, geographischen und nicht zuletzt ästhetischen Umstände materialistisch ‚eingehegt‘, um wiederum a posteriori den eigenen Standpunkt – die eigene Ratio – ihrer Determinierung zu entheben. Auf diese Weise wurden ästhetische Kategorien, die eigenen Vorstellungen von Norm und Devianz verabsolutiert. Das Fazit aus dieser interessanten ‚transdisziplinären‘ Rezeption Marzolos durch Lombroso sei noch einmal betont: Die epistemischen Prämissen von Marzolos Philologie können kaum als essenzialisierende Rassemechaniken erscheinen. Der Fall liegt komplexer: Vielmehr war es seine implizit gerechtfertigte Erhebung des ästhetischen Urteils in den Status einer determinierenden Gewalt, welche die Gefahr jener Essenzialisierung ermöglichte, wie sie später in der anthropologischen Pathologisierung und Hierarchisierung Cesare Lombrosos offen zutage trat. Die Philologie hat hier unzweifelhaft eine Vorleistung erbracht, die eine deterministische Perspektive auf den Menschen weiter herausforderte, indem sie Ergebnisse der Physiologie und vergleichenden Anatomie affirmativ und kategorisch zur Voraussetzung für philologisches Wissen zu machen versuchte und dabei einen störenden polylogischen Literaturbegriffs aus dem Kreise empirischer Forschungsgegenstände verbannte. Zugleich forderte sie, die physische Differenz der Menschen zur epistemischen Grundlage seiner Beurteilung zu machen. Dieses Urteil sollte die Wissenschaften – darunter die philologische Wissenschaft – bestimmen, um auf seiner Basis weitere Erkenntnisse über Sprachen, Zeichen und Texte zu 781

Ebd.: 70-71.

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sammeln und den sprachlichen und literarischen ‚Geschmäckern‘ und Moden nachzugehen. Die Materialität des Menschen begann seine Geschichte zu bestimmen. In Italien entstand diese diskursive Entwicklung um die Mitte des 19. Jahrhunderts zusammen mit den Schriften Paolo Marzolos auch aus dem philologischen Wissen.

2. Von der zivilisierten Menschheit zur indoeuropäischen Evolution Marzolos abwertende Beurteilung der Literatur als durch scienza nur unzureichend erfassbarem Forschungsgegenstand blieb jedoch eine pessimistische Ausnahme innerhalb der Philologie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Neben einer rein sprachwissenschaftlichen Grundlage der Literaturforschung wurden auch textbezogene ‚naturwissenschaftliche‘ Erklärungsansätze zur Epistemologisierung und Formalisierung einer Literaturwissenschaft hinzugezogen. Der bereits erwähnte, auf die neuromanischen Sprachen spezialisierte Sprach- und Literaturwissenschaftler Ugo Canello sollte sich neben einer Auseinandersetzung mit Taines ‚philologischem Positivismus‘ auch für die Übertragung evolutionstheoretischer Argumente und Paradigmen bei der Erforschung literarischer Texte stark machen. So vertrat er seine Überlegungen zu einem literaturwissenschaftlich ‚fruchtbaren‘ Darwinismus im Jahr 1882 anlässlich zweier Vorlesungen an der Universität Padua, die später unter dem Titel Letteratura e Darwinismo veröffentlicht wurden.782 Canello betrachtete darin das Phänomen Literatur im Spannungsfeld zwischen Kunst und Leben, wobei er weniger den gegenseitigen Einfluss dieser beiden Bereiche, als vielmehr die Dynamik gesellschaftlicher Evolution als ihr gemeinsames Funktionsprinzip hervorhob. Dabei kam der Literatur eine demokratisierende Rolle zu, indem sie als Verbreiterin von „Ideen und Idealen“ („gl’ideali e le idee“) das exklusive Wissen „der Besten“ („dei migliori“) auf die breite Masse übertrage und somit zur Beschleunigung einer evolutiven Entwicklung durch „Verbesserung der Nationen und Staaten“ („migliorano le nazioni e gli stati“) beitrage, um diesen im Prozess der „natürlichen Auslese“ („scelta naturale“) zu einer günstigeren Position zu verhelfen. Eine entwickelte literarische Landschaft sei also ein Evolutionsvorteil: Per la scelta naturale si migliorano le nazioni e gli stati; per la scelta sessuale si va migliorando la costituzione della famiglia e quindi la qualità dei nascituri. La 782

Vgl. Canello 1882. Canello wurde dort im November des Jahres zum Ordinarius für die Storia delle letterature neolatine ernannt. Vgl. De Mauro 1975.

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letteratura e le belle arti rispecchiano gl’ideali e le idee dei migliori rispetto a questi due fondamentali problemi della vita umana; e questi ideali e queste idee propongono nettamente rappresentati alla folla che non ha tempo né attitudine a osservare o a meditare.783

Canellos sozialdarwinistische Übertragung evolutionstheoretischer Mechanismen auf die Beschäftigung mit Literatur war in ihrer demokratisch ‚volkspädagogischen‘ Zielsetzung keineswegs beispielhaft, wie in diesem Kapitel gezeigt werden soll. Dennoch wird an diesem kleinen Beispiel eine allgemeine Tendenz innerhalb der italienischen Philologie deutlich, die besonders die letzten beiden Dekaden des Ottocento prägte: Während dieser Zeit erfuhren Literaturwissenschaft und Literaturkritik zahlreiche Versuche einer darwinistischen Interpretation und Modellierung ihrer Terminologie und Methodik. Neben Ugo Canellos Vorlesungen zum Darwinismus wäre ein weiteres Beispiel dafür der Artikel „Über die historisch-evolutive Methode in der Literaturkritik“ („Del metodo storico-evolutivo nella critica letteraria“) des aus Apulien stammenden und durch seine Freundschaft zu Giovanni Pascoli bekannten Giuseppe Checchia.784 Selbst der positivistischen und deterministischen Axiomen und Paradigmen kritisch gegenüberstehende Francesco De Sanctis äußerte sich schließlich zur überall spürbaren diskursiven Dominanz des Darwinismus und kam zu dem Schluss: Se Darwin fosse stato solo un naturalista, la sua influenza sarebbe rimasta in quella cerchia speciale di studii. Ma Darwin non fu solo lo storico, fu il filosofo della natura; e dai fatti e dalle leggi naturali cavò tutta una teoria intorno ai problemi più importanti della nostra esistenza, ai quali l’umanità non può rimanere indifferente. E, per questo rispetto, Darwin fu e sarà pel suo quarto d’ora una forza dirigente, la cui presenza si sente in tutti gl’indirizzi. [...] Come innanzi a lui Hegel, il suo nome fu bandiera di tutte le dottrine affini che sorsero poi, positivismo, realismo, materialismo. Tutto questo complesso d’idee oggi è chiamato il Darwinismo.785

De Sanctis war sich also der diskursiven Macht von Darwins Theorie bewusst. Ihm war klar, dass es sich dabei nicht um dessen Theorie selbst handeln musste, die das Wissen über Kunst und Leben beeinflusste. De Sanctis verstand den Darwinismus vielmehr als eine veränderte transdisziplinäre Epistemologie, die eine neue Art zu wissen schuf. Er lag damit nicht völlig falsch. Der Enthusiasmus für die Kohärenz einer wirkmächtigen naturhistorischen Theorie sollte nämlich nicht über deren opportunistische Anwendung im Konflikt der Diskurse hinwegtäuschen. Bei vielen wissenschaftlichen Thesen und Theoremen, die sich auf ein neues Verständnis sprachlicher und texthistorischer Entwicklung im Zeichen des Darwinismus beriefen, handelte es sich meist um episte783 784

785

Canello 1882: 39-40. Vgl. Checchia 1887. In ihm entwickelte dieser weniger bekannte Philologe Gaetano Trezzas weiter unten beschriebene darwinistische Konzeption der Literaturwissenschaft weiter im Sinne des ‚eigentlichen‘ Darwinismus. Vgl. Blazina 1995: 23. De Sanctis 1898 [1883]: 138.

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mische ‚Frontmarkierungen‘ gegen ein metaphysisches Wissenschaftsverständnis, oder um mit Giuliano Pancaldi zu sprechen, um ein Fanal für den grassierenden „säkularisierenden Geist“ („secularizing spirit“) in Italien.786 Die Frage nach der Übertragung evolutionstheoretischer Ansätze auf die Philologie muss daher aufgrund unterschiedlicher epistemischer Grundierungen jenes adaptierten ‚Darwinismus‘ von Fall zu Fall unterschieden werden. Es handelt sich bei dieser epistemischen Dynamik schließlich um das Eigenleben eines Begriffs, der ein verändertes Denken über den Menschen mit sich brachte: Io non ho intenzione di esporvi la sua dottrina [Darwins, ML]. Me ne manca la competenza e l’autorità. Non sono così dotto, che io possa combatterla o accettarla: io la veggo [sic] passare, come uno dei grandi fenomeni della intelligenza umana. Ma ciò che è più importante in una dottrina, è la sua influenza sulla vita. Ci sono uomini che possono ignorare i libri, ed anche il nome di Darwin, ma, loro malgrado, vivono nell’ambiente della dottrina, sentono i suoi influssi.787

Den Einfluss der darwinschen Theorie als Formation eines Machtdiskurses, der das philologische Wissen zu vereinnahmen suchte, sah De Sanctis eher kritisch, wenn er den damit einhergehenden Determinismus beschrieb, der blind mache gegenüber jeglicher Eigengesetzlichkeit eines literarischen Kunstwerks. Dieser Determinismus deklariere ein Paradigma des Notwendigen zum alleinigen Erklärungsansatz. Jeder Text sei auf einmal „Wirkung seines Ursprungs“ („effetto della sua origine“), eine evolutive Notwendigkeit. Jedes besondere Element des Stils, jede Figurenkonstellation innerhalb eines literarischen Kunstwerks werde nun allein durch ihre Notwendigkeit als fiktiver Ausdruck von Abhängigkeit und Beherrschung, von Wirkung und Ursache erfasst. Das freie Spiel dichterischer Phantasie als Reflexion des Möglichen, wie es sich an komplexen Figuren wie Faust oder Othello verkörpere, verlöre an Interesse. Die Mechanismen des Realen, das von ihrem Streben nach Macht motivierte Handeln eines Mephisto oder eines Jago, würden zum eigentlichen Zentrum des Forschungsinteresses. Arte werde in jener mechanischen Auffassung von Literatur, die mit dem ‚philologischen Darwinismus‘ einhergehe, zu Sublimierungsarbeit des menschlichen Körpers und seines Gehirns degradiert: E poiché l’organismo non è un fatto accidentale e volontario, ma è l’effetto della sua origine e del suo ambiente, in noi si è sviluppato il senso del necessario, del fatale. Non ci piacciono più gli accidenti, gl’intrighi, le combinazioni artificiali, le fantasie. Vogliamo vedere la vita nella necessità della sua generazione, della sua evoluzione. [...] I nostri protagonisti non sono più Fausto ed Otello, ma Me786

787

Vgl. Pancaldi 1991: 168. Vor allem in der Rivista di filosofia scientifica, die in Turin zwischen 1880 und 1891 von Enrico Morselli herausgegeben wurde, finden sich zahlreiche Ansätze diverser Autoren aus den unterschiedlichsten, wissenschaftlichen Disziplinen, die in Form zahlreicher ‚Darwinismen‘ die Vereinbarkeit der darwinschen Lehre mit Geographie, Biologie, Embryologie, Geschichtswissenschaft, Ideengeschichte, Rechtswissenschaft und eben auch Literaturkritik mehr oder weniger erfolgreich angedacht und epistemisch gerechtfertigt haben. Vgl. Landucci 1977: 12-13. De Sanctis 1898 [1883]: 139.

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fistofele e Jago, perché vediamo in questi la forza volente e dirigente che muove quelli. [...] L’arte, concepita a questo modo, fa opera sedativa, ed attenua i fumi del cervello e i patemi del cuore, le nostre illusioni e le nostre passioni.788

Diese neue Auffassung einer Wissenschaft, die allein dem Realen, und einer Kunst, die allein ‚nervlichen‘ Schwankungen als natürlichem Ausdruck des Menschen folge, stellte für De Sanctis geradezu eine Gegenbewegung zu Hegels Philosophie dar und verbannte seiner Meinung nach den Menschen aus dem Reich des Absoluten in die Gesetzmäßigkeiten der Natur. Während Hegel die Natur im Wissen des Menschen in eine Dialektik des Geistes integriert habe, sei sie zu einer Entität geworden, die nicht mehr allein als Determinante wirke, sondern selbst in einer Spannung des Subjekts aufgehe. Der Mensch war unter diesem Gesichtspunkt der Natur nicht mehr ausgeliefert. Darwins Evolutionstheorie habe dieser Theorie gegenüber durchaus demokratisierend gewirkt, indem sie die Unterschiede des Menschen in seinem Ausgeliefertsein an die Natur einebnete. Doch wurde dieser in seiner Tierhaftigkeit auch zu ihrem ‚Spielball‘: Hegel, per combattere lo scetticismo, edificò la filosofia dell’assoluto, e per provare che quello che la natura fa e quello che l’uomo sa, è uno, pose un po’ dell’uomo nella natura, umanizzò la natura. Darwin, volendo provare la discendenza dell’uomo dalle specie inferiori, per necessità di tesi era tirato ad esagerare le somiglianze e ad attenuare le differenze. Così può dire come conclusione del libro: l’uomo porta nella sua impalcatura la confessione della sua animalità.789

Diese Gegenüberstellung zweier Epistemologien durch einen späten philologischen Rezipienten des Darwinismus ist in gewisser Weise nachträglich hellsichtig und brachte eine zentrale Dynamik innerhalb der Philologie auf den Punkt, die bereits viel früher die Entwicklung der Philologie in Italien zu beeinflussen begonnen hatte und die für die Frage nach wissenschaftlich unterstütztem Rassedenken von entscheidender Bedeutung ist. Wie jene von De Sanctis festgestellte ‚demokratisierende Bestialisierung‘ des Menschen bereits andeutete, kann die Frage nach rassenlogischen und rassistischen Entwicklungen aufgrund darwinistischer Argumentation keineswegs aus dessen anthropologischer Perspektivierung der Humangeschichte in Form einer Poly- oder Monogenese entschieden werden. Darwins naturhistorisches Modell begünstigte durch eine demokratische Naturalisierung des Menschen die Argumentation der Monogenetiker und war somit auch Vertretern einer naturhistorischen Rassenlehre eher hinderlich.790 Auch sollte das Element des 788 789 790

Ebd.: 145. Ebd.: 146-147. Darwin selbst verwendete in The Origin of Species und auch in The Descent of Man zwar in eurozentrischer Intention den Rassebegriff und unterschied zwischen cultural gegenüber biological races, wobei er erstere in mehr oder weniger ‚zivilisierte Rassen‘ unterteilte. Jedoch lehnte er eine biologisch begründete Übertragbarkeit des Rassebegriffs vom Tier auf den Menschen und dessen Sprachen ab. Vgl. Darwin 1871: 59, 231-232. Erst die folgenreiche Sozialisierung des biologischen Prinzips struggle for life als existenziellem und intentionalem

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Zufalls, das den naturhistorischen Darwinismus auszeichnete, demokratisierend auf Veränderungen und Abweichungen wirken, da allein deren Spiel – durch Selektion – den ‚Fortschritt‘ der Naturgeschichte ermöglichte. Daher soll mit Sebastiano Timpanaro noch einmal betont werden, dass Darwinismus und ein unter Anthropologen und Philologen im späten 19. Jahrhundert sich ausbreitendes Rassedenken keinesfalls in eins gesetzt werden dürfen, auch wenn es schwierig werden dürfte zu bestreiten, dass jedes sozialdarwinistische Denken immer auch zu hierarchisierenden Folgerungen in Bezug auf menschliche Kollektive tendierte, allerdings per se – allein schon rein methodologisch – nichts mit Darwins ursprünglicher Theorie der Naturgeschichte zu tun hatte: Oggi si tende troppo spesso a presentare il razzismo e il colonialismo del secolo scorso come non solo intimamente legati, ma derivati senz’altro dal ‚darwinismo sociale‘. È una visione errata: non solo il razzismo e il colonialismo, come è ovvio, sono di molto preesistenti al sorgere della teoria di Darwin, ma in un primo tempo tale teoria esercitò un influsso tendenzialmente antirazzista, contro quei biologi, antropologi, linguisti sostenitori del colonialismo e del razzismo che, lo abbiamo visto, erano tutti antievoluzionisti. Soltanto in un secondo tempo si riformò un razzismo (e una teoria della necessaria diseguaglianza sociale) su basi pseudodarwiniane.791

Die historische Dynamisierung der darwinschen Evolutionslehre gegenüber naturhistorischem Fixismus wirkte zweifellos abmildernd auf allzu statische, typologische Modelle, die auch den Menschen umfassten. Und dennoch konnten unter jener Entwicklung eines ‚Pseudodarwinismus‘ auch in der Philologie rassenlogische und rassistische Positionen vertreten werden. Diese wurde durch eine paradoxe, epistemische Verquickung von darwinschem Selektionsmechanismus und Hegels historischer Dialektik ermöglicht. In der Philosophie hatte bereits Bertrando Spaventa eine derartige Verbindung angedacht, indem er in der hegelschen Metaphysik ein geschichtsteleologisches Korrektiv des Darwinismus erblickte, das im Gegensatz zu letzterem auch die Variationen der Organismen selbst und nicht nur deren

791

‚Kampf‘ aller Lebewesen gegen andere Lebewesen sowie die Anthropologisierung des Begriffes vor dem Hintergrund der Geschichte waren epistemische Faktoren, welche den Darwinismus im Sinne eines universalgeschichtlichen Bewegungsprinzips der Völker und Menschenrassen interpretierbar machte. Vgl. Conze 1978: 163-168, Geulen 2007: 64-68. Vgl. beispielsweise auch Spencer 1852: 34, wo Irland als Beispiel eines bei der natürlichen Auslese der Evolution aufgrund mangelnder ‚mentaler Aktivität‘ unterlegenen Volkes benannt wurde. Auch im intranationalen Zusammenhang wurde der Kampfbegriff für Konflikte verschiedener sozialer Gruppen fruchtbar gemacht. Eine der ersten wissenschaftlichen Untersuchungen zu soziologischen Gegenständen trug im Titel den Begriff ‚Rassenkampf‘. Vgl. Gumplowicz 1883. Sie behandelte die immer drängender werdende Soziale Frage als Klassenkampf im Kontext des Rassebegriffs. Zu dieser ‚Sozialisierung‘ des Rassedenkens vgl. Geulen 2007: 73. Eine erste Verwendung des darwinschen Selektionsmechanismus für eugenische Spekulationen findet sich bei Darwins Cousin, dem Naturforscher Francis Galton. Vgl. Galton 1865 u. 1869. Zum Zusammenhang zwischen Evolutionslehre, Rassedenken und Sozialdarwinismus bei Gustave Le Bon vgl. Taguieff 1998b: Kap. 2. Timpanaro 1979: 480.

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Wechselwirkungen mit der Umwelt zu erklären im Stande sei.792 Auch lag es an der metaphorischen ‚Neutralität‘ der darwinschen Terminologie, dass sie in der italienischen Rezeption so leicht zu einem diskursiven Anker für andere epistemische Perspektiven und Versatzstücke wissenschaftlicher Theorien werden konnte, die eine hierarchisierende Aufteilung des Menschen nach verschiedenen evolutiven Möglichkeiten, je nach seiner Rassezugehörigkeit, mit sich brachten.793 Das philologische Wissen blieb hiervon nicht unberührt. Eine intensive Rezeption der darwinschen Evolutionstheorie in Italien machte sich jedoch nicht erst gegen Ende des Jahrhunderts bemerkbar. Ein gesteigertes Interesse für die wissenschaftliche ‚Neuheit‘ darwinistischer Epistemologie verbreitete sich in Italien nach einem skandalträchtigen Einführungsvortrag zum Thema Darwinismus mit dem Titel „Der Mensch und die Affen“ („L’uomo e le scimmie“), gehalten 1864 vom Arzt, Zoologen und Forschungsreisenden Filippo De Filippi an der Universität Turin.794 Aber auch die ebenfalls 1864 veröffentlichte Übersetzung von Darwins Hauptwerk durch den Zoologen Giovanni Canestrini – und nicht zuletzt Neruccis und Comparettis bereits diskutierte Rezeption des Darwin-Antagonisten Max Müller – machten die Theorien des englischen Naturforschers in Kreisen italienischer Wissenschaftler bekannt.795 Im Kontext philologischer Fragestellungen wurden die vielfältigen Zusammenhänge zwischen den ‚Darwinismen‘ innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses in Italien bereits mehrfach untersucht.796 Es soll daher an dieser Stelle vor allem nach den essenzialisierenden und hierarchisierenden Aussagen gefragt werden, wie sie unter dem Begriff der darwinschen Evolutionslehre die Philologie durchzogen.797 Bernardino Biondellis

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Vgl. Lucchini 2008: 54-57. Vgl. Pancaldi 1991: 168. Vgl. De Filippi 1864. Zu dem großen Einfluss jener Vorlesung auf die Darwinismus-Debatte, welche ab diesem Zeitpunkt bereits weit über die naturhistorischen Disziplinen hinausging vgl. Pancaldi 1991: 89 ff. Zu dieser ‚Nebenwirkung‘ einer indirekten Darwinrezeption aus der Philologie vgl. Dionisotti 1998: 318. Zu Giovanni Canestrini und dessen italienischer Übersetzung von Darwins On the Origin of Species unter dem Titel Origine delle specie im Jahr 1864 vgl. Minelli/Casellato 2001. Vgl. Blazina 1998, Lucchini 2008, Timpanaro 1979. Zur keineswegs allein säkularen Rezeption von Darwinismus und anderen Evolutionstheorien wie dem Transformismus in Italien vgl. Pancaldi 1991: 104. Auch in den Naturwissenschaften wies der Darwinismus eine Tendenz zu einer Differenzierung des Menschen nach rassischen Gesichtspunkten und einer damit verwobenen Frage nach dem Fortschritt des Menschen durch biologische Perfektionierung auf, wie Giovanni Landucci am Beispiel des Mediziners, Neurologen und Anthropologen Paolo Mantegazza dargelegt hat. Vgl. Landucci 1977: 129-156. Letzterer war weit davon entfernt, die Geschichte rassenlogisch umzudeuten, aber dennoch erschien durch Mantegazzas Biologisierung des Menschen eine vitalistische und auch eugenische Dimension im historischen Denken, welche dem in Italien vorherrschenden Historismus fremd war: „Da una parte, quindi, Mantegazza sosteneva che la razza non è tutto (contro coloro che legavano la storia alla razza); ma d’altra parte egli proponeva una classificazione secondo il livello di intelligenza che era a sua volta ‘sintesi di

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Anatomie der Sprachen und sein Indoeurozentrismus fanden in der zweiten Hälfte des Ottocento in der Literaturwissenschaft eine evolutionstheoretische Fortsetzung, welche jedoch unter vollkommen neuen epistemischen Prämissen erfolgte, die weniger einen sprachtypologischen, als vielmehr einen geschichtsteleologischen Indoeurozentrimus sprachgeschichtlicher und literarischer Epochen in den Mittelpunkt einer philologischen Rassenlogik stellten. Das arisch-semitische Paar bot dabei den perfekten Anknüpfungspunkt einer ‚(pseudo-)darwinistischen Geschichtsdialektik‘ sprachlicher und literarischer Phänomene auf Grundlage rassenlogischer Axiomatik.

2.1. Zwischen literarischer Evolution und Metaphysik der Sprache Der Darwinismus in Italien war in den historischen Kontext der Debatten um das erste Vatikanische Konzil und jene berühmte Enzyklika Quanta Cura, eingebunden, die Papst Pius IX. zusammen mit dem angehängten Verzeichnis der Irrtümer (Syllabus Errorum) 1864 veröffentlicht hatte, auch wenn im Verzeichnis Darwins Lehre nicht indiziert wurde.798 Dieser historische Hintergrund verstärkte jedoch deren erwähnte Funktionalisierung als Instrument zur Propagierung eines säkularen Wissenschaftsverständnisses im Dienste des italienischen Nationalstaats.799 So nahm die Theorie des Engländers auch innerhalb der Philologie eine prominente Stellung ein, wenn es um deren Etablierung als einer den Naturwissenschaften ‚ebenbürtigen‘ Disziplin ging, die sich von vatikanischer Dogmatik befreit hatte. Diese Funktion des Darwinismus haben Sebastiano Timpanaro und Giovanni Landucci anhand der Debatten zwischen Philologen katholischer Prägung und Vertretern einer dogmakriti-

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energie vitali’ ed era legata a ‘differenze materiali, istologiche dei tessuti cerebrali’: un modo, questo per far dipendere di nuovo la storia dalla biologia.“ Ebd. 1977: 148. Diese politisch wie epistemisch konfliktreiche und komplexe Situation zwischen den Antipoden Wissenschaft und Dogma, Nationalismus und Respekt vor der weltlichen Macht des Papstes im Kirchenstaat wurde bereits in ihrem Einfluss auf die Philologie Gaetano Trezzas geschildert. Zu ihrer Wirkung auf die Argumentation gegen Transformismus und Darwinismus vgl. Pancaldi 1991: 73 ff., 165 ff. In seiner Einführung zu Darwinismo a Firenze beschreibt Giovanni Landucci diese Funktion des Darwinismus als zentraler Theorie eines bisweilen oberflächlichen Positivismus, da Darwins Lehre sowohl für Anhänger des Idealismus als auch für moderate Positivisten ein moralisch akzeptables Wissenschaftsmodell darstellte: „Dopo il 1870 quasi tutti i positivisti erano anche darwiniani. Ma, come nel decennio precedente si cercava di mettere d’accordo Darwin con Hegel o con Schelling, ora lo si confondeva con Spencer. Sia che i cultori della scienza si convertissero al positivismo partendo da una sommaria informazione scientifica, sia che provenissero da una formazione idealistica, sia che partissero dalle file della stessa gerarchia ecclesiastica vivendo personalmente la crisi di una istituzione incapace di comprendere gli aspetti più significativi della moderna cultura e delle moderne trasformazioni, quasi tutti si attennero ad un programma di diffusione e di umanizzazione della scienza e quasi tutti si attendevano da essa la fondazione e la giustificazione di una nuova moralità.“ Landucci 1977: 12. Zum Darwinismus als einem Instrument politischer Propaganda für ein säkulares Italien vgl. ebd.: 105.

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schen Philologie innerhalb einer Reihe von Zeitschriften wie Lambruschinis La Gioventù, De Gubernatis‘ La Civiltà Italiana und der Rivista Italiana di Scienze Lettere ed Arti herausgestellt.800 Wie auch die indoeuropäische Genealogie der arischen Ursprungserzählung ging der darwinsche Selektionsmechanismus mit einer ‚alternativen‘ Geschichtsauffassung einher, die mit biblischen Narrativen schwer vereinbar war. Diese Unvereinbarkeit leitete sich aus der Epistemologie der darwinschen Theorie selbst ab. Sie stellte nämlich nicht nur das Paradigma einer Intentionalität der Schöpfung in Frage, sondern erklärte auch die persona des Menschen – in erster Linie körperlich, aber auch geistig – zu einer Emanation der Natur, die durch eine zufällige Regelhaftigkeit natürlicher Auswahl gestaltet worden war. Es ist insofern wenig erstaunlich, dass gerade in Italien beide Modelle – das arische Paradigma und die darwinistische Evolutionslehre – innerhalb der Philologie zu einer Synthese als geschichtsteleologische Auffassung hegelianischer Prägung fanden. Diese epistemische Verquickung wird in antiklerikalem Tonfall und Argumentationsstruktur eines bekannten Aufsatzes von Giacomo Lignana, Professor für filologia comparata an der Universität Neapel, deutlich. So vertrat Lignana in seinem Text Le trasformazioni delle specie e le tre epoche delle lingue e letterature europee aus dem Jahr 1871 das Paradigma eines „Kampfes“ („lotta“) der Literaturen und Sprachen in Form hegelianischer Dialektik zugunsten des indoeuropäischen Prinzips. Lignana, an sich ein Kritiker Hegels, fand durch das aposteriorische Geschichtsdenken des deutschen Pädagogen Herbart einen Weg, Idealismus mit positivistischen Ansätzen zu verbinden.801 Die in seinem Text vertretene Epistemologie gewann ihren rassenlogischen Charakter auch durch Lignanas Parallelsetzung einer polygenetischen Entwicklung menschlicher Kognition aus verschiedenen ‚Sprachzellen‘ mit naturgeschichtlichem Wissen. Die Zelllehre des deutschen Biologen Carl Vogt wurde mittels metaphorische Terminologie der ‚Urzelle‘ und ‚Keimzelle‘ mit philologischem Wissen analogisiert, ohne dass Lignana seine ganzheitliche Philologie der Sprachen und genealogischen Textforschungen, die nicht in linguistica und filologia getrennt war, als Naturwissenschaft verstanden wissen wollte. Dies unterschied ihn von seinem deutschen Kollegen August Schleicher, der die methodischen Grundlagen und Schlüsse aus seinem ‚Sprachdarwinismus‘ bewusst in den Diskurs eines naturwissenschaftlichen

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Zu dieser philologischen Debatte im ‚quindicennale fiorentino‘ und dem mehr oder weniger moderaten, aber stets politischen Charakter der oben genannten Zeitschriften vgl. ebd. 55-78. Vgl. Lignana 1871a. Zu diesem Text vgl. die grundlegende Studie von Sebastiano Timpanaro 1979. Die rassenlogischen und rassistischen Implikationen dieses Textes habe ich bereits an anderer Stelle ausführlicher dargestellt. Vgl. Lenz 2013a: 332-337. Lignana fand in Herbarts Philosophie einen dritten Weg zwischen Hegels Apriorismus und reinem Empirismus. So erschließt sich beispielsweise nach Herbarts Theorie der ‚Volksgeist‘ lediglich indirekt aus individuellen Fakten und kann nicht unmittelbar-empirisch erfasst werden. Er besitzt somit abstrakten, jedoch nicht ontologischen Charakter. Vgl. Allesch 2001: 55.

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Wissens über den Menschen rückte.802 Lignanas Text war jedoch das Resultat seiner bereits länger währenden Beschäftigung mit dem deutschen Idealismus und wurde durch frühere Schriften vorbereitet. In ihnen fand sich bereits das Paradigma einer historisch nachweisbaren Überlegenheit der Indoeuropäer, ohne dass es dabei bereits in einen explizit evolutionstheoretischen oder naturhistorischen Zusammenhang gestellt wurde. Nicht erst unter Zuhilfenahme naturwissenschaftlicher Theorien unter dem Deckmantel des Darwinismus zeichnete sich bei Lignana also jene Differenzierung der Menschheit im arisch-semitischen Antagonismus unter rassenlogischen Gesichtspunkten ab, sondern gelangte auch hier direkt aus dem philosophischen in einen philologischen und schließlich anthropologischen Diskurs. Giacomo Lignana, der wie Angelo De Gubernatis in Deutschland studiert hatte, befasste sich bereits früh mit den Ideen des Idealismus sowie den philologischen Konzepten Wilhelm von Humboldts. Mit dem indischen Altertum und der Sanskritsprache setzte er sich unter seinem Bonner Professor Christian Lassen auseinander. Zurückgekehrt nach Italien, kam Lignana während seiner Zeit in Turin mit der Philosophie und der Person Bertrando Spaventas in Kontakt und vertiefte in diesem Zusammenhang auch seine Auseinandersetzung mit dem absoluten Idealismus und den Ideen der Völkerpsychologie bevor er nach einem Lehrauftrag in Bologna schließlich auf seinen Neapolitaner Lehr-

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Diese Verbindung lässt sich auch anhand der Konstruktion von Schleichers ‚Sprachorganismen‘ nachvollziehen, nachdem der Philologe mit Darwins Lehren vor allem durch den Biologen Ernst Haeckel in Berührung kam. Vgl. Schleicher 1863 u. 1865. Schleicher hierarchisierte diese Sprachlebewesen und ordnete sie vor dem epistemischen Hintergrund einer Naturgeschichte an, indem er eine teleologische Entwicklung der Sprachen anhand seiner berühmten ‚darwinistischen‘ Stammbäume darzustellen suchte. Vgl. Schleicher 1865: 18-19 sowie Messling 2013b. Markus Messling fasst Schleichers bewusste Biologisierung der Philologie, hinter der sich letztlich hegelianisch gefärbter Eurozentrismus verbarg, folgendermaßen zusammen: „Pourtant le naturalisme linguistique de Schleicher n’a pas simplement perpétué ou transformé une pensée européenne du schisme et de la hiérarchie. Il n’a pas non plus simplement doté cette pensée d’un fondement biologique et donc irrémédiablement déterministe. Il a plutôt mené le racialisme philologique vers une nouvelle forme de pari scientifique. Ce dernier réside non seulement dans le gain de prestige par la méthode pseudo-positiviste, mais aussi, et avant tout, dans l’idée métathéorique que l’essor des langues flexionnelles causé par une structure organique et la localisation culturelle et scientifique dans l’histoire qui lui est corollaire ont aussi permis aux Européens d’identifier le mécanisme régulier du mouvement évolutionniste qui leur a permis d’accéder à ce résultat . Ce n’est pas une pensée évolutionniste au sens de Darwin, mais, par le geste d’une conscience venue à soi-même, un eurocentrisme hégélien. La pensée linguistique de Schleicher est la manifestation d’un naturalisme fortement idéologique, qui cherche à expliquer l’essor de l’Europe tout en légitimant sa prétention au pouvoir comme naturelle, et qui ne se comprend qu’au sens d’une ‘dialectique des Lumières’.“ Messling 2013b: 11. Zum komplexen Zusammenhang von Hegelianismus und Darwinismus in Schleichers philologischen Theorien, der seine Stammbäume eher in einer hegelianischen Epistemologie verortet sowie zu seiner Rezeption aufklärerischer Evolutionstheorien und der Sprachtypologie Friedrich Schlegels vgl. auch Messling 2013a: 65-66 sowie Tort 1979 u. 1980.

