Geist und Wirklichkeit: Eine Studie zur Pneumatologie Erich Schaeders 9783666562488, 9783525562482

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Geist und Wirklichkeit: Eine Studie zur Pneumatologie Erich Schaeders
 9783666562488, 9783525562482

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Hans-Jürgen Goertz Geist und Wirklichkeit

HANS-JÜRGEN GOERTZ

Geist und Wirklichkeit Eine Studie zur Pneumatologie Erich Schaeders

VANDENHOECK & RUPRECHT IN G Ö T T I N G E N

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Edmund Schlink, Wolfhart Pannenberg und Reinhard Slenczka Band 4 2

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Goertz, Hans-Jürgen: Geist und Wirklichkeit

e. Studie zur Pneumatologie

Erich Schaeders / Hans-Jürgen Goertz. - Göttingen Vandenhoeck und Ruprecht, 1980. (Forschungen

zur

systematischen

und

ökumenischen

Theologie ; Bd. 4 2 ) ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 4 8 - 9

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft © Vandenhoeck 8c Ruprecht, Göttingen 1980. - Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen

„Es ist weder zufällig, daß unsere höchste Kunst eine intime und keine monumentale ist, noch daß heute nur innerhalb der kleinsten Gemeinschaftskreise, von Mensch zu Mensch, im pianissimo, jenes Etwas pulsiert, das dem entspricht, was früher als prophetisches Pneuma in stürmischem Feuer durch die großen Gemeinden ging und sie zusammenschweißte." Max Weber (1919)

Inhalt Vorbemerkung.

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Einleitung

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1. Die Aufgabe der Theologie a) Zur Wissenschaftsbiographie Erich Schaeders b) Theozentrische Orientierung c) Unaufhebbare Subjektivität

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2. Pneumatologische Methode und Erfahrung des Glaubens a) Idealistische Grundeinstellung b) Pneumatologische Methode c) Glaubenserfahrung d) Natürliche Anlage für den Glauben

34 34 38 41 47

3. Gottesbewußtsein und Weltverständnis a) Wort- und Schriftverständnis b) Christologie c) Ekklesiologie d) Paradoxales Gottesverständnis . e) Weltverständnis

52 52 60 64 68 74

4. Enge des Bewußtseins oder Weite des Geistes? a) Die Kritik Karl Barths b) Zwischen den Zeiten. Gesamtdeutung..

94 94 103

Literaturverzeichnis

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Personenregister

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Vorbemerkung Die Pneumatologie Erich Schaeders hat mich im Zuge einer größeren Untersuchung zum Geist- und Wirklichkeitsverständnis in der neueren Theologie beschäftigt. Schaeder gehört zu den vergessenen Gelehrten unseres Jahrhunderts, obwohl er zu seiner Zeit eine respektable Wirkung als systematischer Theologe in Königsberg, Göttingen, Kiel und Breslau entfalten konnte. Er dürfte aber wieder Beachtung finden, sobald die Theologie ihre „Angst vor dem Heiligen G e i s t " (Wolfgang Trillhaas) überwindet und darangeht, ihr ungeklärtes Verhältnis zur Pneumatologie aufzuarbeiten. Und dafür scheinen die Zeichen im Augenblick günstig zu stehen. Schaeder hat das pneumatologische Problem 1924 als „die theologische Kernfrage" der Gegenwart bezeichnet. „Die großen Fragen der Dogmatik sind von ganz konstanter Bedeutung. Das gilt von der Geistfrage, wie es etwa von der Frage nach Gott, Sünde, Versöhnung oder Kreuz Christi und Vollendung gilt. Aber der Gang des Glaubenslebens, die Gesamtlage der Kirche zusammen mit der geistig-kulturellen Einstellung, in welche diese gerückt ist, heben von Zeit zu Zeit bestimmte theologische Probleme auf den Gipfel einer weitreichenden Bedeutung und eines höchstentwickelten Interesses. Der Verfasser glaubt nicht zu irren, wenn er überzeugt ist, daß dies heute gerade von dem Geistproblem der Theologie gilt. Es will ihm scheinen, als müsse, streng genommen, jede dogmatische Arbeit mit ihm anfangen.".Bemerkenswert ist dieser methodische Einstieg aus zwei Gründen. Einmal ist hier ein Versuch unternommen worden, die Theologie in bewußtem Anschluß, aber auch in kritischer Wendung gegen die theologische Arbeit des letzten Jahrhunderts pneumatologisch zu begründen, und zum anderen erfolgt diese Begründung überraschenderweise aus der Tradition des Luthertums, dem gelegentlich — und nicht ganz zu Unrecht — ein verkrampfter Umgang mit der Lehre vom Heiligen Geist nachgesagt wurde. Die Theologie Schaeders ist bisher noch nicht untersucht worden. Diese Studie, die eine Forschungslücke ausfüllt, gibt nicht nur darüber Auskunft, wie ein Theologe mit dem Überzeugungsschwund der theologischen Arbeit des 19. Jahrhunderts und den geistigen Erschütterungen, die durch den Ersten Weltkrieg ausgelöst wurden, ringt; sie kann auch als ein kleiner Beitrag zum theologischen Auseinandersetzungsfeld der „Dialektischen Theologie" gelesen werden, das immer noch nicht ganz ausgeleuchtet ist. Diese Theologie ist von Schaeder begrüßt, jedoch auch scharf kritisiert 9

