Geheiligte Räume: Theologie, Geschichte und Symbolik des Kirchengebäudes 3534263200, 9783534263202

Was sind die Besonderheiten des christlichen Kirchengebäudes? Wodurch unterscheidet sich dieser Bautyp von anderen und w

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Geheiligte Räume: Theologie, Geschichte und Symbolik des Kirchengebäudes
 3534263200, 9783534263202

Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort
I. Das christliche Kirchengebäude – was ist das?
1. Gottesdienstfeier und Kirchengebäude
1.1 Der Kirchenraum – ein Thema der Liturgiewissenschaft
1.2 „Liturgischer Raum“ und „öffentlicher Raum“? – kirchliche Stellungnahmen zum Thema ‚Kirchengebäude‘ und ‚Kirchenraum‘
2. Der durch ein Kirchengebäude herausgehobene, symbolisch gestaltete Ort
2.1 „Memoria“ und das Kirchengebäude
2.2 Wo in älterer Zeit Kirchengebäude errichtet wurden
2.2.1 „Heiliger Ort“, „heiliger Raum“?
2.2.2 Symbolische Gehalte eines ‚heiligen Raums‘
3. Das Kirchengebäude als Ausdrucksgestalt
3.1 Votivkirchen
3.2 Kirchengebäude und Atmosphären
4. Die plurale Gesellschaft und die Kirchengebäude
II. Grundlagen für die Kirchenbauten des Mittelalters in Deutschland: Jüdische und christliche Sakralbauten im Römischen Reich
1. Synagogen – Aspekte der frühen Baugeschichte
2. Christliche Kirchengebäude
2.1 Christlicher Gottesdienst und Kirchengebäude in vorkonstantinischer Zeit
2.2 Christliche Kirchengebäude in der Ära Konstantins
2.3 Christliche Kirchengebäude und spätantike Stadt
2.4 Das christliche Kirchengebäude in der Kontinuität der lokalen religiösen Topographie
3. Die herausragende Bedeutung Jerusalems
3.1 Steinwerdung des christlichen Credo – Jerusalem als Mnemotop
3.2 Sakralbauten in Jerusalem zwischen Islam und Christentum
4. Das christliche Rom – das „neue Jerusalem“
III. Kirchengebäude im Mittelalter
1. Topographie der Kirchengebäude im Mittelalter
1.1 Kontinuität in der lokalen religiösen Topographie
1.2 Die „religiöse“ Anweisung des Bauplatzes für ein Kloster bzw. ein Stift
1.3 Die Heiligenverehrung (Heiligengrab) und das Patrozinium
1.4 „Roma secunda“ – die Hereinnahme des Kultes in die Stadt
2. Kirchengebäude-Typen
2.1 Die Kathedrale (Bischofskirche)
2.2 Stifts- und Klosterkirchen
2.2.1 Das Kloster – der benediktinische Weg
2.2.2 Die Klosterkirche
2.2.3 Weitere Orden und Klöster
2.2.4 Stift und Stiftskirche – ordo canonicus
2.3 Pfarrkirche
2.3.1 Die Pfarrei
2.3.2 Die Stadtpfarrkirche
2.3.3 Die Pfarrkirche als Medium städtischer Selbstdarstellung
3. Kirchengebäude und Kirchenraum – Symbolik und Ausstattung
3.1 Das Kirchengebäude
3.2 Der Kirchenraum und seine Ausstattung
4. Stadttopographie und Kirchengebäude
4.1 Die topographische Lage der Kirchengebäude
4.2 Die Kirchtürme und die Glocken
4.3 Die Immunität
5. Kirchengebäude und Synagoge in der mittelalterlichen Stadt
5.1 Zur Geschichte der Juden im Mittelalter
5.2 Die Darstellung von Juden im Zusammenhang christlicher Bildthemen
5.3 Synagoge und Ritus
5.4 Synagogenbauten im Mittelalter
5.5 Christliche Kirchenbauten am Ort von Synagogen
IV. Das Kirchengebäude in konfessioneller Zeit (16.–18.Jahrhundert)
1. Das Kirchengebäude im lutherischen Kontext
1.1 Das Kirchengebäude in der Reformationszeit
1.1.1 Erste Konsequenzen aus der Reformation für die vorhandenen Kirchengebäude
1.1.2 Martin Luther zu Gottesdienst und Kirchengebäude
1.2 Kontinuität und Neuakzentuierung im überkommenen Kirchenraum
1.2.1 Die lutherische Pfarrkirche und ihre Nutzung
1.2.2 Der lutherische Kirchenraum
1.3 Die Herausbildung einer Theorie des protestantischen, lutherischen Kirchenbaus seit dem 17.Jahrhundert
1.4 Kirchengebäude und Gottesdienst in lutherischen Territorien im 18.Jahrhundert
1.4.1 Repräsentative Kirchengebäude prägen das Stadtbild
1.4.2 Der lutherische Kirchenraum in seiner Vollendung
1.4.3 Der evangelische Gottesdienst im 17. und 18.Jahrhundert
1.5 Ausstattungsstücke des lutherischen Kirchenraums
2. Das Kirchengebäude im reformierten Kontext
2.1 Die pragmatische und theoretische Grundlegung für den reformierten Kirchenraum in der Schweiz
2.1.1 Das Urbild des reformierten Kirchenraums in Zürich
2.1.2 Johannes Calvin zu Bilderverbot und Kirchengebäude
2.2 Reformierte Gottesdienste und reformierte Kirchenräume in Deutschland
2.2.1 Umgestaltete und neuerrichtete Kirchenräume
2.2.2 Vorbilder für reformierte Kirchenbauten in deutschen Territorien
2.3 Die Einrichtung des reformierten Kirchenraums
2.4 Das Nebeneinander verschiedener Konfessionen in einem Territorium
2.4.1 Die konfessionelle Topographie der Orte
2.4.2 Die Dominanz des reformiert geprägten Kirchenraums in Nordwestdeutschland
2.4.3 Protestantische Simultankirchen des 17. und 18.Jahrhunderts
3. Das Kirchengebäude im Kontext der katholischen Reform
3.1 Katholische Konfessionalisierung und das barocke Kirchengebäude
3.2 Bauaufgaben in katholischen Territorien
3.2.1 Jesuitenkirchen
3.2.2 Klosterkirchen
3.2.3 Wallfahrtskirchen und Kalvarienberge
3.2.4 Pfarrkirchen
3.3 Katholische Kirchenneubauten in protestantischen Territorien
3.4 Der katholische Kirchenraum des Barock
3.4.1 Gegenreformatorische Akzente
3.4.2 Die Ausstattung des Kirchenraums
4. Die Synagoge in der frühen Neuzeit – Synagogenbauten des 16. bis 18.Jahrhunderts
Exkurs: Die Synagoge in der Sicht von Martin Luther
V. Kirchengebäude der großen Konfessionskirchen bis zum Ende des Staatskirchentums (von der Aufklärung bis 1918)
1. Säkularisation – Toleranz – Patriotismus. Rahmenbedingungen und Anlässe zum Kirchenbau am Beginn des 19.Jahrhunderts
1.1 Säkularisation – der Reichsdeputationshauptschluss von 1803
1.2 Toleranz – Reichsdeputationshauptschluss und Wiener Kongress
1.3 Patriotismus – Kriegerdenkmale im Kirchenraum
2. Konfessionsübergreifende Orientierungen im Kirchenbau
2.1 Erwartungen an den Kirchenraum in der Zeit der Aufklärung
2.2 Die Orientierung an Formen der vorchristlichen Antike
2.3 Die Orientierung an Formen der frühen Kirche
2.4 Die Orientierung an Formen der Gotik
2.4.1 Neugotische Umgestaltungen und Vollendungen von Kirchenbauten
2.4.2 Die vorherrschende Orientierung am gotischen Stil
2.4.3 Die Errichtung von Kirchengebäuden in neugotischen Formen
2.4.4 Das Erscheinungsbild neugotischer Kirchengebäude
2.5 Orientierung an Formen der Romanik
3. Aspekte einer Rekonfessionalisierung des Kirchenbaus
3.1 Kirchengebäude des Neuprotestantismus
3.1.1 „Protestantisch“ – Entwicklungen im 19.Jahrhundert
3.1.2 Schleiermacher zu Gottesdienst und Kirchengebäude
3.1.3 Urbilder des protestantischen Kirchengebäudes?
3.1.4 Das Kirchengebäude des Neuprotestantismus – das „Wiesbadener Programm“
3.1.5 Gruppenbauten
3.2 Katholische Kirchenneubauten
4. „Kirchengebäude“ und „Synagoge“ im Fokus pragmatischer, ästhetischer und theoretischer Überlegungen an der Wende zum 20.Jahrhundert
4.1 Industrialisierung und Urbanisierung, Kirchenbau und Rechristianisierung
4.1.1 Entkirchlichung und Urbanisierung
4.1.2 Rechristianisierung
4.1.3 Inkulturation
4.2 Formalisierung sakraler Bauaufgaben – Kirchengebäude und Synagogen in Fachbüchern für Architekten
4.3 Kunstausstellungen – Manifestationen einer protestantisch-katholisch-jüdischen „Kulturökumene“
4.4 „Christliche Baukunst“ und „Synagoge“ in protestantischen Lexika
4.5 Neue Baumaterialien – eine Herausforderung für den Sakralbau
4.6 Monumentalität und religiös-kultureller Anspruch – Kirchengebäude und Synagogen im frühen 20.Jahrhundert
4.6.1 Aspekte der allgemeinen Entwicklung
4.6.2 Exemplarisch: Drei repräsentative „Kultusbauten“ in Essen
VI. Kirchengebäude, Synagogen, Kapellen und Bethäuser in Deutschland – monumentale Zeichen einer kulturellen Modernisierung in der letzten Phase des Staatskirchentums (1803 bis 1918)
1. Synagogenbauten
1.1 Toleranz, Emanzipation, Antisemitismus: Zur Geschichte der Juden in Deutschland
1.2 Synagogenbauten im frühen 19.Jahrhundert
1.3 Synagogen im ägyptischen und im maurischen Stil
1.4 Synagogen im „deutschen Baustil“
1.5 „Monument in der Stadt“ – Synagogenbauten des frühen 20.Jahrhunderts
2. Bethäuser und Kapellen
2.1 Duldung – die älteren evangelischen Freikirchen
2.1.1 Mennonitenkirchen
2.1.2 Die Kirchensäle der (erneuerten) Brüder-Unität
2.2 „Erlaubte Privatgesellschaften“ bzw. „Geduldete Kirchengesellschaften“ – jüngere evangelische Freikirchen in Deutschland
2.2.1 Baptistische Bethäuser
2.2.2 „Evangelisch-Lutherische Kirche in Preußen“
2.2.3 Evangelisch-methodistische Kirchengebäude
2.3 Staatliche Anerkennung per Gesetz – die Altkatholische Kirche
3. Kirchengebäude ausländischer Kirchen und Konfessionen
3.1 Russisch-orthodoxe Kirchen
3.2 Englische/Anglikanische Kirchen
3.3 Amerikanische Kirchen
Exkurs: Islamische Sakralbauten in Deutschland bis 1918
VII. Städtebauliche Dominante, Sakralbau, zeit- und menschengerechter Raum – Aspekte des Kirchenbaus nach dem Ende des Staatskirchentums
1. Nach dem Ende des Staatskirchentums
2. Kirchengebäude – monumentale Dokumente „ihrer Zeit“
3. Kirchlich-theologische Leitideen und Kirchen-Neubauten
4. Architekturentwicklung und Kirchenbau
5. Zur religiösen Topographie von Landschaften und Städten in der Gegenwart
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Bilderläuterungen und Abbildungsverzeichnis
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Franz-Heinrich Beyer

Geheiligte Räume Theologie, Geschichte und Symbolik des Kirchengebäudes 4.Auflage

Für Edelmut, Bengt und Marit

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 4., bibliografisch aktualisierte Auflage © 2013 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: schreiberVIS, Bickenbach Einbandgestaltung: Peter Lohse, Heppenheim. Einbandabbildung: „Inneres einer Kirche.“ Farblithographie aus: Bilder zum Anschauungsunterricht für die Jugend, neu bearb. von Eduard Walther, 1. Teil, Eßlingen (J. F. Schreiber) 1890. © akg-images. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-26320-2 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-26321-9 eBook (epub): 978-3-534-26322-6

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Das christliche Kirchengebäude – was ist das? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gottesdienstfeier und Kirchengebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Der Kirchenraum – ein Thema der Liturgiewissenschaft . . . . . . . . . . . . . . 1.2 „Liturgischer Raum“ und „öffentlicher Raum“? – kirchliche Stellungnahmen zum Thema ‚Kirchengebäude‘ und ‚Kirchenraum‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der durch ein Kirchengebäude herausgehobene, symbolisch gestaltete Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 „Memoria“ und das Kirchengebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Wo in älterer Zeit Kirchengebäude errichtet wurden . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 „Heiliger Ort“, „heiliger Raum“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Symbolische Gehalte eines ‚heiligen Raums‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Kirchengebäude als Ausdrucksgestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Votivkirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Kirchengebäude und Atmosphären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die plurale Gesellschaft und die Kirchengebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Grundlagen für die Kirchenbauten des Mittelalters in Deutschland: Jüdische und christliche Sakralbauten im Römischen Reich . . . . . . . . . . . . . . 1. Synagogen – Aspekte der frühen Baugeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Christliche Kirchengebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Christlicher Gottesdienst und Kirchengebäude in vorkonstantinischer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Christliche Kirchengebäude in der Ära Konstantins . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Christliche Kirchengebäude und spätantike Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Das christliche Kirchengebäude in der Kontinuität der lokalen religiösen Topographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die herausragende Bedeutung Jerusalems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Steinwerdung des christlichen Credo – Jerusalem als Mnemotop . . . . . . . 3.2 Sakralbauten in Jerusalem zwischen Islam und Christentum . . . . . . . . . . . 4. Das christliche Rom – das „neue Jerusalem“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

III. Kirchengebäude im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Topographie der Kirchengebäude im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Kontinuität in der lokalen religiösen Topographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die „religiöse“ Anweisung des Bauplatzes für ein Kloster bzw. ein Stift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Die Heiligenverehrung (Heiligengrab) und das Patrozinium . . . . . . . . . . 1.4 „Roma secunda“ – die Hereinnahme des Kultes in die Stadt . . . . . . . . . . 2. Kirchengebäude-Typen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Kathedrale (Bischofskirche) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Stifts- und Klosterkirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Das Kloster – der benediktinische Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Die Klosterkirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Weitere Orden und Klöster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Stift und Stiftskirche – ordo canonicus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Pfarrkirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Die Pfarrei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Die Stadtpfarrkirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Die Pfarrkirche als Medium städtischer Selbstdarstellung . . . . . . . 3. Kirchengebäude und Kirchenraum – Symbolik und Ausstattung . . . . . . . 3.1 Das Kirchengebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Der Kirchenraum und seine Ausstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Stadttopographie und Kirchengebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die topographische Lage der Kirchengebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Kirchtürme und die Glocken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Die Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kirchengebäude und Synagoge in der mittelalterlichen Stadt . . . . . . . . . . 5.1 Zur Geschichte der Juden im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die Darstellung von Juden im Zusammenhang christlicher Bildthemen . 5.3 Synagoge und Ritus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Synagogenbauten im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Christliche Kirchenbauten am Ort von Synagogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Kirchengebäude in konfessioneller Zeit (16.–18. Jahrhundert) . . . . . . . . 1. Das Kirchengebäude im lutherischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Das Kirchengebäude in der Reformationszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Erste Konsequenzen aus der Reformation für die vorhandenen Kirchengebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Martin Luther zu Gottesdienst und Kirchengebäude . . . . . . . . . . . . 1.2 Kontinuität und Neuakzentuierung im überkommenen Kirchenraum . . . 1.2.1 Die lutherische Pfarrkirche und ihre Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Der lutherische Kirchenraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

1.3 Die Herausbildung einer Theorie des protestantischen, lutherischen Kirchenbaus seit dem 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Kirchengebäude und Gottesdienst in lutherischen Territorien im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Repräsentative Kirchengebäude prägen das Stadtbild . . . . . . . . . . . 1.4.2 Der lutherische Kirchenraum in seiner Vollendung . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Der evangelische Gottesdienst im 17. und 18. Jahrhundert . . . . . . . 1.5 Ausstattungsstücke des lutherischen Kirchenraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Kirchengebäude im reformierten Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die pragmatische und theoretische Grundlegung für den reformierten Kirchenraum in der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Das Urbild des reformierten Kirchenraums in Zürich . . . . . . . . . . . 2.1.2 Johannes Calvin zu Bilderverbot und Kirchengebäude . . . . . . . . . . 2.2 Reformierte Gottesdienste und reformierte Kirchenräume in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Umgestaltete und neuerrichtete Kirchenräume . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Vorbilder für reformierte Kirchenbauten in deutschen Territorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Einrichtung des reformierten Kirchenraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Das Nebeneinander verschiedener Konfessionen in einem Territorium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Die konfessionelle Topographie der Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Die Dominanz des reformiert geprägten Kirchenraums in Nordwestdeutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Protestantische Simultankirchen des 17. und 18. Jahrhunderts . . . . 3. Das Kirchengebäude im Kontext der katholischen Reform . . . . . . . . . . . . 3.1 Katholische Konfessionalisierung und das barocke Kirchengebäude . . . . 3.2 Bauaufgaben in katholischen Territorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Jesuitenkirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Klosterkirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Wallfahrtskirchen und Kalvarienberge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Pfarrkirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Katholische Kirchenneubauten in protestantischen Territorien . . . . . . . . 3.4 Der katholische Kirchenraum des Barock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Gegenreformatorische Akzente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Die Ausstattung des Kirchenraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Synagoge in der frühen Neuzeit – Synagogenbauten des 16. bis 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Die Synagoge in der Sicht von Martin Luther . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

V. Kirchengebäude der großen Konfessionskirchen bis zum Ende des Staatskirchentums (von der Aufklärung bis 1918) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Säkularisation – Toleranz – Patriotismus. Rahmenbedingungen und Anlässe zum Kirchenbau am Beginn des 19.Jahrhunderts . . . . . . . . . 1.1 Säkularisation – der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 . . . . . . . . . 1.2 Toleranz – Reichsdeputationshauptschluss und Wiener Kongress . . . . . . 1.3 Patriotismus – Kriegerdenkmale im Kirchenraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konfessionsübergreifende Orientierungen im Kirchenbau . . . . . . . . . . . . 2.1 Erwartungen an den Kirchenraum in der Zeit der Aufklärung . . . . . . . . . 2.2 Die Orientierung an Formen der vorchristlichen Antike . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Orientierung an Formen der frühen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Die Orientierung an Formen der Gotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Neugotische Umgestaltungen und Vollendungen von Kirchenbauten 2.4.2 Die vorherrschende Orientierung am gotischen Stil . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Die Errichtung von Kirchengebäuden in neugotischen Formen . . . 2.4.4 Das Erscheinungsbild neugotischer Kirchengebäude . . . . . . . . . . . . 2.5 Orientierung an Formen der Romanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aspekte einer Rekonfessionalisierung des Kirchenbaus . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Kirchengebäude des Neuprotestantismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 „Protestantisch“ – Entwicklungen im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . 3.1.2 Schleiermacher zu Gottesdienst und Kirchengebäude . . . . . . . . . . . 3.1.3 Urbilder des protestantischen Kirchengebäudes? . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Das Kirchengebäude des Neuprotestantismus – das „Wiesbadener Programm“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.5 Gruppenbauten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Katholische Kirchenneubauten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. „Kirchengebäude“ und „Synagoge“ im Fokus pragmatischer, ästhetischer und theoretischer Überlegungen an der Wende zum 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Industrialisierung und Urbanisierung, Kirchenbau und Rechristianisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Entkirchlichung und Urbanisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Rechristianisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Inkulturation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Formalisierung sakraler Bauaufgaben – Kirchengebäude und Synagogen in Fachbüchern für Architekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Kunstausstellungen – Manifestationen einer protestantisch-katholischjüdischen „Kulturökumene“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 „Christliche Baukunst“ und „Synagoge“ in protestantischen Lexika . . . . 4.5 Neue Baumaterialien – eine Herausforderung für den Sakralbau . . . . . . 4.6 Monumentalität und religiös-kultureller Anspruch – Kirchengebäude und Synagogen im frühen 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

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4.6.1 Aspekte der allgemeinen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 4.6.2 Exemplarisch: Drei repräsentative „Kultusbauten“ in Essen . . . . . 171 VI. Kirchengebäude, Synagogen, Kapellen und Bethäuser in Deutschland – monumentale Zeichen einer kulturellen Modernisierung in der letzten Phase des Staatskirchentums (1803 bis 1918) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Synagogenbauten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Toleranz, Emanzipation, Antisemitismus: Zur Geschichte der Juden in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Synagogenbauten im frühen 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Synagogen im ägyptischen und im maurischen Stil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Synagogen im „deutschen Baustil“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 „Monument in der Stadt“ – Synagogenbauten des frühen 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bethäuser und Kapellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Duldung – die älteren evangelischen Freikirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Mennonitenkirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Die Kirchensäle der (erneuerten) Brüder-Unität . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 „Erlaubte Privatgesellschaften“ bzw. „Geduldete Kirchengesellschaften“ – jüngere evangelische Freikirchen in Deutschland . . . . . 2.2.1 Baptistische Bethäuser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 „Evangelisch-Lutherische Kirche in Preußen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Evangelisch-methodistische Kirchengebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Staatliche Anerkennung per Gesetz – die Altkatholische Kirche . . . . . . . 3. Kirchengebäude ausländischer Kirchen und Konfessionen . . . . . . . . . . . . 3.1 Russisch-orthodoxe Kirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Englische/Anglikanische Kirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Amerikanische Kirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Islamische Sakralbauten in Deutschland bis 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Städtebauliche Dominante, Sakralbau, zeit- und menschengerechter Raum – Aspekte des Kirchenbaus nach dem Ende des Staatskirchentums . . . . . . . . . . 1. Nach dem Ende des Staatskirchentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kirchengebäude – monumentale Dokumente „ihrer Zeit“ . . . . . . . . . . . . 3. Kirchlich-theologische Leitideen und Kirchen-Neubauten . . . . . . . . . . . . 4. Architekturentwicklung und Kirchenbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zur religiösen Topographie von Landschaften und Städten in der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Bilderläuterungen und Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

Vorwort

In der Gegenwart erlangen die Kirchengebäude, aber auch die Kultusbauten nichtchristlicher Religionen, größere öffentliche Aufmerksamkeit. Dieses Buch möchte Grundinformationen zum christlichen Kirchengebäude bereitstellen. Dazu werden wesentliche Aspekte einer Entwicklungsgeschichte des Kirchengebäudes in Deutschland vom Mittelalter bis zum Jahr 1918 dargelegt. Die Jahreszahlen 1918/1919 markieren in der deutschen Geschichte das Ende des „Staatskirchentums“. Die Verbindung von „Thron und Altar“ war durch Jahrhunderte hindurch der bestimmende Rahmen für die Religions- und Kirchengeschichte in Deutschland und damit auch von grundlegender Bedeutung für die Geschichte des Kirchenbaus. Hier liegt auch das Hauptgewicht der Darstellung (Kapitel III bis Kapitel VI). Kapitel II macht auf die Voraussetzungen aufmerksam und Kapitel VII skizziert die Entwicklung von 1918 bis zur Gegenwart. Die Existenz der frühesten christlichen Kirchenbauten kann nicht gedacht werden ohne die gleichzeitige Existenz von Synagogen. Bis 1918 blieben diese in Deutschland die einzigen nichtchristlichen Kultusbauten. Die Geschichte des Kirchengebäudes in Deutschland kann nur angemessen behandelt werden, wenn der Synagogenbau und dessen Rahmenbedingungen durchgängig auch im Blick sind. Eine eigenständige Geschichte des Synagogenbaus wollen die entsprechenden Unterkapitel in diesem Buch jedoch keinesfalls leisten. Die Bezugnahme auf Texte der Bibel ist für das Verständnis der Bauten und ihrer Ausstattung unverzichtbar. Für die Schriftzitate ist durchgängig der Wortlaut der Lutherbibel herangezogen worden, sowohl in Bezug auf mittelalterliche, auf katholische, evangelische als auch auf jüdische Bauten. Wesentliche Vorarbeiten für dieses Buch konnten in einem Forschungssemester geleistet werden, das mir durch das Rektorat der Ruhr-Universität Bochum gewährt wurde. Zu danken habe ich allen Institutionen, die der Veröffentlichung der Bilder zugestimmt haben, und den Repräsentanten einiger Freikirchen, die mir die erbetenen Informationen und Materialien zusandten. Herrn Björn Knemeyer (B. A.) danke ich für sein Engagement bei der Gestaltung und Bearbeitung des Manuskripts. Dem Verlag und besonders Herrn Dr. Bernd Villhauer gebührt Dank für die Begleitung und Förderung dieser Publikation. Bochum, im Oktober 2007

Franz-Heinrich Beyer

I. Das christliche Kirchengebäude – was ist das?

Wer durch Deutschland, ja durch die Länder Europas reist, begegnet immer wieder deutlich sichtbaren Kirchenbauten. Die Bauten unterscheiden sich je nach Region, aber auch nach ihrem jeweiligen Alter. Kirchengebäude begegnen in Städten und Dörfern; sie prägen dabei oft die jeweilige lokale Identität. Darüber hinaus begegnen Kirchengebäude aber auch unabhängig von Siedlungsarealen an markanten Punkten der Landschaft. In den Städten stehen die Türme der Kirchengebäude als vertikal ausgerichtete Baukörper zunehmend in Konkurrenz zu Fernsehtürmen und zahlreichen Hochhäusern. Noch aber sind die Kirchtürme und auch die dazugehörigen Kirchengebäude nicht zu übersehen. In neu errichteten Stadtteilen dagegen sucht man Kirchtürme vergebens. Hier begegnet vielleicht inmitten hochaufragender Wohnbebauung ein Flachbaukomplex, ein kirchliches Gemeindezentrum. Es ist eher unauffällig gestaltet und zeigt keinerlei Ambitionen auf eine Fernwirkung. In neu errichteten Stadtteilen in den neuen Bundesländern wird man auch danach meist vergeblich suchen. Was ist nun das Charakteristische, das ein christliches Kirchengebäude heute kennzeichnet? Ist es die Funktion, die Feier des Gottesdienstes, wofür das Kirchengebäude errichtet worden ist? Oder hebt das Kirchengebäude einen konkret bezeichneten Ort besonders heraus? Oder ist es vor allem die ästhetische Wirkung eines Kirchengebäudes, die die Besucher beeindruckt und anzieht? Oder aber ist es die strikte Andersartigkeit des Kirchenraums gegenüber jeder anderen erlebten Räumlichkeit?

1. Gottesdienstfeier und Kirchengebäude Es gibt in Deutschland einige Kirchengebäude, die jetzt als Museum oder als Konzertsaal oder noch anders genutzt werden. Aber für die überwiegende Zahl der Kirchengebäude gilt die traditionelle Ineinssetzung von Kirchengebäude und Gottesdienstfeier. Das Kirchengebäude ist der Raum, in dem eine christliche Gemeinde regelmäßig Gottesdienst feiert. Diese gängige Festlegung auf nur eine Funktion des Kirchengebäudes lässt sich aus der Geschichte heraus zwar verständlich machen; sie ist aber angesichts von Beobachtungen in der Gegenwart noch einmal zu bedenken. Alle Bemühungen, die Anfänge des christlichen Gottesdienstes zu erhellen, sehen sich mit der Tatsache konfrontiert, dass in den schriftlichen Quellen für die Frühzeit

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I. Das christliche Kirchengebäude

nirgends von eigens für die Feier der Gottesdienste errichteten Gebäuden die Rede ist. Verkündigung und Eucharistiefeier hatten ihren Ort in Privathäusern, die wohlhabenden Gemeindemitgliedern gehörten. Solche Häuser mussten über einen genügend großen Speisesaal für die eucharistische Versammlung verfügen. Wohl gegen Ende des 2. Jahrhunderts konnten verschiedene christliche Gemeinden eigene Häuser erwerben und für die liturgischen Anforderungen umbauen. „Diese Gemeindehäuser (domus ecclesiae) dienten zwar weiterhin Wohnzwecken; … Sie wurden aber – nach dem Vorbild jüdischer Haussynagogen – mit geeigneten Versammlungs- und Funktionsräumen ausgestattet. Neben einem großen Saal für die Versammlungen enthielten sie wohl eigene Räume für die Taufe und für die Unterweisung der Taufbewerber, für die Armenpflege, für die Aufbewahrung von Brot und Wein sowie anderer Nahrungsmittel.“1 Die frühchristliche Hauskirche war demnach durch die Funktionalität ihrer Räume charakterisiert. Ist mit der Herausstellung der rein dienenden Funktion des Kirchenraums für die Gottesdienstfeier in der Frühzeit des Christentums nun das entscheidende Kriterium für Wahrnehmung und Wertschätzung von Kirchenräumen auch in der Gegenwart gegeben? – Eine Antwort auf diese Frage wird man zuerst in den Standardwerken der Liturgiewissenschaft suchen, widmet sich doch diese Teildisziplin der wissenschaftlichen Theologie der „Theorie des Gottesdienstes“.

1.1 Der Kirchenraum – ein Thema der Liturgiewissenschaft In nahezu allen Lehr- und Handbüchern der Liturgik wird, in unterschiedlicher Ausführlichkeit, „der gottesdienstliche Raum“ bzw. „der Kirchenbau“ thematisiert. Dabei stehen häufig ein historischer Abriss der Entwicklung des Kirchengebäudes und Aspekte der Gestaltung des Kirchenraums im Vordergrund der Darstellung. In dem Standardwerk der katholischen Liturgiewissenschaft „Gottesdienst der Kirche“ wird in einem eigenständigen umfassenden Kapitel „Der gottesdienstliche Raum und seine Ausstattung“ behandelt.2 „Der Kirchenraum ist die räumliche Umschließung für die gottesdienstliche Feier“ (366). Jedoch hatte das Gebäude stets eine schlichte Dienstfunktion für die Gemeinde (353). Der Raum soll der Gemeinde eine bergende Hülle bieten (357). Zu der Beschreibung der Dienstfunktion des Raumes tritt hinzu die Erinnerung daran, dass christlicher Gottesdienst von Anfang an in der Regel an einen Raum gebunden war (357). Und noch etwas Weiteres ist für diese Sicht von Kirchengebäude und -raum konstitutiv: Der Gottesdienstraum soll „seine eigene Würde und Ausdruckskraft haben, … in seinem Zeichen- und Symbolcharakter für die überirdische Wirklichkeit der Mysterien, insofern jede Kirche aus Steinen hinweist auf die im Glauben aufzubauende geistige Kirche“ (368). Dem Kirchengebäude bzw. Kirchenraum kommt hier eine eigene Dignität zu, die zwar an die gemeinsame Feier gebunden bleibt, sich aber nicht in deren aktuellem Vollzug erschöpft.

1. Gottesdienstfeier und Kirchengebäude

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In evangelischen Werken zur Liturgiewissenschaft wurde der Kirchenraum traditionell den „Voraussetzungen für die Gestaltung des Gottesdienstes“ zugerechnet. Ein solches rein funktionales Verständnis prägte auch weithin die entsprechenden Ausführungen. In den zurückliegenden zwei Jahrzehnten hat es in der Sicht von Kirchengebäude und Kirchenraum entscheidende Entwicklungen gegeben, die auch zu neuen Perspektiven geführt haben. In den letzten Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts wurde in der evangelischen Liturgik immer klarer wahrgenommen, dass es dabei nicht nur um Voraussetzungen für den Gottesdienst geht, sondern dass der Raum im Gottesdienst selbst stets präsent ist und eine eigene Sprache spricht – neben der Sprache der Musik, der Sprache der Liturgie, der Sprache der Predigt.3 Die Verhältnisbestimmung von liturgischem Handeln und Raumgestalt wurde als eine zentrale Perspektive aufgenommen. So hat die Aufmerksamkeit für die Bedeutung des umgebenden Raums deutlich zugenommen. Diese Entwicklung ist in den jüngsten Veröffentlichungen zur Liturgik nachzulesen.4 Nicht der Raum ist es, der den Gottesdienst ermöglicht, sondern der Gottesdienst ‚schafft sich Raum‘. Der evangelische Liturgiewissenschaftler K.-H. Bieritz sieht wie die ‚Zeit‘ auch den ‚Raum‘ „als ‚Anschauungsform‘ allem Leben – und damit aller Wahrnehmung und allem Handeln – vorgegeben und eingestiftet. Das heißt: Auch ein Gottesdienst, der Anbetung Gottes ‚im Geist und in der Wahrheit‘ (Joh 4, 24) sein will, greift Raum. Er schafft sich – wenn es sein muss, im aktuellen Zugriff – den definierten, umgrenzten und ausgegrenzten Ort, an dem Menschen sich zu gottesdienstlichem Tun versammeln können.“5 Das Verhältnis von ‚Gottesdienst‘ und ‚Kirchenraum‘ wird durch Interdependenz gekennzeichnet; keinesfalls kann der Raum nur als ‚Voraussetzung‘ für die Gottesdienstfeier betrachtet werden. Die in ihrer Bedeutung neu wahrgenommene Interaktion von Mensch und Raum im Kontext liturgischer Vollzüge, die – wiederentdeckte – Interaktion von Individuum und Raum, von Raum und Individuum6 ermöglicht es, auch außerliturgische In-Gebrauchnahmen von Kirchenräumen verstehend zu beschreiben.

1.2 „Liturgischer Raum“ und „öffentlicher Raum“? – kirchliche Stellungnahmen zum Thema ‚Kirchengebäude‘ und ‚Kirchenraum‘ a) Positionen der katholischen Kirche Im Jahr 1988 wurde eine Handreichung der Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlicht: „Leitlinien für den Bau und die Ausgestaltung von gottesdienstlichen Räumen“7. Darin heißt es u. a.: Der gottesdienstliche Raum soll dem Menschen „die Begegnung miteinander und mit Gott“, die sich in den gottesdienstlichen Versammlungen realisiert, ermöglichen und erleichtern. Dabei kommt dem durch Architektur und Kunst ausgestalteten Raum als zeichenhafter Ausdruck wie als Träger von Bedeutungen, die über das Materielle hinausweisen, großes Gewicht zu.

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I. Das christliche Kirchengebäude

„Wenn sowohl der Zeichencharakter des Raumes als auch seine liturgische Eignung stimmen, sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass das Mysterium Christi und seiner Kirche angemessen gefeiert und erfahren werden kann“ (9). Der Kirchenraum ist mehr als nur ‚Raumhülle‘ für die Feier des Gottesdienstes. So, wie in der Liturgie „die Dialektik konkreter Gestaltwerdung (Vergegenwärtigung) und ehrfurchtsvoller Anerkennung der Unfassbarkeit Gottes (Doxologie) aufgehoben wird“, so wird der Raum, ja der gesamte Kirchenbau „zum Ort der Anschaulichkeit des Wortes, er wird Gestalt gewordene Theologie oder ‚Doxologie in Stein‘“ (11). So kann auch davon gesprochen werden, dass „kulturell wertvolle Kirchen … die Gegenwart Gottes im öffentlichen Raum repräsentieren“ (18). 2003 wurde in derselben Reihe ein Heft mit dem Titel „Räume der Stille“ veröffentlicht. Im Blick auf den Kirchenraum wird der Horizont der Gottesdienstfeier überschritten, wenn es heißt, dass „auch außerhalb der liturgischen Feier … die Vermittlung dieser Erfahrung der göttlichen Gegenwart die eigentliche Bestimmung des gottesdienstlichen Raumes“8 sei. Ein ebenfalls 2003 veröffentlichter Text weitet die Wahrnehmungsperspektive noch einmal aus: „Ein Kirchenraum wirkt auf sehr unterschiedliche Weise auf die Besucher. Die einen lassen sich von der Stille des Raumes und von der Bildkraft der Ausgestaltung in den Bann ziehen, die anderen fühlen sich ermutigt ein persönliches Gebet zu sprechen, eine Kerze anzuzünden und einen Augenblick niederzuknien.“9 b) Positionen der evangelischen Kirchen 1951 hatte der Arbeitsausschuss des Evangelischen Kirchbautages „Grundsätze für die Gestaltung des gottesdienstlichen Raumes der evangelischen Kirchen“ aufgestellt („Rummelsburger Richtlinien“). Darin heißt es u. a.: „Evangelischer Gottesdienst kann grundsätzlich überall gehalten werden, in jedem Raum und auch im Freien. Aber schon aus praktischen Gründen ist für eine an einen Ort gebundene Gemeinde ein Kirchengebäude notwendig. Dieses Gebäude muß so ausgestattet sein, daß in ihm das Wort Gottes verkündigt und die Sakramente gereicht werden können. Der gottesdienstliche Bau und Raum soll sich um seines Zweckes willen klar unterscheiden von Bauten und Räumen, die profanen Aufgaben dienen.“10 Damit wurde die bislang immer wieder konstatierte Spannung zwischen der reinen Pragmatik und Funktionsbestimmung sowie der eigenständigen Formgebung bei jedem Kirchengebäude lediglich fortgeschrieben. Vierzig Jahre später beschloss der Arbeitsausschuss des Evangelischen Kirchbautages den Text „Der Evangelische Kirchenraum“. Hier heißt es: „Der gottesdienstliche Raum ist ein gestalteter Raum, der deutlich zu erkennen gibt, was in ihm geschieht. Er soll so beschaffen sein, daß in ihm durch Lesung, Predigt, Gebet, Musik und bildende Kunst das Wort Gottes verkündigt und gehört werden kann und die Sakramente gefeiert werden können.“11 Deutlich wird hier die weiterhin einseitige Ausrichtung auf die Feier des Gottesdienstes, auch wenn Musik und bildende Kunst als

2. Der symbolisch gestaltete Ort

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eigenständige Medien der Verkündigung neben der Wortverkündigung Berücksichtigung finden. Auf einen weiteren, nun immer wichtiger werdenden Aspekt macht schließlich die Kundgebung der EKD-Synode von 2003 aufmerksam: „Kirchen dienen der christlichen Gemeinde zum Gottesdienst. Dazu sind sie gebaut. Aber sie sind mehr: Sie haben eine Ausstrahlungskraft weit über die Gemeinden hinaus, denen sie gehören. … Die Synode ermutigt die Gemeinden, Kirchen neu als öffentliche Räume zu begreifen, als Orte, an denen man in erster Linie, aber nicht nur, durch den Gottesdienst Vertrautem und Gewohntem, sondern auch Fremdem und Neuem begegnen kann.“12 Damit ist der Kirchenraum als besonders gestalteter Raum, der auch außerhalb des Gottesdienstes eine Wirkung auf ihn besuchende Menschen ausübt, in das Blickfeld gerückt.

2. Der durch ein Kirchengebäude herausgehobene, symbolisch gestaltete Ort Dort, wo es nur um die eine Funktion des Kirchengebäudes geht, der Gottesdienstfeier einen Raum zu geben, ist der Ort, an dem es errichtet wird, ohne Bedeutung. Aber auch hier ist ein Blick in die Geschichte instruktiv. In der Zeit, in der das Christentum nicht mehr unterdrückte Religion war, wurde der Ort, an dem ein Kirchenbau errichtet werden sollte, keinesfalls zufällig, sondern bewusst gewählt. Es war die Besonderheit des Ortes, die diesen als Standort eines Kirchengebäudes qualifizierte.

2.1 „Memoria“ und das Kirchengebäude Seit früher Zeit kannten Christen besondere Orte, die ihre Bedeutung durch Verbindung mit Ereignissen der Heilsgeschichte erlangt hatten. Ob in vorkonstantinischer Zeit bereits bei Bethlehem eine Grotte als Ort der Geburt Jesu und die Grotte der Jüngerbelehrung bei Jerusalem verehrt wurden, lässt sich nicht mehr eindeutig rekonstruieren. Aber in konstantinischer Zeit wurde Jerusalem zu einem Mnemotop, einer Gedächtnislandschaft. „Unmittelbar nach dem Konzil von Nicaea 325 wurden in wörtlicher Entsprechung zum Credo von Nicaea in Bethlehem eine Basilika zum Gedenken der Menschwerdung Christi, in J(erusalem) anstelle der paganen Tempelanlage westlich des Cardo eine Kirchenanlage zum Gedenken der Auferstehung (Grabeskirche) und am Ölberg über der o. genannten Grotte eine Basilika zum Gedenken der Himmelfahrt (Eleona) errichtet.“13 Gleichzeitig wurden auch in Rom über den Gräbern der Märtyrer Kirchengebäude errichtet. Alle diese Bauten werden durch das Moment der Memoria, des lokal bestimmten Gedächtnisses, bestimmt. In diesem Sinne können solche Kirchengebäude als Markierung von, als Hinweis auf, als gestaltetes Behältnis eines besonderen, religiös qualifizierten Ortes betrachtet werden.

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I. Das christliche Kirchengebäude

2.2 Wo in älterer Zeit Kirchengebäude errichtet wurden 2.2.1 „Heiliger Ort“, „heiliger Raum“? Unstrittig ist die Grundbestimmung, „dass ein universaler Zug von ‚Religion‘ in ihrer Bindung an ganz spezifische, ‚heilige Orte‘ besteht, an denen der Verkehr mit numinos gedachten Mächten hergestellt wird. Ohne solche ‚Plätze‘ ist Religion schlechterdings nicht denkbar.“14 Der Religionsphänomenologe G. van der Leeuw hat Mitte des 20. Jahrhunderts den Begriff ‚heiliger Raum‘ so näher bestimmt: „Heiliger Raum ist ein Ort, der zur Stätte wird, indem sich an ihm die Wirkung der Macht wiederholt oder vom Menschen wiederholt wird.“15 Diese Stätte, ein solcher Ort wird aufgrund seiner natürlichen Gegebenheiten als religiöser und heiliger Ort empfunden. Zur Veranschaulichung dafür wird immer wieder Seneca zitiert: „Wenn du einem Haine (lucus) nahest, der durch zahlreiche alte und ungewöhnlich hohe Bäume ausgezeichnet ist und in dem Schatten der einander bedeckenden Zweige den Eindruck des Himmelsdaches hervorruft: die schlanke Höhe der Bäume, das geheimnisvolle Dunkel des Ortes, die Bewunderung des so augenscheinlich dichten und durch nichts unterbrochenen Schattens ruft in dir den Glauben an eine Gottheit wach. Und wo eine tiefe Grotte sich unter überhängenden Felsen in den Berg hineinzieht, nicht von Menschen gemacht, sondern durch Naturkräfte so weit ausgehöhlt, wird deine Seele von der Ahnung des Göttlichen durchbebt werden. Großer Flüsse Ursprung verehren wir. Wo irgendwo unvermittelt ein gewaltiger Strom hervortritt, stehen Altäre. Verehrungswürdig sind warme Quellen, und manchen Seen hat schattiges Dunkel oder unergründliche Tiefe Heiligkeit verliehen.“16 An solchen, durch die natürlichen Gegebenheiten herausgehobenen Orten wurden in vielen Religionen Heiligtümer errichtet. Es kommt zur Verbindung von natürlichen Gegebenheiten und von Artefakten. Hier kann auf viele Tempel verwiesen werden, die an topographisch auffälliger Lage errichtet worden sind. Das gilt aber ebenso für einige christliche Kirchengebäude, v. a. aber für Kapellenbauten. In früher Zeit war allgemein geteilte Auffassung, „daß man Heiligtümer nicht machen und ihre Stätten nicht wählen, sondern sie immer nur ‚finden‘ kann“17. Dieses „Finden“ des „heiligen Ortes“ gewinnt seinen Ausdruck in zweierlei Hinsicht: Zum einen ist auf das Prinzip der religiösen Kontinuität hinzuweisen. Das „Haus“ der aktuellen Religion wird an dem Ort errichtet, wo auch schon ein Monument der früheren Religion aufgerichtet war. In der Vergangenheit religiös besonders ausgezeichnete und ausgewiesene Orte werden auch von der aktuellen Religion bevorzugt besetzt. Zum anderen ist auf Legenden hinzuweisen, in deren Erzählung die Lokalität des heiligen Ortes durch besondere Erlebnisse herausgehobener Menschen bzw. aufgrund besonderer Ereignisse erklärt wird.

3. Das Kirchengebäude als Ausdrucksgestalt

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2.2.2 Symbolische Gehalte eines ‚heiligen Raums‘ In der evangelischen Liturgiewissenschaft der Gegenwart hat M. Josuttis das Konzept ‚heiliger Raum‘ auf die Feier des christlichen Gottesdienstes bezogen und damit eine wesentliche Grundlage für eine neue Sicht der Bedeutung des Raums gelegt. „Um Gottesdienst feiern zu können, begeben sich Menschen zu bestimmten Zeiten an einen bestimmten Ort. … Menschen gehen, um einen Gottesdienst feiern zu können, an einen Ort erfahrener Gottespräsenz. … Die Frage ist vorerst: An welchen Orten kann die Begegnung mit dem Göttlichen ablaufen?“18 Josuttis hat mehrere Kennzeichen des ‚heiligen Raums‘ herausgestellt und so symbolische Gehalte eines Sakralraums beschrieben: a) „Der heilige Bereich liegt im Zentrum der Gemeinschaft.“19 b) „Die hervorgehobene Position des heiligen Ortes kann … durch bauliche Maßnahmen hergestellt werden.“20 c) „In der Binnenstruktur folgen die Heiligtümer … der Regel der räumlichen Dreiteilung.“21 d) Der „irdische Kultbau als Abbild der himmlischen Welt“22. e) „Die Begegnung zwischen Göttlichem und Menschlichem ist auf die Begrenzung durch einen umfriedeten Raum angewiesen.“23 f) „Im umfriedeten Raum des heiligen Ortes residieren göttliche Atmosphären.“24 Josuttis bezieht sich hier auf den Phänomenologen H. Schmitz, für den Kirchenräume „Stätten der Kultur göttlicher Gefühle“25 sind. „Gefühle sind räumlich ergossene Atmosphären mit ergreifender Macht. Sie können sich als objektive Gefühle um begegnende Objekte zusammenziehen.“26 So „büßt eine Kirche (als Innenraum) nicht schon deshalb ihre Mensch und Gott vermittelnde Rolle ein, weil keine Kirche (als Institution) sie in Betrieb nimmt. Vielmehr kann auch der Reisende, der sie, ohne einer solchen Institution anzuhängen, mit andächtiger Aufgeschlossenheit durchmustert, eine Art Gottesdienst … vollbringen.“27

3. Das Kirchengebäude als Ausdrucksgestalt Kirchengebäude bringen in ihrer Gestaltung eine deutliche Distinktion zu der umgebenden Bebauung zum Ausdruck. Diese Besonderheit wird im Kirchenraum noch verstärkt deutlich. Kirchenräume können gleichsam als ‚Inseln spezifischer Erfahrungen‘ beschrieben werden. Das Potenzial, solches Empfinden zu ermöglichen, eignet Kirchengebäuden Jahrhunderte hindurch.

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I. Das christliche Kirchengebäude

3.1 Votivkirchen Eine Votivkirche (von lat. votum = Gelübde) ist ein Kirchengebäude, das aufgrund des Gelübdes in einer Situation erfahrener Bewahrung errichtet worden ist. Im Jahr 313 wurde in Rom mit dem Bau der Lateranbasilika begonnen. Sie war von Kaiser Konstantin zum Dank für seinen Sieg über Maxentius gestiftet worden. Die Salvatorkirche im Lateran wurde vom Kaiser mit einer reichen Ausstattung gewürdigt und war hinfort die Kirche der christlichen Gemeinde und ihres Bischofs. Gestalt und Ausstattung dieses frühesten offiziellen Kirchenbaus in Rom lassen sich also weder aus gottesdienstlichen noch aus anderen liturgischen Bedürfnissen herleiten. Es ging auch nicht darum, einen konkreten topographischen Ort herauszuheben. Die Baugestalt dieser „ersten Votivkirche“ wurde durch Übernahme repräsentativer Bauelemente der paganen römischen Architektur bestimmt. Diese Baugestalt hat dann stilbildend gewirkt, wofür jedoch auch noch andere Momente ausschlaggebend waren.

3.2 Kirchengebäude und Atmosphären Die Lateranbasilika ist das früheste Beispiel eines Sakralbaus, dessen Bedeutung und Wirkung allein in der repräsentativen Darstellung der christlichen Religion im öffentlichen Raum zu sehen ist, gleichsam als Ausdrucksgestalt. Das Kirchengebäude als Ausdrucksgestalt anzusehen, ermöglicht, es zuerst und allein als Ergebnis ästhetischer Arbeit zu betrachten. Ästhetische Arbeit besteht darin, Dingen und Umgebungen solche Eigenschaften zu geben, die von ihnen etwas ausgehen lassen. Die Rede von der Atmosphäre, die Kirchengebäude ausstrahlen oder die Kirchenräume haben, legt sich hier nahe. Der Phänomenologe G. Böhme betont – in Anknüpfung an H. Schmitz – die Abhängigkeit der Atmosphären sowohl von den Dingen, die sie produzieren (Umgebungsqualitäten), als auch von dem anwesenden Menschen, seiner Selbstwahrnehmung (Befindlichkeiten). „Atmosphäre ist die gemeinsame Wirklichkeit des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen. Sie ist die Wirklichkeit des Wahrgenommenen als Sphäre seiner Anwesenheit und die Wirklichkeit des Wahrnehmenden, insofern er, die Atmosphäre spürend, in bestimmter Weise leiblich anwesend ist.“28 Es geht um das spannungsvolle Verhältnis etwa eines Kirchenraums und seiner Atmosphären und der eigenen, körperlichen Anwesenheit darin. „Für das Spüren der Erhabenheit – hier des kirchlichen Raums – ist gerade der Kontrast notwendig, nämlich, daß es zugleich das Spüren der eigenen Anwesenheit im Raum, nämlich der verlorenen, gewissermaßen haltlosen Anwesenheit im übergroßen Raum ist.“29 Böhme macht darauf aufmerksam, dass es „der profane Gebrauch ‚ist‘, der es heute nötig macht, aber der es auch ermöglicht, von der Atmosphäre kirchlicher Räume zu sprechen“30.

4. Plurale Gesellschaft und Kirchengebäude

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Dass Kirchengebäude bzw. Kirchenräume anwesenden Menschen mannigfache Atmosphären wahrnehmbar werden lassen, kann durch Beobachtung belegt werden. Diese Atmosphären gründen nicht in einer gesonderten religiösen „Heiligkeit“ des Gebäudes bzw. des Raums; sie sind keine Eigenschaft des Bauwerks. Trotzdem kann davon gesprochen werden, dass bestimmte Raumgestalten andere Anmutungsqualitäten als andere entwickeln. Böhme weist auf romanische und gotische Kirchen hin, in denen Stein und Raum in eine besondere Beziehung treten.31 Atmosphären werden durch die Anmutungsqualität architekturaler Formen erzeugt, z. B. Bewegungssuggestionen, Licht und Dämmerung, akustische Qualitäten, Farben u. a. m. Durch die Zusammenarbeit, die Persönlichkeiten der Kirche im Verlauf der Kirchengeschichte mit „ästhetischen Arbeitern“, also mit Architekten und Künstlern, pflegten, haben diese selbst zur Herausbildung solcher Atmosphären beigetragen. Die Wirkung solcher Atmosphären lässt sich aber weder dogmatisch kanalisieren noch auf den Bereich des Gottesdienstes beschränken. Die affektive Betroffenheit von etwas, was den Menschen von außen her anmutet, diese Betroffenheit kann von Menschen mit und ohne religiöse Bindung gleichermaßen empfunden oder auch gleichermaßen nicht zugelassen werden. Folgt man den von G. Böhme vorgetragenen Überlegungen, so ist es jedoch notwendig, „dass dem kirchlichen Raum seine Abgeschlossenheit gegenüber dem weltlichen Betrieb bleibt: er wird als ein besonderer Ort benutzt und erfahren“.32 Zwei Konsequenzen ergeben sich aus einer solchen Beschreibung des Kirchengebäudes als Ausdrucksgestalt: Zum einen ist die optimale Zugänglichkeit zu ermöglichen: die Öffnung der Kirchengebäude für Besucher. Zum anderen geht es um die genaue Prüfung von Nutzungsmöglichkeiten; Veranstaltungen, die dem Charakter des Raums als Ausdrucksgestalt entgegenwirken würden, wären sehr kritisch zu prüfen. Die Beschreibung des Kirchengebäudes als Ausdrucksgestalt trägt sowohl der Anerkennung des ästhetischen Bedürfnisses als eines Grundbedürfnisses des Menschen Rechnung wie auch der Erkenntnis, dass Sich-Zeigen, Aus-sich-Heraustreten ein Grundzug jedes Phänomens ist, also auch der christlichen Religion.

4. Die plurale Gesellschaft und die Kirchengebäude Für die jüngere Vergangenheit und für die Gegenwart ist die vorgeführte Erklärung, warum ein Kirchengebäude an einem bestimmten Ort errichtet worden ist, ohne Bedeutung. Kirchengebäude sind vorrangig unter den Aspekten der Angemessenheit für Gottesdienstfeiern und der topographischen Lage geplant errichtet worden. In der Gegenwart jedoch kommt überkommenen Kirchengebäuden im Stadtbild der säkularen Stadt ein besonderer Charakter zu. Den Hinweischarakter, der christlichen Kirchengebäuden in unserer Zeit eigen ist, hat der Soziologe H.-G. Soeffner besonders herausgestellt: Kirchengebäude sind nach wie vor „Freiräume, die Menschen von der Pragmatik der Sach- und Alltagszwänge zu-

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I. Das christliche Kirchengebäude

mindest teilweise entbinden können. Allerdings, in unserer Gesellschaft wird diese Leistung auch von den Moscheen, Tempeln, Synagogen und Gemeindezentren anderer Religionen erbracht – und nicht nur von ihnen, sondern auch von Museen, Theatern, Kinos, Diskotheken und Freizeitzentren: den ‚Kultorten‘ der Lebensstile.“33 Zu den Spezifika christlicher Kirchengebäude in der Gegenwart führt Soeffner aus: – Kirchengebäude sind nicht die Wohnungen eines Gottes, sondern monumentale Verweise auf etwas, was den Alltag transzendiert. Sie signalisieren in ihren heutigen Gestalten zuallererst ihre Besonderheit gegenüber den pragmatisch genutzten Funktionsräumen. – Kirchengebäude sind Identifikationszeichen für den christlichen Glauben und einer besonderen Tradition gegenüber anderen Religionen und Traditionen. – Kirchengebäude „sind sichtbar herausgehobene Nischen einer bestimmten Glaubensvorstellung innerhalb der ‚Angebotslandschaft‘ und der Messestände von Weltanschauungen unserer Zeit“34. – Kirchengebäude sind Erinnerungszeichen. Sie ziehen auch die an, die das Kollektiv meiden oder ihm misstrauen. Die individuelle Religiosität lässt sich nicht in die Amtskirche, auch nicht in die Gemeinde binden – wohl aber an die Dokumentation von Erfahrungen anderer. „Jeder Bau repräsentiert auf seine Weise, selbst in architektonischen und künstlerischen Fehlleistungen oder Geschmacksverirrungen, die Wege, auch Neben- und Irrwege, christlicher Glaubensvorstellungen. Die Geschichte des Kirchbaus ist Teil der Erfahrungs- und Vorstellungsgeschichte des christlichen Glaubens.“35 Der Theologe F. Steffensky betont die Notwendigkeit der Sichtbarkeit und deutlichen Erkennbarkeit von Kirchengebäuden in den Städten. „Die Kirchen sollen zur Verfügung stehen mit ihren Gebäuden, mit ihrer Sprache, mit ihren alten Gesten für die Zeiten, in denen Menschen sie brauchen … Damit aber die Kirche zur Verfügung stehen kann, muss sie deutlich und sichtbar sein, deutlich innen und deutlich nach außen.“36

II. Grundlagen für die Kirchenbauten des Mittelalters in Deutschland: Jüdische und christliche Sakralbauten im Römischen Reich

Die christlichen Kirchengebäude, die im Mittelalter in Europa errichtet wurden, sind nicht ohne Kenntnis der Umstände und Gestalten des Kirchenbaus zu verstehen, die sich in der Spätantike herausgebildet haben. Das trifft für Anlass und Ort der Errichtung von Kirchengebäuden, aber auch für deren bauliche Gestaltung und symbolische Bedeutung zu. Dabei ist es unabdingbar, auch die Synagogenbauten zu betrachten. Zum einen gibt es mit der Überlieferung über den salomonischen Tempel in Jerusalem einen gemeinsamen ideellen Bezugspunkt, der sowohl für die Gestaltung der Synagogenbauten wie auch von Kirchenbauten in der Spätantike von Belang war. Zum anderen muss in Erinnerung bleiben, dass die Geschichte der Kirchengebäude durch Jahrhunderte hindurch mit der vorangegangenen Zerstörung von Synagogen verbunden war. Schließlich ist nach Gemeinsamkeiten der beiden religiös bestimmten Gebäudetypen Kirchengebäude und Synagoge zu fragen.

1. Synagogen – Aspekte der frühen Baugeschichte Die Frage nach Ursprung und früher Entwicklung der Synagoge (griech.: = Versammlung; später Begriff für den Ort der Versammlung) ist offensichtlich unlösbar. Ihre Entstehung in der Zeit des Exils, in der Situation der Unerreichbarkeit des Jerusalemer Tempels, lässt sich nicht nachweisen. Die Synagoge in hellenistischer Zeit ist ein öffentliches Gebäude; es ist eine neutrale Gemeindeeinrichtung mit umlaufenden Sitzbänken und Säulen, ohne weitere Verzierung. Die Synagoge diente als Zentrum eines beachtlichen Teils des öffentlichen Lebens. Ein wichtiger Teil davon waren die Gottesdienste, die regelmäßig in der Synagoge gefeiert wurden.37 Höhepunkt des Gottesdienstes war und ist das Vorlesen eines Abschnitts aus der Torarolle. Bis zum späten 3. Jahrhundert wurden dazu die Torarollen aus einem Nebengebäude in die Synagoge hereingebracht. Danach erhielten die Torarollen einen festen, herausgehobenen Platz in der Synagoge. Vom 3. Jahrhundert an wurde die Ausrichtung der Synagoge nach Jerusalem bei allen Neubauten durch die Gestaltung einer Ädikula berücksichtigt. Hier war fortan der Ort für den Toraschrein. Synagogen waren vom 3. bis zum 6. Jahrhundert mit Bildprogrammen, insbesondere mit Fußbodenmosaiken versehen. „Diese Bilder sind Narrative, die den Ort als ‚Ha-

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II. Grundlagen der Kirchengebäude des Mittelalters

gios Topos‘ definieren, als ‚Heiligen Ort‘, der den zerstörten Tempel ersetzt. Dargestellt wird in den palästinensischen Synagogen immer ein tempelähnlicher TorahSchrein mit dem davor befindlichen Torah-Vorhang und dem Ewigen Licht. Auch die Menora, der siebenarmige Leuchter und andere Einrichtungsgegenstände aus dem Tempel sind zu sehen. Diese Bildkompositionen sollten dem Betenden erklären, daß der Ort, an dem der Gottesdienst nun verrichtet werden muß, von mit dem Tempel vergleichbarer Bedeutung ist.“38 Einen Höhepunkt in der Entwicklung der Synagoge gab es in der Zeit vom 4. bis 7. Jahrhundert. Auf künstlerischem Gebiet wurde viel der byzantinischen Umwelt entlehnt. Teilweise wurden wohl auch dieselben Handwerker und Musterbücher herangezogen, die bei Kirchenbauten verwendet wurden. Die jüdischen Gemeinden in Palästina und in der Diaspora hatten wohl alle ihre Synagoge. Es muss Hunderte oder sogar Tausende von Synagogen gegeben haben. In der Diaspora war die Synagoge wohl das einzige Gebäude der lokalen jüdischen Gemeinde. Gemäß rabbinischer Überlieferung musste die Synagoge an der höchsten Stelle des Ortes gebaut werden. Beim Bau der Synagoge war in der Regel der höchste Punkt des Ortes bereits bebaut. Im spätrömischen Palästina wurden Synagogen in einer die anderen Bauten überragenden Größe errichtet oder auf ein künstliches Podium gestellt. Eine kunstvoll gestaltete Fassade war dem Synagogenbau in der Spätantike eigen. Spätantike Diasporasynagogen konnten ihren Ort sowohl im Stadtzentrum wie auch an der Peripherie haben. In Ägypten folgten die Synagogen topographisch oft heidnischen Vorbildern mit der Lage an einem Hain etc. Allen Synagogen gemeinsam war die Ausrichtung nach Jerusalem, die Permanenz von Toraschrein, Ädikula, Nische sowie der Bima. Gemäß römischer Rechtsauffassung wurden Synagogen als „religionum loca“ vor Einquartierung u.Ä. geschützt. Die Einführung des Christentums als Staatsreligion im Römischen Reich (380) hatte auch Einfluss auf die Situation der jüdischen Gemeinden. Im 5. Jahrhundert war in Teilen des Reichs der Bau von Synagogen ganz untersagt. Zahlreiche Synagogen wurden – analog zu heidnischen Tempeln – in christliche Kirchengebäude umgewandelt. 39 An dieser Praxis änderte auch nicht, dass solche gewaltsamen Umwandlungen mehrfach von kirchlichen Autoritäten verurteilt wurden.

2. Christliche Kirchengebäude Im Unterschied zur jüdischen Religion wurde die Religion der Christen im Römischen Reich zunächst nicht geduldet. Das änderte sich jedoch dadurch grundsätzlich, dass Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert das Christentum als den anderen Religionen gegenüber gleichberechtigt anerkannte. Dies war von entscheidender Bedeutung für den Bau und die Ausstattung von Kirchengebäuden.

2. Christliche Kirchengebäude

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2.1 Christlicher Gottesdienst und Kirchengebäude in vorkonstantinischer Zeit Für die ersten beiden Jahrhunderte gibt es keine archäologischen Befunde. Wahrscheinlich gab es zu dieser Zeit keine christlichen Kultbauten. Seit der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts beging man die Gedenktage der Märtyrer, die zunächst streng an das Grab und den Todestag der Märtyrer – d. h. ihren eigentlichen Geburtstag – gebunden waren. In der Eucharistie feierte man die Gemeinschaft mit den Heiligen. Das war mit der Ausbildung einer Lokalreligion verbunden. Um am locus sanctus Eucharistie feiern zu können, musste dort ein Altar vorhanden sein. Insgesamt gesehen war aber für die Frühzeit des Christentums der private Charakter des Kultus kennzeichnend. Auch Verfolgungssituationen konnten der Praxis des Feierns nichts anhaben. Literarische Quellen scheinen diese Beobachtungen zu untermauern. Der Apologet Minucius Felix konnte im 3. Jahrhundert die Verwunderung der Heiden formulieren: „Warum haben sie keine Altäre, keine Tempel, keine Bilder?“40 Und Dionysios von Alexandrien schrieb in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts: „Wir wurden zwar verfolgt, aber wir vergaßen niemals, unsere Feiertage zu begehen. Jeder Ort, egal ob Land, Wüste, ein Schiff, ein Stall oder ein Gefängnis diente uns als Tempel für die heiligen Feiern in der Gemeinschaft.“41 Es legt es sich daher nahe, die Anfänge christlicher Sakralbauten in einem Zusammenhang mit der Heiligenverehrung zu sehen. Ein Totengedenken verbunden mit der Feier eines Mahles war auch der antiken Umgebung vertraut. Die Martyrien, die Gräber der Heiligen lagen vor der oder doch am Rand der Stadt. Damit blieb die Öffentlichkeitswirkung der christlichen Sakralbauten hier begrenzt. Die Randlage der Kultstätten im Rom des 3. Jahrhunderts war etwas, was das Christentum mit anderen nichtoffiziellen Kulten jener Zeit verband. Daneben gab es auch die Praxis, gottesdienstliche Versammlungen – wohl auch mit Eucharistiefeier – und Tauffeiern in einem dafür umgebauten Privathaus durchzuführen. Die in Dura Europos ergrabene sogenannte Hauskirche dokumentiert das für die Mitte des 3. Jahrhunderts. Eine solche Praxis ist ebenso bei den Haus- bzw. Titelkirchen in Rom anzunehmen. Aber auch hier blieb die Öffentlichkeitswirkung der Gebäude sehr beschränkt. Davon sind ausdrückliche Kirchenbauten zu unterscheiden, die sich zwar nicht erhalten haben, deren Existenz aber aus der Literatur erschlossen werden kann. Mit dem Kirchenbau von Aquileia aus dem Anfang des 4. Jahrhunderts gibt es ein erstes Monument dieser Zeit. Bei der dort errichteten Doppelkirche „handelt es sich um zwei schlichte Hallen, die zwar eine erhebliche Größe, jedoch recht schlichte Formen haben. Von außen werden sie sich kaum von großen Lagerhallen unterschieden haben. Im Inneren sind die Fußböden reich mit Mosaiken ausgestattet.“42

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II. Grundlagen der Kirchengebäude des Mittelalters

Abb. 1: Rom, (Alt-)St. Peter, um 400, isometrische Rekonstruktion.

2.2 Christliche Kirchengebäude in der Ära Konstantins Der römische Kaiser war pontifex maximus und damit – neben anderen Stiftern – für den Bau von Tempeln zuständig. Nach der Mailänder Vereinbarung (313) wurde das Christentum als den anderen Religionen gegenüber gleichberechtigt anerkannt (religio licita). Kaiser Konstantin stiftete Kirchen, ließ aber auch pagane Tempel renovieren oder sogar neu bauen. Der erste offizielle Kirchenbau war die Lateranbasilika, ursprünglich Salvatorkirche genannt. Der Kaiser stiftete diese Kirche dem Bischof und der christlichen Gemeinde in Rom. Der 313 begonnene Bau wurde als mehrschiffige, querschifflose Basilika aufgeführt. Damit wurden Formen der imperialen Repräsentation prägend für die sich nun herausbildende Liturgie. Der dominierende Stil für den Kirchenbau im Weströmischen Reich und in Westeuropa, die Basilika, gründet hier. Neben dem Typus der Basilika wurden weiterhin auch frühere, funktionsbestimmte Bauformen für Kirchen gebäude tradiert. An weiteren zur Zeit des Konstantin initiierten Kirchenbauten sind zu nennen: In Rom S. Sebastiano in Catacumbas (= Basilica Apostolorum); S. Agnese; S. Constanza; SS. Marcellino e Pietro; S. Lorenzo fuori le mura; S. Pietro in Vaticano; S. Croce in Gerusalemme. In Jerusalem wurden die Grabeskirche mit der Anastasisrotunde und die Himmelfahrtskirche auf dem Ölberg errichtet; in Bethlehem die Geburtskirche. Die

2. Christliche Kirchengebäude

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Basilika an der Terebinte Abrahams in Mamre wurde später zerstört und hat sich nicht erhalten. Das Gleiche gilt für die Bischofskirche in Antiochia (327 als Oktogon errichtet), für die Apostelkirche in Konstantinopel und für eine Kirche in Nikomedia.

2.3 Christliche Kirchengebäude und spätantike Stadt Die Bauten der christlichen Religion prägten zunächst nicht das Zentrum der Städte, sondern waren an den Randlagen lokalisiert. Dies war v. a. durch die Bindung an die Märtyrergräber auf den Begräbnisplätzen, die außerhalb der Städte lagen, begründet. Es dauerte einige Zeit, bis christliche Kirchengebäude das Zentrum der Städte prägen konnten. Im Verlauf des 6. Jahrhunderts verlagerte sich, bedingt durch die nunmehr wachsende Bedeutung des gesamten kirchlichen Lebens in der Spätantike, der Schwerpunkt von den traditionellen Zentren weg hin zu den Bauten der christlichen Religion. Erst für diesen Zeitraum kann zu Recht von einer zunehmenden Prägung der Städte durch Bauten des Christentums gesprochen werden.

2.4 Das christliche Kirchengebäude in der Kontinuität der lokalen religiösen Topographie Im Zuge des Verbots der heidnischen Kulte – 381 im westlichen, 391 im östlichen Teil des Römischen Reiches – kam es in größerem Ausmaß zur Zerstörung bzw. zur christlichen Usurpierung von Tempelanlagen. Dabei ist an verschiedenen Orten durchaus unterschiedlich verfahren worden: So wird einmal von einem Abbruch des Tempels berichtet. Direkt daneben wurde eine Kirche aus neu gebrochenen Steinen errichtet. Häufiger aber blieben die heiligen Bezirke erhalten, sodass Kirchenbauten auf vorhandenen Bauten etc. errichtet oder aus dem Abbruchmaterial daneben erbaut wurden. Nicht selten aber kam es auch zu einer bloßen Umwandlung vorhandener Bauten – dazu zählten auch Synagogen – zu Kirchen.43 Bei den Kirchenbauten in Rom wurden Bauteile von leerstehenden bzw. verfallenen Tempeln verwendet. Die Übernahme und Umwidmung von intakten heidnischen Gebäuden setzte hier erst spät ein. So wurde Anfang des 7. Jahrhunderts der Rundbau des einst allen Göttern geweihten Pantheons in die Kirche S. Maria ad Martyres44 umgewandelt. Die Kontinuität in der Ingebrauchnahme religiös bewährter Orte wurde auch im Christentum fortgesetzt. Sowohl in Form der Überbietung der bisherigen Religion als auch in Gestalt einfacher Ingebrauchnahme solcher bewährter Orte kann ein wesentliches Charakteristikum früher Kirchengebäude in missionarischer Situation gesehen werden. Dies wird besonders in einer entsprechenden Empfehlung von Gregor dem Großen gegenüber Bischof Melitus am Ende des 6. Jahrhunderts deutlich: „Wenn die

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II. Grundlagen der Kirchengebäude des Mittelalters

Abb. 2: Rom, Pantheon, 118–125.

Tempel gut gebaut sind, ist es notwendig, sie vom Dämonenkult zum Dienst des wahren Gottes umzuwandeln, damit das Volk, wenn es sieht, dass seine eigenen Tempel nicht zerstört werden, von seinem Irrtum lässt und den wahren Gott erkennend und verehrend um so vertrauter sich an dem gewohnten Ort versammelt.“45

3. Die herausragende Bedeutung Jerusalems Jerusalem als Ort, an dem die Erinnerung an Tod, Auferweckung und Himmelfahrt Jesu Christi gegenwärtig war, als der Ursprungsort der christlichen Kirche war für Christen schon immer bedeutungsvoll. Aber ebenso war Jerusalem mit dem Tempel religiöses Zentrum der Juden. Zugleich gehörte Jerusalem zum Römischen Reich. Dieses war sowohl für die Zerstörung des Tempels und die römische Umgestaltung der Stadt als Reaktion auf den jüdischen Aufstand im ersten Jahrhundert als auch jetzt für die Errichtung christlicher Kirchenbauten auf Geheiß Kaiser Konstantins im 4. Jahrhundert bestimmend. Für die weitere Geschichte der Stadt war insbesondere die Entwick lung des Islam bedeutungsvoll.