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stuhl berufen wurde.803 Sein Konzept eines rein philologischen Geschichtsverständnisses hatte Lignana bereits in seiner 1865 gehaltenen Vorlesung „Anwendung des philologischen Kriteriums auf das historische Problem der Philosophie“ („Applicazione del criterio filologico al problema storico della filosofia“)804 angedacht. Ein Jahr später, anlässlich des fünfzigsten Jubiläums von Franz Bopps Conjugationssystem, sollte Lignana in seiner Eloge auf den deutschen Philologen mit dem Titel „Della grammatica comparata di Bopp“805 seine idealistische Auffassung der Philologie noch einmal bekräftigen. In diesen Schriften machte Lignana die Sprache („lingua“) zum Zentrum jeglicher Geschichtsschreibung, ohne welche ja kein Denken, das heißt auch keine Begriffe wie Mensch, Völker, Rassen, ja die Geschichte selbst, möglich wären: Ora qual è questo punto, oltre cui non è più possibile risalire nell’analisi storica, e che contiene la ragione sufficiente di tutto il processo? Non può essere altro, che la lingua. Al di là della lingua non vi ha l‘uomo, le razze, i popoli, non vi ha storia.806

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Zur intellektuellen und persönlichen Biographie Lignanas vgl. Dovetto 1991b u. Dies. 2001. Die Annahme geistiger Unterschiede der Völker bei Lignana orientierte sich jedoch eher an einer hierarchischen Fixierung philologischer Differenz, denn an der Völkerpsychologie, wie sie Steinthal und Lazarus entwickelten. Heymann Steinthals und Moritz Lazarus‘ ametapyhsische Konzeption des Volksgeistes beruhte zwar sowohl auf physischer (Abstammung) als auch psychologisch-sozialer Grundlage (Zusammenleben), zielte dabei jedoch keineswegs auf eine erneut metaphysisch begründete Hierarchisierung durch Sprache, wie sie schließlich von Lignana vertreten wurde. Den Zusammenhang von Volksgeist mit Sprache und Literatur eines Volkes beschrieb Steinthal so: „Jedes Volk nun bildet eine abgeschlossene Einheit, eine individuelle Darstellung des menschlichen Wesens; und alle Individuen desselben Volkes tragen das Gepräge dieser individuellen Natur des Volkes an ihrem Leibe und an ihrer Seele. [...] Die Einwirkungen der körperlichen Einflüsse auf die Seele verursacht gewisse Neigungen, Richtungen, Anlagen, Eigenschaften des Geistes, und zwar bei allen Individuen in gleicher Weise, weswegen sie alle denselben Volksgeist haben. Dieser Volksgeist thut sich kund zunächst in der Sprache, dann in Sitten und Gewohnheiten, Institutionen und Thaten, Ueberlieferungen und Gesängen: dies sind die Erzeugnisse des Volksgeistes.“ Steinthal 1855: 390391. Zu einer ausführlichen Darstellung von Linguistik und Psychologie Heymann Steinthals vgl. Trautmann-Waller 2006. Zum Begriff Völkerpsychologie vgl. Lazarus 1851. Die philosophische und psychologische Ausarbeitung und Definition des Volksgeist-Begriffes bei Lazarus vgl. ders. 1865: 224 ff. Zum Volksgeistdenken, wie es sich aus der hegelschen Philosophie entwickelte vgl. Mährlein 2000: 63-106 sowie Großmann 2000. Vgl. Lignana 1871b. Vgl. Lignana 1866 über Bopp 1816. Lignana 1871b: 166. In Humboldts Sprachphilosophie sah Lignana die Möglichkeit einer Philologisierung der Geschichte ohne auf das hegelianische Geistmodell zurückgreifen zu müssen und Sprache als Form und Aktivität des menschlichen Geistes zu begreifen. Vgl. Dovetto 1993: 7. So erfasste Lignana das Wort („parola“) als in seiner materiellen und artikulierten Gestalt empirisches ‚Faktum‘ der Philologie und im humboldtschen Sinne zugleich als Form des Denkens. Wenn ansonsten auch fehlerhaft in der Beschreibung der Wirklichkeit, könne hier allein die Epistemologie des Idealismus Klarheit über den Charakter der Sprache bringen: „Il Kantismo che è falso quando si applica al sistema della cognizione, è la teorica rigorosamente esatta dalla parola. Il dato empirico, che si presentava alla percezione sensibile come unità indissolubile, fu distinto ed isolato in tanti momenti, e qualità, la cui elezione non fu determinata che dall’arbitrio della soggettività etnica costitutrice della parola. Il contenuto

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Für Lignana galt dabei, dass das Wort nicht aus sich heraus, sondern erst in seinem formalen Charakter als Sprachsystem Bedeutung erlange. Je nach Funktionsweise lasse sich letzteres in unterschiedliche Typen einteilen. Nach diesen Typen könnten schließlich die Sprachen der Völker ihrer Eignung als gleichzeitigem Ausdruck von Form und bedeutendem Zeichen nachkommen.807 Vergleich und Hierarchisierung benötigen also wieder einmal die Grundlage philologischer Typologie. Das Kriterium für den Wert dieser Typologien war für Lignana nun wiederum ein metaphysisches, indem er ihnen unterschiedliche ‚Energielevel‘ zugestand: La parola per effettuare rigorosamente il suo concetto dev’essere materia e forma, cioè significazione dei due elementi nell’articolazione. Con questo criterio, che è il risultato dell’analisi del concetto della parola, debbono essere sperimentate le lingue del genere umano per poter giudicare della loro capacità, e connessione relativa colle altre forme e funzioni che si vogliano dire storiche di una civiltà. Il nostro problema si risolve adunque in questo, provare che la costituzione dell’idea come materia e forma nella parola indogermanica è succeduta con una energia assolutamente superiore a quella di tutte le altre lingue.808

Letztlich zielte Lignana darauf ab, Philosophie – und Geschichte überhaupt – zu einem exklusiven Charakteristikum der indoeuropäischen Sprachen und ihrer ‚logischen Energie‘ zu machen. Allerdings seien auch die anderen flektierenden Sprachen – das Altägyptische und Semitische – auf einer inferioren Ebene noch Zeichen für die ‚Geschichtsfähigkeit‘ der sie sprechenden Nationen gewesen. Hier ließ Lignana seine streng philologisch gemeinten, sprachmetaphysischen Differenzen nun doch anthropologisch relevant werden: Le lingue flessive sono questa potenza nel mondo, cioè quelle dell’Egitto, del Semitismo, e dei popoli indo-germanici. Qui deve essere cercata a mio avviso la ragione, per cui i popoli che le parlano, in opposizione a tutti gli altri, sono quelli che meritano essere chiamati popoli veramente storici. La storia incomincia dall’Egitto, perché la parola egizia è questo primo conato di fissare l’idea come materia, e forma nell’articolazione. Vi segue il Semitismo, e in ultimo corona, fiore dell’umanità, i popoli indogermanici.809

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della parola di un popolo non è deducibile dal concetto dello spirito, né da quello della realità. La parola è l’incalcolabile. Per questa ragione la grammatica filosofica come finora fu intesa è incapace. La rappresentazione nella parola è un atto di puro arbitrio.“ Lignana 1871b: 171172. Daher reichten weder universalgrammatische noch rein phonetische Erfassungsversuche von Sprache aus, um die wahren Unterschiede der Sprachen in ihrer Bedeutung für das Denken der Völker zu erfassen. Vielmehr müsse man die Typologie, als Unterschiede im Bau der Sprachen, hinzuziehen, um die Funktionsweise des Denkens zu erfassen. Dieser sei die eigentlich vergleichbare Form des Geistes eines Volkes: „Ora il sistema particolare di relazioni significato nella lingua di un popolo è quello che si può chiamare forma.“ Ebd.: 172. Lignana trennte Grammatik und Logik und unterscheidet damit Philologie von Philosophie, allerdings sah er im Sprachbau die Möglichkeit, der Logik mehr oder weniger ‚zuzuarbeiten‘. Vgl. ebd. 177. Ebd.: 172. Ebd.: 174.

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Allein die flektierenden Sprachen hätten sich dazu geeignet, in ihrer Materialität die Form des Geistes als Idee selbst zu bewahren. Philosophie in anderen Sprachen sei durch den Einfluss indoeuropäischer, bereits formulierter und entwickelter Gedanken ermöglicht worden. Das „verwirrte Gefühl für Form“ („sentimento confuso della forma“), welches in einer breiten Skala an Sprachen von der formenreichen „Geschwätzigkeit“ der Idiome des amerikanischen Kontinents („loquacità americana“) bis zum formenarmen „Schweigen“ des Chinesischen („silenzio cinese“) zum Ausdruck käme, sei nicht dazu geeignet, philosophische Ideen dem Geist zugänglich zu machen, oder diese gar in einer logischen Form zu entwickeln.810 Selbst Ansätze an Philosophie, wie die Lehren des Buddhismus oder der arabischen Gelehrten, seien nichts anderes als Nachahmungen jenes Denkens, das durch die indoeuropäischen Sprachen ermöglicht wurde. Auch die semitischen Sprachen können laut Lignana also keinesfalls an dieses überlegene Denken heranreichen.811 Die Dynamik der Geschichte über die Reflexion des Geistes in der idealistischen Philosophie sei allein den indoeuropäischen Sprachen vorbehalten gewesen. Diese Philosophie bilde ein absolutes Differenzkriterium „unserer Sprache“ („nostra parola“) innerhalb des philologischen Wissens: Questo risultato costituisce il criterio di separazione assoluta delle lingue indogermaniche dalle altre. Il dinamismo e l’idealismo, cioè la filosofia ci è imposta dalla natura della nostra parola.812

Dieser Indoeurozentrismus begleitete Lignanas Bopp-Verehrung.813 Ähnlich wie dies zur selben Zeit De Gubernatis beabsichtigte, versuchte Lignana hier, eine lange Geschichte ‚klassischer‘ Philologie in einen indoeuropäischen Vergleichskontext zu integrieren und andererseits eine Institutionalisierung der Philologie anhand periodischer Konstruktion ihrer epistemischen Prämissen vorzuschlagen. Demnach habe nach einer Phase der ‚Vorwissenschaftlichkeit‘ erst mit Bopp die eigentliche ‚Philologie‘ begonnen. Doch Franz Bopps wissenschaftlicher Anspruch ging für Lignana weit über die Sprachwissenschaft hinaus, denn die Philologie sei durch ihn nicht nur zur Wissenschaft geworden, sondern auch zum Indiz für den Fortschritt des menschlichen Geistes innerhalb der Geschichte durch Selbsterkenntnis im Spiegel des Wortes.814 Auch 810 811

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Vgl. ebd. Vgl. ebd.: 168. Die semitischen Sprachen würden laut Lignana nicht zwischen Nominal- und Verbalflexion unterscheiden. Dies ließe deshalb auch eine Übertragung der Kategorien Substantiv und Verb auf diese Sprachen nicht zu. Das Verbum im ‚eigentlichen‘ Sinn als in seiner Flexion vom Substantiv zu Differenzierendes sei alleiniges Merkmal der indoeuropäischen Sprachen. Vgl. ebd.: 178. Ebd. Zu Inhalt und äußerst kritischer Rezeption dieser Bopp-Interpretation Lignanas vgl. Dovetto 2001: 18 23 sowie Timpanaro 1979: 436-441. Dass Lignana Bopp derart sprachmetaphysisch interpretieren konnte, lag – wie im Falle Darwins – an einer gewissen Offenheit der boppschen Terminologie, so dass diese von einer metaphorischen Sprachcharakterisierung zur Sprachontologie uminterpretiert werden konnte. Beispielsweise war der Kommentar Bopps in seiner Vorrede zur Vergleichenden Grammatik

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sei Bopp durch die Entdeckungen phonetischer und grammatikalischer Gesetzmäßigkeiten nicht einfach das Aufdecken von Sprachverwandtschaft, sondern gar die Beschreibung des unentrinnbaren Gesetzes historischer Dynamik gelungen, das sich in Lautgesetzen manifestiere, und das die deutsche Literatur und Sprache über das grimmsche Werk als Gegenstand der Reflexion ‚entdeckt‘ habe: Bopp, prima di scoprire il nuovo mondo della Filologia, ha scoperto la bussola, la legge delle trasformazioni fonetiche. [...] Senza Bopp questo ritorno della letteratura tedesca in sé stessa, questa fase del suo rinnovamento sarebbe rimasta desiderio, ironia, romanticismo.815

Damit sei Bopp etwas gelungen, was der absolute Idealismus lediglich versprochen habe. Während Hegels gewaltiges System aufgrund seines universellen Anspruchs nichts anderes geblieben sei als die Bestätigung einer Möglichkeit zur Wissenschaft, sei Bopps vergleichende Sprachwissenschaft in ihrem Anspruch bescheidener auf die indoeuropäischen Sprachen beschränkt gewesen. Jedoch habe allein Bopps empirische Beschäftigung mit den sprachlichen Fakten zur „Entdeckung einer historischen Philosophie unserer Rasse“ („la scoperta della filosofia storica della nostra schiatta“)816 über ihre Sprache geführt, wobei mit letzterer selbstverständlich die indoeuropäische ‚Rasse‘ gemeint war. Es mag stimmen, dass sich, wie Fulvio Tessitore hervorgehoben hat, in Lignanas epistemischen Verquickungen von Idealismus, Völkerpsychologie, evolutionstheoretischen Theoremen mit historisierenden Paradigmen im Gegensatz zu den ‚reinen‘ Hegelianern auch der Versuch einer ideengeschichtlichen Synthese und pluralistischen Auffassung der menschlichen Denkkategorien auffinden lässt, welche weniger fixierend, als befreiend gegenüber einem universalgeschichtlichen Apriorismus intendiert gewesen sei.817

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über die „derbere Natur“, die den semitischen Sprachen „vom Anbeginn mitgegeben war“ und der „überaus reichhaltigen Ausstattung“ des indoeuropäischen Sprachstammes, welcher „in den meisten Richtungen von unendlich feinerer Beschaffenheit“ als der Semitische sei, lediglich auf deren morphologische Struktur bezogen. Jedoch entkam diese Aussage durch den Komparativ nicht einer Hierarchisierung, welche für kulturalistische Konnotationen offen blieb. Vgl Bopp 1833, IV-V. Auch Jacob Grimms anthropologische Charakterisierung von Völkern, „Menschenstämmen“ und ihren Sprachen anhand philologischer Methoden ließ seine Epistemologie keineswegs allein für philologische Argumente erweiterbar erscheinen. Vgl. Grimm 1853 [1848]: 1-5 über die ethnographischen Studien zu den germanischen Stämmen basierend auf Historiographie und Philologie. Zu Jacob Grimms anthropologischer Sprachgeschichtsschreibung vgl. Herrlich 1998. Lignana 1866: 10-11. Vgl. Dovetto 2001: 20. Lignana 1866: 14. Tessitore hob unter Hinweis auf die komplexe, epistemische Struktur von Lignanas BoppRezeption und Bopp-Interpretation deren, im Gegensatz zur fixierenden Wirkung des hegelianischen Apriorismus, antideterministischen Charakter hervor: „Tuttavia non va trascurato che, nelle fantasiose ma non ingenue né culturalmente insignificanti assimilazioni compiute dal Lignana della filosofia nella filologia e della filologia nella linguistica, s’affacciava, con un poligenismo non antidemocratico, l’adesione a una filosofia non monistica diversa da quella che aspirava ad essere (e forse era) allora egemonica in Italia. La ripresa dei principi

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In dieser Lesart wäre Lignanas Philologie die Verteidigung der Möglichkeit zu eigenständiger Entwicklung menschlicher Kollektive jenseits eines Determinismus teleologisch verfasster Dialektik. Doch war dieser Pluralismus bei Lignana mit Hierarchisierungen und essenzialisierenden Differenzierungen gespickt. Dies wird daran deutlich, dass er in seiner Bopp-Schrift im Kern jeden „Stammes“ („schiatta“) dessen spätere Entwicklung schon angelegt sah. Der geistige Charakter eines Sprachsystems beruhe auf „ursprünglich identischen Voraussetzungen“ („supposizioni primitive identiche“)818, die allen Angehörigen einer Rasse gemeinsam seien. Philologie wurde epistemisch bei Lignana spätestens hier nicht nur zu Philosophie, sondern zu Anthropologie. Eine Entwicklung, die sich in seiner Darwinismus-Schrift durch die Verbindung philologischer Axiomatik mit Vogts Zelllehre noch deutlicher abzeichnen würde.819 Obwohl Lignana also einen universellen Philologiebegriff forderte, eröffnete sich durch seine epistemische Vermischung idealistischer und materialistischer Konzepte der Weg zu vertieften ethnogenetischen Spekulationen über Differenz und Hierarchie der Völkerfamilien. Seine Epistemologie hatte die metaphysischen Differenzierungen und den Indoeurozentrismus der deutschen Romantik wohl am stärksten direkt – und nicht über die ‚französischen Umweg‘ Renan und Gobineau – in einen italienischen Rezeptionskontext übersetzt. Geschichtlichkeit war hier von einer universellen Existenzbedingung zu einer relativen Eigenschaft flektierender Sprachen und letztlich allein der Indoeuropäer geworden. Dennoch erhob Lignanas philologisches Modell den Anspruch, auf der unumstößlichen Faktizität sprachempirischer Erkenntnis zu beruhen. Durch seine Konstruktion sprachtypologischer oder ästhetischer Entitäten der Philologie entstanden praktisch unbegrenzte Möglichkeiten an epistemischen Versuchsanordnungen, von denen eine Theorie des ‚Kampfes‘ der Sprachen und Literaturen die von Lignana gewählte war. Wie wenig jedoch Lignanas sprachliche und literarische ‚Evolutionsgeschichte‘ mit eigentlich darwinistischer Epistemologie gemeinsam hatte, dürfte aus dem Kontext seiner früheren Schriften ersichtlich geworden sein. Der Darwinismus fungierte für Lignana lediglich als Versuch einer positivistischen Camouflage seines idealistischen Modells, das nach wie vor einer metaphysischen Dialektik des Geistes folgte. Daher kann auch Lignana zu denjenigen Vertretern des arischen Paradigmas gezählt werden, die das philologische Wissen unter dem Deckmantel des Positivismus mit rassenlogischen Argumenten durchsetzten.

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protoromantici e romantici della Scuola storica, quali la corrispondenza tra lingua, cultura e nazione in virtù dell’originarietà evolutiva del ‘Volksgeist’, serviva ai ‘lirici voli’ (quali apparivano all’Ascoli le ricostruzioni) del Lignana per bandire la reazione agli apriorismi e all’opzione per la genesi ideale contro quella storica compiuta da Hegel e dagli hegeliani anche italiani, che, infatti, reagirono anch’essi, però in forme diverse da quella di Ascoli.“ Tessitore 1984: 23-24. Ebd.: 13. Vgl. Lenz 2013a: 334-336.

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Jedoch geschah dies keineswegs aus dem Kontext des Darwinismus oder der Naturgeschichte. Lignana sollte allerdings aufgrund zahlreicher Kritiker und seiner geringen Produktivität für die weitere Entwicklung der italienischen Philologie nur von begrenzter Bedeutung sein.820

2.2. Selektion, Evolution und die Chance auf eine positivistische Literaturwissenschaft Doch neben dieser aus Versatzstücken idealistischer und positivistischer Epistemologie ‚zusammengesetzten‘ Rezeption des Darwinismus wurden Darwins Argumente auch direkt im Kontext positivistischer Philologie verstanden, um die Epistemologisierung der Literaturwissenschaft zu unterstützen. Dies war jene Perspektivierung der Literaturwissenschaft, die De Sanctis beklagt hatte. Aufgrund dieser Intention veröffentlichte Gaetano Trezza, der bereits im Zusammenhang mit dem arischen Paradigma Erwähnung fand, 1864 einen Politecnico-Artikel unter dem Titel „La scienza delle lettere“821. In ihm forderte Trezza in Anlehnung an die erst kurz zuvor von Taine veröffentlichte Histoire eine naturwissenschaftliche Literaturgeschichtsschreibung und diskutierte die epistemischen Prämissen ihrer Verwirklichung. Doch im Gegensatz zum ‚Semiidealisten‘ Lignana forderte Trezza keine fachübergreifende Universalisierung der Philologie, sondern setzte auf eine methodisch und epistemologisch getrennte Betrachtung sprachlicher und literarischer Phänomene. Optimistisch sah Gaetano Trezza zwanzig Jahre vor Ugo Canello einer Literaturwissenschaft entgegen, die eine neue Epoche im Studium des Menschen eröffnen sollte. Dies ermögliche der ‚Geist des Positivismus‘, der Mitte des Jahrhunderts überall zu spüren sei und nun auch den Blick auf die Literatur bestimmen müsse: Ora è appunto quel nuovo concetto delle cose che ci porge il secolo decimo nono, che deve informarsi, s’io non erro, la scienza delle lettere. Il nostro secolo, e ciò sia detto a vergogna di tutti coloro che lo vituperano tanto, ha già cominciato una di quelle vaste rivoluzioni nel pensiero e nella coscienza, che non è compresa se non da pochissimi ancora, ma che porta con sé i germi d’un avvenire immenso.822

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Der radikal-klerikale Verteidiger des Dogmas in der Philologie, der Jesuit Cesare De Cara widmete Lignana in seinem 1884 erschienenen Esame critico del sistema filologico e linguistico applicato alla mitologia e alla scienza delle religioni gar ein eigenes Kapitel mit dem Titel „Falsità storiche e linguistiche di Giacomo Lignana. Falsità del suo stile“. Vgl. De Cara 1884: 55-63 u. Dovetto 2001: 22, 37. Zu den unterschiedlichen und wenigen Nachrufen auf Giacomo Lignana und sein Werk, u.a. durch Ascoli, De Gubernatis, D’Ancona und seinen Nachfolger Benedetto Croce vgl. ebd.: 42-44. Vgl. Trezza 1865. Ebd.: 167.

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Letztlich sei es die Beseitigung metaphysischer Ursachen durch die Entdeckung einer regelhaften Natur, was diese neue Zeit ausmache. Zu dieser Entwicklung habe insbesondere das Werk Charles Darwins beigetragen, da dank seiner Epistemologie Vorsehung und transzendentale Dynamiken durch Zufall und Selektion endgültig aus dem Wissen über die Natur verbannt worden seien, um die Metamorphosen der Lebewesen zu erklären: Ed è surta [sic] si può dir ieri la dottrina del Darwin, la quale, per chi sappia comprenderla, è destinata a tor [sic] via del tutto quel gran mito dell’astrazione che si chiama soprannaturale, cancellando dalla natura ogni vestigio di cause libere, e rivelando l’inferiore virtualità di metamorfosi incessanti, per cui la natura rifà sé medesima, e come il tempo la travesta ad ogni nuova stagione senza bisogno di un creatore.823

Die Dynamik der lettere entziehe sich zwar diesem Determinismus durch die Kontingenz ihrer historischen Metamorphosen, müsse sich aber dennoch einem Primat der Kausalität beugen, da eben auch das „individuelle Werk des Geistes“ („l’opera individuale del genio“) bestimmbaren Umständen entsprungen sei, ohne die wiederum das Individuum nicht zu diesem Werk fähig gewesen wäre. Die Anlehnung an die tainsche Trias wird hier unmittelbar offensichtlich, denn für die Analyse dieser Entstehungsbedingungen eines literarischen Werk müsse die Literaturwissenschaft beim physischen und historischen Individuum und seiner Umwelt ihren Ausgang nehmen. Je mehr dabei die physischen Gesetze die ‚innere‘ moralische Welt des Menschen zu erklären im Stande seien, desto mehr müsse das Primat des freien Urteils – das doch so lange als Motor der Geschichte galt – relativiert werden: Pel pari una scienza delle lettere non è possibile, se l’opera individuale del genio non si sottordini alla necessità di quelle leggi, al di fuor delle quali l’individuo medesimo non sarebbe efficace. Non nego che questo ‘minimo’ che si concede all‘opera individuale pur nelle lettere, non contrasti alle idee preconcette dei molti che guardano così a fior di cose, e tengono che il Genio sia come una brusca apparita nella storia senza addentellati colle forze che lo circondano […]. Questa specie di autonomia che si vorrebbe concedere all’individuo, quasi che non dipendesse dalle condizioni fisiche e storiche in cui si trova, è uno dei più gravi errori che fin qui ci guastarono la scienza delle lettere.824

Zur näheren Beleuchtung dieses Determinismus diskutierte Trezza nicht – wie Lignana – die Rolle der Sprache als Form des Geistes und erstem Anknüpfungspunkt bei der Betrachtung literarischer Phänomene. Vielmehr überging er die philologische Epistemologie und wandte sich lieber gleich den anthropologischen ‚hard facts‘ zu, indem er einen kurzen Blick auf die aktuelle Lage des naturwissenschaftlichen Diskurses wagte, wo Befürworter eines Einflusses von Rasse und Geistesrasse auf die Entwicklung des Menschen ihren wissen-

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schaftlichen Gegnern gegenüberstanden.825 Trezza selbst kam schließlich zu dem Schluss: Con tutto questo io reputo che l’opinione di coloro che negano le attitudini innate nello spirito umano sia la men lontana dal vero, poiché meglio concorda colle scoperte che si vanno facendo nelle scienze naturali, e meglio ci giova a spiegare alcuni problemi di storia.826

Überraschenderweise – und auf den ersten Blick im Widerspruch zu seiner weiter oben dargestellten ‚Arianisierung‘ von Mythenforschung und Literaturgeschichte – negierte Trezza also eine apriorische und natürlichen Umständen enthobene besondere ‚Geisteskraft‘, die aus der Rasse entsprungen sei und die ästhetischen Entscheidungen des Menschen beeinflussen könnte. Deren Inexistenz werde auch von den neuen Erkenntnissen der Evolutionslehre unterstützt, die festen und unveränderbaren Rassen skeptisch gegenüber stünden: Si aggiunga che le ricerche più fresche ci indurrebbero a dubitar molto su questi tipi stabili e inerenti alle cose: giacché più si va scoprendo, e più ci si fa chiara quella gran legge di evoluzione per cui va la natura, e ci mostrerebbe quella flessibilità dei tipi organici per cui si assettano alle circostanze fisiche; tanto che la stabilità delle specie, malgrado la tenace resistenza di certi dotti, comincia a sparir dalla scienza, e le molte lacune che occorrono tuttavia nella natura non vietano ad ingegni eminenti di credere che le ‚creazioni‘ della vecchia scola, non sieno [sic] che transiti della stessa natura che si cangia secondo i tempi ed i climi.827

Die ametaphysische Dynamisierung der Naturgeschichte durch die Evolutionslehre sehe so wenig ‚Geistesrassen‘ vor, als es ‚kreatürliche‘ Lebewesen gäbe. Aus dieser evolutionstheoretischen Epistemologie besäßen rassenlogische Differenzierungen für eine wissenschaftliche Literaturgeschichtsschreibung keinerlei Bedeutung. Doch an dieser Stelle macht Trezzas Argumentation einen etwas holprigen Schritt zurück, was in Anbetracht seines späteren, rassentheoretischen ‚Überschwangs‘ kaum verwundert: Natürlich sei es unmöglich, die geistigen Voraussetzungen einer Rasse in ihrer Reinform nachzuvollziehen, da es keine Reinform – weder der materiellen noch der geistigen Rassen – gäbe und nur die Ergebnisse ihrer Vermischungen und der Dynamiken in der ‚Evolution‘ 825

826 827

Dem Indologen Christian Lassen und dem Semitisten Ernest Renan, als Vertretern des Einflusses einer arisch-semitischen Dialektik auf Literatur und Geschichte, sah Trezza dabei den Anthropologen Theodor Waitz und den Historiker Henry Thomas Buckle gegenüberstehen, die in ihren Schriften einen präfigurierenden Einfluss des Geistes oder der Rasse auf die Entwicklung des Individuums oder der Völker ablehnten. Vgl. Waitz 1860-1870 u. Buckle 18571861. Zu den jeweiligen Belegstellen vgl. Trezza 1865: 172-174. Taines Argumentation, welche durch die Betonung des milieu den Einfluss der race abgemildert sah, wurde von Trezza dabei als epistemische ‚Orientierungshilfe‘ im Streitfall jener Grundfrage nach der Freiheit des Menschen in der Geschichte und eben auch bei seinen ästhetischen Entscheidungen angesehen. Vgl ebd.: 174. Ebd. Ebd.: 174-175.

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der Geschichte erfahrbar seien. Und dennoch könne der diachrone Faktor geschichtlicher Kontinuität als Stabilisator von Differenzmerkmalen in Denken, Geschmack und den Formen des intellektuellen und ästhetischen Ausdrucks der Völker geltend gemacht werden. Diese Stabilität sei so solide verfasst, dass historisch ‚hartnäckige‘ Differenzen als beinahe gleichberechtigte Substitute für genetisch vererbte Rassemerkmale taugen würden, da sie als „psychologische Tendenzen“ („tendenze psicologiche“) überdauerten und die Geschichte beeinflussen würden: Anzi v’è una tenacità così fortemente inviscerata nelle tendenze psicologiche di una razza, che sorvive [sic] a molte catastrofi sociali, e impronta di sé medesima le nuove forme che prende nei secoli, tanto che le vestigia antichissime del passato vi si lasciano vedere sempre più o meno spiccate negli strati recenti della loro storia […].828

Diese psychologischen Tendenzen, die sich literarisch manifestiert und dadurch gefestigt hätten, seien nun dem Gesetz der natürlichen Auslese unterworfen, das bestimmte Gattungen und Ästhetiken – und damit eine bestimmte psychologische Tendenz der Völker – überdauern ließe. Fragt man Trezza aber nach dem Auswahlkriterium für diese Bevorzugung, so wird die kreishafte Struktur seiner Argumentation vollends offenbar. Es sei nämlich allein der Zeitgeist und der gerade vorherrschende Geschmack, also der „Zustand des Geistes“ („stato dell’animo“) einer Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit, der das Überleben des ‚Guten, Wahren und Schönen‘, oder das, was dafür gehalten wurde, sichere: Qual è dunque, mi si potrebbe chiedere, la legge che le [le letterature, ML] goberna [sic]? Risponderei: la legge medesima che governa le cose, la ‚natural selection‘ […]. Quale dunque prevale dei sentimenti d’un epoca? Quello che è meglio disposto a vincere gli altri, che sa farsi via traverso l’ostacolo dei sentimenti rivali, cioè quelle che meglio consuona alle necessità del punto in cui nasce, e che per ciò è il più bello, il più forte, e, diciamolo pure, il più vero: giacché la verità dei pensieri e dei sentimenti, risiede in questo lor consentire allo stato dell’animo.829

828

829

Ebd.: 176. Und an diesem Punkt vermischte Trezzas Argumentation taineschen Positivismus mit renanscher Geschichtsphilologie in einer naturhistorischen Terminologie, indem er positivistischen Determinismus für die ästhetisch verankerte Anthropologie eines ‚arischen Organismus‘ zu vereinnahmen suchte: „E in un certo senso si potrebbe dire col Taine, che una schiatta come l’antico popolo aryano, distesa dal Gange all’Ebridi, dispersa per tutti i climi, trasformata da trenta secoli di rivoluzioni, pur manifesta nelle sue lingue, nelle sue religioni, nella sua letteratura e nelle sue filosofie la parentela di sangue e di spirito che rannoda pur oggi le sue membra in un solo organismo.“ Ebd. Dieses epistemische Durcheinander lenkte den Leser von der Paradoxie der trezzaschen Argumentation ab, in der drei verschiedene, epistemische Ansätze für den aposteriorischen Beweis einer regelhaften Literaturgeschichte stark gemacht wurden, die für sich genommen vollkommen unterschiedliche Annäherungsweisen an literarische Texte aus geschichtsidealistischer oder positivistischer, oder gar streng biologisch-deterministischer Perspektive erfordern würden. Ebd. 179.

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Die Tautologie, wie sie hier wieder einmal in einer Verwechslung von Wirkung und Ursache anthropologischer und philologischer Differenz im gemeinsamen ‚Fluchtpunkt‘ der historischen Situation einer Gesellschaft sichtbar wird, lenkte ab von der Notwendigkeit einer expliziten Stellungnahme zum Umgang mit ästhetischer Eigengesetzlichkeit bei der Betrachtung von Literatur. Viel lieber ging Trezza gleich zur Exemplifizierung seiner Aussagen über. So reichten beispielsweise arisch-semitischen Differenzen, wie sie in Literatur und Religionsgeschichte sichtbar würden, so weit zurück, dass man sie als den beiden Rassen zuteil gewordene „augenblicklich entstandene, unveränderliche Enthüllungen“ („rivelazioni istantanee, non permutabili“) betrachten könne, die wiederum einem historischen Selektionsprinzip der literarischen Gattungen unterworfen seien. Semitischer Monotheismus und arische Mythologie – deren literaturfördernden Charakter Trezza ja auch in seinen anderen Schriften loben sollte – wurden so in einer ‚darwinisierten‘ Variante wissenschaftstaugliche Untersuchungsgegenstände für eine positivistische Literaturwissenschaft: Chi è chi non sappia difatti che la facoltà semitica del monoteismo, e l’aryana della mitologia, risalgono tanto indietro nella storia da potersi considerare come rivelazioni istantanee, non permutabili, di ciascuna di quelle schiatte? Eppure il cangiarsi delle circostanze storiche, e la forza operosa del tempo, cospirarono in quel profondo innesto del genio semitico e dell’aryano nel cristianesimo, in cui fu, quasi dire, la ‚natural selection‘ delle forme migliori che possedevano, e dove il monoteismo si ammorbidì nella mitologia, comunicando alle nazioni moderne quella ricca flessibilità per cui sole possono infuturarsi coi secoli, e divenir capaci di grandi rinascite.830

Wie wenig später Lignana, analogisierte Trezza das naturhistorische Axiom des Lebenszyklus und übertrug es auf eine Geschichte ästhetischer Formen. Daraus ließ er schließlich ein Prinzip des Kampfes werden, das auf Anpassung an die ‚ästhetische Wildnis‘ einer wechselhaften sozialen Umwelt beruhe. Man erkennt, dass Trezza sich hier tatsächlich weiter auf die darwinistische Evolutionslehre einließ als Lignana, der den Kampf der Sprachen und der in ihnen verfassten Literaturen aus der boppschen Grammatik ableitete. Sprache und Literatur waren bei Lignana dem Geist inhärent und folgten daher eher dem umweltneutralen Paradigma transformistischer Naturhistoriker.831 Dagegen behauptete Trezza einen philologischen Selektionsmechanismus, welcher der Anpassung an die Umwelt in Form der Gesellschaft den Vorrang gab. Doch entkamen letztlich beide Philologen nicht der Epistemologie des Idealismus und einem hegelschen Geschichtsmodell, das die Daseinsberechtigung dessen, was in der Geschichte blieb, letztlich aus dem Dasein selbst und nicht aus der Möglichkeit alternativer Entwicklung folgerte. De Sanctis hatte in seinem Blick auf die Funktion des Darwinismus im Falle Trezzas Unrecht. Denn 830 831

Ebd.:175. Vgl. Lignana 1971: 11, wo es heißt „Le lingue hanno combattuto per la loro esistenza come gli organismi“. Vgl. dazu Lenz 2013a: 333-334.