worden. So oder so hat er viel dazu beigetragen, der frühen Theologie Barths in weiten Kreisen Gehör zu verschaffen. Die erwähnte Arbeit zum Geist- und Wirklichkeitsverständnis ist als Habilitationsschrift mit Hilfe eines Stipendiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft zwischen 1972 und 1974 begonnen worden. Für die großzügige Förderung und die Druckbeihilfe möchte ich auch an dieser Stelle der Forschungsgemeinschaft danken. Da ich inzwischen im Fach Sozial- und Wirtschaftsgeschichte tätig bin, wird diese Arbeit in der ursprünglich konzipierten Form nicht mehr zu Ende geführt werden können. Aus diesem Grunde habe ich mich entschlossen, wenigstens den Teil über die Pneumatologie Erich Schaeders umzuarbeiten und als in sich abgerundete Studie zu veröffentlichen. Den Herausgebern danke ich, daß sie diese Arbeit in die „Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie" aufgenommen haben. Ein besonderer Dank gilt Herrn Prof. D. Dr. Wolfgang Trillhaas, der mich schon früh auf die stiefmütterliche Behandlung der Pneumatologie in der systematischen Theologie aufmerksam gemacht hat, und Herrn Prof. D. Dr. Edmund Schlink, durch den mir während meiner Heidelberger Assistentenzeit die ökumenische Dimension der Pneumatologie erschlossen wurde. Hamburg im Herbst 1979