3. Herausragende Bedeutung Jerusalems

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3.1 Steinwerdung des christlichen Credo – Jerusalem als Mnemotop Jerusalem mit dem Tempel war im Jahr 70 im Ersten Jüdischen Krieg zerstört worden. Nach dem Zweiten Jüdischen Krieg wurde Jerusalem in die römische Kolonie Aelia Capitolina umgewandelt. Auf dem Tempelplatz entstand ein Jupitertempel.46 Ferner wurde ein Temenos mit Jupiter- und Venus-Tempel errichtet, und zwar an dem Ort, der der Überlieferung nach der Hügel Golgatha ist. In vorkonstantinischer Zeit gab es wohl im Stadtgebiet von Aelia keine Kirchen. Lediglich auf dem Anwesen Zion und auf dem Ölberg fanden sich Kirchengebäude. Für die Zeit der Regierung Konstantins und insbesondere verbunden mit dem Konzil von Nicäa (325) lässt sich ein Kirchenbauprogramm für Jerusalem, die „Steinwerdung des Credo“, beschreiben. Nicht ohne Belang dafür dürfte die überlieferte Palästinareise der Kaisermutter Helena Ende der zwanziger Jahre des 4. Jahrhunderts gewesen sein und die Überlieferung von der Auffindung des Kreuzes durch sie. Bereits 326 wurde in Bethlehem eine fünfschiffige Basilika (Martyrion) mit einem Oktogon über der Geburtsgrotte geweiht (Basilika zum Gedenken der Menschwerdung). Ob an dieser Stelle zuvor ein heidnischer Rundtempel gestanden hatte, ist nicht eindeutig zu klären, aber durchaus möglich. In Jerusalem ließ Konstantin die römische Tempelanlage über Golgatha abtragen. Die darunterliegende, ganz in den Fels hineingehauene Grabkammer wurde aus dem Felsen gelöst und architektonisch gefasst. Das Grab wurde von einem überkuppelten Rundbau, mit einer Apsis im Westen, umschlossen (Anastasisrotunde). Im Osten lag ein Atrium mit Säulengängen davor, die durch den hoch aufragenden Felsen „Golgatha“ unterbrochen wurden. Auf ihm war zunächst ein einfaches Kreuz aufgestellt, das im 5. Jahrhundert durch ein monumentales gemmengeschmücktes Prachtkreuz ersetzt wurde. Östlich an das Atrium schloss eine fünfschiffige Basilika (Martyrion) an.47 Auf dem Ölberg wurde eine Basilika zum Gedenken an die Himmelfahrt errichtet (Eleona), die noch im 4. Jahrhundert durch eine Rotunde (Imbomon) ergänzt wurde. Diese Kirche bestand aus einem kreisförmigen, zum Himmel offenen Säulengang, der – innerhalb eines bronzenen Geländers – den Felsen des Hügels und die Fußabdrücke des aufgefahrenen Christus umschloss.48 In diesem Zeitraum entstand auch in Gethsemane eine Basilika zum Gedenken des Gebets Jesu. Noch im 4. Jahrhundert entstand die Kirche zum Gedenken an die Aussendung des Heiligen Geistes (Hagia Sion). Ebenso wurde über den Reliquien Johannes’ des Täufers eine Kapelle errichtet. Im Zuge dieser Baumaßnahmen wurde Jerusalem im 4. Jahrhundert zum Mnemotop. Das herausragende, das Stadtbild dominierende Bauwerk dürfte zu jener Zeit die Rotunde der Grabeskirche gewesen sein. In der Folge wurden noch weitere Kirchenbauten errichtet. Sie orientieren sich in der Lage am Wirken Jesu: in Bethanien eine Kirche zum Gedenken an die Erweckung des Lazarus, in Jerusalem Kirchen u. a. an der Stelle der Verurteilung durch Kaiphas (S. Petrus, 438) sowie an der Stelle der Verurteilung durch Pontius Pilatus (Hagia Sophia, 435).

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II. Grundlagen der Kirchengebäude des Mittelalters

Abb. 3: Jerusalem, Grabeskirche, Grundriss der Anlage im 4. Jahrhundert.

Um 400 waren alle Kirchen „durch Stationsliturgien und Prozessionen in den Gottesdienst der Jerusalemer Stadtgemeinde einbezogen. Am Grab Christi in der Anastasis fanden tägliche Liturgiefeiern und der Abschluß von Prozessionen statt, auf Golgatha die Gottesdienste am Gründonnerstag und Karfreitag und im Martyrion die Hauptgottesdienste an Sonn- und Festtagen. … Das Imbomon auf dem Ölberg ist am Gründonnerstag und Pfingsten Prozessionsziel …“49 Die Feste wurden an ‚Originalschauplätzen‘ gefeiert und dabei mit Schriftlesungen erklärt. So kann die Jerusalemer Liturgie als Fundament des christlichen Kirchenjahres angesehen werden. Mit der Geburtsgrotte (Oktogon), dem Grab (Rotunde), dem Golgathafelsen und der Himmelfahrtskirche (Imbomon) wurden nicht nur lokale Traditionen, sondern auch konkrete geologische Gegebenheiten eingefasst, hervorgehoben und als Orte bewahrt. Über die Hervorhebung einzelner Orte hinaus wurde durch solche „Steinwerdung des Credo“ die gesamte Landschaft als christlich geprägt herausgestellt, mit der Grabeskirche als dominierendem Bauwerk.

3.2 Sakralbauten in Jerusalem zwischen Islam und Christentum Jerusalem und der Tempelplatz wurden 638 von den Moslems eingenommen. Dabei kam es nicht zur Zerstörung von Kirchen. Im Mittelpunkt moslemischer Baumaßnahmen stand der Tempelplatz, der in byzantinischer Zeit nicht bebaut worden war. 50 Sehr bald wurde auf dem Haram as-Sharif (Tempelplatz) – und zwar an seinem Rand – eine hölzerne Moschee errichtet, die dann 705 als steinerne Aqsa-Moschee fertiggestellt wurde. Zugleich entstand 691 im Zentrum dieses Platzes die Quabbat as-Sakhra (der

3. Herausragende Bedeutung Jerusalems

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Abb. 4: Jerusalem, Felsendom, um 700, Grundriss und Schnitt.

Felsendom). Dabei handelt es sich um ein Bauwerk, für das es in der islamischen Tra dition kein Vorbild gibt. Es folgt in der Baugestalt den monumentalen christlichen Zentralbauten, insbesondere der Rotunde der Grabeskirche. Dieses Bauwerk umfasst den heiligen Felsen, mit dem in jüdischer Tradition sowohl das Opfer Abrahams (Gen 22) wie auch das Brandopfer Davids (1 Sam 6,15), nun aber auch in islamischer Tradition die Himmelfahrt des Mohammed verbunden sind. Die Funktion eines gottesdienstlichen Raums wird hingegen von der Aqsa-Moschee erfüllt. Daher kann die Quabbat as-Shara mit guten Gründen als „Memoria“ und ebenso als monumentaler Ausdruck der Dominanz des Islam gesehen werden. Das wird auch in dem Schmuck des Gebäudes deutlich – mehr als 160 monumentale Inschriften –, die das Monument

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II. Grundlagen der Kirchengebäude des Mittelalters

zu einer besonderen Form eines Glaubensbekenntnisses im Gegenüber zum Christentum machen.51 Mit diesem Bauwerk wurde sowohl die Kontinuität des herausgehobenen religiösen Ortes unterstrichen als auch die Absicht einer Überbietung des jüdischen Tempels zum Ausdruck gebracht. Zum anderen stellte dieser Bau eine symbolische Antithese gegenüber den Christen mit der Grabeskirche (und insbesondere mit der Ölbergkirche und dem dortigen Felsen) dar. 1099 nahmen die Kreuzfahrer Jerusalem ein. Der Felsendom wurde in eine christliche Kirche umgewandelt und erhielt den Namen „Templum Domini“. Rechtlich war hier nun die Kirche des Kollegiatstifts St. Marien. Weitere Chorherrenstifte wurden an der Grabeskirche, an St. Maria in Monte Sion sowie an der Himmelfahrtskirche eingerichtet. Die Aqsa-Moschee, als „Templum Salomonis“ bezeichnet, wurde zunächst Palast des Königs von Jerusalem, 1118 dann Hauptquartier des Templerordens.52 Bauliche Veränderungen an beiden Bauwerken wurden nur in geringem Maße vorgenommen. Dementsprechend konnten beide Bauten 1187 mit der moslemischen Rückeroberung von Jerusalem leicht wieder zu moslemischen Heiligtümern werden. Dabei blieb es auch in den fünfzehn Jahren vertraglich geregelter christlicher Herrschaft (1229–1244) über Jerusalem. In dieser Zeit wurde auch über dem zerstörten Heiligen Grab ein ziboriumartiger Aufbau innerhalb der Rotunde errichtet. Der Golgathafelsen wurde in die Kirchenanlage einbezogen und überbaut. Diese Konzentration der heiligen Orte beförderte die endgültige Übertragung von jüdischen und christlichen Überlieferungen, die ursprünglich am Tempelberg hafteten, auf die Grabeskirche. Die Grabeskirche wurde in der Nachfolge des Tempels gesehen, als Ort von Abrahams Opfer und vom Grab des ‚Priesterkönigs‘ Melchisedek (Gen 14,18). Ferner wurde der Felsen Golgatha natürlich als Ort der Kreuzigung, aber auch als Ort des Grabes von Adam verehrt. Golgatha wurde als Mitte, als Nabel der Welt gesehen.53 Auf den Weltkarten und Stadtplänen des Mittelalters ist dann Jerusalem in idealer kreisrunder Darstellung in der Kartenmitte lokalisiert.

4. Das christliche Rom – das „neue Jerusalem“ Rom entwickelte sich früh zum Mittelpunkt der christlichen Welt und übte eine starke Anziehungskraft auf auswärtige Christen aus. Die Vielzahl der Märtyrergräber und die Vielzahl der über ihnen errichteten Kirchen ließen Rom schon früh zu einem außer ordentlichen Wallfahrtszentrum des Abendlands werden. Bereits im 5. Jahrhundert wurde Rom die kirchenreichste Stadt des Erdkreises genannt. Und um 500 pries der Rombesucher Fulgentius von Ruspe die Stadt Rom gleichsam „als ein in hellem Glanze erstrahlendes himmlisches Jerusalem“54. Die Kirchengebäude Roms in der Zeit vom 4. bis 6. Jahrhundert lassen sich drei Kategorien zuordnen:

4. Das christliche Rom – das „neue Jerusalem“

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a) Titelkirchen Die Titelkirchen55 stammen aus konstantinischer Zeit und aus den Jahren danach. Die Bezeichnung Titelkirche (titulus ecclesiae) geht ursprünglich auf Wohnhäuser zurück, an deren Vorderfront der Namen des Eigentümers verzeichnet war und die für gottesdienstliche Feiern genutzt wurden. Die Titelkirchen waren und blieben zunächst die eigentlichen Gemeindekirchen in Rom. Im 5. Jahrhundert war ihre Zahl auf fünfundzwanzig angewachsen. Später bezeichnete dieser Begriff die Kirchen, die denjenigen Presbytern zugewiesen wurden, die zum Dienst an der Gesamtkirche bestimmt waren (presbyteri cardinales). b) Die Lateranbasilika (ursprünglich Salvatorkirche, dann S. Giovanni in Laterano) Diese Kirche wurde vom Kaiser zum Dank für seinen Sieg über Maxentius gestiftet und einer reichen Ausstattung gewürdigt. Sie war hinfort die Kirche der christlichen Gemeinde Roms und ihres Bischofs.56 Später wurde sie eine der Patriarchalkirchen. Von ihrer Funktion her ist die Lateranbasilika nicht den Titelkirchen an die Seite zu stellen; ihr war kein eigener Klerus und kein Gemeindebezirk zugeordnet. c) Memorialbauten Diese Kirchengebäude entstanden über Märtyrergräbern, wobei hier insbesondere die Gräber von Petrus57, Paulus58 und Lorenz (Laurentius) hervorzuheben sind. Oder aber es wurden Kirchengebäude errichtet, um ein heilsgeschichtliches „Datum“ zu vergegenwärtigen. So wurde S. Croce in Gerusalemme als Aufbewahrungsort einer Reliquie des der Überlieferung nach durch die Kaisermutter Helena in Jerusalem aufgefundenen Kreuzes von Golgatha durch den Umbau eines Palastraums geschaffen.59 Die Basilica Liberiana auf dem Esquilin wurde nach dem Konzil von Chalkedon „Maria der Gottesgebärerin“ geweiht – S. Maria Maggiore. Diese Kirchen hatten gleichfalls keine einer Titelkirche vergleichbare Funktion. Aber sowohl der Laterankirche als auch den Memorialbauten kam eine hochwirksame symbolische Bedeutung zu, die in Prozessionen und Stationsgottesdiensten immer wieder aktualisiert wurde. Das Vorhandensein dieser Kirchen ermöglichte es, analog zu der Prozession zwischen den Memorialorten der Heilsgeschichte in Jerusalem nun auch in Rom solche Prozessionen zu veranstalten. Stationsgottesdienste feierte der römische Bischof abwechselnd in den Hauptkirchen der vier Stadtquartiere, um so die Einheit der Kirche in Rom symbolisch darzustellen. Diese vier Kirchen besitzen jeweils einen Papstthron und einen Papstaltar; sie tragen den Titel ‚Patriarchalkirche‘ (von lat.: patriarchum = Papstpalast). Zu den Pa triarchalkirchen wird auch S. Lorenzo fuori le mura gezählt, ohne dass sich jedoch dort ein Papstaltar befindet. Diese fünf Patriarchalkirchen sowie die Kirchen S. Sebastiano und S. Croce in Gerusalemme wurden als die sieben Hauptpilgerkirchen zum Zentrum einer Pilgerfahrt nach Rom im Mittelalter.

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II. Grundlagen der Kirchengebäude des Mittelalters

Auf diese Weise entwickelte das christliche Rom, in Orientierung an Jerusalem, ein die Stadt prägendes Kirchensystem, das für Westeuropa ein wirksames Vorbild war. Und wo in späterer Zeit das römische Kirchensystem außerhalb Roms architektonisch und topographisch zitiert wurde, da wurde zugleich Jerusalem mit den Stätten der Heilsgeschichte zitiert.

III. Kirchengebäude im Mittelalter

Die Kirchengebäude, die die Landschaft und die Ortschaften in Europa und ganz besonders in Deutschland prägen, gehören zu den ältesten erhaltenen Bauwerken. In manchen Städten finden sich große mittelalterliche Kirchen, die nur durch eine Straße voneinander getrennt sind. Die Orte mit langer Tradition sind ohne die Kirchengebäude aus dem Mittelalter nicht vorstellbar. Dass zu vielen mittelalterlichen Städten selbstverständlich Judenviertel mit einer Synagoge gehörten, ist heute dagegen kaum noch wahrzunehmen.

1. Topographie der Kirchengebäude im Mittelalter Kirchen (von griech.: kyriake = dem Herrn gehörend) – warum und wo wurden sie im frühen Mittelalter errichtet? Für die Anfänge des Kirchenbaus in Mitteleuropa, eben auch in Deutschland, ist dieser Ausgangspunkt festzuhalten: Die Heiligenverehrung, die Praxis des geistlichen Lebens, die Spendung der Sakramente, die Bestattung der Verstorbenen in heilverheißender Nähe zu dem Gräbern der Märtyrer, insbesondere aber die symbolhafte Ausstrahlung der Kirchenbauten – darin lag die Bedeutung der Kirchengebäude im frühen Mittelalter. Hinsichtlich des Kirchenraums ist dessen Symbolhaftigkeit um vieles bedeutsamer als dessen Funktionalität etwa im Blick auf die Gottesdienstfeiern. Angesichts dessen mussten die Kriterien, die für die Errichtung eines Kirchengebäudes an einem bestimmten Ort ausschlaggebend gewesen sind, strategisch, v.a. aber religiös bestimmt sein. Zumindest ist dies für die Zeit des frühen Mittelalters vorauszusetzen. Die Wahl des Ortes, an dem ein Kirchengebäude errichtet werden sollte, wurde demnach keinesfalls auf eine menschliche Entscheidung allein zurückgeführt. So ist auf ein ganzes Spektrum von Kriterien hinzuweisen.

1.1 Kontinuität in der lokalen religiösen Topographie Hier kann auf folgende Situationen hingewiesen werden: Ein vorchristliches Heiligtum war Veranlassung dafür, an dessen Stelle ein Kirchengebäude zu errichten. Bei der Bauplatzwahl wurde also auf bereits religiös bewährte topographische Punkte zurück -

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III. Kirchengebäude im Mittelalter

gegriffen. Als solche religiös bewährte Orte kamen etwa ehemalige römische Tempelanlagen (Köln, Worms) oder Quellorte mit römischen Tempeln (Aachen, Köln) in Betracht. Auch ein spätantikes Begräbnisfeld war Ausgangspunkt für die Errichtung einer Kirche (Köln). Ebenso konnte das Vorhandensein profaner Bauten der Spätantike die Errichtung einer Kirche an diesem Ort veranlassen. Dem konnte eine Schenkung zu diesem Zweck zugrunde liegen (Trier) oder es war einfach die Nutzung der vorhandenen Fundamente und Baumaterialien als Reservoire eingeschlossen (Köln). Eng verbunden mit der deutlich religiös bestimmten Topographie war die Wahrnehmung der natürlichen topographischen Voraussetzungen – eine Hügellage, eine Quelle als Voraussetzung für eine befestigte Ansiedlung, eine befestigte Burg. Entsprechende Beobachtungen lassen sich zu beinahe allen bedeutenden Kirchenbauten des Frühmittelalters zusammentragen.

1.2 Die „religiöse“ Anweisung des Bauplatzes für ein Kloster bzw. ein Stift Eine Klostergründung in bewohnbarem, aber im Mittelalter nur selten herrenlosem Gebiet setzte immer die Unterstützung durch den Grundbesitzer voraus, der dafür vom Kloster Leistungen erwartete. Solche „Eigenklöster“ wurden häufig gezielt an strategisch wichtigen Punkten errichtet. Im Frühmittelalter zählten dazu u. a. die Grenzgebiete, die Handelswege, aber auch geeignete Orte als Ausgangspunkte für die Urbarmachung des Hinterlandes u. Ä. Damit sind funktionale Bedingungen für die Ortswahl genannt. Im Mittelalter war es aber allgemeine Auffassung, dass der Ort für ein Kloster durch den Stifter niemals willkürlich oder allein strategisch gewählt werden konnte; die Ortswahl war vielmehr Resultat des frommen Verhaltens der Stifterperson angesichts einer persönlich erfahrenen Begebenheit. Die jeweilige Gründungslegende gibt darüber Auskunft. Für das Kloster St. Marienstern in der Lausitz erzählt die Gründungslegende von dem Stifter Bernhard III., der sich bei einer Jagd in sumpfigem Gelände verirrte: „Die Nacht überraschte ihn, als er mit seinem Pferd immer mehr im Morast versank. In seiner Not rief Bernhard Gott und Maria um ihre Hilfe an und gelobte, bei Errettung aus der Not an dieser Stelle ein Kloster zu errichten. Nach langer Nacht erschien im Glanze des Morgensterns das mit schwarzen und weißen Schleiern verhüllte Haupt Mariens am Himmel. Der Boden unter den Füßen Bernhards wurde fest. Seinem Gelübde treu, erbaute er an dieser Stelle das Kloster …“60

1. Topographie der Kirchengebäude

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1.3 Die Heiligenverehrung (Heiligengrab) und das Patrozinium In der Frühzeit entstand ein Kirchengebäude häufig über dem Grab eines Märtyrers. Damit wurde einerseits dieser Ort ersichtlich herausgehoben und andererseits ein gestalteter Raum für eine rituelle Erinnerung geschaffen. Zunächst waren nur Märtyrer als Heilige verehrt worden. Die Heiligenverehrung wurde dann auf Bekenner, auf Bischöfe, auf Asketen, Jungfrauen und Witwen ausgeweitet. Im Frühmittelalter galt die Heiligkeit der Herkunft als Grundlage für die des Lebens. Heilige waren v.a. Mitglieder der adeligen Führungsschicht – Bischöfe, Äbte, Stifterinnen und Stifter von Kirchen. Ihren deutlichsten Ausdruck hat die Heiligenverehrung in der Form des Patroziniums gefunden. „Patrozinium ist das in der Regel durch eine Weihehandlung begründete geistliche Eigentums- und Herrschaftsverhältnis sowie die daraus folgende Schutzfunktion eines Patrons (meist eines Heiligen) über eine Kirche oder einen Altar, ein Land, eine Stadt oder ein Bistum … Als Gegenleistung für seinen Schutz wird dem Patron durch die Gläubigen Verehrung in den verschiedensten liturgischen und para-liturgischen Formen dargebracht.“61 Patrozinien von Heiligen beruhen auf der Anwesenheit des Patrons in seinem Grab, über dem die Kirche errichtet ist, oder in seinen Reliquien, die beim oder im Altar beigesetzt sind. Ursprünglich hatte jede Kirche nur ein Patrozinium und entsprechend nur einen Altar. Seit dem 5. Jahrhundert kam es zu einem Aufschwung der Heiligenverehrung und damit zu einer Mehrzahl von Patrozinien. Dabei ist zwischen dem Kirchenpatrozinium und einem Altarpatrozinium zu unterscheiden. War die Heiligenverehrung zunächst an das Grab des Heiligen gebunden, so erhielt sie bald durch die Erhebung von Reliquien und ihre Translation auch an völlig verschiedenen Orten ihre materielle Grundlage. Nun war es auch möglich, an Orten ohne manifeste christliche Tradition eine solche zu begründen. Die Errichtung eines Kirchengebäudes am Grab eines besonders verehrten Christen sowie die Translation von Reliquien ermöglichten es, den Bauplatz der Kirche religiös begründet zu sehen.

1.4 „Roma secunda“ – die Hereinnahme des Kultes in die Stadt In der Spätantike lagen die religiösen Orte, somit auch die christlichen Kirchenbauten, in der Peripherie der Städte. Im Mittelalter waren die Kirchengebäude die prägenden und die Stadtentwicklung bestimmenden Bauten. Dort, wo römische Bebauung vorhanden war, entwickelte sich der neue Stadtkern nun häufig in räumlicher Distanz zu ihr um die Kirchenbauten herum. Im Missionsgebiet sind Kirchenbauten anstelle germanischer Heiligtümer zu Zellen der weiteren Stadtentwicklung geworden. Und schließlich wurden in neu entstehende Ansiedlungen an handelsstrategischen Plätzen hinein absichtsvoll Klöster oder Stifte gestiftet. Zur Erklärung dafür, dass mehrere große Kirchen in geringer Distanz zueinander errichtet worden sind, ist insbesondere auf die Symbolisierungsfunktion des gesamten

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III. Kirchengebäude im Mittelalter

Ensembles der Kirchengebäude einer Stadt zu verweisen, wobei jeder Kirche eine bestimmte Symbolbedeutung zukam. Nach dem Vorbild von Prozessionen in Jerusalem, bei denen die Kirchen an den wichtigen Stationen des Weges Jesu besucht und gottesdienstlich begangen wurden, hatte sich auch in Rom ein entsprechendes Ritual herausgebildet. Die sieben Hauptpilgerkirchen dort waren S. Maria Maggiore, S. Giovanni in Laterano, S. Paolo fuori le mura, S. Lorenzo und, jenseits des Tibers gelegen, S. Pietro in Vaticano. Für die Stationsgottesdienste nach römischem Vorbild in einer anderen Stadt waren mehrere Kirchen als „Stationen“ erwünscht. Neben der Ermöglichung der Prozession durch die Stadt wurde dadurch die Einheit der Kirchenfamilie als die ,eine Kirche‘ der Stadt repräsentiert. Zugleich war damit die Motivation verbunden, durch architektonische bzw. topographische Romzitate ein „Roma secunda“ erstehen zu lassen. So wurden u. a. in Konstanz und Köln jeweils im 10. Jahrhundert durch Ergänzung der vorhandenen Kirchenbauten um den Dom herum lokale Analogien zu den fünf römischen Stationskirchen geschaffen. Bemerkenswert ist dabei, dass die Lage von S. Pietro jenseits des Tibers sowohl in Konstanz als auch in Köln topographisch so nachgestaltet wurde, dass die entsprechende Kirche jenseits des Flusses gelegen war.62 Der Rom-Bezug und damit implizit der Jerusalem-Bezug bestimmte somit die topographische Zuordnung der einzelnen Kirchengebäude. Die symbolische Bedeutsamkeit war allein ausschlaggebend, sowohl für die Ortswahl als auch für den Kirchenbau; keine dieser Stationskirchen – weder in Rom, noch in Konstanz oder Köln – war als Pfarrkirche errichtet worden. Noch auf eine weitere Symbolfunktion der Kirchenbauten für die Topographie der mittelalterlichen Stadt ist hinzuweisen. Kirchengebäude konnten symmetrisch aufeinander bezogen errichtet werden, so dass sie ein Kreuz im Stadtgrundriss markierten (so für Paderborn, Hildesheim und Bamberg geplant), oder sie wurden als Kirchenkranz um das Stadtzentrum herum angelegt (Köln).

2. Kirchengebäude-Typen Mit den im Mittelalter errichteten Kirchen wurde für jede sich regelmäßig zum Gottesdienst versammelnde Personengruppe und für jeden gottesdienstlichen Zweck ein eigener Raum geschaffen. Bischofssitze haben sich innerhalb des Imperium Romanum z. T. in ungebrochener Tradition erhalten. Neue Bischofssitze wurden in Deutschland seit dem 8. Jahrhundert gegründet. An diesen Orten wurden Kathedralkirchen errichtet, die stets auch Stiftskirchen der Domkapitel waren. Im Zuge der Missionierung entstanden Klöster, deren selbstverständlicher Bestandteil eine Klosterkirche war. Ebenfalls im Zuge der Missionierung wurden bei den Ansiedlungen erste Kirchengebäude errichtet. Städtische Siedlungen haben sich bis ins 11. Jahrhundert hinein nur im Anschluss an bestehende geistliche Zentren (Bischofssitze, Klöster, Stifte) entwickelt. Sie brauchten deshalb zu-

2. Typen von Kirchengebäuden

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nächst keine eigenen Kirchengebäude. In der Epoche der Romanik standen die Kirchen der Bischöfe sowie die der Klöster und Stifte im Vordergrund, während in dieser Zeit die Pfarrkirchen noch unbedeutende Bauten waren. Erst seit dem 12. Jahrhundert kam es häufiger zu Neuordnungen der Pfarrbezirke durch den jeweiligen Bischof und damit zur Errichtung von Pfarrkirchen.63

2.1 Die Kathedrale (Bischofskirche) Im deutschen Sprachgebrauch wird die Bischofskirche häufig mit den Begriffen „Dom“ oder auch „Münster“ bezeichnet, nur selten als „Kathedrale“. Der Begriff „Dom“ ist die aus dem volkstümlichen deutschen Sprachgebrauch entstandene Bezeichnung für eine Stifts- oder Bischofskirche. Der Begriff wird von dem Gemeinschaftsgebäude der Kleriker „domus ecclesiae“ abgeleitet. So wurde der Begriff „Dom“ zu einem allgemein verwendeten Begriff für bedeutende alte Kirchen (Altenberger Dom; Güstrower Dom). Der Begriff hat keine kirchenrechtliche Relevanz. Der Begriff „Münster“ ist die aus dem volkstümlichen deutschen Sprachgebrauch entstandene Bezeichnung für eine Stifts- oder Klosterkirche. Der Begriff wird von „monasterium“ abgeleitet. Er wurde dann in Süddeutschland gleichbedeutend mit „Dom“ zur Bezeichnung der Bischofskirche verwandt (Straßburger Münster). Der Begriff wird aber auch für Pfarrkirchen verwendet, die als Bauwerk und als städtische Hauptkirche besondere Bedeutung hatten (Ulmer Münster). Auch dieser Begriff ist ohne kirchenrechtliche Relevanz. Der Begriff „Kathedrale“ bezeichnet die bischöfliche Hauptkirche (ecclesia cathedralis). Die Bezeichnung wurde abgeleitet von „cathedra“, dem griechischen Begriff für den gestalteten Sitz des Bischofs im Kirchenraum64. Ein Bistum (von: Bischofstum) ist eine räumlich umgrenzte, von einem Bischof geleitete Gemeinschaft von Christen. Bistümer sind in der römisch-katholischen Kirche die konstitutiven Strukturgrößen. Im frühen Mittelalter, im Zuge der Christianisierung des Territoriums des heutigen Deutschlands, wurden durch die Könige Bistümer errichtet. Dazu wurde durch den König oder einen Herzog per Investitur ein Bischof eingesetzt, dessen Bistum mit Grundbesitz ausgestattet und so ein Hochstift begründet. Das Hochstift bildete die ökonomische Grundlage des Bistums. Der Bischof war somit weltlicher Herrscher des Hochstifts und einer der deutschen Fürsten. Das Domkapitel, bestehend aus zwölf Klerikern, unterstützte den Bischof bei der Verwaltung des Hochstifts. Das Hochstift war regelmäßig kleiner als das Bistum.65 Der Bereich der geistlichen Jurisdiktion des Bischofs (Bistum) umfasste auch weitere säkulare Herrschaftsterritorien und Reichsstädte. Der Bischofssitz war Zentrum sowohl des weltlichen Hochstifts als auch des geistlichen Jurisdiktionsbezirks. Symbolischen Ausdruck fand das in der Errichtung und Ausgestaltung der Kathedrale, der Bischofskirche. Das Domkapitel war zuständig für die Gottesdienste in der Kathedrale.

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III. Kirchengebäude im Mittelalter

Abb. 5: Dom, Köln, 13.–15.Jahrhundert, Westfassade (historische Aufnahme).

2. Typen von Kirchengebäuden

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Kennzeichnend für einen Bischofssitz war das Vorhandensein einer Mehrzahl von Kirchengebäuden im Umfeld der Bischofskirche. Die einzelnen Kirchen waren mit dem Domstift bzw. mit Stiften im Bereich der Stadt verbunden. Eines der Stifte hatte in der Regel seinen Ort unmittelbar vor den Mauern der Bischofsstadt. Es erfüllte hier durch die praesentia seiner Heiligen und durch das Gebet seiner Kleriker die Funktion einer zweiten, spirituellen Mauer zum doppelten Schutz der civitas.66 Bei den Bischofskirchen im deutschen Reich zwischen 830 und 1230 sind doppelchörige Anlagen (Mainz, Trier, Bamberg, Worms, Naumburg) vorherrschend. Die Bedeutung dieser zweipoligen Konzipierung ist nicht endgültig geklärt. Für die nach 1200 im deutschen Reich errichteten Bischofskirchen hatten französische Kathedralen eine Vorbildwirkung, wie u. a. Magdeburg (1209) und insbesondere Köln (1248) zeigen. Wichtige Charakteristika dafür sind: die Beschränkung auf nur einen, nun ausgedehnten Chor im Osten, der von einem Kapellenumgang umgeben ist; nur ein Querhaus sowie eine reich gestaltete Fassade mit Türmen im Westen. Die Kathedralbauten der Romanik und der Gotik sind nicht allein als Räume für liturgische Vollzüge bzw. individuelle Frömmigkeitspraxis anzusehen; sie sind auch repräsentative Bauten. Sie bringen das Selbstverständnis und den Geltungsanspruch des jeweiligen Bischofs und Domkapitels mit architektonischen Mitteln zum Ausdruck. Den Kathedralbauten ist eine städtebauliche Dominanz eigen; die Kathedrale beherrscht die Stadt. Diese Wirkung wird nicht nur von den Türmen, sondern insbesondere von den Dimensionen des Kirchenschiffs erzielt. Kein anderes Bauwerk der Zeit konnte ein solches Ausmaß umbauten Raums vorweisen.

2.2 Stifts- und Klosterkirchen Stifte und Klosteranlagen wurden im Mittelalter in großer Zahl gestiftet. So wurden neben den Hochstiften (Domherren) auch Kollegiatstifte (Kanoniker), Frauenstifte (Kanonissen) und natürlich Mönchs- wie Nonnenklöster durch Stiftungen von Landesherren und Adligen begründet. In den schriftlichen Quellen wird bis in das 11. Jahrhundert hinein terminologisch nicht eindeutig zwischen Stift und Kloster unterschieden. Die mit einem Stift verbundene Stiftung sollte genügend Vermögen für den Unterhalt mehrerer Kanoniker bzw. Kanonissen sowie die nötigen Gebäude bereitstellen. Ähnliches galt für die Stiftung eines Klosters, jedoch mit dem Unterschied, dass hier die Mittel für den Lebensunterhalt durch das Kloster selbst erarbeitet wurden. Für die Frühzeit ist eigentlich kein Kirchengebäude denkbar, das nicht mit einem Domkapitel (Kathedrale), Stiftskapitel (Stiftskirche) oder einem Klosterkapitel (Klosterkirche) verbunden war. Im Frühmittelalter lebten in den Klöstern neben Mönchen auch Klerikergemeinschaften, d.h. Landgeistliche. Mit den Bestimmungen der Aachener Synode 816 wurde hinsichtlich der Klöster und Stifte eine Klärung angestrebt. Jedes Stift/Kloster sollte sich erklären, ob es nach der Benediktsregel leben wollte oder nach dem ordo canonicus.

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III. Kirchengebäude im Mittelalter

Abb. 6: Klosterkirche, Maria Laach, 1093–1216.

2.2.1 Das Kloster – der benediktinische Weg Im Abendland gab es für den mönchischen Weg in der Frühzeit nur die Möglichkeit, der Regel des Benedikt zu folgen. Das Kloster hatte seit Benedikt die beiden Grundfunktionen eines religiösen Zentrums, an dem Mönche bzw. Nonnen ihre geistlichen Aufgaben (Gottesdienst, geistliche Lektüre, Studien) erfüllen und in dem sie die ein fachen Bedürfnisse ihres asketischen Lebens (Schlafen, Ernährung, Körperpflege) befriedigen konnten. Das Hauptgestaltungsprinzip jeder Klosteranlage kann so bestimmt werden: Jedes Kloster war in seiner Baugestalt ein Abbild des Gottesstaates (Civitas Dei). Die vita communis der Mönche sollte sich hier in möglichst vollkommener Ordnung nach den Ordensregeln entfalten können und dabei stets auf einen Mittelpunkt bezogen sein;

2. Typen von Kirchengebäuden

daher ist das Kloster mit dem Kirchengebäude architektonisch engstens verbunden. Charakteristisch für ein solches Bauensemble ist die enge Verbindung von Kirchenraum und Klausur. Zur Klausur zählt der Kreuzgang, der in der Regel an die Südseite des Kirchenschiffs anschließt; vom Kreuzgang führt die Mönchspforte direkt in den Chorraum der Kirche. Um den Kreuzgang herum sind angeordnet: der Schlafsaal (dormitorium), der Essenssaal (refectorium), der Versammlungsraum (Kapitelsaal) und das Vorratshaus. Dazu kamen Gebäude für Gäste, für Novizen, für Kranke, eine Schule und Wirtschaftsgebäude.67 Im Mittelpunkt des klösterlichen Lebens stand das Gebet. Die Mönche kamen zum gemeinsamen Stunden gebet zusammen und beteten darüber hinaus individuell.

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Grundriß einer Abtei Die Kirche (A) geht gen Osten, daneben liegen die Sakristei (B), die Wärmestube (calefactorium) (C), der Kapitelsaal (D), in einem anderen Flügel das Refektorium (F) und die Küche (E). Der Kreuzgang (H) verbindet die Flügel. Der Waschraum (G). Die Zellen (I) liegen im ersten Stock.

Abb. 7: Kloster in benediktinischer Tradition, Schema der Gebäudeanordnung.

2.2.2 Die Klosterkirche Für die Klosterkirchen ist eine gewollt übersichtliche Ordnung der Bauteile charakteristisch. Der Ostteil wird vom Altarraum eingenommen, an den sich nach Westen der Chor anschließt. Im Chor wurde der liturgische Gesang von den gebildeten Mönchen (litterati) gepflegt. Die illitterati wohnten dem Chordienst in den Querhausflügeln bei. Der Chor war durch umlaufende Sitz- und Bankreihen abgeteilt (chorus maior). Westlich schloss sich ein Raumteil an, in dem die am Chordienst verhinderten (kranken) Mönche ihren Platz hatten (chorus minor). Nach Westen folgte nun das Kirchenschiff (navis), das Laienhaus. An der Grenze zwischen chorus minor und Laienhaus stand der Kreuzaltar. Diese Grenze war auch architektonisch markiert; der Lettner teilte das Langhaus in zwei Bereiche. Im Westen war dem Hauptschiff eine Vorhalle vorgelagert, die „Galiläa“ oder auch „Paradies“ genannt wurde, davor wiederum ein offener Hof (Atrium). Das Hauptschiff hatte eine hölzerne Decke; die Seitenschiffe waren gewölbt. Diese Konzeption stellt gleichsam das allgemeingültige Grundkonzept einer Klosterkirche im Mittelalter dar. Im deutschen Reich wurde es insbesondere über das Kloster Hirsau weit verbreitet.

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III. Kirchengebäude im Mittelalter

Mit den Zisterziensern trat im 12. Jahrhundert eine weitere klösterliche Reformbewegung aus dem Burgund mit erheblicher Wirkung auf. Das Gebetspensum der Mönche wurde gekürzt, die Handarbeit reaktiviert. Im Kirchenbau stehen Rationalität und Funktionalität im Vordergrund. Anstelle von Türmen reicht ein Dachreiter über der Vierung als Glockenträger; Verzierungen und bildliche Darstellungen sind entbehrlich. „Die Kirche der Mönche ist bestimmt von zweckbetonter Sachlichkeit, sie erscheint frei von abbildenden Aufgaben und Werten.“68 So konnte die Architektur der Zisterzienserklosterkirche als eine bewusste Gegenposition gegen die Architektur der gleichzeitigen gotischen Kathedralen wahrgenommen werden.

2.2.3 Weitere Orden und Klöster Der Orden der Prämonstratenser (Gründungsort: Prémontré) ist eine Gründung des 12., der Orden der Augustiner-Eremiten eine des 13. Jahrhunderts. Ebenfalls im 12. Jahrhundert wurde der Orden der Kartäuser gegründet. Geprägt von Abgeschiedenheit, von Abb. 8: Klosterkirche, Maria Laach, 1093–1216, asketisch-beschaulichem Leben mit Grundriss mit Atrium. Verzicht auf jede Außenwirkung wurden Kartausen in vielen deutschen Städten zu Stätten großer Gelehrsamkeit. Im Bauensemble gibt es eine doppelte Klausur: der große Kreuzgang, der von den Mönchszellen mit jeweils eigenem Garten umschlossen wird; unmittelbar an das Kirchengebäude schließt an der kleine Kreuzgang mit Speisesaal (refectorium) und Kapitelsaal. Hinter der Gründung des Franziskanerordens im 13. Jahrhundert stand ein Reformanliegen: Armut soll das Leben der Brüder prägen, die sich den Lebensunterhalt durch

2. Typen von Kirchengebäuden

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Arbeit sichern; jeglicher eigener und gemeinschaftlicher Besitz wird abgelehnt. Die traditionellen Klosterämter sollen abgeschafft und nur eine Messe soll täglich gefeiert werden. Ihr Tätigkeitsfeld sehen die Franziskaner vornehmlich in der Pflege der Armen. Ebenfalls im 13. Jahrhundert wurde der Dominikanerorden gegründet. Ziel war die Predigt rechten Glaubens in den Städten im Gegenüber zu den Predigten von Ketzern. Die Befähigung dazu wurde in einem ausgiebigem Studium und einem asketischen Leben gesehen. Die beiden Bettelorden sahen ihr Wirkungsfeld in den sich neu herausbildenden Städten. Inmitten der Städte entstanden dann sowohl die Franziskaner-(Barfüßer-)Klöster als auch die Dominikanerklöster. Die Klosterkirchen der Bettelorden zeigen deutlich die Tendenz zu einem einheitlichen Raum. Saal und Halle als Grundtyp städtischer Räume prägen auch den Eindruck dieser Kirchengebäude. Wie angefügt erscheint der schmalere Chor für den Chordienst der Mönche, vom Kirchenraum durch einen Lettner abgetrennt.

2.2.4 Stift und Stiftskirche – ordo canonicus Die Gemeinschaft der Kleriker an der bischöflichen Kathedrale bildete das Domkapitel mit der Zuständigkeit für die Durchführung der feierlichen Gottesdienste wie mit der Verwaltung des Bistums. Die Gemeinschaft der Kleriker an einer Stiftskirche bildete das Stiftskapitel mit der Zuständigkeit für die Feier des liturgischen Gottesdienstes (Kanoniker/Chorherren). Durch den ordo canonicus war den Kanonikern wohl das gemeinschaftliche Leben im Stift mit Chorgebet auferlegt, aber kein Besitzverzicht und keine Verpflichtung zur stabilitas loci. Im 11. Jahrhundert wurden von den Kanonikern auf der Grundlage der Regel des Augustinus ein verbindliches Gelübde und Besitzverzicht gefordert. Diejenigen, die dem folgten, wurden Regularkanoniker oder auch Augustinerchorherren genannt. Von ihnen sind die Säkularkanoniker zu unterscheiden. Bei ihnen löste die vita communis sich allmählich auf und aus dem gemeinsamen Vermögen entwickelte sich die Einzelpfründe zum Kern des Kanonikats. Die liturgischen Aufgaben dagegen traten ganz zurück. Kanonissen bildeten eine unter Abtsaufsicht und bestimmten Institutionen stehende Gemeinschaft in Verbindung mit einer Stiftskirche. Die Chorfrauen hatten rechtliche und persönliche Vergünstigungen, wie die Nutzung des eigenen Vermögens, eine eigene Kurie (Wohnung), die Möglichkeit von Besuchen und Reisen, auch die Möglichkeit der Heirat nach Entlassung aus der Kommunität. Auferlegt waren den Chorfrauen die Teilnahme am Gottesdienst und das Stundengebet, Handarbeit sowie die Vermeidung des Kontakts mit Männern. Seit dem Spätmittelalter gab es Säkularkanonissen, die weniger streng lebten. Kanonissenstifte eigneten sich zur Versorgung adliger Töchter, konnten aber auch erhebliche politische Wirksamkeit erlangen.

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III. Kirchengebäude im Mittelalter

Auch für Stiftskirchen ist die Trennung von Chor- und Laienraum konstitutiv. Bei Kanonissen gab es zusätzlich einen besonderen Stiftschor als Empore, wohl meist im südlichen Querhausarm mit direktem Zugang von den Stiftsgebäuden. Stiftskirchen konnten ebenfalls sehr deutlich Anspruch und Geltungsbewusstsein mit den Mitteln der Architektur Ausdruck verleihen. So verwendeten um die Mitte des 11. Jahrhunderts die Enkelinnen von Kaiser Otto II. den charakteristischen Wandaufriss der Pfalzkapelle Karls des Großen in Aachen in den von ihnen erbauten Stiftskirchen in Essen und St. Maria im Capitol in Köln zur Demonstration ihrer kaiserlichen Abstammung. Und sie taten dies zu einem Zeitpunkt, als gar nicht mehr ihre Familie – die Ottonen –, sondern bereits das salische Kaiserhaus regierte.

2.3 Pfarrkirche 2.3.1 Die Pfarrei Das Christentum in der Zeit der frühen Kirche war v. a. eine Religion der Stadt. Christen, die auf dem Lande lebten, gehörten zur städtischen Gemeinde; der Bischof der Stadt war der Seelsorger für die Menschen in Stadt und Land. Im Zuge der Christianisierung von Territorien nördlich der Alpen hatte sich die Situation grundsätzlich verändert. Hier gab es nur ganz vereinzelt Bischofssitze als Zentrum einer sehr großflächigen Diözese. Im Zuge der Missionierung waren Missionszentren gegründet worden. Die missionierten Gebiete wurden in Pfarreien gegliedert. Diese sogenannten Urpfarreien waren wohl von Anfang an mit einem Kirchenbau verbunden. Der Bischof benannte den Priester und vollzog dessen Weihe. Der Umfang der Pfarrei wurde durch die Zehnterhebung bestimmt. Je ein Viertel davon war für den Bischof, für den Ortsklerus, für das Kirchengebäude und für die Armen bestimmt. Die Zehnterhebung stand ursprünglich nur Bischofskirchen zu, ging aber bald auf die Pfarrkirchen über. Seit dem 7. Jahrhundert galt für die Christen die Forderung, mindestens an jedem Sonntag eine Messfeier zu besuchen. Dazu kam die Notwendigkeit zu taufen, angesichts der hohen Kindersterblichkeit möglichst zeitnah zur Geburt, und dies an einem Taufstein in einer konsekrierten Kirche. Und schließlich gab es die Dringlichkeit, das Sterbesakrament zu spenden und die Verstorbenen auf einem geweihten Friedhof zu bestatten. Dies alles stärkte das Bestreben, in räumlicher Nähe zu Bewohnern Kirchengebäude mit umgebendem Friedhof zu haben. In beträchtlicher Zahl errichteten Angehörige des Ortsadels ein Kirchengebäude auf ihrem Grund und Boden, das dann in ihrem Besitz stand – die sogenannte Eigenkirche. Wer aber das Kirchengebäude gestiftet hatte, durfte auch die Überschüsse einziehen und nahm das Recht in Anspruch, den Priester der Kirche dem Bischof zur Bestätigung und Weihe zu präsentieren.

2. Typen von Kirchengebäuden

Abb. 9: Pfarrkirche, St. Nikolai in Wismar, 1381–1487.

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Abb. 10: Pfarrkirche, St. Marien in Greifswald, 1260–1280, Grundriss.

Nach dem Investiturstreit im 12. Jahrhundert war geistlicher Besitz in Händen von Laien untersagt. Die Eigenkirchen gingen nun in den Besitz von Klöstern oder Domstiften über; sie wurden inkorporiert. Pfarrerspfründe und Kircheneinkommen fielen dem neuen Eigentümer zu, der den Seelsorger zu stellen und dessen Lebensunterhalt angemessen zu gewährleisten hatte. Zu diesem Patronatsrecht über die Kirche gehörte auch das Recht, den Pfarrer zu präsentieren.

2.3.2 Die Stadtpfarrkirche Bei den frühen Stadtpfarrkirchen kann es sich um Nachfolgebauten der Urpfarreien handeln. Dann war der Standort vorgegeben. Stadtkirchen konnten aber auch nur den Status einer Kapelle haben, während die Pfarrrechte (Spendung der Sakramente) bei der außerhalb gelegenen Urpfarre verblieben. Stadtkirchen konnten ebenso aus ehemaligen Eigenkirchen hervorgehen. So konnte sich ein sehr unterschiedlicher Bestand an Pfarrkirchen in den Städten ergeben. Nürnberg beispielsweise hatte um 1500 ca. 45 000 Einwohner und zwei Pfarrkirchen; Göttingen dagegen konnte zu gleicher Zeit bei ca. 5000 Einwohnern fünf städtische Pfarrkirchen aufzählen. Die Errichtung eines

2. Typen von Kirchengebäuden

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neuen Pfarrbezirks, für den dann eine Pfarrkirche errichtet werden konnte, war alleiniges Vorrecht des Bischofs. Jede Pfarrkirche hatte einen Kirchenherrn, der meist außerhalb des Stadtgebietes ansässig war und für die Pfarraufgaben einen Pfarrer oder Vikar unterhielt. Der Kirchenherr fungierte als Patron und präsentierte u.a. dem Bischof den Pfarrer und setzte ihn ein. Das Patronat bedeutete sowohl einen materiellen Vorteil wie auch direkte Einflussnahme. Mit dem Pfarramt war das Recht der Seelsorge verbunden und damit die Einnahme der entsprechenden Gebühren. Parallel dazu hatte sich im Mittelalter das Pfründenwesen stark entwickelt. So wurden von Bürgern etwa zahlreiche Altarstiftungen getätigt. Für eine solche Stiftung wurde im Kirchenraum ein Nebenaltar errichtet. Mit der Stiftung des Altars war eine Dotation mit der Auflage verbunden, zu bestimmten Zeiten an diesem Altar eine Messe für das Seelenheil des Stifters zu zelebrieren. Eine Vielzahl von Nebenaltären im Kirchenraum, an den Pfeilern und an den Außenwänden, brachte entsprechende Anforderungen, die nur durch eigens bepfründete Priester (Altaristen) wahrgenommen werden konnten. Dadurch hatte eine große Zahl von Altaristen, Kaplänen oder Vikaren ihr Auskommen. Es ist ausgerechnet worden, dass 1535 an den vier Pfarrkirchen in Lüneburg von insgesamt 232 Vikaren wöchentlich 1504 Messen gelesen wurden. „Die einzelnen Kapläne lasen die Messe an den Stiftungsaltären nach einem genau einzuhaltenden Terminplan, der Überschneidungen verhindern sollte. Die Abhaltung der Gottesdienste, Predigten, des Chorgebets, der Prozessionen innerhalb (Stationsgottesdienste) und außerhalb der Kirche, die Seelgeräte, Anniversare und die Begräbnisse waren bis ins Kleinste geregelt.“69 Als im 15. Jahrhundert die Predigt in hohem Ansehen stand, führte das zur Einrichtung von besonderen Prädikantenpfründen zur Gewährleistung von regelmäßigen Predigten in der Stadtkirche. Dieses gesamte, sogenannte Niederpfründenwesen gab den Bürgern und der Stadt insgesamt eine Möglichkeit, eigene Ansprüche sowohl an die Kleriker als auch an den auswärtigen Kirchenherrn sichtbar zu machen und möglicherweise durchzusetzen. Insbesondere aber waren die Städte bestrebt, das Patronatsrecht für die Stadtpfarrkirche zu erwerben, sei es auf dem Wege einer finanziellen Entgeltung oder dem Weg der Initiierung baulicher Maßnahmen an der Kirche; das war ein Ziel, das alle Bürger einer Stadt verband. Traditionell war die Baulast der Pfarrkirche verteilt: Für den Chor, das Klerikerhaus, war der verantwortlich, der den Zehnten einzog, also der Kirchenherr. Für das Kirchenschiff gab es das Vermögen der Kirchenfabrik, stammend aus zweckgerichteten Stiftungen und Gaben. Hier war für die Städte die Möglichkeit einer Einflussnahme gegeben, indem sie das Amt des Kirchenpflegers besetzten. Für den Turm mussten die Pfarreiinsassen insgesamt aufkommen. Die Stadtpfarrkirche und ihr Kirchenraum gaben die Möglichkeit, dem eigenen Selbstverständnis angemessen Ausdruck verleihen zu können und Raum für die Frömmigkeitspraxis als selbstverständlichem Bestandteil der alltäglichen Lebenswelt zur

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III. Kirchengebäude im Mittelalter

Verfügung zu stellen. Der Kirchenraum war von früh bis spät mit Leben erfüllt. Dazu trug auch bei, dass der Rat besondere Zeremonien wie Einführungen, Vertragsabschlüsse u. a. in der Hauptkirche, der Ratskirche, vollzog. Auch in der Stadtpfarrkirche war der Kirchenraum durch einen Lettner in jeweils einen Bereich für die Kleriker und einen für die Laien aufgeteilt.70 Die Pfarrkirche sollte den Stiftskirchen und der liturgischen Praxis des Stiftskapitels nicht nachstehen. Es wurde angestrebt, durch Niederpfründenstiftungen möglichst viele Geistliche in der Kirche zu versammeln. So konnten die Messfeiern in der Pfarrkirche Formen erhalten, die solchen, die in der Stiftskirche gepflegt wurden, entsprachen. Dazu wurden alle Kapläne aus den Niederpfründen zur Beteiligung am regelmäßigen Chordienst des Pfarrers verpflichtet. So erfüllten die entsprechenden Stiftungen der Bürger nicht nur einen individuellen, sondern auch einen gesamtstädtischen Zweck.

2.3.3 Die Pfarrkirche als Medium städtischer Selbstdarstellung Die städtische Pfarrkirche stand stets in einem Spannungsverhältnis zu den anderen Typen von Kirchengebäuden. Sie sollte als Bauwerk u.U. einen Gegenentwurf zur Bischofskirche darstellen. Der Weg dahin konnte unterschiedlich aussehen. Eine neuerbaute Pfarrkirche konnte auch durch die – finanziell aufwendige – Erlangung eines zentralen Grundstücks und durch ihre repräsentative Gestaltung das Erscheinungsbild einer mittelalterlichen Stadt ähnlich dominant prägen wie eine Kathedrale. Ein Beispiel dafür ist das Ulmer Münster. Jede Zunahme der Bevölkerung und damit die Erweiterung der Besiedlung erforderte das Errichten einer Pfarrkirche. Lag die Genehmigung des Bischofs vor, musste und konnte immer erneut von der Stadt entschieden werden, welches Aussehen die Kirche erhalten sollte. Eine weitere Möglichkeit war mit dem Mittel des architektonischen Zitats gegeben. „Durch das architektonische Zitat machte man die zitierte Architektur in seiner Architektur anwesend, hob sie in dem Sinne auf, indem man ihr ihre Einmaligkeit nahm.“71 Ein weiteres Mittel war in der betonten Ausbildung der Schauseite gegeben. Die dem Rathaus oder dem kommunalen Zentrum der Stadt zugewandte Seite der Kirche wurde durch reichere Architekturdetails ausgezeichnet, durch besonders hervorgehobene Portale und größere Fenster. So wurde der städtischen Institution Reverenz erwiesen. Sehr anschaulich kann dies etwa an der Südfront der Marienkirche in Rostock abgelesen werden. Die Architektur der Pfarrkirche stellt sich disparat dar und kann nicht verallgemeinert werden. Hier sind regionale Traditionen, territoriale Gegebenheiten und lokale Konstellationen zu berücksichtigen. Hingewiesen sei lediglich auf ein viel verwendetes Paradigma zur Beschreibung bürgerlicher Pfarrkirchen. Die sogenannte spätgotische Halle, insbesondere in ihrer extremen chorlosen Ausgestaltung in Rostock (St. Nikolai) und Greifswald (St. Marien), wurde gleichsam als Abbild der bürgerlichen Festhal-

3. Symbolik und Ausstattung

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le und somit als Ausdruck bürgerlichen Empfindens verstanden. Diese Auffassung ist in dieser Eindringlichkeit so nicht haltbar. Den Typus einer Bürgerkirche gibt es nicht; die chorlose Halle begegnet auch bei einigen französischen Kathedralen.

3. Kirchengebäude und Kirchenraum – Symbolik und Ausstattung Die im Mittelalter errichteten Kirchengebäude und die Kirchenräume darin stellten niemals nur Räume für liturgische Vollzüge bereit. Charakteristisch für das Mittelalter ist vielmehr das Miteinander von pragmatischer Gestaltung und Nutzung sowie einer symbolischen Bedeutung des Kirchengebäudes und seiner Gestaltungselemente.

3.1 Das Kirchengebäude Die Außenansicht eines Kirchengebäudes macht ebenso seine pragmatische Bedeutung – das materielle Umschließen eines Innenraumes – wie seine symbolische Bedeutung – die Heraushebung des konkreten Ortes aus der Umgebung und die Darstellung seiner Besonderheit – sichtbar. Für das mythische Bewusstsein im Mittelalter war der Gegensatz des „Heiligen“ und des „Profanen“ der bestimmende Grundakzent. Eine solche Zweiteilung gründete auf der Annahme der zweifachen Heilswirksamkeit des Menschen.72 Unterschieden wurde die „vita activa“ von der „vita contemplativa“. Urbild dafür sind die Frauengestalten Maria und Martha aus dem Neuen Testament. Maria „setzte sich zu Jesu Füßen und hörte seiner Rede zu … Martha aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen“ (Lk 10,38 ff.). Maria und ihr Verhalten – die vita contemplativa – wird von Jesus dem tätigen Tun Marthas – der vita activa – gegenüber hervorgehoben. Zum Bereich der höher geschätzten vita contemplativa wurden die Kleriker gezählt. Das Volk, die Laien, dagegen hört, betet, übt Nächstenliebe; es wird durch die vita activa bestimmt. Es war selbstverständlich, dass dieser Gegensatz sich auch im räumlichen Sein darstellte, sowohl in der Struktur des Kirchengebäudes wie in der Topographie der mittelalterlichen Stadt. In der mittelalterlichen Literatur wird die Unterscheidung zwischen dem „Heiligen“ und dem „Profanen“ bereits in der Anlage von Salomos Tempel vorgebildet gesehen. Hier war der Raum für die Opfer des Volkes deutlich vom Allerheiligsten, das nur vom Hohepriester betreten werden durfte, getrennt. a) Der kreuzförmige Grundriss des Kirchengebäudes Es liegt nahe, diese Grundrissform auf das christliche Symbol des Kreuzes zu beziehen. Aber grundlegender scheint die Orientierung an der alten religiösen Tradition der Römer zur Bestimmung des Ortes für eine Siedlung zu sein: Die Ost-West-Linie

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III. Kirchengebäude im Mittelalter

Sanktuarium (Altarhaus)

Abb. 11: Köln, Dom, 1248, Gundriss mit erklärender Beschriftung.

wurde durch den Lauf der Sonne bezeichnet und festgestellt. Sie wird durch eine andere zu ihr senkrechte Linie, die Nord-Süd-Linie geschnitten. Die den Himmelsrichtungen im Mittelalter zugeschriebenen Bedeutungen wurden durch alte vorchristliche Traditionen gespeist. „Aus dem Osten kommt das Heil. … Auch die anderen Himmelsrichtungen haben im Kirchenbau symbolische Qualitäten: Der kalte Norden bezeichnet Tod, Unheil und Vergangenheit, der lichtvolle Süden weist auf die Zukunft, der Westen ist der Ort der Anfechtung durch das Böse und die Grenze zur Welt der Dämonen.“73 Das mittelalterliche Kirchengebäude auf kreuzförmigem Grundriss kann als monumentale Darstellung solcher Limitation gelesen werden. Die Ost-West-Achse ist die

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dominierende Achse des Kirchengebäudes. Von Osten her kommt das Licht zuerst in den Kirchenraum. Im Ostbereich des Kirchenraums war der Ort der Kleriker. Hier wurde der Chordienst verrichtet und hier wurden die Stundengebete begangen. Hier war auch der Ort des Hauptaltars, der das Reliquiengrab des Kirchenpatrons barg. Der Westteil der Kirche konnte von den Laien betreten werden. Der Westen ist die Abendseite. Mit dem abnehmenden Tag und der zunehmenden Dunkelheit wurde symbolisch die Nacht des Götzendienstes verbunden und damit der Ort der Heiden. Es ist daher diese Seite des Kirchengebäudes, die besonderen Schutz braucht. Darum findet sich im Westwerk vieler romanischer Kirchen über dem Portal eine Kapelle mit einem dem Erzengel Michael geweihten Altar. Der Erzengel allein war zur Verteidigung und zur Abwehr der bedrohlichen Feinde fähig. Zugleich ist die Westseite bei Stadtkirchen die Eingangsseite. Der Gang durch den Kirchenraum symbolisiert den Weg von der Glaubensferne zum Glauben, von der Dunkelheit zum Licht. Die Nord-Süd-Achse des Kirchengebäudes ist dagegen weniger bedeutsam. Aber sie gibt die Erklärung für die Geschlechtertrennung im Kirchenraum. Die Männer hatten ihren Ort im Süden; Ausdruck dafür, dass sie nach mittelalterlicher Ansicht im Glauben gefestigt waren. Die Frauen hatten ihren Ort im Norden – ein Ausdruck der ihnen im Mittelalter unterstellten Glaubensschwäche. b) Querhaus und Vierung Die Mehrzahl der mittelalterlichen Kirchengebäude weist ein Querschiff auf. Es kann ein einheitlich durchgehender Bauteil von gleicher Höhe und Breite wie das Mittelschiff sein. Das Durchdringungsquadrat von Lang- und Querhaus wird „Vierung“ genannt. In diesem herausgehobenen Bereich wurde der Chordienst der Kleriker vollzogen. Architektonisch wurde die Besonderheit dieses Raumteiles durch den Vierungsturm sichtbar gemacht. Mit der Einfügung eines Querschiffs wurde eine Tradition aus Rom übernommen, die dort zuerst in S. Pietro in Vaticano zu finden war. Mit der Durchdringung wird eine alleinige Längsausrichtung verhindert; mit der Durchdringung von Längs- und Querschiff wird in der Vierung ein Bedeutungszentrum des Kirchenraums geschaffen. Zugleich ist zu bedenken, dass somit an diesem Ort auch der Pol im Zentrum der Himmelsrichtungen markiert wird. Hinsichtlich der Außenwirkung waren mit den zwei Querschiffsgiebeln weitere Flächen für repräsentative Gestaltungen gegeben, die insbesondere in der Phase der Gotik genutzt wurden. c) Das Langhaus In der Mehrzahl der Kirchen aus dem Mittelalter stellt sich der Kirchenraum dem Betrachter als ein längsgerichteter Raum dar. In der Regel besteht das Langhaus aus dem Mittelschiff, das beiderseits von einem oder manchmal auch mehreren Seitenschiffen flankiert wird. Das Mittelschiff ist deutlich breiter als die Seitenschiffe. Oft ist das

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Abb. 12: Kirchenraum, romanisch, Stiftskirche zu Quedlinburg, 927–1021.

Mittelschiff auch deutlich höher. Im unteren Bereich öffnen sich zwischen Säulen- bzw. Pfeilerstellungen Arkaden zu den Seitenschiffen; im oberen Bereich ruht auf den Stützen eine Mauer auf, deren Fensteröffnungen das Mittelschiff eigens beleuchten (Obergaden). Diese Bauform mit dominierendem Mittelschiff kennzeichnet den Bautyp der „Basilika“. Der Bautyp der „Hallenkirche“ ist demgegenüber durch ein breiteres Mittelschiff, dann aber durch Seitenschiffe von gleicher Höhe wie das Mittelschiff charakterisiert. Hier erscheint das Mittelschiff weniger betont; es wird nur durch die Fensteröffnungen in den Seitenschiffswänden beleuchtet. Entscheidend für den Eindruck des Langhauses sind die Wände, die den Raum zu beiden Seiten begrenzen. Diese Wände können mauerhaft lastend wirken (bei Bauten der Romanik) oder durch hochgradige Auflösung der Wandpartien in Fensteröffnungen

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Abb. 13: Kirchenraum, gotisch, Pfarrkirche St. Marien zu Lübeck, 1250–1350.

leicht wie ein Vorhang erscheinen (in der Gotik). Entscheidend ist, dass der zwischen den Wänden befindliche Raum von einer Deckenkonstruktion übergriffen wird, die als Balkendecke, als halbe Tonne, als Kuppel oder Gewölbe gestaltet sein kann. Nach der mittelalterlichen Literatur kann den beiden Seitenwänden des Kirchengebäudes eine symbolische Bedeutung zukommen. Sie verweisen darauf, dass die christliche Kirche

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sich aus Juden und Heiden aufbaut. Beide sind in dem Schlussstein des Gewölbes, d. i. Jesus Christus, verbunden und zusammengeschlossen („… erbaut auf dem Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist“, Eph 2, 20).74 Für das Langhaus eines Kirchengebäudes im Mittelalter war charakteristisch, dass der Eindruck des längsgerichteten Mittelschiffes durch die quereingezogene Lettnerwand ‚gestört‘ war. Dadurch wurde sinnfällig ein Raumteil von seiner Umgebung abgetrennt, von dem umgebenden Raum unterschieden, gegenüber dem allgemein zugänglichen als ein anderer, als ein heiliger Bezirk gekennzeichnet. In der prinzipiellen Teilung jedes mittelalterlichen Kirchenraums in Kleriker- und Laienhaus hat diese grundlegende Unterscheidung ihre monumentale Gestaltung gefunden. d) Der Chor Der Begriff „Chor“ wird sowohl zur Bezeichnung der Sänger als auch zur Bezeichnung ihres Ortes im Kirchengebäude gebraucht. „Der liturgische Chor (Psallierchor) bezeichnet den Ort der Klerikergemeinschaft, erkennbar am Chorgestühl abgegrenzt durch seitliche Chorschranken und einen Lettner … Der Chor von Kanonikern und Priestermönchen liegt hinter dem Lettner … Im Mittelalter befindet sich der Chor häufig in der Vierung, wodurch das Querhaus in zwei kapellenartige Flügel geteilt wird.“75 Der Bereich östlich des Chores wurde Sanktuarium bzw. Altarhaus genannt. Hier hat der Hochaltar seinen Ort. Seit dem späten Mittelalter bezeichnet der Begriff „Chor“ den gesamten östlichen Bereich des Langhauses, beginnend mit dem Lettner bzw. mit dem Querhaus. e) Der Lettner und die Chorschranken Der Lettner (von lat.: lectorium = Lesepult) ist ein an der Trennlinie zwischen Klerikerchor und Laienhaus quer eingezogener monumentaler Einbau. Er wurde meistens aus Stein ausgeführt und stellt einen eigenen Baukörper dar. Die dem Laienschiff zugewandte Fläche ist in der Regel figürlich gestaltet und zeigt Szenen aus der Passionsgeschichte oder Darstellungen des Jüngsten Gerichts. Nach oben ist der Lettner oft durch eine Bühne mit Brüstung abgeschlossen. Hier war der Ort für Lesungen und z.T. auch für die Predigt. Vor der dem Laienschiff zugewandten Lettnerfront war mittig der Kreuzaltar aufgestellt; über dem Lettner stand das Triumphkreuz. Neben dem Altar waren in der Regel zwei Zugänge zum Chorraum angeordnet.76 Als Chorschranken werden die Trennwände bezeichnet, die den Chor seitlich und östlich (bei einem Chorumgang) abgrenzen. Sie können aus Stein oder aus Holz bestehen. f) Die Krypta Die Krypta (von griech.: krypte = Gewölbe) ist ein gewölbter Raum unter dem Chor, „in Form eines ringförmigen oder rechtwinklig geführten Ganges, in Form einer oder

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Abb. 14: Lettner, um 1450, Dom zu Magdeburg.

mehrerer miteinander verbundener Kammern (‚Stollen‘) oder in Form einer mehrschiffig gewölbten Halle. Die Krypta, abgeleitet von den Katakomben, war der Ort, wo das Grab eines Märtyrers, eines Heiligen oder einer geheiligten Person Verehrung fand; erst später wurde sie zu einem mit Altären ausgestalteten Andachtsraum.“77 Bedeutsam war die Krypta für das Wallfahrtswesen. Später entspricht der unten gelegene Kryptenraum dem darüber gelegenen Chorraum. Der liturgische Zweck der Krypta ist jedoch nicht eindeutig zu klären.

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g) Das Atrium (Paradies/Galiläa) Als Atrium wird der Vorhof vor der Westfassade bedeutender Kirchengebäude im Mittelalter bezeichnet. Drei oder vier sich nach innen öffnende Säulenhallen bilden den Vorhof, der oft im Zentrum einen Brunnen aufweist. Eine solche Anlage folgte altchristlichen Vorbildern. Das Atrium diente der Vorbereitung (Erquickung und Reinigung am Brunnen) und der Besinnung (Abgrenzung gegenüber der säkularen Umgebung) der Gläubigen vor dem Betreten der Kirche. Architektonisch konnte ein Atrium die Bedeutung eines Kirchengebäudes betonen. Bei der Mehrzahl der Kirchenbauten fehlt ein Atrium. Hier findet sich manchmal eine Vorkirche im Turmbereich. Dieser Raumteil wurde Paradies oder auch Narthex genannt. Die ebenfalls begegnende Bezeichnung dieser Vorkirche mit dem Begriff „Galiläa“ verweist darauf, dass hier die Palmsonntagsprozession ihren Anfang nahm. Von hier aus zog man in den Kirchenraum – nach „Jerusalem“ – ein. h) Die Tür/das Portal Ein von der Umgebung durch eine Mauer abgesonderter Raumbereich bedarf einer Türöffnung. Das Vorhandensein und die Gestaltung der Tür zeigt an, dass sich dahinter ein anderer Raum auftut, dass eine Schwelle übertreten wird. Durch die Tür wird der Zutritt kontrolliert und gestaltet. Ein geschlossenes Portal macht den Zutritt unmöglich; zuerst muss das Portal geöffnet werden. Das Portal „spricht“ den eintretenden Menschen an. In der mittelalterlichen Literatur wird das Portal auf Christus bezogen. Christus ist durch die Menschwerdung auf die Schwelle zwischen Menschheit und Gott getreten; er ist die Tür („Ich bin die Tür. Wenn jemand durch mich eingeht, der wird gerettet werden“, Joh 10,9). Die Tür (ostium) hat zwei entgegengesetzte Funktionen: die auf das Paradies hinweisende (ostendere) und die das Paradies verwehrende (obsistere). In der Zeit der Romanik und der Gotik wurden wichtige Türen eines Kirchengebäudes architektonisch besonders herausgehoben. Die romanischen und die gotischen Türöffnungen waren meist schräg in die oft recht starke Mauer eingeschnitten, so dass u.U. eine mehrfache Abtreppung entstand, in die zunächst Gewändesäulen, dann auch Gewändefiguren eingestellt wurden. Die Türöffnung, später auch als Portal bezeichnet, kann in vier Zonen unterteilt werden: die Schwelle, das Gewände, den Türsturz, das (bogenförmige) Tympanon. Dieses sind auch die Bereiche, an denen Darstellungen angebracht sein können, die auf die Funktion des Portals Bezug nehmen – als Schmuck, als Ruf zur Aufmerksamkeit, als Einladung und Verheißung, als Abwehr. Dabei kann das Gewände eines Portals manchmal die Maße der eigentlichen Tür um das Doppelte übertreffen. Die Empfindung von Konzentration legt sich nahe. Das Tympanon und die Darstellung darauf ist das eigentliche Zentrum des Portals.

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Abb. 15: Portal, um 1230, ursprüngliches Westportal der Pfarrkirche St. Marien zu Freiberg (Sachsen).