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hier war Darwin nicht Alternative, sondern Parteigänger Hegels, um positivistische Literaturgeschichte zu ermöglichen: Così s’avvera la profonda intuizione dell’Hegel, che ciò che è deve essere; che il reale è razionale, e che, come diceva il Vico, benché in senso diverso, il fatto si converte col vero. La dottrina del Darwin conferma mirabilmente, anzi compie la sentenza del gran pensatore alemanno: poiché il reale qui non significa quella folla scompigliata di accidenti che intralcia la parte più recondita della storia; quella non è che la torbida apparenza del reale, ma non la realtà.832

In Trezzas Interpretation hat Darwin zusammen mit Hegel die Wissenschaft von der Geschichte vielmehr vor einem Versinken in belanglose Faktizität bewahrt, indem durch sie klar geworden sei, dass die Fakten der Geschichte, das Reale, erst in einem Sinnzusammenhang den Blick auf die Realität, das Ideale, erlauben würden. Dies käme der Konzeption einer positivistischen Literaturwissenschaft gelegen, denn der Zufall wäre aus dieser Perspektive ja im Zusammenfallen des Realen mit der Realität ‚gebändigt‘: Die Zufälligkeit der Ästhetik im literarischen Werk würde so zur Alternativlosigkeit des Ideals und damit zur alleinigen historischen Wahrheit. Mit diesem epistemischen ‚Trick‘ konnte Trezza nun Renans historische Rassenlogik der Arier und Semiten aufrufen. Diese beiden ‚Rassen‘ waren nun als Chiffren für verschiedene Ästhetiken in einen Selektionsmechanismus integrierbar, der in einer dialektischen Bewegung reflexiver Erfassung des „Realen“, das „rational ist“ („il reale è razionale“), der ‚arischen Literatur‘ die besten Chancen im Überlebenskampf der literarischen Gattungen und Stile zuschrieb. Höhepunkt dieser Selbsterfassung sei dabei die europäische Renaissance gewesen, deren Ästhetik sich wiederum in großen Autorenfiguren wie Shakespeare und Ariost geäußert habe. Allerdings würden diese nur als allegorische Repräsentationen germanisch-lateinischer Dialektik innerhalb der großen indoeuropäischen Literaturgeschichte fungieren. Denn die Charakteristika ihrer literarischen Werke seien jeweils von ihrer lateinischen beziehungsweise germanischen Rassezugehörigkeit bestimmt, die wiederum einerseits von der Leichtigkeit einer zu naturwissenschaftlicher Empirie neigenden „Einbildungskraft“ („immaginazione“) der Romanen, und andererseits von einem germanischen Hang zu ‚tiefenpsychologischer‘ Analyse geprägt sei. Dies habe sich beim Romanen Ariost in farbenfrohen Schilderungen historischer Vorgänge, aber mangelnder psychologischer Profilschärfe seiner Figuren niedergeschlagen: L’Ariosto e lo Shakespeare rappresentano questo nuovo stato psicologico della storia, ed esprimono il reale, benché in un modo diverso. L’uno esprime il di fuori, l’altro il di dentro; l’uno le armonie, l’altro le contraddizioni: tutti e due ritraggono il mondo quel è: ma l’immaginazione dell’Ariosto, latina di razza, è limpida, ubertosa, agilissima, e come Astolfo sull’ippogrifo vola senza ostacolo per tutti i campi della natura esteriore, ma non è profonda; prodiga i suoi colori 832

Trezza 1865: 180.

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alle cose, ma non sa compenetrarsi nelle complessità d’un sentimento; ricca nel dipingere, ma scarsa nel dramma.833

Was Ariost an psychologischem Tiefgang gefehlt habe, habe der Angelsachse Shakespeare durch seine scharfen Psychogramme und die Einsicht in die innere Realität des Menschen aufgegolten.834 Diese Dialektik unter dem Primat des Germanischen habe schließlich – wenig überraschend – zu Schiller und Goethe, und schließlich zur Spaltung von Idealem und Sentimentalem geführt, wie sie in der französischen Literatur des 19. Jahrhunderts sichtbar werde.835 Ohne nun weiter auf die Details von Trezzas ‚dialektischer Evolutionsgeschichte‘ der europäischen Literatur eingehen zu wollen, macht seine Schlussfolgerung wiederum sein Enjeu deutlich, das letztlich die Philologie dem Diktat der Ereignisgeschichte entheben wollte. Es war jenes Ringen um ihre epistemische Anerkennung als scienza, wie sie Marzolo und Lignana ebenfalls umtrieb, das Trezza inmitten seiner rassenlogischen und essenzialisierenden Spekulationen leitete: Dal fin qui detto […] non mi par temerario il dedurne che v’ha una ‚selection‘ nella storia come nella natura; e che le idee e i sentimenti si trasformano nel tempo al modo medesimo che le specie. Non ignoro ciò che potrebbesi opporre a questa dottrina; e parecchie di quelle difficoltà che si porgeranno di per sé nella mente del lettore tennero pur molto tempo perplessa la mia. [...] In un grande concetto è molto maggiore il margine dell’ombra che quello della luce: e non sería [sic] giusto il dubitare d’una nuova attinenza di scoverta [sic] nelle cose, perché le altre ancora ci rimangono ignote: come fanno coloro che rigettano la dottrina del Darwin per ciò solo che non ci spiega tutto; quasi che la dottrina che tengono in sua vece valga a spiegarci qualcosa, e non fosse anzi codesta impotenza di spiegar qualche cosa, che rese inevitabile un nuovo modo di porre il problema.836

Die Übertragung darwinistischer Terminologie und Argumente auf das philologische Wissen zeigt durch den apologetischen Charakter dieses Fazits deutlich die Vorläufigkeit und Mangelhaftigkeit eines epistemischen Versuchs. Das evolutionstheoretische Element der Naturgeschichte erfüllte sowohl in der Sprachwissenschaft als auch in der Wissenschaft von den Literaturen zumindest in Italien in erster Linie, aber nicht ausschließlich, die Rolle eines ‚epistemischen Feigenblattes‘. Es diente – anders als De Sanctis dies Ende des Jahrhunderts in seiner Betonung eines Hegel-Darwin-Antagonismus vermutete – bei Trezza wie Lignana dazu, eine der Argumentation beider Philologen zugrundeliegende Axiomatik der Metaphysik zu verdecken, die von den Prämissen des Idealismus durchsetzt war, um jene Ansprüche auf Empirizität nicht zu gefährden, die sie gegenüber den Naturwissenschaften vertreten wollten. 833 834 835 836

Ebd.: 190-191. Vgl. ebd.: 191. Vgl. ebd.: 192-194. Ebd.: 194-195.

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Dass es dabei einer Logik der Rassen bedurfte, lag an der Notwendigkeit, historisch nachvollziehbare Entitäten zu finden, die komplexe philologische Phänomene in einer Selektionslogik methodisch beschreibbar machen konnten. Sogar das ‚Problem Literatur‘ in seiner stilistischen Beliebigkeit und gattungsgeschichtlichen Vielfalt hätte so (natur-)wissenschaftlich überwunden werden können, wenn es erst durch jene kollektivierende Perspektivierung in seiner Determiniertheit erschiene. Marzolo hatte dies bereits versucht, ohne jedoch auf die darwinistische Perspektivierung der Philologie zurückgegriffen zu haben. Sein Modell musste letztlich vor dem komplexen Phänomen der Literatur kapitulieren. Dies erklärt auch, warum von den drei positivistischmaterialistischen Philologen des späten Ottocento allein Marzolo einer Lehre von den Literaturen als scienza skeptisch gegenüberstehen musste und Rasse oder Abstammung lediglich zur Erklärung sprachlicher – nicht aber literarischer – Phänomene ins Feld führte. Zugleich wurde durch eben diese evolutionsgeschichtliche Perspektivierung der Literaturgeschichte ein Paradigma ästhetischer Selektion geschaffen, das als Indiz und Ursache einer Logik ästhetischer Überlegenheit oder Inferiorität Epistemologie und Ideologie weiter vermischte. Daher sind besonders die hier dargestellten kleinen Programmschriften der philologischen ‚Darwinisten‘ für die Frage nach dem Beitrag der Philologie zu Rassenlogik und Rassismus von Interesse. Sie zeigen, wie sehr ein ‚kognitiver Relativismus‘, der die geistige Natur des Menschen nach kollektiven Gesichtspunkten zu differenzieren suchte, auf philologische Narrative angewiesen war. Der primäre Antagonismus des arisch-semitischen Paares bot für ‚Evolutionsästheten‘ eine geeignete Argumentationsrichtschnur. Ohne das arische Paradigma wäre die ‚Philologisierung‘ des Darwinismus noch holpriger verlaufen, als dies ohnehin der Fall war.

3. „Ein Mensch und kein Tier“: Die italienische Philologie an der Schwelle zum 20. Jahrhundert Trotz Annäherung philologischer an naturwissenschaftliche Fragestellungen verhinderte die Disparität der Forschungsgegenstände und der jeweiligen Epistemologien, dass sich eine Art ‚deterministischer‘ Philologie in einen größeren wissenschaftlichen Systemzusammenhang zwängen ließ. Eine systematische Ausarbeitung darwinistischer und biologischer Theoreme innerhalb der italienischen Literatur- und Sprachwissenschaft des späten Ottocento blieb aus. So fand die am Anfang des Kapitels zitierte Mahnung des Francesco De Sanctis durchaus Gehör, welche die Auswirkungen jenes epistemischen Phä-

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nomens eines literaturhistorischen Darwinismus ansprach, der hier eher zu einem Determinismus wurde. Die „Unruhe“ („inquietudine“), die De Sanctis bekundete, war in Anbetracht der dargestellten Beispiele und eines zunehmend deterministischen ‚Eifers‘ in Medizin, Kriminologie und Anthropologie gerechtfertigt: Non senza inquietudine sento oggi ripetere: il fine della vita è godere la vita. Una tendenza simile si rivela nell’arte. L’uomo v’è rappresentato principalmente nella sua animalità; il sentimento diviene sensazione, la volontà diviene appetito, l’intelligenza un istinto; il turpe perde senso e vergogna come nell’animale; vizio e virtù è questione di temperamento; il genio è allucinazione vicina alla follia. Avevamo l’umanismo; oggi abbiamo l’animalismo nella sua esagerazione. È chiaro che in questo nuovo ambiente c’è qualcosa di basso e di corrotto, che vuol essere purificato. E ciò avverrà, ove il nostro spirito sia disposto a guardare l’uomo meno nelle somiglianze già assorbite, e più nelle sue differenze, che gli danno il dritto di dire: - Sono un uomo e non un animale.837

In einer deterministischen Epistemologie der Philologie werde die literarische Qualität eines Kunstwerks zusammen mit dem Genie eines kreativen Individuums der Pathologie des animalischen Nervensystems geopfert. Diese Art von Literaturwissenschaft führe nicht zu einer tieferen Erkenntnis des menschlichen Empfindens, sondern in die Banalisierung – aber eben auch in die Herabsetzung – von Differenz als pathologischem Phänomen des ‚Menschentieres‘. Doch ist es genau die Aufgabe der Philologie, Differenz sichtbar zu machen, als zutiefst menschlich und in ihrer Eigenart zu begreifen, aber auch zu akzeptieren: „Ich bin ein Mensch und kein Tier!“ („Sono un uomo e non un animale!“). De Sanctis entlarvte jenen „niedrigen und korrumpierenden“ („basso e corrotto“) Mechanismus einer epistemischen Verschiebung, die den Menschen zusammen mit seinen sprachlichen und literarischen Äußerungen als Subjekt entwertete und ihn anhand von Rassen zu hierarchisieren suchte. Dennoch konnte der Rassebegriff selbst seine Validität innerhalb jener ersten scuola storica der italienischen Philologie, die von Positivismus und linguistica vorgeprägt war, bis zu einem gewissen Grade beibehalten, wie anhand von Pio Rajnas vielrezipiertem Werk über die Ursprünge des französischen Epos (Origini dell’epopea francese) von 1884 deutlich wird.838 In diesem frühen Meilenstein romanischer Philologie in Italien nahm eine ethnisch konnotierte Textgenealogie den zentralen Platz ein, wenn Rajna die Bedeutung karolingischer und merowingischer Einflüssen auf die französische Epik des Mittelalters untersuchte.839 Diese Genealogie der Quellen, das Zusammenspiel aus 837 838

839

De Sanctis 1898 [1883]: 147-148. Pio Rajna, einer der ersten Lehrstuhlinhaber für Romanische Philologie in Italien, stellte seine Forschungen ausdrücklich auf ein positivistisches Fundament, wenn er literaturhistorische Quellenforschung einer Kausallogik allgemein gültiger Entwicklungsgesetze literarischer Formen unterwarf und den Einfluss des Individuums auf diese Entwicklung zu relativieren suchte. Vgl. Wellek 1977, Bd. 3: 119-120. Vgl. Lucchini 2008: 229-230.

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schriftlicher und mündlicher Tradierung, wurde von ihm nämlich unter Bezugnahme auf jenes Paradigma besonderer Verfasstheit einer Kultur zivilisatorisch wirksamer Latinität gegenüber einer kriegerischen razza germanica diskutiert, wie es von Gaston Paris theoretisch entwickelt worden war.840 Tradierung von Stilistik und Motiven im Raum nationaler Literaturen geschah hier also auf den beiden Ebenen Geographie und Ethnie, wobei der Ethnizität kollektiver Epen-Dichter und Rezipienten eine zentrale Rolle zukam: Vuol pertanto distinguersi un doppio genere di propagazione dell’epopea: geografico ed etnico. Per il primo l’epopea si estende oltre il suo dominio primitivo; per il secondo vengono a parteciparvi schiatte alle quali in origine essa era estranea. Ciascuno dei due può aversi da solo; ma come subito si capisce, mentre la propagazione etnica isolata ha importanza somma e durevole, in quanto è per essa che diventa partecipe dell’epopea la popolazione romana della Francia e della Borgogna, la propagazione isolatamente geografica è un fenomeno passeggero.841

Trotz der Betonung einer ethnischen Natur von Texttradition gegenüber der rein geographischen Verbreitung eines Epos durch dessen ‚Stammvolk‘ wird bereits an diesem Hinweis auf die wichtige Bedeutung „fremder Stämme“ („schiatte estranee“) für die Entwicklung literarischer Gattungen deutlich, dass die Literaturgeschichtsschreibung während ihrer ersten positivistischen Institutionalisierungsphase im italienischen Nationalstaat gerade auf einer Epistemologie der Dynamik und der Hybridisierung ursprünglicher ‚Volkscharaktere‘ aufbaute. So blieb eine gewisse Determiniertheit der literarischen Form durch den kollektiven Charakter eines Volkes oder einer Rasse bei Rajna niemals isoliert von den Dynamiken der Geschichte als partizipativem Prozess. Dieses Paradigma historischer Dynamiken in Form komplexer Rezeption und Verarbeitung unterschiedlichster Quellen, Motive und stilistischer Ideen im 840

841

Vgl. insb. Rajna 1884, Kapitel XV mit dem Titel „Epopea francese ed epopea germanica“, wo jedoch ein kulturell und ethnisch konnotierter germanisch-romanischer Antagonismus im Mutter-Tochter-Modell von fränkischem und französischem Epos philologisch aufgelöst wurde. Vgl. ebd.: 397. Ursula Bähler hat diese dialektische Gegenüberstellung von biologischem Rassemodell der razza germanica und der kulturellen Identität der razza latina als gescheiterten Überwindungsversuch rassenlogischen Denkens am Beispiel eines RasseNationen-Modells dargestellt, wie es Rajnas Kollege Gaston Paris entwickelt hatte. Dieser begründete mit zwei nationalen Literaturverständnissen, dem germanischen Organizismus im Gegensatz zur panromanischen Latinité, eine Theorie identitärer Differenz, die er während eines Vortrages über die Chanson de Roland (1870) und in der Einleitung zur Zeitschrift Romania (1872) vor dem Hintergrund des Deutsch-Französischen Krieges entwickelte. Vgl. Bähler 2013: 349-357. Das Problem einer immer in ambivalenter Potentialität gehaltenen Übertragung der Essenzialisierung von der „inégalité des races“ auf die „inégalité des nations et civilisations“ blieb dabei in der Antithese ‚germanisch-romanisch‘ weiterhin bestehen. Denn obwohl Gaston Paris den Rassebegriff in anderen Schriften stets zu entkräften suchte, schien er gerade in einer exklusiven Charakterisierung der Literatur die transnationale Dynamik kulturellen Austauschs zum ‚essenziellen‘ und alleinigen Merkmal der Romania erklären zu wollen. Vgl. ebd.: 358-359. Rajna 1884: 537.

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Raum der Literatur, sei besonders für die Betrachtung der sprachlich wie textgenealogisch so heterogenen Literaturgeschichte Italiens relevant. So bestimmte jene Perspektive der Vermischung von Motiven und Formen unterschiedlicher Texttraditionen auch Rajnas wenige Jahre zuvor veröffentlichte Suche nach den Quellen des Orlando Furioso (Fonti dell’Orlando furioso)842. Diese Dynamik der Textgenealogie ermöglichte Rajna die integrierende Verarbeitung vermeintlich ethnisch und kulturell bedingter, stilistischer und motivischer Prädispositionen des Epos in der historischen Form und eine Angleichung der Ethnien in einer ‚ästhetischen Genealogie‘ der literarischen Überlieferung.843 Und doch war es auch das Neue, welches ein einzelner Künstler wie Ariost zur Erweiterung der Formensprache und der Motive beizutragen wusste, was Rajna letztlich betonte: L’Ariosto prende dovunque trova: dall’oriente e dall’occidente, da prosatori e da poeti. E che importa la provenienza, dacché a tutto egli sa di poter dare una forma artistica? […] Di fronte a tutti i suoi modelli, l’Ariosto ha un pensiero supremo: conservarne le bellezze, accrescerle, correggerne i difetti, dare ad ogni cosa una splendida veste. Di qui il diverso atteggiarsi in cospetto dei romanzieri della Tavola Rotonda e dei classici antichi. [...] Nondimeno, avendo coscienza delle proprie forze e preoccupato dall‘idea di far cose sempre più belle, non si appaga di imitare, nemmeno quando ha dinanzi Virgilio. Egli vuole, se non altro, arricchire.844

Rajnas positivistische Textforschung beruhte daher trotz evolutionstheoretischer Färbung nicht auf einem Verständnis von Literaturwissenschaft, das literaturgeschichtliche Entwicklung allein an die ethnischen und sprachtypologischen Voraussetzungen menschlicher Kollektive koppelte. Die Dynamiken der Modifizierung in Form und Inhalt eines literarischen Textes im Produktionsund Rezeptionsprozess – und nicht sein ‚Überleben‘ innerhalb der Geschichte – waren Kernstücke seiner Philologie. Damit wurde dem Text automatisch ein Spielraum formaler und inhaltlicher Eigengesetzlichkeit zuerkannt, der ihn offen für die Einflüsse unterschiedlichster Logiken und Stile machte. Selbst wenn die Rolle des Individuums bei Produktion und Rezeption des Textes in diesen ersten Standardwerken positivistischer Philologie in den Hintergrund tritt, waltet in ihnen epistemisch weder absoluter Determinismus noch eine ‚ästhetische Rassenlogik‘. Doch auch im Umfeld bekannter Kritiker einer positivistischen Ausrichtung der scuola storica wurde philologischem Determinismus, aber auch der Hierarchisierung von Texten und Sprachen unter rassenlogischen Gesichtspunkten wirksame Argumente entgegengehalten. So sprach sich De Sanctis‘ ‚Nachfolger‘ Benedetto Croce als die wohl gewichtigste Stimme im philologischen Diskurs Anfang des 20. Jahrhunderts gegen eine Entwicklung der Sprachwis842 843 844

Vgl. Rajna 1876: 3-15. Vgl. Lucchini 2008: 226. Rajna 1876: 527.

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senschaft aus, die für den Idealisten Croce besorgniserregend war. Die linguistica drohte ebenfalls jenen Determinismen positivistischer Epistemologie zu unterliegen, wie sie De Sanctis in einer ‚Darwinisierung‘ der lettere erblickt hatte.845 Die bekannteste Manifestation dieses sprachwissenschaftlichen Determinismus war wohl die Theorie starrer Lautgesetzlichkeiten der Sprachentwicklung, wie sie die Philologen der Leipziger Schule in Indogermanistik und Allgemeiner Sprachwissenschaft vertraten. Ihr mechanisches Philologieverständnis erfuhr in Italien durch Benedetto Croces schulbildende und idealistisch beeinflusste Epistemologie, und trotz der Kritik einiger marxistischer und materialistischer Gelehrter wie Antonio Gramsci an dieser Epistemologie, schließlich eine diskursive Relativierung, die bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts andauern sollte.846 Dies hatte auch auf die Möglichkeit rassenlogischer und essenzialisierender Theoreme große Wirkung. Denn ob zeichentheoretisch und materialistisch oder sprachmetaphysisch argumentierend, letztlich wurden essenzialisierende Ansätze der Philologie, wie diejenigen Marzolos oder Lignanas, auf dem Axiom einer Unentrinnbarkeit des Individuums aus der Verfasstheit physischer Artikulierbarkeit der Worte, beziehungsweise der kollektiv – mit Volk oder Rasse – geteilten Systematizität der Sprache errichtet. Mit Benedetto Croce zeichnete sich eine Neuausrichtung des gesamten philologischen Wissens in seinen anthropologischen Ansprüchen ab, die deterministischen Ansätzen ihre epistemische Hegemonie streitig machte. So sollte das 20. Jahrhundert in Italien mit einer neuen enthusiastischen Bewertung idealistischer und humboldtianischer Paradigmen in der Philologie beginnen. Die damit einhergehende Aufwertung der Äs845

846

René Wellek betonte eine epistemische Kontinuität, welche einem beinahe ‚instrumentalisierenden‘ Verhältnis zwischen De Sanctis und Croce entsprang, ohne jedoch den fundamentalen Unterschied zu unterschlagen, der zwischen dem Antimaterialismus, aber auch Antideterminismus des literaturkritischen ‚Missionars‘ Francesco De Sanctis und dem ‚panästhetischen‘ Kritiker Benedetto Croce bestand: „Es ist klar, weshalb Croce De Sanctis seinen Vorläufer nennen konnte. Auch Croce betont nachdrücklich die Autonomie der Kunst, das individuelle, konkrete, einheitliche Kunstwerk als solches, das kein Begriff, keine Idee und kein Abklatsch der Wirklichkeit sei; und er versteht unter Kritik die Identifizierung mit dem Werk und die Unterscheidung des Lebendigen vom Toten, der Dichtung von der Nichtdichtung. Diese Ideen De Sanctis’ sind eindeutig genug, um jeden Versuch zu widerlegen, ihn zum ‚Materialisten‘ oder gar zum Vorläufer marxistischer Ästhetik zu machen. Doch bilden sie kein System, wie die Ästhetik Croces: Für De Sanctis gibt es keinen inneren Zusammenhang zwischen Kunst und gewöhnlicher Intuition; er zieht keinen scharfen Trennungsstrich zwischen Literatur und Dichtung; er identifiziert Intuition nicht mit Ausdruck oder Dichtung mit Lyrik; er reduziert Kritik nicht auf die Bestimmung des Gefühls und stellt auch nur die Möglichkeit einer Literaturgeschichte nicht in Abrede.“ Wellek 1977, Bd. 3 : 96. Zur Rezeption Croces, der spätestens mit seiner seit 1902 veröffentlichten Filosofia come Scienza dello Spirito zur „prägenden Stimme im vorfaschistischen Italien“ avancierte vgl. Dessí Schmid 2011: 41 ff. Zur Wirkung von Croces Neulinguistischer Schule als Gegenmodell zu den Junggrammatikern ab den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts vgl. ebd.: 43. Über die Problematik einer genauen historischen und epistemischen Verortbarkeit der sog. Junggrammatischen Schule um August Leskien, Berthold Delbrück, Karl Brugmann und Hermann Osthoff vgl. Einhauser 1989.

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thetik und Literarizität der Sprache eröffnete eine mächtige diskursive Opposition zu jener buchstäblichen ‚Entmündigung‘ des Individuums in einer Naturalisierung der Philologie, wie sie Paolo Marzolo angedacht hatte und am Ende sogar De Sanctis zu mahnenden Worten Zwang. Für Croce stand fest: „Die Sprache ist stetige Schöpfung“ („Il linguaggio è perpetua creazione“)847. Doch eine komplexe Schöpfung, bei der einem ästhetisch frei urteilenden Individuum ein gehöriger Anteil zukam! Croces epistemisch radikale Ästhetisierung der linguistica war keine Literarisierung der Philologie im Sinne ihrer Rhetorisierung, sondern versuchte, die Sprachwissenschaft wieder vom eng gewordenen epistemischen Pfad des mechanischen Determinismus zu holen, auf welchen sie sich begeben hatte und auf dem sie sich bis zur Bedeutungslosigkeit in ihrem Bestreben einer Anbiederung an die Naturwissenschaften zu verlieren drohte: Bastino queste sparse osservazioni a mostrare che tutti i problemi scientifici della Linguistica sono i medesimi di quelli dell’Estetica, e gli errori e le verità dell’una sono gli errori e le verità dell’altra. Se Linguistica ed Estetica paiono due scienze diverse, ciò deriva dal fatto che con la prima si pensa a una grammatica, o a qualcosa misto di filosofia e di grammatica, cioè a un arbitrario schematismo mnemonico o a un miscuglio didascalico, e non già a una scienza razionale e a una pura filosofia del parlare. La grammatica, o quel certo che di grammaticale, induce altresì nelle menti il pregiudizio, che la realtà del linguaggio consista in parole isolate e combinabili, e non già nei discorsi vivi, negli organismi espressivi, razionalmente indivisibili. [...] A un certo grado di elaborazione scientifica, la Linguistica, in quanto filosofia, deve fondersi nell’Estetica; e si fonde, infatti, senza lasciare residui.848

Der vergessene Zusammenhang von Ästhetik und Sprachwissenschaft – ja von Ästhetik und Wissenschaft überhaupt – habe nach Croce auch den Begriff des Ästhetischen selbst betroffen, das eher Objekt, denn Instrument der Erkenntnis geworden sei und sich aus diesem Grunde entweder einer Determinierung oder einer metaphysischen Universalisierung fern vom individuellen Denken ausgesetzt sah. In seiner Definition der Ästhetik bezog Croce eindeutig Stellung gegen diese epistemischen ‚Entgleisungen‘ der Philologie des soeben zu Ende gegangenen Jahrhunderts. Indem er die ästhetischen Äußerungen des Menschen in ihrer phantasievollen Zufälligkeit und Unvorhersehbarkeit als theoretisches Wissen durch neue Wertschätzung einer im Individuum wurzelnden ‚Philosophie des Geistes‘, einer ‚Wissenschaft der Ästhetik‘, zu erfassen suchte, enthob er die philologische Erfassung sprachlicher und literarischer Emanationen einer Universalisierbarkeit im Kollektiv der Sprecher und Schreiber, der Rassen und Nationen: Il nostro concetto è che l’Estetica sia scienza dell’attività espressiva (rappresentativa, fantastica). Essa, quindi, secondo noi, non sorge se non quando viene de847 848

Croce 1990 [1902] : 188. Ebd.: 190.

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terminata in modo proprio la natura della fantasia, della rappresentazione, dell’espressione, o come altro si voglia chiamare quell’atteggiamento dello spirito, ch’è bensì teoretico ma non intellettuale, produttore di conoscenze, ma dell’individuale, non dell’universale. Fuori di questo concetto, per nostro conto non sappiamo scorgere se non deviazioni ed errori.849

Gegen positivistische Begrenzungen des Menschen durch skeptische Relativierung seiner sprachlichen und literarischen Kreativität aus der individuellen Empfindung, die hier nur noch in Physis und Umwelt eingebettet war, begehrte Croces Philologie auf. Gegen jene Banalisierung einer Freiheit der Phantasie durch die Leugnung ihrer Existenz, wie sie ein absoluter Determinismus des ‚Intellekts‘ mit sich brachte, aber auch gegen ihre metaphysische Überhöhung als ‚kollektive Ästhetik‘ setzte Croce ein neues Verständnis des ästhetischen Individuums. Dieses war weder biologische Maschine noch göttliche Kreatur, weder Teilchen des absoluten Kollektivs noch typologisierbares Objekt zwischen ‚Anomalität‘ und Anpassung. Es darf daher bezweifelt werden, ob kognitiver Determinismus und Rassismus ihre epistemische Rechtfertigung zugunsten kolonialistischer Anthropologie am Vorabend faschistischer Ideologie wirklich aus den Axiomen und Argumenten jener Philologie erfuhren, wie sie Ende des 19. Jahrhunderts den Diskurs in Italien dominierten. Zumal bei allen Unterschieden in Methode und epistemischer Orientierung die beiden zentralen Figuren dieses Diskurses deterministischen und hierarchisierenden Argumenten einer anthropologischen Philologie skeptisch gegenüberstanden. Im Gegensatz zu Croces Ästhetik folgte allerdings Graziadio Ascolis Glottologie immer wieder einer Tendenz zu rassenlogischen Differenzierungen der arisch-semitischen Dialektik.

849

Ebd.: 193-194.

IV. SPRACHPOLITISCHER PLURALISMUS UND ANTHROPOLOGISCHE SPEKULATION – GRAZIADIO ISAIA ASCOLI

Wirkungsvoller als viele andere Figuren, welche die Geschichte der italienischen Philologie im 19. Jahrhundert prägten, hat sich der aus wohlhabender, jüdischer Familie stammende Graziadio Isaia Ascoli im diskursiven Ringen um Epistemologisierung und Formalisierung des philologischen Wissens durch methodische Ausarbeitung der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft, Indogermanistik, Orientalistik und Dialektforschung hervorgetan.850 Der junge Ascoli las bereits früh, und gefördert durch eine mehrsprachige Erziehung im habsburgischen Gorizia, grundlegende Texte der Sprachwissenschaft im Original. Besonders die Werke Franz Bopps stellten für ihn entscheidende Inspirationsquellen für die eigene methodische und erkenntnistheoretische Orientierung dar. Eine exakte Philologie, die durch Sprachvergleich anhand Morphologie und Phonologie etymologische Spekulation hinter sich ließ und die Möglichkeit historischer, aber auch ethnographischer Erkenntnisse über eine ferne Vergangenheit der Völker eröffnete, faszinierte ihn. Demgegenüber hegte Ascoli, der durch den profunden Hebräisch-Unterricht der Philologen Samuel Vita Lolli und Samuel David Luzzatto geprägt war, bei seiner Lektüre von Friedrich Schlegels Sprache und Weisheit der Indier ein tiefes Misstrauen gegenüber typologisierenden Unterscheidungen einer frühen Indienphilologie, insbesondere in Anbetracht einiger Aussagen Schlegels zur Grammatik semitischer Idiome.851 Man mag in dieser religiösen Erziehung und 850

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Zur Rezeption Ascolis im deutschen Sprachraum und seiner Bedeutung für die Institutionalisierung der modernen Sprachwissenschaft vgl. Stammerjohann 1999. Für weitere biographische Details zu Ascoli vgl. Gensini 2009 u. Timpanaro 2005 [1972]: 225-258. Zur Lektüre von Friedrich Schlegels Sprache und Weisheit der Indier notierte der junge Sprachforscher: „La sua divisione di lingue in quelle che indicano le varie ombreggiative [sic] del significato, mediante un cangiamento interno della radice mediante flessione ed in quelle che a ciò indicare servire debbansi di particole aggiunte che indichino pluralità, e ogni altra relazione; la sua divisione dico non credo che […] sia ammissibile nell’aspetto in cui egli la brama; ma in ogni modo, come anche il grande Bopp dimostrò, egli ordinò tutto all’opposto di ciò che doveva annoverando le indo-germaniche stirpi delle prime, le semitiche della seconda.“ Diese im letzten Satz angedeutete Infragestellung der schlegelschen und bereits von Bopp widerlegten Prämissen, bedeutete in weiterer Konsequenz, dass das hierarchisierende Element der schlegelschen Typologie für die semitischen Sprachen entkräftet wäre, da diese die eigentlich dynamischen Sprachen seien: „Dalle recenti scoperte si sente chiaro cioè essere in origine molto atomistico il meccanismo delle indo-europee e dinamico più (non già del tutto), quello delle semitiche.“ Ascoli ließ also schon während dieser ‚Lehrjahre eines Autodidakten‘ eine Tendenz zur Agglutinationstheorie der indoeuropäischen Sprachen erkennen, welche er später in den Arbeiten zum Nesso ario-semitico und in den Studj orientali e linguistici wieder aufgreifen sollte. Vgl. Ascoli 1864b, 1864c, 1867b. Der Band mit den hier zitier-

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der Wertschätzung des Hebräischen einen Grund für jenen Hang zur Annahme einer Monogenese aller Sprachen sehen, den Ascoli als Hypothese immer wieder zum Ausdruck gebracht hatte. Jedoch wird Ascoli, der eher Sprachpositivist als Metaphysiker war, diese Position nur in Anklängen in einen religiösen Kontext setzen und die Frage nach dem Ursprung der Sprachen diplomatisch beantworten: Più la scienza si avanza, più estende la indagine, e sempre in maggior copia trova nel linguaggio, non già le impronte d’unico getto primevo, ma sparse dovunque le traccie [sic] d’un progressivo sviluppo, ma la serie delle osservazioni e delle scoperte primitive dell’uomo specchiate nella parola, ma il conquisto, per così dire, della inflessione, sì nel vocabolo che nel periodo. Tutto dimostra la parola divina in potenza, umanamente tradotta in atto.852

Ascolis säkulares Geschichtsverständnis war wie dasjenige Cattaneos von den Prämissen historisch kontingenter Sprachentwicklung durch Sprachkontakt sowie von Wertschätzung sprachlicher Vielfalt bestimmt. Diese sprachhistorische Dynamik und Kontingenz versuchte er methodisch zu rekonstruieren, indem er glottische Kontinuitäten, Brüche und Parallelentwicklungen in Phonetik und Grammatik zwischen – und innerhalb der – Sprachfamilien aufzeigte. So unterwanderte Ascoli starre Fixierungen anthropologischer Natur.853 Der zivilisatorische Aufstieg und die Stagnation ganzer Völker waren für ihn keine Frage nach den Grundlagen ethnischer oder kognitiver Überlegenheit, sondern – und hier war Ascoli dem bürgerlich-intellektuellen Diskurs des Risorgimento verhaftet – durch technische sowie wissenschaftliche Überlegenheit durch Fortschritt geprägt. Ein säkularer, bisweilen eurozentrisch konnotierter Zivilisationsbegriff sollte daher Ascolis Positivismus begleiten und in seinem Vorwort zu den Studj orientali e linguistici deutlichen Niederschlag finden.854 Im Gegensatz zu Carlo Cattaneo, jenem republikanisch gesinnten, engagierten Vorkämpfer für ein föderalistisches Italien, der auch seine wissenschaftliche Tätigkeit in diesen politischen Kontext stellte, war Ascoli aller-

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ten Stellen mit dem Titel Memorie Filologiche und Estratti, der Abschriften und Kommentare des jungen Ascoli zur Lektüre bedeutender Werke der Philologie enthält, wird unter der Signatur 4/181 im Archivio Ascoli in der Bibliothek der Accademia dei Lincei Rom aufbewahrt. Er war mir dank der freundlichen Genehmigung von Herrn Dr. Marco Guardo und Frau Dr. Susanna Panetta zugänglich. Die hier zitierte Stelle befindet sich auf Seite 98 des dritten Bandes aus dem Jahre 1847. Zur intellektuellen Biographie Ascolis während seiner Zeit in Gorizia vgl. Casella/Lucchini 2002: 1-31. Mit dem Sohn Samuel Luzzattos, Filosseno, verband Ascoli eine innige intellektuelle Jugendfreundschaft, von welcher bis zum frühzeitigen Tod Filossenos in Paris im Jahr 1854 ein reger Briefwechsel und private Notizen zeugen. Vgl. ebd. 27-31. Ascoli 1854: 8. Dass Ascoli dabei superstratischen Einflüssen größere Bedeutung beimaß, als dies beim Substrattheoretiker Cattaneo der Fall war, ist vor dem Hintergrund der historischen Epistemologie für die Frage nach einer allgemeinen Dynamik der Völker zunächst zweitrangig, jedoch methodisch von Bedeutung. Zu den Unterschieden in der Strataforschung Cattaneos im Vergleich zu Ascoli vgl. Silvestri 1977: 113-116. Vgl. Lenz 2013b: 167-168.