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Hans-Jürgen Goertz

Einleitung Das Thema „Geist und Wirklichkeit" ist lange nicht mehr bearbeitet worden. Nikolai Berdiajew hat es zwar in neuerer Zeit einer religionsphilosophischen Analyse unterzogen und sich unter Berufung auf den „Panpneumatismus" der Evangelien und paulinischen Briefe kritisch gegen die theologische Begrenzung des göttlichen Geistwirkens im Menschen und in der Welt gewandt. 1 Er hat aber die systematische Theologie nicht von der Notwendigkeit einer gründlichen Bearbeitung dieser Thematik überzeugen können. Das hat mancherlei Gründe. Wichtig ist vor allem der Gegenzug der „Dialektischen Theologie" zu einer von der Geistphilosophie des Idealismus aufgesogenen Theologie, die nach einer weitverbreiteten Meinung den Geist „zur gemeinen Sache" gemacht habe. 2 Die Pneumatologie wird nun stärker denn je an die Trinitätslehre bzw. Christologie zurückgebunden und verliert ihre Fähigkeit, mit der geistigen Tätigkeit des Menschen zu kommunizieren, die Wirklichkeit erfaßt, verarbeitet und gestaltet. Auf diese Weise wird ein philosophischer und weltanschaulicher Einbruch in die Theologie abgewehrt, die Korrelation von „Geist und Wirklichkeit" freilich irrelevant. Diese Entwicklung folgt nicht nur theologischer Ratio. Sie korrespondiert auch mit dem philosophischen Zusammenbruch des idealistischen Wirklichkeitsverständnisses, das im und durch den Geist begründet wurde. So radikal aber wie in der „Dialektischen Theologie" ist der Bruch anderswo nur selten vollzogen worden. Eigenartigerweise nehmen die philosophischen Überwindungsversuche vielfach ein dialektischeres Verhältnis zu ihrer eigenen Vergangenheit ein als die Theologie, die sich das Attribut des Dialektischen zugezogen hat. Erst seit der Einfluß Karl Barths nachzulassen beginnt, tritt diese pneumatologische Korrelation in der ökumenischen Bewegung und systematischen Theologie wieder als ein theologisches Grundproblem hervor, oft allerdings noch nicht eindeutig und energisch genug, aber schließlich doch nicht mehr zu übersehen. Auf eine „implizite pneumatologische Tendenz" in den Grundthemen der neueren theologischen Arbeit (Got1

Nikolai Berdiajew, Spirit and Reality, London 1939; französische Ausgabe „Esprit et Realite", Paris 1943; deutsche Ausgabe „Geist und Wirklichkeit", Lüneburg 1949. 2 Heinrich Barth, Die Geistfrage im deutschen Idealismus, in: Karl Barth und Heinrich Barth, Zur Lehre vom heiligen Geist, ZZ, Beiheft 1, 1930, S. 37.

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tesfrage, Christologie, Ekklesiologie, Anthropologie und Ethik) hat vor einiger Zeit bereits J . Verhees hingewiesen. 3 Krister Stendahl hat dasselbe auf sympathische Weise so zum Ausdruck gebracht: „But theology, both academic and practical, both in professional lectures and in pastoral sermons, is a creative task, an art, ever new and ever renewed by the Spirit as it blows over the chaos of our own knowledge and experience and urges us to tell the truth." 4 Wenn die theologische Arbeit in solch hohem Maße von dem Wehen des göttlichen Geistes abhängig ist, dann ist es nur angemessen, diese Arbeit mit der Besinnung auf den Heiligen Geist zu beginnen. Die Pneumatologie wird also ihren Ort in den Prolegomena zur Dogmatik finden müssen, wenn auch nicht ausschließlich dort, so doch grundsätzlich. Sie wird zur Sprache kommen müssen, wo die Methodenfragen der Theologie erörtert werden und wo die theologische Aussage über Gott und die Welt in Beziehung zu dem Wirklichkeitsverständnis der Wissenschaften gesetzt wird. Diese Beobachtung hat offensichtlich Gerhard Sauter dazu geführt, die Pneumatologie als eine „Theorie der Wirklichkeit" zu begreifen, oder die Prozeßtheologie veranlaßt, die Begegnung der Theologie mit den Erfahrungswissenschaften in das Programm umzusetzen, „empirisch zu denken und die Spuren der neuen Schöpfung in den Strukturen der Erfahrungswirklichkeit aufzuzeigen". 5 Diese beiden Beispiele, die sich mühelos vermehren ließen, sollen hier nur andeuten, daß sich die Korrelation von „Geist und Wirklichkeit" als ein Grundproblem der systematischen Theologie ankündigt. Unter „Wirklichkeit" wird die kulturelle, politische und soziale Welt, Natur und Geschichte, verstanden, eine Welt, die vom Menschen erfaßt und gestaltet werden muß, die ihm aber stets auch entgleitet und Geheimnis bleibt.