Die Darstellung der Seligen, die ins Paradies aufgenommen werden, und der Verdammten, die der Hölle zugeführt werden (Jüngstes Gericht), im Zusammenhang mit dem wiederkommenden Christus als Weltenrichter (Majestas Domini). Diese Darstellung schärft den Ernst des Raumwechsels ein. Darstellungen der thronenden Maria,

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der Auferstehung bzw. der Himmelfahrt Christi sowie des Pfingstereignisses sind demgegenüber Verheißungen für künftiges Heil. Die Portale eines Kirchengebäudes konnten verschiedene Funktionen haben: Die Bezeichnung „Brautportal“ verweist darauf, dass im Mittelalter eine Ehe vor dem Kirchenportal in Gegenwart des Priesters geschlossen wurde. Die Bezeichnung „Gerichtsportal“ erinnert daran, dass vor diesem Kirchenportal Gericht gehalten wurde. Da die Immunität der weltlichen Gerichtsbarkeit entzogen war, wurden hier eigene Verfahren getätigt. Die großen Portalgestaltungen finden sich insbesondere in der Westfassade der Kathedralen und Stadtkirchen, bei Letzteren u.U. auch an einer besonderen Schauseite. Bei den Klosterkirchen wurde von den Zisterziensern Schmuckaufwand, damit auch eine entsprechende Portalgestaltung abgelehnt. Der Zugang zur Kirche für die Mönche erfolgte durch eine seitliche Tür. i) Die Kirchenfenster Kirchenfenster und Maueröffnungen ermöglichen den Lichteinfall in das Kirchengebäude. Die Fensteröffnungen wurden – den Portalen vergleichbar – abgeschrägt in die Wand eingefügt und durch die zarte Scheidewand aus farbigem Glas verschlossen. Die Fenster versperren damit zugleich den Blick nach draußen; sie gaben den Menschen drinnen das Gefühl, in einem abgeschlossenen Raum zu sein. Nach der mittelalterlichen Literatur sind die Fenster wie die heiligen Schriften zu verstehen. Alles Schädliche wird durch sie ferngehalten; die Klarheit und Wärme des Sonnenlichtes der göttlichen Gnade aber senken sie in die Seelen der Gläubigen.78 j) Die Säulen (und Pfeiler) Das Urbild der Säule ist der Baum, der die Verbindung zwischen Irdischem und Himmlischem symbolisieren kann. In einem Kirchengebäude stützen Säulen die Obergadenwände, oder aber sie tragen direkt die Gewölbe; zugleich leiten sie den Blick des Betrachters in die Höhe. In mittelalterlichen Kirchengebäuden personifizieren die Stützen die Apostel, die „die Kirche“ tragen. So wurden Pfeiler mit Apostelfresken oder -statuen versehen (Trier, Liebfrauenkirche). Abgeleitet wurde eine solche Auffassung von Bibelworten: „… Jakobus und Kephas und Johannes, die für Säulen angesehen werden“ (Gal 2,9); „Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes“ (Offb 3,12). Häufig werden auch die Apostel „als Stützen der Kirche“ mit den Artikeln des Glaubensbekenntnisses verbunden. Hier steht die Zwölfzahl sowohl der Apostel als auch der Artikel des Bekenntnisses im Vordergrund. An den Basen, v. a. aber an den Kapitellen der Säulen finden sich häufig Darstellungen von Dämonen, Monstern und teuflischen Wesen. Ihre Darstellung hier hat apotropäische Bedeutung. Durch seine Darstellung wird der Bedroher und damit seine

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Macht fixiert und eingegrenzt; die potentielle Macht des Bedrohers wird durch die Verbindung seiner Darstellung mit einem tragenden Bauelement gleichsam in Dienst genommen. k) Die Kapelle Kapelle (von lat.: cappa = Mantel) war ursprünglich die Bezeichnung für den Raum des fränkischen Königspalastes in Paris, in dem das Mönchskleid des heiligen Martin von Tours aufbewahrt und verehrt wurde. Die Bezeichnung wurde dann für alle anderen kleinen Bet- und Andachtsräume innerhalb von Palästen gebraucht. Später wurden auch kleinere christliche Sakralbauten, die kirchenrechtlich aber unselbständig blieben, als Kapellen bezeichnet. Auch an und in vorhandenen Kirchengebäuden eingerichtete Nischen mit einem Altar und/oder einer Grablege, gestiftet von Einzelpersonen, Familien, Zünften, Gilden u.Ä., werden mit dem Begriff „Kapelle“ bezeichnet. l) Die Emporen In Nonnenklöstern war die Westempore den Nonnen vorbehalten. In Damenstiftskirchen war die Empore (von mhd.: enbor(e) = in die Höhe) über dem Südquerschiff den Kanonissen zugewiesen. Die Funktion der übrigen Emporen in der Zeit der Romanik und der Gotik ist nur annäherungsweise zu erschließen. Immer sind sie auch ein Mittel der architektonischen Gestaltung. Die Annahme liegt nahe, dass so auch der Raum für die Errichtung von Nebenaltären noch erweitert werden konnte. m) Der Laufgang (Triforium) „Das Triforium ist ein in der Mauerdicke ausgesparter Laufgang zwischen den Arkaden oder der Empore und der Fensterzone einer Basilika in Höhe der Seitenschiffpultdächer und ist zum Mittelschiff in Arkaden oder Maßwerk geöffnet.“79 Der Laufgang dient vornehmlich dem Zugang der Obergadenfenster; er kann im Langhaus, im Querschiff und auch im Chor begegnen. Ein in Mauerdicke angebrachter Laufgang in Höhe der Dachtraufe in der Außenmauer romanischer Kirchen, versehen mit von kleinen Säulen getragenen Arkaden, wird als Zwerggalerie bezeichnet (Schwarzrheindorf b. Bonn, Doppelkapelle). Triforium innen und Zwerggalerie außen stellen im ästhetischen Sinn ein horizontales Gliederungsmotiv, die Auflockerung massiver Wandflächen dar.

3.2 Der Kirchenraum und seine Ausstattung Der Kirchenraum eines mittelalterlichen Kirchengebäudes war – entgegen dem Eindruck des heutigen Besuchers – nicht primär für die Mitfeier eines liturgischen Gottesdienstes konzipiert. Vor allem gab es in den Kirchenräumen des Mittelalters keine kompakten Gestühlblöcke. Vielmehr standen bei der Gestaltung des Kirchenraums immer symbolische Bezüge im Vordergrund. Einige solcher Bezüge wurden regelmä-

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ßig in Prozessionen zu besonderen Festen (v. a. in der Woche vor Ostern) zur Darstellung gebracht. a) Der Altar Im Kirchenraum erscheint dem heutigen Besucher der Altar als das zentrale Ausstattungsstück, das besonders hervorgehoben und dem gegenüber ein besonderes Verhalten nahegelegt wird. Für die Entwicklung des Altars (von lat.: altare/adolere = verbrennen) in der christlichen Kirche war die Verbindung von Altar und Heiligengrab konstitutiv. Durch die Bergung von Reliquien und ihre Fassung in Reliquiaren war ihre Translation möglich geworden. Die Reliquie in einem Altar schuf die konstitutive Verbindung von Altar und Heiligengrab, auch in räumlicher Distanz zum originären Ort des Heiligengrabes. Seit Ende des 6. Jahrhunderts war für jedes Kirchengebäude ein stationärer Altar aus Stein und die Bergung von Reliquien darin vorgeschrieben. Der stationäre Altar aus Stein besteht aus der Altarplatte (mensa) und dem Plattenträger (stipes); er war als Kasten- oder Blockaltar gestaltet und vom Grundriss her rechteckig. Der Altar aus Stein symbolisiert nach alter Auffassung Christus. Dahinter steht vielleicht die Bezeichnung Christi als Fels (1 Kor 10,4: „sie tranken aber von dem geistlichen Fels … welcher war Christus“). Die mittelalterliche Literatur erklärt das Material Stein: Typoi für den Christus symbolisierenden Altar aus Stein sind die von den Erzvätern zum Altar aufgeschütteten Steine (Ex 20,25: „Wenn du mir einen steinernen Altar machen willst, sollst du ihn nicht von behauenen Steinen bauen“).80 Bei der Weihe des Altars wurden auf der Mensa fünf Weihekreuze angebracht: „Die vier Kreuze an den vier Ecken zeigen, dass die vier Weltteile durch Christi Opfertod erlöst worden sind, das fünfte Kreuz in der Mitte aber, dass dieser Opfertod mitten in der Welt, in Jerusalem, statthatte“;81 die fünf Kreuze können aber auch auf die fünf Wundmale Christi bezogen werden. Seit dem 8. Jahrhundert werden die Heiligen, deren Anwesenheit die Reliquien im Altar verbürgen sollen, auf diesem bildlich dargestellt. Reliquienschreine und Reliquiare geben den Reliquien eine kostbare Fassung. Reliquiare fanden ihre Aufstellung in dem Retabel (= Rückwand), das auf dem rückwärtigen Teil der Mensa aufgesetzt war. Mit dem Retabelaltar war die Ortsanweisung für den Altar hin zu dem Raumabschluss (Chorschluss bzw. Chorumgang) verbunden. Im Verlauf des Mittelalters trat an die Stelle der Reliquiare im Altarretabel die bildliche Darstellung des Heilshandelns Christi und sein Fortwirken in den Heiligen. Seit dem 15. Jahrhundert gibt es den mehrteiligen Retabelaltar entweder als Diptychon mit zwei Flügeln ohne Mittelteil oder als Triptychon mit zwei Flügeln und einem Mittelteil. Das schrankartige Mittelstück (Altarschrein) und die Innenseiten der Flügel sind häufig mit Schnitzwerk versehen; die Rückseiten von Schrein und Flügeln sind stets nur bemalt. Daneben finden sich auch ausschließlich gemalte Darstellungen auf der Schau-

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Abb. 16: Wandelaltar, 1. Hälfte 15. Jahrhundert, Hochaltar der Kirche zum Heiligen Kreuz in Rostock (ehem. Zisterzienserinnen-Klosterkirche).

seite. Ein Flügelaltar kann mehrere Flügelpaare haben und, entsprechend der Kirchenjahreszeit, wandelbare Ansichten zeigen (Wandelaltar). Den Übergang vom Altartisch zum Schrein vermittelt ein kastenförmiger Untersatz (Predella), dessen Vorderseite auch mit Darstellungen versehen ist. Den Gesamteindruck prägend ist das symbolische Verständnis des Altars als Christus selbst. Stufen, die zum Altar hinaufführen, sind deshalb als Zeichen der Ehrerbietung zu interpretieren. Ebenso als Ausdruck der Verehrung wurde der Altar deshalb gemäß dem biblischen Typos (1 Kön 6,22: „Er überzog den ganzen Altar vor dem Chorraum mit Gold“) mit kostbaren Materialien bekleidet. Seine Schauseite ist oft mit einem (auswechselbaren) Bildwerk, dem Antependium, aus Stein, Metall oder Textilien geschmückt. Für den mittelalterlichen Kirchenraum ist das Vorhandensein mehrerer Altäre in einer Kirche kennzeichnend. Die Altäre wurden nach Würde und Funktion unterschieden. aa) Der Hochaltar Der Altar, der seinen Ort zunächst im Zentrum des Chores, dann in dessen Scheitelpunkt, also am hinteren Abschluss des Chorraums hatte, wird Hochaltar (altare prin-

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cipale) genannt. Der Hochaltar war wohl in der Regel dem Patron der Kirche geweiht. Durch den Aufstellungsort im Chor der Kirche hatten zu ihm nur Kleriker Zugang. Der Hochaltar repräsentiert Christus. ab) Nebenaltäre Nebenaltäre (altaria minora) wurden errichtet und geweiht, um dem Bedürfnis nach häufigen Messfeiern zu entsprechen; hierbei handelte es sich in der Regel um Altarstiftungen von Privatpersonen. Die Nebenaltäre fanden im Laienraum Aufstellung. Daneben war auch die Ermöglichung von Stationen für eine Prozession ein Motiv für die Errichtung von Nebenaltären. ac) Der Kreuzaltar Unter den Nebenaltären war der Kreuzaltar (altare s. crucis) der wichtigste. Er hat seinen Ort im Hauptschiff der Kirche, in der Regel vor der Westseite des Lettners. In karolingischer Zeit wurde die Aufstellung eines „Altars des Kreuzes“ in der Mitte des Kirchenraums eingeführt. Dem lag der Gedanke von Golgatha als Mitte der Welt, repräsentiert in der Grabeskirche zu Jerusalem, zugrunde. In Richtung Osten schlossen der Ambo und die Begrenzung des Chorraums (Lettner) an. Der Kreuzaltar an seinem Standort markiert die „Mitte“ des Kirchengebäudes. Im Zusammenhang der Stationsgottesdienste war dies für die Prozession die Station „Golgatha“ (symbolisch für den Golgathafelsen in Jerusalem oder für die Kirche S. Croce in Gerusalemme in Rom). Der Zusammenhang von Kreuzaltar und Kreuzigungsdarstellung trat erst sekundär dazu, wurde dann jedoch konstitutiv: Der Kreuzaltar rückte immer weiter Richtung Osten bis vor den Lettner. Hier kam es dann zur Zuordnung von Altar und dem darüber angebrachten Triumphkreuz. Der Ort des Kreuzaltars im Laienhaus und seine spezifische Gestaltung ließen den Kreuzaltar zum Ort der Kommunionspendung an die Laien werden; die Teilnahme an der Kommunion einmal im Jahr war im Mittelalter verpflichtend gemacht worden. Erst von diesem Entwicklungsstand her trägt der Kreuzaltar auch die Bezeichnung Volks- oder Laienaltar zu Recht. b) Das Triumphkreuz Das Triumphkreuz (crux triumphalis) hat seinen Ort an der Nahtstelle zwischen Chor und Laienhaus, also über dem Lettner und über dem Kreuzaltar.82 Es ist entweder auf einen Querbalken montiert oder hängend angebracht. Seine Bezeichnung ist von dem am Kreuz errungenen Triumph Christi abgeleitet. Neben dem Kreuz können Maria und der Jünger Johannes dargestellt sein. An den Kreuzenden sind oft die Symbole der Evangelisten zu erkennen. Seit dem 14. Jahrhundert ist das Triumphkreuz als „Baum des Lebens“ charakterisiert (Bad Doberan).

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Abb. 17: Tabernakel in Turmform, Ende 15. Jahrhundert, Dorfkirche Granzin (Mecklenburg).

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c) Das Tabernakel Tabernakel (von lat.: tabernaculum = Zelt) ist die Bezeichnung für die Gefäße zur Aufbewahrung der konsekrierten Hostie. Tabernakel bezeichnet im Alten Testament das Zelt zur Aufbewahrung der Bundeslade (Ex 26,7; 2 Sam 6,17: „Als sie die Lade des Herrn hineinbrachten, stellten sie sie an ihren Platz mitten in dem Zelt, das David für sie aufgeschlagen hatte“). Dieses Zelt konnte auch als Wohnung Gottes bezeichnet werden. Die konsekrierte Hostie wurde im Mittelalter zunächst in einer Büchse (pyxis) aufbewahrt. Die pyxis fand zuerst auf dem Altar ihre Aufstellung, dann in vergitterten und gemauerten Wandschränken im Chorraum, aber auch in der Sakristei. Die zunehmende SakramentsfrömAbb. 18: Tabernakel, 14. Jahrhundert, Tür eines migkeit, die sich im 13. Jahrhundert Sakramentsschranks in der Ostwand des Chores in einer ehrfurchtsvollen alleinigen der Dorfkirche Petschow (Mecklenburg). „Kommunion mit den Augen“ ausdrückte, führte schließlich zur Herausbildung eines eigenen turmartigen Sakramentshauses. „Ein unter die Arkade des Chorumgangs oder gar in den Chorbereich verpflanzter, freistehender und von einer turmartigen Architektur erhöhter Sakramentsschrein wirkte … wie ein Zeigegestus“,83 die Realpräsenz Christi im Kirchenraum sichtbar proklamierend. In der mittelalterlichen Literatur wird der Turm als Symbol für das Felsengrab Christi beschrieben; das Grab Christi wurde als ein Typus für das Tabernakel gesehen.84 Das Zelt der Bundeslade, das Grab Christi und das Tabernakel wurden in der Deutung aufeinander bezogen: So wie nach der wunderbaren Speisung in der Wüste durch Wachteln und Manna im Zelt vor der Lade der Krug mit dem überzähligen Manna aufgestellt wurde (Ex 16,34), so werde im Tabernakel – gleichsam im Grab Christi – die pyxis mit dem eucharistischen Brot aufbewahrt. d) Die Kanzel In Kirchenräumen aus vergangenen Jahrhunderten ist die Kanzel als ein herausgehobener Ort für eine mündliche Rede deutlich erkennbar. Die öffentliche mündliche

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Auslegung von Bibeltexten, die Predigt, gehörte zur Praxis der christlichen Gemeinde von Anfang an konstitutiv dazu. Die Predigt war nicht zu allen Zeiten obligatorischer Bestandteil der Messfeier. In karolingischer Zeit wurde die Predigt als Recht und Amt der Bischöfe und ihrer Kleriker eingeschärft. Einen Aufschwung erhielt die Predigt in der Volkssprache durch die Bettelorden im 13. Jahrhundert und das ihnen zugestandene Recht, zu predigen. Um die Konkurrenz zwischen Pfarrkirche und Bettelordenskirche zu entschärfen, kam es zur Festlegung unterschiedlicher Zeiten für Messfeiern und für Predigten; der Zusammenhang von Messgottesdienst und Predigt wurde aufgelöst. In diesem Zusammenhang wurde der Ort, von dem aus gepredigt wurde, zu einem eigenständigen, vom Chorraum getrennten Objekt. Seitdem kann berechtigterweise von „Kanzel“ (von lat.: cancelli = Altarschranken mit Lesepult) gesprochen werden.85 Insbesondere in den Städten wurde die Predigttätigkeit zunehmend geschätzt. So kam es zur Stiftung von Prädikatur-Pfründen in vielen Stadt-Pfarrkirchen. Die ersten Prädikaturen waren im frühen 15. Jahrhundert gestiftet worden; ihre Zahl wuchs schnell und erreichte kurz vor der Reformation ihren Höhepunkt. Prädikatur-Stiftungen sollten die Regelmäßigkeit und die Qualität der Predigten gewährleisten. Der Inhaber einer Prädikatur musste Priester sein und sollte ein Universitätsstudium vorweisen können; er war zu etwa 100 Predigten im Jahr verpflichtet. Der Prädikant hatte nicht das Recht, die Messe am Hochaltar zu lesen; ihm war allenfalls einer der Nebenaltäre zugewiesen. Dieser Umstand führte dazu, dass die gesamte Liturgie des Predigtgottesdienstes vom Predigtort aus gehalten werden musste. Zunächst hat ein transportables Pultgestell im Seitenschiff als Predigtort gedient. Die wachsende Wertschätzung der Predigt wird den Ausschlag dafür gegeben haben, nicht allein Prädikaturen, sondern auch repräsentative Predigtorte (Kanzeln) zu stiften. Die Zahl der Prädikaturen scheint im norddeutschen Bereich geringer als in Süddeutschland gewesen zu sein. Die frühesten Kanzeln stammen aus der Zeit der Gotik. Als Material wurde vorwiegend Holz, dann aber auch Stein verwendet. Der Kanzelkorb ist häufig mit Bildern der Evangelisten versehen, manchmal ergänzt durch eine Christusdarstellung. Es finden sich auch Darstellungen der großen Prediger der Kirche, der Doctores Ecclesiae, Hieronymus, Gregor, Augustinus, Ambrosius oder auch anderer Heiliger. e) Der Ambo Der Begriff Ambo (von griech.: anabainein = hinaufsteigen) bezeichnet den erhöhten, durch Stufen zugänglichen Platz, von dem aus die gottesdienstlichen Lesungen vorgetragen werden. Seine Brüstung ist mit einem Pult versehen. In der mittelalterlichen Literatur wird der Ambo mit dem Berg in Verbindung gebracht, auf dem Christus gepredigt hatte (Stufen hinauf auf der Südseite, wo Christus aus Bethesda nach Jerusalem kam; der Abstieg auf der Nordseite).86 In manchen Kirchen finden sich zwei Ambonen bzw. zusätzlich zu dem Ambo ein Lesepult. Vom Pult in der Südseite wurde die Epistel, von dem in der Nordseite das

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Evangelium gelesen. Die jeweiligen zwei Lesungen (jeweils aus den Briefen und den Evangelien des Neuen Testaments) für jeden Sonntag und jeden Feiertag sind durch die Jahrhunderte hindurch bis in die Gegenwart beinahe unverändert geblieben. Der Ort der Evangelienlesung wurde häufig als Zeichen der höheren Wertschätzung durch eine besondere Gestaltung hervorgehoben. Seit dem 12. Jahrhundert sind die Ständer der Pulte als Figuren gestaltet. Eine eigene Gruppe stellen die sogenannten Adlerpulte dar; der Adler verweist auf den Evangelisten Johannes. f) Der Taufstein Die Taufe (von ahd.: toufan = tief machen; ein- oder untertauchen; griech.: baptizein = eintauchen) ist von ihrem Grundverständnis her ein Bekehrungsritus. Der Mensch ist nicht als Christ geboren, sondern er wird Christ. Symbolisiert ist das im Vollzug der Taufe Abb. 19: Tauffünte aus Bronze mit hohem Deckel, mit Wasser: die Taufe als Waschung, 1290, Pfarrkirche St. Marien in Rostock. welche die Befreiung von allen Sünden anzeigt und so den Beginn des Christenlebens markiert. Den Dämonen und ihrer Macht wird abgesagt; der getaufte Mensch gehört zu Christus. Mit Ausnahme der Taufe von missionierten Stämmen hatte sich im Mittelalter weithin die Praxis der Kindertaufe durchgesetzt. Sie wurde in Form des Begießens (in fusio) oder des Besprengens (aspersio) des Täuflings mit dem Taufwasser vollzogen. Im Mittelalter wurden die Kinder am zweiten Lebenstag getauft. Bis in das 10.Jahrhundert hinein gab es nur Taufbecken aus Holz in Form von Bottichen. Hierin wurde die Taufe durch Untertauchen (immersio) oder durch Begießen des Täuflings vollzogen. Seitdem wurde an steinernen Taufbecken getauft. Diese sind häufig mit Ornamenten geschmückt, teilweise auch mit Darstellungen dämonischer Wesen versehen. Dann finden sich auch Symbole des Christentums. Seit dem 12. Jahrhundert begegnen figürliche Gestaltungen der Überwindung des Bösen in der Taufe. Seit 1200 wurden viele Taufbecken aus Metall, vornehmlich aus Bronze hergestellt. Polygonale Grundformen des Taufbeckens als Sechseck, Achteck, Zwölfeck hatten ihre Grundlage in der christlichen Zahlensymbolik. „Die Sechs steht für die Kreuzi-

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gung Christi am sechsten Tag der Woche und für die Werke der Barmherzigkeit, die Acht für seine Auferstehung am achten Tage und die Seligpreisungen der Bergpredigt (in der Verdoppelung 16), die Zwölf sowohl für die Propheten des Alten Testaments als auch für die Apostel sowie für die Tore des Himmlischen Jerusalems (Offenbarung 21,9–14).“87 Die mittelalterlichen Taufbecken wurden auch mit Symbolen und Darstellungen der Heilsgeschichte versehen. Insbesondere die Bronzefünten sind sehr reich gestaltet. Bevorzugt sind Bilder aus der Passionsgeschichte dargestellt; ferner finden sich typologische Bezüge zu biblischen Erzählungen, in denen das Element Wasser wichtig ist: Errettungsgeschichten – u. a. die Arche Noah (Gen 6–8), der Durchzug der Israeliten durch das Schilfmeer (Ex 14,21 f.) – bzw. Wundergeschichten, wie das Wasserwunder des Mose (Ex 17,6) und der Strom aus dem Tempel (Ez 47,1–12). Häufig sind Vierergruppen in das Gestaltungsprogramm einbezogen: vier Paradiesströme, vier Kardinaltugenden, vier große Propheten, vier Evangelisten. Die wichtigsten Funktionen des Taufbeckens in der mittelalterlichen Kirche waren die Aufbewahrung und der Schutz des Taufwassers. Das Taufwasser wurde in der Osternacht geweiht und musste dann das Jahr über aufbewahrt werden, um für Taufen zur Verfügung zu stehen.88 Von daher ergaben sich Anforderungen an die Größe und die Form des Taufbeckens. Ferner musste der Taufstein sicher verschließbar sein, sowohl um vor Verunreinigung zu schützen, als auch um eine unberechtigte Entnahme geweihten Wassers zu magischen Handlungen zu verhindern. Es kann davon ausgegangen werden, dass alle Taufsteine mit einem schweren Deckel verschlossen werden konnten. Der Standort des Taufbeckens im mittelalterlichen Kirchengebäude war nicht festgelegt. Seine Aufstellung im Eingangsbereich konnte symbolisch auf den Beginn des christlichen Lebensweges bezogen werden. g) Sakrarium Hinter dem Altar bzw. auch neben dem Taufstein oder aber in der Sakristei kann sich eine verschließbare Öffnung im Boden befinden, ein Sakrarium. Diese Öffnung diente zum Aufnehmen des verbrauchten Taufwassers. h) Plastische Bildwerke Im mittelalterlichen Kirchenraum fanden neben der Altargestaltung und dem Tri umphkreuz noch weitere plastische Bildwerke ihren Platz – insbesondere Darstellungen Christi sowie Mariendarstellungen, Bilder der (zwölf bzw. vierzehn) Apostel, der vier Evangelisten, der Propheten des Alten Testaments, der vier Kirchenväter und weiterer Heiliger. i) Die Ausmalung des Kirchenraums Der mittelalterliche Kirchenbau war ein Gesamtkunstwerk. Die Architektur und Bauplastik erfuhr erst durch die farbige Fassung, durch die Ausstattung der Wände und

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Gewölbe mit Malereien, ihre Bedeutung und z. T. auch Ausdeutung. Angesichts der heute meist einfarbig und nüchtern erscheinenden romanischen Kirchen fällt die Vorstellung schwer, dass diese Kirchenräume mit ihrer ursprünglichen Ausmalung in wahrhaft byzantinischer Pracht erstrahlten. Im Bedeutungszentrum des mittelalterlichen Kirchenraums, im Umkreis des Hochaltars, in der Hauptapsis und im Chorraum wurden die wichtigsten Personifikationen der Glaubenslehre angebracht. In der Apsis erscheint Christus als Weltenherrscher oder Maria als Himmelskönigin. Darstellungen der Evangelisten, Apostel und Propheten konnten sich anschließen. Im Langhaus befanden sich Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament, Heiligen- und Stifterdarstellungen. Im Westen waren Darstellungen des Endgerichts zu finden. Neben figürlichen Darstellungen fanden sich viele ornamentale und pflanzliche Darstellungen, gerade auch in den Gewölben. Insgesamt begegnet ein ungeheurer Reichtum von Bildern, der sich auf Grundlage nur der überkommenen Reste kaum systematisieren lässt. j) Glasmalerei Glasmalereien besitzen eine praktische und eine spirituelle Dimension. Zur ersteren zählt der Abschluss der Wandöffnung nach außen und die Wirkung als Lichtquelle. Glasmalereien sollten mit ihren leuchtenden Bildern aber auch den Menschen die Botschaft der Bibel verkünden und ihnen die Taten der Heiligen vor Augen führen. Diese angestrebte Wirkung und ihre aufwendige und kostspielige Herstellung machte Glasmalereien von Beginn an zu Objekten von Stiftungen. Glasmalereien sind nicht durchsichtig und wirken daher als gleichsam anders gestaltete Wandfläche. Während sie in romanischen Kirchengebäuden wie Edelsteine in den massiven Mauerflächen aufleuchten, erlangt ihre Bedeutung in Kirchengebäuden der Gotik einen Höhepunkt, weil die wachsende Größe der Fenster ihren flächenmäßigen Anteil an der Raumschale enorm steigern. k) Spolien Von Spolien (von lat.: spolia = Beute) wird gesprochen, wenn Kunstwerke und Bau teile als Zeichen der Legitimation der jeweiligen Herrschaft, ihres Kontinuitäts- und Geltungsanspruchs benutzt werden. So ließ Karl der Große für die Pfalzkapelle in Aachen Marmorsäulen und Kapitelle aus Ravenna herbeischaffen. Auf diese Weise wurde der Anspruch einer Kontinuität mit dem oströmischen Kaisertum dargestellt. Auch in den Magdeburger Dom wurden antike Säulen einbezogen. l) Grabmale im Kirchenraum Ein Begräbnis im Kirchenraum war in karolingischer Zeit untersagt. Aber für Bischöfe und Äbte, für würdige Priester und für die Herrscherfamilien galt dies nicht. Das ganze Mittelalter hindurch kam dem Adelsgrab in der Kirche ein Vorrang zu. Weiterhin galt dies natürlich auch für die Bischöfe und Äbte. Seit dem 13. Jahrhundert durften sich

3. Symbolik und Ausstattung

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Abb. 20: Leuchterkrone, 1061, Dom zu Hildesheim.

auch Laien in der Pfarrkirche bestatten lassen, sofern sie einen Altar oder eine Kapelle gestiftet hatten. Das Motiv für eine Beisetzung in der Kirche war insbesondere die Nähe zu den dort vorhandenen Gräbern der Märtyrer (in Gestalt der Reliquien) sowie die Vorstellung von der Gegenwart der Verstorbenen bei der Zelebration der für ihr Seelenheil gestifteten Messen. Als zumeist vorkommende Form des Grabes findet sich in mittelalterlichen Kirchen die aus Stein oder Bronze bestehende Grabplatte, die über einem in den Fußboden der Kirche eingelassenen Grab oder auf einer Tumba liegt. Seit dem 13. Jahrhundert wird dabei das Bild des bzw. der Verstorbenen individuell gestaltet. Im 14. Jahrhundert kam das Epitaph auf, ein Erinnerungsbild an die verstorbene Person, das im Kirchenraum angebracht wurde. Dargestellt ist ein heilsgeschichtliches Motiv, verbunden mit einer kleineren, verehrenden Darstellung des bzw. der Verstorbenen und der „Empfehlung“ durch einen Heiligen. Die frühen Epitaphe waren aus Stein gefertigt. m) Das Kirchengestühl Von Kirchenstühlen im Kirchenraum berichten Quellen seit dem frühen 14. Jahrhundert. Dabei handelte es sich nicht um Bänke, sondern um jeweils aufgestellte „geschlossene Kastengestühle, teils als Stand-, teils als Kniegestühl ausgebildet“ 89. A. S. Piccolomini beschreibt in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Kastengestühle

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III. Kirchengebäude im Mittelalter

der vornehmen Damen im Basler Münster: Jede Dame „läßt sich ihr Häuschen nach Rang und Würde so bauen, daß bei den Adligen die Wände höher aufragen als bei den Bürgersleuten“90. Es handelte sich hier also nicht um Gemeindegestühle, sondern es waren Eigentumsgestühle der Zünfte, von Patriziern und Adligen bzw. Amtsstühle der Magistrate und Obrigkeiten. Diese Gestühle orientierten sich weder am Hauptaltar, noch an der Kanzel; sie standen vielmehr in enger Verbindung mit den von ihren Besitzern gestifteten Kapellen oder Altären.91 n) Leuchter Leuchter wurden und werden in gottesdienstlichen Räumen zu praktischen (Beleuchtung) und zu liturgischen Zwecken verwandt. In mittelalterlichen Kirchen haben sich besonders gestaltete Leuchter erhalten. Hervorzuheben sind die Leuchter für die Osterkerze. Die Osterkerze wird am Ostermorgen entzündet und brennt zu den Gottesdiensten bis zum Himmelfahrtstag; ihr Licht symbolisiert die irdische Gegenwart des auferstandenen Christus bis zu seiner Himmelfahrt. In manchen Kirchen haben sich große Radleuchter aus dem Frühmittelalter erhalten (u. a. in Aachen, Dom; Hildesheim, Dom). Ein solcher Leuchter wurde über dem Kreuzaltar angebracht, als Symbol für die Gegenwart Christi in der Messe. Aufgrund seiner Gestaltung wurde er als Abbild des himmlischen Jerusalem verstanden. Für die Tradition der Aufstellung siebenarmiger Leuchter in christlichen Kirchen lassen sich mehrere Traditionen anführen. Wesentlich aber dürfte das Bestreben gewesen sein, mit dem siebenarmigen Leuchter als Bestandteil sowohl des Stiftszeltes als auch des zweiten Tempels die typologische Beziehung zwischen Jerusalemer Tempel und Kirchengebäude, zwischen dem Allerheiligsten im Tempel und dem Altarraum der christlichen Kirche darzustellen.

4. Stadttopographie und Kirchengebäude Mittelalterliche Stadtansichten zeigen die Bedeutung, die den Kirchengebäuden für das Selbstverständnis der Städte zugemessen wurde. Damit ist aber noch kaum etwas über die Lage der Kirchen im baulichen bzw. auch im kulturellen Zusammenhang der Stadt ausgesagt.

4.1 Die topographische Lage der Kirchengebäude Sehr frühe Kirchenbauten sind in der Regel auf einer leichten Erhebung innerhalb einer Ortslage gegründet. Die Gründe hierfür können vielschichtig sein. Hinzuweisen ist auf die aus der Religionsphänomenologie bekannte symbolische Bedeutung: Die

4. Stadttopographie und Kirchengebäude

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Lage auf einer Erhöhung kann Ausdruck der Empfindung sein, dem Himmlischen näher und dem Irdischen ferner zu sein. Zudem ist auch die Absicht, sowohl die Ansiedlung als auch die natürliche Landschaft durch herausgehobene Kirchenbauten religiös zu überformen, in Betracht zu ziehen. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Funktion von Kirche und Kirchturm als Orientierungszeichen (Landmarke). Aber auch ganz pragmatische Gründe für die Ortswahl, Schutz vor Überschwemmungen oder die Stabilität des Fundaments, können angenommen werden.

4.2 Die Kirchtürme und die Glocken Die Bedeutung der Kirchtürme scheint mehr in funktionalen und repräsentativen Zielen begründet zu sein denn in religiösen. Kirchtürme dominierten das Aufrissbild der Städte. Sie scheinen von Anfang an auf Fernwirkung angelegt gewesen zu sein; im engen Gefüge der mittelalterlichen Stadt bestand keine Möglichkeit, sie als Ganzes wahrzunehmen. Jedoch sind zahlreiche ambitiöse Turmprojekte Fragmente geblieben, die erst im 19. Jahrhundert vollendet worden sind. Der Kirchturm wurde mit einem Turmhahn bekrönt, dem Symbol der Wachsamkeit. Die Vieltürmigkeit der romanischen Stiftskirchen und Dome mochte den Eindruck einer heraldisch stilisierten Gottesstadt oder Gottesburg nahelegen, ein irdisches Abbild des himmlischen Jerusalem. In der Gotik herrschte in Frankreich die Doppelturmfassade vor, im deutschen Reich wurde ein Turm im Westen bevorzugt. In vielen Fällen hatte der massive Turm auch die Funktion einer Wehranlage, die Menschen Schutz gewährte. Aber auch von ganz profaner Nutzung der Kirchtürme als Speicher berichten mittelalterliche Quellen. Zisterzienser und die Bettelorden verzichteten bei ihren Klosterkirchen auf Türme, die als Ausdruck von Prachtentfaltung gesehen wurden. Insbesondere die Funktion der Kirchtürme als Glockenträger war von großer Bedeutung.92 Seit dem 8. Jahrhundert wurden Glocken geläutet, um Geistlichkeit und Kirchenvolk zur Kirche zu rufen. Während des Gottesdienstes wurde zum Vater-unserGebet geläutet, um die Nichtanwesenden zum Mitbeten aufzufordern. Jedes Läuten war im Mittelalter Aufruf zur Unterbrechung, zum Gebet. Aber mit den religiösen wurden auch ganz praktische Zwecke verbunden: Seit dem 11. Jahrhundert gab es das tägliche Morgenläuten. Damit wurde der Tag den Menschen zur Arbeit freigegeben. Das mittägliche Läuten zeigte den Beginn der Mittagspause an. Die Abendglocke war rechtlich gültiges Kennzeichen für den Beginn der Nacht; die Tore wurden geschlossen und in der Stadt herrschte das Arbeits-, Feuer-, Schank-, Spiel- und Tanzverbot. Aber das Glockengeläut machte auch Mitteilung vom Tod eines Gemeindegliedes oder auch von der Taufe eines Kindes und forderte zum Gebetsgedenken auf. Das Versagen solchen Geläuts bedeutete einen Akt sozialer Missbilligung. Schließlich wurden mit dem Glockengeläut auch apotropäische Erwartungen verbunden und etwa das Glockenläuten bei Unwetter und Gewitter als „Geisterscheuche“ verstanden.

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4.3 Die Immunität Für das Mittelalter ist die Auffassung von der Heiligkeit und Unantastbarkeit kirchlicher Gebäude (Immunität) grundlegend. Um diese zu gewährleisten, wurde jedes Kirchengebäude von einer umgrenzten Fläche umgeben und so aus der Umgebung ausgesondert. Dieser Bereich wurde zuerst mit einer Mauer eingefasst. Die erst später errichtete Stadtmauer umfasste dann oft mehrere Immunitätsbezirke und die übrige Stadtbebauung. Es war allgemeine Auffassung, dass ein umzäunter Bereich besonderen Schutz und Frieden genieße. So wurde die lokale Immunität auch bald ‚Friedhof‘ (von ahd. vriten = hegen, schonen) genannt. Die Ausdehnung des Friedhofs war nicht festgelegt; beispielsweise spricht eine Quelle von sechzig Fuß rund um das Kirchengebäude. Der engere Bereich um die Kirche galt als unantastbar, nicht nur als umgrenzter Friedhof, sondern auch als „geheiligter Umkreis“, der durch den Bischof geweiht wurde. Innerhalb dieses Bereiches durfte kein Laie oder Verheirateter wohnen; so fanden sich hier nur die Klostergebäude sowie die Kurien der Kanoniker bzw. Kanonissen und, bei der städtischen Pfarrkirche, das Haus für den Pfarrer. Der verbreitete Wunsch, „ad sanctos“ bestattet zu werden, führte dazu, dass ein Bereich des Friedhofs als Begräbnisstätte genutzt wurde (Kirchhof). Seit dem 8. Jahrhundert mussten Bestattungen ausschließlich bei Kirchgebäuden erfolgen. Im Spätmittelalter machte die hohe Zahl von Seuchenopfern es notwendig, diese außerhalb der Stadt auf einem Kirchhof zu bestatten. Im römischen Recht meinte immunitas die Befreiung von öffentlichen Lasten. In diesem Sinne bedeutete Immunität nicht allein den Schutz nach außen, sondern schloss auch die Befreiung von allen öffentlichen Lasten sowohl hinsichtlich der Gebäude, der Liegenschaften und der geistlichen Personen im Bereich der lokalen Immunität ein. Die innerhalb der lokalen Immunität lebenden Personen waren der weltlichen Gerichtsbarkeit entzogen. Der Friedhof war Asylort.

5. Kirchengebäude und Synagoge in der mittelalterlichen Stadt Für die mittelalterliche Stadt kann ein dem christlichen Kirchengebäude und seiner symbolischen wie praktischen Bedeutung vergleichbares Bauwerk nur in der Synagoge als eigenständigem Bauwerk gesehen werden. Synagogen waren die einzigen monumentalen Symbole für eine andere Religion außerhalb des Christentums. Das Synagogengebäude im Judenviertel einer mittelalterlichen Stadt war für Juden wie für Nichtjuden sichtbarer Ausdruck der Existenz einer jüdischen, also einer nichtchristlichen Gemeinde. Dass es in der Gegenwart in Deutschland kaum alte Synagogen gibt, sondern lediglich wiederaufgebaute und dann wiederum moderne Synagogenbauten, ist die Folge der Zerstörung aller Synagogen in der Pogromnacht von 1938.

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5.1 Zur Geschichte der Juden im Mittelalter Eine Beschäftigung mit dem Phänomen Kirchengebäude muss die historische Konstellation, die zeitgenössische Symbolik, aber ebenso die städtische Topographie mit in den Blick nehmen. Im Blick auf das Mittelalter schließt das die Berücksichtigung der Judenviertel ein. „Wer Wesen und Funktionen einer Stadt verstehen will, kann nicht darauf verzichten, die Lage der ‚Juden-Viertel‘ oder ‚Juden-Gassen‘ innerhalb der Städte und die innere Organisation dieser ‚Wohnplätze‘ mit zu erforschen.“ 93 Zu einem Judenviertel gehörten je nach lokaler Situation: „Private Wohnhäuser und Gewerbebauten, dazu die Synagoge, ein Schlachthaus, ein Gemeinde- oder Spielhaus, eine Kranken- und Altenpflege-Anstalt … das Badhaus, das ist die Grundstruktur, zu der als durchaus wesentlicher Bestandteil noch die Mauern, Tore oder Gräben kommen, die das Judenviertel von der anderen Stadt abgrenzten: ob streng oder tatsächlich oder nur symbolisch (durch Stricke oder Eisendrähte), das hing von den äußeren Umständen ab, vom jeweiligen Zustand des ‚Verhältnisses‘. Die Willkür lag auf der äußeren Seite, die Öffnung oder Schließung bestimmen konnte.“94 Die angeführten Bauten lagen zwar innerhalb der Stadt im Judenviertel, unterschieden sich aber in der Gestaltung nicht von entsprechenden Bauten in der christlichen Umwelt – mit Ausnahme von Synagoge und Mikwe, dem rituellen Tauchbad. Der – angeordneten – Sonderung der Judenviertel in der Topographie der Stadt ist die gesonderte Behandlung der Juden im damaligen Recht an die Seite zu stellen. Die Juden gehörten zur Sphäre des königlichen Rechts; sie standen unter dem Schutz des Königs. Königliche Privilegien enthalten Bestimmungen, durch die das Leben der Juden geschützt, Eingriffe in ihr Privateigentum verboten und Zwangstaufen untersagt werden; ihnen wird das Recht verliehen, ihr Leben nach ihren eigenen Gesetzen zu ordnen. Solche Privilegien wurden mehrmals wiederholt. Es steht außer Frage, dass der so fixierte Schutz nicht überall gewährt wurde. Zu erinnern ist hier an die Pogrome im Zusammenhang mit den Kreuzzügen im 11., 12. und 13. Jahrhundert. Mit dem königlichen Privileg wurde neben der Schutzzusage zugleich demonstrativ deutlich gemacht, dass die Juden nicht nur zur Sphäre des königlichen Rechts gehörten, sondern dass sie mit ihrer Person und mit all ihrem Hab und Gut Eigentum des Königs waren. Und so wurden die Juden verpflichtet, zur Aufrechterhaltung des Privilegs Abgaben an die königliche Kammer zu leisten. Die Belastung mit Abgaben nahm im Spätmittelalter die Form von Konfiszierungen an. Ab Mitte des 14. Jahrhunderts traten individuelle Schutzprivilegierungen von Juden in den Vordergrund. Schutzbriefe für einzelne Personen und auf den Zeitraum einiger Jahre befristet wurden ausgestellt. Auch diese Schutzbriefe ruhten auf der Zusage der Zahlung eines Schutzgeldes. Parallel dazu kam es zu zahlreichen Minderberechtigungen und Diskriminierungen der Juden. Dazu sind etwa zu zählen die Verpflichtung, sich selbst durch ein besonderes Symbol an der Kleidung, den gelben Ring, zu kennzeichnen sowie das Verbot, in der Karwoche oder an christlichen Feiertagen die Häuser zu verlassen.

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III. Kirchengebäude im Mittelalter

Für das kirchliche Judenrecht ist „eine Ambivalenz charakteristisch, da einerseits die Existenz der Juden als nichtchristliche Gemeinschaft in der christlich gedachten Welt gewährleistet wird, andererseits aber durch scharfe Abgrenzung die Integration in die Gesellschaft verhindert werden soll“95. Im deutschen Reich war es um die Mitte des 14. Jahrhunderts im Zusammenhang der Pestepidemie wieder zu zahlreichen Judenpogromen gekommen. Um die Wende zum 15. Jahrhundert nahmen dann wieder Ritualmord- und Hostienfrevelbeschuldigungen ganz erheblich zu (u. a. 1478 in Passau und Regensburg, 1492 in Sternberg/Mecklenburg und 1510 in Berlin). Die Gerichtsverfahren endeten nicht nur mit vielen Hinrichtungen, sondern auch mit der Ausweisung zahlreicher, oft aller Juden aus dem ganzen Territorium. Ende des 15. Jahrhunderts waren die Juden aus fast allen größeren Städten sowie einigen Territorien vertrieben worden. Zuvor waren die Juden bereits 1290 aus England, 1394 aus Frankreich und 1492 aus Spanien und allen seinen Territorien sowie 1494 aus Portugal ausgewiesen worden.

5.2 Die Darstellung von Juden im Zusammenhang christlicher Bildthemen a) Siebenarmiger Leuchter Die Aufstellung eines siebenarmigen Leuchters im Kirchenraum bringt den Anspruch zum Ausdruck, dass nur im christlichen Kirchengebäude das Allerheiligste des salomonischen Tempels seine gültige Wiederherstellung erfährt; impliziert ist dabei die Überlegenheit des Christentums gegenüber dem (vermeintlich überholten) Judentum, das für das Alte Testament steht. b) Ein Schleier vor den Augen als zugeschriebene Blindheit – Ecclesia und Synagoge Zwei Frauengestalten personifizieren das Alte Testament (Synagoge) und das Neue Testament (Ecclesia). Die (angenommene) Überlegenheit des Neuen Testaments über das Alte Testament wird zum Ausdruck gebracht, indem die Synagoge mit einer Binde vor den Augen dargestellt wird, ihr die Krone vom Haupt rutscht und ihr Fahnenstab zerbrochen ist. Die Ecclesia hingegen trägt die Krone und einen Kreuzstab. In der Glasmalerei begegnet auch eine Darstellung, in der Christus Ecclesia krönt und Synagoge den Schleier von den Augen zieht. c) Die Kennzeichnung mit dem Judenhut Insbesondere bei narrativen Themen aus dem Neuen Testament werden Juden als Beteiligte dargestellt. Seit dem 13. Jahrhundert begegnet in Darstellungen der spitze Judenhut als Unterscheidungsmerkmal. Die Tendenz, die Folterknechte bei der Passion Christi als Juden zu kennzeichnen, ist häufiger zu beobachten.

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5.3 Synagoge und Ritus Die Synagoge (griech.: synagoge = Versammlung) wurde von der jüdischen Ortsgemeinde aus dem Bedürfnis nach einer zentralen Einrichtung für die Gottesdienstfeier und eine Vielzahl von weiteren Funktionen geschaffen. Für die Juden im Territorium des deutschen Reiches war der aschkenasische Ritus, auf dem palästinensischem Talmud beruhend, bestimmend (hebr.: aschkenas = Deutschland), für die Juden auf der Iberischen Halbinsel der sephardische Ritus, beruhend auf dem babylonischen Talmud (hebr.: sepharad = Spanien). Infolge der Vertreibung der Juden aus Spanien und Portugal Ende des 15. Jahrhunderts gelangte der sephardische Ritus mit den Vertriebenen in die südlichen und östlichen Länder Europas, von dort dann auch in die Niederlande und nach Norddeutschland. Für die Synagogenbauten in Deutschland war weithin die aschkenasische Tradition des jüdischen Gottesdienstes prägend. Der jüdische Gottesdienst ist nicht an einen Sakralraum gebunden. Er kann überall dort stattfinden, wo sich mindestens zehn religionsgesetzlich mündige Männer zum Gebet zusammenfinden. Jede Gemeinde, die mindestens zehn im religiösen Sinn erwachsene Mitglieder aufweist, ist dazu verpflichtet, einen Raum zur Abhaltung des Gottesdienstes einzurichten. „Elemente, über die jede Synagoge verfügen muß, sind der Torahschrein (Aron Hakodesch) zur Aufbewahrung der Torahrollen, der Almemor96, auch Bimah genannt, ein Podium mit Tisch, von dem aus die Torah verlesen wird, sowie Sitzplätze für die Gemeindeglieder, auf denen sie während der oft mehrere Stunden dauernden Gottesdienste Platz nehmen können. Da die Gottesdienste in den frühen Morgen- oder späten Abendstunden stattfinden, ist auch die Beleuchtung von großer Bedeutung. In mittelalterlichen Synagogen, die wohl unter anderem aus Sicherheitsgründen kleine, hoch angebrachte Fensteröffnungen besaßen, wurde der Raum vor allem durch Kerzen erhellt, die auf einem umlaufenden Bord aufgestellt waren. … Der Aron Hakodesch aschkenasischer Synagogen wurde in Europa – wenn möglich – an der Ostwand des Raumes aufgestellt und gab somit die Betrichtung an. Der Beter sollte sich bei seinem Gebet Jerusalem zuwenden, wie es Daniel bei seinem Gebet getan hatte (Daniel 6,11). … Die Bimah wurde in aschkenasischen Synagogen meist in der Mitte des Raumes, in einer Achse mit dem Aron aufgestellt, so dass sie von allen Seiten einsehbar und die Torahlesung überall gut hörbar war. Ihre Position ist dadurch begründet, daß die Torah symbolisch in die Mitte des Volkes gebracht und dort verlesen werden soll. Sie bestand aus einer um einige Stufen erhöhten Plattform … Auf ihrer östlichen Seite befindet sich ein hölzerner Tisch, … mit einer häufig schräg gestellten Platte, die dem bequemen Lesen dient. Dem Tisch gegenüber an der Westseite ist meist eine Bank angebracht, auf der die zur Torah Gerufenen auf die Lesung ihres Abschnittes warten. … Die Liturgie bestimmt, dass die Torah nach ihrer Aushebung auf der Nordseite zur

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Bimah getragen und bei ihrer Rückführung auf der Südseite zurück zum Aron gebracht wird. Diese Festlegung hat zur Folge, daß meistens zu beiden Seiten Stufen zur Bimah hinaufführen. … Die Position der Bimah wird häufig architektonisch unterstrichen durch über ihr angebrachte Dachfenster oder Kuppeln sowie auch durch sie flankierende Säulen. … Die Bimah ist somit nicht nur Symbol für die Torahlesung als dem Höhepunkt des Gottesdienstes, sondern auch architektonischer Mittelpunkt des Bauwerks. … In der ashkenasischen Synagoge (wird) vom Amud aus gesprochen, einem Stehpult, das seitlich rechts oder links neben dem Aron Hakodesch aufgestellt ist. … Die Bestuhlung bestand bis in das 19. Jahrhundert meist aus Einzelplätzen, bzw. vor den Wänden stehenden Bänken mit einzelnen Pulten, die dem Ablegen der Bücher dienten. Ursprünglich waren die Sitzplätze um die Bimah herum angeordnet.“97 Nicht das Gebäude, der Raum einer Synagoge, wohl aber ihre Einrichtungsgegenstände konnten symbolisch verstanden werden: Der Toraschrein (hebr.: aron hakodesch = Bezeichnung der heiligen Lade, in der sich die Gesetzestafeln befanden – Ex 25,10) ist der Hauptschmuck der Synagoge. Vor dem Toraschrein hängt, außerhalb der Türen, der Toravorhang. Er hat die Funktion, das Heilige vom weniger Heiligen zu trennen und das Heilige keinen unberufenen Blicken preiszugeben. Er wird in der Bibel sowohl im Zusammenhang der Stiftshütte (Ex 40,21) als auch beim Jerusalemer Tempel als Vorhang vor dem Allerheiligsten erwähnt. Das Toralicht (hebr.: ner tamid = ewige Lampe) ist eine vor dem Toraschrein hängende Ampel mit einem Glas zur Aufnahme des ewigen Lichtes. Auch hierfür kann auf eine biblische Begründung verwiesen werden (Lev 24,3: „Außen vor dem Vorhang, der vor der Lade mit dem Gesetz hängt, in der Stiftshütte, soll Aaron den Leuchter herrichten, dass er vom Abend zum Morgen beständig leuchte vor dem Herrn. Das sei eine ewige Ordnung bei euren Nachkommen“). Der siebenarmige Leuchter (hebr.: menora = Leuchter) gehörte nach Ex 25,31 ff. zu der Ausstattung der Stiftshütte. Durch Jahrhunderte hindurch galt die Darstellung der Menora als das Symbol für das Judentum. Das Motiv begegnet auf Kapitellen, in Mosaiken, auf Toravorhängen usw.; die Menora kann aber auch als Leuchter in der Synagoge stehen. Die Teilnahme am Gottesdienst in der Synagoge war allein den Männern vorbehalten. Die Frauen konnten lediglich in einem abgeteilten Raum bzw. später auf einer Empore den Gottesdienst verfolgen.

5.4 Synagogenbauten im Mittelalter Für die äußere Gestaltung der Synagogen waren auferlegte einschränkende Bestimmungen einzuhalten; so durften die Synagogen nicht höher als christliche Kirchengebäude sein. Andererseits gab es die Vorschrift des Talmud, wonach ein Raum, der für den jüdischen Gottesdienst benutzt wird, höher liegen soll als die profane Umgebung.

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Im Osten und Süden Europas wurde diese Vorgabe befolgt; in Mitteleuropa war es kaum möglich. Der Fußboden einer Synagoge wurde stets unterhalb des umgebenden Straßenniveaus angelegt. So wurde möglicherweise dem Bibelwort „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“ (Ps 130,1) entsprochen; gleichzeitig wurde trotz der auferlegten Beschränkung eine größere Raumhöhe erreicht. Die Synagogenbauten des Mittelalters lassen sich zwei Raumtypen zuordnen – dem einfachen Saalbau sowie dem zweischiffigen Raum. Die älteste erhaltene Synagoge steht in Worms. Sie wurde 1175 errichtet, in der Folge mehrmals umgebaut, dann 1938 zerstört und schließlich 1961 wieder rekonstruiert. Die Gebetshalle ist ein rechteckiger Raum mit zwei Säulen in der Mittelachse. Die Bima hatte Abb. 21: Synagoge, Worms, 1175. ihren Ort in der Raummitte zwischen den beiden Säulen; die Sitzgelegenheiten gruppierten sich darum herum. Ein Toraschrein befand sich an der Ostwand. Der Struktur nach ist dieser Grundriss eher mit dem eines Klosterrefektoriums als dem eines Kirchenraums verwandt. 1213 wurde an die Nordwand ein ebenerdiger Frauenraum angebaut. Auch der Außenbau der Synagoge blieb am Profanbau der Zeit orientiert. Das System des zweischiffigen Synagogenbaus wurde auch in Regensburg und in anderen Orten übernommen. In nachmittelalterlicher Zeit wurden keine zweischiffigen Synagogen mehr errichtet. Am häufigsten hatten die Synagogen die Gestalt eines längsrechteckig orientierten Saales. Nur einzelne wiesen einen quadratischen Grundriss auf. An den Außenfassaden der mittelalterlichen Synagogenbauten finden sich so gut wie keine repräsentativen Gestaltungselemente. Das ist zum einen auf die beschränkenden Vorgaben zurückzuführen. Zum anderen scheinen aber auch von den jüdischen Gemeinden als Auftraggeber keinerlei entsprechende Vorgaben gemacht worden zu sein. Die Innenwände waren teilweise mit Pflanzen- und Tierdarstellungen und anderen dekorativen Elementen ausgemalt. Allein von den Maßverhältnissen her wird ein gravierender Unterschied zwischen Synagoge und Kirchengebäude im Mittelalter deutlich. Ferner wurde die Synagoge als Mehrzweckbau errichtet und sie entbehrte jeglicher Symbolik in der Baugestalt; das

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Abb. 22: Synagogenraum Regensburg, 1519, Kupferstich von Albrecht Altdorfer.

Kirchengebäude hingegen sollte zunächst v. a. der Hervorhebung eines bestimmten Ortes dienen und die Präsenz heilsgeschichtlicher Orte symbolisch zum Ausdruck bringen.

5.5 Christliche Kirchenbauten am Ort von Synagogen Eine große Zahl von Kirchen und Kapellen wurde im Mittelalter am Ort einer früheren Synagoge errichtet, unter Verwendung von Bauteilen der Synagoge bzw. jüdischer Grabsteine für den Kirchenneubau. Sehr genau ist dies für die Regensburger Synagoge dokumentiert.

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„Am 21. Februar 1519 beschloß der Rat der Reichsstadt Regensburg, die Juden aus der Stadt auszuweisen. Noch am selben Tag verkündete eine Ratsabordnung den Juden, … daß ihre Synagoge binnen zweier Stunden für den Abriß geräumt werden müsse und sie selbst die Stadt innerhalb von fünf Tagen zu verlassen hätten. Man begann sofort mit dem Abriß der Synagoge, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Dabei verunglückte der Steinmetzmeister Jakob Kern so schwer, daß man um sein Leben fürchtete. So mußte man seine – anfänglich – schnelle Genesung für ein Wunder halten, das man der Gottesmutter Maria zuschrieb. Hierdurch begründete sich eine der letzten großen Volkswallfahrten des Mittelalters. … Am 21. März 1519 errichtete man eine Holzkapelle an der Stelle der abgebrochenen Synagoge.“98 Als Patrozinium der Wallfahrtskapelle wählte man den Titel „Zur schönen Maria“, was häufig bei Kirchen festzustellen ist, die auf zerstörten Synagogen errichtet worden sind (zum Beispiel in Nürnberg). Erst 1540 wurde die Kirche geweiht und dann 1542 den Protestanten überlassen. A. Altdorfer, Mitglied des Rates und der Delegation zu den Juden, hat die Synagoge unmittelbar vor ihrem Abriss gezeichnet. Das Inschriftfeld besagt: „1519 wurde die jüdische Regensburger Synagoge nach Gottes gerechtem Ratschluss abgerissen.“ Vergleichbares hatte sich bereits früher zugetragen. Ab dem 14. Jahrhundert wurden zahlreiche Synagogen in Kirchen umgewandelt oder abgerissen und an deren Stelle jeweils eine Kirche errichtet. In der Heilig-Grab-Kirche zu Deggendorf weist eine mittelalterliche Inschrift auf eine ehemals an dieser Stelle stehende Synagoge hin. Insgesamt geht man davon aus, dass bis in das 16. Jahrhundert hinein im deutschen Reich dreihundert Synagogen vernichtet wurden.

IV. Das Kirchengebäude in konfessioneller Zeit (16.–18. Jahrhundert)

Die Ereignisse im 16. Jahrhundert und ihre Auswirkungen markieren eine Zäsur, natürlich in der Kirchengeschichte, aber ebenso in der Profangeschichte und in der Kulturgeschichte. Vom Wirken Martin Luthers und anderer Reformatoren ausgehend kam es zur Bildung evangelischer Gemeinden lutherischer Prägung, die in den Grenzen des Territoriums einer „protestantischen“ Obrigkeit bestanden und einen Zusammenhalt bildeten. Ausgehend von den reformatorischen Prozessen in Oberdeutschland bildeten sich evangelische Gemeinden reformierter Prägung, weniger territorial organisiert und obrigkeitlich abgesichert. Auch innerhalb der römischen katholischen Kirche gab es Reformbestrebungen. Die Konfrontation mit der Entwicklung des Protestantismus unterstützte einerseits die katholische Reform und führte andererseits zu einer deutlichen konfessionellen Profilierung auch der katholischen Kirche. Diese Entwicklungen hatten ihre Wirkungen zunächst auf die Gestaltung und Nutzung der aus dem Mittelalter überkommenen Kirchenräume, dann aber auch auf den Neubau von Kirchengebäuden. Insofern stellt das Zeitalter der Konfessionen im 16. Jahrhundert die entscheidende Zäsur in der Geschichte des Kirchengebäudes in Deutschland dar. Der Zeitabschnitt bis zum Ende des 18. Jahrhunderts umfasst die Prozesse der Ausprägung der konfessionellen Besonderheiten sowohl in der Theologie, in der Feier der Gottesdienste als auch in der Konzeption und Ausgestaltung von Kirchengebäuden. Schließlich ist auch für diesen Zeitraum nach der Geschichte der Synagoge zu fragen. Grundlegend ist ein prinzipiell anders geartetes Verständnis des Kirchenraums. Im Mittelalter wurde der Kirchenraum durch die bischöfliche Weihe zur „Wohnung Gottes“; ihm war eine besondere Qualität eigen. Der protestantische Kirchenraum begründet seine Existenz allein in der Funktionsbestimmung, den Raum für die Feier des Gottesdienstes bereitzustellen. Das Verhältnis zur Geschichte des Kirchengebäudes im Mittelalter kann im Kontext der katholischen Reform durch weitgehende Kontinuität charakterisiert werden, im reformierten Kontext dagegen durch einen konsequenten Neueinsatz. Für den lutherischen Kontext sind sowohl die Traditionswahrung, aber auch die Neuakzentuierungen darzulegen. Darum sind die Ausführungen zum Kirchengebäude im lutherischen Kontext ausführlicher. An den Grundformen des durch die jeweilige Konfession geprägten Kirchengebäudes lassen sich die konfessionellen Besonderheiten gut ablesen. Im Interesse einer sol-

1. Kirchengebäude im lutherischen Kontext

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chen konfessionellen Information sind in dem Kapitel IV.3 „Das Kirchengebäude im Kontext der katholischen Reform“ Ausstattungsstücke des Kirchenraums aufgeführt, die den Unterschied gegenüber den protestantischen Kirchenräumen deutlich machen (S. 131ff.). Hierin liegt begründet, dass manche Stücke erst hier behandelt werden, obwohl sie bereits im Kirchenraum des Mittelalters anzutreffen waren.

1. Das Kirchengebäude im lutherischen Kontext Der Teil des Christentums, der auf der Reformation Luthers gründet und sich in Worten und in Monumenten darauf beruft, wird mit dem Adjektiv „lutherisch“ gekennzeichnet. Die Bezeichnung „Lutherani“ (Lutheraner) war ursprünglich von Gegnern der Reformation in der römischen Kirche geprägt worden, um Luther und seine Anhänger als Ketzer zu identifizieren. Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde der Begriff „Lutheraner“ als Selbstbezeichnung aufgenommen, um die Abgrenzung sowohl gegenüber der römischen (Papst-)Kirche als auch gegenüber den „Calvinisten“ (den Reformierten) deutlich zu machen. Strukturell-inhaltlich ist für die lutherische Tradition die territoriale Verfasstheit der Kirche mit dem jeweiligen Landesherrn als (Not-)Bischof kennzeichnend.

1.1 Das Kirchengebäude in der Reformationszeit Die Reformation kann nicht auf ein konkretes Datum festgelegt werden. Ebenso wenig kann von einem konkreten Datum gesprochen werden, an dem das protestantische Verständnis des Kirchengebäudes und insbesondere des Kirchenraums sichtbar wird. Vielmehr ist von einer Ungleichzeitigkeit auszugehen. Das drängende Problem war nicht der Neubau und die entsprechende Einrichtung von Kirchengebäuden. Kirchengebäude waren vorhanden; sie stellten auch weiterhin den Ort und den Raum dar, wo die Gemeinde die Vielzahl von Gottesdiensten feierte. Für die Gestaltung der Gottesdienste hatte Luther Vorgaben formuliert (Von Ordnung Gottesdiensts in der Gemeine, 1523; Formula missae et communionis, 1523; Deutsche Messe, 1526). Aber in keiner dieser Schriften ist Luther auf den Kirchenraum eingegangen.

1.1.1 Erste Konsequenzen aus der Reformation für die vorhandenen Kirchengebäude Welche Veränderungen lassen sich nun im Prozess der lutherischen Reformation festhalten? Da war zunächst das Erscheinungsbild der Pfarrkirchen in den Städten, umgeben von dem jeweiligen Friedhof. Die Reformatoren verwarfen mit dem mittelalterlichen

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IV. Das Kirchengebäude im 16. bis 18. Jahrhundert

Totenkult auch die postmortale Fürbitte und die Mittlerfunktion der Heiligen für das Seelenheil. Die bischöfliche Weihe des Friedhofs wurde abgeschafft. Die Begräbnisplätze wurden künftig außerörtlich angelegt. Im Zuge der weiteren Entwicklung konnten daher die Friedhöfe um die Pfarrkirchen in protestantischen Territorien anders genutzt oder bebaut werden. Die Verbindung des Friedhofs mit einem festverankerten liturgischen Totengedenken hatte als Folge zu einer großen Zahl von Kapellen- bzw. Altarstiftungen geführt, die mit Klerikerpfründen verbunden waren. Die zahlreichen Nebenaltäre in den Kirchen sind darauf zurückzuführen. In reformatorischer Sicht waren solche Stiftungen nicht nur hinfällig, sondern schlichtweg falsch. Trotzdem sollten weder die Stiftungen einfach eingezogen noch die Altäre einfach abgerissen werden. In der „Ordnung gemeinen Kastens“ zu Leisnig (1523) fordert Luther dazu auf, die Altarstiftungen und die Stiftungen für Jahrmessen etc. erst nach Ableben der jetzigen Altarpriester dem gemeinen Kasten zuzuführen (WA 12, 18).99 Das Patronat über die Pfarrkirche sowie das Recht, einen Pfarrer auszuwählen, zu bestellen und abzuberufen, soll allein das Recht der Gemeinde sein (WA 12, 16). Der Pfarrer, und evtl. ein Kaplan, soll die Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts allein aus dem gemeinen Kasten durch Beschluss der Gemeindeversammlung erhalten (WA 12, 23 f.). Auch die Gebäude, wie Kirche („gotis hawß“), Pfarrhof, Küsterei und Hospital, sollen mit Mitteln aus dem gemeinen Kasten erhalten oder neu erbaut werden (WA 12, 27). Im Unterschied zu den Pfarrkirchen werden die Stifts- und Klosterkirchen für die seelsorgerliche Versorgung der Bevölkerung in protestantischen Territorien nicht mehr benötigt. Hinsichtlich der Klöster schlägt Luther vor, dass die dort lebenden Mönche bzw. Nonnen nach freiem Willen bis zu ihrem Tod dort weiterhin leben und ihr Auskommen haben sollen. Dann sollen aus den Bettelmönchsklöstern gute Schulen für Jungen und Mädchen gemacht werden; aus den übrigen Klöstern sollen Häuser für die Stadt werden (WA 12, 406 u. 408). Klosterkirchen konnten mancherorts als Pfarrkirchen genutzt werden. Wo das nicht möglich war, gingen Klosterkirchen in den Besitz des Landesherrn über. Etliche verfielen zu Ruinen (u. a. Eldena bei Greifswald, Chorin in Brandenburg oder Paulinzella in Thüringen), wurden als Steinbruch oder für andere Bauvorhaben genutzt. So kam es als Folge der Reformation zu einer ersten Säkularisierung von Kirchengebäuden.

1.1.2 Martin Luther zu Gottesdienst und Kirchengebäude Zum Thema „Kirchengebäude“, zur Frage nach seiner Bedeutung, hat Luther sich direkt nicht geäußert. Wohl aber nimmt er immer wieder beiläufig auf diese Frage Bezug. Luther geht von dem selbstverständlichen Vorhandensein der Kirchengebäude aus. Ideell und formal ist das von Mose errichtete „Tabernakel“ (Ex 27,21) das Urbild.

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In der ersten deutschen Bibel von 1534 übersetzt er diese Stelle mit „in der Hu(e)tten des Stiffts“. Die Wahl des Begriffs „Stifft“ erläutert er in einer Randglosse: „Das Ebreisch wort Moed, haben wir nicht anders wissen noch wollen deudschen. Es soll aber so viel heissen, als ein gewisser ort oder stete, wie eine Pfarrkirche oder Stifft. Dahin das Volck Israel komen vnd Gottes wort hören solten, Da mit sie nicht jrer eigen andacht nach, hin vnd widerlieffen, auff Bergen, in Gründen vnd andern Orten, Gott zu opffern“ (WA DB [= Deutsche Bibel] 8, 285). Die Glosse zu Ex 27,21 lässt Luthers Haltung Kirchengebäuden gegenüber deutlich werden. Ihr Vorhandensein hat keine Heilsbedeutung, wohl aber praktische Bedeutung: Es sind Räume, in denen die Christen zusammenkommen und das Wort Gottes hören sollen. Äußerungen Luthers in anderen Kontexten zeigen, dass es sich dabei in Abgrenzung und in Zustimmung um eine durchgehende Linie handelt. Luther benennt eindringlich zunächst das allein Maßgebende: Das Entscheidende ist, dass Gottes Wort wieder rein und klar gepredigt wird und gehört werden kann. „Wo das wortt klingt, do ist Gott, do ist sein hauß, und wen ehr auffho(e)rt zcu reden, ßo ist auch nymmer sein hauß do. Wen ehr auch klunge uff dem dach adder under dem dach, und gleich uff der elbbruckenn, ßo ists gewiß, das ehr do wohne“ (WA 14, 386 f.).100 Die Bestimmung des Ortes impliziert auch eine Abgrenzung: „Got ist nicht, do die heiligen begraben ligen, sondern wu ehr redt, wu sein wortt ist, do ist ehr auch“ (WA 14, 393). Dass Gottes Wort gepredigt wird, ist entscheidend, und dass Gemeinde zusammenkommt, nicht aber der Ort, an dem diese Predigt geschieht.101 Kirchengebäude stehen für Luther aber auch für einen falschen Glauben, der auf die eigenen Werke vertraut, und darum sind sie gefährlich.102 Das Beharren auf der Rechtfertigung befähigt hingegen zu einem freien Umgang mit der Frage nach dem Kirchengebäude: „… nitt das es boß sey, kirchen pawen und stifften, ßondern boß ists, das man drauff fellet unnd vorgist, des glawbens unnd der liebe druber, unnd thutts der meynung, als sey es eyn gutt werck, damit man fur gott vordienen wolle“ (WA 10/1.1, 252). Das Kirchengebäude wird bei Luther streng funktional betrachtet: „Denn keyn ander ursach ist kirchenn zu bawenn, ßo yhe eyn ursach ist, denn nur, das die Christen mugen tzusammenkomen, betten, predigt horen und sacrament emphahen. Und wo dieselb ursach auffhoret, sollt man dieselben kirchen abbrechen, wie man allen andernn hewßern thutt, wenn sie nymmer nu(e)tz sind“ (WA 10/1.1, 252).103 Luther hat keine Abhandlung zum Kirchengebäude verfasst und er gibt keinerlei Anweisung zur Gestaltung bzw. Umgestaltung des Kirchenraums. Er fordert auch nicht dazu auf, die steinernen Kirchen zu verlassen. Er leitet aber zu einem freien Umgang mit dem (überkommenen) Kirchengebäude an.