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dings eher politisch-kritischer Wissenschaftler als progressiver Gesellschaftstheoretiker, oder gar Revolutionär mit philologischen Ambitionen. Dennoch lässt auch er sich im Diskurs als liberaler, bürgerlicher Intellektueller mit deutlichen politischen Ansichten verorten.855 So trat Ascoli in seinen frühen Schriften mit politisch ‚unangepassten‘ Ansätzen in Erscheinung und bezog im Revolutionsjahr 1848 gar Stellung für ein liberaleres Gorizia und Friaul, das gegenüber sprachlichen wie ethnischen Unterschieden einen toleranten Pluralismus innerhalb des habsburgischen Reiches vertreten solle.856 Nach der politischen Einigung Italiens propiemontesisch gesinnt, setzte Ascoli sich als Senator des Königreichs kritisch mit der Rolle des Staates in wissenschaftsinstitutionellen Fragen auseinander. Auch intervenierte der bereits angesehene Professor an der Mailänder Accademia scientifico-letteraria zu Gunsten des sozialistisch engagierten Historikers Ettore Cicotti und gegen die staatliche Repression seines Kollegen von konservativer Seite im Jahr 1898.857 Antonio Casella und Guido Lucchini fassten daher Ascolis kritisch-moderate Haltung und seine auch für die italienische Politik historische Bedeutung unter der Bezeichnung eines „unbequemen Moderaten“ („un moderato scomodo“) zusammen: Soprattutto i due scritti politici di maggior rilievo, il saggio Gli irredenti (1895) e la lettera al Graf a proposito del caso Ciccotti (1897), rappresentano una pagina nobile in un momento cruciale della storia d’Italia, una delle rare prove di impegno etico e civile date da quel ceto professorale nato con l’unità il quale, se nel complesso fu all’altezza dei tempi dal punto di vista scientifico, non lo fu sempre da quello politico, perché troppo ossequente al potere costituito. L’Ascoli fu un moderato, ma un moderato scomodo, negli ultimi anni della sua vita più vicino, su non poche questioni, ai radicali.858

Dieses ‚ideologische‘ Fundament liberalen und pluralistischen Denkens prägte auch Ascolis Wissenschaftsverständnis und grundierte die Beurteilung der von ihm untersuchten und verglichenen Sprachen und Dialekte. Seine Philologie, ausgezeichnet durch methodische und begriffliche Schärfe, sollte dabei die Bildung einer Sprachwissenschaft nicht nur in Italien entscheidend beeinflussen.859 Ausgehend von seiner Forderung nach strikter Trennung der filologia 855 856

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Zu Ascolis Rolle als Intellektueller des Risorgimento vgl. Salimbeni 1986. Es handelt sich dabei um eine kleine Schrift mit dem Titel „Gorizia italiana tollerante, concorde: verità e speranze nell’Austria del 1848“ (Vgl. Ascoli 1848). Vgl. Santeusanio 1988: 196, Dionisotti 1998: 278. Auch spielte der Gelehrte bei der Benennung des Julischen Veneto nach der Einigung eine entscheidende Rolle. Zu Ascolis im Jahr 1863 in der Mailänder Zeitschrift Museo della famiglia publizierten Artikel „Le Venezie“ (Vgl. Ascoli 1863) vgl. Santeusanio 1988: 198 ff. sowie Salimbeni 1980. Zu Ascolis Intervention im Fall Cicotti vgl. Lucchini 1996. Vgl. Casella/Lucchini 2002: I. So wird Ascoli als der wichtigste Theoretiker der Substrattheorie und Begründer der empirischen Dialektforschung betrachtet, auch wenn er in beiden Fällen auf Vorläufer wie Bernardino Biondelli und Carlo Cattaneo zurückblicken konnte. Vgl. Meisterfeld/Coseriu 2003: 3, 133; Cortelazzo 1973: 9; Rusu 1985: 19 ff.; Spina 2007: 14; Grassi/Sobrero/Telmon 1997:

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von der linguistica beförderte er durch genauere Differenzierung der vergleichenden Methode anhand morphologischer und phonetischer Kriterien in der Indogermanistik, aber besonders durch seine Analysen romanischer Dialekte die Formalisierung philologischen Wissens.860 Ascoli stellt trotz dieser wissenschaftlichen Präzision einen problematischen Fall für die hier untersuchte Frage nach dem Beitrag der Philologie zu Rassedenken und Rassismus dar. Zwar argumentierte er, wie gezeigt werden soll, vielfach gegen essenzialisierende und hierarchisierende Sprachbetrachtung, doch lässt sich in seiner Argumentation auch eine anthropologische Differenzierung feststellen, wie sie durch die Betonung der ethnischen Grundlage einer theoretisch vorausgesetzten arisch-semitischen Opposition anhand grammatikalischer Kriterien aufschien. Anthropologie und Philologie – von Cattaneo und Rosa mühsam getrennt – rückten in Ascolis Epistemologie wieder enger zusammen.861

1. Eine Traumbegegnung Befragt man Ascolis Schriften nach einem exemplarischen Satz, der die Position des Verfassers zu Rassedenken und Rassismus innerhalb der Philologie in ‚konzentrierter‘ Form darstellen könnte, so wird man schnell auf einen Brief aufmerksam, den der Gelehrte verfasste, als er in der italienischen Wissenschaftslandschaft bereits etabliert und hochgeachtet war. In diesem Schreiben an den Philologen und Anthropologen Francesco Lorenzo Pullé – zu jener Zeit

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39. Zeugnisse der facettenreichen und bei weitem nicht nur auf sprachwissenschaftliche Problematiken beschränkten Rezeptionsgeschichte des ascolischen Denkens sind die zahlreichen Sammelbände zu Werk und Person. Hervorzuheben insbesondere der 1986 unter dem Titel G. I. Ascoli: Attualità del suo pensiero a 150 anni dalla nascita bei Licosa in Florenz erschienene Jubiläumsband mit einem Vorwort Eugenio Coserius sowie ein weiterer 2010 von der Società Filologica Friulana in Udine herausgegebene Band unter dem Titel Il pensiero di Graziadio Isaia Ascoli a cent’anni dalla scomparsa. Vgl. Marcato/Vicario 2010. Ein erster Sammelband wurde bereits 1901 beim Turiner Verlag Loescher anlässlich von Ascolis 70. Geburtstag unter dem Titel Miscellanea Linguistica in Onore di Graziadio Ascoli publiziert. Ascoli differenzierte in seinen Studj critici das philologische Wissen in linguistica oder glottologia als „scienza della parola“ und filologia als „scienza della letteratura“. Vgl. Ascoli 1861: 45. In einem längerfristigen, wissenschaftshistorischen Zusammenhang lässt sich Ascolis Einfluss sowohl auf die etymologische Forschung, auf die Betrachtung von Substrat- und Dialektvarianz, Sprachgeographie und Feldforschung ausmachen. Vgl. Ernst 2003: 56, 349, 479, 556 ff. Vgl. Ascoli 1864a. Zum persönlichen wie intellektuellen Verhältnis zwischen Ascoli und Cattaneo vgl. die beiden unverzichtbaren Aufsätze von Sebastiano Timpanaro in Timpanaro 1973: 229-376. Zum Einfluss von Cattaneos philologischem Historismus auf Ascolis methodische und epistemische Prämissen, aber auch die von Cattaneo wesentlich eindeutiger verfochtene Trennung von Sprache und Ethnie vgl. ebd.: 284 ff.

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Professor für Sanskrit an der Universität Pisa als Nachfolger Emilio Tezas – erwies der Mailänder Glottologe dem von ihm stets nicht unkritisch gesehenen und erst in späten Jahren auch explizit bewunderten Carlo Cattaneo noch einmal seine Referenz. Mit zahlreichen lobenden Worten hob Ascoli die Bedeutung der wissenschaftlichen Leistungen des Lombarden hervor.862 Zugleich sprach er die unsicheren erkenntnistheoretischen Fundamente der anthropologischen Rassenlehren an, wie sie in Frankreich, Deutschland und Italien gegen Ende des Jahrhunderts aufblühten. Die These Cattaneos von der Sesshaftigkeit der Menschenstämme war für Ascoli in Anbetracht eines neuen ‚biologistischen‘ Spekulationsdranges eine heilsam relativierende Erkenntnis gegenüber der „Poesie bestimmter Anthropologen“ („poesia di certi antropologi“): I suoi [Cattaneos, ML] concetti sulla relativa fissità delle stirpi, sulla propagazione della specie e della cultura nell’infinito corso dei tempi, avevano come sedato quel tumulto imaginario di nazioni che al fantasia vantava quanto mai popolose e accavallantisi tra loro da innumerevoli età. Il tumulto, sia detto tra parentesi, che veniva così cessando nella storia, pare all’incontro che ora riviva nella poesia di certi antropologi.863

Der Brief an Pullé wird gleich in seinem einleitenden Satz als Fortsetzung eines brüsk unterbrochenen Gesprächs der beiden Gelehrten dargestellt. Dieses Gespräch versah Ascoli mit dem Titel „Die Rassen und die historischen Verhältnisse“ („Le razze e le proporzioni storiche“). Beide Gelehrte, Ascoli wie Pullé, stimmten anscheinend während dieses Gesprächs darin überein, dass die statistische Erfassung der Bevölkerung und die historische Rekonstruktion von Bevölkerungszahlen auch dank Cattaneos Ruf nach einer positivistischen Entmystifizierung der Geschichtsschreibung für die Ethnologie zu einem wichtigen Instrument der Erfassung historischer Migrationsbewegungen wurde.864 Zugleich ergebe sich daraus die Frage nach dem Maß an Heterogenität unter den Menschen. Ascoli bezog an dieser Stelle auf eigenartig persönliche Art Stellung, die im Vergleich mit der Nüchternheit seines sonstigen Stils her862 863 864

Vgl. Ascoli 1898. Zu diesem Brief vgl. Timpanaro 1973: 341-342. Ascoli 1898: 176. Vgl. ebd.: 174. Obwohl Pullé und Ascoli sich in ihrer Bewunderung für Cattaneo einig waren, folgte Pullé nicht Cattaneos Paradigma der sedentarietà, sondern einer Überbetonung des Rasseparadigmas als Ursache für die „genialità di un popolo“. Vgl. Bernardi 2004: 80, Pullé 1898: 128. Bereits in seinem anlässlich einer Festschrift 1901 veröffentlichten Antwortschreiben auf den hier zitierten Brief sowie unter Bezugnahme auf Ascolis Eröffnungsansprache zum 12. Orientalistenkongress in Rom, vereinnahmte Pullé den ethnographischen Aspekt der ascolischen Sprachwissenschaft für eine anthropologisch-ethnologische Ausarbeitung, welche letztlich auch Daten der Schädelforschung und der Rassenkunde miteinbezog. Die Verhältnisse zwischen Eroberern und eroberten Stämmen bei den Völkern der antiken Welt waren für ihn das ‚quantitative‘ Merkmal der Beziehung und Mischung, die Frage nach den Rassen stellte den ‚qualitativen‘ Aspekt dar. Diese Fragen versuchte Pullé statistischmathematisch anhand anatomischer und linguistischer Daten zu beantworten. Vgl. Pullé 1901. In seinen späteren Schriften sollte Pullé seine Rasseforschungen noch stärker in einen nationalistischen Kontext stellen und auch ein Rasseprofil der italienischen Halbinsel erstellen. Vgl. Timpanaro 1973: 342, Pullé 1898 u. Ders. 1927.

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vorsticht: In einer Traumbegegnung zwischen ihm selbst und dem verstorbenen Carlo Cattaneo wurde mit der Frage nach dem Modus humaner Ethnound Glottogenese noch einmal einer der Hauptstreitpunkte der beiden Gelehrten angesprochen und auf versöhnliche Art beigelegt.865 Ascoli vertrat vor seinem großen Vorgänger die These einer ethnischen und sprachlichen Monogenese der Menschheit, wobei er keinerlei Widerspruch zu einer grammatikalischen Ausdifferenzierung der Sprachfamilien sah: I tipi delle diverse famiglie di lingue essendo tra di loro tanto diversi, poteva parere che il mio supposto senz’altro importasse, come di necessità, la polyphylia. Onde io risposi, con trepidazione venerabondo [sic], che il monophyletismo […] a me punto non ripugnava; ma che principalmente non vedevo alcuna vera antitesi tra questa monophylia e quella polyphylia che dalla diversità dei tipi glottici poteva parer volute; poiché pensavo una serie di sviluppi ulteriori, importati da peculiari motivi psichici, determinantisi in mezzo a frazioni, naturalmente molto esigue, di quella umanità minutissima, onde la base monophyletica sarebbe primamente constata. E mi svegliai.866

Zugleich sprach Ascoli in diesem Satz mehrere Prämissen an, die er seiner Betrachtung der Sprachgeschichte zugrunde legte: Das Modell einer Menschheit, die in ihrer Anfangsphase eine geringe Anzahl an Individuen aufwies. Ein einziges, rasch entstandenes Uridiom und letztlich – mit dem quantitativen Anwachsen dieser Menschengruppe – eine Diversifizierung dieses Uridioms aufgrund „besonderer psychischer Motive“ („peculiari motivi psichici“), die als kleine Abweichungen innerhalb der kleinen ‚Urmenschheit‘ schließlich äußerst unterschiedliche Sprachfamilien hervorgebracht hätten. Die grundsätzliche Einheit der Menschheit in Physis und Kognition war in diesem Modell also trotz feiner Differenzen gegeben, obwohl Ascoli nicht genauer definierte, worin diese ‚psychischen Besonderheiten‘ überhaupt bestanden, die zuletzt zu so gewaltigen sprachtypologischen und bisweilen anthropologischen Differenzkriterien heranwuchsen. Die Interpretierbarkeit dieser Aussage in Richtung eines kognitiven Determinismus ist daher nicht vollständig gebannt. Dennoch stellte sich Ascoli mit diesem Satz – nicht zuletzt durch den versöhnlichen Tonfall – auf die Seite Cattaneos.867 Sprachen veränderten sich auch für ihn innerhalb langer Zeitperioden im Lauf der Geschichte der Völker, keinesfalls aber durch Gründe, die auf essenzielle, anthropologische Differenz zurückgeführt werden könnten, da ja Sprache und Rasse einst nur im Singular vorhanden waren. Weder war in Ascolis Epistemologie die Struktur einer Sprache im Denken des Kollektivs auf unabänderliche Weise verankert noch wirkte ethnische Differenz innerhalb der Geschichte so stark fort, dass sie auch eine statisch typologische Differenzierung der Sprachen beeinflussen konnte. Über die historisierende Wirkung von Ascolis „laizistischem Mono865 866 867

Ascoli 1898: 176-177. Ascoli 1898: 177. Vgl. Cattaneo 1841: 590.

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genismus“ („monogenismo laico“) als Argument gegen sprachmetaphysische wie rassenlogische Spekulationen schrieb daher Timpanaro: Ma per la storia delle ideologie linguistiche dell’Ottocento rimane interessante questo suo [Ascolis, ML] sforzo di fondare un ‘monogenismo laico’, che sfuggisse ai pericoli della trascendenza da un lato, del razzismo dall’altro.868

Zweifellos: Ascoli war weder ein anthropologischer noch ein ‚sprachtypologischer‘ Rassist. Und doch folgte auch er trotz jener Annäherung an Carlo Cattaneos Trennung von Sprache und ‚Blut‘ dem epistemischen Modell einer anthropologisch relevanten Philologie, die ihre Ansprüche auf eine Deutung der menschlichen Ursprünge geltend machen sollte. Diese Ansprüche vertrat Ascoli in seinen früheren Schriften wesentlich vehementer und schenkte dabei auch dem Argument ethnischer Identität ein nicht geringes Maß an Aufmerksamkeit. Ob mit dieser epistemischen Ausrichtung der Philologie allerdings nicht doch auch hierarchisierende oder gar essenzialisierende Aussagen einhergingen, soll im Folgenden untersucht werden.

2. Die anthropologische Ermächtigung des philologischen Wissens: Für eine ethnographische Sprachwissenschaft Es erscheint als nicht vereinbar mit dieser Skepsis gegenüber einer Philologie, die allzu kühn anthropologischen Aussagen frönte, wenn Ascoli in dem Politecnico-Artikel „Die Sprachen und die Nationen“ („Le lingue e le nazioni“), der wesentlich früher als der Brief an Pullé entstanden war, die „höchste Weisheit“ („sapienza suprema“) Carlo Cattaneos gehörig in Frage stellte.869 Gleich zu Beginn des Aufsatzes resümiert Ascoli zwei verschiedene Erklärungsansätze der Ethnogenese im prähistorischen Europa und verwarf sie. Einerseits widersprach er der Überbetonung einer Theorie großer Völkerwanderungen der ‚Arier‘, die sich von Asien aus über das verlassene und wüste Europa ergossen und dadurch zur plötzliche Zivilisierung des Kontinents beigetragen hätten. In diesem Urteil stimmte Ascoli mit Cattaneo überein. Andererseits störte ihn die Vorstellung einer wissenschaftlichen Sprachtheorie, die eine Entwicklung indoeuropäischer Sprachen ohne Zusammenhang mit den ethnischen Kollektiven sah, die sich dieser Sprachen bedienten: Per vero, i dotti alemanni, o i loro seguaci, ne presentano talfiata [sic] in guisa alquanto singolare queste migrazioni da oriente ad occidente; quasiché [sic] i varj popoli europei uscissero, l’un dopo l’altro, belli e fatti, dalla comune culla 868 869

Timpanaro 1973: 351. Vgl. Ascoli 1864a.

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asiana, per recarsi ad occupare, sul nostro continente, terre vergini od abbandonate. Ma d’altra parte, gli etnologi italiani, che troppo facile suppongono la immissione di nuove favelle (e troppo scarsa la mobilità delle stirpi), non giungono, malgrado la vasta dottrina e la molta eloquenza loro, a renderci persuasi di certi concetti, cui ne sembra ribellarsi ogni ragione linguistica.870

Diese Kritik zielte auf Cattaneos Konzept der sedentarietà, der Sesshaftigkeit europäischer Völker, und auf Cattaneos von Friedrich Schlegel beeinflussten Theorie einer Verbreitung der arischen Sprache durch kleine Händler-, Priester- und Kriegerkolonien, wie letzterer sie in seiner Biondelli-Rezension vertreten hatte. Eine Hypothese, die sich Ascolis Meinung nach mit philologischen Methoden allein nicht verifizieren lasse. Vielmehr schien ihm die Annahme eines stetigen Flusses lange andauernder Wanderungsbewegungen nahezuliegen. Die große strukturelle Nähe des Sanskrit zum Lateinischen, die sich im Gegensatz zu anderen Fällen historisch verbürgter Sprachentwicklung – wie derjenigen des Französischen aus dem Lateinischen – lange Zeit erhalten habe, weise darauf hin, dass kleine „Rinnsale von Sprache und Blut der Arier“ („scarsi rigagnoli di sangue e di linguaggio ario“)871 kaum in der Lage gewesen seien, eine derartige Verwandtschaft zu verursachen. Allein die quantitativ intensive Vermischung einwandernder Arier mit der eher dünnen Population Europas mache während jener fernen Epoche die Ausbreitung einer formenreichen und komplexen arischen Ursprache wahrscheinlich: Noi dunque neghiamo che le lingue greco-italiche e germano-slave sieno [sic] discordi impasti a cui l’Europa aborigene riducesse gli elementi asiatici, immessivi da esigue minoranze di sacerdoti o di guerrieri o di mercatanti; noi le affermiamo venire direttamente dall’Asia, portate da genti, che lasciassero in epoche diverse la patria commune [sic], e riuscissero, di contro agli Aborigeni dell’Europa, assai più prevalenti di numero che non gl’invasori germanici di contro ai Celti dell’Inghilterra, o rispetto ai non Finni i Magiari, quando a tempi istorici questi fermarono al Danubio le loro sedi. Reputiamo perciò che il sangue 870 871

Ebd.: 77. Ebd.: 90. Auch wenn sich Ascoli der Unsicherheit einer Gleichsetzung von ethnischer und sprachlicher Mischung bewusst war und einräumte, dass sich das arische Idiom selbst im Laufe der Zeit verändert haben musste, hielt er an einer These von intensivem Sprachkontakt der arischen Sprecher mit einer in geringerer Anzahl Europa besiedelnden Urbevölkerung fest und machte damit den Einfluss superstratischer Einflüsse auf die Sprachentwicklung geltend: „Come non supporre piuttosto, che nel Lazio entrasse assai più abondante [sic] l’elemento ario che non il romano nelle Gallie; come non ammettere per l’Ellade una singolarissima abondanza [sic] di sangue ario? Io non mi nascondo, come non torni ben sicuro quel calcolo, che dalla quantità dell’alterazione, patita da un linguaggio in un dato numero di secoli, vuol misurare la quantità degli estranei che in quel lasso di tempo ne divennero partecipi; poiché veggio bene, che l’alterazione della favella può assumere in certi periodi un andamento singolarmente rapido, sia per la precipitosa dissoluzione, a cui, quando certi limiti sieno varcate, è facile che l’organismo idiomatico vada incontro, sia per altre cause ancora, ugualmente estranee al fatto di nuove commistioni di genti diversi. Ma chi vorrebbe d’altra parte, farsi a sostenere, che un dilicato organismo idiomatico, abbia tanto più tenacemente a conservarsi puro, quanto più sia grande il numero de’barbari a cui viene a rendersi commune [sic]?“ Ebd.

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ario scorra in amplissima misura nelle vene dell’Europa; ma, a dir tutto il pensier nostro, le proporzioni che noi stabiliamo tra Aborigeni ed Arj non importano il concetto che gli ultimi venissero gran fatto numerosi, bensì, in generale, la scarsissima presenza dei primi.872

Hier schlug Ascoli eine eindeutig anthropologische Lesart philologischer Erkenntnisse vor, die aufgrund ihres genealogisierenden Charakters von Timpanaro zu Recht kritisch gesehen wurde.873 Ascoli ging es jedoch nicht in erster Linie um genealogische Rekonstruktionen über Vermischungsgrade und die damit einhergehende Hierarchisierung, sondern vielmehr um die Bedingungen dynamischen Austauschs unter den Völkern. Dieser Austausch lasse sich eben für die Prähistorie mittels der Philologie nachweisen. Dies hätte Ascoli aus heutiger Sicht vielleicht deutlicher herausstellen sollen, da er – indem er die in der Neuzeit herrschende ‚Durchmischung‘ und Undifferenzierbarkeit der alten Völker als eigentlich bekannte und unumkehrbare Tatsache voraussetzte – den Zeitgeist zu unterschätzen schien: Superfluo potrà dirsi, d’altra parte, l’avvertire, che se stabiliamo una grande abondanza [sic] di sangue ario, e certe divisioni di questo sangue, nella prisca Europa, ciò non importi l’affermazione di purità genealogica per le nazioni europee, e per le moderne in ispecie, ossia non implichi l’asserzione che queste continuino i primitivi gruppi arj o certe loro ramificazioni.874

Das Misstrauen gegenüber der Aussagekraft sprachlicher Substrate, das zu jener Zeit in der Wissenschaft vorherrschente, und die daraus folgende Suche nach anderen kohärenten Theorien zur Erklärung komplexer Dynamiken des Sprachwandels, mag eine gewisse Rolle bei Ascoli Verwendung des Blutsgebegriffes gespielt haben. Auch seine Bewunderung für die empirische und systematische Analyse der indoeuropäischen Sprachen durch August Schleicher und dessen ‚Biologisierung‘ der Philologie trugen wohl zu jener ethnologischen Argumentation mit bei.875 872 873

874 875

Ebd.: 90. Sebastiano Timpanaro wies bereits daraufhin, dass Ascoli einer Dynamik der Vermischung eine größere Gewichtung beimaß als der Bedeutung genealogischer Reinheit, obwohl er sich durch seine Anthropologisierung der Philologie der Gefahr einer Instrumentalisierung seiner rein philologischen Argumente zugunsten einer ‚Purifizierung‘ der Völker durch Sprache aussetzte: „Insomma la non coincidenza di lingua e razza, pur essendo un fatto universalmente vero, si manifesta in modo sempre più accentuato via che ci si allontana della preistoria: osservazione indubbiamente giusta quantunque l’Ascoli se ne valesse al di là del lecito, per tentare semplicemente ad asserire che ‘il sangue ario scorre in amplissima misura nelle vene dell’Europa’, che gli indoeuropei sono un’unità antropologica e non solo linguistica.“ Timpanaro 1973: 302. Ascoli positionierte sich sowohl gegen Cattaneo und den deutschen Orientalisten Theodor Benfey, welcher 1862 eine Cattaneo ähnliche Position zur fehlenden Aussagekraft der Sprachwissenschaft über genealogisch-ethnogenetische Entwicklungen in Anbetracht einer kontingenten Geschichtlichkeit vertreten hatte. Vgl. Benfey 1862: 6. Zu Ascolis deutlicher Abgrenzung von Cattaneo und Benfey vgl. ders. 1867a: 296-297. Ascoli 1864a: 95. Zur Zeit des Verfassens von „Le lingue e le nazioni“ interessierte sich Ascoli sehr für die schleichersche Theoretisierung mechanisch-regelmäßiger Abläufe im morphologischen oder

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Der Artikel lässt jedoch keine Rückschlüsse auf eine teleologisch hierarchisierende Sprachdialektik zu, wie sie aus Schleichers ‚darwinistischer‘ Entwicklung der indoeuropäischen Sprachen erfolgte und unterscheidet sich daher fundamental von der Sprachanthropologie des Deutschen. So schrieb Ascoli zwar von einem „idiomatischen Organismus“ („organismo idiomatico“), aber sah beim Wandel der indoeuropäischen Sprachen „Einflüsse von Zeit und Ort“ („influenze di tempo e di luogo“), bei den romanischen Sprachen die „Tätigkeit der Zeit“ („lavoro del tempo“) und die „Häufigkeit romanischer Überlagerung“ („spessezza della sovrapposizione romana“)876 am Werk. Dies waren weder sprachinterne, noch biologische oder mechanisch-determinierende, sondern historisch kontingente Faktoren. Schon eher könnte man jene von Ascoli angedeuteten ‚psychischen Motive‘ aus seinem Brief an Pullé als biologisch-zerebrale Determinanten interpretieren. Die in „Le lingue e le nazioni“ getroffenen Aussagen standen keineswegs im Widerspruch zu Ascolis monogenetischer Grundüberzeugung, sondern fügten die Völker in ein Modell sprachlicher wie ethnischer Vermischungsdynamiken. Diese Vermischung bestand nicht nur aus den ‚philologischen Siegen‘ der Sprachen historischer Eroberer. Angesichts des Keltischen schien Ascoli beispielweise in Anbetracht der großen Distanz, welche die gesprochenen keltischen Sprachen von den anderen indoeuropäischen Sprachen trennte, wiederum ein starker Einfluss indigener Elemente von Bedeutung zu sein, der sich durch Vermischung mit der Urbevölkerung ergab. Mit spekulativem Vorbehalt versuchte Ascoli nun, dies auf den gegenteiligen Fall zu übertragen und schloss starke Vermischungen der Völker dort aus, wo indigene Substrate nicht anzutreffen waren. Er tat dies jedoch aus logischer Konsequenz und nicht aus einer zwanghaften Ambition zu ethnographischer Separation und

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phonologischen Wandel der indoeuropäischen Sprachen, auch wenn er in einem für die hier diskutierte Frage entscheidenden Punkt von Schleicher abwich, da er dessen Theorie einer ‚Dekadenz‘ der Sprachentwicklung, welche in einem Analogieverhältnis zur Zivilisationsgeschichte stünde, nicht folgte. Vgl. Timpanaro 1973: 303-305. Ascoli sollte Schleicher im zweiten Band seiner Studj critici für seine methodische Stringenz und seine sprachwissenschaftlichen Verdienste um die Rekonstruktion einer ‚Einheit‘ der indoeuropäischen Sprachfamilie loben. Vgl. Ascoli 1877: 10-11. Nicht zuletzt Schleichers Aussagen über die ‚anbindende‘ Natur der indoeuropäischen Sprachen mussten für Ascoli eine Bestätigung seiner eigenen agglutinationstheoretischen Überlegungen darstellen: „Die Flexionssprachen sind nun die Sprachen der eigentlich welthistorischen Nationen. Sie spalten sich in zwei Sprachstämme, den indogermanischen und den semitischen. Alles, was wir in irgend einer Sphäre des menschlichen Geistes Bedeutendes kennen, ist auf einem dieser beiden Gebiete entsprossen. [...] Den Gegensatz, in welchem das Indogermanische und Semitische stehen und der wohl im Ganzen und Grossen genommen darin besteht, dass das Erstere die Beziehung mehr durch Wachsen des Wortes nach Aussen, das Letztere mehr durch innere Veränderung ausdrückt – wozu noch kommt, dass das Indogermanische die Flexion consequenter durch den ganzen Bau der Grammatik durchgeführt hat – brauche ich hier nicht näher zu entwickeln.“ Schleicher 1848: 11-12. Ascoli 1864a: 98.

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Typologisierung von Völkern, was sich unschwer an Ascolis vorsichtig herantastenden Argumentationsweise erkennen lässt: Ad ogni modo, se, com‘è assai probabile, e quasi direi certo, i perturbamenti della parola aria, presso a’moderni celtolingui, dipendono per grandissima parte dai cozzi e dalle commistioni che ne’tempi istorici si succedettero, ne parrà sempre più legitimo [sic] il negar che facemmo uguali vicende là dove simili perturbamenti non appariscono.877

Es waren nur die historisch rekonstruierten Sprachformen, die für Ascoli eine Möglichkeit der Verknüpfung in Genealogie und Historiographie evozierten. Keinesfalls war für ihn eine hierarchisierend aufgefasste Blutsverwandtschaft Grund für die Herausbildung eines Sprachsystems, das durch sie an eine Ethnie gekoppelt wäre. Die prähistorische Ursprache der ‚Arier‘ – unabhängig der Wirkung von Substraten einzelner Sprachen auf sie – wird so eher zu einem verbindenden als zu einem trennenden Charakteristikum. Wie sehr Ascolis Beitrag auf diesem Gedanken aufbaute, zeigt sich am Schluss des Artikels, der in keinerlei negativer Weise, sondern prospektiv und ohne den Gedanken an Sprachverfall und Formenarmut, das Verwischen der Unterschiede zwischen den Sprachen Europas – über eine einzige panromanische, panslawische und pangermanische Sprache hin zu einer monolingualen zukünftigen Epoche – und die Verbindung „mit dem wieder aufblühenden Asien“ („coll’Asia risurta“) heraufbeschwört. Dass Ascoli dabei das Englische als ein gelungenes Beispiel der Integration unterschiedlicher Sprachfamilien darstellte, war in diesem Zusammenhang wohl eher wissenschaftlich als politisch argumentiert: L’Europa si avvierà in quell’epoca a diventar trilingue, con un solo idioma letterario slavo, uno germanico ed uno romanzo. E più tardi, una grande vicenda istorica, un cozzo, ad esempio, coll’Asia risurta [sic], potrà renderla unilingue, ricondurla, per qualche maniera, alla primitiva unità, quei tre idiomi arj confondendosi in un lessico solo, retto dallo scheletro di una sola delle tre grammatiche, così, all’incirca, siccome avvenne in Inghilterra, quando, mescolatasi in ampie proporzioni la parola romana colla germanica, il maternal italico venne a ritrovarvi il mother (madre) teutonico, o il trinity latino vi si è imbattuto nello three (tre) de’Goti.878

Ascoli näherte sich durch diese Aussage wieder Cattaneos universalhistorischer Funktionalisierung von Sprache als einem faszinierenden und in vielfältigen Formen anzutreffenden Instrument menschlicher Verständigung. Trotz des Beigeschmacks rassenlogischer Genealogie und der Annäherung von Sprachwissenschaft und Anthropologie wird aus einer Perspektive, die in die Zukunft denkt, die optimistische Annahme kontingenter Dynamik der Geschichte und keine statische Essenzialisierung deutlich.