J . Verhees, De niewe vraag naar een pneumatologie? in: Tijdschrift voor Theologie, 1969, S. 4 2 5 f f . Leider sind sowohl die theologischen als auch die kulturphilosophischen Beobachtungen zu allgemein bzw. feuilletonistisch, als daß sie mehr als auf die Bedeutsamkeit der pneumatischen Frage für die Grundlegung der Theologie heute hinweisen könnten. Wachzuhalten versucht hat die Geistfrage Otto Dilschneider, Die Geistvergessenheit der Theologie. Epilog zur Diskussion über den historischen J e s u s und kerygmatischen Christus, in: T h L Z , 1961, Sp. 2 5 5 f f . Ders., Ich glaube an den Heiligen Geist. Versuch einer Kritik und Antwort zur Existenztheologie. Wuppertal 1969. 4 Krister Stendahl, in: Concordia Theological Monthly, 6, 1971, S. 3 9 5 . 5 Gerhard Sauter, Vor einem neuen Methodenstreit in der Theologie? T h E x h 164, München 1970, S. 60f. Helga Reitz, Was ist Prozeßtheologie? Analyse eines Neuansatzes in der nordamerikanischen Theologie der Gegenwart. In: J o h n B. Cobb, Christlicher Glaube nach dem T o d e Gottes. Gegenwärtiges Weltverständnis im Licht der Theologie. München 1971, S. 119. 3

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Um „Geist und Wirklichkeit" als Grundproblem der Theologie hatte sich in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts niemand so intensiv bemüht wie Erich Schaeder. Sein Werk ist heute zwar vergessen, es muß aber wieder daran erinnert werden, wenn die systematische Theologie nicht respektlos an ihrer eigenen Geschichte vorübergehen will. Und es kann heute unvoreingenommener daran erinnert werden als zu einer Zeit, in der ein Verdammungsurteil über die Theologie des 19. Jahrhunderts als Ausweis der eigenen Rechtgläubigkeit galt. „Ein Jahrhundert der Theologie des Heiligen Geistes hat es soweit gebracht, daß jeder Schwärmergeist sich selbst von ihr her behaupten kann. Nicht Luther, sondern Karlstadt hat also gewissermaßen den Sieg davongetragen." 6 S o sind die Bedingungen heute besonders günstig, das theologische Bemühen Erich Schaeders im Zwielicht geistesgeschichtlicher Entwicklungen zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert nicht mehr als Neuauflage einer verbrauchten Theologie interpretieren zu müssen, es vielmehr als einen interessanten Versuch zu würdigen, der Fehlentwicklung einer Theologie des Heiligen Geistes, wenn diese pauschale Benennung einmal erlaubt ist, pneumatologisch zu begegnen. Der alte Karl Barth hat eindringlich und charmant zugleich davor gewarnt, die inzwischen aufgelaufenen Probleme in Zukunft vorschnell mit einer „Theologie des Heiligen Geistes" bewältigen zu wollen, obwohl er in seiner letzten kritischen Würdigung Schleiermachers durchaus von der Möglichkeit einer pneumatologischen Grundlegung der gesamten Theologie „ g e t r ä u m t " hat, der es gelingen müßte, seine eigenen mit den Schleiermacher kaum bewußtem, aber ihn doch beherrschenden Absichten zu verbinden. 7 Seiner Warnung, die vor allem einer Anthropologisierung der Pneumatologie gilt, kann man sich schwerlich entziehen. Umso dringlicher steht die Theologie heute vor der Aufgabe, noch einmal das einst ausgeschlagene Angebot Erich Schaeders zu prüfen, die Pneumatologie in einer kritischen Wendung gegen die von Schleiermacher herkommende Tradition zur Ausgangsfrage der Theologie zu machen. Erich Schaeder zählte nicht zu den Erneuerern der Theologie nach dem Ersten Weltkrieg. Symptomatisch dafür ist eine abfällige Bemerkung Rudolf Bultmanns in einem Brief an Karl Barth aus dem J a h r e 1928: „Ihre Polemik gegen die Wobbermin, Schaeder etc. ist ebenso treffend wie amüsant. Aber ist sie nicht schon zum Teil ein K a m p f gegen Gespenster? Steht nicht der ernste Gegner heute anderswo? Für die Wob6 J a m e s M. Robinson, Das Problem des Heiligen Geistes bei Wilhelm Herrmann, Marburg 1952, S. 56. 7 Heinz Bolli (Hg.), Schleiermacher-Auswahl mit einem Nachwort von Karl Barth, M ü n c h e n - H a m b u r g 1968, S. 31 l f .