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1.2 Kontinuität und Neuakzentuierung im überkommenen Kirchenraum 1.2.1 Die lutherische Pfarrkirche und ihre Nutzung Kirchengebäude sind gut und nützlich als ein den Menschen vertrauter Ort und Raum, „das nichts anders darin geschehe, denn das unser lieber Herr selbs mit uns rede durch sein heiliges Wort, und wir widerumb mit jm reden durch Gebet und Lobgesang“ (WA 49, 588). Was Luther hier in der Predigt zur Einweihung der Schlosskapelle in Torgau formuliert hat, gilt für jede protestantische Kirche. Dies ist die eindeutige Zweckbestimmung des Kirchengebäudes – für die Feier der Gottesdienste. Luther geht dabei wohl von diesen Gottesdiensten aus: sonn- und feiertags drei Gottesdienste – Mette (um 5 oder 6 Uhr), Messe (um 8 oder 9 Uhr), Vesper; werktags zwei Gottesdienste – Mette (Andacht zum Schulbeginn) und Vesper. Die Messe am Sonntag soll nach Luther die Versammlung der „gantzen gemeyne“ sein, während sich täglich kleinere Gruppen versammeln (WA 12, 36). Über diese Gottesdienste hinaus ist davon auszugehen, dass wochentags Trauungen, Beerdigungen, manchmal auch Taufen in der Kirche stattfanden. Dazu kamen Abdankungen und Gedächtnisreden. Am Sonnabend hatten hier die private und die öffentliche Beichte ihre Zeit und ihren Ort. So war die Pfarrkirche in der Regel aus verschiedenen Anlässen im Sinn ihrer eigentlichen Zweckbestimmung täglich ‚in Betrieb‘. Mit dieser Nutzung des Kirchengebäudes war die theoretische Ablehnung, aber auch die praktische Unmöglichkeit einer anderen Ingebrauchnahme des Kirchengebäudes verbunden. Die kursächsische Kirchenordnung von 1580 etwa verbot sowohl den Bauern, Bier in Kirchen zu lagern, als auch die Durchführung von Fastnachtsspielen in der Kirche.

1.2.2 Der lutherische Kirchenraum Die religiöse Praxis im Kirchenraum hatte sich deutlich verändert, dessen Gestaltung und Einrichtung jedoch blieb von Kontinuität geprägt. 104 Hochaltar und Lettner behielten ihre Orte. Auch die Nebenaltäre blieben zunächst bestehen und wurden erst nach und nach im Zuge der Einbringung des Gestühls abgetragen. Das Vorhandensein einer Kanzel wird von Luther als selbstverständlich vorausgesetzt. Die markanteste Neuerung stellte die Einrichtung der Kirchen mit festem Gestühl dar. a) Der Altar In lutherischen Kirchen gab es keine Probleme damit, den überkommenen Altar weiter zu nutzen. Abgelehnt wurden demgegenüber ein Verständnis des Altars als Heiligengrab und als Symbol für Christus sowie damit einhergegangene Zutrittsbeschränkungen für Laien. Der Altar im lutherischen Kirchenraum ist nun in erster Linie der

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Abb. 23: Altaraufsatz, 1. Hälfte 17. Jahrhundert, Dorfkirche Hohen-Viecheln (Mecklenburg).

Ort, an dem das Sakrament des Abendmahls gefeiert wird. Dazu ist die Form des überkommenen Hochaltars durchaus geeignet. Die aus dem Mittelalter überkommenen Altäre in lutherischen Kirchen haben sich oft bis in die Gegenwart erhalten. Dabei handelt es sich um Retabelaltäre, oft mit mehreren Flügeln versehen, mit geschnitzten oder gemalten Darstellungen. Die ersten protestantischen Altäre sind wohl in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aufgestellt worden. Im äußeren Aufbau folgten sie den mittelalterlichen Vorbildern. Aber die Ikonographie war verändert. Einen der wenigen eindeutigen Hinweise auf konkrete Themen, die für die Darstellung am Altar in einer evangelischen Kirche

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geeignet sind, hat Luther 1530 selbst gegeben: „Wer hie lust hette, tafeln auff den altar lassen zu setzen, der solte lassen das abendmal Christi malen und diese zween vers ‚Der Gnedige und Barmhertziger HERR hat ein gedechtnis seiner wunder gestifft‘ mit grossen gu(e)lden buchstaben umbher schreiben, … Die andern bilde von Gott oder Christo mu(e)gen wol sonst an andern orten gemalet stehe“ (WA 31,1, 415). Das Thema „Abendmahl“ wurde zu dem beherrschenden ikonographischen Thema protestantisch-lutherischer Altäre. Gleichfalls charakteristisch für lutherische Altargestaltung wurde das Mit- bzw. Ineinander von bildlicher Darstellung und Inschrift. Im Extremfall konnte das dazu führen, dass auf dem Altar das Abendmahl durch die Einsetzungsworte als Inschrift und nicht als Bild dargestellt worden ist. Die Einsetzungsworte Jesu zum Abendmahl sind im Neuen Testament, im ersten Brief des Paulus an die Korinther überliefert (1 Kor 11,23b–25): „Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach’s und sprach: das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis. Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut, sooft ihr’s trinkt, zu meinem Gedächtnis.“ Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts und dann im frühen 17. Jahrhundert entstanden zahlreiche Altarretabeln, die als Umsetzungen von Luthers Vorschlag angesehen werden können. Auf einer Vielzahl protestantischer Altäre begegnet die Darstellung des Abendmahls vorzugsweise auf der Predella, nicht ganz so häufig auf dem Hauptfeld des Altars. Bei den Darstellungen im Hauptfeld protestantischer Altäre überwiegen Kreuzigungsdarstellungen.105 Retabelaltäre mit protestantischen Bildthemen erlebten in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ihren Höhepunkt. Bereits am Ende des 16. Jahrhunderts erreichen die Retabeln Ausmaße, die die gesamte Breite und Höhe des Altarraums ausfüllen. Im Nordwesten Deutschlands findet sich in den Kirchen die besondere Form der Schriftaltäre.106 In Norden (Ostfriesland) wurde 1577 „ein Flügelretabel mit den Zehn Geboten auf den Außenseiten und Texten zur Abendmahls-Einsetzung und dessen theologischem Verständnis in den kostbar gestalteten Innenseiten angefertigt“ 107. Auf der Rückseite der Flügel sind die Zehn Gebote in Schriftform, in reformierter Fassung, zu finden. Ob diese Altargestaltung als „zwinglianisches“ Kunstwerk anzusehen ist108, oder doch als Umsetzung lutherischer Grundauffassungen in enger Nachbarschaft mit reformierten Einflüssen, muss hier offenbleiben.109 In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kam es zu Veränderungen in der Gestaltung der Altäre. Der protestantische Barockaltar erscheint gegenüber der vorangegangenen Altargestaltung als im Aufbau einfacher und im Bildschmuck eingeschränkter. Dafür wird die Hauptdarstellung deutlicher hervorgehoben. Hier sind v. a. Zentral themen der Christusgeschichte dargestellt: Abendmahl, Gethsemane, Kreuzigung, Kreuzabnahme, Grablegung, Auferstehung, Himmelfahrt und Pfingsten. Parallel dazu erfährt in dieser Zeit der Kanzelaltar den Höhepunkt seiner Entwicklung.

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Hingewiesen sei noch auf die protestantischen Schlosskapellen, in denen ein Altar in Tischform ohne Rückwand Aufstellung fand. Auch in einigen Kirchen in Ostfriesland haben sich hölzerne verzierte Abendmahlstische erhalten.110 b) Der Altar als liturgischer Ort Die entscheidende liturgische Neuerung Luthers war die Streichung des Canon missae bei Beibehaltung der Grundform der Messe als Form des regelmäßigen Hauptgottesdienstes. Das Abendmahl wurde nun unter beiderlei Gestalt gespendet; auf der Epistelseite (im Süden) wurde das Brot gereicht, auf der Evangelienseite (im Norden) der Wein. Wo es räumlich möglich war, gingen die Kommunikanten von der Brotseite hinter dem Altar herum zur Weinseite. In Kirchen mit einem Lettner blieb dieser erhalten. In dem dadurch verbliebenen gesonderten Altarraum wurde jetzt die Kommunion gefeiert, und das Hinzutreten dazu wurde von Luther als öffentliches Bekenntnis vor der Gemeinde interpretiert. 111 Bemerkenswerterweise haben sich mittelalterliche Lettner ausschließlich in protestantischen Kirchen erhalten. Eine protestantische Besonderheit stellen die Altarschranken dar. Sie sind ursprünglich als Verlängerung der Schmalseiten des Altars in den Kirchenraum hinein vorzustellen. Hier knieten die Kommunikanten sowohl auf der Brot- als auch auf der Weinseite zum Sakramentsempfang nieder. Sie hatten so eine ordnende und zugleich anweisende Funktion. Im 17. Jahrhundert wurden dann die Schranken vor den Altarstufen geschlossen. Dieser Rechteckform folgten im Barock geschwungene oder halbkreisförmige Altarschranken, die zum einen den Altarraum begrenzten und zum andern als Kommunionbänke genutzt wurden. In Fortführung der vorreformatorischen Tradition haben auf dem Altar einer lutherischen Kirche sowohl ein Altarkreuz als auch ein oder mehrere Altarleuchter ihren Platz. Konstitutiv für einen protestantischen Altar ist das Vorhandensein einer Altarbibel, die entweder auf einem Altarpult oder auf einem Altarkissen aufgeschlagen liegt. Neu gegenüber der Tradition war, dass der Altar in lutherischen Kirchen mit Altarvasen und Blumen geschmückt sein konnte. c) Die Kanzel Der Mensch wird vor Gott gerecht allein durch den Glauben (sola fide). Glauben aber bedeutet Vertrauen auf Gottes Gnade, sichtbar geworden in Jesus Christus (sola gratia). Zu solchem Glauben kommt es nur durch das Hören des Wortes Gottes, des Zeugnisses von Christus in den Schriften der Bibel (sola scriptura). – So kann eine wesentliche Grundauffassung der Reformation gekennzeichnet werden. Um solches „Hören“ für jedermann zu ermöglichen, musste die Bibel ins Deutsche übersetzt werden, sollte der Gottesdienst so gestaltet werden, dass das Verlesen und die Auslegung von biblischen Texten im Zentrum stand. So wurden in dem lutherischen Kirchenraum Altar (Abendmahlsort) und Kanzel (Predigtort) zu gleich wichtigen Orten. In der

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Abb. 24: Kanzel, 1588, St. Johanniskirche (ehem. Franziskanerkirche) in Neubrandenburg (Mecklenburg).

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Gleichrangigkeit von Kanzel und Altar war ein gewichtiger Unterschied zu dem mittelalterlichen Kirchenraum gegeben, dessen religiöse Qualität in erster Linie durch den geweihten Altar und die damit verbundenen symbolischen Bezüge verbürgt war. So erscheint es folgerichtig, dass die nach der Reformation angefertigten Kanzeln in ihrer Anbringung und insbesondere in ihrer Gestaltung die spezifisch lutherische Prägung eines Kirchenraums anschaulich werden lassen. In den Jahrzehnten 1530 bis 1680 wurde in den lutherischen Territorien eine große Zahl von Kanzeln angefertigt und sowohl in überkommene als auch in neu errichtete Kirchengebäude eingebaut. Etwa eintausend davon sind erhalten. Zu den grundlegenden Teilen der Kanzel zählen: Der Kanzelkorb, der von einem Kanzelträger in der Höhe gehalten wird. Darüber ist der Schalldeckel mit einem Fries und einer Bekrönung angebracht. Die (oft gerade) Kanzeltreppe führt hinauf; sie ist zum Kirchenraum durch ein Portal abgeschlossen. Bevorzugte Darstellungsflächen sind die Felder des mehreckigen Kanzelkorbs, der Fries und die Bekrönung des Schalldeckels sowie die Felder der Treppenbrüstung. Auf den Feldern des Kanzelkorbs finden sich sehr häufig Darstellungen der Evangelisten, manchmal durch eine Christusdarstellung ergänzt. An der Treppenbrüstung sind mehrheitlich alttestamentliche Szenen angeordnet (u. a. Gen 28,12, der Traum Jakobs von der Himmelsleiter) bzw. Darstellungen zum Glaubensbekenntnis, jedoch nur selten neutestamentliche Szenen. Bei den Statuetten sind verschiedene Gestalten der Heilsgeschichte, aber auch die Tugenden zu entdecken. Der Kanzelträger wurde seit dem Ende des 16. Jahrhunderts als Statue ausgebildet und dabei überwiegend die Gestalt des Mose als Kanzelträger gewählt. Vereinzelt gibt es auch andere Personen als Kanzelträger, so Petrus, aber auch Paulus, der Stammbaum Jesu oder auch Engelsgestalten. Der Schalldeckel ist häufig überdimensional gearbeitet und hat daher die zusätzliche Funktion, die Bedeutung der Kanzel im Kirchenraum herauszuheben. Am Schalldeckel begegnet fast überall als Untersicht – und so nur für den Prediger sichtbar – die Taube des Heiligen Geistes, häufig in Verbindung mit der Inschrift Mt 10,20 („Denn ihr seid es nicht, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet“). Als Bekrönung findet sich eine Christusdarstellung, häufig als Auferstandener, als Sieger mit Banner. Der Fries wird in der Regel durch Inschriften gestaltet; es sind Bibelverse, die auch von der Gemeinde entziffert werden können. Das Portal zur Kanzeltreppe weist Darstellungen und Inschriften auf, die allein auf den Prediger und sein Amt bezogen sind. In der Verbindung von Inschriften und der Darstellung biblischer Szenen ist ein generelles Charakteristikum lutherisch-reformatorischer Kunst zu sehen. Vertikale Struktur und Ausgestaltung der einzelnen Teile zahlreicherer lutherischer Kanzeln kann als eine Darstellung vom Ablauf der Heilsgeschichte interpretiert werden: Mose als Kanzelträger und alttestamentliche Szenen an der Kanzelbrüstung bilden die unterste Stufe. Darauf ruht das Neue Testament, verdeutlicht in der Darstellung des rettenden Wirkens Jesu Christi. Der Schalldeckel zeigt die zukünftige himm-

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lische Welt unter der Herrschaft des auferstandenen Christus. „Die Zäsur zwischen Gewesenem und Kommendem wird ausgefüllt durch den Prediger, der auf dem Fundament des Alten und Neuen Testaments steht und auf das Kommende, die zukünftige Welt hinweist und deutlich macht, dass Gott jetzt durch das von ihm, dem Prediger verkündigte Wort wirkt.“112 Für die weitere Entwicklung ist auf die zunehmend angestrebte Verbindung von Kanzel und Altar bis hin zum eigentlichen Kanzelaltar hinzuweisen. Damit verbunden war die abnehmende Bedeutung der Kanzel sowohl für die Prägung des Kirchenraums als auch insbesondere als Ort bildlicher Darstellungen. So wurden nur noch bis zum beginnenden 18. Jahrhundert figürliche Darstellungen an Kanzeln angebracht. d) Das Gestühl und die Logen Eine gravierende Veränderung der Ausstattung der vorhandenen Kirchengebäude ergab sich beim Gestühl. Zuvor war ein festes Gestühl im Kirchenraum Privileg und Ausdruck eines sozialen Standes; das Gestühl war auf den Ort der privaten Stiftung im Kirchenraum orientiert. Im Verlauf der Reformation artikulierte sich der Anspruch der Laien auf einen festen Sitzplatz innerhalb der Kirche außerhalb privater Stiftungen. So wurde vermehrt privates Gestühl im Kirchenraum aufgebaut, nun auf Altar und Kanzel ausgerichtet. Aufgrund zunehmender Klagen über Sichtbeeinträchtigung durch Gestühle sowie über Behinderung des Durchgangs kam es in verschiedenen Territorien zur Einführung einer Genehmigungspflicht für den Stuhlbau im Kirchenraum. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden Nebenaltäre zugunsten eines Stellplatzes für Gestühl abgerissen. Schließlich wurden der Bau und der Verkauf bzw. die Vermietung von Gestühl an Gemeindemitglieder eine Angelegenheit der Obrigkeit. Die Einnahmen aus dem Gestühl waren eine wichtige Einnahmequelle zur Finanzierung von Reparaturarbeiten an der Kirche. Die Stühle konnten nur für bestimmte Zeit, längstens auf Lebenszeit gepachtet werden. Jeder Besitzerwechsel kostete erneut Gebühren. Am Ende des 16. Jahrhunderts war die einheitliche Bestuhlung der protestantischen Kirchenräume zum Abschluss gekommen. Dabei war in längsgerichteten Kirchenräumen die Anordnung des Gestühls nicht einfach. Der Pfarrer sollte sowohl am Altar als auch auf der Kanzel von möglichst vielen Gottesdienstbesuchern gesehen und gut verstanden werden. So wurden im Umkreis der Kanzel die Bänke quer angeordnet (oft bis an den Altarraum heran), während im hinteren Teil des Schiffs die Bänke rechtwinklig dazu mit Blick auf den Altar aufgestellt wurden. Mancherorts wurden auch klappbare Rückenlehnen verwendet, die wahlweise ein Sitzen mit Blickrichtung zum Altar bzw. entgegengesetzt zum Kirchenschiff mit der Kanzel ermöglichten. Da häufig das Kirchenschiff nicht ausreichte, um allen Gemeindemitgliedern einen Platz einzurichten, kam es zum Einbau von Emporen in die Kirche. Nun hatte jedes Gemeindemitglied theoretisch seinen Platz in der Kirche. Die Lage des Gestühls im Kirchenraum bildete die soziale Stellung des Besitzers ab. Die Nachbarschaft von

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Abb. 25: Herrschaftsgestühl (Grafenempore), 1711, Dorfkirche Basse (Mecklenburg), nördliches Seitenschiff.

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Altar und Kanzel wurde bevorzugt; für die Armen oder das Gesinde blieben die schlechtesten Plätze hinten an den Türen. Es kam zu einer vorgegebenen Platzordnung im Kirchenraum. Die Plätze wurden mit Nummern oder mit Namen versehen, zum Teil sogar verschlossen. Die Bestuhlung des protestantischen Kirchenraums war somit weniger Ausdruck von Gemeinschaft als vielmehr ein Abbild der lokalen Gesellschaft.113 In vielen Orten des deutschen Reiches war im 18. Jahrhundert eine Zunahme der Bevölkerung zu verzeichnen, damit auch eine Vergrößerung der evangelischen Gemeinden. Das bedingte die Suche nach zusätzlichem Raum zum Aufstellen von Gestühl und zur Erlangung von Einnahmen. Möglicherweise kann auch darin ein Motiv für die Verbindung von Altar und Kanzel im Kanzelaltar gesehen werden. Insbesondere aber wurde der Platz des Taufbeckens im Kirchenraum weithin als disponibel angesehen. Konstruktive Erfindungen wie ein hochziehbarer Taufengel oder aber auch ein Lesetaufengel sind auf solche Bestrebungen zurückzuführen. Adligen hatten im 15. Jahrhundert eigene Betstühle als Sitz bei Gottesdiensten gedient. In nachreformatorischer Zeit entwickelte sich daraus die Form des Fürstenstuhls bzw. der Herrschaftsempore in der Kirche, oft mit eigenem Zugang von außen, auch Prieche genannt. In der Barockzeit wurden daraus förmliche Logen, die mit Sprossenfenstern abgeschlossen waren. Solche Logen waren auch seitlich an den Wänden des Altarraums angebracht. In einigen sächsischen Stadtkirchen umziehen kleine, abschließbare Logen wie Theaterränge den Kirchenraum. Sie wurden an wohlhabende Bürger vermietet. Solche Logen wurden vom Inhaber möbliert und nach seinem Geschmack tapeziert. Sie besaßen oft sogar einen kleinen Ofen. e) Die Orgel Neben Altar und Kanzel kommt der Orgel, und hier insbesondere dem Orgelprospekt, eine große und schmückende Bedeutung für den Innenraum der Kirche zu. Im Mittelalter hatte die Orgel im Chorraum großer Kirchen ihren Ort, hoch oben an der Nordwand des Chores eingebaut („Schwalbennest“). Aus vorreformatorischer Zeit sind einige wenige Orgeln erhalten. Der Orgelprospekt ist in der Frühzeit nach dem Vorbild eines Flügelaltars gestaltet. Über einem predellaartigen Zwischenstück befindet sich, analog zur Darstellung in einem Altarschrein, das Pfeifenwerk. Seitlich sind zwei bemalte Flügel angebracht, die den Orgel-Schrein auch verschließen können. Darüber findet sich Gesprenge in gotischen Zierformen. Hier wird der Anspruch der Orgel sowohl an das Hören als auch an das Schauen sinnfällig. Die Orgel im Kirchenraum ist also nicht allein auf ihre Funktion als Musikinstrument zu beschränken; die Gestaltung des Orgelprospekts ist ein aussagekräftiger Teil der Ausstattung des Kirchenraums. Für Luther war die Musik eine Gabe Gottes. Sie kann Worte übermitteln und somit das Wort Gottes selbst. Sie dient dazu, Gott zu loben, das Evangelium zu verkündigen und den in Jesus Christus vollzogenen Sieg Gottes über Sünde und Tod zu feiern. Zur

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Abb. 26: Orgel, 1653–1659, Pfarrkirche St. Marien in Stralsund, Westwand des Mittelschiffs.

Begründung für die Hochschätzung der Musik, gerade auch der Instrumentalmusik verwiesen Luther und andere Reformatoren auf das Psalmwort „Lobt Gott mit Posaunen, lobt ihn mit Psalter und Harfen“ (Ps 150,3). Das galt auch für die Orgel. Im 16. Jahrhundert, im Zuge der Entwicklung des mehrchörigen Prinzips in der Kirchenmusik, wurde die Orgel lediglich als ein Chor behandelt. Im Gottesdienst spielte die Orgel alternierend zum Chorgesang. Bis weit in das 17. Jahrhundert hinein sang die Gemeinde ohne Orgelbegleitung. Lediglich Vor- und Nachspiele zu den Chorälen wurden von der Orgel gespielt. Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg war die Orgel hauptsächlich für die Choralbegleitung da. In dieser Zeit entstanden die zahlreichen Choralbearbeitungen. Jetzt hatte auch beinahe jede Dorfkirche eine Orgel erhalten.

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Bemerkenswert ist die anspruchsvolle, prägende Gestaltung der Orgelprospekte. Dabei wird zunächst bei Orgelprospekten durch deren Gestaltung das Hauptwerk der Orgel wiedergegeben. An manchen Orgeln sind Orgeltüren erhalten geblieben. Damit wurde während der Fastenzeit (Advents- und Passionszeit), in der die Orgel nicht gespielt wurde, der Orgelprospekt verdeckt und verschlossen. Zur Mitte des 17. Jahrhunderts erlangen die Orgeln riesige Ausmaße und nehmen manchmal die gesamte Westpartie des Kirchenraums ein („Hamburger Prospekt“). Jetzt finden sich auch neben allgemeinen Zierformen figürliche Darstellungen an den Orgelprospekten, u. a. König David oder musizierende Engel bzw. ganze Engelchöre, dann aber auch Inschriften. Die Orgel hat zumeist ihren Platz auf einer Empore dem Altar gegenüber. Wenn, wie in der Stralsunder St.-Marien-Kirche, der Orgelprospekt sich an der Westseite des Kirchenraums turmartig aufbaut und mit zahlreichen posauneblasenden Engeln besetzt ist, legt sich der Gedanke an ein Abbild des himmlischen Jerusalem nahe. Der Ernst der eschatologischen Ausrichtung wird durch die gesamte Konzeption jedoch zu einer freudigen Erwartung transformiert.114 In der Barockzeit erhielt die Orgel in zahlreichen protestantischen Kirchen ihren Platz über dem Kanzelaltar. Es ist Ausdruck der Frömmigkeit jener Zeit, wenn nun das Abbild himmlischer, d.h. künftiger Musik in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wird.115 Der Orgelprospekt ist hier gleichsam „Prospekt des offenen Himmels“. In dem Moment aber, in dem die Kirchenmusik und insbesondere das Orgelspiel ihre Daseinsberechtigung nur noch in der Unterstützung des Gemeindegesangs hatten, war die eigentliche Bedeutung des Dreiklangs Altar, Kanzel, Orgelprospekt erloschen. f) Das Taufbecken Das Taufbecken gehört zur Ausstattung jeder christlichen Kirche. In mittelalterlichen Kirchen war ein Taufbecken vorhanden, das auch nach der Reformation für Taufen genutzt wurde. Allerdings änderte man häufig den Ort der Aufstellung. Jetzt wurde es an einem Ort in der Achse des Altars oder doch nahe dabei aufgestellt. Die Taufe sollte nach reformatorischer Auffassung nicht in einem Winkel geschehen, sondern in „facie ecclesiae, in öffenlicher gemeiner versamblung“ stattfinden.116 Um der Sichtbarkeit willen sollte das Taufbecken ein oder zwei Stufen erhöht aufgestellt sein. Im 16. Jahrhundert und später wurden zahlreiche neue Taufbecken angefertigt. Als Material wurde Stein bevorzugt, daneben aber auch Holz und Bronze verwendet. Die Taufbecken waren mit einem Deckel versehen. Da in den protestantischen Kirchen das Taufwasser nicht geweiht wird, hatte ein Deckel nunmehr keine praktische, sondern eine rein schmückende und heraushebende Funktion. Die Deckel der Taufbecken erreichen eine Höhe bis zu drei Metern. So bedurfte es einer mechanischen Vorrichtung, um solch einen Deckel emporzuziehen. Die Mehrzahl der neuen Taufbecken und Dekkel weisen Verzierungen auf. In vielen Fällen sind es figürliche Darstellungen, die, ähnlich den mittelalterlichen Taufbecken, das Verständnis der Taufe verdeutlichen. Zu den

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Abb. 27: Taufengel, 1749, Dorfkirche Weisdin (Mecklenburg).

bereits auf mittelalterlichen Taufbecken begegnenden Bildthemen ist u. a. das Motiv „Jesus segnet die Kinder“ (Mk 10,13–16) hinzugekommen. Weitere Motive können sein: Adam und Eva, die Beschneidung Jesu, Jesus und Nikodemus, Kreuzigung, Auferstehung, Himmelfahrt, die Pfingstpredigt des Petrus, die Taufe des Kämmerers, die Bekehrung des Paulus, die Taufe des Hauptmanns Cornelius sowie Paulus und der Kerkermeister.117 Als besondere lutherische Prägung kann die Verbindung einer bildlichen Darstellung mit Bibelversen in Schriftform angesehen werden. Hier sind vorzugsweise der Taufbefehl (Mt 28,19 f.) sowie das Jesuswort Mk 10,14 („Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht“) zitiert. Häufig finden sich Namen oder Wappen von Stiftern sichtbar am Taufbecken. Im Unterschied zu Altar und Kanzel wurde der Ort der Taufe im Kirchenraum als disponibel angesehen. So ist aus den Akten einer Kirche ersichtlich, dass ein Taufbecken beiseitegerückt wurde, um an seinem Ort Gestühl einbauen und vermieten zu können. Andererseits haben sich in einigen Kirchen ‚Taufgehäuse‘ erhalten, die das Taufbecken und den Platz darum mit einem Gitter umgeben. Sie sind so gewaltig, dass eine stationäre Aufstellung angenommen werden muss. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurden zahlreiche lutherische Kirchen mit Tauf engeln ausgestattet. Es kommen stehende und kniende Engel, die in ihren Händen die Taufschale tragen, vor. Eine besondere Form ist die Erfindung des Lesetaufengels,

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wobei ein Engel als Pultträger und als Träger der Taufschale zugleich wirkt. In der Mehrzahl aber ist es der schwebende Taufengel, die Taufschale in seinen Händen haltend, der mittels eines Seiles in die Höhe gezogen und zur Taufe herabgelassen werden konnte. Auf die Frage nach den Gründen für die Beliebtheit dieser Erfindung können mehrere Erklärungsmöglichkeiten erwogen werden. Das Argument der Platzeinsparung durch den Verzicht auf einen dauerhaften Taufort ist dabei eine mögliche. 118 Im 19. Jahrhundert wurde die Einrichtung des Taufengels als geschmacklos angesehen und seine Entfernung kirchenamtlich angeordnet. g) Der Beichtstuhl Die Beichte, das nichtöffentliche, wiederholbare Geständnis von Schuld vor einem Geistlichen mit dem Motiv, Vergebung zu erlangen, war im Mittelalter für die Gläubigen verpflichtend. Sie hatte ihren Ort im Kirchenraum, ohne dass dafür eine bestimmte Stuhlform vorhanden war. Die Einzelbeichte vor dem Sakramentsempfang wurde Ende des 16. Jahrhunderts in protestantischen Territorien kirchliche Pflicht. Der lutherische Beichtstuhl bot zunächst ausschließlich dem Pfarrer Platz. Daneben gab es auch Beichtkammern mit getrennten Türen.119 Einfachere Beichtstühle boten beiden Personen nebeneinander Platz. Die Beichtstühle waren im Umfeld des Altarraums aufgestellt. Um 1780 wurde in den meisten lutherischen Territorien die Privatbeichte zu Gunsten einer allgemeinen Beichte abgeschafft. Damit hatte der Beichtstuhl seine Funktion und auch seinen Ort im lutherischen Kirchenraum verloren. h) Das Epitaph Unter einem Epitaph (von griech.: epitaphios = zum Begräbnis gehörig) wird ein Wanddenkmal mit Schrifttafel verstanden, das zum Andenken an einen verstorbenen Menschen angefertigt und in einer Kirche angebracht wurde, ohne dass dadurch das Verhältnis zur Grabstätte näher bestimmt wird. Das Epitaph im Kirchenraum des Mittelalters war Ausdruck für die geglaubte Gegenwart des Toten während der Messfeier. In der Gestaltung des Epitaphs ist die Erinnerung an den Verstorbenen mit einem religiösen oder allegorischen Bildwerk verbunden. Die ersten Epitaphe entstanden Mitte des 14. Jahrhunderts, die letzten Epitaphe stammen vom Ende des 18. Jahrhunderts. Das Epitaph erhielt seit dem 16. Jahrhundert eine erhöhte Bedeutung. Zur Ausstattung lutherischer Kirchen gehören die zahlreichen Epitaphe dazu.120 Ein Epitaph sollte nach protestantischem Verständnis zwei Intentionen sichtbar machen: „Es sollte ein Erinnerungsmal für den Verstorbenen sein und zugleich die Auferstehung von den Toten verkünden.“121 Ein repräsentatives Epitaph der Reformationszeit bestand aus drei Teilen: dem Bildnis des Verstorbenen, einem Bild seines Glaubens und einer Schrifttafel mit Angaben über sein Leben. Der Verstorbene ist meist kniend und oft im Kreis seiner Familie dargestellt. Neben dem teilplastischen wurde um die Mitte des 16. Jahrhunderts auch das gemalte Epitaph wieder wichtiger. Für die zahlreichen

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Abb. 28: Epitaph, 1574, Dorfkirche Friedrichshagen (Mecklenburg).

gemalten Epitaphe aus der Cranachwerkstatt und deren Tradition ist charakteristisch, dass im Zentrum ein biblisches Thema dargestellt ist, wobei die dargestellten Personen die Züge der Reformatoren tragen können. So wurde ein deutliches Bekenntnis des individuellen „evangelischen“ Glaubens ins Bild gesetzt und damit zugleich ein individuelles, repräsentatives Denkmal im Raum der konfessionsbestimmten Öffentlichkeit errichtet. An Themen begegnen dabei: die Arbeiter im Weinberg, die Auferweckung des Lazarus, Gesetz und Gnade, Geburt Christi, Kreuzigung, Grablegung und Auferstehung Christi. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts wurde das Stifterbild immer mehr von der Darstellung separiert. Halb- oder vollplastische Epitaphe konnten dann gewaltige Dimensionen annehmen.

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IV. Das Kirchengebäude im 16. bis 18. Jahrhundert

1.3 Die Herausbildung einer Theorie des protestantischen, lutherischen Kirchenbaus seit dem 17. Jahrhundert Zum Ende des 16. Jahrhunderts sind die ersten genuin protestantischen Kirchenbauten im öffentlichen Raum errichtet worden. Die zuvor gestalteten Schlosskapellen protestantischer Fürsten sind nur eingeschränkt als repräsentativ anzusehen. Anlässe für die Errichtung evangelischer Stadtkirchen konnten etwa sein: die Gründung einer neuen Ansiedlung, etwa für Flüchtlinge aus religiösen Gründen (so u. a. Freudenstadt im Schwarzwald für Protestanten aus Österreich), oder die Gründung einer Stadt aus wirtschaftlichem Anlass (so Städte im Erzgebirge, u. a. Carolsfeld), das Vorhandensein einer evangelischen Gemeinde bei katholischer Pfarrkirche (so u. a. in Bochum) oder aber der Wiederaufbau einer zerstörten Kirche (so u.a. in Großenhain/Sachsen). Im 17. Jahrhundert, in der Zeit der lutherischen Orthodoxie, kam es zur Herausbildung einer Theologie des Kirchenbaus, zunächst in Abgrenzung gegenüber dem katholischen Raum, insbesondere aber in Auseinandersetzung mit reformierten Positionen. In der Situation der Auseinandersetzung wurde der Anschluss an die Tradition als wichtig angesehen. Bis weit in das 17. Jahrhundert hinein wurden Kirchen in lutherisch geprägten Territorien im Anschluss an vorreformatorische Hallenkirchen errichtet. Es waren Saalkirchen mit Stützen und häufig mit einem kurzen, dreiseitig geschlossenem Chor. Ebenso traditionell war die Aufstellung der beiden Prinzipalstücke Altar und Kanzel. Der Altar fand seinen Ort im Chorraum, die Kanzel ihren an einem Pfeiler auf der Nordoder der Südseite. Prägend blieb damit auch die zweipolige Ausrichtung auf den Altar einerseits und auf die Kanzel andererseits, die für längsgerichtete Räume charakteristisch bleibt. Interessant ist die Anfang des 17. Jahrhunderts in Freudenstadt errichtete Kirche in Form von zwei, im rechten Winkel zusammenstoßenden Flügeln. Der Kirchenbau begrenzt so den neu angelegten Marktplatz, dessen drei andere Ecken durch die ebenso gestalteten Bauten von Rathaus, Kaufhaus und Spital eingefasst werden. Damit wird deutlich, dass hier das Kirchengebäude in keiner Weise mehr einen besonderen Ort markiert. Es ist äußerlich mit anderen hervorgehobenen Bauten einer Stadt vergleichbar geworden. Das Entscheidende, das Spezifische ist ganz auf den Innenraum beschränkt. Allein anhand der Gestaltung des Kirchenraums wird deutlich, was eine Kirche zur Kirche macht. Das 17. Jahrhundert war auch die Zeit der Idealpläne für kleine und größere Gemeinwesen sowie für die optimale Baugestalt etwa einer Kirche. Bereits 1602 hatte Jacques Perret in der Schrift „Gentilhomme Savoysin“ eine Idealstadt für Hugenotten entworfen. Dazu gehörten auch drei „temples“ (Kirchengebäude) von unterschiedlicher Größe. Äußerlich ist keiner als Sakralbau zu identifizieren. Der Architekt erklärt die Absage an eine eigene kirchliche Baukunst zum Programm. Kriterium ist die Vertauschbarkeit von Sakralbau und Profanbau. 1649 veröffentlichte Joseph Furttenbach aus Ulm die Schrift „KirchenGeba(e)w“.122 Sein Anliegen war es, nach den Zer-

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störungen des Dreißigjährigen Krieges „die Kirchen mit solcher Manier widerumben auffzubawen/damit sie zuvorderst bequem vnd nutzbar/den Gottesdienst darinnen zuverichten seyen“ (194). So finden in dem Entwurf sowohl die rechte Einrichtung mit den wichtigen Stücken als auch einige für den Prediger gesundheitsförderliche Gesichtspunkte Berücksichtigung. Der Grundriss der Kirche (210) zeigt einen Saal mit etwas schmalerem Altarraum. Dieser Bauteil ist hier jedoch dreigeteilt: In der Mitte öffnet sich hinter dem Altar ein kleiner Chorraum mit eigenem Altar. Links davon liegt der Turmraum, rechts die Sakristei. Vor dem Altar ist der Taufstein aufgestellt. Über dem Altar ist die Kanzel vor der oberen Abschlusswand angeordnet. Darüber hat die Orgel ihren Platz, sodass alle Prinzipalstücke axial ausgerichtet sind. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts hat der Fürstlich-Mecklenburgische Baudirektor Leonhard Christoph Sturm ein „Achitectonisches Bedencken Von Protestantischer Kleinen Kirchen Figur und Einrichtung“ (1712)123 veröffentlicht und darin eine ganze Reihe Grundrissformen vorgestellt: das Quadrat, ein Quadrat mit kurzen Kreuzarmen, ein Oktogon, ein Dreieck, einen querliegenden, länglichen Raum, den Kreis und einen Winkelhaken. Abgelehnt wird ausdrücklich das Kreuz als Grundrissform, da es hinsichtlich des Materialaufwands, der Anfälligkeit gegen Witterungsschäden sowie hinsichtlich der nicht gegebenen freien Sicht auf den Prediger nachteilig sei. Wird also die Symbolik des Kreuzes für die Grundrissform von Sturm abgelehnt, so verweist er, „wenn man bey der Figur der Kirchen so nothwendig auf solche Dinge reflectiren mu(e)ste“ (226), auf drei symbolhaltige Grundrissformen: das Quadrat, das auf die Gestaltung des Tempels Salomos zurückgeführt wird, den Kreis, der zu allen Zeiten als Bild für die Ewigkeit gestanden hat, das gleichseitige Dreieck, das immer ein Bildnis der Gottheit dargestellt habe. Ein Kriterium ist u. a., dass niemandem etwas von den Handlungen des Gottesdienstes verborgen bleibe. Im Mittelpunkt des Gottesdienstes stehen dabei der Altar und die Kanzel darüber. Bemerkenswert ist, dass Sturm auch von einer konsequenten Trennung der Geschlechter im Gestühl ausgeht. 1718 veröffentlichte Sturm eine weitere Schrift „Vollständige Anweisung alle Arten von Kirchen wohl anzugeben“, in der er einige der Grundrissformen weiterentwickelt hat. Sturm, der zum Calvinismus übergetreten war, nimmt in seinen Entwürfen deutlich italienische, französische, aber v. a. auch reformierte Bauformen auf. Seine Entwürfe erreichten eine große Wirksamkeit, auch wenn sie nicht identisch umgesetzt worden sind.

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IV. Das Kirchengebäude im 16. bis 18. Jahrhundert

1.4 Kirchengebäude und Gottesdienst in lutherischen Territorien im 18. Jahrhundert 1.4.1 Repräsentative Kirchengebäude prägen das Stadtbild In lutherischen Territorien waren die Kirchenum- bzw. -neubauten keinesfalls nur durch Bedürfnisse der Gottesdienste bestimmt. Vielmehr gelang mit den Kirchengebäuden doch eine Darstellung des selbstbewussten Bürgertums protestantischer Prägung. Insofern standen gerade die aufstrebenden Bürgerstädte im Mittelpunkt protestantischer Kirchenbautätigkeit. So erhielt die Nürnberger Aegidienkirche (1711–1718) ebenso eine repräsentative Doppelturmfassade wie die Stadtkirche in Ludwigsburg (1718–1726). Die Spitzenstellung unter diesen Kirchengebäuden und deren Bedeutung für die Stadtsilhouette kam der Frauenkirche in Dresden zu (1726–1738). Hier war es kein eigentlicher Turm, sondern die sich über dem zentralisierenden Kirchenraum erhebende Kuppel, die dieses Bauwerk charakterisierte, es gegenüber vergleichbaren profanen Bauten als kirchliches erkennbar und gegenüber katholischen Kirchengebäuden als protestantisch identifizierbar machte. In manchen katholischen Kirchen der Barockzeit ist der Altarraum von einer Kuppel überwölbt; die Kuppel der Frauenkirche dagegen überwölbt den Bereich, in dem sich die Gemeinde versammelt. Überhaupt war Dresden um die Mitte des 18. Jahrhunderts die „Hauptstadt“ der lutherischen Kirchenbauten. Hier entstanden die Dreikönigskirche (1732–1739 Wiederaufbau auf Kosten des Königs), die Annenkirche (1766–1769) und die Kreuzkirche (1784–1792). Sie alle sind Kirchengebäude mit nur einem, aber dominanten Turm. Für Sachsen ist ferner auf die Umbauten sowohl der Stadtkirche in Großenhain (nach 1748) als auch von St. Nikolai in Leipzig (1784–1797) hinzuweisen. Einen ebenfalls herausragenden lutherischen Kirchenbau stellt die verändert wiederaufgebaute Kirche St. Michaelis in Hamburg (1751–1762) dar. Mit diesen Kirchenbauten hatte das protestantische, evangelische Christentum nunmehr seine kulturgestaltende und stadtprägende Kraft öffentlich manifestiert. Und es verwundert nicht, wenn die Frauenkirche in Dresden schon bald als „ein Sankt Peter der wahren evangelischen Religion“ gerühmt wurde.

1.4.2 Der lutherische Kirchenraum in seiner Vollendung Etwa seit Mitte des 17. Jahrhunderts wurden Kirchen zunehmend in Querausrichtung oder einem Zentralbau angenähert errichtet. Bei der Querausrichtung könnte man den Vorzug der Kanzel vor dem Altar ausgedrückt finden: Der traditionelle Ort der Kanzel an einer Seite des Schiffs ist beibehalten worden. Der traditionelle Ort des Altars an einer Schmalseite aber wurde aufgegeben; der Altar ist zur Kanzel gewandert. Es gibt keinen hervorgehobenen Chor mehr. Ihren spezifischen Ausdruck hat diese

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Abb. 29: Frauenkirche in Dresden, 1726–1734 (historische Aufnahme).

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IV. Das Kirchengebäude im 16. bis 18. Jahrhundert

Abb. 30: Marienkirche in Großenhain, Innenraum, 1746–1748.

Entwicklung in dem Kanzelaltar gefunden. Hierbei handelt es sich um die baulichkonstruktive Verbindung von Kanzel und Altar, bei der die Kanzel gleichsam in ein Retabel eingefügt ist. Der Kanzelaltar wurde nicht aus Gründen der Nützlichkeit, sondern der theologisch begründeten Zuordnung von gepredigtem und sichtbarem Wort Gottes gewählt. Er ist die prägende Schöpfung des lutherischen barocken Kirchenraums. Das ideale Umfeld findet der Kanzelaltar in dem Kirchengrundriss, der einem Zentralraum angenähert ist. Das frühe 18. Jahrhundert war die Zeit der großen baro cken Kirchenbauten des Protestantismus. Hierbei sind alle Grundrissformen vertreten, sowohl Langhaus- als auch Querhausanlagen, T-förmiger und kreuzförmiger Grundriss sowie Polygonal- und Rundkirchen. Die Entscheidung für eine Grundrissform war ästhetisch begründet oder durch die lokalen Gegebenheiten bedingt. Die Dominanz gerundeter, zentralisierender Grundrissformen wird auch darin deutlich, dass Saalkirchen durch den Einbau mehrgeschossiger Emporen und eines Kanzelaltars zu ovaler Form umgestaltet werden. In der Raumwirkung wird Bewegung sichtbar. Eine Bewegung geht von Kanzel und Altar zu den Bänken der Gemeinde hin; demgegenüber scheint die Gemeinde in respektvollem Abstand gegenüber Altar und Kanzel zu verharren. Dies ist an der Einrichtung des Gestühls ablesbar, das in einem „großen Bogen“ vor dem Altar zurückweicht. Zugleich wird mit solcher Aufstellung

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die Grundform des Raums aufgenommen und das Empfinden einer Einheit von Raum und den Menschen darin erfahrbar gemacht. Das Kirchengebäude wurde in dieser Zeit unter Berufung auf Gen 28,17 („Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts als Gottes Haus und hier ist die Pforte des Himmels“) als „Pforte des Himmels“ gerühmt. Im Gottesdienst im Gotteshaus steht der Himmel offen, weil Gottes Herrlichkeit in Wort und Sakrament unmittelbar gegenwärtig ist. Es wird erfahrbar, dass sich im Anblick des Altars der Himmel „öffnet“; hinter dem Altar wird ein sakrales Zurückweichen der Außenwand, davor ein ehrfurchtsvoll zurückweichendes Gestühl sichtbar. Einweihungspredigten verbalisieren das Dargestellte: „So oft ihr in dieses Haus kommt, so bringet auch andächtige und gen Himmel gerichtete Herzen mit, und bedencket, daß eure Zusammenkünfte hieselbst nur allein den vertrauten Umgang mit Gott zur Absicht haben. Betrachtet diesen Tempel als ein geistiges Thabor, … wo ihr, frey von allen irdischen Gedanken, niemand sehet als Jesum alleine. Betrachtet diese Stätte, die Gott auf Erden unter euch aufgerichtet hat, als ein Vorbild jener herrlichen Ruhestätte, die euch im Himmel bereitet ist, wo ihr den vertrauten Umgang mit Gott ewig genießen sollt.“124 Diese Predigt nimmt Bezug auf ein Deckengemälde mit der Verklärung Jesu. In der Mehrzahl der Kirchen verzichtete man auf eine bildliche Darstellung des Himmels. Dafür erschien die Anordnung der Orgel über dem Kanzelaltar als Ausdruck der Vorahnung ewiger Seligkeit. In der Orgel- und Chormusik wurde die Erfahrung des „offenen Himmels“ intensiviert. Es war die Zeit des Wirkens Johann Sebastian Bachs und anderer bedeutender Komponisten. Eine Vielzahl von Kantaten entstand und gelangte in lutherischen Gottesdiensten zur Aufführung. Von daher kann die Bedeutung der Musik im evangelischen Kirchengebäude der Barockzeit analog zur Bedeutung der reichen Ausmalung und Ausgestaltung der zeitgleich errichteten katholischen Kirchengebäude verstanden werden: Wurde hier der „offene Himmel“ visuell anschaubar gestaltet, so wurde im evangelischen Bereich der „offene Himmel“ im Gemüt des Einzelnen evoziert – durch das gehörte (Predigt) und das geschaute (Sakrament) und das musizierte Wort Gottes. Der Kanzelaltar – mit oder ohne Orgel – war das konstituierende Monument des lutherischen barocken Kirchenraums. Er war Ausdruck der Hochschätzung des Wortes, der Predigt des Evangeliums. In der Konstruktion „Kanzelaltar“ wurde zum einen die Bedeutung des Altars sichtbar herausgestellt. Die betonte Sichtbarkeit des Altars und seine mit der Kanzel verbundene axiale Anordnung konnte das Bekenntnis zur Realpräsenz Christi im Abendmahl zum Ausdruck bringen. Und das implizierte die Ablehnung sowohl der (katholischen) Transsubstantiationslehre wie auch der (reformierten) Auffassung vom Symbolcharakter des Abendmahls. Die herausgehobene Stellung der Kanzel machte wiederum deutlich: Es gibt keine Wirkung der Sakramente ohne das Wort. Die raumgestaltenden Prinzipien in lutherischen Kirchenräumen können mit den Begriffen Zentralisation, Symmetrie und Axialität beschrieben werden. Die Erfüllung

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dieser Prinzipien wurde als Ausdruck der einen, von Gott gesetzten Weltordnung verstanden, die sich im Kirchenbau und im Gottesdienst manifestiert. Dabei wird in einer Kirchweihpredigt auf 1 Kor 14,33 Bezug genommen. „Und ist Gott ein Gott der Ordnung, so muß auch ihm gefallen, wenn alles ordentlich in seinem Hause zustehet. Darzu denn gewiß gehöret, wenn ein Kirchen-Bau, in einer guten Symmetrie angeleget, Canzel, Altar, Taufstein und Orgel, in guter Ordnung stehen, alle Emporkirchen und Kirchenstände also eingebauet sind, daß sie, besonders Altar und Canzel, und auf selbigen den Prediger im Gesichte haben können.“125

1.4.3 Der evangelische Gottesdienst im 17. und 18. Jahrhundert Die Zahl der evangelischen Gottesdienste in lutherischen Territorien und hier insbesondere in den Städten war beträchtlich. In Leipzig fanden im 18. Jahrhundert an Werktagen in den verschiedenen Leipziger Kirchen bis zu fünf Gottesdienste statt. Bei einer Einwohnerzahl von ca. 30 000 wurden sonntäglich 14 Predigten gehalten. In Dresden wurden 1723 sonntäglich 17 Predigten, an den übrigen Wochentagen insgesamt 34 Predigten gezählt. Insbesondere in den Städten wurden die Gottesdienste durch die Kirchenmusik mit geprägt. Gottesdienst und Kirchenbau waren ein integrierender Faktor des öffentlichen Lebens. Der Hauptgottesdienst war aber zugleich auch eine Institution der Obrigkeit. Agenden waren Instrumente der jeweiligen Regierung. Und die Öffentlichkeit des Hauptgottesdienst bot den Rahmen, in dem Reskripte und Edikte der Obrigkeit verlesen und so öffentlich bekannt gemacht wurden. Daher war die Teilnahme am Gottesdienst nicht freiwillig; und darin lag wieder der Anspruch an den Kirchenraum begründet, jedem Gemeindeglied einen Platz zuweisen zu können. Ein Hauptgottesdienst konnte zu jener Zeit drei Stunden und länger dauern.126 Ende des 18. Jahrhunderts setzte sich die Auffassung durch, dass das Kirchengebäude zunächst dazu bestimmt sei, darin „Religionsvorträge“ halten und hören zu können. Und hinsichtlich des Gottesdienstes wurde dementsprechend terminologisch unterschieden zwischen dem Lehrer und den Zuhörern bzw. dem Publikum. Das führte dazu, dass die großen Kirchengebäude jener Zeit mit der entsprechenden Anordnung des Gestühls heute eher den Eindruck eines Hörsaals nahelegen als den eines Gottesdienstraums.

1.5 Ausstattungsstücke des lutherischen Kirchenraums a) Paramente Zu den Paramenten (von lat.: parare = bereiten) werden alle Textilien gezählt, mit denen die für die Feier des Gottesdienstes wichtigen Gegenstände und Personen „be-

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kleidet“ werden. Dafür gibt es in der christlichen Kirche eine lange Tradition, die in den lutherischen Kirchen fortwirkt. Paramente sind in den liturgischen Farben gestaltet und charakterisieren so die jeweilige Kirchenjahreszeit. Dem Wortsinn angemessen wäre es, wenn die Paramente nur zur Feier des Gottesdienstes angebracht wären („Bereitung“). Es hat sich jedoch eingebürgert, die Paramente auch außerhalb der Gottesdienste an ihrem Ort zu belassen. Im lutherischen Kirchenraum werden Antependien verwendet (lat.: antependium = das Davorhängende). Sie finden sich an der Vorderseite des Altars, am Pult der Kanzel und evtl. auch an einem Lesepult. Ursprünglich wurde mit dem Begriff „Antependium“ nur die Altarbekleidung bezeichnet, die den stipes in ganzer Breite oder aber nur dessen Mitte bedeckte. Die Hochschätzung des gelesenen und gepredigten Bibelwortes in den protestantischen Kirchen führte dazu, auch Kanzel und Lesepult mit einem Antependium auszuzeichnen. Die Antependien sind in den liturgischen Farben gearbeitet. Sie weisen mit der jeweiligen Farbe auf die Kirchenjahreszeit hin: – „weiß: Farbe der Christusfeste und -festzeiten, auch für Johannes den Täufer und den ‚Erzengel‘ Michael; – violett: Fasten- und Bußfarbe, v. a. in der Vorbereitungszeit vor Weihnachten (Adventszeit) und vor Ostern (Passionszeit); – rosa: als Mitte zwischen violett und weiß am 4. Sonntag im Advent (Gaudete) und am 4. Sonntag der Passionszeit (Lätare); – rot: Farbe des Heiligen Geistes, der Apostel, Märtyrer, Glaubenszeugen, Kirchweihe, Gemeindefest, Konfirmation, Ordination und Einführung; – schwarz: für Zeiten und Anlässe des Totengedenkens, im Protestantismus weithin auch für Karfreitag, wenn nicht an diesem Tag auf Paramente ganz verzichtet wird; – grün: für die übrige Zeit des Jahres.“127 b) Kreuz Ein Kruzifixus gehörte in der christlichen Tradition auf oder in die Nähe des Altars. Das ist auch in der lutherischen Kirche so beibehalten worden. Das Kreuz kann für den Liturgen einen Konzentrationspunkt darstellen. c) Altarleuchter Das entzündete Licht wurde im Altertum als Überwindung der Dunkelheit verstanden, und im abendlichen (künstlichen) Licht wurde Christus begrüßt. Auch am Tage konnte ein Licht als ehrende Gabe vor jemandem entzündet und als Ausdruck festlicher Freude verstanden werden. Leuchter mit Kerzen gehörten seit dem Mittelalter zur Ausstattung von Altären. In der lutherischen Tradition ist das beibehalten worden. Auf dem Altar in einem lutherischen Kirchenraum haben Leuchter mit Kerzen, die zur Feier des Gottesdienstes angezündet werden, ihren Platz.

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d) Abendmahlsgeräte (Vasa sacra) An mittelalterlichen Pfarrkirchen wurde nach deren Ingebrauchnahme für den lutherischen Gottesdienst auch das Abendmahlsgerät weiterverwendet. Im lutherischen Gottesdienst folgte die Liturgie der Abendmahlsfeier weithin der Tradition der römischen Messe. So wurden auch die in kostbarer Goldschmiedearbeit hergestellten Geräte weiterverwendet: der Teller für das Brot (Patene) und der Kelch für den Wein. Ebenso fand das Behältnis für das Brot vor der Austeilung (pyxis) weitere Verwendung. In der römisch-katholischen Messfeier empfingen die Kommunikanten meist nur das Brot. Im lutherischen Gottesdienst wurden Brot und Wein ausgeteilt. Es fehlte ein genügend großes Behältnis zur Aufnahme des Weins vor der Austeilung. Die dafür angefertigte Abendmahlskanne ist daher zu dem spezifisch reformatorischen Ausstattungsstück lutherischer Pfarrkirchen geworden.128 e) Osterkerze Die Tradition der Osterkerze stammt aus der römischen Liturgie. Erst seit kurzer Zeit gibt es auch in evangelischen Kirchen eine Osterkerze. Sie wird am Ostermorgen entzündet und in einer Prozession in die noch dunkle Kirche geleitet. Diese Prozession enthält eine doppelte Symbolik. Sie erinnert an die Feuersäule, in welcher der Gott Israels seinem Volk in der Nacht voranzog und den Weg in die Freiheit wies (vgl. Ex 13, 17–22). Und sie stellt die Beziehung zu dem Jesus-Wort: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“ (Joh 8,12) her. Die Osterkerze brennt zu den Gottesdiensten bis zum Himmelfahrtsfest. Danach brennt sie nur noch zu Tauffeiern als Symbol für das mit der Taufe begonnene „neue“ Leben. Die Osterkerze ist mit dem Kreuzzeichen und der Jahreszahl versehen. f) Lesepult Im lutherisch geprägten Gottesdienst werden vom Lesepult aus die Lesungen aus der Bibel für den jeweiligen Sonntag bzw. Feiertag vorgetragen. Das Pult hat seinen Ort im Altarraum oder an dessen Grenze. In dieser Funktion ist es deutlich von Altar und Kanzel abgesetzt. In jüngerer Zeit wurden häufiger Kanzel und Pult in einem Objekt zusammengefasst. g) Gesangbücher und Nummerntafeln Zu den wichtigsten Schöpfungen Martin Luthers gehören seine deutschen Kirchenlieder. Sie wurden zuerst als Flugblätter veröffentlicht, aber schon bald von Verlegern als Liedsammlungen gedruckt und herausgegeben. Die Lieder wurden auf Straßen und Plätzen gesungen; in den Gottesdienst fanden sie als Lieder der Gemeinde erst langsam ihren Einzug. Bis ins 17. Jahrhundert hinein sang die Gemeinde unbegleitet und auswendig. Gesangbücher waren zu dieser Zeit ein seltener Besitz und v. a. für den häuslichen Gebrauch bestimmt.

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Im lutherischen Gottesdienst war das Detempore (lat. = zur rechten Zeit) festgelegt: Jedem Sonntag war nach alter Tradition ein bestimmter Epistel- und Evangelientext zugeordnet. Letzterer war auch Grundlage der Predigt. Diesen Texten wurden bestimmte, geeignete Lieder zugeordnet. Dieser „Detempore-Schatz“ blieb über Jahrzehnte hin unverändert. Jeder Kirchenbesucher konnte daher bereits vorher wissen, worüber gepredigt und was gesungen wurde. Die Verantwortung für das Singen trug der Kantor; die Gemeinde sang auswendig. Die Zunahme der gedichteten und in zahllosen Gesangbüchern veröffentlichten Lieder machten Variationen bei den ausgewählten Gemeindeliedern möglich. Diese Vermehrung des möglichen Liedgutes erforderte eigene Informationen dazu, welches Lied gesungen werden sollte. Da es keine einheitlichen Gesangbücher gab, blieb allein die Möglichkeit, an Tafeln die Liedanfänge zu notieren. Schließlich wurden für bestimmte lokale Bereiche amtliche Gesangbücher herausgegeben, um eine gemeinsame Grundlage für den Gottesdienst zu haben. Darin konnten nun auch die Lieder nummeriert werden (zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts). Jetzt war es möglich, die Nummern der Lieder an Nummerntafeln im Kirchenraum auszuhängen. Auch die Pfarrer beanspruchten zunehmend das Recht auf individuelle Auswahl von passenden Liedern zu ihrer Predigt. „Die bis dahin fest geordneten Gottesdienste lockern sich. Die Lieder sollten nicht mehr hauptsächlich dem allgemeinen Tagesgedanken entsprechen, sondern dem besonderen Inhalt der Predigt.“129 Nicht mehr dem Detempore-Lied kam die prägende Stellung zu, sondern das vom Prediger ausgewählte „Predigtvorlied“ setzte den dominanten Akzent. Insofern kann die Einführung der Nummerntafeln als Indiz für die zunehmende Bedeutung der Individualität des Predigers für den Gottesdienst gelesen werden. Der geschilderten Entwicklung korrespondiert die Bedeutung, die der guten Beleuchtung einer Kirche zu jener Zeit zugemessen wurde. Das Licht wurde als eine der vier Haupttugenden eines gelungenen lutherischen Kirchengebäudes gefeiert. Das Licht ist eine Aufmunterung zur Andacht, insbesondere aber „sind lichte Kirchen deswegen höchst nöthig, daß fromme Kirch-Kinder ihre Gesangsbücher und Bibeln, desto eher nachschlagen können“130. Die geistliche Selbständigkeit der Gemeinde fand ihre Berücksichtigung darin, dass die äußeren Bedingungen für eine individuelle Beteiligung am Gottesdienstgeschehen im Blick waren und angemessen gestaltet wurden. h) Wandgestaltungen Im Gegensatz zu reformierten Kirchenräumen, die generell weiß gehalten und höchstens mit Bibelinschriften verziert waren, wurden die lutherischen Kirchen in der Zeit von 1550 bis 1700 in der Regel mit prächtigem und farbenreichem Bilderschmuck ausgestaltet. So waren an Emporenbrüstungen und Wänden Bibelzitate gemalt. „Pfarrer Michael Müller brachte im Jahre 1606 an den Wänden seiner kleinen Dorfkirche in Türkheim bei Ulm 195 Bibelzitate an, davon 42 in hebräischer Sprache. Auf Veranlassung des Pastors Balthasar Schuppe hin wurde der Innenraum der Pfarrkirche St. Jako-

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bi zu Hamburg in der Mitte des 17. Jahrhunderts mit 229 Sprüchen versehen.“131 Aber es fanden sich auch ganze Bildprogramme, denen Verweise auf Bibeltexte oder aber auch Zusammenfassungen beigegeben waren. Die Wandmalereien in der Pfarrkirche Sonneborn (17. Jahrhundert) bei Lemgo beziehen sich auf die fünf Hauptstücke von Luthers Katechismus und verzichten auf Texte. Besonders eindrückliche Wand- bzw. Gewölbemalereien sind in Pirna in Sachsen (1544), in der Schlosskapelle Neuburg (1543) und in der Schlosskapelle Celle in Niedersachsen (1569) erhalten.132 Das 18. Jahrhundert mit dem Ideal des überschaubaren hellen Kirchenraums hatte wenig für die Ausmalungen übrig. Viele Kirchenräume wurden einfarbig, in der Regel weiß überstrichen. i) Die Sakristei Die Sakristei war ein ausgesonderter, dem Chorraum im Norden oder Süden, später auch im Chorscheitel angefügter Raum, in dem sich liturgische Geräte, Paramente und zum Gottesdienst notwendige Gegenstände befanden und in dem die für den Gottesdienst erforderlichen Vorbereitungen erfolgten. Die Sakristei soll heizbar und von außen zugänglich sein. In Kirchen, an denen mehrere Prediger wirken, soll für jeden eine kleine Sakristei zur Verfügung stehen, sei es doch im allgemeinen so, „daß die Kollegen in einer Kirche in Feindschafft mit einander leben, und also, wenn sie in solchen Sakristeyen beyeinander sind, nur das Geblüt einander warm machen“133. Bei der Dreikönigskirche in Dresden (1739) gab es vier Sakristeien.

2. Das Kirchengebäude im reformierten Kontext In einigen Regionen Deutschlands entdeckt man Kirchengebäude mit der Bezeichnung „Reformierte Kirche“ oder „Französische Kirche“. Reformierte Kirchen in größerer Zahl finden sich in Ostfriesland, in der Grafschaft Bentheim, am Niederrhein und in Lippe. Reformierte Kirchengebäude können aus dem Mittelalter überkommene Kirchen sein oder auch Neubauten seit dem 17. Jahrhundert; französische Kirchen sind generell Neubauten. Gemeinden reformierten Bekenntnisses und deren Kirchengebäude sind nicht durch die lutherische Tradition, sondern durch die Ereignisse während der Reformationszeit in der Schweiz geprägt. Die Reformation ist in der Schweiz und in einigen oberdeutschen Städten anders verlaufen als in Wittenberg und Umgebung. Hier erlangen insbesondere Huldrych Zwingli in Zürich und Johannes Calvin in Genf eine weitreichende Wirkung. Als Benennung von außen für die reformierten Gemeinden hatte die Bezeichnung „Calvinisten“ sich über lange Zeit gehalten. Die so Bezeichneten jedoch lehnten jeden namentlichen Bezug auf einen theologischen Stifter ab und verstanden sich selbst als Glied der gesamten Kirche. Die Selbstbezeichnung „Reformierte Kirche“ bringt zum Ausdruck, dass es sich hier um den Teil der Kirche handelt, die nach dem Gotteswort der Heiligen Schrift reformiert worden ist.

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2.1 Die pragmatische und theoretische Grundlegung für den reformierten Kirchenraum in der Schweiz 2.1.1 Das Urbild des reformierten Kirchenraums in Zürich Im Zusammenhang der reformatorischen Ereignisse in Zürich 1524 kam es zum Abtragen der Nebenaltäre in den Pfarrkirchen der Stadt. Fast alle Bildwerke wurden entfernt, übermalt oder zerstört, da nach Zwingli von ihnen „die schändliche Verführung der Augen“ ausgegangen sei. Alles Kirchengerät wurde aus den Kirchen herausgebracht und nach Möglichkeit zu Geld gemacht, um damit den gemeinen Kasten zu füllen. Und dies war nicht allein die Initiative Einzelner, sondern geschah mit Unterstützung der städtischen Obrigkeit. Ebenso wurden die Klöster „verstaatlicht“; neben den Pfarrkirchen in der Stadt hatten die Klosterkirchen keine Daseinsberechtigung als Kirchen mehr. So fand hier eine erste Säkularisation von Kirchen und Kirchengut statt. Die Gottesdienste wurden weiterhin in den Pfarrkirchen, so auch im Großmünster in Zürich, gefeiert. Der Gottesdienst, wie ihn Zwingli eingerichtet hatte, unterschied sich von Luthers Weiterführung des vorreformatorischen Messgottesdienstes. Zwingli war wie Luther Priester. Er bezog sich auf den in Oberdeutschland vertrauten vorreformatorischen Prädikantengottesdienst, der allein aus dem Predigtauftritt (Pronaus) bestand. Dieser übernommene Predigtgottesdienst ohne Abendmahlsfeier und auch ohne Gemeindegesang wurde durch Zwingli zur Normalform des Gottesdienstes in Zürich. Für die Gottesdienste wurde allein das Kirchenschiff gebraucht. Der Altarraum blieb, in mittelalterlicher Tradition, der Geistlichkeit vorbehalten, nun aber nicht länger für den liturgischen Chordienst bestimmt, sondern als Raum für die biblischexegetische Arbeitsgemeinschaft der Pfarrer. Zwingli begründet diese Einrichtung und nennt sie „Prophecey“ (nach 1 Kor 14,29: „Propheten aber lasset reden zwei oder drei, und die anderen lasset die Rede prüfen“).

2.1.2 Johannes Calvin zu Bilderverbot und Kirchengebäude Der reformatorische Prozess in Frankreich und in den Niederlanden wurde ganz entscheidend von Johannes Calvin geprägt. Sein Hauptwerk „Institutio christianae religionis“ – „Unterricht in der christlichen Religion“ veröffentlichte er erstmals 1534 und in letzter, überarbeiteter Form 1559.134 In diesem Werk finden sich auch Ausführungen, die für die Gestaltung des reformierten Kirchenraums von Bedeutung waren. An hervorgehobener Stelle formuliert Calvin die übergreifende Erkenntnis: „Es ist Sünde, Gott sichtbare Gestalt beizulegen“ (I,11). Zur Begründung verweist er auf das – bei Luther fehlende – zweite Gebot: „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen …“ (Ex 20,4). Der Herr „will überhaupt von keinem Künstler gebildet werden; denn solche Abbildung geschieht verkehrt und unter Verachtung seiner

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Majestät“ (I,11,4). Das gilt auch für Kreuzesdarstellungen. „Paulus bezeugt, dass durch die wahre Predigt des Evangeliums Christus abgemalt, ja sozusagen vor unseren Augen gekreuzigt wird! (Gal 3,1) …“ (I,11,7). Ein Altar als Ort des wiederholten Opfers hat keine Berechtigung mehr. Gott hat uns „einen Tisch gegeben, an dem wir das Mahl halten sollen, nicht aber einen Altar, auf dem ein Opfer dargebracht werden soll“ (IV,18,12). Calvin setzt das Vorhandensein öffentlicher Kirchengebäude voraus. Sie sind Orte des gemeinsamen Gebets, der Predigt sowie der Feier von Abendmahl und Taufe. Das Kirchengebäude soll schlicht ausgestattet sein und keinerlei Bilder noch Kreuze aufweisen. Zur Einrichtung des Kirchenraums wird neben der Erwähnung des Tischs für die Abendmahlsfeier nichts ausgeführt. Calvin vertrat damit keine andere Auffassung vom Kirchengebäude als diejenige, die auch in den frühen helvetischen Bekenntnissen formuliert ist. So ist in der „Confessio Helvetica posterior“ von 1566 der Artikel XXII überschrieben „De coetibus sacris et ecclesiasticis“. Darunter wird u. a. ausgeführt: „Die Stätten, an denen die Gläubigen zusammenkommen, sollen aber würdig (honestus) und der Kirche Gottes in jeder Hinsicht angemessen (commodus) sein. Dafür sind geräumige Gebäude oder Kirchen zu wählen … Wie wir aber glauben, dass Gott nicht wohne ‚in Tempeln von Händen gemacht‘, so wissen wir doch aus Gottes Wort und den heiligen Gebräuchen, dass die Gott und seiner Anbetung (cultus) gewidmeten Stätten nicht gewöhnliche (prophanus), sondern heilige (sacer) Orte sind, und wer sich darin aufhält, soll sich ehrerbietig und geziemend benehmen, da er ja an heiligem Orte ist, vor Gottes und seiner heiligen Engel Angesicht.“135 Die Gedanken Calvins entfalteten eine große Wirkung in den sogenannten Bilderstürmen, die 1560–1570 in Frankreich und in den Niederlanden tobten – und zwar unter Berufung auf das alttestamentliche Bilderverbot. Weit über 10 000 Kirchengebäude waren hiervon betroffen. Dieses Jahrzehnt stellt einen entscheidenden Bruch in der Kirchenausstattung in Frankreich und in den Niederlanden dar. Ein Ergebnis war, dass durch die Zerstörung von Bildwerken deutlich wurde, Bilder sind nur Schöpfungen des Menschen oder Produkte seiner Einbildungskraft und seines Talents. Diese Epoche kennzeichnet den Übergang von dem Bild als einem Gefäß für das Heilige hinüber zu dem Bild als Zeugnis des Schönen, zum Kunstwerk. „Von ihren alten Standorten, ihren Funktionen, ihrer Legitimation und ihrem ursprünglichen Publikum getrennt, konnten einige Bilder sicherlich der Zerstörung entgehen, indem sie sich in ‚Kunstwerke‘ verwandelten oder zumindest in eine Sammlung aufgenommen wurden.“136

2.2 Reformierte Gottesdienste und reformierte Kirchenräume in Deutschland Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 hatte eine politische Koexistenzordnung geschaffen, die den Anhängern des Augsburger Bekenntnisses (Lutheraner) und der „alten Religion“ (Katholiken) die äußere rechtliche Existenzsicherung und die Frei-

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heit der geistlichen Entfaltung garantierte. Andere Gruppierungen waren nicht anerkannt, hatten keinerlei vergleichbare Rechte und konnten als Ketzer verfolgt werden. Das traf etwa auf die Mennoniten zu. Aber auch die reformierten Gemeinden gehörten zu keiner anerkannten Religionspartei. Das hatte Konsequenzen etwa für die Feier der Gottesdienste sowie hinsichtlich der Errichtung von Kirchengebäuden. Erst im Westfälischen Frieden von 1648 wird in Art. 7 festgesetzt, dass die Koexistenzordnung des Augsburger Religionsfriedens nun ausdrücklich auch die „reformati“ (die Reformierten) einschließe. Dadurch war es jetzt grundsätzlich möglich, reformierte Kirchengebäude zu errichten, jedoch nur unter Hinnahme zahlreicher Beschränkungen.