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Ebd.: 95. Ebd.: 100.

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Ascolis Sicht auf die Geschichte, wie er sie auf den letzten Seiten seines Artikels betonte, enthebt dieses Dokument daher dem Diskurs um einen essenziellen Zusammenhang von Sprache und Rasse. Sebastiano Timpanaro hat zu Recht auf die problematische Annäherung zweier unterschiedlicher Wissensbereiche durch den Blutsbegriff hingewiesen, durch die Ascoli der Kritik Gabriele Rosas und Carlo Cattaneos widersprach. Dennoch überwog auch in diesem Text die Suche nach einem gemeinsamen Nenner aller Völker und Menschen in Zukunft und Vergangenheit. Das Fatale lag in der Interpretation: Der Blutsbegriff war im Text zwar inklusiv intendiert, entkommt jedoch nicht der Möglichkeit exkludierend rezipiert zu werden, solange der Leser nicht Ascolis Menschheitsbegriff mitdenkt, der bei ihm allen ethnisch-sprachlichen Separationen zugrunde lag. Ein Begriff, der Ascolis epistemisches Fundament – jenseits von Inklusion und Exklusion – den fixierenden und essenzialisierenden Paradigmen rassenlogischer und rassistischer Diskurse fernhielt.

2.1. Gegen Sprachmythen und Essenzialismen: Ascolis ‚Studj critici‘ Das erste ehrgeizige Projekt, welches das pluralistische Denken des jungen Ascoli klar herausstellte, bestand im Versuch einer Begründung italienischer Orientforschungen mittels eines publizistischen Organs des Austauschs und der Verbreitung von philologischem Wissen unter dem Titel Studj orientali e linguistici im Jahr 1854.879 Auf Ascolis im Vorwort dargestelltes Enjeu des ersten Bandes der Studj und den darin vertretenen Anspruch einer ‚Universalphilologie‘ bin ich bereits an anderer Stelle eingegangen und werde hier nur noch einmal kurz einige Grundaussagen zusammenfassen.880 Ascolis Orientbegriff, den er als ‚Aufhänger‘ für jene Studien kritisch verwendete, bezeichnete einen wage umrissenen geographischen Raum von China bis Marokko als Objekt einer neuen, vergleichenden Wissenschaft orientalischer Sprachen, den er mangels ausreichend spezialisierter Forschungsbestrebungen in Italien vorläufig als ‚Orient‘ bezeichnete. Seine Forderung nach dessen Erforschung gründete auf dem missionarischen Ziel, dem einst höher entwickelten Orient zivilisatorischen Fortschritts zurückzubringen, ohne dabei militärische und kommerzielle Interessen zu verfolgen. Weitsichtig erkannte Ascoli, dass wahrhaft wissenschaftliche und objektive Orientstudien nicht mit kolonialistischen Bestrebungen europäischen Macht- und Profitstrebens einhergehen sollten, auch wenn er sich durch einen durchaus europäisch verstan879

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Zur vorbereitenden Reise durch Norditalien, während der Ascoli namhafte Gelehrte für sein ‚Orientprojekt‘, darunter Giovanni Flechia und Amadeo Peyron zu gewinnen versuchte, verfasste er ein Reisetagebuch, das unter dem Titel Note letterario-artistiche minori durante il viaggio nella Venezia, nella Lombardia, nel Piemonte, nella Liguria, nel Parmigiano, Modenese e Pontificio. Maggio-giugno 1852 von Sebastiano Timpanaro veröffentlicht wurde. Vgl. Ascoli 1959 [1852] u. Brambilla 2009: 87. Vgl. Lenz 2013b.

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denen Fortschrittsbegriff in einen zivilisatorischen Überlegenheitsdiskurs gegenüber den „Einheimischen“ („indigeni“) einschrieb, in dem noch der Eurozentrismus des aufklärerischen Universalismus widerhallte: Lo studio dell’Oriente non ha compiuto la sua missione finché è rivolto solo all’interesse scientifico o alle necessità politiche e commerciali degli europei; conviene indirizzare lo studio delle lingue dell’Asia, e delle moderne in ispecialità [sic], allo scopo della istruzione degl’indigeni […].881

Wie für Cattaneo beruhe die kulturelle und politische ‚Unterlegenheit‘ östlicher Zivilisationen, die von europäischen Mächten erobert und kolonialisiert worden waren, laut Ascoli nicht auf religiösen Hemmnissen oder einer essenziellen Inferiorität orientalischer ‚Rassen‘, sondern auf technischem und (natur-) wissenschaftlichem Aufholbedarf. Sprachliche oder schriftsystematische Differenz hatten mit diesem zivilisatorischen ‚Rückstand‘ nichts zu tun. Denn indem Ascoli unter Verweis auf den Sinologen Jean-Pierre Abel-Rémusat die Komplexität und Schönheit der chinesischen Sprache und Schrift betonte, oder unter Berufung auf den französischen Arabisten Louis Pierre Eugène Sédillot auf die Bedeutung arabischer Wissensarchive für die italienische Geschichte hinwies, eröffnete er dem Vorstellungsvermögen des philologisch interessierten Lesers zahlreiche Alternativen zu einem möglicherweisen von diesem vorausgesetzten Zivilisationsmonopol der Lautschrift oder flektierender Sprachen.882 Ebenfalls an Cattaneo erinnert die Betonung einer didaktischen Funktion von Philologie als Instrument nachhaltiger Wissensvermittlung durch Sprache und besonders durch Schrift. Ascolis ‚politische‘ Agenda beschränkte sich auf eine utopische Hoffnung, die auf eine Schlüsselrolle der historisch-vergleichenden Philologie als Meta- und Leitwissenschaft bei der Erforschung der Ideengeschichte mittels Sprache setzte:

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Ascoli 1854: 47. Vorherrschende wissenschaftliche und eben auch essenzialisierende Narrative und Vorurteile über die Schrift- und Sprachsysteme nicht-europäischer Zivilisationen wurden dabei von Ascoli durch Perspektivenwechsel dekonstruiert, um sprachliche und schriftsystematische Differenz den streng hierarchisierenden Kategorien des frühen 19. Jahrhunderts zu entheben. Dagegen eröffnete Ascoli dem Leser alternative Wertigkeiten wie Kreativität in der schriftlichen Darstellung und Schrift als „lingua ‘scritta’“ zugunsten des „progresso del spirito umano“. Vgl. ebd.: 9, FN 7. Gerade im Falle des Chinesischen wurden von Ascoli Oralität und Schriftlichkeit als gleichberechtigte Kommunikationsmöglichkeiten bewertet. Eine phonetische Unschärfe konnte vollständig durch Schrift ausgeglichen werden. Ein kleines Wortbeispiel zur Darstellung der Pupille in verschiedenen Sprachen dürfte dies verdeutlichen: „[…] come l’arabo, il persiano, il greco, l’ebraico, il latino, a dir pupilla adoperano voce che indica la piccola immagine del guardante che si specchia nell’occhio del guardato […], il cinese per scrivere questa parte mette il segno di fanciullo accanto a quello dell’occhio, non lasciando sentire nella pronuncia che il monosillabo significante fanciullo, tum […].“ Vgl. Lenz 2013b: 164. Zur zentralen Bedeutung Abel-Rémusats als kritische Gegenstimme zu inferiorisierenden Narrativen innerhalb der europäischen Orientphilologie vgl. Messling 2012b.

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Esso [lo studio delle lingue, ML] spiega nella decomposizione delle candide espressioni primeve i saggi più puri di poesia, e col rivelare affinità tra le stirpi apparentemente più diverse, viene in ajuto [sic] ai principj di tolleranza e fraternità delle nazioni […]; e, per dir breve, la scienza in cui si riflettono tutte le scienze, è la cultrice della parola, che è anima dell’umanità.883

Der dritte und letzte Band der Studj orientali, an denen außer Ascoli selbst nur Gabriele Rosa mitarbeitete, bildete zugleich den ersten Band seiner Studj critici884 und wurde 1861, Ascolis erstem Jahr als Professor für Linguistica comparata an der Mailänder Accademia scientifico-letteraria, veröffentlicht. Ascoli sollte sich in jener Schrift demjenigen Gebiet zuwenden, auf welchem er schließlich die größte Bekanntheit erlangen sollte: Die glottologischen Sujets der Studj critici lassen eine Wendung ‚nach innen‘, hin zur italienischen Dialektforschung erkennen.885 Das ethnisch und sprachlich ‚Fremde‘ wurde als Bestandteil der italienischen Kultur freizulegen versucht, wie allein schon anhand der Themenwahl sichtbar wird. Dass die Philologie dabei ihre eigenen Prämissen in Frage stellen musste, wurde von Ascoli mit Vehemenz betont, indem er sein Werk mit einer Fundamentalkritik an Bernardino Biondellis Neuauflage der Studii linguistici886 von 1856 beginnen ließ. Kritisch analysierte Ascoli Biondellis Paradigmatik, die dieser noch aus den Anfangszeiten der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft übernommen zu haben schien, seine mangelnde Kenntnisse des Keltischen sowie zahlreiche sprachtypologische Fehleinordnungen.887 Dabei rechtfertigte Ascoli diese ausführliche Dekonstruktion Biondellis mit der wissenschaftlichen „Autorität“ („autorità“) seines ‚Vorgängers‘. Dieser bestimme immer noch als gewichtige Stimme den Wissenschaftsdiskurs und müsse daher berichtigt werden.888 883 884 885

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Ascoli 1854: 26. Vgl. Ascoli 1861. Die Studj umfassten neben sprachgeographischen Schwerpunktthemen wie regionalen Dialekten (Saggi di dialettologia italiana) und alloglotten Sprachinseln (Colonie straniere in Italia, Frammenti albanesi) auch soziologisch konnotierte Sprachphänomene (Gerghi). Vgl. Biondelli 1856 [1845]. Vgl. Santamaria 1981: 112-113. Ascoli verdankte Biondelli allerdings einige methodisch wie inhaltlich wichtige Impulse für seine eigenen Forschungen zu den Dialekten, wie Domenico Santamaria betont hat, und sah dessen Verdienste um die Modernisierung der italienischen Philologie keineswegs nur negativ. Vgl. ebd.: 116-121. Der bei Biondelli immer noch von den beiden Schlegel-Brüdern geprägte Diskurs über die Sprachtypologie und das daraus abgeleitete Überlegenheitsdenken wurden von Ascoli als veraltetes Wissen in das Reich des Unwissenschaftlichen verbannt und um eigene Erkenntnisse erweitert: „A dir vero, negli Studj linguistici del Biondelli, tutti o per la massima parte già pubblicati od in opere sue od in altre raccolte, il lettore italiano non è sempre tenuto a livello, come suol dirsi, della scienza contemporanea. Io chieggo il permesso di venir rilevando dove sia accaduta simile trascuranza, nel tempo stesso che mi farò lecito di connettere qualche mio breve studio alle dotte investigazioni del chiarissimo autore. Ricordo a mia difesa, che l’utilità di avvertire le scorrettezze scientifiche cresce in ragione dell’autorità di chi v’incorse […].“ Ascoli 1861: 4. Vgl. ebd. Auch weil Biondelli mit der kategorischen Ablehnung einer möglichen Evolution der isolierenden, ‚ungrammatischen‘ Sprachen eine monogenetische Sprachursprungshypo-

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Es wird bei der Lektüre dieser Kritik deutlich, dass es vor allem essenzialisierende Urteile über komplexe und fälschlich in Großgruppen zusammengefasste Sprachsysteme – wie Biondellis undifferenziertes Urteil über das Japanische und Chinesische – waren, die Ascoli störten. Biondellis Vernachlässigung der Syntax, des „aspetto sintattico“, gegenüber der Grammatik als negativem Kriterium bei der Bewertung des Chinesischen stellte für den Glottologen beispielsweise eine willkürliche Verengung philologischer Perspektivik auf Sprache dar.889 Kritischer noch reagierte Ascoli auf Biondellis übermäßig ‚synchronisierenden‘ Blick.890 Ascoli forderte eine stärkere Betonung diachroner Beurteilungskriterien bei grammatikalischen Dynamiken funktioneller Art. Alle Sprachen und alle Sprachfamilien entwickelten sich in Ascolis Theorie zuallererst aus einer Aggregation bedeutungstragender Elemente („aggregazioni di atomi“), dürften jedoch nicht allein in ihrer Funktion als Substanzbegriffe („sostanze“) gesehen, sondern müssten auch anhand jener ‚grammatisierenden‘ Energien („energie“) verstanden werden, durch welche sie im grammatikalischen Gesamtsystem als ihrem zeitlich verfassten Funktionszusammenhang ihren Ort fanden: Ora, coi ravvicinamenti e co’ricordi che ho fatto precedere, io non vorrei sembrare d’avere esagerata la conformità genetica delle diverse famiglie d’idiomi, mentre attesi soltanto a ripresentarci come le disformità dei processi grammaticali perdano affatto di recisione ne’ loro contorni a misura che l’indagine approfondisce e s’allarga; come specialmente si appalesi illusorio il classificare i lin-

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these kategorisch ausschloss, musste sich Ascoli herausgefordert fühlen: „Da ciò appare manifestamente assurdo eziandio l’intento di quelli che impresero a ricondurre tutte le lingue del globo ad un solo stipite primitivo, mentre nessun fatto storico ci addita una sola lingua semplice, trasformata in lingua inflessiva, o viceversa; che anzi veggiamo la più antica fra le lingue semplici conosciute, cioè la cinese, attraversare quaranta e più secoli in tutta la primitiva semplicità, senza assumere una sola forma grammaticale, a malgrado dell’incivilimento cui giunsero in età rimota [sic] le nazioni che la parlano; e d’altronde scorgiamo la più colta e perfetta tra le note favelle inflessive, ossia la sanscrita, perdersi nella notte d’una rimotissima [sic] antichità.“ Ebd.: 16. Vgl. ebd.: 6. Biondelli behielt seine sprachanatomische Philologie auch in der Neuauflage seiner Studi bei und betonte den statischen Zusammenhang zwischen Volks- und Sprachfamilie gleichsam als physiologischen und zugleich kognitiven Merkmalen der Völker: „A porgere un saggio pratico del vero ordinamento filosofico dei linguaggi, adombreremo per ultimo la grande divisione, da noi altrove diffusamente svolta, di tutte le lingue dell’orbe in tre classi, alle quali per avventura corrispondono i tre principali stipiti, nei quali l’uman genere fu dai fisiologi ripartito. La prima classe comprende le lingue semplici, ossia affatto prive d’artificio grammaticale; la seconda comprende le affissive; la terza le inflessive.“ Biondelli 1856: 14. Ebd. 7. So verwies Ascoli Biondelli auf Franz Bopps Kritik an der schlegelschen Typologie und dessen Erkenntnis, dass die grammatikalisch ‚innerlich‘ flektierende Funktion der Wurzeln in den semitischen, ihrer grammatikalisch ‚anbindenden‘ Funktion in den indoeuropäischen Sprachen gegenüberstand. Vgl. Bopp 1833: 108. Bopp hielt allerdings eine „naturhistorische Classificirung der Sprachen“ für durchaus sinnvoll und räumte auch der indoeuropäischen vor der semitischen Gruppe „einen großen Vorzug“ als „[…]; endlich in der schönen Verknüpfung dieser Anfügungen zu einem harmonischen, das Ansehen eines organischen Körpers tragenden Ganzen“ ein. Vgl. ebd.: 112-113.

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guaggi, alla guise che vollero gli Schlegel e vuole il Biondelli, in vegetativi e aggregativi, secondo la supposta diversità d’origine delle loro afformazioni [sic] grammaticali. Aggregazioni di atomi, significativi per sé, è il fondamento di principalissimo, se non l’unico, degli esponenti grammaticali di ogni lingua. Nell’indole di tali atomi, e più ancora nell’energia per la quale essi furono ridotti a cessar d’essere sostanze col divenire puri elementi formali, nelle proporzioni in cui l’elemento grammaticale simbolico (reduplicazioni, mutamenti di vocali nell’interno della radice, e simili) si appaja [sic] al compositivo; nella varia attitudine, infine, d’imprimere nella collocazione delle parole e nelle formazioni grammaticali le logiche attinenze del discorso: s’hanno criterj veri per la classificazione dei linguaggi.891

Erst durch Anwendung dieser Kriterien, die das gesamte sprachliche Bezugssystem – wie beispielsweise die Herausbildung satzinterner Logik durch Anordnung grammatikalischer Komposita – miteinbezögen, werde eine weniger starre und hierarchische Anordnung von Sprachsystemen und Sprachfamilien möglich. Diese würden vielmehr aus einer diachronen Entwicklungsperspektive betrachtet und eben nicht nur anhand phonomorphologischer Elemente unter Vernachlässigung der Syntax willkürlich klassifiziert und bewertet. Ascoli wies darauf hin, dass jene Wechselwirkungen zwischen Sprache und Geist, welche die Unterschiede im Bau der Sprachen gezeitigt hatten, zwar nicht mehr in ihrer Komplexität nachvollziehbar seien, jedoch Rückschlüsse auf die Kreativität und Vielfalt des menschlichen Denkens bei der Bildung von Sprache in „gegen-historischen Zeiten“ („Periodi anti-istorici“), also der Urzeit der Völker, zuließen.892 Es war also eine zufällige Entwicklung innerhalb historischer Kontingenz, die Differenzen kreiert habe, und nicht die Entfaltung partikularer Geistesanlagen: Da elementi consimili, od anco uguali affatto [ursprüngliche Substanzbegriffe, ML], le nazioni, come gli individui, maturano opere diversissime. Gli sviluppi differentissimi a cui vennero le diverse favelle, non escludono la unità primitiva del linguaggio e quindi della specie.893

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Ascoli 1861: 17. Einige Sprachsysteme besäßen dabei eher einen semantisch-materiellen Charakter, was sie in Ascolis Augen „widerspenstiger“ („indocile“), da statischer mache, andere ein höheres Maß an grammatikalischer Komplexität durch Herausbildung reiner Funktionswörter. Diese schwache Hierarchisierung war jedoch eine rein formal-sprachwissenschaftliche Feststellung und keine anthropologische Beurteilung für die Herausbildung kognitiver Fähigkeiten durch Sprache: „Ma vi si vedrà e vi si ragionerà la vera indole delle diversità, né del resto vi si lasceranno le semitiche od il copto accanto alle americane, o si anteporrà la facoltà grammaticale delle ultime alla cinese. Le diversità distintive hanno a dirsi, in generale, perennemente costanti, surte [sic] in periodi anti-istorici, nella prima età delle nazioni. Taluna, di queste, compiendo nella culla, con mirabile potenza creativa, l’opera del plasmare a pure forme grammaticali i suoi felici aggruppamenti, giunse a produrre organismi stupendi; altre rimasero con favella più o meno impacciata da processi grammaticali non ismaterializzati, stromenti indocili del pensiero. Ma assoluta differenza primordiale non torna necessario supporre.“ Ebd.: 17-18. Ebd.: 18.

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Die im letzten Halbsatz des Zitats wie beiläufig getroffene Aussage über „die ursprüngliche Einheit der Sprache“ („la unità primitiva del linguaggio“) als Beleg einer „Einheit der Gattung“ („e quindi della specie“) ist eine weitere Belegstelle dafür, dass es Ascoli bei der Behandlung der Frage nach einer Klassifizierbarkeit der Sprachfamilien – und der Analyse ihrer Differenzen – letztlich immer um eine anthropologische Ermächtigung der Philologie ging. Sie könnte zum Wissen über den Menschen einen entscheidenden Beitrag leisten, ohne dabei auf die dogmatisch gefassten Spekulationen der Theologie oder die noch unklaren Prämissen der vergleichenden Anatomie oder Naturgeschichte zurückgreifen zu müssen. Die Einheit der menschlichen Gattung müsse – basierend auf der Fundierung des Menschen in Sprachlichkeit – empirisch und wissenschaftlich aus der Suche nach gemeinsamen sprachlichen Wurzeln zu begründen versucht werden. Andererseits durfte nach Ascoli dieses glottologische Wissen nicht zur unkritischen Erstellung anthropologischer Profile von menschlichen Kollektiven führen. So lobte Ascoli Biondelli für dessen Bekenntnis zur Erforschung der italienischen Dialekte. Da er jedoch Cattaneos Überbetonung der Substratsprachen bereits in seinem Essay „Delle lingue e delle nazioni“ widersprochen hatte, blieb auch hier die Kritik an einer zu statischen Betrachtungsweise italischer Völker der Prähistorie nicht aus. Ascoli begriff die Gefahr eines hermeneutischen Zirkels oder einer sprachwissenschaftlich-ethnographischen Sackgasse, in die Biondellis Vorgehen münden könnte. Es wäre schließlich der Fall denkbar, dass – allein mittels wissenschaftlicher Rekonstruktion einer bisher unbekannten ‚Ursprache‘ aus einem Dialekt– Rückschlüsse auf eine Urbevölkerung gezogen werden müssten, über die außerhalb sprachlicher Zeugnisse keine Erkenntnisse vorliegen.894 Philologische Ursprungsforschung wurde von Ascoli also im Falle Italiens wesentlich weniger enthusiastisch gesehen, als dies in Anbetracht seiner anthropologisierenden Aussagen über die ‚alten Arier‘ in Europa den Anschein haben mochte.895 Jedenfalls galt diese Skepsis so894 895

Vgl. Ebd.: 20. Mit diesem Vorbehalt sprach Ascoli eine wichtige Grundsatzfrage im wissenschaftlichen Umgang mit den auf sprachliche Substrate beschränkten, prähistorischen Relikten an, mit der sich Ernst Pulgram im 20. Jahrhundert sowohl im Hinblick auf die sprachliche Situation des prähistorischen Italien als auch auf die gesamte indoeuropäische Sprachenfamilie beschäftigte. Vgl. Pulgram 1958 u. Ders. 1961. Ist es denn wirklich möglich, nur aufgrund sprachlicher Befunde in Grammatik, Syntax und Lexik und ohne die Unterstützung anderer wissenschaftlicher Disziplinen in irgendeiner Form ethnographische oder gar genealogische Aussagen über die Sprecher jener Sprachen zu treffen und sie überhaupt in einem Volk zu vereinen? Im Gegensatz zu Ascoli, welcher den Begriff Arier für ‚ethnogonische‘ Verwandtschaftsbeziehungen instrumentalisierte, wurde von Pulgram die Wertigkeit und wissenschaftliche Aussagekraft dieses Begriffes gänzlich dekonstruiert. Vielmehr betonte der Romanist und Indogermanist den fiktionalen Charakter einer prähistorischen und rein sprachwissenschaftlichen ‚Völkerkunde‘. Die grundlegende Tautologie in der Aussagekraft rein sprachlicher Relikte würde bei ihm zum zentralen Problem werden: „The linguist who thus has perilously nurtured a genealogical tree and topped it with a shaky protolanguage, now triumphantly descends the same puny growth, at the head, as it were, of bands of lusty migrants and invaders who dis-

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lange, bis diese Art Sprachforschung nicht immer wieder neben der diachronen ‚Reinigung‘ der Substrate auch die synchron-komparative Betrachtung angrenzender Dialekte miteinbeziehe. Über diesen komplexen Vergleichsraum müsse die dialettologia stets die Verbindungslinien suchen, welche durch feinere Abstufungen intermediärer Formen zu einem komplexen ethnographischen Panorama – und nicht zu einer direkten Abstammungslinie der Italiener mit einer bestimmten Volksgruppe – führen würden.896 Durch die Einbettung dieser Art von Dialektforschung in den größeren Zusammenhang der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft entstand in Ascolis Denken eine pluralistische und dynamische Sicht auf die Zusammensetzung der italienischen Nation. Einseitige Rückschlüsse auf statisch verteilte Urvölker – wie sie im Settecento, frühen Ottocento und eben auch bei Biondelli diskutiert wurden – standen hier einer Suche nach Mitteln exakter Analyse und Arbeit am Sprachmaterial sowohl in synchroner als auch diachroner Perspektive gegenüber. Weniger eine Dekonstruktion ethnogenetischer, als vielmehr soziologischer Essenzialismen der Philologie stellt das Kapitel über die ‚Sprachen der Gauner und Banditen‘ (lingue furbesche) dar, die von Ascoli mit dem Begriff der gerghi als Milieusprachen bezeichnet wurden.897 Ihre grammatikalisch durchaus komplexe und semantisch überaus kreative Struktur wurde von Biondelli übersehen und eher deren defizitärer Charakter betont. Dabei schwang bei dessen negativer Bewertung dieses sprachlichen Phänomens auch die Einordnung der Sprecher innerhalb – oder besser außerhalb – der sozialen Hierarchien mit.898 Die gerghi und ihre Ausprägung als lingue furbesche waren

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perse their spectral selves and their mute idioms, leaving behind them, at fleeting halts and along conjectured paths, a faint and untidy tail of arrowheads or pots or battleaxes or cephalic indices, or perhaps of none of these – but always of alleged proto-languages. This is not linguistics, and it is not prehistory or history.“ Pulgram 1961: 33. Vgl. Hutton 2013: 90-93. Soweit wie Pulgram ging Ascoli, jedenfalls was das Arische Paradigma betraf, noch nicht. Zu viel Autorität wäre der neuen, modernen, positivistischen und globalen Glottologie verloren gegangen, wenn sie ihren Anspruch auf ethnographischen Erkenntnisgewinn zu jenem Zeitpunkt der erstarkenden Naturwissenschaften aufgegeben hätte. Besonders der Phonetik und eben keinesfalls semantischen Besonderheiten eines Dialektes sei dabei Beachtung zu schenken: „Per il canale del latino o del celtico, o d’altri idiomi ancora, è assai probabile che sien [sic] giunti a noi dei sanscritismi che più non si rinvengono presso a chi ce li ha immessi; com’è ben possibile che la veste fonetica di tali sanscritismi c’indichi per quale tramite essi ci sieno prevenuti. Ma ognun vede, come prima di presumere d’aver eruito [sic] in un nostro vernacolo un vocabolo del quale convenga rintracciare le parentele in remote contrade, è d’uopo avere esaurita l’indagine nelle circonvicine; locché non è sempre agevol cosa.“ Ascoli 1861: 23. Vgl. Ascoli 1861: 101 ff. Biondelli hatte den ‚Gaunersprachen‘ eine wissenschaftliche Abhandlung sowie einen Artikel in der Rivista europea gewidmet. Vgl. Biondelli 1846a u. Ders. 1846b. Biondelli verfolgte dabei keine Rassenlogik im ethnischen Sinne, jedoch überführte sein Paradigma der gerghi als atavistischen Strukturen im Sprachsystem und ihre Verbindung mit den „geistigen Prozessen“ ihrer Sprecher ein philologisches Phänomen nicht nur in einen soziologisch-politischen, sondern in einen anthropologischen Diskurs, der die Gründe für die

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Biondelli zufolge nicht nur unnütz, sondern sogar „schädliche Sprachen“ („lingue malefiche“), zu deren Beherrschung, Entschlüsselung und schließlich Zerstörung, wie sie für eine effiziente Verbrechensbekämpfung nötig sei, die linguistica einen entscheidenden Beitrag leisten könne.899 Ascoli hatte demgegenüber wiederum eine gänzlich andere Herangehensweise an dieses philologische Forschungsobjekt. Fern jeglichen Versuchs einer ‚gesellschaftshygienischen‘ Instrumentalisierung philologischer Erkenntnisse, versuchte er in seiner Forschung über die gerghi einen noch in seinen wissenschaftsgeschichtlichen Anfängen stehenden Diskurs von statischen Festschreibungen und anthropologischen Spekulationen zu lösen. Ascoli fragte nach den Gründen für die Gemeinsamkeiten der gerghi in Metaphorik und Semantik. Er vermutete sie jedoch weder in einer inneren Veranlagung oder einer ethnischen Verwandtschaft ihrer Sprecher. Vielmehr müsse die Unabhängigkeit der verschiedenen Idiome voneinander solange vorausgesetzt werden, bis nicht ein unumstößlicher Beweis ihrer Verwandtschaft aufgefunden werde: Io sono ben lontano dal negare importanza filosofica allo studio dei gerghi e dal riconoscere che in essi v’abbiano elementi non fortuitamente comuni; ma, né le conformità ideologiche a cui si allude vengono a costituire quella identità di essenza che ci si vanta, né son d’indole tale che abbiano a farci meravigliare, o ad indurci, perché vi si aggiunga la comunanza di un dato numero di vocaboli o di metafore, a non credere i varj gerghi surti [sic] ne’diversi paesi l’uno indipendentemente dall’altro.900

Ohne psychologische oder ethnische Gründe zu bemühen, machte Ascoli auf die soziale Natur eines philologischen Phänomens aufmerksam, das oftmals automatisch mit einer Einordnung der Sprechergruppe als Kollektiv ähnlich veranlagter oder verwandter Individuen verbunden wurde. Die Frage nach der Rolle von Staat, Gesellschaft und Rechtssystem für die Entstehung und Marginalisierung dieses Kollektivs rückte bei einer solch vereinfachenden Sicht-

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gerghi in einer krankhaften, gleichsam ‚genetisch‘ bedingten Abweichung von der Norm sah. Vgl. Biondelli 1856: 114. Die philologische Forschung war somit Hilfswissenschaft der Kriminologie und Jurisdiktion. Ihre gesellschaftliche Funktion entspräche derjenigen einer Möglichkeit zu einer effizienteren Überwachung und Kontrolle von unerwünschten, sprachlichen Elementen und deren Sprechern zum Schutze der rechtschaffenen Bürger: „Siccome poi, instituendo queste indagini, non fu sola nostra intenzione l‘apprestare ai lettori un mezzo onde preservarsi dalle insidie de’vagabondi, ma altresì quella di giovare in pari tempo alla scienza, porgendo ai linguisti ed ai psicologi nuovi materiali per più elevate disquisizioni […]. Invitando perciò gli studiosi che ne bramassero più estese notizie alla lettura di questo nostro tenue lavoro, ci compiacciamo d’aver chiamata per la prima volta la loro attenzione sopra un terreno affatto inesplorato sinora, e tanto più stimiamo util cosa il farlo, quanto più speriamo vicina la distruzione di tante lingue malefiche in un tempo, in cui la crescente vigilanza delle leggi, la riforma delle carceri […] e tante altre benefiche instituzioni [sic] politiche ed industriali, diffuse per opera degli amici dell’umanità, promettono a questo nostro vecchio pianeta un miglior avvenire.“ Ebd.: 120. Ascoli 1861: 105.

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weise, wie sie Ascoli bekämpfte, automatisch in den Hintergrund. Allein der Umgang mit dem Typus des ‚asozialen Menschen‘ wird in ihr eine Frage der Rechtsprechung. Auch wenn diese Entwicklung vor allem für die deterministische Kriminologie eines Cesare Lombroso eine Rolle spielte, leisteten – wie im Falle Marzolos gezeigt – philologische Spekulationen entscheidende Beiträge für ihre Verwissenschaftlichung.901 Tatsächlich schloss sich Lombroso in diesem Falle jedoch der Meinung Ascolis an, wenn er zwischenmenschliche Kontakte und andere kontingente Faktoren als bestimmend für den Charakter dieses Sprachphänomens ansah. So sei es neben der Notwendigkeit einer Geheimsprache, die der unbehelligten Verständigung innerhalb eines Personenkreises dienen könne, der außerhalb des Rechtssystems agiert, insbesondere der Sprachkontakt dieser gesellschaftlichen Außenseiter mit nomadischer und ausländischer Bevölkerung gewesen, der zur Übernahme zahlreicher Lehnwörter in die jeweiligen nationalen gerghi geführt habe: Vi hanno parte, e notevole, i contatti con persone straniere alla regione ed alla nazione, a cui li [die Gauner, ML] constringe [sic] la sciagurata e quasi sempre nomade professione; questo da una parte, spiega la frequenza delle parole ebraiche, zingariche nei gerghi tedeschi, inglesi ecc., dall’altra può spiegare l’unità del gergo italiano, in mezzo alle varietà dei suoi dialetti.902

Eine bestimmbare Grundstruktur des ‚Verbrechers‘ existierte für Lombroso zweifellos und ließ sich in seinem epistemischen Verständnis durch Schädelforschung und andere biologisch-anthropologische Analysemethoden herausarbeiten. Jedoch war Sprache im Falle des Verbrechermenschen (uomo delinquente) ein sekundäres Merkmal, das durch die soziale Notwendigkeit, aber auch durch natürliche Faktoren wie Klima und Geographie geprägt war. Der deterministische Kriminologe Lombroso konnte in diesem Falle also getrost den Philologen Ascoli für seine Zwecke zitieren.

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So verwies der Kriminologe in seinem Uomo delinquente im Kapitel über die ‚gerghi‘ gleich zu Beginn in der ersten Fußnote auf Ascolis Studj critici und auch Biondellis Studien zu den Gaunersprachen, da er diese philologischen Vorarbeiten als fundamental für seine eigenen Forschungen erachtete: „Uno dei caratteri particolari dell’uomo delinquente recidivo ed associato, come lo è sempre nei grandi centri, è l’uso di un linguaggio tutto suo particolare, in cui, mentre le assonanze generali, il tipo grammaticale e sintattico dell’idioma conservasi illeso, è mutato completamente il lessicale.“ Lombroso 1896: 531. Nun verhielt es sich jedoch so, dass Lombroso gerade in Bezug auf die gerghi, die er als Sprachen der Landstreicher und Gauner von der ‚Sprache‘ der pazzi, der Geisteskranken, getrennt wissen wollte, einerseits deren soziale Determiniertheit anerkannte, andererseits keine inneren, sondern äußere Faktoren für die Bildung der Gaunersprachen und anderer nomadischer Jargons annahm, die meist als ‚Fachjargons‘ krimineller Subjekte fungieren würden. Vgl. ebd.: 543. Ebd.: 549.