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b e r m i n u n d S c h a e d e r e t c . genügt h e u t e eigentl. s c h o n das B a r a t h r u m . " 8 B a r t h s c h ä t z t e die W i r k u n g dieser T h e o l o g e n z w a r realistischer e i n 9 , h a t a b e r dafür g e s o r g t , d a ß S c h a e d e r bald vergessen w u r d e . Wie e n g dieser j e d o c h m i t d e m P r o b l e m g e f ü g e B a r t h s verfilzt w a r , a u c h w e n n e r es anders o r d n e t e u n d l ö s t e , zeigt d e r m e h r m a l s a n s e t z e n d e r i g o r o s e A r g u m e n t a t i o n s g a n g B a r t h s , d e r o f f e n s i c h t l i c h n ö t i g w a r , u m S c h a e d e r endgültig v o n sich a b z u s c h ü t t e l n . 1 0 N a c h t r ä g l i c h fällt b e s o n d e r s ins A u g e , d a ß B a r t h die A b s i c h t e n S c h a e d e r s n i c h t i m m e r g e r e c h t b e u r t e i l t h a t . S o ist v o n v o r n h e r e i n v e r f e h l t , S c h a e d e r g e m e i n s a m m i t G e o r g W o b b e r m i n u n d R o b e r t Winkler, v o n d e r e n r e l i g i o n s p s y c h o l o g i s c h e r M e t h o d e e r sich m i t g l e i c h e r E n t s c h i e d e n h e i t w i e v o m A n t h r o p o z e n t r i s m u s des 1 9 . J a h r h u n d e r t s d i s t a n z i e r t h a t t e 1 1 , a b z u h a n d e l n u n d diese D i f f e r e n z großzügig z u nivellieren. B e g r ü ß t w u r d e v o n d e n V e r t r e t e r n d e r „Dialekt i s c h e n T h e o l o g i e " einst d e r T h e o z e n t r i s m u s S c h a e d e r s 1 2 , e n t s c h i e d e n a b g e l e h n t a b e r s p ä t e r seine G e i s t l e h r e . 1 3 D o c h dieses selektive V e r f a h r e n

8 Karl Barth — Rudolf Bultmann, Briefwechsel, hg. von B. Jaspert, Zürich 1 9 7 1 , S. 81. 9 Ebd., S. 86. 1 0 Karl Barth, Die christliche Dogmatik im Entwurf. Die Lehre vom Worte Gottes. Prolegomena zur christlichen Dogmatik, München 1927, S. 53ff. und S. 9 2 f f . Ders., Kirchliche Dogmatik, I, 1, 8. Aufl., Zürich 1 9 6 4 , S. 2 1 8 f f . 1 1 Erich Schaeder, Theozentrische Theologie, II, Leipzig 1928, S. 146ff. Winkler wird das Recht bestritten, die religionspsychologische Methode Wobbermins als eine pneumatologische auszuweisen. 12 Umgekehrt hat auch Schaeder seinerseits diese Übereinstimmung bestätigt: Theozentrische Theologie, I, 3. Aufl. Leipzig 1 9 2 5 , S. 2 1 4 . Vgl. folgende Bemerkung in seinem Lebensabriß: „Kattenbusch äußert, daß ich in meiner Weise schon den eigentlichen Grundgedanken Barths vorweggenommen hätte. Das trifft zu, und doch auch nicht. Barth und ich stimmen zusammen in der tiefsten Konzentration alles theologischen Denkens auf die Gottesfrage. Gemeinsam betonen wir den Majestätscharakter Gottes, das in Gott beschlossene ganz andere gegenüber Allem, was Welt heißt. Aber ich suche die Erkenntnis dieser Seite an der Wirklichkeit Gottes oder die Erkenntnis dieses Gottes aus der Synthese von Wort, Geist und Glaube zu begründen. Bei Barth fehlt die Begründung. Es sieht so aus, als ob das, was er über Gott sagt, sich selbst trüge" (E. Stange (Hg.), Die Religionswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Leipzig 1926, S. 235f.).