2.2.1 Umgestaltete und neuerrichtete Kirchenräume In der Frühzeit des reformatorischen Prozesses gab es zwei Möglichkeiten, das reformierte Bekenntnis unter einer fremden konfessionellen Herrschaft zu praktizieren. Zum einen kam es zu einer heimlichen Abspaltung der Anhänger des reformierten Bekenntnisses von der traditionellen Mehrheitsgemeinde; Gottesdienste wurden im Verborgenen, in Privaträumen, gefeiert. Zum anderen kam es in manchen Städten zur Konversion ganzer Gemeinden, einschließlich ihres Pfarrers; hier wurde die vorhandene Pfarrkirche zum Ort des reformierten Gottesdienstes und erfuhr eine entsprechende Umgestaltung des Innenraums. Auch in den reformierten Kirchenräumen in deutschen Territorien war und ist die Kanzel als Predigtort das entscheidende Einrichtungsstück. Das wird ganz besonders an den reformierten Kirchengebäuden im Nordwesten Deutschlands sehr deutlich. Einzelne kleinere Territorien bekannten sich hier zur reformierten Konfession. Das führte etwa in Teilen Ostfrieslands dazu, dass mittelalterliche Dorfkirchen als reformierte Kirchen genutzt wurden und entsprechende Umgestaltungen des Kirchenraums erfuhren. Die Kanzel erhielt ihren Ort oft an einer Längsseite der Kirche. Der Altarraum wurde durch eine Lettnerwand abgeteilt. 137 Der mittelalterliche Altar und alle Bilder wurden aus der Kirche entfernt. Das später eingebrachte Gestühl wurde auf die Kanzel ausgerichtet. Es kam sowohl zu längs- als auch zu querausgerichteter Nutzung der Kirchenräume. Am Niederrhein wurden im 17. und 18. Jahrhundert zahlreiche reformierte Kirchen neu errichtet. Im Grundriss waren die Kirchen meist traditionell gehalten – ein Rechtecksaal, gerade bzw. dreiseitig abgeschrägt geschlossen. Einige Bauten zeigen in der Innengestaltung eine Querorientierung; nur sechs Neubauten sind eindeutig als Zentralbauten zu sehen. Daneben ist auf eine Besonderheit des protestantischen Kirchenbaus im Territorium Berg hinzuweisen. „Die Kirche des Bergischen Typs ist ein längsgerichteter Bruchsteinbau über rechteckigem Grundriss mit einem Turm an der einen und einem Sakristeihäuschen – auch Chorhäuschen genannt – an der gegenüberliegenden Schmalseite. … Das Sakristeihäuschen, ein oft mehrstöckiger Anbau in der Mittel-

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IV. Das Kirchengebäude im 16. bis 18. Jahrhundert

achse der östlichen Giebelseite, ist eine Neuerung, die die bekannte Funktion einer katholischen Sakristei um die neuen Aufgaben als Versammlungsraum und als Treppenhaus für Kanzel und Orgel erweitert. Am Baukörper tritt dieser profane Bauteil an den Platz des heiligsten der katholischen Kirchen, des Chores.“138

2.2.2 Vorbilder für reformierte Kirchenbauten in deutschen Territorien Vorbilder für die Errichtung reformierter Kirchengebäude in Deutschland waren nicht Kirchenbauten der Schweiz; vielmehr waren es die Kirchenbauten der Reformierten in den Niederlanden und in Frankreich.139 a) Kirchenbauten der Reformierten in den Niederlanden Die Kirchengeschichte der Niederlande im 16. Jahrhundert wurde durch das Auftreten starker Täufergruppen und dann Mitte des Jahrhunderts durch den Zustrom aus Frankreich geflohener Calvinisten (Hugenotten) wesentlich bestimmt. Durchgesetzt Abb. 31: Noorder Kerk in Amsterdam, 1620–1623, haben sich die calvinistischen Kräfte. Grundriss. 1566 kam es zum Bildersturm in den Niederlanden. In Amsterdam wurden die beiden großen aus der Zeit der Gotik stammenden Kirchen Oude Kerk und Nieuwe Kerk in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts von Calvinisten innen umgestaltet, nachdem sie von allen Bildern und Ausmalungen gereinigt worden waren. Von 1603 bis 1671 wurden dann in Amsterdam vier große genuin reformierte Kirchengebäude errichtet. Die Zuider Kerk und die Wester Kerk sind innen noch als spätgotische Hallenkirche mit Pfeilerstellungen zu erkennen. Die Noorder Kerk zeigt ein griechisches Kreuz, die Ooster Kerk ein Quadrat als Grundrissform. Diese Kirchenbauten in Amsterdam wirkten als Vorbild für deutsche reformierte Kirchenbauten. Insbesondere die Grundrissformen des griechischen Kreuzes sowie des Vierecks wurden bei deutschen reformierten Kirchenbauten direkt oder abgewandelt verwendet. Eine solche Variation ist die T-Form der Neuen Kirche in Emden von 1647. Dieser Grundriss ermöglichte in idealer Weise, die Kriterien – dominante Stellung der Kanzel, optimale Sicht auf den Prediger und gutes Verstehen des Predigers – zu erfüllen. Zahlreiche Kirchenbauten haben die Form des griechischen Kreuzes aufgenommen,

2. Kirchengebäude im reformierten Kontext

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Abb. 32: Neue Kirche in Emden, 1643–1648.

u. a. die reformierte Parochialkirche in Berlin (1703), die Schelfkirche in Schwerin (1712), die reformierte Kirche in Emmerich (1715) und die reformierte Kirche in Leer (1785).

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IV. Das Kirchengebäude im 16. bis 18. Jahrhundert

b) Kirchenbauten der Hugenotten in Frankreich Die Reformierten in Frankreich, seit 1555 „Hugenotten“ genannt (Etymologie ist nicht eindeutig), waren von 1562–1598 in den Bürgerkrieg mit dem römisch-katholischen Königshof und dem Klerus verwickelt. Sie begannen sehr bald damit, eigene Kirchen zu errichten, die sie selbst stets „temple“ nannten, im Gegensatz zu „église“, dem katholischen Kirchengebäude. Zum Ende des 16. Jahrhunderts gab es in Frankreich ca. 700 Tempel, von denen viele aber nur außerhalb der großen Städte errichtet werden durften. Die bedeutenderen dieser Bauten sind alle bis zum Ende des 17. Jahrhunderts zerstört worden. Ihr Aussehen kann lediglich zeitgenössischen Abbildungen entnommen werden. Insbesondere das Bild des zweiten Tempels von Charenton aus dem Jahr 1623 wurde auch nach seiner Zerstörung 1686 später von den Emigranten in Deutschland als architektonisches Ausdrucksmittel ihrer Identität eingesetzt. „Die Grundrissform war ein Rechteck. An allen vier Innenwänden waren doppelte Emporen angebracht, ähnlich den gleichzeitigen Theaterbauten. Die Emporenstützen bildeten keine Arkaden, sondern Kolonnaden und weckten so eher Vorstellungen von einem profanen als von einem sakralen Raum. Von drei Seiten konnte man den Raum betreten. Die Aufstellung der Kanzel betonte die Längsachse. Die Kirchenwände sollen weiß getüncht gewesen sein. Akzente bildeten einzig die holzbraune Kanzel und die am Gewölbe befestigten Tafeln mit dem Glaubensbekenntnis, dem Herrengebet und den Zehn Geboten.“140 Den französischen Tempeln waren viele Züge gemeinsam: „zuerst einfache Grundrissformen, wie Quadrat, Rechteck, Achteck, Oval, dann die umlaufende Empore, ferner die axiale Stellung von Kanzel und Abendmahlstisch, endlich der Verzicht auf Fassadenbildung“.141 1685 verließen 250 000 Hugenotten ihres Glaubens wegen Frankreich. Ein großer Teil fand in mehreren deutschen Territorien, in der Schweiz und in den Niederlanden Aufnahme. Die Hugenottengemeinden in den deutschen Territorien blieben durch ihre Herkunft geprägt. Ihre Gottesdienste fanden in französischer Sprache statt. Ihre Kirchenbauten nahmen häufig Bezug auf französische Vorbilder. Die französische Kirche am Gendarmenmarkt in Berlin (1705) sollte ausdrücklich nach dem Vorbild des Tempels von Charenton gebaut werden.

2.3 Die Einrichtung des reformierten Kirchenraums a) Die Kanzel Die Liturgie des reformierten Predigtgottesdienstes wird ausschließlich von der Kanzel aus gehalten. Entscheidender Einrichtungsgegenstand des reformierten Kirchenraums war und ist darum die Kanzel. Sie findet sich bei rechtwinkligen Kirchenräumen in der Achse entweder der Schmal- oder der Längswand. Die Kanzel ist auf einem Kanzelfuß erhöht vor der Wand aufgestellt und wird über eine seitliche Treppe

2. Kirchengebäude im reformierten Kontext

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Abb. 33: Reformierte Kirche in Weener (Ostfriesland), Innenraum des aus dem 13. Jahrhundert stammenden einschiffigen Kirchengebäudes.

– rechts aus der Sicht des Predigers – erreicht. Über der Kanzel findet sich ein wesentlich größerer Schalldeckel. Er betont durch die horizontale Wirkung die Bedeutung der Kanzel. Diese ist in der Regel aus Holz gefertigt und häufig ornamental verziert; figürliche Darstellungen finden sich nirgends. Eine hölzerne Rückwand verbindet Kanzelkorb und Schalldeckel. Die Dominanz der Kanzel wird auch dort sichtbar, wo sie aus einer umlaufenden Empore hervorgeht, oder aber wo sie frei vor der Wand aufgestellt ist. Eine Sanduhr scheint zur Ausstattung einer Kanzel stets dazugehört zu haben. b) Die Sitze für das „Consistorium“ Für die reformierte Kirchenleitung ist die Auffassung Calvins ausschlaggebend geworden: Christus regiert seine Kirche durch sein Wort, dem in Lehre und Praxis der Gemeinde vier Ämter dienen – Pastoren, Doktoren, Älteste und Diakone. Die Inhaber dieser Ämter auf Gemeindeebene bilden das Consistorium. Als äußere Kennzeichnung dafür hatten die Mitglieder des Consistoriums gesonderte Plätze – und zwar an herausgehobener Stelle, im optischen Zentrum des Kirchenraums, in der Nähe der Kanzel. Der Prediger bestieg also die Kanzel aus dem Kreis des Consistoriums heraus.

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IV. Das Kirchengebäude im 16. bis 18. Jahrhundert

Die häufige Anordnung dieser Sitze gegenüber zur Ausrichtung des Gemeindegestühls kann als Ausdruck der besonderen Verantwortung der Gemeindeleitung verstanden werden. Nach niederländischem Vorbild konnte dieser Bereich – dort „doophek“ (Taufgehege) genannt – durch hölzerne Schranken abgeteilt sein. Darin eingefasst konnte ein Pult für den Vorsänger sein, der den einstimmigen Chorgesang im reformierten Gottesdienst leitete. c) Der Abendmahlstisch Im reformierten Gottesdienst hat die Feier des Abendmahls zwei besondere Formen herausgebildet. In der auf Zwingli zurückgehenden oberdeutschen Form wird das Abendmahl ohne Platzwechsel der Kommunikanten gefeiert. Brotschale und Weinbecher werden innerhalb der Bankreihen weitergereicht. Von daher kommt dem Abendmahlstisch nur die Bedeutung zu, bei Abendmahlsfeiern Aufstellort für Brotteller und Becher zu sein. Eine im 16. Jahrhundert singuläre Form geht auf Johannes a Lasco in London bzw. in Emden zurück. Hier wurde vor der Kanzel ein großer Tisch aufgestellt. „Als Mahl der Gemeinschaft wurde das Abendmahl so gefeiert, dass die Kommunikanten sich gruppenweise an den Abendmahlstisch setzten.“142 Die vasa sacra unterscheiden sich deutlich von den überkommenen, aber auch von den lutherischen; anstelle von Kelchen finden Becher, in der Form allgemeiner Trinkbecher der Zeit, Verwendung.143 d) Der Taufort Ein speziell für einen reformierten Kirchenraum angefertigter Taufstein ist nicht zu finden. Die Taufe fand in dem umschrankten Bezirk – doophek – im Zentrum des Kirchenraums statt. Die Taufschale war mit einem Halter an der Kanzeltreppe befestigt. Beim Fehlen eines umschrankten Bereichs konnten ein Tisch mit Taufschale vor der Gemeinde bzw. ein überkommener Taufstein Ort der Taufe sein. e) Das Gestühl In den reformierten Kirchen der Niederlande scheint nur für das Consistorium festes Gestühl, sonst bevorzugt bewegliches Gestühl aufgestellt worden zu sein. Emporen wurden hier nicht eingerichtet. In reformierten Kirchen in deutschen Territorien wurde dann auch festes Gestühl installiert. Auch hier wurden „Kirchenstühle“ vermietet oder verkauft. Das Gestühl war – ebenso wie die Emporen – ganz auf die Kanzel ausgerichtet. In oblongen Räumen kann das Gestühl sowohl als Mittelblock mit seitlichen Durchgängen als auch in Gestalt von zwei Blöcken zu Seiten eines Mittelgangs angeordnet sein. Auch in reformierten Kirchen sind Herrschaftsemporen oder -logen zu finden. f) Die Orgel Calvin hatte Orgel- und Instrumentalmusik ebenso wie mehrstimmigen Gesang aus dem Gottesdienst verwiesen. Für den gottesdienstlichen Gebrauch wurde der Genfer

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Psalter erarbeitet. Entsprechend diesen Vorgaben wurde zunächst auch in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland gehandelt. In Amsterdam wirkte Jan Pieterszoon Sweelinck (1562–1621) als Organist an der Oude Kerk. „Als Angestellter der Stadt und nicht der Kirchgemeinde konzertierte Sweelinck täglich, morgens und abends jeweils eine Stunde lang. Vor Beginn des Gottesdienstes spielte er den in der nachfolgenden Liturgie dann vorgesehenen ersten Psalm; auch nach dem Gottesdienst erfreute er die Gemeinde mit seinem Spiel. Wie die Orgelmusik war auch der Chorgesang nicht für den Gottesdienst bestimmt, sondern für das häusliche und gesellige Musizieren.“144 Im 17. Jahrhundert wurde die Orgelmusik auch im reformierten Gottesdienst häufiger. g) Die Besonderheit des reformierten Kirchenraums Im reformierten Kirchenraum gibt es keinen Altar, keinen Kruzifixus und keine Kerzen, auch keine Blumen. Jegliche bildliche Darstellung ist ausgeschlossen. Stattdessen finden sich gelegentlich gemalte Schrifttafeln oder auch Schriftfelder an den Innenwänden. Sie können das Vaterunser, ausgewählte Psalmverse und das Glaubensbekenntnis enthalten. Eine Tafel, auf der die Zehn Gebote im Wortlaut aufgemalt sind, findet sich in beinahe jeder reformierten Kirche. Dabei folgt die reformierte Fassung der Zehn Gebote dem Wortlaut der Bibel (Ex 20,2–17) und enthält das Bilderverbot als zweites Gebot.145

2.4 Das Nebeneinander verschiedener Konfessionen in einem Territorium In den meisten deutschen Territorien galt seit dem Augsburger Religionsfrieden (1555) die Regelung „cuius regio, eius religio“. Wer sich dem widersetzte, hatte lediglich das Recht auszuwandern (ius emigrandi). Das Vorhandensein von Angehörigen unterschiedlicher Konfessionen in einem Territorium oder auch in einer Stadt war in der Regel durch besondere Umstände bedingt und zunächst sowohl auf die Niederlande wie auf den Nordwesten Deutschlands beschränkt.

2.4.1 Die konfessionelle Topographie der Orte In den Territorien am Niederrhein (Jülich, Kleve, Berg) sind zwischen 1600 und 1815 ca. einhundert protestantische Kirchen errichtet worden; davon ca. zwei Drittel als Kirchengebäude reformierter Gemeinden. Die Lage dieser Kirchengebäude innerhalb des Ortes veranschaulicht die jeweiligen territorialen und konfessionellen Verhältnisse. So hatten protestantische Gemeinden in Orten des Territoriums Jülich bis weit in das 18. Jahrhundert hinein gravierende Benachteiligungen zu erdulden. Zwar wurde der

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IV. Das Kirchengebäude im 16. bis 18. Jahrhundert

Bau einer protestantischen Kirche erlaubt, aber nur in der zweiten Reihe – also in Hoflage – und ohne Kirchturm und ohne Glocken. Zur Erklärung dafür ist auf die Bestimmungen zur Religionsausübung hinzuweisen, die im Westfälischen Frieden (1648) getroffen worden waren. Hier wird zwischen drei Stufen der Religionsausübung unterschieden: ius domestica – das Recht der Religionsausübung in Form der privaten Hausandacht; exercitium religionis privatum – das Recht der Religionsausübung in Form des gemeinschaftlichen Gottesdienstes bei geschlossenen Türen; exercitium religionis publicum – umfassende Kultusfreiheit, deren herausragendes Signum in der freien Zugänglichkeit des Kirchengebäudes, in einem Kirchturm und im Glockenläuten zu sehen ist. So, wie gemäß diesen Kategorien der Status der Religionsparteien im jeweiligen Territorium im Jahr 1624 bestand, so sollte auch die Religionsausübung nach 1648 geschehen können. Dabei blieb jedoch auch das öffentliche Religionsexercitium nicht frei von Beschränkungen der Obrigkeit. „So sollte der Ort der geistlichen Versammlung genauso bestimmt werden können wie die Höhe und Größe von Kirchengebäuden; die Anschaffung und der Gebrauch von Glokken wie der Bau von Kirchtürmen mussten ausdrücklich erlaubt werden.“146 Sehr deutlich veranschaulichen das die Umstände der Errichtung der reformierten wie der lutherischen Kirche in Düsseldorf an beinahe versteckten Orten im 17. Jahrhundert. Die Repräsentativität, die Wahrnehmung öffentlicher Funktionen (Geläut), blieb Privileg der vorhandenen katholischen Stadtkirche. Ähnlich stellte es sich dann dar, wenn der protestantischen Gemeinde lediglich ein Haus zugewiesen wurde. Hier wurde ein Teil des Hauses zu einem Kirchengebäude umgebaut und erweitert. Auch die Einordnung der Kirchenneubauten lediglich mit einer schmalen Seite in bestehende Häuserzeilen lässt den nachgeordneten Status solcher Kirchen noch deutlich werden. Im Unterschied dazu konnten die protestantischen Gemeinden im Territorium der reformierten Herrschaft Kleve ihre Kirchenbauten immer an öffentlichen Straßen und mit allen Attributen der Repräsentation errichten.147 Entsprechende Beschränkungen aufgrund landesherrlicher Festlegungen sowie deren Auswirkungen auf die Baugestalt sind auch in anderen deutschen Territorien ablesbar. Dort, wo die lutherische Konfession der Herrschaft bestimmend war, gab es Vorgaben, wonach z. B. der „temple“ der Hugenotten nicht im Zentrum der Stadt liegen und nicht die Form eines Kirchengebäudes haben durfte. Das galt so für den 1699 errichteten Hugenottentempel in Celle.148 Als ein weiteres Beispiel kann auf die reformierte Kirche in Bützow im damaligen Herzogtum Mecklenburg-Schwerin hingewiesen werden, die 1771 durch französische Emigranten gebaut worden war. Von ihr heißt es in einer Beschreibung um 1900, sie „macht von außen den Eindruck eines tüchtigen zweistöckigen Privathauses in den Formen des beginnenden Klassizismus“149. Vergleichbare Auflagen galten für die Errichtung lutherischer Kirchengebäude in reformierten Territorien. 1775 wurde im reformierten Emden eine lutherische Kirche

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errichtet. In einer Beschreibung von 1861 heißt es u. a.: „Das Gotteshaus hat keinen Turm, kein Glockenhaus und keine Uhr. Das ganze Gebäude wird seinem Äußeren nach auf einen kundigen Fremdling den Eindruck machen, dass dasselbe nicht eine Kirche genannt werden könne.“150

2.4.2 Die Dominanz des reformiert geprägten Kirchenraums in Nordwestdeutschland Ein interessanter Aspekt ist die kulturprägende Wirkung reformierter Kirchenraumgestaltung, wie sie bei benachbarten Kirchengebäuden lutherischer Gemeinden zu beobachten ist. In Ostfriesland wurden auch hier die mittelalterlichen Altäre entfernt und teilweise durch Schrifttafeln mit den Zehn Geboten, dem Glaubensbekenntnis, dem Vaterunser und den Einsetzungsworten ersetzt. Auch in lutherischen Kirchen wurde das Gestühl auf die Kanzel ausgerichtet und dabei dem Altar der Rücken zugekehrt. Teilweise wurde auch hier der Altarraum durch eine Lettnerwand abgetrennt. Als Altar diente dann ein Tisch vor der Kanzel. Diese Tendenz bestimmte auch den Neubau von lutherischen Kirchen jener Zeit. So ist in einer Beschreibung der (zerstörten) lutherischen Kirche in Emden zu lesen: „… Vor der Kanzel ist ein sogenannter Chor, d. h. ein durch ein hölzernes Gitter abgekleideter Platz, an dessen vorderer Seite ein erhöhtes Pult für den Vorsänger ist. … Den Mittelraum unter der Kanzel füllt ein großer, hölzerner … Schemel aus, auf welchem bei Gebrauche der Abendmahlstisch und das Taufgefäß gestellt wird. Alles Holzwerk ist weiß angestrichen. … Übrigens findet sich in dieser Kirche nichts, was sonst einer lutherischen Kirche angehört. Kein Bild, kein Cruzifix, kein Altar, keine Knieschemel, kein Beichtstuhl sind vorhanden.“151 Die am Niederrhein errichteten lutherischen Kirchengebäude zeigen alle die dominante Stellung der Kanzel, betonen jedoch den darunter stehenden Altartisch stärker in seiner liturgischen Bedeutung, darin sich von den benachbarten reformierten Kirchengebäuden unterscheidend.

2.4.3 Protestantische Simultankirchen des 17. und 18. Jahrhunderts Eine Doppelkirche wurde Mitte des 17. Jahrhunderts für die Gemeinden der niederländischen Reformierten und der wallonischen Reformierten im hessischen Hanau fertiggestellt. Eine wirkliche Herausforderung aber ergab sich 1685 nach Ankunft der in Frankreich verfolgten Hugenotten und deren Aufnahme im Kurfürstentum Brandenburg. Das brandenburgische Herrscherhaus war ursprünglich lutherisch, ist dann aber 1612 zur reformierten Konfession übergetreten. Dementsprechend war die Berliner Domkirche – ehemals eine Dominikanerkirche – im reformiertem Sinn umgestaltet

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Abb. 34: Simultankirche in Berlin, Lutherisch-Reformierte Kirche auf dem Gendarmenmarkt, 1708, Kupferstich von 1760.

worden; die alten Pfarrkirchen in Berlin waren jedoch lutherisch geblieben. Die in der Folge errichteten Kirchenbauten in Berlin gingen stets auf Initiativen des Landesherrn zurück und folgten einem konfessionspolitischem Kalkül. In Berlin wurden in den sechs Jahrzehnten seit 1687 siebzehn Kirchen gebaut. Die erste Simultankirche war die neu errichtete Kirche in der Dorotheenstadt. Sie wurde 1687 der reformierten wie der lutherischen Gemeinde zur simultanen Nutzung übergeben; später erhielt auch die französisch-reformierte Gemeinde hier ein Nutzungsrecht. Es folgte 1694 die parallele Errichtung eines lutherischen (Sebastians- bzw. Luisenstädtische Kirche) sowie eines reformierten Kirchengebäudes (Parochialkirche). Daran schloss sich 1701 die Errichtung der Friedrichwerderschen Kirche an – ein langgestreckter Bau, der durch eine Mauer in der Mitte in einen Kirchenraum für die lutherische und die reformierte Gemeinde und in einen für die französisch-reformierte Gemeinde geteilt wurde. Darauf folgte der Bau von neun Kirchen, die als Simultankirchen für die deutschen Lutheraner und Reformierten vorgesehen waren. Insofern wurde hier in der königlichen Kirchenbaupolitik gleichsam die später verordnete Union der Protestanten in Preußen zu einem Teil vorweggenommen. Ferner wurden in dieser Zeit drei eigen-

3. Kirchengebäude im Kontext der katholischen Reform

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ständige Kirchengebäude – „temples“ – für die französisch-reformierte Gemeinde gebaut. 1747 schließlich wurde parallel mit dem Bau der ersten katholischen Kirche in Berlin (St. Hedwig) und mit dem Neubau des reformierten Doms begonnen. Mit dieser großen Zahl von Kirchenneubauten und mit der starken königlichen Einflussnahme auf die Bauplanung stellte die Situation in Berlin in der damaligen Konstellation eine Sondersituation dar. Die Grundrissformen lassen v. a. auf reformierte Kirchen als Vorbilder schließen. Neben der dominierenden Kreuzform findet sich der kreisförmige Grundriss, aber auch der Quersaal und einmal ein Fünfeck; die französischen Kirchen sind innen einem Oval angenähert. Neue protestantische Simultankirchen sind in den preußischen Rheinlanden nur an zwei Orten errichtet worden (Geldern, Velbert).

3. Das Kirchengebäude im Kontext der katholischen Reform Die reformatorischen Entwicklungen, insbesondere die Existenz rein protestantischer Territorien, hatten natürlich Auswirkungen auf die gesamte römische Kirche. Besonders deutlich wird das an Verlauf und Ergebnis des Konzils von Trient (Tridentinum), das von 1545 bis 1563 tagte. Durch die Ergebnisse des Konzils und die darin intendierte Abgrenzung gegen den Protestantismus hatte sich auch die römische Kirche als eine Konfessionskirche etabliert, die die Existenz weiterer Konfessionskirchen anerkennen musste. Sichtbaren Ausdruck fand dies u. a. in der Erarbeitung des „Catechismus Romanus“ (1566), der als offizielle Reaktion der römischen Kirche auf die erfolgreichen protestantischen Katechismen angesehen werden kann. Ebenso liegt es nahe, in der erneuten Bestätigung und Veröffentlichung des „Missale Romanum“ (1570) eine Reaktion auf die reformatorischen Gottesdienstformen mit der Predigt als Zentrum zu sehen. Das Missale bedeutete eine Festschreibung der damaligen Messformen unter Abstellung einiger Missstände; zugleich gab es den Rahmen für die Förderung der Predigt in der Volkssprache innerhalb der Messe. Auf diesen Grundlagen wurden nun praktische Schritte zum Zurückdrängen des Protestantismus unternommen. Große Bedeutung kam dabei dem Jesuitenorden zu. Mit dem Engagement im Bildungsbereich und in der Seelsorge sollte den reformatorischen Einflüssen entgegengewirkt werden. Aber auch der Um- bzw. Neubau prunkvoller Kirchengebäude mit hoher repräsentativer, emotionaler und ästhetischer Ausstrahlung sind hier zu nennen. Grundlegend bleibt die Auffassung von dem geweihten Kirchenraum als der „Wohnung Gottes“. Das bedingte eine, dem Protestantismus gegenüber ganz andere Bedeutung, die dem Kirchengebäude in der Frömmigkeitspraxis der Gläubigen zukam – Ort der Teilhabe am Heil, sowohl in der Feier der Messe, als auch in der individuellen Verehrung und im Aufsuchen eines besonderen Gnadenortes (Wallfahrt).

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IV. Das Kirchengebäude im 16. bis 18. Jahrhundert

3.1 Katholische Konfessionalisierung und das barocke Kirchengebäude In den katholischen Territorien stellte sich zur Mitte des 16. Jahrhunderts nicht die Aufgabe der Errichtung von Kirchengebäuden. Zunächst standen die Erneuerung und Umgestaltung vorhandener Kirchenbauten im Vordergrund, nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges folgten auch bald Neubauten. Grundlegend war dabei eine Zielrichtung: Der Nüchternheit der protestantischen Gottesdienste und Gottesdiensträume, in denen alles auf das Hören ausgerichtet war, wurden Gestaltungen der Messfeier und des Kirchenraums entgegengesetzt, die deutlich machten, dass es hier mehr auf das Sehen denn auf das Hören ankam. Im Bestreben der Vereinheitlichung der Liturgie (Missale Romanum) und mit den Mitteln der sinnenhaften Darstellung wurde zugleich ein allem innewohnender Bezug auf Rom als Hauptstadt und den Papst als Oberhaupt der katholischen Kirche transportiert. Dabei wurden im Bereich der Architektur die römischen Kirchen S. Peter und die Mutterkirche der Jesuiten Il Gesù als Vorbild genommen. Die Ausrichtung auf sinnliche Erfahrung wird insbesondere bei den Kirchenbauten des späten 17. und des frühen 18. Jahrhunderts sehr deutlich. Als Bauaufgaben standen dabei die Errichtung bzw. Erneuerung natürlich auch von Pfarrkirchen, aber insbesondere von Klosterkirchen und von Wallfahrtskirchen im Vordergrund. So wurde den protestantischen Territorien hinsichtlich der dort aufgegebenen Klosterkirchen und Stifte bzw. deren säkularer Nutzung eine sichtbar entgegengesetzte Politik in monumentaler Form gegenübergestellt. Bei den Kirchengrundrissen wird stets eine klare Anordnung sichtbar. Ein überkuppelter Raumbereich stellt das Zentrum des Kirchenraums dar, sowohl im Konstruktiven wie im Bedeutungsgehalt. Hier hat der Hauptaltar seinen Ort. Das Fresko in der Kuppel darüber zeigt das triumphale Hauptthema. Alle Raumteile sind dem Oval bzw. dem Kreis angenähert. Den Raumeindruck einer solchen Barockkirche bestimmt „der vollendete Zusammenklang der Raumform, des hellen Lichtes, das sich an den weißen Wänden und Pfeilern nuancenreich entfaltet, und der jubelnden Farbigkeit der Gewölbemalereien. Hinzu kommen als farbenkräftige, im Gesamtbild wohlabgestimmte Akzente die Ausstattungsstücke wie Altäre und Kanzel.“152

3.2 Bauaufgaben in katholischen Territorien 3.2.1 Jesuitenkirchen Der Jesuitenorden wurde 1534 gegründet. Die „Sendung“ als Einsatz für die größere Ehre Gottes im Dienst der streitenden Kirche ist die zentrale Leitidee des Ordenslebens. Die dazu geforderte Beweglichkeit brachte mit sich den Verzicht auf bisher für das Ordensleben charakteristische gemeinschaftsprägende äußere Formen, wie z.B. ge-

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Abb. 35: Jesuitenkirche in Heidelberg, 1712–1759.

meinsames Chorgebet und Ordenstracht. Sein Aufgabenfeld sah der Orden insbesondere in der individuellen Seelsorge und in der Heidenmission; in Deutschland trat sehr bald eine antireformatorische Stoßrichtung in den Vordergrund, verbunden mit den Bemühungen um eine innere Festigung des katholischen Lebens. Einen Schwerpunkt stellte die Errichtung von Jesuitenkollegs und die darin geleistete Erziehungsarbeit dar. Charakteristisch war die Verbindung von sinnhaften, emotionalen wie theatralischen Mitteln und von integraler katholischer Kirchlichkeit. Daher unterstützten die Jesuiten gezielt Kirchenneubauten und deren prunkvolle illusionistische Ausstattung. An vielen Orten wurden Jesuitenkollegien errichtet und im Zusammenhang damit auch (Jesuiten-)Kirchenbauten. Etliche Jesuitenkirchen zeigen in der Baugestalt, insbesondere auch in der Fassadengestaltung eine Orientierung an der Kirche Il Gesù in Rom, der Mutterkirche des Ordens. Andere sind in den Formen regionalspezifischer

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IV. Das Kirchengebäude im 16. bis 18. Jahrhundert

Kirchenbautradition errichtet worden. In manchen Orten waren diese Kirchengebäude nicht nur Kollegskirche, sondern sie wurden auch als Grablege der Herrscherfamilie genutzt. So war die Kirche St. Michael in München sowohl Kollegskirche als auch Grablege für das Haus Wittelsbach.

3.2.2 Klosterkirchen Viele traditionsreiche Benediktinerklöster wurden nach dem Dreißigjährigen Krieg aufwendig ausgebaut und erhielten ein herrschaftliches Gepräge. Auch hier stand immer noch das Ideal im Hintergrund, das Kloster als Civitas Dei, als Gottesstaat auf Erden, auszugestalten. Weltordnung, Staatsordnung und Klosterordnung sollten – als nach den gleichen Prinzipien regiert – an der Baugestalt ablesbar sein. Dabei kam dem Kirchengebäude nun, anders als im Mittelalter, eine zentrale Stellung in der Klosteranlage zu. Damit ging stets auch die Erneuerung der Klosterkirche einher. Durch diese Aktivitäten wurden die mit der Klostergründung verbundenen Traditionen revitalisiert. Nach außen bedeutete das ein Bekenntnis zur Tradition, und zwar in monumentaler Gestalt. Die zahlreichen imposanten Klosterkirchen ließen durch ihre Gestaltung an herrschaftliche Paläste denken und waren dazu geeignet, die Gefühle der Menschen zu begeistern. Hier ist insbesondere an die mächtigen Doppelturmfassaden zu erinnern (u. a. Rott am Inn 1763, Ottobeuren 1766). Bei der großen Zahl der neu errichteten Jesuitenkirchen sowie der Klosteranlagen von weiteren, im Zuge der Gegenreformation neu gegründeten Orden kam der aufwendigen Markierung eines besonderen, heiligen Ortes nicht mehr eine solche Bedeutung zu. Pragmatische Gründe gaben nun für die Wahl des Ortes den Ausschlag.

3.2.3 Wallfahrtskirchen und Kalvarienberge Eine Wallfahrtskirche kann als architektonische Fassung und sichtbare Auszeichnung eines speziellen Kultobjektes beschrieben werden. Hier ist wiederum die topographische Fixierung das Entscheidende. Der Kirchenbau sollte den jeweiligen Gnadenort fixieren und damit erreichbar machen. Dabei waren die exponierte landschaftliche Lage der Wallfahrtskirche sowie spektakuläre Formen in ihrer Architektur Teil des Wallfahrterlebnisses. Häufig sind hier zentralisierende Grundrisse zu beobachten. Im Bedeutungszentrum, auf dem Altar im Chorbereich oder auch getrennt davon unter der Hauptkuppel findet das Gnadenbild seinen Ort. Zu den Kirchenräumen von Wallfahrtskirchen gehört immer ein durch Pfeiler abgegrenzter Umgang, der den Pilgern den Zugang in die Nähe des Gnadenbildes ermöglicht. Die beiden Grundverhaltensweisen der Wallfahrer, Schreiten und Verharren im Gebet, finden im Umgang und im Gemeinderaum der barocken Wallfahrtskirche ihren architektonischen Ausdruck.

3. Kirchengebäude im Kontext der katholischen Reform

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Abb. 36: Benediktinerabtei Banz (Franken).

Wallfahrten waren Teil einer sich nach außen demonstrativ bekennenden Form gemeinschaftlichen Glaubensvollzugs und somit ein wirksames Mittel der Glaubensfestigung. Das kam zum einen darin zum Ausdruck, dass Orte besonderer Erscheinungen und Heilungen verehrt wurden (z. B. Vierzehnheiligen in Franken). Zum andern waren es Orte, an denen die übernatürliche Bewahrung von Objekten christlicher Frömmigkeit angesichts feindlicher Inbesitznahme monumental erinnert und der frommen Verehrung zugänglich gemacht wurde. Dazu sind etwa die Nachbildungen der heiligen Stiege aus dem Lateranpalst in Rom zu zählen, die der Legende nach dem Haus des Pilatus in Jerusalem entstammen soll; sie weist 28 Stufen auf. Ferner ist auf die zahlreichen Loreto-Heiligtümer hinzuweisen. Der Legende zufolge wurde nach der Besetzung des Heiligen Landes durch die Mohammedaner 1291 das Häuschen der Maria in Nazareth von Engeln in die Lüfte und schließlich nach Loreto an der Ostküste Italiens gerettet; es wird seitdem dort verehrt. Nachbildungen dieses Häuschens machen die Loreto-Heiligtümer aus. Aber auch zeitnahe Rettungswunder waren Anlass für den Bau einer Wallfahrtskirche, wie z. B. bei der Kirche Maria Birnbaum bei Augsburg: Eine holzgeschnitzte Pieta des 16. Jahrhunderts, 1632 von schwedischen Soldaten aus ihrem Bildstock geworfen, wurde von einem Hirten gefunden und in die Höhlung eines alten Birnbaums gestellt; nach einer Traumerscheinung wurde der Ort 1659 Ziel von Wallfahrern. Bald darauf wurde mit dem Bau der Kirche begonnen.153 Mit der monumentalen Gestaltung solcher Wallfahrtsstätten konnte der Reichtum der katholischen Kirche an Wunderorten sinnenfällig dargestellt und zugleich eine

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IV. Das Kirchengebäude im 16. bis 18. Jahrhundert

Abb. 37: Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen (Franken), 1743–1772.

3. Kirchengebäude im Kontext der katholischen Reform

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konfessionell geprägte Sakrallandschaft geschaffen werden. Dazu muss auch noch die Gestaltung von Kalvarienbergen bzw. Kreuzwegen gezählt werden, die auf dem Wege zu Wallfahrtsstätten angelegt wurden. Insbesondere in der Zeit der katholischen Reform sind zahlreiche Kalvarienberge in großen Dimensionen geschaffen worden. Kalvarienberge entstanden im 15. Jahrhundert – und zwar als Ersatz für eine Pilgerfahrt nach Jerusalem zu den dortigen heiligen Stätten. Dafür wurden im Freien Stationen in Gestalt von Kreuzen oder Kapellen mit Darstellungen aus der Geschichte Jesu errichtet, meist beschränkt auf die Passionsgeschichte. Bevorzugt wurden dabei Wege, die zu einer Anhöhe führten. So konnten Lage und Entfernung der Stationen voneinander sich u.U. den Verhältnissen in Jerusalem annähern. Die Zahl der Stationen schwankt, oft sind es sieben. Die erste Station ist in der Regel das Haus des Pilatus als Ort der Verurteilung Jesu (heilige Stiege); die letzte der Kalvarienberg mit der Kreuzigung (lat.: calvaria = Schädel).

3.2.4 Pfarrkirchen Erneuerte und umgebaute, in manchen Fällen auch neugebaute Pfarrkirchen machten im 17. und 18. Jahrhundert in katholischen Territorien die Masse der Kirchenbauten aus. Dabei blieb die traditionelle Raumform der rechteckigen Halle die geeignete Grundform für Pfarrkirchen.

3.3 Katholische Kirchenneubauten in protestantischen Territorien Die Situation der katholischen Kirche in protestantischen Territorien stellte sich gänzlich anders dar. Im protestantischen Sachsen war der Landesherr August der Starke, Kurfürst von Sachsen und König von Polen, 1697 zum Katholizismus übergetreten. Einige Jahrzehnte später wurde in Dresden eine katholische Hofkirche gebaut (1739–1751). Die Hofkirche war die erste (neue) katholische Kirche in Mitteldeutschland und umfasste eine für Europas Kirchenbauten beinahe einmalig große Grundrissfläche. Um das Hauptschiff herum zieht sich ein Prozessionsgang, denn im protestantischen Dresden waren Prozessionen außerhalb der Kirche nicht möglich. Dadurch ergibt sich das imposante Erscheinungsbild der Kirche außen, das durch die 78 Statuen von Heiligen noch unterstützt wird. In Berlin ließ Friedrich II. 1747 die erste katholische Kirche der Stadt errichten. Die 1773 fertiggestellte Hedwigs-Kirche wurde vom preußischen König als Mittel gesehen, den schlesischen Adel auf die Seite Preußens zu ziehen. Die absichtsvolle Bezugnahme auf das Pantheon in Rom kann als Illustration der Maxime des Königs verstanden werden: „Die Religionen müssen alle toleriret werden … hier mus ein jeder nach Seiner

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IV. Das Kirchengebäude im 16. bis 18. Jahrhundert

Abb. 38: Katholische Hofkirche Dresden, 1739–1755.

3. Kirchengebäude im Kontext der katholischen Reform

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Fassong Selich werden.“154 Die älteste katholische Kirche im Herzogtum Mecklenburg-Schwerin, die St.-Anna-Kirche in Schwerin, ließ der Herzog 1791 erbauen. Die Kirche zeigt frühklassizistische Formen; ein Turm war hier nicht vorgesehen.

3.4 Der katholische Kirchenraum des Barock 3.4.1 Gegenreformatorische Akzente a) Der Kirchenraum – Erlebnis der Gemeinschaft mit den Heiligen Bei der Gestaltung des Innenraums stand das Ziel im Vordergrund, durch visuelle Darstellungen die Frömmigkeit der Gläubigen zu nähren und emotional zu stärken. „Deckenfresken und wertvolle Altarbilder wie Plastiken gestalteten das Gotteshaus zu einem himmlischen Festsaal, wobei die Deckenfresken den Raum für das Auge gleichsam ins Unendliche wachsen ließen. In diesem gleichsam auf die Erde herabgestiegenen Himmel feierten die Gläubigen im Triumphgefühl über die Abwehr der neuen Irrlehre wie die wiedererlangte Sicherheit durch die Reformen des Konzils von Trient ihren Gottesdienst, der als Fest angesehen wurde. Nicht mehr der einstimmige ‚Choral‘, sondern die polyphone Musik, aufgeführt durch einen eigenen Sängerchor, gestaltete selbst in einem Dorfe das heilige Messopfer zu einem großen ‚Ereignis‘. – Neben diese neue Sinndeutung der Kirche als himmlischer Festsaal … trat dann noch die Symbolik des ‚Palastes Gottes‘.“155 Der Kirchenraum des Barock wurde durch die Weihen zur Wohnung Gottes. Das Tridentinum hatte verfügt, dass in den Kirchen den Gläubigen die visuelle Teilnahme im Altarraum möglich sein müsse. Um dieses zu ermöglichen, wurden in beinahe allen katholischen Kirchen die Lettner abgetragen. Anstelle des Lettners wurde eine niedrige Kommunionbank oder ein durchsichtiges Chorgitter errichtet, um die Distanz des ungeweihten Laien vom Heiligtum des Altars zu erhalten. b) Verbindung von Hochaltar und Tabernakel – die Veranschaulichung der Realpräsenz Christi Vom Konzil von Trient war als Reaktion auf die Ablehnung der Abendmahlslehre der römischen Kirche durch die reformatorischen Kirchen die Realpräsenz Christi in den eucharistischen Gestalten, ihre Beständigkeit und Anbetungswürdigkeit betont worden. Als äußerer Ausdruck dieser Lehrmeinung wurde in der Folge die direkte Verbindung von Hochaltar und Tabernakel durchgesetzt. Dem Hochaltar als Ort der Wandlung während der Messe und dem Tabernakel mit den konsekrierten Hostien kam dementsprechend in dem Kirchenraum eine besondere Bedeutung zu. Es war auch ein gegenreformatorisch akzentuiertes propagandistisches Bestreben, die allzeitige Realpräsenz Christi im Kirchengebäude mit architektonischen und künstlerischen Mitteln sinnenfällig zu machen. Seinen Ausdruck fand das

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IV. Das Kirchengebäude im 16. bis 18. Jahrhundert

in der Gestaltung des barocken Hochaltars. „Dem Altaraufbau fiel … die Funktion zu, eine auszeichnende Rahmung für das Tabernakel und den Hochaltar zu bilden, die dem in die Kirche Eintretenden, selbst auf größte Distanz, die neue Bedeutung des Ortes veranschaulichte.“156 „In den Barockkirchen verlaufen die Fluchtlinien des Raums auf den ‚Thronus‘ (zur Aussetzung der eucharistischen Hostie in der Monstranz) über dem Tabernakel im Altaraufbau.“157 Den Hochaltaranlagen kam demnach die Funktion zu, im Kirchenraum „als ein besonderer Schmuck des liturgischen Zentrums auf dieses zu verweisen und ein würde- und prunkvoller Rahmen für die erzählenden in Malerei und/oder plastisch ausgeführten Bildwerke zu sein“158. c) Die Altargestaltung – der sichtbar gemachte Rombezug Der prächtig gestaltete und ausgeschmückte Kirchenraum wurde als „novum templum Salomonis“ gedeutet, aber auch als Abbild von S. Peter in Rom angesehen. Papst Julius II. hatte 1509 den Neubau der Peterskirche so begründet: „So wie der allerseligste Petrus über die anderen Apostel erhoben worden ist, so muß auch seine Kirche alle anderen in der Stadt und in der Welt übertreffen.“159 Bei der Gestaltung von S. Peter in Rom ist der Rückbezug auf den salomonischen Tempel an der architektonischen Gestaltung abzulesen. Das von Bernini in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts errichtete Ziborium über dem Hauptaltar wird von vier hohen gewundenen Säulen getragen. Mehrere kleinere gewundene Säulen schmückten bereits das Petrusgrab in der konstantinischen Basilika und fanden dann im Neubau ihren Ort in den Reliquienloggien. Der Legende nach soll die hl. Helena von ihrer Reise nach Jerusalem diese gewundenen Säulen von dem Jerusalemer Tempel, also dem Tempel Salomos, nach Rom gebracht haben. Von einer der Säulen gehe eine besondere heilende Wirkung aus; an sie habe sich Jesus angelehnt.160 In S. Peter in Rom demonstriert das architektonische Motiv der gewundenen Säulen die Verankerung der Hauptkirche der (katholischen) Kirche in der Tradition des Jerusalemer Tempels. Dieser galt als das alle andere Bauwerke übertreffende Monument. Durch ein architektonisches Zitat in zahllosen katholischen Kirchen des 17. Jahrhunderts nördlich der Alpen wurde die bewusste Bezugnahme auf die Hauptkirche der katholischen Kirche zum sichtbaren Ausdruck gebracht. Das von vier Säulen getragene Ziborium dort erscheint hier in einer der Raumgestalt entsprechenden Modifikation in Gestalt von vier bzw. auch von zwei gewundenen bzw. auch glatten Säulen, die Tabernakel und Altarblatt eine räumliche Einfassung geben. Dieses Zitat wurde als sichtbar gemachter Ausdruck der Verbundenheit mit Rom und der Treue zum Papst verstanden.161 Damit waren alle Möglichkeiten gegeben, das Kirchengebäude der Barockzeit als Ausdruck der Romverbundenheit zu „lesen“, seinen Bezug zum Tempel Salomos, insbesondere zum Allerheiligsten darin vor Augen gestellt zu bekommen, das „Geheimnis des Glaubens“ in der Gestaltung des Altars anschauen zu können und in dem Kirchenraum der künftigen Herrlichkeit schon jetzt ansichtig zu werden.162

3. Kirchengebäude im Kontext der katholischen Reform

Abb. 39: Kirche der (ehemaligen) Prämonstratenserabtei Altenmarkt (bei Osterhofen in Niederbayern), 1726–1740.

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IV. Das Kirchengebäude im 16. bis 18. Jahrhundert

3.4.2 Die Ausstattung des Kirchenraums a) Der Hochaltar Der Hochaltar hat seinen Ort an der Ostwand. „Die ganze Ostwand wurde … zu einer Schauwand aus Tafelbildern, Figuren, Säulen, stark verkröpften Gebälken etc. komponiert, in die man den Altar … einpasste. Oft wurde die Mensa nach Art fürstlicher Prunksarkophage gestaltet, vermutlich mit Rücksicht auf die Altarreliquie, die man gelegentlich sogar als Ganzskelette hinter Glastafeln sichtbar zur Schau stellte.“163 Der Hochaltar ist in der Regel in vier Zonen untergliedert. Über der Mensa ist das Tabernakel fest in den Altaraufbau eingebunden. Darüber folgt die Hauptzone mit einer dominierenden Darstellung, häufig die Apotheose des Kirchenpatrons oder die Himmelfahrt Mariens zeigend. In der Zone darüber, im Giebelauszug, ist eine Darstellung Gottvaters bzw. der Trinität zu finden. Die Bekrönung geschieht durch freiplastische Figuren – Christus als Erlöser oder eine Heiligengestalt, manchmal auch die Anbringung einer Uhr. Der Hochaltar ist um mindestens drei Stufen vom Fußboden erhöht angeordnet und wird vom Kirchenschiff, vom Laienraum, durch die Kommunionbank abgeteilt. b) Nebenaltäre Nebenaltäre haben ihre Aufstellungsorte im Laienraum. Sie sind neben dem Chorbogen, an den Pfeilern oder an den Seitenwänden des Kirchenschiffs aufgestellt. Sie können dem Hauptaltar vergleichbar gestaltet sein, ja sogar Gestaltelemente des Hochaltars in reduzierter Form aufnehmen. Auf diese Weise bestimmen sie den Gesamteindruck des Kirchenraums wesentlich mit. c) Altarkreuz und Leuchter Vom Missale Romanum wurde ein Kruzifixus auf oder bei dem Altar vorgeschrieben. Dasselbe gilt für Kerzenleuchter. d) Das Tabernakel Vom Missale Romanum wurde festgelegt, dass das Sakrament dauerhaft auf dem Hochaltar zu platzieren sei. Das Tabernakel wurde dazu in deutschen Barockkirchen als schrankartiger Aufsatz in den Altar über der Mensa eingepasst, auf dessen Tür ein Kruzifixus angebracht war. In der Regel wird das Tabernakel von zwei Engeln flankiert. Diese Zusammenordnung verweist auf den Typus der Darstellung – die Bundeslade im Allerheiligsten des Tempels, von Cherubinen umgeben. So wie vom Volk Israel das übriggebliebene Manna in der Bundeslade aufbewahrt wurde, so wird im Tabernakel die geweihte Hostie aufbewahrt. Damit wird auch hier noch einmal der Bezug auf den Tempel deutlich. Aber auch eine weitere Deutung der beiden Engel liegt nahe: Sie vollziehen die Bitte des römischen Messkanons nach der Wandlung: „Dein heiliger Engel möge dieses Opfer zu deinem Altar emportragen vor das Angesicht deiner Ma-

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jestät.“ Damit korrespondiert die Engeldarstellung mit der der Dreifaltigkeit. In der Zeit des Spätbarock wird das Tabernakel von einer Strahlengloriole, einer Monstranz gleich, umfangen. Die „bleibende Gegenwart des Herrn“, durch das Tabernakel verbürgt, begünstigte die Praxis der individuellen Anbetung des „Allerheiligsten“. Zugleich wurde so das Verständnis der „Heiligkeit“ des Kirchengebäudes geprägt. Ihm eignet eine Qualität, die es von allen anderen Gebäudetypen kategorial unterscheidet. e) Das ewige Licht Seit dem späten Mittelalter, im Zuge der zunehmenden Verehrung des aufbewahrten Altarsakraments, war es Brauch, seit dem 17. Jahrhundert wurde es Vorschrift, dass vor der Aufbewahrungsstätte der Eucharistie eine Ampel als „ewiges Licht“ brennen müsse. f) Rauchfass Ein Rauchfass (incensorium) besteht aus einem Feuerkessel mit niedrigem Fuß und einem durchbrochenen aufziehbaren Deckel, mit drei oder mehr Ketten an einem Handgriff aufgehängt. Durch Aufstreuen geeigneter Harze auf glühende Holzkohle entsteht eine aufsteigende duftende Rauchwolke (Weihrauch).Mit dem Beräuchern wird eine apotropäische Wirkung verbunden. Im Ablauf der Messe galt das Beräuchern seit früher Zeit als ehrende Begrüßung Christi. Das Rauchfass ist im Mittelalter häufig architektonisch ausgebildet und mit Figuren der Heilsgeschichte versehen. Seit der Barockzeit wurde das Rauchfass nur nach praktischen und stilistischen Gesichtspunkten gestaltet. g) Sedilien (Sitze für den Priester und die Assistenz bei der Eucharistiefeier) Der dem liturgischen Leiter der Messfeier zukommende Sitz ist das äußere Zeichen für die theologische Bedeutung des Amtes in der katholischen Kirche. Von daher ist hierin ein Spezifikum der Ausstattung des katholischen Kirchenraums zu sehen. h) Die Kommunionbank Die Barockkirche kennt keinen Lettner. Die Trennung zwischen Altar- und Gemeinderaum wird in Wallfahrts- und in Pfarrkirchen durch die Kommunionbank markiert. Die Kommunionbank, auch „Speisgitter“ genannt, ermöglichte es, die Kommunion kniend zu empfangen. Architektonisch konnte die Kommunionbank variabel, gerade oder geschwungen, zur Strukturierung des Kirchenraums eingesetzt werden. i) Die Kanzel Als Folge der Beschlüsse des Tridentinums und als Reaktion auf die Entwicklung im Protestantismus wurde den Bischöfen und Pfarrern die Predigtpflicht eingeschärft. Sichtbaren Ausdruck fand diese Hervorhebung der Predigtaufgabe darin, dass nun – wieder der protestantischen Entwicklung folgend – jeder katholische Kirchenraum

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IV. Das Kirchengebäude im 16. bis 18. Jahrhundert

eine Kanzel erhielt. Die Kanzeln waren im Stil der Zeit gestaltet und wiesen nach dem Vorbild der lutherischen Kanzeln auch bildliche Darstellungen auf. Die Kanzel hat im katholischen Kirchenraum sehr oft ihren Ort in der Mitte des Schiffs, da der Chor bogen durch Nebenaltäre belegt war. Dabei wurde sie in den Raum integriert. Dieses kann durch ein formales Pendant (eine Art Balkon) geschehen.164 j) Das Gestühl Die Aufstellung einheitlichen Gestühls im katholischen Kirchenraum folgte den protestantischen Vorgängern und Vorbildern. Jedoch wurden mit dem Gestühl hier Kniebänke verbunden. Die Ausrichtung des Gestühls geschah eindeutig auf den Altar hin. Im Unterschied zur protestantischen Kircheneinrichtung blieb im katholischen Kirchenraum reichlich freier Platz sowohl für den liturgischen Einzug als auch für die private Andacht vor den Seitenaltären. Eine besonders gestaltete Herrschaftsempore wurde zu einem festen Bestandteil auch der barocken katholischen Pfarrkirche. k) Der Taufort Der Taufort blieb gegenüber der mittelalterlichen Anordnung unverändert. Er befand sich entweder in der Nähe des Eingangs im westlichen Bereich oder in einem der Seitenschiffe des Kirchengebäudes. l) Der Beichtstuhl Mit dem Rituale Romanum (1614) wurde hinsichtlich der traditionellen Beichtpraxis für die Beichte von Frauen ein Beichtstuhl vorgeschrieben, der eine körperliche Abschottung der Beichtenden vom Priester aufweisen sollte. Später wurde diese Praxis auch für Männer allgemeingültig. Diese Vorschriften haben sich in der seit dem 17. Jahrhundert bekannten Form des Beichtstuhls niedergeschlagen. Er ist symmetrisch dreiteilig gegliedert. Im Mittelteil befindet sich die Sitzbank für den Priester; in den Seitennischen Kniebänke für die Beichtenden. Der Mittelteil ist durch Seitenwände, deren Öffnung mit Gitterwerkfüllung versehen ist, gegenüber den Seitenteilen abgegrenzt. So gestaltete Beichtstühle wurden oft in Nischen eingefügt. Die Gestaltung der Beichtstühle, ihre Schnitzereien und bildlicher Schmuck waren ein wichtiges Element der Kirchenausstattung der Barockzeit. m) Die Orgel In den Dokumenten des Tridentinums wurde die Musik nicht im Zusammenhang der Liturgie, sondern der Heiligkeit des Hauses Gottes behandelt. Kirchenmusik wurde nur als Schmuck des Gottesdienstes angesehen. Die Orgel durfte in der Vesper und im Hauptteil der Messe versweise mit dem Chor alternieren (Orgelmessen). Ferner durfte sie nach der Epistel, zum Offertorium gespielt werden. Sie konnte auch Einzug und Auszug sowie sonstige Prozessionen im Gottesdienst verschönern. Darüber hinaus war

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freies Orgelspiel untersagt. Die Orgel hatte in der Advents- und in der Fastenzeit grundsätzlich zu schweigen. Dieser eingeschränkten Bedeutungszuweisung an die Orgel entspricht ihre Platzierung und äußere Gestaltung. Der Orgelprospekt kann zum Schmuck des Kirchenraums beitragen, aber keine eigene Bedeutsamkeit zum Ausdruck bringen. n) Der Kreuzweg Etwa seit 1700 sind nicht mehr nur im Freien, sondern jetzt auch im Kirchenraum Kreuzwege eingerichtet worden. An den Seitenwänden sind vierzehn Stationen markiert – Holzkreuze mit darunter befindlichen Bildwerken des jeweiligen Stationsinhalts: „1. Verurteilung/Pilatushaus; 2. Kreuzauflegung; 3. Erster Fall; 4. Begegnung mit der Mutter; 5. Hilfe Simeons; 6. Veronika mit dem Tuch-Abbild; 7. Zweiter Fall/Gerichtspforte; 8. Weinende Frauen; 9. Dritter Fall/Fuß des Berges; 10. Entkleidung; 11. Annagelung; 12. Kreuzaufrichtung/der Tod am Kreuz …; 13. Kreuzabnahme; 14. Grablegung.“165 o) Plastische Bildwerke Zu der Ausstattung zahlreicher barocker katholischer Kirchen gehört ein Zyklus mit der Darstellung von zwölf bzw. vierzehn Aposteln Die Apostel sind häufig durch Schriftfelder auf das apostolische Glaubensbekenntnis bezogen dargestellt. In solcher Darstellung erscheinen sie als Säulen und Fundament der katholischen Kirche. Auch Statuen der Kirchenväter sowie von Heiligen finden sich im Kirchenraum. Solche Statuen finden sich auch in der Außengestaltung der Kirchengebäude. p) Fresken Die Ausgestaltung durch Fresken an den Wandflächen, insbesondere aber an den Dekken ist in ihrem Reichtum unübersehbar. Dabei können Darstellungen der Heilsgeschichte begegnen, aber auch Motive, die sich von der Biographie des Kirchenpatrons her ergeben, und ebenso Motive, die durch eine Besonderheit des Kirchenbaus bedingt sind (Ordensdarstellungen bei Kloster- bzw. Stiftskirchen; bei Wallfahrtskirchen Motive, die mit dem Gnadenort in Verbindung stehen). Stets wird aber mit dem Deckenfresko ein Triumphbild der Kirche vor Augen gestellt. Demgegenüber kommt der Glasmalerei im Barock keine Bedeutung zu. Bedeutsam ist die raffinierte, oft indirekte Beleuchtung des Kirchenraums. q) Die Weihekreuze (Apostelkreuze) „Die 12 Stellen, an denen bei der Kirchenweihe der Bischof nach der Ordnung des Pontificale die Wände mit Chrisam salbt, tragen aufgemalte, eingemeißelte oder vorgeblendete Kreuze, welche die Erbauung der Kirche ‚auf dem Grund der Apostel‘ (Eph 2,20) symbolisieren. Daher heißen die Leuchter oberhalb der Weihekreuze, deren Kerzen während der Konsekration und dann jährlich am Kirchweihtag brennen, Apostelleuchter.“166

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IV. Das Kirchengebäude im 16. bis 18. Jahrhundert

r) Das Weihwasserbecken In der Nähe des Eingangs befinden sich Weihwasserbecken, in die Wand eingelassene bzw. befestigte konsolenartig vorkragende Kessel oder Becken. Manchmal kann es auch auf einer Konsole oder einem Kapitell stehen. Dem Weihwasser (aqua benedicta) wurde bei der Weihe Salz beigemischt. Dem Brauch der Benetzung mit Weihwasser beim Betreten des Kirchengebäudes liegt zunächst zugrunde das Motiv der Reinigung im Atrium der Kirche. Dann wurde mit dem Gebrauch des Weihwassers auch eine apotropäische Erwartung verbunden. Bereits seit mehreren Jahrhunderten steht bei der Benetzung mit Weihwasser das Motiv der Tauferneuerung im Vordergrund.

4. Die Synagoge in der frühen Neuzeit – Synagogenbauten des 16. bis 18. Jahrhunderts Exkurs: Die Synagoge in der Sicht von Martin Luther Luther hat sich immer wieder mit der Frage befasst, wie die Juden zu sehen und wie sie zu behandeln seien. Seine frühe Haltung ist von Akzeptanz, sogar von Mitgefühl bestimmt. Eine theologische Kritik an den Juden bleibt dabei stets gegenwärtig. Es ist dann die Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ (1543), in der sich bislang unbekannte polemische und aggressive Aussagen Luthers zum Verhalten der Christen den Juden gegenüber finden. Im Schlussteil der Schrift sind Appelle an den Landesherrn formuliert: „Erstlich, daß man jhre Synagoge oder Schule mit feur anstecke und, was nicht verbrennen wil, mit erden über heuffe und beschüette, daß kein Mensch ein Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich. … Zum andern, das man auch ire Häuser des gleichen zebreche und zerstöere, Denn sie treiben eben dasselbige drinnen, das sie in jhren Schuelen treiben. … Zum dritten, dass man jhnen neme alle jre Betbüchlein und Thalmudisten …“ (WA 53, 523). Das Bestürzende und Inakzeptable dieser Sätze ist zum einen die darin vernehmbare aggressive Gehässigkeit. 167 Zum anderen befremdet gleichermaßen die unkritische Ineinssetzung von Angehörigen der jüdischen Religion und den Symbolen dieser Religion (Synagoge, Talmud). „Im 16. Jh. verlagern sich die großen jüdischen Zentren von Mitteleuropa nach Osten und Süden. Dies ist bedingt durch die Ausweisung der Juden aus vielen deutschen Städten am Ende des Mittelalters. Dies führte zur Abwanderung in kleine Landgemeinden, wo sich Juden ansiedeln durften und wo es erst im 18. Jh. zur Errichtung kleiner Landsynagogen kam, und zur Auswanderung in andere Länder, vor allem im Osten, wo sich die Gemeinden durch den Zuzug deutscher Juden stark vergrößerten und im 16. Jh. eine eigene kulturelle Blütezeit erlebten. Dies geschah in Prag und in Polen. … Im Verlauf des 18. Jhs. entwickelte sich die deutsche Großstadt-Synagoge erst zögerlich. Neubauten entstehen in Frankfurt a. M., Berlin und Halberstadt.“168

4. Die Synagoge in der frühen Neuzeit

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Der verbreitete Ort für die Durchführung jüdischer Gottesdienste blieb bis in das 18. Jahrhundert hinein das Privathaus. Es waren entweder ein hier als Betraum umgestaltetes Zimmer oder in einem Palais eine über zwei Geschosse eingerichtete Privatsynagoge, die die Räumlichkeit für die Gottesdienstfeier darstellten. Von eigenen Synagogenbauten kann überhaupt erst ab 1650 gesprochen werden. Und auch da gab es nur an einzelnen Orten eigene Synagogenbauten, so etwa in der größten Judensiedlung der Neuzeit in Frankfurt a. M. „Die Judenschaft samt ihrem Besitz gehörte hier der Stadt, und diese baute ihnen Wohnungen und was sie als religiöse und administrative Körperschaft nötig hatten, wie ein Gutsherr seinen Leibeigenen.“169 Nach einem Brand 1711 wurde sofort wieder ein Synagogenbau in Anlehnung an die Formen des mittelalterlichen Vorgängerbaus errichtet. Dabei achtete der Rat der Stadt Frankfurt strikt darauf, dass kein zu aufwendiger Neubau zustande kam. Mit der Ghettoexistenz in Frankfurt waren auch deutliche Restriktionen verbunden: „… die Beschränkung der Haushalte auf 500, jährlich durften nur sechs fremde Juden unter schwierigen Auflagen ins Ghetto aufgenommen werden und nur zwölf Paare heiraten.“170 Alltagssprachlich wurden Synagogen in Deutschland oft mit dem Begriff „Judenschule“ belegt. Zugrunde liegt dem, dass die Synagoge als größter Raum im Ghetto der Gemeinde zwangsläufig auch als Versammlungsraum bei nichtreligiösen Anlässen diente und soziales Zentrum des Ghettos war. „In ihr wurden jährlich die Bestimmungen der Stättigkeit verlesen, die Gemeindevorsteher gewählt, Verordnungen der städtischen Behörden und des Rabbinats angeschlagen, Eide geleistet … körperliche Züchtigungen vor versammelter Gemeinde vollzogen und auch Gebete für den Sieg der kaiserlichen Waffen im Schmalkaldischen Krieg gesprochen (1546).“171 Ebenso wie in den christlichen Kirchengebäuden wurden auch in der Synagoge die Sitze vermietet. Die Rahmenbedingungen für das Leben der jüdischen Gemeinde und ebenso für die Errichtung von Synagogenbauten stellten sich im 17. und 18. Jahrhundert regional durchaus unterschiedlich dar. In Hamburg etwa wurden 1612 die ursprünglich aus Portugal geflohenen, vermögenden sephardischen Juden als „Schutzverwandte“ aufgenommen; die öffentliche Ausübung ihres Gottesdienstes blieb ihnen jedoch untersagt. Im benachbarten dänischen Altona hingegen erlangten die Juden 1641 ein königliches Privileg; Einschränkungen im Gottesdienst oder beim Synagogenbau gab es hier nicht. Bereits 1642 gab es hier eine eigene Synagoge, der bald weitere folgten. Bei den Synagogenbauten des 17. Jahrhunderts lagen die zugewiesenen Bauplätze sowohl in Hinterhoflage (Altona, 1682) als auch an repräsentativer Stelle der Stadt (Mannheim, 1691), unabhängig vom Vorhandensein eines Judenviertels. Die wiederaufgebaute Synagoge in Halberstadt (1709) wurde in Hoflage errichtet. Sie war von einer geschlossenen Reihe von Vorderhäusern umgeben; das steile Dach der Synagoge überragte diese Bebauung aber deutlich, sodass die Synagoge im Stadtbild zu erkennen war. Der erste Synagogenbau in Berlin (1712) durfte nicht höher sein als ein einstöckiges Bürgerhaus. Andererseits ist gerade der Berliner Bau charakteristisch für einen neuen Synagogentyp. Im Unterschied zu den mittelalterlichen Bauten mit ihren hoch gelege-

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IV. Das Kirchengebäude im 16. bis 18. Jahrhundert

Abb. 40: Synagoge, Ansbach (Franken), Innenraum, 1744–1746.

nen kleinen Fenstern wurde hier der Raum durch zahlreiche hohe Fenster geradezu von Licht durchflutet. Neu waren ebenfalls die hier begegnenden Fensterpaare in der Ostwand, die den Toraschrein beidseitig rahmten. Die hohen Fenster und das abwalmende Dach unterschieden den Bau deutlich von seiner Umgebung. Ein großer Vorhof mit Torpfeilern trennte die Synagoge von der Straßenfront. Was die Synagoge von einem Kirchenbau desselben Architekten unterschied, war das Fehlen eines Turmes und die äußerlich sichtbare Gliederung des Gebäudes in Vorhalle, Hauptraum und Chor. Im 18. Jahrhundert wurden zahlreiche Synagogen von unterschiedlicher Größe und Baugestalt errichtet oder wiederaufgebaut. An diesen Bauten ist das Bestreben ablesbar, die Räume stärker zu ordnen und den einzelnen Elementen wie Toraschrein, Bima und Frauenempore ihren festen Platz zuzuweisen. Die Raumform tendierte häufig zum quadratischen Grundriss mit einem im Westen vorgelagerten Vestibül und darüber angeordneter Frauenempore. Infolge der Integration des Frauenbereichs in die Gesamtplanung wurde es nun notwendig, neben dem Haupteingang für die Männer auch einen separaten Nebeneingang für die Frauen vorzusehen.

4. Die Synagoge in der frühen Neuzeit

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Im Innenraum blieben Toraschrein und Bima die wichtigsten Ausstattungsstücke. Sie waren jetzt im Stil des Barock gestaltet. Der Toraschrein (aron hakodesch) war stets in die Mitte der Ostinnenwand ganz eingelassen und von einem Dreiecksgiebel bekrönt. Beinahe ausnahmslos fand sich darüber ein rundes oder ovales Fenster (Okulus). Vor dem eigentlichen Schrein standen Säulen. „Seit dem 14. Jahrhundert wird der aron hakodesch immer über dem Bodenniveau des Innenraus aufgestellt und ist über mehrere Stufen erreichbar. Auf der rechten Seite fehlen diese. Hier steht gewöhnlich das Lesepult für den Vorbeter. … Wesentlichstes Ausstattungsstück der Synagoge ist die Bima. Bis in das 18. Jahrhundert ist sie häufig aus Stein gebaut. Hölzerne Aufbauten setzen sich erst nach und nach durch. Über einem während des Mittelalters meist rechteckigen, später achteckigen Grundriß erhebt sich zunächst ein kleines Plateau, zu dem an zwei Stellen Stufen führen. Diese Basis wird von einer Stein- oder Holzbrüstung umrahmt. Säulen und Pfeiler mit Gesimsen und/oder Arkaturen werden oben meist mit Baldachin oder mit offenen Rippen abgedeckt. Im Zentrum dieses Baus steht die Texa, auch Schulchan genannt, ein leicht schräger Tisch, auf dem die Thorarolle während der Auflegung ruht.“172 Ein anschauliches Beispiel einer Synagoge aus der Barockzeit ist mit der Synagoge in Ansbach vorhanden.

V. Kirchengebäude der großen Konfessionskirchen bis zum Ende des Staatskirchentums (von der Aufklärung bis 1918)173

Das 19. Jahrhundert brachte in Deutschland die Überwindung des monokonfessionell geprägten Territoriums. Als Folge politischer Ereignisse und territorialer Verschiebungen erhielten die deutschen Territorien eine konfessionell gemischte Bevölkerung. Zugleich hatten die staatskirchlichen Strukturen weiterhin Bestand bis 1918. Schon aus dieser komplex gewordenen Situation ergaben sich neue Herausforderungen für die Genehmigung und den Bau von Kirchengebäuden der großen Konfessionskirchen. Hinzu kamen weitere Entwicklungen: die Bevölkerungszunahme insbesondere in den rasant wachsenden Städten, die Industrialisierung mit dem Resultat der Herausbildung ganz neuer Städte und Zentren (Beispiel: Ruhrgebiet). Alles dies wiederum führte aus unterschiedlichen Motiven zu der Aufgabe, neue Kirchengebäude zu errichten. In keinem anderen Zeitraum von wenigen Jahrzehnten sind in Deutschland so viele Kirchengebäude gebaut worden. Mit den Kirchenbauten wurde aber nicht allein auf das Bedürfnis nach einer Gottesdienststätte reagiert. Den Kirchengebäuden kam angesichts der mit Urbanisierung und Industrialisierung verbundenen massiven Entkirchlichung gleichzeitig auch eine programmatische Bedeutung, das Moment einer Rechristianisierung zu. In diesem Kontext wiederum wurde die nach außen wirksame Baugestalt des Kirchengebäudes eminent wichtig. Aspekte und Zäsuren der skizzierten Entwicklungen lassen sich an den Kirchengebäuden aus dieser Zeit ablesen.