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2.2. Von der glottologischen Auflösung eines Ursprungsnarrativs Nach Ascolis Wissenschaftsverständnis war die Beschäftigung mit Sprachen, Texten, Sprachlichkeit und den damit einhergehenden Prämissen grundsätzlich einer strengen – nicht nur wissenschaftspraktischen, sondern epistemischen – Teilung in filologia und linguistica unterworfen, auch wenn er in den Studj orientali durchaus ein komplementäres Nebeneinander ergänzender Kollaboration der beiden philologischen Bereiche gelten ließ.903 Die Methoden und Erkenntnisse einer vergleichenden Wissenschaft der Sprachen müssten in ihrer Bedeutung als neue empirische Erkenntnisse über den Zusammenhang von Sprache und Denken erfasst werden.904 Ascoli stärkte die Geschichtlichkeit als empirischem Raum und zentralem Moment für eine wissenschaftlich adäquate Erfassung der Phänomene ‚Sprache‘ und ‚Volk‘. Dadurch versuchte er, jene vielfach vorausgesetzte Opposition der ‚Arier und Semiten‘ methodisch zu unterwandern, welche die vergleichende Philologie das gesamte 19. Jahrhundert über dominierte: Il caso nostro, cioè la percezione di una base fondamentale comune al linguaggio ariano ed al semitico, ha poi in sé come ‚a priori’ una credibilità particolare, poiché l’analisi etnologica, o si eserciti intorno ai corpi o intorno alle lingue, può parer che ci porti come a una riprova o a un comento delle esperienze dei secoli, e tanto meno trovi disformi le stirpi fra di loro, quanto meno è stata disforme o disgiunta la loro attività nella storia. Ora, l’Ario e il Semita, questi due gran campioni della razza bianca, hanno fra di loro un‘attiguità storica con la quale 903 904

Vgl. Lenz 2013b: 160. Würden diese Erkenntnisse im völkerpsychologischen Sinne erweitert, so sei die Aspiration auf eine wahrhaft wissenschaftliche Begründung der Völkerpsychologie und einer vergleichenden Grammatik, welche sich ‚psychologisch‘ nennen könnte auch für Ascoli in Reichweite, jedoch noch nicht erreicht. So beschrieb Ascoli in seiner Rezension zu Lignanas BoppGedenkschrift, welche er auch in den zweiten Band seiner Studj critici aufnahm über die tiefere Bedeutung des vergleichenden Sprachenstudiums: „Ora, di famiglie o specie ve ne hanno di molte, e quindi possono aversi varii sistemi di grammatiche istoriche e insieme le istorie di varie grammatiche. Le felici esperienze, fatte sul campo indo-europeo, non è a dirsi quanto valessero anche a promuovere od a rinvigorire l’indagine pur su d’altre regioni del mondo della parola. E lo studio sempre in più diligente intorno alle singole famiglie o specie, rese sempre in più razionale e profonda l’ardua speculazione delle dissimiglianze e delle simiglianze [sic] che intervengono tra famiglia e famiglia, specie e specie. Si vennero, più particolarmente, paragonando, così le varietà etniche del pensiero in quanto si manifestino nella varia struttura dei differenti tipi idiomatici, come la diversa reazione che alla sua volta la differente favella esercita sul pensiero; e da questo studio, che tende a procacciare solidi fondamenti a una psicologia delle nazioni, surge [sic] come una nuova specie di grammatica comparata, la quale potrebbe addomandarsi psicologica.“ Ascoli 1867a: 291. Seit Bopp gelte das Gebot der induktiven vor der deduktiven Vorgehensweise. Die Verifizierung der Erkenntnis wurde so für Ascoli zu einem langwierigen, mühsamen, wenn nicht gar unmöglichen Unterfangen. Noch stärker als dies in seiner Biondelli-Lektüre der Fall war, musste Ascoli daher in Lignanas idealistischer Bopp-Lektüre (vgl. Lignana 1866) die Gefahr eines Rückschritts der italienischen Wissenschaftsgeschichte in scheinbar einfache, metaphysische Sprachspekulationen erkennen, wie er sie zusammen mit der allzu einfachen schlegelschen Sprachtypologie bereits für verschwunden hielt.

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nessun’altra può misurarsi o per l’insistenza o per gli effetti; e Roma, caput mundi, è stata così investita, redenta e minacciata da tre diverse correnti della civiltà dei Semiti.905

Die strenge Trennung von ‚arischer‘ und ‚semitischer‘ Zivilisation sei bereits für die jüngere Geschichte des Menschen durch gesicherte Überlieferung widerlegt, nach der Rom bekanntlich dreimal durch ‚semitische‘ Einflüsse verändert worden sei. Karthago, das Christentum und die islamischen Eroberer Siziliens stünden nicht außerhalb der Geschichte, sondern hätten das Schicksal der einst mächtigsten Stadt der mediterranen Welt ebenso beeinflusst, wie es deren Herren mit den ihr unterworfenen Völkern taten. Nun galt es, diese historisch erwiesene Verbindung auch für die Prähistorie der Völker philologisch nachzuweisen, um einer wissenschaftlich konstruierten Differenz mit anthropologischem Anspruch ihr Kernargument zu rauben: Die Unvereinbarkeit der semitischen mit der indoeuropäischen Sprachfamilie sollte endlich methodisch widerlegt werden! Die technische Umsetzung seines Plans verfolgte Ascoli in einer Reihe von Arbeiten, in denen er einer systematischen Ausarbeitung morphologischer, phonetischer und grammatikalischer Berührungspunkte zwischen semitischen und indoeuropäischen Sprachen nachging.906 Anhand zahlreicher Wortbeispiele und Rekonstruktionsskizzen einer gemeinsamen „morphologischen Textur“ („tessuto morfologico“) sollte die prähistorische Gestalt beider Sprachfamilien ein Stück weit rekonstruiert werden, um ausgehend von wiederhergestellten Urformen beider ‚Antagonisten‘ Möglichkeit und Merkmale einer semitischarischen Ursprache herauszuarbeiten: Ricostruendo dall’una parte le fasi preistoriche della parola ariana, e dall’altra quelle della semitica, riusciamo noi a vedere o almeno a intravedere il punto di coincidenza istorica delle due favelle, riusciamo cioè a ricondurre correttamente l’una favella e l’altra a tali condizioni, che ci presentino uno stesso tessuto morfologico e un sufficiente complesso di concordanze fonetiche?907

In Deutschland hatte August Schleicher bereits 1848 auf frappante lexikalische und grammatikalische Ähnlichkeiten zwischen beiden Sprachfamilien hingewiesen. Jedoch sah er Versuche, die zu einer wissenschaftlich haltbaren Rekonstruktion einer gemeinsamen Ursprache führen sollten mit großer Skep905 906

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Ascoli 1861: 23. Um diesen Versuch einem möglichst breiten Publikum darzulegen, sah Ascoli es als angebracht an, seine sprachwissenschaftliche Theorie nicht nur in Italien bekannt zu machen. In zwei Briefen wandte er sich gezielt an den ‚Vater‘ der Indogermanistik Franz Bopp sowie an Adalbert Kuhn, dem Mitherausgeber der bekanntesten deutschen Orientzeitschrift, den Beiträgen zur vergleichenden Sprachforschung auf dem Gebiet der arischen, keltischen und slawischen Sprachen. Die beiden Briefe an Kuhn und Bopp wurden auf Italienisch im Politecnico veröffentlicht. Vgl. Ascoli 1864b u. ders. 1864c. Eine Vorlesung zum Thema aus dem Jahr 1865 wurde schließlich 1867 in den Memorie del Reale Istituto Lombardo veröffentlicht. Vgl. Ascoli 1867b. Ascoli 1861: 51, FN.

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sis und unterstrich eher die Gefahr komparatistischer Willkür als den Gewinn wissenschaftlicher Erkenntnis, die ein derartiges Unterfangen bestimmen würde.908 Ascoli sah sich bei seinem Projekt also mit gewichtigen fachlichen Vorbehalten konfrontiert, die sich bei renommierten Kollegen Bahn brachen. Im Gegensatz zu Schleicher und Lignana stand Max Müller, wie auch Ascoli dies anerkennend bemerkte, Rekonstruktionsversuchen des indo-semitischen Uridioms wohlwollend gegenüber. Er sah hier eine gewisse Erfolgsaussicht, da semitische und indoeuropäische Sprachen als State-languages sowohl eine gemeinsame soziokulturelle Verfasstheit als auch – auf struktureller Ebene – ein gemeinsames stratum aufweisen könnten.909 Jedoch hielt auch er die Möglichkeit einer systematischen Rekonstruktion dieser Ursprache für unwahrscheinlich und verbannte letztere aus dem Bereich historischer Entwicklung des Menschen.910 Ascoli wagte trotz der ihm eigenen positivistischen Skepsis gegenüber unbegründeter Spekulation und Phantasterei den Versuch einer Darlegung jener „Harmonie zwischen indogermanischen und semitischen Wörtern“911, die von Schleicher in Abrede gestellt worden war. Sein Ansatz, den er mit Überzeugung vertrat, sollte in Deutschland eher auf ein negatives Echo stoßen und vor allem in Italien durch Veröffentlichungen im Politecnico Bekanntheit erlan908

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Schleicher sah das Semitische zwar im Vergleich zu anderen Sprachen wie dem Chinesischen ‚in seiner Urform‘ zwar nah, aber nicht nah genug am Indogermanischen, um den Versuch der Rekonstruktion wagen zu können: „Selbst das Semitische steht, obgleich auch zu den Flexionssprachen gehörig, doch dem Indogermanischen viel ferner, als man vielfach annahm. Nicht zu leugnen ist indess [sic], dass bei der Zurückführung des Indogermanischen auf seine ältesten ursprünglichsten Formen sich manches Übereinstimmende, selbst in grammatischer Beziehung, zeigt – der Übereinstimmung in lexikalischer Beziehung zu geschweigen. Man darf nur einmal das Indogermanische mit dem Chinesischen zusammenhalten, um sich sofort seines näheren Verhältnisses zum Semitischen bewusst zu werden. Leider ist jedoch die Harmonie zwischen indogermanischen und semitischen Wörtern nicht gross genug, um durch Auffinden bestimmter Gesetze, nach welchen sich die Laute in beiden Sprachstämmen entsprechen, der Willkür feste Schranken zu setzen, die für ihr wildes Treiben gerade an der Vergleichung des Semitischen und Indogermanischen ein ergiebiges Terrain gefunden zu haben scheint.“ Schleicher 1848: 102. Vgl. Müller 1868: 20. Allein im isolierenden Stadium sprachlicher Entwicklung bestand für Müller der Anknüpfungspunkt für eine gemeinsame arisch-semitische Sprachgeschichte, da sich die Monosyllabizität der indoeuropäischen Sprachwurzeln über die Zeiten erhalten habe, während die semitischen Sprachen nur zwei- und dreisilbige Wurzeln aufwiesen und historisch nicht weiter als auf diese Dreisilbigkeit reduziert werden können, selbst wenn man eine Epoche prähistorischer Einheit annähme: „There remains, therefore, the first or isolating stage only in which Semitic and Aryan speech might have been identical. But even here we must make a distinction. All Aryan roots are monosyllabic, all Semitic roots have been raised to a triliteral form. Therefore it is only previous to the time when the Semitic roots assumed this secondary triliteral form that any community can be admitted between these two streams of language. Supposing we knew as an historical fact that at this early period – a period which transcends the limits of everything we are accustomed to call historical – Semitic and Aryan speech had been identical, what evidence of this union could we expect to find in the actual Semitic and Aryan languages such as we know them in their inflectional period?“ Ebd.: 35. Schleicher 1848: 102.

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gen.912 Diese Ablehnung durch den Hebraisten Friedrich Delitzsch und August Schleicher traf neben Ascoli auch den Germanisten Rudolf von Raumer, der ein ähnliches Projekt verfolgt hatte.913 In Italien sollte Ascoli seine Erkenntnis dennoch auch weiterhin zur Diskussion stellen und sie noch einmal in den Memorie del Reale Istituto Lombardo veröffentlichen.914 Im letzten der dort ausgeführten 23 Indizien für eine arisch-semitische Sprachverwandtschaft fasste er seine bisher gewonnenen Erkenntnisse zusammen. Deren wichtigste war die These mehrsilbiger und mit Pronomina verbundener Nomina agentis als Grundlage der Verben. Diese Grundlage wiesen sowohl die ‚arischen‘ Sprachen, wo bislang die Annahme monosyllabischer Wurzeln gegolten hatte, als auch die ‚semitischen‘ Sprachen auf, deren Radikale ursprünglich ebenfalls nichts anderes als Nomina agentis gewesen 912

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So musste Ascoli in einigen Veröffentlichungen lesen, dass seine Überlegungen zu einer arisch-semitischen Ursprache keinerlei wissenschaftlichen Wert besäßen. Vgl. D’Ovidio/ Bianchi 1982: 83. Vgl. Delitzsch 1973: 12 ff. Auch der Erlanger Germanist Rudolf von Raumer ging von der Rekonstruierbarkeit einer arisch-semitischen Ursprache aus, die keiner ihrer beiden ‚Töchter‘ einen sprachgenealogischen Vorrang einräumte. Vgl. Raumer 1864: 7. Schleicher, welcher zu Ascoli in freundschaftlichem Kontakt stand, hielt es nicht für nötig, die Thesen Ascolis direkt aufzugreifen, sondern verwies ihn auf seine Kritik zu Rudolf von Raumers Untersuchungen über die Urverwandtschaft der semitischen und indoeuropäischen Sprachen, welche erstmals im Jahre 1864 erschienen waren: „Der Versuch das Semitische mit dem Indogermanischen zu vermitteln ist voriges Jahr von Rud. v. Raumer in Erlangen gemacht worden. Das demnächst auszugebende Heft der Beiträge enthält näheres darüber. Meiner Ansicht nach – verzeihen Sie gütigst meine Offenheit – kann sowohl das, was Rud. v. Raumer vorbringt, als auch das, was Sie entwickeln, als nicht stichhaltig nachgewiesen werden. Gegen Rud. v. Raumer habe ich bereits geschrieben. Eine weitere Auseinandersetzung meiner Ansicht würde die Grenzen eines Briefes weit überschreiten und ich muß daher auf ein näheres Eingehen auf die Sache verzichten. [...] Was den Abdruck ihrer Abhandlung betrifft, so werde ich darüber Kuhns Meinung hören, da ich selbst in der semitisch indogermanischen Frage Partei ergriffen habe und demnach mein Votum leicht parteiisch erscheinen könnte.“ Brief August Schleichers an Graziadio Ascoli vom 07.05.1864, aufbewahrt im Archivio Ascoli der Accademia dei Lincei unter der Signatur 146/78. Diese abschlägige Antwort war höflich formuliert, ganz im Gegensatz zu den diskursiven Verwerfungen, welche zur gleichen Zeit in Deutschland zu diesem Thema stattfanden. Der Tonfall nahm dort den Charakter einer massiven Polemik an. Opfer war Rudolf von Raumer. Schleichers vorsichtig angedeutete, inhaltsbezogene Kritik an Von Raumer in den Beiträgen zur vergleichenden Sprachwissenschaft zielte eher auf ein grundsätzliches Verhindern weiterer Überlegungen zu einer gemeinsamen arisch-semitischen Ursprache durch deren Disqualifizierung als ‚unwissenschaftlich‘. Dies ist nicht verwunderlich, wenn man die (sprach-)rassenlogischen Überlegungen Schleichers in den Kontext der Betrachtung miteinbezieht und nicht nur auf der methodischen Ebene verbleibt. So beklagte sich Von Raumer in seiner Verteidigungsschrift: „In den Beiträgen zur vergleichenden Sprachforschung von Kuhn und Schleicher (Bd. IV, Heft 2) findet sich ein Aufsatz des Hrn. Prof. Schleicher in Jena, durch welchen er meine Untersuchungen über die Urverwandtschaft der semitischen und indoeuropäischen Sprachen unschädlich machen möchte. […] schon vor dem Erscheinen meiner gesammelten sprachwissenschaftlichen Schriften ist Hr. Schleicher über eine kleine Schrift hergefallen, die ich einigen Fachmännern und auch Hrn. Schleicher persönlich zugeschickt hatte, um von ihnen zu erfahren, ob eine Entdeckung, die ich gemacht zu haben glaubte, ihnen haltbar scheine. Es ist so viel ich weiss, sonst nicht Sitte, auf solche rein persönliche Zusendungen öffentlich zu antworten.“ Raumer 1864: 3. Vgl. Ascoli 1867b.

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seien. Die Behauptung, die semitischen Sprachen hätten ihre Wurzeln ohne Vokalisierung bewahrt, wies Ascoli zurück, da die Vokale bereits bei der ersten Bildung der Verben auf phonetischer Grundlage eine radikalische Funktion eingenommen hätten. Zuletzt kam Ascoli auf die Unterscheidung der Verben beider Familien anhand der Art ihrer Affixe zu sprechen. So war es gängige Meinung, dass die Verben ‚arischer‘ Sprachen ausschließlich mittels Suffixen gebildet würden, während die semitische Sprachfamilie sowohl über Verben mit Prä- als auch mit Suffixanhang verfüge. Auch dieses Faktum stellte für Ascoli kein endgültiges Differenzkriterium dar, denn dieser Unterschied hätte während einer Epoche vor der engeren Anbindung der Pronomina an die Nomina agentis geschehen können.915 Besonders in diesem letzten Argument kam ein zentraler Aspekt von Ascolis Rekonstruktionsarbeit zur Geltung: Es war neben der Überprüfung und Erweiterung phonomorphologischer Vergleichskriterien die Historisierung einer arisch-semitischen Ursprache, auf welche es Ascoli letzten Endes ankam. Die Bedeutung einer gleichberechtigten Anerkennung der Sprachfamilien wird für ihn erst durch die Nachvollziehbarkeit ihrer geschichtlichen Entwicklung und durch die ‚Entzauberung‘ einer dunklen sprachgeschichtlichen Vergangenheit möglich.916 Vertrauend auf die Macht philologischer Methode, auch aus den kleinsten sprachgeschichtlichen Indizien weitreichende Einsichten in Struktur und Entwicklung von Sprache zu gewinnen, sollte es ohne spekulatives Abwägen der Möglichkeiten gelingen, die frühesten Stadien der Sprachen eindeutig und sicher zu ergründen: V’ha, cioè, chi per abito naturale dell’ingegno, o per consuetudine di studii, è tratto a giudicare assai presto esauriti gli sforzi dell’indagine positiva; e nella sicurezza che questa più non possa ormai aggiungere se non dei complementi più o meno microscopici, da lasciarsi agli amatori delle minute cose, commette all’immaginazione di compire l’opera del sapere. Sennonché i veri, a prima vista minuti, ci hanno ormai abituati da un pezzo alla loro virtù espansiva e pur demolitrice […].917

Eine genaue und detaillierte Analyse morphologischer, phonetischer, grammatikalischer und syntaktischer Befunde dürfe gleichzeitig nicht davon abhalten, den synthetischen Teil induktiver Wissenschaft zu vernachlässigen, der zu weiterreichenden Konsequenzen trüge als bisher angenommen, und somit den Mangel an historisch belegten Daten zum verfügbaren Forschungsmaterial aufheben könnte. Da es sich um den Versuch einer sprachwissenschaftlichen 915 916

917

Zu diesen letzten Schlussfolgerungen vgl. ebd.: 35-36. Ascoli selbst sollte nach Schleichers abweisendem Urteil von weiteren Arbeiten zum Nesso absehen. Systematische Forschungen nach einer arisch-semitischen Ursprache sollten erst Anfang des 20. Jahrhunderts wieder vom dänischen Linguisten Hermann Möller aufgenommen werden (vgl. Möller 1906) und gipfelten schließlich in Albert Cunys Rekonstruktion des Nostratischen als Verbindungssprache zwischen dem Indoeuropäischen und dem ChamitoSemitischen. Vgl. Cuny 1943 u. Gazdaru 1967: 149. Ascoli 1867a: 298.

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Rekonstruktionsarbeit handle, müsse zwar der prähistorische Charakter dieses zeitlichen Operationsrahmens deutlich bleiben, aber dennoch eine positivistisch legitimierte Historisierung der Erkenntnisse durch Unterfütterung mit einem anthropologischen Basiskriterium möglich sein. Die Geschichte der Natur sei zwar nicht Vorbild der Geschichte des Geistes, aber deren Beobachtung mit derjenigen der Sprachen durchaus zu vergleichen. Sprachentwicklung als Ausdruck einer sich ändernden Geistestätigkeit müsse für den Positivisten dieselbe Aussagekraft besitzen wie die Geschichte des ‚vollendeten‘ – also bereits historisch artikulierten – Geistes, da auch sie nicht nur der Kontingenz, sondern anderen nachvollziehbaren Gesetzen unterliege.918 Ascoli verwandte dafür das naturwissenschaftliche Bild eines evolutionären Lebenszyklus der Sprachen, das an August Schleichers ‚Sprachlebewesen‘ erinnert: Altre hanno potuto o dovuto essere le norme, per le quali si venne a fissare, pur nelle ultime sue evoluzioni, codesta che è per noi la favella originale degli Arj, ed altre le norme, sotto l’imperio delle quali ella poi visse e dispersa si alterò; come altra è la vita entrutina dell’animale, ed altra quella ch’egli vive al sole.919

Auch die Erkenntnisse über ‚tote Sprachlebewesen‘ wie das ario-semitische Uridiom besaßen für Ascoli also historisch relevante Aussagekraft, auch die Rekonstruktion von Sprache konnte empirisch sein, solange sie von strikter Methode genährt würde. Ascoli wollte natürlich keine neue statischvergleichende Anatomie der Sprachen, wie sie Biondelli verstand, kreieren. Es scheint eher so, als sei es ihm und Von Raumer zwar auch um die Faktizität des Rekonstruierten, aber ebenso sehr um die epistemische Enthierarchisierung der Sprachfamilien durch ihre Betrachtung nach dem Kriterium einer gemeinsamen Geschichtlichkeit gegangen. Dieses gemeinsame Prädikat sollte dazu dienen, ein wissenschaftliches Narrativ, welches von der Philologie geschaffen wurde, mithilfe der Philologie wieder zu entwerten. Die arischsemitische Opposition, die den philologischen Diskurs durchzog und über ihn hinaus wirkte, wurde von Gelehrten wie Ascoli und Von Raumer von ihrer Rolle als teleologische ‚Einbahnstraße‘ der indogermanischen Geschichte befreit und retrospektiv für alternative Deutungsmöglichkeiten geöffnet.920 Dabei 918

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Dies bedeutete jedoch nicht, dass Gesetze des Lautwandels oder der grammatikalischen Entwicklung deterministisch verstanden werden dürfen, wie dies die Junggrammatiker zu vertreten suchten. In seinen Studj orientali hatte Ascoli deutlich klar gemacht, dass der Mensch nicht „Sklave seiner Instinkte“ bei der Bildung und Formung von Sprache sei, ansonsten ließen sich die äußerst unterschiedlichen Bildungsgesetze der Sprachen nicht erklären: „Il linguaggio, esclusivo patrimonio dell’Umanità, commune [sic] a tutti i popoli, è anzi documento della unità della specie; e la varietà e la succedaneità delle favelle sorgono solo ad attestarci che l’uomo è libero, non servo degli istinti, non ischiavo [sic] delle locali contingenze.“ Ascoli 1854: 21. Ascoli 1861: 54-55. Das Endergebnis seiner Untersuchung führte von Raumer zu einer absoluten historischen ‚Gleichberechtigung‘ beider Sprachfamilien, wie sie auch Ascoli vertrat: „Die semitischen und die indoeuropäischen Sprachen sind aus einer gemeinsamen arisch-semitischen Ursprache entsprungen. Aber weder sind die indoeuropäischen Sprachen aus den semitischen noch

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war Ascoli jedoch weder philologischer Naturhistoriker noch sprachmechanischer Determinist, wie bereits sein problematisches Verhältnis zur Junggrammatischen Schule deutlich machte.921

3. Pluralistische Sprachentwicklung zwischen Individuum und Gesellschaft In den 80er Jahren veröffentliche Graziadio Ascoli mehrere Briefe an Freunde und Kollegen, die unter dem Titel Lettere glottologiche zusammengefasst werden.922 Ascoli widmete sich in diesen Briefen auch der Neuordnung von Gegenständen und Methodik des philologischen Wissens durch die erstarkende Schule der Junggrammatiker.923 Obwohl Ascoli die methodische Stringenz dieser philologischen Gruppierung und ihre Fokussierung auf phonomorphologische Entwicklung begrüßte, sah er in der Überbetonung universeller Gesetze der Lautbildung, die im Individuum wurzelten, einen Widerspruch zu seiner Theorie kollektiver Sprachentwicklung.924 Ascoli hielt das Verfolgen nachvollziehbarer Dynamiken des Sprachwandels nur unter Einbezug von dessen geographischer und sozialer Verbreitung für sinnvoll, da einzelne Individuen für ihn auf keinen Fall als Auslöser grammatikalischer Veränderungen, Hinzufügungen und Simplifizierungen in Frage kamen.925 Die Funktion von

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die semitischen aus den indogermanischen abzuleiten, sondern beide stehen in geschwisterlichem Verhältnis als Töchter der gemeinsamen arisch-semitischen Ursprache; so wie innerhalb des indoeuropäischen Gebiets das Sanskrit, das Griechische, das Gothische u.s.w. nicht im Verhältnis von Mutter und Tochter, sondern in dem von älteren und jüngeren Geschwistern stehen.“ Raumer 1864: 7. Die wichtigsten Positionen und Dokumente der Junggrammatiker im Diskurs unter besonderer Berücksichtigung von Ascolis Positionierung als deren Kritiker durch ihn selbst und Francesco D’Ovidio, und einer davon abweichenden, fachgeschichtlichen Zuordnung als Wegbereiter der junggrammatischen Epistemologie, wie sie seine positivistischen ‚Nachfolger‘ Pier Gabriele Goidànich und Clemente Merlo stark machten, hat Demetrio Gazdaru zusammengefasst. Vgl. Gazdaru 1967: 13-45, zu Ascoli vgl. ebd.: 40-44. Vgl. Ascoli 1881 u. Ders. 1886. Vgl. ebd.: Brief II. Einige dieser Briefe erschienen 1887 auch in Deutschland. Die Leipziger Ausgabe der Briefe beruhte auf einer vom Verfasser autorisierten Übersetzung durch Bruno Güterbock. Vgl. Ascoli 1887. Von Sebastiano Timpanaro wurde in Ascolis darin enthaltener, harscher Polemik gegen die Junggrammatiker eine Verteidigung seines ‚geistigen Eigentums‘ an der methodischen Rekonstruktion phonetischer und morphologischer Regelmäßigkeiten und Abweichungen in den Sprachen gesehen, wie Ascoli es jenseits der Alpen durch die von den Junggrammatikern gemachte Behauptung wissenschaftlichen Neuheit bedroht sah. Vgl. Timpanaro 1977: 319 ff. Vgl. Serianni 1990: 50. Vgl. Ascoli 1881-1882: 45-46. Ascoli sah in einer regelhaften Sprachentwicklung nicht eine Aberration im Sprachvermögen des Individuums, auch wenn er die „drakonische“ Regelhaf-

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Sprache als Instrument innergesellschaftlicher Verständigung, das sich nach deren Regeln entwickelte. überwog für Ascoli spezielle Ausprägungen im sprechenden und denkenden Individuum. Dessen kognitive und artikulatorische Voraussetzungen mögen divergieren, ‚störten‘ aber das Sprachsystem als konventionalisiertem Konstrukt einer Gruppe keineswegs: Die Entstehung der ersten Sprachherde liegt für uns gar zu fern; und die historische Forschung kann, namentlich wenn sie Sprachen von kulturschaffenden und kulturfördernden Rassen zum Objekte hat, nicht den Anspruch machen, bis zu solchen Schichten vorzudringen, die noch nicht das Produkt von Kreuzungen mehrerer unter sich aufs mannigfachste verschiedenen Richtungen wären. Leugnet etwa die ‚neue Schule‘ [die Junggrammatiker, ML] das ethnologische Motiv in den Umgestaltungen der romanischen Sprachen? […] Ist die ‚neue Schule‘ im Stande, für derartige Verschiedenheiten eine andere fundamentale Ursache zu erdenken oder zu beschreiben, als diejenige, welche wir fortwährend behaupten und untersuchen, und die sich in folgende wenige Worte zusammenfassen lässt […]: ‚auf der einen Seite ist angeboren, was auf der anderen Seite angelernt ist‘?926

Die Dynamik der Sprachlichkeit des Menschen vollzog sich bei Ascoli stets im Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft als sprachlichem Kollektiv, zwischen „angeboren“ und „angelernt“ („da una parte esser nativo, quel che nell’altra è imesso?“)927. Der Rassebegriff, wie er von Ascoli hier gegen den ‚hermetischen‘ Sprachbegriff der Junggrammatiker verwendet wurde, diente in erster Linie einer Bekräftigung sozialer und ethnogenetischer Dynamik, für die Sprachwandel das deutlichste Indiz sei. Eine Teleologie struktureller Vollkommenheit, deren Umkehrung die Dekadenztheoretiker postulierten, war für Ascoli epistemisch dadurch genauso unhaltbar wie ein Sprachwandel, der allein an die physische oder kognitive Verfasstheit des menschlichen Individuums und nicht an kommunikativen Kontakt geknüpft war. Gerade an den großen Verschiedenheiten bei der Entwicklung der romanischen Sprachen aus dem Lateinischen wurde für Ascoli deutlich, dass es die Vermischung verschiedenster Volksgruppen gewesen sein musste, die verändernd auf ihre Sprachen gewirkt habe.928 Die Menschengruppen, die Ascoli

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tigkeit mit denen die Junggrammatiker die Laugesetze zu erklären im Stande waren bewunderte. Vgl. ebd.: 46. Ascoli 1887: 128. Ascoli 1886: 449. Diese Dynamik der Vermischung der Völker habe sich in der jüngeren Geschichte homogenisierend auf die Entwicklung der romanischen Sprachen ausgewirkt, deren Unterschiede daher nie so tief sein könnten, als dies bei den Sprachen von Völkern der Fall sei, welche über lange Zeit keinen intensiveren sprachlichen, kulturellen, und eben auch ‚physischen‘ Kontakt zu anderen Völkern hatten. Die langanhaltende Persistenz homogener Sprachsysteme wie des altgriechischen im Unterschied zum Lateinischen, ließe sich dagegen auch auf die ethnische Isolation des Sprecherkollektivs zurückführen: „Alle Unterschiede, durch welche die romanischen Sprachen (das Rumänische einbegriffen) sich von einander scheiden, würden zusammengenommen nicht genügen, um auch nur einen kleinen Teil dieses Abstandes [zwischen altgriechischer und altitalischer Sprache, ML] auszufüllen. Dies beruht natürlicher Weise auf

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hier kurz - und man muss sagen ‚leider‘ - von Güterbock mit „kulturschaffende Rassen“ 929 übersetzen ließ, besaßen keine naturgegebene oder biologisch näher charakterisierbare Essenz, die sich nicht durch sprachlichen und sozialen Kontakt wandeln würde. Auch stellte dieser Blick auf die Veränderung des Sprachsystems in der Geschichte eine Gegenlogik zu jenen Dekadenztheorien dar, die eine verlorene Reinheit von Sprache und Blut beklagten.930 Vielmehr verlange dieses historische Gesetz ständiger Dynamik eine prospektive ‚Gelassenheit‘. Die Struktur einer Sprache könne zwar in ihrer harmonischgeschlossenen Konzeption durch Einflüsse von außen gestört werden, erstehe jedoch immer wieder in neuer Form und Funktionsfähigkeit, da die Kontinuität sprachlicher Entwicklung jenseits aller Brüchen eine Notwendigkeit menschlichen Zusammenlebens darstelle: Or la verità è all’incontro, che questa storia [la storia naturale e ragionata delle lingue, ML] ci risulta sempre più viva e più sicura, perocché sia come un’ampia tela, che si svolge, di fase in fase, con intera continuità e per via di coerenze generali. E quando v’hanno influssi di una lingua nell’altra, questi costituiscono, occorre appena avvertirlo, dei nuovi fatti storiali, ma non interrompono o non contraddicono la storia.931

In Bezug auf die italienische questione della lingua wird die unausweichliche Dynamik des Phänomens Sprache von Ascoli noch einmal in aller Deutlichkeit aufgerufen und mit einem Grundvertrauen auf die spontan gesellschaftsbildende Funktionalisierung von Sprache inmitten sprachkultureller Heterogenität beantwortet.932 Ascolis bekannte Kritik an der stark ästhetisch normieren-

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Einbußen und Neubildungen auf Seiten des Altitalischen, während das Griechische die Urformen getreu bewahrt. Wie ist das nun zu erklären? Klimatische Verhältnisse haben offenbar nichts damit zu thun; chronologische ebensowenig. [...] Man wird demnach nicht umhin können, auch für das Lateinische resp. Alititalische die Veränderungen in der Zusammensetzung der Nationalität, mit einem Wort die ethnologischen Motive, durch welche der ursprüngliche Organismus der Sprache gestört und gehemmt wird, als Grund der sprachlichen Umgestaltung anzuerkennen.“ Ascoli 1887: 55-56. Im Original „le stirpi autrici e altrici di larghe civiltà“ Ascoli 1886: 449. Für eine terminologisch problematische Aussage, welche leicht als dekadenztheoretische Überlegung interpretiert werden könnte vgl. Ascoli 1881: 50. In der deutschen Übersetzung: „Der arische Sprachorganismus wird durch den Einfluss der Urbewohner Indiens zersetzt und verdorben; auch in Iran haben zwar ohne Zweifel mehrfache Kreuzungen stattgefunden, aber ihre Wirkungen waren im allgemeinen weniger bedeutend, sei es infolge der Beschaffenheit der heterogenen Elemente, mit denen das Arische hier zusammentraf, oder sei es vielmehr weil das numerische und kulturelle Mischungsverhältnis hier für die Arier günstiger ausfiel als in Indien.“ Ascoli 1887: 53. Der „arische Sprachorganismus“ („organismo ariano“) bezeichnete hier jedoch lediglich die im Laufe der Zeit grammatikalisch durch mehr oder weniger ethnische Einflüsse veränderte ‚Struktur‘ der arischen Ursprache und nicht den von ‚barbarischen Ureinwohnern‘ korrumpierten Charakter des arischen Volkes. Eine feine, aber entscheidende Differenz, die ohne einen Kontext anderer Aussagen Ascolis leicht der terminologischen Unschärfe unterliegt. Ascoli 1881: 46-47. Ascolis wohl bekannteste Schrift zugunsten dieser epistemischen Prämisse einer freien Entfaltung von Sprachlichkeit ist das Vorwort zu den Saggi Ladini, welches in der ersten Ausga-