Z.B. Emil Brunner, Erlebnis, Erkenntnis und Glaube, 2. und 3. Aufl., Tübingen 1 9 2 3 , S. 33. — Ders., Theozentrische Theologie? Eine Bemerkung zu Schaeders „Geistproblem der Theologie" In: ZZ, 4, 1 9 2 6 , S. 1 8 2 - 1 8 4 . Brunner macht sich die Widerlegung Schaeders zu leicht; zu oft werden die Absichten des Kritisierten sinnentstellt und über den groben Leisten der eigenen Schleiermacher-Interpretation geschlagen. Mit der Kritik der Geistlehre fällt für Brunner nun auch der Theozentrismus. J a , er manipuliert seine frühere Zustimmung nachträglich in eine grundsätzliche Reserviertheit von Anfang an um (S. 182). — Es hat durchaus Zeitgenossen gegeben, die über eine längere Zeit in der Lage waren, Barths und Schaeders Intentio13

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wird ihm nicht gerecht, denn sein Theozentrismus steht und fällt mit dem Geistverständnis. Seine „Theozentrische Theologie" ist eine pneumatologisch durchgestaltete Theologie von großer Geschlossenheit. So aber ist sie geeignet, auf die Geistproblematik hinzuweisen, wie sie sich offen und verborgen im Widerstand gegen den Geist des Idealismus damals allerorten meldete. Schaeder hat die Pneumatologie, worin er sogar Emil Brunners Zustimmung fand, als „die theologische Kernfrage" begriffen. 1 4 Das sichert ihm heute sowohl historisch als auch systematisch eine besondere Aufmerksamkeit. Das Hauptwerk Schaeders, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs fertiggestellt, ist seine zweibändige „Theozentrische Theologie." 15 Das Wort „theozentrisch" werde in der Theologie nicht wieder sterben, hat er im Vorwort des zweiten Bandes geschrieben, und die weitere Entwicklung der Theologie hat ihm zunächst auch recht gegeben. Allerdings verbindet sich heute mit diesem Stichwort mehr die Erinnerung an ein scharf akzentuiertes Programm, das in die ungeklärten Tendenzen der Theologie zu Beginn unseres Jahrhunderts gemeinsam mit den Vertretern der „Dialektischen Theologie" Klarheit bringen wollte, als ein Begriff, der unbeschadet seiner Intention noch dieselbe Durchschlagskraft hätte und unverändert Verwendung fände. Wenn überhaupt, dann verdichtet sich in ihm die einzige Erinnerung an das theologische Schaffen Schaeders, das unter dem Eindruck der Übersteigerung des Theozentrismusbegriffs in der „Dialektischen Theologie" in ein schiefes Licht gerät, als ob Schaeder sich für einen Gottesbegriff eingesetzt habe, aus dem die Zuwendung zum Menschen ausgeschieden wurde. Er hat zwar den Anthropozentrismus bekämpft, nicht aber zugleich die anthropologische Ausrichtung des Gottesbegriffs beseitigen wollen. Auf ihr hat er gerade bestanden und deshalb den Zorn der früheren Sympathisanten auf sich gezogen. Das hat Otto Weber übersehen, wenn er im Zusammenhang mit Schaeder gegen eine Theologie zu Felde zieht, „die von einem partnerlosen Deus absolutus redet und daran vorbeigeht, daß Gott unser Gott sein will". 16 Schaeder ist schon so vergessen, daß sein Hauptargument gegen Barth und Brunner bereits gegen ihn selber gekehrt werden kann. Es ist also höchste Zeit, dieses theologiegeschichtliche Fehlurteil zu korrigieren. nen ineinanderzusehen: z.B. Max Strauch, Die Theologie Karl Barths, 2. Aufl. München 1924, S. 5 4 f . 14 E. Schaeder, Das Geistproblem der Theologie, Leipzig—Erlangen 1924, S. 1. 15 E. Schaeder, Theozentrische Theologie. Eine Untersuchung zur dogmatischen Prinzipienlehre. I. Teil Leipzig 1909, II. Teil Leipzig 1914. Die Zitationsangabe Theoz. Theol. I und Theoz. Theol II bezieht sich auf die 3. Aufl. des 1. Teils (1925) und die 2. Aufl. des 2. Teils (1928). 16 Otto Weber, Grundlagen der Dogmatik, I, Neukirchen-Moers 1959, S. 5 8 2 .