1. Säkularisation – Toleranz – Patriotismus. Rahmenbedingungen und Anlässe zum Kirchenbau am Beginn des 19. Jahrhunderts 1.1 Säkularisation – der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 Unter dem Begriff „Säkularisation“ lassen sich die wirtschaftlichen, politischen und geistigen Folgen subsumieren, die der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 insbesondere für die katholische Kirche in Deutschland gehabt hat. Die damals begonnene Säkularisierung war ihrer Begründung nach in erster Linie eine Kompensation: Die Inbesitznahme linksrheinischer Territorien durch Frankreich wurde von Österreich und Preußen nur um den Preis akzeptiert, dass sich beide an geistlichen Staaten rechts des

1. Säkularisation – Toleranz – Patriotismus

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Rheins schadlos halten durften. Es kam zur Verteilung der geistlichen Staaten (23 Fürstbistümer, 44 Fürstabteien) samt ihren Territorien an die weltlichen Fürsten. Ein weiterer Aspekt der Säkularisation mit weitreichender Wirkung ist in Erinnerung zu rufen: die Säkularisierung von kirchlichem Vermögen, Immobilien und Landbesitz, also von Einnahmequellen, in allen Staaten. Besonders die Klöster und die Domkirchen mit ihrer reichen Personalausstattung waren davon betroffen. „Von großer Bedeutung ist der Reichsdeputationshauptschluß bis heute für die historische Begründung kirchlicher Ansprüche auf staatliche Leistungen. So war in § 35 auch festgelegt, daß der Klerus an den (nach § 34 enteigneten) Domkapiteln fortan durch staatliche Dotationen finanziert werden sollte und daß das säkularisierte Gut für die Finanzierung von Gottesdienst, Unterricht und ‚gemeinnützigen Anstalten‘ eingesetzt werden sollte.“174 Die Landesherren waren verpflichtet, das Ortskirchenvermögen zu belassen und die Finanzierung der Aufgaben in den Pfarreien zu sichern. Der sonstige kirchliche Besitz jedoch konnte von den Landesherren frei veräußert werden. Kirchliche Kunstschätze und Klosterbibliotheken wurden in staatlichen Sammlungen und Bibliotheken zentralisiert. Kirchen- und Klostergebäude wurden neuen Nutzungszwecken zugeführt. Die protestantischen Kirchen waren von der Übertragung des kirchlichen Besitzes an den Staat ebenfalls betroffen, wenn auch für sie diese Maßnahme weniger gravierend war als für die katholische Seite.

1.2 Toleranz – Reichsdeputationshauptschluss und Wiener Kongress Ein weiterer Bestandteil des Reichsdeputationshauptschlusses war die „Mediatisierung“, also die Übernahme kleinerer weltlicher Territorien und freier Reichsstädte durch größere Staaten. Der Wiener Kongress brachte eine Festschreibung des Status quo einschließlich der durch das Ende der Befreiungskriege erreichten Veränderung von Territorien. So blieben insgesamt von einst etwa 1000 selbständigen Herrschaften schließlich noch 38 (darunter von ehemals 48 Reichsstädten nur mehr vier). Im Ergebnis stellte sich die damalige Situation für die protestantische Seite vorteilhafter dar als für die katholische. 12,5 Millionen Protestanten standen 8,5 Millionen Katholiken gegenüber (ohne Österreich). Die mächtigen Staatswesen waren protestantisch geprägt (die Königreiche Preußen, Württemberg, Hannover, Sachsen; das Kurfürstentum Hessen; die Großherzogtümer Hessen, Oldenburg, MecklenburgSchwerin, Mecklenburg-Strelitz; die Herzogtümer Holstein, Braunschweig, die thüringischen Staaten sowie die Reichsstädte). Katholische Fürstenhäuser waren in der Minderzahl (Bayern, Österreich, Sachsen). „Bei den Gebietsverteilungen und den neuen Grenzziehungen spielten konfessionelle Gesichtspunkte keine Rolle. In den vergrößerten Staaten kam es deshalb zu konfessionellen Durchmischungen, die ihnen einen paritätischen Charakter gaben. Während zuvor ein politisch selbständiges Gebiet nur

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V. Das Kirchengebäude von der Aufklärung bis 1918

von einer Konfession geprägt gewesen war, lebten nun lutherische Gemeinden neben reformierten und protestantische Kirchen neben der katholischen im gleichen Land. … Preußen, das im 18. Jahrhundert fast rein evangelisch gewesen war, gewann im 19. Jahrhundert infolge der Eingliederung des Rheinlands und Westfalens einen katholischen Bevölkerungsanteil von 40%.“175 Es existierten also zu Beginn des 19. Jahrhunderts bi- oder trikonfessionelle Staaten, in denen es außerdem eine jüdische Minderheit gab, die noch nicht die Gleichstellung erlangt hatte. Das verlangte nach einer Tolerierung, ja Gleichstellung der neu dazugekommenen Konfession. Nach der Bundesakte des Deutschen Bundes (1815) waren Christen in gemischt-konfessionellen Staaten gleichgestellt.176 Die Umsetzung der Bestimmung in den jeweiligen Territorien geschah sehr unterschiedlich. Diese Konstellation lässt sich auch an den Kirchenbauten der Zeit ablesen. Dabei wird allerdings deutlich, dass ein Unterschied zwischen der Gleichstellung der einzelnen Bürger unterschiedlicher Konfession und der öffentlichen Manifestation ihrer abweichenden Konfession in Gestalt eines Kirchengebäudes bestand. Ein Kirchengebäude war und ist aufgrund seiner öffentlichen Wirkung nie nur auf eine unmittelbare Funktion zu reduzieren. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde in zahlreichen Residenzstädten protestantischer Territorien zum ersten Mal seit der Reformationszeit der Errichtung katholischer Kirchengebäude zugestimmt und diese zum Teil auch gefördert, z. B.: 1807 Oldenburg, 1809 Neu-Strelitz (St. Helena), 1814 Stuttgart (St. Eberhard), 1814 Karlsruhe (St. Stephan), 1827 Darmstadt (St. Ludwig). Demgegenüber kam es in Weimar erst 1898 zum Bau einer katholischen Kirche (Herz Jesu). Auf der anderen Seite konnte im „katholischen“ München 1838 die erste protestantische Kirche (Matthäuskirche) erbaut werden.

1.3 Patriotismus – Kriegerdenkmale im Kirchenraum Grabdenkmäler und Epitaphe zur Erinnerung an bedeutende oder vermögende Menschen zählen seit dem Mittelalter zur Ausstattung der Kirchenräume. Erst seit knapp zweihundert Jahren gehören Tafeln mit den Namen von gefallenen Soldaten aus der Gemeinde beinahe konstitutiv zu den Pfarrkirchen in Stadt und Land dazu. Eine solche namentliche Erwähnung von Gefallenen kennt man in Deutschland erst seit den Befreiungskriegen. In einer Verordnung des preußischen Königs vom Mai 1813 wurde eine solche namentliche Nennung angeordnet. „Dies aber geschah unmittelbar nach der Bildung von Landwehr und Landsturm, nach der Abschaffung der Söldnerheere und nach der Einführung des Bürgerheers und es geschah kurz vor der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1814.“177 Auf diesem Wege fand eine Angleichung des Individuums „Soldat“ mit dem zivilen Bürger statt, dessen Name ein Grabstein auf dem örtlichen Friedhof zeigte. Die in den Kirchen in Preußen aufgrund des Erlasses ange-

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brachten Gedenktafeln waren entweder aus Holz gefertigt oder wurden bei der königlichen Eisengießerei in Berlin bestellt. In den Regimentskirchen trug der Staat die Kosten, in den Pfarrkirchen die jeweilige Gemeinde. In den Kirchen finden sich Gedenktafeln für Gefallene der Befreiungskriege, des Krieges 1864/66, des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 sowie des Ersten Weltkriegs.

2. Konfessionsübergreifende Orientierungen im Kirchenbau Die Kirchenbauten des 17. und 18. Jahrhunderts und ihre Ausstattung konnten als Bemühung interpretiert werden, die jeweilige Konfession in spezifischer Weise darzustellen, die öffentliche Wirkung monumentaler Gestaltung dabei einkalkulierend und den antithetischen Bezug zu Monumenten der anderen Konfessionen herausstellend. Interessanterweise folgt auf diese Phase konfessioneller Abgrenzung im Kirchenbau nun eine Phase konfessionsübergreifender Orientierungen im Kirchenbau. Das wird insbesondere in dem konfessionsübergreifenden Bezug auf historische Stilformen für die Kirchenbauaufgaben der Gegenwart anschaulich.

2.1 Erwartungen an den Kirchenraum in der Zeit der Aufklärung Die theologisch-kirchliche Aufklärung ist im Bereich des Protestantismus stärker ausgeprägt und wirksam, aber sie ist ebenso im katholischen Bereich vorhanden und beschreibbar. Zugleich ist die „Aufklärung“ die Epoche der Überwindung konfessioneller Polemik; eine Tendenz zur Ethisierung des Christlichen ist ihr ebenso eigen wie eine Propagierung religiöser Individualität und Innerlichkeit. Alles das fand seinen Niederschlag auch in Vorstellungen zu einem angemessenen Kirchenraum. Ein weiträumiger und heller, durch keine Einbauten gestörter Raum war das Idealbild am Ende des 18. Jahrhunderts. Damit ist eine gegenüber dem barocken Kirchenraum radikal andere Leitvorstellung formuliert worden. Bereits 1770 hatte der Münchener Hof ein entsprechendes Mandat erlassen. Darin wird gefordert, „…, daß mit Beybehaltung einer reinen und regelmäßigen Architektur alle überflüssigen Stukkador und andere öfters ungereimte und lächerliche Zierathen abgeschnitten, an denen Altären, Kanzeln und Bildnissen eine der Verehrung des Heiligthums angemessene edle Simplicität angebracht werde“178. Auch im protestantischen Bereich wurden die überkommenen Kirchenräume kritisch gesehen und alles Symbolhafte zugunsten belehrender Darstellungen abgelehnt. So sollte auf dem Altar kein Kreuz stehen, sondern ein ‚schönes‘ Altarbild mit einer Darstellung aus dem Leben Jesu. Die Kirchenräume, die ja „zunächst zu Religionsvorträgen bestimmt sind, [erfordern, F.-H. B.] … eine edle Einfalt der Bauart … Ihr An-

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Abb. 41: (Schloss-)Kirche in Hohenzieritz (Mecklenburg), 1806.

blick müsste jeden Anwesenden … zu heitern angenehmen Gefühlen einladen und die Seele beym ersten Anblick schon auf ein Gefühl der Ehrfurcht und Andacht hinaufstimmen.“179 Die Kirchen müssten von Einfalt und Würde sein, „d. h. so, daß die Wirkung mehr vom ganzen als vom einzelnen ausginge, daher seien auch alle einzelnen Künsteleien fortzulassen, möglichst alles in gedämpftem Weiß, vielleicht stellenweise durch Gold gehoben; alles geräumig, also mehr Raum als das dringendste Bedürfnis erfordere; möglichst runder, länglich runder oder vieleckiger Grundriß“180. „Licht und Heiterkeit sey ihr Gewand, Reinlichkeit und einfaches Wesen ihre Zierde.“181

2.2 Die Orientierung an Formen der vorchristlichen Antike Bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts ist insbesondere bei von dem jeweiligen Landesherrn initiierten Kirchenbauten eine Orientierung an antiken Bauwerken zu beobachten. Die in der Tradition und in ihrem Charakter als architektonische Meisterwerke bewunderten antiken Sakralbauten bestimmten das Interesse. Der durch Säulenstel-

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Abb. 42: Dorfkirche Wolkenburg (Sachsen), Innenraum, 1794–1804.

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lungen geprägte Langsaal oder aber der runde Zentralbau legten sich von daher besonders nahe. Es entstanden Zentralkuppelkirchen (Hedwigs-Kirche in Berlin [kath.], ab 1747; Französische Kirche in Potsdam, ab 1751; Lamberti-Kirche in Oldenburg [luth.], ab 1789; St. Stephan in Karlsruhe [kath.], ab 1808; Reformierte Kirche in Aurich, ab 1812; Ludwigs-Kirche in Darmstadt [kath.], 1827; Nikolai-Kirche in Potsdam [ev.-uniert], ab 1830; vgl. auch die Synagoge in Wörlitz, ab 1789) sowie Langsaalbauten (Stadtkirche in Karlsruhe [ev.], ab 1807; katholische Kirche in Rees [Niederrhein], ab 1820). Alle diese Kirchengebäude stellten jeweils eine Verbindung der Baugedanken einer christlichen Kirche und eines antiken Tempels dar. Hierauf bezogen wurde das Diktum geprägt und tradiert, in Kirchen klassizistischen Stils scheine Christus bei Jupiter zur Miete zu wohnen.182 Die nach antikem Vorbild errichteten Kirchenbauten und die Vorstellungen der Aufklärung von einem angemessenen Kirchenraum konvergierten und führten zu einer allgemeinen Orientierung an einem solchen Leitbild. So wurden v. a. in den Städten überkommene Kirchenbauten in diesem Sinne umgebaut; mehrgeschossige Emporen und Logen wurden entfernt, einfache schlichte Emporen wieder eingebaut und so der Eindruck eines einheitlichen, hellen und übersichtlichen Kirchenraums erreicht. In Berlin und Potsdam wurden durch den preußischen König Friedrich Wilhelm III. Kirchenumbauten veranlasst. Ursprünglich reformiert geprägte Kirchenräume wurden zu einer Langhauskirche mit alleiniger Ausrichtung auf den von der Kanzel getrennten Altar im Osten umgestaltet (Potsdam: Hof- und Garnisonkirche; Berlin: alter Dom, Garnisonkirche, Luisenstädtische Kirche, Sophienkirche, Friedrichwerdersche Kirche).

2.3 Die Orientierung an Formen der frühen Kirche Im Umkreis des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. wurde die Form der altchristlichen Basilika zum verbindlichen Maßstab für den protestantischen Kirchenbau erklärt. Bestandteil dieser Orientierung war die Forderung nach getrennten Raumteilen für Predigt und feierliches Kirchengebet einerseits sowie Abendmahl andererseits. Die altchristliche Basilika war in besonderer Weise Urbild sowohl der Heilandskirche in Sacrow bei Potsdam (1844) als auch der Friedenskirche in Potsdam-Sanssouci (ab 1845). Nach dem altchristlichen Vorbild sind darüber hinaus mehrere basilikale Kirchengebäude in Preußen errichtet worden (Berlin: Jacobikirche [1845], Matthäikirche [1845], Andreaskirche [1856], Lukaskirche [1859], Köln: Trinitatiskirche [1857]). Alle diese Kirchenbauten weisen eine Hauptapsis mit zwei Nebenapsiden auf. Die Hauptapsis ist zugleich Altarraum, der durch seine erhöhte Anordnung deutlich von dem Kirchenschiff mit Kanzel unterschieden ist. In der Regel wurde eine Nebenapsis Taufkapelle, die andere Sakristei. Diese neuen Kirchenbauten im Zentrum Preußens waren

2. Konfessionsübergreifende Orientierungen

Abb. 43: Friedenskirche, Potsdam-Sanssouci, 1845–1848.

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dadurch gekennzeichnet, dass sie eine Baugruppe bildeten, „die architektonische Grundfigur einer Art ‚Missionsstation‘“183. In einer solchen Baugruppe waren Kirche, Pfarr- und Schulhaus sowie evtl. Diakoniegebäude durch ein Atrium miteinander verbunden und zugleich von dem profanen Bereich der Umgebung abgegrenzt. „Als Gesamtanlage entsprach ein solcher Kirchenkomplex dem vom Anblick oberitalienischer Landschaftsbilder angeregten Ideal einer ‚malerischen‘, mit der umgebenden Landschaft harmonisch verbundenen Bauweise.“184 Auch im katholischen Bereich ist die Orientierung an Formen der frühen Kirche zu beobachten. In München ließ König Ludwig I. unmittelbar neben den klassizistisch geprägten Ausstellungsbauten des Königsplatzes eine Kirche errichten, deren Formen den Basiliken in Ravenna folgten. Die gewaltige fünfschiffige Basilika war 76 Meter lang und 36 Meter breit. 66 Marmorsäulen, eine äußerst prunkvolle Ausstattung und ein offener Dachstuhl prägten das Innere. 1850 wurde die Basilika St. Bonifaz geweiht.

2.4 Die Orientierung an Formen der Gotik 2.4.1 Neugotische Umgestaltungen und Vollendungen von Kirchenbauten In Deutschland wurde in den antinapoleonischen Befreiungskriegen erstmals die Einheit von Nation und Religion erlebt. Bei der Suche nach einem Medium der Darstellung dieser erlebten Einheit entdeckte man die Formen der Gotik, des vermeintlich „deutschen Stiles“ und zugleich Inbegriff des „Erhabenen“. Caspar David Friedrich schuf 1811/12 Gemälde mit einer visionären Kirche – einer Kirche in gotischen Formen. Schinkel malte 1813 einen großen Dom am Wasser. Der gotische Dom, ein Idealbild nach dem Vorbild des unvollendeten Kölner Doms, war zum Inbegriff nationaler Empfindungen und zum Sinnbild einer vermeintlich heilen Welt geworden Die Situation nach dem Krieg machte Kirchenneubauten fast unmöglich. Dringlich jedoch war die Neugestaltung vorhandener, aber durch die Kriegswirren beschädigter oder zweckentfremdeter Kirchengebäude. So wurden etwa die Marienkirche in Stralsund und die Nikolaikirche in Greifswald, während des Krieges von französischen Truppen als Pferdeställe genutzt, in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts innen neugotisch ausgestaltet. In beiden Kirchen wurden chorschrankenähnliche Wände eingezogen. „Es wird der Anschein einer Kirchenaußenwand erweckt. … So leuchtet inmitten der alten Kirche der Umriß der zeitlosen, wahren Kathedrale auf, steigt aus der Vergangenheit das Wahrzeichen zukünftiger Gottesverehrung empor. … Die Romantik nahm die Gotik zum Symbol für eine Blütezeit schöpferischer Volkskraft und Religiosität; sie hoffte auf die Erneuerung der Lebensverhältnisse aus dem Grundbezug zum christlichen Glauben. Und da galten Zitate aus der gotischen Baukunst als ideelle Verwirklichung einer künftigen Ära der Freiheit und der wahren Gottesauffassung.“185 Gerade im Turm der gotischen Kirche wurde in jener Zeit ein Zeichen mittelalterlicher

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Frömmigkeit und eines darin wurzelnden Gemeinsinnes gesehen. So gab es überall in Deutschland Bestrebungen, die häufig unvollendeten Türme großer gotischer Kirchen zu vervollständigen. Signalwirkung für alle weiteren Maßnahmen besaß das Vorhaben, den Kölner Dom zu vollenden, wobei hierbei mehrere Motive zusammenkamen – nationale, politische, bauhistorische. 1842 begannen in Köln die Baumaßnahmen; in der Folge wurden u. a. in Ulm, Regensburg, Frankfurt a. M., Soest, Meißen, Münster und Schwerin die Türme gotischer Kirchenbauten vollendet.

2.4.2 Die vorherrschende Orientierung am gotischen Stil Schon 1778 war in England die Gotik als der für den Sakralbau am besten geeignete Stil bezeichnet worden. Die ersten neogotischen Kirchen in Deutschland wurden bereits 1809 bzw. 1812 im anhaltinischen Wörlitz und Vockerode erbaut. Die beiden reformierten Kirchengebäude folgten wohl englischen Vorbildern. Von 1843 an wurde dann die evangelische Stadtkirche St. Peter in Sonneberg/Thüringen in abbildhaft reinen gotischen Formen nach dem Vorbild von St. Lorenz in Nürnberg erbaut. Bis 1845 wurden etwa vierzig evangelische Kirchen im Stil der Gotik errichtet, dazu auch etliche katholische Kirchengebäude. Die Orientierung am gotischen Stil war von Beginn an eine die beiden Konfessionen übergreifende Erscheinung. Eine zeitgenössische Äußerung bringt die mit der Neogotik implizierten kirchlichreligiösen Motive treffend zum Ausdruck. „Wir bedürfen für den Bau evangelischer Kirchen nicht erst eines neu zu erfindenden Bautypus im Gegensatz zur katholischen Kirche; denn die Reformation hat keine neue Kirche gründen, sondern nur die durch Abweichung vom Worte Gottes eingerissenen Irrtümer und Missbräuche aus der verderbten Kirche entfernen wollen. Ein neu zu erfindender spezifisch protestantischer Baustil wäre darum ein Unding, weil es auf diesem Gebiete nichts zu protestieren, sondern nur anzuerkennen und wieder zu erlangen giebt … wodurch zu gleicher Zeit auf die Gotik als Ausgangspunkt hingewiesen ist, da in ihr der mittelalterliche Kirchenbau seine höchste Blüte erreicht hat.“186 Die Orientierung an klassischen Stilen wurde für die Bauaufgaben der Gegenwart durch Jahrzehnte hindurch als unverzichtbar betrachtet. „Man solle … die alten Style wie eine Sprache betrachten, die man erlerne, … um eigene Ideen darin auszudrücken.“187 Die emotionale Wirkung der gotischen Architektur, die – nach damaliger Auffassung – in ihrer Betonung der Vertikalen das „Trachten nach dem, was oben ist“, einzigartig zur Anschauung brachte, sollte die Religiosität steigern. Dieses alle gemeinsam betreffende Anliegen wurde mit der Rezeption der Gotik durch die beiden großen Konfessionen verbunden. In der Rezeption von Formen und Strukturen der Gotik wurde nicht zuletzt auch ein Beitrag zur Rechristianisierung angesichts der Bevölkerungszunahme in den Städten gesehen. Das Kirchengebäude der Gotik stellte so in gesamtgesellschaftlicher Hinsicht ein Ideal dar. Die gotische Kathedrale wurde als Inbe-

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griff der Zusammenführung höchstentwickelter und optimaler Architekturelemente sowie als Inbegriff der Formwerdung des Geistes von Gemeinsinn und Gottesverehrung gesehen. Die Prädominanz des religiösen Charakters der gotischen Formen ließ es erstrebenswert erscheinen, durch die abbildhafte Wiederholung der gotischen Formen an und in Gebäuden der Gegenwart deren Entstehung aus der Gestaltung religiöser Bauwerke zur Anschauung zu bringen. So war die Verwendung gotischer Formen nicht nur für Kirchengebäude, sondern auch für andere öffentliche Gebäude, wie z. B. Postämter, möglich. Solche Vorstellungen konvergierten durchaus mit den Zielen des konfessionellen Neuluthertums. Angesichts des nicht zu übersehenden Pluralismus in der liturgischen Praxis zu jener Zeit wurde mit der Wiederherstellung des klassischen Messordinariums ein wesentliches Element liturgischer Kontinuität und konfessioneller Identität bewahrt und verbindlich gemacht. Die Aufnahme gotischer Formen brachte von selbst die geforderte deutliche Unterscheidung von Altarraum und Gemeinderaum. In dem Kirchengebäude im Stil der Neugotik fand das Neuluthertum daher die adäquaten Formen und Strukturen für sein Gottesdienstverständnis. Die Bevorzugung neugotischer Formen im Kirchenbau hat in verschiedenen Empfehlungen und Edikten ihre Fixierung gefunden. Der Kölner Generalvikar verfügte 1852 bei Kirchenneubauten die alleinige Orientierung am gotischen Stil. Bekundungen für die Orientierung am gotischen Stil verabschiedeten jeweils die den (evangelischen) Kirchentagen beigeordneten Spezialkonferenzen für christliche Kunst Dresden 1856 und Barmen 1860. 1861 wurde durch die Evangelische Kirchenkonferenz in Eisenach das „Regulativ für den evangelischen Kirchenbau“ verabschiedet, das maßgebliche Wirkung erreichen sollte. Auch hier werden die Orientierung an einem „christlichen Baustyle, … vorzugsweise an dem sogenannten germanischen (gotischen) Style“188 und die deutliche Unterscheidung von Gemeinde- und Altarraum festgeschrieben. Und noch 1912 empfahl der Kölner Erzbischof für Kirchenneubauten am meisten den gotischen Stil.

2.4.3 Die Errichtung von Kirchengebäuden in neugotischen Formen Das erste repräsentative große, im Stil der Gotik errichtete Kirchengebäude war die Nikolaikirche in Hamburg (1846–63). Dieser Kirchenbau wirkte wie ein Signal. In unzähligen deutschen Städten wuchsen neugotische „Dome“ in die Höhe und schmückten die jeweilige Stadt durch einen Denkmalbau. Die Christuskirche in Hannover kann als Versuch einer architektonischen Konkurrenz zum Hamburger Bauprojekt verstanden werden; sowohl der hohe Turm als auch der liturgisch unnötige, aber ein wirkungsvolles Fassadenmotiv bietende Kapellenkranz ließen den repräsentativen Anspruch deutlich werden. Die Johanneskirche in Stuttgart (1876) ist eine dreischiffige Basilika mit Kapellenkranz sowie einem markant hohen Turm. In vielen Residenzstädten wur-

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Abb. 44: (Katholische) Pfarrkirche St. Maria in Stuttgart, 1871–1879; eine genaue Nachbildung der Elisabethkirche in Marburg.

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den entsprechende Kirchen errichtet, aber auch in anderen Orten. Allein zwischen 1858 und 1860 wurden in Deutschland 165 evangelische Kirchen im gotischen Stil eingeweiht; das sind ca. 65 Prozent aller eingeweihten evangelischen Kirchen.189 Die Zahlen werden sich in der Folgezeit signifikant erhöht haben. Auch unzählige katholische Kirchenbauten im neugotischen Stil sind in allen Diözesen errichtet worden.

2.4.4 Das Erscheinungsbild neugotischer Kirchengebäude a) Das protestantische Kirchengebäude nach den Maßgaben des Eisenacher Regulativs Ein markanter Turm erhebt sich über dem Haupteingang im Westen der Kirche. Der Innenraum ist nach Osten ausgerichtet; die Grundform ist ein längliches Viereck. Eine Ausladung im Osten für den Altarraum und zwei im östlichen Teil der Langseiten für einen nördlichen und südlichen Querarm geben dem Kirchengrundriss die Kreuzgestalt. Der Kirchenraum ist häufig als Einheitsraum konzipiert. Sein Abschluss nach oben ist durch Gewölbe oder durch eine hölzerne Dachkonstruktion gestaltet. Der Altarraum ist um mehrere Stufen über den Fußboden des Kirchenschiffs erhöht und oben in jedem Fall massiv eingewölbt. Der Altar ist von der Ostwand entfernt aufgestellt, sodass er umschritten werden kann. Der (gemauerte) Altar ruht auf einem um eine Stufe erhöhten Podest, das von Schranken mit Kniebänken umschlossen ist. In vielen Kirchen erhebt sich über dem Altar ein großes Gemälde mit einem Christusmotiv in einem Rahmen mit gotischen Formen. Der Altaraufsatz kann auch halbplastisch gearbeitet sein. Auf der Altarmensa steht ein Kruzifix. Außer dem Altar steht im Altarraum nur das Gestühl für die Geistlichen und den Kirchenvorstand. Die Kanzel ist an einem Pfeiler des Chorbogens, dem Kirchenschiff zugewandt, angebracht. Orgel und Sängerchor finden sich dem Altar gegenüber, über dem Haupteingang der Kirche. Das Gestühl ist im Kirchenschiff in Richtung auf den Altarraum aufgestellt, im rechten Winkel dazu in den Querarmen der Kirche. Ein Mittelgang oder zwei seitliche Gänge teilen das Gestühl. Das gesamte Kirchengebäude ist ausgemalt; im Altarbereich finden sich häufig gemalte Bibelverse im Wortlaut. Der Taufstein steht entweder in einer eigenen Kapelle, in der Nähe des Haupteingangs oder unmittelbar vor den Stufen zum Altarraum. b) Das katholische Kirchengebäude in neugotischen Formen Ein markanter Turm erhebt sich über dem Haupteingang im Westen der Kirche. Der Innenraum ist nach Möglichkeit nach Osten ausgerichtet; die Grundform ist ein längliches Viereck, unterteilt in drei Längsschiffe. Eine Ausladung im Osten für den Altarraum und zwei im östlichen Teil der Langseiten für einen nördlichen und südlichen Querarm geben dem Kirchengrundriss die Kreuzgestalt. Der Abschluss des Kirchenraums nach oben ist durch Gewölbe gestaltet.

2. Konfessionsübergreifende Orientierungen

Abb. 45: (Evangelisch-lutherische) St.-Pauls-Kirche in Schwerin (Mecklenburg), 1863–1869.

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Der Altarraum ist um mehrere Stufen über den Fußboden des Kirchenschiffs erhöht. Der Altar ist vor der Ostwand aufgestellt. Hinter dem Altar erhebt sich ein Retabel mit Schnitzwerk oder Gemälden. Der Altarraum wird durch eine Kommunionbank vom Kirchenschiff unterschieden. Eine Kanzel ist an einem Schiffspfeiler angebracht. Die Bankreihen des Gestühls sind durch einen Mittelgang geteilt. In den Seitenschiffen ist Platz für Nebenaltäre und für Beichtstühle. Die Orgel befindet sich auf einer Empore dem Hochaltar gegenüber. Das gesamte Kirchengebäude ist ausgemalt.

2.5 Orientierung an Formen der Romanik Im 19. Jahrhundert wurde die Entdeckung gemacht, dass der vermeintlich „deutsche“ Baustil der Gotik französischen Ursprungs war. Wurde mit dem gotischen Stil die Gemeinschaft aller Bürger beschworen, so konnte mit der Verwendung romanischer Formen eine Distinktion zum Ausdruck gebracht werden. In den Rheinlanden können die frühen neuromanischen Kirchengebäude als Ausdruck regionaler Unabhängigkeitsbestrebungen katholisch-konservativer Bewegungen interpretiert werden. Mit der Verwendung romanischer Bauformen konnte die Unterscheidung von feudaler und großbürgerlicher Frömmigkeit und Kultur gegenüber der angeblich materialistischen Ausrichtung liberaler Positionen bzw. der Kultur der Proletarier symbolisiert werden. Beispielhaft seien dafür genannt die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin (1895) und die Kirche St. Antonius von Padua in Rheine (1904). Die Kirche in Berlin war von Kaiser Wilhelm II. in Auftrag gegeben worden. Ihre rheinisch-spätromanischen bzw. byzantinischen Formen sollten als Reverenz sowohl an die Tradition der Stauferkaiser als auch an die Einheit von Kirche und Kaiserreich verstanden werden. Dem monumentalen Kirchenbau in Rheine (Westfalen) könnte eine ähnlich komplexe Bauidee zugrunde liegen: „Mit großen Dimensionen und reicher Ausstattung wollte man der Pracht- und Machtentfaltung der ‚Textilindustriebarone‘ ein deutliches Zeichen entgegensetzen, man wollte mit dem künstlerischen Anschluß an ‚eines der ehrwürdigsten Werke deutscher Kirchenarchitektur‘, die unter Bischof Bernward 996– 1033 erbaute Stiftskirche St. Michael in Hildesheim ein lehrhaftes Beispiel setzen, an dem sich die Pfarrkinder, Arbeiter und Bauern, theologisch, historisch und kunsthistorisch bilden konnten, und stellte schließlich demonstrativ ‚im Bild des mittelalterlichen Kaiserdoms die katholische Idee der Einheit von Kirche und Reich dem säkularisierenden Nationalismus wilhelminisch-preußischer Prägung‘ gegenüber.“190

3. Aspekte einer Rekonfessionalisierung

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3. Aspekte einer Rekonfessionalisierung des Kirchenbaus Zum Ende des 19. Jahrhunderts können insbesondere auf protestantischer Seite Bestrebungen ausgemacht werden, neue, unverwechselbar protestantische Raumschöpfungen zu finden. Diese Tendenz zur Konfessionalisierung blieb jedoch auf den Kirchenraum beschränkt und wurde nicht für die äußere Gestalt des Kirchengebäudes bestimmend.

3.1 Kirchengebäude des Neuprotestantismus 3.1.1 „Protestantisch“ – Entwicklungen im 19. Jahrhundert Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts kam es innerhalb der evangelischen Landeskirchen zur Bildung von Gruppierungen, die den traditionsorientierten institutionellen Kirchentümern kritisch gegenüberstanden. Ihren Ausdruck fanden sie etwa in den Gründungen „Allgemeiner Deutscher Protestantenverein“ (1863) und „Evangelischer Bund“ (1887). Angestrebt wurde eine Erneuerung der protestantischen Kirche auf nationaler Ebene „im Geiste ev. Freiheit und im Einklang mit der gesamten Kulturentwicklung unserer Zeit“191. Nächstliegendes Ziel war die Durchsetzung des Gemeindeprinzips. Das hatte auch Auswirkungen auf das Gottesdienstverständnis. Gegründet auf die reformatorische Auffassung vom Priestertum aller Gläubigen wurde – unter Berufung auf Schleiermacher – die Feier des Gottesdienstes als „darstellendes Handeln“ der Gemeinde und als „Feier“ der Gemeinde verstanden, keinesfalls als Veranstaltung mit der oder für die Gemeinde. Die Wiederentdeckung des Gemeindeprinzips legte eine Neuorientierung auch in der Architektur des Kirchengebäudes nahe. Die vorherrschende Orientierung an der Gotik wurde als mit dem protestantischen Gemeindegedanken unvereinbar angesehen und als „katholisch“ abgelehnt. Auch das monumentale Lutherdenkmal in Worms und seine feierliche Einweihung 1868 sind hier zu erwähnen. Das Denkmal bezeugt „den von deutschen Protestanten erhobenen Anspruch auf die Nationalgeschichte und die ideologische Überhöhung des nationalen Gedankens, indem es das gesamte Reformationsgeschehen und seine Vorgeschichte in Gestalt der sogenannten Vorreformatoren (Waldes, Wyclif, Hus, Savonarola) umfasst und Luther als deutschen Nationalhelden und als denjenigen herausstellt, der alle unzulänglichen und gescheiterten reformatorischen Ansätze integriert und erfolgreich zum Ziel geführt hat“192. Innerhalb dieses Kontextes hielt man nun auch nach Leitbildern für die Architektur der „protestantischen Gemeindekirche“ Ausschau.

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3.1.2 Schleiermacher zu Gottesdienst und Kirchengebäude F. D. E. Schleiermacher wirkte am Beginn des 19. Jahrhunderts in Berlin. Er erlangte als Theologe, Philosoph und Pädagoge große Wirksamkeit. Hinsichtlich der Bedeutung der Gestaltung des Kirchengebäudes hat er sich nur sehr knapp geäußert. Es blieb für ihn fraglich, ob die Architektur überhaupt den Künsten zuzurechnen sei. Die wenigen Ausführungen zum Kirchengebäude finden sich im Zusammenhang der ausführlichen Befassung mit dem christlichen Kultus in der „Praktischen Theologie“. Wirksam geworden aber ist sein Gottesdienstkonzept erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Darum wird erst an dieser Stelle darauf eingegangen. Nach Schleiermacher ist der christliche Gottesdienst weder Schule noch Missionsveranstaltung, sondern Fest. Er ist die Feier der christlichen Gemeinde. Dem Inhalt nach ist er Darstellung des religiösen Bewusstseins der zum Kultus versammelten Gemeindeglieder; die Form, in der sich die Darstellung vollzieht, ist durch die verschiedenen Elemente der Kunst bestimmt. Für Schleiermacher ist der Gottesdienst bzw. der christliche Kultus seinem Wesen nach geistiger Art. Die dem Kultus adäquaten Darstellungsmittel sind daher die menschliche Sprache und die mit ihr zusammenhängenden Künste (v. a. die Rhetorik). Sinnliche Elemente als Darstellungsmittel für den Kultus kommen hingegen nur bedingt in Frage. Hierin bestehe ein wesentlicher Unterschied zur katholischen Kirche, in der die sinnlichen Elemente im Vordergrund stehen. Was bedeutet das im Blick auf die Bedeutung der Künste, speziell der Architektur für den Kultus? Ein abgeschlossener Raum ist nützlich, ja notwendig für einen Kultus, in dem die Rede die Hauptsache ist. Und anzustreben sei, „daß der Raum für die religiösen Zusammenkünfte einen anderen Charakter habe als die Räume, die dem Gesellschafts- oder geselligem Leben gewidmet sind“193. Eine Kirche, ein religiöses Gebäude „soll nicht nur seinem Zwekk angemessen sein, sondern ihn auf eine bestimmte Weise ausdrükken“ (115). Dieses können Bildwerke als Verzierung des Gebäudes bewirken, die den „Charakter des Gebäudes auf das Bestimmteste ausdrükken“ (116). Das kirchliche Gebäude hat einen Einfluss auf den Kultus; es kann in Übereinstimmung oder im Widerspruch zum Selbstverständnis der Gemeinde stehen. „Complizirte Formen müssen drükkend erscheinen in einer modernen familiären Kirche“ (753). So sind für Schleiermacher die Gestaltung eines Kirchengebäudes und insbesondere des Kirchenraums anspruchsvolle Projekte und ihr Erscheinungsbild ist entsprechend zu würdigen. „Wir müssen also eine jede Kirche ansehen als ein Werk, welches die christliche Gemeine aufgeführt habe und zwar in der wichtigsten Angelegenheit, und da verlangen wir, daß die Freude sich darin zu Tage lege“ (114). Dabei ist hier von aller architektonischer Virtuosität abzusehen und dem „Canon der Simplizität“ zu entsprechen. Allerdings kennt Schleiermacher hier eine Ausnahme: „Etwas anderes ist es mit den großen Kathedralen; die waren das Centrum von kirchlichen Provinzen und zu glei cher Zeit des Kirchenregiments“ (114).

3. Aspekte einer Rekonfessionalisierung

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3.1.3 Urbilder des protestantischen Kirchengebäudes? In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts „entdeckte“ der Kunsthistoriker C. Gurlitt die Dresdener Frauenkirche als die „am meisten protestantische Kirche der Welt“194. „Mit der Tiefe eines ernsten Geistes, mit einem unbeirrten Streben nach dem höchsten Ausdruck des Protestantismus durch die Kunst“195 habe Georg Bähr diese, seine größte Arbeit geplant und durchgeführt. Die Dresdener Frauenkirche – in der Beschreibung von Gurlitt – war auch für den Dresdener Pfarrer E. Sulze maßgebliches Vorbild für ein erkennbar protestantisches Kirchengebäude. Das protestantische Kirchengebäude ist für ihn nicht Gotteshaus, sondern Gemeindehaus. Und „eine Gemeindekirche muß bei bescheidenem Umfang zeigen, daß sie die Gemeinde innig und in Liebe zusammenschließt“196. Dementsprechend lauten seine Vorschläge für die Gestaltung des Kirchenraums: Ein übersichtlicher Raum ohne Pfeiler und Seitenschiffe und vor allem ohne eigenen Altarraum; der Altar – ein schlichter Tisch – soll nahe der Gemeinde seine Aufstellung finden; die Bänke sollen in drei Blöcke unterteilt sein, damit der Pastor vor einer Gruppe von Gemeindegliedern steht; das Predigtpult soll in der Mittelachse etwas hinter dem Altar seinen Ort haben; die Orgel sei ebenfalls im Angesicht der Gemeinde aufzustellen; Taufschale und Abendmahlsgerät werden bei Bedarf auf dem Altartisch platziert.197 Zum einen sieht Sulze das Problem der Entkirchlichung; er meint, dieser Entwicklung auch mit architektonischen Mitteln begegnen zu können: „Muß man, sobald man in die Kirche geht, den Entschluß fassen, in eine fremd gewordenen Welt sich zu versetzen, so wird man von dem Besuch der Kirche abgeschreckt.“198 Zum anderen ist die Außenwirkung eines Gebäudes zu berücksichtigen, denn „die für den Gottesdienst bestimmten Bauwerke geben der Religion, der sie dienen, einen sichtbaren Ausdruck“199.

3.1.4 Das Kirchengebäude des Neuprotestantismus – das „Wiesbadener Programm“ Für den geplanten Bau der Reformationskirche in Wiesbaden (später: Ringkirche) wurde dem „zur Aufstellung eines Entwurfs aufgeforderten Architekten von vornherein die Bedingung (gestellt), dass er jeden Anklang an die übliche Anordnung der katholischen Kirche vermeiden solle“200. Im Zusammenhang dieses Projektes wurde im Zusammenwirken des Gemeindepastors E. Veesenmeyer und des Architekten J. Otzen 1891 das sogenannte „Wiesbadener Programm“ in vier Punkten formuliert: 1. Die Kirche solle das Gepräge eines Versammlungshauses der Gemeinde haben und 2. der Einheit der Gemeinde solle durch die Einheitlichkeit des Raums Ausdruck gegeben werden. 3. Der Altar solle – wenigstens symbolisch – inmitten der Gemeinde stehen. 4. Die Kanzel solle hinter dem Altar im Zusammenhang der Orgelbühne ihren Ort finden.

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Abb. 46: (Protestantische) Ringkirche in Wiesbaden, 1892–1894.

3. Aspekte einer Rekonfessionalisierung

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Die Ringkirche in Wiesbaden wurde 1894 eingeweiht. Befremdlich wirkte neben der neuartigen Innengestaltung die Tatsache, dass die Altarnische, Orgel, Sakristei etc. im Bereich der beiden Haupttürme angeordnet waren; dies trug dem Architekten den Vorwurf einer „architektonischen Lüge“ ein. Im Übrigen aber wurde konstatiert: „Die Grundform des Baues … ist keine ungewöhnliche; ihr eigenartiges Gepräge erhält die 1200 Sitzplätze darbietende Anlage erst durch die Aufstellung des Altars und der Kanzel vor der im Erdgeschoß für Sakristei und Vorhalle ausgenutzten, auf der Empore als Sänger- und Orgelchor dienenden Ostnische und durch die zu diesem Mittelpunkte konzentrische Anordnung der unteren Sitzreihen.“201 Kanzel und Altar, übereinander angeordnet, ruhen auf einer runden Altarinsel. Das Gestühl ist amphitheaterartig in mehreren Blöcken angeordnet, die Altarinsel in eine Richtung konzentrisch umgebend. Hinter dem Altar ist auf Säulenstellungen die Empore für Sänger und Orgel angeordnet. Sie ist über dem hinteren Segment der Altarinsel halbkreisförmig eingezogen und gibt einem sich über Altar und Kanzel erhebenden Ziborium Raum, das oben durch ein Kreuz bekrönt ist. Das Wiesbadener Programm und seine Realisierung fand in vielen Gemeinden Zustimmung. Es wurde zum Inbegriff einer modernen protestantischen Kirchengestaltung und regte unzählige Nachfolgebauten an. Insbesondere in den preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen wurde angesichts der Notwendigkeit der Errichtung neuer protestantischer Kirchen, z. B. im Kontext der Industrialisierung des Ruhrgebiets, häufig nach diesem Vorbild gebaut. Zu frühen Nachfolgebauten der Wiesbadener Kirche zählen die Kirche in Bochum-Hofstede/Riemke (1897), in Bochum-Hamme (1898), in Wuppertal-Elberfeld (1898) sowie in Malstatt-Burbach (1898). Alle vier Kirchen – außer der Wuppertaler wurden diese Kirchen im Zweiten Weltkrieg zerstört – zeigten neben der „modernen“ Innenraumgestaltung eine traditionelle Außengestaltung mit neugotischen Formen. Die mit der Konfessionalisierung des Kirchbaus verbundenen Änderungen sind an den Ausschreibungsverfahren deutlich ablesbar. Bisher war die Konfession eines Architekten ohne Relevanz für seine fachliche Tätigkeit. Der Kölner Dombaumeister E. Zwirner war Protestant und hat sowohl zahlreiche katholische Pfarrkirchen als auch die Wallfahrtskirche in Remagen gebaut. Der Architekt A. Hartel war Katholik und hat – als Sieger der entsprechenden Ausschreibungen – vorwiegend protestantische Kirchen, insbesondere solche durch das Gustav-Adolf-Werk geförderte, errichtet. Das änderte sich jetzt. Ausschreibungen für den Entwurf einer protestantischen Kirche wurden jetzt ausdrücklich an die evangelischen Architekten gerichtet.

3.1.5 Gruppenbauten In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es in zahlreichen Orten nicht genügend Bauplätze für Kirchengebäude, die deren Freistellung ermöglichten. Bereits 1854 wurde in Hamburg die neugotische reformierte Kirche hinter zwei Predigerhäusern er-

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richtet. Für Berlin kann auf die 1861 errichtete Lukaskirche hingewiesen werden, die – von Nebengebäuden flankiert – nur mit einer Schmalseite zur Straße weist. 1888 wurde dann mit der Friedenskirche in Wedding die Reihe der für Berlin charakteristischen nur mit einer Schmalseite an die Straßenfassade reichenden Kirchengebäude eröffnet; ein Modell, das gleichermaßen für evangelische wie für katholische Kirchenbauten genutzt wurde. Diese Kirchenbauten waren stets mit Räumlichkeiten für Pfarrund Küsterwohnungen, für Unterricht, Diakonie und Gemeindeveranstaltungen verbunden und stellen insofern eine Frühform von Gemeindezentren dar. Zugleich wuchs in diesem Zeitraum das Bedürfnis nach vom Kirchenraum unabhängigen Versammlungs- und Unterrichtsräumen – das war die Erfindung des Gemeindehauses. Nach Sulze bedarf die Gemeinde „der Räume für die Verwaltung, für die Urkunden ihrer Geschichte, für ihren Unterricht, für ihre Vertreter und Mitarbeiter, für den geselligen Verkehr ihrer Mitarbeiter“202. Das Gemeindehaus kann neben seiner funktionalen Bedeutung auch als Ausdruck der Emanzipation der Gemeinde gegenüber der ‚Kirchenanstalt‘ verstanden werden. Auch deswegen war die Frage der architektonischen Beziehung zwischen Kirchengebäude und Gemeindehaus von Brisanz. Eine Form des Gruppenbaus entwickelte sich aus einem Ensemble eigenständiger Gebäude, die durch ein Atrium oder einen Säulengang miteinander verbunden und als zusammengehörig herausgestellt wurden. Eine frühe Realisierung dieses Typus fand sich bereits bei der Jacobi-Kirche in Berlin. Zahlreiche Kirchenbauten am Beginn des 20. Jahrhunderts folgten diesem Vorbild. Eine andere Form stellte die Errichtung von Bauten für Gemeindezwecke in organischer Verbindung mit dem Kirchengebäude dar. Im Eisenacher Regulativ wurde dieses prinzipiell abgelehnt. E. Sulze dagegen hatte sich vehement für solche Kirchenbauten eingesetzt. Der Architekt O. March hat mit dem Bau der reformierten Kirche in Osnabrück (1892) diesen Vorschlag realisiert und sich auch theoretisch mit dieser Frage befasst. Die immer drängender werdenden neuen Formen sozialen und diakonischen Handelns der protestantischen Kirche müssen in seiner Sicht die Bauauffassung von einem Kirchengebäude verändern. „Die erweiterte Organisation gegenseitiger Hilfsbereitschaft, die sich aus dem Zusammenlaufen der religiösen und sozialen Fragen ergeben, fordern ihre bauliche Verkörperung.“203 In der Folge entstand eine ganze Reihe solcher gruppierten Kirchenbauten, die so u.U. auch die Wahrnehmung von Kirche und Gemeinde in der Wohnumgebung verändern konnten. Nicht mehr allein das repräsentative, der Lebenswelt der hier lebenden Menschen fremd gegenüberstehende Kirchengebäude, sondern die funktionalen Gebäude für diakonische und pädagogische Angebote, für Geselligkeit und Feier konnten für die Größe „Kirchen gemeinde“ stehen.

3. Aspekte einer Rekonfessionalisierung

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3.2 Katholische Kirchenneubauten Seit der Säkularisierung war der Katholizismus in Deutschland in einer schwierigen Situation. Die katholischen Bistümer standen zu einem Teil unter der Aufsicht von Organen protestantischer Obrigkeiten; dies galt besonders für die preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen. Ein durchgehendes Merkmal blieb daher die häufig artikulierte Forderung nach Befreiung von den Fesseln des Staatskirchentums. Insbesondere für Preußen lässt sich die schwierige Beziehung nachzeichnen. Auf den sogenannten Kölner Kirchenstreit in den dreißiger Jahren folgten die gemeinsame Initiative zur Fertigstellung des Kölner Doms und die Einrichtung einer katholischen Abteilung im preußischen Kultusministerium, in die nur katholische Beamte berufen werden konnten. Einschneidend war dann wiederum die Zeit des Kulturkampfes (1871–1885), verbunden u. a. mit der Auflösung dieser Abteilung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Ausweg aus dem Staatskirchensystem im deutsche Katholizismus zunehmend in einem Ultramontanismus gesehen. Diese verstärkte Hinwendung nach Rom rief eine heftige protestantische Polemik hervor, in der zwischen „katholisch“ und „anti-national“ kaum unterschieden wurde. Innerkatholische Ansätze in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, eine „katholische Nationalkirche“ zu etablieren, scheiterten indes am Widerstand aus Rom. Dessen ungeachtet fanden solche Bemühungen ihren Ausdruck auch z. B. in der Fertigstellung des Kölner Doms und in der Dominanz des gotischen Baustils für Kirchenneubauten. Damit konnte der Anspruch der katholischen Kirche auf Kontinuität und Universalität sinnenfällig dargestellt werden. Im Interesse einer demonstrativen katholischen Selbstdarstellung wurden dann traditionsreiche Wallfahrtsorte durch neugotische Kirchenbauten neu gestaltet (Remagen, St. Apollinaris, 1842; Kevelaer, Marien-Basilika, 1864; Billerbeck, St. Ludgerus, 1898). In der Frömmigkeitspraxis kam es zu einer Wiederentdeckung von Formen aus dem Barock. Andachten und Wallfahrten erhielten neuen Zulauf und wurden als Demonstration katholischen Identitätsbewusstseins entdeckt. In restaurativ eingestellten Kreisen des Klerus entstanden liturgische Tendenzen, die gegen die Ergebnisse der Aufklärung gerichtet waren. Das fand seinen liturgischen Ausdruck in der deutlichen Kennzeichnung des Chores als Raum nur für den Priester und der Beschränkung der betenden Laien auf das Langhaus; solchen Bestrebungen kam die architektonische Struktur des idealen neugotischen Kirchengebäudes entgegen. Die Kirchengebäude aus diesem Zeitraum sind mehrheitlich von solchen traditionellen Gestaltungsgrundsätzen geprägt. Zentral blieb der Hochaltar, durch Kommunionbank und Stufen deutlich vom Gemeinderaum unterschieden. Das Tabernakel war fest in den Altaraufbau integriert. Der Kirchenraum wurde in erster Linie als Ort der Anbetung des Heiligen gesehen, erst dann auch als Raum für die Mitfeier der Messe. Die sich verstärkende Kraft der Laien und entsprechender Verbände (u. a. „Katholischer Verein Deutschlands“, 1848; „Deutscher Katholikentag“, 1848) hatte keine Aus-

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Abb. 47: (Katholische) Wallfahrtskirche St. Ludgerus in Billerbeck, 1892–1898.

wirkungen auf die Gestaltung des Kirchenraums. Für die Liturgie sollte die Veröffentlichung des Messbuches in deutscher Sprache im Jahr 1884 (der „Schott“) von überragender Bedeutung werden. Die damit ermöglichte aktivere Beteiligung der Laien an der Messe fand jedoch erst in den sogenannten „christozentrischen“ Kirchenbauten nach dem Ersten Weltkrieg ihre architektonische Gestalt. Als Vorläufer dazu können zentralisierende katholische Kirchenbauten des frühen 20. Jahrhunderts angesehen werden (Steglitz, Rosenkranzkirche, 1898; München, St. Rupertus, 1903; Gladbeck, Heilig-Kreuz, 1915). Die Voraussetzungen für diese Kirchenbauten und ihre Raumauffassung sind sowohl in der liturgischen Entwicklung, aber auch in der Verwendung neuer Bautechnologien zu sehen; der verwendete Stahlbeton ermöglichte das Überspannen weiter Räume.

4. „Kirchengebäude“ und „Synagoge“ im Fokus pragmatischer, ästhetischer und theoretischer Überlegungen an der Wende zum 20. Jahrhundert Die Betrachtung des Kirchenbaus seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bliebe ohne die Berücksichtigung der Entwicklungen, die teils nebeneinander ohne gegenseitiges Wahrnehmen, teils aber auch unter Bezugnahme aufeinander verlaufen sind, unvoll-

4. „Kirchengebäude“ und „Synagoge“ an der Wende zum 20. Jahrhundert

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ständig. Diese Entwicklungen können hier auch nicht annähernd erschöpfend behandelt werden, sollen aber doch stichwortartig Erwähnung finden. Mit dem Kirchengebäude – und in manchen Aspekten ebenso mit der Synagoge – als repräsentativem Bauwerk in der Öffentlichkeit waren bestimmte Erwartungen verbunden. Ebenso waren solchen Bauten, unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte, ambivalente Wirkungen eigen: Gottesdienstraum und ein sichtbar religiös-kultureller Dominanzanspruch, Symbol der Beheimatung und ein Ausdruck kultureller Zeitgenossenschaft, die Bauaufgabe „Kultusanlagen“ als öffentliche und nicht als religiös bzw. konfessionell bestimmte Angelegenheit und die auf den Innenraum beschränkte, aber umso deutlichere konfessionelle Prägung, die Indienstnahme neuer Baumaterialien und das Beharren auf traditionellen repräsentativen Bauformen. Besonders hinzuweisen ist auf die Kunstausstellungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Hier wurden – in gehörigem Abstand zu den Amtskirchen – Sakralräume evangelischer, katholischer und jüdischer Prägung als Anwendungsbereiche aktuellen Kunstschaffens vorgestellt. Ebenso wie hier im evangelischen Bereich nicht zwischen lutherischer und reformierter Tradition unterschieden wurde, so selbstverständlich begegnete hier das Nebeneinander von christlichem und jüdischem Sakralraum. Einen deutlichen Kontrast zu diesen Entwicklungen stellt die Beschränkung auf die Baustile der Vergangenheit und die völlige Ausblendung des gegenwärtigen Kirchenbauschaffens in den relevanten Lexikonartikeln aus der Zeitepoche dar.

4.1 Industrialisierung und Urbanisierung, Kirchenbau und Rechristianisierung 4.1.1 Entkirchlichung und Urbanisierung Im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert begann in Deutschland ein Entkirchlichungs- und Entchristianisierungsprozess, der seither, regional durchaus unterschiedlich, unaufhörlich fortgeschritten ist. Dieser Prozess war zunächst im Protestantismus deutlicher wahrzunehmen als im Katholizismus. Infolge der Verbreitung von Rationalität, Pluralismus sowie Toleranz, im Zuge des gesellschaftlichen Säkularisierungsprozesses verlor die christliche Religion im 19. Jahrhundert allmählich ihre Allgemeingültigkeit als System der Weltorientierung und Daseinsbewältigung und vermittelte immer seltener universale Deutungszusammenhänge.204 Dies war eine Entwicklung, die im Laufe des 19. Jahrhunderts mit der zunehmenden Industrialisierung, mit den Prozessen der Urbanisierung sowie der damit verbundenen Mobilität der Menschen noch drastisch zunehmen sollte. Die sich verstärkenden Kirchenbauaktivitäten seitens der Kirchen, aber auch der Regierungen, können auch als eine Weise der Reaktion auf diese wahrgenommenen Phänomene interpretiert werden.

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Abb. 48: Evangelische Kirche in Bochum-Hamme, 1897 (historische Aufnahme der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kirche).

Die dramatische Bevölkerungszunahme in Großstädten stellte auch eine bauliche Herausforderung dar. Die Bevölkerung Berlins war von 1810 bis 1885 von 163 000 auf über 1,3 Millionen Einwohner angestiegen. Angesichts dieser Entwicklung ging es um den Bau möglichst vieler und preiswerter Wohnungen auf möglichst kleiner Fläche. Mit dieser Entwicklung ergaben sich Herausforderungen auch an kirchliche Strukturen. Der preußische König Friedrich Wilhelm III. ließ für das „geistliche Wohl“ der zunehmenden Bevölkerung in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts vier protestantische Kirchengebäude errichten, möglichst kostengünstig, aber doch den Anspruch der Kirche inmitten der profanen Bebauung deutlich veranschaulichend. Unter Friedrich Wilhelm IV. wurden in Berlin seit 1845 in sechzehn Jahren acht monumentale Kirchen mit großem Platzangebot errichtet. Alle diese Kirchenbauten bestanden aus Baugruppen von Kirche mit Pfarrhaus, Schulhaus und Diakoniegebäude. Ihre Errichtung glich der Einrichtung von Missionsstationen in einer entkirchlichten Umgebung. Analog dazu verlief die Entwicklung in den sich entwickelnden Industrierevieren. So stieg die Einwohnerzahl im Ruhrgebiet von 270 000 im Jahr 1820 bis 1870 auf über eine Million, bis 1897 auf über zwei Millionen und bis 1910 auf 3,5 Millionen an. 205 Mit der Ansiedlung der Menschen in der Nähe der Industrieanlagen kam es notwendig auch zu einer Veränderung der konfessionellen Prägung einer Region. Davon ‚erzählen‘ die im 19. Jahrhundert im Ruhrgebiet errichteten Kirchenbauten. Kirchengebäude hatten in dieser Situation die Funktion der religiösen Beheimatung sowie der kirch-

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lichen und zugleich gesellschaftlichen Eingliederung und Kontrolle. Zugleich waren sie aber auch Monumente christlicher Religion in der Öffentlichkeit. In den Jahren 1858 bis 1860 wurden in Deutschland 263 evangelische Kirchen eingeweiht.206 Diese Entwicklung setzte sich fort mit steigender Tendenz. Zu keinem Zeitpunkt vorher wurde in einem begrenzten Zeitraum eine so große Zahl von Kirchengebäuden errichtet.

4.1.2 Rechristianisierung Das Kirchengebäude sollte sich von der umgebenden dichten Wohnbebauung oder auch von der umliegenden Industrielandschaft deutlich abgrenzen und unterscheiden. Der eigenständige Anspruch der christlichen Religion sollte architektonisch zum Ausdruck gebracht werden, ebenso ihre ‚Überlegenheit‘ gegenüber der säkularen Welt. Um solche Wirkungen erreichen zu können, wurde eine freie Stellung des Kirchengebäudes gefordert bzw. angestrebt. Erstmals wurde dies in den „Ratschlägen für den Bau evangelischer Kirchen“ der Eisenacher Kirchenkonferenz von 1898 explizit formuliert: „Die Kirche gehört auf einen offenen Platz und soll sich nicht an andere Gebäude anlehnen. Die Würde des für den Gemeindegottesdienst bestimmten Bauwerkes erfordert eine ausgezeichnete und freie Stellung mit reichlichem Licht und bequemen Zugängen von mehreren Seiten.“207 Eine solche Festlegung war bereits zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung überholt, weil aus städteplanerischen Gründen oft nicht realisierbar. Der ebenso angestrebten dominant vertikalen Wirkung kam die allgemeine Orientierung an der Gotik entgegen. Ein schlanker hoher Turm, eine Kirchturmuhr und Glockengeläut unterstützten den durch die Architektur erhobenen Anspruch. „Im Zuge der Reichsgründung 1870/71 kam es zu einer neuen Verbindung zwischen Nationalismus und Christentum … Die Phänomenologie der nationalen Feste und Feiern zeigt eine charakteristische Mischung von Säkularisierung und Sakralisierung. … Innenpolitisch diente der nationale Kult dazu, eine die Klassen, Parteien und Konfessionen überwölbende Einheit der Gesellschaft darzustellen.“208 „Kirchenbauten dienten dazu als sichtbares Zeichen … Besonders in den Großstädten erhielten sie als breitgestreute Stützpunkte dieser Vorstellungen, auch als sozialpolitische Klammern herausragende Bedeutung.“209 In solcher vielschichtigen Funktion von Kirchenbauten liegt begründet, dass – etwa im Ruhrgebiet – die Unternehmensleitung den Bau einer Kirche im Wohngebiet der Arbeiter finanziell stark fördern konnte.

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4.1.3 Inkulturation Im 19. Jahrhundert hielten neue Materialien und Technologien Einzug in die Architektur. Zuerst in England wurden Eisenstützen anstelle gemauerter Pfeiler eingesetzt und ermöglichten die Errichtung weiter, lichtdurchfluteter Hallen. Ebenfalls dort wurden leichte Deckenkonstruktionen zum Überspannen großer Flächen entwickelt. Das waren Konstruktionsmethoden, die bald auch erfolgreich in Industriebauten, z. B. im Ruhrgebiet, eingesetzt wurden. Die Übernahme solcher Konstruktionsmöglichkeiten in den Kirchenbau geschah mit Verzögerung und wurde zuerst im Ausland realisiert. In England wurden schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Eisenkonstruktionen im Kirchenbau verwendet. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erfolgte dies auch in zwei großen Pariser Kirchen. Im Ruhrgebiet wurde in der evangelischen Christuskirche in Oberhausen (1864) eine Eisenkonstruktion verwendet. In der alten evangelischen Kirche am Karlsplatz in Essen (1890) wird das leichte Holzgewölbe des Hauptschiffes von vorgefertigten Stahlsäulen getragen. Mit der Verwendung der neuen Technologie wurde ein Stück Lebenswelt der Gemeindeglieder in den Kirchenraum mit hineingenommen – nämlich Stahlerzeugung und -verarbeitung wie auch die vertraute Deckengestaltung von Maschinenhallen. Insofern können diese Bauten mit einem gewissen Recht als frühe Beispiele von Inkulturation der Kirchen mit den Mitteln der Architektur beschrieben werden. Und insofern kann es auch als Aufnahme von Vorstellungen verstanden werden, die Sulze 1891 in die kritische Feststellung gekleidet hatte: „Muß man, sobald man in die Kirche geht, den Entschluß fassen, in eine fremd gewordene Welt sich zu versetzen, so wird man von dem Besuch der Kirche abgeschreckt.“210 Im gleichen Jahr beschrieb, gleichsam in umgekehrter Perspektive, der Theologe und Sozialdemokrat P. Göhre, der für einige Monate als Fabrikarbeiter gearbeitet hatte, seine Wahrnehmung einer Maschinenhalle mit Bildelementen der verinnerlichten Vorstellung eines Kirchengebäudes: Der Bau „erinnerte mich immer an das Innere einer Kirche … Man konnte in der Mitte des Raumes bis hinauf zum Dache sehen, das zum großen Teil aus Glasplatten bestand, um mehr Licht herein zu lassen … Auf dem östlichen Ende und der dortigen Schmalseite des ganzen Baues fehlten die Emporen bis auf eine einzige kleine ganz; dadurch war ein weiter geräumiger Platz geschaffen, lichter und freundlicher – gleich dem Altarplatze einer Kirche. Und wo in unsern Kirchen oft die Sakristeien zu sein pflegen, stand hier das Maschinenhaus … Daneben ragte der große Schornstein auf, dessen rußige rauchende Spitze auch zum Himmel wies. Zwar fehlte Glockenklang und Orgelton. Aber dafür brausten andere gewaltige Töne unaufhörlich durch die Halle … Und was die schwarzen blaukitteligen Männer da schafften – wars nicht auch ein Gotteswerk, ein Gottesdienst?“211

4. „Kirchengebäude“ und „Synagoge“ an der Wende zum 20. Jahrhundert

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4.2 Formalisierung sakraler Bauaufgaben – Kirchengebäude und Synagogen in Fachbüchern für Architekten In den drei Jahrzehnten von 1870 bis etwa 1906 erschien eine große Zahl von Veröffentlichungen zum Kirchenbau und zum Kirchengebäude aus der Perspektive der jeweiligen Konfession. „Die verbreiteten Theorien des Kirchenbaus … konzentrieren sich in hohem Maß auf die Stilfrage und auf sehr allgemeine Forderungen nach dem spezifisch protestantischen Kirchenraum.“212 In diesen Werken lassen sich die innerprotestantischen Divergenzen und ihre Diskussion gut nachverfolgen. Für den katholischen Bereich ist eine geringere Zahl entsprechender Veröffentlichungen, aber auch eine einheitlich restaurative, der Orientierung an den historischen Stilen verbunden bleibende Haltung festzustellen.213 1879 erschien in Berlin erstmals das „Deutsche Bauhandbuch“. Der 1884 erschienene zweite Teil der „Baukunde“ behandelt „Anordnung und Einrichtung der Gebäude“. Das Kapitel III ist überschrieben „Kultusanlagen“ und enthält die Kapitel „Kirchen“ und „Synagogen“. Der Teil zu den Kirchen ist von dem Berliner Architekten F. Adler verfasst; der Teil zu den Synagogen von dem Hannoveraner Architekten E. Oppler, nach dessen Tod ergänzt von A. Haupt. Bei dem Beitrag von Oppler in diesem Band handelte es sich um die erste theoretische Abhandlung zum Synagogenbau in Deutschland überhaupt. Der Beitrag von Oppler setzte gleichsam programmatisch ein: „Gebäude zur Ausübung des jüdischen Gottesdienstes, Synagogen, unterscheiden sich von christlichen Kirchen ganz besonders durch ihre Grundrißanlage, bei welcher die angesprochene Kreuzesform vermieden werden muß.“214 In der zweiten Auflage 1899 beginnt A. Haupt den Beitrag „Synagogen“ folgendermaßen: „Gebäude für den jüdischen Gottesdienst, Synagogen, beruhen im ganzen auf denselben Grundlagen, wie die christlichen Kirchen, insbesondere die evangelische.“215 Der innerhalb des „Handbuchs der Architektur“ 1906 erschienene Band „Kirchen“ ist von dem Kunsthistoriker C. Gurlitt erarbeitet worden. Unter dem Oberbegriff „Kirchen“ fasst Gurlitt nicht nur die Kirchengebäude der christlichen Kirchen, sondern auch die Synagogen. Die Abhandlung über die Synagogen ist dem Empfinden der Zeit entsprechend von einer Haltung christlicher Überheblichkeit nicht frei. Die geschichtliche Einführung bringt Hinweise auf frühe Synagogen in Galiläa, auf die Geschichte des Tempels und feiert Christus als den Überwinder des Opfergottesdienstes. Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass Gurlitt es im Folgenden unternimmt, den jüdischen Gottesdienst, so wie er sich ihm erschließt, im Blick auf die Anforderungen an den Raum zu beschreiben. Dann wendet er sich ausführlich „modernen Synagogen“ zu. Damit liegt ein sehr instruktiver Text- und Bildteil über die Synagoge als Bauwerk und als Gottesdienstort vor, mit den sich daraus ergebenden bautechnischen Konsequenzen. Was fehlt ist ein kritischer Rekurs auf die Geschichte der Synagogen in

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Deutschland sowie sich daraus ergebende Beschränkungen hinsichtlich von Bauort und -gestalt.216

4.3 Kunstausstellungen – Manifestationen einer protestantischkatholisch-jüdischen „Kulturökumene“ Die allgemeinen Kunst- und Kunstgewerbeausstellungen von 1900 bis 1914 haben die architektonische Moderne auch in den Konfessionen vorangebracht. Dabei wurde „christliche Kunst“ als Teil der künstlerischen Kultur der Gegenwart angesehen und ausgestellt. Von besonderer Bedeutung war hier die „III. Deutsche Kunstgewerbeausstellung“, Dresden 1906.217 Es war von Anfang an geplant, neben der Profankunst auch die Kirchenkunst prominent sichtbar zu machen. „Es konnte sich nur darum handeln, zu zeigen, daß auch die moderne Kunst befähigt sei, einen Raum zweckentsprechend künstlerisch, kirchlich und dabei doch selbständig auszugestalten.“218 Der schlecht beleuchtete Mittelsaal des Ausstellungspalastes wurde für den Einbau der Kirchenräume genutzt. Hier waren hintereinander der katholische und dann der protestantische Kirchenraum angeordnet, seitlich davon der Synagogenraum. So waren auch in der Abteilung „Kirchliche Kunst“ die beiden christlich-konfesssionellen Kirchenräume und der jüdische Synagogenraum gleichberechtigt angeordnet. „Ökumenischer Geist, der 1906 wohl zum ersten Mal innerhalb der Kirchenbaukunst Gestalt angenommen hatte“,219 blieb – auch mit dem Einschluss synagogaler Kunst – für weitere Kunstausstellungen prägend. Zu nennen sind hier die „Christliche Kunstausstellung“, Düsseldorf 1909, die Ausstellung alter und neuer kirchlicher Kunst, Stuttgart 1911 mit „Musterbeispielen für katholische, protestantische und israelitische Kirchbauten“ sowie die erste Werkbundausstellung, Köln 1914.