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den Sprachauffassung Alessandro Manzonis, die er in seinem Vorwort zum Archivio Glottologico ertönen ließ, wurde zur ‚praktischen‘ Anwendung seiner Überlegungen bezüglich Ethnographie und Sprachwandel. Ascoli war in diesem Sinne nicht nur ein germanophiler Pragmatiker als Gegenpart zum frankophilen Aufklärer Manzoni. Sein Vorwort war auch ein föderales Plädoyer zugunsten eines ahierarchischen, sprachlichen wie ethnischen Pluralismus im Universum der italienischen Dialekte, das sich einst unter der Dominanz des Lateinischen entwickelt habe und die Vielfalt ihrer Interpreten zum Ausdruck bringe. In dieser epistemischen Doppelfunktion kam der Dialektforschung eine besondere Bedeutung im Diskurs um eine kollektive ‚Identität‘ der Italiener zu: Scoprire, scernere e definire, a larghi ma sicuri tratti, gli idiomi e quindi i popoli, che ben soggiacquero a quella potente parola [la parola di Roma, ML], ma sempre reagendo sopra di lei con maggiore o minor forza, per guisa che ciascuno di loro la rifrangesse in diversa maniera, e rivivesse, in qualche modo, sotto spoglie romane; rifar la storia di queste nuove persone latine, esplorarne la genesi, gl’incrociamenti e le propaggini […].933

Die gemeinsame Hervorhebung sprachlicher und ethnischen Heterogenität der italienischen Bevölkerung („gli idiomi e quindi i popoli“), nachgewiesen an der Prozessualität von Sprachkontakt und Sprachwandel der Dialekte, stellte zugleich eine epistemologische ‚Barriere‘ gegen Argumente dar, die nationale Identität mit Homogenität verwechselten. Der Positivist Ascoli sah Sprache als Grundbedingung für den Fortschritt einer Nation – wie dies schon Cattaneos pädagogische Philologie impliziert hatte – und zivilisatorischen Fortschritt innerhalb eines Kollektives als unabdingbares Element für die Entwicklung einer Nationalsprache in einem „Prozess kreativer Übereinkunft“ („processo di consenso creativo“)934. Dies bedeutete jedoch, dass erst die infrastrukturellen Prämissen kommunikativen Verkehrs geschaffen werden mussten, damit sich überhaupt so etwas wie ‚Gesellschaft‘ ausbilden konnte, deren interne Dynamiken der Kommunikation wiederum spontan in die Entstehung gemeinsamer Sprache als vereinigendem Verständigungsmittel münden würden. Der Staat spielte für Ascoli also nur als Garant zivilisatorischen Fortschritts eine Rolle, da er sprachliche Kulturalität nicht einfach ‚einebnen‘ könne – und auch nicht solle.935 Ascolis Archivio Glottologico war insofern nicht

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be der von Ascoli ins Leben gerufenen und sehr erfolgreichen Zeitschrift für sprachwissenschaftliche Belange Archivio Glottologico Italiano erschien. Vgl. Ascoli 1875, die Saggi Ladini vgl. ebd.: 1-537. Ascoli 1873: XXXIX. Ebd.: XVI. „Dans les pages du Préambule, l‘ État n’apparaît jamais; et, en effet, à l’obsession du modèle politique et linguistique de la France succède l’exemple allemand d’une unité de langue très forte en dépit de l’absence d’unité politique. Le modèle de référence est celui d’une nation post-romantique […] qui parle par la voix des intellectuels et des hommes de sciences producteurs de la culture.“ Auroux 2000: 41-42. Ascolis Gegenüberstellung der sprachpolitischen Modelle Frankreich und Deutschland implizierte natürlich neben einer sprachdidakti-

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nur eine Archäologie sprachlicher Dynamik, sondern Anerkennung der Realität eines ethnisch wie sprachlich pluralistischen geographischen Raumes, der zum Nationalstaat werden sollte: Né i monumenti letterarj, che abbiano qualche importanza per la storia della parola italiana, gli [dem Archivio Glottologico, ML] potranno essere meno graditi della nuda suppellettile di voci, di forme, di locuzioni, di motti. [...] Ma se l‘Archivio vuol principalmente dedicarsi a sviscerare la storia dei dialetti italiani ancora superstiti, non però egli si asterrà di accogliere speciali studj anche sulle varie lingue dell’antica Italia e pur sulle estranee che alla loro immediata illustrazione possan [sic] giovare. Né trascurerà quegli idiomi stranieri che sono ancora parlati da popolazioni italiane […].936

Es fällt auf, dass auch die alloglotten Populationen der italienischen Halbinsel, die keine neolateinische Varietät sprachen, hier als „italienische Bevölkerungen“ („popolazioni italiane“) und nicht etwa als ‚fremde Bevölkerungen‘ (‚popolazioni stranieri‘) bezeichnet wurden, wodurch ethnische Genealogie vom Nationen- und auch Volksbegriff getrennt blieb. Idealerweise müsste nach Ascoli eine Nationalsprache daher all diese sprachlichen Differenzen in einem einzigen System fusionieren, das dadurch der Repräsentationsfunktion einer pluralistisch verfassten Identität als Nation auch vor deren Angehörigen gerecht werden könnte. Dies könnte durch einen natürlichen Selektionsprozess von Sprache durch die Bevölkerung geschehen, der jedoch eher als ein demokratisches Votum einer möglichst zahlreich schreibenden und dichtenden Mehrheit verstanden werden muss: Si sarebbe rispettata e voluta una libertà naturale e necessaria, ugualmente rimota [sic] dalla superstizione e dalla licenza; e non v’ha nessuna parte del linguaggio per domestica, o confidenziale, o volgare che sia, la quale non avesse potuto o dovuto risentirsi dalla schietta fusione delle genti italiane. Poteva ben sorgere qualche lusso di voci o locuzioni equivalenti, ma il provvido rimedio stava unicamente nella selezione naturale, che sempre e per ogni parte è il portato dell’attività prevalente, e nel caso nostro è la predilezione che si determina dal voto del maggior numero (i voti son presto dati, se tutti scrivono), oppur dal solo voto dello scrittore di genio, quando il pubblico ch’egli affascina è veramente la nazione.937

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schen auch die politische Frage nach Partizipation und Bevormundung der Bevölkerung im Sprachbildungsprozess. Der ascolische Nationenbegriff ging dabei zwar von der fundamentalen Rolle von Wissenschaft und Bildung aus. Dennoch erfolgte für ihn sprachliche Entwicklung selbst aus der Mitte der dadurch entstehenden, kommunizierenden Gemeinschaft, ohne dass deshalb dieses ‚einfache Volk‘ vitalistisch überhöht werden müsste. Ascolis mündliche Konzeption von Sprache positionierte ihn auch epistemisch gegen die Tradition jener Philologen, welche Schriftlichkeit als Fanal sprachlicher Entwicklung des ‚Volkes‘ betonten, ohne die Unmöglichkeit einer Verbindlichkeit ästhetisch-literarischer Regeln schon allein durch deren praktische Belanglosigkeit im täglichen Leben dieses ‚Volkes‘ miteinkalkuliert zu haben. Vgl. ebd.: 42. Ascoli 1873: XL-XLI. Ebd.: XVII-XVIII.

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Man könnte hier von einer philologischen und – im Gegensatz zu Schleicher und Lignana – tatsächlich an Darwin heranreichenden, sprachphilosophischen Spielart des Darwinismus sprechen, die man vielleicht als ‚sprachdemokratischen Darwinismus‘ bezeichnen könnte. Nicht Natur, sondern Geschichte, oder genauer, die selektiven Rezeptions- und Emissionsmechanismen der (alphabetisierten) Sprecher, Schreiber und Leser sollten das Entstehen und Vergehen von Lexemen, Phonemen und Morphemen bestimmen. Der Zufall, aber auch die Bildung der Akteure würden so zu Kräften der Sprachentwicklung, wobei es eben nicht zum ‚Kampf der Sprachen‘ käme, sondern lediglich eine effiziente, von Lautgesetzen und ästhetischen Entscheidungen geprägte Konvention die Sprache eines heterogenen Kollektivs definiert würde. Ein weiteres Mal ist leicht einzusehen, dass Rassismus oder Rassenlogik in dieser partizipativen und angewandten Philologie kontraproduktiv gewirkt hätten. Ebenso würde hier eine strenge Differenzierung der Italiener nach außen als Pelasger oder Arier der inneren Vielfalt des Landes nicht gerecht werden. Eine ethnographische Philologie, eine Ethnolinguistik der Dialekte, ließe somit zwar genealogische Spekulationen zu, müsse aber gleichzeitig dafür sorgen, dass diese am Sprach- und Identitätsbildungsprozess teilhatten. Ascoli sah, dass kulturelle und ethnische Differenz im Raum einer Nation nicht durch Akkulturation und Adaption aufgehoben werden konnten und es vielmehr nötig war, den hybriden ‚Charakter der Italiener‘ zu berücksichtigen, der aus orientalischen, römisch-lateinischen, germanischen, keltischen, slawischen, griechischen, albanischen und vielen weiteren Elementen bestand, um so etwas wie eine Nationalkultur zu erschaffen, die auch in der Sprache verankert war. Ascoli sah diese Art des Sprachbewusstseins in Europa bereits in Ansätzen verwirklicht. Die gesellschaftliche Situation im deutschen Kaiserreich, das kurz vor Erscheinen des Proemio gegründet worden war, gleiche in ihrer sprachlichen und kulturellen Heterogenität der Situation im Königreich Italien und übertreffe diese sogar. Dennoch sei es den Deutschen bereits lange gelungen, so etwas wie einen internen sprachlichen Konsens mittels ihrer Textkultur herzustellen, der sich über die Jahrhunderte bewährt habe, ohne dass ihn ein rigides Sprachjakobinertum begleiten musste.938 Der Erfolg des Deutschen 938

Die Italiener konnten sich nach Ascoli zwischen den beiden sprachpolitischen Modellen Frankreich und Deutschland entscheiden, wobei beide zwar in eine nationalstaatliche Überstruktur eingebettet seien, jedoch unterschiedliche Mechaniken nationaler Sprachbildung aufwiesen. Florenz eigne sich im Falle Italiens dabei keineswegs dazu, die Rolle einer Kapitale der Hochsprache zu spielen, da ihm nicht die Bedeutung eines von allen Italienern anerkannten, kulturellen Zentrums zukam: „Se Firenze fosse potuto diventare Parigi, tutti i culti italiani oggi avrebbero sicuramente l’identico linguaggio dei fiorentini; ma è altrettanto sicuro, che il linguaggio di siffatta capitale dell’Italia non sarebbe il fiorentino odierno, e forse non si potrebbe pur dire un dialetto toscano.“ Ebd.: XII. Die sprachliche Heterogenität der italienischen Halbinsel, respektive Nation in spe, verlange vielmehr ein demokratisches Sprachbewusstsein, wie es aufgrund historischer Notwendigkeit in Deutschland praktiziert werde: „La Germania, alla sua volta, non ha mai avuto un centro monarchico o civile da potersi pur lontanamente paragonare con Parigi; è stata scissa, nell’ordine politica, malgrado le apparen-

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Reiches gründete für Ascoli in erster Linie auf „der Energie fortschrittlicher Kultur“ („l’energia della progredita cultura“) und „dem Studium des Wahren und Nützlichen“ („lo studio del vero e dell’utile“)939, also dem erfolgreichen Ausbau ‚zivilisierender‘ Mechanismen wie Bildungssystem, Industrialisierung, Schaffung von Infrastruktur und ökonomischer Entwicklung, welche den Boom der Gründerjahre charakterisierten. Dennoch werde dieser Prozess durch eine bewusste und offene Haltung gegenüber der eigenen Sprachlichkeit unterstützt. Es sei die bewusst gelebte ‚Doppelidentität‘ der Deutschen als Sprecher einer nicht exklusiv verstandenen Varietät und des konventionalisierten Schriftdeutschen, die sprachliche Heterogenität zu einem intranationalen Charakteristikum werden ließ und dennoch zur Akzeptanz der standardisierten Nationalsprache geführt habe: Ma nessuno, in Germania, adora o pur discerne la culla della lingua; e mentre i dotti tuttora discutono sul processo generale della sua formazione, tutti sono convinti, che sarebbe vana la ricerca del preciso angolo della patria tedesca, dal quale sbucasse primamente il rivolo, che era destinato a diventare una così gran fiumana nella cultura del mondo; né mai si è colà sentito il bisogno o il desiderio di ribattezzare le lettere ad alcuna fonte privilegiata di lingua viva […].940

Ascolis Überlegungen zu spezifischen Sprachbildungsprozessen sind jedoch bei näherer Betrachtung nicht nationaler, sondern universeller Natur: Sprache war für ihn Erzeugnis des Menschen als tagtäglich mündlich und schriftlich kommunizierendem Individuum und engerem Kollektiv. Allein diese ‚anthropologische‘ Verfasstheit von Sprache in einer teleologischen und diskursiven Funktionalität machte so etwas wie ‚spontane Sprachentwicklung‘ überhaupt erst möglich. Ohne diese anthropozentrische und konkrete Betrachtungsweise wären multiprozessuale und komplexe philologische Phänomene wie Sprachbildung und Sprachwandel weder versteh- noch beeinflussbar. Weder auf regional- beziehungsweise nationalsprachlicher noch auf globaler und sprachtypologischer Ebene bestand also Grund zur Annahme einer Theorie des Sprachverfalls durch Sprachmischung und – weil dies bei Ascoli nicht zu trennen war – ethnische Mischung.

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ze di unità, in modo non meno barbaro di quello che fosse l’Italia; […] e pur possiede, malgrado l’infinita varietà de’suoi dialetti, la più salda e potente unità di linguaggio che abbia mai risonato sulla terra.“ Ebd.: XII-XIII. Ebd.: XV. Ebd.: VIII.

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4. Ein Problem terminologischer Ambivalenz: Methodische Stringenz und ideologische Interpretation Es wäre in Anbetracht der dargestellten Epistemologie sowie der politischen Zielsetzungen von Ascolis philologischer Arbeit schlichtweg falsch, einige differenzierende Begrifflichkeiten wie razza und stirpe als maßgeblich für sein Menschenbild zu sehen. Seine anthropologisierenden Thesen verblassen vor der empirisch fundierten Betrachtung und Wertschätzung der Völker und Menschen in all ihrer Differenz, die sein Werk von Anfang an kennzeichnete. Ascoli wollte diese Betrachtung mittels einer säkularen, dynamischvergleichenden Sprachtheorie verwirklichen, die sich am sprachphilosophischen Denken Wilhelm von Humboldts und an Franz Bopp Methodik orientierte. Friedrich Schlegels anthropologisch-essenzialisierende Prämisse einer kognitiv über Sprachfamilien differenzierten Menschheit lehnte Ascoli bereits früh ab, wie eine Notiz des jungen Sprachforschers zeigt: Purtroppo all’origine della lingua non ne ammette [F. Schlegel, ML] ovunque uno stesso sviluppo linguistico u intellettuale da ciò lingue che mostrano origine onomatopoetica; mentre altre, primeggia fra queste quella che stipite fu alle indo-germaniche furono prodotte dal purissimo sentire, dal profondo pensare, che in uno stesso tempo creò la più antica scrittura non già geroglifica, ma di segni che corrispondessero all’indole delle singoli parti di cui la lingua era composta; ed al sentire degli uomini d’allora.941

Ascoli lässt sich weder in rassistische noch deterministisch-biologistische und – entgegen dem ersten Anschein – auch nicht in ethnozentrische Diskurse einreihen, sondern zusammen mit Carlo Cattaneo und Gabriele Rosa in einen antirassistischen Gegendiskurs.942 Wiederum war es das historische Prinzip, das 941

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Signatur 4/181 im Archivio Ascoli in der Bibliothek der Accademia dei Lincei: Band III, 98. Es sei am Ende dieses Abschnitts noch kurz auf einen weiteren Beleg für die Unterwanderung von innersozialem Rassismus durch Ascolis wissenschaftliche Arbeit hingewiesen. So wandte er sich für seine ethnolinguistischen Studien der italienischen Halbinsel auch der Sprache der in Italien lebenden Roma auf alles andere als vorurteilsbehaftete Weise zu. Seine Abhandlung ‚Zigeunerisches‘, welche sich an August Friedrich Potts Die Zigeuner in Europa und Asien orientiere (Vgl. Pott 1844), aber im Gegensatz zum Werk des Deutschen auch auf Ergebnissen aus eigener Feldforschung beruhte, ist ein beredtes Zeugnis für die Hartnäckigkeit von Ascolis ‚philologischem Humanismus‘, welcher sprachliche Differenz immer wieder kritisch reflektierte, aber niemals die Essenz des Menschlichen vergaß. Vgl. Ascoli 1865. So sammelte Ascoli seine Sprachbeispiele durch Reisen zu den in Molise ansässigen Roma, präsentierte (und zeichnete bisweilen) seine Gesprächspartner immer als Individuen mit Namen, persönlicher Geschichte, Sitten, Bräuchen und Lebensweisen. Vgl. ebd.: 128 ff. Weder idealisierte er die portraitierten Menschen noch ließ er sie als Gefahr für den sozialen Frieden in Italien erscheinen. In ihren Geschichten, ihren Gedichten und Liedern, ihrem Verhalten, aber auch in mancher Derbheit erkannte Ascoli keinerlei Unterschiede zur italienischen Landbevölkerung. Vgl. ebd.: 129. Diese Schilderungen waren durch die respektvolle Darstellung der Befragten eine Abwendung von Pauschalisierungen und Vorurteilen auf philologischem und anekdo-

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den Menschen und seine Sprachen in Ascolis Philologie dominierte. Die Sprachen und Dialekte selbst waren aus einer synchronen Perspektive in ihrer Systematizität zwar Regelmäßigkeiten im phonomorphologischen und grammatikalischen Wandel unterworfen, jedoch waren ihre Sprecher durch diese Gesetze in ihrem individuellen Sprachvermögen keineswegs determiniert. Zwar konnten für Ascoli Sprachen nach dem Kriterium formaler und grammatikalischer Komplexität hierarchisiert, jedoch anhand dieser Tatsache nicht auf Intelligenz oder zivilisatorisches Vermögen eines Volkes geschlossen werden. Aus diachroner Perspektive ließ sich Sprachwandel lediglich in der Vergangenheit durch systematischen Vergleich, Analyse und Rekonstruktion lautlicher und grammatikalischer Formen als möglichen Resultaten ethnischer Vermischung erklären. Ausgehend von dieser Vermischung ist allerdings auch in der Zukunft Sprachwandel innerhalb der Kontingenz ethnischer und kommunikativer Dynamiken zu erwarten. Ein Prinzip ethnischer Hybridisierung, das die Völker weiter zusammenführt, ohne dabei die Funktionalität von Sprache zu ‚stören‘. Dennoch blieb Ascoli in der Rezeptionsgeschichte seiner Werke einer ambivalenten Deutung unterworfen. Sein Kollege und enger Vertrauter Francesco D’Ovidio sah ihn zuerst auf Seiten der ‚Altgrammatiker’, nur um sein Urteil nach Ascolis Tod zu revidieren.943 Der von Benedetto Croce und Karl Vossler geprägte Matteo Bartoli machte ihn gar zu einem epistemischen Vorreiter seiner neolinguistischen Schule.944 Für Ascolis Schüler Pier Gabriele Goidanich und Clemente Merlo war Ascoli dagegen eindeutig Junggrammatiker, der das Axiom von Lautgesetzen ohne Ausnahme letzten Endes unterstützt hatte.945 Ascoli selbst hielt sich allerdings eher zurück, wenn es um den Streit zwischen den Altgrammatikern um Georg Curtius und den Junggrammatikern um Hermann Osthoff und Karl Brugmann ging, da er in den Methoden der Junggrammatiker keine wirklich neuen Erkenntnisse erkennen wollte.946 Letzten Endes überwog die Meinung, dass Ascoli als Vorläufer bei-

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tisch-erzählerischem Weg. Wissenschaftstheoretisch löste Ascoli durch die Darstellung der Forschungssituation den Anspruch methodischer Empirie einer ethnographischen Sprachwissenschaft ein, die ihre Quellen zu qualifizieren wusste. Vgl. Gazdaru 1967: 43, D’Ovidio 1882: 332 u. Ders. 1910: 13. Vgl. Gazdaru 1967: 41 u. Bartoli 1910: „L’Ascoli e i neolinguistici si accordano in queste tesi: Ogni innovazione nel linguaggio è creazione e nasce dall’imitazione d’un altro linguaggio, cioè del linguaggio d’un altro individuo o d’un altro momento.“ Ebd.: 889. Die nach Ascolis Tod einsetzende, neolinguistische Philologie würde die auf W. v. Humboldt basierende, nicht nur systemische Konstitution von Sprache als gesellschaftlicher und dynamischer Energie und die Bedeutung von Sprachkontakt hervorheben, wie sie in Ascolis immer im Kontext gesellschaftlich-historischen Wandels erfasster Erforschung sprachlicher Positivitäten durchschien, die dabei aber dem Individuum keine große Wirkung auf Sprachwandel zugestand. Zum Kontext des obigen Zitats aus der programmatischen Schrift Alle fonti del neolatino und ihrer vorbereitenden Funktion für die beiden neolinguistischen ‚Gründerschriften‘ vgl. Bochmann 1994: 361. Vgl. Merlo 1929 u. Goidànich 1929. Vgl. Gazdaru 1967: 40.

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der Strömungen gesehen werden kann.947 Von Francesco Pullé schließlich wurde Ascoli aufgrund seiner beinahe statistischen Methodik gar als ‚biologischer‘ Anthropologe gesehen, der durch seine Dialektforschung zur Erstellung eines völkerkundlichen Profils der italienischen Halbinsel beigetragen habe.948 Ascoli war an dieser Verwirrung um seine wissenschaftshistorische Verortung nicht ganz unschuldig. Dass sein Werk sowohl in neolinguistischer als auch naturwissenschaftlich-deterministischer Weise interpretiert werden konnte, lag – trotz seiner Betonung historischer und sozialer Dynamiken des Sprachkontakts – neben einer beinahe mathematischen Rigorosität in Sachen Methode auch an der ‚Durchlässigkeit‘ seiner Terminologie, die bisweilen zwischen Philologie und Naturwissenschaft schwankte. Der Glottologe blieb durch die Übernahme von Begriffen aus dem semantischen Feld der Naturgeschichte in ein epistemisches Spannungsfeld eingebunden, indem er diese Begriffe auf einen anthropozentrischen Geschichtsbegriff übertrug, was seine Aussagen ambivalent machte. Das ‚Arische‘ und das ‚Semitische‘ wurden dadurch eben zu zivilisatorischen Charakteristika historischer Völker und nicht nur Besonderheiten in der Sprachstruktur. Sprachbetrachtung bediente sich auch bei Ascoli einer Terminologie der ‚Wurzeln‘, ‚Organismen‘ in Verbindung mit der (sprachsystemischen) ‚Reinheit‘ und der ‚Korruption‘. Der wissenschaftliche Positivismus konnte sich auch bei einem ansonsten eher humanistischen Gelehrten einer gewissen Biologisierung nicht erwehren und machte sein Werk durch den ethnographischen Anspruch für anthropologischen Fixismus rassenlogischer Art instrumentalisierbar. Es ist jedoch im epistemischen Sinne inkohärent und nicht legitim, davon abzusehen, dass Ascoli selbst genau diese Möglichkeit zum historischen Nachweis absoluter Reinheit ethnischer Kollektive aus der Sprachbetrachtung dezidiert in Abrede gestellt hatte, wie gezeigt wurde. Sein Beitrag zum rassenlogischen Diskurs durch interdisziplinäre Annäherung und epistemische Verschiebung der Schnittstellen von Ethnographie und Sprachwissenschaft wird dabei von der Rolle eines Mahners vor Essenzialisierungen überwogen. Ascoli war trotz seines positivistischen Verständnisses von Glottologie immer auch ein Pluralisierer von Sprach- und Schriftlogiken und zugleich ein optimistisch denkender Verfechter universeller umanità.

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Der rumänische Romanist Iorgu Iordan hatte in dieser Streitfrage eine eklektizistische Lesart der ascolischen Epistemologie anzubieten: „As we have seen from Ascoli’s own utterances, something can be said for both points of view, seeing that Ascoli’s attitude towards the neogrammarian representatives was not trenchant, and that he considers them, at bottom, very like the representatives of the earlier school; he commends them in so far as they were like the latter and opposes them where he thinks they go astray. It would seem however just as unjustifiable to make of Ascoli a kind of premature neo-linguist, as to classify him as a neogrammarian.“ Iordan 1937: 29, FN 1. Vgl. Pullé 1927: 17.

V. EUROPÄISCHER GEGENDISKURS ODER FORTSCHREIBUNG WISSENSCHAFTLICHER NARRATIVE? – DIE ITALIENISCHE PHILOLOGIE UND DER RASSISMUS

Auch wenn das italienische 19. Jahrhundert hier bei weitem nicht erschöpfend in all seinen epistemischen Verschiebungen, Kontexten und Verstrickungen untersucht wurde, soll ausgehend vom bisher erarbeiteten ein erstes Urteil über den Beitrag der italienischen Philologie zu Rassedenken und Rassismus gewagt werden. Eines dürfte dabei jedoch bereits von Anfang an deutlich geworden sein: In Anbetracht des langen Zeitraums und der epistemischen Vielfalt der dargestellten Diskurssituationen kann nicht von einem einheitlich ‚italienischen‘ Gegendiskurs oder gar Sonderweg der Philologie gegen rassistische Positionen deutscher, französischer und englischer Vertreter des philologischen Wissens gesprochen werden. Dennoch zeigten sich in Italien diskursive Tendenzen, die innerhalb dieses Wissens eine stärkere Gewichtung erfuhren und so eine Alternative zu den Argumentationszusammenhängen darstellten, wie sie andernorts in Europa den philologischen Diskurs beherrschten. In Italien wurden von Beginn des 19. Jahrhunderts an rassenlogische und rassistische Positionen in den wissenschaftlichen Diskurs und ansatzweise sogar in den Universalismus des christlichen Dogmas integriert, wie an Wisemans Roman Lectures deutlich gemacht wurde. Weiterhin fand das Paradigma der Überlegenheit einer indoeuropäischen Gemeinschaft der Ethnien und Sprachen, wie es in Deutschland und Frankreich vorgeprägt wurde, innerhalb der italienischen Philologie mit Bernardino Biondelli einen entschiedenen Unterstützer, der seine ‚anatomische‘ linguistica an diesem Sprachtypus ausrichtete. Während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts benutzten Gaetano Trezza und Angelo De Gubernatis Mythos und Mythen der Arier im Sinne einer ‚Gegenhistorie‘ als Mittel zur Förderung säkularisierter Geschichtsschreibung, wie sie Ernest Renan in Frankreich angedacht hatte. Biondellis SchlegelRezeption, die sowohl von Carlo Cattaneo als auch später von Graziadio Ascoli auf das Schärfste bekämpft wurde, hat diese Entwicklung kaum beeinflusst. Eher handelte es sich – wie anhand von Trezzas antisemitischen Ausfällen gezeigt – um einen Rechtfertigungsdrang des philologischen Wissens, der aus einer positivistischen Umformung der Epistemologie entstand. Diese brachte ein Amalgam aus antikem Materialismus, epikureischer Philosophie und einer Geschichtsdialektik des absoluten Idealismus hervor, wie er von Renan vermittelt worden war. Letztere sollte die Bewegungen des kollektiven Geistes anhand von Sprache und Literatur empirisch nachvollziehen. Dieses epistemische ‚Durcheinander‘ ermöglichte eine arisch-semitische Dialektik,

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die unter dem Deckmantel der Philologie zugleich Kritik am politischen Festhalten an der Unfehlbarkeit kirchlicher Lehrsätze und des Papstes war, indem starre vatikanische Dogmatik und antiliberale Reaktion mit dem semitischen, liberaler Fortschritt und Naturwissenschaft mit dem arischen Prinzip gleichgesetzt wurden. ‚Eigene‘ patriotische und rassenlogische Narrative der italienischen Geschichtsschreibung – wie sie der pythagoreische Mythos sowie die genealogischen Spekulationen einzelner Regionen darstellten – konnten sich im philologischen Diskurs selbst nicht halten. Sie wurden vielmehr durch eine Modernisierung des philologischen Wissens über Sprachen und Mythen, die von den Impulsen der komparatistischen Methode ausging, im Diskurs selbst bekämpft. Methodenkritisch wurde einer Pseudohistorie, die in monumentalisierender Textlektüre und Mythenforschung verhaftet war, ihre wissenschaftliche Legitimation entzogen wurde. Dies hat die Kritik Bianchi-Giovinis an Mazzoldi und Cantù deutlich werden lassen. Eine eigenartige und fatale Besonderheit innerhalb der Geschichte der italienischen Philologie war jedoch eine physiologische Normierung zivilisatorischer Leistungen des Menschen, die mit materialistischem Determinismus einherging. Diese Normierung ermöglichte ein Paradigma der Stigmatisierung bestimmter Sprachen und Wortbildungsprozesse als devianten und pathologischen Formen menschlicher Entwicklung. Die philologische ‚Naturordnung‘, wie sie Paolo Marzolo in den Diskurs brachte, führte letztlich zu einem gesteigerten Interesse an ‚abweichenden‘ Formen gesellschaftlicher Existenz in Cesare Lombrosos anthropologischen Arbeiten. Der Beitrag der Philologie zu diesen pathologischen Essenzialismen bestand in der Übertragung naturhistorischer und sozialer Determinanten als Kaussallogiken auf eine universelle Semiotik als Normkonstrukt, die sprachliche und literarische Äußerungen als determinierte und in ihren mechanischen Funktionsgesetzen verstehbare Empirika begriff. Diese Philologie konnte dabei jedoch der plurilogischen und polysemen Offenheit der literarischen Produktion nicht mehr gerecht werden und scheiterte letztlich im philologischen Wissen selbst an ihrem Anspruch, die Mechaniken des Wortes erschöpfend zu erschließen. Aus dem Versuch, die entstehende Literaturwissenschaft trotzdem vor den empirisch-experimentellen Analysen der Naturwissenschaften zu rechtfertigen, ging durch die Übertragung naturhistorischer und soziologischer Paradigmen der Selektion und Evolution auf das Wissen von der Geschichte der lettere eine neue Logik der Exklusion hervor. Diese folgte durch semantische Verschiebungen der Terminologie nur dem Anschein nach einer naturwissenschaftlichen Methodologie, war aber bei näherer Betrachtung gänzlich auf einem apriorischen Urteil gebaut: Einer hierarchischen Positionierung literarischer Leistungen innerhalb der Geschichte mit dem Fokus auf die indoeuropäische Literaturgeschichte. Dies wurde anhand Lignanas idealistischpseudodarwinistischer Philologie dargestellt. Diese Komparatistik der ästhetischen Formen brachte somit innerhalb des philologischen Wissens auch es-

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senzialisierende Positionen bezüglich Stilistik und narrativen Besonderheiten der ‚Rassen‘ hervor. Doch scheiterte auch dieses Modell letztlich, als sich die Literaturwissenschaft in Italien jenseits dieser rassenlogischen Ansätze bewusst als kritische und historische Wissenschaft der nationalen Literaturgeschichte und nicht als Naturwissenschaft etablierte. Durch den strengen Geschichtspositivismus der scuola storica, Francesco De Sanctis‘ biographische Literaturgeschichtschreibung sowie Benedetto Croces Individualisierung der ästhetischen Produktion und Rezeption erhielt die italienische Literaturwissenschaft einen entkollektivierenden Zuschnitt, der auch der Eigendynamik ästhetischer Produktion gerecht zu werden suchte. Die Wirkung Croces auf den philologischen Diskurs des 20. Jahrhunderts könnte schließlich noch weiter gefasst werden, als dass man in diesem ‚philologischen‘ Philosophen ‚nur‘ den Wegbereiter einer neoidealistischen Schule der Sprachwissenschaft sähe. Es war die Skepsis gegenüber einer ‚Macht des Absoluten‘ über das sprachliche, ästhetische, aber auch kritische Vermögen des Individuums, welche durch ihn in Italien noch weit ins 20. Jahrhundert weiterwirken sollte. Schließlich prägte die Forderung nach einem individualisierten Philologiebegriff – wie ihn die bürgerlichen Gelehrten De Sanctis und Croce gegen positivistische Literaturwissenschaft und naturwissenschaftliche ‚Textstatistik‘ geltend gemacht hatten – auch jenes Vertrauen auf die individuelle Aussage, wie es Croces großer ‚Antagonist‘ Antonio Gramsci gegen einen absolut gesetzten historischen Materialismus für das philologische Wissen geltend machte.949 In Gramscis Konzeption von Philologie schien immer noch jene Verteidigung des freien Subjekts als bewusstem Schöpfer von Sprache und Text auf, wie sie Gramsci durch die Kritik seines Lehrers Matteo Bartoli am phonologischen Absolutismus der Junggrammatiker vermittelt wurde: L’ ‚esperienza‘ del materialismo storico è la storia stessa, lo studio dei fatti particolari, la ‚filologia‘. [...] La ‚filologia‘ è l‘espressione metodologica dell’importanza dei fatti particolari intesi come ‚individualità‘ definite e precisate. A questo metodo si contrappone quello dei ‚grandi numeri‘ o della ‚statistica’, preso in prestito dalle scienze naturali o almeno da alcuni di esse. Ma non si è osservato abbastanza che la legge dei ‚grandi numeri‘ può essere applicata alla storia e alla politica solo fino a quando le grandi masse della popolazione rimangono passive – per rispetto alle questioni che interessano lo storico o il politico – o si suppone che rimangano passive.950

Diese Relativierung des absoluten Determinismus durch einen marxistischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts steht in einer Linie mit der aufklärerischen Rezeption des Idealismus in Italien, der gegenüber der absoluten Welt der 949

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Zur ‚Concordia discors‘ zwischen Croce und Gramsci, jener Mischung aus unterschiedlichen Perspektiven auf historische und gesellschaftstheoretische Fragen und so mancher Übereinstimmung in epistemischen Problematiken, die eben auch an Gramscis empirismuskritischen Ansätzen deutlich wird vgl. Faenza 1992. Gramsci/Gerratana 1975: 1429. Quaderno 7 §6, II. Il Saggio popolare e la sociologia. Zu Croces Einfluss auf Bartoli und Bartolis Einfluss auf Gramsci vgl. Bochmann 1994: 363-364.