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Die vorliegende Untersuchung will keine Monographie zur Theologie Erich Schaeders insgesamt sein. Sie will nur einen Aspekt herausarbeiten, der für das Werk dieses Gelehrten allerdings grundlegend war, nämlich die Funktion der Pneumatologie für die Begründung der Theologie. Allein unter diesem Gesichtspunkt könnte Schaeder für die theologische Arbeit der Gegenwart wieder bedeutsam werden. Auch wenn es nicht möglich sein wird, direkt an seine Gedanken anzuknüpfen, so könnte eine detaillierte Analyse seiner Argumentation doch ein heilsames Exerzitium für jeden sein, der sich dem pneumatologischen ProlegomenaProblem heute zuwenden möchte. Diese Eingrenzung unserer Aufgabe erlaubt es, daß wir Entstehung und Entwicklung der schaederschen Theologie weitgehend außer acht lassen und uns nur auf die Endgestalt seines Hauptwerkes konzentrieren können, das mit den jeweils letzten Auflagen seiner beiden Bände zur „Theozentrischen Theologie" (3. Aufl. 1925 und 2. Aufl. 1928) und dem Buch über „Das Geistproblem der Theologie" (1924) vorliegt. „Von jeher hat mich das Verlangen erfüllt, in die theologisch-dogmatische Bewegung ein inhaltliches Wort hineinzureden, das nicht wieder völlig verhallt, einen Gedanken hineinzubilden, der mitbestimmend weiterwirkt." 1 7 Diesem Gedanken gab er den Namen „Theozentrische Theologie", und in ihr stellte sich ihm die Geistfrage als das „Kernproblem der Theologie" 1 8 dar. Wir bewegen uns also mit unserer Frage nach „Geist und Wirklichkeit" im Zentrum der schaederschen Absichten. Eine streng historische Analyse dürfte sich nicht der Aufgabe entziehen, den kulturellen und kirchlichen Kontext des theologischen Betriebs mit zu untersuchen, in dem Schaeder arbeitete. Eine Analyse jedoch, die ganz bewußt unter einer systematischen Fragestellung antritt, darf sich darauf beschränken, dem systematischen Duktus eines theologischen Denkens nachzuspüren und die Probleme freizulegen und zu beschreiben, die eine geistbegründete Theologie in einer Zeit theologischer Neubesinnung wahrnahm, verarbeitete und hervorrief. Die Bemühungen Schaeders sollen jedoch nicht wie eine zeitlos isolierte Gedankenwelt behandelt werden. Es muß vielmehr beachtet werden, welche theologischen Traditionen und welche kirchlichen Entwicklungen auf ihn eingewirkt haben, mit welchen Theologen er sich auseinandergesetzt hat und wie er in die theologische Arbeit der ersten dreißig Jahre unseres Jahrhunderts einzuordnen ist. " E. Stange, a.a.O., S. 223.