4.4 „Christliche Baukunst“ und „Synagoge“ in protestantischen Lexika Der interessierte Leser um 1900 konnte aus der Lektüre entsprechender Lexikonartikel weder etwas über Kirchenbauten aus neuerer Zeit erfahren, noch etwas über Synagogen in deutschen Städten. Diese Feststellung kennzeichnet einen merkwürdigen Kontrast einerseits gegenüber den umfangreichen publizistischen Aktivitäten zu Fragen des neueren Kirchenbaus, anderseits zu den Bauhandbüchern für die Hand des Architekten, die bereits um 1880 christliche Kirchengebäude und Synagogen mit ihren jeweiligen Planungserfordernissen gleichberechtigt nebeneinander behandeln. Seit 1854 erschien erstmals die „Real-Encyklopädie für protestantische Theologie und Kirche“. Unter „Baukunst“ sind sowohl der Artikel „Baukunst, bei den Hebräern“ als auch „Baukunst, christliche“ zu finden. Der erstere ist ganz auf Palästina bezogen. In dem Artikel zur christlichen Baukunst wird die Entwicklung des Kirchen-

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baus von den Anfängen bis in das 15. Jahrhundert hinein beschrieben. Von der evangelischen Kirche heißt es hier, sie habe keine neue Architektur erzeugt.220 Seit 1877 erschien die erweiterte zweite Auflage. Beide genannten Artikel sind auch hier vorhanden, wobei der zur christlichen Baukunst von einem anderen Autor stammt und leicht erweitert worden ist. Allerdings wird auch hier der protestantische Kirchenbau gar nicht berücksichtigt.221 Seit 1896 ist schließlich die dritte Auflage erschienen. Hier gibt es einen umfangreichen Artikel „Kirchenbau“222. Auch in diesem wird die Entwicklung in der Neuzeit recht knapp dargestellt. Der Verfasser lehnt es ausdrücklich ab, einen Typus der protestantischen Kirche bestimmen zu wollen oder zu können, und er kritisiert gleichermaßen entsprechende Festlegungen des Eisenacher Regulativs wie des Wiesbadener Programms. „Wer dem Architekten die Aufgabe steckt, den Grundsatz des allgemeinen Priestertums durch die Gestaltung des Raums auszusprechen …, handelt ebenso vernünftig, wie einer, der von ihm verlangen wollte, er solle den Begriff Kontrapunkt durch die Gestaltung eines Konzertsaals zum Ausdruck bringen. Denn die Baukunst ist nicht dazu da, dogmatische Gedanken auszusprechen, sondern praktischen Bedürfnissen zu dienen: der Zweckgedanke, nicht die dogmatische Vorstellung beherrscht sie.“223 In dem Artikel „Synagogen“ wird darauf verwiesen, dass dies die Bezeichnung der noch jetzt allgemein üblichen lokalen Gottesdiensthäuser der Juden ist.224 Der instruktive Text reicht jedoch über die neutestamentliche Zeitgeschichte nicht hinaus. Ein deutlich anderes Bild ergibt sich bei dem gemeinverständlich angelegten Lexikon „Die Religion in Geschichte und Gegenwart“ (RGG), erste Auflage 1909–1913, deren Herausgeber ein dezidiert kultur- und religionspolitisches Interesse an der Religion der Gegenwart als Programm vertreten. Der Artikel „Kirchenbau“ enthält die Teile „I. Entwicklungsgeschichte des Kirchenbaus“ und „II. Kirchenbau des Protestantismus“. Der Autor des zweiten Teils sieht die Aufgabe darin, eine Geschichte des protestantischen Sakralbaus zu geben, wie er sich in der lutherischen und reformierten Welt und dann nicht nur in Deutschland, sondern auch in Skandinavien und in anderen Ländern darstellt. Er beschränkt sich dann doch auf Deutschland und hier wiederum v. a. auf den lutherischen Bereich.225 Auch in diesem Lexikon gibt es einen Artikel „Synagoge“. Hier wird darauf verwiesen, dass heutzutage dort, wo es jüdische Religionsgemeinschaften gibt, auch Synagogen vorhanden sind. Abschließend werden die Grundstrukturen für den heutigen Bau der Synagogen, unter Heranziehung von Fachbüchern für Architekten, aufgeführt.226

4.5 Neue Baumaterialien – eine Herausforderung für den Sakralbau Die Entwicklung der Eisenbetontechnologie und ihr Einsatz im Kirchenbau bewirkte wohl die einschneidensten Veränderungen desselben. Vorausgegangen waren jahrzehntelange Versuche und dann die Durchsetzung der Verwendung des Eisenbetons

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V. Das Kirchengebäude von der Aufklärung bis 1918

im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, sowohl in Nordamerika als auch in Frankreich. In Frankreich, in Paris fand diese Bauweise auch Eingang in den Kirchenbau (Saint-Jean de Montmartre, 1894–1901). Etwas verzögert wurde der Eisenbeton in Deutschland im evangelischen wie im katholischen Kirchenbau und ebenso im Synagogenbau oft verwendet. Die allmähliche Umgestaltung der Grundrisse im (katholischen) Kirchenbau ergab sich auch zwingend aus Baustoff, Konstruktion, Statik und Zeittendenz. „Die Formvorstellungen waren im 19. Jahrhundert von den Materialien unabhängig gewesen, jetzt standen sie in enger Wechselwirkung mit ihnen. … Durch die Einführung des Eisenbetonbaus werden vielleicht die bisherigen Regeln der Baukunst von Grund aus umgewertet.“227 Zunächst waren die sichtbaren Eisenbetonteile im Kirchenbau verkleidet worden, etwa durch Ziegelmauerwerk, denn Eisenbeton galt für einen Kirchenbau als unwürdiges Baumaterial. Dann setzten sie sich mit ihrer spezifischen Materialität durch. Die Verwendung von Eisenbeton ermöglichte die Realisierung weittragender Konstruktionen, die einen einheitlichen und übersichtlichen Raum ohne Hilfe von Stützen überspannten. Die im Synagogenbau immer stärker favorisierte monumentale Kuppel wurde durch Verwendung von Eisenbeton leichter möglich.

4.6 Monumentalität und religiös-kultureller Anspruch – Kirchengebäude und Synagogen im frühen 20. Jahrhundert 4.6.1 Aspekte der allgemeinen Entwicklung Der Abschied von der Orientierung an historischen Bauformen war auch mit dem Abschied von dem Gedanken eines Kirchenbautyps verbunden. Die Aufgabe wurde nun darin gesehen, „aus den veränderten Bedürfnissen des Gottesdienstes heraus einen Raum zu schaffen, in dem alle Künste, wenn sie wollen, wohnen können, einen Raum, der nicht beim Lösen der praktischen Fragen, die natürlich vorangehen, stehen bleibt, sondern diese Nützlichkeitsgesichtspunkte zugleich zu lösen trachtet im höchsten künstlerischen Geist“228. Der Kirchenbau dieser Zeit wurde wesentlich vom Wohlstand des Bürgertums getragen, bei repräsentativen Bauaufgaben auch durch den kaiserlichen Hof. Die Kirchenbauten dieser Phase werden in der Außenwirkung durch Momente einer Monumentalität, aber auch einer Erhabenheit charakterisiert. Ein wichtiges Element stellte dabei ein repräsentativer Standort dar. Zugleich war mit dem Standort in der Stadt eine Herausforderung gegeben. „Die Repräsentanz der profanen Monumentalarchitektur der Banken, der Verwaltungsbauten, der Festspielhäuser verführt aber den Kirchenbau zu Nachahmung und Klischee.“229 Eine aufwendige, manchmal auch plakative Gestaltung durch Plastiken, Mosaiken und v. a. aber durch monumentale Inschriften charakterisieren das Äußere solcher protestantischer Kirchengebäude. Der Innenraum dieser Kirchenbauten wird durch gera-

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de oder ausgebauchte Seitenwände umgrenzt und häufig von einer flachen Kuppel überspannt, die durch Fenster bzw. Oberlichte geöffnet und durch ornamentale Malereien verziert sind. Geprägt wird der Innenraum in der Regel durch die axiale Stellung der monumentalen Kanzel vor oder hinter dem Altar. Häufig ist die Orgel darüber ebenfalls in der Blickachse der Kirchenbesucher angeordnet. In einigen Kirchen wurde der Fußboden vom Eingang zur Kanzel hin abfallend gestaltet und unterstützt so den Eindruck eines Auditoriums. Altar und Kanzel sind durch kostbare Materialien (Marmor) und aufwendige Gestaltung herausgehoben. Das Kirchengebäude konnte den Eindruck eines „Gesamtkunstwerkes“ vermitteln. Das religiöse Moment des Raums wurde nicht durch religiöse Formensprache vergegenwärtigt. So sah man sich herausgefordert, den Unterschied zwischen der Alltagswelt und dem „religiösen Raum“ durch Inszenierung erfahrbar werden zu lassen. Dazu bediente man sich analog zu Theater-, Konzert- und Museumsbauten der Treppengestaltung. Man schreitet hinauf zu einem Raum, der – durch diese Distanz und durch seine Gestaltung – von der Alltäglichkeit des Alltags unterschieden ist; man schreitet wieder hinab, um wieder im Alltag anzukommen. Ein weiteres Mittel architektonischer Inszenierung ist die Gestaltung non-direkter Eingänge; der direkte Zugang zum Kirchenraum wird so verzögert. Als exemplarische Bauwerke dieser Epoche können u. a. die Christuskirche in Dresden-Strehlen (1905), die Pauluskirche in Darmstadt (1907), die Lutherkirche in Karlsruhe (1907), die Immanuelkirche in Dortmund-Marten (1908), die Kreuzkirche in Görlitz (1916) und die Lutherkirche in Freiburg (1919) genannt werden. Die genannten Merkmale gelten ebenso für katholische Kirchengebäude, die in dieser Zeit errichtet wurden (St.-Ludgerus-Kirche Gelsenkirchen-Buer, 1915). Die Synagogenbauten nach der Jahrhundertwende können von ihrer formalen Gestaltung und ihrer beabsichtigten monumentalen Wirkung her mit den gleichzeitig errichteten Kirchengebäuden verglichen werden. Kennzeichnend war auch hier einerseits die Abkehr von historistischen Stilnachahmungen und andererseits die beabsichtigte Wirkung von „Erhabenheit“. In Verbindung damit kam es zum Einsatz modernster Bautechnologien, etwa des Stahlbetons bei den turmartigen Kuppelkonstruktionen. Gegebenenfalls wurden die Bauten auf einem erhöhten massiven Sockel errichtet, sodass der Treppenanlage eine wichtige Bedeutung zukam.

4.6.2 Exemplarisch: Drei repräsentative „Kultusbauten“ in Essen a) Die protestantische Erlöserkirche Am Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in bürgerlichen Wohnvierteln repräsentative Kirchengebäude errichtet, die das nationale, das konfessionelle und das kulturelle Bewusstsein des protestantischen Bürgertums in monumentaler Form zum Ausdruck brachten. Als Beispiel sei hier die Erlöserkirche in Essen angeführt, die nach ihrer Einweihung 1909 als schönste Kirche des Rheinlands galt.

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V. Das Kirchengebäude von der Aufklärung bis 1918

Abb. 49: Erlöserkirche in Essen-Südviertel, 1906–1909 (historische Aufnahme).

Das Presbyterium der Altstadtgemeinde Essen hatte den Architekten der KaiserWilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin, F. Schwechten, für den Bau verpflichtet. Entstanden ist eine „malerisch“ wirkende Baugruppe aus Kirche, Gemeindesaal und Pfarrhaus. „Schwechten schuf Repräsentationsarchitektur auf hohem Niveau für das vornehme Wohnviertel südlich des Bahnhofs. … Eine Hallenkirche mit dreiseitig ge-

4. „Kirchengebäude“ und „Synagoge“ an der Wende zum 20. Jahrhundert

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schlossenen Querhauskonchen, in romanischem Stil aus rotem Wesersandstein gebaut, mit aufwendigen Details, ihrem dem Wormser Kaiserdom nachempfundenem Chor, der prachtvollen dreibogigen Loggia in Formen reicher lombardischer Romanik auf der Eingangsseite, mit ihrem seitlich stehenden Turm von 50 m Höhe und 8 m Kantenlänge, war sie in der Tat unübertroffenes Schmuckstück unter den Essener Kirchen, in ihrem Grundriß waren die neuesten Erkenntnisse protestantischen Kirchenbaus eingeflossen. Das Innere, eine unter byzantinisch anmutender Rippenkuppel zentrierte Halle mit dicht an die Außenwand gerückten Rundpfeilern, umlaufenden in Stein mit Wölbung ausgeführten Emporen steigerte mit reicher und würdevoller romanischer Innenausstattung noch den Eindruck des Äußeren.“230 b) Die katholische St.-Nikolaus-Kirche in (Essen-)Stoppenberg Die 1907 fertiggestellte Kirche zeigt romanische und gotisierende Konstruktions- und Formenmerkmale. Durch den für die Außenfassade verwendeten rötlichen Naturstein wurde das Kirchengebäude deutlich von der umgebenden Bebauung abgesetzt. Die Kirche liegt auf einem Sockel erhöht deutlich über dem Niveau der Straße und vor dem ansteigenden Stoppenberg. Die Doppelturmfassade ist städtebaulich ungemein wirksam. Auf das Niveau der umbiegenden Straße weit vor der Kirchenfassade hat der Architekt C. Moritz einen Brunnentempel gestellt. Zwei Treppenläufe führen daran vorbei, bevor die Besucher dann über eine einzige Treppenanlage das Portal der Vorhalle und dann das eigentliche Kirchenportal erreichen. Der Innenraum zeigt sich als eine weite und helle Halle, die das Gemeindeerlebnis fördern will und von jedem Platz aus einen ungehinderten Blick in den Altarraum ermöglicht. Die Seitenschiffe sind auf die Funktion schmaler, niedriger Umgänge mit Kapellennischen reduziert. Der Raum wird durch die vor den Wänden stehenden Säulen und das sich weit ausspannende kassettierte Tonnengewölbe, durch Licht und Weite charakterisiert. Der Raum vermittelt einen für einen Sakralraum eher untypischen Eindruck. Die St.-Nikolaus-Kirche galt als der prächtigste Sakralbau auf (heutigem) Essener Stadtgebiet. c) Die neue Synagoge in Essen Aus einem von der jüdischen Gemeinde Essen ausgeschriebenen Wettbewerb für einen Synagogenbau mit 1400 Plätzen ging der Entwurf des Architekten E. Körner als Grundlage für den Neubau hervor. Einer der Gutachter war J. Otzen, Architekt zahlreicher protestantischer Kirchen. Körner ist auch der Architekt der in expressionistischen Formen errichteten Kirche zu den Heiligen Schutzengeln, Essen-Frillendorf, 1924. Die „neue“ Synagoge in Essen wurde gleich nach ihrer Fertigstellung 1913 als besonders gelungenes Bauwerk gefeiert. „Ein Bauwerk, das … in der ausdrucksvollen Silhouette des Außenbaues als eine der wirkungsvollsten westdeutschen Monumentalarchitekturen dem Stadtbilde einen vorherrschenden Akzent, man wäre geneigt zu sagen, eine Physiognomie verleiht. Es ist bis heute Deutschlands glänzendster Synagogenbau.“231

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V. Das Kirchengebäude von der Aufklärung bis 1918

Abb. 50: St.-Nikolaus-Kirche in Essen-Stoppenberg, 1906–1907.

4. „Kirchengebäude“ und „Synagoge“ an der Wende zum 20. Jahrhundert

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Abb. 51: Synagoge in Essen-Stadtkern, 1911–1913.

Auch hier ist die gewaltige Kuppel das wesentliche Charakteristikum. Der Zugang zur Synagoge ist gezont – Torbau, Vorhof, Vorhalle, Hauptraum. Das Betreten der Synagoge bedeutet einen ständigen Anstieg, bevor der Besucher nach den 28 Stufen der Freitreppe durch drei Portale den Vorraum und dann den kreisrunden, von einer flachen Kuppel gedeckten Hauptraum betritt. Das Allerheiligste stand hier als freistehender kleiner Tempel unter einem Tonnengewölbe, das auch die Sängerempore mit der Orgel überspannte. Eine riesige Zahl von bildlichen Darstellungen überzog das Gebäude im Eingangsbereich und im Innern.

VI. Kirchengebäude, Synagogen, Kapellen und Bethäuser in Deutschland – monumentale Zeichen einer kulturellen Modernisierung in der letzten Phase des Staatskirchentums (1803 bis 1918)

Im Unterschied zum Augsburger Religionsfrieden von 1555 wurden im Westfälischen Frieden von 1648 neben den Katholiken und den Augsburger Konfessionsverwandten auch die Reformierten als gleichberechtigt anerkannt (ecclesiae receptae). Zugleich wurde die Vorschrift des Religionsfriedens wiederholt, dass keine anderen Religionen als die erwähnten geduldet werden sollten. Ausgenommen von dieser Bestimmung waren lediglich die Juden. Das Aufenthaltsrecht und das Recht der Religionsausübung für die Juden war – wie zuvor – an die Zahlung von Schutzgeld an und die Genehmigung des Landesherrn geknüpft. Für die Existenz anderer christlicher Gemeinden und Gruppen gab es keine allgemein verbindliche Rechtsgrundlage, sondern nur für ihre Verfolgung und Vertreibung. Das 19. Jahrhundert ist der Zeitraum, in dem zunehmend sowohl „Kirchengebäude“ einer anderen Religion (Synagogen) als auch solche von Freikirchen und anderen christlichen Konfessionen in der Öffentlichkeit sichtbar wurden. Eine Grundlage dafür waren die Ideen der Religionsfreiheit, die seit der Französischen Revolution öffentlich diskutiert und schließlich auch in Deutschland verbreitet waren – auch wenn es lange gedauert hat, bis sie in Verfassungstexte Eingang fanden. Es ist jedoch deutlich zwischen der Anerkennung der bürgerlichen Rechte des einzelnen Menschen und zwischen dem Recht der Korporation von „Kirchengesellschaften“ außerhalb der großen Konfessionen zu unterscheiden. Die Konsequenzen daraus für die Genehmigung und den Bau von „Kirchengebäuden“ sind aufschlussreich. Aber trotz vieler Restriktionen und Auflagen konnte die kulturelle Modernisierung in Gestalt unterschiedlicher religiöser Orientierungen nicht mehr aus der Öffentlichkeit verbannt werden. Synagogen, Bethäuser und Kapellen nahmen sich anders als die christlichen Kirchengebäude aus, wurden nun aber in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Das galt auch für Kirchengebäude anderer christlicher Konfessionen. Mit der Entwicklung des Bädertourismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnte man sich den Wünschen der Urlauber immer weniger verschließen.

1. Synagogenbauten

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1. Synagogenbauten Für eine Geschichte der Kirchengebäude ist die Berücksichtigung der Geschichte der Synagogen unverzichtbar. Das 19. Jahrhundert ist der Zeitraum, in dem in Deutschland erstmals Synagogen in monumentaler Gestaltung und mit städtebaulicher Wirkung errichtet werden konnten.

1.1 Toleranz, Emanzipation, Antisemitismus: Zur Geschichte der Juden in Deutschland 1791 war in Frankreich das „Dekret über die Gleichberechtigung der Juden“ erlassen worden. Im Zusammenhang mit dem Reichsdeputationshauptschluss fielen die diskriminierenden Sonderbestimmungen für die in deutschen Territorien ansässigen Juden, wenn auch zunächst nur in den französisch besetzten Gebieten. Mit der Niederlage Napoleons wurden die Erlasse zur Judenemanzipation in den deutschen Staaten wieder zurückgenommen. An einigen Orten kam es zu gewaltsamen Judenvertreibungen. Erst zwischen den Jahren 1832–1872 wurde in allen deutschen Staaten die volle Gleichberechtigung der Juden erreicht (1832 in Kurhessen, 1868 in Preußen, 1872 im Zuge der Übernahme der Reichsgesetze von allen Bundesstaaten). Protestantische Christen sprachen sich überwiegend gegen die Emanzipation aus bzw. forderten den Übertritt zur christlichen Religion als Voraussetzung. „Nicht Kirchenmänner und Theologen, sondern Staatsbeamte und Juristen haben in Deutschland die Emanzipation vorangetrieben. Sie folgten dabei den Zwängen staatlicher und gesellschaftlicher Modernisierung und handelten aus Staatsräson, taktischem Kalkül und Nützlichkeitserwägungen.“232 Mit der politischen Emanzipation ging die Entwicklung neuer Gottesdienstformen in den jüdischen Gemeinden einher. Neben den traditionellen Gebeten hatten jetzt auch Lieder und erbauliche Predigten in deutscher Sprache hier ihren Raum. Von politischer Seite wurden solche liberalen Bestrebungen mit Skepsis betrachtet. Sehr restriktiv wurde generell mit der Genehmigung von Bauvorhaben bzw. mit Auflagen für den Bau von Synagogen umgegangen. Nach 1870 waren neben einem wohlwollenden, v. a. missionarisch ausgerichteten Interesse an den Juden starke latent antisemitische Strömungen vorhanden. Trotzdem erscheint es möglich, für die Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts von einer Akzeptanz des Judentums als Teil der gegenwärtigen Kultur sprechen zu können. Dies fand seinen Ausdruck u. a. in der „protestantisch-katholischjüdischen Kulturökumene“ im Zusammenhang großer Kunstausstellungen.

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VI. Monumentale Zeichen einer kulturellen Modernisierung

1.2 Synagogenbauten im frühen 19. Jahrhundert 1789 wurde in Wörlitz eine Synagoge als Ersatzbau für den Vorgängerbau am Marktplatz errichtet. Die neu errichtete Synagoge war und ist Bestandteil des Parkensembles. Initiator war der regierende Fürst von Anhalt, der den Gedanken der Aufklärung zugeneigt war. Von außen ist der Rundbau nicht als Synagoge zu identifizieren. Die Rundform folgt der eines römischen Vesta-Tempels, die Form der Kuppel der des Pantheons. Der erste repräsentative, in der Öffentlichkeit sichtbare Synagogenbau wurde um 1800 in Karlsruhe errichtet. Hier war die Fassade in der Straßenfront deutlich sichtbar. Zwei ägyptisierende Pylone flankieren einen breiten Durchgang zu einem Säulenvorhof, an den das Synagogengebäude anschließt. In Karlsruhe wurden Synagoge, evangelische Stadtkirche und katholische Stadtkirche von demselben Baumeister, F. Weinbrenner, innerhalb weniger Jahre konzipiert. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts gab es keine Traktate oder Anweisungen, wie eine Synagoge auszusehen habe. Daher war für Architekten die Anlehnung an bedeutende zeitgenössische Bauten die einzige Möglichkeit, eine Synagoge so zu errichten, dass sie durch die Tradition etwas von der Aura erhielt, die dem christlichen Kirchengebäude dank seiner Jahrhunderte währenden Überlieferung anhaftete. Für den Innenraum ist eine Nähe zu protestantischen Predigtkirchen, insbesondere zur Form der Hugenottentempel zu konstatieren. Aufschlussreich ist der Bau der Synagoge in Kassel in den dreißiger Jahren. Der Erbauer A. Rosengarten war der erste jüdische Architekt, der in Deutschland einen repräsentativen Synagogenbau errichten konnte. Stilistisch folgte dieser Bau dem sogenannten „klassizistischen Rundbogenstil“, der zu dieser Zeit u. a. bei Berliner Kirchenbauten begegnet. Die Darstellung der beiden Gesetzestafeln auf dem Giebel des Synagogenbaus sollte darum den spezifischen Kultus, dem das Gebäude gewidmet ist, deutlich zum Ausdruck bringen. Der Innenraum von Synagogen konnte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine der Tradition gegenüber veränderte Gestaltung aufweisen: „… Die rechteckige Bimah war aus der traditionellen Mittelposition zum Torahschrein hin verschoben, die Sitzbänke waren wie in Kirchen in Reihen aufgestellt auf das Predigtpult ausgerichtet …“233 Mit der architektonischen Herausstellung des Predigtpultes ging die Einführung der Predigt in deutscher Sprache einher. Auf der westlichen Empore wurde eine Orgel eingebaut – ein völliges Novum für eine Synagoge. Insbesondere in dem „Tempel“ im Kompostelhof in Frankfurt a. M. von 1828 begegnete ein weiteres Beispiel solcher architektonischen Innengestaltung einer Synagoge. Anstelle von Toraschrein und Bima wurde hier eine Orgel- und Kanzelempore errichtet. Für die Verwirklichung der Raumvorstellung solcher Reformsynagogen war die Form einer dreischiffigen Emporenhalle mit einer Ostapsis, in der Toraschrein, Bima und Kanzel zusammengefasst waren, gut geeignet. So fand diese Struktur auch in zahlreichen anderen Reformsynagogen Verwendung. Der solchermaßen reformorientierte Synagogenbau um die Mitte des 19. Jahrhunderts kann damit als Ausdruck des Bemü-

1. Synagogenbauten

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hens der jüdischen Gemeinden um eine nationale Selbstdarstellung gelesen werden; er sollte der Beweis sein, dass die Juden Teil der deutschen Nation waren. Viele Synagogenbauten waren durch ihre Nähe zu charakteristischen kirchlich(-protestantischen) Bauformen gekennzeichnet. Lediglich das Fehlen des einen Turms bzw. der zwei Türme unterschied sie äußerlich von einem Kirchengebäude.

1.3 Synagogen im ägyptischen und im maurischen Stil In den zeitgenössischen archäologischen Schriften wurde der Tempel Salomos als ein von Phöniziern errichtetes Bauwerk gesehen; er galt – nach damaligem Verständnis – als in ägyptischen Formen gebaut. Diese These verband sich mit der verbreiteten Meinung, die Juden selbst seien unfähig, eine eigene Baukunst hervorzubringen. Die Rekonstruktion des salomonischen Tempels in ‚ägyptischen Formen‘ diente bei zahlreichen Planungen von Synagogen als Vorbild. In dieser Rückorientierung wurde in den jüdischen Gemeinden zunächst die Möglichkeit gesehen, sich nach außen von christlichen Bauten unterscheidend darzustellen. Auch die Behörden akzeptierten solche Bauformen, wurde dadurch doch die Fremdheit der jüdischen Kultur und Religion betont. Zwischen 1855 und 1890 wurde eine größere Zahl von Synagogen im maurischen Stil errichtet. Die Formen wurden als Ausdruck des Ursprungs der Juden im Orient verstanden. „Dabei verstand man den maurischen Stil als Erinnerung an ein ‚Goldenes Zeitalter‘ im Spanien des 15. Jahrhunderts, in dem die drei großen Religionen des Abendlands einträchtig nebeneinander existierten.“234 Als Beispiele dafür seien die Synagogenbauten in Leipzig (1855), in Berlin (Oranienburger Straße, 1866), in Köln (1869) und in Wiesbaden (1869) genannt. Städtebaulich hatte es auch eine Entwicklung gegeben. „In vielen Städten erhalten die Synagogen sowohl in ihrer Lage als auch in der Gestaltung einen Rang, der quantitativ dem von Kirchen gleich ist.“235

1.4 Synagogen im „deutschen Baustil“ Erst um die Jahrhundertmitte war es Juden möglich geworden, Bauakademien zu besuchen und abzuschließen. E. Oppler (1831–1880) war der erste Architekt, der sich auf den Synagogenbau spezialisiert und sich auch theoretisch dazu geäußert hat. Dabei wird in den Formulierungen deutlich, wie sehr das christliche Kirchengebäude auch für ihn – in Analogie wie in Abgrenzung – den dominanten Bezugspunkt darstellt.236 Die Gestaltung des Männerraums der Synagoge ist für die Feier des Gottesdienstes grundlegend. Das „Oeffnen und Schließen des Torahschrankes ist eine heilige Handlung, der die Andächtigen folgen müssen. Es ist daher nothwendig, dass dieselben den Chor der Synagoge in seinen einzelnen Theilen überall sehen und so dem Gottesdienst folgen

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VI. Monumentale Zeichen einer kulturellen Modernisierung

Abb. 52: Synagoge in Hannover, 1864–1870 erbaut, 1938 zerstört.

können.“237 Dafür eignet sich ein Zentralbau besonders gut. Für die künstlerische Ausgestaltung des Innenraums gilt die Beschränkung auf pflanzliche oder geometrische Motive; auch Inschriftfriese können zum Schmuck der Wände verwendet werden. „Insbesondere aber nahm und nimmt z.Th. das Gebet für den Landesvater unter diesen Inschriften einen besonderen Rang ein; man pflegt dasselbe gern sehr leserlich an einem möglichst vorteilhaften Platze der Ostseite anzubringen.“238 Als mögliche Ziermotive für das Äußere werden genannt: das sogenannte „Schild Davids“ (Hexagramm) sowie die zwei Gesetzestafeln mit den Anfangsworten der Zehn Gebote. Für den Stil des Gebäudes könne der Tempel Salomos kein Vorbild sein, wohl aber die Erinnerung an die eigene Geschichte. Im Mittelalter errichteten die Juden ihre Gotteshäuser im herrschenden Baustil. Das sei auch die Aufgabe der Gegenwart. Und

2. Bethäuser und Kapellen

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da die Juden seit Jahrhunderten in Deutschland lebten, komme für eine Synagoge nur ein deutscher Baustil in Betracht.239 1870 wurde die von Oppler entworfene Synagoge in Hannover fertiggestellt. Das auf einem freien Platz stehende, von einer hohen Kuppel überragte Bauwerk zeigte vor allem an der Romanik, daneben aber auch an der Gotik orientierte Bauformen. In dieser Gestaltung war die Synagoge in Hannover Vorbild für ebensolche Bauten in vielen Orten Deutschlands.

1.5 „Monument in der Stadt“ – Synagogenbauten des frühen 20. Jahrhunderts Die Synagogenbauten nach der Jahrhundertwende können von ihrer formalen Gestaltung und ihrer beabsichtigten monumentalen Wirkung her mit den gleichzeitig errichteten (v. a. protestantischen) Kirchengebäuden verglichen werden. Kennzeichnend war auch hier einerseits die Abkehr von historistischen Stilnachahmungen und andererseits die beabsichtigte Wirkung von „Erhabenheit“. Überwiegend wurden die Synagogen als viereckiger, aber auch als runder Zentralbau errichtet. „Der Wunsch der Gemeinden, ihre Synagogen mit deutlich erkennbaren Repräsentationsformen auszustatten, führte bei dieser Raumform in einer Vielzahl von Fällen zur Ausbildung von Kuppeln über dem Zentralraum.“240 Synagogen waren in dieser Zeit keineswegs nur Orte für den Synagogengottesdienst. So wurde von einzelnen Gemeinden auch zu Orgelkonzerten in die Synagoge eingeladen. In den Räumen der Synagogen fand ein vielfältiges gesellschaftliches Leben seinen Ort.

2. Bethäuser und Kapellen In der Situation des Staatskirchentums nach dem Westfälischen Frieden kam dem jeweiligen Landesherrn das Recht zu, den Religionsstand im Territorium zu bestimmen (ius circa sacra). Er hatte das Recht, eine Religionsgesellschaft entweder ganz zu verbieten oder ihr die private Hausandacht zu erlauben (ius domesticum), ihr entweder den gemeinschaftlichen Gottesdienst ‚bei geschlossenen Türen‘ (exercitium religionis privatum) oder aber ihr die umfassende Kultusfreiheit (exercitium religionis publicum) zuzugestehen. So war auch in Preußen die Frage der Errichtung einer Kirche mit Kirchturm und Geläut als dem Symbol ihrer öffentlichen Anerkennung streng geregelt. Im Allgemeinen Preußischen Landrecht von 1794 wird unterschieden zwischen „unerlaubten Kirchengesellschaften“, „öffentlich aufgenommenen Kirchengesellschaften“ und „geduldeten Kirchengesellschaften“ (ALR II, 11. Titel). Grundsätzlich gilt: „§.13. Jede Kirchengesellschaft ist verpflichtet ihren Mitgliedern Ehrfurcht gegen die Gottheit, Gehorsam gegen die Gesetze, Treue gegen den Staat und

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VI. Monumentale Zeichen einer kulturellen Modernisierung

sittlich gute Gesinnungen gegen ihre Mitbürger einzuflößen.“ Kirchengesellschaften, deren Religionsgrundsätze nach Meinung der Obrigkeit diesem zuwider sind, sind nicht erlaubt. Ihre Religionsgrundsätze „sollen im Staate nicht gelehrt, und weder mündlich noch in Volksschriften ausgebreitet werden“ (§.14). Eine öffentlich aufgenommene Kirchengesellschaft dagegen ist privilegiert: „§.17. Die vom Staate ausdrücklich aufgenommenen Kirchengesellschaften haben die Rechte privilegierter Corporationen. §.18. Die von ihnen zur Ausübung ihres Gottesdienstes gewidmeten Gebäude werden Kirchen genannt; und sind als privilegierte Gebäude des Staats anzusehen.“ Die damit verbundenen Privilegien werden im Zusammenhang ihrer Verweigerung für eine zwar genehmigte, aber nur geduldete Kirchengesellschaft aufgeführt: „§.22. Einer geduldeten Kirchengesellschaft ist die freye Ausübung ihres Privat-Gottesdienstes verstattet. §.23. Zu dieser gehört die Anstellung gottesdienstlicher Zusammenkünfte in gewissen dazu bestimmten Gebäuden … §.24. Eine bloß geduldete Kirchengesellschaft kann aber das Eigenthum solcher Gebäude ohne besondre Erlaubniß des Staats nicht erwerben. §.25. Ihr ist es nicht gestattet, sich der Glocken zu bedienen oder öffentliche Feyerlichkeiten außerhalb der Mauern ihres Versammlungshauses anzustellen.“ Die Mitglieder einer geduldeten Kirchengesellschaft waren hinsichtlich der Personenstandsangelegenheiten auf den zuständigen Pfarrer verwiesen. Ein von einer geduldeten Kirchengesellschaft für „gottesdienstliche Zusammenkünfte“ errichtetes Gebäude darf nicht als Kirche bezeichnet werden und bleibt ohne öffentliche Wirkung (kein Geläut); insofern wurden solche Gebäude als „Bethaus“ oder „Kapelle“ bezeichnet. Die preußische Verfassungsurkunde von 1850 enthält in Art. 12 die Grundlage für eine modernere Religionsgesetzgebung: „Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, der Vereinigung zu Religionsgesellschaften und der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Religionsausübung wird gewährleistet. Der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiösen Bekenntnis.“ Das mit der preußischen Verfassungsurkunde von 1850 hinfällig gewordene wichtigste Vorzugsrecht der Kirchen als öffentlich aufgenommene Kirchengesellschaften ist aber faktisch weiter bis in das 20. Jahrhundert hinein grundlegend geblieben.241 Vor diesem Hintergrund will die folgende Darstellung hinsichtlich der Gebäude der Kirchengesellschaften nur einen ersten Einblick geben. Die Literaturlage zu diesem Bereich ist sehr prekär. Über die Architektur der Herrnhuter Brüdergemeine gibt es einige Literatur. Für die anderen Kirchengesellschaften fehlen solche Darstellungen bisher.

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2.1 Duldung – die älteren evangelischen Freikirchen242 2.1.1 Mennonitenkirchen Der Situation der Juden im 16.Jahrhundert in manchem vergleichbar war die der Mennoniten, und das auch schon in der Zeit vor dem Westfälischen Frieden. Die Mennoniten sehen sich als Nachfahren der Täuferbewegung der Reformationszeit. Auch bei den Mennoniten musste die Duldung durch Schutzgelder erkauft werden bzw. war ein obrigkeitliches Privileg die Grundlage dafür (u. a. Altona 1601, Krefeld 1608; 1626 Ostfriesland). Gottesdienstliche Versammlungen wurden zunächst nur in privaten Räumen abgehalten. Mitte des 18. Jahrhunderts konnten in einigen deutschen Territorien spezielle Versammlungshäuser errichtet werden, z. B. in der Pfalz. Sie wurden als Lehroder Bethaus bezeichnet. 1717 konnte in Altona (b. Hamburg) ein Bethaus der Mennoniten an der Straße „Große Freiheit“ erbaut werden. Der Straßenname leitet sich von der Möglichkeit her, dass anderswo diskriminierte Religionsangehörige hier Gottesdiensträume u. Ä. errichten durften. In Preußen wurde 1722 die Duldung der Mennoniten schriftlich verbürgt. Diese Duldung galt auch für Ostfriesland. In Norden (Ostfriesland) kaufte die Mennonitengemeinde ein repräsentatives Wohnhaus in den Formen des niederländischen Barock und baute einen Anbau des Hauses zu einem Gottesdienstraum um. 1774 konnten die Mennoniten das Korporationsrecht erlangen. Die Kapellen konnten nun mit einem Turm und mit Glocken ausgestattet werden. Seitdem findet der Begriff „Mennonitenkirche“ Verwendung. 1825 wurde in Leer (Ostfriesland) ein Kirchengebäude erbaut. Bereits vorher war ein solches auch in Neuwied am Rhein errichtet worden. Der Gottesdienstraum gleicht dem einer reformierten Kirche – eine dominante Kanzel, eine Empore mit Orgel sowie Gestühl gehören zur Einrichtung.

2.1.2 Die Kirchensäle der (erneuerten) Brüder-Unität Emigranten der Böhmischen Brüder konnten sich aufgrund des Einverständnisses des Grafen Zinzendorf 1722 auf seinem Gut in der Parochie Berthelsdorf in Sachsen niederlassen und die Kolonie Herrnhut anlegen. Hier entwickelte sich unter maßgeblicher Mitgestaltung Zinzendorfs ein religiöses und soziales Gemeinwesen, das sehr bald Fromme aus ganz Deutschland anzog. Bedeutsam war die doppelte Rolle von Zinzendorf, geistlicher Führer und Grundherr zu sein. Zinzendorf wurde 1736 des Landes verwiesen. Dies führte zur Gründung von Gemeinden in der Wetterau und in den Niederlanden. Damit wurde auch ein eigener Baustil der Brüdergemeinden begründet. Als erste Siedlung nach dem klassischen Idealplan entstand 1738 Herrnhaag in Hessen. Der Gebäudekomplex war um einen quadratischen Platz zentriert. „Als Kirchen-

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VI. Monumentale Zeichen einer kulturellen Modernisierung

Abb. 53: Kirchensaal der Brüdergemeine in Herrnhut (Sachsen), 1756–1757.

saal dient der Festsaal im Obergeschoss … des ‚Grafenhauses‘. Die äußere Architektur des Hauses zeigt, damals wohl bewusst, keinerlei Formen, die ‚Kirche‘ signalisieren.“243 Zahlreiche weitere Ansiedlungen gemäß dem Idealplan kamen hinzu. Daneben wurden auch brüderische Gemeinen in größere Stadtneugründungen als eigenständige Quartiere integriert – so u.a. Neuwied am Rhein. Im Zuge dessen, wie die Brüder-Unität zu einer „Kirche“ wurde, veränderte sich auch der Charakter des Versammlungsraums hin zu dem eines Kirchsaals, schließlich auch zu dem eines Kirchengebäudes. Der Kirchsaal kam an zentraler, hervorgehobener Stelle zu stehen. Durch die Höhe des Gebäudes, durch die Fenstergestaltung sowie durch einen Dachreiter wurde verdeutlicht, dass es sich hier um eine Kirche handelte. Dabei bleibt für das Kirchengebäude immer der Charakter eines herrschaftlichen Hauses mit Mansardendach erhalten; sakrale Architekturelemente finden sich weder außen noch innen. Der Kirchsaal ist in der Regel etwa doppelt so breit wie hoch und doppelt so lang wie breit. Der einzige Schmuck waren hölzerne Wandverkleidungen. Schlichte bewegliche Bänke sind parallel zur Längsseite aufgestellt. „Der Prediger (Pfarrer/Liturg) hat seinen Platz an der Längsseite auf einem um einige Tritte erhöhten Podium … Für Gottesdienstverständnis und Abendmahlsfeier ist der Altar entbehrlich und darum nicht vorhanden.“244 An den Schmalseiten befinden sich Emporen. Auf einer Empore steht die Orgel.

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Der Dachreiter galt als das Charakteristikum einer Kirche. Seine Anbringung bedurfte daher, ebenso wie die einer Glocke, der besonderen Genehmigung durch den Grund- bzw. Landesherrn. So wurde in Neuwied für den ersten Kirchsaalbau 1758 vom Grafen keine Genehmigung für einen Dachreiter erteilt. Der wurde erst für den zweiten Kirchsaalbau von 1785 genehmigt. In einem zeitgenössischen Bericht dazu wurde festgehalten: „Die Erlaubnis, eine Glocke auf der Kirche zu haben, … ist umso dankenswerter, da solches bisher noch keiner der hier tolerierten Kirchen zugestanden worden.“245

2.2 „Erlaubte Privatgesellschaften“ bzw. „Geduldete Kirchengesellschaften“ – jüngere evangelische Freikirchen in Deutschland Die zunehmenden Mitgliederzahlen bei den jüngeren evangelischen Freikirchen führten, u. a. in Berlin, zu Anträgen an die Behörden, einen Versammlungsraum bzw. eine Kapelle errichten zu dürfen. Letztzuständig war in Preußen das Kultusministerium.

2.2.1 Baptistische Bethäuser Die Bezeichnung „Baptisten“ nimmt auf die Praxis der Glaubenstaufe Bezug, die durch vollständiges Untertauchen vollzogen wird. Die erste Baptistengemeinde in Deutschland entstand 1834 in Hamburg. „1847 baute die Gemeinde in Berlin die erste Kapelle. Die Baugenehmigung wurde erst erteilt, als der Architekt dem Projekt die Bezeichnung ‚Wohnhaus für Herrn Lehmann‘ gegeben hatte. Offiziell erlaubten die Behörden der Gemeinde noch keinen Kapellenbau. 1867 errichtete man in Hamburg eine weitere Kapelle.“246 In der Anfangszeit bezeichneten die Baptisten ihre Kapelle als „Bethaus“, unter bewusster Bezugnahme auf Jes 56,7: „Mein Haus wird ein Bethaus heißen.“ Die im 19. Jahrhundert errichteten Kapellen verzichteten auf jeden sakralen Charakter. Äußerlich glichen sie einem schlichten Wohnhaus. Das Taufbecken im Innenraum wurde zu einem Spezi fikum baptistischer Kapellen. Im Laufe der Entwicklung wurden die Kapellen auch künstlerisch ausgestaltet. Das Gebäude der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Westoverledingen in Ihren (Ostfriesland) ist das älteste Kapellengebäude der Baptisten in Kontinentaleuropa. Der schlichte Saalbau aus Klinkern wurde 1855 eingeweiht. In Berlin wurde das erste explizite Kapellengebäude 1910 errichtet. Die „Immanuelkapelle“ in Berlin-Weißensee ist ein schlichter Saalbau in neoklassizistischen Formen, ohne einen Turm. 1888 war der Bund der Baptistengemeinden in Deutschland rechtlich anerkannt worden.

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VI. Monumentale Zeichen einer kulturellen Modernisierung

Abb. 54: Bethaus der Baptisten in Jever (Ostfriesland), 1858.

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2.2.2 „Evangelisch-Lutherische Kirche in Preußen“ Aus dem Widerstand strenger Lutheraner gegen die Union von lutherischen und reformierten Gemeinden in Preußen, gegen die verordnete gemeinsame Agende entsprang in Schlesien die Separation der sogenannten Altlutheraner. „Ab 1840 tolerierte der preußische Staat die Abweichler, und 1845 erlaubte eine ‚Generalkonzession‘ Friedrich Wilhelms IV. die formelle Gründung einer ‚Evangelisch-Lutherischen Kirche in Preußen‘. … Im Jahre 1847 wurde die neue lutherische Kirche in die Kategorie der ‚geduldeten‘, aber nicht ‚öffentlich aufgenommenen‘ Religionsgemeinschaften eingestuft.“247 Ausdrücklich hingegen wurde untersagt, die gottesdienstlichen Gebäude als Kirche zu bezeichnen; Türme und Glocken blieben verboten. Eines der frühesten Kirchengebäude der Altlutheraner war die Katharinenkirche in Breslau, ursprünglich die Kirche eines Dominikanerinnenklosters von 1295, die nach längerer säkularer Nutzung 1843 als (alt-)lutherische Kirche geweiht wurde. 1845 und 1846 wurden in Schlesien sieben lutherische Kirchen errichtet und geweiht. Dabei scheinen – trotz des staatlichen Verbots – bereits einige Türme errichtet und Glocken geweiht worden zu sein. 1857 wurde in Berlin das erste altlutherische Kirchengebäude errichtet, ein turmloser Saalbau im Rundbogenstil, mit gelben Klinkern verkleidet und für geschlossene Bebauung vorgesehen. Erst 1908 wurde die zweite altlutherische Kirche in Berlin errichtet. Der Kirchenraum entsprach in seiner Ausstattung anderen lutherischen Kirchenräumen der Zeit.

2.2.3 Evangelisch-methodistische Kirchengebäude Zuerst sind in Nordamerika methodistische Kirchen gegründet worden. Von dort wurden Mitarbeiter nach Deutschland gesandt, um eine missionarische Arbeit aufzubauen. Die deutsche methodistische Kirche besaß in Preußen kein Korporationsrecht. Sie durfte daher auch keine öffentlichen Kirchenbauten errichten. Eine „Erbauungsstätte“ durfte nur auf dem Hinterhof errichtet werden; Turm und Glocken blieben versagt. 1867 wurde die erste Kapelle der bischöflich-methodistischen Kirche in Berlin geweiht. „Erstmals durfte von einer nicht-staatlichen Kirche in Preußen ein Gebäude mit kirchlicher Architektur, wenn auch ohne Turm und Glocken, in einer normalen Straßenfront gebaut werden.“248 Hinter dieser Ausnahmeregelung stand auch die Tatsache, dass die Kapelle zugleich als „American Church“ für die in der Hauptstadt lebenden Amerikaner genutzt wurde. 1904 und 1910 wurden in Berlin zwei weitere methodistische Kirchengebäude errichtet. In Oldenburg konnte dagegen, wegen der anderen Rechtslage, bereits 1894 mit der Friedenskirche ein methodistisches Kirchengebäude in repräsentativer Lage errichtet werden.

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VI. Monumentale Zeichen einer kulturellen Modernisierung

Häufig wurde bei methodistischen Kirchengebäuden die Anordnung von Gottesdienstraum und Wohnungen in einem Bauwerk übereinander gewählt. „Diese Art des gemischten Anwesens bestimmte in dem halben Jahrhundert bis zum ersten Weltkrieg so stark das methodistische Bauen, dass sie geradezu als Typus gelten kann.“249

2.3 Staatliche Anerkennung per Gesetz – die Altkatholische Kirche Die Altkatholische Kirche in Deutschland geht auf den Protest kritischer katholischer Theologen gegen die Dogmatisierung der Papstlehre durch das erste Vaticanum 1870 zurück. Sie gaben sich eine eigene bischöflich-synodale Verfassung und wählten einen Bischof (1873). Die Altkatholische Kirche verstand sich in historischer Kontinuität mit der alten ungeteilten Kirche des ersten Jahrtausends und betonte ihre Bewahrung der bischöflichen Sukzession über den Bischofsstuhl in Utrecht. Im Unterschied zu den anderen Freikirchen wurde die Altkatholische Kirche vom preußischen Staat nicht unterdrückt; die Altkatholiken erhielten die staatliche Anerkennung als gleichberechtigte Katholiken. Damit wurde auch verfügt, dass die Altkatholiken katholische Kirchengebäude mitnutzen sollten. Aber auch der Bau eigener Kirchengebäude wurde genehmigt. 1874 und 1875 wurden je ein, von 1890 bis 1907 dann weitere elf altkatholische Kirchengebäude in Deutschland errichtet. Sie waren im Stil der Zeit gestaltet, zeigen neogotische bzw. neoromanische Formen und weisen kaum Unterschiede zu gleichzeitigen katholischen Kirchengebäuden auf.

3. Kirchengebäude ausländischer Kirchen und Konfessionen Der im Augsburger Religionsfrieden begründete strenge Konfessionalismus ließ sich auf Dauer nicht überall durchsetzen – am wenigsten in einer weltoffenen Hansestadt wie Hamburg. 1567 wurden den Engländern, 1605 den Niederländern Gottesdienste in den Häusern der Gesandten ihrer Länder gestattet. In Preußen wie in anderen deutschen Territorien wurde zunehmend der Errichtung von Kirchengebäuden in der Tradition ausländischer Konfessionen in den Residenzstädten zugestimmt, um den Angehörigen ausländischer Vertretungen die Feier des Gottesdienstes in der ihnen vertrauten konfessionellen Tradition zu ermöglichen. Auf die Errichtung katholischer Kirchengebäude in Residenzen protestantischer Territorien ist bereits hingewiesen worden. Hier sollen nur einige andere Konfessionen Erwähnung finden.

3. Kirchengebäude ausländischer Kirchen und Konfessionen

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3.1 Russisch-orthodoxe Kirchen Die erste Kirche wurde 1734 in Potsdam errichtet.250 Zar Peter der Große hatte dem preußischen König Friedrich Wilhelm I. 1708 eine Gruppe von „Riesengrenadieren“ überlassen. Für ihre Gottesdienste ließ der König eine Fachwerkkirche errichten. Etwa einhundert Jahre später überließ Zar Alexander I. König Friedrich Wilhelm III. einen russischen Soldatenchor. Für die Angehörigen und als bleibendes Denkmal der freundschaftlichen Bande zum Zaren ließ der König die Kirche des hl. Fürsten Alexander Newskij erbauen, die 1829 geweiht wurde. Weitere russische Kirchen in deutschen Residenzstädten wurden, bedingt durch dynastische Verbindungen und diplomatische Beziehungen mit dem russischen Zarenreich, errichtet. So u. a. 1824 in Stuttgart die Kirche auf dem Rotenberg, 1855 eine in Wiesbaden, 1862 in Weimar sowie weitere in Dresden, Karlsruhe, Coburg, Darmstadt und Bad Nauheim. Der Besuch zahlreicher russischer Adliger, Kaufleute und Schriftsteller in deutschen Bädern führte dazu, dass auch hier russisch-orthodoxe Kirchen gebaut wurden, so etwa in Bad Ems (1874), Baden-Baden und Bad Homburg. Trotz der großen Zahl orthodoxer Christen in Berlin kam es zunächst nicht zum Bau einer Kirche. Hier gab es nur die Hauskapelle in der russischen Gesandtschaft.

3.2 Englische /Anglikanische Kirchen In Hamburg steht das Gebäude der 1838 im klassizistischen Stil errichteten „Englischen Kirche“. In Wiesbaden wurde im 19. Jahrhundert eine solche errichtet. Und in Berlin wurde 1886 im Monbijou-Park die anglikanische St.-Georgs-Kirche in gotischen Formen erbaut. Architekt war J. C. Raschdorff, nach dessen Plänen dann der Berliner Dom erbaut wurde.

3.3 Amerikanische Kirchen In Berlin wurde die 1867 geweihte methodistische Kapelle in der Junkerstraße auch von den in Berlin lebenden Amerikanern als American Church genutzt. 1903 wurde dann am Nollendorfplatz eine amerikanische Kirche gebaut.251 Architekt war O. March, der insbesondere durch Kirchenbauten in der Linie des Wiesbadener Programmes bzw. reformierter Tradition bekannt geworden war.

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VI. Monumentale Zeichen einer kulturellen Modernisierung

Exkurs: Islamische Sakralbauten in Deutschland bis 1918 Bereits Ende des 18. Jahrhunderts wurde in Schwetzingen die „Rote Moschee“ als Mittelpunkt eines „Türkischen Gartens“ errichtet. Hier stand allein die fremdartige Architekturgestalt als Gartenarchitektur im Vordergrund und keinerlei religiöse Funktion. Solche „Pseudo-Moscheen“ finden sich als Baukörper des Pumpenwerks der Großen Fontäne in Potsdam-Sanssouci 1842 sowie als Baukörper der Zigarettenfabrik in Dresden 1909, der sogenannten Tabakmoschee Yenidze. Im Jahr 1914 ließ der deutsche Kaiser in Wünsdorf bei Zossen für die kriegsgefangenen Muslime im Ersten Weltkrieg eine Moschee errichten. Hierin ist wohl die erste in Deutschland errichtete Moschee zu sehen.252 1923 wurde dann in Berlin-Wilmersdorf eine Moschee errichtet, die zum gesellschaftlichen Treffpunkt der „Fremden“ werden sollte.253

VII. Städtebauliche Dominante, Sakralbau, zeit- und menschengerechter Raum – Aspekte des Kirchenbaus nach dem Ende des Staatskirchentums

Die Betrachtung des Kirchengebäudes ist bisher so ausgerichtet gewesen, dass historische bzw. gesellschaftliche Konstellation sowie die Errichtung und die öffentliche Wirkung von Kirchengebäuden gemeinsam in den Blick gerückt wurden. Für die so ausgerichtete Betrachtung stellt das Jahr 1918 mit dem Ende des Staatskirchentums eine markante Zäsur dar. Die Zeitspanne vom Mittelalter bis zum Ersten Weltkrieg wurde hinsichtlich der Errichtung von Kirchengebäuden (allgemeiner formuliert: der Errichtung von Kultusbauten) durch die Determinante „Staatskirchentum“ geprägt. In der Situation der bestehenden Staatskirche wurde mittels Privilegien, Beschränkungen und Verboten die Errichtung von Kirchengebäuden bzw. anderen Kultgebäuden reguliert. Insofern findet die ausführliche Beschreibung mit dieser Zäsur ihren natürlichen Abschluss. Andererseits sind Kirchenbauten, Synagogen und andere Kultbauten auch in den Jahren nach 1919 bis in die Gegenwart hinein errichtet worden. Daher soll an dieser Stelle in wenigen Linien die weitere Entwicklung skizziert werden, unter Beibehaltung der Betrachtungsperspektive, die einen besonderen Akzent auf die Kirchengebäude als Bauwerke in der Öffentlichkeit legt. Diese knappe Form ist vertretbar, da zu den Aspekten des Kirchenbaus in der jüngeren Vergangenheit zahlreiche Übersichtsartikel254 und ausgiebige Studien vorliegen.255

1. Nach dem Ende des Staatskirchentums Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Gründung der Weimarer Republik mit der Verabschiedung der „Weimarer Reichsverfassung“ von 1919 stellen christentumsgeschichtlich eine in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzende Zäsur dar. Die Abdankung der regierenden Fürsten bedeutete das Ende des landesherrlichen Kirchenregiments und damit auch das Ende des Staatskirchentums. Die spezielle Aufsicht des Staates über die Kirchen eines Territoriums, seine Entscheidungsbefugnis über die Zulassung bzw. die Privilegierung eines Bekenntnisses waren nicht länger möglich. Die Verfassung stellt fest: „Es besteht keine Staatskirche“ (Art 137 [1]), und: „Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, …“ (Art. 137 [5]).

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VII. Aspekte des Kirchenbaus nach dem Ende des Staatskirchentums

Ausschließlich kirchliche Behörden nahmen fortan Leitungs- und Ordnungsaufgaben, nunmehr beschränkt auf die Grenzen der jeweiligen konfessionellen Landes- bzw. Ortskirche, wahr. Freikirchen sowie andere Religionsgemeinschaften unterlagen nicht mehr besonderen Bestimmungen, sondern wurden wie die großen Konfessionskirchen als Religionsgesellschaften mit den damit verbundenen Rechten betrachtet. Die genannten Veränderungen waren von großer Bedeutung für die Errichtung von Kultusbauten. Das ist insbesondere hinsichtlich der Errichtung von Synagogen und Kirchengebäuden bisher nur bedingt tolerierter Freikirchen offensichtlich. Aber ebenso ergaben sich von den genannten Veränderungen her auch Konsequenzen hinsichtlich der Errichtung von Kirchengebäuden der großen Konfessionskirchen.

2. Kirchengebäude – monumentale Dokumente „ihrer Zeit“ Im Folgenden soll die Betrachtung auf die Kirchengebäude der beiden großen Konfessionen beschränkt bleiben. Darüber hinaus ist der Synagogenbau in diesem Zusammenhang ebenfalls im Blick. Allerdings erschien es hier angebracht, den Synagogenbau im Zusammenhang des Kirchenbaus zu betrachten und ihn nicht gesondert in einem Kapitel zu behandeln. a) Kirchenbau und Kirchengebäude nach 1919 In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war jede Orientierung des Kirchenbaus an religiösen oder historischen Orientierungsgrößen obsolet geworden. Das galt sowohl für eine Orientierung an dem Tempel Salomos, an den Kirchenbauformen der Gotik, ebenso aber auch an einem möglichen Urbild des protestantischen Kirchengebäudes und an einem genuin protestantischen Programm für Kirchenbauten (Wiesbadener Programm). Die Kirchengebäude aus der Zeit des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts in ihrer Verhaftung im Historismus waren Ausdruck des Kulturanspruchs der großen christlichen Kirchen in Deutschland. „Dieser Historismus wurde nun für viele zum Repräsentanten einer bürgerlichen Kirchenkultur, welche sich ihr Versagen in den Wirren des Krieges bescheinigt hatte.“256 Die Gründe und die künstlerischen Ideen für einen Kirchenneubau mussten in jener Zeit andere sein als in den Jahren vor 1914. Am konsequentesten wurde das im Jahr 1924 von dem Architekten M. Elsässer zum Ausdruck gebracht: Es gehe darum, „auch beim Kirchenbau zu erreichen, daß die Kirche nicht als Fremdkörper in ihrer Umgebung steht, sondern daß sie aus denselben lebendigen Impulsen herauswächst wie die anderen Dokumente unserer Zeit. Das evangelische Kultgebäude wird darum noch lange nicht kalter Industriebau werden, wenn es auch vielleicht von der Fabrik, vom Industriebau, vom Verkehrsbau seine Anregung und Formgestaltung unwillkürlich übernimmt.“257 Vor allem hinsichtlich der Außengestaltung wird die Kirche nun „nicht mehr die Rolle spielen können, wie sie es im alten

2. Kirchengebäude – monumentale Dokumente „ihrer Zeit“

193

Abb. 55: Katholische Pfarrkirche Heilig Kreuz in Gelsenkirchen-Ückendorf, 1927–1929.

Städtebild und in früheren Zeiten getan hat. … Sie [die evangelische Kirche, F.-H.B.] ist zu klein im Verhältnis zu der Größe der Großstadtbauten, der großen Wohnbauten, der großen Geschäftshäuser. … Die Kirche wird in Großstädten entweder als kleines Monument wirken und darin ihre Bedeutung ausdrücken müssen, oder aber sie wird als fassadenbildendes Element in die Fläche der Platzwand oder Straßenwand rücken, … Vielleicht auch wird sie als Außenmonument überhaupt verschwinden und zur Unauffälligkeit und Verborgenheit der frühchristlichen Kirche zurückkehren.“258 Eine andere Sicht der gesellschaftlichen Situation, aber vergleichbare ästhetische Konsequenzen begegnen 1922 bei dem katholischen Theologen J. van Acken. Litur-

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VII. Aspekte des Kirchenbaus nach dem Ende des Staatskirchentums

gisch reformorientiert, gesellschaftlich jedoch zivilisationskritisch und konservativ ausgerichtet formuliert er: „Zwischen die vielgestaltigen Tempel, in denen das neuzeitliche Heidentum predigt, die Hochschulen, Museen und Theater setzen wir nicht mehr die erstarrten Kirchenformen der vergangenen Zeit, sondern aus dem besten heutigen Kulturkönnen erwachsene Gotteshäuser.“259 Entsprechend wird für den gesamten Kirchenbau die Orientierung an den Prinzipien der Einfachheit, der Konstruktionsrichtigkeit und der Materialwahrheit gefordert. Dass das Kirchengebäude in seiner Konstruktion und Materialbeschaffenheit praxisgerecht, zeitgemäß und symbolhaft sein soll, war das Anliegen des (evangelischen) Architekten O. Bartning. Er sieht die Aufgabe des evangelischen Kirchenbaus darin: „(D)ie Kirche bauen als Aufenthalt und als sichtbare Gestalt der heiligen Gemeinschaft für einen Gottesdienst, in welchem Predigt und Feier eine lebendige Einheit bilden. … Laßt uns aber den Mut haben, auch unsere Kirchen in aller Freiheit und aller Gesetzmäßigkeit heutiger Technik zu bauen, so wird etwas von jener verborgenen Religiosität unserer Maschinenhallen, Brücken und Schleusenwerke in den Kirchbauten sich entfalten, … und so wird die Kirche als eine Angelegenheit des Heute und Morgen sich erweisen.“260 Auf katholischer Seite ist auf die Entwürfe und die frühen Kirchenbauten des Architekten D. Böhm hinzuweisen. Er verband in seinen frühen Bauten die Aufnahme gotischer Architekturelemente in modernen Werkstoffen mit einer spezifischen Lichtarchitektur, in der das Licht die Rolle als ein Hinweiszeichen oder Bedeutungssignal hat. Die häufige Verwendung von Stahlbeton bzw. von Stahlbetonelementen und deren Sichtbarkeit im fertigen Kirchenbau waren einerseits Ausdruck der Verbindung von Kirchenbau und technischer Entwicklung. Zum anderen aber stellten die sichtbaren Betonflächen – zu jener Zeit eher Armut denn Funktionalität konnotierend – die angemessene ästhetische Sprache jener Jahre dar. Aber auch das Bestreben, mit modernen Formen und Materialien einen außeralltäglichen Raum inmitten der Alltäglichkeit zu schaffen, behält Bedeutung. In den dreißiger Jahren sah etwa der katholische Theologe R. Guardini die Kirche angesichts der neuzeitlichen Zivilisation, der Massengesellschaft, der prägenden Maschinenwelt in der Verborgenheit, in der Diaspora. In gleicher Weise sind die vergleichsweise wenigen Synagogenbauten aus diesen Jahren zu charakterisieren. Sie folgen in Gestalt und in der Materialverwendung den Leitideen des „neuen Bauens“.261 Ende der zwanziger Jahre fand die Erinnerung an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs eine in der Geschichte von Kriegerdenkmalen in Kirchengebäuden bisher unbekannte monumentale Gestalt. Es kam sowohl zum Bau eigens errichteter Krieger gedächtniskirchen (u. a. Neu-Ulm, 1926) und zur Ausgestaltung von eigenen Kriegergedächtnisräumen in vorhandenen Kirchengebäuden als auch zur Herstellung und Anbringung von ‚Ehrenmalen‘ für die Gefallenen in Kirchenräumen. Bei zahlreichen erhaltenen Monumenten ist eine national-religiöse Überhöhung dabei nicht zu übersehen.

2. Kirchengebäude – monumentale Dokumente „ihrer Zeit“

195

b) Kirchenbau und Kirchengebäude nach 1933 „Daß Kirchenbau im NS-Reich nicht geduldet war, ist eine Legende. Nur ‚klar und männlich‘, heimatverbunden und keineswegs modern sollte er sein. Die evangelischen Landeskirchen meldeten zwischen 1937 und 1940 273 Neubauten.“262 Synagogen wurden in der Zeit des Nationalsozialismus nicht errichtet. Im Gegenteil: In der Pogromnacht 1938 wurden über 1000 Synagogenbauten in ganz Deutschland zerstört. c) Kirchenbauten nach 1945 Zu den offensichtlichen Folgen des Zweiten Weltkrieges und der Herrschaft der Nationalsozialisten gehörten zunächst der Abriss beinahe aller Synagogenbauten nach der Pogromnacht 1938, dann die Zerstörung ganzer Städte mit Wohnhäusern, Versorgungseinrichtungen, Kulturdenkmälern und Kirchengebäuden als Folge von Fliegerangriffen. Für den Kirchenbau bedeutete das zunächst, dass Sicherungsarbeiten im Vordergrund standen, um noch nutzbare Räume zu erhalten. Die ersten Kirchenneubauten verbanden industrielle Vorfertigung von Teilen mit Aufbau vor Ort unter Verwendung von Trümmersteinen („Notkirchenprogramm“ für 48 Kirchengebäude). „Armut wurde in diesen Jahren noch als eine spirituelle Tugend, als eine Chance zu Wahrhaftigkeit und Würde betrachtet.“263 d) Kirchengebäude und Synagogen in der Bundesrepublik Für die alte Bundesrepublik gilt: „Von den fünfziger bis zu den frühen siebziger Jahren war Kirchen-Bauzeit. Die sozialen Veränderungen, die Neuansiedlung von zwölf Millionen Flüchtlingen aus den verlorenen Ostgebieten, der Auszug der Wohnbevölkerung aus den Innenstädten, die Großsiedlungen an den Stadträndern bedingten auch für die Großkirchen eine Bautätigkeit wie nie zuvor. … Schon in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre entfalteten die Kirchen beider Konfessionen einen nicht mehr katalogisierbaren Pluralismus.“264 Schätzungen gehen von mehr als 8000 neu errichteten Kirchengebäuden bis 1971 aus, davon ca. 4500 evangelische Kirchengebäude. In den Städten wurden die zerstörten großen Kirchen in vielen Fällen als „Monumente der Stadt“ wiederhergestellt. In einigen Städten wurde unter Einbeziehung von erhaltenen Gebäudeteilen ein Neubau errichtet, mit sowohl liturgischem wie ästhetischem als auch mit städtebaulichem Anspruch. Die Anknüpfung an die Vorkriegssituation geschah dann in einer „gebrochenen Kontinuität“.265 „Triumphaler ist selten gebaut worden als in den sechziger Jahren, in denen trotz gelegentlicher Konjunkturschwankungen Wohlstand für alle erreichbar schien. Was der Profanbau selten gestattete, erlaubten die Kirchen: betretbare Großskulpturen, vorzugsweise aus massivem Ortbeton, manchmal in dünnwandigen Schalen. … Vieles, was in den sechziger Jahren entstand, nimmt sich im Rückblick wie Kompensation aus: Kompensation für die zunehmende Entfernung der Gesellschaft von den Kirchen, Kompensation für die gnadenlose Monotonie der Neubausiedlungen.“266

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VII. Aspekte des Kirchenbaus nach dem Ende des Staatskirchentums

Abb. 56: Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin, 1957–1961.

Für die siebziger Jahre ist ein Zurücktreten der ‚starken Gesten‘ im Kirchenbau zu konstatieren. „Wichtig erschien nun, dass der Kirchenraum einen Lebensmittelpunkt der Gemeinde auch in ihrem weltlichen Tun bildete und mit addierbaren Nebenräumen und einem beträchtlichen Aufwand an Veränderungstechnik flexibel zu erweitern oder zu verkleinern war. Die Kirche als Mehrzweckanlage zeichnete sich ab.“267 „Angestrebt wird eine sensible Einfügung des Gebäudes oder der Gebäudegruppe in die Umgebung und der Verzicht auf ‚hohe Schwellen‘, stattdessen eine einladende Zugänglichkeit und Durchlässigkeit mit entsprechenden gestalterischen Mitteln. Offene Wände und ‚nach draußen‘ überleitende Vorhöfe sollen die Trennung von Kirche und Welt überwinden, sollen den Kirchraum über die unmittelbar gottesdienstlichen Zwekke hinaus erweitern – als Ausdruck der Offenheit der Kirche für die Interessen und Anliegen verschiedener Gruppen in der Gemeinde und in ihrem Umfeld.“268 Seit den achtziger Jahren ist der Bedarf an Kirchenneubauten stark zurückgegangen. Bei den Kirchenbauten um die Wende zum 21. Jahrhundert ist das Anliegen, eine sakrale oder meditative Raumstimmung für den Gottesdienstraum zu schaffen, erkennbar.

2. Kirchengebäude – monumentale Dokumente „ihrer Zeit“

197

Neben den Kirchenbauten der großen Volkskirchen sind auch von den Freikirchen zahlreiche Neubauten errichtet worden, die in ihrer Gestaltung den Kirchenbauten an die Seite gestellt werden können. Nach den Ereignissen von 1938 und den Kriegsjahren gab es nur wenige Synagogenbauten, die gottesdienstlich genutzt werden konnten. Und nach dem Holocaust gab es nur wenige jüdische Gemeinden. Ihre Zahl ging von 70 im Jahr 1950 auf 68 im Jahr 1988 zurück. In dieser Konstellation vollzog sich das, was als „zweite Synagogenzerstörung“ bezeichnet werden kann. Bei unscheinbaren Synagogen in Kleinstädten und Dörfern, die bereits seit den dreißiger Jahren zweckentfremdet genutzt wurden, blieb diese Nutzung bestehen. Die Erinnerung an die ursprüngliche Funktion dieser Bauten wurde verdrängt oder ging verloren. In den Städten wurden erhaltene Synagogenruinen nicht unter dem Aspekt des Wiederaufbaus begutachtet, sondern gänzlich gesprengt. Gleichzeitig wurden die ersten Synagogenneubauten errichtet. Dabei wurde jede Bezugnahme auf die Vergangenheit vermieden. Vielmehr sind die bis 1980 errichteten Synagogenbauten als in Architektur umgesetzte Glaubensbekenntnisse zu interpretieren, ohne eine ausdrückliche Bezugnahme auf den städtebaulichen Kontext. Demgegenüber sind die nach 1980 errichteten Synagogenbauwerke „sich ihres Willens zur Einfügung in die Stadtstruktur und ihres Selbstverständnisses als ‚Monumente der Stadt‘ bewusst. Sie wollen für ihre jeweilige Stadt die Existenz jüdischen Lebens auf ihre Art verkörpern.“269 In den zurückliegenden Jahren wurden zahlreiche solcher Synagogenbauten eingeweiht. Der Bedarf dafür ist durch das starke Anwachsen der jüdischen Gemeinden gegeben. e) Kirchenneubauten in den neuen Bundesländern Die Kirchen galten in der DDR als Relikte einer überholten Gesellschaftsform, die Duldung erwarten konnten, jedoch keine Möglichkeit öffentlichkeitsrelevanten Wirkens erhielten. Von daher kam die Genehmigung von Kirchenneubauten gar nicht in Betracht. Das galt gerade auch für die entstehenden Satellitenstädte; sie sollten bewusst frei von kirchlichen Monumenten und Symbolen bleiben. 1972 stimmte die DDR dann doch einem kirchlichen Sonderbauprogramm zu. Auf der Grundlage von Devisenzahlungen der westdeutschen Kirchen stellte der Staat Baukapazitäten zur Sanierung von historischen Kirchengebäuden zur Verfügung. Erst 1976 wurde staatlicherseits die Bereitschaft bekundet, auf der beschriebenen Grundlage Baukapazitäten zur Errichtung von Gemeindezentren in städtischen Neubau gebieten „zu planen“. In Ost-Berlin wurden zwischen 1978 und 1989 insgesamt neun Gemeindezentren bzw. Kirchen errichtet, davon fünf von der evangelischen Kirche und vier von der katholischen Kirche.270 Auch außerhalb Ost-Berlins entstanden in den Landeskirchen bzw. Diözesen einige kirchliche Neubauten, zu denen jedoch keine Zahlenangaben vorliegen.

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VII. Aspekte des Kirchenbaus nach dem Ende des Staatskirchentums

3. Kirchlich-theologische Leitideen und Kirchen-Neubauten Die Kirchenbauten des 19. Jahrhunderts sind sämtlich von historisch normierten Stilformen geprägt. Bemühungen, die Liturgie, also die Theorie des Gottesdienstes, als „Bauherrin“ wirken zu lassen, war keine durchschlagende Wirkung beschieden.271 Allerdings kann für die protestantische Seite auf das Anliegen des „Wiesbadener Programms“ hingewiesen werden, das zum Ziel hatte, die den Gottesdienst feiernde evangelische Gemeinde als Bestimmung des Kirchengebäudes sichtbar zu machen. Dies sollte vermittels eines zentrierenden Grundrisses, aber wiederum unter Heranziehung neugotischer oder anderer historischer Formenelemente, erreicht werden. Auf katholischer Seite hatten liturgische Reformbestrebungen zum Ziel, den Gläubigen das Mitfeiern der Messe zu ermöglichen. Ein wesentliches Ergebnis war die Herausgabe eines Messbuchs in deutscher Sprache (der „Schott“). Eine weitere Folge dessen ist in der Errichtung von einigen weiten und übersichtlichen Kirchenräumen zu sehen, die jedoch weiterhin in der traditionellen Abfolge von Hauptschiff für die Gläubigen und Chorraum für den Priester verblieben. Erst nach dem ersten Weltkrieg wurden Kirchen errichtet, die dem christozentrischen Anliegen (J. van Acken) verpflichtet waren. Der Christus symbolisierende Altar wurde so angeordnet, dass zum einen die gesamte Baugestalt diese Zentrierung zum Ausdruck brachte, und dass zum anderen der Altarraum auf drei Seiten von den Gläubigen umgeben war (Umstehende = circumstantes). So waren sowohl auf evangelischer wie auf katholischer Seite nicht länger historische Bezüge für die Gestaltung des Kirchengebäudes maßgebend, sondern das jeweilige Verständnis von Gemeinde im Zusammenhang der spezifischen Ausformung einer Theorie des Gottesdienstes. a) Evangelischer Gottesdienst und protestantischer Kirchenraum Die Wortverkündigung und das Abendmahl (Sakrament des Altars) sind für den evangelisch-lutherischen Gottesdienst konstitutiv. Entsprechend sind Altar und Kanzel sowie deren Zuordnung zueinander für das Erscheinungsbild des protestantischen Kirchenraums im 20. Jahrhundert charakteristisch. Der protestantische Kirchenraum nach dem zweiten Weltkrieg wird – nach lutherischem Verständnis – von der hervorgehobenen Stellung des Altars geprägt. Dieser hat seinen Ort im Angesicht der Gemeinde auf einer Altarbühne, an deren Begrenzung zum Hauptraum seitlich vom Altar die Kanzel ihren Platz findet. Häufig steht auf der anderen Seite des Altars der Taufstein; diese Platzierung der Taufe ist aber nicht zwingend. Im Kirchenraum der reformierten Kirche befindet sich die Kanzel in der Regel in der Achse des Raums vor der Rückwand; davor findet sich der hölzerne Altartisch frei im Raum aufgestellt.