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Ideen das Individuelle durch die Einbettung des Partikularen in den historischen Kontext wieder in den Vordergrund rückte. Gramsci griff genau in dieser Definition der Philologie in den Quaderni epistemisch auch auf Argumentationszusammenhänge jener ‚passiven und gescheiterten Revolution‘ einer kleinen Elite zurück, als die er das Zeitalter des Risorgimento ansonsten kritisierte. Ein historiographisches Urteil, in dem sich Gramsci wohl am deutlichsten von Croces bürgerlichem Enthusiasmus unterscheidet.951 Doch gerade der stark von Vico beeinflusste Liberalismus des frühen Risorgimento verschaffte politisch engagierten Gelehrten eine diskursive Offenheit für Differenz: In den von europäischen Adelsdynastien und klerikalen Despoten beherrschten, demokratisch denkenden, meist bürgerlichen und aufgeklärten Bevölkerungsschichten Italiens des frühen und mittleren 19. Jahrhunderts – Trägern und Formern eines italienischen Nationalismus – regte sich trotz eines bisweilen eurozentrischen Fortschrittsglaubens so etwas wie aufklärerische Selbstkritik. In Fragen von Kolonialisierung der Welt und Nationalismus zeigte sich bei Intellektuellen wie Rosa, Cattaneo und Ascoli eine gesunde Skepsis gegenüber den hegemonialen Ansprüchen europäischer Kolonialherren. Diese Gelehrten bekundeten an vielen Stellen ihren Abscheu gegenüber Sklaverei und Rassismus und forderten Solidarität mit fremdbestimmten Völkern.952 Eine epistemische Situation, die – zumindest während der frühen Phase des Risorgimento – innerhalb der italienischen Philologie auch zu starken Widerständen gegenüber dem rassistischen ‚Erbe‘ der deutschen Romantik und des französischen Positivismus führte, wie es von Klemperer im Falle Deutschlands zu Recht beklagt wurde. Es scheint allerdings vor diesem Hintergrund ein pauschalisierendes und wenig schlüssiges Urteil, das Edward W. Said dazu bewog, die italienische Philologie aufgrund ihrer epistemischen und diskursiven ‚Bedeutungslosigkeit‘ auszuklammern, als er von westlicher oder europäischer Philologie sprach. Zwar beeinflusste die italienische Orientalistik den US-Imperialismus des 20. Jahrhunderts natürlich weitaus weniger als dies die französische und britische Orientforschung des 19. Jahrhunderts taten, doch bereiteten universalgeschichtliche und dennoch differenzierende Perspektiven auf Literaturen und Sprachen der nazioni – auch der ‚orientalischen‘ – europaweit gehörte

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Vgl. Toniolo 1981: 110, Faenza 1992: 262. Diese Situation der Kolonialisierung der italienischen Halbinsel ist durchaus wörtlich zu nehmen. Sie beruhte auf den Interessen absolutistisch herrschender Adelsdynastien vor und auch noch nach den napoleonischen Kriegen und auf deren gewaltigem Besitz an Agrarflächen (vor dem Eintreffen Napoleons waren es ca. 50% des gesamten bebaubaren Ackerlandes) sowie der engen Einbindung dieser Schicht patrizischer Oligarchen im Norden sowie den ‚famiglie baronali‘ im Mezzogiorno und Sizilien in lokale, administrative Strukturen, was deren soziale Kontrollmöglichkeiten weiter ausbaute und festigte. Die langsame Emanzipation des italienischen Bürgertums wurde dagegen in den urbanen Zentren des Landes möglich. Vgl. Della Peruta 2007: 22-28, Smith 1967: 61-72.

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Stimmen wie Benedetto Croce und Antonio Gramsci vor.953 Gerade letzterer stand – wie auch Erich Auerbach – mit Said in seinem philologischen Humanismus in einem direkten diskursiven Zusammenhang engagierter Philologie.954 Doch trotz dieser Verbindung, und obwohl Said die machtkritische Bedeutung Gramscis im Vorwort zur ersten Auflage von Orientalism breit diskutierte955, scheint er den zentralen Beitrag des Italieners zur europäischen Philologiegeschichte und die Bedeutung jener Brüche und Verschiebungen innerhalb des hegemonialen Machtgefüges – ausgelöst durch die Wirkung einzelner Werke und Stimmen – letztlich ignoriert zu haben, für die Gramsci eine große Sensibilität entwickelt hatte. Unter anderem aus dieser Auslassung folgte jene bisweilen undifferenzierte und pauschalisierende Reflexion über ‚westliche‘ Hegemonie, die Saids wichtigen Beitrag zu einer Emanzipation der Philologie von Eurozentrismus und den Relikten kolonialer Herrschaft angreifbar machte: Le problème de cet ouvrage fondateur [Orientalism. Western conceptions of the Orient, ML] est qu’E. Saïd n’a pas, même par la suite, différencié la thèse du caractère hégémonique de la philologie européenne, si bien que la raison de son optimisme démocratique à l’égard de la pratique philologique est exclusivement à rechercher dans son rapport tardif à une ‘philologie universelle’ (Weltphilologie) à la Leo Spitzer et E. Auerbach, dont l’humanisme cosmopolite s’opposerait à une pré-histoire tout à fait empoisonnée. Cette appréhension se fonde sur l’idée d’un étrange hermétisme de la tradition qui ne rend justice ni à l’histoire, ni surtout à ceux des philologues qui, au XIXᵉ siècle déjà, plaidaient pour une ‘ouverture’ et la reconnaissance d’une différence culturelle. Car ces positions ont bel et bien existé et ce sont elles qui, les premières, donnent au modèle d’E. Auerbach la profondeur historique qu’E. Saïd avait à cœur de mettre en avant. Sur qui se fonderait la philologie, sinon sur ces traditions d’énoncés résistants au discours décrit par E. Saïd?956

Die von Messling erwähnten europäischen Positionen der „Öffnung“ und der „Anerkennung kultureller Differenz“, die bereits im 19. Jahrhundert vorherrschende Machtdiskurse wissenschaftlich reflektierten, sind zwar oft nur durch akribische und langwierige philologische Forschung zu ergründen, doch sie 953

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„Außerdem meine ich, dass britischen, französischen und amerikanischen Schriften über den Orient allein schon wegen ihrer Qualität, Schlüssigkeit und Ausführlichkeit höher zu bewerten sind als die zweifellos bedeutende Arbeit zum Beispiel deutscher, italienischer und russischer Forscher.“ Said 2009: 28. Said erwähnte im weiteren Verlauf des Buches keinen einzigen italienischen Orientalisten des 19. Jahrhunderts. Zu jener epistemischen Linie Gramsci-Said, verbunden in einem demokratischem Philologiebegriff vgl. Baratta 2006: „Si può sostenere che il gramsciano neoumanesimo, solidale col saidiano umanesimo critico e democratico, sia espressione del progetto di ‘nuova cultura’ abbozzato nel primo Rinascimento […] e poi rovesciato o stravolto nell’epoca della fioritura del Rinascimento, secondo un processo la cui tipologia sarà quella delle ‘rivoluzioni passive’ che tanto peso hanno nell’analisi storica gramsciana.“ Ebd.: 29. Vgl. Said 1995 [1978]: 6-26. Messling 2012d: 155.

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existierten. Man hat es hier bisweilen mit Texten zu tun, welche einst eine große Wirkung entfalten konnten, durch komplexe Prozesse der Rezeption jedoch der Vergessenheit anheimfielen und heute nur noch wenigen Gelehrten bekannt sind. Viele davon waren nichtsdestotrotz im Stande, europäisches Überlegenheitsdenken in Bezug auf den ‚Orient‘ oder andere Weltgegenden kritisch zu hinterfragen und Gegenmodelle zu entwickeln. Bereits zu Hochzeiten eines rücksichtslosen Kolonialismus, Imperialismus und Rassismus brachten sie jene vermeintlich unüberbrückbare Opposition in Form technologischer wie kultureller Differenz zwischen ‚dem Westen‘ und ‚dem Rest der Welt‘ ins Wanken. Für die italienische Philologie wurde in den vorangegangen Kapiteln versucht, einige dieser kritischen Ansätze aufzuzeigen. Die Geschichte dieser Philologie offenbart ein pluralisierendes Element, das nichts an seiner Aktualität verloren hat. Gabriele Rosas und Graziadio Ascolis prospektive Hinweise auf eine gemeinsame sprachliche Zukunft der Menschheit – verfasst in den sich wandelnden Grenzziehungen historischer, glottischer und literarischer Verschiedenheit –, Cattaneos Vertrauen auf die universell zivilisatorische Kraft der Literatur, aber auch Rosas positive Bewertung eines Italien der sprachlichen, ethnischen und kulturellen Heterogenität lassen ein Denken erkennen, das bei allem Glauben an den Fortschritt weder hierarchisiert noch essenzialisiert.957 Vielleicht liegen in diesem Denken die Voraussetzungen eines zeitgemäßen Humanismus für die Gegenwart verborgen, der von seinen eurozentrischen Konnotaten befreit wurde. Dieser würde in einem gesteigerten Bewusstsein der eigenen Historizität den ‚Anderen‘ stets und überall als ‚Menschen mit Geschichte‘ begreifen. Dieser ‚Andere‘ hat jenseits von Rasse, Nationalität oder Glauben als Individuum mit zivilisatorischen und humanitären Fortschritten, Glückserfahrungen, Rückschlägen, Krisen und Katastrophen 957

Man könnte hier mit Ottmar Ette von ‚Stolz auf Konvivenz‘ sprechen. Vgl Ette 2012b: 232233. Die Ähnlichkeit dieser prospektiven Definition von Stolz mit Gabriele Rosas Sozialisierung der universalgeschichtlichen Dynamik durch Übertragung ihrer Prämissen auf die italienische Situation fällt dabei sofort ins Auge: „Denn Stolz auf Konvivenz ist immer schon die Warnung davor eingeschrieben, zur Ruhe zu kommen und sich allein im selbstgefälligen Rückblick auf das Erreichte in Sicherheit zu wähnen. Ganz so, wie auch die Übersetzbarkeit der Kulturen gerade nicht als ein zu einem bestimmten Zeitpunkt abschließbarer Prozeß zu denken ist, der ein für allemal die Differenz zwischen den Kulturen zu konservieren vermöchte. Denn ein immobilisierender Stolz kann jederzeit zu jener todorovschen Kippfigur zurückführen, die zwischen einer Negierung und einer Negativierung des Anderen schwankt und – wie es das amerikanische Beispiel zeigt – alles mit sich fortzureißen droht. In eben diesem Sinne wäre Stolz auf Konvivenz nicht nur ein Bewegungsbegriff, sondern ein Horizontbegriff, der manchen wie eine nutzlose Utopie erscheinen mag in Zeiten, in denen wieder sorglos von einer möglichen Transkulturation auf eine Akkulturation zurückgeschaltet wird, in der eine in vielerlei Hinsicht eigenartig fest-gestellte ‚Leitkultur‘ in jener Weise propagiert werden soll, die eine medial sarrazinierte Gesellschaft aus Samuel P. Huntingtons unverantwortlichen Thesen vom sogenannten ‚Kampf der Kulturen‘ ableiten zu können glaubt.“ Ebd. Zur Rolle der Philologie, welche aus jenem Stolz auf Konvivenz eine dynamische und gesellschaftsbildende Kraft entwickeln könnte vgl. ebd. 192-234.

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umzugehen. Die ‚Demut‘ vor der Macht einer Jahrtausende währenden Menschheitsgeschichte, die sich in der Differenz des Einzelnen spiegelt und durch ihren rationalen Anspruch der Forderung nach Empathie vorausginge, könnte eine Alternative zu ignorantem und desinteressiertem Multikulturalismus sowie homogenisierender Akkulturation darstellen. Sprach- und Literaturwissenschaft müssten dazu den analytischen Vergleich von Sprachsystemen und Grammatiken, literarischen Formen, Stilen und Inhalten auch weiterhin stets einer historischen Perspektivierung unterziehen, welche die Diachronie als ständig abrufbarem Referenzpunkt bereithält, um Essenzialisierung und Hierarchisierung im politischen wie wissenschaftlichen Diskurs der Gegenwart zu verhindern. Die vorliegende Arbeit kann und soll in diesem Sinne keinesfalls als abgeschlossen angesehen werden. Sie möge Anstöße zu weiteren Studien geben, die sich mit der Philologie des italienischen Ottocento und deren Beitrag zu neuen Möglichkeiten der Konvivenz befassen. Neben der Notwendigkeit einer Analyse der in Italien entstehenden ‚Einzelphilologien‘ wäre eine verstärkt diachrone und transareale Erforschung italienischer Positionen in ihrer Wirkung auf die Philologie des frühen 20. Jahrhunderts im globalen Kontext denkbar. Ebenfalls in diesem Zusammenhang bleibt der Beitrag der Philologie zu zwei essenziellen Themenkomplexen der italienischen Geschichte zu erkunden: In der Frage nach dem auch in Italien virulenten Antisemitismus der katholischen Presse und Literatur des 19. Jahrhunderts sowie dem so oft angesprochenen und doch nur oberflächlich aufgearbeiteten Rassismus gegenüber den Bewohnern des Mezzogiorno.958 Dabei ist es nicht so sehr die Populärkultur der Magazine und Journale, als wiederum vielmehr der wissenschaftliche Deutungsanspruch der philologischen Forschung sowie ihre epistemische Verfasstheit, die in ihrer diskursiven Verortung ‚kartographisch‘ noch zu erfassen und zu analysieren sind. Diese Studie möge als weitere diskursive Basis dienen, von der aus neben rassistischen und rassenlogischen Argumentationszusammenhängen auch die Gründe für dagegenstehende Widerstände in Form eines pluralistischen, polysemischen und plurilogischen Denkens weiter analysiert werden können. Die dargestellten epistemischen Verfasstheiten und prozesshaften Veränderungen mögen zu einer Vertiefung kritischer Philologiegeschichte beitragen, die Pfade aus der Alternativlosigkeit fixierter Geschichte weiter zugänglich machen soll.

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Nani spricht dezidiert nicht von „antiebraismo cattolico“, sondern von „antisemitismo“. Vgl. Nani 2006: 157 ff. u. Bevilacqua 1993: 56-58.

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PERSONENREGISTER

Abel- Abd el-Kader 254 Abel-Rémusat, Jean-Pierre 160, 342 Adelung, Johann Cristoph 62, 92, 145146, 151, 154, 252 Affò, Ireneo 37 Agassiz, Louis 258 Alighieri, Dante 25-26, 38, 65, 70, 197, 229, 337 Amari, Michele 31, 34, 116 Anquetil-Duperron, Abraham Hyacinthe 208 Archimedes 293 Ardigò, Roberto 32, 125 Ariosto, Ludovico 321-322, 326 Aristoteles 155, 157, 161, 200-201 Arndt, Christian Gottlieb von 239-240 Asachi, Gheorghe 231 Ascoli, Graziadio Isaia 35, 38, 104, 116, 119-120, 143-144, 146-147, 149, 182, 206-207, 236, 248, 254, 261-262, 329366, 369, 371 Asholt, Wolfgang 16, 272, 290 Auroux, Sylvain 18, 359 Bacon, Francis 190 Bähler, Ursula 325 Balbi, Adriano 160 Balbo, Cesare 69-70, 95, 197, 229, 232 Barchou de Penhoen, Auguste 213 Bardetti, Stanislao 69 Bartoli, Matteo 261, 364, 368 Beauzée, Nicolas 280 Bellini, Bernardo 46 Belzoni, Giovanni Battista 115 Benfey, Theodor 338 Berchet, Giovanni 178 Bernetti, Tommaso 159 Bernier, Franҫois 54 Bianchi-Giovini, Aurelio 77-78, 80, 9092, 144-147, 180, 367 Biava, Samuele 235 Biondelli, Bernardino 35, 80, 91, 104, 116-118, 144-146, 150, 180-197, 207, 214, 216, 225, 233, 236, 239-241, 244, 307, 332, 337, 343-350, 355, 366

Bismarck, Otto von 139 Bissolati, Leonida 141 Bixio, Nino 31 Blumenbach, Johann Friedrich 54, 76, 8889, 258 Boccaccio, Giovanni 294 Bochart, Samuel 82 Bopp, Franz 82, 116-117, 150-151, 207, 239-240, 251, 265, 275, 311, 313-315, 320, 330, 344, 350-351, 363 Borrelli, Pasquale 75, 199 Bracciolini, Poggio 128, Bréal, Michel 119, 135 Breme, Ludovico di 169-170 Broglio, Emilio 36 Brollo, Basilio 116 Brosses, Charles de 280-281 Brugmann, Karl 327, 364 Brunetière, Ferdinand 290 Buckle, Henry Thomas 318 Bürger, Peter 40, 53 Buffon, Georges-Louis Leclerc de 55, 258, 272, 281, 285 Bunsen, Christian Karl von 133, 275 Burgio, Alberto 21-22, 26 Burnouf, Eugène 114, 208, 240 Caix, Napoleone 104, 263 Canello, Ugo 271, 290-291, 296, 302-303, 316 Canestrini, Giovanni 307 Canguilhem, Georges 289, 299 Cantacuzino, Ioan 231 Cantù, Cesare 75-80, 91, 98, 166, 263 Capponi, Gino 126 Carducci, Giosuè 115, 265-267, 269-270 Carlo Alberto di Savoia 114-115 Carlo Felice di Savoia 115 Casella, Antonio 332 Casini, Paolo 90 Castiglioni, Carlo Ottavio 150-151 Castro Varela, María do Mar 17 Cattaneo, Carlo 27, 31, 70, 80, 116, 144, 147, 151-152, 172-175, 177-178, 180183, 187, 196-251, 254, 256-258, 260-

402

PERSONENREGISTER

261, 263, 276, 301, 331-338, 340-342, 346, 359, 363, 366, 369, 371 Cavalli-Sforza, Luigi Luca 56 Cavour, Camillo Benso 31-32 Ceccarel, Matteo 376 Ceci, Luigi 114 Cesarotti, Melchiorre 151, 211, 227-228 Champollion, Jean-Franҫois 82, 98, 149150, 208 Chavée, Honoré 109 Checchia, Giuseppe 303 Chézy, Antoine-Léonard de 82 Cicero, Marcus Tullius 98, 295 Cid, Rodrigo Díaz de Vivar 254 Colebrook, Henry Thomas 82 Comparetti, Domenico 101, 108-109, 112, 262 Comte, Auguste 246, 290 Conachi, Costache 231 Condillac, Étienne Bonnot de 155-156, 171, 190 Cox, George William 135 Creuzer, Georg Friedrich 121 Crispi, Francesco 31, 71, 73 Croce, Benedetto 95, 149, 175, 262-263, 271, 273, 316, 326-329, 364, 368-370 Cuny, Albert 354 Cuoco, Vincenzo 80-81, 151 Curtius, Ernst Robert 46 Curtius, Georg 48, 364 Cuvier, Georges 122 D’Ancona, Alessandro 261-262, 270-271, 316 Darwin, Charles 27, 36, 40, 55, 59, 68, 104, 107, 125-128, 139, 193, 271, 279, 274, 289, 297, 302-310, 313, 315-317, 320-324, 327, 339, 361, 367 D’Azeglio, Massimo Taparelli 32 De Cara, Cesare 316 De Donno, Fabrizio 73, 81 De Filippi, Filippo 307 De Gubernatis, Angelo 24-25, 48-50, 106, 114-115, 117-125, 127-128, 131-132, 136, 141, 147, 185, 316, 366 Delbrück, Berthold 327 Delitzsch, Friedrich 275, 353 Della Vida, Giorgio Levi 116 De Man, Paul 44 De Mauro, Tullio 65 De Meis, Angelo Camillo 32, Denina, Carlo 150-151 Derrida, Jacques 48

De Sanctis, Francesco 31, 34, 148, 262263, 270-271, 303-305, 316, 320, 322324, 326-328, 368 De Sanctis, Gaetano 126 Descartes, René 44, 47, 200, 293 Dietrich, Franz 275 Dionisotti, Carlo 103, 261-263 Dionysios von Halikarnassos 68 Dipper, Christof 20 D’Istria, Dora 25 Dorn, Bernhard 240 D’Ovidio, Francesco 356, 364 Drovetti, Bernardino 115 Eichhoff, Frédéric Gustave 75, 83-85, 240 Emiliani Giudici, Paolo 148 Ette, Ottmar 15-16, 43, 198, 371 Ewald, Georg Heinrich August 275 Flechia, Giovanni 114-115, 341 Fortis, Leone 204 Foscolo, Ugo 227-228 Foucault, Michel 19, 40-41, 44, 50, 53, 154, 214, 299 Fredrickson, George 58 Fréret, Nicolas 69 Galilei, Galileo 293 Galluppi, Pasquale 171, 199 Galton, Francis 306 Garibaldi, Giuseppe 31 Gatti, Stanislao 114 Gazzera, Costanzo 115 Gelli, Giovan Battista 90 Genovesi, Antonio 170-171 Gensini, Stefano 29, 66, 152, 207 Gentile, Giovanni 37, 262, 271 Gesenius, Wilhelm 275 Giambullari, Pierfrancesco 90, 144 Gioia, Melchiorre 169, 171 Gioberti, Vincenzo 80-81, 94-100, 105, 171 Giussani, Carlo 141 Gliddon, George Robin 245-246 Gobineau, Arthur de 13-14, 55, 57, 71, 105, 110-112, 125, 142, 253, 272-273, 278, 298, 315 Goethe, Johann Wolfgang 29, 139, 322 Goidanich, Pier Gabriele 364 Goldziher, Ignaz Isaac 106 Gori, Antonio Francesco 82 Gorresio, Gaspare 114-115, 145 Goulianoff, Ivan Aleksandrovič 190-191 Graf, Arturo 271

PERSONENREGISTER

Gramsci, Antonio 34, 38, 175, 214, 327, 368-370 Gregor XVI. 159 Grimm, Jakob 82, 150, 260, 314 Grotefend, Georg, Friedrich 238-240 Guarnacci, Mario 92 Güterbock, Bruno 356, 358 Guidi, Ignazio 116 Guigniaut, Joseph-Daniel 121 Gumplowicz, Ludwig 306 Haeckel, Ernst 55, 310 Hall, Stuart 41, 58 Harpham, Geoffrey Galt 52 Haßler, Gerda 154-156 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm 48-49, 104, 127, 129, 131-134, 139, 171, 175, 178-179, 190, 201-203, 219-221, 223, 263, 290, 303, 305-306, 308-311, 314315, 320-322 Herder, Johann Gottfried 106, 190 Herodot von Halikarnassos 72, 93, 161 Hervás y Panduro, Lorenzo 69, 151, 153159, 162, 164-165 Hesiod 88, 93 Homer 25-26, 50, 88, 93, 121 Humboldt, Alexander von 206, 220-224, 232, 242, 275 Humboldt, Wilhelm von 82, 153, 155, 160, 163, 190-192, 206, 235, 240, 249, 255-256, 260, 275, 277, 279, 310-311, 327, 363-364 Iordan, Iorgu 365 Jayadeva 193 Jones, William 78, 152, 193 Jugurtha 254 Kablitz, Andreas 290-291, 296 Kalidasa 193 Kant, Immanuel 52, 55, 171-172, 201, 311 Karl III. von Spanien 153 Klaproth, Heinrich Julius 160-161 Klemm, Gustav Friedrich 275 Klemperer Victor 13-15, 18, 27, 244, 369 Konfuzius 217-218 Krauss, Werner 15 Kuhn, Adalbert 117, 119, 135, 351, 353 Kunik, Ernst Eduard 275 Lachmann, Karl 68, 128 Lamarck, Jean-Baptiste de 165-166 Lambruschini, Luigi 159

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Lambruschini, Raffaello 36, 102-104, 108, 112, 309 Lanci, Michelangelo 149-150 Landra, Guido 24 Landucci, Giovanni 27, 101, 103, 125126, 307-308 Lange, Friedrich Albert 128 Lanson, Gustave 290 Lanzi, Luigi 68-69, 82 Laotse 217 Lassen, Christian 61-62, 105, 275, 310, 318 Lazarus, Moritz 311 Le Bon, Gustave 306 Leo XIII. 159 Leo, Heinrich 219 Leopardi, Giacomo 66, 147, 151-153, 233, 257, 276 Lepper, Marcel 46-47 Lepsius, Karl Richard 275 Lerminier, Eugène 179 Leskien, August 327 Lessing, Gotthold Ephraim 139 Lignana, Giacomo 27, 104, 193, 263, 271, 274, 279, 290, 309-318, 320-322, 327, 350, 352, 361, 367 Linné, Carl von 54 Livius, Titus 68 Locke, John 156, 170-171, 190, 198, 203 Lolli, Samuel Vita 330 Lombroso, Cesare 21, 23, 33, 115, 186, 278, 297-301, 349, 367 Lucchini, Guido 46, 262-263, 270-271, 332 Lucretius Carus, Titus 127-129, 134, 140 Luzzatto, Filosseno 331 Luzzatto, Samuel David 116, 275, 330331 Mack Smith, Denis 31 Maffei, Scipione 69, 143 Maggi, Giuseppe Maria 114 Maj, Angelo 149, 150, 159 Malte-Brun, Conrad 162 Mantegazza, Paolo 23, 115, 274, 307 Mantelli, Brunello 23, 105, 115 Manzoni, Alessandro 35-39, 359 Marzolo, Paolo 186, 259-260, 263, 271, 276-293, 295-297, 299-302, 322-323, 327-328, 349, 367 Marx, Karl 40, 129, 327, 368 Mazzini, Giuseppe 73, 248 Mazzocchi, Alessio Simmaco 69 Mazzoldi, Angelo 69, 77, 80, 82-100, 144145, 236, 251, 367

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PERSONENREGISTER

Mazzoni Toselli, Ottavio 69 Megasthenes 215 Memmi, Albert 58 Merian, Hans Bernhard 82 Merlo, Clemente 356, 364 Messling, Markus 17-18, 44, 370 Mezzofanti, Giuseppe 159 Micali, Giuseppe 69, 74, 78 Michelet, Jules 112 Micu, Samuil 231 Minvervino, Ciro Saverio 69 Möller, Hermann 354 Mommsen, Theodor 126, 140 Morel, Bénédict 298 Morselli, Enrico 115, 304 Morton, Samuel George 245, 258 Müller Max 61, 101-103, 106-110, 117119, 125, 135-136, 208, 247, 249, 262, 307, 352 Müller, Karl Otfried 78 Muratori, Ludovico Antonio 69-70, 82 Mussolini, Benito 73 Nair, Rukmini Bhaya 15 Napoleon Bonaparte 17, 28, 30, 33, 94, 115, 148, 150, 170, 219, 369 Nerucci, Gherardo 36, 101-104, 307 Niceforo, Alfredo 115, 141 Nicolucci, Giustiniano 59, 115, 274-275 Niebuhr, Barthold Georg 275 Nietzsche, Friedrich 13, 49 Nigra, Costantino 268-270 Nordau, Max Simon 298 Nott, Josiah Clark 245-246 Olender, Maurice 16, 61, 106-108 Orano, Paolo 39 Oriani, Alfredo 73 Osterhammel, Jürgen 30, 57-58 Osthoff, Hermann 327, 364 Palermo, Antonio 173, 270 Pancaldi, Giuliano 304 Paris, Gaston 268, 325 Pascoli, Giovanni 303 Passeri, Giovan Battista 82 Pelloutier, Simon 69 Perticari, Giulio 34 Petit-Radel, Louis Charles 78 Petrarca, Francesco 294 Peyron, Amadeo 150, 341 Pictet, Adolphe 61, 106-107 Pigorini, Luigi 115 Pius IX. 130, 159, 308

Platon 52, 56, 62, 78, 81, 89, 134, 156, 172, 195, 200-203 Plinius Maior, Gaius 195 Plotin 81 Poggio, Pier Paolo 33 Poliakov, Léon 16 Pollock, Sheldon 52-53 Polo, Marco 217 Pott, August Friedrich 207, 275, 363 Pritchard, James 258 Pulgram, Ernst 346-347 Pullé, Francesco Lorenzo 117, 333-334, 336, 339, 365 Pythagoras von Samos 37, 69, 73, 77, 8081, 90-91, 93-95, 97, 99-100, 102, 144, 147, 171, 208, 367 Quinet, Edgar 112 Quintilianus, Marcus Fabius 295 Rajna, Pio 262-263, 270, 324-326 Rask, Rasmus 116, 240 Raspanti, Mauro 24, 105, 118 Rattazzi, Urbano 31 Raumer, Rudolf von 353, 355 Raynouard, Franҫois 240 Renan, Ernest 30, 48, 61, 71, 103, 105107, 110, 112-113, 118-122, 124-125, 127, 131-134, 136, 138, 139, 141, 147, 185, 253-256, 272-273, 278, 315, 318319, 321, 366 Ricci, Matteo 116 Ripa, Matteo 116 Rochette, Desiré-Raoul 78 Römer, Ruth 16 Romagnosi, Giandomenico 98, 169-181, 190, 198-199, 201, 203, 211-214, 226, 247, 249, 257, 259, 260 Rosa, Gabriele 147, 197, 247-260, 268, 276, 278-279, 297, 333, 341, 343, 363, 369, 371 Rosellini, Ippolito 115 Rosmini, Antonio 171, 199 Rousseau, Jean-Jacques 165-166, 190, 281 Sahagún, Bernardino de 184, 195 Said, Edward Wadie 16-17, 19-20, 44, 2627, 44, 122, 369-370 Saint-Hillaire Geoffroy 122 Salvemini, Gaetano 198, 204 San Bartolomeo, Paolino da 82, 86, 150, 215 Santamaria, Domenico 27, 75, 90, 145146, 182, 207, 233, 249, 257, 265, 343 Schelling, Friedrich Wilhelm 308

PERSONENREGISTER

Schiller, Friedrich 178, 322 Schlegel, August Wilhelm 60, 62, 116, 169-170, 182, 343, 345 Schlegel, Friedrich 60-61, 78-79, 95, 99, 116, 151, 158, 160, 162, 165-167, 181182, 185, 187, 190, 193-194, 202, 210, 212, 223, 238, 240-244, 286, 310, 330, 337, 345, 252, 343-344, 350, 363, 366 Schleicher, August 71, 105, 201, 279, 309-310, 338-339, 351-355, 361 Secchi, Angelo 144 Sédillot, Louis Pierre Eugène 342 Selig, Maria 182 Sergi, Giuseppe 71-72, 90, 100, 247 Settembrini, Luigi 65-67, 265-266 Shakespeare, William 321-322 Șincai, Gheorghe 231 Solon 195 Spaventa, Bertrando 90-91, 306, 310 Spencer, Herbert 275, 306, 308 Spinoza, Baruch de 201 Spitzer, Leo 55, 370 Spivak, Gayatri Chakravorty 216 Staël, Anne Louise Germaine de 29 Steinthal, Heymann 260, 311 Stendhal 13 Stickel, Johann Gustav 143 Strabo 195 Süßmilch, Johann Peter 190 Suidas 93 Taguieff, Pierre-André 56 Taine, Hippolyte 13, 271-273, 290-291, 302, 316, 318-319 Tarquini, Camillo 143-144, 149 Tenca, Carlo 168-169, 204, 254 Tertullianus, Quintus Septimius Florens 195 Tessitore, Fulvio 314 Teti, Vito 33 Teza, Emilio 261, 334 Thiersch, Friedrich 240 Timpanaro, Sebastiano 27, 101, 206, 233, 240, 242, 246, 263, 206, 308-309, 333, 336, 338, 341, 356 Todorov, Tzvetan 16, 54, 56, 58, 113, 272, 371 Töpfer, Georg 44 Tommaseo, Niccolò 36, 46, 232 Tort, Patrick 59 Trabant, Jürgen 34, 99 Treves, Piero 126, 140 Trezza, Gaetano 102, 104, 106, 112, 114, 125-142, 146, 274, 303, 308, 316-322, 366

405

Uberti, Fazio degli 93 Văcărescu, Alecu 231 Valeriani, Domenico 114 Vallardi, Francesco 270 Varisco, Daniel Martin 17 Vaugelas, Claude Favre de 289 Vegezzi-Ruscalla, Giovenale 264-265, 267, 270 Vico, Giambattista 47, 80, 82-83, 86, 89, 91-93, 98-99, 104, 123, 147, 165, 172173, 175-177, 190, 192-193, 198-202, 205, 210-213, 237, 240, 248-249, 251252, 263, 289, 321, 369 Vieusseux, Gian Pietro 169 Villa, Renzo 298-299 Villari, Pasquale 32, 261 Virey, Julien-Joseph 165 Viriathus 254 Vogt, Carl 258, 309, 315 Voltaire 62 Vossler, Karl 364 Waitz, Theodor 318 Warren, Edouard de 213 Weber, Albrecht Friedrich 117, 124 Wellek, René 327 Wilkins, Charles 75, 82 Wilson, Horace Hayman 82 Wiseman, Nicolas 158-167, 180, 366, Wolf, Friedrich August 50-51, 148 Xylander, Guilielmus 240