4. Architekturentwicklung und Kirchenbau

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b) Konsequenzen des Zweiten Vaticanums für den katholischen Kirchenraum Das Verständnis der versammelten Gläubigen als das ‚pilgernde Gottesvolk‘ und der damit verbundene Gemeinschaftsgedanke sind theologisch grundlegend. Dieser findet seinen sichtbaren Ausdruck darin, dass der Priester die Messe hinter dem Altar stehend der Gemeinde zugewandt (versus populum) zelebriert. Die Trennung von Gemeinde und Altar wird wenn nicht aufgehoben, so doch stark verringert. So sind es im Wesentlichen diese drei Momente, die heute die Einrichtung eines katholischen Kirchenraum charakterisieren: „– Konzentration auf einen einzigen, frei stehenden Altar, … – Einführung eines freien Ortes der Wortverkündigung (Ambo) im Altarbereich, wodurch die Kanzel im Kirchenschiff obsolet wird. – Einführung eines festen Priestersitzes für die Gottesdienstleitung.“272

4. Architekturentwicklung und Kirchenbau Die Abkehr von normativ-historischen Vorgaben für den Kirchenbau brachte Veränderungen in zweierlei Hinsicht in Gang. Zum einen wurde die individuelle künstlerische Gestaltungskraft des jeweiligen Architekten stärker gefordert und auch eher ermöglicht. Zum anderen standen dem Einsatz neuer Materialien und Technologien im Kirchenbau kaum mehr Hindernisse entgegen. Beides ist in enger Abhängigkeit voneinander zu sehen. In den Kirchbauprojekten von Architekten aus den zwanziger Jahren sind durchaus Anklänge an die expressionistischen Ideen einer gebauten „Stadtkrone“ zu finden, die das Gemeinwesen überragt, versammelt und zugleich transzendiert. Die Gotik als Form wurde abgelehnt, nicht aber die Gotik als Idee. Der Gedanke des gemeinschaftlichen Werkes, die Vorstellung eines unalltäglichen Raums und die vom Expressionismus bevorzugten Formen der Ellipse, der Parabel und des Spitzbogens begegnen in vielen Projekten. Sie begegnen jedoch nicht in gemauerten Formen, sondern in Beton gegossen oder aus industriell vorgefertigten Elementen zusammengebaut. Künstlerische und technische Zeitgenossenschaft sowie zeitlose Erhabenheit werden zu Komponenten des Kirchenbaus der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg. Zu dieser Zeit hatten sich die neuen Baumaterialien Stahl und Eisenbeton auch im Kirchenbau durchgesetzt. Insbesondere katholischerseits wurden diese aber weiterhin als für den Kirchenbau unwürdige Materialien abgelehnt. Nach dem zweiten Weltkrieg hatten sich Bauweisen und Materialien erneut verändert. Betonrahmenbinder, Glasbausteine und Betonglasfenster sowie Betonformsteine fanden nun auch im Kirchenbau Verwendung. Vor allem aber die dünne Flächen konstruktion im Stahlbeton, der Schalenbau, wurde verbreitet eingesetzt. Solche Schalen können beliebig ‚gebogen‘ werden und gestatten die Modellierung bisher unbekannter Raumformen. Inzwischen war auch Leichtmetall zu einem Baustoff für Kirchenbauten geworden.

200

VII. Aspekte des Kirchenbaus nach dem Ende des Staatskirchentums

Schließlich ermöglichte die Montagetechnik eine kostengünstige Errichtung von Fertigbaukirchen.

5. Zur religiösen Topographie von Landschaften und Städten in der Gegenwart Pluralität lautet die Signatur, unter der die Gesellschaft, auch die Kultur der Gegenwart zu beschreiben ist. Zu der vorfindlichen Pluralität gehört deren sichtbare Erscheinung, etwa in Gestalt religiöser Bauten dazu. Die Kirchen besitzen einen Reichtum an überkommenen, noch immer Landschaften und Orte prägenden Kirchenbauten. Gleichermaßen ist auf die Kirchengebäude, Gemeindezentren und -häuser der Freikirchen hinzuweisen. Die Bedeutung der Synagogen sowohl im religiösen als auch im städtebaulichen Ensemble kann in wachsender Zahl wieder wahrgenommen werden. Gleichzeitig wird zunehmend auch von anderen Religionen die Möglichkeit der baulichen Präsenz in der Öffentlichkeit in Gestalt von Sakralbauten realisiert. Neben den unzähligen vorhandenen Gebäuden, die als Moscheen genutzt werden, ist etwa auf das architektonisch anspruchsvolle Bauwerk der Moschee in Mannheim (1995) hinzuweisen. In Unna wurde ein hinduistischer Tempel errichtet. In den Städten weisen Schilder an Gebäuden auf die unübersehbar große Zahl religiöser Sondergemeinschaften und Gruppen hin, die hier ihre Versammlungs- und Feierräume haben. Antizyklisch zu dieser Entwicklung werden christliche Kirchengebäude für den Zweck der Feier des Gottesdienstes nur noch in ganz seltenen Fällen neu errichtet. Vielmehr gilt, dass dafür immer weniger Kirchengebäude gebraucht werden; Kirchengebäude werden neuen Nutzungskonzeptionen angepasst, sie werden geschlossen, umgewidmet, auch abgerissen. Und doch entstehen neue religiöse Räume, werden religiöse Bauten kleinerer Dimensionen errichtet. Es sind keine Kirchenräume für die Feier von Gottesdiensten, sondern Räume für die Andacht des Einzelnen, die dem Bedürfnis nach vertiefter Selbstwahrnehmung des Menschen der Gegenwart entsprechen wollen, Räume der Stille. Die Kirchen als Institutionen sind hier lediglich beteiligte und mitgestaltende Partner. Solche „Räume der Stille“ begegnen sowohl an den „Achsen der mobilen Gesellschaft“, an den Autobahnen (Autobahnkirchen), auf Flughäfen, in Bahnhöfen, in Einkaufszentren, in Fußballstadien, im Brandenburger Tor in Berlin als auch an den „Orten temporären Verweilens“, im Bundestagsgebäude in Berlin, in mehreren Universitäten und in beinahe allen Krankenhäusern.273 Die Kirchen haben das Monopol auf religiöse Räume verloren. Aber die überkommenen christlichen Kirchengebäude werden weiterhin Hinweis auf und Raum für das „ganz Andere“ jenseits des Alltags sein, also für die Frage nach Sinn und Ziel des menschlichen Lebens, ja der Welt überhaupt. Sie bringen in ihrer abständigen historischen Gestalt oder in ihrer modernen architektonischen Gestaltung dieses „ganz An-

5. Zur religiösen Topographie

201

dere“ auch gegenüber der umgebenden Bebauung zum Ausdruck. Darüber hinaus werden viele Kirchengebäude als Bauwerk und Raum für die Stadt, ihre Bewohner und Besucher wahrgenommen. Kirchengebäude sind Orte und Räume, die das erinnernde Gedenken ermöglichen und die persönliche Besinnung von Menschen fördern. Als Ausdrucksgestalt in Stein oder Beton lassen sie Besucher und Besucherinnen sich in eine Generationenfolge eingeordnet erfahren, in eine Generationenfolge von Menschen, für die ein solcher Raum angemessen war in ihrer Situation, bestimmt von Freude, von Furcht oder auch von Hoffnung. Das Klagen und das Loben von Menschen vieler Generationen ist den jahrhundertealten Kirchenräumen förmlich „eingeschrieben“. In den christlichen Kirchengebäuden manifestiert sich ein einzigartiges Erfahrungswissen hinsichtlich solcher dem Menschen gemäßen und doch die Alltäglichkeit überschreitenden Bau- und Raumgestaltungen. Kirchengebäude wollen nicht nur genutzt, sie wollen auch entdeckt werden.

Anmerkungen

I. Das christliche Kirchengebäude – was ist das? Bieritz, a.a.O., 92. Vgl. Emminghaus, a.a.O.; die Seitenziffern beziehen sich auf dieses Werk. 3 Vgl. dazu u.a. Meyer-Blanck, a.a.O. 4 Vgl. u.a. Grethlein, a.a.O., 146–152; Raschzok, Kirchenbau, a. a. O.; Klie, a. a. O. 5 Bieritz, a.a.O., 86 (kursiv im Original). 6 Diese Interdependenz wird auch in der jüngsten Veröffentlichung der (katholischen) Liturgiewissenschaft herausgestellt: „Die Bedeutung eines Raumes erschließt sich nur aus dem Kontext, d.h. unter Einbeziehung der sich darin abspielenden liturgischen und außerliturgischen Vollzüge.“ Gerhards/Kranemann, a.a.O., 201. 7 Die deutschen Bischöfe, Leitlinien; die Ziffern verweisen auf dieses Werk. 8 Die deutschen Bischöfe, Räume, 26. 9 Die deutschen Bischöfe, Missionarisch Kirche sein, 15. 10 Rummelsburger Richtlinien, in: Herbst, a.a.O., 251–257, 252. 11 Der Evangelische Kirchenraum (Wolfenbütteler Empfehlungen an die Gemeinden), a. a. O. 12 Der Seele Raum geben, a.a.O., 31. 13 Bieberstein, Jerusalem, 437f. 14 Gehlen, a.a.O., 391. 15 Leeuw, a.a.O., 446. 16 Epist. IV, 12 (41), 3; hier zit. nach ebd., 447. 17 Leeuw, a.a.O., 452. 18 Josuttis, a.a.O., 66f. 19 Ebd., 68. 20 Ebd., 69. 21 Ebd. 22 Ebd., 70. 23 Ebd., 75. 24 Ebd., 78. 25 Schmitz, a.a.O., 279. 26 Ebd., 622. 27 Ebd., 279. 28 Böhme, Atmosphäre als Grundbegriff, 34. 29 Böhme, Atmosphären kirchlicher Räume, 103. 30 Ebd., 104. 31 Vgl. ebd., 103. 32 Ebd., 104. 33 Soeffner, a.a.O., 22. 1 2

204

Anmerkungen

Ebd., 21. Ebd., 22. 36 Steffensky, a.a.O., 201. 34 35

II. Grundlagen für die Kirchenbauten des Mittelalters in Deutschland: Jüdische und christliche Sakralbauten im Römischen Reich Zu Frühgeschichte der Synagogen vgl. auch Wick, a. a. O., 88 ff., 385 f. Heimann-Jelinek, a.a.O., 58. 39 Vgl. Deichmann, Christianisierung, 1234f. 40 Brief an Octavian 10: zit. n. Volp, Liturgik, I., 182. 41 Zit. n. Plazaola, a.a.O., 16. 42 Koch, Früchristliche Kunst, 24. 43 Vgl. dazu ausführlich Deichmann, Christianisierung, 1228–1241. 44 Vgl. Brandenburg, Die frühchristlichen Kirchen, 233 f. 45 Zit. n. Mensching, a.a.O., 148. 46 Vgl. Bieberstein u. Bloedhorn, a.a.O., 143–148. 47 Vgl. ebd., 154–163; vgl. ferner Krüger, a.a.O. 48 Vgl. Wilkinson, a.a.O. 49 Kohlschein, F. Der mittelalterliche Liber Ordinarius, 17. 50 Zum Folgenden vgl. Bieberstein u. Bloedhorn, a. a. O., 185–187. 51 Vgl. Krüger, a.a.O., 75. 52 Vgl . Bieberstein u. Bloedhorn , a.a.O., 203–207; 216–219. 53 Vgl. Krüger, a.a.O., 127 u. 134f. 54 Vit. S. Fulg. 13, 17; zit. n. Klein, a.a.O., 362. 55 Vgl. Brandenburg, Die frühchristlichen Kirchen, 110 f. 56 Vgl. ebd., 20–37. 57 Vgl. ebd., 91–102. 58 Vgl. ebd., 114–130. 59 Vgl. ebd., 103–108. 37 38

III. Kirchengebäude im Mittelalter Seifert, a.a.O., 57. Köpf, a.a.O., 1024f. 62 Vgl. Maurer, a.a.O.; Odenthal/Stracke, a.a.O. 63 Vgl. Haas, a. a.O., 443f. 64 Neben dieser kirchenrechtlich relevanten Verwendung des Begriffs „cathedra“ ist auf eine erweiterte umgangssprachliche Verwendung zu verweisen. Ausgehend von den französischen Kathedralbauten der Hochgotik und ihren gewaltigen Dimensionen, von ihrer Sicht als Inbegriff ingenieurtechnischer Leistung und ästhetischer Vollendung wurde der Begriff für herausragende Kirchenbauten des Mittelalters verwendet, dann aber auch für besondere Werke der Industriearchitektur des 19.Jahrhunderts (Kathedralen der Arbeit). 65 Das „geistliche Fürstentum“ stellt eine Besonderheit des engeren Heiligen Römischen Reiches dar. Kennzeichen und Strukturen des geistlichen Fürstentums können hier nur stark vergröbert dargestellt werden. Für detailliertere Informationen vgl. Moraw, a. a. O. 60 61

Anmerkungen

205

Vgl. Crusius, a.a.O., 162. Vgl. Braunfels, a.a.O. 68 Badstübner, Kirchen der Mönche, 158. 69 Philipp, a.a.O., 41. 70 Vgl. Schmelzer, a.a.O., 153ff. 71 Philipp, a.a.O. 72 Vgl. insgesamt Sauer, a.a.O., 107. 73 Bandmann, Kirche, 515. 74 Vgl. Sauer, a.a.O., 116f. 75 Winterfeld, a.a.O., 169f. 76 Vgl. Schmelzer, a.a.O., 160. 77 Badstübner, Kirchen der Mönche, 38. 78 Vgl. Sauer, a.a.O., 120. 79 Binding, a.a.O., 96. 80 Vgl. Sauer, a.a.O., 160. 81 Ebd. 82 Vgl. Beer, a.a.O., 282ff. 83 Timmermann, a.a.O., 10. 84 Vgl. Kroesen, a.a.O., 291. 85 Vgl. hierzu insgesamt Poscharsky, Die Kanzel, 15–55. 86 In mancher Hinsicht sind die Begriffe Ambo und Kanzel austauschbar. Hier soll das Verständnis von Ambo als Ort der biblischen Lesung im Unterschied zur Kanzel als Ort der Rede über einen Text leitend sein. 87 Mai, Taufsteine, a.a.O., 157 88 Seit dem Zweiten Vaticanum (1965) ist die Weihe des Taufwassers zu jeder Taufe möglich. 89 Wex, a.a.O., 49. 90 Zit. n. Wex, ebenda. 91 Vgl. Wex, a.a.O., 50. 92 Vgl. Hense, a.a.O., 37ff. 93 Schlör, a.a.O., 34. 94 Ebd., 35. 95 Willoweit, a.a.O., 303. 96 Almemor, abgeleitet vom arabischen al-minbar = das erhöhte Lesepult in einer Moschee. Vgl. Künzl, H., Der Synagogenbau, 62, Anm. 5. 97 Kessler, a.a.O., 21f. 98 Weindl, a.a.O., 52. 66 67

IV. Das Kirchengebäude in konfessioneller Zeit (16.–18. Jahrhundert) 99 Die Nachweise im Text beziehen sich auf M. Luther, Werke. Krit. Gesamtausgabe, Weimar 1883ff. (= WA). 100 Vgl. dazu auch WA 14, 384f.; 30/1, 179. 101 Vgl. dazu WA 6, 239; 10/2, 242; 49, 592. 102 Vgl. WA 14, 385. 103 Vgl. auch WA 49, 593. 104 Vgl. Koch, Das konfessionelle Zeitalter, 242 ff., die Hinweise zur Gestalt des lutherischen Kirchenraums.

206

Anmerkungen

Vgl. Eggert, a.a.O.; Volp, Altar; Poscharsky, Ikonographische Beobachtungen. Ein Altarretabel nur aus Inschriften in Dinkelsbühl (1537) galt lange als früheste Form eines reformatorischen Altars. Nach neueren Forschungen handelt es sich dabei jedoch lediglich um die Predella eines größeren Retabels. Vgl. Diederichs-Gottschalk, a. a. O., 22. 107 Ebd., 67. 108 So ebd., 51. 109 In Roggenstede (Ostfriesland) befindet sich ebenfalls ein dreiteiliger bildloser Altar aus dem letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts. Über dem Mittelteil ist geschrieben: „DIT SINT DE HÖVET STUCKE CHRISTLICKER LEHR“. Darunter ist ein Kelch mit einer Oblate darüber gezeichnet. In die Oblate sind die Worte des Vaterunsers eingeschrieben. Die Einsetzungsworte sind in die Kelchzeichnung eingefügt. Darunter findet sich der Wortlaut des Glaubensbekenntnisses. Zu beiden Seiten angeordnet sind die Zehn Gebote in der lutherischen Fassung. Auf den Flügeln finden sich Inschriften mit Bibelversen. 110 Vgl. ebd., 67, wo auf einen Truhentisch in der Kirche zu Norden hingewiesen wird. 111 Vgl. WA 12, 216. 112 Poscharsky, Die Kanzel, 213. 113 Vgl. dazu insgesamt Wex, a.a.O., 47–61. 114 Vgl. dazu etwa die folgenden Kirchenliedverse: „Jerusalem, du hochgebaute Stadt, wollt Gott, ich wär in dir! Mein sehnend Herz so groß Verlangen hat und ist nicht mehr bei mir. Weit über Berg und Tale, weit über Flur und Feld schwingt es sich über alle und eilt aus dieser Welt. … (6) Wenn dann zuletzt ich angelanget bin im schönen Paradeis, von höchster Freud erfüllt wird der Sinn, der Mund von Lob und Preis. Das Halleluja reine man spielt in Heiligkeit, das Hosianna feine ohn End in Ewigkeit (7) mit Jubelklang, mit Instrumenten schön, in Chören ohne Zahl, dass von dem Schall und von dem süßen Ton sich regt der Freudensaal, mit hunderttausend Zungen, mit Stimmen noch viel mehr, wie von Anfang gesungen das große Himmelsheer“ (Evangelisches Gesangbuch, Nr. 150, 1.6–7). 115 Vgl. auch Koch, Orgelweihpredigten. 116 Mathies, a.a.O., 13; dort das Zitat aus der KO Wolfenbüttel 1569. 117 Vgl. ebd., 265f. 118 Vgl. dazu Cuveland, a.a.O.; Poscharsky, Taufengel; ferner auch Cornehl, Zur Geschichte der evangelischen Taufe, 85. 119 Vgl. Wieckowski, a.a.O. 120 Vgl. Ketelsen-Volkhardt, a.a.O. 121 Haebler, a.a.O., 24. 122 Faksimiledruck in: Langmaack, Evangelischer Kirchenbau, 189–215. 123 Faksimiledruck in: Langmaack, Evangelischer Kirchenbau, 219–258. 124 Mai, Der evangelische Kanzelaltar, 237, Anm. 27; Zitat aus der Einweihungspredigt der Annenkirche in Dresden, 1769. 125 Pretzschendorf, 1733; zit. n. Mai, Der evangelische Kanzelaltar, 161. 126 Vgl. Niebergall, a.a.O., 43–55; Cornehl, Gottesdienst, 59–64. 127 Ergänzungsband zum Evangelischen Gottesdienstbuch, 30. 128 Vgl. Fritz, a.a.O., 27. 129 Graff, a.a.O. Bd. 1, 135. 130 So in einer Kirchweihpredigt aus dem Jahr 1733, zit. n. Mai, Der evangelische Kanzelaltar, 161. 131 Harasimowicz, a.a.O., 44. 132 Vgl. Kern, a.a.O. 133 Zit. n. Fritzsch, a.a.O., 82. 105

106

Anmerkungen

207

Calvin, J., Unterricht in der Christlichen Religion; die Fundstellen im Text beziehen sich auf die angegebene Ausgabe. 135 Müller, a.a. O., 213f.; deutsche Übersetzung nach Germann, a. a. O., 13. 136 Christin, a.a.O., 66. 137 Vgl. Koch, Das konfessionelle Zeitalter, 291 f. mit Hinweisen zum reformierten Kirchenraum. Koch macht darauf aufmerksam, dass die Vermauerung des Chores ein sichtbares antirömisches Bekenntnis sein konnte. 138 Groß, a.a.O. Bd. 1, 81. 139 Vgl. Senn, Entwicklungslinien; Strohmaier-Wiederanders, a. a. O. 140 Germann, a.a.O., 37. 141 Ebd., 39. 142 Pahl, a.a.O., 419; zu den Abendmahlstischen vgl. Diederichs-Gottschalk, a. a. O., 41 u. 79 f. 143 Vgl. Fritz, a.a.O., 208f. und 441f. 144 Stefan, a.a.O. 145 Die katholische und auch die lutherischen Fassung der Zehn Gebote stellen demgegenüber eine katechismusartige Zusammenstellung dar; hier findet sich das Bilderverbot nicht und das letzte Gebot ist auf zwei Gebote aufgeteilt, um die Zehnzahl zu erreichen. 146 Hense, a.a.O., 144. 147 Vgl. dazu insgesamt Groß, a.a.O. 148 Vgl. Flick, a.a.O., 109. 149 Schlie, a.a.O., 70. 150 Smid/Rödiger, a.a.O., 18f. 151 Ebd. 152 Hansmann, a.a.O., 51. 153 Vgl. hierzu insgesamt Reinle, Zeichensprache der Architektur, 97–108. 154 Badstübner/Gröger-Badstübner, Kirchen in Berlin, 47. 155 Sauser, a.a. O., 68. 156 Reuter, a.a. O., 11. 157 Häußling, a. a.O., 334f. 158 Reuter, a.a. O., 223. 159 Zit. n. Bottinieau, a.a.O., 46. 160 Vgl. Naredi-Rainer, a.a.O., 139ff. 161 Vgl. Noehles, a.a.O., 337. 162 Am Ende des 18.Jahrhunderts wurde die Auffassung von der Herkunft der Säulen von dem Jerusalemer Tempel erstmals als „ein bloßes Mährchen“ bezeichnet. Vgl. Naredi-Rainer, a. a. O., 142. 163 Emminghaus, a.a.O., 390. 164 Vgl. Poscharsky, Kanzel. Oft ist der Kanzel und dem Prediger gegenüber ein Kruzifix angebracht (Gegenkanzel). 165 Sternberg, „und lass mich sehn dein Bilde“, 174. 166 Böcher, a.a.O., 1561. 167 Vgl. hierzu insgesamt Bienert, a.a.O. 168 Künzl, Jüdische Architektur, 184f. 169 Eschwege, a.a.O., 70. 170 Korn, Synagogen und Betstuben, 354. 171 Ebd., 353. 172 Mühlinghaus, a.a.O., 116. 134

208

Anmerkungen

V. Kirchengebäude der großen Konfessionskirchen bis zum Ende des Staatskirchentums (von der Aufklärung bis 1918) 173 Die Kapitel V und VI behandeln denselben Zeitraum; sie sind daher in einem engen Zusammenhang zu sehen. Die Aufteilung in zwei Kapitel erfolgt hier lediglich aus Gründen der Übersichtlichkeit. 174 Fitschen, a.a.O., 120. 175 Jung, Der Protestantismus in Deutschland von 1815 bis 1870, 27. 176 Als Vorläufer für diese Bestimmung kann u. a. auf das Religionsedikt in Bayern von 1803 sowie auf die Verfassung des Rheinbundes von 1806 hingewiesen werden. 177 Lurz, a.a.O., 68. 178 Zitiert nach Reuter, a.a.O., 13. 179 K. Spazier, Freymüthige Gedanken über die Gottesverehrung der Protestanten, Gotha 1788, 161 – zit. n. Graff, a.a.O. Bd. 2, 62. 180 Ebd. 181 Thomasius, F. C., Über Veredlung des christlichen Kultus durch Hülfe der Ästhetik, Nürnberg 1803, 34 – zit. n. Graff, ebd. 182 Vgl. Bürkner, a.a.O., 118. 183 Börsch-Supan, a.a.O., 58. 184 Ebd. 185 Zaske, a.a.O., 15. 186 H. Otte, Handbuch der kirchlichen Kunstarchäologie, Leipzig 51883 – zit. n. Bürkner, a. a. O., 116. 187 Mothes, a.a.O., 195. 188 Zit. n. Herbst, a.a.O., 209. 189 Vgl. Mothes, a.a.O., 182, Anm. 238c. 190 Holzwig, a.a.O., 269. 191 Vereinsstatut des Protestantenvereins 1863/65 – zit. n. Lepp, a. a. O., 1726. 192 Jung, Der Protestantismus in Deutschland von 1815 bis 1870, 129. 193 Schleiermacher, Praktische Theologie, 113. Die Seitenzahlen im Text beziehen sich auf dieses Werk. 194 Gurlitt, Geschichte des Barockstiles und des Roccoco in Deutschland, 83. 195 Ebd., 84. 196 Sulze, a.a.O., 214. 197 Vgl. ebd., 233ff. 198 Ebd., 229. 199 Ebd., 210. 200 Deutsche Bauzeitung 1891, zit. n. Herbst, a.a.O., 213. 201 Fritzsch, a.a.O., 396. 202 Sulze, a.a.O., 236. 203 March, a.a.O., 30. 204 Vgl. Jung, Der Protestantismus in Deutschland von 1815 bis 1870, 116 ff. 205 Vgl. Jähnichen, a.a.O., 13. 206 Vgl. Mothes, a.a.O. 207 Zit. n. Bürkner, a.a.O., 151. 208 Cornehl, Gottesdienst, 69f. 209 Hammer-Schenk, Kirchenbau IV., 506. 210 Sulze, a.a.O., 229.

Anmerkungen

209

Göhre, a.a.O., 42. Hammer-Schenk, Kirchenbau IV., 506. – Für den protestantischen Bereich ist u. a. auf die Veröffentlichungen der Autoren Bürkner, Fritzsch, Gurlitt, March, Mothes und Sulze hinzuweisen. 213 Beispielhaft sei verwiesen auf Heckner, a.a.O. 214 Oppler, a. a. O., 270. Andererseits ist auch Oppler von der Struktur des Kirchengebäudes und der entsprechenden Terminologie geprägt; das wird deutlich, wenn bei der Beschreibung der Allerheiligstenanlage von dem „hohen Chor der Synagoge“ und von „der Kanzel“ die Rede ist – ebd., 271. 215 Haupt, Synagogen, 360. Vgl. auch ebd., 368: „Da auch die Predigt eine erhebliche Bedeutung im jüdischen Gottesdienst gewonnen hat, so wird das gottesdienstliche Gebäude der Juden heute im ganzen von denselben Gesichtspunkten, wie die evangelischen bestimmt.“ 216 Mit einem den angeführten Fachbüchern wohl vergleichbarem Anspruch erschien innerhalb der „Handbücher zur Bau- und Raumgestalt“ der Band Weyres/Bartning, a. a. O. Sehr ausführlich und fachlich fundiert werden hier sowohl der katholische als auch der evangelische Kirchenbau behandelt. Es fehlen u. a. Hinweise auf vorangegangene Werke. Insbesondere fehlt, im Unterschied zu jenen, jeglicher Hinweis auf Synagogen. 217 Vgl. Das deutsche Kunstgewerbe 1906, a.a.O. 218 Gurlitt, Kirchliche Kunst, 21f.; vgl. dazu auch: Petzold-Hermann, a. a. O. 219 Schnell, a.a.O., 14. 220 Vgl. Henke, a.a.O. 221 Vgl. Brockhaus, a.a.O., 157. 222 Hauck, a.a.O. 223 Ebd., 793. 224 Vgl. Strack, a.a.O. 225 Vgl. Matthaei, a.a.O. 226 Vgl. Fiebig, a.a.O. 227 Schnell, a.a.O., 13f. 228 F. Schumacher, 1906 – zit. n. Langmaack, Evangelischer Kirchenbau, 33. 229 Ebd., 34. 230 Dohmen/Sons, a.a.O., 19. 231 R. Klapheck, in: E. Körner (Hrsg.), Die neue Synagoge in Essen, 1914 – zit. nach HammerSchenk, Synagogen in Deutschland, 480. 211

212

VI. Kirchengebäude, Synagogen, Kapellen und Bethäuser in Deutschland – monumentale Zeichen einer kulturellen Modernisierung in der letzten Phase des Staatskirchentums (1803 bis 1918) Jung, Der Protestantismus in Deutschland von 1815 bis 1870, 149. Knufinke, a.a.O., 60. 234 Jacoby, a.a.O., 211. 235 Hammer-Schenck, H., Die Architektur der Synagoge, 215. 236 Vgl. Oppler, a.a.O. 237 Ebd., 278. 238 Ebd., 280. 239 Vgl. ebd., 279f. 232 233

210

Anmerkungen

Hammer-Schenck, H., Die Architektur der Synagoge, 255. Vgl. Hense, a.a.O., 164f. 242 Unter dem Begriff „Freikirchen“ werden hier protestantische Kirchengemeinschaften behandelt, die – auf der freien Glaubensentscheidung ihrer Mitglieder ruhend – den staatskirchlich geordneten konfessionellen Strukturen in den deutschen Territorialstaaten ablehnend gegenüberstanden. In der Aufzählung ist keine Vollständigkeit angestrebt. – Vgl. dazu ausführlicher: Geldbach, a.a.O., 124ff. 243 Richter, K., Aus der Baugeschichte der Herrnhuter Brüdergemeine, 30 f. 244 Beck, a.a.O., 188f. 245 Zit. nach Richter, K., Die Herrnhuter in Neuwied am Rhein, 71. 246 Voigt, Freikirchen, 56. 247 Jung, Der Protestantismus in Deutschland von 1815 bis 1870, 100. 248 Voigt, Zwischen Junkerstraße und Meyers Hof, 61. 249 Frey, a.a.O., 19. 250 Vgl. zu diesem Abschnitt Döpmann, a.a.O. 251 Abgebildet bei Gurlitt, Kirchen, 37f. 252 Vgl. Kraft, a.a.O., 55f. 253 Vgl. Güttler, a.a.O., 311. 240 241

VII. Städtebauliche Dominante, Sakralbau, zeit- und menschengerechter Raum – Aspekte des Kirchenbaus nach dem Ende des Staatskirchentums 254 Vgl. u. a. Hampe, a. a. O.; Fuchs, Kirchenbau (1961); Schwebel, H., Kirchenbau V.; Volp, Kirchenbau, 1109ff.; Freigang, a.a.O., 1122–1129, 1135–1141. 255 Vgl. u. a. Schnell, a. a. O.; Kahle, a. a. O.; Pehnt, a. a. O.; Stock, Kirchenbau 1900–1950; Stock, Europäischer Kirchenbau 1950–2000. 256 Werner, a.a.O., 81. 257 Elsässer, a.a.O., 58. 258 Ebd., 63. 259 Acken, a.a.O., 23f. 260 Bartning, a.a.O., 53. 261 Herausragende Beispiele dafür sind die Synagogen in Plauen (Vogtland; 1930 eingeweiht, 1938 zerstört) und in Hamburg-Harvestehude (1931 eingeweiht, erhalten, heute Senderaum des NDR). 262 Pehnt, a. a. O., 140. – Die Ideologie des Nationalsozialismus ist nur selten so plakativ wie in der Martin-Luther-Gedächtnis-Kirche in Berlin-Mariendorf (1933–1935) umgesetzt worden: Auf der Kanzel ist die Bergpredigt dargestellt – Christus, umringt von den Gemeindemitgliedern, die mit gescheiteltem Haar und z.T. in SA-Uniform dargestellt sind. 263 Ebd., 142. 264 Ebd. 265 Beispiele: Berlin, Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche; Bochum, Christuskirche; Gelsenkirchen, Ev. Stadtkirche. 266 Ebd., 144. 267 Ebd., 145. 268 Renner/Schmidt-Ropertz, a.a.O., 94. 269 Jacoby, a.a.O., 214.

Anmerkungen 270

Vgl. auch: Berlin und seine Bauten, 430 f.; Richter, Zur Geschichte kirchlichen Bauens nach

1945. Vgl. u.a. Gerhards, Der Kirchenraum als „Liturge“. Gerhards, Räume für eine tätige Teilnahme, 24. 273 Vgl. dazu u.a. Pehnt, a.a.O., 146; Beyer, a.a.O. 271 272

211

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Bilderläuterungen und Abbildungsverzeichnis

Abb. 1, S. 24: Rom, (Alt-)St. Peter, um 400, isometrische Rekonstruktion. Erkennbar ist die Abfolge der Gebäudeteile Atrium, mehrschiffiges Langhaus der Basilika und Querhaus. Foto: A. Effenberger, Frühchristliche Kunst und Kultur. Von den Anfängen bis zum 7. Jahrhundert, Leipzig 1986, S. 133. Abb. 2, S. 26: Rom, Pantheon, 118–125. Ein überwölbter Rundbau von 43 m Innendurchmesser und Innenhöhe, so dass die äußere Rundmauer eine fiktive Kuppel umfasst. Der Eingangsbereich ist durch eine Vorhalle mit Säulenstellungen und einem Giebel darüber herausgehoben. Foto: picture-alliance/dpa Abb. 3, S. 28: Jerusalem, Grabeskirche, Grundriss der Anlage im 4. Jahrhundert. Foto: Effenberger, a.a.O., S. 134. Abb. 4, S. 29: Jerusalem, Felsendom; um 700, Grundriss und Schnitt. Der Durchmesser des Innenkreises beträgt etwa 20 m. Foto: P. von Naredi-Rainer, Salomos Tempel und das Abendland. Monumentale Folgen historischer Irrtümer, Köln 1994, S. 40. Abb. 5, S. 38: Dom, Köln, 13.–15. Jh., Westfassade (historische Aufnahme). Der Kölner Dom ist in Deutschland die größte Kirche im gotischen Stil und weist die zweithöchsten Kirchtürme (157 m) sowie das längste und höchste Mittelschiff (144 m bzw. 43 m) auf. Die Doppelturmfassade ist erst im 19. Jahrhundert anhand der Originalpläne in der vorgesehenen Höhe vollendet worden. Drei große, tief in die Westfassade eingeschnittene Portale führen in den Narthex und von dort in das Langhaus hinein. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln. Abb. 6, S. 40: Klosterkirche, Maria Laach, 1093–1216. Romanische Basilika mit Doppelchoranlage. Im Vordergrund das Atrium, dann die Apsis des Westchores vor dem Westriegel, bestehend aus dem zentralen Rechteckturm, der aus dem westlichen Querhaus herauswächst, sowie den flankierenden runden Treppentürmen. Foto: Bildarchiv Foto Marburg.

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Abb. 7, S. 41: Kloster in benediktinischer Tradition, Schema der Gebäudeanordnung. Foto: Benedictus. Symbol abendländischer Kultur, Stuttgart/Zürich 1987, S. 382. Abb. 8, S. 42: Klosterkirche, Maria Laach, 1093–1216, Grundriss mit Atrium. Foto: Romanische Kunst. Dargestellt in 254 Bildern, eingeleitet von Friedrich Möbius, Berlin/ Wien/München 1969, S. 186. Abb. 9, S. 45: Pfarrkirche, St. Nikolai in Wismar, 1381–1487. Die Kirche des Basilikatyps folgt dem Vorbild der Lübecker Ratskirche St. Marien. Der Turm hatte ursprünglich eine Höhe von 120 m. Mit der Mittelschiffshöhe von 37 m gehört die Nikolaikirche zu den wenigen Kirchen mit einem extrem hohen Mittelschiff. Besonders ausgeschmückt ist der Giebel des südlichen Querschiffs, der dem Marktplatz mit dem Rathaus zugewandt ist. Foto: SLUB/Deutsche Fotothek/Reprod. Abb. 10, S. 46: Pfarrkirche, St. Marien in Greifswald, 1260–1280, Grundriss. Die Kirche des Hallentyps weist weder ein Querschiff noch einen besonderen Chorraum auf. Die Gewölbe der drei Schiffe erreichen 21 m Höhe. Foto: N. und R. Zaske, Kunst in Hansestädten, Leipzig 1985, S. 44. Abb. 11, S. 50: Dom, Köln, 1248, Grundriss mit erklärender Beschriftung. Das Langhaus weist fünf Schiffe auf und wird von dem dreischiffigen Querhaus durchdrungen. Der Chor erstreckt sich über vier Joche des Langhauses und endet in einem 5/8-Chorschluss; er war ursprünglich den Mitgliedern des Domkapitels vorbehalten. Der Chor ist umgeben von einem Chorumgang mit Kapellenkranz (Kathedralchor). Foto: Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 12, S. 52: Kirchenraum, romanisch, Stiftskirche zu Quedlinburg, 927–1021. Eine flachgedeckte Basilika mit niedersächsischem Stützenwechsel und Obergadenbelichtung für das Mittelschiff. Die Abfolge der Raumzonen ist deutlich erkennbar: Mittelschiff, Vierung, Chorraum, Ost-Apsis. Unter dem stark erhöhten Chorraum befindet sich die Krypta. Foto: Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 13, S. 53: Kirchenraum, gotisch, Pfarrkirche St. Marien zu Lübeck, 1250–1350. Eine dreischiffige Basilika mit Querschiff, Chorumgang und Kapellenkranz. Mittelschiff und Chor werden durch die Obergadenfenster beleuchtet. Das Mittelschiffsgewölbe ist 38,5 m hoch, das der Seitenschiffe 21 m. Foto: Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 14, S. 55: Lettner, um 1450, Dom zu Magdeburg (Kruzifixus und Mauritiusfigur gehören nicht zum Lettner). Foto: Bildarchiv Foto Marburg.

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Abb. 15, S. 57: Portal, um 1230, ursprüngliches Westportal der Pfarrkirche St. Marien zu Freiberg (Sachsen). Ein mit abwechselnd in Nischen eingestellten Säulen und Personendarstellungen aufwendig gestaltetes Stufenportal. Links und rechts jeweils fünf reich verzierte Säulen und dazwischen vier Gestalten des Alten Testaments. Im Tympanon die Darstellung der Anbetung des Christuskindes und seiner Mutter durch die drei Könige. In den Archivolten weitere Personendarstellungen und Schmuckmotive. Foto: Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 16, S. 61: Wandelaltar, 1. Hälfte 15. Jahrhundert, Hochaltar der Kirche zum Heiligen Kreuz in Rostock (ehem. Zisterzienserinnen-Klosterkirche). Mittelschrein mit fünf Flügeln (Pentaptychon), jeweils zwei Altarflügeln rechts und links, darunter die Predella mit zwei Flügeln. In der Schreinmitte die geschnitzte vielfigurige Darstellung der Kreuzigung Christi zwischen den beiden Schächern. Jeweils ein Heiliger sowie sechs Apostel sind sowohl links als auch rechts davon stehend dargestellt. Darunter, aber kleiner und sitzend, insgesamt 14 Darstellungen von Erzengeln, Heiligen und Kirchenvätern. Der feststehende Teil der Predella weist sieben geschnitzte weibliche Heiligenfiguren auf. Die Predellaflügel veranschaulichen das Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen (Mt 25). Auf jedem Flügel sind vier Jungfrauen dargestellt sowie die Personifikation der „Kirche“ und des erscheinenden Herrn auf dem – vom Betrachter aus gesehen – linken Flügel, die Personifikation der „Synagoge“ und des erscheinenden Herrn auf dem rechten Flügel. Bei geschlossenen Predellaflügeln sind sechs gemalte Halbbilder von Männern mit Spruchbändern (alttestamentliche Propheten) zu sehen. Wird mit dem vorderen Flügelpaar des Pentaptychons die geschnitzte Darstellung verschlossen, so finden sich auf den vier verbleibenden Flügelflächen jeweils außen übereinander zwei gemalte Darstellungen zu zwei Heiligen (Antonius und Benedikt) und dazwischen in der oberen Reihe sechs Szenen des Marienlebens sowie darunter sechs Szenen aus der Passion Jesu. Sind auch die hinteren Flügelpaare nach vorn geklappt, dann sind nur noch zwei Flügelflächen mit gemalten Darstellungen zu sehen. Links ist die Vermählung der heiligen Katharina mit dem Christuskind dargestellt, umgeben von allegorischen Bildern und durch die geometrischen Figuren Quadrat, Vierpass und Kreis strukturiert; rechts befindet sich ein Bild der „Hostienmühle“. Schrein und Flügel des Pentaptychons werden durch einen Kamm aus vergoldeten stilisierten Blättern bekrönt. Foto: SLUB/Deutsche Fotothek/Kurt Heine. Abb. 17, S. 63: Tabernakel in Turmform, Ende 15. Jahrhundert, Dorfkirche Granzin (Mecklenburg). Das 3,85 m hohe Sakramentshaus weist reiche Schnitzereien auf; die Bemalung stammt aus dem 19. Jahr hundert. Foto: Ev.-Luth. Kirchengemeinde Kratzeburg/Michael Voß. Abb. 18, S. 64: Tabernakel, 14. Jahrhundert, Tür eines Sakramentsschranks in der Ostwand des Chores der Dorfkirche Petschow (Mecklenburg). Neben dem Kruzifixus Wappen und Helmzier eines örtlichen Adelsgeschlechts. Oben links und rechts jeweils ein Rundbild mit Kelch und Hostie. Die Darstellungen verweisen auf den Zweck des Schrankes und kennzeichnen dessen Stifter. Foto: Ev.-Luth. Kirchengemeinde Petschow/Michael Voß.

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Abb. 19, S. 66: Tauffünte aus Bronze mit hohem Deckel, 1290, Pfarrkirche St. Marien in Rostock. Die Verkörperungen der Elemente bilden die vier Füße der 5,40 m hohen Fünte. An der Wandung des Kessels drei umlaufende Inschriftenbänder, dazwischen zwei Reliefstreifen mit Bildszenen aus dem Leben Christi. Auf dem Deckel ebenfalls drei Inschriftenbänder, darüber aufgenietet figürliche Darstellungen. Im unteren Bereich sind die Taufe und diametral gegenüber die Himmelfahrt Christi gezeigt, dazwischen Darstellungen heiliger Frauen und Bischöfe, vier Löwenköpfe halten Ringe, die ein Abheben des Deckels ermöglichen. Über dem zweiten Schriftband die Darstellung der klugen und der törichten Jungfrauen (nach Mt 25). Über dem dritten Schriftband finden sich drei Frauengestalten. Die Schriftbänder enthalten zum einen den Text des „Ave Maria“ (Lk 1,42) sowie den Text des Gebets „Salve Regina“ in lateinischer Sprache. Bekrönt wird die Fünte von einem Adler mit ausgebreiteten Schwingen. Foto: Universität Rostock, Medienzentrum/Altrichter Abb. 20, S. 69: Leuchterkrone, 1061, Dom zu Hildesheim. Der Leuchter versinnbildlicht „die heilige Stadt, das neue Jerusalem“ (nach Apk 21,10–15). Die dort erwähnten Details, die die Stadt umgebende Mauer, die zwölf Tore darin und die zwölf Grundsteine der Mauer mit je einem Apostel darauf finden sich in der Gestaltung der Leuchterkrone wieder. Foto: Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 21, S. 77: Synagoge, Worms, 1175. Zwei Säulen stützen die Gewölbe der Männersynagoge. Zwischen den Säulen hat die Bima ihren Ort in der Mitte des Raumes. Die apsidale Rundung in einer der Außenwände markiert den Standort des Toraschreins. Vierzig Jahre später ist der Anbau für Frauen entstanden. Foto: H.-P. Schwartz (Hrsg.), Die Architektur der Synagoge, Stuttgart 1988, S. 62. Abb. 22, S. 78: Synagogenraum Regensburg, 1519, Kupferstich von Albrecht Altdorfer. Zwischen zwei der drei Säulen ist der Standort der Bima. Der Okulus über dem Fenster an der Stirnseite zeigt den Ort des Toraschreins. Foto: Schwartz, a.a.O., S. 80. Abb. 23, S. 85: Altaraufsatz, 1. Hälfte 17. Jahrhundert, Dorfkirche Hohen-Viecheln (Mecklenburg). Der Aufsatz zeigt einen architektonischen Aufbau mit geschnitzten Bildszenen. Auf der Predella ist das Abendmahl Christi mit elf Jüngern dargestellt. Darüber in Rechteckform das von Pilastern flankierte Hauptfeld mit der Darstellung der Kreuzigung. Darüber erhebt sich das von je einer Säule und einem Putto flankierte rechteckige Bildfeld mit dem auferstandenen Christus. Der abschließende Giebel zeigt Gottvater in Halbfigur inmitten von Wolken. Bekrönt wird die Giebelspitze von einer Christusgestalt. Foto: Ev.-Luth. Kirchengemeinde Hohen-Viecheln/Michael Voß. Abb. 24, S. 88: Kanzel, 1588, St. Johanniskirche (ehem. Franziskanerkirche) in Neubrandenburg (Mecklenburg). Die Kanzel aus Kalkstein mit eingelegten Alabasterreliefs, der Schalldeckel aus Holz. Schriftund Bildprogramm stehen exemplarisch für lutherische Kanzeln der Zeit. Der Kanzelkorb wird

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von einer Mosegestalt, mit beiden Händen die zwei Gesetzestafeln haltend, getragen. Auf den Gesetzestafeln ist zu lesen: „Liebet Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst“ (Deut 6,5; Lev 19,18/Lk 10,27). Die aufwendig gearbeitete Kanzel weist an der Treppenbrüstung und am Kanzelkorb Felder mit bildlichen Darstellungen auf, die mit den gemalten Bibelzitaten am jeweiligen Kanzelteil in enger Beziehung stehen. Am Kanzelportal unter einer Darstellung des Weltenrichters: Der Herr behüte deinen Eingang und Ausgang von nun an bis in Ewigkeit (Ps 121,8). Treppenbrüstung: Das ist gewisslich wahr und ein teures Wort, dass Christus Jesus gekommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen, unter welchen ich der vornehmste bin (1 Tim 1,15), darunter ein Bildfeld mit Paulus, die geöffnete Schrift und das Schwert haltend. Gott will nicht, dass jemand verloren werde, sondern dass sich jedermann zur Buße kehre (2 Petr 3,9b), darunter ein Bildfeld mit Petrus (ohne Schlüssel!). Siehe, ich bin als Sünder geboren, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen (Ps 51,7); darunter ein Bildfeld mit König David. Kanzelbrüstung (5 Felder): Sehet zu, tut rechtschaffene Frucht der Buße (Mt 3,8), auf dem Bildfeld darunter eine Evangelistendarstellung mit dem Attribut ‚Engel‘ und der Angabe „MATT: 3. Cap.“. Niemand kann zu mir kommen, es sei ihm denn von meinem Vater gegeben (Joh 6,65b); auf dem Bildfeld darunter eine Christusgestalt mit der Beischrift „VERRA CHRIST“. Auf dass ihr aber wisset, dass des Menschen Sohn Vollmacht hat, zu vergeben die Sünde auf Erden (Mk 2,10); auf dem Bildfeld darunter eine Evangelistendarstellung mit dem Attribut ‚Löwe‘ und der Angabe „MARCI. 2. CAP.“. Denn des Menschen Sohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist (Luk 19,10), auf dem Bildfeld darunter eine Evangelistendarstellung mit dem Attribut ‚Stier‘ und der Angabe „LVK 19“. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben (Joh 6,47); auf dem Bildfeld darunter eine Evangelistendarstellung mit dem Attribut ‚Adler‘ und der Angabe „JOHAN. 6“. Auf einem weiteren Feld der Kanzelverkleidung in der Höhe des Kanzelkorbs: Rufe getrost, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden (Jes 58,1). Darunter eine Inschrift mit Namen und der Jahreszahl 1598. Kanzelrückwand: Selig sind, die das Wort Gottes hören und bewahren (Lk 11,28); darunter in großen Schriftzügen: Wer euch hört, der hört mich; wer euch verachtet, der verachtet mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat (Lk 10,16). Am Fries des Schalldeckels: Predige das Wort, stehe dazu, es sei zur Zeit oder zur Unzeit; weise zurecht, drohe, ermahne mit aller Geduld und Lehre (2 Tim 4,2). Bekrönt wird der Schalldeckel durch ein einfaches Kreuz. Foto: Ev.-Luth. Kirchengemeinde Neubrandenburg St. Johannes/Michael Voß. Abb. 25, S. 91: Herrschaftsgestühl (Grafenempore), 1711, Dorfkirche Basse (Mecklenburg), nördliches Seitenschiff. Über der reich geschmückten Empore mit verglasten Fenstern das Wappen des adeligen Eigentümers. Foto: Ev.-Luth, Kirchengemeinde Basse/Michael Voß. Abb. 26, S. 93: Orgel, 1653–1659, Pfarrkirche St. Marien in Stralsund, Westwand des Mittelschiffs. Über dem Portal zum Turmraum erhebt sich der 20 m hohe Orgelprospekt. Die Orgel besteht aus 3500 Pfeifen von 8 cm bis 9 m Länge. Der Orgelprospekt ist reich geschmückt. Im Mittelpunkt des Hauptwerks steht die Gestalt König Davids als Stammvater geistlicher Musik. Jedes Pfeifenwerk wird von einem Posaune blasenden Engel bekrönt; unterhalb des Gehäuses hängt ein Engel, der eine Fanfare bläst. Sonne, Mond, Sterne und eine geflügelte Weltkugel sind weitere Ziermotive. Zwei Engel umfassen auch das Wappen und die Inschrifttafel mit dem Namen des Orgelbauers „Fried rich Stellwagen“. Foto: Bildarchiv Foto Marburg.

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Abb. 27, S. 95: Taufengel, 1749, Dorfkirche Weisdin (Mecklenburg). Der Engel hält in der rechten Hand ein Spruchband: Wer glaubt und getaufet wird, der wird selig! (Mk 16,16). Mit der linken Hand hält er eine Muschel zur Aufnahme der Taufschale. Foto: Ev.-Luth. Kirchengemeinde Peckatel-Prillwitz/Michael Voß. Abb. 28, S. 97: Epitaph, 1574, Dorfkirche Friedrichshagen (Mecklenburg). Zwischen Texten im Giebel- und im Sockelfeld eine Darstellung des Gekreuzigten. Links und rechts des Kreuzes Sonne und Mond, darunter jeweils ein Familienwappen über der Darstellung der beiden Verstorbenen (durch Initialen identifiziert), links HvB mit den männlichen, rechts KvP mit den weiblichen Familienmitgliedern. Die Inschrift im Sockelfeld hat diesen Inhalt: „Im Jahr 1552 ist selig im Herrn und in wahrer Erkenntnis Gottes und seines Sohnes Jesus Christus entschlafen am Tage Palmarum der edle und fromme Hans von Bülow, und seine selige Ehefrau Katharina von Plessen danach am Abend des Himmelfahrtstages (ascensio) im Jahr 1570, dem Gott gnädig und barmherzig war während seiner langen Lebenszeit (?).“ Die Inschrift im Giebelfeld gibt die Bibelstelle Jes 53,4–5 wieder: Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. Darunter die Jahreszahl 1574. Foto: Ev.-Luth. Kirchengemeinde Gressow-Friedrichshagen/Michael Voß. Abb. 29, S. 101: Frauenkirche in Dresden, 1726–1734 (historische Aufnahme). Der Kuppelbau hat eine Gesamthöhe von 91 m und im rechteckigen Sockelbereich eine Seitenlänge von 42 bzw. 50 m. Gemeinsam mit der Kreuzkirche blieb die Frauenkirche der höchste Kirchenbau in Dresden. Foto: Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 30, S. 102: Marienkirche in Großenhain, Innenraum, 1746–1748. Auf T-förmigem Grundriss erhebt sich der 19 m hohe Innenraum. Altar, Kanzel und Orgel sind an dem Schnittpunkt der Linien übereinander angeordnet. Daneben führen Sakristei und Betstuben dreigeschossig bis zur Brüstung der Orgelempore hinaus. Das Betstubengeschoss umgibt den gesamten Raum. Der Altar wird von halbkreisförmig angeordnetem Gestühl mit Mittelgang umgeben. Foto: SLUB/Deutsche Fotothek/Gerhard Döring. Abb. 31, S. 112: Noorder Kerk in Amsterdam, 1620–1623, Grundriss. Auf achteckigem Grundriss erhebt sich das Kirchengebäude in der Form eines griechischen Kreuzes. Die Decke des Innenraums wird von vier freistehenden Pfeilern getragen. An einem der Pfeiler befindet sich die Kanzel; das Gestühl war im Halbrund, ohne Mittelgang, um die Kanzel herum zwischen den drei weiteren Pfeilern angeordnet. Foto: Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 32, S. 113: Neue Kirche in Emden, 1643–1648; die erste reformierte Predigtkirche Deutschlands. Das Kirchengebäude erhebt sich auf einem T-Grundriss, abgeleitet aus einem griechischen (gleichschenkligen) Kreuz. Auf dem Bild sind zwei der drei T-Arme zu sehen; durch die niedrigeren

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Diagonalbauten wird der Innenraum vergrößert und vereinheitlicht. Die Kanzel hat ihren Ort in der Mitte der einzigen durchlaufenden Wand, also direkt unter dem Turm. In allen drei Armen sind Emporen angeordnet. Foto: Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 33, S. 115: Reformierte Kirche in Weener (Ostfriesland), Innenraum des aus dem 13. Jahrhundert stammenden einschiffigen Kirchengebäudes. Die Kanzel stammt aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und zeigt keinerlei bildliche Darstellung; sie ist in der Mitte der nördlichen Längswand angebracht. Der Kanzel gegenüber öffnet sich der im 19. Jahrhundert angebaute Südarm der Kirche, sodass auch hier ein T-förmiger Grundriss erreicht wird. Die Orgel auf der Empore im Westen wurde 1710 von Arp Schnitger erbaut. Foto: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Fotothek der Bau- und Kunstdenkmalpflege. Abb. 34, S. 120: Simultankirche in Berlin, Lutherisch-Reformierte Kirche auf dem Gendarmenmarkt, 1708, Kupferstich von 1760. Die Simultankirche stellt das bauliche Pendant zu der 1705 ebenfalls auf dem Platz erbauten Französischen Kirche dar. Foto: W. Gottschalk, Altberliner Kirchen in historischen Ansichten, Leipzig 1985, Abb. 99. Abb. 35, S. 123: Jesuitenkirche in Heidelberg, 1712–1759. Die Giebelfassade des dreischiffigen Kirchengebäudes erinnert an die Fassade der Mutterkirche des Jesuitenordens Il Gesù in Rom. Jesuiten kamen 1622 nach Heidelberg, mussten 1648 das Land verlassen und konnten 1698 zurückkehren. Die Jesuitenkirche mit ihrer besonderen Giebelgestaltung ist als monumentaler Ausdruck der Gegenreformation zu interpretieren. Auf der Giebelspitze die Personifizierung der Kardinaltugend des Glaubens mit dem Kreuz, an den Seiten des aufragenden Mittelteils die Personifizierungen der Liebe und der Hoffnung. In der Nische des Mittelteils ist Christus als Erlöser dargestellt, in den Nischen über den Seitenportalen der Ordensgründer Ignatius von Loyola und der Jesuitenmissionar Franz Xaver. Foto: Regierungspräsidium Karlsruhe, Referat 25, Denkmalpflege. Abb. 36, S. 125: Benediktinerabtei Banz (Franken). Die 1070 gegründete Benediktinerabtei wurde von 1698– 1775 völlig neu gebaut. Der große Gebäudekomplex erhöht die Kuppe des Hügels und gipfelt in der hohen Kirchenfront. Konventbau mit Abteibau und die Gebäudeflügel, die den Ehrenhof umgeben, sind deutlich zu erkennen. Torbau, Ehrenhof und die Treppenanlage prägen den fürstlichen Eindruck des Bauensembles. Foto: Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 37, S. 126: Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen (Franken), 1743–1772. Das Kirchengebäude ist anstelle einer kleineren Kapelle errichtet worden. Der Gnadenaltar ist architektonischer Mittelpunkt eines konventionellen basilikalen Grundrisses mit abgeschrägtem Chor und Querschiffarmen, dessen weitere Ausgestaltung ein kunstvolles Gefüge mehrerer ovaler Raumteile entstehen lässt. Die beiden Türme flankieren einen leicht ausschwingenden, mit den Turmgeschossen verbundenen und durchfensterten, giebelgekrönten Mittelteil. Auf der Giebelspitze die Statue Christi, zu bei-

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den Seiten Petrus und Paulus, daneben die Personifizierungen von Glaube und Liebe; im Giebelfeld das Christuskind umgeben von den 14 Nothelfern. Die inmitten bewaldeter Berglandschaft hoch aufragende Doppelturmfassade ist ein markantes Wahrzeichen der Landschaft. Foto: Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 38, S. 128: Katholische Hofkirche Dresden, 1739–1755. Der größte Kirchenbau Sachsens hat einen 86 m hohen Turm und blieb damit unter der Höhe der protestantischen Frauenkirche. Das ovale Hauptschiff mit einer Höhe von 33 m wird von einem zweigeschossigen Umgang umschlossen, an den sich beidseitig ein 10 m breites und 16 m hohes Seitenschiff anschließt. Damit war ausreichend Platz für Prozessionen im Innenraum der Kirche vorhanden. Die Außengestalt der Hofkirche wird durch 78 Statuen bestimmt. Dabei handelt es sich um 74 Statuen von Heiligen (Apostel, Kirchenväter und die Heiligen, die als Schutzpatrone der sächsischen, polnischen, habsburgischen und böhmischen Lande verehrt wurden) und um die Personifizierungen der vier Kardinaltugenden. Die 3,5 m großen Statuen im Erdgeschoss sind in Nischen eingestellt: Im Chorbereich die Kirchenväter Augustinus und Ambrosius, die Evangelisten Matthäus und Johannes links sowie Markus und Lukas rechts des Hauptportals. Darüber die Statuen von Petrus und Paulus in Nischen, umgeben von den frei stehenden Personifizierungen der vier Kardinaltugenden Glaube, Liebe, Hoffnung, Gerechtigkeit. Die weiteren Statuen sind auf den Balustraden der Kirchenschiffe angeordnet. Foto: SLUB/Deutsche Fotothek/Reprod. n. Originalaufnahme. Abb. 39, S. 131: Kirche der (ehemaligen) Prämonstratenserabtei Altenmarkt (bei Osterhofen in Niederbayern), 1726–1740. Auf der Altarmensa der Tabernakel, flankiert von zwei Engeln, einer anbetend, der andere ein Weihrauchgefäß haltend, von einem Kruzifixus bekrönt und von einem Strahlenkranz hinterfangen. Darüber das große Altarblatt mit der Darstellung des Martyriums der heiligen Margaretha von Antiochien, bekrönt von dem Lamm Gottes vor dem Rundfenster. Mit den vier gedrehten Säulen, die das Gemälde flankieren und in Darstellungen der vier Evangelistensymbole münden, wird der auch hier angestrebte Rombezug deutlich. Für die Wirkung der Altargestaltung ist die indirekte Beleuchtung von Bedeutung. Foto: Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 40, S. 138: Synagoge, Ansbach (Franken), Innenraum, 1744–1746. An der Stirnseite des Raumes der über mehrere Stufen erreichbare Toraschrein. Im Zentrum die Bima, zu der von zwei Seiten Stufen hinaufführen. Die Bima hat die Grundform des Achtecks. Von der Balustrade aus wachsen acht gedrehte Säulen in die Höhe, um dann zu einem Achteck mit Verzierungen verbunden zu werden. Auf der Balustrade das Pult (Texa) für die Torarolle bei der Verlesung. Das Gestühl ist einseitig auf die Stirnseite hin orientiert. Je drei große Fenster sowie sechs Leuchter sorgen für eine gute Beleuchtung. An der dem Toraschrein gegenüberliegenden Raumseite die Frauenempore. Foto: Stadt Ansbach. Abb. 41, S. 144: (Schloss-)Kirche in Hohenzieritz (Mecklenburg), 1806. Die Kirche auf kreisförmigem Grundriss und mit parabelförmigem Dach hat einen Durchmesser von 12 m und eine ebensolche Höhe. Das kleine Kirchengebäude ist damit an dem Pantheon in Rom als Vorbild orientiert. Die Eingangsseite wird durch einen flachen Portikus aus vier dorischen Säulen mit Architrav und Dreiecks-

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giebel betont. Zwischen den beiden mittleren Säulen befindet sich das Portal. Die darüber befindliche Inschrift lautet: „DER OEFFENTLICHEN GOTTESVEREHRUNG VON CARL HERZOG ZU MECKLENBURG MDCCCVI“. Die Kuppel war innen mit perspektivischer Kassettenmalerei versehen. Der Raum besitzt eine umlaufende Empore, in die der schlichte Altar eingefügt ist. Foto: Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 42, S. 145: Dorfkirche Wolkenburg (Sachsen), Innenraum, 1794–1804. Das Kirchenschiff ist von einer umlaufenden Empore auf dorischen Säulen umzogen. Der Kanzel gegenüber sind die herrschaftlichen Betstuben angeordnet. Zu beiden Seiten vor dem Altar stehen gusseiserne Engel mit Rauchfass und Schale, hier den Altardienst symbolisierend. Foto: SLUB/Deutsche Fotothek/Manfred Thonig. Abb. 43, S. 147: Friedenskirche, Potsdam-Sanssouci, 1845–1848. Das Kirchengebäude ist Teil eines fünfteiligen Bauensembles, bestehend noch aus Pfarrhaus, Schulhaus, Kreuzgang und Atrium. Dazu kommt der frei stehende Campanile. Als Vorlage für den Kirchenbau diente ein frühchristlich idealisierter Kupferstich der Kirche S. Clemente in Rom. Die Kirche ist eine dreischiffige Basilika mit einer Haupt- und zwei Nebenapsiden. Das Mosaik der Hauptapsis stammt aus einer ruinösen Kirche aus Italien; der Maßstab des gesamten Kirchenbaus musste sich nach diesem Mosaik richten. Die ganze Anlage folgte genau den Vorstellungen des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV., der eine sich malerisch im Wasser spiegelnde Kirche wünschte. So wurden der Friedensteich und der umgebende Park angelegt. Mit dem Namen „Friedenskirche“ wollte der König die Friedenspolitik seines Vaters ehren. Foto: Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 44, S. 151: (Katholische) Pfarrkirche St. Maria in Stuttgart, 1871–1879. Es war der erste katholische Kirchenbau seit der Reformation in Stuttgart. Die dreischiffige Hallenkirche mit Querhaus und der kleeblattartigen Choranlage sowie der Doppelturmfassade ist genau an der Baugestalt der frühgotischen St.-Elisabeth-Kirche in Marburg orientiert. Foto: Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 45, S. 153: (Evangelisch-lutherische) St.-Pauls-Kirche in Schwerin (Mecklenburg), 1863–1869. Eine dreischiffige Hallenkirche mit Querschiff und polygonal geschlossenem Chor, mit Kreuzrippen gewölben gedeckt. Auf der Altarmensa stehen ein Kruzifixus und Altarkerzen; darüber ein neugotischer Altaraufsatz. Foto: Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 46, S. 158: (Protestantische) Ringkirche in Wiesbaden, 1892–1894. Dem Grundriss des Innenraums liegt ein Quadrat zugrunde, an das sich an allen vier Seiten Nischen von der Form eines Achtecks anschließen. Die östliche der Nischen enthält Orgel- und Sängerempore, Kanzel sowie den Altar darunter, im Außenbau erhebt sich darüber die Doppelturmfassade. Foto: Bildarchiv Foto Marburg.

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Abb. 47, S. 162: (Katholische) Wallfahrtskirche St. Ludgerus in Billerbeck, 1892–1898. Das Kirchengebäude wurde auf den Grundmauern eines Vorgängerbaus errichtet. Es handelt sich um einen Kirchenbau des Basilikatypus mit dreischiffigem Langhaus, Querschiff und einem 100 m hohen Turmpaar im Westen. Das Mittelschiff hat eine Höhe von 22,5 m. Der Kirchenraum kann bis zu 4000 Menschen aufnehmen. Foto: Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 48, S. 164: Evangelische Kirche in Bochum-Hamme, 1897 (historische Aufnahme der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kirche). Das neugotische Kirchengebäude mit dem Grundriss eines griechischen Kreuzes und einem Turm war innen ganz im Sinne des Wiesbadener Programms gestaltet. Auf der linken Seite schließt eine Siedlungsbebauung an. Der Kirchhof ist von einer Mauer umgeben und so von den umliegenden Ackerfeldern abgegrenzt. Diagonal gegenüber der Kirche scheint eine Kohlenzeche zu liegen. Im Hintergrund sind hinter einem Schlackeberg die Schornsteine des Unternehmens „Bochumer Verein für Gußstahlfabrikation“ zu erkennen. Links davon Schornsteine und Türme der damaligen Stadt Bochum. Foto: mit Genehmigung der Stadt Bochum, VHS. Abb. 49, S. 172: Erlöserkirche in Essen-Südviertel, 1906–1909 (historische Aufnahme). Foto: Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 50, S. 174: St.-Nikolaus-Kirche in Essen-Stoppenberg, 1906–1907. Foto: Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 51, S. 175: Synagoge in Essen-Stadtkern, 1911–1913. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln. Abb. 52, S. 180: Synagoge in Hannover, 1864–1870 erbaut, 1938 zerstört. In der Giebelbekrönung der Eingangsfassade die zwei Gesetzestafeln. Foto: Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 53, S. 184: Kirchensaal der Brüdergemeine in Herrnhut (Sachsen), 1756–1757. Der Saal hat eine Grund fläche von 34 ҂ 16 m, ist 9 m hoch und gibt 600 Menschen Platz. Das Gebäude hat an den Längsund den Querseiten je vier hohe Fenster, an der Längsseite zusätzlich zwei Türen mit je einer Vorhalle und noch einem Fenster daneben. In der unteren Dachzone befinden sich in der Längsseite je fünf Mansardenfenster, von denen das mittlere größer ist; in der oberen Dachzone drei kleinere Mansardenfenster; darüber ein Dachreiter. Foto: SLUB/Deutsche Fotothek/Reinhold Wendler.

Bilderläuterungen und Abbildungsverzeichnis

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Abb. 54, S. 186: Bethaus der Baptisten in Jever (Ostfriesland), 1858. Im Giebel eine Inschrifttafel: „Mein Haus heißt ein Bethaus allen Völkern Jesaias 56, 7. Erbaut im Jahre Christi 1858“. In dem Gebäude befindet sich ein Gottesdienstraum für 90 Besucher. Foto: Gregor Helms. Abb. 55, S. 193: Katholische Pfarrkirche Heilig Kreuz in Gelsenkirchen-Ückendorf, 1927–1929. Das Bauvorhaben auf dem Grundstück in einer dicht bebauten Straßenfront umfasste das Kirchengebäude sowie zwei an die Straßenfront reichende flankierende Gebäudekomplexe, die sowohl als Geschäftshäuser als auch für Funktionsräume der Pfarrgemeinde genutzt wurden. Der so geschaffene Hofbereich vor der Kirchenfassade ergibt einen Ruhebereich. Dadurch sowie durch die monumental gestaltete Turmfront wird das Kirchengebäude gegenüber der umgebenden Bebauung wirkungsvoll hervorgehoben. Eine Eisenbetonkonstruktion bildet das statische Gerüst; die Fassaden sowohl der Kirchturmfront wie der flankierenden Gebäude sind mit Klinkern verblendet. Eine die gesamte Hofbreite einnehmende Freitreppe führt zu drei Portalen, die angesichts der sich 41 m hoch aufbauenden Turmfront gedrungen wirken. Das mittlere Portal befindet sich mit dem darüber hochaufragenden Fenster in Parabelform in einer tief in die Fassade eingeschnittenen Portalzone. Der hochrechteckige Block der Turmfront verjüngt sich in einer Stufe nach oben hin. Ab hier erheben sich beidseitig zwei schmale Glockentürme. Verbunden werden beide durch den Querbalken eines aus Klinkern gestalteten Kreuzes mit einer ziegelgemauerten Christusfigur. Im verjüngten Teil der Turmfront befindet sich eine Uhr. Die als Fassadenschmuck von Turmfront und Flügelbauten geplanten Apostelfiguren sind als rohe Steinblöcke belassen worden. Über dem Chorraum der Kirche erhebt sich ein viereckiger Chorturm mit zahlreichen Fensteröffnungen und einer expressionistischen Bekrönung deutlich über das Kirchenschiff. Dieses wird innen durch steile Parabelbögen gegliedert. Der Chorraum wird durch den Chorturm indirekt beleuchtet und so herausgehoben. – Die Heilig-Kreuz-Kirche gilt als der bedeutendste expressionistische Kirchenbau im Ruhrgebiet. Foto: Gerald Nanzik. Abb. 56, S. 196: Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin, 1957–1961. Die Turmruine der Kirche von 1895 ist auf zwei Seiten von Neubauten umgeben. Im Vordergrund der 58 m hohe Glockenturm auf sechseckigem Grundriss, rechts davon ein Kapellenbau. Auf der anderen Seite der Turmruine erhebt sich auf achteckigem Grundriss das neue Kirchengebäude. Mit der oktogonalen Grundform wird der Anschluss an eine mehr als tausendjährige Kirchenbauform hergestellt. Alle neuen Bauten weisen ein sichtbares Stahlskelett auf, das mit Betonelementen ausgefacht ist. Die darin befindlichen Wabenöffnungen tragen farbige Gläser. Das neue Kirchengebäude hat eine doppelte Wandkonstruktion mit 2,45 m Zwischenraum. So wird zum einen der Straßenlärm stark gedämpft, zum anderen wird eine indirekte Beleuchtung ermöglicht, in der die besondere Wirkung des Kirchengebäudes bei Dunkelheit nach innen und außen begründet ist. In dem 22 m hohen Kirchenraum gibt es 1000 Plätze. Der Innenraum der Turmruine ist heute ein Mahnmal gegen den Krieg. Foto: Landesarchiv Berlin/Horst Siegmann.

Informationen Zum Buch Dieser illustrierte Überblicksband zum Kirchengebäude bietet eine theologische, liturgische und baugeschichtliche Gesamtdarstellung der Entwicklung des Kirchenbaus von der Antike bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Dabei werden die historischen Entwicklungen in den Bautypen ebenso dargestellt wie die konfessionellen Besonderheiten. So entsteht ein umfassendes Bild der ›religiösen Topographie‹ in Theologie und Geschichte.

Informationen Zum Autor Franz-Heinrich Beyer, geb. 1949, ist Professor für Praktische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum.