Gebrochene Kontinuitäten: Transnationalität in den Erinnerungskulturen Ostmitteleuropas im 20. Jahrhundert 9783412216948, 9783412222567

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Gebrochene Kontinuitäten: Transnationalität in den Erinnerungskulturen Ostmitteleuropas im 20. Jahrhundert
 9783412216948, 9783412222567

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Gebrochene Kontinuitäten

Visuelle Geschichtskultur He­raus­ge­ge­ben von Stefan Troebst und Arnold Bartetzky In Verbindung mit Steven A. Mansbach und Małgorzata Omilanowska Band 13

Agnieszka Gąsior, Agnieszka Halemba, Stefan Troebst (Hg.)

Gebrochene Kontinuitäten Transnationalität in den Erinnerungskulturen Ostmitteleuropas im 20. Jahrhundert

2014 BÖHL­AU VER­LAG KÖLN WEI­MAR WIEN

Gefördert mit Unterstützung des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e. V. an der Universität Leipzig. Das dieser Publikation zugrunde liegende Vorhaben wurde mit den Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01UG0710 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Deutsch-polnische Versöhnungsmesse am 12. November 1989 in Kreisau/Krzyżowa bei Breslau/Wrocław mit Premierminister Tadeusz Mazowiecki und Bundeskanzler Helmut Kohl unter der Figur der hl. Hedwig. Bildquelle: PAP/Grzegorz Rogiński

© 2014 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Wien Weimar Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Lektorat: Wiebke Helm und Brian Donohoe Korrektorat: Patricia Simon Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-22256-7

In h al t Vorwort ...............................................................................................................

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Patrice M. Dabrowski, Stefan Troebst Geschichtspolitik und Erinnerungskulturen in Ostmittel- und Südosteuropa (1791–1989). Ein Überblick ...............................................................................

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Transnationalität in religiösen Erinnerungskulturen – alte Topoi im aktuellen Kontext

Daniela Koleva Saints Cyril and Methodius: From Christian sanctity to (trans)national memory................................................................................................................

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Stefan Rohdewald Im Schatten ihres Schülers Kliment: Kyrill und Method als Medien nationaler Identifikation und internationaler Anerkennung in der (Teil-)Republik Makedonien (1960–2007) ...................................................................................

88

Michaela Schäuble Friedenskönigin, apokalyptische Frau oder Handlangerin nationalistischer Demagogen? Marienkulte und Marienerscheinungen als visuelle Manifestation lokaler Erinnerung an Krieg und Gewalt in Kroatien .........................................

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Agnieszka Halemba The Virgin Marys of Transcarpathia: Marian pilgrimage sites in present-day struggles over ecclesiastical and national identity in the Greek Catholic Eparchy of Mukachevo .......................................................................................

124

Tatiana Podolinská Whose Mary? The Virgin Mary as an ethnic, cultural and religious marker among the Roma in Slovakia ..............................................................................

146

Agnieszka Gąsior Konjunkturen einer Heiligenverehrung. Hedwig von Schlesien in der deutsch-polnischen Geschichte ...........................................................................

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Inhalt

Mirela-Luminiţa Murgescu Multiple roads to sacralisation? Stephen the Great in Communist historical films and his post-Communist sanctification ......................................................

185

Die Verortung der Nation – visuelle Strategien in der Erinnerungspraxis

Małgorzata Morawiec Vom Topos zum Mythos: Das antemurale christianitatis-Verständnis bei Europa-Historikern .............................................................................................

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Anne Cornelia Kenneweg Antemurale christianitatis – eine problematische Denkfigur? Überlegungen zu kroatischen Europa-/Balkan-Diskursen im 20. Jahrhundert ..........................

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Elena Temper Gründungsmythen von Belarus: Großfürstentum Litauen vs. Partisanenrepublik ...............................................................................................

236

Oleksandr Grytsenko Städtischer Raum und Erinnerungskultur der westukrainischen Stadt Truskavec’ ..................................................................................................

246

Jenny Alwart Die Erinnerungskultur der Ukraine: Nationale Diskurse und transnationale Verflechtungen am Beispiel von Taras Ševčenko................................................

266

Izabella Main Commemorations and Memories of Poznań June 1956......................................

277

Dragoș Petrescu Selective memories of Communism. Remembering Ceaușescu’s “socialism” in post-1989 Romania .........................................................................................

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Arnold Bartetzky Die Rekonstruktion der Nation: Der Wiederaufbau zerstörter Baudenkmäler im Dienst der Erinnerungspolitik in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion .....

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Inhalt

7

Dokumentarischer Anhang Stefan Troebst Visuelle Geschichtskultur: Zwischenbilanz eines Forschungsdesigns. Mit Kommentaren von Rudolf Jaworski und Stephanie Schwandner-Sievers..... 333 Abbildungsnachweis ...........................................................................................

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Autorenverzeichnis..............................................................................................

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Vorw ort

Die Erinnerungskulturen der Gesellschaften im Ostmitteleuropa der Gegenwart sind durch Faktoren unterschiedlicher Stärke und Dauer geprägt: durch die politischen, sozialen und ökonomischen Veränderungen seit dem Epochenjahr 1989, durch das Fortwirken der massiven Geschichtspolitik von Partei und Staat in der kommunistischen Ära sowie durch die longue durée von Prägekräften, die bereits in vorkommunistischer Zeit wirksam waren. Charakteristisch dabei ist, dass Elemente der Kontinuität wie „Nation“ und „Kirche“ in aller Regel wirkungsmächtiger waren als Diskontinuitäten wie wechselnde staatliche Zugehörigkeit, administrative und territoriale Veränderungen, ja selbst politische Regimewandel. Hauptgrund dafür ist die bis ins ausgehende 19., gar 20. Jahrhundert hineinreichende imperiale Überformung der Nationalgesellschaften Ostmitteleuropas, in denen die Kirche mit Blick auf die Nation als Funktionsäquivalent des in Mittelalter bzw. Früher Neuzeit versunkenen eigenen Staates diente. Dies ist mit ein Grund für das Vorhandensein augenfälliger transnationaler Gemeinsamkeiten in dieser historischen Meso-Region Europas – Gemeinsamkeiten, die auch und gerade Erinnerungskulturen und Geschichtspolitiken dort formen. In besonderem Maße gilt das für religiös konnotierte lieux de mémoire, vor allem für solche, die sich in unterschiedlichen politischen Kontexten staatlicherund/oder gesellschaftlicherseits aktivieren, gar instrumentalisieren lassen. Zu dieser Kategorie transnationaler Erinnerungsfolien im östlichen Mitteleuropa gehört der von Polen über Kroatien bis Bulgarien präsente antemurale christianitatis-Topos, d. h. die Vorstellung von Nationalgesellschaften, eine Vormauer-Funktion zu erfüllen – des Katholizismus gegen die Orthodoxie, des Christentums gegen den Islam, Europas gegen Asien, des Abendlandes gegen den Orient, ja der Zivilisation gegen die Barbarei. Dazu gehört zudem der nicht nur nationenübergreifende, sondern auch transkonfessionelle Marienkult sowie überdies die gleichfalls Konfessions- und Nationsgrenzen überschreitende Verehrung der „Slavenapostel“ Kyrill und Method, welche religiöse und kulturelle Elemente mit ethnogenetischen und sprachhistorischen verbindet und nicht nur im Bereich der Orthodoxie, sondern auch bei katholischen Slowaken, Polen oder Sorben praktiziert wird. Zwei definitorische Vorbemerkungen erscheinen an dieser Stelle erforderlich: Zum einen wird in diesem Band ein weiter Begriff von Ostmitteleuropa angelegt, wie ihn Oskar Halecki und Jenő Szűcs in ihren gleichnamigen geschichtsregionalen Konzepten begründet haben, entsprechend Nordosteuropa und Südosteuropa mit einbezogen sind. Zum anderen wird im Folgenden mit Klaus Kiran Patel ein „enger“ Begriff von transnationaler Geschichte verwendet, demzufolge das Konzept historischer Transnationalität epochal auf die Späte Neuzeit beschränkt ist und das Transnationale als durch das Nationale konstituiert verstanden wird:

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Vorwort

Transnationale Geschichte umfasst […] all das, was jenseits (und manchmal auch diesseits) des Nationalen liegt, sich aber auch durch dieses definiert – sei es, dass es sich daraus speist oder davon abgrenzt, dass es das Nationale erst konstituiert oder dass es sich um wechselseitige und dynamische Konstruktionsprozesse zwischen dem Nationalen und dem Transnationalen handelt.1

Mit Blick auf das ethnokulturell, religiös und konfessionell sowie sprachlich stark differenzierte, entsprechend (national-)staatlich-kleinräumig organisierte, primär nichtmaritime und folglich kolonienlose Ostmitteleuropa der Zeit nach dem Verschwinden des polnisch-litauischen Commonwealths von der Landkarte Europas 1795 erscheint uns dieser Ansatz adäquater als „breitere“ Transnationalitätskonzepte transkontinentalen, gar globalen Zuschnitts.2 Dass Ostmitteleuropa in Spätantike und Mittelalter eine ökonomisch wichtige Transitregion zwischen Mittelmeerraum und Nordosteuropa bzw. zwischen Asien und Europa war sowie in der europäischen Weltwirtschaft der Frühen Neuzeit eine bedeutsame Rolle gespielt hat, steht dabei auf einem anderen, nämlich vornational-transkontinentalem (und damit eben nicht-transnationalem) Blatt. Im Zeitraum 2006–2011 hat sich eine von Stefan Troebst geleitete und von Agnieszka Gąsior koordinierte interdisziplinäre Projektgruppe des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig (GWZO) in einer Kombination von literaturwissenschaftlichen, kunsthistorischen, kulturgeschichtlichen, slavistischen und ethnologischen Ansätzen sowie in vergleichender Perspektive dem Thema „Zwischen religiöser Tradition, kommunistischer Prägung und kultureller Umwertung: Transnationalität in den Erinnerungskulturen Ostmitteleuropas seit 1989“ gewidmet, um dergestalt prägende Kurz- und Langzeitfaktoren nationaler wie transnationaler Art in den Erinnerungskulturen im Ostmitteleuropa der Nach-„Wende“-Zeit zu ermitteln. Als Ausgangspunkte sowie tertia comparationis zum Abwägen von Kontinuität und Wandel wurden dabei die genannten Topoi Antemurale, Marienkult und Cyrillomethodiana gewählt, deren lange Dauer, Ubiquität, Frequenz in ihrer Verschränktheit – so die Arbeitshypothese – ein meso-regionales Spezifikum und somit ein historisches Strukturmerkmal Ostmitteleuropas darstellen. Als Projektbearbeiterinnen und -bearbeiter des genannten, von 2006 bis 2007 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), danach bis 2010 vom Bundesminis1 Patel, Klaus Kiran: Transnationale Geschichte – ein neues Paradigma? In: geschichte.transnational, 20.02.2005 (http://geschichte-transnational.clio-online.net/forum/type=artikel&id=573 [15. 10. 2013]) und Ders.: Nach der Nationalfixiertheit. Perspektiven einer transnationalen Geschichte. Antrittsvorlesung an der Humboldt-Universität zu Berlin, 12. Januar 2004. Berlin 2004, 4 f. (http://edoc.hu-berlin. de/humboldt-vl/patel-kiran-klaus-2004-01-12/PDF/Patel.pdf [15. 10. 2013]). 2 Vgl. dazu die Übersicht bei Gassert, Philipp: Transnationale Geschichte, Version: 2.0. In: DocupediaZeitgeschichte, 29.10. 2012 (http://docupedia.de/zg/Transnationale_Geschichte_Version_2.0_Philipp_ Gassert?oldid=85577 [15. 10. 2013]).



Vorwort

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terium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierten Forschungsvorhabens fungierten neben dem Historiker Stefan Troebst und der Kunsthistorikerin Agnieszka Gąsior die Ethnologin Agnieszka Halemba, die Literaturwissenschaftlerin Anne C. Kenneweg, die Kulturwissenschaftlerinnen Jenny Alwart und Rumjana MitewaMichalkowa sowie temporär die Kunsthistorikerin Martina Baleva und der Romanist Vasile Dumbrava. Eine enge Kooperation bestand dabei mit den DFG-geförderten und ebenfalls von Stefan Troebst geleiteten GWZO-Projekten „Der ukrainische Dichter Taras Ševčenko als lieu de mémoire von 1960 bis heute“ (2009–2011) und „Visuelle und historische Kulturen Ostmitteleuropas im Prozess staatlicher und gesellschaftlicher Modernisierung seit 1918“ (Schlussphase 2008–2010), welche die Kulturwissenschaftlerin Jenny Alwart bzw. der Historiker Wilfried Jilge bearbeitet haben. Der Letztgenannte hat überdies maßgeblich an der Konzipierung des Projekts mitgewirkt. Darüber hinaus haben Fachkolleginnen und -kollegen aus verschiedenen Disziplinen und Ländern als Gastwissenschaftler des Projekts bzw. im Rahmen interinstitutioneller Kooperationen wichtige Impulse gegeben, darunter Sorin Antohi (The Berendel Foundation London), Raim Beluli (Universität Durrës), Zuzanna Bogumił (Maria-Grzegorzewska-Akademie für Sonderpädagogik Warschau), Juraj Buzalka (Comenius-Universität Bratislava), Gerhard Gnauck (Korrespondent der Zeitung „Die Welt“ in Warschau), Oleksandr Grytsenko (Ukrainisches Zentrum für Kulturstudien Kyiv), Heorhij Kasianov (Nationale Universität Kyïv-Mohyla-Akademie), Yvonne Kleinmann (Universität Leipzig), Ewa Klekot (Universität Warschau), Daniela Koleva (Kliment-Ohridski-Universität Sofija), Bogdan und Mirela-Luminiţa Murgescu (Universität Bukarest), Alvydas Nikžentaitis (Institut für Litauische Geschichte Vilnius), Krzysztof Ruchniewicz (Willy Brandt Zentrum für Deutschland- und Europastudien der Universität Wrocław), Michaela Schäuble (Universität Manchester), Monique Scheer (Eberhard Karls Universität Tübingen), Galina Vălčinova (Bulgarische Akademie der Wissenschaften Sofija) und Nina Vodopivec (Institut für Zeitgeschichte Ljubljana). In diesem Kontext ebenfalls zu nennen ist Stefan Rohdewald (Justus-Liebig-Universität Gießen), dessen Passauer Habilitationsschrift „Götter der Nationen. Serbische, bulgarische und makedonische religiöse Erinnerungsfiguren bis 1944“ gleichsam parallel zu unserem Projekt entstanden ist und in der GWZO-Buchreihe „Visuelle Geschichtskultur“ erscheint. Weitere institutionelle Kooperationspartner wie das Sorbische Institut/Serbski Institut in Bautzen/Budyšin, die Universitäten München, Warschau und Užhorod, die Katholische Universität Lemberg, die Nationale Taras-Ševčenko-Universität in Kyïv, das Polnische Wissenschaftliche Südost-Institut in Przemyśl, das Rumänische Institut für Jüngste Geschichte in Bukarest, das Zentrum für Literatur- und Kulturforschung in Berlin, die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, ebenfalls in Berlin, das Ungarische Institut in München und das Max-Planck-Institut für Ethnologische Forschung in Halle/S. unterstützten die Durchführung von Forschungsarbeiten. Im Rahmen des Projekts wurden 2007 zwei internationale Konferenzen in Bautzen über „Religious Tradition, Communism and Cultural Reevaluation: Transnationalism

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Vorwort

in Post-1989 Eastern European Cultures of Remembrance“3 und München zu „Maria in der Krise. Gesellschaftspolitische Instrumentalisierung einer religiösen Symbolfigur zur Zeit der Konfessionalisierung und im postkommunistischen Transformationsprozess in Ostmitteleuropa“4 durchgeführt, desgleichen ein thematisches Panel mit dem Titel „Memory and Religion in Post-‘89 Eastern Europe: A Transnational Perspective“ auf der 39. Jahreskonferenz der American Association for the Advancement of Slavic Studies (AAASS) in New Orleans, das in einem programmatischen Themenheft der „Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung“ resultierte.5 Aus dem Projekt sind außerdem mehrere Qualifikationsarbeiten6, weitere einschlägige Publikationen7 sowie das von Stefan Troebst geleitete und von Agniezska Gąsior koordinierte 3 Siehe dazu den Tagungsbericht von Stephanie Schwandner-Sievers in: H-Soz-u-Kult, 11. 02. 2008 (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1907 [15. 10. 2013]). 4 Siehe dazu den erweiterten Tagungsband Maria in der Krise. Kultpraxis zwischen Konfession und Politik in Ostmitteleuropa. Hg. v. Agnieszka Gąsior. Köln-Weimar-Wien 2014 (Visuelle Geschichtskultur 10) sowie den Tagungsbericht von Monique Scheer in: H-Soz-u-Kult, 18.  10.  2007 (http:// hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1734 [15. 10. 2013]). 5 Marienkult, Cyrillomethodiana und Antemurale. Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa vor und nach 1989. Hg. v. Anne C. Kenneweg und Stefan Troebst. Marburg/L. 2008 (Themenheft der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 57 [2008] 3, 287–385). 6 Alwart, Jenny: Mit Taras Ševčenko Staat machen. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in der Ukraine vor und nach 1991. Köln-Weimar-Wien 2012 (Visuelle Geschichtskultur 8); Temper, Elena: Belarus verbildlichen. Staatssymbolik und Nationsbildung seit 1990. Köln-Weimar-Wien 2012 (Visuelle Geschichtskultur 7); Baleva, Martina: Bulgarien im Bild. Die Erfindung von Nationen auf dem Balkan in der Kunst des 19.  Jahrhunderts. Köln-Weimar-Wien 2012 (Visuelle Geschichtskultur 6); Halemba, Agnieszka: The Politics of Religious Life: Apparitions of the Virgin Mary in Transcarpathian Ukraine. Budapest 2014 (Leipzig Studies on the History and Culture of East-Central Europe 2). 7 Halemba, Agnieszka: National, transnational or cosmopolitan heroine? Virgin Mary’s apparitions in contemporary Europe. In: Ethnic and Racial studies 34 (2011) 3, 454–470; Gąsior, Agnieszka: Die Gottesmutter. Marias Stellung in der religiösen und politischen Kultur Polens. In: Die Renaissance der Nationalpatrone. Erinnerungskulturen in Ostmitteleuropa im 20./21.  Jahrhundert. Hg. v. Stefan Samerski. Köln-Weimar-Wien 2007, 77–98; Kenneweg, Anne Cornelia: Antemurale Christianitatis. In: Europäische Erinnerungsorte 2. Das Haus Europa. Hg. v. Pim den Boer u.  a. München 2012, 73–81; Temper, Elena: Der 17.  September. Tag der Wiedervereinigung des belarussischen Volkes? Historiographie und Geschichtspolitik. In: Der Hitler-Stalin-Pakt 1939 in den Erinnerungskulturen der Europäer. Hg. v. Anna Kaminsky, Dietmar Müller und Stefan Troebst. Göttingen 2011 (Moderne europäische Geschichte 1), 239–259; Baleva, Martina: Arte e coscienza nazionale nell’area balcanica: il caso della Bulgaria. In: Contemporanea 12 (2009) 4, 703–716; Troebst, Stefan: Pamięć o dyktaturach i kultura historyczna w Europie Wschodniej i Południowej. Zestawienie ujęć porównawczych [Diktaturerinnerung und Geschichtskultur in Ost- und Südeuropa. Übersicht vergleichender Ansätze]. In: Przegląd Historyczny 102 (2011) 1, 117–154; Ders.: Budapest oder Batak? – Postkommunistische Erinnerungskulturen im östlichen Europa. In: Totalitarismus und Transformation. Defizite der Demokratiekonsolidierung in Mittel- und Osteuropa. Hg. v. Uwe Backes, Tytus Jaskułowski und Abel Polese. Göttingen 2009 (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung 37), 335–342; Ders.: Erinnerungskultur – Kulturgeschichte – Geschichtsregion. Ostmitteleuropa in Europa. Stuttgart 2013 (Forschungen zur Geschichte des östlichen Mitteleuropa 43); Transnationale Erinnerungsorte. Nord- und südeuropäische Perspektiven. Hg. v. Bernd Henningsen, Hendriette Kliemann-Geisinger und Stefan Troebst. Berlin 2009 (The Baltic Sea Region: Nordic Dimensions – European Perspectives 10); Verflochtene Erinnerungen. Polen und seine Nachbarn im 19. und



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BMBF-geförderte Folgeprojekt „Post-Panslavismus. Slavizität, Slavische Idee und Antislavismus im 20. und 21.  Jahrhundert“ hervorgegangen, das gleichfalls erinnerungskulturell relevante Veröffentlichungen hervorgebracht hat.8 Der vorliegende Band ist in drei Teile gegliedert. Dabei stehen die drei Topoi Antemurale, Marienkult und Cyrillomethodiana beispielhaft für den Anteil der religiösen Kulturen an den nationalen Formierungs- und Selbstvergewisserungsprozessen, auf die sich der erste Teil konzentriert. Es sind religiöse Symbole, die durch ihre Verankerung in der christlichen Tradition eine doppelte Relevanz für Ostmitteleuropa besitzen: Sie sind dort in historischer Perspektive Bestandteile der nationalen Erinnerungskulturen, weisen aber gleichzeitig durch ihre Zugehörigkeit zu einem übergeordneten Bezugsrahmen über die nationale Dimension hinaus. Der einleitende Text von Patrice Dabrowski und Stefan Troebst fungiert dabei primär als Präludium, nimmt er doch die „Vorgeschichte“ vom Ende des 18. bis zum ausgehenden 20. Jahrhundert in den Fokus. Untersucht werden dabei neben genuin nationalen Faktoren, welche die Erinnerungskulturen Ostmitteleuropas von den Teilungen Polens bis zum Ende des Kalten Krieges prägten (und in nicht unbeträchtlichem Maße weiterhin prägen), auch und gerade solche supranational-imperialer, transnational-religiöser und internationalideologischer Art. In ihre Analyse der Geschichtspolitik staatlicher und kirchlicher Instanzen beziehen sie die Wirkungen auf die jeweiligen Nationalgesellschaften, die teils verstärkender, teils widerständiger Art waren, ein. Geschichtspolitik staatlicher wie staatsnaher Akteure stellt sich ihnen dabei als zentraler Prägefaktor nationaler Erinnerungskulturen dar – neben deutlich schwächeren von zivilgesellschaftlichen Einflüssen sowie dem Familiengedächtnis und individueller Erfahrung.9 Im Ergebnis konstatieren sie, dass starke Kontinuitätslinien von „1989“ in die Zwischenkriegszeit und ins 19.  Jahrhundert führen, und dass überdies geschichtspolitische „Innovationen“ der kommunistischen Ära durchaus weiterwirken – was in den Beiträgen anderer Bandautoren Bestätigung findet. Anhand der Verehrung der „Slavenapostel“ Kyrill und Method illustrieren Daniela Koleva und Stefan Rohdewald, wie unterschiedliche Nationen diese transnational-religiösen Figuren in die jeweils eigene Geschichtspolitik einbinden. Auch die atheistisch geprägte Geschichtspolitik des Staatssozialismus suchte durch Rückgriffe auf die beiden Heiligen die eigene Legitimität zu stärken. Solche Vereinnahmungen 20.  Jahrhundert. Hg. v. Martin Aust, Krzysztof Ruchniewicz und Stefan Troebst. Köln-WeimarWien 2009 (Visuelle Geschichtskultur 3). 8 Gemeinsam einsam. Die Slawische Idee nach dem Panslawismus. Hg. v. Agnieszka Gąsior u. a. Berlin 2009 (Themenheft der Zeitschrift Osteuropa 59 [2009] 12); Post-Panslavismus. Slavizität, Slavische Idee und Antislavismus im 20. und 21. Jahrhundert. Hg. v. Agnieszka Gąsior, Lars Karl und Stefan Troebst. Göttingen 2014 (Moderne europäische Geschichte 8). 9 Vgl. dazu den definitorischen Versuch bei Troebst, Stefan: Geschichtspolitik. Politikfeld, Analyserahmen, Streitobjekt. In: Geschichtspolitik in Europa seit 1989. Deutschland, Frankreich und Polen im internationalen Vergleich. Hg. v. Etienne François u.  a. Göttingen 2013 (Moderne europäische Geschichte 3), 15–34.

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Vorwort

konnten, wie Koleva zeigt, zur Folge haben, dass religiöse Symbole ihre Sakralität einbüßten. Mirela-Luminiţa Murgescu berichtet in ihrem Beitrag wiederum von einer gegenläufigen Entwicklung, die insbesondere nach 1989 einsetzte: Der Bedeutungsgewinn der Religion äußerte sich nicht zuletzt in den Bemühungen, nationalen Helden religiöse Legitimation zu verleihen. Dass solche Vereinnahmungsprozesse unter wechselnden politischen Systemen einem Wandel unterlagen, beleuchtet Agnieszka Gąsior am Beispiel der hl. Hedwig, die einerseits von Polen und Deutschen national vereinnahmt wurde und wird, andererseits aber aufgrund ihrer stärker regionalen denn nationalen Identität als gleichsam übernationale Verständigungsfigur wirkt. Die Heiligenverehrung spielte nicht nur in den nationalen Selbstverständigungsund innergesellschaftlichen Aussöhnungsprozessen eine wichtige Rolle und war dem Aufbau übernationaler Netzwerke dienlich, sondern konnte im Gegenteil auch zu binnennationalen Spaltungen, etwa entlang ethnischer, regionaler oder politischer Grenzen, führen, wie Agnieszka Halemba, Tatiana Podolinská und Michaela Schäuble in ihren Beiträgen am Beispiel der Muttergottes aufzeigen. Unabhängig von ihrer transnationalen Gültigkeit wird Maria nicht nur national konnotiert, beispielsweise als „Königin“ von Polen oder Kroatien, sondern auch als Vertreterin partikulärer Gruppen und ihrer Interessen in Anspruch genommen. Solche Vereinnahmungen/Umkodierungen sind in besonderer Weise auf konkrete Visualisierungen der Heiligen bezogen, wobei einzelnen bildlichen Repräsentationen eigene Identitäten zuerkannt werden. In diesem Sinne besitzt Maria als Symbolfigur die Fähigkeit, die Legitimität nationaler, politischer und anderer gesellschaftlicher Ordnungen infrage zu stellen. Der zweite Teil des Sammelbandes spürt den Strategien in nationalen Identitätsstiftungsprozessen und ihren visuellen Manifestationen nach. Den Auftakt machen zwei Beiträge, die den Antemurale-Topos aus unterschiedlichen Blickwinkeln analysieren. Małgorzata Morawiec gibt einen historischen Überblick über die nationalen Selbstverortungen im Verhältnis zur Idee der europäischen Einheit am Beispiel der Historikerdiskurse. Hingegen verdeutlicht Anne Cornelia Kenneweg, wie in der kroatischen Gegenwartsliteratur das Selbstbild der Vormauer in seiner diskursiven Verwendung zum Gradmesser von Haltungen gegenüber Europa wird, die zwischen Integration und Abgrenzung oszillieren. Eine andere Strategie der Selbstverortung diagnostiziert Elena Temper anhand der Staatssymbolik für Belarus, das seine Legitimation ausschließlich auf der Grundlage einer historischen Zugehörigkeit zu einer größeren politischen Einheit – zur Sowjetunion, zuvor zu Russland und davor zum Großfürstentum Litauen – konstruiert. In der „zweigeteilten“ Ukraine, in der die auf Habsburgermonarchie bzw. auf das Russische Reich bezogenen Erinnerungskulturen miteinander konkurrieren, wurde Jenny Alwart zufolge der Nationaldichter Taras Ševčenko in sowjetischer wie post-sowjetischer Zeit zum übergreifenden Symbol einer Identitäts- und Geschichtspolitik, dessen Gültigkeit erst jüngst auf den Prüfstand gestellt wird. Ziel nationalstaatlicher Geschichtspolitik ist aber nicht nur das kollektive Erinnern, sondern mit Ernest Renan gesprochen auch dessen Kehrseite, das Vergessen. Mit der verdrängten Bau- bzw. Lebenskultur sowie ihren Reaktivierungen setzen sich



Vorwort

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aus verschiedenen Blickwinkeln Arnold Bartetzky, Dragoş Petrescu, Izabella Main und Oleksandr Grytsenko in ihren Beiträgen auseinander. Während Bartetzky die Rekonstruktion von Nationen am Wiederaufbau ihrer zerstörten Denkmäler und den damit verbundenen Diskursen festmacht, untersucht Grytsenko die urbanistischen und symbolischen Transformationen eines ukrainischen Kurortes unter wechselnden nationalen Einflüssen. Hier werden Rückgriffe auf frühere architektonische Lösungen mit aktuellen Bedeutungen überschrieben. Main wiederum schildert das Scheitern des Versuchs, durch die Errichtung einer zentralen Gedenkstätte die geteilten Erinnerungen an ein historisches, jedoch lange Zeit verdrängtes Ereignis zu vereinen. Eine andere Perspektive auf die Wiederkehr der Erinnerung eröffnet der Beitrag von Petrescu. Er schildert das Revival des Staatssozialismus im Alltagskonsum, das aktuell in der rumänischen Öffentlichkeit Weichen für eine Auseinandersetzung mit der kommunistischen Vergangenheit des Landes stellt. Verbindend für alle Beiträge ist die besondere Berücksichtigung der Rolle von Visualität und visuellen Manifestationen in den Geschichts- und Erinnerungskulturen Ostmitteleuropas. Der maßgeblich am GWZO entwickelte Forschungsansatz „Visuelle Geschichtskultur“10 wird in dem im Anhang dokumentierten und von Rudolf Jaworski sowie Stephanie Schwandner-Sievers kommentierten, mittlerweile bereits „historischen“ Beitrag von Stefan Troebst aus dem Jahr 2009 erörtert. Die Herausgeber sind an erster Stelle den Bandbeiträgern zu Dank für die Mitwirkung an dieser Publikation verpflichtet. Gleichfalls gedankt sei Wiebke Helm und Brian Donohoe für Lektorat und Redaktion der deutschen bzw. englischen Texte, Jenny Alwart und Andreas R. Hofmann für Übersetzungen aus dem Ukrainischen und Englischen, Harald Liehr und Sandra Hartmann vom Böhlau Verlag für die bewährte Zusammenarbeit und nicht zuletzt der GWZO-Administration, hier Antje Schneegaß und Anja Fritzsche, für die verlässliche Unterstützung bei der Realisierung dieser Veröffentlichung. Ein besonderer Dank geht an DFG und BMBF für die großzügige Projektförderung sowie für die Übernahme der Herstellungs- und Druckkosten dieses Bandes. Das Foto auf dem Buchumschlag ist während der sogenannten Versöhnungsmesse in Krzyżowa, dem vormals deutschen Kreisau, am 12. November 1989 aufgenommen worden. Es zeigt den ersten nicht-kommunistischen Ministerpräsidenten Nachkriegspolens, Tadeusz Mazowiecki, und den bundesdeutschen Kanzler Helmut Kohl – dies allerdings nicht, wie auf den weithin bekannten Fotomotiven, in ungelenker Umarmung vor der polnischen und bundesdeutschen Nationalflagge, sondern kniend und betend in der Kirche des niederschlesischen Dorfes. Vorausgegangen war eine bilaterale Kontroverse über den Ort der Versöhnungsgeste: Die bundesdeutsche Seite hatte den eher für deutsch-polnischen Konflikt denn Konsens stehenden katholischen Wallfahrtsort Góra Świętej Anny/St. Annaberg in Oberschlesien vorgeschlagen. Warschau 10 Troebst, Stefan: Ansätze: Visuelle Geschichtskultur. In: Mitropa. Jahresheft des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) 1 (2010), 62 f.

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lehnte diesen Vorschlag ab, da man negative Reaktionen der polnischen Öffentlichkeit befürchtete. Die Wahl fiel schließlich auf Krzyżowa/Kreisau. Den beiden Akteuren waren die multiplen erinnerungskulturellen wie religiösen Bezüge von Kirche, Dorf und Gut Krzyżowa/Kreisau sicherlich präsent. Ob dies auch bei der Mehrheit der Polen und Deutschen der Fall war, erscheint jedoch fraglich. Der kleine Ort steht in engem Zusammenhang mit den Urhebern des Attentats auf Hitler vom 20. Juli 1944 und wird mit dem maßgeblich daran beteiligen Kreisauer Kreis um Helmuth James Graf von Moltke, dem damaligen Besitzer des Gutes, assoziiert. Im kommunistischen Polen fanden der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Allgemeinen und der Kreisauer Kreis im Besonderen keinerlei Erwähnung. Insofern war die Ortswahl ein geradezu idealer Kompromiss, wurde somit doch der Erinnerungsort St. Annaberg, der für den erbitterten Kampf der polnischen Freiwilligen um Wojciech Korfanty im Jahr 1921 gegen den aus deutschen Freikorps gebildeten „Selbstschutz Oberschlesien“ steht, umgangen. Und mit Kreisau wurde aus der Perspektive Bonns ein in der eigenen Öffentlichkeit kommunizierbarer, da positiv besetzter und symbolträchtiger, wenngleich nicht sonderlich bekannter lieu de mémoire gewählt. Die beiden Politiker beteten bei der Zeremonie gemeinsam zu Füßen der hl. Hedwig. Die Heiligenfigur war eigens für die Versöhnungsmesse in der Kirche aufgestellt worden. Im Spätmittelalter galt die in Bayern geborene Heilige als „größte Wohltäterin des polnischen Volkes“ und figurierte in polnisch-piastischer Zeit, aber auch in den böhmischen, habsburgischen, preußischen, deutschen und „volkspolnischen“ Epochen und Perioden an Ober- und Mittellauf der Oder als Regionalheilige Schlesiens. Insofern belegt das Foto neben der mehrfach gebrochenen Kontinuität in der spannungsreichen Beziehungsgeschichte von Polen und Deutschen auch die überzeitliche Wirkung zumal religiöser Erinnerungsfiguren und -orte sowie nicht zuletzt die Dimension des Transnationalen in den Erinnerungskulturen Ostmitteleuropas. Warschau und Leipzig, im November 2013 Agnieszka Gąsior, Agnieszka Halemba und Stefan Troebst

G e s c hi c h t sp ol i t i k u n d Eri nne rungsk ulture n in Os t m i t t el - u n d Sü d ost eu r opa ( 1791–1989) * Ein Überblick

Patrice M. Dabrowski und Stefan Troebst Es sind die sieben Ps, die darüber befinden, was kollektiv, was als Kollektiv zu erinnern sei: die Professoren, die Politiker, die Priester, die Pädagogen, die Poeten, die Publizisten und die PR-Spezialisten. Reinhart Koselleck, 20061

Begrifflichkeit und Forschungsstand Von Herrschern und Beherrschten gleichermaßen wurde und wird „Geschichte“ als politisches Argument benutzt und missbraucht. Beides geschieht vor allem, um Legitimität zu produzieren und kollektive Identität herzustellen, um Macht abzusichern oder umgekehrt dagegen mobil zu machen. Seit dem Erscheinen von Howard Zinns richtungsweisendem Buch „The Politics of History“ von 1970 und dem deutschen „Historikerstreit“ der 1980er-Jahre sprechen Politologen, Soziologen und Historiker von „Geschichtspolitik“,2 wenn es um diese Kombination aus politischer Konzeption und Strategie bei dem für die breitere Öffentlichkeit gedachten Einsatz von Geschichte ging.3 Geschichtspolitik ist dabei nicht ausschließliches Produkt von Poten* Dieser Beitrag basiert auf zwei englischsprachigen Vorarbeiten der Autoren: Troebst, Stefan: Politics of History and Cultures of Remembrance in Southeastern Europe, 1800–1945. In: Ders.: Erinnerungskultur – Kulturgeschichte – Geschichtsregion. Ostmitteleuropa in Europa. Stuttgart 2013 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 43), 61–76; Dabrowski, Patrice M./Troebst, Stefan: Uses and Abuses of the Past (18th Century to 1989). In: The Routledge History of East Central Europe since 1700. Hg. v. Irina Livezeanu und Árpád von Klimó. Abingdon (im Erscheinen). – Fikret Adanır (Istanbul), Melissa Bokovoy (Albuquerque), Merih Erol (Istanbul), Sabina Ferhadbegović (Jena), Andreas R. Hofmann (Leipzig), Árpád von Klimó (Washington) und Irina Livezeanu (Pittsburgh) sei für Hinweise, Kritik und Materialien gedankt. 1 Koselleck, Reinhart: Der 8. Mai zwischen Erinnerung und Geschichte. In: Erinnerung und Geschichte. 60  Jahre nach dem 8. Mai 1945. Hg. v. Rudolf von Thadden und Steffen Kaudelka. Göttingen 2006 (Genshagener Gespräche 9), 13–24. Hier zit. n. der Fassung in Ders.: Vom Sinn und Unsinn der Geschichte. Aufsätze und Vorträge aus vier Jahrzehnten. Hg. v. Carsten Dutt. Berlin 2010, 254–265, hier 258. 2 Zinn, Howard: The Politics of History. Urbana-Champaign, IL 1970; Augstein, Rudolf u. a.: „Historikerstreit“. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung. München-Zürich 1987. 3 Troebst, Stefan: Geschichtspolitik. Politikfeld, Analyserahmen, Streitobjekt. In: Geschichtspolitik in Europa seit 1989. Deutschland, Frankreich und Polen im internationalen Vergleich. Hg. v. Etienne

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taten, Präsidenten, Regierungen und anderen staatlichen Instanzen, sondern auch und gerade von politischen Parteien und Bewegungen, von Kirchen, Gewerkschaften, Unternehmen, Medien und anderen Prägekräften, darunter mit Einschränkung auch die Geschichtswissenschaft. Gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Akteuren wie Opfergruppen oder Aufarbeitungsinitiativen, mit dem Familiengedächtnis und individueller Rekollektion formen all diese Faktoren die Erinnerungskultur einer Gesellschaft.4 Geschichtspolitik reicht dabei weit in die Vergangenheit zurück. Die mittelalterliche Doktrin des Gottesgnadentums der Könige wirkt bis heute als dynastisches Recht zur Legitimation wenn nicht von politischer Herrschaft, so doch von Monarchien fort. Im 19. Jahrhundert entwickelten Politik und politische Öffentlichkeit gleichermaßen das Konzept „historischer Rechte“, mit dem besonders die Nations- und Staatsbildung samt entsprechenden Territorialansprüchen unterstützt werden sollten. Dynastische Herrscher, aber auch gewählte Regierungen und Präsidenten, politische Parteien, religiöse Institutionen, Behörden, Organisationen der Bürgergesellschaft, Medien, Gewerkschaften, Künstler u. a. konzipieren und betreiben Geschichtspolitik zu ihren jeweiligen Zwecken. Denkmäler, Feiertage, Jubiläen, öffentliche Feiern, historische Stätten, Museen, Ausstellungen, Schauspiele und Opern, ganz zu schweigen von nationalen, religiösen, regionalen und kulturellen Symbolen, Heiligenkulten und Kriegshelden kommen allesamt in dieser Absicht zum Einsatz. Politische Aktivitäten dieser Art wirken in der Erinnerungskultur von Gesellschaften in Kombination mit der Überlieferung innerhalb der Familie, aber auch mit öffentlicher oraler Erzähltradition, Folklore, Literatur, den bildenden Künsten und Geisteswissenschaften. Das gilt besonders für nationale Gesellschaften, doch ebenso für ethnische Gruppen, Angehörige einer Sprachgemeinschaft, die Einwohner bestimmter Regionen und für spezifische soziale, berufliche, religiöse, kulturelle und ähnliche Gemeinschaften. In Ostmittelund Südosteuropa bildeten die Kategorien „Religion“ und „Konfession“, später auch „Nation“ und „Sprache“ sowie schließlich „Staat“ einen konzeptionellen Rahmen für Geschichtspolitik – mit der Folge der Herausbildung nationaler Erinnerungskulturen bei Präsenz transnationaler Elemente. Das Überdauern der Reiche von Osmanen, Habsburgern, Hohenzollern und Romanovs bis in das 20. Jahrhundert und der dadurch bedingte späte Beginn der NatioFrançois u. a. Göttingen 2013 (Moderne europäische Geschichte 3), 15–34; Becker, Manuel: Geschichtspolitik in der „Berliner Republik“. Konzeptionen und Kontroversen. Wiesbaden 2013, bes. 29–201; Hahn, Hans Henning: Geschichtspolitik und binationale Beziehungen. Plädoyer für einen erinnerungspolitischen Verhaltenskodex. In: Deutsch-Polnische Erinnerungsorte. Bd. 4: Reflexionen. Hg. v. Hans Henning Hahn und Robert Traba. Paderborn u. a. 2013, 159–173; The Convolutions of Historical Politics. Hg. v. Alexei Miller und Maria Lipman. Budapest-New York, NY 2012; Wolfrum, Edgar: Geschichtspolitik. In: Kleines Lexikon der Politik. Hg. v. Dieter Nohlen und Florian Grotz. München 52011 [12001], 207–210. 2010 wurde überdies ein einschlägiges Jahrbuch gegründet: Jahrbuch für Politik und Geschichte 1 (2010) (Themenband „Historische Gerechtigkeit. Geschichtspolitik im Vergleich“). 4 Troebst, Geschichtspolitik (wie Anm. 3), 27–29; Cornelissen, Christoph: Erinnerungskulturen, Version: 2.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 22. 10. 2012 (http://docupedia.de/zg/Erinnerungskulturen_Version_2.0_Christoph_Corneli.C3.9Fen?oldid=84892 [13. 09. 2013]).



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nalstaatsbildung dort liefern Erklärungen dafür, wieso im östlichen Europa die Konzepte von „Nation“ und „Religion“ so eng miteinander verknüpft sind. Bevor hier souveräne Nationalstaaten existierten, wurden deren Aufgaben von Nationalkirchen übernommen. Anders ausgedrückt, noch bevor dort der Staat als Bewahrer der Nation auftreten konnte, fungierte die Kirche als ihr Hüter, so bei Rumänen, Bulgaren, Griechen, Serben, Kroaten und Polen, wenn auch bei Letzteren in geringerem Grade. Eine Ausnahme von dieser Regel bildet das multireligiöse muslimisch-orthodox-katholische Albanien, wo „das Albanertum die Religion des Albaners ist“, wie der albanische Schriftsteller und Politiker Pashko Vasa 1880 schrieb.5 Die Geschichtswissenschaft geht davon aus, dass sowohl Gedächtnis als auch Geschichte Konstrukte sind. Das erste größere Werk dazu war Eric Hobsbawms und Terence Rangers Aufsatzsammlung „The Invention of Tradition“ von 1983.6 Dieser Titel hob den damals noch neuen Gedanken ins Bewusstsein, dass viele Staatsrituale, wie z.  B. britische Krönungen, oder Nationalsymbole, wie die angeblich den Clan bezeichnenden schottischen Tartans, die gemeinhin als altehrwürdige Traditionen gelten, in Wahrheit oft erst im 19. Jahrhundert kreiert wurden. Was Gedenkfeiern betrifft, so ist die einschlägige Literatur sehr umfangreich. Besonders wichtig für Zentraleuropa ist der Sammelband „Staging the Past: The Politics of Commemoration in Habsburg Central Europe, 1848 to the Present“7, dessen Autoren auf hilfreiche Konzeptionen wie u. a. die von Pierre Nora popularisierten lieux de mémoire zurückgreifen.8 Die Forschungslücke zu Südosteuropa füllt Claudia Webers richtungsweisende Studie zur Geschichtspolitik der bulgarischen Regierungen und der damit teils kongruenten, teils aber widersprüchlichen Erinnerungskultur der bulgarischen Gesellschaft, nachgezeichnet von der Gründung des Fürstentums Bulgarien 1878 bis zur kommunistischen Machtübernahme 1944.9 Arbeiten wie diese legen die Schlussfolgerung nahe, dass die historische Erinnerung zwar konstruiert sein mag, die Konstruktion als solche jedoch nicht aus einem Vakuum schöpft, sondern auf einer realen physischen oder historischen Grundlage beruht.10 5 Zit. n. Lubonja, Fatos: Between the Glory of a Virtual World and the Misery of a Real World. In: Albanian Identities. Myth and History. Hg. v. Stephanie Schwandner-Sievers und Bernd J. Fischer. London 2002, 91–103, hier 92. Neben dem sunnitischen Islam gilt in Albanien das gleichfalls muslimische Bektaschitum als „vierte Religion“. 6 The Invention of Tradition. Hg. v. Eric Hobsbawm und Terence Ranger. Cambridge-New York 1983 (Past and Present Publications). 7 Staging the Past: The Politics of Commemoration in Habsburg Central Europe, 1848 to the Present. Hg. v. Maria Bucur und Nancy M. Wingfield. West Lafayette, IN 2001 (Central European Studies). Allgemeiner hierzu: Commemorations: The Politics of National Identity. Hg. v. John R. Gillis. Princeton, NJ 1994. 8 Les lieux de mémoire. Hg. v. Pierre Nora. Bde. 1–7. o. O. [Paris] 1986–1992. Deutsche Teilübersetzung: Erinnerungsorte Frankreichs. Hg. v. Pierre Nora. München 2005. 9 Weber, Claudia: Auf der Suche nach der Nation. Erinnerungskultur in Bulgarien von 1878–1944. Berlin 2006 (Studien zur Geschichte, Kultur und Gesellschaft Südosteuropas 2). 10 Eine ähnliche Feststellung hat Miroslav Hroch zum Verhältnis von Konstruktion und Realien bezüglich „Nation und Nationalbewusstsein (oder nationaler Identität und Nationalismus)“ getroffen. Vgl.

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Inzwischen hat der Gedächtnisboom auch die Geistes- und Sozialwissenschaften in Ostmittel- und Südosteuropa erreicht. Jan Assmann formulierte noch 1997 die vorsichtige Hypothese: „Alles spricht dafür, daß sich um den Begriff der Erinnerung ein neues Paradigma der Kulturwissenschaft aufbaut […].“11 Diese Annahme hat unterdessen auch für Historiker, Sozialanthropologen und Soziologen von Estland bis Montenegro immer mehr Gültigkeit. Ein Schwerpunkt liegt bislang vor allem auf der Erkundung der Geschichtspolitik der kommunistischen Ära, wobei oral history als Methode zur Geltung kommt.12 Die von Gavriel D. Rosenfeld so bezeichnete „memory ‘industry’“13 hat sich jedoch nicht primär innerhalb, sondern außerhalb des Wissenschaftsumfeldes entwickelt, und zwar in Gestalt von TV-Serien, Kinofilmen oder Romanen,14 vor allem aber in Form von stetigen Neugründungen historischer Museen in der Funktion von „Identitätsfabriken“15. Polen liefert dafür ein Extrembeispiel, das aber nicht untypisch für die Gesamtregion ist. Das „Museum des Warschauer Aufstands von 1944“ hat 2004 seine Tore geöffnet, und das „Museum der Geschichte der polnischen Juden“ wird 2014 eröffnet werden. Noch im Bau sind das „Museum der Geschichte Polens“ in Warschau-Mokotów sowie das „Museum des Zweiten Weltkriegs“ und das „Europäische Solidaritätszentrum“, das an die Gewerkschaft Solidarność erinnert, beide in Gdańsk/Danzig. In typologischer Hinsicht

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Hroch, Miroslav: Real and constructed: the nature of the nation. In: The State of the Nation. Ernest Gellner and the Theory of Nationalism. Hg. v. John A. Hall. Cambridge 1998, 91–106, hier 104. Vgl. auch Ders.: Das Europa der Nationen. Die moderne Nationsbildung im europäischen Vergleich. Aus dem Tschechischen von Eližka und Ralph Melville. Göttingen 2005 (Synthesen. Probleme europäischer Geschichte 2). Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 1997, 11. Zwei beispielhafte Studien über Polen und Bulgarien sind Śpiewak, Paweł: Pamięć po komunizmie [Das Gedächtnis nach dem Kommunismus]. Gdańsk 2005 (Idee i polityka) und Koleva, Daniela: Vărchu chrastite ne padat mălnii. Komunizmăt – žitejski sădbi [Ins Gestrüpp schlagen keine Blitze ein. Der Kommunismus – Lebensschicksale]. Sofija 2007 (Minalo nesvăršeno). Rosenfeld, Gavriel D.: A Looming Crash or a Soft Landing? Forecasting the Future of the Memory ‘Industry’. In: The Journal of Modern History 81 (March 2009), 122–158. Paradigmatisch sind zwei literarische Fiktionalisierungen: Littell, Jonathan: Die Wohlgesinnten. Roman. Übersetzt von Hainer Kober. Berlin 2008 [franz. 2006] und Vollmann, William T.: Europe Central. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Robin Detje. Berlin 2013 [amerik. 2005]. Siehe des Weiteren zwei Fernsehserien: Zum einen die 1979 in der Bundesrepublik ausgestrahlte deutsche Fassung „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiß“ des vierteiligen US-amerikanischen Fernsehfilms „Holocaust“ von Marvin J. Chomsky aus dem Jahr 1978. Vgl. dazu: Die Fernsehserie „Holocaust“. Rückblicke auf eine „betroffene Nation“. Beiträge und Materialien. Hg. v. Christoph Classen. In: Zeitgeschichte-online, März 2004/ Oktober 2005 (http:// www.zeitgeschichte-online.de/thema/die-fernsehserie-holocaust [18. 08. 2013]). Zum anderen als jüngstes Beispiel der dreiteilige Fernsehfilm „Unsere Mütter, unsere Väter“ von Nico Hofmann, der im März 2013 im deutschen und österreichischen Fernsehen gezeigt wurde und seiner Bezüge zur deutschen Besatzung Polens im Zweiten Weltkrieg und zur im Untergrund tätigen polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa) wegen eine heftige polnisch-deutsche Kontroverse ausgelöst hat (http:// de.wikipedia.org/wiki/Unsere_M%C3%BCtter,_unsere_V%C3%A4ter [18. 08. 2013]). Das historische Museum. Labor. Schaubühne. Identitätsfabrik. Hg. v. Gottfried Korff und Martin Roth. Frankfurt a. M.-New York, NY 1990.



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ist überdies eine neue Form des zeitgeschichtlichen Museums entstanden – Museen der Okkupation(en), des/der Völkermordes/e oder des/der Totalitarismus/men, so das „Museum der Okkupationen“ in Tallinn, das die beiden Sowjetperioden 1940/41 und 1944–1991 sowie die NS-Herrschaft 1941–1944 darstellt. Ein ähnliches Modell repräsentiert das „Haus des Terrors“ in Budapest, das die kurze Zeit der Herrschaft der faschistischen Pfeilkreuzlerpartei 1944/45 mit den Jahrzehnten des Kommunismus 1945–1989 kombiniert. Im Kontrast dazu ist das „Museum der Völkermordopfer“ in Vilnius ausschließlich den Opfern der Sowjetperiode nach 1944 gewidmet, nicht den Juden, Litauern, Roma, Polen und anderen, die unter deutscher Besatzung in den Jahren 1941–1944 ermordet wurden, und dies trotz der Tatsache, dass das heutige Museumsgebäude nicht nur bis 1991 vom KGB, sondern im Zweiten Weltkrieg auch von der Gestapo als Foltergefängnis genutzt wurde.16 Um es wiederum in Gavriel Rosenfelds Worten zu sagen: In absehbarer Zeit wird es keine „weiche Landung“ des Gedächtnisbooms im östlichen Europa geben, ganz zu schweigen von einer „drohenden Bruchlandung“.17 Vielmehr befindet sich die Maschine noch im Steigflug. * Im Folgenden möchten wir einen Überblick über Gebrauch und Missbrauch von Geschichte in Ostmittel- und Südosteuropa von den Teilungen Polens im ausgehenden 18. Jahrhundert bis zum Epochenjahr 1989 geben. Wir knüpfen mit diesem Regionalisierungsmuster an das Konzept einer historischen Meso-Region namens „East-Central Europe“ bzw. „Ostmitteleuropa“ an, welches Oskar Halecki und Jenő Szűcs im Kalten Krieg entwickelt und begründet haben.18 Wir haben unseren Betrachtungszeitraum 16 Zu diesem sowie zu den anderen der genannten Museen vgl. Der Kommunismus im Museum. Formen der Auseinandersetzung in Deutschland und Ostmitteleuropa. Hg. v. Volkhard Knigge und Ulrich Mählert. Köln-Weimar-Wien 2005 (Europäische Diktaturen und ihre Überwindung. Schriften der Stiftung Ettersberg 6); Bartetzky, Arnold: Visualisierung der Diktaturerfahrung: Der Kommunismus im Museum. In: Neue Staaten – neue Bilder? Visuelle Kultur im Dienst staatlicher Selbstdarstellung in Zentral- und Osteuropa seit 1918. Hg. v. Marina Dmitrieva, Arnold Bartetzky und Stefan Troebst. Köln-Weimar-Wien 2005 (Visuelle Geschichtskultur 1), 221–232; Past for the Eyes. East European Representations of Communism in Cinema and Museums after 1989. Hg. v. Oksana Sarkisova und Péter Apor. Budapest-New York, NY 2008; Erinnern an den Zweiten Weltkrieg. Mahnmale und Museen in Mittel- und Osteuropa. Hg. v. Stefan Troebst und Johanna Wolf. Leipzig 2011 (Schriften des Europäischen Netzwerks Erinnerung und Solidarität 2). 17 Rosenfeld, A Looming Crash (Anm. 13), 122. 18 Halecki, Oskar: Europa: Grenzen und Gliederung seiner Geschichte. Darmstadt 1957 [engl. 1950]; Ders.: Grenzraum des Abendlandes: Eine Geschichte Ostmitteleuropas. Salzburg 1956 [engl. 1952]; Szűcs, Jenő: Die drei historischen Regionen Europas. Frankfurt a. M. 1999 [ung. 1981]. Ungeachtet des Umstandes, dass sowohl Halecki wie Szűcs ins Deutsche übersetzt sind, hat sich ihr weit gefasster, den Balkan einschließender Ostmitteleuropa-Begriff gegen die hierzulande übliche engere Ostmitteleuropa-Konzeption nicht durchgesetzt. Vgl. zu letztgenannter Rhode, Gotthold: Die Geschichte Ostmitteleuropas als ganzes und in seinen Teilen als Problem und Aufgabe. In: Probleme der Ostmitteleuropaforschung. Hg. v. Johann-Gottfried-Herder-Forschungsrat. Marburg/L. 1975, 35–43; Eberhard, Winfried: Ostmitteleuropa als historische Strukturregion. In: Perspektiven geisteswissen-

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in drei zeitliche Einheiten aufgeteilt. In der Ersten geht es um historische Gedenkund Repräsentationsfeiern bis zum Ersten Weltkrieg, wie sie unter deutscher, habsburgischer (österreichischer und ungarischer) und russischer Herrschaft stattfanden, des Weiteren im Osmanischen Reich und seinen europäischen Nachfolgestaaten. Die zweite Periode beginnt mit der Zeitenwende von 1918, als die ostmitteleuropäischen Länder ihre Unabhängigkeit erlangten. Für den südlichen Teil unseres Betrachtungsgebietes dagegen war der Krieg selbst die entscheidende Zäsur. Im neugeschaffenen Staat der Südslaven, der schließlich Jugoslawien genannt wurde, waren die Versuche vergeblich, ein neues „jugoslawisches“ Narrativ mit den Serben in den Heldenrollen zu entwerfen. An seiner Stelle blieben regionale kroatische, montenegrinische, slowenische, serbische und andere Sichtweisen ethnozentrischer Art vorherrschend. Viele dieser Narrative sind (samt ihren Helden) dem Erinnerungsgeflecht des postjugoslawischen Raums bis heute eingewoben. Der dritte Teil wendet sich der Zeit der kommunistischen Herrschaft zu. Die abschließende Schlussbetrachtung setzt unsere Überlegungen bis in die Gegenwart fort.

Vor dem Ersten Weltkrieg Rituale und Repräsentationen Hochrufe auf den König und die Verfassung folgten auf die feierliche Ablegung des Eides auf die gerade angenommene Konstitution, die in der Warschauer Johanneskirche am 3. Mai 1791 stattfand. Die jubelnde Menge trug den polnischen König durch die Straßen der Hauptstadt. Diejenigen, die diese erste schriftliche Verfassung Europas befürworteten, waren sich der Bedeutung des historischen Reformversuchs bewusst, der dem Land weitere gewaltsame Eingriffe von außen wie Unruhen im Innern ersparen sollte. In einer Erklärung der Ständeversammlung beschloss der polnische Sejm, eine jährliche Feier der Konstitution abzuhalten, „derer wir und unsere Abkommen gedenken werden“, und in der Hauptstadt in Erinnerung an diesen Akt einen „Tempel der Göttlichen Vorsehung“ zu errichten. Noch während dergestalt Geschichte geschrieben wurde, wurde der ausdrückliche Wunsch laut, dass sich zukünftige Generationen an den historischen Akt erinnern mögen. Mit dem Beschluss zu einem Verfassungsgedenken schienen die Polen dem Rat Jean-Jacques Rousseaus zu folgen. In seinen „Considérations sur le gouvernement de Pologne“ von 1772, verfasst im Jahr der ersten Teilung Polens, schrieb Rousseau, Polen müsse „établir tellement la République dans les cœurs des Polonois, qu’elle y subsiste malgré tous les efforts de ses oppresseurs“.19 Ein Weg, dies zu erreichen, seien schaftlicher Forschung. Hg. v. Vorstand des Vereins Geisteswissenschaftliche Zentren Berlin. Berlin 2003, 73–80. 19 Rousseau, J[ean]-J[acques]: Considérations sur le gouvernement de Pologne, et sur sa réformation projettée. Londres 1782, 15 f.



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öffentliche Jubiläumsfeiern für historische Akte; Geschichte sollte also für zukünftige polnische Generationen zum Leben erweckt werden, um sie dazu zu bringen, die Erinnerung wertzuschätzen und sich nicht allein mit den Nationalhelden zu identifizieren, sondern ihnen auch nachzueifern. Zu den Unterdrückern Polens fügte Rousseau in weiser Voraussicht hinzu: „Vous ne sauriez empêcher qu’ils ne vous engloutissent, faites au moins qu’ils ne puissent vous digérer.“20 In der Tat sollte die am 3. Mai 1792 abgehaltene erste Jahrfeier der Verfassung zugleich auch die letzte in der polnischlitauischen Adelsrepublik sein. Innerhalb von drei Jahren sollte die Rzeczpospolita nach zwei weiteren Teilungen durch ihre Nachbarn von der Landkarte verschwinden, und ihre Bewohner sollten sich, gleich vielen anderen Völkern in Ostmitteleuropa, als Untertanen fremder Herrscher wiederfinden. Die neuen Herren dieser großen Landmasse waren keineswegs geneigt, ihren neuen Untertanen zu erlauben, gemeinsame Erinnerungen an eine glorreiche Vergangenheit vor den Teilungen zu pflegen. Katharina II. von Russland rühmte sich, sie habe nur Territorien wiedergewonnen, die Russland widerrechtlich entrissen worden seien, und ließ gar eine dem Anlass entsprechende Gedenkmedaille prägen. Friedrich II. von Preußen erhob Forderungen auf Gebiete, die einst vom Deutschen Orden beherrscht gewesen und folglich preußisch seien. Und Maria Theresia kreierte eigens eine historische Fiktion, indem sie ihre neuen Gebiete „Königreich Galizien und Lodomerien“ nannte und dessen „Revindikation“ mit einem aus dem Mittelalter stammenden ungarischen Anspruch auf diese beiden ruthenischen Fürstentümer rechtfertigte, deren Grenzen übrigens kaum mit den habsburgischen Gebietsgewinnen übereinstimmten.21 Insgeheim verabredeten die drei Teilungsmächte sogar, den Namen Polen selbst aus dem Gedächtnis zu löschen. Nutzung und Missbrauch der Geschichte waren jedoch keineswegs auf die imperiale Manipulation der polnischen Vergangenheit beschränkt, denn das war erst der Anfang. Die großen Imperien Ostmitteleuropas herrschten über viele Völker, deren jeweilige Geschichte so umgeformt wurde, dass sie sich in das Narrativ eines großen imperialen Zusammenhangs einfügte. Dennoch erlebte unser Betrachtungszeitraum eine geradezu überbordende Produktion an Narrativen. Während in der Aufklärung die Grundlagen für eine moderne, quellenbasierte Geschichtsschreibung der Region gelegt wurden, kamen im Gefolge der Französischen Revolution weitere Perspektivwechsel hinzu. Der aus Ostpreußen stammende Johann Gottfried Herder entwarf romantische Visionen einer lichten Zukunft der slavischen Völker, die in Ostmitteleuropa ausgesprochen erfolgreich sein sollten. Herders Schriften beeinflussten führende Historiker wie den Polen Joachim Lelewel und den Tschechen František Palacký. Ähnliche Wirkung hatte Herders Aufruf zur Förderung der Bildung.22 20 Ebd., 16. 21 Zum letzten Aspekt Wolff, Larry: The Idea of Galicia: History and Fantasy in Habsburg Political Culture. Stanford, CA 2010, 11. 22 Herder, Johann Gottfried: Slavische Völker [1791]. In: Ders.: Werke. Bd. 3: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Hg. v. Wolfgang Pross. München-Wien 2002, 640–643; Sundhaus-

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Viele der historischen Narrative waren naturgemäß national. Ostmitteleuropa zu verdauen, belastete, ganz wie es Rousseau suggeriert hatte, die Imperien erheblich, zumal deren Herrschaft mit der Bildung der modernen ostmitteleuropäischen Nationen zeitlich zusammenfiel. In der Retrospektive nach dem Ersten Weltkrieg, als die Großreiche zerfielen und kleineren Staatsgebilden Platz machten, die Nationalstaaten zu sein beanspruchten, wurden diese nationalen Narrative oft zu triumphalen Mythen, die vom Bestehen der Nation seit unvordenklichen Zeiten wider alle Anfeindungen und Rückschläge erzählten: Der Nation wurden Eigenschaften zugeschrieben, die sie schließlich über ihre Feinde triumphieren ließen, meist nachdem ein nationales „Erwachen“ bzw. eine „Wiedergeburt“ stattgefunden hatte. Allerdings verlief die Nationsbildung in der Region komplizierter, als es dieses Dornröschen-Narrativ suggeriert. Konstruktivistische Theorien konzedieren diese Komplexität, indem sie die Nation als Konstrukt der Moderne begreifen. Während die nationalen Akteure nach älterer Auffassung ihre Nation zum Bewusstsein ihrer selbst anscheinend nur „erweckten“, gelten sie heute überhaupt als die eigentlichen Demiurgen der Nation (nation-builder). Diese „ethnonationalen Unternehmer“, wie sie Rogers Brubaker in Anknüpfung an Max Weber und Joseph Rothschild nennt, waren anfangs keineswegs zahlreich, umso weniger waren sie repräsentativ für das soziale Spektrum.23 Beispielsweise sahen sich Menschen auf dem Lande kaum als Angehörige einer Nation, sondern eher als „Christen“, „Dorfbewohner“, „Unsrige“ oder „Hiesige“, auch als „des Kaisers Leute“, und das noch sehr spät in unserem Betrachtungszeitraum.24 In diesem Beitrag geht es jedoch nicht allein um die Genese der modernen Nationen. Zahlreiche andere Loyalitäten konkurrierten mit dem nationalen Bekenntnis: die Loyalität zu dem von einer Dynastie geführten Reich, die manchmal national gefärbt sein konnte, die konfessionelle Loyalität, selbst die Loyalität gegenüber einer transnationalen Ideologie wie dem Panslavismus, der internationalen Arbeiterbewegung u. ä. m. Jeremy King fand dafür die Formulierung, die Bevölkerung Ostmitteleuropas habe sich wie nach dem Baukastenprinzip zerlegen und „in immer neuen Zusammenstellungen von häufig einander überschneidenden, lockeren Sprach- und Kulturgruppen“ zusammenfügen lassen.25 Entgegen den Überzeugungen der ethnonationalen Unternehmer musste auch nicht unbedingt eine bestimmte Identität dominieren, noch war der einzelne Ostmitteleuropäer schicksalhaft gezwungen, eine seiner Identitäten zu bevorzugen. Die neuere Forschung hat immer wieder gezeigt, dass sich beispielsweise Deutschsprachige der tschechischen Nation anschließen konnten und umgekehrt, dass sen,

Holm: Der Einfluss der Herderschen Ideen auf die Nationsbildung bei den Völkern der Habsburger Monarchie. München 1973 (Buchreihe der Südostdeutschen Historischen Kommission 27). 23 Brubaker, Rogers: Ethnicity without Groups. Cambridge, MA 2004, 2 und passim. 24 Zahra, Tara: Imagined Noncommunities: National Indifference as a Category of Analysis. In: Slavic Review 69 (2010), 93–119. 25 King, Jeremy: The Nationalization of East-Central Europe: Ethnicism, Ethnicity, and Beyond. In: Staging the Past (wie Anm. 7), 112–152, hier 126.



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Angehörige beider Gruppen eine übernationale Loyalität wie etwa zur Habsburgerdynastie präferieren konnten oder dass der Einzelne zwischen verschiedenen Loyalitäten hin- und herschwanken, sie in seiner persönlichen Identität zum Ausgleich bringen oder auch eine indifferente Haltung gegenüber jedweder Loyalität wählen konnte.26 Einen Extremfall stellen die Armenier Galiziens und Siebenbürgens dar, die am Ende des 19.  Jahrhunderts, was Sprache, Konfession und selbst ethnokulturelle Selbstzuordnung betrifft, nahezu völlig zum Polen- bzw. Magyarentum übergewechselt waren. Lediglich Familienwappen und kulinarische Traditionen blieben übrig.27 Das vereinfacht es gerade nicht zu bestimmen, wer zu welchem Zweck die Geschichte in Gebrauch nahm. Alle unterschiedlichen Gruppen konnten sich der Vergangenheit bemächtigen, um ihre Stellung im Staat, in der Region, der Gesellschaft oder der Welt schlechthin zu untermauern. Mehr noch, es lag in ihrem Interesse, den Eindruck zu vermitteln, dass Loyalität gegenüber oder Mitgliedschaft in einer bestimmten Gruppe fest und unveränderlich sei, gar vom Schicksal bestimmt, wie die Metapher des „Erwachens“ suggeriert. Während die nation-builders sich daran erbauten, dass Herder die Völker als ewige und unveränderliche Entitäten imaginiert hatte, setzten die Herrscherdynastien viel daran, die Nationalgeschichten ihrer Völker in stimmige Narrative zu integrieren, die sie legitimierten, ihre multinationalen Imperien zu regieren. Aber auch die Protagonisten anderer Ideologien benutzten und missbrauchten die Geschichte, um die „Wahrheit“ ihrer Positionen unter Beweis zu stellen und ihrer eigenen Weltsicht ein sicheres Fundament zu geben. Um nicht in eine allzu billige Kritik an der Verbreitung dieser oder jener historischen Deutung zu verfallen, sollten wir nicht vergessen, dass es keine absolut gültige Sicht auf die Vergangenheit gibt. Notwendigerweise müssen Historiker Fakten auswählen und gewichten, was ganz besonders für die populärwissenschaftliche Geschichtsschreibung gilt, die dazu oft noch stärker ideologisch motiviert ist. An jede Geschichtsdeutung sind bestimmte Fragen zu richten. Vor allem, wessen Geschichte wird eigentlich erzählt, und umgekehrt, wessen Geschichte wird übergangen? Das ist für eine multiethnische, multikonfessionelle und heterogene Gesellschaft die Schlüsselfrage schlechthin. Man kann die Geschichte einer territorialen Einheit, z.  B. einer Region oder eines Landes, schreiben, einer Nation oder ethnischen Gruppe, eines 26 Ebd. Vgl. auch Ders.: Budweisers into Czechs and Germans. A Local History of Bohemian Politics, 1848–1948. Princeton, NJ-Oxford 2002; Judson, Pieter M.: Guardians of the Nation. Activists on the Language Frontiers of Imperial Austria. Cambridge, MA 2006; Zahra, Tara: Kidnapped Souls. National Indifference and the Battle for Children in the Bohemian Lands, 1900–1948. Ithaca, NY 2008. 27 Stopka, Krzysztof: Die Armenier im österreichischen Galizien. Ethnische Verwandlungen in der sich modernisierenden Gesellschaft. In: Armenier im östlichen Europa. Eine Anthologie. Hg. v. Tamara Ganjalyan, Bálint Kovács und Stefan Troebst. Köln-Weimar-Wien (Armenier im östlichen Europa 1) (im Erscheinen); Bertényi, Iván: Politiker armenischer Abstammung in Ungarn im Zeitalter des Dualismus. In: ebd.; Pál, Judit: Armenier im Donau-Karpatenraum, im besonderen in Siebenbürgen. In: Minderheiten, Regionalbewußtsein und Zentralismus in Ostmitteleuropa. Hg. v. Heinz-Dietrich Löwe, Günther H. Tontsch und Stefan Troebst. Köln-Weimar-Wien 2000 (Siebenbürgisches Archiv 35), 121–137.

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Standes, einer Klasse, einer Religionsgemeinschaft oder jeder beliebigen anderen Entität. Auch müssen wir fragen, was genau in Erinnerung gerufen wird: Welche historische Sichtweise wird propagiert, an wen richtet sie sich und wodurch wird sie vermittelt? Wenden wir einmal diese Kriterien auf den beschriebenen polnischen Fall an. Die Maiverfassung von 1791 war für den gesamten Staat von Bedeutung, doch verkündet wurde sie von der polnischen szlachta, der „Adelsnation“, die sich damit vor allem an sich selbst wandte. Die Stadtbürger wurden als vollberechtigte Staatsbürger nur einbezogen, wenn sie Grundeigentümer waren, die Bauern hingegen nicht, sie wurden lediglich „unter den Schutz“ der Konstitution gestellt. Und was man bei den Gedenkfeiern des Folgejahres in Erinnerung rief, war nicht etwa ein Ereignis aus dem Mittelalter, das üblicherweise von den Nationsbildnern in Ostmitteleuropa besonders bevorzugt wurde, um die Existenz ihrer Nation seit unvordenklichen Zeiten herauszustellen.28 Vielmehr wandten sich die Polen 1792 einer Neuerung zu, die nichts Geringeres war als ein völliger Bruch mit der Vergangenheit. Trotz der inneren und äußeren Bedrohungen der Rzeczpospolita, an denen sie schließlich zugrundegehen sollte, feierten sie die Tatsache, dass die Nation ihre Fähigkeit zur Selbstreform bewiesen hatte. Mit den Gedenkfeiern zur Maikonstitution hofften die Polen, eine neue Tradition zu begründen und zugleich den Polen eine emotionale Identifizierung mit der reformierten Rzeczpospolita zu ermöglichen, gerade so, wie Rousseau es ihnen geraten hatte. Sie entschieden sich, den Jahrestag zu begehen und dem Anlass ein dauerhaftes Denkmal zu setzen, den besagten Tempel der Göttlichen Vorsehung – man beachte hier den religiösen Beiklang. Das zeigt, dass es viele Wege gab, dieses Ereignis der polnischen Geschichte ins Gedächtnis zu rufen.29 Die beiden genannten Gedenkformen waren in einer nur zum Teil alphabetisierten, dafür aber traditionell sehr frommen Gesellschaft vermutlich besonders geeignet; deshalb wurde der Schwerpunkt auf visuelle und öffentliche Gedenkformen gelegt, die mehr Menschen erreichen konnten als gedruckte Geschichtsbücher. Die Herrscherdynastien der ostmitteleuropäischen Imperien bedienten sich ähnlichen öffentlichen Gepränges. Auch sie ließen Denkmäler errichten, so etwa 1782 Katharinas II. berühmte Hommage an Peter I. als „ehernen Reiter“, der bekanntlich Russlands „Fenster nach Westen“ aufgestoßen hatte, oder das Denkmal für Joseph II., das sein Neffe Franz I. 1807 in Wien aufstellen ließ. Diverse kaiserliche und königliche Feiern wie Geburtstage, Hochzeiten, Krönungen und Jubiläen wurden mit beträchtlichem Aufwand begangen – mit größerem im Falle der russländischen Zaren, die für ihren unter Nikolaus II. neue Ausmaße erreichenden Pomp bekannt waren; mit geringerem im Falle der preußisch-deutschen Hohenzollern, zumindest bis zur Thron28 Z. B. Snyder, Timothy: The Reconstruction of Nations: Poland, Ukraine, Lithuania, Belarus, 1569– 1999. New Haven, CT-London 2003. 29 Der 1791 beschlossene Bau des Tempels ist insofern ein Zeichen der zerklüfteten Vergangenheit Polens, als er erst im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts abgeschlossen sein wird.



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besteigung Wilhelms II.30 Vielfach erhielten solche Zeremonien die religiöse Weihe, indem durch ihre Einbeziehung die Staatskirche das Gottesgnadentum des Herrschers ausdrücklich bestätigte. Dabei waren keineswegs alle diese Zeremonien von einem ehrwürdigen Alter, etliche waren vielmehr invented traditions, um mit Eric Hobsbawm und Terence Ranger zu sprechen.31 So sind vielleicht die dabei zu beobachtenden Diskontinuitäten von größerem Interesse als die Kontinuitäten und die Gründe dafür, imperiale Rituale wieder aufzugreifen oder neue zu erfinden, um ein bestimmtes Geschichtsbild zu vermitteln. Das lässt sich gut am Beispiel des Hauses Habsburg zeigen. Weder Maria Theresia noch ihr Sohn und Nachfolger Joseph II. schätzten Gepränge und Zeremoniell bei Hofe sonderlich, vieles davon verschwand unter ihrer Regierung. Auch ihre Nachfolger taten nichts, um die alten Traditionen wiederzubeleben. Um die Mitte des 19.  Jahrhunderts waren nur noch einige wenige imperiale Feierlichkeiten übrig geblieben, die in der Öffentlichkeit begangen wurden, und das ohne alle Begeisterung seitens des Herrscherhauses. So beschreibt der Historiker Daniel Unowsky die Lage, bis Franz Joseph den Thron bestieg.32 Der junge Habsburgerkaiser trat sein Amt unter denkbar unsicheren Umständen inmitten der Revolutionswirren von 1848/49 an und setzte viel daran, das habsburgische Gottesgnadentum und seinen Anspruch auf die Herrschaft über das riesige, multiethnische Reich wieder zur Geltung zu bringen. Im Gefolge der Revolutionen von 1848/49 suchte er Anschluss an die traditionelle Religiosität des Hauses Habsburg, bekannt als die Pietas Austriaca. Während seiner Herrschaft wurde diese gleichwohl nicht mehr durch längst außer Gebrauch gekommene religiöse Feiern, Pilgerfahrten und andere Zeremonien gezeigt, als vielmehr durch einige wenige, sorgfältig ausgewählte Momente, in denen sich der Kaiser im Rahmen streng choreografierter Rituale der Öffentlichkeit präsentierte. Das eindrucksvollste dieser Rituale war die Corpus-Christi-Prozession. In den Worten von James Shedel: „Abgesehen von einer Krönungsfeier gab es keine andere öffentliche Zeremonie, die Kontinuität und Heiligkeit der Habsburgerherrschaft derart wirkungsvoll vor Augen geführt hätte.“33 Die Habsburger gewannen die Kontrolle über die Prozession zurück, nachdem sie während der Revolution vom einfachen Volk, das sich die Rollen von Dynastie, Hof und Armee angeeignet hatte, für sich in Anspruch genommen worden war. 1849 ließ Franz Joseph keinen Zweifel daran 30 Wortman, Richard S.: Scenarios of Power. Myth and Ceremony in Russian Monarchy. Bde. 1 und 2. Princeton, NJ 1995–2000 (Studies of the Harriman Institute, Columbia University); Hull, Isabel V.: Prussian Dynastic Ritual and the End of Monarchy. In: German Nationalism and the European Response, 1890–1945. Hg. v. Carole Fink, Isabel V. Hull und MacGregor Knox. Norman, OK 1985, 13–41. 31 Invention of Tradition (wie Anm. 6). 32 Unowsky, Daniel: The Pomp and Politics of Patriotism. Imperial Celebrations in Habsburg Austria, 1848–1916. West Lafayette, IN 2005. 33 Shedel, James: Emperor, Church, and People: Religion and Dynastic Loyalty during the Golden Jubilee of Francis Joseph. In: Catholic Historical Review 76 (1990) 1, 71–92, hier 78.

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aufkommen, dass die Revolution niedergeschlagen und die „legitime dynastische Herrschaft“ wiederhergestellt worden sei. Die Säulen der Monarchie, nämlich die Hierarchen der katholischen Kirche und die Armee, beeilten sich, ihre vorbehaltlose Unterstützung für die Monarchie zu demonstrieren. Hof, Hochadel und kaiserliche Familie samt ihrer entfernteren Verwandten nahmen an der Prozession gemeinsam mit dem jungen Kaiser teil, der zum Zeichen der Demut mit entblößtem Haupt, in der Hand eine brennende Kerze, hinter dem Erzbischof von Wien einherschritt, der das Allerheiligste trug. So suchte Franz Joseph, eine Verbindung zwischen sich und der überlieferten Frömmigkeit seines Vorfahrens Rudolf I. herzustellen, des Kaisers aus dem 13. Jahrhundert, der eine besondere Verehrung der Hostie gezeigt hatte. (Natürlich stammte diese Habsburger Familienlegende der besonders innigen Beziehung zu dem Allerheiligsten in Wahrheit aus der Gegenreformation und dem Barock; die direkte Verbindungslinie zwischen Rudolf und Franz Joseph war folglich nur eine weitere historische Erfindung.) Somit lässt sich von einer invention of tradition oder zumindest einer Wiedererfindung der Tradition unter Franz Joseph sprechen. Zeremoniell und Ritual wurden in seiner Regierungszeit mit neuem Leben gefüllt, und Kirche und Armee vollzogen den engen Schulterschluss mit dem Monarchen. Aufgrund der langen Lebenszeit von Franz Joseph wurde gelegentlich behauptet, dass verschiedene würdevolle kaiserliche Zeremonien wie Geburtstagsfeiern, Hochzeiten und Thronjubiläen, die überall im Reich begangen wurden, uralte und unveränderliche Habsburgerrituale seien. Dabei spielte es keine Rolle, dass sie während des vorangegangenen Jahrhunderts lange Zeit praktisch ausgesetzt waren. Die österreichische Hymne „Gott erhalte [den Kaiser]“, komponiert von Joseph Haydn 1797 und sehr bald im ganzen Reich verbreitet, wurde erst 1854 zeitlich angepasst, als sie anlässlich der Hochzeit des Kaisers gesungen wurde. Doch wie noch zu zeigen sein wird, waren solche Symbole Embleme des Kaiserpatriotismus, der beinahe bis zum Ende des Reiches fortbestand. Selbstverständlich fanden diese öffentlichen Bekundungen von Reichspatriotismus und Ergebenheit gegenüber dem Kaiser nicht nur in Kirche und städtischer Öffentlichkeit, sondern auch in den Klassenzimmern statt. Jedes Grundschulbuch in der österreichischen Hälfte der Doppelmonarchie endete mit dem Text der österreichischen Hymne. Allerdings wurde der Text nach 1867 vielfach nicht auf Deutsch abgedruckt, sondern in der jeweiligen Muttersprache der Schüler. Dieselben Schulbücher brachten, wie der Historiker Ernst Bruckmüller berichtet, ein hochinteressantes Amalgam aus Bestandteilen der jeweiligen Nationalgeschichte und solchen der Reichsgeschichte. Prähistorische Legenden und Versatzstücke beispielsweise aus dem tschechischen Mittelalter wurden in die Geschichte der Habsburgerdynastie eingewoben, die im hohen Ton des Heldenepos vorgetragen wurde, mit dem Schwerpunkt auf den Herrschern und großen Schlachten. Ein slowenisches Schulbuch brachte das Stereotyp der freiheitsliebenden Slaven, die leider zu gesellschaftlichem Chaos neigten; und da sie unfähig waren, sich selbst zu regieren, wurden sie von ihren Nachbarn unterjocht. Heikle Fragen und Konflikte innerhalb des Reiches, wie etwa die Hussitenkriege, wurden in diesen Büchern nicht thematisiert; vielmehr sollten sie Reichspa-



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triotismus und harmonisches Zusammenleben der habsburgischen Völker vermitteln. Selbst in Galizien, wo es nach 1868 eine weitgehende Autonomie gab, wurde die nationale, also dort polnische Geschichte marginalisiert: Polnische Geschichte war nur Wahl-, nicht Pflichtfach, und selbst noch in den 1890er-Jahren waren die Schulbücher zur mittelalterlichen und habsburgischen Geschichte nur geringfügig modifizierte Übersetzungen der deutschsprachigen Vorlagen.34 Sehr viel erfolgreicher waren die Polen darin, ein kollektives Gedächtnis an ihre nationalen Helden und deren Taten mit Hilfe von Gedenkveranstaltungen zu entwickeln. Das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts war förmlich ein Zeitalter des Gedenkens in Ostmitteleuropa. Dies war in den habsburgischen Ländern am offenkundigsten, während die nationalen Minderheiten unter deutscher und russischer Herrschaft sehr viel vorsichtiger bei ihren Gedenkfeiern sein mussten, weil diese entweder überhaupt untersagt wurden oder in geschlossener Gesellschaft stattfinden mussten. Artikel 19 der österreichischen Verfassung von 1867 erlaubte es den Völkern des Reiches, ihre Nationalkultur und -sprache zu pflegen. Polnische und andere nationale Akteure agitierten für Feiern aus Anlass verschiedener historischer Erinnerungsorte. Einige davon passten sogar in das Raster der offiziellen Habsburgergeschichte, etwa der Entsatz von Wien im Jahre 1683 durch den polnischen König Johann III. Sobieski, dessen 200. Jahrestag 1883 begangen wurde.35 Andere Gedenktage waren deutlich weniger unumstritten, wie etwa der 400. Geburtstag von Kopernikus im Jahr 1873. Der Entdecker der Bewegung der Erde um die Sonne wurde sowohl von den Deutschen als auch von den Polen als der Ihre in Anspruch genommen.36 Jan Kollár, einer der Mitbegründer der slowakischen Nationalliteratur und seiner Neigung nach Panslavist, widmete ihm eines der Gedichte aus der Sammlung „Slávy dcera“ (Tochter des Ruhms) und betrachtete Kopernikus als Slaven. Auch die Tschechen feierten Kopernikus 1873 ausgiebig, denn sie verfolgten seine familiären Wurzeln in die böhmischen Länder zurück.37 In Wahrheit lässt sich Kopernikus weder eindeutig als Pole oder Deutscher, noch als Slave oder Teutone identifizieren, zumal er in einem Zeitalter ohne entwickelte Nationalidentitäten gelebt hat. Dennoch lieferten unterschiedliche Ausschnitte 34 Bruckmüller, Ernst: Patriotic and National Myths: National Consciousness and Elementary School Education in Imperial Austria. In: The Limits of Loyalty. Imperial Symbolism, Popular Allegiances, and State Patriotism in the Late Habsburg Monarchy. Hg. v. Laurence Cole and Daniel L. Unowsky. New York, NY 2007 (Austrian and Habsburg Studies 9), 11–35. Zum polnischen Fall: Maternicki, Jerzy: Dydaktyka historii w Polsce 1773–1918 [Geschichtsdidaktik in Polen 1773–1918]. Warszawa 1974, 90–108. Zur anderen Reichshälfte: Puttkamer, Joachim von: Schulalltag und nationale Integration in Ungarn. Slowaken, Rumänen und Siebenbürger Sachsen in Auseinandersetzung mit der ungarischen Staatsidee 1867–1914. München 2003 (Südosteuropäische Arbeiten 115). 35 Über diese und andere polnische Feiern Dabrowski, Patrice M.: Commemorations and the Shaping of Modern Poland. Bloomington, IN-Indianapolis, IN 2004. 36 Gingerich, Owen: The Copernican Quinquecentennial and its Predecessors: Historical Insights and National Agendas. In: Osiris 14 (1999), 37–60. 37 Grobelný, Andělín: Rola uroczystości kopernikowskich w 1873 r. w czeskim ruchu narodowym [Die Bedeutung der Kopernikusfeiern von 1873 in der tschechischen Nationalbewegung]. In: Sobótka 28 (1973) 2, 195–201.

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aus seiner Biografie den Akteuren der verschiedenen Nationalbewegungen und Ideologien Vorwände, ihn jeweils für sich zu beanspruchen. Die Liste mannigfacher Gebräuche und Missbräuche von Geschichte bei Gedenkveranstaltungen in den multinationalen Imperien ließe sich beliebig fortsetzen. Besonders das Jahr 1898 stach heraus, in dem sich eine große Anzahl runder Jahrestage häufte, die in Ostmitteleuropa Anlässe für Gedenkveranstaltungen liefern mochten. Viele davon fanden tatsächlich öffentlichen Widerhall, sodass jenes Jahr für unsere Zwecke reiches empirisches Material liefert. Der „Völkerfrühling“ oder der „Wendepunkt, der keine Wende brachte“, also die Revolutionen von 1848/49, stellte nur einen, freilich sehr wichtigen kommemorativen Anlass für das kollektive Gedächtnis dar.38 Im Folgenden soll ein Überblick gegeben werden, wer welchem Anlass in welcher Absicht gedachte. 1848 und die Folgen Viele Historiker der Revolutionen von 1848/49 haben sich ganz auf die deutschen Länder konzentriert, die damals noch nicht unter preußischer Ägide vereint waren und in denen zumindest Teile der Habsburgermonarchie noch als Bestandteil von Deutschland betrachtet wurden. Nicht zu vergessen ist auch, dass 1848 das Veröffentlichungsjahr eines in den kommenden Jahren und Dekaden einflussreichen Dokuments ist – des „Kommunistischen Manifests“ des damals unbekannten rheinischen Journalisten namens Karl Marx. Dennoch fanden öffentliche Gedenkveranstaltungen im zum Deutschen Reich gewordenen Deutschland des Jahres 1898 nicht statt. Es gab dort einfach keinen Platz für die Erinnerung an die Revolution, die fünfzig Jahre zuvor stattgefunden hatte. Manche meinten, dass die Entwicklung damals in eine Sackgasse geraten war, zumal es eines „weißen Revolutionärs“, nämlich Otto von Bismarcks, bedurft hatte, um schließlich den größten Teil des früheren Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation mit der Reichsgründung von 1871 unter preußischer Führung zusammenzufassen.39 Zwar war der erste Reichskanzler 1898 nicht mehr im Amt und bald nicht mehr am Leben, aber er wurde selbst bereits zum Gegenstand des Gedenkens, denn überall im Lande schossen die Bismarcktürme aus dem Boden. Interessanterweise waren diese eine populäre Entgegnung auf die von Wilhelm II. höchstpersönlich geförderte Errichtung von Denkmälern für seinen Großvater Wilhelm I., den ersten Kaiser des vereinigten Deutschland. Während sein Großvater es konsequent abgelehnt hatte, preußisch-dynastisches Zeremoniell mit dem der deutschen Nation zu verquicken, liebte Wilhelm II. das pompöse Ritual und gedachte, die gesamte Nation für den Hohenzollernpatriotismus zu vereinnahmen. Der deutsche Kaiser war für ein ausuferndes Gedenkwesen verantwortlich, das ihm erlaubte, seiner Reiselust hemmungslos zu 38 Taylor, A[lan] J[ohn] P[ercivale]: The Course of German History. A Survey of the Development of Germany Since 1815. New York, NY 1946, 68. 39 Gall, Lothar: Bismarck, der weiße Revolutionär. Frankfurt a. M.-Berlin-Wien 1980.



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frönen, Reden zu halten und auf jede erdenkliche Weise bei den Massen für die Dynastie zu werben – das alles in einem solchen Maße, dass mancher von Übertreibung sprach.40 Wilhelm II. wünschte jedoch nicht, dass die Revolutionen von 1848 in Erinnerung gerufen wurden, zumindest nicht in der Öffentlichkeit. So waren öffentliche Gedenkveranstaltungen zu 1848 verboten. Das bedeutete gewiss nicht, dass niemand sich an das Jahr 1848 erinnerte. Die Berliner Barrikadenkämpfe vom 18. März 1848 boten Anlass für jährliche Gedenkfeiern, die seit den 1860er-Jahren zumindest von Arbeitern und Sozialdemokraten in der Stadt begangen wurden. Sie pflegten, in kleinen, unscheinbaren Gruppen zum Friedhof der Märzgefallenen im Stadtteil Friedrichshain zu pilgern. Dort legten sie in aller Stille Kränze nieder, in einer gleichsam religiösen Zeremonie, wie sie von der Arbeiterbewegung nicht unbedingt zu erwarten war. Nur die Texte auf den Kranzschleifen verkündeten revolutionäre Parolen, bis die Polizei sie konfiszierte. Dieser Totenkult konnte „politisch provokativ“ wirken.41 Es ist nahe liegend, dass zumindest einige deutsche Liberale einen Gottesdienst in der Frankfurter Paulskirche besuchten, um hier des Jahres zu gedenken, in dem sie nun kurz davor zu stehen schienen, die Vereinigung Deutschlands zu erreichen. Viele Liberale waren allerdings längst loyale Befürworter des hohenzollernschen Kaiserreichs geworden und unterstützten die öffentlichen Jahrestagsfeiern zum Sieg über Frankreich im Krieg von 1870/71, den sogenannten Sedantag, der „kleindeutschen Patriotismus, das Deutsche Reich, den Kaiser und Bismarck“ in den Mittelpunkt stellte.42 Alon Confino hat gezeigt, dass der nationalliberale Feiertag aber nicht überall begrüßt wurde, da er von offizieller Seite nicht immer unterstützt wurde und bei den als nicht ausreichend „deutsch“ betrachteten Katholiken, Demokraten und Sozialdemokraten auf keinerlei Zustimmung stieß. Gleichwohl wurde der 25. Jahrestag der Reichsgründung im Jahr 1896 mit gebührendem Aufwand begangen.43 Die Erinnerung an den Völkerfrühling unter habsburgischer Herrschaft Für Österreich-Ungarn bot das Jahr 1898 zahlreiche Gedenkanlässe. Nicht nur Liberale und Sozialdemokraten gedachten der Ereignisse von vor fünfzig Jahren; darüber hinaus fand eine Vielzahl von Hundertjahrfeiern statt, von denen noch zu sprechen sein wird. Auf das gesamte Reich fielen bedeutende Gedenkdaten, in denen sich die unterschiedlichen historischen Erfahrungen und Erinnerungen der verschiedenen habsburgischen Bevölkerungsteile widerspiegelten. 40 Hull (wie Anm. 30), 25 und passim. 41 Hettling, Manfred: Shattered Mirror. German Memory of 1848: From Spectacle to Event. In: 1848. Memory and Oblivion in Europe. Hg. v. Charlotte Tacke. Bruxelles-Oxford 2000 (Euroclio: Etudes et documents 19), 79–98, hier 79 f. 42 Confino, Alon: The Nation as a Local Metaphor. Württemberg, Imperial Germany, and National Memory, 1871–1918. Chapel Hill, NC 1997, 46. 43 Ebd., 89 f.

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Liberale wie Sozialdemokraten versuchten, Wiens revolutionäre Vergangenheit für ihre je eigenen Zwecke in Anspruch zu nehmen. 1864 war ein Obelisk im Andenken an die Märtyrer der Wiener Revolution errichtet worden; allerdings dauerte es drei weitere Jahre, bis eine angemessene Inschrift genehmigt wurde.44 Zu den politischen Gruppierungen, die diesen Jahrestag mit einer Pilgerfahrt zu dem Obelisken begingen, gehörten nicht nur zahlreiche Sozialdemokraten, sondern auch Mitglieder der Fortschrittsunion im Stadtrat, austrodeutsche Nationalisten und sogar Anarchisten. Wie um die Wandelbarkeit des Gedächtnisses zu beweisen, stellte sich jede dieser Gruppierungen, gleichgültig, ob sie die Revolution propagierte oder die vollständige Vereinigung der deutschen Nation, als legitimer Erbe der Wiener Märtyrer dar.45 Es ist nicht überraschend, dass sich der Österreicher Adolf Hitler gerade der Symbolik des 13.  März bediente, um vierzig Jahre später beim „Anschluss“ Österreichs die deutschen Truppen just an diesem Tag in Wien einmarschieren zu lassen. Auch andernorts fanden in Österreich-Ungarn Erinnerungen an die 1848er-Revolution im Jahr 1898 ihren Widerhall, wie am Beispiel des Kronlandes Galizien zu sehen ist. In dessen Hauptstadt Lemberg handelten Sozialdemokraten ähnlich ihren deutschsprachigen Parteigenossen in Wien und wählten den 14. März für eine oppositionelle Versammlung. Andere Galizier jedoch verbanden mit den Ereignissen von 1848 eher traurige, für die Region spezifische Erinnerungen. Daran erinnerten die Veranstaltungen vom 3. November, die im Gedenken an die Beschießung Lembergs durch habsburgische Truppen am 2. November 1848 abgehalten wurden. Zumindest einige Polen Galiziens konnten den Ereignissen von 1848 auch positive Seiten abgewinnen. Als Beispiel sei die Gedenkveranstaltung vom 17. März 1898 im Lemberger Stadtrat genannt. Bei dieser Gelegenheit wurde einer 1848 von zwei prominenten polnischen Politikern verfassten und an den Kaiser gerichteten Adresse eine neue Deutung gegeben. Obwohl dieses Schriftstück damals keine Folgen gezeitigt hatte, ja eigentlich völlig ignoriert worden war, wurde rückblickend die Forderung nach mehr Rechten für die Polen als Voraussetzung ihrer 1868 gewährten Autonomie umgedeutet.46 Auf diese Weise fanden die galizischen Untertanen des Kaisers verschiedene Wege, 1848 neu zu interpretieren: entweder als Vorbote einer erst noch kommenden Revolution, die wegen ihrer zerstörerischen Folgen betrauert wurde, oder als Aussaat einer erst in Zukunft, d. h. in der Jetztzeit von 1898, einzubringenden Ernte. Gemeinsam war diesen Gedenkveranstaltungen jedoch, dass sie als alternatives Gedenken in Österreich-Ungarn zu sehen sind. Wie im Falle des Deutschen Reiches war das Gedenken an die Revolutionen von 1848/49 bei der k.u.k.-Obrigkeit keineswegs angesehen. Wenn überhaupt, dann hätte Kaiser Franz Joseph nur an die aus sei44 Kaye, James/Matauschek, Isabella: A Problematic Obligation: Commemorating the 1848 Revolution in Austria. In: 1848 (wie Anm. 41), 99–122, hier 106. 45 Unowsky, Pomp and Politics of Patriotism (wie Anm. 32), 150. 46 Majorek, Czesław/Żaliński, Henryk: The Revolution of 1848 in Polish Historical Consciousness: Remarks on Three Anniversary Celebrations (1898, 1948, 1998). In: 1848 (wie Anm. 41), 123–152.



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ner Sicht erfolgreiche Beendigung der Revolution erinnern mögen, welche die habsburgische Armee erzwungen hatte – mit tatkräftiger Unterstützung durch russische Truppen, die man allerdings 1898 zielstrebig der Vergessenheit anheimfallen ließ. Der Selbstaufopferung des habsburgischen Militärs wurde am Heldenberg in Niederösterreich gedacht. Der Heldenberg war „den heroischen Königlichen und Kaiserlichen Italienischen und Ungarischen Armeen für ihre standhafte Treue und unverbrüchliche Tapferkeit in den Jahren 1848 und 1849“ gewidmet.47 Dabei spielte es keine Rolle, dass Italiener und Ungarn versuchten, gerade zu dieser Zeit ihre Unabhängigkeit zu erlangen. Doch die loyale, multinationale habsburgische Armee sollte unter Franz Joseph zu einer der Säulen des Reiches werden – was der Kaiser niemals vergaß. Die Neuausrichtung des Gedächtnisses: Das Kaiserjubiläum 1898 Reichspatriotische Stimmen fanden 1898 in der Presse keinen besonderen Widerhall. Die habsburgische Obrigkeit konzentrierte sich vielmehr auf ein anderes Ereignis aus der Revolutionszeit: Auf das Jahr 1898 fiel das 50. Thronjubiläum des Kaisers, der als Achtzehnjähriger am 2. Dezember 1848 inmitten eines von politischen Wirren erschütterten Reichs die Herrschaft angetreten hatte. Das Thronjubiläum hielt die denkbar größte Distanz zu jedem Revolutionsgedenken. In der Tat sollte im Großen Jubiläumsjahr 1898 eher die Rückkehr zum Absolutismus, also die Konterrevolution, gefeiert werden, zumindest in der österreichischen Reichshälfte. Denn die Ungarn nahmen an den Feiern des Kaiserjubiläums nicht teil, weil sie Franz Josephs Krönung zum König von Ungarn im Jahr des Ausgleichs 1867 als gedenkwürdigen Anlass in ihrer Hälfte der Doppelmonarchie vorzogen. Die habsburgische Bürokratie stellte Veranstaltungen unterschiedlichsten Zuschnitts auf die Beine, um Franz Josephs Thronjubiläum in Zisleithanien zu feiern. Das gesamte Kalenderjahr wurde zum Jubiläumsjahr erklärt. Die Würdigung des Kaisers sollte jegliche Erinnerung an den kurzen, aber gewalterfüllten Zeitabschnitt überstrahlen, den die Revolutionen fünfzig Jahre zuvor markiert hatten. Unter den Veranstaltungen von 1898 war die Kaiserjubiläumsausstellung, die am 7. Mai im Wiener Prater eröffnet wurde. Sie entwarf das Bild eines sich modernisierenden Reiches, was auch für die anderen großen Ausstellungen der Donaumonarchie in diesem Jahrzehnt galt.48 Zusätzlich zum Kaisergeburtstag am 18. August war für Wien eine Parade in 47 Zit. n. Kaye/Matauschek (wie Anm. 44), 105. 48 Unowsky, Pomp and Politics of Patriotism (wie Anm. 32), 164. Zu den Ausstellungen von 1891 in Prag, 1894 in Lemberg und 1896 in Ungarn: Albrecht, Catherine: Pride in Production: The Jubilee Exhibition of 1891 and Economic Competition Between Czechs and Germans in Bohemia. In: Austrian History Yearbook 24 (1993), 101–118; Dabrowski (wie Anm. 35), Kap. 4, besonders 118– 129; Gerö, András: Imagined History. Chapters from Nineteenth and Twentieth Century Hungarian Symbolic Politics. New York, NY 2006 (East European Monographs 672) [ung. 2004], Kap. 8, besonders 159–162. Zu den Landes- und Nationalausstellungen 1891–1929 vgl. insgesamt auch: Bilder vieler Ausstellungen. Großexpositionen in Ostmitteleuropa als nationale, mediale und soziale Ereignisse. Themenheft der Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 58 (2009) 1/2.

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den Sommermonaten geplant, und natürlich fand auch der Jahrestag der Thronbesteigung eine angemessene Würdigung. Das Habsburgernarrativ Besonders erhellend ist ein kommemoratives Bühnenstück, das aus Anlass des Kaiserjubiläums entstand. Es wurde allerdings erst deutlich später aufgeführt, mit Rücksicht auf die Trauerperiode, die der Ermordung der Kaiserin Elisabeth (Sisi) im Herbst 1898 folgte. Dennoch wirft es ein grelles Licht auf Nutzung und Missbrauch der Geschichte wie auch auf die von der Elite Österreich-Ungarns ausgeübte Zensur.49 Das Stück bestand aus einer Aneinanderreihung von tableaux vivants, die Episoden aus der Geschichte der Monarchie darstellten. Die Grundidee war simpel, doch der Teufel steckte im Detail: Was war zu zeigen und was auszuschließen? Zunächst machten der Historiker Joseph Alexander von Helfert und der Leiter der Hoftheater August Freiherr Plappart von Lennheer Vorschläge, aus denen anschließend ein halbes Dutzend von zwei hochrangigen kaiserlichen Beamten, dem Außenminister Agenor Gołuchowski und dem Offizier Franz Graf von Thun und Hohenstein, ausgewählt wurden. Bei diesem umständlichen Verfahren waren die Würde des Anlasses zu berücksichtigen und die Empfindlichkeiten der Nationalitäten des Reiches in keiner Weise zu berühren.50 Welche Szenen hielten also der kritischen Prüfung stand? Das erste der sechs ausgewählten Tableaus spielte im Jahre 1282. In jenem Jahr belehnte Rudolf, der erste Habsburgerkaiser, seine Söhne mit den österreichischen Ländern. Die zweite Szene zeigte die Doppelhochzeit der Enkel Kaiser Maximilians I. im Wiener Stephansdom 1515. Diese Szene erinnerte daran, wie die Habsburger letztlich die Herrschaft über Böhmen und Ungarn gewonnen hatten – durch Heirat. Die für die Szenenauswahl Verantwortlichen entschieden sich auch für den Entsatz Wiens von 1683 bei der osmanischen Belagerung, also die Rettung der Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches vor den Ungläubigen durch eine von dem polnischen König Johann III. Sobieski geführte internationale Armee; es ist naheliegend, dass diese Szene insbesondere dem Polen Gołuchowski behagte. Als vierte Szene wählten die beiden Beamten die Pragmatische Sanktion, d.  h. den Vertrag, der die Thronfolge Maria Theresias und damit die dynastische Kontinuität sicherte. Maria Theresia und ihr Sohn und Nachfolger Joseph II. waren dann Protagonisten der fünften Szene. Zum Schluss steuerte Kaiser Franz  I. als Gastgeber des Wiener Kongresses von 1814/15 eine Szene von internationaler Dimension bei. Der krönende Abschluss bestand in einer Darstellung Franz Josephs als wohlwollendem Vater seiner Völker und als Patron der Künste und Gewerbe – eine Apotheose, die angelegt war, das Jubiläumsmotto der viribus unitis

49 Snyder, Timothy: The Red Prince. The Secret Lives of a Habsburg Archduke. New York, NY 2008, 7–14, mit einer Darstellung einer Aufführung von 1908. 50 Unowsky, Pomp and Politics of Patriotism (wie Anm. 32), 84–89.



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(„mit vereinten Kräften“) in sich zu schließen, mit allegorischen Figuren Böhmens, Ungarns und Galiziens, die das Reich als harmonisches Mosaik vorstellten.51 Mindestens genauso aussagekräftig war das, was ausgelassen wurde. Obwohl das Stück Franz Josephs goldenes Thronjubiläum kommemorieren sollte, gab es keine einzige Szene aus seiner 50-jährigen Herrschaft – so etwa keine Darstellung des Ausgleichs von 1867, durch den die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie geschaffen wurde, auch keinen Bezug auf das Reich als konstitutionelle Monarchie. Die Szenen sollten dagegen ein traditionelles, d.  h. übernationales Konzept der Kaiserherrschaft über vielgestaltige Länder betonen. Von der Niederlage zum Sieg? Die wundersamen Wandlungen Ungarns In der anderen Reichshälfte, im Königreich Ungarn, stand das kollektive Gedächtnis an die Ereignisse von 1848/49 auf dem Prüfstand. Für die Ungarn, so stellt Alice Freifeld fest, war jene Zeit eine „totale Revolution“ wie auch eine „totale Niederlage“ gewesen.52 Unter dem Eindruck einer Dichterlesung Sándor Petőfis waren die Menschen am 15. März 1848 auf die Straße gegangen und hatten eine Liste von zwölf Forderungen aufgestellt. Ungarische Patrioten bildeten eine nationale Armee, Honvéd genannt, die gegen die österreichische und russische Armee kämpfte und 1849 niedergerungen wurde. Bis zum Ende des Jahrhunderts kam es zu zahlreichen Veränderungen: Seit 1867 bestand die Doppelmonarchie, die es den Magyaren erlaubte, ihre Hälfte des Reiches selbst zu regieren. 1896 war das tausendjährige Jubiläum der Ankunft der Magyaren in Ostmitteleuropa triumphal begangen worden. Ein Panoramagemälde stellte aus diesem Anlass die magyarische Eroberung und die Niederlage der Slaven dar und führte damit der ganzen Welt deutlich die Hierarchie der Nationalitäten in der ungarischen Reichshälfte vor Augen. Ob nun bei ephemeren Feierlichkeiten oder als dauerhaftes Denkmal, das ungarische Millennium stilisierte Franz Joseph, der sich erst 1867 zum König von Ungarn hatte krönen lassen, nach dem großen Anführer der mittelalterlichen Magyaren zum „neuen Árpád“.53 Doch war auch in Ungarn das Jahr 1848 nicht vergessen. Der 15. März schien als Erinnerungsort für die gesamte ungarische Reichshälfte Gültigkeit zu besitzen und blieb doch für die Doppelmonarchie insgesamt ein Problem. Denn dieser Tag kennzeichnete für patriotische Magyaren den Beginn ihrer nationalen Revolution und wäre als Nationalfeiertag prädestiniert gewesen, wenn damit nicht zugleich der ungarische Separatismus konnotiert gewesen wäre. Dezső Bánffy, ein magyarischer Liberaler, loyal gegenüber der Herrscherdynastie und 1898 Ministerpräsident des Königreichs 51 Ebd., 83–88. 52 Freifeld, Alice: Nationalism and the Crowd in Liberal Hungary, 1848–1914. Washington, DC-Baltimore, MD 2000, 1. 53 Klimó, Árpád von: Nation, Konfession, Geschichte. Zur nationalen Geschichtskultur Ungarns im europäischen Kontext (1860–1948). München 2003 (Südosteuropäische Arbeiten 117), 152–157.

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Ungarn, befürwortete den 11. April anstelle des 15. März als Nationalfeiertag. Er vertrat die Ansicht, dass die sogenannten „Aprilgesetze“, die Franz Josephs Vorgänger Kaiser Ferdinand V. am 11. April 1848 unterschrieben hatte, die Grundlage des Ausgleichs von 1867 und damit der Begründung der Doppelmonarchie gewesen seien. Der 11. April schien also ein für einen ungarischen Nationalfeiertag in der Doppelmonarchie unumstrittenes Datum zu sein. So wie im Falle der Polen im Lemberger Stadtrat bemühten sich die Reichsloyalisten in Ungarn, die Revolution von 1848 in den größeren Kontext der politischen Fortschritte einzuordnen, die der transleithanische Reichsteil seit 1867 erzielt hatte. Sie sahen die Revolution als ersten Schritt auf dem Weg zur Doppelmonarchie, die für die Magyaren (fast) alle politischen Rechte sicherstellte, die sie 1848 gefordert hatten. Darüber hinaus bekundete eine Deklaration des Königs am 11. April, dass dieser Tag das Fundament der Doppelmonarchie bilde, womit er implizierte, dass zumindest einzelne Aspekte der Revolutionen von 1848 in Österreich-Ungarn auch offiziell erinnerungswürdig waren und gefeiert werden konnten.54 Einige in der ungarischen Gesellschaft zogen es dennoch vor, des Tages zu gedenken, der Petőfi und seinen Freundeskreis unsterblich gemacht hat: Über nichtstaatlichen Gebäuden wurde am 15. März 1898 die rot-weiß-grüne ungarische Trikolore aufgezogen, Frauen kleideten sich in Nationaltracht und Geschäfte blieben geschlossen. Studenten, Schüler, Stadtbürger und sogar Bauern schienen diesen Gedenktag zu bevorzugen. Auch viele Sozialdemokraten machten sich durch rote Abzeichen öffentlich kenntlich. Sie veranstalteten eine Prozession zum Petőfi-Standbild, wo sie mit den Liberalen, die ihre eigene Versammlung abhielten, um die Aufmerksamkeit des Publikums konkurrierten, wobei die Sozialdemokraten beim Absingen der „Internationale“ einen klaren Vorteil gegenüber dem Liedrepertoire der Liberalen hatten. Anders gesagt, beide Gruppen betrachteten sich als rechtmäßige Erben der 1848er-Revolution.55 Aber nicht nur die Magyaren im Königreich Ungarn gedachten des Jahres 1848. Auch andere unter ungarischer Herrschaft lebende Nationalitäten bedienten sich des Jahrestages der Revolution für ihre eigenen nationalen Protestkundgebungen. Ein Beispiel war die vom Rumänischen Nationalkomitee im Mai 1898 veranstaltete Versammlung. Auch dies zeigt, wie anpassungsfähig historisches Gedenken ist, das mal zur Stützung, mal zur Unterminierung politischer Legitimität dient. Wie umstritten die Ereignisse von 1848 blieben, belegte bis 1898 das HentziStandbild, das sich im Stadtzentrum von Buda befand. Dieses neogotische Monument erinnerte an den loyalen Habsburgergeneral Heinrich Hentzi, der im Kampf gegen die Honvéd-Armee fiel. Dass er Pest beschießen ließ, soll Zar Nikolaus I. von Russland ermöglicht haben, seine Truppen zur Unterstützung Österreichs zu schicken und die 54 Freifeld, Alice: The Cult of March 15: Sustaining the Hungarian Myth of Revolution, 1849–1999. In: Staging the Past (wie Anm. 7), 245–275, hier 268. Zu diesem Jahrestag auch Hanák, Pétér: Die Parallelaktion von 1898: Fünfzig Jahre ungarische Revolution und fünfzigjähriges Regierungsjubiläum Franz Josephs. In: Österreichische Osthefte 27 (1985), 366–380. 55 Freifeld (wie Anm. 54), 267.



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Niederlage der ungarischen Revolution herbeizuführen. Hentzi war ein Held für Kaiser Franz Joseph, der nicht nur das 1852 enthüllte Budapester Denkmal in Auftrag gab, sondern auch ein Gemälde von Hentzis Tod, das er in seinem Schlafzimmer in Wien aufhängen ließ. Für die magyarischen Revolutionäre dagegen war Hentzi ein Verräter, denn er hatte Lajos Kossuth versprochen, niemals auf seine ungarischen Landsleute zu schießen. Michael Laurence Miller hat gezeigt, dass das Denkmal dem Zweck diente, „die habsburgische Legitimität und Autorität nach der Revolution von 1848 wiederherzustellen“.56 Aber den ungarischen Patrioten war es ein Dorn im Auge. In regelmäßigen Abständen kam es zu Protestkundgebungen, und es gab sogar einen Versuch, das Standbild in die Luft zu sprengen. Schließlich wurde es 1898 in den der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Garten einer Militärakademie versetzt, um den ungarischen Kadetten als nicht ganz unumstrittenes Vorbild zu dienen. So wurde sein zentraler Standplatz frei für ein Denkmal der eben ermordeten Kaiserin Elisabeth, die bei den Magyaren außerordentlich beliebt gewesen war.57 Nochmals 1898: Die panslavische Dimension In den böhmischen Ländern wurde 1898 noch ein weiterer Jahrestag begangen, nämlich der 100. Geburtstag eines der größten Söhne der tschechischen Nation, František Palacký. Dieser Historiker und Politiker galt vielen als Vater der tschechischen Nation. Friedrich Engels bezeichnete ihn allerdings als gelehrten Deutschen, der verrückt geworden sei,58 weil sich Palacký selbst als Tscheche sah, wie er in seinem berühmten Brief an das deutsche Vorparlament im Frühjahr 1848 verdeutlichte.59 Palacký war der Autor einer monumentalen Geschichte Böhmens, deren Erstfassung er auf Deutsch schrieb. Die zweite, auf Tschechisch geschriebene Fassung erhielt den neuen Titel „Dějiny národa českého v Čechách a v Moravě“ (Geschichte der tschechischen Nation in Böhmen und Mähren). Interessanterweise ließ Palacký die Geschichte im Jahr 1526 enden, als Böhmen unter habsburgische Herrschaft fiel, so als ob er eine andere

56 Miller, Michael Laurence: A Monumental Debate in Budapest: the Hentzi Statue and the Limits of Austro-Hungarian Reconciliation, 1852–1918. In: Austrian History Yearbook 40 (2009), 215–237, hier 220. 57 Mehr zu Kaiserin Elisabeths Bild in Ungarn Gerö (wie Anm. 48), 96–103. 58 „Der Hauptkämpe der tschechischen Nationalität, Professor Palacký, ist selbst nur ein übergeschnappter deutscher Gelehrter, der bis auf den heutigen Tag die tschechische Sprache nicht korrekt und ohne fremden Akzent sprechen kann.“ Engels, Friedrich: Revolution und Konterrevolution in Deutschland. VIII [Polen, Tschechen und Deutsche. In: New York Daily Tribune, 05. 03. 1852]. In: Marx, Karl/Engels, Friedrich: Werke. Bd. 8: August 1851 – März 1853. Berlin [DDR] 1960, 49–52, hier 52. 59 Palacky, Franz: Eine Stimme über Österreichs Anschluß an Deutschland. An den Fünfziger-Ausschuß zu Handen des Hrn. Präsidenten Soiron in Frankfurt a. M. Prag, den 11. April 1848. Vgl. dazu die kritische Edition bei Helmedach, Andreas: František Palackýs Schreiben an das Paulskirchenparlament: „Eine Stimme über Österreichs Anschluß an Deutschland“. Eine bisher unbeachtete Quelle zur Geschichte des Südosteuropabegriffs. In: Jahrbücher für Geschichte und Kultur Südosteuropas 1 (1999), 161–168, hier 164–168.

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von ihm stammende, berühmte Sentenz betonen wollte: „Wir waren vor Österreich da, wir werden es auch nach ihm sein.“60 Die Gedenkveranstaltungen für Palacký fanden in Prag vom 12. bis 20. Juni 1898 statt. Dies war das erste Mal nach dem Prager Slavenkongress von 1848, dass in der böhmischen Hauptstadt Repräsentanten aller slavischen Völker anwesend waren.61 Der Anlass gab Gelegenheit zu etlichem Ge- und Missbrauch von Geschichte, außerdem tat er einiges, um das Verhältnis zwischen Österreich-Ungarn und Russland weiter zu belasten, weil ein Teil der Feierlichkeiten eine panslavische Stoßrichtung erhielt. Bei dieser umfassenden Repräsentation der slavischen Nationalitäten war es kaum überraschend, dass auf die allslavische Brüderschaft angestoßen wurde, während sich doch Palacký selbst als einer der ersten für den Austroslavismus eingesetzt hatte – eine Bewegung, die fürchtete, die Slaven könnten unter die Dominanz des Russischen Reiches geraten. Palackýs anderer berühmter Ausspruch lautete: „Wahrlich, existirte der österreichische Kaiserstaat nicht schon längst, man müßte im Interesse Europa’s, im Interesse der Humanität selbst sich beeilen, ihn zu schaffen.“62 Unter den Teilnehmern des geselligen Beisammenseins im Andenken an Palacký befand sich Vissarion V. Komarov, Herausgeber der russischen Zeitung „Svet“ (Die Welt). In seinem Trinkspruch erinnerte er an ein fernes Ereignis: die Schlacht von Tannenberg/Grunwald/Hrjunval’d/Žalgiris 1410. Was hatte diese Schlacht mit der Freundschaft der slavischen Völker zu tun? Es handelte sich um einen Sieg der vereinigten polnisch-litauischen Heere und ihrer Verbündeten, darunter einige Tschechen, Ruthenen und Mährer, über die Furcht einflößende Streitmacht des Deutschen Ordens.63 Obwohl die Ordensritter häufig in nationale Kontinuität zu Preußen oder Deutschland gestellt werden, stammten sie in Wahrheit aus vielen verschiedenen Ländern. Komarov behauptete gleichwohl, dass bei Tannenberg die Polen, Tschechen und – das war neu – Russen gemeinsam einen „deutschen“ Ritterorden bezwungen hätten, als dieser die slavische Welt bedroht habe. Bei Tannenberg gab es nach damaliger wie heutiger Kenntnis keine russischen bzw. moskauischen Streitkräfte, nur weiß- und rotruthenische – in heutiger Nomenklatur belarussische und ukrainische – Kämpfer aus 60 Z. B. Sayer, Derek: The Coasts of Bohemia. A Czech History. Princeton, NJ 1998, 68, 76, 108, 127– 129, 136 f. – Mehr zu Palacký bei Baár, Monika: Historians and Nationalism. East-Central Europe in the Nineteenth Century. Oxford 2010 (Oxford Historical Monographs), 29–35, besonders 32–34. Das Zitat aus Palacký, František: Österreichs Staatsidee. Prag 1866, 77. 61 Wakounig, Marija: Palacký-Feiern (1898) als bilaterales Problem zwischen Österreich-Ungarn und Russland. In: Slovanské štúdie (2004 [2006]) 4, 64–70, hier 67 f. 62 Palacky, Österreichs Anschluß (wie Anm. 59), 166. 63 Ekdahl, Sven: Die Schlacht bei Tannenberg 1410. Quellenkritische Untersuchungen. Bd. 1: Einführung und Quellenlage. Berlin 1982 (Berliner Historische Studien: Einzelstudien 1); Petrauskas, Rimvydas/Staliūnas, Darius: Die drei Namen der Schlacht: Erinnerungsketten um Tannenberg/ Grunwald/Žalgiris. In: Verflochtene Erinnerungen. Polen und seine Nachbarn im 19. und 20.  Jahrhundert. Hg. v. Martin Aust, Krzysztof Ruchniewicz und Stefan Troebst. Köln-Weimar-Wien 2009 (Visuelle Geschichtskultur 3), 119–136; Tannenberg – Grunwald – Žalgiris 1410. Krieg und Frieden im späten Mittelalter. Hg. v. Werner Paravicini, Rimvydas Petrauskas und Grischa Vercamer. Wiesbaden 2012 (Deutsches Historisches Institut Warschau: Quellen und Studien 26).



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dem polnisch-litauischen Staatswesen, aber das schien den russischen Zeitungsmann nicht weiter zu stören, der bei dieser Gelegenheit die ostslavischen Völker mit ihren späteren (groß-)russischen Herren in einen Topf warf. Auch spielte für ihn keine Rolle, dass die nicht-slavischen Litauer einen wichtigen Anteil an der vermeintlich „slavischen“ Armee hatten; schließlich waren die Litauer auch ein Hauptziel der Kreuzzüge des Ritterordens gewesen, als dieser die heidnischen Völker des Baltikums mit dem Schwert christianisierte. Dergleichen feine Unterschiede schienen den Teilnehmern der Palacký-Feiern von 1898 völlig zu entgehen, die Marija Wakounig zufolge die Spannungen zwischen Österreich-Ungarn und Russland wiederaufleben ließen.64 Im Fin de Siècle wurden die Schlachtordnungen des Mittelalters in neuer Formation gegeneinander in Stellung gebracht, nämlich als Slaven gegen Teutonen, und die Nachfahren der gegnerischen Seiten machten sich dieses vereinfachte Bild zu eigen. In diese Richtung wies etwa die von Wilhelm II. angeordnete Instandsetzung der vormaligen Hauptburg des Deutschritterordens in Marienburg/Malbork, ganz zu schweigen von der im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts beiderseits aus Anlass des 500. Jahrestags der Schlacht in Stellung gebrachten Rhetorik.65 1898: Mickiewicz kontra Murav’ëv Die 500-Jahr-Feier der Schlacht von Tannenberg 1910 war die größte öffentliche Gedenkveranstaltung, die in Krakau, der westgalizischen Metropole und polnischen Hauptstadt im Mittelalter, vor dem Ersten Weltkrieg stattfinden sollte. Allerdings feierten Krakauer, galizische Polen und Polen aus anderen Teilen der alten Rzeczpospolita 1898 noch einen anderen Jahrestag. Dies war der 100. Geburtstag des großen romantischen Dichters und „Sehers“ (poln. wieszcz) der polnischen Nationalbewegung Adam Mickiewicz. Wenige Jahre zuvor waren die sterblichen Überreste des im osmanischen Exil Verstorbenen nach Krakau überführt und an der Seite der polnischen Könige und großen Heerführer in der Krypta der Kathedrale auf dem Wawel bestattet worden. Zu jener Zeit besaß Mickiewicz bereits die in unterschiedlicher Form ausdeutbare, aber dadurch vielleicht gerade genehme Beredsamkeit eines Toten, der sich nicht mehr gegen Missinterpretationen seiner Worte und Taten zu Wehr setzen konnte. Sein Vermächtnis wurde von Polen jedweder politischer Couleur wie auch von Litauern und Belarussen in Anspruch genommen: Sie alle wollten im Zeitalter der politischen Massenbewegungen Kapital aus seinem Charisma schlagen.66 1898 wurde je ein bronzenes Mickiewicz-Monument in Krakau und in Warschau aufgestellt – in zwei Städten, in die der aus dem östlichen Grenzgebiet stammende Dichter nie den Fuß gesetzt hat. Krakau besaß als Ort nationalpolnischer Gedenk64 Wakounig (wie Anm. 61), 67 f. 65 Dabrowski (wie Anm. 35), Kap. 6, bes. 161. 66 Ebd., Kap. 3 and 5. Zu litauischen und belarussischen Mickiewicz-Übersetzungen Snyder, The Reconstruction of Nations (wie Anm. 28), besonders Kap. 2.

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veranstaltungen bereits große Erfahrung, weil die galizischen Polen seit den späten 1860er-Jahren größere politische Freiheiten besaßen, für Warschau dagegen war das ein Novum. Gegen alle Erwartungen hatte der neue russische Zar Nikolaus II. seinen polnischen Untertanen erlaubt, ihren Dichter in dieser Form zu ehren. Andere Jubiläumsveranstaltungen wie etwa zum 100. Jahrestag der Maikonstitution 1891 waren von seinen Vorgängern verboten worden. Polen, die dennoch versuchten, Ereignissen ihrer Nationalgeschichte öffentlich zu gedenken, bestrafte das Zarenregime. Schließlich fand die Enthüllung des Warschauer Denkmals in tiefem Schweigen statt, weil sich die Polen zu Beginn der Zeremonie weigerten, die Zarenhymne „Bože car’ja chrani“ (Gott schütze den Zaren) zu singen – ein Beleg dafür, welche Spannungen aus der präzedenzlosen Erlaubnis zum Gedenken an den Nationalhelden erwuchsen.67 Tatsächlich wurde Nikolaus’ Entscheidung dadurch konterkariert, dass russische Patrioten fast zeitgleich eine Art Gegengedenken abhielten. Dieses war dem zarischen Generalgouverneur Michail N. Murav’ëv gewidmet, den die Polen „den Henker“ nannten, weil er die polnische Bevölkerung in der Region von Wilna/Wilno/Vil’na/ Vilnja/ Wilne/ Vilnius mit besonderer Brutalität unterdrückt hatte, als sie sich mit ihren Landsleuten in anderen Teilen des Reiches 1863 gegen die Zarenherrschaft erhoben. Während Murav’ëv bei den Russen als Held galt, war er bei den Polen verhasst, denn er hatte nicht nur veranlasst, Aufständische hängen, füsilieren und ins Exil schicken zu lassen. Vielmehr tat er darüber hinaus alles, um sämtliche Spuren des Katholizismus und der polnischen Kultur in den Nordwestprovinzen des Russländischen Reiches zu tilgen.68 Unter den Befürwortern eines Murav’ëv-Denkmals befand sich auch der panslavische Zeitungsherausgeber Komarov, der gleichwohl darauf bestand, dass sich das Denkmal nicht gegen die Polen richtete, sondern nur gegen die Aufständischen, die Murav’ëv als loyaler Diener des Zaren folglich berechtigterweise bekämpft habe. Interessanterweise pflichteten ihm andere russische Patrioten in dem Punkt bei, Murav’ëv habe nicht aus antipolnischen Motiven gehandelt.69 Nikolaus II. sandte zur Enthüllung des Denkmals ein Telegramm, in dem er den Mann wie das Gedenken an ihn gleichermaßen pries. Theodore R. Weeks vertritt die Auffassung, dass die Enthüllung dieses Denkmals und die begleitenden Feierlichkeiten dazu dienten, den Untertanen des Reiches klarzumachen, dass Wilna eine russische Stadt sei, obwohl in der von den Litauern (und Weißrussen) als Hauptstadt beanspruchten Stadt, dem „Jerusalem des Ostens“, entschieden mehr Juden und Polen lebten als Russen. Die genannten Jahrestage waren nur ein kleiner Teil der historischen Gedenkveranstaltungen, die 1898 in Ostmitteleuropa stattfanden. Ergänzend sollte noch auf die Bauern in Österreich-Ungarn hingewiesen werden, die sicherlich in der Aufhebung

67 Dabrowski (wie Anm. 35), 148–154, 109–112. 68 Dieser Abschnitt fußt auf Weeks, Theodore R.: Monuments and Memory: Immortalizing Count M. N. Muraviev in Vilna, 1898. In: Nationalities Papers 27 (1999), 551–564. 69 Ebd., 558.



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der Grundhörigkeit ein halbes Jahrhundert zuvor einen Anlass zum Feiern sahen,70 wie überdies auch etliche Leser von Karl Marx’ „Kommunistischem Manifest“ den 50. Jahrestag der Erstveröffentlichung dieser Brandschrift erinnert haben dürften. Sonderfall Osmanisches Reich Richard Wortman und Daniel Unowsky haben eindrucksvolle Arbeiten über „Szenarien der Macht“ und „Pomp und Politik des Patriotismus“ im zarischen Russland und der Habsburgermonarchie vorgelegt.71 Dagegen fehlt eine vergleichbare Studie für das Osmanische Reich. Dafür gibt es wenigstens drei Gründe. Erstens beginnt die hochspezialisierte osmanistische Forschung gerade erst, den cultural turn zu rezipieren. Zweitens gehörten im Reich des Padischah Macht, Politik und deren Inszenierung zum Arkanbereich des Sultanspalastes. Schließlich kannte drittens das Osmanische Reich aufgrund der islamischen Vorschriften für seine historischen Helden die figürliche Darstellung zwar in illustrierten Manuskripten, nicht aber in der Öffentlichkeit. Dennoch führten der tiefgreifende politische Wandel und die Reformanstrengungen des 19. Jahrhunderts auch in der osmanischen Kultur zu einer unübersehbaren Historisierung – der Bezug auf die Reichgsgeschichte wurde Teil der Politik. Frühere Jahrhunderte waren eine Blütezeit der von ganzen Generationen von Hofhistorikern verfassten Geschichten gewesen, die allerdings der Öffentlichkeit vorenthalten wurden. Bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts gefielen sich Sultane, Großwesire und die Verwaltungselite des Reichs darin, Paläste und Gärten von märchenhafter Schönheit bauen zu lassen, Lyrik, Kunst und Architektur zu fördern und selbst eine europäische Lebensart zu pflegen, aber sie blieben vom Rest der osmanischen Gesellschaft, ob islamisch oder nicht, hermetisch abgeschlossen. Selbst Thronbesteigungen, Hochzeiten und Begräbnisse der Sultane waren keine öffentlichen Angelegenheiten. Der Padischah zeigte sich einer begrenzten Zahl seiner Untertanen nur gelegentlich während des Freitagsgebetes (selamlık) in einer Moschee nahe seinem Palast. Das Reich trat gegenüber seinen Bewohnern vor allem in Gestalt der Bürokratie, des Militärs sowie der feudalen und religiösen Einrichtungen in Erscheinung. Es gehörte dagegen nicht zur Praxis der osmanischen Herrschaft, sich in historisierenden Inszenierungen öffentlich zu legitimieren, da der Sultan-Kalif seinen Auftrag direkt von Gott erhielt und damit dynastisch wie religiös als Kämpfer und Beschützer des sunnitischen Islam dauerlegitimiert war.72 70 Zu früheren Veranstaltungen der ruthenischen Galizier zur Erinnerung an die Abschaffung der bäuerlichen Leibeigenschaft durch Kaiser Joseph II. s. Unowsky, Daniel L.: Celebrating Two Emperors and a Revolution: The Public Contest to Represent the Polish and Ruthenian Nations in 1880. In: Limits of Loyalty (wie Anm. 34), 113–137. 71 Wortman, Richard: Scenarios of Power: Myth and Ceremony in Russian Monarchy. From Peter I the Great to the Abdication of Nicholas II. Princeton, NJ 2006 (gekürzte Fassung der zweibändigen Ausgabe, siehe Anm. 20); Unowsky, Pomp and Politics of Patriotism (wie Anm. 32). 72 Legitimizing the Order. The Ottoman Rhetoric of State Power. Hg. v. Hakan T. Karateke und Maurus Reinkowski. Leiden 2005 (The Ottoman Empire and Its Heritage 34). Vgl. auch Necipoğlu, Gülru:

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Eine Änderung trat mit der Thronbesteigung Mahmuds II. (1808–1839) ein. Zu seiner ehrgeizigen Reformagenda gehörte in den Worten von Darin Stephanov, „die erste Verschiebung in der (modernen) Sichtbarkeit des Herrschers“.73 Nunmehr wurden anlässlich von Herrschergeburtstagen und Jahrestagen der Thronbesteigung in Istanbul, in Provinzmetropolen und selbst im Ausland öffentliche Zeremonien choreografiert und Porträts des Sultans an öffentlich zugänglichen Orten gezeigt.74 Ab 1854 veröffentlichte Ahmed Cevdet Paşa, ein hochrangiger konservativer Beamter, eine nach modernen Gesichtspunkten geschriebene, monumentale vielbändige Geschichte des Reiches.75 Und Sultan Abdülaziz (1861–1876) brach sogar mit einer ehernen Regel der Osmanen, indem er zur Pariser Weltausstellung von 1867 reiste, wo er erstmals vor den Augen der Welt das Islamische Reich der drei Kontinente persönlich repräsentierte.76 Im letzten Viertel des Jahrhunderts, als sich nach und nach die europäischen Teile des Reiches abspalteten, Ägypten abtrünnig, die militärischen Niederlagen und ausländischen Interventionen zahlreicher wurden, gar die Staatsfinanzen zusammenbrachen und eine internationale Staatsschuldenverwaltung akzeptiert werden musste, integrierte Sultan Abdülhamid II. (1876–1909) endgültig seine Regierungspraxis und damit die Geschichtspolitik in die osmanische politische Kultur. Er orientierte sich dabei am Vorbild von St. Petersburg, Wien und insbesondere London, indem er das Haus Osman und seine ruhmreiche Vergangenheit öffentlich in Szene setzte. Als er im ersten Jahr seiner Herrschaft durch innere Unruhen und Druck von außen gezwungen war, einer Verfassung und einem Parlament zuzustimmen, wurde dieses in einer verschwenderischen öffentlichen Zeremonie im Dolmabahçe-Palast des Sultans eröffnet.77 Abdülhamid selbst beteiligte sich alsbald an der invention of tradition, wie Selim Deringil in seiner grundlegenden Monografie über Ideologie und Machtlegiti-

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Architecture, Ceremonial, and Power. The Topkapı Palace in the Fifteenth and Sixteenth Centuries. Cambridge 1991. Stephanov, Darin: Minorities, Majorities, and the Monarch. Nationalizing Effects of the Late Ottoman Royal Public Ceremonies, 1808–1908. Ph. D. Thesis, University of Memphis, Department of History, 2011, Kap. 1. Karateke, Hakan: Padişahım Çok Yaşa! Osmanlı Devletinin Son Yüzyılında Merasimle [Lang lebe der Sultan! Das neue Jahrhundert des osmanischen Hofzeremoniells]. İstanbul 2004 (Kitap Yayınevi 51; Tarih ve coğrafya dizisi 20). Neumann, Christoph K.: Das indirekte Argument. Ein Plädoyer für die Tanzīmāt vermittels der Historie: Die geschichtliche Bedeutung von Ahmed Cevdet Paşas Ta‘rih. Münster-Hamburg 1994 (Periplus Parerga 1). Kreiser, Klaus: Der Osmanische Staat 1300–1922. München 22008 [12001] (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 30), 42; Canol, Gülden: Agency and Representation. Ottoman Participation in Nineteenth Century International Fairs. Saarbrücken 2010. Shaw, Stanford J./Shaw, Ezel Kural: History of the Ottoman Empire and Modern Turkey. Bd.  2: Reforms, Revolution, and Republic: The Rise of Modern Turkey, 1808–1975. Cambridge 1978, 181 f.



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mation unter diesem Sultans gezeigt hat.78 Entsprechend hält M. Şükrü Hanioğlu in seiner Geschichte der Spätzeit des Osmanenreiches fest: „As part of an attempt to re-mythologize the establishment of the state, the tombs of comrades of Ertuğrul Bey (the father of Osman I, the founding father of the Ottoman dynasty) were uncovered, named, and lavishly renovated [in 1886]. The 600th anniversary of the foundation of the state [in 1904] was celebrated with enormous pomp and ceremony, and a new tradition inaugurated, which even the sultan’s political rivals, the Young Turks, could not help but observe in exile. In classrooms throughout the empire, new maps featuring the empire in its entirety broke an age-old Ottoman tradition of showing each continent separately and inspired youngsters to imagine an enormous transcontinental community.“79

Im Anschluss daran kreierte Abdülhamid einen Personenkult, der osmanische Tradition mit europäischen Rollenmodellen verknüpfte. Dazu Hanioğlu: „[T]he twenty-fifth anniversary of Abdülhamid II’s rule in 1901 was marked in a way unmistakably reminiscent of the golden jubilee of Queen Victoria in 1887 – down to the erection of clock towers in the main squares of a host of provincial towns.“80

Allerdings verbot Abdülhamid die Zurschaustellung seines Porträts und generell die Aufstellung figürlicher Herrscherdenkmäler; stattdessen bevorzugte er Symbole wie das Reichswappen oder kalligrafierte Parolen wie „Lang lebe der Sultan!“. In Istanbul waren sogar Denkmäler für Persönlichkeiten außerhalb der Politik wie Schriftsteller oder Philosophen verboten. Wie Klaus Kreiser gezeigt hat, war dies keine islamische, sondern eine osmanische Politik, denn gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren Reiterdenkmäler von Herrschern in islamischen Großstädten wie Teheran oder den vormals osmanischen Metropolen Alexandria und Kairo in Ägypten bereits ein gewohnter Anblick.81 Aber das Gedenken an osmanische Geschichte und Heldenverehrung war selbst dann nicht allzu massenwirksam, wenn es auf figürliche Darstellungsformen verzichtete, da die osmanisch-türkische Schriftsprache den meisten Untertanen des Sultans unverständlich war. Das lag daran, dass selbst die des arabischen Alphabets 78 Deringil, Selim: The Well-Protected Domains. Ideology and the Legitimation of Power in the Ottoman Empire 1876–1909. London-New York, NY 1998, 31 f. 79 Hanioğlu, M. Şükrü: A Brief History of the Late Ottoman Empire. Princeton, NJ 2008, 128. 80 Ebd., 126. 81 Kreiser, Klaus: Public Monuments in Turkey and Egypt, 1840–1916. In: Muqarnas. An Annual on the Visual Culture of the Islamic World 14 (1997), 103–117; Ders.: Denkmäler für Heroen des Geistes. Materialien zu einer osmanischen Obsession. In: Südosteuropa. Von vormoderner Vielfalt und nationalstaatlicher Vereinheitlichung. Festschrift für Edgar Hösch. Hg. v. Konrad Clewing und Oliver Jens Schmitt. München 2005 (Südosteuropäische Arbeiten 127), 303–314; Ders.: Midhat Paşa zwischen Sofia und Basra: K(l)eine Denkmäler für einen großen Mann. In: Schnittstellen. Gesellschaft, Nation, Konflikt und Erinnerung in Südosteuropa. Festschrift für Holm Sundhaussen zum 65. Geburtstag. Hg. v. Ulf Brunnbauer, Andreas Helmedach und Stefan Troebst. München 2007 (Südosteuropäische Arbeiten 133), 421–433.

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Kundigen vielfach außerstande waren, den komplizierten osmanischen Literaturstil zu verstehen, der sich zudem vieler Fremd- und Lehnwörter aus dem Arabischen und Persischen bediente. Historisches Wissen wurde deshalb fast ausschließlich mündlich tradiert, im Alltagsgespräch, im Familiengedächtnis, beim öffentlichen Geschichtenerzählen oder beim Singen von Volksliedern. So blieb fast bis zum Untergang des transkontinentalen Osmanenreiches dessen Erinnerungskultur vorwiegend religiös und volkskulturell geprägt und war wenig beeinflusst vom offiziösen Geschichtsbild. Abdülhamids Anstrengungen, seine Herrschaft in neuen Formen zu repräsentieren, fielen mit einer am Ende des Jahrhunderts eintretenden visuellen Revolution zusammen, dem Triumphzug von Fotografie und (Stumm-)Film, und gewannen durch diese ganz neue Impulse.82 In den Städten gab es jetzt Bildpostkarten zu kaufen und Filme zu sehen, die den Sultan an historischen Orten gemeinsam mit Staatsgästen wie Kaiser Wilhelm II. zeigten, der 1898 nach Istanbul kam. Nicht nur die Regierung setzte die neuen visuellen Medien ein, sondern auch andere politische Akteure wie das jungtürkische „Komitee für Einheit und Fortschritt“ (İttihat ve Terakki Cemiyeti), das 1908 einen Staatsstreich gegen den Sultan organisierte. Die jungtürkische Bewegung, die sich aus nationalistischen Berufsoffizieren, Beamten, Intellektuellen und Studenten zusammensetzte, war besonders bei der muslimischen und christlichen Bevölkerung des Balkans populär. In Manastır/Bitola (heute in Makedonien) zeigten die Brüder Janaki und Milton Manaki, zwei Filmpioniere, serielle Bilder prominenter jungtürkischer Politiker, um sie zu unterstützen.83 In den letzten Jahrzehnten des Osmanischen Reiches war dessen politische Elite in islamistische Konservative einerseits sowie eine aufkommende türkisch-nationalistische Opposition und pro-westliche Intellektuelle andererseits gespalten. Interessanterweise speiste sich die historische Doktrin des Panturkismus aus Schriften ausländischer Gelehrter sowie den Beiträgen turksprachiger Immigranten von der Krim, dem Kaukasus und besonders der Volga-Region des zarischen Russland.84 Nach ihrer Machtübernahme 1908 leiteten die Jungtürken ein Türkisierungsprogramm ein, das sich vor allem gegen nicht-türkische und nicht-muslimische Bevölkerungsgruppen wie Griechen, Armenier und Südslaven richtete, aber auch gegen die muslimischen Araber. Die direkt aufeinanderfolgenden Kriege der Jahre 1912 bis 1918 ermöglichten es den Jungtürken, ihr Programm des türkischen nation-building und der Verwestli82 Shaw, Wendy: Ottoman Photography of the Late Nineteenth Century: An ‘Innocent’ Modernism? In: History of Photography 33 (February 2009) 1, 80–93; Genç, Adnan u. a.: Sultan II. Abdülhamid arşivi İstanbul fotograflari/Photographs of Istanbul from the Archives of Sultan Abdülhamid II. İstanbul 2008; Imperial Self-portrait. The Ottoman Empire as Revealed in the Sultan Abdul Hamid II.’s Photographic Albums Presented as Gifts to the Library of Congress (1893) and the British Museum (1894). A Pictorial Selection with Catalogue, Concordance, Indices, and Brief Essays. Hg. v. Carney E. S. Gavin. Duxbury, MA 1988 (Journal of Turkish Studies 12); Çizgen, Engin: Photography in the Ottoman Empire, 1839–1919. Beyoğlu-İstanbul 1987. 83 Özen, Mustafa: Visual representation and propaganda: Early films and postcards in the Ottoman Empire, 1895–1914. In: Early Popular Visual Culture 5 (July 2008) 2, 145–157, hier 149. 84 Shaw/Shaw (wie Anm. 77), 260–263; Fuhrmann, Malte: Der Traum vom deutschen Orient. Zwei deutsche Kolonien im Osmanischen Reich 1851–1918. Frankfurt a. M. 2006.



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chung unter Rückgriff auf Notstandsmaßnahmen mit brutaler Gewalt durchzusetzen. Als das mit den Mittelmächten verbündete Reich militärisch zusammenbrach, endete ihre Herrschaft. Doch war es ein früherer Jungtürke, Mustafa Kemal Pascha, der als „Vater der Türken“ (Atatürk) bekannt werden sollte, der auf den Ruinen der osmanischen Herrschaft den modernen, autokratisch-säkularen türkischen Nationalstaat errichtete. Dessen vormals umfassende Besitzungen auf dem Balkan waren nun zu einem kleinen Landstreifen um die Stadt Edirne geschrumpft, während die arabischen und afrikanischen Provinzen gänzlich weggebrochen waren. Um sein Projekt der Umwandlung der Türkei in einen „europäischen“ Nationalstaat zu fördern, reduzierte Atatürk den Einfluss des Islam drastisch, legte das osmanische Erbe weitgehend ab und propagierte die Türken der vorislamischen Zeit als Vorboten einer säkularen und damit wahrhaft türkischen Kultur – nicht zuletzt mittels einer durch Erziehungswesen und Staatsmedien transportierten Geschichtspolitik.85 Nationalgesellschaften auf dem Balkan Die orthodoxen Gemeinschaften von Griechen, Bulgaren, Rumänen und Serben (sowie der Albaner im Epirusgebirge) zeichneten sich durch ethnoreligiös geprägte Erinnerungskulturen bei Dominanz von Opfermythen und Heiligenkulten aus. Stefan Rohdewald nennt die Erinnerungsorte eines „serbischen himmlischen Reiches“ und eines „bulgarischen Gottes“ (neben einem „makedonischen Gott“) prototypisch für die Region und betont die Phänomene einer longue durée wie die Kulte von Nationalheiligen, beispielsweise St. Sava im Falle der Serben oder die heiligen Kyrill und Method sowie ihr Schüler St. Kliment im Falle der Bulgaren und Makedonier.86 Rohdewald zufolge sind „politische Herrschaft“, „religiöse memoria“ und „nationales Gedächtnis“ unauflösbar miteinander verflochten, was die hochgradige Homogenität der jeweiligen Erinnerungskulturen und die Möglichkeit rascher sozialer Mobilisierung mit sich bringt. Ebenso weist Rohdewald darauf hin, dass Orthodoxie und Slavische Idee zugleich transnationale Züge tragen, die gelegentlich Unterschiede der Sprache und der Nationalkultur, gar des sozialen Status überwanden. Ferner betont er, dass Serben und Bulgaren den relativen Vorteil hatten, in ihrem historischen Gedächtnis jeweils über mittelalterliche Reichsbildungen zu verfügen. Die Rumänen konnten immerhin mit ihrer postulierten „antiken“ romanité dagegenhalten, die Griechen konstruierten eine Kontinuität zum Byzantinischen Reich und damit ebenfalls zur Antike, 85 Copeaux, Etienne: Une Vision turque du monde à travers les cartes de 1931 à nos jours. Paris 2000; Adanır, Fikret: Zum Geschichtsbild der nationalen Erziehung in der Türkei. In: Internationale Schulbuchforschung 10 (1988), 7–40. 86 Rohdewald, Stefan: Sava, Ivan von Rila und Kliment von Ohrid: Heilige in nationalen Diensten Serbiens, Bulgariens und Makedoniens. In: Die Renaissance der Nationalpatrone. Erinnerungskulturen in Ostmitteleuropa im 20./21. Jahrhundert. Hg. v. Stefan Samerski. Köln-Weimar-Wien 2007, 181–216 (vgl. auch seinen sowie Daniela Kolevas Beitrag im vorliegenden Band); Ders.: Götter der Nationen. Religiöse Erinnerungsfiguren in Serbien, Bulgarien und Makedonien (ca. 800–1944). Köln-WeimarWien (Visuelle Geschichtskultur 14) (im Erscheinen).

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und die Albaner führten ihre Ursprünge auf die antiken Stämme der Illyrer und Dardaner zurück. Stärker auf das Spätmittelalter bezogen waren hingegen der griechische „Turkokratie“-Begriff, die bulgarische Denkfigur vom „türkischen Joch“ sowie die serbische Fixierung auf Niederlagen gegen die Osmanen denn auf Siege. Wie János Bak treffend feststellt, war diese „Mediävisierung der Politik“ nicht auf den Balkan begrenzt, sondern auch für Ostmitteleuropa im Allgemeinen und Ungarn und die Magyaren im Besonderen typisch.87 Wie die neuen Studien von Melissa Bokovoy, Claudia Weber, Maria Bucur und Martina Baleva zeigen, fokussierten balkanchristliche Erinnerungskulturen ebenso wie regierungsoffizielle Geschichtspolitiken der Balkanstaaten besonders militärische Ereignisse wie Aufstände gegen die Osmanen, die Balkankriege und den Ersten Weltkrieg.88 Diese Studien stellen die gender-Dimension des Umgangs mit der Vergangenheit heraus, insbesondere bei der Bewältigung des Todes unzähliger Landsleute. Sie unterscheiden „bürgerliche“ und „offizielle“ Erinnerungskulturen: Erstere geprägt von weiblichen Gedenkpraktiken wie Trauer, Wehklage und religiösen Ritualen, Letztere dagegen männlich geprägt und gekennzeichnet durch Heldenverehrung, Pflege des Nationalstolzes und stark formalisiertes militärisches Zeremoniell. Kosovo-Mythos, St.-Veits-Tag und Sava-Kult: Die Serben Zur Zeit der serbischen Aufstände gegen die osmanische Herrschaft von 1805 und 1815 waren die Erinnerungen an ein mittelalterliches „Goldenes Zeitalter“ vor dem „Türkenjoch“ wenig prägend und lediglich im Epos mündlich tradiert. Dennoch wählte das junge, halbautonome Fürstentum Serbien von seiner Gründung im Jahr 1830 an den Weg, den nationalen Zusammenhalt mittels Pflege des historischen Gedächtnisses in Schule, Armee und Historiografie durch Glorifizierung des mittelalterlichen Königreichs im Allgemeinen und durch die Kultivierung des Kosovo-Mythos im Besonderen zu fördern. Die vorgebliche Serbizität der vom ausgehenden 14. bis zum beginnenden 20. Jahrhundert osmanischen sowie als „Wiege der Nation“ apostrophierten Region Kosovo und Metochien wurde zum beherrschenden Thema in der Volksliteratur und den Künsten. Mit der Unabhängigkeit von 1878 kam es zu einer weiteren Intensivierung dieses nationalen Programms, das sich eines umfangreichen 87 Bak, János: Die Mediävisierung der Politik im Ungarn des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Umkämpfte Vergangenheit. Geschichtsbild, Erinnerung und Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich. Hg. v. Petra Bock und Edgar Wolfrum. Göttingen 1999, 103–113. 88 Bokovoy, Melissa: Scattered Graves, Ordered Cemeteries: Commemorating Serbia’s Wars of National Liberation, 1912–1918. In: Staging the Past (wie Anm. 7), 236–254; Dies.: Kosovo Maiden(s): Serbian Women Commemorate the Wars of National Liberation, 1912–1918. In: Gender and War in Twentieth-Century Eastern Europe. Hg. v. Nancy M. Wingfield und Maria Bucur. Bloomington, IN 2006 (Indiana and Michigan Series in Russian and East European Studies), 157–171; Weber, Auf der Suche nach der Nation (wie Anm. 9); Bucur, Maria: Heroes and Victims. Remembering War in Twentieth-Century Romania. Bloomington, IN 2009; Baleva, Martina: Bulgarien im Bild. Die Erfindung von Nationen auf dem Balkan in der Kunst des 19. Jahrhunderts. Köln-Wien-Weimar 2012 (Visuelle Geschichtskultur 6).



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Repertoires an Symbolen und Feiern bediente. Wichtigster Bestandteil war der St.Veits-Tag (serb. Vidovdan), der 28. Juni, der Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo Polje) 1389, der anlässlich seiner 500. Wiederkehr 1889 zum Staatsfeiertag erklärt wurde und mit patriotischen Feiern in ganz Serbien und in „serbischen“ Siedlungsgebieten außerhalb des Landes begangen wurde. Der Kosovo-Mythos verband den religiösen St.-Lazarus-Kult, d. h. denjenigen um den Fürsten Lazar Hrebeljanović, mit der Verehrung des Kriegshelden Miloš Obilić, welcher der Legende nach Sultan Murad I. auf dem Amselfeld tötete. So wurde „Kosovo!“ zum Schlachtruf sowohl am Vorabend des Ersten Balkankrieges von 1912/13 gegen das Osmanische Reich als auch nach dem Sieg über die Mittelmächte 191889 – mit immerhin temporärem Erfolg, denn in den Jahren von 1912 bis 1915, 1918 bis 1941 und 1944 bis 1999 wurde die Region von Belgrad aus regiert. Ein weiterer wichtiger Erinnerungsort der Serben war der Nationalheilige Sava, der die serbisch-orthodoxe Kirche im Jahr 1219 begründet hatte. Er fungierte im 19. Jahrhundert als Rollenvorbild in der serbischen Pädagogik, Literatur und bildenden Kunst, und er stand im Mittelpunkt des religiösen wie des nationalen Sava-Kults (Svetosavlje).90 In ihrer Analyse von 223 Straßennamen im Belgrad des ausgehenden 19.  Jahrhunderts hat Dubravka Stojanović gezeigt, dass mit Ausnahme von Persönlichkeiten aus der politischen Geschichte des serbischen Mittelalters, welche die häufigsten Namenspatrone waren, die meisten Straßen nach Städten, Bergen und Landschaften des mittelalterlichen Königreiches benannt waren. Ihr fiel außerdem auf, dass im Kontrast zu der Vergabe von „patriotischen“ Straßennamen die 300 Gastwirtschaften und Kneipen von Belgrad damals vorwiegend nicht-serbische Namen trugen wie „Amerika“, „Klein Paris“, „Sibirien“, daneben aber auch „Garibaldi“, „Kaiser von China“ und sogar „Albanien“.91 Offenkundig hatte die Geschichtspolitik von Regierung und Stadt keineswegs völlig vom Alltagsleben der Einwohner, Gewerbetreibenden und Gastronomen der serbischen Hauptstadt Besitz ergriffen.

89 Höpken, Wolfgang: Zwischen nationaler Sinnstiftung, Jugoslawismus und „Erinnerungschaos“. Geschichtswissenschaft und Geschichtskultur in Serbien im 19. und 20.  Jahrhundert. In: Serbien und Montenegro. Raum und Bevölkerung – Geschichte – Sprache und Literatur – Kultur – Politik – Gesellschaft – Wirtschaft – Recht. Hg. v. Walter Lukan, Ljubinka Trgovčević und Dragan Vukčević. Wien-Berlin 2006 (Österreichische Osthefte: Sonderband 18), 345–391, hier 346–358; Emmert, Thomas: Serbian Golgotha Kosovo, 1389. Boulder, CO 1997 (East European Monographs 278); Kosovo. The Legacy of a Medieval Battle. Hg. v. Wayne Vucinich und Thomas Emmert. Minneapolis, MN 1991 (Minnesota Mediterranean and East European Monographs 1); Anzulovic, Branimir: Heavenly Serbia. From Myth to Genocide. New York, NY-London 1999. 90 Buchenau, Klaus: Svetosavlje und Pravoslavlje, Nationales und Universales in der serbischen Orthodoxie. In: Nationalisierung der Religion und Sakralisierung der Nation im östlichen Europa. Hg. v. Martin Schulze Wessel. Stuttgart 2006 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 27), 203–232. 91 Stojanović, Dubravka: Orte der Veränderung und Orte der Erinnerung: Die Straßen Belgrads 1885– 1914. In: Schnittstellen (wie Anm. 81), 65–79, hier 75–77.

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Von Kyrill und Method zu San Stefano: Die Bulgaren 1844 wurde im habsburgischen Buda/Ofen ein Buch in bulgarischer Sprache veröffentlicht, welches die erste Printausgabe eines Manuskripts mit dem Titel „Slavobulgarische Geschichte“ darstellte, geschrieben 1762 von einem Mönch des Chilandar-Klosters auf dem Berg Athos namens Paisij (bulg. Paisij Chilendarski). Paisij appellierte an seine Landsleute, sich ihres Bulgarentums nicht zu schämen und ihre Muttersprache mit Stolz zu sprechen. Ganz besonders erinnerte er sie daran, dass die Bulgaren unter allen Slaven diejenigen waren, die als Erste einen Zaren ausriefen, vor allen anderen das Christentum annahmen, als Erste ihren eigenen Patriarchen hatten sowie ihre Sprache kodifizierten, und zwar in zwei eigenen Alphabeten, der glagolitischen und der kyrillischen Schrift, welche letztere Russen und Serben, später auch Ukrainer, Weißrussen, Montenegriner und Makedonier übernahmen. Auch wies Paisij seine Landsleute darauf hin, dass sie gleich Griechen und Serben ein eigenes, großes, frühmittelalterliches Reich besessen haben.92 Noch dazu seien die heiligen Kyrill und Method, die „Slavenapostel“, und ihre fünf Schüler, von denen Sankt Kliment von Ohrid herausragte, ethnische Bulgaren gewesen. Ob Paisijs Buch tatsächlich den gewaltigen Einfluss auf das nationale „Erwachen“ (văzraždane) der Bulgaren im Osmanischen Reich ausübte, der ihm von der bulgarischen Nationalgeschichtsschreibung bis heute zugeschrieben wird, ist angesichts der geringen Auflage der Schrift und ihrer späten Rezeption zweifelhaft.93 Jedenfalls kam seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in den mehrheitlich von Bulgaren bewohnten osmanischen Provinzen ein gesamtnationaler Kult der heiligen Kyrill und Method auf, der jeweils am 11./24. Mai seinen Höhepunkt fand. Gleich nach der bulgarischorthodoxen Kirche, die seit 1870 ihren eigenen Exarchen besaß, war der wichtigste Transmissionsriemen der Botschaft bulgarischer Überlegenheit über die benachbarten Nationen die Institution der Leseräume (čitališta), die netzartig das Land überzogen und von patriotisch wie philanthropisch eingestellten čorbadžii, d. h. wohlhabenden Stadtbürgern wie Kaufleuten und Manufakturbesitzern, finanziert und eingerichtet wurden. Bald darauf entstand im rumänischen Exil eine bulgarische nationale Revolutionsbewegung, welche die Unabhängigkeit von der Hohen Pforte anstrebte. Im Sommer 1877 benutzte Russland die blutige Unterdrückung eines regionalen Aufstandes der Bulgaren durch reguläre und irreguläre osmanische Truppen als Anlass für eine militärische Intervention. Nach einigen Monaten schwerer Kämpfe, die für die osmanische Armee katastrophal verliefen, musste der Sultan am 19. Februar/3. März 1878 den Vorfrieden von San Stefano bei Istanbul unterschreiben. Dieser sah die Bildung eines Großbulgarien von der Donau bis zur Ägäis und vom Schwarzen Meer bis zum Ohrid-See vor, also fast bis zur Adriatischen Küste. Dieser vorgesehene Territorialbestand, der dem Zaren die Umgehung der Meerengen durch bulgarische Häfen an der Ägäis ermöglicht hätte, wurde allerdings bereits im Sommer 1878 auf dem Ber92 Eigentlich waren es zwei: Das Erste Bulgarische Reich (681–1018) und das Zweite (1186–1393). 93 Moser, Charles A.: A History of Bulgarian Literature 865–1944. The Hague-Paris 1972, 43.



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liner Kongress auf Drängen Großbritanniens und Österreich-Ungarns stark revidiert. Ergebnis war ein wesentlich kleineres Fürstentum Bulgarien, daneben ein autonomes bulgarisches Gebiet namens Ostrumelien unter Oberhoheit des Sultan; ganz Makedonien und der größte Teil Thrakiens blieben osmanisch. Der neue bulgarische Staat mit Fürst, Regierung und Parlament betrieb eine Geschichtspolitik, die auf zwei Säulen ruhte. Zum einen wurde der Ruhm der mittelalterlichen bulgarischen Zaren beschworen; zu diesem Zweck wurde Tărnovo, bis zur Eroberung durch die Osmanen am Ende des 14. Jahrhunderts bulgarische Hauptstadt, zur „zweiten“ Hauptstadt des modernen Bulgarien (nach der neuen „ersten“, nämlich Sofija) erklärt – mit dem Zusatz „Veliko“: Groß-Tărnovo. Auch nannte Fürst Ferdinand I. von Sachsen-Coburg-Koháry, der aus Mitteleuropa „importierte“ Monarch des Landes, seinen erstgeborenen Sohn und Thronfolger nach den mittelalterlichen bulgarischen Zaren Boris I. und Boris II. Boris (von Sachsen-Coburg-Gotha) und verlieh ihm den Titel „Fürst von Tărnovo“. Zum anderen wurden die zwei entscheidenden Jahre zwischen dem Aprilaufstand von 1876 gegen die Osmanen und dem endgültigen russischen Sieg über den Sultan 1878 mit dem Vorfrieden von San Stefano eingefasst in eine nationale Modellerzählung mit bulgarischen Helden (Christo Botev, Georgi Benkovski, Vasil Levski u.  a.), bulgarischen historischen Stätten (Oborište, wo die Entscheidung für den Aufstand fiel; Batak, wo ein osmanisches Massaker an bulgarischen Zivilisten stattgefunden hat) und den „gemeinsam“ geschlagenen russisch-bulgarischen Schlachten 1877 in Pleven und auf dem Šipka-Pass. Bewusst heruntergespielt wurde dabei, dass die Bulgaren militärisch nur wenig zum Sieg der Russen gegen die Osmanen im Krieg von 1877/78 beigetragen hatten. Ungeachtet dessen wurde nicht nur der 25. Jahrestag des Aprilaufstandes im Jahr 1901 aufwendig begangen, sondern auch der 25. Jahrestag der Schlacht auf dem Šipka-Pass 1902 – beides erste große öffentliche Gedenkfeiern aus Anlässen der bulgarischen Zeitgeschichte, und dies in einem vorwiegend nationalen und patriotischen, sehr viel weniger „panslavischen“ oder „panorthodoxen“ Tonfall. Allerdings wurde eine Vielzahl von im russischen Stil gehaltenen Monumenten und Gedenkkirchen als steingewordene Symbole der bulgarischen Dankbarkeit gegenüber Russland und seinen Herrschern errichtet, so die gigantische Aleksandr-Nevskij-Gedächtniskathedrale in der Stadtmitte von Sofija (gebaut 1882–1912) und das nahebei aufgestellte Reiterstandbild Alexanders II. von Russland, des „Befreier-Zaren“ (entworfen von dem italienischen Bildhauer Arnoldo Zocchi und enthüllt 1907). Überdies wurden binationale Gedenkstätten erstellt, wie die Gedenkkirche auf dem Šipka-Pass, die an die gefallenen Bulgaren und Russen gleichermaßen erinnerte. Die erste rein bulgarische Gedenkstätte war die St.-NedeljaKirche in Batak, wo 1876 bulgarische Zivilisten von irregulären osmanischen Truppen massakriert worden waren. Seit Mitte der 1890er-Jahre enthielten Lesebücher für Grund- und Sekundarschulen historische Abschnitte, die mit der Ankunft der Protobulgaren, einem Turkvolk, auf dem Balkan, den heiligen Kyrill und Method und den mittelalterlichen Reichen ihren Anfang nahmen und mit San Stefano 1878 endeten. Zusätzlich wurde das neue nationale Narrativ in der Öffentlichkeit von patriotischen Organisationen von Veteranen, Invaliden, Reservisten, Kriegerwitwen und Flüchtlin-

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gen aus den „unerlösten Gebieten“ in Makedonien und Thrakien propagiert, ganz zu schweigen von Schriftstellern, Theaterregisseuren und Historikern.94 In diesem Zusammenhang erwiesen sich die heiligen Kyrill und Method als das wichtigste Element einer longue durée in der bulgarischen Erinnerungskultur, das vom frühen 19. Jahrhundert und den ersten Jahrzehnten der erneuerten bulgarischen Staatlichkeit über die Zwischenkriegszeit und den Kommunismus bis in die EUGegenwart reicht. Wie es Vasil Drumev, bulgarischer Ministerpräsident der Jahre 1879/80 und nach 1884 Metropolit von Tărnovo, anlässlich des 1000. Todestages des heiligen Method 1885 ausdrückte, hätten die beiden Brüder und Heiligen den Bulgaren ihren Status „als historisches Volk“ und einen „Ehrenplatz in der Geschichte der Menschheit“ gesichert.95 Nach Stefan Rohdewald „kann man mehr oder weniger deutlich eine Säkularisierung der Heiligen im 19. Jahrhundert unterscheiden, im Rahmen von Historismus und Nationalismus; dagegen dienten sie in den 1930er Jahren und im Zweiten Weltkrieg der Sakralisierung des Nationalismus“.96 In der bulgarischen Wahrnehmung stehen die „Slavenapostel“ bis heute unverändert für die kulturelle, intellektuelle und „historische“ Überlegenheit der Bulgaren gegenüber allen anderen slavischen bzw. slavischsprachigen Nationen und Staaten, einschließlich der Russländischen Föderation bzw. vormals der Hegemonialmacht Sowjetunion und dem zarischen Russland. Von der Moldau und der Wallachei zu Rumänien Ein weiterer gekrönter Deutscher auf dem Balkan, der preußische Offizier Karl EitelFriedrich Zephyrus von Hohenzollern-Sigmaringen, der als Carol I. herrschte, zuerst als Fürst der Moldau und der Wallachei (1866–1881), dann als König von Rumänien (1881–1914), war ein durchaus erfolgreicher Modernisierer von Militär und Politik seines Landes. Persönlich von bescheidenem Naturell setzte er gleichwohl die Sprache der Symbole ein, um sich als genuin „rumänischer“ Monarch zu inszenieren. Zu seiner Krönung im Mai 1881 wurde eine Krone aus dem Metall osmanischer Geschütze geschmiedet, die von mit den Russen alliierten rumänischen Truppen in der Schlacht von Pleven 1877 erbeutet worden waren. Auch der 50. Jahrestag seiner

94 Die Abschnitte über Bulgarien nach Weber, Auf der Suche nach der Nation (wie Anm. 9), 37–164. Vgl. auch Todorova, Maria N.: Bones of Contention. The Living Archive of Vasil Levski and the Making of Bulgaria’s National Hero. Budapest-New York, NY 2009, 203–235; Lory, Bernard: Cent lieux de mémoire pour la Bulgarie. In: Ders.: Les Balkans de la transition post-ottomane à la transition post-communiste. Istanbul 2005 (Analecta Isisiana 80), 340–354. 95 Zit. n. Rohdewald, Stefan: Figures of (Trans-)National Religious Memory of the Orthodox Southern Slavs before 1945: An Outline on the Examples of SS. Cyril and Methodius. In: Trames 12 (62/57) (2008) 3, 287–298, hier 291 (http://www.eap.ee/public/trames_pdf/2008/issue_3/trames-2008-3-287-298. pdf [02. 08. 2013]). 96 Ebd., 287.



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Herrschaft 1906 wurde mit großer Prachtentfaltung begangen.97 Unter Carols Regierung entstanden zahlreiche Denkmäler, von denen die meisten mittelalterliche Herrscher wie Stefan den Großen oder Michael den Tapferen ehrten. Sein herausragendstes Projekt jedoch war der Bau der Eisenbahnbrücke über die Donau bei Cernavodă, welche die Wallachei mit der Dobrudscha verband. Diese Brücke, die den Namen des Königs trug, sollte die Vereinigung der heterogenen Gebiete des Königreiches symbolisieren.98 Christliches Bollwerk: Die Kroaten Bis zum Ende der Habsburgermonarchie, die im Falle von Kroatien, Slawonien und Dalmatien gleichbedeutend mit ungarischer Herrschaft war, war es die Selbstwahrnehmung der Kroaten als dreifaches Bollwerk des Christentums gegen den Islam, des Katholizismus gegen die Orthodoxie und des „Abendlandes“ gegen den „Orient“, welche die kollektive Erinnerung und die Geschichtspolitik der kroatischen Nationalbewegung prägte. Da diese überwiegend antimagyarisch war, war sie zumindest in Teilen auch pansüdslavisch und jugoslawistisch, also auf eine (Wieder-)Vereinigung mit den orthodoxen Serben ausgerichtet, in anderen Teilen dagegen austroslavisch, was bedeutete, dass sie die Doppelmonarchie in eine Tripelmonarchie umbauen wollte, in der Kroaten, Slowenen, Tschechen, Slowaken, Ruthenen (Russinen), Polen und andere Slaven neben Deutschen und Magyaren das dritte konstitutive Element bilden würden. „Die Zentralfigur des Kroatienmythos als einer Grenzregion oder eines Bollwerks“, schreibt der Zagreber Historiker Ivo Žanić, „ist der heroische, unter den Mauern gefallene Burgverteidiger Ban Nikola Šubić Zrinski, der ‚kroatische Leonidas‘, der 1566 bei der Verteidigung von Siget umkam, den ‚kroatischen Thermophylen‘.“99 Demgemäß wurden Straßen, Parks und Gesellschaften nach Zrinski benannt, und der 300. Jahrestag der Belagerung von Siget in der Baranya, in der Sultan Süleyman der Prächtige fiel, inspirierte 1866 Dutzende von kroatischen Malern, Komponisten, Schriftstellern, Theaterregisseuren und anderen, Zrinski als Verkörperung des kroatischen antemurale christianitatis zu porträtieren. Auf Initiative des kroatischen Bürgermeisters von Zagreb, Janko Kamauf, und mit dem Geld des wohlhabenden Bürgertums wurde im selben Jahr in der kroatischen Hauptstadt ein Denkmal für den kroatischstämmigen Habsburgergeneral Josip Jelačić aufgestellt, der 1848 die unga97 Zach, Krista: Karl I. In: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2: G–K. Hg. v. Mathias Bernath und Felix von Schroeder. München 1976, 367–369. 98 Dies.: Stefan der Große: Landesfürst, Nationalheld und Heiliger in Rumänien. In: Renaissance der Nationalpatrone (wie Anm. 86), 152–180, hier 157 f.; Meurs, Wim van: Die Entdeckung Stefans des Großen. In: Stefan der Große – Fürst der Moldau. Symbolfunktion und Bedeutungswandel eines mittelalterlichen Herrschers. Hg. v. Edda Binder Iijima und Vasile Dumbrava. Leipzig 2005, 79–92. Zur Donau-Brücke: Bucur, Heroes and Victims (wie Anm. 88), 24–31. 99 Žanić, Ivo: The Symbolic Identity of Croatia in the Triangle Crossroads-Bulwark-Bridge. In: Myths and Boundaries in South-Eastern Europe. Hg. v. Pål Kolstø. London 2005, 35–76, hier 35.

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rische Revolution niederkartätscht hatte.100 Neben den antiislamischen, antiorthodoxen und antimagyarischen Aspekten besaß die kroatische Geschichtspolitik unter den Habsburgern aber auch eine maritime: Oton Iveković’ berühmtes Historiengemälde „Dolazak Hrvata na Jadran“ (Die Ankunft der Kroaten an der Adriatischen Küste) von 1905 imaginierte die Kroaten als die ersten Slaven, die das Mittelmeer bereits im sechsten Jahrhundert erreichten, also drei Jahrhunderte, bevor die Magyaren überhaupt in Europa ankamen. Gemäß der im 19. Jahrhundert gängigen Sichtweise besaßen nur diejenigen Nationen Staatsbildungsfähigkeiten, die einen Zugang zum Meer aufweisen konnten – was die Kroaten von „binnenländischen“ Nationen wie Ungarn, Tschechen, Serben u. a. unterschied.101 Als Österreich-Ungarn im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts versuchte, Serbien wirtschaftlich im sogenannten Schweinekrieg in die Knie zu zwingen, und Bosnien und die Hercegovina annektierte, begeisterten sich Teile der kroatischen Intelligenzia für eine Art von Neojugoslawismus (jugoslavenstvo).102 1907 entwarf der kroatische Bildhauer Ivan Mestrović einen „Kosovo-Tempel“, der an der Stätte der Schlacht auf dem Amselfeld von 1389 gebaut werden sollte, um eine gemeinsame kroatisch-serbische historische Identität zu symbolisieren; 1913 wurde sein Siegesdenkmal im Andenken an die serbische Beteiligung an den Balkankriegen im Belgrader Kalemegdan-Park verwirklicht.103 Zu dieser Zeit war der Austroslavismus bereits vom Südslavismus verdrängt worden. Doch nach den Kriegsjahren 1914–1918 wurde rasch deutlich, dass das serbische Hegemonialstreben in dem neuen Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen Mestrović’ Panjugoslawismus zu einem Randphänomen bei Kroaten und den meisten anderen slavischsprachigen Nichtserben werden ließ, ganz zu schweigen von den Nichtslaven wie Magyaren, Albanern, Türken, Juden, Deutschen, Roma, Aromunen, Rumänen und anderen.

Neu- und Umformungen in Zwischenkriegszeit und Zweitem Weltkrieg Nachdem im Ergebnis von Krieg und Revolution die multinationalen Reiche untergegangen und an ihre Stelle vermeintliche Nationalstaaten getreten waren, gab es 100 Die Statue wurde 1947 in Josip Broz Titos Jugoslawien gestürzt und 1990 in Franjo Tuđmans Kroatien kurz vor dessen Unabhängigkeit wieder aufgestellt. Dazu Rihtman-Auguštin, Dunja: The Monument in the Main City Square. Constructing and Erasing Memory in Contemporary Croatia. In: Balkan Identities: Nation and Memory. Hg. v. Maria Todorova. London 2004, 180–196. 101 Troebst, Stefan: „Intermarium“ und „Vermählung mit dem Meer“: Kognitive Karten und Geschichtspolitik in Ostmitteleuropa. In: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), 435–469. 102 Schödl, Günter: Kroatische Nationalpolitik und „Jugoslavenstvo“. Studien zu nationaler Integration und regionaler Politik in Kroatien-Dalmatien am Beginn des 20. Jahrhunderts. München 1990 (Südosteuropäische Arbeiten 89). 103 Höpken (wie Anm. 89), 358. Zum Siegesdenkmal: Wachtel, Andrew: Making a Nation, Breaking a Nation. Literature and Cultural Politics in Yugoslavia. Stanford, CA 1998 (Cultural Memory in the Present), 114–116; Yugoslavism. Histories of a Failed Idea, 1918–1992. Hg. v. Dejan Djokić. London 2003.



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kein Halten mehr bezüglich Reinterpretationen der Geschichte Ostmitteleuropas im nationalen Sinne. Überall in den neuen Staaten wurden Denkmale des unbekannten Soldaten aufgestellt, was das Bedürfnis zum Ausdruck brachte, die jüngste Kriegserfahrung in das nationale Geschichtsnarrativ zu integrieren. Das gelang zweifelsohne dort am besten, wo sich die neuen Staaten der Region als Ergebnis eines Unabhängigkeitskampfes darstellen konnten. Ungarn war die große Ausnahme. Obwohl das symbolische Grabmal des unbekannten Soldaten in Budapest in direkter Nachbarschaft zu dem erst kurz zuvor fertiggestellten Jahrtausenddenkmal errichtet worden war, das vor den Augen des Betrachters eintausend Nationalhelden defilieren ließ, galt es in Ungarn ausdrücklich dem Gedenken der Kriegshelden von 1914–1918. Eine zweite Inschrift lautete „Gewidmet den eintausendjährigen nationalen Grenzen“, was insofern eine bittere Ironie war, als das Land durch den Weltkrieg soeben diese Grenzen eingebüßt hatte. Diese schmerzliche Verbindung zwischen der historischen Größe eines Jahrtausends und den jüngsten Kriegsverlusten befeuerte den ungarischen Revisionismus der folgenden Jahrzehnte.104 Das Ungarn der Zwischenkriegszeit klammerte sich obsessiv an seine historischen Grenzen, welche die Gebiete der Stephanskrone umfassten; diese Obsession kam auch darin zum Ausdruck, dass der Kult des heiligen Stephan wiederauflebte, zu dem ein starker Staat und zwei symbolisch aufgeladene religiöse Reliquien gehörten – eben die Stephanskrone und die mumifizierte heilige rechte Hand.105 Viele der neuen Staaten versuchten, ihre historischen Narrative im Mythos eines Nationalhelden zu verankern, der zugleich die Nation personifizierte und bestimmte Charakteristika ihrer Geschichte so herausstellte, dass sich die Nation um diese zusammenschließen konnte. Dieser Prozess war weder einfach noch unumstritten, wie die folgenden Beispiele veranschaulichen. Die beiden Balkankriege von 1912/1913 und besonders der „Dritte Balkankrieg“, d. h. der Erste Weltkrieg von 1914–1918, standen mit ihren ungeheuren Zahlen von gefallenen Soldaten, Zivilopfern und vor allem Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen alsbald im Mittelpunkt der Geschichtspolitik der Regierungen auf dem Balkan, aber auch der gesamtgesellschaftlichen Erinnerungskultur dort. Wie in Ostmitteleuropa wurden auch in Südosteuropa Hunderte Kriegsdenkmäler, Standbilder und Gedenkstätten errichtet, man gründete Vereine von Reservisten, Veteranen und Kriegerwitwen, und die Jahrestage von Feldzügen und Kriegshelden wurden feierlich begangen. Im Ergebnis nahmen die nationalen Gesellschaften auf dem Balkan ihre Länder als ewiges Schlachtfeld wahr und ihren Nationalstaat als das Ziel endloser Invasionen, Okkupationen und Vernichtungsversuche, unternommen von Erzfeinden und mordlüsternen „Anderen“.

104 Gerö (wie Anm. 48), 204 und passim. 105 Klimó (wie Anm. 53), besonders Kap. 8; zur früheren Entwicklung des Kults Kap. 3.

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„Die Wahrheit soll obsiegen“? Konkurrierende tschechische und slowakische Narrative Die disparaten Sichtweisen der tschechoslowakischen Geschichte konnten in Anbetracht der in ihrer jeweiligen Reichshälfte Österreich-Ungarns gemachten unterschiedlichen historischen Erfahrungen von Tschechen und Slowaken kaum überraschen. Während die Tschechen manchen Konflikt mit den Deutschen ausfochten, waren Slowaken und Ruthenen (Russinen) unter ungarischer Herrschaft der Magyarisierung ausgesetzt. Es stellte eine Herausforderung dar, aus diesen völlig unterschiedlichen historischen und zudem durch konfessionelle Unterschiede geprägten Entwicklungen eine neue tschechoslowakische Identität zu formen und ein tschechoslowakisches Modellnarrativ zu entwickeln. Die große deutsche Minderheit in der ČSR war bereits durch den tschechischen Denkmalsturz düpiert, denkt man etwa an die Entfernung der kaiserlichen Embleme oder an den Sturz der zahlreichen Standbilder Josephs II. in ganz Böhmen direkt nach Erlangung der Unabhängigkeit – Denkmäler, die Nancy Wingfield zufolge in den vorangegangenen Jahrzehnten zu Symbolen des deutschen Nationalismus geworden waren. Überdies wurde auch die barocke Mariensäule in Prag aufgrund der irrigen Annahme zerstört, die Habsburger hätten diese zum Gedenken an ihren Sieg in der Schlacht am Weißen Berg 1620 aufstellen lassen.106 Aber selbst innerhalb der tschechischen Gesellschaft gab es unterschiedliche Sichtweisen auf die Nationalhelden und die historischen Hauptereignisse. Cynthia Paces hat gezeigt, dass nicht alle Bürger der jungen Tschechoslowakei begeisterte Anhänger des Reformators Jan Hus waren, obwohl Palacký wie auch der tschechoslowakische Präsident Tomáš Masaryk gerade Hus als den Nationalhelden schlechthin propagierten.107 Tschechische Protestanten ehrten Hus mit einem Denkmal, das in aller Stille 1915 zum 500. Todestag enthüllt wurde, und mit Gedenkfeiern, sobald diese nach 1918 nicht länger illegal waren; fromme katholische Tschechen und Slowaken dagegen waren nicht erfreut, dass ausgerechnet ein auf dem Scheiterhaufen verbrannter Häretiker zur Zentralfigur der tschechoslowakischen Modellerzählung werden sollte. Als national wie international die Kontroversen darüber zunahmen, dass Hus’ Todestag zum Nationalfeiertag gemacht und 1925 mit besonderem Aufwand begangen wurde, feierte man schließlich von Staats wegen den weniger umstrittenen Heiligen Wenzel, den Christianisierer Böhmens, zu seinem Millennium 1929 mit königlichem Aufwand.108 106 Wingfield, Nancy M.: Statues of Emperor Joseph II as Sites of German Identity. In: Staging the Past (wie Anm. 7), 178–208; Dies.: Flag Wars and Stone Saints. How the Bohemian Lands Became Czech. Cambridge, MA 2007, Kap. 1. Über die Mariensäulen ebd., 145–147 und Paces, Cynthia: Prague Panoramas. National Memory and Sacred Space in the Twentieth Century. Pittsburgh, PA 2009 (Pitt Series in Russian and East European Studies), 87–99. 107 Zu Masaryks Ansichten und seinem Verweis auf Hus: Sayer (wie Anm. 60), 138. 108 Selbst der Vatikan äußerte sich 1925 voller Empörung, dazu Paces, Cynthia: Religious Heroes for a Secular State: Commemorating Jan Hus and Saint Wenceslas in 1920s Czechoslovakia. In: Staging the Past (wie Anm. 7), 209–235, besonders 217–221; Dies., Prague Panoramas (wie Anm. 106),



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Die Kreierung eines litauischen Nationalhelden Derart in sich zerrissen war also selbst die Tschechoslowakei, das Land, das Historiker vielfach als die einzig wirkliche Erfolgsgeschichte im Ostmitteleuropa der Zwischenkriegszeit beschrieben haben.109 Auch andere Staaten machten sich daran, bestimmte Persönlichkeiten oder historische Augenblicke als Schlüsselmomente ihrer nationalen Existenz zu etablieren. Wieder einmal bot das Mittelalter in dieser Hinsicht reiches Material, so zu sehen am Beispiel der litauischen Vorliebe für den Großfürsten Vytautas, der sich in ganz Europa Ruhm als einer der Sieger der Schlacht von Tannenberg (1410) erwarb. Das mittelalterliche Litauen war ein Großfürstentum, kein Königreich; zudem war die Geschichte des Landes über Jahrhunderte hinweg unauflöslich mit der des Königreichs Polen verbunden. Vytautas’ Vorgänger, sein Cousin Jogaila, wurde als Władysław II. Jagiełło König von Polen, aber in der neuen Zeit sahen ihn litauische Nationalisten gerade deswegen als Verräter an, obwohl es des Zusammengehens von Polen und Litauen bedurfte, um den Deutschen Ritterorden 1410 zu besiegen. Fünfhundert Jahre danach zogen die Akteure der litauischen Nationalbewegung Vytautas dem Jogaila vor, weil ersterer lange Zeit ein Stachel im Fleisch der polnisch-litauischen Union gewesen war; sie hatten das dringende Bedürfnis, aus dem langen Schatten der Polen herauszutreten, denen die Litauer immerhin zu verdanken hatten, sich nicht nur der Rzeczpospolita angeschlossen zu haben, sondern auch der westlichen Christenheit.110 Allerdings stellten die Litauer in der Zwischenkriegszeit Vytautas mitnichten erstmals als ihren Nationalhelden auf das Podest. Nach Linas Eriksonas nannten sie ihn bereits seit Jahrhundertbeginn „Vytautas den Großen“, als sie noch zum Russländischen Reich gehörten. Die Aufstellung eines Denkmals für Zarin Katharina II. in Wilna, ein weiteres Beispiel für eine imperiale Symbolik in der historischen Hauptstadt Litauens, hatte erst das Interesse der Litauer an ihrem eigenen Nationalhelden geweckt. Gleichwohl wuchs Vytautas’ Popularität nur langsam. Erst nach Antanas Smetonas’ Staatsstreich von 1926 wurde der mittelalterliche Großfürst offiziell zum Helden und Symbol von Litauen. Um 1930 wurde jedes dritte männliche Neugebo-

74–84 und 131–138; Samerski, Stefan: Wenzel. Altes und neues Staatssymbol der Böhmischen Länder. In: Renaissance der Nationalpatrone (wie Anm. 86), 99–115; Schulze Wessel, Martin: Katholik und Staatsbürger? Zur republikanischen Loyalität der Katholiken in der Ersten Tschechoslowakischen Republik. In: Loyalitäten in der Tschechoslowakischen Republik. Politische, nationale und kulturelle Zugehörigkeiten. Hg. v. Dems. München 2004, 179–191; Ders.: Konfessioneller Konflikt im Nationalstaat ČSR. In: Religion im Nationalstaat zwischen den Weltkriegen. Polen – Tschechoslowakei – Ungarn – Rumänien. Hg. v. Christian Maner und Martin Schulze Wessel. Stuttgart 2002, 75–105. 109 Rothschild, Joseph: East-Central Europe Between the Two World Wars. Seattle, WA o. J. [1974] (History of East-Central Europe 9), 100, 124 f., 134 f. 110 Snyder, The Reconstruction of Nations (wie Anm. 28), passim.

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rene auf den Namen Vytautas getauft, darunter auch das erste Staatsoberhaupt des postkommunistischen Litauen, Vytautas Landsbergis.111 Piłsudkis Polen Die Demontage demokratischer Institutionen in der Region ging häufig mit einem verstärkten Gebrauch und Missbrauch der Geschichte einher. Ganz sicher trifft das auf das Polen der Zwischenkriegszeit zu. Während der 3. Mai als Nationalfeiertag früh anerkannt war, gab es einen regelrechten Boom von Gedenktagen aller Art und Anlässe erst nach Marschall Józef Piłsudskis Staatsstreich im Mai 1926. Seine Anhänger lancierten ein historisches Narrativ, das Piłsudskis Verdienste um die Wiedererrichtung des polnischen Staates 1918 und seine Verteidigung gegen Sowjetrussland 1920 in eine Kontinuitätslinie mit dem Kampf für die nationale Befreiung im 19. Jahrhundert stellte und zugleich als deren Höhepunkt sah – eine Interpretation, die der Marschall selbst propagierte. Sie stellten ihn aber auch in eine Linie mit den Großtaten und Helden der ferneren polnischen Vergangenheit, wie etwa König Jan III. Sobieski, den „Retter des Abendlandes“ vor den Osmanen.112 Nach Piłsudskis Tod 1935 bauten seine Nachfolger in Ermangelung anderer Quellen der Legitimierung auf den einsetzenden Piłsudski-Kult, der zwar auf einer spezifischen Interpretation der Zeitgeschichte fußte, aber doch ganz auf die Person des Mannes an der Spitze konzentriert war.113 Dies wurde besonders bei den aufwendigen Namenstagsfeiern von Piłsudskis Nachfolger Marschall Edward Rydz-Śmigły deutlich. Wie Piotr Osęka festgestellt hat, waren die nationalistischen Gedenkfeiern der ausgehenden 1930er-Jahre in gewisser Hinsicht nicht so weit entfernt von den „Ritualen des Stalinismus“, wie sie später vollzogen werden sollten.114 Erinnerung an den Ersten Weltkrieg und interethnischer Konflikt: Jugoslawien Der Jugoslawismus entstand infolge der frühneuzeitlichen Teilung der Südslaven zwischen dem Osmanischen Reich und der Habsburgermonarchie. Theoretisch stand das Konzept für die Vereinigung sämtlicher Südslaven einschließlich der Bulgaren. In der 111 Eriksonas, Linas: National Heroes and National Identities: Scotland, Norway and Lithuania. Brussels 2004 (Multiple Europes 26), 280. 112 Dabrowski, Patrice M.: The Uses and Abuses of the Polish Past by Józef Piłsudski and Roman Dmowski. In: The Polish Review 56 (2011) 1/2, 73–109; Hein, Heidi: Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung für den polnischen Staat 1926–1939. Marburg/L. 2002 (Materialien und Studien zur Ostmitteleuropa-Forschung 9), 286–290. 113 Ebd., 361–368. 114 Osęka, Piotr: Rituały stalinizmu. Oficjalne święta i uroczystości rocznicowe w Polsce 1944–1956 [Rituale des Stalinismus. Offizielle Feiertage und Jubiläumsfeiern in Polen 1944–1956]. Warszawa 2007, besonders 204–218. Hierzu auch: Zaremba, Marcin: Im nationalen Gewande. Strategien kommunistischer Herrschaftslegitimation in Polen 1944–1980. Osnabrück 2011 [poln. 2001] (Klio in Polen 14).



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Praxis führte es jedoch zur Dominanz der Serben, zu der sogar die taktisch motivierte Kooperation der serbischen und kroatischen politischen Eliten in dem neuen Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen beitrug. Bulgarien, das seine Eigenstaatlichkeit, wie gezeigt, bereits 1878 erlangt und 1885, 1913 und 1915 Kriege gegen Serbien geführt hatte, hatte der Idee einer staatlichen Vereinigung aller Südslaven längst eine Absage erteilt, ja, strebte in Konkurrenz zu Serbien den Anschluss Makedoniens an. Im Nachklang des Weltkrieges wurde im Dezember 1918 der gemeinsame südslavische Staat gegründet. Die drei Titularnationen der Serben, Kroaten und Slowenen sollten „ein Volk mit drei Namen“ (troimeni narod) unter der serbischen Dynastie der Karađorđevićs bilden, mit Belgrad als Hauptstadt und einer Kombination aus Zentralismus und Unitarismus als politischem Grundprinzip.115 Die Bedingungen von vier christlichen Konfessionen, zwei verschiedenen Alphabeten, zweieinhalb Sprachen und zudem nichtslavischer oder nichtchristlicher Minoritäten stellten eine vielgestaltige Struktur dar, innerhalb derer eine wahrhaft „jugo-slavische“, d. h. pansüdslavische Geschichtspolitik viel zu komplex für eine Eins-zu-eins-Umsetzung war. Dementsprechend besaß im Süden des Landes eine traditionelle serbische Erinnerungskultur das Übergewicht, und dies nicht nur in Serbien selbst, sondern auch in Montenegro, Makedonien, im Kosovo, im Sandžak und Bosnien, während Kroaten und Slowenen im Norden jeweils ihre eigene Erinnerungskultur pflegten. Die Dinge änderten sich vorübergehend, als König Aleksandar I. Karađorđević 1929 die autoritäre Herrschaft einführte und das Land in Königreich Jugoslawien umbenannte. Zwar wurde die Umformung des „Volks mit drei Namen“ in eine ethnisch homogene „jugoslawische“ Nation von Staats wegen nicht ernsthaft betrieben, weil dazu die Mittel fehlten und heftiger Widerstand im größeren Teil des Landes zu erwarten war; daher verfolgte der König nunmehr eine Politik der Schaffung einer „synthetischen jugoslawischen Kultur“.116 Doch wie Wolfgang Höpken meint, war es zu diesem Zeitpunkt selbst für dieses Projekt aus zwei Gründen bereits zu spät: Erstens besaßen Serben, Kroaten und Slowenen, wie gezeigt, jeweils hochentwickelte eigene Erinnerungskulturen, und zweitens wurde der kulturelle und politische „Jugoslawismus“ von Nichtserben als durch und durch serbisch wahrgenommen. Dies galt etwa für den 1919 als gesamtjugoslawischen Nationalfeiertag eingeführten serbischen St.Veits-Tag (28. Juni). Zwar wurde er ein Jahrzehnt später wieder abgeschafft, doch nur, um den Ersten Weltkrieg als gesamtsüdslavischen Erinnerungsort und damit als Gründungsmythos Jugoslawiens zu propagieren. Dennoch funktionierte auch das dergestalt modifizierte königliche Identitätsmanagement nicht im gewünschten Sinne. Denn die Belgrader Geschichtspolitik der 1920er-Jahre, wonach die Serben den Krieg als Alliierte der Entente „gewonnen“, während Kroaten und Slowenen auf der falschen Seite, nämlich der der Mittelmächte gekämpft und „verloren“ hätten, hatte bereits tiefe Spuren hinterlassen.117 115 Djokić, Dejan: Elusive Compromise. A History of Interwar Yugoslavia. London 2007. 116 Wachtel (wie Anm. 103), 67. 117 Höpken (wie Anm. 89), 358–365.

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Diese serbozentrische Interpretation wurde von der vom Staat fieberhaft betriebenen Denkmalsetzung unterstrichen, mit zweihundert Monumenten, die mit kyrillischen, nicht lateinischen Lettern beschriftet waren, desgleichen dadurch, dass der König häufig an Gedenkveranstaltungen zu serbischen Siegen und Niederlagen vom Mittelalter bis zum Weltkrieg teilnahm.118 Aleksandars I. serbische Geschichtspolitik hatte außer ihrer jugoslawischen auch eine europäische Dimension. Diese bezog sich auf die serbische Allianz mit den Ententemächten, insbesondere auf den anfänglich erfolgreichen Widerstand Serbiens gegen die Offensive der Mittelmächte 1914 und 1915 und auf den serbischen Beitrag dazu, die Saloniki-Front 1916–1918 zu halten und schließlich zu durchbrechen. Auf Initiative des Königs wurde 1936 der Soldatenfriedhof von Zejtinlik in Thessaloniki im benachbarten Griechenland, auf dem über 7 000 serbische Gefallene lagen, in einen großen serbisch-orthodoxen Gedenkkomplex umgewandelt.119 Die Botschaft der Karađorđevići und der serbischen politischen Elite war deutlich: Jugoslawien existierte nur dank des serbischen Opfers in den „nationalen Befreiungskriegen“ von 1912 bis 1918. Im Jugoslawien der Zwischenkriegszeit gab es nur bedingt Spielraum für eine mit der staatlich-serbischen Geschichtspolitik konkurrierende Sicht. Doch gerade dank seiner unbezweifelbaren jugoslawischen Orientierung, die er bereits vor 1918 unter Beweis gestellt hatte, konnte der schon erwähnte kroatische Künstler Meštrović dezidiert kroatische Denkmäler schaffen. Darunter war eines, dass Josip Juraj Strossmayer gewidmet war, dem kroatischen Politiker und Bischof aus dem 19. Jahrhundert, auf dem Strossmayer-Platz in Zagreb (1926); ein weiteres für Strossmayers mittelalterlichen Vorläufer Grgur Ninski in Split (1932) und die Bronzestatue einer sitzenden Frau, die der Mutter des Künstlers ähnelte und rätselhafterweise „Die Geschichte der Kroaten“ hieß, aufgestellt vor der Universität von Split. Aber Meštrović war auch der Architekt des Hauses der Bildenden Künste in Zagreb, gebaut von 1934 bis 1938 zu Ehren des serbischen Königs Petar I. Karađorđević auf dem König-Petar I.-Platz.120 Der im August 1939 vom damaligen Staatsoberhaupt Prinzregent Pavle Karađorđević unternommene Versuch, die Kluft zwischen Serben und Kroaten durch eine erweiterte kroatische Autonomie in Jugoslawien (sporazum) zu überbrücken, kam zu spät. Im April 1941 wurde das Land von deutschen Truppen besetzt und zwischen Bulgarien, Ungarn, Italien und Deutschland aufgeteilt. Die pro-deutsche Regierung des serbischen Ultranationalisten und Antisemiten Milan Nedić in „Restserbien“ war zu sehr von Berlin abhängig, um eine selbstständige Geschichtspolitik entwickeln 118 Bokovoy, Scattered Graves (wie Anm. 88), 251. Dazu auch: Zečević, Slobodan: Kult mrtvih kod Srba [Der Totenkult bei den Serben]. Beograd 1982 (Biblioteka Susretanja). 119 Bokovoy, Scattered Graves (wie Anm. 88), 250  f. Zur Visualisierung der serbischen Kriegserinnerung in den beiden Jugoslawien: Blagojević, Radovan: Spomenici i groblja iz ratova Srbije 1912–1918/Les monuments et les cimétières des guerres de la Serbie 1912–1918. Beograd 1976; Marjanović, Rista: Ratni Album Riste Marjanovića 1912–1915 [Das Kriegsalbum des Rista Marjanović 1912–1915]. Beograd 1987; Popović, Andra: Ratni Album, 1914–1918/Album de la guerre, 1914–1918. Beograd 1926. 120 Wachtel (wie Anm. 103), 108–117.



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zu können. Und die Führung der Ustaša in dem kurzlebigen und nur nominell „Unabhängigen Staat Kroatien“ von 1941 bis 1944, der in Wahrheit ein Kondominium Deutschlands und Italiens war, brach vollständig mit allen panslavischen und jugoslawistischen Traditionen, negierte gar den slavischen Charakter der Kroaten. Stattdessen konstruierten die Ideologen des Regimes einen Ariermythos und setzten ein ethnozentristisches kroatisches Projekt mit rassistischen und eliminatorischen Anteilen um, dem vor allem Juden, Serben, Roma und Kommunisten zum Opfer fielen. Seither ist eine vordergründig unscheinbare Veränderung des kroatischen Wappens, des rot-weißen Schachbrettmusters (šahovnica), zum Symbol der Ustaša-Ideologie geworden: Das Feld oben links war nun weiß – im Unterschied zum mittelalterlichen Original und dem Wappen des 1991 gegründeten kroatischen Staates, bei denen dieses Feld rot ist. Bizarrer, aber auch augenfälliger war die 1941 getroffene Entscheidung des kroatischen „Führers“ (poglavnik) Ante Pavelić, Meštrović’ Haus der Bildenden Künste in Zagreb durch Zufügung dreier Minarette in eine Moschee zu verwandeln, was die angeblich harmonische Eingliederung der Muslime in dem jetzt kroatischen Bosnien in das kurzlebige Großkroatien der Ustaša und deren Selbstdarstellung versinnbildlichen sollte. In der Zwischenkriegszeit waren neben dem Kosovo noch zwei weitere Kerngebiete des Balkans Objekte einer exklusiv serbischen Geschichtspolitik, nämlich Bosnien und Makedonien. 1912 wurde die von Serben bewohnte bosnische Stadt Varcar(ev) Vakuf in Mrkonjić Grad umbenannt: „Mrkonjić“ war das im Unabhängigkeitskampf benutzte Pseudonym des Petar Karađorđević, des späteren Königs Petar I. von Serbien, während des Aufstandes in Bosnien und der Hercegovina gegen die Osmanen in den 1870er-Jahren. Und 1938 wurde in Sarajevo ein kirchenartiges Monument für die „Helden des St.-Veits-Tages“ errichtet, womit die serbischen Attentäter des Erzherzogs Franz Ferdinand von 1914 gemeint waren. Um dieselbe Zeit wurden in den bosnischen Städten Tuzla und Uglević Reiterstandbilder von König Aleksandar I. Karađorđević aufgestellt. Bei einer überwiegend pro-bulgarischen und deshalb antiserbischen (und antijugoslawischen) Einstellung der Bevölkerung Vardar-Makedoniens, das nun offiziell „Südserbien“ genannt wurde, betrieb Belgrad eine Politik rüder Zwangsserbisierung. Am 31. Oktober und 1. November 1937 begingen Prinzregent Paul, Ministerpräsident Milan Stojadinović und andere jugoslawische Regierungsmitglieder mit großem Pomp den 25. Jahrestag der „Befreiung“ von Skopje und seiner Umgebung von der osmanischen Herrschaft und ihrer Einverleibung nach Serbien. Ein Denkmal für König Petar I. Karađorđević, „den großen Befreier“, wurde in der Stadt enthüllt, während ein zweites für König Aleksandar I. Karađorđević, „den Vereiner“, nicht rechtzeitig fertiggestellt worden war. Außerdem wurde ein tausendseitiger Gedenkbildband veröffentlicht, der den Fortschritt der Region unter der Herrschaft der Karađorđevićs und die serbische Zivilisierungsmission dokumentieren sollte.121 121 Spomenica dvadesetpetgodišnjice oslobođenja Južne Srbije 1912–1937 [Erinnerungsbuch an den 25. Jahrestag der Befreiung Südserbiens 1912–1937]. Hg. v. Aleksandar Jovanović. Skoplje 1937;

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Obwohl es tatsächlich Verbesserungen im Bereich der Wirtschaft, der Infrastruktur und sogar des Schulwesens gab, scheiterte die Serbisierungspolitik in Vardar-Makedonien, da ihr wichtigster Transmissionsriemen zugleich ihr größtes Hindernis war. Die bulgarischsprachige Landbevölkerung und die kleine Gruppe der Gewerbetreibenden und Intelligenzia der Region widersetzte sich entschieden der Einführung der serbischen Sprache. 1944 hatte Josip Broz, genannt „Tito“, der Führer des „zweiten Jugoslawien“, seine Lektion gelernt: Die Serbisierung der Vardar-Region wurde eingestellt. Auch wurde dort die Jugoslawisierung gar nicht erst eingeführt; stattdessen wurde eine Politik der kulturellen, sprachlichen und „historischen“ Makedonisierung qua Entbulgarisierung betrieben, und das mit umgehendem Erfolg. Gemeinsam mit einer neuen slavischen Nationalsprache, dem Makedonischen, einer eilends verfertigten Nationalliteratur und einer neu gegründeten makedonisch-orthodoxen Nationalkirche bildete eine neu kreierte und in Buchform gebrachte Nationalgeschichte die tragende Säule von Titos Makedonisierungsprojekt. Diese Geschichtskonstruktion führte die Ursprünge der neuen Nation zunächst bis zum Aufkommen des Kapitalismus auf dem Balkan im frühen 19. Jahrhundert, dann bis zum mittelalterlichen Reich des „makedonischen“ Zaren Samuil im 11. Jahrhundert zurück. St. Kliment von Ohrid, der Aufstand gegen die Osmanen am St.-Elias-Tag, dem 2. August 1903, und das Partisanenparlament des Zweiten Weltkrieges, die Antifaschistische Versammlung für die Nationale Befreiung Makedoniens (Antifašističko Sobranie na Narodnoto Osloboduvanje na Makedonija, ASNOM), wurden zu den wichtigsten Erinnerungsorten. Ungeachtet ihres partiell kommunistischen Inhalts sind sie bis heute konstitutive Bestandteile der Geschichtspolitik wie der Erinnerungskultur im 1991 gegründeten Staat Makedonien.122 Phantomschmerzen: Bulgarien Aus den Kriegen der Jahre 1912 bis 1918 ging Bulgarien mit einem um zehn Prozent vergrößerten Staatsgebiet hervor, verlor jedoch zugleich infolge seiner Niederlage im Ersten Weltkrieg Westthrakien und Vardar-Makedonien – eine Tatsache, welche die politischen und intellektuellen Eliten des Landes als „nationale Katastrophe“ werteten. Dennoch wurden die drei Kriege, von denen immerhin zwei verloren waren, als „Zeitalter des Ruhms“ gesehen, weil Bulgarien eben einige Jahre im Besitz der ge-

Boškovska, Nada: Das jugoslawische Makedonien 1918–1941. Eine Randregion zwischen Repression und Integration. Wien-Köln-Weimar 2009 (Zur Kunde Südosteuropas 2/39), 123 f. 122 Palmer Jr., Stephen E./King, Robert R.: Yugoslav Communism and the Macedonian Question. Hamden, CT 1971; Troebst, Stefan: Yugoslav Macedonia, 1943–1953: Building the Party, the State and the Nation. In: State-Society Relations in Yugoslavia, 1945–1992. Hg. v. Melissa K. Bokovoy, Jill A. Irvine und Carol S. Lilly. New York, NY 1997, 243–266; Ders.: Das makedonische Jahrhundert. Von den Anfängen nationalrevolutionärer Bewegung zum Abkommen von Ohrid 1893–2001. München 2007 (Südosteuropäische Arbeiten 130).



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nannten Gebiete gewesen war.123 In einer Situation der völligen politischen Isolation nach 1918 entwickelte Bulgarien einen autistischen Kult des Martyriums, der sich aus dem Phantomschmerz einer nach San Stefano zweiten „Beraubung“ um große Teile seines „ethnischen“ und „historischen“ Gebiets speiste. Dieser politische Kult war weniger das Ergebnis einer gezielten staatlichen Politik als der Bestrebungen einer nationalistisch gesinnten Gesellschaft, die von Interessenorganisationen der Flüchtlinge aus Makedonien, Thrakien und der Dobrudscha dominiert wurde. Die bekannteste davon war die terroristische Internationale Makedonische Revolutionäre Organisation (Vătrešna Makedonska Revoljucionna Organizacija, VMRO). Ferner spielten rechtsgerichtete Organisationen wie die Allbulgarische Union „Vater Paisij“ (Vsebălgarski săjuz „Otec Paissij“) eine Rolle, deren Namenspatron der genannte Mönch aus dem 18.  Jahrhundert war, desgleichen dem Militär nahestehende Vereinigungen. Diese Verbände und Organisationen bildeten sich in den 1920er-Jahren, als die linksgerichtete Bulgarische Nationale Agrarunion (Bălgarski Zemedelski Naroden Săjuz, BZNS) bzw. gemäßigte Konservative an der Regierung waren und versuchten, die Folgen des Friedensvertrages von Neuilly von 1919 zu bewältigen. Sie verfolgten einen Kurs der „friedlichen Revision“, der sich auf Kooperation mit dem Völkerbund und Großbritannien stützte. Bulgarische Politiker der Zwischenkriegszeit betonten besonders den 1928 begangenen 50. Jahrestag der Unabhängigkeit, vergaßen aber genauso wenig die mittelalterliche Geschichte Bulgariens.124 1941 wurde das Programm des „friedlichen Revisionismus“ durch den Beitritt zum deutsch-italienisch-japanischen Bündnis ersetzt, um im Gefolge der Militäraktionen der Wehrmacht gegen Jugoslawien und Griechenland Makedonien und Thrakien „wiederzugewinnen“. Bereits im April 1941 besetzten bulgarische Truppen den größten Teil des jugoslawischen Makedonien und des griechischen Thrakien und annektierten sie de facto. Die darauffolgenden Jahre waren von einer tiefgreifenden Rebulgarisierung in Gestalt einer Entserbisierung des vormaligen „Südserbien“ geprägt. Im August 1944 aber zwangen Titos Partisanenbewegung und der rasche Vormarsch der Roten Armee Bulgarien zum zweiten Mal seit 1918 aus Makedonien hinaus, und der kommunistische Staatsstreich in Sofija im Folgemonat führte zum Abzug bulgarischer Truppen aus Griechenland. Im Jahr 1946 transformierte eine von der kommunistischen Regierung angesetzte Volksabstimmung Bulgarien von der Monarchie in

123 Weber, Claudia: Europäische Kriege – eine europäische Erinnerung. Kriegsmythen im nationalen Gedächtnis Bulgariens. In: Der Krieg in den Gründungsmythen europäischer Nationen und der USA. Hg. v. Nikolaus Buschmann und Dieter Langewiesche. Frankfurt a. M. u. a. 2003, 372–397; Koneva, Rumjana: Goljamata srešta na bălgarskija narod. Kulturata i predizvikatelstvata na vojnite 1912–1918 [Die große Zusammenkunft des bulgarischen Volkes. Die Kultur und die Herausforderungen der Kriege 1912–1918]. Sofija 1995. 124 Weber, Auf der Suche nach der Nation (wie Anm. 9), 205–383; Troebst, Stefan: The Internal Macedonian Revolutionary Organization and Bulgarian Revisionism, 1923–1944. In: Territorial Revisionism and the Allies of Germany in the Second World War. Goals, Expectations, Practices. Hg. v. Marina Cattarruzza, Stefan Dyroff und Dieter Langewiesche. New York, NY-Oxford 2013 (Austrian and Habsburgs Studies 15), 161–172.

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eine Volksrepublik, und der Nationalfeiertag am 3. März, der San-Stefano-Tag, wurde durch den 9. September ersetzt, das Datum der kommunistischen Machtübernahme von 1944. Es sollte zwei Jahrzehnte dauern, bevor sich die Bulgarische Kommunistische Partei (Bălgarska komunističeska partija, BKP) die „bourgeoisen“ bulgarischen lieux de mémoire Paisij, Kyrill und Method, den Aprilaufstand und San Stefano zu eigen machte und daranging, in ihrer Geschichtspolitik schrittweise den „proletarischen Internationalismus“ durch den bis dahin als „großbulgarischen Chauvinismus“ perhorreszierten traditionellen bulgarischen Nationalismus zu ersetzen. Heldenkult: Rumänien Im September 1919, unmittelbar nach der durch die Pariser Friedenskonferenz sanktionierten gewaltigen Vergrößerung des rumänischen Staatsgebietes, gründete König Ferdinand I. von Hohenzollern-Sigmaringen eine teils staatliche, teils private Organisation unter dem Namen „Heldenkult“ (Cultul Eroilor), deren Aufgabe es sein sollte, „jedes Jahr der Helden dieser Nation zu gedenken, die ebenso wie die Überlebenden […] erheblich zur Vereinigung unserer Nation beigetragen haben“.125 Diese neue Tradition der jährlichen Heldentagsfeiern, die mit religiösen und säkularen Riten begangen wurden, nahm am 20. Mai 1920 ihren Anfang. Versammlungen, Gottesdienste und Prozessionen im ganzen Land sollten alle Teile der Bevölkerung zu patriotischen Bürgern machen – ein Ziel, das nur partiell erreicht wurde, weil der dezidiert orthodoxe Charakter des Feiertages für die Protestanten und Katholiken Siebenbürgens, egal ob magyarischer, deutscher, slowakischer oder anderer Abstammung, nicht attraktiv war, schon gar nicht für die Muslime und Juden in Rumänien.126 Die verschiedenen habsburgischen, russländischen und osmanischen Geschichtserfahrungen der wallachischen, moldauischen, bessarabischen, dobrudschanischen, bukowinischen und siebenbürgischen Teile Großrumäniens führten zudem dazu, dass staatliche Feiertage wie der 24. Januar (Vereinigung von Wallachei und Moldau 1859) oder der 10.  Mai (Ausrufung der Unabhängigkeit der Vereinigten Fürstentümer von den Osmanen 1878) einem jüdischen Ladenbesitzer im bessarabischen Chişinău oder einem ungarischsprachigen Handwerker im siebenbürgischen Braşov/Kronstadt nur wenig bedeuteten. Auch der 1. Dezember, an dem 1918 Siebenbürgen über den Beitritt zu Rumänien abstimmte, hatte für einen tatarischen Hirten in der Dobrudscha kaum Bedeutung.127 Schließlich sollte nicht einer dieser Nationalfeiertage das Konglomerat aus unterschiedlichen Territorien zusammenführen, sondern ein inoffizieller Festtag. Das war der 6. August, an dem sich 1917 in der Schlacht von Mărăşeşti am Osthang der Karpaten Rumänen und Russen auf der einen Seite sowie Deutsche und Österreicher auf der 125 Zit. n. Bucur, Heroes and Victims (wie Anm. 88), 100. 126 Ebd., 103–109. 127 Bucur, Maria: Birth of a Nation: Commemorations of December 1st, 1918 and the Construction of National Identity in Communist Romania. In: Staging the Past (wie Anm. 7), 286–325.



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anderen gegenüberstanden und 27 000 rumänische Soldaten fielen. Die Jahresfeiern in Mărăşeşti wurden gemeinsam von der genannten Organisation „Heldenkult“ sowie der Orthodox-Nationalen Gesellschaft rumänischer Frauen (Societatea Ortodoxă Naţională a Femeilor Române) veranstaltet. In der Nähe dieses Dorfes entstand auch ein riesiges Mausoleum, das am 18. September 1938 eröffnet wurde und die sterblichen Überreste von 5 000 rumänischen Soldaten barg.128 Ein geschichtspolitisches Großereignis war zudem die Krönung Ferdinands I. zum „König aller Rumänen“ 1922 im transsilvanischen Alba Iulia in einer eigens erbauten orthodoxen Krönungskathedrale – gelegen in unmittelbarer Nähe zum römisch-katholischen Dom der Stadt. „Die imposante Krönung in Alba Iulia“, so Roland Prügel, „sollte eine doppelte Funktion erfüllen: Zum einen feierte sie Ferdinand als legitimen Vollstrecker der nationalen Einheit; zum anderen überführte sie die Hohenzollernsche Dynastie in das Pantheon der rumänischen Heroen.“129 Die Krone war dabei diejenige, die Carol I. 1881 aus osmanischem Geschützmetall hatte anfertigen lassen. Der lange Ritt des Skanderbeg: Albanien Die Erinnerungskultur des 1912 gegründeten albanischen Staates war stark auf die Persönlichkeit des mittelalterlichen christlichen Adligen Georg Kastriota, genannt Skanderbeg, fokussiert, der dem Ausgreifen der Osmanen in den Balkan Widerstand geleistet hatte. Skanderbeg war bei den Albanern bis zum 18. Jahrhundert populär gewesen; allerdings führte die enge Anlehnung der albanischen Elite an die Hohe Pforte dazu, dass er im 19.  Jahrhundert in Vergessenheit geriet. Das änderte sich mit dem Aufkommen der albanischen Nationalbewegung am Jahrhundertende und der Staatsgründung, vor allem aber mit der Thronbesteigung durch Ahmet Zogu im Jahr 1928. Dieser gab sich den Titel „Kaiser der Albaner“ (Mbret i Shqiptarëve), eignete sich den Nebentitel „Skanderbeg III.“ an und initiierte einen Kult um diesen mittelalterlichen Helden. Da sich die Republik Österreich weigerte, die Originale von Schwert und Helm Skanderbegs an Albanien zu übergeben, trug König Zog I. eine Krone in Form des Helms mit den eingravierten Lettern „AZ“ (für „Ahmet Zogu“). Nachdem Albanien 1939 durch das faschistische Italien annektiert worden war, brachte sich der italienische König Vittorio Emmanuele III. in den Besitz dieser Krone, die er auch tatsächlich trug. Auch NS-Deutschland griff den Skanderbeg-Mythos auf, als eine Waffen-SS-Division der Kosovo-Albaner unter diesem Namen aufgestellt wurde. Skanderbeg war und blieb der albanische Held schlechthin, sowohl in kommunistischer Zeit als auch in der sich anschließenden Übergangsperiode.130 128 Bucur, Heroes and Victims (wie Anm. 88), 98 f., 114–118, 125–132. 129 Prügel, Roland: „König aller Rumänen“. Visualisierung der Monarchie unter Ferdinand und Maria in Großrumänien. In: Neue Staaten (wie Anm. 16), 87–98. 130 Schmitt, Oliver Jens: Skanderbeg reitet wieder: Die Wiedererfindung und Erfindung eines (National-)Helden im balkanischen und gesamteuropäischen Kontext (15.–21.  Jahrhundert). In: Schnittstellen (wie Anm. 81), 401–419; Ders.: Skanderbeg. Der neue Alexander auf dem Balkan. Regensburg 2009.

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Epilog: Die Zeit des Kommunismus Am 3. Mai 1946 wurde in der alten polnischen Hauptstadt Krakau des 155. Jahrestages der polnischen Maiverfassung gedacht, mit der dieser Abriss begann. Diese Feier verblasste im Vergleich zum ersten Jahrestag von 1792, ganz zu schweigen von den 3. Mai-Feiern, wie sie in der Zwischenkriegszeit begangen worden waren, aber dennoch versammelte sich eine große Menschenmenge in den Straßen von Krakau. Das Begehen des früheren Nationalfeiertags war zwar nicht explizit verboten worden, aber das neue kommunistische Regime reagierte in einer Form auf die spontane Feier, als ob es sich um einen Umsturzversuch handele. Die Geheimpolizei und ihre Handlanger schossen in die Menge, und es kam zu zahlreichen Verhaftungen. Gegen eine Reihe von Studenten wurden Repressalien ergriffen und jegliches Zeichen der Erinnerung an das Ereignis unterdrückt; einige Historiker glauben an eine kommunistische Provokation.131 Welche Deutung auch immer diesem Vorgang zu geben ist, unstrittig bleibt, dass die neue Geheimpolizei den Polen zu verstehen gab, dass das Regime und nicht das Volk die Entscheidung darüber traf, wessen in welcher Form gedacht werden sollte. Wie Nancy Wingfield bezüglich der Tschechoslowakei festhält, was aber auch für andere Ostblockländer gilt, benutzte die kommunistische Führung „einerseits gesellschaftlich organisiertes Vergessen – Exklusion, Unterdrückung, Repression –, andererseits sozial organisierte Erinnerung – gezielte Erfindung, Betonung und Popularisierung von Bestandteilen des Bewusstseins“.132 So ließen etwa Partei und Staat die frühere Anwesenheit der mittlerweile vertriebenen Deutschen dem Vergessen anheimfallen, indem sie Straßen, Gebäude, Bezirke und sogar ganze Städte umbenannten, sofern ihre alten Namen Bezüge zum Deutschtum aufwiesen. Einer der bekanntesten Fälle fand in der jetzt polnischen Stadt Wrocław statt, dem vormals habsburgischen, preußischen und deutschen Breslau, wo anstelle des Standbilds Königs Friedrich Wilhelm II. von Preußen auf dem Hauptmarkt eine Skulptur des Schriftstellers Aleksander Fredro, des „polnischen Molière“, aufgestellt wurde. Dieses Denkmal war ursprünglich 1897 in Lwów/Lemberg errichtet worden, damals Hauptstadt des habsburgischen Galizien, und wurde 1956 aus dem nun sowjetukrainischen L’viv/L’vov nach Wrocław verbracht.133 Diese Ersetzung eines preußischen Königs durch einen polnischen Literaten vermittelte eine doppelte, sowohl parteiideologische wie kryptobürgergesellschaftliche Botschaft: Die polnische Kultur triumphiert am Schluss über die deutsche Barbarei, und die ostgalizische Kulturtradition, die von Hitler und Stalin zerstört worden war, lebt klandestin in Niederschlesien weiter. Letzteres belegen auch 131 Dazu z. B. Brzoza, Czesław: 3 maja 1946 w Krakowie. Przebieg wydarzeń i dokumenty [Der 3. Mai 1946 in Krakau. Ereignisablauf und Dokumente]. Kraków 1996 (Wydawnictwa „Księgarni Akademickiej“ 31). 132 Wingfield, Flag Wars and Stone Saints (wie Anm. 106), 262 (Zitat), 277. 133 Thum, Gregor: Die fremde Stadt. Breslau 1945. Berlin 2003. Dazu auch: Davies, Norman/Moorhouse, Roger: Die Blume Europas. Breslau – Wrocław – Vratislavia. Die Geschichte einer mitteleuropäischen Stadt. Aus dem Englischen von Thomas Bertram. München 2002 [engl. 2002].



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die Transfers der Ossolineum-Nationalbibliothek und des gigantischen Panoramagemäldes der Schlacht von Racławice im Jahr 1794, in der ein polnisches Bauernheer die hochgerüsteten zarischen Truppen besiegte, aus der ostgalizischen in die niederschlesische Metropole. Die Kommunisten Ostmitteleuropas übernahmen eine ganze Reihe von Feiertagen, die zuvor bereits von der Sowjetunion gefeiert worden waren: den 1. Mai, also den traditionellen Tag der Arbeit, den Jahrestag der russischen Oktoberrevolution am 7. November sowie das am 9. Mai als „Tag des Sieges“ über das nationalsozialistische Deutschland gefeierte Ende des Zweiten Weltkrieges.134 Der Kult um Lenin und Stalin wurde beispielsweise dadurch gefördert, dass Straßen, Unternehmen und Gebäude nach ihnen benannt wurden, desgleichen in fast jeder Volksrepublik eine „Stalinstadt“ proklamiert wurde. So wurde aus Katowice in Polen, vormals Kattowitz, jetzt Stalinogród, aus Braşov in Rumänien Oraşul Stalin und aus Dunaújváros in Ungarn Sztálinváros; Lenin- und Stalin-Denkmäler schossen überall aus dem Boden. Einige Staatsfeiertage erinnerten an die Befreiung durch die Rote Armee und die Bildung provisorischer Regierungen unter kommunistischer Führung, oder sie standen zumindest in Beziehung zu diesen Vorgängen. Das galt z. B. für Ungarn, wo der 15. März, der als Jahrestag des ungarischen Sieges von 1848 in der Zwischenkriegszeit gefeiert worden war, weiterhin Staatsfeiertag blieb. Allerdings brachten die Kommunisten dieses Datum mit der Vertreibung der ungarischen Pfeilkreuzler-Faschisten durch sowjetische Truppen 1945 in Verbindung – ein Ereignis, das als Verwirklichung von Kossuths und Petőfis Vision hingestellt wurde. Der 100. Jahrestag wurde am 15. März 1948 mit besonders großem Aufwand gefeiert. Damals wurden ganze Legionen von Petőfi-Statuen aufgestellt.135 Allerdings konnten derartige Palimpsest-Feiertage auch zum Bumerang werden. 1956, im Jahr des Aufstandes im westpolnischen Poznań/Posen und des Aufstieges des „Liberalen“ Władysław Gomułka an die Spitze der polnischen KP, widmeten ungarische Intellektuelle aus dem Petőfi-Kreis und die neu gegründete studentische Organisation „Zirkel des 15. März“ den ursprünglichen Revolutionsgeist von 1848 zu einem antistalinistischen Programm um. Am 23. Oktober 1956 legten sie einen Kranz am Standbild des polnischen Generals Józef Bem nieder, der in der ungarischen Revolution 1848/49 gekämpft hatte, und machten sich anschließend in einem Akt der

134 Dazu beispielsweise: Osęka (wie Anm. 114). Der 1. Mai wurde 1950 als Staatsfeiertag in Polen eingeführt. Dazu Kubik, Jan: The Power of Symbols Against the Symbols of Power: The Rise of Solidarity and the Fall of State Socialism in Poland. University Park, PA o. J. [1994], 59. 135 Freifeld, The Cult of March 15 (wie Anm. 54), 274  f. Zu Feiertagen im östlichen Europa unter dem Kommunismus und Postkommunismus: Transforming National Holidays. Identity Discourse in the West and South Slavic Countries, 1985–2010. Hg. v. Ljiljana Šarić, Karen Gammelgaard und Kjetil Rå Hauge. Amsterdam-Philadelphia, PA 2012 (Discourse Approaches to Politics, Society and Culture 47); Koleva, Daniela: The Memory of Socialist Public Holidays: Between Colonization and Autonomy. In: Zwischen Amnesie und Nostalgie. Die Erinnerung an den Kommunismus in Südosteuropa. Hg. v. Ulf Brunnbauer und Stefan Troebst. Köln-Weimar-Wien 2007 (Visuelle Geschichtskultur 2), 185–198.

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Provokation daran, Stalins Bronzestatue in Budapest zu stürzen.136 Die Reaktion der sowjetischen Besatzungstruppen ließ nicht lange auf sich warten. Andere osteuropäische Stalin-Denkmäler wurden zu einem späteren Zeitpunkt entfernt. Im Falle der Tschechoslowakei musste erst eine Anweisung aus Moskau erfolgen, damit die Führung der KPČ (Komunistická strana Československa/Kommunistische Partei der Tschechoslowakei) 1962 das giganteske Stalinmonument auf dem Hügel über der Prager Altstadt sprengen ließ. Dem mumifizierten Körper des 1956 verstorbenen Parteichefs Klement Gottwald erging es nicht anders als Stalins Mumie selbst: Beide wurden aus ihren Mausoleen entfernt. Gelegentlich wurden auch Denkmäler aus der Zeit vor dem Kommunismus instrumentalisiert. Im Prager Frühling von 1968 beispielsweise bildeten die Denkmäler des Jan Hus und des heiligen Wenzel die Kulisse für Massenversammlungen.137 Die kommunistische Interpretation anderer historischer Ereignisse wurde aber mitunter infrage gestellt. In Polen markierte das Jahr 966 sowohl die Geburt des polnischen Staates als auch die Christianisierung der Polen. Taktisch geschickt rief der polnische Kardinalprimas Stefan Wyszyński 1957 eine Novena aus, also eine neun Jahre währende Feier von Polens Eintritt in die christliche Welt, die ihren Höhepunkt in der Jahrtausendfeier von 1966 fand, sodass der polnische Katholizismus seine starke öffentliche Präsenz noch mehr ins Bewusstsein heben konnte.138 Als überzeugte Atheisten hielten die Kommunisten mit dem Versprechen dagegen, eintausend Schulen für die eintausend Jahre seit der Geburt des polnischen Staates zu bauen. Ihre wichtigsten Feiern hielten sie jeweils am 22. Juli ab, dem Jahrestag des Lubliner Manifests von 1944 und zugleich volkspolnischem Gründungstag, und nicht am 3. Mai, den die Kirchenhierarchie bewusst für ihre Gedenkveranstaltungen ausgewählt hatte, da dieser zugleich der Jahrestag der Maiverfassung war.139 Die religiöse und die nationale Ikonografie verhielten sich in Polen weiterhin zueinander komplementär. In der Zeit der Solidarność durften die Polen Mahnmale im Gedenken an ihre in den Unruhen von 1956 und 1970 umgekommenen Landsleute errichten. Diese wurden in Gestalt überdimensionaler Kreuze in Poznań/Posen und Gdańsk/Danzig aufgestellt.140 In gleicher Stoßrichtung trug Lech Wałęsa, der Führer der Gewerkschaft Solidarność, demonstrativ eine Nadel mit dem Bildnis der heiligen Muttergottes von Częstochowa/Tschenstochau, dem berühmtesten Marienbild Polens am Revers; die Muttergottes war seit dem 17. Jahrhundert als „Königin Polens“ verehrt worden.141 136 137 138 139 140

Freifeld, The Cult of March 15 (wie Anm. 54), 274–276. Paces, Religious Heroes (wie Anm. 108), 212. Kubik (wie Anm. 134), 110–117. Ebd., 113 f. Zum Danziger Denkmal: ebd., 196–206; Laba, Roman: The Roots of Solidarity. A Political Sociology of Poland’s Working-Class Democratization. Princeton, NJ 1991, 135–138. Über das Posener Denkmal: Kubik (wie Anm. 134), 214–216; Laba, The Roots of Solidarity, 139 f. 141 Gąsior, Agnieszka: Die Gottesmutter. Marias Stellung in der religiösen und politischen Kultur Polens. In: Renaissance der Nationalpatrone (wie Anm. 86), 77–98.



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„Dreimal in wenig mehr als zehn Jahren“, so schreibt Anders Åman in seinem wegweisenden Buch über Architektur und Ideologie in Osteuropa unter Stalin, „begann alles wieder aufs neue: am Ende des Kriegs, 1949 und 1956“,142 womit er natürlich den Einmarsch der Roten Armee und die Anfänge der Sowjetisierung, die Durchsetzung des stalinistischen Modells in seiner extremsten Spielart vier Jahre darauf und den abrupten Wechsel zur Entstalinisierung mit Nikita S. Chruščëvs Geheimrede auf dem 20. Parteitag der sowjetischen Führungspartei meinte. Ungeachtet ihrer kurzen Dauer hinterließ die stalinistische Periode bleibende Spuren in den nationalen Erinnerungskulturen und nicht zuletzt auch in der städtischen Architektur. Entfernt wurden lediglich direkte Stalin-Bezüge, wobei Albanien eine Ausnahme machte. Dort überlebte der Stalinkult den Allianzenwechsel weg von der Sowjetunion hin zum maoistischen China von 1961 und auch das Zerwürfnis mit Peking 1978. Er blieb bis 1991 sehr lebendig. Von Polen bis Bulgarien allerdings brachte die Entstalinisierung, die auf Chruščëvs besagter Rede von 1956, in welcher er die Stalinschen Verbrechen unverblümt benannte, folgte, die Entfernung von Stalin-Denkmälern und die Rückbenennung von Städten, die zwischenzeitlich Stalins Namen getragen hatten. Während ein Stalin-Adept wie der bis 1954 amtierende bulgarische KP-Chef Vălko Červenkov mit einem Anathema belegt wurde, überlebte der Erzstalinist Walter Ulbricht in der DDR politisch. Sein polnisches Gegenüber Bolesław Bierut war unmittelbar nach Chruščëvs Rede gestorben. Der neue Spielraum, den Chruščëv den Volksrepubliken und ihren kommunistischen Führungen einräumte, ließ nationale Topoi wieder aufleben. Ein extremes Beispiel war Rumänien, wo Staats- und Parteiführer wie Gheorghe Gheorghiu-Dej und ganz besonders seit 1965 sein Nachfolger Nicolae Ceauşescu eine dakische Vergangenheit der Rumänen seit dem fünften vorchristlichen Jahrhundert konstruieren ließen und den zivilisatorischen Einfluss des Imperium Romanum auf seinen nordöstlichsten Vorposten gegen die Barbaren, die Provinzen Dacia Superior und Dacia Inferior, herausstellten. Auf Anordnung Ceauşescus und seiner „mitregierenden“ Frau Elena hatten rumänische Historiker, Archäologen, Onomasten, Linguisten und andere nunmehr zu behaupten, dass die Latinität der Rumänen die Kontinuität ihrer Ansässigkeit auf beiden Seiten der Karpaten beweise und damit auch die historische Anciennität ihres Staatswesens und die kulturelle Überlegenheit ihrer Nation über Magyaren und Slaven – Russen und Ukrainer in der UdSSR explizit nicht ausgenommen.143 Sichtbarer Ausdruck dieser Geschichtspolitik war die 1974 erfolgte Umbenennung des mehrheitlich von Magyaren bewohnten siebenbürgischen Cluj/Klausenburg/Ko142 Åman, Anders: Architecture and Ideology in Eastern Europe during the Stalin Era. An Aspect of Cold War History. New York, NY, u. a. 1992 [schwed. 1987], VII. 143 Als Beispiel für die kommunistische Darstellungsweise: The dangerous game of falsifying history. Studies and articles. Hg. v. Ştefan Pascu und Stefan Stefănescu. Bucharest 1987. Kritisch dazu: Strobel, Karl: Die Frage der rumänischen Ethnogenese. Kontinuität – Diskontinuität im unteren Donauraum in Antike und Frühmittelalter. In: Balkan-Archiv 30/32 (2005–2007), 59–166. Besonders auch Verdery, Katherine: National Ideology Under Socialism: Identity and Cultural Politics in Ceausescu’s Romania. Berkeley, CA 1995 (Societies and Culture in East-Central Europe 7).

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loszvár in Cluj-Napoca, wobei Napoca der römische Name einer dakischen Siedlung war.144 In ganz ähnlicher Weise versuchten die bulgarischen Kommunisten, die Anfänge der Präsenz der Bulgaren auf dem Balkan weiter zurückzuverlegen, indem sie sich nicht allein auf die Ankunft von Slaven südlich der Donau im sechsten Jahrhundert n.  Chr. und danach von Protobulgaren bezogen, sondern auch auf die Thraker des siebten Jahrhunderts v. Chr. als vermeintliche Vorfahren der Bulgaren. Ljudmila Živkova, Tochter des Staats- und Parteichefs Todor Živkov und seit 1970 Leiterin der staatlichen Kulturpolitik, ließ diese thrakische Tradition mittels Ausstellungen, Ausgrabungen und Publikationen fördern, und zwar nicht nur in der Volksrepublik Bulgarien selbst, sondern auch im Ausland, vorzugsweise in der Bundesrepublik, Frankreich, den Niederlanden und anderen westlichen Ländern.145 Seit den 1960er-Jahren wurde auch die bulgarische Geschichtspolitik aus vorkommunistischen Zeiten wiederbelebt. Als gemeinsamer Nenner der Perioden vor und nach 1944 galt jetzt „Revolution“ – eine „nationalrevolutionäre Bewegung“ im dritten Viertel des 19.  Jahrhunderts und eine „volksdemokratische Revolution“ am Ende des Zweiten Weltkrieges, zwischen denen gemäß parteiamtlicher Sicht ein Kausalverhältnis bestand. Was im 20. Jahrhundert feindliche „Monopolkapitalisten“ und „Monarchofaschisten“ waren, waren im 19. „türkische Feudalherren“ und „osmanische Schlächter“.146 Der antiosmanische Aufstand vom April 1876 oder die Verdienste des zarischen Russland um die Unabhängigkeit Bulgariens waren im Staatssozialismus sowjetischer Prägung ideologisch unverdächtig.147 Hingegen nahm sich in der Sicht des Regimes eine in den 1980er-Jahren von Intellektuellen halböffentlich geführte und nicht von der Partei gesteuerte Diskussion über Vasil Levski, den Nationalhelden des 19. Jahrhunderts, und den Umgang mit seinen sterblichen Überresten als ausgesprochen bedenklich aus.148 Darüber hinaus war die Makedonische Frage, also der bulgarische Anspruch, dass nicht nur Pirin-Makedonien im Südwesten Bulgariens unbedingt zur eigenen Nationalgeschichte gehörte, sondern auch das damals jugoslawische Vardar-Makedonien und idealerweise auch das griechische Ägäisch144 Brubaker, Rogers u. a.: Nationalist Politics and Everyday Ethnicity in a Transylvanian Town. Princeton, NJ 2006. 145 Shivkova, Ljudmila: Das Grabmal von Kasanlak. Recklinghausen 1973; Kerov, Yordan: Lyudmila Zhivkova – Fragments of a Portrait. In: Radio Free Europe/Radio Liberty Research. RAD Background Report/253 (Bulgaria), 27 October 1980. 146 Die Partisanenfolklore des Zweiten Weltkrieges hatte diese Parallele bereits vorweggenommen, indem sie in traditionellen Kampfliedern den Begriff „asker“ (für einen osmanischen Soldaten) durch „fašist“ ersetzte. 147 Friedrich, Wolfgang-Uwe: Die bulgarische Geschichtswissenschaft im Spannungsverhältnis zwischen ideologischem Anspruch und historischer Realität. Die Geschichtsschreibung der Befreiungsbewegung und der Anfänge des Nationalstaates. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 29 (1981), 412–435; Hoppe, Hans-Joachim: Politik und Geschichtswissenschaft in Bulgarien 1968–1978. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 28 (1980), 243–286. 148 Todorova, Maria: Was there civil society and a public sphere under socialism? The debates around Vasil Levskis’s alleged reburial in Bulgaria. In: Schnittstellen (wie Anm. 81), 163–173.



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Makedonien, so heikel, dass sie einen Keil zwischen Parteioffizielle und bulgarische Historiker einerseits und die Nachbarn auf dem Balkan, ja selbst den sowjetischen Hegemon andererseits zu treiben vermochte. Moskau verbot Bulgarien, seinen der NATO angehörenden griechischen Nachbarn im Süden öffentlich zu attackieren, doch seit 1967 polemisierten führende bulgarische Politiker, Historiker, Archäologen, Sprachwissenschaftler, Ethnografen und andere erbittert mit ihren Kollegen in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien und deren Teilrepublik Makedonien. Sofija behauptete, dass Vardar-Makedonien bis 1944 von bulgarisch sprechenden Bulgaren bewohnt gewesen sei; eine makedonische Nation mit eigener Sprache dagegen sei ein neues, von der Kommunistischen Partei Jugoslawiens herbeiadministriertes „künstliches“ Phänomen der Zeit nach 1944. Politiker und Historiker in Belgrad und Skopje wandten dagegen ein, dass das Aufkommen der makedonischen Nation und ihrer Sprache in allen drei historischen Teilen Makedoniens einschließlich des Pirin-Gebirges in Bulgarien um das Jahr 1900 anzusiedeln sei, wenn nicht gar in den 1830er-Jahren, als die „kapitalistische Produktionsweise“ die Region erreicht habe.149 Bis 1989 blieb das Verhältnis zwischen Bulgarien und Jugoslawien aufgrund solcher Debatten über die Geschichte Makedoniens und seiner Bewohner extrem angespannt – Debatten, die auch vor Gegenwarts- und Grenzfragen nicht haltmachten. Im kommunistischen Jugoslawien blieb die Geschichtspolitik normalerweise den Mitgliedsrepubliken selbst überlassen. Seit den 1960er-Jahren war die Idee eines integralen Jugoslawismus auf „Brüderlichkeit und Einigkeit“ der sechs Mitgliedsnationen Slowenen, Kroaten, „Bosnier und Hercegoviner“, Montenegriner, Serben und Makedonier reduziert worden, daneben gab es etwa zwanzig weitere Nationalitäten, von denen zwei, die Magyaren und Albaner, innerhalb der Teilrepublik Serbien seit 1966 Autonomiestatus genossen. Während der Bund der Kommunisten Jugoslawiens sich aus sechs Bünden der Einzelrepubliken zusammensetzte, blieb die jugoslawische Volksarmee die einzige gesamtstaatliche Einrichtung, die noch den Jugoslawismus propagierte. Ein weiterer gesamtjugoslawischer Faktor war allerdings Staats- und Parteioberhaupt Josip Broz Tito, der sich als Marschall inszenierte und um den vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zu seinem Tod im Mai 1980 und darüber hinaus ein staatlicher Personenkult entfaltet wurde. Bis 1988 gab es eine jährliche Jugendstafette, die an Titos Geburtsort Kumrovec im slowenisch-kroatischen Grenzgebiet startete und nach dem Passieren der Hauptstädte sämtlicher Teilrepubliken am 25. Mai, Titos Geburtstag, in Belgrad endete.150 „Genosse Tito, wir verneigen uns vor Dir“ (Druže Tito, 149 The Macedonian Question. Historical and Political Information. Hg. v. d. Bulgarian Academy of Sciences. Sofija 1968; Troebst, Stefan: Die bulgarisch-jugoslawische Kontroverse um Makedonien 1967–1982. München 1983 (Untersuchungen zur Gegenwartskunde Südosteuropa 23). Die Ansicht, die Makedonen-Herrscher des 4. Jahrhunderts v. Chr., Philipp II. und sein Sohn Alexander der Große, seien die Urahnen der makedonischen Nation, wurde damals – im Unterschied zu heute – selbst in Skopje nicht vertreten. 150 Halder, Marc: Der Titokult. Charismatische Herrschaft im sozialistischen Jugoslawien. München 2013 (Südosteuropäische Arbeiten 149).

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mi ti se kunemo) war der Titel einer Single, mit der der bis heute populäre Schlagerstar Zdravko Čolić 1980, im Todesjahr des „Marschalls“, die jugoslawischen Hitlisten stürmte. Der Tito-Kult war eng gekoppelt mit dem Kult der nationalen Befreiung des geteilten und besetzten Jugoslawien von 1944 durch die kommunistischen Partisanen; nichtkommunistische Partisanen, die ebenfalls gegen deutsche, bulgarische, ungarische und italienische Besatzer sowie ihre kroatischen, serbischen und slowenischen Quislinge gekämpft hatten, hatten in diesem Kult keinen Platz.151 So wie bei den anderen balkanischen Parteidiktaturen war das erste, „bourgeoise“ Jugoslawien der Zwischenkriegszeit im Jugoslawien Titos kein Bezugspunkt für die Geschichtspolitik des Regimes. Das Gleiche galt offiziell auch für die Staatsgebilde des 19. Jahrhunderts wie die Fürstentümer und Königreiche von Serben und Montenegrinern, obwohl sich die Historiker der dortigen Teilrepubliken nicht bedingungslos dieser Regel unterwarfen.

Schlussfolgerungen Das „lange“ 19. Jahrhundert sowie die Kriege des „kurzen“ 20. prägten und prägen neben mittelalterlichen Mythen und der Kommunismuserfahrung entscheidend die Erinnerungskulturen der Nationalgesellschaften und Staaten Ostmittel- und Südosteuropas und damit das kollektive Gedächtnis der heutigen Polen, Litauer, Ungarn, Slowaken, Tschechen, Rumänen, Bulgaren, Albaner, Serben, Makedonier, Kroaten und anderer Nationen. Hier kann von einer regelrechten Gedächtnisgemeinschaft gesprochen werden, welche die Halecki-Szűczsche Konzeption einer Geschichtsregion namens „Ostmitteleuropa“ nachzeichnet. In ganz besonderer Weise transnational prägend war und ist dabei die Dimension der Religion, hier vor allem ihre kultischen Elemente wie der primär römisch-katholische Marienkult, der indes auch in den orthodoxen Bereich übergreift,152 desgleichen der für ganz Ostmittel- und Südosteuropa typische Kult um Nationalpatrone153, wobei vor allem derjenige um die „Slavenapostel“ Kyrill und Method konfessionsübergreifend wirkt.154 Gleichfalls wirkmächtig, vor allem in Krisen- und Umbruchsituationen, 151 Zusammenfassend dazu Strugar, Vlado: Der jugoslawische Volksbefreiungskrieg 1941–1945. Berlin [DDR] 1969. 152 Halemba, Agnieszka: From Dzublyk to Medjugorje: The Virgin Mary as a transnational figure. In: Marienkult, Cyrillo-Methodiana und Antemurale. Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa vor und nach 1989. Hg. v. Anne Cornelia Kenneweg und Stefan Troebst. Marburg/L. 2008 (Themenheft der „Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung“ 57 [2008] 3), 329–345 (vgl. auch ihren sowie Michaela Schäubles und Tatiana Podolinskás Beiträge im vorliegenden Band); Maria in der Krise. Kultpraxis zwischen Religion und Politik in Ostmitteleuropa. Hg. v. Agnieszka Gąsior. Köln-Weimar-Wien 2014 (Visuelle Geschichtskultur 10). 153 Renaissance der Nationalpatrone (wie Anm. 86). Im Erscheinen ist überdies eine einschlägige Monografie: Rohdewald, Götter der Nationen (wie Anm. 86). 154 Dies gilt etwa für die katholischen Sorben in der Oberlausitz, deren Cyrill-Methodius-Verein 1862 gegründet wurde, oder für die gleichfalls mehrheitlich katholischen Slowaken. Vgl. dazu Kowalská,



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sind transnationale Erinnerungstopoi vom antemurale-Typus, der teils religiös, teils zivilisatorisch konnotiert ist und auf Abgrenzung von „Osteuropa“, „Russland“ und „Eurasien“, aber auch vom „Islam“ und vom „Orient“ zielt,155 desgleichen die (damit nicht immer kompatible) Vorstellung einer „allslavischen Gemeinsamkeit“, die neben kulturellen Bedeutungsebenen durch den Bezug auf die genannten „Slavenapostel“ ebenfalls eine religiöse Dimension aufweist.156 Zwar sind die Ungarn davon ausgenommen, doch sind Rumänen und zu Teilen auch Albaner über die Schiene der Orthodoxie eingebunden. Drei Faktoren bestimmen dabei die historischen Gedächtnisse in Ostmittel- und Südosteuropa: Erstens ist die individuelle Erfahrung einer beträchtlichen Anzahl von Menschen dort, die den Staatssozialismus, den Zweiten Weltkrieg und Teile der Zwischenkriegszeit miterlebt haben, durchaus präsent, sind doch nach 1989/91 eine große Zahl von Memoiren ganz unterschiedlicher Autoren veröffentlicht worden. Deren Erinnerungen unterscheiden sich erheblich nach Nationalität, damaliger politischer Affiliation und heutiger politischer Orientierung. Wer im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit verfolgt wurde, wird diese Periode anders in Erinnerung haben als die Täter von Kriegsverbrechen und ethnischen Säuberungen. Zweitens spielt in den bis noch vor Kurzem wenig alphabetisierten und daher stark „mündlichen“ Gesellschaften das Familiengedächtnis weiterhin eine wichtige Rolle. Diese nahm in den Jahrzehnten des Kommunismus eher noch an Bedeutung zu, als im öffentlichen Raum mit der staatlichen Modellerzählung nicht zu vereinbarende Erinnerungen unterdrückt wurden. Das Aufblühen der oral history-Forschung von Tirana bis Tallinn seit den 1990er-Jahren belegt dies. Und drittens sind die regierungsamtlichen Gebrauchs- und Missbrauchsweisen von Geschichte seit der „Wende“ vor allem eine Wiederholung der Geschichtspolitik der Regierungen der Zwischenkriegszeit. Um einige Beispiele zu nennen: 1990 wurde im postkommunistischen Bulgarien der 3. März als Staatsfeiertag wieder eingeführt, der schon 1879–1944 zum Gedenken an den expansionistischen Vorfrieden von San Stefano von 1878 begangen worden war und damit für ein Programm der territorialen Ausdehnung Bulgariens auf Kosten der heutigen Staatsgebiete der Türkei, Griechenlands, Makedoniens, Albaniens, des Kosovo, Serbiens und Rumäniens steht. Im selben Jahr führte Polen den 3. Mai als Nationalfeiertag wieder ein, den Tag der Konstitution von 1791, um seine Kontinuität als unabhängiger Staat Ewa: Kyrill und Method. Ihre Tradition in Politik und Geisteswelt der Slowakei. In: Renaissance der Nationalpatrone (wie Anm. 86), 116–127. Einen neuerlichen Schub erfuhr die katholische Cyrillomethodiana-Tradition durch Papst Johannes Paul II. und seine Enzyklika „Slavorum Apostoli“ aus dem Jahr 1985. 155 Kenneweg, Anne Cornelia: Antemurale Christianitatis. In: Europäische Erinnerungsorte. Bd. 2: Das Haus Europa. Hg. v. Pim den Boer u. a. München 2012, 73–81 (vgl. auch ihren sowie Małgorzata Morawiec’ Beitrag im vorliegenden Band); Žanić (wie Anm. 99). 156 Gemeinsam einsam. Die Slawische Idee nach dem Panslawismus. Hg. v. Agnieszka Gąsior u. a. Berlin 2009 (Themenheft von „Osteuropa“ 59 [2009] 12); Post-Panslavismus. Slavizität, Slavische Idee und Antislavismus im 20. und 21. Jahrhundert. Hg. v. Agnieszka Gąsior, Lars Karl und Stefan Troebst. Göttingen (Moderne europäische Geschichte 9) (im Erscheinen).

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und demokratische Republik zu betonen. Und in Rumänien wurde 1990 als Nationalfeiertag der 1. Dezember als „Tag der Einheit“ eingeführt – unter Bezug auf die Vereinigung von Altreich und Siebenbürgen 1918. Im heute teils demokratischen, teils immer noch autoritär geführten Serbien ist der St.-Veits-Tag (28. Juni) zu einem regelrechten Palimpsest geworden. Hier ruft dieser Tag offiziell die Schlacht auf dem Amselfeld von 1389, d. h. den Kosovo-Mythos, in Erinnerung, während er inoffiziell auch an die Ermordung des habsburgischen Kronprinzen Franz Ferdinand in Sarajevo am 28. Juni 1914 durch serbische Attentäter sowie an eine Rede des damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milošević am 28. Juni 1989 in der Gedenkstätte Gazimestan im Kosovo erinnert. Somit ist es kein Zufall, dass kurze Zeit nach der Ausrufung der Unabhängigkeit durch das Parlament der neuen Republik Kosovo in Prishtina im Februar 2008 ein Gegenparlament der kosovarischen Serben in Mitrovica eingerichtet wurde, die „Versammlung der Gemeinschaft der Munizipalitäten der Autonomen Provinz Kosovo und Metohija“ (Skupština Zajednice opština Autonomne Pokrajine Kosovo i Metohija), das sich just am St.Veits-Tag konstituierte – die irredentistische Botschaft ist klar: Anschluss an Serbien! Wie William Faulkner so treffend bemerkt hat: „The past is never dead. It’s not even past.“157 Daher steht in Südosteuropa wie auch in Ostmitteleuropa die Vergangenheit weiterhin der Gegenwart und der Zukunft für jegliche Art von Gebrauch und Missbrauch zur Verfügung. Aus dem Englischen von Andreas R. Hofmann

157 Faulkner, William: Requiem for a Nun [1950]. In: Ders.: Novels 1942–1954. Hg. v. Joseph Blotner und Noel Polk. New York, NY 1994, 471–664, hier 535.

Sai n t s Cyri l an d Me thodius From Christian sanctity to (trans)national memory

Daniela Koleva Lieux de mémoire, sites of memory In this article I will be concerned with institutionalised memory, i.  e. memory supported by state politics and imposed “from above” to unite and homogenise the national community. More specifically, the focus of interest is one of those “sites of memory” (to borrow Pierre Nora’s concept lieux de mémoire) that is laden with “institutional sacrality”1 and where historical and political dimensions intersect. The starting point is Nora’s definition of sites of memory as “moments of history, torn out of the movement of history, but eventually returned to it” deformed, transformed, elaborated and solidified.2 Memory, Nora has stated, is a “frame rather than a content, it is always a possible goal, a set of strategies, a presence whose significance is defined not so much by what it is but by what we make of it”.3 If the sites of memory “are born and live out of the perception that there is no spontaneous memory”,4 then it is important to take into account the voluntary and purposeful acts whereby they are constructed as instruments for the formation of the national tradition. In this chapter, then, I examine Sts Cyril and Methodius as a Bulgarian site of memory, with a focus on the agency of memory, the shifts of its anchoring points and its means of expression. As a first step, it is useful to distinguish between “a common site of memory” and “a site of common memory”. The former is an event or person whose importance is recognised by various communities of remembering and to which they all refer, but do not necessarily agree on its meaning. For instance, 9 September 1944 is such a “common site of memory” in today’s Bulgaria, considered by some the day of the Communist coup d’état that blocked the country’s development for decades, and by others the day of the socialist revolution, the beginning of a period of rapid development and progressive social transformations. Sts Cyril and Methodius, however, have always been a “site of common memory”, i. e. one whose meanings are not contested. Public (media) discourses as well as evidence from oral history testify to a wide consensus on the meaning of the two brothers’ contribution to Bulgarian history and culture.5 Guided 1 2 3 4 5

Nora, Pierre: Les lieux de mémoire. I. La Republique. Paris 1984, vii. Ibid., xxiv. Ibid., viii. Ibid., xxiv. Out of over 200 oral-history interviews collected in the late 1990s and early 2000s, not a single one casts any shadow of ambivalence related to 24 May, which is both Sts Cyril and Methodius’s Day and

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by Nora’s idea that sites of memory are not what people remember but where memory works, not tradition itself but its laboratory,6 I shall turn now to the examination of the means and ways for the production of consensus, i. e. the construction of Sts Cyril and Methodius as a site of common memory. My thesis is that while the consensus has remained stable, it has been invested with different meanings depending on the respective political contexts. Although my main interest is in the socialist and post-socialist periods, an understanding of how this site of common memory has been sustained is impossible without a retrospective look at its construction.

Changing meanings of sacrality: from religious to national contexts The main sources about the life and work of Constantine the Philosopher, who took the name Cyril when he became a monk, and his brother Methodius are their passionals, probably written by their disciples. Methodius was born c. 815 and Constantine in 826 or 827 into a noble Byzantine family in Thessaloniki. Methodius served as governor of a Slavic district before withdrawing to a monastery. Constantine graduated from the famous Magnaura School in Constantinople and was appointed to teach in it. After his mission to the Abbasid Caliphate, he also chose monastic life and spent eight years (851−859) with his brother in the monastery. It is assumed that Glagolitic, the first Slavic alphabet, was invented at that time. In 860, on a mission to the Khazar Khagan to preach Christianity, the two brothers found the relics of St Clement, the third Roman bishop (died c. 101 AD). In 862 they were sent to Great Moravia to evangelise the Slavic population. They translated the Bible and set up liturgy in the language now known as Old Church Slavonic. These efforts met with strong opposition from the German ecclesiasts. Consequently, Pope Nicholas I invited the brothers to Rome to defend their innovation. With St Clement’s relics, they were warmly welcomed in 868 by Pope Adrian II. The use of the new Slavic liturgy was formally authorised. Cyril died in Rome on 14 February 869. Methodius returned to Moravia as archbishop. Despite the papal sanction, his activities were blocked and his influence was wiped out after his death in 885. Expelled from Moravia, the brothers’ disciples Clement, Naum and Angelarius reached Bulgaria in 886 and were welcomed by Prince Boris-Michail, who had imposed Christianity on his subjects in 865. Clement and Naum carried out impressive educational and ecclesiastical activities.

the Day of Bulgarian Education and Culture. It should be noted, however, that when asked about the most important holidays, not all interview partners mentioned this one. They would always begin with 1 May and 9 September – the public holidays in which the Communist authorities invested the most symbolic, ideological and material resources to promote. For more on the construction of Communist public holidays in Bulgaria, see Koleva, Daniela: The Memory of Socialist Public Holidays. In: Zwischen Amnesie und Nostalgie. Die Erinnerung an den Kommunismus in Südosteuropa. Eds. Ulf Brunnbauer and Stefan Troebst. Köln-Weimar-Wien 2007 (Visuelle Geschichtskultur 2), 185−198. 6 Nora (cf. n. 1), x.



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Cyril and Methodius were canonised as saints “equal to the Apostles” by the Orthodox Church shortly after their deaths, with the Roman Catholic Church canonising them separately in 1880.7 Consecrated as “heavenly protectors of Europe” by Pope John Paul II,8 they were also declared “apostles of the Slavs”.9 Even a cursory look at the representations of Sts Cyril and Methodius in Catholic and Orthodox iconography reveals some differences that anticipate a major aspect of their future construction as a Bulgarian site of memory. An important accent in the former was the miracle of finding St Clement’s relics and bringing them to Rome, an act that was said to have won the Popes’ benevolence for the holy brothers. Many images present them with the chest of relics – a theme totally absent in Orthodox iconography.10 Furthermore, their apostolic and missionary activities among the Slavs were considered their greatest services to Christianity. During the nineteenth century, the rising national consciousness in what are today the Czech Republic and Slovakia led to a certain shift in the meaning of the evangelising mission, relating it to the struggle for cultural autonomy.11 In the Orthodox tradition, the two brothers were usually portrayed with the holy books they had translated from Greek. The earliest known instructions (sixteenth century) advise depicting them holding the Gospels, while later instructions add the requirement that an open book with the Cyrillic letters in it be put in their hands.12 From 1848 on, following Zachari Zograf’s example, depictions of the holy brothers holding a scroll with the Cyrillic letters on it became the norm (plate 1). In Bulgaria and Macedonia the two brothers were also usually celebrated, along with their disciples, as the Sv. Sedmochislenitsi, the “Seven Saints”, which was not the case in the Western tradition. This puts them unequivocally in the context of spreading not only Christianity but also – and most importantly – Slavic literacy. No doubt, one of the reasons for the foregrounding of their mission as educators and not only preachers of Christianity was that almost all images found in Bulgaria, icons as well as lithographs that seem to have been in wide circulation, date back to the nineteenth century, the period of the so-called national revival, which was marked by a struggle for cultural autonomy and, ultimately, political independence from the Ottoman empire.

Leo XIII: encyclical Grande Munus, 30 September 1880. Apostolic Letter Egregiae Virtutis, 31 December 1980. Encyclical Slavorum Apostoli, 2 June 1985. Bozhkov, Atanas: Izobrazheniata na Kiril i Metodii prez vekovete [The images of Cyril and Methodius over the centuries]. Sofia 1989, esp. 24−66. The book contains 190 images dating from twelfth to twentieth centuries. See also the entry on Cyril and Methodius in The Encyclopedia of Religion, vol. 4. Ed. Mircea Eliade. New York 1987, 191−192. 11 A good example is Alphonse Mucha’s “The Slav Epic” – a series of twenty huge paintings dedicated to Slavic history. One of them features the introduction of the Slavonic liturgy and another one the Bulgarian tsar Simeon among the disciples of Cyril and Methodius (Bozhkov [cf. n. 10], 138 f.). 12 Ibid. 74. 7 8 9 10

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A strong political element was present in the first public celebration of Sts Cyril and Methodius on 11 May 1857 in Plovdiv, in the context of the struggle for Bulgarian-language education within the Ottoman Empire. Combining religious and secular elements, the celebration spread in the following years, and acquired clear national overtones. It set the stage for the later transformations of the ecumenical significance of the holy brothers into nationalist significance. The tendency towards the nationalist instrumentalisation of the brothers gained strength after World War I. By the 1930s their mission for the whole of Slavdom was totally eclipsed by their role as “Bulgarian enlighteners”.13 It was interpreted in a national and political, rather than religious and ecumenical key. As Stefan Rohdewald has rightly observed, this secularisation of Cyril and Methodius as a site of memory led to their being instrumentalised for the ensuing sacralisation of the nation.14 Thus, the politicisation of religion in the nineteenth century transformed into what might be called a “messianisation of politics” during and after the Second World War.

Communist appropriations: ideology, rhetorics, rituals, institutions At first glance Sts Cyril and Methodius and their holiday were not liable to ideological re-interpretation simply because they were not heroes of the “revolutionary struggles”. While it was easy to draw a direct link between the national revolutionaries of the nineteenth century and the “fighters against fascism and capitalism” in World War II, the paradigm of “culture” was obviously non-revolutionary and non-heroic. However, various strategies were invented to integrate the two brothers into the national Communist pantheon. The first was the reassessment of the meaning of their mission. As early as 1945 Valko Chervenkov, who was to become the leader of the Bulgarian Communist party a couple of years later, in his speech on the occasion of Cyril and Methodius’s Day, claimed that “Cyril and Methodius … created the Slavic alphabet for the goals and tasks of Christian propaganda. Objectively, however, their work had exclusive and crucial historical importance for the fortunes of Slavdom.”15 Thus the early version of Bulgarian Communist memory successfully found a way to appropriate the brothers’ figures. The “objective” meaning of their work could only 13 On the appropriation of Cyril and Methodius by national ideologies in Bulgaria and neighbouring Serbia and Macedonia, see Rohdewald, Stefan: Nationale Erinnerung an transnationale religiöse Erinnerungsfiguren bei den orthodoxen Südslawen bis 1945: Das Beispiel der hl. Kyrill und Method (unpublished manuscript). I am indebted to Dr Rohdewald for kindly sharing his work prior to publication. 14 Ibid., 20. See also Rohdewald, Stefan: Figures of (Trans-)national Religious Memory of the Orthodox Southern Slavs before 1945: An Outline on the Examples of SS. Cyril and Methodius. In: Trames 12 (62/57) (2008) 3, 287−298, esp. 295. 15 Genova, Yana: “Natsionalnata pamet” na socializma: nabliudenia varhu chestvaniata na 2 yuni i 25  may [The “National Memory” of Socialism: Observations on the Celebration of 2 June and 24 May]. MA thesis, Sofia University 1995, 46.



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be understood from a Marxist-Leninist point of view. According to philosopher Todor Pavlov, a member of the Politburo of the Bulgarian Communist party and honorary president of the Bulgarian Academy of Sciences, this meaning concerned the whole of Slavdom, which seemed to overlap significantly with the progressive segment of mankind. It was induced by “the objective and actual necessity of our time to look for and underline what is common to all Slavic and non-Slavic peoples alike, what unites them in a unified force for counteraction against all and every encroachment on the common and universal human culture and progress”.16 The Communist idea of contemporary Slavdom incorporated the controversy between the two “camps”, and thus the brothers’ life-work acquired a direct significance for the present struggle. Indeed, “all Slavdom” quickly boiled down to Bulgarian-Russian friendship, which “from the time of Cyril and Methodius’s disciples to our day passed through various stages to reach … common socialist ideals”.17 But most importantly for Pavlov, the language and the script of Cyril and Methodius laid the foundation of Bulgarian culture and proved to be one of the strongest factors in the preservation of the Bulgarian nation. The argumentative strategy of laying claim to a “scientific” approach based on the discovery of the “objective laws” of history made it possible to unite radically different phenomena and interpret them as forms of the same phenomenon. Thus Cyril and Methodius could be inscribed in the genealogy of Communist power. A “natural” continuity was traced backwards to the khans who founded the first mediaeval Bulgarian state, and forwards to the national revolutionaries of the late nineteenth century and to the partisans who took power in 1944. Thus the constructions of Bulgarian national memory, especially in the later decades of socialism, incorporated the mythic temporal dimension of the nation, best exemplified in commemorative texts: “The struggle! It was a fateful baptism of the cherished letters already at the dawn of their day and it remained their fate in their age-old way forwards and upwards. Resurrected through Payisius’s apostolic deed, elevated through Levski’s and Botev’s blazing words and unparalleled exploits, this struggle flapped with their titanic proud spirit and under the banner – already red with the glow of the new socialist revolution – of the last battle. And its new bards – from Smirnenski and Vaptsarov to Karpachev and Vodenicharski, not only praised it zealously in song, but with their heroic deaths affirmed the right deed and will of the people to turn Blagoev’s prophecy – socialism – into a bright day.”18

The motif of “the struggle” unproblematically united Cyril and Methodius with the emblematic figures of the national liberation struggle Vassil Levski and Hristo Botev 16 Pavlov, Todor: Bezsmartno slaviansko i obshtochoveshko kulturno delo. (Slovo, proizneseno na mezhdunar. simpozium posveten na 1100-god. ot smartta na Konstantin-Kiril Filosof, Sofia, 21–23 mai 1969 g.) [Immortal Slavic and Universal Deed (Speech delivered at the international symposium dedicated to the 1100th anniversary of the death of Constantine-Cyril the Philosopher, Sofia 21−23 May 1969)]. Sofia 1969, 6. 17 Ibid., 10. 18 Rabotnichesko delo, 24 May 1975, 1.

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Fig. 1  Poster by Asen Stareishinski, 1968.

(nineteenth century), the founding father of Bulgarian socialism Dimitar Blagoev, and a few proletarian poets (some of them seldom read by anybody even at the time this apotheosis was written). Rhetoric was an indispensable part of this appropriation strategy. The apposite story of what the holy brothers had done for Bulgarians and for Slavdom had to be told with appropriate words. As a result, Cyril and Methodius became “soldiers on the culture front”, exhibiting a specific “spiritual” heroism. Having “armed” Bulgarians/Slavic peoples with a “shield” to stand successfully against enemy attacks, they conveniently fitted in the “front line” rhetoric that dominated the public sphere in the first decades of the regime and did not fade out until its end.19 A further change of vocabulary implied a metaphorisation of Christian concepts, leading to the subversion of traditional Christian layers of symbols. Cyril’s and especially Methodius’s ecclesiastical careers were underplayed and the narrative of their lives and work was largely shifted onto the symbolic plane (fig. 1, 2). Concepts like “baptism”, “apostles” and “evangelisation” acquired metaphoric meanings as they were torn out of their Christian context and implanted into a pompous festive discourse. The conversion to Christianity appeared in this commemorative discourse as a symbolic resurrection of the people, and the unity of language and script as a foundation for the unity of the nation. Religious meanings were transformed into national ones in a process that was structurally homologous to that utilised in the earlier period when Christian symbols were secularised and national symbols were 19 Elenkov, Ivan: Kulturniat Front [The Culture Front]. Sofia 2008, 9−11.



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Fig. 2  Poster by Ivan Hristov, 1949.

sacralised. The suppression of the Christian context this time reduced Cyril and Methodius to representatives of national cultural heritage. Commemorative practices contributed significantly to the smooth integration of the holy brothers into the Communist festive calendar and hence the public memory. In 1949, in a report to the Council of Ministers, Valko Chervenkov (then chairman of the Committee for Science, Art and Culture) proposed to establish 24 May the Day of Cyril and Methodius, as a national holiday devoted to students. He stated that “the lack of a unified holiday for the institutions of higher learning leads to a lack of co-ordination of the celebrations, dissipates the strength of the holiday and diminishes its importance”.20 Two elements deserve attention here: the attempt to unify the celebrations, and the symbolic importance of the holiday. The unifying efforts were in fact an attempt to gain control over the bodies (to gather them at the same time and place and engage them in the same activities) and minds (to establish a mandatory memory and obliterate its alternatives) of the citizens. The symbolic importance of the brothers’ work and of their holiday legitimated Communist power by ensuring its continuity with the nation’s past and presenting it as “the power of the people”. The 24th of May, the Day of Cyril and Methodius, was established as an official holiday by decision

20 Report by Valko Chervenkov, chairman of the Committee for Science, Art and Culture, to the Council of Ministers regarding the establishment of 24 May as a national holiday for school and university students, 10 Mar. 1949. State archive, f. 405, 1−2. Quoted from Genova (cf. n. 15), 44.

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of the Central Committee of the Communist Party a few years later, in 1956.21 While the school holiday initially coincided with the Orthodox one,22 with the reversion of the Bulgarian Orthodox Church to the Julian calendar in 1968, the Church holiday reverted to 11 May, while the public holiday remained on 24 May. This undoubtedly further distanced Cyril and Methodius’s Christian significance from their national-cultural meanings. Most importantly, however, new content was to be imported into the celebrations. As Valko Chervenkov (then minister of education and culture) stressed in 1957, “The Day of Cyril and Methodius could not but assume new content; it could not stay detached from the new situation. For the Communist Party, it became a day of struggle for the liberation of the working class and the working people from capitalist exploitation, for socialist enlightenment, for brotherhood and love of peace between the peoples. … Cyril and Methodius’s Day has changed and is changing its content as a day of the people’s enlightenment, because enlightenment is also a historical and class category.” As a result, Chervenkov continued, “the holiday of Cyril and Methodius for us is above all a review of what the Bulgarian people has achieved in the field of people’s education and culture since 9 September 1944”.23 Thus, Cyril and Methodius’s holiday grew into the quintessence not simply of “Bulgarianness” (balgarshtinata), but specifically of Bulgarian socialist culture as a result of the purported unbroken continuity and sharing of cultural values through the centuries. Socialist culture appeared as the true “heir” to the “cultural treasures” accumulated from the Middle Ages onwards, and the only adequate manifestation of their real value. These postulates were laid down as principles of the Integrated National Classification of Holidays, adopted in 1982 as an “instrument for the management and regulation of contemporary festive and ritual practice”.24 According to the classification, the holiday of “Slavic literacy, Bulgarian education and culture” promoted the “spiritual production (spiritual life)”, in particular education, science, culture and art.25 In accordance with these re-contextualisations of the holiday, the ritual script and the staging of the celebrations were designed to express and promote national unity and the continuity of generations, with parades involving the students and the staff of all educational institutions.26 The demonstrated unity and continuity of the living gen21 Decision N 312/21. 11. 1956. State archive, holding 1b, inventory 6, аrchive unit 3071. 22 With the adoption of the Gregorian calendar in 1916, Sts Cyril and Methodius’s Day fell on 24 May, and the celebrations were co-organised by schools and parish churches on that date. 23 Chervenkov, Valko: Speech on the celebration of Cyril and Methodius’s Day. In: Rabotnichesko delo, 24 May 1957, 2. 24 State Archive, holding 405, inventory 10, archival unit 255, sheet 12. I am indebted to Ivan Elenkov for this reference. 25 Ibid., sheets 23−25. The Bulgarian word duhoven (spiritual) does not necessarily carry religious connotations. In its widely accepted usage in the socialist period, it combined the meanings of “intellectual” and “artistic”. 26 Kam svetla badnina varvi. Bibliografski materiali i hudozhestveni proizvedenia za chestvuvane na Kiril i Metodii i 24 mai [Towards a Bright Future You Go. Bibliographic Materials and Artistic Works for the Celebration of Cyril and Methodius and 24 May]. Sofia 1971.



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erations implied unity and continuity with past generations and created the perception of the “socialist nation” as an organic entity. The national festive calendar, part of the 1982 classification, recommends reinstating the practice of decorating the brothers’ portraits with flowers, obviously in search of a pre-socialist tradition that could be harmlessly appropriated.27 Furthermore, the youth-centred celebrations – school and university students being the ones who marched in the parades –  were in line with the repertoire of youth-related metaphors describing socialist transformations. Thus the celebrations forged links between a “natural” symbol (youth) and an ideological construct (“young socialist nation”). The theme of Slavic unity appeared occasionally, but that of friendship with the Soviet Union was central (plate 2). The parades were reviewed by the leaders of state organs and the Communist Party in each town or village. This ritual structure expressed the hierarchy of power in the Communist state and subsumed the meaning of the holiday under it. The related celebrations marking the 1,100th anniversaries of the invention of the Slavic alphabet (1963) and the deaths of Cyril (1969) and Methodius (1985) constituted a powerful tool for the construction of public memory. They were celebrated mostly by educational and cultural institutions, but also included a few events targeting broader audiences. A much more sophisticated long-term endeavour was the Programme for Aesthetic Education promoted by Todor Zhivkov’s daughter Ludmila Zhivkova. As chairperson of the Committee for Culture in the late 1970s she launched a utopian project of “spiritual development” as part of the movement towards national communism (followed more successfully in Romania). The aim was to forge links between contemporary Bulgarian culture and ancient cultural and mystic traditions of the Balkans and the East. One of the key reference figures was Constantine-Cyril the Philosopher – a well-chosen symbol for Bulgaria’s efforts to assert itself as a historically important cultural centre at the international level, as envisioned by Zhivkova. This programme was part of the overall tendency towards historicisation that characterised the official publicity campaign for the 1,300th anniversary of the Bulgarian state (1981), in which continuity with the national past was invoked to ensure legitimation of the present. The research institutions focusing on Sts Cyril and Methodius, their disciples and their oeuvre deserve special attention. Although these institutions have had little direct influence on the construction of national sites of memory, their very establishment is indicative of the projects of the regime. A special Centre for Cyrillo-Methodian Studies was established in 1980 at the Bulgarian Academy of Sciences, combining artistic, palaeographic, textual, literary, linguistic, philosophical and cultural-historical approaches to the study of Sts Cyril and Methodius’s oeuvre and tradition. The centre was the successor to the Cyrillo-Methodian commission, founded in 1971. It traces its 27 State Archive, holding 405, inventory 10, archival unit 255, sheet 53. The practice of decorating the icons of Sts Cyril and Methodius with flowers and carrying them at the head of a procession of schoolchildren led by a priest was widespread before 1944. Oral history testimonies frequently refer to this practice as emblematic of the holiday.

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origins even further back, to the Clement Commission of the Bulgarian Academy of Sciences (BAS), which existed from 1914 to 1944.28 The centre’s establishment and activities can also be linked to the efforts to consolidate Bulgarian studies, particularly active around the 1,300th anniversary. In terms of authoritative texts with potential influence on the paradigms of institutionalised remembering, perhaps the most representative work of the centre is the Cyrillo-Methodian Encyclopaedia,29 a four-volume publication initiated on the occasion of this anniversary and completed two decades later with contributions from numerous Bulgarian and foreign scholars. The official ideologies, rhetorics and celebrations indicate a choice of categorical and mandatory landmarks in public memory that have served a certain political programme. It is not difficult to discern the criteria imposed on memory by the Communist regime trying from the 1960s on to restore nationalist values and reinterpret them according to Marxist-Leninist ideological norms. This culture of memory sought anchoring points in history that supported a positive self-construction and promoted the goals of a “socialist nation”. Cyril and Methodius proved suitable for appropriation by this ideological project. True, they lacked the typical features of heroes, but the shortage of military exploits or virtues was compensated for by their cultural victory, and the hardships they had suffered were seen almost as a quasi-martyrdom. The interpretation of their mission as unifying the whole of Slavdom (in line with political dependence on the Soviet Union) gradually gave way to an interpretation emphasising the Bulgarian contribution to Slavic literacy.30

Post-socialist transformations: Continuity and Europeanisation After 1989 the holiday calendar underwent significant changes: some public holidays were cancelled and some new ones were introduced. Sts Cyril and Methodius’s Day remained in place31 as the Day of Slavic Literacy and Bulgarian Education and Culture. However, some of its meanings and symbols did change. In an effort to restore traditions, Sts Cyril and Methodius have increasingly been celebrated not only as educators, but as Christian saints. The public imagery – including textbook illustrations – has reverted to the iconographic tradition. The Glagolitic alphabet has gained popularity both as a national symbol and as a form of praise to God, its letters being made 28 See http://kmnc.bg/ (29. 05. 2013). 29 Kirilo-metodievska entsiklopedia [Cyrillo-Methodian Encyclopedia]. Sofia, vol. 1 (1985), vol. 2 (1995), vol. 3 and vol. 4 (2003). 30 The ninth-grade history textbook characterised the brothers’ work as “progressive, democratic and highly humane” because they had created an alphabet for a popular spoken language, and stated that medieval Bulgaria, in bringing their work forward, became “the first hearth of Slavic literacy and a spiritual leader of the Slavic world” (Gyuzelev, V./Kosev, K./Georgiev, G.: Istoria na Bulgaria za IX klas na ESPU [History of Bulgaria for 9th Form]. Sofia 1984, 37). 31 It was even proposed as the new Bulgarian national holiday in the course of the revision of the holiday calendar in 1990.



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up of crosses (a symbol of Christianity), triangles (a symbol of the Holy Trinity) and circles (a symbol of the eternity of God).32 Institutions bearing the names of the holy brothers, such as the National Library, the University of Veliko Tarnovo and many schools, have added the title “Saints” to their names. Religious symbols and rituals have been increasingly incorporated into the public festivities on 24 May. In Sofia students of theology march at the head of the procession organised by the Ministry of Education, with icons and gonfalons carried at the front of the procession. The march ends with a public liturgy in front of the monument to Sts Cyril and Methodius. The official guests – the minister of education, the mayor of Sofia, the chair of the Parliament and the president of Bulgaria – no longer review the parade, as before, but join it or at least attend the liturgy. On 24 May 2005, the dean of the Faculty of Theology was invited to address the official assembly at Sofia University with a speech on the central role of religion in the structuring of cultural values.33 The following year a march led by the minister of education started on 11 May, the church holiday of Sts Cyril and Methodius, from the Rila monastery. In his speech on 24 May 2007, Minister Daniel Valchev stressed that Bulgarians celebrated the day of the “saint brothers-apostles” for the 156th time and, for the first time, as citizens of the European Union. He pointed out that the Cyrillic alphabet has become one of the three official scripts of the European Union. Thus he highlighted the two aspects of the new contextualisations of Sts Cyril and Methodius – continuity with the past and the contribution of Bulgaria to European culture. They complemented each other very well, Christianity being one of the pillars of European culture and the official religion in pre- and post-socialist Bulgaria. The transnational importance of Sts Cyril and Methodius was understood before 1990 – to the degree that it was recognised at all – from the point of view of the emancipation and unity of Slavdom, the latter implicitly conceived as consolidated around Russia (or the Soviet Union). Since the late 1990s the transnational dimension of the holy brothers and their commemoration has been increasingly related to Bulgaria’s EU membership. In the context of European integration, discussions about Bulgaria’s contribution to a common European culture have intensified. They have included a heated debate about whether the Cyrillic script and the mythology surrounding it were more a part of the Communist legacy or of the national heritage. The topic was introduced by the weekly “Kultura” with a provocative article on the possible practical benefits of the introduction of the Latin script in place of or in parallel to the Cyrillic. The latter, together with the whole cognitive, ideological and ceremonial Cyrillo-Methodiana, seemed to the author to be “another desperate search for solid props for Bulgarian identity”.34 A couple of years later the Austrian professor of Bulgarian 32 http://news.ibox.bg/news/id_423304570 (29. 05. 2013). 33 Traychev, Emil: Preobraziavashtata sila na evangelskoto slovo [The Reforming Power of the Evangelical Word]. In: Kultura 20, 27 May 2005 (www.kultura.bg/media/my_html/2370/acadslovo.htm [29. 05. 2013]). 34 Popova, Diana: Latinski balgarski – bez maytap [Latin Bulgarian – no kidding]. In: Kultura 20, 22 May 1998 (www.kultura.bg/media/my_html/2029/diana.htm [29. 05. 2013]). See also the reply from a lin-

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studies Otto Kronsteiner launched the idea of adopting the Latin script together with the Cyrillic for both pragmatic (easier contacts with the West) and ideological reasons: according to him, the Cyrillic script had a negative image as a “Communist” and “Russian” script that was “guilty” of the division of Europe.35 These ideas triggered ardent negative reactions.36 The scandal was short lived but, as media scholar Orlin Spassov has pointed out, it reinvigorated debates on the use of the Cyrillic script in Internet communications. The “Kronsteiner effect” resulted in the actualisation of national cultural capital, including the Cyrillic script.37 In this context it has been increasingly stressed that Sts Cyril and Methodius belong not only to Bulgarian and Slavic, but – most importantly – to European cultural heritage. For instance, the Cyrillo-Methodian Research Centre included in its mission statement the fact that Miguel Martinez, chair of the Parliamentary Assembly of the Council of Europe, mentioned the Slavonic alphabet and its authors at the ceremony marking Bulgaria’s joining the Council in 1992.38 On the occasion of the signing of the accession contract in 2005, the minister of European Affairs Meglena Kuneva had the popular march “Hymn to Cyril and Methoduis”, an indispensable element of all celebrations of 11/24 May throughout the twentieth century, translated into nineteen European languages as “the message with which Bulgarians come to the European Union”.39 Following this “message”, the holy brothers’ figures and their life-work, the Cyrillic script (no matter that it was in fact invented later), have been put forward as an important (perhaps even the most important) Bulgarian contribution to European culture. No wonder that the respective lesson in one of the current history textbooks concludes: “Cyril and Methodius’s disciples laid the foundations of Slavic literacy on Bulgarian soil. There is some historical justice and even predestination in this, for eventually the great deed of Constantine-Cyril the Philosopher triumphed exactly where it was intended for.”40 Despite the refocusing on the traditional Christian and “ecumenical”/European contexts, an important continuity between this post-socialist and the earlier socialist

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guist: Mircheva, Elka: Za balgarskia ezik – maytapsiz [For Bulgarian Language – no mockery]. In: Kultura 22, 5 June 2011 (www.kultura.bg/media/my_html/2031/b_maytap.htm [29. 05. 2013]). Kirilitsata razdeli navremeto Evropa na Iztochna i Zapadna [The Cyrillic Script Divided Europe in its Time into Eastern and Western] (interview with Toni Nikolov). In: Demokratsia 227, 1 September 2011 (www.digsys.bg/bgnews/show_story.html?issue=215731264&media=1523776&class=2787648 &story=215739392 [21. 04. 2011, no longer active]). For a detailed analysis, see Spassov, Orlin: Latinitsa, kirilitsa, politika: sporat za minaloto i novite medii [Latin script, Cyrillic Script and Politics: The Debate over the Bulgarian Past and the New Media]. In: Istoria, Mitologia, Politika. Eds. Daniela Koleva and Kostadin Grozev. Sofia 2010, 269−280, esp. 271−273. Ibid., 279−280. See kmnc.bg/index.php?page=6256aa58-a289-102c-852c-0015174d3084&lang=en (29. 05. 2013). Kuneva, Meglena: Why this Hymn? In: Himn na Sv. Sv. Kiril i Metodii/A Hymn to the Saints Cyril and Methodius. Sofia 2005, 12. Fol, A. et al.: Istoria za 11 klas na srednite obshtoobrazovatelni uchilishta [History for the 11th Grade of the Secondary Schools]. Sofia 1999, 58.



Saints Cyril and Methodius

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culture of memory reveals itself in relation to Sts Cyril and Methodius. Although reclaimed by the Orthodox Church and celebrated as Christian saints, in current commemorative discourse and practice they have been contextualised in the same way as before – not so much as apostles of Christianity among the Slavs, but as enlighteners and educators. (Despite all efforts to reclaim traditions, their public holiday has not reverted to 11 May, but has remained on 24 May.) Sts Cyril and Methodius obviously belong to an easily politicised communal aspect of religion, hence they unproblematically fit into the current processes of its (ostensible) post-socialist deprivatisation.41 In my opinion, however, this is not really a swing of the pendulum back to religion. The holy brothers have again been sent into the “indefinite time of the heroes, the origin and the myth” by an “organising and omnipotent, spontaneously actualising”42 memory. Their transcendental cause, the dissemination of Christianity among the Slavs, has again been replaced by another cause that has acquired its “transcendental” character – as it did before – from a sacralised national history. Sts Cyril and Methodius have been and continue to be a site of common memory due to the co-existence of different semantic intentions they embody. In the course of the twentieth century they have increasingly become symbols that can accommodate a variety of contents. It seems that this is what has ensured the long-standing commemorative unanimity surrounding Sts Cyril and Methodius: they can easily be instrumentalised for whatever national cause is ascendant at any given time, whether it be Orthodox Christianity, socialism, or, in recent years, a “Europeanisation” of Bulgarian national identity.

41 See also Hann, Chris: Problems with the (De)privatization of Religion. In: Anthropology Today 16 (2000) 6, 14−20. 42 Nora (cf. n. 1), xviii.

Im Sc h at t en i h res Schüle rs K lime nt Kyrill und Method als Medien nationaler Identifikation und internationaler Anerkennung in der (Teil-)Republik Makedonien (1960–2007)

Stefan Rohdewald Einführung In diesem Beitrag werden Nationalheilige als „Erinnerungsfiguren“ untersucht: Sie weisen einen „konkreten Bezug auf Zeit und Raum“ sowie zu einer sozialen Gruppe auf und bestehen in der „Rekonstruktivität als eigenständigem Verfahren“.1 Herauszuarbeiten sind Veränderungen der mit den Erinnerungsfiguren verbundenen zeitlichen Horizonte, inhaltliche Vorstellungen, die mit ihnen vergegenwärtigt wurden, und Formen kollektiver Identität, die durch diese Vergegenwärtigungen in der jeweiligen sozialen beziehungsweise „nationalen“ Situation hergestellt oder bestärkt wurden. Die Referenz auf Kyrill und Method spielte im Prozess der Festigung und Ausweitung eines makedonischen Nationalbewusstseins in der jugoslawischen Teilrepublik Makedonien seit dem Zweiten Weltkrieg und auch nach 1991 eine wichtige Rolle. Die Konstitution des makedonischen Staates, der Nation, der Sprache und einer eigenen kirchlichen Organisation waren und sind eng mit den beiden Brüdern verbunden. Dieser Vorgang fand in einem überregionalen Zusammenhang der Konkurrenz um das sakrale und politische Kapital Kyrills und Methods insbesondere mit Bulgarien statt: So ist die 1949 gegründete Universität Skopje seit 1969 nach Kyrill und Method benannt. Sie folgte dabei dem Vorbild der Bulgarischen Nationalbibliothek, der sie mit diesem Schritt ihre Schutzheiligen streitig machte. Allerdings nahm und nimmt im makedonischen Kontext der Verweis auf einen der Schüler Kyrills und Methods, Kliment von Ohrid, Patron der Universitäts- und Nationalbibliothek in Skopje und der Universität Sofia, ebenfalls eine bedeutende, wenn nicht eine wichtigere Funktion ein. Seit den 60er-Jahren hat sich dabei eine bemerkenswert ‚effiziente Arbeitsteilung‘ zwischen den Heiligen entwickelt: Während Kyrill und Method neben ihrer Aufgabe als Patrone der Universität zu einem wichtigen außenpolitischen Arm Makedoniens wurden, ist Kliment als innenpolitisch instrumentalisierter Nationalheiliger sowie zur Abgrenzung gegenüber den Nachbarn dienstbar gemacht worden. In beiden Fällen und Bereichen überlappen sich kirchenpolitische und nationalpolitische Interessen weitgehend. Zunächst sollen hier die makedonischen Funktionen Kliments von 1950 bis in die Mitte der 80er-Jahre geschildert werden. Darauf folgt eine ausführlichere Darlegung 1 Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 1992, 38.



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der Rolle Kyrills und Methods von 1969 bis in die Gegenwart. In einem letzten Schritt wird auf die Bedeutung Kliments nach 1991 eingegangen.2 Die Vorgeschichte der Verehrung der genannten Heiligen, insbesondere in der Zeit vom 19. Jahrhundert bis 1945, kann hier nicht berücksichtigt werden,3 allerdings ist es unerlässlich, auf die transnationalen Aspekte der von Makedonien vertretenen Diskurse über Kyrill und Method genauer einzugehen: Die Inanspruchnahme der Brüder für die makedonische Sache steht in einem überregionalen Wettstreit mit anderen, nationalen und transnationalen Erinnerungskulturen um die beiden Heiligen. Wichtig erscheint hierbei insbesondere das Verhältnis dieser Diskurse zu ähnlichen in Bulgarien (Kyrill und Method als Nationalheilige) und in Serbien, ihre Beziehung zu den übrigen Slaven (Kyrill und Method als Slavenapostel) sowie zu Rom und zu Europa (Kyrill und Method als [katholische] Kopatrone Europas).4

Zur Kliment-Verehrung bis 1986 Im sozialistischen Jugoslawien wurde Kliment von Ohrid zu einer wichtigen Legitimationsfigur der seit den 50er-Jahren von den jugoslawischen Behörden geförderten und immer selbstbewusster auftretenden orthodoxen Kirche auf dem Gebiet der Teilrepublik Makedonien.5 Die Unterstützung von dieser Seite entsprach der jugoslawisch gelenkten Politik des makedonischen „nation building“. Die national-makedonisch orientierte Geschichtsschreibung war im Rahmen der Förderung der makedonischen

2 Die Ausführungen zu Kliment beruhen weitgehend auf folgendem Aufsatz: Rohdewald, Stefan: Sava, Ivan von Rila und Kliment von Ohrid. Heilige in nationalen Diensten Serbiens, Bulgariens und Makedoniens. In: Säkularisierung und Funktionalisierung von Nationalheiligen Ostmitteleuropas im 20./21. Jahrhundert. Hg. v. Stefan Samerski. Wien 2007, 182–217. 3 Vgl. hierzu meine Vorstudien: Figures of (Trans-)National Religious Memory of the Orthodox Southern Slavs before 1945: An Outline on the Examples of SS. Cyril and Methodius. In: Trames. Journal of the Humanities and Social Sciences (Special Issue: Memory between Disciplines: Interand Transdisciplinary Perspectives in Current Memory Studies) 12 (2008) 3, 287–298. Stark erweitert: Nationale Erinnerung an transnationale religiöse Erinnerungsfiguren der orthodoxen Südslawen bis 1945: Kyrill und Method. In: Universitetski četenija i izsledvanija po Bălgarska istorija. IV Meždunaroden seminar Smoljan, 11–13 Maj 2006 g. Hg. v. Iskra Baeva und Plamen Mitev. Sofija 2008, 487–506. Zudem: Beham, Markus Peter/Rohdewald, Stefan: Kyrill und Method. In: Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa. Konstitution und Konkurrenz im nationalen- und epochenübergreifenden Zugriff. Hg. v. Joachim Bahlcke, Stefan Rohdewald und Thomas Wünsch. Berlin 2013, 473–493. 4 Zur Verehrung Kyrills und Methods nach 1989 neben der zuvor genannten Literatur das Themenheft Marienkult, Cyrillo-Methodiana und Antemurale. Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa vor und nach 1989. Hg. v. Anne Kenneweg und Stefan Troebst, 287–385 aus der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 57/3 (2008). Zum europäischen Verehrungszusammenhang: Bennett, Brian P.: The Myth of Cyril and Methodius and Competing Maps of Europe. In: Journal of Religion in Europe 4 (2011) 2, 245–272. 5 Bremer, Thomas: Kleine Geschichte der Religionen in Jugoslawien. Königreich – Kommunismus – Krieg. Freiburg-Basel-Wien 2003, 57 f.

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Identität eng mit politischen Zielen verbunden.6 1958/59 wurden die Makedonische Orthodoxe Kirche (MOK) institutionalisiert und eine Regelung getroffen, welche auf eine Autonomie der MOK innerhalb der Serbischen Orthodoxen Kirche (SOK) hinauslief. Der Heilige Synod der MOK gab 1966 zum offiziellen 1050. Todestag des hl. Kliment einen Sammelband heraus, für den Metropolit Dositej das Vorwort beisteuerte. Dositej, als Erzbischof von Ohrid und Skopje der oberste Hierarch der MOK, bezeichnete Kliment darin als „nationalen Helden“ (nacionalen heroj).7 Damit stellte er ihn in den romantisch-nationalistischen Zusammenhang der makedonischen Nationalbewegung, in deren Rhetorik nach aktuellem Forschungsstand selbst Heilige wie Kyrill und Method – anders als in der makedonischen Emigration in Bulgarien – keine wesentliche Rolle gespielt haben.8 Möglicherweise ist hier die Erklärung dafür zu finden, dass der Metropolit die im makedonisch-nationalen Diskurs dominante heroische Rhetorik bevorzugte und so Kliment nicht bereits in einem religiösen Sinn als Nationalheiligen bezeichnete. Dositej formulierte und förderte die Umdeutung des mit Kliment verbundenen kirchlichen Erinnerungsdiskurses zu einem säkularisierten, makedonisch nationalisierten. Der Kirchenführer propagierte dabei ein religiös homogen als „Ganzes“ gedachtes „makedonisches Volk“, dem Andersgläubige wie muslimische Albaner und Juden nicht angehören konnten.9 Der Erinnerung an das „Werk“ des Heiligen sprach er eine existenzielle Funktion für „den Fortbestand und die Erhaltung unseres Volkes“ zu.10 Diese wie auch eine weitere Publikation11 erschienen kurz vor der einseitigen Erklärung der Autokephalie der MOK 1967, die gegen den Widerstand der SOK erfolgte.12 Kliment wurde als „Patron“ der MOK erwählt und diese Rolle nach und nach auf das „Land“ und das „Volk“ ausgeweitet. 1980 beging die MOK das 1140. Geburtsjahr „ihres Patrons, des heiligen Kliment von Ohrid“. Ruse Jankov hielt dabei im offiziellen Nachrichtenorgan dieser Kirche fest: „Durch den Schutz des Gebets des heiligen Kliment hat Gott dieses Land geschützt, dieses Volk, am Busen der göttlich offenbarten Wahrheit.“ Das „Volk“ Makedoniens wurde dabei offenbar mit dem „orthodoxen makedonischen Volk“ gleichgesetzt, denn „ganz Makedonien“ verehrte in dem Text

6 Troebst, Stefan: Geschichtspolitik und historische „Meistererzählungen“ in Makedonien vor und nach 1991. In: Klio ohne Fesseln? Historiographie im östlichen Europa nach dem Zusammenbruch des Kommunismus. Hg. v. Alojz Ivanišević u. a. Österreichische Osthefte, Sonderband 16. Bern u. a. 2002, 453–472; Ders.: IMRO + 100 = FYROM? The Politics of Macedonian Historiography. In: The New Macedonian Question. Hg. v. James Pettifer. London 1999, 60–78. 7 Sveti Kliment Ohridski. 916–1966. Po povod 1050 god. od smrtta [Heiliger Kliment von Ohrid. 916– 1966. Zum 1050. Todesjahr]. Hg. v. Sv. Sinod na makedonskata pravoslavna crkva. Skopje 1966, 7. 8 Brown, Keith S.: Of Meanings and Memories. The National Imagination in Macedonia. Ann Arbor, MI 1999. Vgl. aber Rohdewald, Nationale Erinnerung (wie Anm. 3), 292 f. 9 Sveti Kliment Ohridski (wie Anm. 7), 9. 10 Ebd. Die Beiträge des Sammelbandes bekräftigen die im Vorwort vorgegebene Deutungsrichtung. 11 Spomenica Kliment Ohridski 916–1966 [Zum Gedenken Kliments von Ohrid 916–1966]. Hg. v. Ksenija Gavris u. a. Ohrid 1966, 10. 12 Bremer (wie Anm. 5), 58.



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den „Ohrider Wundertäter“.13 1982 wurde von der „Heilig-Klimentischen-Kirche“ (Svetiklimentova Crkva) gesprochen, offenbar in Anlehnung an die Rede von der serbischen „Heilig-Savischen-Kirche“ (Svetosavska Crkva). Wie es Metropolit Petar in demselben Publikationsorgan der MOK, in der „Zeitung der Makedonischen Orthodoxen Kirche“, formulierte, „war, ist und muss [diese Kirche, S. R.] die wahrhaftige Inspiratorin und Behüterin des geistigen und patriotischen Geistes unseres seit Jahrhunderten entrechteten Volkes sein“.14 Der Bezug zur Nation wurde erneut bekräftigt und nun auch politisch aufgeladen: Das „Rezital“ (Recital), das anlässlich des Jubiläums der Friedenskonferenzen nach dem Ersten Weltkrieg gleichfalls im offiziellen Organ der MOK veröffentlicht wurde, beklagte die „Teilung Makedoniens“ und verband den nationalen „Kampf um unsere Freiheit“ mit dem Kampf um kirchliche Selbstständigkeit.15 Der Verweis auf Kliment sollte beide Diskurse legitimieren und vereinigen. Gligorie Gogovski, Regierungsratspräsident des Parlaments der Sozialistischen Republik Makedonien, unterließ bereits 1986 in seinem Grußwort auf dem internationalen Slavistenkongress anlässlich des 1070. Todesjahres Kliments in Ohrid eine jugoslawische Bezugnahme und hob die Bedeutung Kliments und die Erinnerung an ihn für die Kultur und Individualität des makedonischen Volkes und dessen Kampf um Individualität hervor, allerdings nicht, ohne auf einen allgemeinen slavischen Zusammenhang zu verweisen.16 Kliment hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt als Kristallisationspunkt vermeintlich individueller Charakteristika einer makedonischen Nation und als ein sowohl von Klerikern wie von Politikern und Historikern bzw. Slavisten erfolgreich eingesetztes Mittel zur Behauptung einer kirchlichen und nationalen autonomen Position erwiesen und etabliert. Welche Rollen kamen in der sich festigenden makedonischen Erinnerungspolitik aber Kyrill und Method zu?

Zur Verehrung Kyrills und Methods von 1969 bis zur Gegenwart Am 14. Februar 1969, zur Feier des 1100. Todesjahres Kyrills, fand im Petersdom unter der Leitung von Papst Paul VI. ein Gottesdienst katholischer und orthodoxer Geistlicher zu seinen Ehren statt. Anwesend waren neben 40 Kardinälen und 800 Gläubigen 13 In: Vesnik na makedonskata pravoslavna crkva 6 (1980), 172. Die Patronatsfeiern fanden regelmäßig statt. Beispielsweise: Vesnik na makedonskata pravoslavna crkva 6 (1988), 133. 14 Metropolit Petar: Sveti Kliment – stolb i tvrdina na vistinata [Der heilige Kliment – Pfeiler und Festung der Wahrheit]. In: Vesnik na makedonskata pravoslavna crkva 6 (1982), 214. 15 Boškoski, Boris Kr.: Recital [Rezital]. In: Vesnik na makedonskata pravoslavna crkva 6 (1982), 220– 224, hier 223. 16 Pozdraven govor na m-r Gligorie Gogorski, pretsedatel na izvršniot sovet na sobranieto na SR Makedonija [Grußwort von Mag. Gligorie Gogorski, Präsident des Regierungsrats der Versammlung der Sozialistischen Republik Makedonien]. In: Kliment Ohridski i ulogata na Ohridskata kniževna škola vo razvitokot na slovenskata prosveta. Materiali od naučen sobir održan vo Ohrid od 25 do 27 septemvri 1986 godina. Hg. v. Mateja Matevski. Skopje 1989, 15 f. Mit jugoslawischem Bezug hingegen das Grußwort des Herausgebers ebd., 9–11.

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aus der Tschechoslowakei und weiteren Gästen aus anderen Ländern seitens der MOK Kliment, der Metropolit von Prespa und Bitola, zwei Mitglieder des Regierungsrates der jugoslawischen Teilrepublik Makedonien sowie Vertreter der makedonischen Akademie der Wissenschaften und Künste und der Universität von Skopje. Gleichentags fanden auch Feiern zu Ehren Kyrills in der Basilika San Clemente in Rom statt, wo seine Gebeine aufbewahrt werden. Daran nahmen der Botschafter Jugoslawiens in Italien, eine jugoslawische Kulturdelegation, eine Delegation der MOK, italienische Honoratioren sowie Vertreter der Presse, Touristen und Gläubige aus Makedonien teil. In einem von Radio Vatikan übertragenen Interview stellte Metropolit Kliment für die Makedonier einen genealogischen Nachfolgeanspruch auf die beiden Brüder her: „Wir, die Nachkommen unserer Vorväter, die makedonischen Slaven, sind aus Makedonien gekommen, um uns vor dem Grab unseres Erstlehrers, unseres Aufklärers Kyrill zu verneigen.“ Er bezeichnete im Fortgang des Gesprächs Kyrill und Method sodann als „unsere Apostel“ und lenkte anschließend die Aufmerksamkeit auf Makedonien und Kliment: „Makedonien ist kein großes Land, aber es hat einen großen Glauben an den Herrn, und die MOK ist die Hüterin und Beschützerin des Throns der heiligen Ohrider Kirche, deren Begründer einer der Erstschüler der heiligen Brüder ist – der heilige Kliment von Ohrid.“17 Während der fünftägigen Visite suchten Vertreter der MOK auch das vatikanische Sekretariat für die Einheit der Christen auf. Der Besuch in Rom sowie die Pflege ökumenischer und politischer Kontakte im Rahmen des Gedenkens Kyrills und Methods wurden von diesem Zeitpunkt an zu einer jährlich wiederholten Konstante in der makedonischen kirchlichen wie (teil-)staatlichen Außenpolitik. Seit dieser ersten Zusammenkunft etablierte sich das Begehen der Gedenkfeier auf mehreren Ebenen: 1971 entwickelten sich aus den Treffen die „Römischen Tage der Makedonischen Kultur“. In diesem Kontext wurde erstmals von der „heiligen autokephalen makedonischen orthodoxen Kirche im erneuerten heilig-klimentischen Ohrider Erzbistum“ gesprochen.18 1977 wurden die makedonischen Aktivitäten in den „Monat der jugoslawischen Kultur“ integriert. Soweit die zur Verfügung stehenden Quellen darüber berichten, nahmen seitens der jugoslawischen Kirchen aber nur makedonische Vertreter teil.19 Bis 1978 wurden die römischen Feiern zu Ehren des heiligen Kyrill ausschließlich von der Teilrepublik Makedonien vorbereitet und von diesem Jahr an unter dem Titel „Jugoslawien zu Ehren des hl. Kyrill“ in einen neuen und breiteren Rahmen gestellt. Aber auch unter diesem neuen Label blieb die Organisation in makedonischen 17 Stojčevska-Antiḱ, Vera: Vo čest na Svetite Kiril i Metodij
 [Zu Ehren der heiligen Kyrill und Method]. Skopje 1994, 56–59. Jetzt: Radosavljević, Peđa: Odnosi između Jugoslavije i Svete Stolice 1963–1978. Prilog za istoriografiju diplomatsko-verskih nastojanja Vatikana na Balkanu i u Srednjoj Evropi [Beziehungen zwischen Jugoslawien und dem Heiligen Stuhl 1963–1978. Ein Beitrag zur Historiografie des diplomatisch-religiösen Engagements des Vatikans auf dem Balkan und in Mitteleuropa]. Beograd 2012. 18 Stojčevska-Antiḱ (wie Anm. 17), 74–77. 19 Ebd., 98 f.



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Händen: Ein „interrepublikanisches“ Koordinationskomitee für kulturelle Zusammenarbeit beschloss, die Organisation der Feiern der Teilrepublik Makedonien bzw. der Kommission dieser Republik für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland anzuvertrauen. Die strukturelle Neuorganisation ist letztlich als Versuch einer Jugoslawisierung des Gedenkens und des Anlasses zu verstehen, der, zumindest aus serbischer Sicht, dem Event den bisherigen makedonischen Charakter nehmen sollte. So arbeitete damals Matej Matevski, der Vorsitzende der Kommission für kulturelle Beziehungen der SR Makedonien, in dem genannten „interrepublikanischen“ Koordinationskomitee mit zwei weiteren makedonischen und einem kroatischen Mitglied sowie Marija Mitrović, der Dekanin der Philologischen Fakultät der Universität Belgrad, zusammen.20 Kirchliche Vertreter entsandte aber auch in diesem und in den folgenden Jahren nur die MOK bzw. sich zu ihr zählende Bischöfe der internationalen makedonischen Diaspora. An den Feierlichkeiten nahmen weiterhin regelmäßig makedonische Repräsentanten aus Politik, Kultur und Wissenschaft teil. Auf der Romreise von 1988 trat die serbische Delegation nicht nur zahlenmäßig besonders hervor: Von symbolischem Gewicht war die Übergabe der Monografie „800 Jahre Kloster Studenica“ durch Ratko Butulija, Vizevorsitzender des Regierungsrates des Parlaments der serbischen SR, an den Papst.21 Gleichzeitig nahmen die makedonischen Emissäre das Treffen zum Anlass für Kooperationsvereinbarungen zwischen teilstaatlichen Strukturen: So vermochte die makedonische Delegation eine Zusammenarbeit der Region Emilia Romagna mit der Republik Makedonien in verschiedenen Bereichen zu stärken, namentlich in der Energieversorgung, im Umweltschutz und auf institutioneller Ebene zwischen der Universität Bologna und der Kyrill-und-Method-Universität in Skopje.22 Papst Johannes Paul II. erklärte Kyrill und Method 1980 und erneut 1985 zu Kopatronen Europas – ein Vorgang, der 1981 und 1988 seitens der MOK sehr dankbar bedacht wurde. Möglicherweise hatten die früheren Reisen förderlich gewirkt. Die Anerkennung der heiligen Kliment und Naum von Ohrid als römisch-katholische Heilige im Jahr 1986 dürfte eindeutig auf die makedonischen Kontakte nach Rom zurückzuführen sein, wofür sich die MOK zwei Jahre später ebenfalls ausdrücklich bedankte.23 Die Bezugnahme auf die Brüder Kyrill und Method und ihre Erhebung in europäischen Rang wurde nun noch bedeutsamer. Je mehr sich ihr transnationaler, allslavischer und europäischer Status durchsetzte, desto geringer wurde allerdings ihr Spielraum für eine spezifisch makedonische Indienstnahme. Damit ist nachvollziehbar, weshalb die MOK die europäische Dimension des Diskurses um Kyrill und Method relativ selten ansprach, im Gegensatz zu bulgarischen Stimmen, die das Werk der Brüder schon 1969 als fundamentalen Beitrag Bulgariens zur europäischen und zur Menschheitskultur angepriesen hatten. Als 1985 weltweit der 1100. Todestag des 20 21 22 23

Ebd., 100–102. Ebd., 166. Ebd., 169. Ebd., 169.

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heiligen Method begangen wurde, sah man auf einem wissenschaftlichen Kongress in Skopje deshalb von einer Makedonisierung der beiden Heiligenfiguren ab. Die Aneignung ging dennoch so weit wie nur möglich: Der Akademiker Blaže Koneski nannte Makedonien während der „Epoche Kyrills und Methods eines der aktivsten Zentren der slavischen Kultur“ und verband „uns“ bzw. die gegenwärtig lebende Bevölkerung aufs Engste mit der kulturellen Wirkung der Brüder: „Andererseits wenden wir uns hin zur kyrillomethodianischen Kultur und hin zu uns. Und dies gleichfalls mit Recht, wenn wir sehen, dass Makedonien die Region war, in der diese Tradition besonders lebendig war und ununterbrochen über die Jahrhunderte bis in die neueste Zeit bestand.“24 Mit dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens gewann die inzwischen institutionalisierte jährliche Reise nach Rom eine neue Bedeutung: In einer 1994 von der „Matica Makedonska“ mit dem ausdrücklichen Segen der MOK publizierten bibliografischen Chronik über die Verehrung Kyrills und Methods wurde im Rückblick auf das Jahr 1991 festgehalten: „Am Jahrestag, am 24. Mai, hat das makedonische Volk und die MOK in Rom in der Basilika San Clemente die hl. Kyrill u. Method gefeiert und ihnen mit großer Dankbarkeit Ehre bezeugt für ihr Werk. Dies hat erneut die Möglichkeiten zur Affirmation kultureller und geistiger makedonischer Bestrebungen auch in einem Milieu, wie es Italien darstellt, bekräftigt, wobei auf dieser Ebene reiche Traditionen zu verzeichnen sind. Alle Beziehungen erhalten besondere Bedeutung durch die Tatsache, dass die Verehrung zu Ehren der apostelgleichen heiligen Kyrill und Method von Saloniki in Rom stattfinden.“ Und weiter: „Dieses Jahr fuhr nur aus der Republik Makedonien eine staatliche Delegation nach Rom, der sich auch eine Delegation der MOK angeschlossen hat. Denn mit den neu entstandenen Bedingungen im ehemals jugoslawischen Raum formierten sich neue Staaten, unter ihnen auch die Republik Makedonien, womit die gemeinsamen [jugoslawischen, S. R.] Auftritte in Rom ein Ende hatten.“25 Während 1991 nur der Vizepräsident der Regierung Makedoniens und der VardarMetropolit Michail sowie weitere Hierarchen anreisten, begab sich 1992 dann auch der makedonische Premierminister persönlich nach Rom. In der Chronik wurde hierzu 1994 kommentiert, es sei das „Charakteristikum“ dieser Reise, dass „sich am Grab eine Delegation der höchsten Ebene der souveränen und selbstständigen Republik Makedonien verneigte, die geführt war vom ersten Premierminister einer Regierung, die vom ersten makedonischen Parlament der Republik Makedonien gewählt worden war.“26 Erstmals war in diesem Kontext explizit von den „makedonischen und den allslavischen Aufklärern“ die Rede. Damit wurde ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Ma24 Kirilometodievskiot (staroslovenskiot) period i kirilo-metodievskata tradicija vo Makedonija. Prilozi od naučniot sobir održan po povod 1100-godišninata od smrtta na Metodij Solunski, Skopje, 1–3 oktomvri 1985 godina [Die kyrillomethodianische (altslavische) Periode und die kyrillomethodianische Tradition in Makedonien. Beiträge zu einem wissenschaftlichen Kongress anlässlich des 1100. Todesjahres des Method von Saloniki, Skopje 1.–3. Oktober 1985]. Hg. v. Blaže Koneski. Skopje 1988, 9 f. 25 Stojčevska-Antiḱ (wie Anm. 17), 182–184. 26 Ebd., 185.



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kedonisierung nach dem Vorbild der älteren Bulgarisierung der heiligen Brüder getan. Mit dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens wurde somit intensiv die Gelegenheit genutzt, die alten makedonischen Kontakte nach Rom politisch und diplomatisch umzumünzen: Der bereits institutionalisierte Anlass wurde zu einer wichtigen Gelegenheit, die noch ausstehende politische Anerkennung der Unabhängigkeit des makedonischen Staates einzufordern. Die Hierarchen der MOK wurden dabei ausdrücklich politisch aktiv: Am 26. Mai 1992 besuchte eine Delegation der MOK den Rat für die Einheit der Christen und überbrachte den Wunsch des Synods, „dass die Republik Makedonien durch den Vatikan als souveräner und unabhängiger Staat anerkannt wird“. Außerdem wurde an Papst Johannes Paul II. die Bitte gerichtet, dass dieser seine Autorität bei anderen Staatsmännern, insbesondere in den römisch-katholischen Ländern, einsetze, damit die Republik Makedonien schneller anerkannt würde.27 Die Berufung auf Kyrill und Method, und in geringerem Maße auch auf Kliment und Naum, hat bis in die Gegenwart ihre Aktualität beibehalten: Sie ist ein wirksames Mittel für die Autokephalie der von der SOK abtrünnigen und immer noch nicht von den übrigen orthodoxen Kirchen anerkannten MOK, ihr Prestige auszubauen. Zunehmend wird sie aber auch für die politische Anerkennung Makedoniens als Ansprechpartner und unabhängiger Staat fruchtbar gemacht. In Rom wurde so etwa auch 2007 im Rahmen des Gedenkens an die Brüder Papst Benedikt XVI. aufgesucht. Die Homepage der MOK kommentierte den Besuch im Vatikan und in Rom mit den folgenden Worten: „Italien hat Makedonien in der Eurointegration sowie in seinen Bestrebungen, in die NATO aufgenommen zu werden, unterstützt.“28 Neben der Intensivierung dieser schon selbstverständlichen und offensichtlichen außenpolitischen Funktion machte gleichzeitig die Makedonisierung der beiden Brüder Fortschritte: Ab diesem Zeitpunkt wurde der sogenannte „Tag der Brüder“ in Makedonien nicht mehr wie bisher nur als „Tag der allslavischen Aufklärer“ bzw. als „Tag der Patrone der Universität Skopje“ am „Tag der Bildung“ begangen, sondern erstmals wie in Bulgarien als nationaler und staatlicher Feiertag.29 Dabei war aber transnational, immer noch den makedonischen Zusammenhang betonend, vom allslavischen Bezug des Werks die Rede. Zu diesem Anlass stellte der Regierungsvorsitzende Nikola Gruevski am 24. Mai 2007 in seiner ansonsten säkularen Ansprache an die „Bürger der Republik Makedonien“ einen religiös-nationalen Bezug her und bekräftigte dabei erneut die Vorstellung von einer religiös-homogenen orthodoxen makedonischen Nation: „Mögen die heiligen Kyrill und Method Fürbitter des makedonischen Volkes vor dem Thron des allerhöchsten Gottes sein!“30 27 Ebd., 186 f. 28 Popovska, Nevena: Apostolskoto delo na svetite braḱa Kiril i Metodij [Das apostolische Werk der heiligen Brüder Kyrill und Method], http://www.m-p-c.org/Vesti/svKiril_Metodij.htm (28. 04. 2011). 29 o. A.: Posle Bugarija provsetitelskoto delo na Kiril i Metodij od godinava vo Makedonija e nacionalen praznik [Nach Bulgarien ist das aufklärerische Werk Kyrills und Methods von diesem Jahr an auch in Makedonien ein Nationalfeiertag], http://spartakov.blog.com.mk/node/88256 (28. 04. 2011). 30 http://www.vlada.mk/soopstenija/Maj2007/s23-5-2007c.htm (22. 06. 2007, nicht mehr zugänglich).

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Zum Kliment-Kult nach 1991 Mit dem Zerfall Jugoslawiens fiel auch die Notwendigkeit einer formalen Einbindung der MOK und der Erinnerungsfigur Kliment in einen jugoslawischen Kontext weg. Die Nationalisierung des Gedenkens an den Heiligen wurde seither von kirchlicher Seite weiter gefördert: Anlässlich der „Patronatsfeiern“ im Jahre 2001 verlangte Metropolit Kiril, „dass wegen der Größe und Bedeutung des epochalen Werkes des hl. Kliment (Svetiklimentovo delo) dieser Tag zu unserem Nationalfeiertag erklärt werden muss“.31 Als sich 2001 die Spannungen zwischen den albanischen Bürgern Makedoniens und dem Staat Makedonien dank des Ohrider Abkommens entschärften, beschrieb das Oberhaupt der MOK im August 2002 Kliment als einigende Erinnerungsfigur, als persönlich leidenden Heiligen, der sich um die Existenz sowohl des Staates als auch der offiziellen Kirche sorgte: Das Oberhaupt der MOK, Erzbischof Stefan von Ohrid, griff zu klaren Worten, als er am 11. August 2002 auf dem Ohrider Hügel Plaošnik „das Haus des heiligen Kliment und den Grundstein unserer heiligen Kirche“ nach seiner Erneuerung einweihte: „Wie kann der heilige Kliment nicht leiden, wenn er die Gefahr sieht, die längst für unser Land und unser Volk erkennbar ist? [...] Er leidet auch wegen unserer Geteiltheit als Volk und unserer Uneinigkeit, insbesondere in diesen außerordentlich schweren Zeiten, in denen das Bestehen des makedonischen Staates und damit auch der MOK bedroht sind.“32 Der Erzbischof rief ihn als lebendigen Schutzheiligen an, als er sich gegen jene äußerte, die angeblich „persönliche Parteiinteressen“ vor die „Interessen des Vaterlandes, der Kirche und des eigenen Volkes“ stellten: „Dieses Volk, dieses Land und die Kirche leiden am stärksten unter den eigenen Leuten, und deshalb, heiliger Kliment, bete, dass wir uns verstehen und dass wir die Zeit und die Gefahr sehen.“33 Diese Rede bezog sich allerdings weniger auf die Spannungen mit den Albanern als vielmehr auf den Streit der MOK mit der SOK. Nachdem der Synod der MOK das „Abkommen von Niš“ vom 17. Mai 2002 mit der SOK abgelehnt hatte, das die Autonomie der MOK innerhalb der SOK zum Ziel hatte, unterstellte Bischof Jovan von Vardar-Veles sein Bistum unmittelbar der SOK.34 Kliment wurde in dieser eher kirchlichen als gesellschaftlichen Krisensituation als Friedensstifter, Einiger, Beschützer und Fürbitter angerufen. Die MOK suchte unter Berufung auf Kliment die Unterstützung seitens der makedonischen Gesellschaft und Regierung und konnte auf sie zählen: Die na31 Nikolovska, Biljana: Svečeno proslaven patroniot praznik na MPC Sveti Kliment Ohridski [Der Feiertag des Patrons der MOK, des heiligen Kliment von Ohrid, ist feierlich begangen worden]. In: Vesnik na makedonskata pravoslavna crkva 6 (2001), 179. Sehr knapp zu Kliment: Drezov, Kyril: Macedonian Identity: An Overview of the Major Claims. In: The New Macedonian Question. Hg. v. James Pettifer. London 1999, 47–59, hier 55. 32 Meldung der makedonischen Nachrichtenagentur MIA vom 11. August 2002 aus Skopje: http://www. idividi.com.mk/vesti/makedonija/Razno/168169/index.html (09. 02. 2006, nicht mehr zugänglich). 33 Ebd. 34 Oschlies, Wolf: Makedonien 2001–2004. Kriegstagebuch aus einem friedlichen Land. Berlin 2004, 292.



Kyrill und Method in der (Teil-)Republik Makedonien

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tionalistische VMRO-DPME (Vnatrešna Revolucionerna Makedonska Organizacija – Demokratska Partija za Makedonsko Nacionalno Edinstvo/Innere Revolutionäre Makedonische Organisation – Demokratische Partei für die Makedonische Nationale Einheit), welche die Koalitionen mit albanischer Beteiligung von 1998 bis zur Wahlniederlage im September 2002 leitete, wird als „politische Hauptstütze der kirchlichen Unabhängigkeit“ angesehen.35 Kliment wurde seitens der MOK an dem zu seinen Ehren begangenen Feiertag am 8. Dezember 2003 so ausdrücklich wie nie zuvor zum historischen und gegenwärtigen „Beschützer und Patron des makedonischen Volkes“36 sowie der makedonischen wissenschaftlichen Institutionen stilisiert. In seiner Rede zum Gedenktag entwarf der Geistliche Nikolče Gjorgjev eine gemäß den undefinierten „Idealen“ Kliments stark religiöse Zielutopie der – wider besseres Wissen – als nationale Einheit und konfessionell homogenes, gläubiges Volk beschriebenen makedonischen Gesellschaft: „Heute feiern die makedonische orthodoxe Kirche und das makedonische Volk das Gedächtnis des heiligen Kliment von Ohrid, des Begründers des Ohrider Erzbistums, der makedonischen Kultur und Bildung. Er ist das Banner und das helle Symbol unserer kirchlich-nationalen (crkovno-narodni) Ideale und der starke Glaube an eine bessere Zukunft.“37 Andersgläubige, vor allem makedonische Albaner, blieben damit bewusst von der Gemeinschaft des ‚makedonischen Volkes‘ ausgeschlossen.38 Diese Sprachregelung folgt ganz dem in der nationalen Historiografie sowie dem in der Staatsleitung vorherrschenden Konzept und steht im Gegensatz zum Entwurf einer politischen Nation unabhängig von religiösen oder ethnischen Unterschieden. Die Erinnerung an Kliment war aber nicht nur nationalpolitisch ausgerichtet, sondern gleichzeitig religiös intendiert: Im traditionellen religiösen Verständnis wurde Kliment als im Jenseits lebende Persönlichkeit aufgefordert, Fürbitte für die am Gottesdienst teilnehmende Gemeinde der Gläubigen zu leisten. Zum Kliment-Tag 2005 sprach sich Erzbischof Stefan dafür aus, dass der Gedenktag ganz nach dem serbischen Vorbild des Sava-Tages39 und der bulgarischen bildungspolitischen Indienstnahme Kyrills und Methods „der Feiertag unserer Bildung und unserer Schulen werden“40 muss. Allerdings hat sich die Verehrung des „Werkes des hl. Kliment“ noch nicht zu einer umfassenden religiösen Nationalideologie eines „Svetosavlje“ 35 Gstrein, Heinz: Mazedoniens umkämpfte Orthodoxie. In: Glaube in der Zweiten Welt (G2W) 10 (2002), 18 f. Zum durch diese Partei vertretenen Geschichtsbild s. Troebst, Geschichtspolitik (wie Anm. 6), 465 f. – Danforth, Loring M.: The Macedonian Conflict: Ethnic Nationalism in a Transnational World. Princeton 1995. 36 Rede von Nikolče Gjorgjev am 8. Dezember 2003: http://www.mpc.bregalnicka-eparhija.org.mk/ novosti.htm (09. 02. 2006, nicht mehr zugänglich). 37 Ebd. 38 Troebst, Geschichtspolitik (wie Anm. 6), 458. 39 Zum serbischen Nationalpatron hl. Sava s. Rohdewald, Sava (wie Anm. 2); Ders.: Sava. In: Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa (wie Anm. 3), 592–598. 40 Dnevnik, 09. 12. 2005. In: http://www.dnevnik.com.mk/default.aspx?pbroj=2933&stID=68962&pdate =20051209 (22. 02. 2006).

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entwickelt, wie sie in den serbischen Diskursen der Zwischenkriegszeit aufgekommen ist und worauf in den ausgehenden 1980er-Jahren wieder Bezug genommen wurde.41

Resümee Die Referenz auf die Brüder Kyrill und Method bot der von den orthodoxen Kirchen noch immer nicht anerkannten MOK, aber auch politischen Akteuren Makedoniens seit den 60er-Jahren bis in die Gegenwart Gelegenheit, freundschaftliche Beziehungen zur römisch-katholischen Kirche und zum Vatikan aufzubauen und auf diesem Weg internationale Akzeptanz zu erlangen sowie explizit den Beitritt zur EU sowie zur NATO zu fördern. Während Kyrill und Method zu einem wichtigen außenpolitischen Arm Makedoniens wurden, ist Kliment als innenpolitisch instrumentalisierter Nationalheiliger sowie zur Abgrenzung gegenüber den Nachbarn dienstbar gemacht worden. In mehreren Etappen wurde Kliment nach 1950 in Makedonien zu einem zentralen Legitimationsmittel kirchlicher und staatlicher Strukturen. Die Trennung der Makedonischen Orthodoxen Kirche von der Serbischen Orthodoxen Kirche erfolgte mit dem Verweis auf Kliments Funktion als Bischof von Ohrid. Nach 1991 erfuhr die Dienstbarmachung des Heiligenkultes zu nationalpolitischen Zwecken eine weitere Intensivierung. Im übergreifenden Vergleich der politischen und nationalen Indienstnahme von Heiligenkulten ist festzuhalten, dass Kyrill und Method in Makedonien, anders als in Bulgarien, nicht so eindeutig wie Kliment im makedonischen Zusammenhang oder Sava im serbischen Kontext in die Rolle von Kirchenpatronen und führenden Nationalheiligen gedrängt wurden. Noch stärker als die Inanspruchnahme Kliments für die makedonische Sache, die sich letztlich nur gegenüber den bulgarischen Diskursen behaupten muss, steht die der Brüder in einem überregionalen Wettstreit mit anderen nationalen und transnationalen Erinnerungskulturen. Wesentlich sind hier die Abgrenzung gegenüber der älteren, seit dem 19. Jahrhundert entwickelten bulgarischen Inanspruchnahme Kyrills und Methods als Nationalheilige, aber auch das gleichfalls nach bulgarischem Vorbild verfolgte Bemühen, im Konzert der allgemeinslavischen und der ökumenischen, gesamteuropäischen Verehrung eine klare, möglichst gewichtige makedonische Stimme vernehmbar zu machen.

41 Rohdewald, Sava (wie Anm. 2), 188–201.

F r ie d e n skön i g i n , ap okal yptische Fra u ode r H a nd l a n g eri n n at i on al i st i s che r De ma goge n? Marienkulte und Marienerscheinungen als visuelle Manifestation lokaler Erinnerung an Krieg und Gewalt in Kroatien

Michaela Schäuble Marienfrömmigkeit ist ein weitverbreitetes Phänomen in Kroatien. Der Kult der Muttergottes ist eng mit der Vorstellung des Landes als genuin katholischer Nation verknüpft. Die Bezeichnung der Jungfrau Maria als „Königin der Kroaten“ (Kraljica Hrvata) hat vor allem in Kriegs- und Krisenzeiten im Ringen um die nationale Unabhängigkeit des Landes an Bedeutung gewonnen.1 Zlatko Skrbiš konstatiert, dass Marienerscheinungen und -kulte „die Existenz genau jenes Prinzips voraussetzen, das auch nationalistische Fantasien untermauert: der Gedanke der Berufung und die dazugehörige Empfindung gottgewollter Auserwähltheit“2. Die Konvergenz zwischen kroatisch-nationalistischem Diskurs und Marienverehrung beruht auf der Erinnerung an frühere marianische Interventionen in Schlachten des 17. und 18. Jahrhunderts – Erinnerungen, die im Verlauf der Kriege im 20. Jahrhundert systematisch heraufbeschworen und wiederbelebt wurden. Um die gegenwärtige Bedeutung Marias als kroatische Nationalheilige besser einordnen zu können, wird im Folgenden kurz auf die Geschichte und auf Praktiken der Marienverehrung im Kontext ihrer wechselnden politischen Rolle und Vereinnahmung während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, zu Zeiten der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, im Zusammenhang mit Kroatiens Unabhängigkeit und in den Jahren des kroatischen Unabhängigkeitskrieges und schließlich im gegenwärtigen Nachkriegskroatien eingegangen. Im Anschluss an den historischen Abriss wird im zweiten Teil vornehmlich auf eigene ethnologische Feldforschungen in den Jahren 2004/2005 und 2012 im dalmatinischen Hinterland, genauer: in den Ortschaften Sinj und Gala, Bezug genommen. In Gala, einem Dorf unweit von Sinj, soll 1983 die Muttergottes erschienen sein. Im Gegensatz zum nahe gelegenen Međugorje konnte sich die Stätte aber nie zu einem international anerkannten Marienwallfahrtsort entwickeln. Anhand der Marienerscheinung von Gala werden die Mechanismen beleuchtet, die bei der Politisierung 1 Grünfelder, Anna Maria: Marija – kraljica hrvata: Kritički ženski osvrt na oblike štovanja marijina u crkvenoj i pučkoj pobožnosti [Maria – Königin der Kroaten: Eine kritische weibliche Analyse von Formen der Marienverehrung in Kirche und Volksfrömmigkeit]. In: Treća 1 (1999) 2, 17–25. 2 Skrbiš, Zlatko: The Apparitions of the Virgin Mary of Medjugorje: The Convergence of Croatian Nationalism and her Apparitions. In: Nations and Nationalism 11 (2005) 3, 443–461, hier 445. Alle nachfolgenden Übersetzungen aus dem Englischen, Französischen und Kroatischen stammen von der Autorin.

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Abb. 1 und 2  Wundertätiges Gemälde der Gospa Sinjska (Muttergottes von Sinj), mit und ohne Schmuck.



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und (verhinderten) Institutionalisierung von religiösen Heiligenkulten zum Tragen kommen. Die Analyse religiöser Vorstellungen, Narrative und Praktiken lokaler Gläubiger in Gala legen den Schluss nahe, dass die Unterdrückung der Religionsfreiheit im ehemaligen Jugoslawien das (Wieder-)Erscheinen der Muttergottes als phantasmagorische Figur möglich gemacht hat, die bis heute die Fähigkeit besitzt, unabhängig von der jeweiligen Staatsform die Legitimität politischer Ordnungen infrage zu stellen.

Sinj als „Stadt des Mutes und der Tradition“ Während vornehmlich urbane Kroaten die Bewohner von Sinj und den umliegenden Gemeinden mit dem zur Schau tragen von Heimatverbundenheit assoziieren und ihren offenkundigen Lokalpatriotismus eher belächeln, lassen es sich die Sinjer selbst nicht nehmen, von ihrer Heimatstadt als „Stätte erbitterter Gefechte und großen Leidens“3 zu sprechen. Diese Formulierung bezieht sich auf eine seit Jahrhunderten andauernde Geschichte der Unterwerfung unter Fremdherrschaft und auf die Lage der Region als Pufferzone an den Außenrändern eines historisch umstrittenen Gebietes. Der Kampf von 1715 gegen die Truppen des osmanischen Heeres versinnbildlicht diese Position paradigmatisch. Da Teile Dalmatiens über fast 200 Jahre wechselnd unter venezianischer, habsburgischer und türkischer Herrschaft standen, wurde die endgültige Niederlage der Osmanen, die immer wieder versucht hatten, Sinj militärisch einzunehmen, um so an die Adria vorzustoßen, als Folge einer „himmlischen Intervention“ gedeutet. Die Schlacht wurde zum Ausgangspunkt für spektakuläre Erzählungen über die Tapferkeit und den Heldenmut der lokalen Bevölkerung und für den Mythos der gottgewollten Befreiung vom „Osmanischen Joch“. Der Legende zufolge, wie sie bis heute kolportiert wird, wurde Sinj im August 1715 von berittenen Truppen des Osmanischen Reiches angegriffen. Ein Gesandter des Großwesirs Mehmet Pasha stellte dem Befehlshaber von Sinj ein Ultimatum: Die Bewohner sollten kapitulieren, andernfalls würde die Stadt niedergebrannt werden. Der Befehlshaber weigerte sich, obwohl seine Soldaten in der Unterzahl waren, sich zu ergeben, und leistete erbitterten Widerstand. Der Vorsteher des örtlichen Franziskanerordens versammelte daraufhin die Stadtbewohner vor einem Marienbildnis, das an der Festungsmauer aufgestellt worden war, um himmlische Rettung zu erbitten. Das Gemälde war im Jahr 1687 von Franziskanermönchen, die mit einer Gruppe von ungefähr 700 Katholiken vor religiöser Verfolgung flohen, aus Rama, im osmanischen Bosnien, nach Sinj, im venezianischen Dalmatien, gebracht worden.4 Bereits damals 3 Grčić, Marko: A legend lives on. In: The Alka Tournament of Sinj. Jugoslovenska Revija. Belgrade 1987, 15–18, hier 15. 4 Das Gemälde stammt aus dem späten 16. oder frühen 17. Jahrhundert, aber weder der Künstler noch das genaue Entstehungsdatum sind bekannt. Die Franziskaner waren seit dem 13. Jahrhundert in weiten Teilen des heutigen Bosnien-Herzegowina präsent, aber unter osmanischer Herrschaft waren vor allem katholische Christen weitestgehend rechtlos und wurden zeitweise auch aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit verfolgt. Aus diesem Grund flohen die Anhänger des Ordens und andere Katholiken im

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erwarb das Bildnis den Ruf, Wunder zu vollbringen, denn überall dort, wo sich das Gemälde gerade befand, erlitten die osmanischen Truppen Niederlagen. Während der tagelangen Belagerung betete die Bevölkerung von Sinj ununterbrochen vor dem Bild. Eine Version der Legende besagt, dass im Morgengrauen des 15. August eine überirdische Frauengestalt mit wehendem Gewand vor den Toren Sinjs erschien und die Angreifer in Panik die Flucht ergriffen. In einer anderen Version ist davon die Rede, dass die Türken, als sie der Frauengestalt gewahr wurden, von Durst und Dysenterie befallen wurden und aus Schwäche den Rückzug antraten. Die Bewohner von Sinj, die glaubten, ihren unerwarteten Sieg dieser Marienerscheinung zu verdanken, bezeichneten das Gemälde fortan als „Wundertätiges Bildnis der gesegneten Jungfrau Maria von der Gnade“ (Čudotvorna Slika Blažene Djevice Marije od Milosti) bzw. als „Wundertätige Muttergottes von Sinj“ (Čudutvorna Gospe Sinjske). Es wurde zum Dank mit Votivgaben, die seine Wundertätigkeit bezeugen sollten, geschmückt, und der Altar entwickelte sich bald zu einer Kultstätte für Pilger aus dem ganzen Land (Abb. 1, 2 und Taf. 1). Im Stadtbild von Sinj und in lokalen Erzählungen sind die historische Schlacht und die Legende der Marienerscheinung auch heute noch allgegenwärtig. Die Legende ist integraler Bestandteil der mündlich tradierten folkloristischen Tradition in der Region und wird regelmäßig in Predigten, auf politischen Kundgebungen oder anderen öffentlichen Veranstaltungen nacherzählt. Sie hat mittlerweile Eingang in Volkslieder und -sagen, literarische Erzählungen und Kindergeschichten gefunden. Jedes Jahr brechen Mitte August in Kroatien Hunderttausende von Menschen zu Marienwallfahrten auf. Velika Gospa, Mariä Himmelfahrt, das am 15. August gefeiert wird, gilt als höchster Feiertag. Schon Tage vorher machen sich die Menschen – manche barfuß oder auf Knien – auf den Weg zum Marienschrein der Gospa Sinjska, der Muttergottes von Sinj. Zu diesem Anlass wird das geschmückte Kultbild in einer Prozession durch die Straßen der Stadt getragen und die Wallfahrer folgen dem rituellen Zug. Die Prozession kann sowohl als Andenken an den Exodus katholischer Kroaten aus dem bosnischen Rama im 17. Jahrhundert als auch als Erinnerungsfeier an die schicksalhafte Marienerscheinung von 1715 gedeutet werden (Abb. 3, 4).

Vom Erscheinen Marias zum gewaltsamen Zerfall Jugoslawiens Im ehemaligen Jugoslawien, besonders in den katholisch dominierten Gebieten Kroatiens und der Herzegowina, hatte die zunehmende Politisierung der Marienverehrung vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg einen signifikanten Einfluss auf ethno-nationalistische Diskurse. Eine erste Welle volkstümlicher Marienfrömmigkeit setzte bereits in den 1940er-Jahren im faschistischen Unabhängigen Staat Kroatien (Nezavisna Država Hrvatska, NDH) ein und erfuhr in den 1980er-Jahren ein erneutes Hoch, als 17. Jahrhundert aus Rama und anderen Teilen Bosniens in das damals unter venezianischer Herrschaft stehende Sinj und brachten das Mariengemälde, dem wundertätige Kräfte zugeschrieben wurden, mit.



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Abb. 3 und 4  Das Kirchenportal von Sinj, das die Marienerscheinung von 1715 und die Prozession des wundertätigen Gemäldes der Gospa Sinjska abbildet. Das Gesicht der Gospa glänzt aufgrund der häufigen Berührungen durch die Gläubigen.

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der Vielvölkerstaat Jugoslawien auseinanderzubrechen drohte – ein Prozess, den der Historiker Vjekoslav Perica lakonisch als „from apparitions to partitions“ bezeichnet hat. In den frühen 1940er-Jahren, während der NDH-Zeit, wurde die Marienverehrung zum Schlüsselsymbol eines religiös motivierten Nationalismus in Kroatien. Der damalige Zagreber Erzbischof, Alojzije Stepinac, war bestrebt, das Marienheiligtum von Marija Bistrica in der Zagora-Region nahe der Hauptstadt zum Nationalheiligtum des neuen kroatischen Staates auszubauen. Die katholische Kirche Kroatiens strebte eine „Ethnisierung“ und „Indigenisierung“ des Katholizismus an. Im Gegenzug dazu unterstützte das Regime von Ante Pavelić mit finanziellen Mitteln die Bestrebungen des Erzbischofs, die (Re-)Christianisierung der kroatischen Gesellschaft voranzutreiben.5 Skrbiš interpretiert Pavelićs Förderung der Kirche dahingehend, dass der pro-faschistische unabhängige Staat Kroatien perspektivisch „stark religiöse und sogar millenaristische Strömungen aufwies, die den Eindruck entstehen ließen, dass die Ustaša nicht nur eine nationale, sondern auch eine religiöse Mission erfüllen wollte“.6 Das Verhältnis der katholischen Kirche zur Ustaša war sehr ambivalent; während einige Geistliche in Kroatien gegen die Verbrechen des faschistischen Regimes protestierten, sympathisierte oder kooperierte die nationalistisch eingestellte Fraktion des katholischen Klerus mit der Ustaša. Nach dem Krieg und unter der kommunistischen Regierung von Josip Broz Tito wurde die Vorstellung einer einheitlichen kroatischen katholischen Identität jedoch wieder unterdrückt: Die Religionsfreiheit wurde eingeschränkt und religiöse Institutionen wurden erfolgreich marginalisiert. Mehr als zwei Jahrzehnte lang wurden freie Religionsausübung und damit auch Wallfahrten zu Marienheiligtümern von staatlicher Seite auf jede erdenkliche Art systematisch behindert. Trotzdem blieb der Katholizismus ein wichtiges Kennzeichen kultureller Identität in Kroatien. Das stetige Anwachsen der Marienfrömmigkeit mit deutlich anti-kommunistischen Untertönen nach 1945 zeigte erste Auswirkungen auf die gesamte kroatische Bevölkerung und das politische Verhalten der katholischen Kirche im ehemaligen Jugoslawien.7 Während des sogenannten „kroatischen Frühlings“, einer pro-nationalistischen politischen Bewegung in den frühen 1970er-Jahren, die mehr Bürgerrechte, demokratische Reformen und den Anspruch, auf die kroatische Geschichte stolz sein zu dürfen, forderte, machte die Kirche weitere Zugeständnisse hinsichtlich der natio5 Skrbiš (wie Anm. 2), 449 f. Vgl. auch Perica, Vjekoslav: Balkan Idols: Religion and Nationalism in Yugoslav States. New York 2002, 9–11 und 60. 6 Skrbiš (wie Anm. 2), 450. 7 Christian, William A. Jr.: Religious Apparitions and the Cold War in Southern Europe. In: Religion, Power and Protest in Local Communities. The Northern Shore of the Mediterranean. Hg. v. Eric R. Wolf und Herbert H. Lehmann. Amsterdam-Berlin 1984, 239–265; Carroll, Michael P.: The Cult of the Virgin Mary: Psychological Origins. Princeton 1986; Bax, Mart: Medjugorje: Religion, Politics, and Violence in Rural Bosnia. Amsterdam 1995 sowie Ders.: The Celebration of a Violent Past: About Some Local Sources Of the Recent War in Bosnia-Hercegovina. In: Nardona Umjetnost 37 (2000) 1, 115–132. 2012 wurden gegen Mart Bax Fälschungsvorwürfe erhoben. Seine nachweislich falsche Wiedergabe von Fakten betrifft jedoch nicht die hier verwendeten Zitate oder inhaltlichen Bezüge.



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nalistischen Bestrebungen: Die Kirche reagierte, indem sie den Kult der Jungfrau Maria als führendes religiöses und nationales Symbol Kroatiens bestärkte und Stepinacs’ früheres Bestreben, die Kultstätte in Marija Bistrica als kroatisch-katholisches Nationalheiligtum zu errichten, wiederaufleben ließ.8 1971 äußerte sich der damalige Erzbischof von Zagreb, Franjo Kuharic, im offiziellen Organ der katholischen Kirche in Kroatien, dass „kleine, unterdrückte Nationen die Muttergottes mit außergewöhnlicher Ergebenheit verehren“.9 Infolge der jugoslawischen Bischofskonferenz im selben Jahr setzte die katholische Kirche „die Mobilisierung der Kroaten unter der Ägide der ‚Jungfrau Maria, Königin der Kroaten‘“,10 in Gang. Offenbar sah sich die katholische Kirche berufen, die Herausbildung einer kroatischen Nation und die Durchsetzung einer gemeinsamen kroatischen Identität massiv zu unterstützen. Ebenfalls 1971 wurde ausgerechnet in Sinj ein marianischer Kongress unter dem Motto „Auf dass unser Volk seine Identität nicht verliere“ abgehalten. In der Forschung wird dieses Phänomen der Marienverehrung in Kroatien im Zusammenhang mit der Konsolidierung eines kroatischen Nationalismus betrachtet. Perica schreibt beispielsweise, dass die Gottesmutter in Ermangelung einheimischer Heiliger vor 1970 zu einem der populärsten Nationalsymbole wurde. Er konstatiert weiter, „Marienstatuen, -schreine und -wallfahrten sichern symbolisch die Territorien, die kroatische Nationalisten seit jeher als zu Kroatien gehörend betrachteten“.11 Die Tendenz, ein Territorium als kroatisch zu markieren, indem das Land symbolisch unter den Schutz der Jungfrau Maria gestellt und somit geheiligt wird, hat eine lange Tradition. Bei den betreffenden Territorien handelt es sich bezeichnenderweise vor allem um umstrittene Gebiete wie z. B. die Krajina, die kroatisch-bosnische und kroatisch-serbische Grenzregion, sowie Regionen mit einer kroatischen Bevölkerungsmehrheit wie in der Herzegowina. Es ist sicherlich kein Zufall, dass in jedem dieser Gebiete auch ein bedeutendes Marienheiligtum zu finden ist: Das Sanktuarium „Unsere Frau von Biskupija“, das die früheste bekannte Marienskulptur der kroatischen Kulturgeschichte beherbergt, befindet sich nur fünf Kilometer südöstlich von Knin in der Krajina. Entsprechend liegen die Heiligtümer von Sinj und Široki Brijeg in der kroatisch-bosnischen Grenzregion und Aljmaš nahe der Grenze zu Serbien. Der bekannte Pilgerort Međugorje liegt im Südwesten Bosnien-Herzegowinas, in einem Gebiet, das mehrheitlich von einer kroatisch-katholischen Bevölkerung besiedelt ist, und ist ebenfalls ein Beispiel für die bewusst herbeigeführte Sakralisierung eines Territoriums. Nach dem Tod Titos 1980 konnte die Kirche ihre Position als treibende Kraft hinter dem kroatischen Ethno-Nationalismus ausbauen, wobei konfessionslose

8 Perica (wie Anm. 5), 59. Das Heiligtum der Schwarzen Madonna von Marija Bistrica ist bis heute der offizielle nationale Wallfahrtsort Kroatiens und gilt auch als größte Pilgerstätte des Landes. 9 Glas koncila, 22. 08. 1971. Vgl. auch Perica (wie Anm. 5), 60. 10 Ebd. 11 Ebd.

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nationalistische Führungspersönlichkeiten die vorherrschende Rolle der Kirche erkannten und zu praktizierenden Katholiken wurden.12 Neben der offiziellen (Wieder-)Einführung des Marienkultes durch die katholische Kirche haben vor allem kleine Heiligtümer im Südosten Kroatiens und in der Herzegowina, die dem Franziskanerorden unterstehen, eine ganz eigene, lokal verankerte Neubelebung der Marienverehrung erfahren. Diese lokalen Kulte standen nicht unmittelbar mit der religiösen Erweckungsbewegung in Verbindung, die vom kroatischen Episkopat initiiert worden war, aber sie bedienten sich ebenfalls des Symbols der Jungfrau Maria als Trägerin nationaler wie regionaler Identität. In diesem extrem gereizten politischen Klima, das durch wachsende ethno-nationalistische Spannungen, Auseinandersetzungen zwischen staatlichen und kirchlichen Autoritäten sowie eine Reihe kircheninterner Konflikte gekennzeichnet war, erschien die Jungfrau Maria in dem kleinen herzegowinischen Dorf Međugorje. 1981, am 46. Jahrestag der Erscheinungen von Fátima, berichteten sechs Dorfkinder, dass ihnen eine kroatisch sprechende Gospa erschienen sei. Der Zeitpunkt und der Ort dieser Erscheinungen in einer Region, die als Hochburg kroatischer Nationalisten und militanter Katholiken bekannt ist und in unmittelbarer Nähe eines Ustaša-Massakers aus dem Zweiten Weltkrieg liegt, war geradezu prädestiniert, zu einer politischen Bewegung zu werden, die darauf abzielte, kroatische Ansprüche auf das Gebiet zu bekräftigen und zu legitimieren.13 In seiner detaillierten Analyse des Međugorje-Phänomens beschreibt der niederländische Ethnologe Mart Bax die historischen, politischen und sozialen Umstände, die die Marienerscheinungen 1981 möglich machten und begleiteten.14 Er geht dabei auch auf den erbitterten Streit ein, den die Erscheinungen zwischen der Episkopalkirche Bosnien-Herzegowinas und den örtlichen Franziskanern auslösten.15 Obwohl der 12 Ebd., 63. 13 Der Hügel, auf dem die Muttergottes angeblich erschien, war schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein umfochtenes Areal, auf das sowohl Kroaten als auch Serben regelmäßig ihre Ansprüche geltend machten. Als die Ära des kommunistischen Regimes und damit auch die staatlich verordnete Befriedung endeten, traten die früheren Konflikte wieder offener zutage. Die Marienerscheinungen der frühen 1980er-Jahre trugen dazu bei, die frühere Ustaša-Hochburg Međugorje als eindeutig kroatisches Gebiet zu markieren. 14 Bax, Medjugorje (wie Anm. 7); Scheer, Monique: Rosenkranz und Kriegsvisionen. Marienerscheinungskulte im 20. Jahrhundert. Tübingen 2006. 15 Ähnlich wie in Sinj und in ganz Dalmatien gelang es der katholischen Landeskirche auch in BosnienHerzegowina nie, sich vollständig zu etablieren, zumal in den ländlichen Gebieten die katholischen Gemeinden vor allem im Umfeld von Franziskanerklöstern bestehen und die Franziskaner klar das religiöse Leben dominieren. Der Bischof von Mostar „war überzeugt davon, dass die Mitglieder der Franziskanischen Provinz ‚Zur Himmelfahrt Marias‘, die sich den bischöflichen Autoritäten schon seit über hundert Jahren widersetzten, das Wunder der Marienerscheinungen bewusst angezettelt hatten, um dem Plan des Bischofs, der die Kirchengemeinden zugunsten des Diözesanklerus umstrukturieren wollte, zu durchkreuzen“ (Perica [wie Anm. 5], 110). Dieser Streit ging sogar so weit, dass der Vorwurf laut wurde, der Bischof habe mit der kommunistischen Geheimpolizei kollaboriert, um die beteiligten Mönche zu denunzieren. Diese wiederum ließen durch die Seher eine Botschaft der Muttergottes verkünden, dass die Gospa in dieser Angelegenheit aufseiten der Franziskaner stehe. Vgl. hierzu



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Bischof von Mostar die Erscheinungen als Betrug bezeichnete, gelang es den Franziskanern in Međugorje, ihre religiöse und auch politische Einflussnahme immer weiter auszubauen. Seit den ersten Erscheinungen 1981 besuchten mehr als 17 Millionen Pilger die Ortschaft und verwandelten, so Bax, ein „kleines Bauerndorf […] in ein fest gefügtes, von Franziskanern verwaltetes Frömmigkeitssystem mit einer beeindruckenden Anzahl internationaler Niederlassungen“.16 Historiker und Ethnologen haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die Franziskaner in der West-Herzegowina, wo sich auch die Pfarrgemeinde Međugorje befindet, während des Zweiten Weltkrieges in enger Verbindung zum faschistischen Ustaša-Regime standen und dessen nationalistischem Gedankengut auch unter Titos kommunistischer Herrschaft treu blieben.17 Perica geht sogar so weit, zu behaupten, dass „westherzegowinische Mönche, die sich während des Krieges auf die Seite der Ustaša geschlagen hatten, aktiv gegen den Jugoslawismus und Kommunismus agierten und nie aufhörten, von der Restauration des kroatischen Staates zu träumen“.18 Aufgrund ihrer offenkundig antijugoslawischen, antikommunistischen und pronationalistischen Ansichten erwarben die Franziskaner den Ruf, Vertreter eines militanten kroatischen Katholizismus zu sein, und wurden deshalb von großen Teilen der lokalen Bevölkerung als Helden und Widerstandskämpfer betrachtet.19 Im Marienkult und den Erscheinungen der frühen 1980er-Jahre waren religiöse und nationalistische Diskurse systematisch miteinander verwoben und übten einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Unabhängigkeitsbestrebungen Kroatiens aus. Mit dem fortschreitenden Zerfall Jugoslawiens bedienten sich alle kriegführenden Parteien für ihre jeweilige nationalistische Mobilmachung und militärischen Be-

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Skrbiš (wie Anm. 2), Perica (wie Anm. 5), 110–113; Claverie, Élisabeth: Les guerres de la Vierge. Une anthropologie des apparitions. Paris 2003, 186–194; Bax, Medjugorje (wie Anm. 7), 16–29. Bax, Medjugorje (wie Anm. 7), 21. Vgl. hierzu u. a. Bax, Medjugorje (wie Anm. 7); Skrbiš (wie Anm. 2); Perica (wie Anm. 5); Ramet, Pedro: The Miracle at Medjugorje: A Functional Perspective. In: The South Slav Journal 8 (1985) 1, 12–20; Ders.: Factionalism in Church-State Interaction: The Croatian Catholic Church in the 1980s. In: Slavic Review 44 (1985) 2, 298–315; Rubin, Elizabéth: Souvenir Miracles: Going to See the Virgin in Western Herzegovina. In: Harper’s Magazine (1995) 2, 63–71. Perica (wie Anm. 5), 117. Bojan Aleksov erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die Partisanen gegen Ende des Zweiten Weltkrieges 29 Franziskaner als Kriegsverbrecher hinrichteten, weil sie Ustaša-Kämpfer im Kloster von Široki Brijeg in der Nähe von Međugorje versteckt haben sollten. In den nachfolgenden Jahrzehnten versuchte das kommunistische Regime, dieses Verbrechen zu vertuschen, aber die lokale Bevölkerung hielt die Erinnerung an die ermordeten Mönche wach und machte sie in ihren Alltagserzählungen zu Märtyrern. Aleksov, Bojan: Marian Apparitions and the Yugoslav Crisis. In: Southeast European Politics 5 (2004) 1, 1–23; aktualisierte Fassung erschienen als Ders.: Marian Apparitions in Međugorje in the Dissolution of Yugoslavia. In: Maria in der Krise. Kultpraxis zwischen Konfession und Politik in Ostmitteleuropa. Hg. v. Agnieszka Gąsior. Köln-Weimar-Wien 2014 (Visuelle Geschichtskultur 10), 360–375. Vgl. auch Ramet, Pedro: Catholicism and Politics in Socialist Yugoslavia. In: Religion in Communist Lands 10 (1982) 3, 256–274 sowie Ders., The Miracle at Medjugorje (wie Anm. 17).

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strebungen religiöser Symbole. Međugorje wandelte sich deutlich sichtbar zu „einem Zentrum nationaler kroatischer Identität und Gemeinschaft“.20 Die Marienerscheinungen in Međugorje begünstigten sezessionistische Tendenzen in der Herzegowina, was Perica dazu veranlasst hat, sie als „Auftakt zu Teilung, Krieg und Genozid“21 in Bosnien-Herzegowina zu bezeichnen. Als Anfang der 1990er-Jahre die jugoslawischen Sezessionskriege ausbrachen und sich die einzelnen Teilrepubliken abspalteten, schätzten politische Beobachter die Marienerscheinungen als Katalysator für interreligiöse und interethnische Feindseligkeiten ein. Der örtliche kommunistische Bezirksfunktionär bezeichnete die Gospa als „Ustaša-Jungfrau“.22 Der kroatische Präsident Tuđman ließ 1993 verlauten, dass die Erscheinungen in Međugorje „das ‚Wiedererwachen der kroatischen Nation‘ ankündigten und entzündeten“.23 Der Marienschrein von Marija Bistrica wurde zu einer Stätte „öffentlicher Verkündung universeller kroatischer Werte mit voll integrierten patriotischen Untertönen“24.25 Derart in nationalistische und militaristische Diskurse eingebettet, wich die Marienverehrung mehr und mehr von der Botschaft des Friedens, der Liebe und der Harmonie ab, die die Gospa als selbsterklärte „Friedenskönigin“ ursprünglich verkündet hatte.26 In ihrer Studie „Les Guerres de la Vierge“ von 2003 hebt die französische Ethnologin Élisabeth Claverie den Zusammenhang von Marienverehrung und Kriegshandlungen deutlich hervor. Sie weist darauf hin, dass der örtliche Klerus Međugorje als „zweites Fátima“ verstand und dass die Jungfrau in ihren früheren Botschaften selbst auf Fátima verwiesen und ihre Anhänger dazu aufgerufen hat, „gegen die Kräfte des Bösen zu kämpfen“.27 In den 1990er-Kriegsjahren war laut Claverie ein Bild der Jungfrau Maria als „apokalyptische Frau“ vorherrschend, die die Unvereinbarkeit zwischen Katholizismus und „atheistischem Kommunismus“ beziehungsweise „serbischer Ag20 Das kroatische Nationalwappen wurde auf Häuser und Felsen, auf Wegweiser und Schilder, die zum Križevac (Kreuzberg) und zum Erscheinungsberg führten, gemalt. In Touristenläden gab es neben schwarzen Büsten von Tuđman und Hakenkreuzen weiße Statuen der Jungfrau Maria. Über Lautsprecher tönten abwechselnd religiöse Hymnen und alte, einst verbotene kroatische Lieder. Bax, Medjugorje (wie Anm. 7), 78. 21 Perica (wie Anm. 5), 122. 22 Cviić, Christopher: A Fatima in a Communist Land? In: Religion in Communist Lands 10 (1982) 1, 4–9, hier 5 f. Es ist in diesem Kontext außerdem aufschlussreich, zu wissen, dass der Hügel, auf dem die Marienerscheinungen stattfanden, ein Ort des Gedenkens an die Opfer eines Ustaša-Massakers im Jahr 1941 war. Aleksov (wie Anm. 19), 4. 23 Rubin (wie Anm. 17), 65. 24 Skrbiš (wie Anm. 2), 458, Fn. 4. 25 Ein Franziskaner in Turjaci, einer Nachbargemeinde von Sinj, erzählte in einem Interview, dass nach dem Krieg ein populäres Lied entstanden sei, das angeblich die Zeile „Liebe Gospa Sinjska, bitte nimm Stipe [Staatspräsident Stjepan Mesić; M. S.] zu dir und gib uns stattdessen Franjo [Tuđman; M. S.] wieder zurück“ enthalte. Diese Anekdote illustriert das Verhältnis zwischen Tuđmans kirchenfreundlicher, nationalistischer Politik, der Ablehnung von Mesićs sozialdemokratischem, proeuropäischem Kurs und der Marienverehrung in der Region unmittelbar nach dem Krieg. 26 Schaeffer-Duffy, Scott: Mary, Queen of Peace, missing amid Medjugorje nationalism. In: National Catholic Reporter 30 (1994) 15, 18. 27 Claverie (wie Anm. 15), 245.



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Abb. 5  Uniformierte Soldaten, Polizisten und Alkari (Alka-Reiter) in historischen Kostümen eskortieren das Gemälde der Gospa Sinjska bei der Prozession zu Mariä Himmelfahrt (Velika Gospa).

gression“ predigte.28 Anstatt ihre ursprüngliche Botschaft von Frieden, religiöser Toleranz und Freiheit zu betonen, „[w]urde die Jungfrau benutzt, um den Kampfgeist kroatischer Soldaten, die in der Herzegowina stationiert waren, und lokaler paramilitärischer Kommandos in Herceg-Bosna zu stärken“.29 Diese Entwicklung kann als Fortsetzung der früheren Militarisierung der Jungfrau Maria angesehen werden. In diesen Kontext gehört auch ihre Anrufung als Schutzheilige und Schlachtenhilfe der Soldaten. Heute manifestiert sich das enge Verhältnis zwischen der Gospa und den militärischen Einheiten vor allem durch die Präsenz von uniformierten Soldaten und Armeeangehörigen zu Wallfahrten und religiösen Gedenkfeiern in Kroatien und den mehrheitlich kroatisch besiedelten Gebieten Bosnien-Herzegowinas (Abb. 5). 28 Ebd. 29 Skrbiš (wie Anm. 2), 454. Die selbsternannte Kroatische Republik Herceg-Bosna (Hrvatska Republika Herceg-Bosna, RHB) bezeichnete während des Bosnienkrieges 1991–1994 ein mehrheitlich von ethnischen Kroaten besiedeltes, selbstverwaltetes politisches Gebilde im Südwesten von BosnienHerzegowina.

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Die Ausbeutung der Erscheinungen in Međugorje als Werkzeuge im Kampf gegen den Kommunismus und für eine nationale Homogenisierung hatte auch merkliche Auswirkungen auf die übrigen Pfarrgemeinden und Wallfahrtsorte in der Region.30 Weitere Andachts- und Pilgerstätten begannen ebenfalls zu florieren. Vor allem die Pfarrgemeinde von Sinj, nur 120 Kilometer von Međugorje entfernt in Dalmatien gelegen, war unmittelbar von den Erscheinungen und dem damit verbundenen Aufblühen nationalistischer Bestrebungen betroffen. Seit dem kroatischen Unabhängigkeitskrieg (1991–1995) hat sich das Heiligtum der Gospa Sinjska zu einem landesweit bekannten Wallfahrtsort entwickelt. Die Pilgerreise nach Sinj oder zu einem der anderen zahlreichen Marienheiligtümer in Kroatien – sei es nach Krasno, Trsat, Almaš oder Marija Bistrica – ist nicht mehr nur Ausdruck religiöser Frömmigkeit, sondern sie ist auch zu einer Zurschaustellung von Nationalgefühl und nationaler Verbundenheit geworden. Die Jungfrau Maria, Königin der Kroaten, spielt in volkstümlichen, religiösen Vorstellungen weiterhin eine wichtige Rolle als Beschützerin des kroatischen Volkes. Ihre Verehrung hat sich zunehmend in eine „Orgie aus Geschichte, lokaler Folklore, Nationalismus und religiösem Ritual“31 verwandelt.

Erschien die Muttergottes auch in Gala bei Sinj? Es ist Tradition, dass Marienerscheinungen vor allem in abgelegenen Bergregionen auftreten und die Jungfrau häufig zuerst Kindern erscheint, die auf den Feldern Schafe hüten. Das war sowohl bei den vier Erscheinungen in Garaison, Laus, La Salette und Lourdes in Frankreich im 19.  Jahrhundert wie auch im portugiesischen Fátima der Fall. Obwohl die Seherkinder von Međugorje keine Hirten/-innen waren, stammten sie doch aus ärmlichen, ländlichen Verhältnissen. Sie bestätigen das Muster, dass sich die Jungfrau vor allem den sozial Unterprivilegierten zeigt. Dementsprechend sind es vornehmlich abgelegenere Kirchengemeinden, die volkstümliche Formen der Marienverehrung praktizieren.32 In Sinj, wo das Gemeinde- und Gemeinschaftsleben bis heute stark religiös geprägt ist, gehen lokaler Patriotismus und Marienverehrung Hand in Hand. Als im benachbarten Međugorje die Muttergottes erschien, überraschte es niemanden, dass die Franziskanermönche in Sinj – von der internen Auseinandersetzung zwischen den Franziskanern und den Diözesen von Mostar und Split beeinflusst – vorbehaltlos das (Wieder-)Aufblühen der Mariengläubigkeit in der Region unterstützten. Aber als die Jungfrau Maria am 27. August 1983 in Tomašević, einem Ortsteil von Gala, das ungefähr acht Kilometer von Sinj entfernt liegt, sieben Bauern30 Perica (wie Anm. 5), 118. 31 Skrbiš (wie Anm. 2), 453. 32 Davis, John: The Sexual Division of Labour in the Mediterranean. In: Religion, Power and Protest in Local Communities: the Northern Shore of the Mediterranean. Hg. v. Eric R. Wolf und Herbert H. Lehmann. Amsterdam-Berlin 1984, 17–50; Lisón-Tolosana, Carmelo: Belmonte de Los Caballeros. A Sociological Study of a Spanish Town. Oxford 1966; Christian, William A. Jr.: Person and God in a Spanish Valley. London-New York 1972.



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kindern erscheint, reagierten die Franziskaner mit Skepsis. Die Erscheinungen in Gala werden in der wissenschaftlichen Literatur erstmals zwei Jahre später erwähnt. Der Historiker Pedro Ramet bringt sie eindeutig mit den Erscheinungen in Međugorje in Verbindung. Er analysiert die Rolle der lokalen Franziskaner und schreibt, dass „[m]anche Beobachtungen […] nahelegen, dass die Franziskaner gezielt Berichte über die wundersamen Erscheinungen der Muttergottes zuerst 1981 in dem herzegowinischen Dorf Međugorje und dann 1983 in der Gemeinde Sinj gestreut haben. Unabhängig davon, ob die Berichte nun das Werk der Franziskaner waren oder nicht, wird deutlich, dass diese davon überzeugt waren, am meisten von der wachsenden religiösen Euphorie in Međugorje profitieren zu können; und während die Bischofskommission der Diözese Mostar (der Međugorje zugeordnet ist) zur Zurückhaltung hinsichtlich dieser Meldungen gemahnt hat, haben die Franziskaner die Authentizität der Međugorje-Erscheinungen offiziell bestätigt (auch wenn sich der Provinzvorsteher der Franziskaner von den Berichten über Gala distanziert hat).“33

Auch heute noch scheint die Einstellung der Franziskaner in Sinj im Hinblick auf die Marienerscheinungen in Gala sehr kritisch zu sein. Diesbezügliche Fragen werden misstrauisch abgetan oder nur zögerlich beantwortet. Die Dorfchronik von Gala enthält Berichte über die vermeintlichen Erscheinungen von 1983. Auch gibt es einige wenige Zeitungsartikel darüber. Ansonsten finden sich nur wenige fundierte Hinweise auf die damaligen Ereignisse. Die Auskünfte der Franziskaner des Klosters in Sinj und die Darstellungen der Bewohner von Gala und Sinj widersprechen sich. So erzählten Letztere, dass an dem Erscheinungsort auch heute noch regelmäßig Gottesdienste abgehalten werden, andere erwähnten, dass kürzlich eine kleine Kapelle errichtet worden sei, während wieder andere versicherten, dass es in Gala gar nichts zu sehen gäbe. Im Sommer 2012 reisten meine Kollegin Duška Vranješ und ich nach Gala, um herauszufinden, was es mit der irritierenden Diskrepanz zwischen den historischen Quellen, verschiedenen lokalen Narrativen und der verhaltenen Reaktion der örtlichen Franziskaner auf sich hat. Bei unserer Recherche lernten wir Dinka Marija Tomašević, die Mutter von Jurica, eines der Kinder, die die Gospa gesehen haben, kennen. Sie erzählte uns detailliert den Ablauf der Ereignisse von 1983 und deren Folgen.

Religiöse Erfahrung und „somatische Interaktion“ mit einer Heiligen Am 27. August 1983, am ersten Geburtstag ihres jüngsten Sohnes Anđelko, erschien nach Aussage Marija Tomaševićs im Weinberg hinter ihrem Haus die Muttergottes. Zuerst waren es vier Jungen, die die Muttergottes sahen, darunter auch Jurica, der damals sechs Jahre alt war. Die Kinder sagten, dass die Muttergottes schwarz gekleidet gewesen sei und auf einem Stein gesessen habe; sie habe wunderschön ausgesehen und ihre langen blonden Haare gekämmt. Den Kindern erklärte sie, dass sie Schwarz 33 Ramet, Factionalism in Church-State Interaction (wie Anm. 17), 308.

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trage, weil sie um die Menschen trauere, die sich immer mehr dem Abgrund näherten. Während die anderen drei Jungen in Panik davonrannten, sagte der kleine Jurica angeblich zu ihr: ‚Wenn Du von Gottes Seite bist, bleib, wenn Du von der Schlangenseite bist, verschwinde!‘ (Ako si sa božje strane, onda ostaj, ako si od zmije, onda idi). Die Jungfrau Maria lächelte milde und winkte ihn näher zu sich heran. Jurica rannte nach Hause, um seine Schwester Anita und seine Cousine zu rufen. Seine Mutter, die in der Küche war, um den Geburtstag für ihren Jüngsten vorzubereiten, hörte die Aufregung. Anita kam angerannt, um ihr zu erzählen, dass die Jungen eine Frau im Weinberg gesehen hätten. Sieben Kinder (die vier Jungen und drei Mädchen), Marija, Marijas Tante und eine weitere Frau eilten zum Weinberg. Die Mädchen sahen die Muttergottes jetzt auch und sagten, dass sie wie die Gospa Sinjska aussähe und eine goldene Krone trage. Die Erwachsenen konnten die Gospa nicht sehen, aber knieten sich bei einem Feigenbaum nieder, um zu beten. Von diesem Tag an hatten die Kinder regelmäßig Visionen, und die Muttergottes erschien ihnen immer im Weinberg. Die Nachricht von der Marienerscheinung verbreitete sich schnell. Schon am nächsten Tag kamen die ersten Neugierigen und Gläubigen zum Hof der Tomaševićs. Während ihrer Erzählung ist Marija Tomašević sehr ernst und macht deutlich, dass sie den Kindern zu jedem Zeitpunkt glaubte. Manchmal fängt sie an zu weinen, weil sie immer noch von den Worten der Muttergottes und, wie sie sich ausdrückt, der Gnade, die sie und ihre Familie empfangen durften, berührt ist. Sie erzählt aber auch, dass es die Kinder nicht immer einfach gehabt hätten und vielfach verlacht und gehänselt wurden. Jurica musste die 5. Klasse mehrmals wiederholen, weil ihn die Erscheinungen so verstörten. Wenn er in der Schule eine Frage nicht beantworten konnte, verspotteten ihn seine Mitschüler und sagten: „Frag’ doch Deine Gospa, ob sie dir die Antwort vorsagt!“ Die jugoslawische Staatspolizei hatte ebenfalls Gerüchte über die Erscheinungen in Gala gehört. Als immer mehr Menschen begannen, zu der Stätte zu pilgern, wurden Polizeieinheiten geschickt, um die Gläubigen zu vertreiben. Die Pilgergruppen sind daraufhin auf eine nahegelegene Wiese ausgewichen und haben sich nachts zum Gebet getroffen. Manchmal patrouillierte die Polizei Tag und Nacht vor ihrem Haus. Obwohl es ein sehr einschüchterndes Erlebnis gewesen sein muss, von Polizei und Geheimdienst überwacht zu werden, versichert Juricas Mutter, dass die Kinder keinen Augenblick daran gedacht hätten, aufzugeben und die Visionen zu widerrufen. Marija Tomašević zeigt uns den Ort der Erscheinung. Heute ist der ehemalige Weinberg ein vertrocknetes, abfallendes Feldstück. Sie setzt sich auf den Stein, auf dem angeblich die Gospa saß, als sie Jurica zum ersten Mal erschien, und tut, als würde sie sich ihre Haare kämmen, so, wie die Kinder es von der Muttergottes beschrieben haben. Der Nachvollzug der Handlungen der Muttergottes ist ein Versuch, zu zeigen und mittels mimetischer Inszenierung zu verstehen, was sich an dieser Stelle 1983 ereignet hat. Und obwohl sie die Erscheinung nicht mit eigenen Augen gesehen hat, scheint sie die Anwesenheit der göttlichen Präsenz der Gospa durch den sensorischen Impuls, diese zu imitieren, selbst nachempfinden zu wollen. Die Handlungen von Juricas Mutter lassen sich in Anlehnung an den amerikanischen Religionshisto-



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Abb. 6  Marienaltar in Gala.

riker und -ethnografen Robert A. Orsi, Sinneswahrnehmungen und körperliche Erfahrungsebenen als Begegnungen von Gläubigen mit dem Göttlichen zu deuten, als Versuch verstehen,die Gegenwart des Göttlichen körperlich erfahrbar zu machen.34 Durch ihre „somatische Interaktion“35 mit der Heiligen stützt und bestätigt Marija Tomašević ihren Glauben und ihre Weltanschauung. Danach führt sie uns in ein Waldstück. Auf einer Lichtung steht versteckt eine altarartige Konstruktion. Betonierte Stufen führen zu einer halbrunden Fassade mit drei Torbögen. Im mittleren steht eine zwei Meter hohe Marienfigur aus Bronze, davor ein steinerner Altartisch (Abb. 6). Die Gedenkstätte ist ohne Hilfe nicht zu finden. Die Statue wurde von Pilgern aus Italien gestiftet. Während Marija noch mehr Details über ihr persönliches Verhältnis zur Muttergottes erzählt, streichelt sie gedankenverloren die Hand der Statue, als ob diese aus Fleisch und Blut sei (Abb. 7). Es ist nicht zu übersehen, dass sie eine physische Beziehung zu der Heiligen aufgebaut hat. Sie erzählt uns, dass die Statue manchmal auch weint oder schwitzt, als 34 Orsi, Robert A.: Between Heaven and Earth: The Religious Worlds People Make and the Scholars who Study Them. Princeton 2005. Vgl. auch Scheer, Monique: Welchen Nutzen hat die Feldforschung für eine Geschichte religiöser Gefühle? In: vokus 21 (2011) 1–2, 65–77. 35 Scheer, Monique: Verspielte Frömmigkeit: Somatische Interaktionen beim Marienerscheinungskult von Heroldsbach-Thurn 1949/50. In: Historische Anthropologie 17 (2009) 3, 386–405.

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Abb. 7  „Somatische Interaktion“ zwischen Marija Tomašević und der Marienstatue von Gala.

wenn sie körperliche Arbeit verrichten würde. Zur Muttergottes zu beten ist für Marija mit einem sensorischen und ästhetischen Erleben verbunden: Die Art und Weise, wie sie die Statue berührt, zeugt von einer tiefen Verbundenheit. Marija kommt oft hierher, vor allem wenn sie Trost sucht. Ihr Sohn Jurica ist 2008, im Alter von 30 Jahren, an einer schweren Krankheit gestorben. Als Mutter, die ihren Sohn verloren hat, fühlt Marija eine besonders starke Bindung zur Gospa. Meine Kollegin und ich werden gefragt, wie wir von den Erscheinungen gehört haben. Ich erzähle, dass ich fast ein Jahr in Sinj gelebt und geforscht habe. Niemand dort erwähnte die Erscheinungen direkt, ich hatte nur davon gelesen. Meine Antwort verwundert Marija Tomašević nicht. Sie meint, dass großes Interesse besteht, dass Sinj Hauptwallfahrtsort bleibt, und vermutet neben ökonomischen Faktoren die Befürchtungen der Franziskaner in Sinj, dass die Pilger der jährlichen Wallfahrt zu Velika Gospa (Mariä Himmelfahrt) statt nach Sinj nach Gala kommen könnten. Obwohl Marija sehr gottesfürchtig ist, ist sie doch recht kritisch, was die kommerzielle Ausbeutung der Marienerscheinungen im benachbarten Bosnien-Herzegowina betrifft. Kurz vor seinem Tod habe Jurica zu ihr gesagt, dass er schon wolle, dass Pilger zum Ort der Erscheinung nach Gala kämen, aber nur wenn es nicht solche Züge wie in Međugorje annähme. Marija erzählt, nachdem wir wieder zu ihrem Haus zurückgekehrt sind, von ihrem Sohn. In einer Ecke des Wohnzimmers hat sie zu seinen Ehren einen Altar errichtet. Als Jurica 16 Jahre alt war, brach der kroatische Unabhängigkeitskrieg aus, und er meldete sich als einer der jüngsten Freiwilligen zum Kriegsdienst. Sie zeigt uns einen verwaschenen Zeitungsausschnitt, auf dem Jurica als Jugendlicher in Uniform zu sehen ist: In einer Hand hält er ein Maschinengewehr, mit der anderen macht er das Siegeszeichen. Unter dem Bild wird er zitiert: „Kakav bih ja bio Hrvat kad bih ostao kud kuće, a neprijatelj nas želi zgaziti?“ (Was wäre ich für ein Kroate, wenn ich zu Hause sitzen und warten würde, bis der Feind uns zertritt?).



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Derzeit wohnen Juricas Witwe und deren zwei Kinder sowie Anđelko und seine Familie auf Marijas Gehöft. Sie alle leben davon, dass Marija Eselsmilch für 300 Kuna (ca. 40 Euro) pro Liter verkauft. Die Milch soll eine heilende Wirkung haben. Während unseres Gesprächs gehen telefonisch mindestens vier Bestellungen ein. Das Geschäft scheint gut zu laufen. Bevor wir uns verabschieden, erzählt uns Marija noch, dass die Kinder 1983 von einer Kirchenkommission auf die Wahrheit ihrer Erzählung getestet wurden. Sie seien heimlich in das Gemeindehaus gebracht worden, wo sie vom Erzbischof befragt wurden. Da der Gemeindepfarrer angeblich Angst vor der Polizei gehabt hat, fand das geheime Treffen nachts statt. Mit diesem Hinweis will sie ihrer Erzählung zum Abschluss noch mehr Glaubwürdigkeit verleihen. Dies ist die erste und bislang einzige ethnografische Beschreibung der Marienerscheinung in Gala und dem sich daraus entwickelten lokalen Marienkult.

Reaktionen des Bischofs auf die Erscheinungen von 1983 und die Gründung einer „Kleinen Kommission“ In den 1980er-Jahren bemühte sich die jugoslawische Regierung darum, dass sich die Nachricht von den angeblichen Erscheinungen in Gala nicht verbreitete. Sie versuchte, mit allen Mitteln zu verhindern, dass sich der Ort zu einer Pilgerstätte entwickelte. Und selbst heute noch scheint es so, als ob die Franziskaner von Sinj und der Gemeindepfarrer von Gala am liebsten Stillschweigen über die Ereignisse bewahren würden. Aus diesem Grund ist der Marienkult in Gala lokal beschränkt. Nur wenige Gläubige wissen von dem Altar und besuchen ihn regelmäßig. Allerdings wird einmal im Jahr, am letzten Sonntag im August, eine Messe abgehalten, um der Ereignisse von 1983 zu gedenken. Diese wird von Hunderten von Menschen aus den umliegenden Gemeinden besucht. Die Gemeindechronik von Gala aus dem Jahr 2010 macht aus den Marienerscheinungen kein Geheimnis.36 Sie erwähnt ein Gemeindearchiv, in dem Berichte über die Begebenheiten in Gala aufbewahrt werden. Diese waren von Mile Marović angefertigt worden. Der ehemalige Kirchenvorsteher hatte zwischen dem 27. August 1983 und dem 5. September 1985 täglich die Geschehnisse notiert.37 Ein Dokument aus diesem Kontext, ein Bericht des Erzbischofs der Diöszöse Split-Makarska, Dr. Frane Franić, ist aber öffentlich zugänglich. Es wurde vom Ordinariat in der Galaer Gemeindechronik mit dem Hinweis abgedruckt, dass es der Bericht sei, der „uns am

36 Gala-Gljev. Župa Svih Svetih u Splitsko-Makarskoj Nadbiskupiji [Pfarrei Allerheiligen Gala-Gljev im Erzbistum Split-Makarska]. Hg. v. Luka Tomašević. Split 2010 (Knjižnica Zbornika Kačić: Monografije, dokumenti, građa; br. 51). 37 Bislang war die Einsichtnahme dieser Berichte sehr eingeschränkt. Marija Tomašević erhielt ebensowenig Zugang zu diesen mit der Begründung, die Dokumente seien nicht mehr vorhanden.

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angemessensten und nüchternsten erscheint“.38 Aus dem Dokument geht auch hervor, dass Franić nach den Erscheinungen in Gala selbst eine „Kleine Kommission“, bestehend aus sechs Mitgliedern, ins Leben gerufen hat, deren Aufgabe es war, die Entwicklungen in Gala zu verfolgen und die Zeugnisse der Kinderseher zu prüfen. Das Dokument, das erstmals 1984 in der Kirchenzeitschrift „Nadbiskupijski vjesnik“ (Erzbischöflicher Kurier) veröffentlicht und dann 2010 in der Galaer Gemeindechronik erneut abgedruckt wurde, liefert nicht nur wichtige Einsichten in die persönliche Einschätzung einer führenden Kirchenautorität der betreffenden Zeit, sondern bestätigt und ergänzt Marija Tomaševićs Erzählung.39 Erzbischof Frane Franić berichtet in seinem Report von seiner persönlichen Begegnung mit den Kindersehern in Gala und verschweigt dabei nicht, wie befremdlich die ganze Angelegenheit auf ihn wirkte.40 Zwischen den Zeilen ist seine Angst vor den jugoslawischen Staatsautoritäten herauszulesen, aber auch seine Unsicherheit. Er weiß nicht, wie er mit den Erscheinungen im Hinblick auf das klerikale Dogma einerseits und seiner persönlichen Einschätzung andererseits umgehen soll. Das Dokument des Erzbischofs ist ein seltenes und aufschlussreiches Zeugnis, denn es erlaubt Einblicke in Entscheidungsprozesse, die normalerweise nicht öffentlich zugänglich sind, z. B. die Bewertungskriterien von Marienerscheinungen (sind sie authentisch oder als Betrug einzustufen?). Erzbischof Franićs subjektive Einschätzung ist keinesfalls mit einer ekklesiastischen Stellungnahme gleichzusetzen, zumal weder die Erscheinungen in Gala noch die in Međugorje von der katholischen Kirche jemals offiziell anerkannt wurden. Die Bischofskonferenz hat im Fall von Međugorje 1991 ein „non constat de supernaturalitate“ erklärt. Auch wenn keine Übernatürlichkeit feststeht, ein explizites Wallfahrtsverbot wurde nicht ausgesprochen. Die „Kleine Kommission“, die Franić ins Leben rief, ähnelte der Untersuchungskommission, die der damalige Bischof von Mostar, Pavao Žanić, 1982 gegründet hatte, um die Marienerscheinungen von Međugorje zu überprüfen. Žanićs Kommission bestand zuerst aus vier und später aus 14 Mitgliedern. Unter ihnen befanden sich auch Mediziner. Žanić, der sich ursprünglich für die Authentizität der Erscheinungen aussprach, widerrief im Nachhinein seine Einschätzung und kam in seinem Abschlussbericht von 1986 zu einem negativen Urteil über das Erscheinungsphänomen. Žanićs Sinneswandel gab Anlass zu weitreichenden Spekulationen, vor allem der Vermutung, dass er vom jugoslawischen Geheimdienst UDBA (Uprava državne bezbednosti) eingeschüchtert worden war und schließlich kollaborierte. „Jüngst wurde durch die in Archiven gefundenen Dokumente bekannt, daß der kommunistische Geheimdienst Jugoslawiens in Zusammenarbeit mit der Stasi der DDR in den 80er Jahren das 38 Gala-Gljev (wie Anm. 36), 108 f. 39 Erzbischof Frane Franić in: Nadbiskupijski vjesnik (1984) 6, 19 f. Siehe auch Gala-Gljev (wie Anm. 36), 109–111. 40 Marija Tomašević berichtete, dass die Kinderseher zu einem späteren Zeitpunkt für einen weiteren Test nach Split gebracht wurden, aber auch dort nicht der Lüge überführt werden konnten. Dieser zweite Test wird in Franićs Bericht nicht erwähnt.



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Phänomen Medjugorje gegen die Kirche auszunützen versuchte“, berichtete im Februar 2012 „Katholisches“, das unabhängige Internetmagazin für Kirche und Kultur.41 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass Bischof Franić Angst hatte, dass ihm die Glaubenskongregation, der zum damaligen Zeitpunkt Kardinal Joseph Ratzinger vorstand, die Aufgabe übertragen würde, die Erscheinungen von Gala zu überprüfen. Aber dazu kam es nie – auch, weil Franić beschloss, in dieser Sache Zurückhaltung zu üben und Stillschweigen zu bewahren.

Historische Rekonstruktion und Aktenlage Eine andere Version der Ereignisse von 1983 hat der kroatische Historiker Vjekoslav Perica rekonstruiert. Seine Analyse der Polizei- und Gerichtsakten über die Marienerscheinungen von Gala beleuchtet die Vorkommnisse aus offizieller Perspektive und verdeutlicht ihre politische Brisanz. Zu Beginn der 1980er-Jahre, als sich der Zerfall Jugoslawiens bereits andeutete und das antikommunistische Klima seinen Höhepunkt erreichte, organisierte eine Gruppe kroatischer Geistlicher die Teilnahme an sogenannten Reisemissionen. Eine Reisemission ist eine Art religiöser Konvoi, bei dem eine Statue oder ein Bildnis der Muttergottes – in der Regel eine Abbildung der politisch besetzten Figur „Unsere Frau von Fátima“ – von Gemeinde zu Gemeinde gereicht wird mit der Absicht, ein Land in Zeiten der politischen und/oder ökonomischen Krise zu heiligen und zu stabilisieren und die Bevölkerung zu missionieren. Solche Missionen waren zuvor in Spanien, Italien, Polen und sogar in südamerikanischen Ländern wie Chile und Brasilien durchgeführt worden. Im Jahr 1983 erreichte einer dieser berühmten Konvois auch die Pfarrgemeinden im dalmatinischen Hinterland.42 Mehrere Statuen der „Friedenskönigin von Fátima“ wurden aus Italien importiert. Perica berichtet in diesem Zusammenhang, dass „die Madonnen in glänzenden altarähnlichen Kisten verpackt waren, an denen die Fátima-Botschaft von der ‚Bekehrung Russlands‘, auf Zettel getippt, angebracht war“.43 Manche Gemeinden, darunter auch die Pfarrgemeinde von Sinj, stellten die Statuen in den Kirchen öffentlich zur Schau. In Sinj ereignete sich daraufhin Folgendes: „In dem Marienheiligtum von Sinj und in den benachbarten Dörfern gab es im Verlauf der Reisemissionen Berichte über Marienerscheinungen. Ein 16-jähriges Mädchen aus Gala verkün41 http://www.katholisches.info/2012/02/28/2012-entscheidung-uber-medjugorje-papstliche-untersuchungs kommission-beendet-arbeit/ (03. 02. 2013). 42 So „wanderte“ beispielsweise eine Replik der Schwarzen Madonna von Częstochowa zwischen 1957 und 1966 durch verschiedene polnische Gemeinden, um antikommunistische Kräfte zu mobilisieren. Die „reisende Jungfrau“ war während des Kalten Krieges ein zentrales Element des Marianismus. Zwischen 1945 und 1955 reiste die Fátima-Madonna durch beinahe alle katholischen Regionen Westeuropas. Vorläufer dieser Bewegung war die „Grand Retour“, die 1943 vom französischen Episkopat organisiert worden war. Perica (wie Anm. 5), 115 f. 43 Ebd., 119.

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dete, dass sie die Jungfrau Maria gesehen habe. Der bereits aus Međugorje und anderen Erscheinungsorten bekannte Ablauf wiederholte sich. Tausende Pilger strömten zum Erscheinungsort und viele Reisebusse bogen von der Hauptstraße zwischen Split und Mostar ab, um den Ort des neuesten Wunders in Augenschein zu nehmen.“44

Perica berichtet außerdem, dass „[d]ie Polizei das Gelände umstellt, Häuser durchsucht, die Seherin und örtliche Kleriker verhaftet und wiederholt hölzerne Kreuze abgerissen hat, die an der Stelle der Erscheinung errichtet worden waren, bis die Gläubigen endlich ein zwei Meter hohes Betonkreuz errichteten, das die Polizei dann stehen ließ“.45 Anđela, die angebliche Seherin aus Gala, wurde der Verbreitung falscher Nachrichten sowie der Erregung öffentlichen Ärgernisses beschuldigt und zu einer 14-tägigen Gefängnisstrafe verurteilt. Außerdem wurden drei weitere Personen, Alojzije Bavčević, Leiter des katholischen Seminars in Split, und zwei Franziskaner aus Sinj, verklagt, gegen das Bundesstrafgesetz verstoßen zu haben.46 Die Anklageschrift gegen Bavčević und die Franziskaner aus Sinj besagt, dass „im Zeitraum zwischen Oktober 1983 und April 1984 die Tatverdächtigen eine feierliche Tournee mit Statuen der sogenannten ,Unsere Frau von Fátima‘ – einer Ikone, die von Kirchgängern als heilig und wundertätig verehrt wird – in den Pfarrgemeinden und Dörfern Trilj, Košute und anderen in Empfang genommen, geplant und durchgeführt haben […] Die Statuen wurden von dem Angeklagten Bavčević aus Italien importiert, der überdies einen Text mit dem Titel „Marias Worte aus Fátima an die Welt“ formulieren und an den Kisten mit den Madonnenstatuen anbringen ließ. In dem Text wird die UdSSR verspottet und beleidigt […] Bavčević übergab die besagten Statuen den Angeklagten Milan Vrdoljak and Vjenceslav Kujundžić, die diese wiederum in ihren Kirchgemeinden öffentlich ausstellten und in Familien und Häusern von Gläubigen in Umlauf brachten.“47

Keiner der drei Angeklagten wurde verurteilt, weil die Anklageschrift das Gericht nie erreichte. Erzbischof Frane Franić entschied im Anschluss an seine Korrespondenz mit der kommunalen Kommission für Beziehungen mit religiösen Gemeinschaften, die Reisemissionen der Madonna abzubrechen und das Wort „Russland“ durch die Formulierung „die Welt“ zu ersetzen und damit die Fátima-Botschaft in „Bekehrung der Welt“ umzudeuten.48 Laut Perica ließen die Visionen des Mädchens nach der Ermahnung durch die entsprechenden staatlichen Stellen nach. Die Version der Geschichte, wie sie vor Ort erzählt wird, unterscheidet sich stark von Pericas aktenkundiger Rekonstruktion. Marija Tomašević hatte uns gegenüber erklärt, dass Anđela keine Seherin gewesen sei. Sie sei nur deshalb verhaftet worden, 44 45 46 47 48

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., 119. Ebd., 119 und 278.



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weil sie die Älteste einer Gruppe von Kindern gewesen ist, die an dem Ort der Erscheinungen gebetet hatten, und schon die Oberschule besuchte. Sie wurde verdächtigt, die jüngeren Kinder angestiftet zu haben, hatte aber nach Auskunft von Juricas Mutter selbst keine Visionen. In Marija Tomaševićs Version der Ereignisse von 1983 spielen die Reisemissionen keine Rolle. Es ist fraglich, ob die lokale Bevölkerung die politische Tragweite der Botschaft der Missionen überhaupt überblickt hat. Ob sie oder eins der anderen Kinder die Erscheinungen je widerrufen hat, ist unklar, aber offensichtlich wurde Anđela verhört und von der Polizei misshandelt. Heute lebt sie im Ausland und spricht nicht über die Ereignisse von 1983. In der Gemeindechronik von Gala wird auch erwähnt, dass sich nach dem Eintreffen der Geheimpolizei die Gläubigen weiterhin heimlich zum Gebet versammelten. Die Pilger kamen aus anderen Teilen Kroatiens und aus Italien. Am 16. Mai 1988 wurde in der Gemeindekirche eine Madonnenstatue, eine Votivgabe von Gläubigen aus Italien, eingesegnet, die an dem Ort der Erscheinung aufgestellt werden sollte. Aber erst am 15. September 2001 wurden im Ortsteil Tomašević eine offene Gedenkkapelle errichtet und die zwei Meter hohe Bronzestatue installiert. Mehr als ein Jahrzehnt hatte es gedauert, bis die Marienstatue ihren eigentlichen Bestimmungsort erreichte. Dass die Gedenkstätte mit der Bronzefigur fast zwanzig Jahre nach den Erscheinungen errichtet wurde, deutet darauf hin, dass der lokale Kult der Gospa in Gala nicht abgeebbt ist. Gläubige, meist aus der näheren Umgebung, suchen den Ort noch immer regelmäßig auf.

Sozio-politischer Kontext der Marienerscheinungen von Gala Neueren Studien zufolge zeichnet sich die Tendenz ab, dass Marienerscheinungen gehäuft in Zeiten persönlicher, sozialer, politischer und/oder ökonomischer Krisen auftreten.49 Das trifft auch auf die Erscheinungen von Gala zu. Nach Titos Tod 1980 durchlief Jugoslawien eine politische und ökonomische Krise. Neben Lebensmittelund Benzinknappheit waren zwischen den einzelnen Republiken wachsende politische Spannungen zu spüren. Selbst in den abgelegensten Regionen des Landes war die Angst vor einem Staatskollaps greifbar. Wenn Jeffrey S. Bennett über die Erscheinungen im portugiesischen Fátima von 1917 schreibt, dass der sich daraufhin entwickelnde Marienkult keine Erfindung der Jesuiten gewesen sei, sondern „das Resultat gewöhnlicher Männer und Frauen, die sich in erster Linie um die Rentabilität ihrer Höfe, den Schutz und moralischen Zusammenhalt ihrer Familien und die Ressourcensicherung angesichts existenzieller Krisen jeglicher Art sorgten“50, so ist diese Einschätzung direkt auf Gala im Jahr 1983 49 The ‘Vision Thing’. Studying Divine Intervention. Hg. v. William A. Christian, Jr. und Gábor Klaniczay. Budapest 2009; Scheer, Rosenkranz und Kriegsvisionen (wie Anm. 14). 50 Bennett, Jeffrey S.: When the Sun Danced. Myth, Miracles, and Modernity in Early Twentieth-Century Portugal. Charlottesville 2012, 19.

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übertragbar. Trotz der immanenten politischen Unruhen war das Dorfleben in Dalmatien in jener Zeit noch immer von Entbehrung, Existenzsorgen und der kontinuierlichen Weigerung, das staatlich verordnete sozialistische Menschenbild zu übernehmen, geprägt. Die Mehrheit der katholischen Bevölkerung versuchte trotz der drohenden Repressalien und Benachteiligungen, an ihren religiösen Überzeugungen und Praktiken festzuhalten. Aus politischer Perspektive betrachtet sind die Marienerscheinungen von Gala Teil einer „populären antikommunistischen Mobilisierung“51. Die Berichte von den Visionen und Botschaften der Muttergottes wurden benutzt, um die dörfliche Gemeinschaft vor liberalen und säkularen Einflüssen zu schützen. Auf einer anderen, persönlicheren und lokal verankerten Ebene können die Erzählungen über die Marienerscheinungen angesichts der langjährigen Unterdrückung freier Glaubensausübung in Jugoslawien auch als Reserve einer strukturell benachteiligten und marginalisierten Dorfbevölkerung in Antizipation des politischen Umbruchs gedeutet werden. Mit meiner Analyse beabsichtige ich nicht, die Glaubwürdigkeit der Kinderseher zu bewerten oder pseudo-psychologische und/oder neurophysiologische Erklärungsversuche für deren Visionen zu geben, sondern lokale (körperliche) Glaubens- und Anbetungspraktiken und sozio-politische Folgen der Erscheinungsnarrative zu berücksichtigen. Als Narrative persönlichen und lokal verorteten sozialen Leidens verstanden, enthalten die Berichte der Kinderseher gleichzeitig aber auch die Vorstellung, dass es möglich ist, dieses Leiden zu überwinden. Ein großer Teil der Narrative von Gala besteht in der Darstellung, dass die Kinderseher und deren Familien den Einschüchterungen durch Polizei und Geheimdienst standhielten und sich auch von den kritischen Befragungen durch Kirchenautoritäten nicht einschüchtern ließen. Indem sie sich weiter am Marienerscheinungsort versammelten, Kreuze errichteten und die Gospa anbeteten, setzten sich die Dorfbewohner gegen die unmittelbare Präsenz der Staatsmacht zur Wehr. So gesehen sind die Erscheinungsnarrative von Gala als eine Geschichte des Widerstandes und der politischen Partizipation in Form der Gehorsamsverweigerung zu lesen. Als zu Beginn der 1990er-Jahre der Jugoslawienkrieg ausbrach, meldete sich Jurica freiwillig zum Kriegsdienst. In den Augen vieler Kroaten machte ihn diese Bereitschaft zum Helden. Wie viele andere Freiwillige sah er seinen Einsatz nicht nur als nationale Pflicht, sondern geradezu als religiöse Berufung an. Nach Kriegsende teilte er das Schicksal vieler branitelji („Verteidiger des Vaterlandes“). In jungen Jahren waren sie ohne Schulabschluss oder Berufsausbildung in die Armee eingetreten. Nach 1995 waren sie arbeitslos oder verdingten sich als ungelernte Hilfs- oder Landarbeiter. Als Jurica im Alter von 30 Jahren starb, machte ihn seine Mutter zum Märtyrer. In einer Ecke ihres Wohnzimmers befinden sich Fotos von Jurica, ein Rosenkranz, Kerzen und Blumen. Die Szenerie erinnert an einen Hausaltar. An der gegenüberliegenden Wand hängt ein Bild von General Ante Gotovina52, der als Nationalheld verehrt wird. 51 Perica (wie Anm. 5), 114 f. 52 Ante Gotovina, ehemaliger Befehlshaber der kroatischen Armee, steht emblematisch für die Befreiung Kroatiens und die Verweigerung, Verantwortung für die im „Vaterlandskrieg“ begangenen Kriegsver-



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Die Vermischung von Familien- und Landesgeschichte verdeutlicht die Konvergenz von nationalistischen Diskursen, Marienverehrung und persönlichem Gedenken. Heute müssen die Bewohner Galas und des dalmatinischen Hinterlandes wegen ihrer religiösen, moralischen oder politischen Überzeugungen keine Repressalien mehr befürchten. Ihre Angst gilt nunmehr der drohenden Prekarisierung, Arbeitslosigkeit, allgemein einer unsicheren Zukunft. Nur wenige glauben, dass der EU-Beitritt Kroatiens zu persönlichem Wohlstand führen wird. Konservative politische Strömungen, die mithilfe religiös inspirierter Vorstellungen von Moral die traditionelle christliche Familie als Wert an sich und als Grundlage gemeinschaftlicher wie individueller Stabilität in der Region etablieren wollen, gewinnen zunehmend an Einfluss.

Das Wiederaufleben lokaler Heiligen- und Marienverehrung in Dalmatien Warum konnten Gala und Sinj nie zu international anerkannten Wallfahrtsorten von der Größe und Bedeutung Međugorjes werden? Auf den ersten Blick ähneln sich die drei Orte: Sowohl Gala als auch Sinj liegen wie Međugorje in einer bergigen, extrem unwirtlichen Gegend. Ein Großteil der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft, Nutztierhaltung und saisonaler Wanderviehwirtschaft. In den 1960er-Jahren wanderte aufgrund materieller Armut ein prozentual hoher Anteil der männlichen Bevölkerung (temporär) nach Westeuropa aus, um sich als Gastarbeiter zu verdingen. Die meisten von ihnen gingen in die BRD. Zudem waren sowohl die Region um Sinj als auch Međugorje Ustaša-Hochburgen. In ihrer unmittelbaren Nachbarschaft fanden während des Zweiten Weltkrieges grausame Massaker statt. Darüber hinaus sind die Franziskaner bei der lokalen Bevölkerung überaus beliebt, weil sie politisch eine deutlich patriotische Stellung beziehen. Dass Gala und Sinj als Wallfahrtsorte nie so populär wurden wie Međugorje, legt die Vermutung nahe, dass die Erscheinungen in den beiden Dörfern lediglich als Nachahmungsphänomen der früheren Erscheinungen in der Herzegowina wahrgenommen wurden. In den Augen der Franziskaner ist das Heiligtum der Gospa Sinjska dadurch, dass es nie kommerziell vermarktet wurde, ein unprätentiöser Ort alltäglicher Verehrung geblieben und damit ein authentischerer und „reinerer“ Ort der Marienverehrung. Als zwar lokal verankerter Marienkult hat sich das Heiligtum der Gospa Sinjska aber dennoch zu einem Wallfahrtsort von überregionaler Bedeutung entwickelt: Jährlich kommen über eine halbe Million Pilger nach Sinj, die überwiegende Mehrheit zu Mariä Himmelfahrt (Velika Gospa) am 15. August. Im Gegensatz zu Međugorje ist diese Pilgerfahrt jedoch viel stärker lokal geprägt und an die spezifische Historie des Bildes der Gospa Sinjska und damit auch an die Narrative von Kriegs- und Gewalterfahrung in der Region geknüpft. brechen zu übernehmen. 2001 erhob der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag Anklage gegen ihn wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Gotovina wurde verhaftet, es kam zum Prozess und zur Verurteilung. Er legte Berufung ein. Der Schuldspruch wurde schließlich aufgehoben und Gotovina kam 2012 frei.

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Der Marienaltar in Gala ist ebenfalls regional gebunden, aber anders als in Sinj ist die Verehrung der Gottesmutter nicht direkt an ein historisches Ereignis oder eine politische Botschaft geknüpft. Die Tatsache, dass die Marienstatue in Italien angefertigt wurde und keinerlei Ähnlichkeit mit dem Bildnis der Gospa Sinjska aufweist, koppelt die Erscheinungen in Gala aus dem Jahr 1983 von der populären Mythologie um die legendäre Schlacht gegen die Osmanen im Jahr 1715 ab. Das könnte ein weiterer Grund dafür sein, weshalb die katholische Kirche und die Franziskaner aus Sinj die Erscheinungen in Gala ignorieren. Die Erscheinungen und Wundererzählungen von Međugorje sind dagegen im Verlauf der letzten Jahrzehnte stark kommerzialisiert worden und haben massenhaft internationale Besucher angezogen, die keinerlei persönlichen Bezug zur Geschichte und den politischen Verstrickungen in der kroatisch-bosnischen Grenzregion haben. Heute hat der Wallfahrtsort Međugorje zwar noch immer einen immensen Einfluss auf die ökonomische Entwicklung in der Herzegowina, aber der ursprüngliche politische Impetus des Phänomens der Marienerscheinungen ist sukzessive zurückgegangen. Im Gegensatz dazu haben die jährliche Wallfahrt, aber auch die tägliche Verehrung der Gospa Sinjska ihre Bedeutung als Ausdruck der Erinnerung an die „göttliche Auserwähltheit“ und den tapferen Widerstand des kroatischen Volkes gegen Unterdrückung und Fremdherrschaft, die bis in die Zeiten der osmanischen Invasion zurückreicht, beibehalten und sich nach meiner Einschätzung sogar noch verstärkt. Der Religionshistoriker William A. Christian vermutet, dass der langfristige Rückgang von Wallfahrten zu regionalen und lokalen Heiligen in der Nachreformationszeit mit einem Wandel territorialer Verwurzelung und einer rückläufigen Verbundenheit mit sozio-geografischen Regionen, die mit bestimmten Heiligen in Verbindung gebracht werden, zusammenhängt. Zunehmende Mobilität und die Massenmedien, so seine Annahme, würden bestehende Grenzen abbauen und kleine (katholische) Gemeinschaften in engeren Kontakt mit der Außenwelt bringen.53 Aber im Gegensatz zu William Christians Prognose haben im ehemaligen Jugoslawien die gewaltsamen territorialen Auseinandersetzungen, die mit dem Zusammenbruch des multi-ethnischen Staates einhergingen, die Verbundenheit von Menschen mit Orten, die mit „Heimat“ oder „geheiligter Erde“ assoziiert werden, eher bestärkt als verringert. Seit Anfang der 1980er-Jahre erfahren regionale Heiligenkulte und, im Fall katholischer Regionen, lokale Marienkulte einen erheblichen Aufschwung. Vor allem auf dem Balkan, wo die Marienverehrung zu einem Symbol für den Konflikt zwischen offizieller Kirchendoktrin und Volksglauben, zwischen Tradition und Moderne sowie zwischen dem Lokalen und dem Globalen geworden ist, hat sich der von Christian vorhergesagte Bedeutungsschwund lokaler Heiligenstätten und kleinerer Wallfahrtsorte als unzutreffend erwiesen. Marienheiligtümer und Kultbilder sind Ressourcen, anhand derer lokal verankerte Normen und Wertesysteme gegenwärtig neu ausgehandelt und aufgeladen werden. 53 Christian, Person and God (wie Anm. 32), 36–41; vgl. hierzu auch Turner, Edith/Turner, Victor: Images and Pilgrimage in Christian Culture. New York 1978.



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Ich bin davon überzeugt, dass mit der wachsenden Bedeutung von Regionen im Kontext der voranschreitenden Europäisierung und Globalisierung regionale religiöse Kulte in Zukunft an Wert gewinnen und noch stärker als bisher politisiert werden. Im Fall Kroatiens und vor allem der Region Dalmatien bedeutet dies, dass die Marienfigur nicht länger als selbsternannte „Friedenskönigin“ gebraucht wird, noch als Handlangerin nationalistischer Demagogen im Kampf gegen ethno-religiöse und/oder politische Alterität instrumentalisiert werden kann. Stattdessen wird der Marienfigur im Zuge der Europäisierung gegenwärtig eine neue Bedeutung als Schutzpatronin der Region bzw. als Bewahrerin von Heimat zugewiesen. Marienverehrung und Volksreligiosität liefern im dalmatinischen Hinterland wie auch anderswo Ausdrucksformen, mit deren Hilfe ein wachsendes Regionalbewusstsein als wertvolles Kapital im Widerstand gegen supra-regionale politische und ökonomische Einflussnahme generiert und eingesetzt werden kann.

Th e V i rg i n M arys of Tra nsca rpa thia Marian pilgrimage sites in present-day struggles over ecclesiastical and national identity in the Greek Catholic Eparchy of Mukachevo

Agnieszka Halemba “Today, when we thank God that we have had this miraculous icon in our eparchy for eighty-five years, I want to express a wish that in fifteen years, when we celebrate the one-hundred year anniversary of this icon, there will be a monastery and a church here. Although we are not at the top of the mountain but rather at its foot, [I hope] that this will become a place of prayer to which our people can come with the same joy as when they visited Chernecha Hora, which we regrettably could not get back. [I hope] that this will be a place of reconciliation for all peoples and nations that live in this land, that everyone will feel the presence of Our Mother, who does not discriminate amongst her children, who loves all her children, and that people will come with joy to her. She travelled through many lands: we do not know her route before her arrival in Rome, but we do know that she came to Uzhhorod from Rome through Austria, and from there she was moved from the cathedral to the Basilian monastery, then to Mukachevo to our cathedral, and then again with a procession to the Basilian monastery on Chernecha Hora. It was our good shepherd at that time, Bishop Petro Hebey, who asked the Holy Father to help with establishing such a shrine on the territory of our eparchy, because our main shrine – Mariapócs – was left on the other side of the border. Oh God, help this shrine to become a place that will equal Mariapócs in prayer, piety, spirituality and openness to all.”

This quote comes from a benediction speech that the current head of the Mukachevo Greek Catholic Eparchy, Bishop Milan Sašik, delivered on 16 July 2011, the day of the feast of the Mukachevo icon of the Blessed Virgin Mother of God. The celebrations took place on the outskirts of Mukachevo, in front of a temporary Basilian monastery that stands where a new monastery has been under construction since 2009. This place is being built as a “site of identification”, to paraphrase Pierre Nora’s classic expression “site of memory” (lieu de mémoire).1 I choose here to use this term instead of taking Nora’s original formulation to underline the specific identity promoted through the Mukachevo Virgin Mary, and to contrast it with two other icons of the Virgin Mary that are important symbols of identity for people living in the Ukrainian Transcarpathia: the Virgin Mary of Zarvanitsia and the Virgin Mary of Mariapócs. In this chapter I show how these three icons and the pilgrimage sites devoted to them are perceived as tools for constructing different types of identity. These identities do not necessarily have to be understood in national terms, and the extent to which they uti1 Nora, Pierre: Between Memory and History: Les Lieux de Mémoire. In: Representations 26 (1989), 7−24.



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lise the past to create the present varies. Moreover, to take on the distinction between milieux de mémoire and lieux de mémoire as understood by Nora, only one of these three sites – Mariapócs − can be seen as an “environment” (milieu) of memory. For centuries Mariapócs has been a place of pilgrimage and devotion for Greek Catholic inhabitants of Transcarpathia. It is alive with stories of pilgrimages, miracles and devotion that are recounted within families and among neighbours. At present, however, Mariapócs is construed as a site of memory associated with a particular identity that is not as open and welcoming to all as the bishop suggested in his speech. In contrast, Zarvanitsia and Mukachevo are relatively new sites of potential identification for contemporary Transcarpathia. In two recent articles I argued that the Virgin Mary herself can be seen as a transnational figure.2 While she has been repeatedly mobilised by various national ideologies, she is at the same time the Mother of God, a symbol of love and openness that can potentially transcend national boundaries. Moreover, she can support various types of identities, not only national. In the case of contemporary Transcarpathia, the three identities she is used to endorse are not easy to discern and describe. My aim in this chapter is to use the images of the Virgin Mary to think through types of identification that are currently politically salient and available to the Greek Catholic inhabitants of Transcarpathia.

Transcarpathia and the Eparchy of Mukachevo Transcarpathia is located in south-western Ukraine and borders Poland, Slovakia, Hungary and Romania. Within Ukraine, it borders the Ivano-Frankivs’k and L’viv oblasts (regions), which are commonly considered to be among the strongholds of Ukrainian nationalism. In the 2004 presidential elections, Victor Yushchenko received more than 90 per cent of the votes in these regions, while in Transcarpathia he received only 67 per cent.3 As Kimitaka Matsuzato writes about the workings of the Transcarpathian party system: “Just across the mountains from Lviv oblast there is a very different political culture”.4 Like many other researchers and inhabitants of Transcarpathia, he underlines the multinational character of Transcarpathia and the spirit of mutual tolerance that is often sharply contrasted with the more nationalistic atmosphere of Galicia. Such a vision of Transcarpathia as a land of peaceful coexistence of nations with a relatively low level of overt Ukrainian nationalism is not simply a modern perception, but reaches far back in history. For example, Keith Darden 2 Halemba, Agnieszka: From Dzublyk to Medjugorje: The Virgin Mary as a Transnational Figure. Transnationalism and the Nation-state. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 57 (2008) 3, 329−345; Eadem: National, Transnational or Cosmopolitan Heroine? Virgin Mary’s Apparitions in Contemporary Europe. In: Ethnic and Racial Studies 34 (2011) 3, 454−470. 3 In the valid second round. Source: http://www.skrobach.com/ukrel04sa.htm (30. 05. 2013). 4 Matsuzato, Kimitaka: Elites and the Party System of Zakarpattya Oblast’: Relations among Levels of Party Systems in Ukraine. In: Europe-Asia Studies 54 (2002) 8, 1267−1299, here 1273.

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interprets the different levels of support for the Ukrainian Insurgent Army in Transcarpathia and in the Ivano-Frankivsk (former Stanislaviv) region in terms of different national policies in the two parts of the Austro-Hungarian Empire to which the two regions belonged – Transcarpathia belonged to Hungary, while Ivano-Frankivs’k was part of Austria.5 In Hungary the focus of nationality policies was on the assimilation (magyarisation) of the elites, including the elites of the Greek Catholic Church, while most of the population remained uneducated.6 In Galicia, the focus was on management through differentiation − the Austrian government supported Ukrainian national identity as a counterbalance to Polish, and also to Russian, influences. As Keith Darden observed, “In sum, the notion of an ancient and distinct Ukrainian nation, with its own racial, linguistic, and historical heritage, was brought together in a new constitutive story in the late nineteenth century in Galicia, and therefore only in Stanislaviv and not Transcarpathia”.7 However, as Taras Kuzio writes in his review article of works concerning the Rusyn question in Ukraine,8 there is too little research conducted by scholars who are not involved in nation-building efforts to make any definitive conclusions concerning the national or ethnic identity of Transcarpathian inhabitants. In his opinion, Soviet nationality policies may have successfully transformed local Slavic-speaking inhabitants into conscious Ukrainians in the same manner that Austrian policies did in the nineteenth century in Galicia (although some political activists have redefined themselves as Rusyn since 1991).9 I agree with Kuzio that nowadays both the fear of Rusyn identity claims and the scope of the Rusyn movements themselves are exaggerated by Ukrainian writers. My impressions, based on my own ethnographic fieldwork, are in accord with Kuzio’s claim that “people on the ground do not see the need to make hard decisions as to whether they are Rusyns, Ukrainians or both”.10 Nevertheless, discussions concerning the Rusyns and their relationship to the Ukrainian nation and the Ukrainian state are very much present in the Transcarpathian public arena, instigated mainly by intellectual elites including, as was often the case in the past, religious figures. Therefore, in Transcarpathia one encounters tensions that are expressed in ethnic terms, although the region is obviously far from being a site of explosive conflicts. Competition over collective memory persists in Transcarpathia, and can be seen in such acts as erecting monuments, naming streets, and even in such basic practices as time accounting – while some people have their watches set to Central European time, others prefer to 5 Darden, Keith: Resisting Occupation: Lessons from a Natural Experiment in Carpathian Ukraine. In: http://keithdarden.files.wordpress.com/2009/11/darden-natural-experiment.pdf 2009 (31. 05. 2013). 6 Ibid., 16. 7 Ibid., 19. 8 The terms Rusyn and Ruthenian are used interchangeably in the literature. For the sake of consistency I use Rusyn throughout this text, unless it appears as a part of the English-language name of an organisation (e. g. Ruthenian Catholic Church). 9 Kuzio, Taras: The Rusyn Question in Ukraine: Sorting out Fact from Fiction. In: Canadian Review of Studies in Nationalism 32 (2005), 1–15. 10 Ibid., 9.



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count the passage of time along with Kyiv (one hour ahead). Even if such mundane decisions are made by each individual without any particular emphasis on political agendas and ambitions, they are interpreted by national activists as indications of the complexities of identifications in Transcarpathia: is it a Ukrainian, a Central European, a Rusyn or simply a multi-ethnic, specifically Carpathian region? Divergent identities and attachments are promoted for a variety of reasons by various actors, among which religious organisations are prominent. Struggles over identity are also clearly visible within the contemporary Greek Catholic Church in Transcarpathia. The Greek Catholic Eparchy of Mukachevo, whose borders coincide with the borders of the Transcarpathian administrative region (Zakarpat’ska Oblast), is at present a sui iuris administrative unit of the Catholic Church. It is directly supervised by the Vatican, and has no formal relationship with the Ukrainian Greek Catholic seat in Kyiv. This eparchy has a complex history, which is a real challenge for its contemporary managers. Until the early nineteenth century, the Greek Catholic Eparchy of Mukachevo included more than 800 parishes in the Hungarian Kingdom, covering territories that now belong to Ukraine, Romania, Hungary and Slovakia.11 It became significantly smaller in 1818 with the establishment of the separate Eparchy of Prešov, to which 192 parishes were transferred.12 Further parishes were reassigned five years later to the Greek Catholic Eparchy of Oradea/Nagyvárad. Another 94 parishes were transferred in 1853 to the Eparchy of Gherla/Szamosújvár, and finally in 1912, when the Eparchy of Hajdúdorog was created, it received 68 parishes from the south-western part of the Mukachevo Eparchy. Thus by the outbreak of World War I the Eparchy of Mukachevo was basically limited to the territory of present-day Transcarpathian Ukraine and a sliver in what is now eastern Slovakia. Still, even then, the territory remaining under the jurisdiction of the bishops of Mukachevo covered a significantly larger part of Eastern and Central Europe than it does today. After the inclusion of Transcarpathia in Soviet Ukraine, the Greek Catholic Church was de-legalised, and the Greek Catholic Eparchy of Mukachevo formally ceased to exist. Its property was either handed over to the Orthodox Church or confiscated by the state. Since re-legalisation in 1989 its territory has been confined to the Transcarpathian Ukraine. The Slovakian part of the pre-1949 Eparchy of Mukachevo was incorporated into the Eparchy of Prešov (after re-legalisation of the Greek Catholic Church in Czechoslovakia in 1968), and in 1997 a separate Exarchate of Košice was created. In 2008 it was transformed into the Eparchy of Košice. The Web site of this eparchy states that “through the establishment of the Greek-Catholic Apostolic Exarchate with a seat in Košice, a special ecclesiasti-

11 Magocsi, Paul Robert/Pop, Ivan Ivanovich: Encyclopedia of Rusyn History and Culture. Toronto 2002, 141. 12 Pekar, Atanazyi: Narisi Istorii Zakarpattya [Outline of the History of Transcarpathia]. Rome-Lviv 1997.

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cal-legal situation was created that corresponds in its basic features to the distinctive position of Zemplin and Abov in the history of the Mukachevo Bishopric”.13 The Eparchy of Mukachevo was re-established in 1989 with 209 parishes, significantly fewer than the 289 it had immediately prior to its liquidation.14 At that time, the administrative status of the eparchy was a subject of fierce debate within the Church. Several options were discussed and considered, but two positions dominated.15 Their respective supporters have continued to discuss them up to the present time, long after the Vatican made its decision. The sui iuris option, with Ivan Semedii, the future head of the eparchy, as its most prominent advocate, presented the Mukachevo Eparchy as historically separate from mainland Ukraine and never in union with the eparchies of Galicia, but rather as having historical linkages with the Prešov and Hajdúdorog eparchies. Proponents of this option refer to the multi-ethnic character of this territory and, since the beginning of the 1990s, have also invoked the Rusyn identity of Transcarpathian Slavic-speaking inhabitants. Significant idiosyncrasies of liturgical practice have been also underlined.16 This faction promoted a separate church administration for Transcarpathia under the direct jurisdiction of Rome, a solution presented as a historical continuation of the status the eparchy had before its de-legalisation in 1949. However, some historians claim that attempts to unite Transcarpathia administratively with the other side of the Carpathian Mountains were repeated throughout the nineteenth century.17 The other present-day position is seen as a continuation of those long-standing aspirations to unite. Followers of this position, with the late bishop Ivan Marhitych as the main leader, argued for the pan-Ukrainian unity of the Greek Catholic Church, with one main seat in L’viv or Kyiv. According to this position, Transcarpathia is an integral part of Ukraine, inhabited by Ukrainians or Rusyn-Ukrainians who proved their Ukrainian national identification at the time of the establishment of Carpatho-Ukraine in 1939.18 Although the Ukrainian-unity option has lost its battle over the Mukachevo Eparchy, which today has sui iuris status, support for the option advocating the administrative unity of the Ukrainian Greek Catholic Church remains strong, especially among those priests who co-operated with or were educated during Communist times by the underground bishop Ivan Marhitych. In the 1980s he conducted underground preparation courses for priests in his native village of Borzhavske (Chinhava), and some of his students are still practising priests. In March 2011 the Ivan Marhitych Greek Cath13 http://www.grkatke.sk/clanok.aspx?idez=24 (30. 05. 2013). 14 Magocsi/Pop (cf. n. 11), 143. 15 Fenich, Volodimir’: Etnonatsional’na identichnist’ hreko-katolikiv Mukachivskoi eparkhii [Ethno-social Identity of the Greek Catholics in the Eparchy of Mukachevo]. In: Carpatica 31 (2004), 38−62, here 57. 16 Sabov, Yurii: Pro Stasus Pidporiadkuvannia Mukachivskoi Hreko-Katolic’koi Eparkhii [On the Subjugation of the Mukachevo Greek Catholic Eparchy]. Uzhhorod 1994. 17 Pekar (cf. n. 12). 18 Marhitych, Ivan: Jednist‘ viri i narodu [Unity of Faith and People]. Tovatistvo Khrest 1991.



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olic Association (Hreko-Katolits’ka Spilka imeni Ivana Marhitycha) was established in Uzhhorod. Among other aims, such as making Ukrainian the liturgical language, the association aims to promote “the inclusion of the Mukachevo Eparchy in the unified Ukrainian Greek Catholic Church, with the goal of reinstating it as a Ukrainian Greek-Catholic Patriarchate”.19

The Three Virgin Marys of Transcarpathia This ongoing debate over the administrative belonging of the Mukachevo Eparchy makes management of identity politics a difficult issue. Moreover, as Bishop Milan Sašik said in a conversation with me in August 2006, the building of a common identity for the eparchy is difficult because pilgrimage sites that in the past used to offer a common space for Greek Catholic believers are no longer available: “Unfortunately, we do not really have a pilgrimage site, as we lost all our pilgrimage places: Klokočov, Mariapócs, the cloister at Chernecha Hora. The first one is in Slovakia, the second one in Hungary and the cloister is now Orthodox. Nowadays many people go to Maly Berezny, especially for the Pentacost. They organise youth meetings there. […] In Boroniava there are also a lot of people. Deans are beginning to understand this need and want every deanery to have its own pilgrimage site. Still, this is not so easy; one has to build it.”

My conversations with Bishop Sašik, as well as with many priests from the Eparchy of Mukachevo, show that they perceive pilgrimage to be a very important part of religious life. It is a time both for strengthening people’s faith and establishing their identification with the Church as an organisation and with one another as a religious community. In this context what is important is not only the journey to a sacred place, during which people experience communion with fellow believers, but also the characteristics of the pilgrimage site itself. There are places to which pilgrimages are organised either by lay believers or by clergy, but which do not receive the full support of bishops and other priests, as is the case with new sites involving recent apparitions of the Virgin Mary. In the case of new pilgrimage sites, such disapproval can be expressed in an overt manner. There are also cases in which one well-established and fully recognised pilgrimage site is frequented and supported by one particular group within the Church, while other groups tend to organise pilgrimages elsewhere. In such cases attitudes and priorities are expressed in subtle ways because, after all, all of the sites in question are recognised and blessed by the official Church. Obviously, such situations are not restricted to Transcarpathia. In their classic work on pilgrimage, Edith and Victor Turner describe a symbolic opposition between Our Lady of Guadalupe and Our Lady of Remedies in Mexico. In brief, while the Virgin of Guadalupe was invested with indigenous symbols and a vision of Mexico as an 19 http://risu.org.ua/ua/index/all_news/catholics/ugcc/41000/ (08. 06. 2013).

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independent country and culture different from that of the Spanish conquistadors, the Virgin Mary of Remedies was considered a “saddle Virgin”, carried on the saddle of one of Cortez’s soldiers, and therefore a Spanish Virgin Mary. At the same time, however, the Turners write that politicisation of both cults was long criticised by Catholic spokesmen who “have regarded such polarization as a deviation from the Church’s universal teaching on the devotion to the Virgin”.20 They go on to explore how the images of those Virgin Marys became personifications of opposing political interests and even conflicting ethnicities, but how at the same time such divided associations of the Virgin were a source of embarrassment for Church authorities. After all, the Virgin Mary, as a celestial mother, should unite, not divide. Still, the power of symbols lies in their multivocality, and, to use Victor Turner’s own vocabulary, the Virgin Mary, through her associations with motherhood, peace, care and love, brings about a strong sensory (orectic) pole of meaning that can make people accept the ideologies promoted through her images, but can also transcend them.21 For Transcarpathian clergy the importance and power of pilgrimage is undoubted. Greek Catholic believers continue to go on pilgrimages: they travel to neighbouring villages for the feasts of patron saints; they go to Basilian monasteries for indulgence days; the more active, resourceful and affluent ones travel abroad. However, what is missing according to the head of the eparchy is the Transcarpathian pilgrimage site, a site with which people would identify and say, “This is our place; this is our Virgin Mary”. To further complicate matters, there are two places situated outside the boundaries of the Mukachevo Eparchy that play a role in the struggles over the political belonging and identity of the eparchy. They have both been built around images of the Virgin Mary. The first one is Mariapócs, located in Hungary, which is a focal point for those who see Transcarpathia as historically more attached to Budapest and Vienna than to Kyiv or L’viv. The second one is Zarvanitsia, located on the other side of the Carpathian Mountains in Ukrainian Galicia, which is a focus for those who would like to see the Mukachevo Eparchy united with the Ukrainian Greek Catholic Church. On 16 July 2011, however, Bishop Sašik gave the benediction speech quoted at the beginning of this chapter at a new site on the outskirts of Mukachevo that is being built around yet a third icon of the Virgin Mary. As he said, he hoped that this would become a place that unites all the people of the eparchy regardless of nationality. Below I present the three Virgin Marys of Transcarpathia, all of which have something interesting to tell us about the identity of the people living in this region.

20 Turner, Victor/Turner, Edith: Image and Pilgrimage in Christian Culture. New York 1978, 63. 21 Turner, Victor: The Forest of Symbols. Aspects of Ndembu Ritual. Ithaca-London 1967; see Halemba (cf. n. 2).



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The Virgin Mary of Mariapócs Mariapócs is a small village in Hungary that hosts a Basilian monastery. The monastery was constructed between 1749 and 1756, when the so-called Mariapócs Weeping Icon of the Virgin Mary was already a well-known pilgrimage destination. The icon itself was probably painted in 1676 by Stefan Pap, the brother of a local Greek Catholic priest, and placed in a wooden church in the village of Pócs. The icon is a simple tempera painting of the Virgin Mary with the baby Jesus, of the Byzantine Hodegetria type. In November 1696 the icon shed tears, at first for three consecutive days and then again on several occasions until 8 December of the same year.22 As at that time the legal situation of the Mukachevo Greek Catholic Eparchy was not yet clarified, the investigation of the miracle was undertaken by the Roman Catholic bishopric of Eger. Thirty-six witnesses were questioned, the icon itself inspected, and in January 1697 auxiliary bishop Andreas Pettes declared the miracle legitimate.23 Earl Corbelli, the general of Austrian troops stationed in this region, saw the miracle himself and informed Emperor Leopold I. The emperor ordered the icon to be brought to Vienna where, after a short period of peregrination through various churches, it was placed in St. Stephen’s Cathedral, where it can still be seen today (fig. 1). Many miracles were attributed to the icon, including private healings and important political events such as the defeat of Ottoman troops by the Habsburg army in the Battle of Zenta in September 1697.24 Over the years many copies of the original Pócs icon have been made. Most importantly, in 1707 a copy was deposited in the village church in Pócs (called Mariapócs after the miracle), where the initial miracle took place. This copy also shed tears in 1715 and in 1905, this last miracle being examined by the Greek Catholic bishop of Mukachevo. The miraculous Mariapócs copy is the most famous of the many replicas placed in various churches in Europe and beyond. In the Austro-Hungarian Empire Mariapócs grew to become one of the largest Greek Catholic pilgrimage sites in Europe.25 In 1946 Pope Pius XII declared the church in Mariapócs a basilica minor. At the time of the first miracles, Pócs was a village inhabited by Slavic-speaking people. However, the region was multi-ethnic and, according to many authors, the Greek Catholic Church was used as an instrument of magyarisation, which subsequently influenced the self-identification of the inhabitants of Pócs.26 David Zimmer describes the fate of one copy of the Mariapócs icon that is located in Siebeneich, Swit22 Hochradner, Thomas: Zur Musikpflege am Altar Mária Pócs (Maria Pötsch) in St. Stephan in Wien. In: Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 41 (2000) 1−3, 133−175, here 136. 23 Méhes, I. von: Die wiederholten Tränenwunder von Mária-Pócs, Ungarn. In: Das Zeichen Mariens 24 (1990 [1961]) 6−7, 7550−7553, 7556 (http://daszeichenmariens.blogspot.de/2007/02/die-wiederholten-trnenwunder-von-mria.html [10. 10. 2013]). 24 Ibid. 25 Zimmer, David: Máriapócs in Ostungarn, Maria-Pötsch in Siebeneich in der Schweiz. „Original“ und „Kopie“ einer Wallfahrt. In: Acta Ethnographica Hungarica 50 (2005) 1, 107−117. 26 Ibid.

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Fig. 1  Virgin Mary of Mariapócs in St Stephen’s Cathedral in Vienna.

zerland. In 1722 it was placed in a newly built chapel, which then became a pilgrimage site. After large numbers of Hungarians were accepted as refugees to Switzerland in the 1950s, the chapel in Siebeneich became a sort of national pilgrimage site for them. The mass was celebrated in Hungarian and ended with a communal singing of the Hungarian national anthem. Zimmer concludes: “In the meantime Siebeneich became for Swiss Hungarians a real ‘site of memory’, and it is beyond doubt that the pilgrimage to Siebeneich strengthens their identity as a minority living in Switzerland.”27 In terms of group identification, then, the Virgin Mary of Mariapócs has bolstered both Rusyn and Hungarian identities. Mikhailo Prijmich writes in the official journal of the Eparchy of Mukachevo that the Mariapócs icon was “the most known and most

27 Ibid., 114.



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revered icon in the Mukachevo Eparchy”.28 He continues: “From the most remote places of the Carpathians people were coming to her, bearing witness to their faith and love for their rite, which was one of the most important factors in their self-identification.”29 However, after 1918 and the inclusion of Transcarpathia into Czechoslovakia, this most popular icon wound up on the other side of the Hungarian-Czechoslovakian border, making travel to Mariapócs from Transcarpathia difficult. As we can see from David Zimmer’s contribution, the Mariapócs icon has been readily adopted as a Hungarian national symbol. At the same time, the transnational Rusyn organisations and movements use the image of the Mariapócs icon as a symbol of Rusyn Greek Catholic devotion. For example, the Web site Carpatho-Rusyn Knowledge Base30 claims that “among Carpatho-Rusyn Christians, the Weeping Icon of Marijapovch31 is revered because it stands for believers as a witness to the protection and intercession of the Most Holy Mother of God. The icon itself comes from and expresses the life of the Church in Eastern Europe.”

Moreover, during my 2007 survey of Catholic parishes of Byzantine Rite in Pennsylvania (USA), I saw copies of the Virgin Mary of Mariapócs in Ruthenian Greek Catholic Churches, but not in Ukrainian ones. In his diploma thesis on the cult of the Virgin Mary in the Eparchy of Mukachevo, Vladislav Ignatishin treats the initial miracle in Mariapócs as a political event: “The Mother of God’s ‘intervention’ in the history of the Mukachevo Greek Catholic Eparchy through a miracle in Pócs prompted the Latin clergy to accept the united Church. The Mother of God chose the Eastern Church and through this showed her support and care. This was real backing.”32

Ignatishin interprets the miracle as support for the Greek Catholic Church after the union of Uzhhorod,33 at a time when neither a union with Rome nor the status of the Eparchy of Mukachevo was yet firmly established. 28 Prijmich, Mikhailo: Ikona Mukachivskoi Bogorodici [Icon of the Mukachevo Mother of God]. In: Blahovisnik 192 (2008) 6, 12 f. A shorter version of the same article is published on the eparchial Web site as part of the narrative concerning the Icon of the Mukachevo Blessed Virgin Mother of God: http://www.mgce.uz.ua/post.php?id=129 (08. 06. 2013). 29 Ibid., 12. 30 http://www.carpatho-rusyn.org (03. 05. 2013). 31 This spelling reflects the pronunciation typical of the Slavic-speaking population of the region. 32 Ignatishin, Vladislav: Kult’ Marii v mukachivskii greko-katolickii eparchii. Istoria ta rozvitok [Cult of Mary in the Mukachevo Greek Catholic Eparchy. History and development]. Diploma thesis, Uzhhorod 2000. 33 The Greek Catholic Church in Eastern Europe was established as a result of several union agreements between the Vatican and a number of local Orthodox priests and bishops in the sixteenth and seventeenth centuries. While the contemporary Ukrainian Greek Catholic Church traces its history back to the 1596 Union of Brest, the Greek Catholic Eparchy of Mukachevo and the Ruthenian Byzantine Catholic Church trace their origins to the 1646 Union of Uzhhorod.

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I visited Mariapócs with a Greek Catholic priest from Uzhhorod and his wife in May 2007. This priest, who identified himself as a Rusyn, had earlier introduced me to some important Rusyn activists in Uzhhorod and insisted that we should visit Mariapócs because it is an important Rusyn pilgrimage site. As far as I could tell during our short trip, the site is dominated by Hungarian-language materials, with most of the publications (as well as the Web site) available only in Hungarian. Nevertheless, this was not a problem for my companions, even though they did not speak Hungarian. While for some Rusyn activists in contemporary Transcarpathia the past policy of magyarisation is remembered as a painful moment in Rusyn history,34 for some of the clergy in the present-day Eparchy of Mukachevo Rusyn and Hungarian identifications often seem to go hand in hand, united against the pro-Ukrainian option. The pro-Ukrainian priests in the eparchy use the names rusin and madjaron (which is a pejorative term for a person of pro-Hungarian orientation) almost interchangeably. It is significant that the priest I travelled with was a student and admirer of Elemir Ortutai, a priest and doctor of theology from Uzhhorod who trained in Czechoslovakian and Hungarian seminaries before World War II. After returning from exile in 1956 he devoted himself to preparing a new generation of priests, educating them in an underground seminary in his private flat.35 After re-legalisation of the Greek Catholic Church, he received many honours for his work, not only in the Ukraine, but also in Hungary.36 My impression is that those priests who studied in Ortutai’s underground seminary generally supported the sui iuris option for the future of the eparchy, while those who studied under Ivan Marhitych supported the Ukrainian-unity option. Just before Hungary’s inclusion in the Schengen zone, when Transcarpathia’s international border-crossing points were being rebuilt, I discussed the question of pilgrimage with another priest who identified himself as Rusyn. I asked if he thought that now, when travel to Hungary would become more difficult, people would perhaps go more often to Zarvanitsia, a major pilgrimage site in Galicia that is promoted by pro-Ukrainian Transcarpathian priests. He answered that of course people would go where they were allowed to go. It seems to me that the increasing difficulty of crossing the Ukraine-EU border may influence patterns of identification for Transcarpathia, in part by forcing changes in pilgrimage routes. My interviews with Greek Catholic priests in Transcarpathia show that many of those who nowadays identify themselves as Rusyns-not-Ukrainians (a Rusyn-and-Ukrainian identification is also present) are those who feel that their personal networks and attachments lead towards Budapest and Vienna rather than L’viv and Kyiv, although this does not necessarily entail political aspirations. Their Rusyn identity is often not based on a feeling of belonging to a specific ethnos whose history can be traced back centuries and which is essentially 34 Kościesza, Katarzyna: Tożsamość narodowa na pograniczu – Zakarpaccy Rusini [National Identity in a Borderland]. MA thesis, University of Warsaw 2010, 24. 35 Bendas, Danil: Sviashchenniki-muchenniki, ispovidniki virnosti [Priests-martyrs, Votaries of Faithfulness]. Zakarpattia Uzhhorod 1999. 36 http://www.mgce.uz.ua/post.php?id=757 http://www.mgce.uz.ua/post.php?id=757 (29. 05. 2013).



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different from its Romanian, Ukrainian or Hungarian counterparts. Rather, they see Rusyn identity as a statement underlining their belonging to Central rather than Eastern Europe. The icon of the Virgin Mary of Mariapócs is an object of worship among Catholics as well, and therefore devotion to her is rarely directly challenged. As Ewa Klekot writes in her study on aesthetic appraisals of various images of the Virgin Mary in Poland, one cannot really say that one does not like this or that image of the Virgin Mary or that a particular image is “ugly”.37 One cannot explicitly reject an image of the Virgin Mary because, as Klekot writes (quoting David Freedberg), people tend to conflate the depicted with the depiction, so a negative comment on an image of the Virgin Mary could be read as a comment concerning the Virgin Mary herself. Nevertheless, I have heard more than once that the Mariapócs icon is a “Rusyn Virgin Mary” from people who did not mean it as praise.

The Virgin Mary of Zarvanitsia If there is a Virgin Mary recognised in Transcarpathia as Rusyn, there is also one recognised as Ukrainian – the Virgin Mary of Zarvanitsia. A leaflet sold in a shop at the pilgrimage site informs us that Zarvanitsia “for centuries has been an outpost of Christian faith and a source of life-giving force for the Ukrainian nation”.38 The legend says that a monk fled from Kyiv during the Mongol invasion in the thirteenth century and stopped in a secluded valley to drink water and pray to the Blessed Mother of God. He fell asleep and in a dream he saw the Virgin Mary and two angels. When he woke up, he saw an icon of the Virgin Mary with Jesus and understood that he was to stay there and erect a chapel for her. Another version of Zarvanitsia’s origin story says that it was established by Serbian refugees who had escaped from the Turks after one of the battles of Kosovo. In any case, Zarvanitsia has been an important pilgrimage site for many centuries. In 1867 the icon was crowned and Pope Pius IX conferred the status of sanctuary on Zarvanitsia. During Soviet rule Zarvanitsia’s church was closed and the sacred spring was fenced off with iron wire, but at the same time the village became one of the most important focal points for the activities of the underground Ukrainian Greek Catholic Church. An underground seminary even operated in the village. In 1988 mass celebrations commemorating the 1000-year anniversary of the Baptism of Rus’-Ukraine were organised there, and the following year a miraculous icon that had been hidden during Soviet times in L’viv and then in Zarvanitsia was relocated to the local church. At that time rebuilding and expansion of the site started, and Zarvanitsia quickly turned into one of the most important Ukrainian 37 Klekot, Ewa: O urodzie Matki Boskiej: “oswojenie” formy a waloryzacvja przedstawień religijnych [On the Beauty of the Virgin Mary: “Habituation” of Form and Valorisation of Religious Images]. In: Ikonotheka 21 (2008), 207−218. 38 Bubnij, Petro: Zarvanitsia. Ternopil 2008.

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Fig. 2  A group of pilgrims in the sanctuary in Zarvanitsia.

Catholic pilgrimage sites, regularly visited by the highest hierarchs. In 1995, in a rite of solemn devotion, the Ukrainian nation was given over into the care and protection of the Mother of God. In 2000 a large new church was built, which was blessed by Lubomir Huzar, the head of the Ukrainian Greek Catholic Church. This church is now the heart of the new Marian Spiritual Centre and a purpose-built pilgrimage site that can easily accommodate thousands of pilgrims for outdoor services and is dotted with chapels, Stations of the Cross, monuments and other places of prayer that organise pilgrims’ activities (fig. 2).39 At present, Zarvanitsia is invoked not only as a symbol of religious devotion, but also as a symbol of national struggle (without any obvious religious references). The “Zarvanitsia initiative” (Zarvanitska inicyativa)40 is a network of Ukrainian activists and NGOs that was established in 2010 to demand political reform in Ukraine. Zarvanitsia is a symbol of a strong, independent Ukraine, with a particular vision of Ukrainian history that gives heroic status to those aspects of history that were silenced or demeaned during Soviet rule. I personally first realised the importance of Zarvanitsia for Ukrainian identity when I was told about a conflict involving a copy of the Zarvanitsia icon in Irshava, the centre of the region where I have conducted most of my Transcarpathian research. As with many other miraculous and important icons in the Catholic Church, copies of the icon of the Virgin Mary of Zarvanitsia can be sent for peregrination through parish churches so people can pray before it in their home villages. Obviously, such peregrinations can in important ways contribute to identity construction through the ideological messages with which given images are imbued. Such a peregrination involving a copy of the Zarvanitsia image took place in the Ukraine several years ago. I did not myself witness the events; the description of the conflict presented below is based 39 Ibid. 40 See http://zarvanytsya.org.ua/page/about_us (12. 12. 2011).



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mainly on narratives of those priests and believers from the Irshava deanery, who perceived the treatment of the Zarvanitsia image as problematic. Nevertheless, for my argument the most important point is that those of my interlocutors who clearly identify themselves with the pro-Ukrainian option interpreted any (real or imagined) signs of disrespect towards the Virgin Mary of Zarvanitsia as a clear expression of anti-Ukrainian sentiments. I was told that the pro-Rusyn head of the deanery forbade the copy of the icon of the Virgin Mary of Zarvanitsia to be displayed in a local church in Irshava. Apparently he did not allow the icon in the church because it was a Ukrainian icon. Later it became clear that he actually allowed the icon to stay in the church for the duration of the official peregrination that was organised by the eparchy, but he was against plans to put this copy on permanent exhibit in Irshava, as was wished by some. He was also apparently against placing in a chapel in Irshava another copy of this icon that had been given to the believers of Irshava by Galician pilgrims visiting the nearby site of the apparitions of the Virgin Mary in Dzhublyk. This pilgrimage place is frequented by pilgrims from Galicia and, as I have argued elsewhere, is a site where the integration of the Mukachevo Eparchy with the Ukrainian Greek Catholic Church is promoted.41 My pro-Ukrainian interlocutors in the Irshava deanery clearly attributed the dean’s strict refusal to his alleged anti-Ukrainian attitude. He himself saw it as a simple matter of administration – the icon was allowed in the church for the time of its peregrination, and he did not have to and could not follow every suggestion of clergy and laity regarding permanent additions to the local church and chapel. However, the fact that the Virgin Mary of Zarvanitsia was a Ukrainian protectress was also obvious to him. I visited Zarvanitsia with a self-organised group of lay pilgrims and one nun from Uzhhorod. This group of people regularly rents a small bus and visits various sacred places in the Ukraine, with the aims of supporting with prayers those that are not frequented and charging themselves up with prayer energy from those that are more popular. The group is focused around Anna, who organises such trips one to three weekends a month. We left Uzhhorod at midnight, arrived in Zarvanitsia in the morning and, after a few hours of prayer there and participation in a mass and the Way of the Cross, we returned to Uzhhorod at 7 o’clock that evening. Prayer dominated our trip, but we also had time to talk about the significance of Zarvanitsia. For my fellow pilgrims the most important fact was that this place was full of the prayers of all the previous generations. The old village church in particular, in which the original icon is placed, was thought to give access to the layers of previous prayers. All the pilgrims identified themselves as Ukrainians and told me that they prefer to pray in Ukrainian, although they often also attend the liturgy in Old Slavonic, as Ukrainian-language masses in the Uzhhorod cathedral are infrequent and at inconvenient hours. Questions 41 Halemba, Agnieszka: Virgin Mary, Ukraine and the Underground Greek Catholic Church. In: Maria in der Krise. Kultpraxis zwischen Konfession und Politik in Ostmitteleuropa. Ed. Agnieszka Gąsior. Köln-Weimar-Wien 2014 (Visuelle Geschichtskultur 10), 331–345.

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of Ukrainian identity, although present during our trip, were not the main theme of this pilgrimage. As in the case of Mariapócs, which is respected and regarded as an important pilgrimage site beyond any political or ethnic divisions, Zarvanitsia, although clearly identified with one nation, is not excluded from the official worship of the sui iuris Mukachevo Eparchy. To the contrary, the eparchy also organises official pilgrimages to Zarvanitsia. All administrative units of the Greek Catholic Church in Ukraine in turn organise their pilgrimages there, and Transcarpathia is not an exception. However, during my research in 2011 some Transcarpathian priests complained that Ukraine-wide pilgrimages to Zarvanitsia are not properly advertised in the eparchy and therefore Transcarpathian believers cannot participate in them. Priests strongly supportive of Ukrainian identity for Transcarpathia also organise trips to Zarvanitsia for their parishioners.

The Virgin Mary of Mukachevo On 26 August 2006 the Greek Catholic Church of the Assumption of Mary in Mukachevo and the square in front of it were full of people holding copies of the same picture – the Miraculous Icon of the Blessed Virgin Mother of God. In addition to small copies of the icon that individuals had, the Eparchy of Mukachevo had ordered enough replicas for each Transcarpathian parish to buy one. Most of them apparently did, although a few ordered copies from local masters – these specially ordered copies stood out in a sea of otherwise identical Virgin Marys (fig. 3 and 4). During an interview I had conducted with Bishop Milan Sašik a few weeks earlier, he wholeheartedly recommended that I visit Mukachevo on that day. As it happened, I not only attended, but also transported one of the copies in my own car, accompanied by two girls as emissaries of a small parish in Irshava deanery. The local priest felt bad about sending only a foreign anthropologist and two teenage girls to attend an event that was very highly recommended by the eparchial authorities, especially as some other parishes had to rent buses to accommodate their sizeable delegations, formed processions, carried gonfalons and village banners, and had people dressed in traditional costumes. On the other hand, the priest who sent us was an outspoken Ukrainian patriot and regarded the present head of the eparchy, who is a Slovak, as unsupportive of the unification of the eparchy with the Ukrainian Greek Catholic Church. Therefore, he was relatively relaxed about carrying out his orders, and did only the bare minimum required of him. The attempt to develop a cult of this particular icon was intended to create a common symbol for Transcarpathia and a common pilgrimage site. Bishop Sašik felt that this icon was particularly well-suited for this purpose: its story could be told in a way that emphasised some historical moments important for the identity of the Greek Catholic Church, but at the same time was devoid of overt nationalistic connotations that might feed into existing political and national divisions within the eparchy. According to Bishop Sašik, after World War I, when Mariapócs was part of Hungary and



Fig. 3  Transcarpathian parishioners with copies of the icon of the Virgin Mary of Mukachevo.

Fig. 4  Bishop Milan Sašik blessing the icons of the Virgin Mary of Mukachevo in Uzhhorod, 26 August 2006

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Mukachevo was in Czechoslovakia, the eparchy wanted to get the original Mariapócs icon from Vienna to return it to Mukachevo.42 Those plans failed, but as consolation Pope Pius XI gave to the eparchy an icon of the Blessed Virgin Mother of God that was dated 1453. In 1926 this icon was first delivered to Uzhhorod (where the residency of the Mukachevo bishops is located), and then transferred to the Basilian monastery on Chernecha Hora near Mukachevo, which was already an important focus of pilgrimages. In 1936 the head of the monastery, Polikarp Bilik, commissioned a copy of the icon. This came handy in 1947 − just a few days before the Soviets removed all the Basilian monks from the monastery, the original icon was replaced with this copy. The original was given to the relatives of one of the monks, Julian Mihovich, and later to the Liakhovich family, who safeguarded it throughout the Soviet period. In 1998, there was a flood in Transcarpathia, during which Mukachevo suffered gravely. The family that was guarding the icon was forced to leave their flat. When they returned two days later, they saw that the room in which the miraculous icon was located remained dry, while all the other rooms were flooded.43 After this event the icon was transferred to the Basilian monastery in Maly Berezny, as the monastery on Chernecha Hora was (and still is) in the hands of the Orthodox Church. It was kept there in the cell of one of younger monks, who has since then regarded himself as the icon’s protector. Since 2009 he has been the head of the new Basilian monastery in Mukachevo.44 In 2004, on the feast of Theodore Romzha, the last pre-Soviet head of the eparchy who was killed by the Communists, Bishop Sašik performed a rite of consecration for the copy of the icon, which was followed by a peregrination of the copy through Transcarpathian parishes. The peregrination culminated in August 2006 with the great celebration in Mukachevo described above, from which each parish delegation returned with a copy of the icon. The bishop told me that he wanted to keep the original painting in the Church of the Assumption of Mary in Mukachevo, and thereby convert the church into an important eparchial pilgrimage centre. However, the Basilian fathers in whose keeping the icon was before World War II did not want to give it away – they also hoped that it would attract pilgrims and wanted to have it in one of their monasteries. In addition to hinting at the usual competition between monastic and diocesan religious regimes, the monks and some priests with whom I discussed this issue told me that a church in a town centre is not likely to develop into a pilgrimage site. Most of the pilgrimage sites that are well attended in Transcarpathia are monasteries located in more remote places away from the commotion of everyday life, where pilgrims can breathe the atmosphere of seclusion, prayer and sacredness. The icon was returned to the Basilian cloister in Maly Berezny, but negotiations with the eparchy continued. In 2008, after losing hope that the Orthodox Church would ever return the old cloister at Chernecha Hora to the Basilian order, construction on a new monastery in Muk42 Personal communication, August 2006. 43 Oliinik, Irina: Materinskii pohliad z hlibiny stolit’ [Maternal View from the Depths of the Centuries]. In: Sobor sviatotroitski. Visnik parafii presviatoi Triitsy m. Drohobycha 47 (2004) 18, 5. 44 Beniamin Dolhanych, personal communication, May 2011.



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achevo was started. This new monastery was consecrated on 16 July 2009 – the day devoted to the worship of the Mukachevo icon of the Virgin Mother of God. On that day, the icon was placed in the monastery’s temporary chapel. The icon fits well into the identity politics of the eparchy. According to information distributed by eparchial media, the icon was most probably painted by Greek emigrants living in Italy in the fifteenth century. The official eparchial publication concerning the icon underlines the correspondence between the cultural positioning of Transcarpathia and the icon: „The icon of Mary is marked by Eastern as well as Western mastery, which makes it especially valuable for Transcarpathia. This country is situated at the crossroads of Eastern and Western Christian traditions. Western masterpieces were here often adapted to the needs of Eastern worship, and vice versa. In this way the Mother of God of Mukachevo is a symbol of Transcarpathia, where the culture and spirituality of East and West are knotted, contributing to the uniqueness of the history of this region. This icon makes one think about the unity of Christian culture, which can be based only on love, because only love can create such treasures.“45

Another important aspect is that the icon had been given to the eparchy by a pope, clearly highlighting the Catholic identity of this Eastern Rite church, which is important in light of the long-lasting confrontation between Byzantine Catholicism and Orthodoxy in this region. Moreover, the icon shared the difficult fate of the Greek Catholic Church in the Soviet period – it was hidden in a private flat and it could not be exhibited and worshipped in public – hence it fits into the powerful discourse of Church martyrdom. At the same time it is not associated with any particular nation. It is neither Ukrainian nor Rusyn; its roots lie beyond Transcarpathia in Greece and Italy, interpreted in the above quotation as a merging of East and West, which is seen as one of the basic characteristics of Byzantine Rite Catholicism.46 It is too early to say if this new Basilian monastery will develop into an all-Transcarpathian pilgrimage site and the icon into a patroness of the eparchy, not only for its hierarchy but also for the believers. The image is promoted in a variety of ways, both internally (through the distribution of copies, articles in eparchial magazines and on Web sites) and externally, as the symbol of the eparchy. During my 2007 research trip to the U.S. state of Pennsylvania I saw a copy of the Mukachevo icon in Munhall Cathedral, a Ruthenian Greek Catholic church, and I was told it was a gift from Milan Sašik. However, as the head of the new Basilian monastery in Mukachevo told me, the situation is complex. We had both heard Bishop Sašik speaking during the festivities on 16 July 2011 about his wish that the Mukachevo cloister would replace Mariapócs and become as successful a pilgrimage site as Mariapócs. Nevertheless, the head of the monastery noted that the tension between diocesan and monastic regimes is very 45 Prijmich (cf. n. 28). 46 Cf. Naumescu, Vlad/Mahieu, Stephanie: Churches In-between: Greek Catholic Churches in Postsocialist Europe. Berlin 2008.

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much visible in Transcarpathia, especially as the Basilian order is well known for its pro-Ukrainian national position. I was told, for example, that the bishop encourages masses in Old Slavonic, while the monks stubbornly stick to Ukrainian-language liturgies. This double conflict of ecclesiastical subordination and national preference leads to the impression that the Virgin Mary of Mukachevo is not at the moment as strongly supported by the eparchial centre as might be expected for an image referred to as the “Transcarpathian Patroness”.

Conclusions Could the Virgin Mary of Mukachevo really become the Pokrovitel’ka Zakarpattya – the Transcarpathian Patroness? Could the Mukachivs’ka Zastupnitsia – the Mukachevo Protectress, as she is often called − unite all Greek Catholic believers? Because of the beleaguered history of this icon during and after Soviet times, all that has been accomplished so far are the narratives related to the icon, circulating since the late 1990s in sermons and eparchial publications, and her ephemeral presence as she makes her peregrinations, leaving behind copies in parishes and with individual worshipers. Because of doubts and debates related to her provenance and keeping, only very recently has the icon begun to be linked to a permanent pilgrimage location. This very location is in turn a recent substitute for a much older pilgrimage place located in the same town – the cloister on Chernecha Hora, which is now Orthodox. Here is an interesting moment: the icon has been envisioned as a site of identification for some time, a site in which issues of memory play an important role, but the accent was on an identification that goes beyond existing divisions within the eparchy. Since 2009, the icon has been physically situated in a permanent location, which in itself is also envisioned as a site of identification. There is an interesting interaction between the place and the image as sites of identification here: the site, which is a substitute for another location, is actually thought to underline the continuity of the Greek Catholic presence in the region; the image, which is materially the same as the one given to the Eparchy in 1926, is actually expected to change the patterns of identification and to bring unity to the Mukachevo Greek Catholic Eparchy. In one of the earliest anthropological works concerning pilgrimage sites, Eric Wolf analysed the symbolism of the Virgin Mary of Guadalupe and demonstrated that its power stems from the way in which it gathers in itself many different meanings and therefore is a “collective representation” of the complexities and diversity of Mexican society. It is venerated by many Mexicans not because it presents a unified vision of the Mexican nation, but because it allows for a variety of interpretations, enabling formal and informal dealings within and between various social groups.47 Following this line of thought, if the Virgin Mary of Mukachevo is to become such a collective representation for the Greek Catholic Church in Transcarpathia, it has to allow for a range of diverse 47 Wolf, Eric R.: The Virgin of Guadalupe. In: Journal of American Folklore 71 (1959), 34−39.



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uses and interpretations. For now, it seems to have accrued some divergent meanings (e. g. West versus East), as well as some that symbolise the Greek Catholic unity of experience (e. g. anti-communism and ideas concerning Soviet-era martyrdom, as well as allegiance to the Vatican) that can be interpreted as being in competition with the Orthodox Church. However, other important meanings are circumvented, especially those that refer to internal tensions and conflicts within the eparchy. In particular, no ethnic or national names appear in eparchial publications concerning the icon: they mention Mukachevo and Transcarpathia, but not Ukrainians, Hungarians or Rusyns. A few years ago the eparchial authorities had intended that this icon would transcend those intra-eparchial divisions. However, my impression is that, while the unifying aspects do strike some important chords in the souls of Transcarpathian believers, the symbolic baggage of this icon is still somewhat too bland, too “proper”, to evoke deep identifications. Moreover, it has recently been transferred to a Basilian monastery that has a clear national focus – liturgies are conducted in Ukrainian, many guests from Galicia are invited to celebrations, the church music is of the Galician and not the Transcarpathian variety,48 the schedule of liturgical services follows Kyiv time, and the Ukrainianness of Transcarpathia is taken for granted. For these reasons, in the years to come the Virgin Mary of Mukachevo could lose her neutrality in questions of national identity. It seems that at present the eparchial authorities are promoting the Mukachevo icon less fervently than they did a few years ago. According to the Basilian monks I interviewed, this is due both to the clear national stance of the Basilian brothers, as well as to the fact that the bishop does not really have the means to control a monastic order that has its own structures of subordination leading directly to Rome. My research shows that a greater symbolic effort is invested in the worship of Theodore Romzha, the head of the Eparchy of Mukachevo who was killed by Communists in 1947. In 2001 he was declared a Servant of God by the Catholic Church. In 2010/2011 every deanery of the Mukachevo Greek Catholic Eparchy was required to organise night prayers next to an icon of Romzha in Uzhhorod cathedral (fig. 5). At the end of June 2011, the 100th anniversary of his birth, 75th anniversary of his holy orders and 10th anniversary of his beatification were widely celebrated throughout Uzhhorod. A huge procession from the Theodore Romzha Seminary to the Uzhhorod Cathedral made the presence of Greek Catholic believers in the city and in Transcarpathia very much visible. However, according to researchers from the University of Uzhhorod who conducted several surveys on this subject,49 general knowledge about Theodore Romzha is relatively low among believers, hence it is doubtful that he can become a unifying lieu de memoire. As I have written before,50 the power of the Virgin Mary lies in the fact that particular 48 According to Beniamin Dolhanych, head of the Mukachevo monastery, one should more accurately speak of Basilian melodies rather than Galician melodies because the melodies that are now sung in Galician parish churches were brought by Basilian monks from territories that now belong to Lithuania and Belorussia (personal communication, May 2011). 49 Diana Shterr, personal communication, June 2011. 50 Halemba (cf. n. 2).

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Fig. 5  People praying in front of the icon of Theodore Romzha in the Uzhhorod Cathedral.

symbolism can be attributed to each specific image, while at the same time there is one common Mother of God to whom each particular image can also refer. I argue that a unified background image of a “martyr-votary of faith” (muchennik-ispodivnik viry) is being developed, on which particular local images of martyrs are being projected, for example those of Theodore Romzha, Petro Oros and Oleksandr Hira. During my interviews in Transcarpathian villages it often happened that people conflated narratives about Romzha, for example, with those about Oros, mixing up their names and the circumstances of their deaths. I believe that if the worship of one particular martyr-votary of faith is to develop, there must be a parallel development of the concept of martyr-votaries in general and of the particular image of a given martyr as the patron of a particular cause, people or location. At present a great deal is being invested into the image of Theodore Romzha, and his popularity is slowly but surely growing through the recitation of litanies in his name, or through naming children after him. However, the question remains: Can he measure up to the broad range of emotions that the various images of the Virgin Mary stand for, from the joy of maternity to her anguish at the foot of the cross; from willing subordination to God to the power of the Queen of Heaven? Despite all efforts, I believe that Theodore Romzha still has a long way to go to become a real patron of Transcarpathia who could evoke both symbolic and orectic poles of meaning.51 51 Turner (cf. n. 21).



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Moreover, the main site of Romzha’s worship is the Uzhhorod Cathedral in the town centre, while in Transcarpathia the pilgrimage sites are considered both by the clergy and lay pilgrims to be places with a specific atmosphere that distinguishes the pilgrimage experience from the everyday. The people I spoke to evaluate pilgrimage sites and the pilgrimage itself on the basis of the way they feel at the site – do they have the feeling that they are in a holy place? Do they feel freed from everyday sorrows? Do they experience a unity with fellow pilgrims and all the past generations that have prayed there? It is important for them that places of pilgrimage be located outside cities, that they be places where one can rest and pray in peace. While there is a strong awareness that pilgrimage sites are also sites of competing ideological and political messages, the power of miraculous images and pilgrimage sites is not necessarily associated with ideological or political meanings. Moreover, the fact that people visit a given place does not mean that they buy into the official line of ideology standing behind it. As Marysia Galbraith argues in her analysis of pilgrimage to Częstochowa, a Polish pilgrimage site and the seat of the Black Madonna, Queen of Poland, many people are attracted to pilgrimages and pilgrimage sites not by the ideological messages that the Catholic Church tries to attach to the sites, but by the feeling of communitas that accompanies participation.52 She concludes that in the case of Częstochowa, the Church as an organisation is not successful in transmitting its national and political messages, as the pilgrims she interviewed did not express an explicit interest in national issues and did not evaluate the Church’s involvement in politics in a positive light.53 However, if we look at the practices of people beyond the level of explicit declarations, it seems that the Church is successful on another level because it manages to entice, year after year, thousands of people to make the pilgrimage to Częstochowa on foot. What makes them come is the experience of communitas, which is not easily institutionalised despite numerous attempts to do so.54 After the pilgrimage is over, what is left is Częstochowa as a place, and the Black Madonna as a collective symbol whose power stems from the fact that it draws together and represents divergent experiences that form Polish identity. On the basis of the Częstochowa experience, we can suggest that establishing the new Basilian monastery in Mukachevo as a pilgrimage site may begin to shape the identity of Transcarpathian believers. Although the meanings ascribed to the miraculous icon by its managers are important, the ultimate success or failure of such endeavours depends not only or even not primarily on whether the Mukachevo Virgin Mother of God can bring together divergent interpretations of Transcarpathian identity and become its “collective symbol”. More probably the success or failure will be a function of the careful management of pilgrims’ experiences during the journey and at the site.

52 Galbraith, Marysia: On the Road to Czestochowa: Rhetoric and Experience on a Polish Pilgrimage. In: Anthropological Quarterly 73 (2000) 2, 61−73. 53 Ibid., 69 f. 54 Ibid., 72.

W h ose Ma ry? The Virgin Mary as an ethnic, cultural and religious marker among the Roma in Slovakia 1

Tatiana Podolinská Introduction This study deals specifically with the process of appropriation of the Virgin Mary in the context of the ethnically and socially marginalised Roma in Slovakia, showing thus how individuals within a specific group build their own relationships with Mary. Studying Marian devotion at such a micro-level enables us to illustrate how Marian discourse can affect the expression and fortification of the identity of ethnic, social and religious groups.2 In classic historical, sociological and theological accounts of Marian apparitions, Mary often appears to those less powerful in the religious or social hierarchy: women and children, the sick and the elderly, and ethnically and religiously marginalised people.3 In these instances, Mary is actively appropriated and put to work in marking these groups’ identities.4 This chapter is a case study of Mary being used as such a group marker.5 In this chapter I show how Slovak Roma Catholics appropriate the Virgin Mary in order to represent her as having characteristics different from the trans-ethnic and trans-social Mary of mainstream Catholicism. From their point of view, the image of the white Mary is a product of the Catholic mainstream population in Slovakia, and meets the specific needs of this ethnically and socially determined group. In the process of appropriation they therefore ascribe to her ethnic and cultural characteristics representing their own group.6 Roma Catholics appropriate the image of the Virgin 1 This research has been supported by a VEGA grant from the Slovakian Ministry of Education (No. 2/0014/11, Roma in the Majority Society: Research of Models of Mutual Cohabitation). 2 The term “group identity” here is inspired by Brubaker, Rogers: Ethnicity without groups. Cambridge, MA 2006. 3 Hermkens, Anna-Karina/Jansen, Willy/Notermans, Catrien: The Power of Marian Pilgrimage. In: Moved by Mary. The Power of Pilgrimage in the Modern World. Eds. Anna-Karina Hermkens, Willy Jansen and Catrien Notermans. Farnham 2009, 1−15, here 4. 4 Ibid., 12. 5 The term “marker” refers to a symbolic representation of a certain group. See Barth, Fredrik: Introduction. In: Ethnic Groups and Boundaries: The Social Organisation of Culture Differences. Ed. Fredrik Barth. London 1969, 9–38. 6 Focusing on the phenomenon of the trans-national character of Marian apparitions, A. Halemba wrote: “Often, the Virgin Mary comes to voice the concerns of groups that feel threatened in their national rights” (see Halemba, Agnieszka: National, Transnational or Cosmopolitan Heroine? The Virgin



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Mary and, stressing certain characteristics, they creatively re-make the mainstream image in order to adapt it to their ethnic and cultural systems of rules and values.

Mary from my fieldwork journal During my fieldwork in 2006/2007, which focused on documenting family altars and religious decorations in Roma houses in the region of Eastern Slovakia, I frequently found statues or pictures of Mary. She usually occupied the most prominent place in the house, either in the kitchen, the living room or the bedroom. Such statues or pictures were considered holy and were believed to possess the healing or protective power of Mary herself. A very frequent phenomenon in Roma houses are so-called nástenky (a Slovak term meaning “wall-posters”, also used by Roma) − compositions of small photos of all family members arranged on a piece of cardboard or other sturdy paper, sometimes with a larger format photo serving as the background for the smaller photos. These wall-posters are always situated near “holy” pictures (of Mary or Jesus) to put the members of the family under the direct and continuous protection of Mother Mary and her son. Sometimes, photos of specific family members (of children or those currently away for various reasons) are placed in front of the image or statue or attached directly to the frame of the holy picture. During my fieldwork I observed some appropriations of Mary that do not correspond to official Catholic doctrine. For instance, one unorthodox interpretation in Žehra (Eastern Slovakia) comprised a small family altar in the form of a stone cave devoted to the Holy Trinity, situated in the middle of a living room (fig. 1). The altar consisted of three statues: two were identical statues of Jesus, and one was a pietà, depicting Mary cradling the body of Jesus after the crucifixion. In their interpretation, the terms “Holy Trinity” and “Holy Family” were synonymous, and they explained the scene as follows: God (the Father) was represented by the statue of Jesus in the centre; Mary (the Mother) was represented by the pietà on the right side; and Jesus (the Child) was represented by the statue of Jesus on the left side. This interpretation clearly does not conform to the orthodox understanding of the Holy Trinity. In 2006 and 2007 I frequently found depictions of Mary with certain ethnic or racial markers that were different from the general iconography of Mary popular in the region (fig. 2, plate 1), and I twice documented tapestries of the Virgin of Guadalupe (plate 2). One of the tapestries was bought in Hungary because, the owner explained, “When I first saw the face of this Mary, I told to myself, ‘She (Mary) is so nice! This is Mary as she is! You know, a genuine Mary! So lovely!’” When I replied, “Do you know that this Mary is from Mexico and that this picture was painted by an Indian and is very popular over there?” she thought for a moment and then answered with a great deal of satisfaction, “Really? I felt that this was Mary as she is. She’s genuine.” Mary’s Apparitions in Contemporary Europe. In: Ethnic and Racial Studies 34 (2011) 3, 454−470, here 468).

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Fig. 1  Roma family altar of the “Holy Trinity” (Žehra, Eastern Slovakia, 2006).



Fig. 2  Woodcut by a Roma wood-carver from Jarovnice (2006). In addition to the dark skin colour, Mary and Jesus also have Roma facial features.

My information about the distant origin of the image of Mary on the tapestry in her kitchen was taken as proof of its credibility, as if to say, “People in Mexico also know that in fact Mary has dark skin!” The appeal of the dark skin of Mary in the picture was not expressed verbally in this case. Nevertheless, the attraction of this picture was based on the perceived ethnic familiarity of a dark-skinned Madonna,7 not common in the Slovak context. The dark-

7 For the cult of Black Madonnas, see Scheer, Monique: Change in the Meanings of Black Madonnas from the Sixteenth to Nineteenth Centuries. In: The American Historical Review 107 (2002) 5, 1412−1440.



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skinned Madonna was implicitly considered a kind of opposite to the white Madonna, as a representative and protector of her dark-skinned people. I even managed to document the intentional (re)colouring of the faces of Mary and Jesus. Commercially distributed statues of Mary were copied and coloured brown at home (plate 3). The first time I encountered an ethnically appropriated Mary during my field research was in a Roma settlement in the countryside near Bratislava in 2003, where I was following the impact of a Pentecostal mission on traditional local Roma culture. A female representative of the local Pentecostal assembly informed me, with a peculiar mix of conspiracy, confidence and humour, that the Virgin Mary could not have been white like me (I was considered a representative of the white majority). Instead, she believed that the Virgin Mary must have been like her, with curly dark hair, brown eyes and dark skin.8 When describing the dark skin of the Virgin Mary and of herself, she used a very interesting adjective: “chocolate”. It was still a dualistic concept, a kind of a modification of the black/brown and white categorisation; nevertheless, the word “chocolate” that she used in connection with both the Virgin Mary and herself was simply irresistible. She argued that the Virgin Mary had lived in Jerusalem, and as it is a very hot place (with temperatures exceeding 40 degrees Celsius), she simply could not have been white. It was, of course, a kind of rationalisation employed to make the idea of a dark-skinned Mary more credible to the white Gaji, (i. e. me)9 using a type of argument that appealed to white logic. This statement was a little bit surprising to me. I could imagine a Virgin Mary with chocolate skin, as she described her, but not in the context of the Pentecostal missionary narratives to which she, as a local pastor, should be tied. Generally, Pentecostals use in their narratives the concept of the “people of God”, with a strong emphasis on trans-ethnic, trans-cultural, trans-economic, trans-political, trans-social discourse that does not discriminate among different ethnic groups, but argues beyond all ethnic ascriptions. The trans-ethnic discourse is so strong that converted Roma are willing to entertain the idea of exogamous marriage, which is taboo among Roma in general.10 This is why I was a bit shocked by the concept of an ethnically interpreted Chocolate Mary, especially coming from the local Pentecostal pastor. During the interview she was very coherent in using this “chocolate” image; she was very critical of “black” and “white” stereotypes, and stressed the value of cultural and ethnic differences. “We are equal but not the same!” she asserted. When she was talking about “Chocolate Mary”, I felt as if she was talking about somebody very familiar and personal for 8 Podolinská, Tatiana: Boh alebo Satan? Úloha nového náboženského hnutia Slovo života v polarizácii rómskej kolónie v Plaveckom Štvrtku [God or Satan? The role of new religious movement World of Life in the polarisation in Roma hamlet at Plavecký Štvrtok]. In: Slovenský národopis 51 (2003) 1, 4–31, here 24. 9 Gajo is a Roma term for non-Roma; Gaji is the feminine form (used to refer to non-Roma females). 10 Ries, Johannes: Gypsies and the People of God – The Impact of Pentecostal Mission on Roma Culture. (Unpublished contribution to the conference Religious Conversion after Socialism, Max Planck Institute for Social Anthropology, Halle, Germany, 7–9 April 2005).

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her, her mother, sister or a very good friend. She also stressed that she “chats” with Mary and hears her voice. At the end of this unique interview, she appealed to me (as a representative of white people): “You are talking about the Roma problem. And you are prepared to help us, to give us something. It seems so nice. But when somebody is talking like this, promising to give us something for doing nothing, I always ask myself: ‘What do you want from us? What do you want to steal from us?’” Her idea of a Chocolate Mary was clearly a kind of protest against the lack of respect for the ethnic and cultural specifics of Roma groups in Slovakia; from her point of view, Chocolate Mary was not only a cultural and ethnic marker of the Roma people, but also an active agent with regard to their ethnic and cultural rights. I was introduced to another Chocolate Mary in a totally different context, in a small settlement on the edge of a small Gajo village in Eastern Slovakia in 2006. A female, about 45 years old, told me that she had seen “Mother Mary” several times: inside her house (on the wall) and outside, in the village. She related thorough accounts of her visions to me, and provided me with detailed descriptions of Mother Mary. My informant, again confiding in me in a certain conspiratorial tone, noted that Mary in her visions did not look like the locally distributed statues and images; instead, she was dressed in a coat of gold, had brown eyes, long black hair and brown skin. She also told me that Mary in her visions is always willing hear whatever is in her heart, and that she can tell Mary everything without any shame. She has also noticed that at the very end of every vision they both (i. e. she and Mary) kneel down and sing one song together. This song was her personal gift from Mary. Because she was able to repeat the song and was willing to sing it for me, I was able to record it in its entirety. It lasted more than five minutes; it was in the Roma language and had the tonality of local Roma songs. In the interior of her house there was a private altar devoted to Mary, at the very place where she had appeared. When I looked at the statue of Mary placed on the altar, I found that she was white. When I was leaving my informant, she asked me to come back again and bring her another statue of Mary with the note: “You know what she should look like!” The context in which I met this Chocolate Mary was completely different from the above-mentioned Pentecostal context. My Roma informant was a member of the local Catholic Church, although her affiliation was rather more formal and perfunctory than practised. She never visited the local church and never discussed her visions with the local priest. Nevertheless, the inhabitants of the Roma settlement regarded her as a holy woman and visited her when various problems arose (physical and mental illnesses, thievery, the making or breaking of spells, etc.). In fact, for the local Roma, this woman was their religious specialist.11 The Chocolate Mary portrayed by her was again an ethnically interpreted symbol of the Virgin Mary, a real (not symbolic) Mother to her Roma children, deeply rooted in Roma culture and with Roma facial features.

11 Throughout my recent research in Eastern Slovakia, I met with several “religious specialists”; surprisingly, almost all of them were females.



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The appropriation of Mary in Roma Catholicism Having presented some specific (individual) cases of ethnic and cultural appropriation of Mary, let us now characterise her role in Roma Catholicism, which itself is a phenomenon of Roma ethnic and cultural appropriation of mainstream Catholicism in Slovakia. The phenomenon that I am going to describe and which I call “Roma Catholicism”12 is loosely expressed in the traditional (folk, rural) Roma faith or traditional Roma piety, which functions in its own specific ways both within mainstream Catholicism (on its borders) and outside of or parallel to mainstream Catholicism. Many of these specific features are rooted in the local religious habitus of concrete Roma hamlets, which are usually spatially segregated from non-Roma parts of villages and have only socially determined and very limited interaction with the general population. My argument proceeds on the basis of an isolated research project carried out in 2003 (in fourteen Roma localities13) that I participated in, and my own research conducted in 2006 (in eleven Roma hamlets14) and in 2007 (in two Roma localities15) in Eastern Slovakia. Some data are drawn from the scientific research on social inclusion of the Roma through religion (acronym SIRONA 2010), which collected data from all currently active churches and religious communities among the Roma in Slovakia.16 All data must be put into the context of the contemporary folk faith as such, against the background of which they appear to be more or less contrastive (specifically the Roma).

12 Since the Roma in Slovakia live as a diasporic minority with no officially or internally accepted representatives, it would be misguided to speak about a general (collective) Roma belief or spirituality based on ethnicity. We should, rather, limit ourselves to specific local characteristics shared by a concrete group of Roma or within a particular extended family. 13 The project was entitled “Religiosity of Roma People in Slovakia” and was conducted under the supervision of Milan Kováč and Arne B. Mann in the following communities: Čakajovce, Lukáčovce, Madunice, Rankovce, Bôrka, Lomnička, Bystrany, Letanovce, Spišské Tomášovce, Poštárka, Zborov, Žlkovce, Telgárt, Plavecký Štvrtok. For a synopsis of the project in English, see Kováč, Milan/Mann, Arne B.: The Romanies and Religious Faith. In: Boh všetko vidí. Duchovný svet Rómov na Slovensku. Eds. M. Kováč and A. B. Mann. Bratislava 2003, 329–346. 14 Jarovnice, Svinia, Hermanovce, Abranovce, Žehňa, Uzovské Pekľany, Rokycany, Terňa, Vyšný Slivník/Furmanec, Raslavice and Muršov. 15 Žehra and Bystrany. 16 The project was entitled “Social Inclusion of Roma through Religion” and was conducted under the supervision of Tatiana Podolinská and Tomáš Hrustič. The project monitored 19 churches and religious communities in 15 localities: Sabinov, Cinobaňa, Kežmarok, Hlinné, Rankovce, Slavkovce, Čičava, Ulič, Slovinky, Hanušovce nad Topľou, Poštárka (Bardejov), Kecerovce, Krížová Ves, Rudňany and Plavecký Štvrtok. For more details, see Podolinská, Tatiana/Hrustič, Tomáš: Boh medzi bariérami. Sociálna inklúzia Rómov náboženskou cestou [God between the barriers. Social inclusion of Roma through religious pathway]. Bytča 2010. For the research results in English, see Podolinská, Tatiana/ Hrustič, Tomáš: Religion as a Path to change? The Possibilities of Social Inclusion of the Roma in Slovakia. Bratislava 2011 (also available at: http://www.uet.sav.sk/?q=sk/religion-path-change [04. 09. 2013]).

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In the following section, I will try to place the Virgin Mary within these general features of Roma Catholicism, elucidating her role as an ethnic, cultural and religious marker of the Roma. Mary as an ethnic and cultural group marker In the traditionally predominantly Catholic regions of Slovakia, there is a strong tendency among the Roma to venerate Mary. Mother Mary is the keystone of devotion, and Mary and her images are at the centre of daily spiritual life. As has already been mentioned, the Roma are quite critical of the mainstream interpretation of Mary imposed by religious power-holders, in which Mary is depicted as “white” (both physically and mentally) – a white-skinned Mary characterised by virginity, purity, obedience and sacrificial motherhood. In segregated Roma hamlets with only sporadic or no exposure to official (normative/church) Catholic doctrine of the Virgin Mary, Roma simply rely on Panenka Maríja, using thus a Slovak folk term for Mary consisting of the word panenka (diminutive of “virgin”, i. e. “Little Virgin”) and her name Mary – in Slovak “Mária”, pronounced in local dialects of Eastern Slovakia as “Maríja”, with the stress on the second syllable. In addition to meaning “virginity” and “purity”, the word panenka also has very strong aesthetic connotations, i. e. it denotes somebody who is beautiful. Because Panenka Maríja is so important to them, the Roma automatically apply the Roma aesthetic of beauty to her.17 Therefore, when they are asked to describe the physical appearance of Panenka Maríja, they frequently use the aesthetic category of beauty: “She is very nice!” Only afterwards, if they are asked to be more specific, will they describe more explicitly what they have in mind, using ethnically determined categories and describing her as a beautiful Roma girl with dark skin, curly hair and brown eyes. Sometimes they themselves consciously reflect and express the difference between their image of Panenka Maríja and the mainstream image of Mary, both verbally (“She is not white”, “She looks different”, “She looks like a Gypsy girl”, etc.) and non-verbally (by, for example, re-colouring statues of the “white Madonna”). Nevertheless, Panenka Maríja is appropriated not only by giving her the typical features of a member of the Roma ethnic group. As will be shown later, she is also appropriated in a more profound or sophisticated way, by placing her in concrete roles where she fulfils particular needs in the social and cultural systems of individuals living in Roma hamlets. In such cases she is daily addressed to perform concrete tasks – individual requests for help in family matters, and frequently also issues that are at odds with the role of Mary in official Catholic doctrine, such as oaths, love magic and other issues that, to use the language of local Catholic priests, have “malevolent” intentions. She is expected to perform these tasks in real time and space; she is even rewarded with real or symbolical rewards for doing so. 17 For the Virgin Mary playing a role in the aesthetic system, see Sharman, Russel Leigh: Re/Making La Negrita: Culture as an Aesthetic System in Costa Rica. In: American Anthropologist 18 (2006) 4, 842−853.



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Let us now generalise a bit in order to identify some of the roles and functions fulfilled by Mary as appropriated by the culturally determined religious system of rules and values of the Roma. Without losing sight of all the caveats regarding reductionism and generalisation, it is possible to identify some features of recent Roma Catholicism: (1) flexible location of the sacred; (2) focus on the here and now; (3) pragmatic type of contract with God; (4) direct communication with God; (5) emic interpretation of religious norms; (6) individualism; (7) religion of everyday (e. g. the unwillingness to make a clear distinction between ritual time and non-ritual, everyday time); (8) realism and the anthropomorphism of religious ideas and images; (9) non-dogmatic character; (10) dream symbolism and belief in revenants; and (11) magic elements in religious practice.18 Below I illustrate each of these features as they are manifest in the relationship Roma have with Mary. Flexible Mary – Mary here and now In Roma Catholicism, Mary is perceived very locally and temporally (“here and now”), as a part of the unlimited system of time and space that can change according to concrete needs. Thus, Mary may be located anytime and anywhere. Among the Roma, she is believed to live along with us now; not in the distant historical past nor in the distant (dubious) future. For every negative event such as a breach of contract (usually breaking an oath), Roma look for a reason in the immediate past.19 The biggest punisher is God himself, but Mary can also directly punish her devotees if they fail to fulfil their promises. Roma relationships with Mary therefore have a present-time character and focus only on earthly life, which illustrates both the flexible location of the sacred and the here-and-now character of Roma Catholicism. Contracting Mary To clarify this particular feature of the pragmatic relationship Roma have with Mary and God, I shall employ a typology from research on the new religious movements in Europe. Bromley and Busching distinguish between contractual and covenantal social relationships.20 This theory was further developed by Simon Coleman (2004) 18 For the historical context of Roma Catholicism and a detailed description with more ethnographic data, see Podolinská, Tatiana: “Čokoládová Mária” – “Rómske kresťanstvo” na Slovensku [“Chocolate Mary” – “Roma Christianity” in Slovakia]. In: Etnologické rozpravy 14 (2007) 1, 50–77; Podolinská, Tatiana: “Nová” rómska duchovná identita. Charizmatické hnutia medzi Rómami na Slovensku [“New” Roma religious identity. Charismatic movements among Roma in Slovakia]. In: My a tí druhí. Konštrukcie a transformácie kolektívnych identít v moderných spoločnostiach. Región strednej Európy. Eds. G. Kiliánová, E. Kowalská and E. Krekovičová. Bratislava 2008, 175–216. 19 Kováč, Milan: Religiozita ako možný prostriedok k  riešeniu sociálneho postavenia Rómov [Religousness as a possible tool for the improvement of social situation of Roma]. In: Rómska kultúra na Slovensku v 21. storočí. Dunajská Streda 2004, 41–44, here 42. 20 Bromley, David G./Busching, Bruce C.: Understanding the Structure of Contractual and Covenantal Social Relations: Implications for the Sociology of Religion. In: Sociological Analysis 49 (1988), 15–32, here 15.

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to characterise two distinctive types of relationship with God.21 Covenantal communities articulate the logic of moral involvement and long-term mutual obligation, while contractual ones invoke a pragmatic, short-term logic of calculative strategy and promotion of self-interest.22 Contractual relationships with God rather resemble exchange practices and invoke a real ad hoc commercial contract with clearly defined conditions – something for something. In contrast, covenantal relationships with God are a prolonged promise of the afterlife as a reward. Roma Catholicism prefers contractual relationships with Mary. Roma have very vivid and reciprocal relationships with Mary, based on actual, pragmatic obligations and very concrete implications. Mary is paid for every favour, mostly by means of small coins dropped off at nearby chapels, in front of statues in churches, or in front of her images in individual households. She is also sometimes paid by lighting candles. Sometimes the reason for attending Sunday mass at a local church is specifically to make an offering “to the bell” (voluntary financial contributions by churchgoers collected by altar boys at the end of a mass). I observed several cases in Eastern Slovakia of Roma thus pre-paying for Mary’s services; usually it was about asking for help in cases of suspicion of infidelity, or bad magic directed against a specific family.23 Besides financial offerings, Roma sometimes swear to bring another kind of sacrifice. Women very often swear in front of the picture of Mary at home that if their husband stops being with another woman or stops drinking, they will give up food for some days. Such a promise of a fast has the character of an oath, and has even more importance when made in front of the statue or a painting in the church. Since cogent relations with Mary are based on reciprocity, individuals receive the favour of Mary by fulfilling the promise. Mary is likewise obliged to fulfil her part of the contract. Some oaths, however, are made in moments of emotional strain or anger. In these cases, like in the case of common financial contracts, it is possible to withdraw from the original agreement. A blithely taken oath that cannot be fulfilled can be paid out, which is another reason for contributing to the Sunday bell in churches. Chatting with Mary The practice of “chatting” with Mary illustrates the fourth feature of Roma Catholicism listed above (“immediate communication with God”). The Roma I interviewed do not acknowledge a privileged status of clergy or other religious officials when it comes to communicating with Mary. “Mary doesn’t speak only to parish priests 21 Coleman, Simon: The Charismatic Gift. In: The Journal of the Royal Anthropological Institute 10 (2004), 421–442. 22 Bromley/Busching (cf. n. 20), 16−18; Coleman (cf. n. 21), 422. 23 In the given localities, I also observed concrete cases of targeted magic intended to harm other families as a form of settling of scores. Black candles or white candles wrapped in a black band (sometimes candles stolen from graves) are lit in front of pictures of saints, the Virgin Mary or Jesus, and the members of one family “over-pray” the enemy family, i. e. they deliver their wishes, which should cause quarrels, illnesses and financial failure of their enemies.



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and missionaries”, one Roma woman told me. “Does she not also speak to a simple Gypsy woman such as I? She does!”24 The Roma perceive communication with Mary as something very personal and intimate (“chatting”). They communicate with Mary by means of improvised prayers, supplications, requests, incantations, curses, oaths, etc. As already mentioned, their prayers can also include a request for help, including help in fulfilling actions of a malignant character (intended to harm other people) that might even be in violation of the Ten Commandments.25 Petitioning Mary for help with such actions illustrates several of the features of Roma Catholicism listed above, including the way Roma apply their own emic interpretation of religious norms (feature 5), the non-dogmatic character of Roma Catholicism (feature 9), and the belief in elements of magic in religious practice (feature 11). Mary as a guarantor of social norms The Roma feel bound by official Catholic standards of morality, but they perceive the validity of those standards through their own indigenous emic optic, which illustrates the emic interpretation of religious norms (feature 5). There are some specific internal (emic) standards among the Roma as well. Emic punishments are very harsh; they take the form of direct punishment from God or Mary. Since God is perceived as occupying the position of the Roma father and Mary the position of the Roma mother,26 and in the traditional Roma conception of family, they both can bless and punish their children, i. e. Roma devotees, if they breach the traditional Roma code of ethics and morality (the unwritten but tacitly understood family and community rules). For example, theft outside the Roma community is allowed or justified by the need to provide for the family. From this point of view, it cannot be considered an offence. Theft within the Roma community is, however, perceived as an offence (“A Roma is not robbed by a Roma” 27), and is judged in a completely different way. A similar distinction can be seen in the case of honouring an oath and being faithful in marriage.28 God (as a father) and Mary (as a mother) are the main guarantors of 24 Podolinská, Tatiana: Boh medzi vojnovými plotmi. Náboženská polarizácia v  rómskej kolónii v  Plaveckom Štvrtku [God between the fences of war. Religious polarisation in Roma hamlet at Plavecký Štvrtok]. In: Boh všetko vidí. Duchovný svet Rómov na Slovensku. Eds. M. Kováč and A. B. Mann. Bratislava 2003, 147–175, here 173. 25 See ibid.; Podolinská, Boh alebo Satan? (cf. n. 8). 26 Similar to the family altar discussed above (see fig. 1), this is another example of the frequent Roma appropriation of official Catholic dogma about the Holy Trinity and the Holy Family. The concept of the Holy Trinity is conflated with the reinterpreted concept of the Holy Family: thus we have the Trinity in the form of a family, where God is the father, Mary is the mother and Jesus is the son. 27 Hübschmannová, Milena: Goďaver lava phure Romendar/Moudrá slova starých Romů [Wise words of old Roma]. Prague 1991, 37. 28 Botošová, Anina: Identita, sociálny a  náboženský život v  rómskej obci Lomnička [Identity, social and religious life in a Roma settlement of Lomnička]. In: Boh všetko vidí. Duchovný svet Rómov na Slovensku. Eds. M. Kováč and A. B. Mann. Bratislava 2003, 71–84, here 79 f.; Kováč, Milan:

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observance of internal Roma standards. An old Roma proverb sums it up: “You can hide before gendarmes, but not before God.”29 Mary herself plays a very important role as a social guarantee in the segregated Roma hamlets. Most couples cohabit without an official or Church-recognised marriage. The majority of weddings consist of a simple private ritual in which a young couple kneels in front of the statue of Mary and takes the “vow of fidelity” with the assistance of their parents. Mary, by her presence, stands in for the religious specialist and consecrates the marital status of the couple. Very frequent are cases where a man suspects his wife of infidelity and forces her to swear before a statue or picture of the Virgin Mary that she has not been unfaithful. Such oaths are done at night, with the man holding in one hand a lighted candle with a red band wrapped around it (sometimes, a lock of the woman’s hair is attached to the band), and a knife or other sharp object (scissors, fork) in his other hand.30 While the woman, with unbound hair and usually half-naked, kneels before the holy picture, the man recites the text of the oath, which the woman repeats. The text of the oath is improvised; the woman must repeat after the man that she has not had an affair with anyone else. During the oath, the man31 several times calls upon Mary (and sometimes also God and Jesus) to witness the oath and to punish the woman immediately if she is lying. As he invokes the holy guarantors, he holds the sharp object to her breast or back. Roma believe that a woman who commits perjury will immediately faint or become very ill in a short time (during my fieldwork I was told of several concrete cases as proof). In a very few cases, the oath was public, and the woman had to crawl on her knees through the settlement to the closest chapel to publicly cleanse herself of any suspicion of infidelity.32 The frequency of such cases shows that Mary plays an extraordinarily important role as a private religious and family regulator and guarantor of social norms in Roma communities. Individualised and personal piety Among the Roma, individual and private forms of piety (i. e. personal and familial, non-public) largely prevail over collective and public forms of religiosity (i. e. attendance at church masses and public religious celebrations). This individualism within Roma Catholicism (feature 6 above) results from a number of factors, the most prominent being the social exclusion and marginalisation of Roma in certain places, which

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Slnko pre spravodlivých. Posvätnosť prísahy a Božia sankcia medzi horehronskými Rómami z obce Telgárt [The sun for the just. Sacrity of oath and God’s negative sanction among Roma at Telgárt, the upper Nitra river region]. In: Boh všetko vidí. Duchovný svet Rómov na Slovensku. Eds. M. Kováč and A. B. Mann. Bratislava 2003, 129–146, here 140 f. See also my own unpublished fieldwork notes from 2006. Hübschmannová (cf. n. 27), 7. I witnessed different variants of such oaths in all research sites in Eastern Slovakia. The oath described here is from the municipality of Svinia (2006). In some villages there are specialists (usually women) who administer the fidelity oath. I witnessed this in Vyšný Slivník, Eastern Slovakia, in 2006.



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also leads to their exclusion from collective church rituals. Such segregation takes place at several levels: the priest has no interest in working with the Roma community; non-Roma believers do not like to see Roma in “their” church; Roma do not fully understand the sermons because they are in Slovak, and the topics of sermons do not address the problems they face on a daily basis; they find it humiliating to have to sit in separate pews designated for them in churches so, in order to avoid hearing annoying comments by the non-Roma, they choose to stand at the front of the church, etc. Because of this ethnically based social polarisation within the communities (in the form of prejudices on both sides), in places where the local priest does not work in a targeted way with both the Roma and non-Roma communities, the Roma usually avoid collective public rituals (i. e. regular masses). Collective public rituals among the Roma tend to be limited to basic rites of passage (especially birth and death), which relate to collectively and publicly expressed forms of piety. Except for some local cases in which priests target Roma communities and work with them to create an atmosphere in which collective worship is a comfortable and positive experience, it can be said that devotion to the Virgin Mary among socially marginalised Roma Catholics is individually appropriated in the form of personal and private expressions of piety. Thus Mary is religiously “privatised”: she witnesses private oaths, vows of fidelity and the oaths of women who are accused of infidelity; she is consulted on absolutely personal and intimate issues; she is the one to be paid when it is necessary to break an oath, or when a child is sick, or when ghosts of the dead (sing. mulo) are visiting or molesting the living, and so forth. The Mary of everyday The “Mary of everyday” is associated with feature 7 of Roma Catholicism, which I term “religion of everyday”. It suggests the futility of collective systematisation and institutionalisation of religious practices and the fruitlessness of periodic or regularly repeated collective forms of piety (such as abstinence and fasting, which the Roma do not practise), all of which renders the professional religious specialist unnecessary. A typical feature of the Mary of everyday is the individualism with regard to concrete forms of communication with the sacred. Mary is believed to be here to serve our common everyday needs. She can be addressed anytime during the day, anyplace and by anybody in need. Small statues of her are present in the kitchen, mixed in among such items of everyday life as dinner plates, baby bottles, spoons, newspapers, scissors, glasses and posters of superstars (fig. 3). In interviews with me, Roma women explained that they appeal to Mary to give them strength in dealing with various common daily situations such as: cooking a good dinner; not arguing with their husbands, children or neighbours; getting their neighbours to lend them soap for washing; getting social benefits from the local municipality; avoiding having water and electricity shut off because they have not paid their bills; and managing to get food from the local store without paying (this occurs through a system of loan sharks and good-faith credit). They also petition Mary for help with family members, for example, to ask

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Fig. 3  A Roma woman’s altar in the kitchen (Žehra, 2006).

that their husbands quit drinking, avoid car accidents, get paid for “black work” at the building site, remain faithful while working abroad, or not suspect the women of infidelity when they return home; to help their children to find a lot of wood in the forest and not get caught by anyone, and to get good marks at school; and for the general health of all members of the family.33 As the nature of these everyday pleas suggests, many of them depend on third parties or on circumstances that the socially excluded Roma cannot influence directly. This is why Mary’s protection and help are so important in their everyday lives. Deification and empowerment of images of Mary The majority of my Roma interviewees had very concrete ideas about Mary. We find the phenomenon of anthropomorphism here, which is very common to Catholicism in general.34 God is often represented as an old man (“He has got to be big and have big 33 These examples have been culled from my fieldwork journals (2006/2007). 34 Palubová, Zuzana: Ľudové náboženstvo Rómov z  Levoče a  okolia na prelome 20. a  21. storočia [Folk religion of Roma from Levoča at the end of 20th and beginning of 21st centuries]. In: Etnologické



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hands and eyes, for he sees the whole world”).35 People’s concrete images of Mary usually conform to the pictures and sculptures of Mary that are present in the region. Although all believers know that the specific statue in front of them is made of plastic or plaster, the statue or image itself is, at the same time, personified and deified. It is more than a physical or material object, because it is filled with the Lady’s presence and is imbued with her power. This demonstrates two features of Roma Catholicism: the realism and imaginative character of religious ideas (feature 8), and the unorthodox character of Roma religious belief (feature 9). Mary as a “goddess” (Mother of God) Mary cries, smiles and gives her motherly love and protection to her children whenever they are in need, but she is also a powerful, violent, angry mother meting out violent punishment to those who break their oaths and vows. The official Catholic stance on Mary’s virginity was well known and widespread among the Roma I interviewed; nevertheless, they perceived it as a kind of strange, irrational logic. From their point of view, it was not Mary’s virginity that was at the foundation of her cult, but rather her maternity. Mary as the Mother of God was ascribed the aureole of a goddess herself. Her virginity was something controversial and illogical, rejected as highly suspicious or even counterproductive, in fact, as something that goes against the very essence of Mary. Magic elements in religious practice (feature 11) Local Catholic priests living in rural areas claim that the Roma are prone to believe in magic, either contagious magic or incantations (maledictions).36 Some of these cases have already been mentioned. Other examples include Roma oaths and curses that belong to the category of word-magic. The contemporary phenomena of Roma magic also include rituals of magical protection of newborn babies37 and magic love rituals. The majority of them are directly connected with statues or images (pictures) of Mary, irrespective of whether they are in Roma houses, Catholic churches or chapels, or are rozpravy 2 (2001), 80–95, here 86; Eadem: Fenomén smrti v ľudovom náboženstve Rómov z okolia Trnavy a  Nitry (Obce Madunice, Lukáčovce, Čakajovce) [Fenomenon of death in folk religion of Roma from Trnava and Nitra (Settlements of Madunice, Lukáčovce, Čakajovce)]. In: Boh všetko vidí. Duchovný svet Rómov na Slovensku. Eds. M. Kováč and A. B. Mann. Bratislava 2003, 17–35, here 18; Kovács, Attila: Bôrka: komunity, identity a náboženstvo v hornogemerskom pútnickom mieste [Bôrka: communities, identities and religion at the place of pilgrimage in upper Gemer region]. In: Boh všetko vidí. Duchovný svet Rómov na Slovensku. Eds. M. Kováč and A. B. Mann. Bratislava 2003, 55–70. 35 Kováč, Slnko pre spravodlivých (cf. n. 28), 134. 36 Podolinská, Boh medzi vojnovými plotmi (cf. n. 24), 165 f. 37 Mann, Arne B.: Magická ochrana novorodenca u Rómov na Slovensku [Magic protection of new born babies among Roma in Slovakia]. In: Boh všetko vidí. Duchovný svet Rómov na Slovensku. Eds. M. Kováč and A. B. Mann. Bratislava 2003, 85−101.

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situated in front of churches and cemeteries with public access. We come across the manipulation of sacred objects (burning candles in front of holy images, tying red ribbons onto objects, attaching a comb and prayer cards to babies’ swaddling clothes with the aim of protecting the babies), as well as practices intended to, for example, make a partner fall in love or prevent a husband from cheating. Some prayers (oaths and curses) have a harmful character, for example, if someone breaks an oath, Roma women pray to Mary and ask her to cause serious illnesses (e. g. cancer) or even death to the offender. Dream symbolism and belief in revenants (feature 10) Another feature of Roma Catholicism is a strong faith in the symbolism of dreams and the belief that dreams have real validity.38 Their belief in revenants is also still very much alive.39 It is believed that a spontaneous prayer to Mary can scare away the ghosts of dead persons (mulo) that are visiting and sometimes harassing family members, and that Mary’s power can render the mulo harmless or even make it disappear.

Mary as a religious group marker (Mary in the Pentecostal Mirror40) The previous section showed how Mary is appropriated in Roma Catholicism, adapting her to the Roma ethnic and cultural system of rules and values. To a certain degree, the Roma have made Mary their symbolic representative and marker not only by attributing to her Roma ethnic features (e. g. by darkening of the colour of her skin

38 Palubová, Fenomén smrti (cf. n. 34), 20 f. 39 For recent forms of the belief in revenants among the Roma in Slovakia see, for instance, Hübschmannová, Milena: Viera v mula u slovenských Rómov [Faith in mulo among Slovak Roma]. In: Slovenský národopis 53 (2005) 2, 172–204; Palubová, Zuzana: Ľudové náboženstvo Rómov z Levoče a okolia [Folk religion of Roma from Levoča]. Unpublished master’s thesis, University of Konstantin Filosof in Nitra, 2001; Palubová, Fenomén smrti (cf. n. 34); Kováč, M.: Ľudová viera u slovenských Rómov [Folk belief among Slovak Roma]. In: Studia Academica Slovaca 33 (2004), 106–114, here 107 f. 40 The majority of Roma in Slovakia are Catholics. Out of 89,920 Slovak inhabitants that declare Roma ethnicity, 76 per cent also identified themselves as members of the Roman Catholic Church (see www.rokovania.sk/appl/material.nsf [23. 05. 2009]). Pentecostalism entered the Slovak scene in the post-Communist period. Its rapid expansion started right after the fall of Communism and is still continuing. Even though the Pentecostal movements in the country do not officially declare that marginalised groups (such as the Roma) are the main focus of their evangelisation, the most active and stable Pentecostal congregations can be found within the Roma communities. The Pentecostal mission in Slovakia has been quite diverse and dynamic. Until recently, a variety of Pentecostal denominations have been active among the Roma in Rudňany, Markušovce, Letanovce, Bystrany, Košice, Turnja, Sabinov, Spišská Nová Ves, Sobrance, Blatné Remety, Michalovce, Humenné, Plavecký Štvrtok, Galanta and Sládkovičovo. For more details, see Podolinská/Hrustič, Boh medzi bariérami (cf. n. 16); Podolinská/Hrustič, Religion as a Path to change? (cf. n. 16).



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à la Chocolate Mary), but also by giving her additional specific socially and culturally conditioned properties, responsibilities, duties and roles. By way of conclusion, allow me to outline a complementary case that will serve as a mirror confirming from the other side that Mary is an important religious marker of Roma Catholic communities in Slovakia. In this case, it will be a view of pastors and the Roma as such who have undergone religious conversion to a Protestant denomination. It is an extremely widespread phenomenon in Slovakia at present, as many neo-Protestant movements of charismatic and Pentecostal character are very active among the Roma.41 While conducting their missions, the leaders of these churches intensely strive to attract Roma by appealing to what they consider typical elements of Roma traditional belief (i. e. Roma Catholicism). During my fieldwork in Eastern and Western Slovakia in 2010, I often heard several leaders of Roma neo-Protestant communities calling on Roma believers to eradicate the elements of “false belief” that are the most difficult to root out. These neo-Protestant leaders, when addressing their new converts and their pre-conversion spiritual life, repeatedly attack three elements of the Roma Catholic religious practice: (a) anthropomorphism (expressed in religious decorativism);42 (b) the cult of the Virgin Mary;43 and (c) the strong belief in revenants.44 41 According to the SIRONA 2010 research (cf. n. 16), 19 churches are active among Roma in Slovakia (registered and non-registered). The most active and richest (with regard to the number of active members, i.  e. regular churchgoers) are neo-Protestant churches and movements, especially charismatic and Pentecostal churches (for more details, see Podolinská/Hrustič [cf. n. 16]). 42 This is well illustrated by a quote from a meeting of the charismatic Roma assembly Maranata in Spišská Nová Ves, in Eastern Slovakia (recorded in my field journal in 2010): “We, the Roma, are inclined to believe that pictures and statues are alive. It is a mistake! These are only pictures. Do you think that Mary looks like the one you have in the picture at home? But why then does she look different in your neighbour’s picture? And if I visited you at home now and burned that picture and broke the statue, do you think Mary would die? Those who have already done it, raise your hands! Excellent! And the rest of you who have not done it yet because you’re afraid, go home and do it also! And you’ll see what will happen! I assure you that nothing will happen. Mary lived and Mary died, a long time ago!” 43 Another excerpt from the same sermon quoted in the previous footnote illustrates this point: “It is not true that we are against Mary. We are against making a god of her. We do respect Mary. Mary was extraordinary. But she was a woman of flesh and bones who lived, gave birth to Jesus, and died. That’s all. Stop praying to her, stop petitioning her, she won’t help you. Stop with that obscurantism, with the oaths and praying under your pictures at home. … Do you know what? You don’t need to say anything. … I’m a Roma and I grew up in a Roma settlement. … I’m familiar with it. It’s all Satan’s work; we have to get rid of it. It’s not our Roma habits and Roma tradition. And if they are, if tradition is what our fathers and mothers taught us in our families, then we have to give it up, because it is Satanism, and through Satan you’ll be damned!” 44 By way of illustration, see the following excerpt from a sermon of the Slovo Života (“Word of Life”) movement in Plavecký Štvrtok (Western Slovakia, 2011): “Nobody will protect you against the mulo (revenant). Not even Mary or Jesus. Nobody, just you alone. There are no mulos; they are only Satan’s delusions. When you think on your own: ‘Step back, Satan, you have no power over me!ʼ You’ll see that he will disappear!” For more details, see Podolinská, Tatiana: Is double stigma a benefit? Pentecostalism among the Roma in Slovakia. In: Ethnologia Europae Centralis: Journal of Ethnology of Central Europe 10 (2011), 65−76.

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Not surprisingly, these elements are also repeatedly stressed by Roma Pentecostal conversion narratives as crucial differences between the true (i. e. Pentecostal) and false (i. e. Roman Catholic) Christians. The absence of anthropomorphic religious depictions in a Roma household usually indicates that it is the home of a Pentecostal family. Pentecostal pastors strongly emphasise the importance of not having such figures, and frequently discuss the theme of idolatry during assemblies. It is also common that new Pentecostal converts demonstrate their religious change by destroying religious images and statues in public or, at least, by talking about having done so publicly. This act is frequently involved in the individual conversion narratives of Pentecostals. Regardless of this fact, however, the old religious decorative habitus is sometimes so deeply rooted that the “holy corners”45 in traditional households do not change very much even after people have become Pentecostal. The same mix of colourful plastic flowers and decorative objects are placed in these corners in a manner that is reminiscent of an altar, and it is only the statues of Mary and Jesus that are missing (fig. 4). The conscious and concerted efforts to de-emphasise the Virgin Mary in the Pentecostal doctrine as represented in the Pentecostal pastor’s discourse is meant as a correction to, or a deeper and truer interpretation of, the Catholic teaching rather than a total rejection of it. The new perspective is perceived to be more a question of a shift of knowledge than a contradictory element. In pastoral discourse, Mary is still considered to be the gentle mother of Jesus, but only has a human nature. Nevertheless, this doctrinal shift has a deep impact on the cult of Mary in the affected Roma communities. The elimination of statues and pictures of Mary from the houses of Roma converts to Pentecostalism usually also completely changes their individual and family religious practice. The previous Mary-centrism (spirituality centred on Mary as the wife of God and mother of Jesus, and Mary as a goddess herself) is replaced with God-centrism. Since Pentecostals stress the constant duel between God and Satan, these two entities become dominant in the religious optics of the Pentecostal converts’ narratives, suddenly moving Mary to the religious periphery as a human figure of only marginal importance. Mary, now only one of many figures in the history of Christianity, thus loses not only her divine power, but also her ethnic and cultural colouring.46 It makes no difference what Mary looks like. She is a dead woman from long ago. Even thinking about what she looked like is a sin, because it evokes the thought that her image is important. Moreover, Mary does not have any divine power, and it is therefore absolutely useless to ask her for anything. All everyday pleas and requests, personal consulta45 Ibid. 46 “Do you want to be asked about the colour of your skin when seeking a job? No! Then don’t ask what colour of skin Mary has. White, black, Slovak, Roma … the colour of skin makes no difference. We are brothers and sisters, we are all one family, we are God’s people. We are all equal here. There is only one division: those who believe in God and serve God, and those who believe in Satan” (from a sermon by a Roma lay priest of the Maranata charismatic movement, Rudňany, 2010).



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Fig. 4  A “holy corner” without the statues of Mary and Jesus in a Roma household after conversion to the Apostolic Church (Rokycany, Eastern Slovakia, 2006).

tions, and agreements and contracts are useless and sinful, and considered a sign of imperfect conversion.47 The neo-Protestant pastoral discourse among Roma in Slovakia focuses in a targeted way on the complete suppression of the cult of Mary, thus indirectly acknowledging Mary as an important religious marker. The former Mary-centrism is thus intentionally transformed, via Pentecostal conversion, into a religion without Mary. The question “Do you believe in Mary?” which I was frequently asked during my fieldwork in Dobrá Vôľa, a Roma Catholic hamlet going through the process of 47 After discovering this anti-iconic and trans-ethnic pastoral discourse, I concentrated on researching pastoral narratives in Roma congregations with the aim of comparing the discourses in multi-ethnic and mono-ethnic Pentecostal assemblies. In this connection, some authors have argued that Pentecostalism may function as an integrating social force, but it can be used by Roma groups to reformulate their active demarcation from the majority population (see, e. g., Acton, Thomas: The Gypsy Evangelical Church. In: Ecumenical Review. Journal of the World Council of Churches 31 [1979] 3, 289– 295; Gay y Blasco, Paloma: Roma Diasporas: A Comparative Perspective. In: Social Anthropology 10 [2002] 2, 173–188). This argument arises from the social practice of many Pentecostal congregations, where an ethnic split within the trans-ethnic congregation is observed. Johannes Ries, following Roma Pentecostalism in Romania, relates this to organisational issues that do not concern the discursive schism (Ries [cf. n. 10]). As far as my own material is concerned, I can confirm an organisational schism, but I find equally interesting and important the fact that the organisational schism always follows ethnic lines. There is no reason why new congregations should not be multi-ethnic in the same way that the mother congregation is.

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Tatiana Podolinská

Fig. 5  “Triple Mary” in the interior of a Roma living room (Dobrá Vôľa, 2007).

massive Pentecostal conversion under the influence of the nearby village Bystrany, was from this point of view symptomatic. Belief in the Virgin Mary was perceived here as a litmus test of belonging to the true or false religious group. Because of the strong Pentecostal anti-Mary and anti-iconic discourse in the village, a few non-converted Roma Catholic families – as an expression of their true belief – insisted on using images and statues of Mary in their households to declare clearly that this house is characterised by the true belief. On one occasion I entered a Roma Catholic house and saw a family altar in the middle of the living room with various secular items. There were three identical statues of Mary in the middle of the altar (fig. 5). When I asked the family what the reason for such a triplication of Mary was, I was told that the aim was to represent her power. This house, as an “island” in the Pentecostal sea, was a manifestation of Mary; she was intentionally spotlighted as the most important religious marker and was tripled to become more powerful to be able resist the attacks of heretic apostates.

Conclusions – whose Mary? The Virgin Mary as a very traditional and conservative symbol of Catholicism in Slovakia was chosen here to illustrate the process of ethnic and cultural appropriation of religious symbols among Roma Catholics. The examples of Chocolate Mary elucidate



The Virgin Mary among Roma in Slovakia

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the appropriation of a trans-ethnic and trans-social religious symbol into the concrete, ethnically and culturally domesticated time and space of a specific group. By adding ethnic and cultural attributes to Mary, she becomes not only a religious, but also an ethnic and cultural symbol and representative of the Roma Catholics in Slovakia. Her extraordinary importance in Roma Catholicism is visible in the vehement anti-Mary discourse of neo-Protestant movements among the Roma in Slovakia. In their trans-ethnic and trans-cultural pastoral discourse among Roma, these movements fight in a targeted way against Mary and her cult, thereby acknowledging and even reinforcing her status as an important religious marker of this ethnic group. In their pastoral strategies, besides downplaying Mary as a religious marker, they try to deprive Mary of her ethnic features and the specific cultural and social roles she plays in traditional Roma (Catholic) belief. The change of the religious balance in Roma settlements often leads to social polarisation and even open conflict not only within the Roma community (Roma Catholics vs. Roma neo-Protestants), but also within the locality (Roma neo-Protestants vs. non-Roma Catholics).48 Mary here showed that her power lies in the fact that she is both a divider and a unifier.49 Marian devotion among Roma in Slovakia illustrates how Marian discourse can act in the expression and fortification of the identity of ethnic, social or religious groups. The numerous examples of Chocolate Mary showed how Mary is actively appropriated by Roma Catholics in Slovakia.50 Mary has thus proved her ability not only to be a trans-ethnic and trans-cultural symbol, but also her ability to be used as a marker of ethnic and cultural identities of individuals of a concrete group.

48 I documented many cases where religious change resulted in an escalation of tensions and a deepening of existing polarisations within the community (for case studies, see Podolinská, Boh medzi vojnovými plotmi [cf. n. 24]; Podolinská, Boh alebo Satan? [cf. n. 8]). 49 See also Halemba (cf. n. 6). 50 Hermkens/Jansen/Notermans (cf. n. 3), 12.

K on j u n kt u ren ei n er He ilige nve re hrung Hedwig von Schlesien in der deutsch-polnischen Geschichte

Agnieszka Gąsior Eine Region – zwei Gedächtnisse, eine Heilige – zwei Geschichtskulturen. Schlesien unterliegt seit Jahrhunderten den Einflüssen mehrerer Völker und Nationalgemeinschaften und stellt geradezu ein Paradebeispiel für eine Region mit multipler Identität dar. In historischer wie soziokultureller Hinsicht ist es ein Grenzraum, in dem verschiedene Kulturtraditionen mit besonderer Intensität einander begegnen und durch das Miteinander bzw. in gegenseitiger Abgrenzung voneinander geformt wurden und werden. Das Schlesien der Deutschen ist mit dem Schlesien der Polen nicht deckungsgleich, jedoch bewegen sich die nach dem Zweiten Weltkrieg geradezu gegenläufigen Erinnerungsmodelle seit 1989 wieder stärker aufeinander zu. Die Herausbildung einer regionalen Identität, die während des Kommunismus den Vorgaben einer zentralistisch gesteuerten Gedächtniskultur unterlag, erhielt im Zuge der politischen Wende durch Initiativen auf lokaler Ebene entscheidende Anstöße. In diesem Prozess, dessen wesentlicher Bestandteil eine Neubewertung der historischen Vergangenheit war und ist, spielen konfessionelle Bindungen sowie religiöse Symbole eine identitätsstiftende Rolle. Ein besonderes Potenzial besitzt in dieser Hinsicht die hl. Hedwig. Als Landespatronin Schlesiens ist sie ein gemeinsamer Nenner von überkonfessioneller und übernationaler Gültigkeit, mit deren Namen die deutsch-polnische Verständigung und Versöhnung symbolisch verbunden ist. Die Heilige selbst, ihr Leben und Wirken liefern für diese Bewertung nur wenige Anhaltspunkte. Vielmehr sind es die verschiedenen Deutungen, die aus der historischen Gestalt eine polnische bzw. deutsche Heilige, eine Landesmutter der Schlesier und eine Vorkämpferin gegen fremde Mächte machten. Die Vereinnahmungsprozesse reichen weit in die Vergangenheit zurück und wirken bis heute nach. Der vorliegende Aufsatz betrachtet aus historischer Perspektive ihre Konjunkturen, Kontinuitäten und Brüche, die Aktualisierungen längst vergessener sowie das Aufkommen neuer Interpretationen, um an diesem Beispiel den Mechanismen einer auf Antagonismen und Koalitionen gewachsenen transnationalen Erinnerungskultur nachzuspüren.

Hedwig als piastische Heilige Hedwig (poln.: Jadwiga, um 1174–1243) wurde als Tochter des Grafen Berthold VI. von Andechs-Meranien und Agnes von Groitzsch aus dem Hause Wettin in Andechs geboren. Nach ihrer Erziehung im Benediktinerinnenkloster Kitzingen heiratete sie 1186 im Alter von zwölf Jahren den Piastenherzog Heinrich I. von Schlesien († 1238),



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den späteren Princeps von Polen. Eine der ersten Amtshandlungen des Fürstenpaares, wenige Monate nach der Machtübernahme durch Heinrich, war die Stiftung des Zisterzienserinnenklosters Trebnitz/Trzebnica bei Breslau im Jahre 1202.1 Mit diesem ersten Frauenkloster Schlesiens ist das Wirken der hl. Hedwig in besonderer Weise verbunden. Bereits während ihrer Ehe hielt sie sich in Trebnitz häufig auf, verbrachte hier ihre letzten Lebensjahre und wurde nach ihrem Tod in der Klosterkirche beigesetzt, die bis heute der zentrale Ort ihrer Verehrung ist.2 Als einschneidendes Ereignis in der Biografie Hedwigs gilt der Tod ihres Sohnes Heinrich II. während des Tataren- bzw. Mongoleneinfalls im Jahre 1241 bei Liegnitz/Legnica. Am Ort der Schlacht gründete die Herzogin gemeinsam mit Heinrichs Witwe Anna von Böhmen † 1265, der Tochter des böhmischen Königs Ottokar I. Přemysl, eine Benediktinerabtei in Wahlstatt/Legnickie Pole. Ähnlich wie ihre Nichte Elisabeth von Thüringen (1207– 1231) widmete Hedwig ihr Leben im Sinne der frühen Franziskanerbewegung der freiwilligen Kreuzesnachfolge, strenger Askese und Demut sowie der aufopfernden Fürsorge für Arme, Kranke und Hilfsbedürftige.3 So stand sie bereits zu Lebzeiten im Ruf, eine Heilige zu sein. Die Verehrung Hedwigs setzte unmittelbar nach ihrem Tod 1243 ein. An ihrem Grab in Trebnitz, das hauptsächlich Pilger aus Schlesien, Großpolen, Pommern, der Lausitz, Böhmen und Meißen anzog, kam es in den darauffolgenden Jahren zu 85 Heilungen, auf deren Grundlage die Heiligsprechung schon im Jahre 1267 erfolgte. Vorangetrieben hatte die Kanonisierung außer dem Erzbischof von Gnesen/Gniezno insbesondere die schlesische Piastenfamilie. Durch deren dynastische Verbindungen breitete sich die Hedwigverehrung von Schlesien ausgehend rasch in anderen polnischen Fürstentümern sowie in Böhmen, der Lausitz und in Sachsen aus, auch das Erzbistum Magdeburg förderte den Kult in besonderer Weise. Hedwig galt – neben dem hl. Adalbert und dem 1253 kanonisierten hl. Stanislaus – als Patronin Polens und erfüllte als dynastische Heilige eine politische Funktion bei den Bemühungen der schlesischen Piasten um die Wiedervereinigung Polens im 13. Jahrhundert. Ihre Verehrung sollte zur Identitätsbildung und Integration der polnischen Fürstentümer beitragen und ein Gefühl von kultureller Zusammengehörigkeit erzeugen.4 Sie war 1 Grüger, Heinrich: Der Konvent von Trebnitz (Trzebnica) bis zum Ende der habsburgischen Gegenreform. Ein Überblick. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 51/52 (1994), 159–177. Nochmals abgedruckt in: Księga Jadwiżańska. Międzynarodowe Sympozjum Naukowe „Święta Jadwiga w dziejach i kulturze Śląska“. Wrocław-Trzebnica 12–23. września 1993 roku. Hg. v. Kazimierz Bobowski u. a.. Wrocław 1995, 83–98. 2 Köhler, Joachim: Hedwig von Schlesien. In: Die Landespatrone der böhmischen Länder. Geschichte – Verehrung – Gegenwart. Hg. v. Stefan Samerski. Paderborn 2009, 85–98; Walter, Ewald: Anmerkungen zu Leben und Verehrung der hl. Hedwig, Herzogin von Schlesien. In: Heilige und Heiligenverehrung in Schlesien. Hg. v. Joachim Köhler. Sigmaringen 1997 (Schlesische Forschungen 7), 51–69. 3 Walter, Ewald: Franziskanische Armutsbewegung in Schlesien. War die Herzogin Anna († 1265), die Schwiegertochter der hl. Hedwig, eine Terziarin des Franziskanerordens? In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 40 (1982), 207–223. 4 Karłowska-Kamzowa, Alicja: Św. Jadwiga potronka Królestwa Polskiego [Hl. Hedwig als Schutzheilige des Königreichs Polen]. In: Księga Jadwiżańska (wie Anm. 1), 357–370.

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als Weiheheilige zahlreicher Kirchen, Kapellen und Altäre vor allem in Schlesien und Großpolen präsent. Aus der Zeit um 1300 datiert ihre erste umfassende Lebensbeschreibung Legenda maior de beata Hedwigi, die in vielen Abschriften um eine Legenda minor erweitert wurde.5 Die aus künstlerischer Sicht wohl bemerkenswerteste Umsetzung dieses Textes ist der sogenannte Schlackenwerther Codex – eine von Herzog Ludwig I. von Liegnitz-Brieg, dem großen Förderer des Hedwig-Kultes, 1353 in Auftrag gegebene Handschrift mit 61 Abbildungen (Taf. 1), die die Ikonografie der Heiligen entscheidend prägte.6 In Krakau und Kleinpolen durch den Piastenkönig Kasimir den Großen etabliert, wurde der Hedwig-Kult auch von den nachfolgenden Herrscherdynastien übernommen. So bauten darauf beispielsweise die Jagiellonen im 15. Jahrhundert bei ihren Bemühungen um die Heiligsprechung Königin Hedwigs von Anjou, der Stammesmutter ihres Geschlechts (beide Heiligen wurden häufig von den Hagiografen verwechselt).

Katholische Nationalheilige oder Vorbild protestantischer Tugend? An Brisanz gewann die Figur der hl. Hedwig vor dem Hintergrund der türkischen Bedrohung im 15. Jahrhundert.7 Spätestens mit dem Fall von Konstantinopel 1453 wurde die osmanische Gefahr für Ungarn Realität und betraf somit politisch auch Schlesien, das zu jener Zeit als Teil der Krone Böhmens in Personalunion mit Ungarn verbunden war. Unter Bezugnahme auf Hedwig, deren Sohn im Tatarensturm ums Leben gekommen war, wurde die Aktualität der türkischen Invasion für Schlesien propagiert und um die Beteiligung der Bevölkerung an den Abwehrmaßnahmen, wie z. B. den Kreuzzügen, geworben. Zur Intensivierung des Hedwig-Kultes trug zu jener Zeit in hohem Maße der Buchdruck bei. Nachdem zuerst die viel beachtete Schedelsche Weltchronik 1493 eine Lebensbeschreibung der Heiligen brachte, erschien ihre Vita in illustrierten 5 Die frühesten Quellen zum Leben der Heiligen betrachtet im historischen Kontext Irgang, Winfried: Die heilige Hedwig – ihre Rolle in der schlesischen Geschichte. In: Das Bild der heiligen Hedwig in Mittelalter und Neuzeit. Hg. v. Eckhard Grunewald und Nikolaus Gussone. München 1996 (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 7), 23–39. Siehe auch Pater, Józef: Wartości historyczne „Żywota większego świętej Jadwigi“ [Historischer Wert der „Legenda maior der heiligen Hedwig“]. In: Księga Jadwiżańska (wie Anm. 1), 177–186. 6 Ludwigs Nachfolger Rupert von Liegnitz ließ die Legende 1380 ins Deutsche übersetzen. Kaczmarek, Romuald: Das Bild der heiligen Hedwig. Zeugnisse in der Kunst vom 13. bis zum 18. Jahrhundert. In: Das Bild der heiligen Hedwig (wie Anm. 5), 137–159. 7 Karłowska-Kamzowa, Alicja: Zagadnienie aktualizacji w śląskich wyobrażeniach bitwy legnickiej 1353–1504 [Zur Frage der Aktualisierung in den schlesischen Darstellungen der Liegnitzer Schlacht 1353–1504]. In: Studia Źródłoznawcze 17 (1972), 91–119; Solicki, Stanisław: Rola kultu św. Jadwigi w przygotowywaniu akcji antytureckiej na Śląsku w końcu XV i w początkach XVI wieku [Die Rolle des St.-Hedwig-Kultes bei den Vorbereitungen der antitürkischen Kampagne am Ausgang des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts]. In: Księga Jadwiżańska (wie Anm. 1), 371–385. Auf die semantischen Verschiebungen im Narrativ der Schlacht bei Wahlstatt und dessen Aktualisierungen geht Eiden, Maximilian: Das Nachleben der schlesischen Piasten. Dynastische Tradition und moderne Erinnerungskultur vom 17. bis 20. Jahrhundert. Köln-Weimar-Wien 2012, 97–109 genauer ein.



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Buchausgaben in lateinischer und deutscher Sprache: 1504 in Breslau sowie 1511 in Krakau und Frankfurt/Oder. Der Einzug der Reformation brachte zwar einen Rückgang der Frömmigkeitspraxis mit sich, jedoch keine Aufhebungen von Hedwig-Patrozinien an zahlreichen ihr gewidmeten Kirchen, Kapellen und Altären in Schlesien. Protestantische Epitaphien zeugen gar von einer ungebrochenen Popularität des Namens vor allem in bürgerlichen und adeligen Kreisen.8 Dazu hat in besonderer Weise die von Joachim Cureus 1571 auf Latein und 1585 auf Deutsch publizierte schlesische Chronik mit einer ausführlichen Hedwig-Biografie beigetragen.9 Dieses viel rezipierte Werk lieferte mit einer Reinterpretation Hedwigs aus protestantischer Sicht eine Grundlage für die konfessionsübergreifende Wertschätzung der Heiligen als historischer Gestalt und religiösem Vorbild. Obwohl von der katholischen Kirche abgelehnt, trug das Buch letztendlich doch auch zur Intensivierung traditioneller Frömmigkeitsformen bei. Eine Lebensbeschreibung Hedwigs aus katholischer Sicht legte 1579 der Kanzelredner und Jesuitenpater Piotr Skarga auf Polnisch in seiner viel beachteten Sammlung von Heiligenlegenden vor.10 In Bayern wurde sie durch den Jesuiten Matthäus Rader bekannt, der ihre Vita 1615 in seiner vierbändigen „Bavaria Sancta“ auf Latein veröffentlichte, eine deutsche Version folgte 1715.11 Überhaupt spielten die Jesuiten für die Aktualisierung der Hedwigverehrung in Breslau zur Zeit der Rekatholisierung eine 8 Harasimowicz, Jan: Die heilige Hedwig von Schlesien aus evangelischer Sicht. In: Das Bild der heiligen Hedwig (wie Anm. 5), 89–116. 9 Ebd. Curäus, Joachim: Gentis Silesiae Annales Complectentes Historiam De Origine, Propagatione et Migrationibus gentis, …, qui in Ecclesia & Republica vsq[ue] ad necem Lvdovici Hungariae & Bohemiae regis acciderunt / Contexti ex Antiqvitate Sacra Et Ethnica, Et ex scriptis recentioribus: A Ioachimo Cvreo Freistadiensi, Philosopho Et Medico In Inclyta vrbe Glogouiensi. Witebergae 1571; Ders./Raettel, Heinrich: Schlesische General Chronica: Darinnen Warhaffte eigentliche vnd kurtze Beschreibung Des Landes Ober vnd Nider Schlesien … Erstlich Durch Den Hochgelarten Herrn Joachimum Cureum Freystadiensem, der Artzney Doctorn etc. seligen in Lateinischer Sprach beschrieben: Jetzund aber dem gemeinen Vaterlandt zu gut verdeutscht Durch den Wolgelarten und Weisen Herrn Heinrich Raetteln zu Sagan etc. Mit fleiß zusammen gezogen Durch D. Laurentium Mueller damals Fuerstlichen Churlendischen Hoffraht. Leipzig 1585. Zur Popularisierung der Heiligen bei den Protestanten trug außerdem ihre Aufnahme 1573 als „polnische Herzogin“ in das weitverbreitete „Calendarium Sanctorum et Historiarum“ von Andreas Hondorff sowie 1584 in das Römische Martyrologium bei. Dazu Harasimowicz, Jan: Kult świętej Jadwigi Śląskiej w okresie reformacji i odnowy trydenckiej Kościoła [Kult der heiligen Hedwig von Schlesien während der Reformation und der tridentinischen Kirchenerneuerung]. In: Księga Jadwiżańska (wie Anm. 1), 387–406, hier 401–403. 10 Skarga, Piotr: Żywot świętej Jadwigi księżny polskiej, ciotki Św. Helżbiety wzięty z klasztoru trebnickiego i papieżowi podany, który też pisał Engelbertus zakonnik cystercyjensów i kroniki polskie [Das Leben der polnischen Herzogin hl. Hedwig, der Tante der hl. Elisabeth, aus dem Trebnitzer Kloster entnommen und dem Papst überreicht, das auch von dem Zisterzienserpater Engelbertus und in polnischen Chroniken niedergeschrieben wurde]. In: Ders.: Żywoty świętych polskich. Kraków 1987, 150–165. Umfassend zum polnischen Hedwig-Schrifttum Rok, Bogdan: Św. Jadwiga w polskim piśmiennictwie religijnym czasów nowożytnych [Hl. Hedwig im polnischen religiösen Schrifttum der Neuzeit]. In: Księga Jadwiżańska (wie Anm. 1), 251–260. 11 Vgl. Gottschalk, Joseph: Die älteste protestantische Lebensbeschreibung der hl. Hedwig vom Jahre 1571. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 17 (1959), 1–15, hier 4.

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bedeutende Rolle, zogen ihre Predigten doch neben den Katholiken auch Protestanten an und bereiteten somit den Grund für die öffentliche Akzeptanz der feierlichen Pilgerfahrten nach Trebnitz, die nach mehr als einhundertjähriger Stagnation 1651 wieder aufgenommen wurden.12 In Reaktion auf das wachsende Interesse der Protestanten wurde die Breslauer Hedwig-Vita nach über hundert Jahren 1631 erneut aufgelegt, diesmal unter Verzicht auf Abbildungen. Das konfessionsübergreifende, integrative Potenzial der Heiligen erkannten auch die Habsburger. Sie förderten ihren Kult im Zuge der katholischen Erneuerung und bezogen sie in ihre künstlerische Repräsentation mit ein. So ist die hl. Hedwig beispielsweise auf den Altarretabeln in Neisse/Nysa (1612) und Grzendzin/Grzędzin (um 1700) an der Seite des hl. Heinrichs bzw. des hl. Josefs als Schutzpatronin der Monarchie zu sehen.13 In den seit Ende des 16. Jahrhunderts häufiger werdenden Bildzeugnissen erscheint sie in der Regel mit einer Marienstatue und Schuhen in der Hand als Zeichen ihrer Marienverehrung, Demut und Askese oder mit einem Modell der Trebnitzer Klosterkirche. Die historisch falsche Ikonografie als Nonne findet sich selten, am häufigsten figuriert sie als Herzogin, ausgewiesen durch einen Herzogshut mit überkreuzten Bügeln. Die Interessen der katholischen Habsburger und Polens wurden nach dem Dreißigjährigen Krieg im Zeichen der Gegenreformation und der Türkenabwehr enger zusammengeführt. Das wirkte sich positiv auf die Entfaltung der Hedwigverehrung in beiden Ländern aus. In Polen wurde der Hedwig-Kult nicht nur auf lokalkirchlicher Ebene und durch die Orden der Zisterzienser, Franziskaner und Jesuiten getragen, sondern auch in besonderer Weise vom Hochadel. So waren es König Jan III. Sobieski und seine Gemahlin Maria Kazimiera, die mit Unterstützung der Habsburger 1680 die Aufnahme des Hedwig-Festes in das Kalendarium der Weltkirche am 17. Oktober als semiduplex initiierten sowie 1706 dessen Erhebung zum Pflichtfest der katholischen Kirche erwirkten (das Fest wurde 1925 auf den 16. Oktober verschoben).14 Das hatte eine Ausweitung der Verehrung der Heiligen auf alle katholischen Länder zur Folge. Die Interessen des Hauses Habsburg und Polens trafen in besonderer Weise in Trebnitz, dem Kultzentrum der Hedwigverehrung, aufeinander. Das von Beginn an sehr reich ausgestattete Kloster entwickelte sich bereits kurz nach seiner Gründung zur wichtigsten Bildungsstätte für Jungfrauen fürstlicher, adeliger und patrizischer Herkunft in Schlesien und wuchs um 1300 auf ca. 120 Nonnen an. Der Tochter Hedwigs, Gertrud (1200–1268), die dem Konvent von 1232 bis 1268 als Äbtissin vorstand, folgten im Amt bis 1515 Vertreterinnen polnisch-schlesischer Piasten und Přemysliden, später Töchter eingesessener schlesischer Adelsfamilien und nach 1610

12 Matwijowski, Krystyn: Pielgrzymki wrocławskie do Trzebnicy w XII stuleciu [Breslauer Pilgerfahrten nach Trebnitz im 17. Jahrhundert]. In: Księga Jadwiżańska (wie Anm. 1), 407–413. 13 Dazu Harasimowicz, Kult świętej Jadwigi Śląskiej (wie Anm. 9), 404. 14 Köhler (wie Anm. 2), 93 f.



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hauptsächlich polnische Hochadelige.15 Letztere strömten in den um die Mitte des 16.  Jahrhunderts durch den Einzug der Reformation dezimierten und nur dank des ausdrücklichen Schutzes durch die Habsburger nicht säkularisierten Konvent, um das Grab ihrer Landespatronin vor den Häretikern zu bewahren. Trebnitz entwickelte sich im 17.  Jahrhundert zum von der Disziplin des Ordens weitgehend emanzipierten hochadeligen Damenstift, das die vorwiegend polnischen Nonnen als eine Enklave ihrer Nation betrachteten.16 So wurden polnisch-habsburgische Konflikte auch im Kloster ausgetragen, wie beispielsweise bei der Äbtissinnenwahl des Jahres 1706, als der Kaiser mit militärischer Macht eine schlesische Kandidatin gegen eine Polin durchsetzte. Dass hierfür vor allem politische und ständische, weniger aber ethnische Gründe vorlagen – Polen hatte sich gerade im Großen Nordischen Krieg (1700–1721) vom habsburgischen Verbündeten August dem Starken losgesagt, um den durch Schweden favorisierten Stanisław Leszczyński zu unterstützen, dessen Angehörige Mitglieder des Trebnitzer Konvents waren –, zeigte sich spätestens bei der nächsten Äbtissinnenwahl, als erneut eine Polin das Amt bekleidete.17 Die Aufnahme Hedwigs in den Kalender der gesamten römisch-katholischen Kirche, die eine Intensivierung ihrer Verehrung erwarten ließ, ging ab 1676 mit einer groß angelegten Barockisierungskampagne der Trebnitzer Klosterkirche unter Äbtissin Christina Katharina von Würben-Pawłowska einher.18 Die baulichen Maßnahmen sollten nicht nur zur Entfaltung des Pilgerwesens und zur Stärkung des Katholizismus auf lokaler Ebene beitragen, sondern auch dem gesteigerten Repräsentationsbedürfnis der Nonnen Rechnung tragen (Abb. 1). Als Erstes wurde die Hedwigskapelle 1679/80 vom Krakauer Bildhauer Marcin Bielawski mit einem neuen Grabmal der Heiligen aus schwarzem und rosa Marmor ausgestattet, das Hedwig auf einem Sarkophag ruhend, unter einem auf Säulen gestützten Baldachin zeigte. 1685 erhielt die Kapelle eine eigene Kanzel. Gleichzeitig wurde eine Überführung der Leichname Herzog Heinrichs I. des Bärtigen und Konrad II. von Feuchtwangen (†  1296), des

15 Während der Reformation hatte der Trebnitzer Konvent nie weniger als 26 Mitglieder, das Verhältnis der Nationalitäten unterlag aber einem deutlichen Wandel: Während sich 1516 unter den 59 Professinnen sechs Polinnen befanden, waren im Jahre 1691 sieben Deutsche unter den 36 Nonnen. Zum Nationalitätenverhältnis genauer Bobowski, Kazimierz: Das schlesische Kloster Trebnitz und andere Frauenklöster der Zisterzienser westlich und östlich der Oder. In: Zisterzienser. Norm, Kultur, Reform – 900 Jahre Zisterzienser. Hg. v. Ulrich Knefelkamp. Berlin u. a. 2001 (Schriftenreihe des Interdisziplinären Zentrums für Ethik an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt [Oder]), 137–153, hier 145–148. 16 Grüger (wie Anm. 1), 167–171. 17 Ebd. 18 Das künstlerische Mäzenatentum der Äbtissin analysieren Kaczmarek, Romuald/Witkowski, Jacek: Die Trebnitzer Äbtissin Christina Katharina von Würben-Pawlowska als Förderin der Kunst. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 44 (1986), 33–145. Vgl. auch Dies.: Mauzoleum świętej Jadwigi w Trzebnicy [Das Mausoleum der hl. Hedwig in Trebnitz]. Wrocław 1993 und Dies.: Reliquien und Reliquiare: Ausprägungen des Hedwigs-Kultes. Mit 11 Abbildungen. In: Heilige und Heiligenverehrung (wie Anm. 2), 113–147, hier 132.

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Großmeisters des Deutschen Ordens, in das Kirchenschiff veranlasst. Ihre marmornen Grabanlagen, die Jakub Bielawski, ein Sohn Marcins, anfertigte, sollten den Triumph

Abb. 1  Sanktuarium der hl. Hedwig in Trzebnica, Westfassade der Klosterkirche und zur Rechten das Konventsgebäude.

des Christentums über den Islam versinnbildlichen und gleichsam ein Zeichen der deutsch-polnischen Verbrüderung im Zeichen des Katholizismus setzen – dies wohlbemerkt kurz nach dem Sieg Sobieskis über die Osmanen bei Wien 1683. Für die Ausgestaltung der Klosterkirche wurden neben kleinpolnischen vor allem schlesischdeutsche Künstler herangezogen. Von Michael Willmann, dem gefragtesten Maler Breslaus, stammt ein Zyklus von 20 Gemälden aus dem Leben der hl. Hedwig19, der Breslauer Architekt Johann Georg Kalkbrenner zeichnete wiederum für den Neubau der um das Doppelte vergrößerten Klosteranlage verantwortlich. Zu Füßen des neuen Grabmals fand die zum Katholizismus konvertierte letzte Piastin Schlesiens und direkte Nachfahrin Hedwigs, Charlotte von Liegnitz-Brieg-Wohlau († 1707), ihre Ruhestätte. Ihr Herz wurde entgegen den Wünschen ihrer protestantischen Familie nicht im 19 Kaczmarek, Romuald/Witkowski, Jacek: Michała Łukasza Leopolda Willmanna trzebnicki cykl żywota i cudów św. Jadwigi [Michael Lukas Leopold Willmanns Trebnitzer Bilderzyklus zu Leben und Wundertaten der hl. Hedwig]. In: Księga Jadwiżańska (wie Anm. 1), 297–318.



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Abb. 2  Westfassade der ehemaligen Klosterkirche von Wahlstatt/ Legnickie Pole, 1727– 1731 nach Plänen des Stiftsbaumeisters Kilian Ignaz Dientzenhofer errichtet.

Liegnitzer Familienmausoleum (genannt Piasteum), sondern in der Hedwigskapelle der Breslauer Klarakirche bestattet.20 Von der Prosperität des Trebnitzer Klosters im 18. Jahrhundert zeugt eine weitere Renovierungskampagne in den Jahren 1730–1760, bei der beinahe alle Altäre im Rokokostil umgebaut, das Grabmal Hedwigs mit einer neuen Alabasterskulptur bestückt und eine monumentale Kanzel im Hauptschiff errichtet wurden. Für die bildhauerischen Arbeiten war 1739–1745 der aus Bayern stammende Franz Joseph Mangoldt hauptverantwortlich, die Gemälde lieferte in den Jahren 1747/48 der Holländer Christian Phillip Bentum. Zur gleichen Zeit wurde im unweit von Liegnitz gelegenen Wahlstatt ein neues Zentrum der Hedwigverehrung mit ausdrücklicher Unterstützung Kaiser Leopolds I. geschaffen. Anstelle eines ursprünglich von Hedwig und Anna von Böhmen am Ort 20 Kaczmarek/Witkowski, Mauzoleum (wie Anm. 18), 51–53.

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der Tatarenschlacht des Jahres 1241 gegründeten Benediktinerklosters, das später den Protestanten zufiel, wurde eine neue Propsteikirche desselben Ordens gegründet. Die beeindruckende Anlage von 1727–1731, bestehend aus Hl.-Hedwig-Kirche und Klostergebäuden, ist ein architektonisches Meisterwerk Kilian Ignaz Dientzenhofers (Abb.  2). Die abwechselnd konkav und konvex geschwungene, doppeltürmige Fassade wird zum Zeichen des Hedwig-Patroziniums von Helmen in Form von Herzogshüten geschmückt. Die skulpturale Ausstattung im Außen- wie Innenraum realisierte der Prager Karl Joseph Hiernle, während die Gemälde der Seitenaltäre Wenzel Lorenz Reiner und das Deckenfresko der Münchener Cosmas Damian Asam 1733 schufen. Das Hauptaltarbild des Holländers Johann Franz de Backer setzt die Auffindung des Leichnams Heinrichs II. durch Hedwig und ihre Schwiegertochter Anna und somit das Thema der Tatarenabwehr in Szene. Nicht minder anspruchsvoll war das Bauwerk, mit dem Preußen nach seiner Machtübernahme in Schlesien 1742 der Hedwigverehrung Tribut zollte. Nur wenige Jahre nach dem siegreichen Ersten Schlesischen Krieg veranlasste König Friedrich II. den Bau einer neuen Hauptkirche für Berlin unter dem Patrozinium der hl. Hedwig, die ein Bestandteil des königlichen Forum Fridericianum, des zentralen Repräsentationsplatzes der Stadt, werden sollte (Abb. 3).21 Der am römischen Pantheon orientierte Zentralbau mit Giebelportikus wurde in den Jahren 1747–1773 nach Plänen Georg Wenzeslaus von Knobelsdorffs mit Spendengeldern aus ganz Europa realisiert. Für die Weihe waren Hedwigreliquien samt einem spätgotischen Reliquiar aus Trebnitz beschafft worden. Die Abbildung dieser Silberstatuette, die anstatt des Modells der Trebnitzer Klosterkirche das des Berliner Domes trägt, wurde 1955 zum 25-jährigen Gründungsjubiläum des Bistums Berlin als Briefmarkenmotiv herausgegeben (Abb. 4). Der Bau der Hedwig-Kirche sollte die aufgebrachte Stimmung in Schlesien besänftigen und Friedrich II. die Gunst des katholischen Adels sichern. Seine konziliante Haltung gab der König jedoch bald auf. Zur Zeit der preußischen Oberhoheit änderte sich die Lage der katholischen Kirche und der Polen in Schlesien dramatisch. Antikatholische Maßnahmen, die mit Germanisierungstendenzen Hand in Hand gingen, verschärften sich gegen Ende des Jahrhunderts und gipfelten schließlich 1810 in der Säkularisierung von Kirchenbesitz, von der insbesondere Klöster hart betroffen waren. Nur kurz nach der feierlichen Begehung der 600-jährigen Klostergründung in Trebnitz 1803 wurde der Konvent aufgelöst, an seine Stelle 1818 eine Pfarrkirche und in den Klostergebäuden 1817–1857 eine Tuchfabrik eingerichtet, während Wahlstatt nach seiner Kassation zu einer Kadettenanstalt umfunktioniert wurde, die von 1840 bis 1920 bestand und deren bekanntester Absolvent Paul von Hindenburg war.22 21 Kaczmarek/Witkowski, Reliquien und Reliquiare (wie Anm. 18), 125 f. 22 Kaczmarek, Michał: „Dziękując Bogu w nadchodzącą uroczystość 600-lecia …“ Przygotowania w diecezji wrocławskiej do obchodów Jubileuszu Jadwiżańskiego w 1843 roku [„An der bevorstehenden sechshundertjährigen Gedächtnisfeier Gott danken …“ Vorbereitungen in der Diözese Breslau auf die Begehung des Hedwig-Jubiläums im Jahre 1843]. In: Księga Jadwiżańska (wie Anm. 1), 415–430, hier 417.



Hedwig von Schlesien in der deutsch-polnischen Geschichte

Abb. 3  St. Hedwigs-Kathedrale Berlin, 1747–1773 nach Plänen von Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff und Jean Laurent Legeay errichtet.

Abb. 4  Briefmarke der Deutschen Bundespost (Berlin) zum 25-jährigen Bestehen des Bistums Berlin, Zuschlagmarke für den Wiederaufbau der zerstörten Kirchen (Nennwert 10+5 Pfennig). Statue der hl. Hedwig mit dem Modell des Berliner Domes und einer Marienfigur in der Hand. Entwurf: Gerhardt. 26 November 1955.

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Nationalisierung der Hedwigverehrung im 19. und 20. Jahrhundert Obwohl die Zerstörung von Zentren der Hedwigverehrung eine weitere Kultentwicklung und -pflege im hohen Maße beeinträchtigte, kam das Interesse an der Heiligen nicht ganz zum Erliegen. Im Jahre 1843 wurde in der Diözese Breslau ihr 600-jähriges Todesjubiläum im großen Stil gefeiert. Dies ist vor dem Hintergrund einer tiefen Krise der katholischen Kirche in Schlesien zu betrachten, die durch Repressionen Friedrich Wilhelms III. und seiner Unterstützung des Protestantismus23 ausgelöst wurde. Mit dem Hedwig-Jubiläum wollte die katholische Kirche ihre Autorität und ihre Präsenz in der Öffentlichkeit stärken, die Idee der katholischen Erneuerung auf der Grundlage von traditionellen Werten transportieren, unter Berufung auf historische Vorgänge die Verbindung der katholischen Kirche in Schlesien mit dem deutschen Volk ins Bewusstsein rufen und somit nicht zuletzt den nationalen Stolz wecken.24 Diese patriotisch-nationalen Erwägungen leiteten den Klerus bei dem Versuch, polnischen Pilgern während der Hauptfeierlichkeiten in Trebnitz den Zutritt zum Grab der Heiligen zu untersagen, verbanden doch die Polen den Ort ihrerseits mit der eigenen nationalen Tradition. Nachdem Großpolen infolge der Teilungen des Landes von Preußen besetzt wurde, stützten sich die patriotischen Bemühungen auf den Erhalt nationaler Identität und auf die Pflege des piastischen Erbes, was insbesondere in der Gründung eines Piasten-Mausoleums an der Posener Kathedrale 1840 und in der wachsenden Pilgerbewegung nach Trebnitz zum Ausdruck kam. Im Jahre 1843 wurde seitens der schlesischen Kirchenhierarchie letztendlich den Polen der Zugang nicht verwehrt, sodass an der Trebnitzer Jubiläumsfeier sowohl deutsche als auch polnische Pilger gemeinsam teilnehmen konnten. Nach der Märzrevolution von 1848 formierte sich in Deutschland eine katholische Einheitsbewegung, die auch Schlesien erfasste und eine Konjunktur der Hedwigverehrung mit sich brachte. In diesem Jahr entstand in Breslau durch die Anregung des Domkapitulars Robert Spiske (1821–1888) ein St.-Hedwig-Verein für Frauen, der sich der Pflege und Erziehung von Kindern verschrieb.25 Auf seiner Grundlage wurde 1856 eine Kongregation von St.-Hedwig-Schwestern gegründet. Das von ihnen ab 1857 in Breslau betriebene Kinderheim erfüllte eine wichtige soziale Funktion in der fortschreitend industrialisierten Region, die von Krankheitswellen, Armut und sozialem Gefälle gekennzeichnet war. Der Hungertyphus der Jahre 1847–1850 setzte eine neue Demutsbewegung in Gang, in deren Kontext das asketische Leben der hl. Hedwig Vorbildcharakter gewann. Eine wichtige Grundlage hierfür hatte Franz Xaver Görlich mit seiner Übersetzung der mittelalterlichen Legenda maior gelegt, die anlässlich

23 Im Jahre 1830 hatten sich die lutherische und reformierte Kirche zu einer Union verbunden. 24 Kaczmarek (wie Anm. 22), bes. 428 f. 25 Swastek, Jozef: Robert Spiske, Gründer der Kongregation der St. Hedwig-Schwestern. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 59 (2001), 271–291, hier 278 f.



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des Hedwig-Jubiläums von 1843 erschien.26 Sie machte das Leben und Wirken der Heiligen erstmals einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Es kam zu einem Aufschwung des Pilgerwesens, wobei – zusätzlich zu den Orten der Marienverehrung – in Oberschlesien vor allem Annaberg, in Niederschlesien hingegen die Hedwig-Orte in Trebnitz und Wahlstatt Besucher anzogen. Wichtige Impulse für die Intensivierung des Hedwig-Kultes in Schlesien gingen von Heinrich Förster, seit 1853 Fürstbischof von Breslau, aus. Er beauftragte den Dichter Joseph von Eichendorff mit einer neuen, zeitgemäßen Hedwig-Biografie, die die religiöse Deutung der Heiligen mit einer historisch-wissenschaftlichen Aufarbeitung verbinden sollte, um den Anforderungen der im 19. Jahrhundert gegen die Säkularisierungstendenzen ankämpfenden Kirche zu entsprechen. Eichendorff verstarb jedoch 1857 und hinterließ nur eine Einleitung, die August Knoblich 1860 zu einem Buch mit dem Titel „Lebensgeschichte der Heiligen Hedwig, Herzogin und Landespatronin von Schlesien“ ausbaute.27 Die drei Jahre später entstandene französische Übersetzung erweiterte schon in der Titelgebung „Histoire de Sainte Hedwige. Duchesse de Silésie et de Pologne“28 den von Knoblich regional zu eng gesetzten geografisch-kulturellen bzw. nationalen Bezugsrahmen. Nach dem Einbruch der katholischen Frömmigkeitspraxis während der Zeit des bismarckschen Kulturkampfes gegen die katholische Kirche (1871–1878), der einen Schulterschluss polnischer und deutscher Katholiken bewirkte, konnte sich die Hedwigverehrung vor allem in Niederschlesien und Großpolen weiterentfalten. Trebnitz erfreute sich seit der Anbindung an die Eisenbahnlinie nach Breslau 1886 wachsenden Zuspruchs als Kurort mit Hedwigsquelle und wurde ein Wohnort für wohlhabende Breslauer. Diese Aufmerksamkeit kam auch der Basilika zugute, die bei den Renovierungsarbeiten von 1903 u. a. mit einem neuen Orgelprospekt nach Entwürfen von Hans Pölzig ausgestattet wurde. Die Freilegung der romanischen Kirchenportale in der Zwischenkriegszeit machte den Ort für kulturinteressierte Touristen zum Anlaufpunkt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erreichte die Hedwigverehrung, verbreitet durch polnische Emigranten, auch den nord- und südamerikanischen Kontinent. Hedwigdarstellungen, aber auch Hedwiglieder und -messen in deutscher wie polnischer Sprache zeugen von der Popularität der Heiligen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Als Symbolfigur einer historisch begründeten Germanisierung wurde sie in besonderer Weise während des Nationalsozialismus bemüht.29 Dem vorausge26 Grunewald, Eckhard: Eichendorff, Montalembert und die heilige Hedwig. Von den Schwierigkeiten des Umgang mit einer mittelalterlichen Heiligen im 19. Jahrhundert. In: Das Bild der heiligen Hedwig (wie Anm. 5), 117–135, hier 121. 27 Knoblich, Augustin: Lebensgeschichte der Heiligen Hedwig, Herzogin und Landespatronin von Schlesien. Breslau 1860; Grunewald (wie Anm. 26). 28 Knoblich, Augustin: Histoire de Sainte Hedwige. Duchesse de Silésie et de Pologne (1174–1243). Tournai 1863. 29 Eiden, Maximilian: Hedwig von Schlesien – Herzogin und deutsch-polnische Heilige. In: Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte. Hg. v. Małgorzata Omilanowska unter Mitarb. v. Tomasz Torbus. Köln 2011, 44–49, hier 47.

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gangen war ihre Indienstnahme sowohl von der deutschen als auch von der polnischen Seite während der Auseinandersetzung um Oberschlesien in der Zwischenkriegszeit. Erwähnt sei die „Missa in honorem Sctae Hedwigis“, die Paul Blaschke anlässlich des 700. Todestages der Heiligen 1943 komponierte. Für diese Jubiläumsfeierlichkeiten, die mit der Erhebung der Trebnitzer Kirche zur päpstlichen Basilika durch Pius XII. verbunden waren, schuf Maria Luise Thurmair-Mumelter ein Hedwigweihespiel, das später in Kirchen ganz Schlesiens aufgeführt und nach Kriegsende von den in die Bundesrepublik Vertriebenen übernommen wurde. Im Nationalsozialismus wurde die Heilige aber auch für Konstruktionen eines deutsch-polnischen Feindschaftsbildes instrumentalisiert, wie beispielsweise in den viel beachteten Romanen „Barbarossa am Siling“ (1941) von Paul Nieborowski oder dem preisgekrönten „Vogt Bartold“ (1940) von Hans Venatier. Hedwig erscheint dort als eine Pionierin der deutschen Ostpolitik, die ihren Landsleuten den Weg zur Landnahme ebnet und das christliche Deutschtum gegenüber dem heidnischen und somit unterlegenen bzw. zu bekämpfenden Polentum vertritt. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges trat die Hedwigverehrung in eine neue Phase. Nach der Grenzverschiebung infolge des Jalta-Vertrages trafen anstelle deutscher nun polnische Vertriebene aus Galizien in Schlesien ein, die im Katholizismus eine wichtige Integrationsplattform in ihrer neuen Heimat erkannten. Die polnische Kirche knüpfte – in Anlehnung an das staatliche Konzept der Machtübernahme in den sogenannten „wiedergewonnenen Gebieten“ – an die polnisch-piastische Vergangenheit der Region und die tradierten Frömmigkeitsformen an, um eine Identifikation der zugewanderten Bevölkerung mit der neuen Heimat zu fördern. Die hl. Hedwig bot hierfür vielerlei Anbindungsmöglichkeiten, umso mehr, als ihr Kultzentrum den Krieg unbeschadet überstanden hatte und in Betrieb genommen werden konnte. Denn während die Stadt Trebnitz im Januar 1945 von der Roten Armee stark in Mitleidenschaft gezogen worden war, gelang es den Borromäusschwestern, die seit 1889 in den Konventsgebäuden ein Krankenhaus und ein Kinderheim betrieben, das barocke Kirchenensemble vor der Zerstörung zu bewahren (festgehalten wurden diese Ereignisse auf vier Gemälden im Sanktuarium, auf denen die hl. Hedwig Stadt und Kloster unter ihrem Mantel Schutz bietet).30 Nach dem Krieg übernahmen die Salvatorianer die Seelsorge und Pflege des Sanktuariums, unterstützt durch die polnischen Borromäusschwestern, die die Stelle ihrer nach Görlitz abgewanderten deutschen Vorgängerinnen einnahmen. Die deutschen Borromäusschwestern transportierten die Hedwigverehrung nach Görlitz. Heute untersteht das dortige Bistum dem Schutz der Heiligen. Die Orden in Trebnitz sorgten hingegen nicht nur für die bauliche Instandsetzung und -haltung des Ensembles, sondern leisteten durch zahlreiche Publikationen einen wichtigen Beitrag zur Popularisierung der schlesischen Heiligen und ihres Sanktuariums im Nachkriegspolen. 30 Die Entwicklungen des Jahres 1945 schildert Kiełbasa, Antoni: Apokalyptische Zeiten. Stadt und Kloster Trebnitz im Zusammenbruch und Neubeginn des Jahres 1945. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 50 (1992), 87–119.



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Das Hedwig-Jubiläum im Oktober 1945 wurde in enthusiastischer Stimmung unter dem Schlagwort „Schlesien huldigt der hl. Hedwig“ begangen und in den folgenden Jahren wiederholt. Die Heilige, die die piastisch-katholische Tradition Schlesiens verkörpert, stiftete regionale Identität, trug zur Integration der zugewanderten und der autochthonen Bevölkerung bei und stärkte damit nicht zuletzt die Position der katholischen Kirche gegenüber dem kommunistischen Regime. So boten HedwigJubiläen stets eine willkommene Möglichkeit, die Präsenz der Kirche in Schlesien und deren überregionale Wirkung unter Beweis zu stellen. Besonders aufwendig und in Anwesenheit des gesamten polnischen Episkopats wurden die Hedwig-Feste im Millenniumsjahr der Christianisierung Polens 1966 sowie am 700.  Kanonisierungsjahrestag der Heiligen 1967 begangen. Begleitet wurden die Feierlichkeiten der Jahre 1967, 1974, 1993 und 2002 zudem von internationalen Tagungen, die sich mit der Bedeutung der Heiligen in der Geschichte und Kultur Schlesiens wissenschaftlich auseinandersetzten und sie somit über den religiösen Rahmen hinaus popularisierten. Nicht zuletzt verlieh die am 16. Oktober 1978, dem Festtag der hl. Hedwig, vollzogene Papstwahl Karol Wojtyłas der Heiligen zusätzlich Aktualität. In der Folge nahm die Pilgerbewegung zu ihrem Grab in den 1980er-Jahren deutlich zu und verstärkte sich noch zusätzlich 1992/93 während des sogenannten Hedwigjahres zum 750. Todestag der Heiligen, das ausgehend von der Breslauer Erzdiözese in ganz Polen begangen wurde.31 Hedwig galt dabei nicht nur als Leitbild des persönlichen Glaubens und der Nächstenliebe, sondern stand vor allem in ihrer Rolle als Landesfürstin auch für Friedensstiftung und Vermittlung zwischen den Völkern. Auf ihre Funktion als „Brückenbauerin“ bezogen sich die polnischen Bischöfe, als sie 1965 während des Zweiten Vatikanischen Konzils mit einer Versöhnungsbotschaft an das deutsche Episkopat herantraten.32 Denn zu diesem Zeitpunkt war die Hedwigverehrung auch in der Bundesrepublik sehr lebendig. Unter dem Namen der schlesischen Heiligen institutionalisierte sich im Deutschland der Nachkriegszeit die Flüchtlings- und Vertriebenenseelsorge der katholischen Kirche als eine „Initiative von unten“. Die Gründung des St.-Hedwigs-Werks als eines religiös-kulturellen Anlaufpunktes für Vertriebene ist mit dem aus Breslau stammenden und nach dem Zweiten Weltkrieg im Emsland tätigen Pfarrer Johannes Smaczny (1902–1968) verbunden.33 Vielerorts entstanden sogenannte Hedwigskreise, 31 Ders.: Das Hedwigsjahr in der Erzdiözese Breslau anläßlich des 750. Todestages der hl. Hedwig von Schlesien (1992/93). In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 53 (1995), 277–299. 32 Köhler (wie Anm. 2), 95  f. Zum Versöhnungsbrief der polnischen Bischöfe genauer Borodziej, Włodzimierz: „Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung“. Entstehungsbedingungen und Nachwirkungen des polnischen Bischofsbriefes von 1965. In: „Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung“. 40 Jahre deutsch-polnische Verständigung. Hg. v. Friedhelm Boll. Bonn 2006 (Gesprächskreis Geschichte 68), 21–32. 33 In seiner programmatischen Schrift stellte Smaczny die Satzung und die Aufgaben des St.-HedwigsWerks vor. Darin werden außer der Hedwigverehrung monatliche Aktivitäten in Form von Gottesdiensten und Heimatabenden festgehalten, in die das Singen von Heimatliedern und Kulturprogramme integriert werden sollten, um eine Identifikationsplattform insbesondere für Schlesier zu schaffen. Smaczny, Johannes: Was will das St.-Hedwigs-Werk? Ein Beitrag zur Frage der Ostnot. Meppen o. J.

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zum Beispiel in den Diözesen Osnabrück, Essen, Paderborn, Hildesheim, Münster oder Freiburg. Allerdings formierten sie sich fester und dauerhafter vor allem in protestantisch geprägten Regionen, in denen es an katholischen Organisationsstrukturen fehlte. Während das Hedwigswerk anfänglich seine Aufgabe hauptsächlich in der Integration von Vertriebenen in ihrer neuen Heimat sah, erweiterte es mit der Zeit seine Tätigkeit auf die Vermittlung von religiöser Kultur und Bildung. Mit dieser Entwicklung ging die Gründung der deutschen St. Hedwig Stiftung 1946 in Marienthal bei Wesel sowie die Tätigkeit der „Katholischen Osthilfe“ einher. Zwischen dem Hedwigswerk und dem Bund der Vertriebenen bestand von Anfang an ein enges Verhältnis. Hedwigswallfahrten, die bereits kurz nach Kriegsende einsetzten, wurden zum Ausdruck der Zusammengehörigkeit. Sie führten zu Orten in Westdeutschland, an denen nach 1945 durch die Überführung von Reliquienpartikeln aus Trebnitz neue Zentren der Hedwigverehrung geschaffen wurden. Dazu gehörte neben Hildesheim, Heinsberg, Köln und Frankfurt vor allem Andechs, das als Einziges auf eine bis 1929 zurückreichende Tradition blicken konnte und als Herkunftsort der Heiligen historisch direkt mit ihr verknüpft war.34 In den 1950er- und 1960erJahren kam es zunehmend zur Politisierung der Hedwigswallfahrt, die sich auch in der Deutung der Hedwigsfigur niederschlug. Das von offizieller Seite zunächst propagierte eher defensive, bisweilen gar resignative Bild der Heiligen, das sich auf Trost in emotionaler Not, auf Linderung von Leiden und Verlustgefühlen konzentrierte, wurde immer stärker verdrängt von der Interpretation als ausschließlich schlesisch-deutsche Leitfigur, die eine Verbindung zwischen den Vertriebenen und den in der alten Heimat Verbliebenen schuf und sich somit gegen den als feindlich begriffenen Osten Europas wandte. Als „Alleinstellungssymbol“ einer durch gemeinsame Herkunft verbundenen Gruppe entfaltete Hedwig nun ein desintegratives Potenzial.

„Brückenheilige“ im deutsch-polnischen Versöhnungsprozess Erst mit den Versöhnungsinitiativen der polnischen und deutschen Bischöfe, die sich in dem bereits genannten Brief von 1965 konkretisierten, gewann das Bild Hedwigs als Brückenheilige zwischen den Völkern Kontur. Auf der deutschen Seite hatte Julius Döpfner, Bischof von Berlin, hierzu in seiner berühmten Hedwigspredigt vom Okto[1948]. Umfassender zum historischen Kontext Hirschfeld, Michael: Erinnerungsorte ostdeutscher Kirchlichkeit im westlichen Niedersachsen. Hedwigskreise im Emsland und der Grafschaft Bentheim. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 62 (2004), 179–199, hier 179 f. 34 Die Schenkung einer Schädelreliquie der hl. Hedwig 1929 durch Kardinal Bertram, Bischof von Breslau, an das Benediktinerkloster auf dem Berg Andechs führte dort zur Belebung der Verehrungspraxis, so wurde beispielsweise 1943 der 700. Todestages der Heiligen feierlich begangen. Paul, Mai: Schlesierwallfahrten in Süd- und Westdeutschland nach 1945. Ein Beitrag der Vertriebenen zur Aussöhnung der Völker. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 51/52 (1994), 77–89, bes. 81–87. Zu den vom Breslauer Bischof Kominek 1966 veranlassten Reliquienschenkungen der hl. Hedwig an polnische und deutsche Kultorte Kaczmarek/Witkowski, Reliquien und Reliquiare (wie Anm. 18), 128 f.



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ber 1960 einen wichtigen Anstoß gegeben. Er stellte Zwangsaussiedlungen in den Zusammenhang der deutschen Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg und rief unter Bezugnahme auf die hl. Hedwig zur Aussöhnung auf: „Sollten wir uns nicht die Hand durch St. Hedwig reichen? Ist das friedliche Zusammenleben beider Nationen nicht wichtiger für die Zukunft als das Problem der Grenzen?“35 Ein Jahr später postulierte eine kleine Gruppe von acht evangelischen Prominenten und Wissenschaftlern im „Tübinger Memorandum“ die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch Deutschland, was politisch jedoch ohne Echo blieb.36 Auf der polnischen Seite spielte seit den 1950er-Jahren Bolesław Kominek, Bischof und ab 1972 Erzbischof von Breslau, eine maßgebliche Rolle im deutsch-polnischen Dialog.37 Als Förderer der Aussöhnung trat der gebürtige Schlesier u. a. anlässlich der Feierlichkeiten zum 20-jährigen Bestehen der polnischen Kirche in den Westgebieten, die 1965 in Breslau begangen wurden, in Erscheinung. Während bei diesem Anlass der Primas von Polen, Stefan Kardinal Wyszyński, in seinen Predigten die piastisch-polnische Vergangenheit Schlesiens betonte, berücksichtigte Kominek stets auch den Anteil der Deutschen am kulturellen Erbe der Region. Mit Komineks Namen ist außerdem die Initiative zum Versöhnungsbrief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder verknüpft, die in der Atmosphäre des vom Zweiten Vatikanum geförderten innerkirchlichen Dialogs ergriffen wurde.38 Dieses als Meilenstein der deutsch-polnischen Verständigung geltende Schreiben enthielt direkte Hinweise auf von beiden Nationen geachtete Heilige. Die Rolle der hl. Hedwig beim deutsch-polnischen „Brückenbau“ betonte der Bischof auch in seiner Trebnitzer Predigt von 1967, auf die sich wiederum Papst Johannes Paul II. bei seiner Polenreise 1983 zitierend bezog.39 Der Brief der polnischen Bischöfe zog eine Antwort seitens deutscher katholischer Intellektueller (unter ihnen Joseph Ratzinger) im März 1968 nach sich, die in Form des sogenannten „Bensberger Memorandums“40 an die Regierung der BRD und das deutsche Episkopat mit der Forderung einer Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gerichtet war. Die darauf folgende Unterzeichnung des Warschauer Vertrages Ende 1970 und seine Ratifikation durch den Deutschen Bundestag 1972 trug zur Normalisierung der deutsch-polnischen Verhältnisse bei und ebnete einer Regelung der kirchlichen 35 http://www.kardynalkominek.pl/de/die-Botschaft/Ueber-die-Botschaft/Die-deutsch-polnische-Versoehnung-und-die-Geschichte-der-Botschaft-der-polnischen-Bischoefe-an-ihre-deutschen-Brueder-imChristi-Hirtenamt (12. 08. 2013). 36 Borodziej (wie Anm. 32), 25. 37 Solski, Tadeusz: Bolesław Kardinal Kominek (1903–1974). Ein Schlesier im Dienste der deutsch-polnischen Versöhnung. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 60 (2002), 139–157, bes. 149–155. 38 Ebd., 152–155. Siehe auch die Dokumentedition von Köhler, Joachim: „Aus eigenem Entschluss und in eigener Verantwortung … ohne einen Auftrag von irgendeiner Seite“. Römische Gespräche zwischen Alfred Sabisch und Erzbischof Bolesław Kominek vor dem Briefwechsel der polnischen und deutschen Bischöfe 1965. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 63 (2005), 153–85. 39 Eiden, Hedwig von Schlesien (wie Anm. 29), 49. 40 „Ein Memorandum deutscher Katholiken zu den polnisch-deutschen Fragen“ ist abrufbar unter: http:// library.fes.de/pdf-files/netzquelle/nq-ostpolitik04.pdf (11. 09. 2013).

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Abb. 5  Deutsch- polnische Versöhnungsmesse am 12. November 1989 in Kreisau/ Krzyżowa bei Breslau mit Premierminister Tadeusz Mazowiecki und Bundeskanzler Helmut Kohl unter der Figur der hl. Hedwig.

Verwaltung in den polnischen Westgebieten durch die Gründung von vier Diözesen den Weg, wobei die hl. Hedwig zur Hauptpatronin der Breslauer wurde. Auf diese Ereignisse wurde im Zuge der politischen Wende von 1989 in einem symbolischen Akt Bezug genommen: Nur wenige Tage nach dem Mauerfall wurde am 12. November in Kreisau/Krzyżowa bei Breslau eine Versöhnungsmesse gefeiert, bei der die Regierungschefs beider Länder, Premierminister Tadeusz Mazowiecki und Bundeskanzler Helmut Kohl, gemeinsam unter einer lebensgroßen Figur der Patronin Schlesiens beteten (Abb. 5) und in einer Geste der Versöhnung einander umarmten.41 Fotografisch eingefangen wurde dabei ein Moment, in dem das symbolische Potenzial der Heiligen 41 In Erinnerung an dieses Ereignis entstand in Kreisau 1989/1990 die Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung.



Hedwig von Schlesien in der deutsch-polnischen Geschichte

Abb. 6  Briefmarke der Deutschen Bundespost. Miniatur aus dem Schlackenwerther Codex von 1353, hl. Hedwig mit Ordensschwestern (Nennwert 100 Pfennig). Entwurf: Andreas Heidrich. 14. Oktober 1993.

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Abb. 7  Briefmarke der Polnischen Post (Poczta Polska) (Nennwert 2.500 zł). Entwurf: Andreas Heidrich. 14. Oktober 1993.

in der wechselvollen Geschichte und im Versöhnungsprozess beider Völker zum Tragen kam. Die Wahrnehmung der hl. Hedwig nahm im Anschluss an dieses Ereignis auf beiden Seiten der Oder-Neiße-Grenze deutlich zu. Anlässlich des Hedwig-Jubiläums 1993 gaben Poczta Polska (Polnische Post) und Deutsche Bundespost eine Briefmarke mit identischem Bildmotiv aus dem Schlackenwerther Codex heraus (Abb. 6, 7).42 Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Verehrungsgeschichte der Heiligen erhielt durch Tagungen, Ausstellungsprojekte und mehrsprachige Publikationen grenzübergreifende Aufmerksamkeit. Viele Initiativen zur Popularisierung der Heiligen sind zwar institutionell verankert, jedoch maßgeblich auf individuelles Engagement zurückzuführen. Exemplarisch steht dafür der 2010 verstorbene Salvatorianerpater Antoni Kiełbasa, dessen Publikationen die Figur der hl. Hedwig, ihre Kultstätten sowie die mit der Heiligen verbundenen historischen Zeugnisse einer allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben. In besonderer Weise setzte er sich außerdem für den deutsch-polnischen Austausch ein, indem er die Zusammenarbeit mit deut42 Dröge, Kurt/Stemmer, Daniela: Bilder einer überforderten Kultfrau: St. Hedwig von Schlesien. In: Zur Ikonographie des Heimwehs. Erinnerungskultur von Heimatvertriebenen. Referate der Tagung des Johannes-Künzig-Instituts für ostdeutsche Volkskunde 4. bis 6. Juli 2001. Hg. v. Elisabeth Fendl. Freiburg 2002, 127–157, hier 127.

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schen Zentren der Hedwigverehrung (Andechs, Kitzingen und Goslar) initiierte und gemeinsame Projekte vorantrieb, so beispielsweise eine Ausstellung in Trebnitz und Andechs, die das internationale Symposium zum 750. Todestag der Heiligen, das in Breslau und Trebnitz 1993 stattgefunden hat, begleitete. Eine weitere von ihm initiierte Schau in Trebnitz thematisierte wiederum 1999, anlässlich des tausendjährigen Bistumsjubiläums von Breslau, die globalen Aspekte der Hedwigverehrung.43 Mit der Erhebung der Trebnitzer Wallfahrtspfarrei im Jahr 2007 zum internationalen Sanktuarium durch päpstliches Dekret ging auch die Einrichtung eines Pilgerpfades zwischen Andechs und Trebnitz einher.44 Dadurch rückten die für beide Länder zentralen Orte der Hedwigverehrung näher zusammen. Die politische Wende von 1989 und die EU-Erweiterung von 2004 ebneten den Weg zu einer Neubewertung der gemeinsamen Vergangenheit. In Schlesien wurde damit ein Prozess der Assimilation und Integration des deutschen kulturellen Erbes ausgelöst, der auf vielen Ebenen – häufig aufgrund von lokalen Initiativen – verläuft und zu einer Entpolitisierung der Erinnerungskultur beiträgt. Begleitet wird diese Entwicklung von einer Neubewertung bzw. Umwertung „alter“ Identitätsträger: Die hl. Hedwig wird weiterhin als religiöse und historische Gestalt wahrgenommen, sie verliert aber mit der Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen nach und nach ihre politische Aufladung. Immer kleiner wird die Gruppe derjenigen, die mit Hedwig einen Sehnsuchtsort verbinden. Und dennoch behält die Heilige ihr symbolisches Potenzial, das auch künftig unter veränderten Bedingungen abgerufen werden kann.

43 Neben einem Überblick über die weltweite Hedwigverehrung – aktuell sind der Heiligen 182 Kirchen in Polen, 52 in Deutschland, 35 in den USA, zehn in Tschechien, neun in Brasilien, vier in Kanada, zwei in Russland und je eine in der Ukraine und in Frankreich gewidmet – leistete die Schau mit einem von Jerzy Sienkiewicz zusammengestellten dreisprachigen Gesang- und Gebetbuch (auf Polnisch, Deutsch und Tschechisch) auch einen praktischen Beitrag zur (Völker-)Verständigung im Zeichen Hedwigs. 44 Der Salvatorianer Kiełbasa wirkte bei der Initiative zur Errichtung eines gemeinsamen Pilgerpfades mit, außerdem engagierte er sich für die Ernennung Hedwigs zur Schutzpatronin von Trebnitz, was ein päpstliches Dekret 2010 bestätigte. O. A.: Ks. Antoni Kiełbasa SDS [Priester Antoni Kiełbasa]. In: W Hołdzie i dla chwały św, Jadwigi. patronki Śląska. Pamięci ks. prof. Antniego Kiełbasy SDS 1938–2010. Hg. v. Maciej Łagiewski und Piotr Oszczanowski. Wrocław 2010, 11–23, hier 18 f.

Mu l t i p l e road s t o sa cra lisa tion? Stephen the Great in Communist historical films and his post-Communist sanctification

Mirela-Luminiţa Murgescu

For the Western public, Vlad the Impaler, Prince of Wallachia (1448, 1456−1462, 1476), is probably the best known Romanian historical figure. Few know that he was a contemporary of a historical character who ranks much higher in the Romanian national pantheon: Stephen the Great, who was prince of Moldavia from 1457 to 1504. If Vlad the Impaler enjoys international fame due to the mystique and magic of horror stories, Stephen the Great represents a very complex case of sacralisation: integration in the national mythology, but also in the pantheon of Orthodox saints. At the same time, he is an extremely well-known character at the level of common memory and the popular imaginary, commonly used as a reference in and by mass culture. He is a present-day figure, appropriated as an element of support and recognition in the most unexpected situations. In 2009 Moldavia’s prince was used to support the “bicycle revolution” in Timisoara, along with the figures of Che Guevara and Lenin.1 Stephen was no revolutionary, but the movement’s organisers probably considered him the most suggestive character for that campaign. Likely because of the multitude of jokes in which he stars, the load of irony was considered necessary to sustain the publicity campaign. At the same time, the Moldavian prince is also referred to increasingly often in the oddest situations, reminiscent of old forms of traditional devotion dressed up in modern stereotypes. He is increasingly treated as an identity marker, widely recognised throughout the society; the mere mention of his name transmits an entire semantic field of meaning usually tied to victory and the crushing defeat of adversaries. Thus, a football trainer attributes his victories to Stephen,2 and a boxer identifies himself simply as “Stephen the Great’s right hand” in his fights against Turkish boxers, whom he defeats just as his ancestor had done centuries earlier.3 Obviously,

1 See www.gandul.info/societatea/stefan-cel-mare-lenin-si-che-guevara-simboluri-ale-revolutiei-bicicle telor-3824861/galerie (10. 07. 2010); www.green-report.ro/revista-presei/gandul-stefan-cel-mare-lenin-si-che-guevara-%E2%80%93-simboluri-ale-%E2%80%9Erevolutiei-bicicletelor%E2%80%9D (25. 12. 2011). 2 See http://sport.rol.ro/Ionut-Popa-invata-strategii-de-la-span-class=-search-result-Stefan-span-cel-Mare5352.html (15. 01. 2012). 3 See www.9am.ro/stiri-revista-presei/Sport/122248/Morosanu-Sunt-mana-dreapta-a-lui-Stefan-cel-Mare-sio-sa-l-sfaram-pe-turcul-Gulsari.html (10. 01. 2012); www.sport.ro/stiri/video-morosanu-vrea-sa-sebata-pentru-sabia-lui-stefan-cel-mare-asta-este-al-treilea-turc-cu-care-ma-bat.html (20. 01. 2012).

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the message is aimed at a public who knows the symbols and the significance of the Moldavian prince. Stephen the Great was and still is a popular character.4 In 2006 he was selected the “greatest Romanian” by the viewers of the Romanian television programme “100 Greatest Romanians” (inspired by the British show “100 Greatest Britons”). A spectacular show in the form of a competitive debate was organised around the top ten “greatest Romanians”, and the winner was chosen by public vote. Stephen the Great was declared “the greatest Romanian of all time” with 77,493 votes.5 The motivation leading to Stephen the Great being voted the greatest Romanian was conceived in the familiar arena of traditional master narrative, emphasising the sentimental side of preserving Romanian national identity against Islamisation. The short advertisement for the show starts by forcefully confronting the audience with an indirect but powerfully emotional allusion to the ante murale myth of defending the Fatherland, Christianity and Europe. The speaker states, in Turkish, “If he had not existed, you could probably now understand me without reading the subtitles”.6 The argumentation then follows the master narrative pattern more directly. The public should vote for Stephen the Great because “history tells us that Stephen the Great stopped the Ottoman invasion in this corner of the world … and the series of churches that he raised publicly declare our Christian-Orthodox faith. … Therefore I believe that Stephen the Great and Saint [in Romanian, Ștefan cel Mare și Sfânt] is the greatest Romanian of all time.”7 The Romanian Orthodox Church additionally legitimised the vote for the Moldavian prince by awarding – through the Metropolitan of Moldavia and Bukovina – the Diploma of Honour in the name of Stephen the Great and Saint for “outstanding achievements in keeping the faith and promoting Christian culture” to Vlad Craio4 In 2005 the daily newspaper “Jurnalul Naţional” organised a survey about the idols of the Romanians. In response to the question, “Which figure from the history of Romania has done the most good for our country?” 16.5 per cent answered Stephen the Great (rank 1) (Jurnalul Naţional, 16 May 2005, 7). 5 The top 10 greatest Romanians were: (1) Stefan cel Mare (c. 1433–1504); (2) Carol I (1839–1914) − the first Romanian ruler of the Hohenzollern-Sigmaringen dynasty (1866−1914) and the first king of Romania (crowned 1881) after the country acquired full independence under his leadership; (3) Mihai Eminescu (1850–1889) − late Romantic writer, widely considered to be the representative national poet laureate of Romania; (4) Mihai Viteazul (1558–1601) − Prince of Wallachia, he achieved the first union of Wallachia, Transylvania and Moldavia (the three principalities largely inhabited by Romanians); (5) Richard Wurmbrand (1909–2001) − Lutheran minister, author and educator who spent fourteen years in a Communist prison; (6) Ion Antonescu (1882–1946) − prime minister and leader of Romania during the Second World War; (7) Mircea Eliade (1907–1986) − researcher and professor of the history of religions, Orientalist and novelist; (8) Alexandru Ioan Cuza (1820–1873) − the first ruler of the United Principalities of Romania after the union of Moldavia and Wallachia in 1859; his reforms started the modernisation of Romania; (9) Constantin Brâncuşi (1876–1957) − famous modern sculptor; (10) Nadia Comăneci (1961–) − gymnast, winner of five Olympic gold medals, and the first to be awarded a perfect score of 10 in an Olympic gymnastics event (www.mariromani.ro/primapagina.php; 15. 01. 2012). 6 See www.mariromani.ro/pop_player.php?fila=video_2006-10-20_169.flv (15. 01. 2012). 7 See www.mariromani.ro/pop_player.php?fila=video_2006-10-20_169.flv (11. 01. 2012).



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veanu, a famous radio star who had campaigned for Stephen the Great in the run-up to this competition.8 We are clearly dealing with a character who is crucial to Romanian cultural memory. In this context it is legitimate to address a few questions about the place and role of this historic character in contemporary Romanian culture: – Is Stephen a hero or a celebrity to Romanians, or both? – What is the relationship between the different forms of his “sacralisation” (national, Communist, religious)? – Is Stephen the Great a memory landmark for Romanians nowadays? I use the term “sacralisation” to refer to a means of integrating a historical character into an ideological complex, be it profane or religious, through which he is signified, becomes a symbol and thus a form of identification.9 The multiplicity of forms of sacralisation helps keeps the hero in the public attention, and the pros and cons regarding his historical merits solidify his presence in the collective memory.

From medieval prince to central figure in the modern national pantheon Stephen the Great, Prince of Moldavia, is remembered for his long reign, significant victories against more powerful neighbours (in 1467 the battle of Baia against Matthias Corvinus, King of Hungary; in 1475 the battle of Vaslui against an Ottoman army; in 1497 the victory at Codrii Cosminului against John Albert, King of Poland), and for having founded an impressive number of monasteries. He is a character praised both in Moldavian chronicles and by contemporary foreign statesmen and historians (e. g. Pope Sixtus IV; the Polish historian Jan Dlugosz; the humanist Filippo Buonaccorsi, better known under the pseudonym Callimachus, etc.).10 For these reasons Stephen became a central figure in Moldavian historical culture and later in the modern Romanian historical pantheon. Schoolbooks,11 literature and art have highlighted the prince’s qualities since the nineteenth century, building on the

8 See http://stiri.rol.ro/Vlad-Craioveanu-premiat-de-Mitropolitul-Moldovei-20968.html (08. 01. 2012). 9 Fenn, Richard K.: Blackwell Companion to the Sociology of Religion. Oxford 2001; Beckford, James A./Demerath, Nicholas Jay III: The SAGE handbook of the sociology of religion. London 2007; Whose Love of Which Country? Composite States, National Histories and Patriotic Discourses in Early Modern East Central Europe. Eds. Balázs Trencsényi and Márton Zászkalicz, Leiden 2010. 10 See also Murgescu, Bogdan: Ţările Române între Imperiul otoman şi Europa creştină [Romanian Principalities between the Ottoman Empire and Christian Europe]. Iaşi 2012, 15−43. 11 Murgescu, Mirela-Luminiţa: Vom „guten Christen“ zum „tapferen Rumänen“. Die Rolle der Primarschule bei der Herausbildung des rumänischen Nationalbewusstseins 1831–1878. Berlin 2011; Mârza, Daniela/Mârza, Radu: Étienne le Grand dans les manuels scolaires d’istoire de Principautés (1857−1924). In: Transylvanian Review 14 (2005) 1, 28−51.

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basis of a pre-existing popular sensitivity upheld by numerous legends and stories.12 Well-known literary pieces, many of them included in the canon of general education, contributed massively to the process of nationalist acculturation, which transformed the figure of the Moldavian prince into the historical hero of the Romanians: the poem “The Mother of Stephen the Great” by Dimitrie Bolintineanu (1819−1872); the historical dramatic series “Trilogia Moldovei” (Moldavian Trilogy) by Barbu Ștefănescu-Delavrancea (1858−1918), in which Stephen features in the first part, “Apus de soare” (Sundown) (1909); and the cycle of novels “Fraţii Jderi” (Jder Brothers) (1935−1942), written by Mihail Sadoveanu (1880−1961).13 Because he was already imbued with a sacred national aura, Stephen the Great was an easy and convenient persona for the Communist regime to appropriate. The Party simply needed to select and highlight those characteristics that fitted the communist ideology. During the Soviet-inspired Stalinist phase of communism in the late 1940s and 1950s, the emphasis was placed on the fact that Stephen the Great had protected the peasants against the boyars, had executed several boyars, had fought against the Ottomans, and had fostered good relations with Russia (his daughter Olena was married to the son of Ivan III of Muscovy). In 1957 a major commemoration celebrating the 500th anniversary of the beginning of Stephen’s reign signalled the willingness of the Communist regime to capitalize on the national historical tradition. The gradual shift to national communism propelled Stephen the Great to the forefront as a major champion of the Romanian struggle for independence and international recognition, and as a patron of culture. Literature, theatre, television and cinema competed to promote this image. In 1956 a major production of Delavrancea’s “Apus de soare” at the National Theatre in Bucharest, with George Calboreanu in the role of Stephen,14 signalled the opening up of the regime and its reconciliation with the values of Romanian history. This production became a classic – it ran for many years and its film version was later repeatedly broadcast on national television. Significantly, for the opening of the new building of the National Theatre in Bucharest in 1973, in the presence of Nicolae Ceauşescu and the entire Communist leadership of Romania, the organisers decided to perform the final two acts of “Apus de Soare”.15 At the same time, in addition to broadcasting the performance live from the National Theatre, the state-run television network also produced a series entitled “Muşatinii” (1971), which was also based on Delavrancea’s trilogy. Such a celebration was accompanied by an attempt to rethink Stephen within the national-communist ideological frame. This form of appropriation was not limited to 12 Ştefan cel Mare şi Sfânt – Legende, ediţie îngrijită, studiu introductiv, note, glosar şi bibliografie de Nicolae Cojocaru [Stephen the Great and Saint − Legends, edition, introduction, notes, glossary and bibliography by Nicolae Cojocaru]. Bucharest 1992. 13 Heitmann, Klaus: Das Bild Stefans des Großen bei Mihail Sadoveanu. In: Stefan der Große − Fürst der Moldau. Symbolfunktion und Bedeutungswandel eines mittelalterlichen Herrschers. Eds. Edda Binder Iijima and Vasile Dumbravă. Leipzig 2005, 139−145. 14 See www.tnb.ro/index.php?page=istoric-tnb (15. 01. 2012). 15 See www.tnb.ro/index.php?page=istoric-tnb (10. 01. 2012).



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Stephen the Great, but was a more general pattern of dealing with history in the 1970s and 1980s. Several figures of familiar national heroes were resurrected to give a patina of historical glamour to the national-communist ideology promoted by the regime.

Political and ideological sacralisation through movies As early as the 1960s the Romanian Communists embarked on a project to produce a series of major historical films that would gradually form a national cinematographic epic and thus contribute to the legitimacy of the national-communist political line of the regime.16 This ideological project capitalised on the fame of historical figures and moments, and imbued them with a set of modern ideological elements in order to adjust the historical master narrative to the patterns and requirements of the official ideology. The goal of this often subtle renewed signification of national values was to foster the population’s identification with the eternal nation, with the current political regime and, by transferring the virtues of national heroes to the contemporary ruler, with Nicolae Ceaușescu. Under these circumstances, the production of this particular type of historical culture was heavily controlled. Nicolae Ceausescu had a personal interest in this issue, and repeatedly provided ideological direction and instructions. Thus, at a 1974 meeting with the Union of Filmmakers, he emphasised the guidelines to be followed by historical cinematography: “We need to focus on the lasting struggle of the Romanian people against foreign domination, for national and social liberation, and for the democratic and socialist development of our homeland.”17 Moreover, every positive historical hero should primarily be a model for present-day Romanians, and should be presented as “our contemporary”. Commenting on historical films, the film critic Ecaterina Oproiu stated, “However distant in the past would be situated the story of the film, its dominant meaning is – and has to be – linked to the present”. She added that historical films are a way for Romanians to show affection for their past.18 In this context it was only natural to adapt the popular figure of the heroic and successful Stephen the Great for the screen. While films dedicated to the Moldavian prince came into production relatively late – in earlier phases priority had been given to films about the ancient origins of the Romanian people19 and to Michael the Brave

16 For more details, see Grancea, Mihaela: Filmul istoric românesc în proiectul construcţiei “naţiunii socialiste” (1965−1989) [Romanian historical movie in the construction of the “Socialist Nation” (1965–1989)]. In: Trecutul de astăzi. Tradiţie şi inovaţie în cultura română. Cluj-Napoca 2009, 163−196; Vasile, Aurelia: Le cinéma roumain dans la période communiste. Représentations de l’histoire nationale. Bucharest 2011. 17 Cinema 12 (1974) 4, 3. 18 Oproiu, Ecaterina: Filmul istoric o formă de afecţiune [Historical movie a form of empathy]. In: Almanah Cinema (1975), 141 f. 19 “Dacii” (1966) and “Columna” (1968).

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as the first prince to have united the Romanians in 160020 – in the mid-1970s Stephen the Great benefitted from becoming the central figure in two different films: “Jder Brothers” (1974), an adaptation of one of the well-known novels by Mihail Sadoveanu (“The Apprenticeship of Ionuț”), and the anniversary film “Stephen the Great − Vaslui 1475”. The latter centred around Stephen’s victory over the much larger and more skilled Ottoman army in the battle of Vaslui in 1475, which is represented in the traditional master narrative as the Moldavian prince’s most outstanding triumph.21 Official directives were handed down to ensure the ideological conformity and usefulness of the two films. Such interventions were somehow easier in the case of the film about the battle of Vaslui, which had a modern script based loosely on the historical master-narrative about the events surrounding this battle, than they were for the “Jder Brothers”, because the plot of the classic novel was well known to a large part of the audience and radical changes risked going against the expectations of the public. Accordingly, in September 1974, at a viewing at the Council of Culture and Socialist Education, the officials “proposed” to the filmmakers of “Stephen the Great − Vaslui 1475” that they include a more general discussion about the independence of Moldavia, images with landscapes from Moldavia (to contribute to the process of constructing the national mental landscape), and a traditional popular song about Stephen the Great.22 In the end the hero, as he is presented in the two films, is less important in and of himself than he is for being part of the history-people nexus that was officially considered the foundation of the Romanian nation. A review published in the “Almanah Cinema” (the annual supplement to the monthly journal “Cinema”) observed: “Conceived as a vast historical fresco, the film is nonetheless a present-day plea for our people’s ideals of independence and freedom.”23 The medieval prince is thus more of a pretext, an educational and ideological motif. In the “Stephen the Great” movie, this integration is achieved not only though the messages transmitted throughout the film, but is also signalled from the very beginning, in the opening scene, which conflates the past and the present by showing the image of Stephen’s statue overwritten with a quotation from Nicolae Ceauşescu: “Our people has never kneeled down [before an enemy] and has fought whenever it needed to defend its national being. Stephen the Great’s statue is a symbol of this struggle of our people.”24

20 Released in 1970. 21 The director of both movies was Mircea Drăgan (see Corciovescu, Cristina/Râpeanu, Bujor T.: 1234 cineaşti români [1234 Romanian Filmmakers]. Bucharest 1996, 120 f.). For further details about the production of the two movies, see Vasile (cf. n. 16), 521−526. 22 Vasile (cf. n. 16), 326 f. 23 Almanah Cinema (1975), 22. 24 “Stephen the Great −Vaslui 1475”, at time signature 0.00.32.



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Stephen is thus acknowledged by the general secretary of the Romanian Communist Party, the current ruler is legitimated by the medieval prince, and the filmmakers cover themselves with the authority represented by Nicolae Ceausescu’s quote. The close connection between the present and the past was also underlined in the official announcement for the film (published in the monthly “Cinema”): “Mircea Drăgan (the director) intended that “Stephen the Great” should be at the same time a historical film and a film of the present, … and leading actor Gheorghe Cozorici will incarnate a hero exceptional because of exceptional times, who therefore dominates the centuries.”25 Both films consistently emphasise patriotic sentiments and national values, educational messages meant to inspire and mobilise the viewer: “A country, however small, cannot be defeated when it fights for justice and for its independence.”26 “Soldiers and brethren in justice and faith, today’s victory was given to us so we can enjoy further the fruits of our labour. Our Romanian people rules free and sows this soil without enslaving other people. It shall be known to all who dare set foot in our country, here we will dig their graves.”27 “Twelve years without rest His Majesty worked to order the country, to strengthen the boundaries and to prepare its armed forces.”28

The prince’s defining traits are that he is patriotic, dedicated to the ideal of independence, true to his faith (in “Jder Brothers” the opening scene shows Stephen making the sign of the cross before the icon of Mary at Neamț, and stating that he never forgets to praise the Almighty), a good husband and a good father. At the same time, however, he is a lonely figure, burdened by the responsibilities of political power. Any cinematographic premiere is a ritual that entails various elements regarding the promotion and success of the film. The requirements of such a premiere in Communist Romania were obviously different. Thus, the first public screening of “Stephen the Great − Vaslui 1475” took place in Vaslui “as a tribute to the inhabitants of the city who have supported the making of the movie with love and patriotic pride”.29 Film critics like Alice Mănoiu joined in as well: “[This is] a film which becomes a true lesson in history and patriotic culture. The subtitle of the film limits from the very start its scope: Vaslui 1475. The film’s creators have aimed thus not at 25 26 27 28 29

Cinema 12 (1974) 3, 49. “Stephen the Great −Vaslui 1475”, at time signature 2.12.03. “Jder Brothers”, at time signature 1.41.18. Voiceover from the film “Jder Brothers”, at time signature 0.01.00. Pivniceru, Constantin: Cincinalul în 4 ani şi 3 luni [The five year plan in 4 years and 3 months]. In: Cinema 13 (1975) 1, 5.

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a vast portrait of the bright figure from the history of our people, but at the more limited task of evoking a single moment from the heroic struggle of our people for the defence of its national being and for the independence of the country – Stephen the Great’s victory over the Turkish invaders at Vaslui. … [It is a] hymn of worship for the heroism of the Romanian people.”30

The public, however, was ambivalent. Some testimonies reflect a taste for the cinematographic spectacle with a historical subject and an appreciation of films dedicated to historic heroes. But many viewers hoped for more, probably because the character already had a clearly outlined status in the collective consciousness, resulting in a wider range of expectations. A chemical worker, N. Stroescu, expressed this ambivalence in response to the more general question, “Which film did you like least?”: “‘Stephen the Great − Vaslui 1475‘, maybe because I went to it with the expectation that it would be very good. … I would have liked something in the style of ‘A Man for All Seasons or Beckett’. In other words, a portrait of a very strong ruler who sees beyond, across the centuries, who thinks about his people and country and about the future of the country, and does things that his contemporaries do not understand and which he has to impose with the sword, or through diplomacy or through skill. … Maybe you are right, they speak about all of these things in the film. But maybe this is the point − in the film they talk a lot but, so to speak, they tell very little.”31

Maria Martin Lăcătuş, a printer, declared frankly: “Stephen the Great I liked least. … I did not like the film because they talk too much and there is too little action.”32 Other people from the audience whose letters have been published in the magazine “Cinema” criticised the film because the battle scenes were too long or because the plot was unclear. Generally, the impression of the public was mixed. By September 1975 “Stephen the Great − Vaslui 1475” had already been viewed by more than 3 million people, but many came for organised screenings with their schools or work collectives, and the total number of viewers was significantly less than for other Romanian historical films.33 Most people considered it a good idea to have a movie or even two about Stephen the Great, but these (especially “Stephen the Great − Vaslui 1475”) were not what such a major historical figure deserved. With time some of these reservations vanished, and thirty years later a farmer (Vasile Stratina) concluded: “It is the 30 Mănoiu, Alice: Ştefan cel Mare − Vaslui 1475 [Stephen the Great – Vaslui 1475]. In: Cinema 13 (1975) 1, 24. 31 Iarna maturităţii noastre. Primăvara exigenţelor noastre. Spectatorii nu sînt numai spectatori [The winter of our maturity. The spring of our requirements. Viewers are not only audience]. In: Cinema 13 (1975) 3, 2. 32 Ibid., 3. 33 Cinema 13 (1975) 9, 5. See also Grancea, Mihaela: The Role of the Historical Film during Ceaușescu’s Regime within the Project of “the Building of the Socialist Nation”. In: Re-searching the Nation: The Romanian File. Studies and Selected Bibliography on Romanian nationalism. Ed. Sorin Mitu. Cluj 2008, 280.



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movie of my life; it should be the movie for all Romanian people, to see it thousands of times, to learn what sort of people the Moldavians were, and to be ashamed of our current situation!”34 To sum up, the Communist regime produced major historical movies to appropriate the historical master narrative and its dominant figures, and to enhance its own legitimacy. In the particular case of Stephen the Great, however, the films were not decisive in shaping or changing the historic depiction of the Moldavian prince, but merely reinforced the prince’s image as it was presented in classical literature and theatre.

Religion and the sanctification of the national hero On 21 June 1992 the Holy Synod of the Romanian Orthodox Church canonised Stephen the Great and decided that his official holiday would be 2 July, the day of his death in 1504. In fact, the medieval prince was part of a larger package of eighteen new national saints canonised through the same decision. This decision represented an attempt by the Romanian Orthodox Church to recover and strengthen the sacred Romanian Orthodox space after more than four decades of Communist rule.35 No major discussion or controversy occurred at that time. The sanctification was perceived as a legitimate post-Communist recuperation of a prerogative of the Church. Besides, the group of new saints included several figures unknown to the larger public, as well as some widely recognised for their political or cultural merits. Finally, the public sphere was at that time preoccupied with major political divides and the parliamentary and presidential elections that were scheduled for 27 September 1992. The canonisation act listed the following deeds of the new saint: “Through such virtuous deeds shined the faithful prince Stephen the Great, who ruled the Country of Moldavia for forty-seven years, armed with the armour of his faith in God, and with that of the fast and of prayer and with many deeds of Christian love dedicated to the Church and to his people; he built a very large number of churches and monasteries, which he endowed with all that is necessary for the holy service; as a bearer of victory he fought at great risk to his life up to the ultimate sacrifice to defend the boundaries of the country and the faith of the ancestors; being named defender of Christianity, he gave generously to the poor and recompensed the soldiers; he showed mercy and brought those in error back to the rightful path.”36

34 Stratina, Vasile: 3 iulie 2004: Podul Inalt – “Stefan cel Mare”, filmul vietii mele [July 3, 2004: Podul Inalt – “Stephen the Great”, the movie of my life]. In: Jurnalul Naţional, www.jurnalul.ro/descoperirea-romaniei/3-iulie-2004-podul-inalt-stefan-cel-mare-filmul-vietii-mele-65776.htm (10. 01. 2012). 35 The last canonisations before 1992 had occurred in 1950, in the first phase of Communist rule. 36 See www.stefancelmare.ro/Tomos-s2-ss13.htm (15. 01. 2012).

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Ante murale merits together with Christian devotion are the main justifications for his canonisation, closely following the traditional master narrative and the image already present in the collective memory. Sainthood encourages action, and in this particular case action took the form of pilgrimages. Putna became a place of devotion, ground zero of Stephen the Great’s sainthood. Every year in July, Putna becomes a place of festivities celebrating the Moldavian prince in a well-established ritual.37 The overlapping of religious and civil sacralisation is best represented by the commemoration in 2004 of the 500th anniversary of Stephen the Great’s death. A special commemorative programme was adopted by the Romanian government (another commemorative programme was separately organised in the Republic of Moldova − President Voronin refused to go to the “Romanian” celebrations at Putna, despite being officially invited). The year was marked by numerous scientific symposia, exhibitions, publications, a common session of both chambers of the Parliament (30 June 2004) and an official scientific session hosted by the Romanian Academy. The most important political authorities (President Ion Iliescu, Prime Minister Adrian Năstase) and the head of the Romanian Orthodox Church (Patriarch Teoctist) participated in the celebrations in Suceava (where Stephen died) and Putna (where his tomb is located). The moment was also celebrated with a symbolic gesture of great significance: an exhibition at the National Arts Museum included Stephen’s sword, which was brought specially from Topkapi Palace in Istanbul for the anniversary festivities. The Turkish government also donated a replica of the sword for the permanent exhibition at the National Arts Museum. At the same time, many intellectuals and opposition politicians criticised the Putna celebrations for their nationalist overtones, poor taste, security excesses, and especially the political appropriation of the commemoration by the ruling party and by the government.

Desacralisation: a way to reinforce sacralisation? The excesses of Stephen’s sacralisation aroused iconoclastic instincts, which led to a desacralisation movement that was, in its own right, just as aggressive as the activities that spawned it. In December 2004, just a few months after the Putna festivities, several artists (Sabina Spătariu, Suzana Dan, Dumitru Gorzo, Alina Buga and Tara von Neudorf) organised an exhibition in Bucharest called “F.A.Q. about Steven the Great”, with a subtitle à la Woody Allen: “Everything you always wanted to know about Stephen the Great (but were afraid to ask).” The goal was “to celebrate Stephen the Great, but diminish his holy aura and humanise him a little”. The target of the or-

37 See Mihaela Grancea’s analysis: Serbările Putnei şi cultura identitară [Putna festivities and identity culture]. In: Grancea, Filmul istoric românesc (cf. n. 16), 223−268.



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ganisers’ irony was not the personality of the prince, but “the nationalistic practices of sanctification and exaggerated celebration”.38 The artists organised a satirical display challenging the mythological construct of Stephen the Great, questioning at the same time the usefulness for contemporary societies of these forms of national and religious sacralisation. The curator, Dan Popescu, explained the endeavour: “It is, in my opinion, a stupid myth, a myth of localisation exploited politically that does not function as a source of identity in the conditions of European integration and unstoppable globalisation. Both I and most of the artists involved are sympathetic to Stephen the Great as a historical figure. Their irony especially targets the way governments and politicians found it appropriate to commemorate the year of Stephen the Great: 100 billion lei for solemnities imbued with nationalistic sentiments. We focused more on the popular side of the perception of Stephen.”39

The artists’ intention was to decompose and deconstruct the myth and the classical image of Stephen the Great. Almost all major components of the myth (the story of Stephen’s encounter with his mother after a defeat in battle, the sword of Stephen, his heroism in battle, etc.) were viewed in an iconoclastic manner that overturned the popular signification of Stephen. Nothing was sacred; all was subject to satire and parody, all became nasty, obscene, pornographic. The curator, Dan Popescu, explained one non-traditional depiction of Stephen: “Gorzo wanted to make him [Stephen the Great] more familiar for certain segments of the Christian population: he put on his head a tin crown similar to the roofs of Roma architecture, gave him a pair of breasts in order to bring the warrior image of the saint closer to women, and coloured his skin so that nobody, of whatever race, would feel excluded. It was a sort of political correctness applied ad literam with the goal of bringing the saint closer to as many people as possible.” 40 Such disrespect, including pornographic features and the mockery of central elements of the myth, generated a mini-scandal, with accusations of blasphemy coming from representatives of the Romanian Orthodox Church, the Greater Romania Party and nationalist intellectuals, complaints to the police, and other protests. Noteworthy critics drew parallels between the exhibition and alternative history textbooks used in schools since the late 1990s, which had caused a major scandal in 1999 when they were accused of diminishing the role of historic figures and presenting history in an overly colloquial way. By defending their exhibition in this atmosphere of condem38 Marinescu, Veronica: Galeria H’art explica de ce Stefan cel Mare a ajuns “The Fane” [H’Art Gallery explains why Stephen the Great became “The Fane”]. In: Curierul National, 20 January 2005. In: http://www.curierulnational.ro/print/51928 (29. 12. 2011); see also www.hartgallery.ro/index.php? page=exhibitionFair&id=18§ion=exhibitionFairInfo&t=exhibition. 39 Todeasa, Natalia: Interviu cu Dan Popescu [Interview with Dan Popescu]. In: Hotnews.ro, 13 January 2005 (www.hotnews.ro/stiri-arhiva-1244848-expozitia-about-steve-the-great.htm [29. 12. 2011]). 40 Ibid.

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nation, the artists defined themselves as intellectuals opposed to the use of history as a narcotic who were standing up for the deconstruction of myths and for freedom of artistic expression.41 The scandal gradually died down; in the end, the social impact of the exhibition was limited and Stephen was soon thereafter proclaimed “the greatest Romanian”.

Concluding remarks To sum up, it is obvious that Stephen the Great is a case of an almost unanimously accepted national hero. The epic films produced in the 1970s added to his positive image, but were not really crucial for his sacralisation. In fact, more than these somewhat mediocre movies, it was the classical literary works taught in schools (poems by Bolintineanu, novels by Sadoveanu, plays by Delavrancea) that consolidated his status in Romanian cultural memory. The films of the 1970s succeeded only in stressing once more Stephen’s identification with the nationalist rhetoric, which was already strong in Delavrancea’s plays from the early twentieth century. The religious canonisation was not influenced by the films, but rather by the effort of the Orthodox Church to invent a significant number of national saints, and by the fact that Stephen the Great was deemed appropriate to be used as the “poster child” for the new cohort of saints established in 1992. This sanctification also reflected the symbiosis of national and religious values in the Romanian Orthodox Church. With a certain delay, the canonisation and subsequent celebrations generated a sarcastic reaction from deconstructivist intellectuals and artists, who nevertheless were not particularly effective in changing the opinion of the wider public. Nowadays, there is broad consensus regarding Stephen the Great’s cultural significance, but only marginally as a saint and more as a national historical figure (and also a familiar character in jokes); he is perceived as a Romanian symbol, and therefore Romanians are almost completely indifferent to the attempts of some politicians and intellectuals from the Republic of Moldova to appropriate Stephen as a symbol for a separate Moldovan statehood.42

41 See also Mihaela Grancea’s comments on the exhibition in Grancea, Filmul istoric românesc (cf. n. 16), 237 f. 42 See ibid., 229−233; Stefan der Große (cf. n. 13), especially the contributions by Daniel Ursprung, Vasile Dumbravă, Igor Ojog and Igor Şarov.

Vom Top os z u m Mythos Das antemurale christianitatis-Verständnis bei Europa-Historikern 1

Małgorzata Morawiec Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Mythos. Mit ungezählten Titeln wird in der Fachliteratur der mythische Charakter unseres Kontinents beschworen: Mythos Europa, Mythos und Heimat, Mythos Südsee, Mythos oder Projekt?, Leonardo da Vinci als Mythos, Frauen in Europa als Mythos, Frankreich und „altes Europa“ mythisch verstanden, politischer Mythos, ideengeschichtlicher Mythos, Mythos im kulturellen Austausch, Mythos Czernowitz, Mythos der Französischen Revolution, Mythos der Antike ... 2 Auch die Verfasserin dieses Beitrages ist auf den europäischen Mythos verfallen und formulierte im ersten Satz eines Aufsatzes: „Europa ist ein Mythos – ein Mythos, 1 Als Europa-Historiker werden Autoren verstanden, die im Vorwort zur Publikation: Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch. Bd. 1. Hg. v. Heinz Duchhardt u. a. Göttingen 2006, VII–X, hier VII, folgendermaßen definiert werden: „Das Kriterium für die Aufnahme des einen oder des anderen Autors [in das Handbuch, M. M.] war, dass sein Gesamtœuvre oder ein bestimmtes wissenschaftliches Werk eine europäische Dimensionierung haben und klar historisch ausgerichtet sein musste, nicht gegenwarts- oder zukunftsorientiert.“ 2 Mythos Europa – Prostitution, Migration, Frauenhandel. Hg. v. Manfred Sapper. Berlin 2006 (zugleich: Osteuropa 56 [2006] 6); Europa – Mythos und Heimat: Identität aus Kultur und Geschichte(n). Hg. v. Klaus Kufeld. Freiburg/Breisgau-München 2006; Meissner, Joachim: Mythos Südsee: das Bild von der Südsee im Europa des 18. Jahrhunderts. Hildesheim-Zürich-New York 2006 (Philosophische Texte und Studien 86); Bellers, Jürgen: Mythos oder Projekt? Geschichte der politischen und religiösen Ideen im internationalen Vergleich. Siegen 2004 (Schriften des Faches Politikwissenschaft); Leonardo da Vinci all’Europa: einem Mythos auf den Spuren. Hg. v. Maren Huberty und Roberto Ubbidiente. Berlin 2005 (Romanice 22); Frauen in Europa: Mythos und Realität. Hg. v. Bea Lundt, Michael Salewski und Heiner Timmermann. Münster 2005 (Schriftenreihe der Europäischen Akademie Otzenhausen 129); Brändle, Stefan: Mythos Frankreich. Das „alte Europa“ verliert seine Illusionen. Zürich 2004; Europa im 17. Jahrhundert. Ein politischer Mythos und seine Bilder. Hg. v. Klaus Bussmann und Elke Anna Werner. Stuttgart 2004; Tielker, Wilhelm: Der Mythos von der Idee Europa. Zur Kritik und Bedeutung historischer Entwicklungsgesetze bei der geistigen Verankerung der europäischen Vereinigung. Münster-Hamburg-London 2003 (Philosophie 45); Historikerdialoge: Geschichte, Mythos und Gedächtnis im deutsch-britischen kulturellen Austausch 1750–2000. Hg. v. Stefan Berger. Göttingen 2003 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 179); Mythos Czernowitz. Eine Stadt im Spiegel ihrer Nationalitäten. Potsdam 2008; 1848/49 in Europa und der Mythos der Französischen Revolution. Hg. v. Irmtraud Götz von Olenhusen. Göttingen 1998; Der antike Mythos und Europa. Texte und Bilder von der Antike bis ins 20. Jahrhundert. Hg. v. Francesca Cappelletti und Gerlinde Huber-Rebenich. Berlin 1997 (Ikonographische Repertorien zur Rezeption des antiken Mythos Europa, Beiheft 2). Zu europäischen Mythen, die als Kern der europäischen Erinnerung fungieren, vgl. die Eingangskapitel des ersten Bandes Europäische Erinnerungsorte. Mythen und Grundbegriffe des europäischen Selbstverständnisses. Hg. v. Pim den Boer u. a. München 2012, 15–55.

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der sowohl die menschliche Phantasie unweigerlich bezaubert als auch ihre Realitätsvorstellungen übertrifft.“3 Ein so breit gefasster Mythos4 wie der Europas und seiner kulturalistischen Konnotationen sollte in jeder Form und Kategorie untersucht und diskutiert werden. Auch antemurale christianitatis wird in der Forschung grundsätzlich als Mythos verstanden. Die diskursanalytische Komponente dieses historischen, politischen und kulturgeschichtlichen Phänomens wird dabei allerdings oft vernachlässigt. Der antemurale-Diskurs ist grundsätzlich als „historischer Mythos“, der sich politisch verselbstständigt hat und propagandistisch genutzt oder gar missbraucht wurde, zu verstehen.5 Den „Mythos“ begriffsgeschichtlich zu fassen, bedeutet, sich sprachanalytischer Werkzeuge zu bedienen und nach den Anfängen des Begriffes sowie seinen Inhalten zu fragen. Der sinngemäße Terminus antemurale christianitatis als Bollwerk gegen die der Christianitas drohenden Barbarengefahr geht auf die päpstliche Rhetorik des 14. Jahrhunderts zurück und auf das diplomatische Vokabular, mit dem der Heilige Stuhl um militärische Unterstützung warb. Zu den antemurale-Staaten gehörten Spanien, Venedig (mit Zypern und Kreta), Rhodos, der Deutsche Orden, Byzanz, Ungarn und das Heilige Römische Reich. Polen übernahm die Funktion eines scutum und antemurale Europas verhältnismäßig spät, erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Seine Abwehrfunktion bestand in der sauberen Trennung der eigenen Verteidigungs- und Eroberungsinteressen von denjenigen des Deutschen Ordens. Das Bild vom christlichen Frontland wurde in zeitgenössischen Texten (in und für Polen) damit untermauert, dass die antemurale-Staaten, indem sie ihre Grenzen verteidigten, die christliche Gemeinschaft vor der Barbarei schützten. Die Zugehörigkeit

3 Vgl. Morawiec, Małgorzata: Die Schweiz als europäisches Integrationsmodell in den deutschsprachigen Föderationsplänen der Moderne. In: Option Europa. Deutsche, polnische und ungarische Europapläne des 19. und 20. Jahrhunderts. Bd. 1: Essays. Hg. v. Włodzimierz Borodziej u. a. Göttingen 2005, 167–186, hier 167. Inhalte dieses Beitrags, der auf der GWZO-Tagung der Projektgruppe „Erinnerungskulturen“ in Bautzen 2007 vorgetragen wurde (vgl. Vorwort, 11 f.), habe ich am 3. Juli 2007 in einer Forschungswerkstatt des Instituts für Europäische Geschichte diskutiert. Irene Dingel, Johannes Wischmeyer und Kollegen, die mit mir über die im Beitrag benutzten Begriffe Christianitas und Mythos reflektiert haben, bin ich für ihre Hinweise dankbar. 4 Ein Mythos wird hier mit Ernst Cassirer verstanden als eine vor der Zeit der Verschriftlichung entstandene Denkform über die Gründung oder Entstehung eines in der Realität nicht immer oder nur in Teilen belegbaren Faktums. Im Mythos unterscheidet der Erzähler, der mit dem Autor oder dem Begründer des Mythos meist identisch ist, nicht zwischen dem immanenten und transzendenten Geschehen. Ebenso kennt er keine Unterscheidung zwischen „Vorgestelltem“ (z. B. im Traum) und „wirklicher“ Wahrnehmung in der Realität oder im Wachzustand. Leben und Tod stehen für ihn nicht im Gegensatz. Alles Erzählte betrachtet er als geschehen. Die Ursache-Wirkungs-Deutung legt er synchron aus. Cassirer, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil. Das Mythische Denken. Darmstadt 1973, 59–77. Siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Mythos (28. 11. 2011). 5 Vgl. Hein-Kircher, Heidi: Grenzsituation als Selbstverständnis. In: Grenzen. Gesellschaftliche Konstitutionen und Transfigurationen. Hg. v. Hans Hecker. Essen 2006 (Europäische Schriften der Adalbert-Stiftung 1), 129–147, hier 130 f.



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zur sich klar abgrenzenden Christianitas legitimierte auch Forderungen einer politischen und finanziellen Unterstützung durch den Heiligen Stuhl. Im Gegensatz zu den ummauerten Städten der Siebenbürger Sachsen und ihrem einzigartigen System der Wehrkirchen, die sich seit Ende des 14. Jahrhunderts als wirksamer Schutz (propugnaculum christianitatis)6 gegen die wachsende Bedrohung durch die osmanischen Türken bewährt hatten, erwies sich die Wehrhaftigkeit der polnischen Festungen erst im 17. Jahrhundert nach der Schlacht bei Chocim als zuverlässig. Während der Bürgermeister von Hermannstadt nach dem Fall von Konstantinopel (1453) stolz schreiben konnte, seine Stadt sei nun „nicht allein des Königreichs Ungarn, sondern auch der ganzen Christenheit Schild und Schirm“7, konnte Polen erst in den Kriegen gegen die Osmanen im 16. und 17. Jahrhundert seine Funktion eines Bollwerks erfüllen, da es nun ein direkter Nachbar des Osmanischen Reiches war. Seitdem widersetzte es sich vehement dessen Expansionsbestrebungen und wurde in die Antitürkenligen des Abendlandes aufgenommen. Ähnliche Entwicklungen lassen sich für den Balkan und den Mittelmeerraum nachweisen. Dabei fällt für das 17. Jahrhundert auf, dass die entsprechenden Quellen die Widerstandsfähigkeit und den Ernst des Einsatzes für den Schutz der Christenheit unterschiedlich einschätzten.8 Es ist deshalb wichtig, die verschiedenen Inhalte und Formen des Begriffes antemurale zu unterscheiden. Neben der latenten Bedrohung der Christianitas durch die Osmanen, Tataren oder Sarazenen, die sich in der Notwendigkeit einer „Bollwerkhaltung“ auch im Vokabular der – wie ich sie nenne – Werbetexte niederschlug, traten seit dem späten Mittelalter auch andere „Bedrohungspotenziale“ auf, die sich auf der verbalen Ebene mit den Termini scutum, murus, antemurale vermischten, ohne sich scharf von deren Inhalten zu trennen. Für den polnischen Sprachgebrauch bedeutete das zum Beispiel, dass sich antemurale-Begriff und -Haltung erweiterten und das Stereotyp des polnischen Edelmanns produzierten. Dieser zeichnet sich als dem Papst treu ergebener Katholik aus, der den wahren Glauben nicht nur gegen die Osmanen und Tataren verteidigt, sondern auch gegen das schismatische Moskauer Reich ins 6 Siehe ausführlich Öze, Sándor/Spannenberger, Norbert: „Hungaria vulgo appellatur propugnaculum Christianitatis“. Zur politischen Instrumentalisierung eines Topos in Ungarn. In: Beruf und Berufung. Geschichtswissenschaft und Nationsbildung in Ostmittel- und Südosteuropa im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. v. Markus Krzoska und Hans-Christian Maner. Münster 2005 (Studien zur Geschichte, Kultur und Gesellschaft Südosteuropas 4), 19–39. 7 Urkundenbuch zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen. 7 Bde. Hg. v. Franz Zimmermann und Gustav Gündisch. Hermannstadt-Bukarest 1892–1991, hier Bd. 5, Bukarest 1975, 446  f.; s. Gündisch, Konrad: Wahrung der Eigenständigkeit trotz wechselnder Staatszugehörigkeit. Eine 850-jährige Geschichte im Überblick, zit. nach der Onlineausgabe: www.siebenbuerger-sachsen-bw.de (11. 06. 2007). 8 Vgl. hier nur stellvertretend Wrede, Martin: Das Reich und seine Feinde. Politische Feindbilder in der reichspatriotischen Publizistik zwischen Westfälischem Frieden und Siebenjährigem Krieg. Mainz 2004 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 196); Cigány, István: Ungarisches Militär in den Armeen der Verbündeten. In: Acta Historica Academiae Scientarum Hungaricae 33 (1987), 285–290.

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Feld zieht, die Adelsfreiheiten untermauert und die lateinische Kultur bewahrt. Für das weitere Verständnis ist dieser Sachverhalt wichtig, weil dadurch möglicherweise der „Topos“ erst zum „Mythos“ wird oder zu einem solchen umfunktioniert wird. Im Mythos konnte sich der aktuelle politische Bezug wirksamer niederschlagen als in der rein rhetorischen Figur des Topos. Der Mythos – eine Formel aus der „Poetik“ Aristoteles’ – ist eine Erzählung von Ereignissen, eine Nachahmung von Handlung. Mit antemurale haben die Verfasser und Erzähler mittelalterlicher Werbetexte kaum wörtlich argumentiert (oder nur in Form einer rhetorischen Figur), sie haben sich jedoch öfter auf den Inhalt dieses Begriffs bezogen, indem sie den antemurale-Topos für die Rechtfertigung der Verteidigungshandlung einsetzten. Zu den Strukturmerkmalen des antemurale-Diskurses gehörte im Mittelalter folglich nicht der „historische Mythos“ antemurale, sondern der Topos antemurale.9 Daraus leite ich folgende Annahme ab: Aus dem mittelalterlichen diplomatischen Schriftverkehr der „Antitürkenligastaaten“ und anderen narrativen Texten entstand der (nicht unbedingt wörtlich) auftretende Topos der notwendigen Verteidigung der Christianitas. In der Folgezeit (bis in die Moderne hinein) wandelte sich dieser zum Mythos antemurale christianitatis, der sich in politischer und nationaler Hinsicht verselbstständigte und der, bei aller Verschiedenheit und unterschiedlichen Intensität in den östlichen antemurale-Staaten, die Zugehörigkeit zum Abendland markierte. Im Folgenden werde ich diese Überlegung anhand einiger allgemeiner Beobachtungen näher ausführen. Für die gewählte präskriptive Darstellung werden narrative Texte aus dem Korpus der europäischen Geschichtsschreibung abgefragt.10

Abwehr der Barbarei als Topos der europäischen Geschichtsschreibung In den Schriften europaorientierter Autoren des 15. und frühen 16. Jahrhunderts treten vor allem Perser, Araber, Selčuken und Osmanen als Bedrohung der Christianitas auf. Ob in den Verteidigungsaufrufen (1453/54) des Enea Silvio Piccolomini11, in Juan Luis Vivès „De Europae dissidijs et bello Turcico Dialogus“ (1526)12 oder Niccolò Machiavellis „L’arte della guerra“ (verfasst 1519–1521)13 – in allen diesen Texten wird Europa als eine wehrhafte Gemeinschaft gezeigt. In seinen „Rathschl[ä]-ge[n], 9 Vgl. dazu die Fragestellung „Europa als Topos der Geschichtsschreibung“ in: Schmale, Wolfgang: Voltaire (François-Marie Arouet) (1694–1778). In: Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch. Bd. 3. Hg. v. Heinz Duchhardt u. a. Göttingen 2007, 29–41, hier 29 und 35–39. 10 Siehe grundsätzlich Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch. 3 Bde. Hg. v. Heinz Duchhardt u. a. Göttingen 2006/2007. 11 Zit. nach Schulze, Winfried: Europa in der Frühen Neuzeit – Begriffsgeschichtliche Befunde. In: „Europäische Geschichte“ als historiographisches Problem. Hg. v. Heinz Duchhardt und Andreas Kunz. Mainz 1997, 33–65, hier 44, Anm. 38. 12 Ebd., 43, Anm. 29. 13 Ebd., 45, Anm. 41.



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die Türcken zubekriegen“ (1530) beschwor Erasmus von Rotterdam die Institutio principis christiani, sich aktiv als Verteidiger Europas einzusetzen.14 Aus der als akut verstandenen Türkengefahr des 16. Jahrhunderts entstand die erste Darstellung einer europäischen Geschichte, die indirekt mit dem Topos der Verteidigung der Christianitas operiert, indem sie u. a. die Bedrohung Europas durch die Ungarn, Sarazenen und Normannen um 900 thematisiert. Die Rede ist von der „Istoria dell’Europa“ (1546/1555) des Florentiners Pierfrancesco Giambullari15. Für die Zeit der Narration, 887–947/48, ist eine wörtliche Formulierung „antemurale“ noch nicht nachweisbar. In der „liebevoll grässlichen“16 Zeichnung der Gebräuche der Hunnen ist allerdings die Notwendigkeit einer klaren Abgrenzung von ihnen abzulesen. Die oikumene der christlich akkulturierten Völker Europas sei durch die heidnische Gegenwelt bedroht und müsse per definitionem verteidigt werden. Giambullari begnügt sich in seiner narratio mit einer nachhaltigen topischen Gegenüberstellung der bestialitas gegen die Zivilisation. Daraus ergibt sich – ohne dass der Verfasser eine überzeugende Begründung anführt – eine Legitimation der Abwehrhaltung. Für den Aufbau seiner Geschichte bedeutet das, dass er beispielsweise nicht nach kulturgeschichtlich vertieften Erklärungsmustern für das europäische Christentum suchen muss. Der auktoriale Verfasser ist aufgrund seines Wissens über die kulturhistorische Entwicklung auf dem Kontinent keineswegs gezwungen, für seine Erzählung rhetorische Figuren eines „Werbetextes“ zu benutzen. Dieses Verfahren zeichnet sich, wie auch Volker Reinhardt in dem erwähnten Beitrag immer wieder feststellt,17 durch pure Didaktik aus. Um mit Michail Bachtin zu sprechen: Der „Istoria dell’Europa“ fehlt die Dialogizität des argumentativen Textverfahrens.18 Topische Figuren wie antemurale kommen nicht vor. Auch bei dem um ein Jahrzehnt jüngeren Francesco Guicciardini19, der in seiner „Storia d’Italia“ (1535/1539) die italienische Halbinsel zum mittelalterlichen Inbegriff Europas stilisiert, tritt der werbewirksame rhetorische Topos antemurale nicht auf, obwohl die narrative Handlung (1490er-Jahre bis zur Papst-Wahl Pauls III. 1534) durchaus eine thematische Fokussierung der Türkenkriege zugelassen hätte. Die Bedrohung Italiens und der gesamten Christianitas durch die Türken wird in dem Werk Guicciardinis kaum thematisiert. Lediglich im letzten Kapitel findet sich ein faktografischer Hinweis auf die Plünderung der Stadt Fondi (1537) durch die Osmanen. Guicciardini nimmt offensichtlich Abschied von der traditionellen Verwendung der Idee der res publica christiana zur Abgrenzung gegenüber den islamischen Völkern. Die cristianità 14 Ebd., 47, Anm. 49. 15 Vgl. Reinhardt, Volker: Pierfrancesco Giambullari (1495–1555). In: Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch. Bd. 1. Hg. v. Heinz Duchhardt u. a. Göttingen 2006, 1–28. 16 Ebd., 14. 17 Ebd., passim. 18 Bachtin, Michail M.: Die Ästhetik des Wortes. Hg. und eingeleitet v. Rainer Grübel. Frankfurt a. M. 1979, 12 f. 19 Vgl. Coester, Christine: Francesco Guicciardini (1483–1540). In: Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch. Bd. 3. Hg. v. Heinz Duchhardt u. a. Göttingen 2007, 1–27.

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impliziert vielmehr eine Gemeinschaft mit vergleichbaren Bräuchen, Gewohnheiten und politisch-rechtlichen Strukturen. Es ist eine Art Kommunikationsraum „Europa“ entstanden, in dem Begriffe wie „forestieri“, „stranieri“ und „barbari“ nicht plakativ für die Bezeichnung der Fremden aufgrund ihrer orientalischen Herkunft und Religion (etwa der Spanier oder der Osmanen) verwendet werden, sondern sich die Namensgebung auf die Stufe ihrer Humanität bezieht: Als barbari werden fast ausschließlich die Franzosen aufgrund ihrer grausamen Kriegsführung bezeichnet. Es sind also nicht die Bewohner des restlichen Europas oder der fremden Welt, die pauschal als Barbaren angesehen und von den Italienern unterschieden werden. Dafür benutzte Guicciardini den Begriff „forestieri“, der – ähnlich wie der Europa-Begriff – einerseits zur Abgrenzung dient, andererseits aber wertfrei Größe und Bedeutung einer Gegebenheit bestimmt. Dagegen werden mit „stranieri“ auch Sachverhalte in einen grundsätzlichen Zusammenhang gebracht, die sich ohne nationale (italienische) Zuschreibung ereignen können, wie z. B. Staatsangelegenheiten. Mit dieser Bezeichnung werden sie „entnationalisiert“ und egalisiert. Auch die „Storia d’Italia“ ist kein „Werbetext“ für eine abendländische Verteidigungsstrategie gewesen. Sebastian Münsters „Kosmographie“ (1544) steht stellvertretend für die Idee der Abgrenzung und Verteidigung Europas gegen die barbarischen (heidnischen) Völker, die im 16. Jahrhundert nördlich der Alpen im Heiligen Römischen Reich vorherrschend war.20 Als Humanist und Geograf ordnet Münster den Inhalt seines Werkes in den christlich-heilsgeschichtlichen Kontext ein. Die Türkei erscheint als europäische Großregion. Der Aufstieg des osmanischen Imperiums und der Verfall der antiken Reiche (Griechenland) werden auf den Zorn Gottes zurückgeführt und das Wirken Satans in der Gestalt Mohammeds mit dem Sündenfall in Verbindung gebracht. Dieses Türkenbild setzt sich bis in das späte 17. Jahrhundert im Sinnbild des flagellum Dei oder in den konfessionell geprägten Antichrist-Diskursen fort. Argumentative Topoi ergeben sich auch bei Münster nicht ausschließlich aus der Funktion der Abwehr der Türkengefahr, sie werden in der gesamten konfessionellen Kontroverse dinglich gemacht. In der bildlichen Rezeption der Münsterschen „Kosmographie“ prallen zwei Topoi aufeinander: antemurale christianitatis und Europa Regina.

Zwischen „Land Magog“ und „ewigem Frieden“ Die Auflösung des Schreckbildes „Türkei“ lässt sich nicht genau datieren,21 bis ins 18.  Jahrhundert ist dieses jedoch im „Gedächtnisraum Europa“ fest verankert. So

20 Vgl. Schmale, Wolfgang: Sebastian Münster (1488–1552). In: Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch. Bd. 1. Hg. v. Heinz Duchhardt u. a. Göttingen 2006, 29–49. 21 Wrede nennt die Jahre 1683 bis 1699 als entscheidende Wegmarken dieses Prozesses. Wrede, Das Reich und seine Feinde (wie Anm. 8), 213.



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maßgeblich, wie der Topos antemurale zur „Perhorreszierung“22 des Türken in der europäischen Politik beigetragen hat, so unwesentlich war für seinen neuen Einsatz die Ridikülisierung23 des früheren Erzfeindes. Die Armbinde, die von den polnischen Truppen in der Schlacht am Kahlenberg getragen wurde, damit sich ihre Tracht von der türkischen unterschied,24 mag in den Anekdotenbereich fallen, für die Topik hat sie aber eine wesentliche Funktion. Sie bewegt sich nämlich in den Gedächtnisräumen, die – ohne wortwörtliche Konnotation – die semantischen Zusammenhänge konstruieren. In solchen Gedächtnisräumen funktioniert die Geschichte Europas der Historikergeneration, die zwar keine zeitgenössisch präsente Erfahrung mit der „Türkengefahr“ gesammelt hat, sich aber bemüßigt fühlt, sich aufgrund der ihr bekannten oder gerade vermittelten Topoi mit der Gefahr des Barbarischen auseinanderzusetzen. Für Voltaire bedeutet der Topos Europa „(1) im Mittelalter Christenheit, (2) im ausgehenden Mittelalter die christliche Republik [...], (3) in der frühen Neuzeit ein politisches System, (4) zudem immer [...] Gedächtnisraum und (5) ‚Zivilisation‘“.25 Als Referenz hierfür steht sein „Essai sur les mœurs et l’esprit des nations et sur les principaux faits de l’histoire depuis Charlemagne jusqu’à Louis XIII“ (1741). Gegen welche „Barbarei“ galt es im 18. Jahrhundert die drei letztgenannten Punkte zu verteidigen? Rousseau beschreibt in seinem ersten Diskurs den Fall Konstantinopels als geradezu beschämend für die europäische Identität.26 Voltaire richtet seine Kritik an der Gestaltung des „europäischen“ Bewusstseins grundsätzlich gegen den Klerus und die politische Aktivität der Päpste des 16. Jahrhunderts. In beiden Fällen waren es keine im Namen Christi geführten Kriege und Eroberungen, die für die europäische Bewusstseinswerdung – auch im Sinn der Abgrenzung vom Fremden – eine kulturpolitische Errungenschaft beinhalteten. Was z. B. für Voltaire zählt, ist die Begründung eines système de l’Europe, das auf dem Primat des Gleichgewichts besteht. Er fordert ein politisches System, das die Staaten Europas aus der Erfahrung der Vergangenheit (im Gedächtnisraum) auf eine weitere Stufe des Fortschritts (Zivilisation) bringt und für das Gleichgewicht der europäischen Mächte (balance) eintritt.27 Die Errichtung eines europäischen „Bollwerks“ gegen die asiatische Willkür nimmt in der Zeit der abflauenden Kontroverse mit dem Orient in einem viel stärkeren Ausmaß als noch im Mittelalter hermeneutische Züge an. Einige der ge22 Ein Begriff, der in der Forschung von Martin Wrede etabliert wurde. Vgl. z. B. Wrede, Martin: Der Kontinent der Erbfeinde. Deutsche und europäische Feindbilder der Frühen Neuzeit zwischen Säkularisierung und Sakralität. In: Auf dem Weg nach Europa. Hg. v. Irene Dingel und Matthias Schnettger. Göttingen 2011 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 82), 62. 23 Vgl. Wrede, Das Reich und seine Feinde (wie Anm. 8), passim. 24 Vgl. Davies, Norman: God’s Playground. A History of Poland. Oxford 1981, 473 f. 25 Schmale, Voltaire (wie Anm. 9), 37. 26 Rousseau, Jean-Jacques: Discours sur les sciences et les arts [1750]. Chronologie et introduction par Jacques Roger. Paris 1971, 38. Vgl. Schmale, Voltaire (wie Anm. 9), 35 f. 27 Duchhardt, Heinz: Balance of power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700–1785. Paderborn u. a. 1997 (Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen 4), 7–19.

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nannten Autoren thematisieren ausschließlich die zivilisatorische Komponente der europäischen Geschichte, indem sie – wie der schottische Historiker William Robertson – dem europäischen Kolonisierungsdrang einen gewissen universellen Fortschrittscharakter zusprechen,28 andere – wie August Ludwig (von) Schlözer – rücken von dem Topos von Europa als politischem System ab und streben ein Modell der europäischen Harmonie an, das sich Frieden und Kulturaustausch – auch über die Grenze zum Osmanischen Reich hinweg – zum Ziel setzt.29 In der Epoche der Aufklärung weicht der Zivilisationskampf der Christianitas und des Abendlandes gegen die „Barbaren“ den neuzeitlichen Bemühungen um den „ewigen Frieden“. Für den antemurale-Topos gibt es seit der Frühen Neuzeit für Abrisse der historischen Entwicklung keine rhetorische Verwendung mehr. Die Geburtsstunde des antemurale-Mythos lässt sich ebenso wie die verbale Verharmlosung der Türkengefahr nicht genau datieren. Die Schwierigkeit besteht zusätzlich noch darin, dass dieser Prozess von zwei unterschiedlichen Aspekten intellektueller und politischer Prägung beeinflusst und mitgetragen wurde. Der intellektuelle Diskurs über den Mythos antemurale beginnt mit der Formierung des Abendlandgedankens und der Begründung des europäischen Wertesystems. Er geht auf Johann Gottfried Herder30 und Niklas Vogt31 zurück und gipfelt in der Vorstellung Jacob Burckhardts32 von der Einheit der christlichen Wertegemeinschaft. Constantin Frantz33, ein Protestant, der sich mit seiner Ablehnung des deutschen Nationalismus und dem romantischen Verständnis der Idee des Abendlandes in die Nähe des „katholischen Europäertums“34 schlug, ist in diesem Zusammenhang ebenso zu nennen. Es ist ein west- bzw. mitteleuropäisches Europa-Konzept, das in der 1848er-Revolution gelebt hat und in den Folgejahren (letztendlich an den romantisch-nationalistischen Völkererhebungen) gescheitert ist. Dieses abendländische Europa-Verständnis entfacht unter den (westlichen) Europa-Historikern des 20. Jahrhunderts eine besonders intensive Debatte. Mit dieser wurde auch der Mythos erfolgreich, ohne dass dieser wörtlich erwähnt wird. Den ideengeschichtlichen Überbau des antemurale-Mythos haben die kulturgeschichtlichen Ansätze Burckhardts, aber auch die eines Johan Huizinga untermauert. 28 Berger, Joachim: William Robertson (1721–1793). In: Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch. Bd. 2. Hg. v. Heinz Duchhardt u. a. Göttingen 2007, 23–48. 29 Peters, Martin: August Ludwig (von) Schlözer (1735–1809). In: Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch. Bd. 1. Hg. v. Heinz Duchhardt u. a. Göttingen 2006, 79–105. 30 Muhlack, Ulrich: Johann Gottfried Herder (1744–1803). In: Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch. Bd. 2. Hg. v. Heinz Duchhardt u. a. Göttingen 2007, 49–76. 31 Duchhardt, Heinz: Niklas Vogt (1756–1836). In: Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch. Bd. 3. Hg. v. Heinz Duchhardt u. a. Göttingen 2007, 43–62. 32 Kreis, Georg: Jacob Burckhardt (1818–1897). In: Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch. Bd. 2. Hg. v. Heinz Duchhardt u. a. Göttingen 2007, 101–120. 33 Elvert, Jürgen: Constantin Frantz (1817–1891). In: Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch. Bd. 1. Hg. v. Heinz Duchhardt u. a. Göttingen 2006, 152–177. 34 Kraus, Hans-Christof: Heinz Gollwitzer (1917–1999). In: Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch. Bd. 2. Hg. v. Heinz Duchhardt u. a. Göttingen 2007, 295–321.



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Es ist immer wieder das Mittelalter, oder, was sich begrifflich seit der Romantik etabliert hat: das Abendland, das unter dem Aspekt „der Einheit in der Vielfalt“ seziert wurde. Die von Christopher Dawson aus der Sicht eines katholischen Intellektuellen verfassten Arbeiten haben zur Durchsetzung des Mythos antemurale wesentliche Ergänzungen und Korrekturen zum von Henri Pirenne entwickelten Modell der Verschiebung der europäischen Zivilisation beigetragen. Nach Dawson hat der kulturelle Übergang von der Antike zum Mittelalter eine religiös-spirituelle Grundlage, die den Aufbau einer einheitlichen europäischen Kultur ermöglicht hat. Auch Oskar Halecki – wie Dawson katholisch geprägt – schlug sich aus seinem nordamerikanischen Exil auf die Seite der europäischen Kulturgeschichte. Er war es letztendlich, der den Mythos antemurale für die Verbreitung des polnisch-litauischen Unionsgedankens im Polen der Zwischenkriegszeit aktiv – und wohl als Einziger der genannten Autoren wörtlich als rhetorischen Topos – einsetzte. Selbstredend erklärt sich, dass der antemurale-Mythos in seiner Ausprägung als Schutzideologie gegen die Bedrohungen, denen die europäische Zivilisation durch die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts ausgesetzt war, eine wirksame Funktion erfüllte. Hierfür ist stellvertretend die „History of Europe“ (1935) von H. A. L. Fisher zu nennen, die von dem Grundgedanken geleitet wird, das liberale Europa vor dem zersetzenden Einfluss der Diktaturen zu bewahren.35 Während der antemurale-Mythos im Diskurs der Historiker eine weltanschauliche Haltung widerspiegelt, offenbart er im politischen Diskurs sein Janusgesicht. Er wird für verschiedene politische Zwecke instrumentalisiert. In allen politischen Lagern ist eine antemurale-Mentalität zum Teil unterschiedlicher Stoßrichtung zu beobachten. Im kommunistischen Polen wurde zum Beispiel in katholischen und oppositionellen Kreisen die antemurale-Haltung als Ausdruck patriotischer Überzeugung und als Festhalten an der nationalen Tradition gedeutet. Im regierungs- und staatstreuen Milieu war man bemüht, sich mit dem Mythos zu arrangieren, indem man die tragische Komponente der historisch notwendigen nationalen Aufopferung im Dienst der höheren Werte unterstrich. Unterschwellig wurde die Frage nach dem Preis dieses Opfers gestellt und gefragt, wer die Schuld zu begleichen hat. Das einfache Volk war dabei immer die leidtragende Figur. Zum anderen wurde und wird der antemurale-Mythos in der nationalen Propaganda eingesetzt. Es ließen sich viele Beispiele dafür aufzählen, wer sich wann wo im nationalen Kampf um die Unabhängigkeit von den Tyrannen und in welchem Teil Ost-, Mittel- oder Südeuropas besonders verdient gemacht und nun als Held Eingang in die Nationaldichtung gefunden hat. Eines fällt dabei auf: Es ist fast immer das gleiche Argumentationsmuster, mit dem sie besungen werden.36 35 Bentley, Michael: H. A.  L.  Fisher (1865–1940). In: Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch. Bd. 2. Hg. v. Heinz Duchhardt u. a. Göttingen 2007, 169–187, hier bes. 169 f. 36 Schmitt, Oliver: Export eines Nationalhelden? Der schwierige Umgang mit Skanderbeg im albanischsprachigen Westbalkan. In: Neue Zürcher Zeitung, 02. 07. 2005 (www.nzz.ch/aktuell/startseite/ articleCWGS7-1.154741; 15. 04. 2013). Darin finden sich frappierend viele Argumentationszusam-

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Malgorzata Morawiec

Es scheint ein europäisches Charakteristikum zu sein, dass viele Völker Europas ihre Geschichte nach einem ähnlichen Schema geschrieben haben. Die Topoi und Mythen sind austauschbar. Das Faktum einer teleologischen, staatstragenden oder nationsbildenden Funktion der Meistererzählungen ist von der Forschung längst erkannt worden, allerdings blieb der Aspekt der Europäizität bislang unbeachtet. Eine genaue Untersuchung dieses Desiderates wäre an der Zeit.

menhänge, die pauschal als Meistererzählung in jedem ostmittel- und südeuropäischen Land gelten könnten.



Farbtafeln Beitrag Jenny Alwart

Taf. 1  Taras Ševčenko: Selbstporträt. 1840, Öl auf Leinwand, 43 x 35 cm.

Taf. 2  Natal’ja Blok, Maks Afanas’jev: Genzähler, prinzipielles Schema (Henoličyl’nyk, pryncypova schema). Ca. 2007/2008.

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Farbtafel Beitrag Arnold Bartetzky

Taf. 1  Moskau, Christus-Erlöser-Kathedrale, Rekonstruktion. Aufnahme von 2006.



Farbtafel Beitrag Agnieszka Gąsior

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Taf. 1 Miniatur aus dem sog. Schlackenwerther Codex, 1353: hl. Hedwig mit den CodexStiftern, Herzog Ludwig I. von Liegnitz-Brieg und seiner Gemahlin Agnes von Glogau. J. Paul Getty Museum, Los Angeles/Malibu.

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Farbtafeln Beitrag Daniela Koleva

Plate 1  Sts Cyril and Methodius, Zachari Zograf’s 1847 mural in the Troyan monastery.

Plate 2  24 May parade in Sofia, 1970s. The walls of the building on the left are decorated with the Soviet and the Bulgarian flags and the two coats of arms; on the right, the portraits of the general secretaries of the two Communist parties, Leonid Brezhnev and Todor Zhivkov, can be seen in the middle of a row of portraits of the members of the two Politburos (below the large portraits of Marx and Engels).



Farbtafeln Beitrag Izabella Main

Plate 1  The 50th anniversary of June 1956. The tank in front of the castle, Poznań.

Plate 2  The 50th anniversary of June 1956. The billboard with printouts of articles from Western newspapers about June 1956.

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Farbtafeln Beitrag Tatiana Podolinská

Plate 1  Fresco of Mary in the interior of a Roma house (Terňa, 2006).

Plate 2  Interior of the kitchen in a Roma house with the tapestry of the Virgin of Guadalupe (Žehňa, 2006).



Farbtafeln Beitrag Tatiana Podolinská

Plate 3  A homemade Madonna with dark skin in a Roma household (Jarovnice, Eastern Slovakia, 2006).

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Farbtafel Beitrag Michaela Schäuble

Taf. 1  Wundertätiges Gemälde der Gospa Sinjska (Muttergottes von Sinj), mit Schmuck und barockem Rahmen.

A nt e m u ra l e ch ri s t i a nitatis – e ine p robl emat i sc h e De nk figur? Überlegungen zu kroatischen Europa-/Balkan-Diskursen im 20. Jahrhundert

Anne Cornelia Kenneweg Wir rühmen uns, der „Vorposten Europas“ gewesen zu sein, aber ob dies tatsächlich so ist, das ist eine große Frage. Der „Vorposten Europas“ zu sein oder nicht zu sein, was heißt das? Wie viel von diesem unglücklichen Europa gibt es heute bei uns? Miroslav Krleža1

Einleitung Wenn der kroatische Schriftsteller Miroslav Krleža sich in seinen Aufzeichnungen zum Jahr 1916 fragt, was es heißt, der Vorposten Europas zu sein oder nicht zu sein, dann greift er damit eine Denkfigur auf, die in Kroatien – und nicht nur dort – dafür verwendet wird, das Verhältnis der eigenen Nation zu Europa zu bestimmen: antemurale christianitatis. Wie in vielen Gesellschaften Ostmitteleuropas sind auch in Kroatien antemuraleVorstellungen, also die Vorstellung, Vormauer des Christentums zu sein, fester Bestandteil nationaler und regionaler Erinnerungskulturen.2 Die Verwendungsweisen 1 „Ponosimo se da smo bili ‚Predstraža Evrope‘, ali da li je tome doista tako, to je veliko pitanje. Biti ili ne biti ‚Predstraža Evrope‘, šta to znači? Koliko li te nesretne Evrope ima danas među nama?“ Krleža, Miroslav: Davni dani. Zapisi 1914–1921 [Einstige Tage. Aufzeichnungen 1914–1921]. Zagreb 1956, 148. Das Zitat steht im Zusammenhang mit Überlegungen zur zeitgenössischen bildenden Kunst in Kroatien und zu Krležas Suche nach einem eigenen künstlerischen Selbstverständnis in Auseinandersetzung mit der Kunst und Literatur der Moderne. 2 Einen Überblick bietet Žanić, Ivo: Simbolični identitet Hrvatske u trokutu raskrižje – predziđe – most [Die symbolische Identität Kroatiens im Dreieck Kreuzung – Vormauer – Brücke]. In: Historijski mitovi na Balkanu. Hg. v. Husnija Kamberovic. Sarajevo 2003, 160–202; englische Fassung des Textes: Ders.: The symbolic identity of Croatia in the triangle crossroads-bulwark-bridge. In: Myths and Boundaries in South-Eastern Europe. Hg. v. Pål Kolstø. London 2005, 35–76. Weitere Literatur zu antemurale christianitatis in Ostmitteleuropa: Borkowska, Urszula: The ideology of „antemurale“ in the Sphere of Slavic culture (13th–17th centuries). The common Christian roots of the European nations. An International Colloquium in the Vatican. Bd. 2: Written contributions to the twelve carrefours. Florence 1982, 1206–1221; Pekacz, Jolanta T.: ‚Antemurale‘ of Europe. From the History of National Megalomania in Poland. In: History of European Ideas 20 (1995) 1–3, 419–424, Tazbir, Janusz: Polskie przedmurze chrześcijańskiej Europy. Mity a rzeczywistość historyczna [Polen als Vormauer des christlichen Europa. Mythen und historische Realität]. Warszawa 1987; Morawiec,

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dieser Denkfigur sind allerdings heterogener, als es auf den ersten Blick scheint. Seit antemurale christianitatis im Spätmittelalter als Topos in Diskursen über nicht christliche Gegner und Bedrohungen aufkam, ist die Denkfigur in zahlreichen Varianten in unterschiedlichen Kontexten und mit unterschiedlichen Intentionen genutzt worden. Zum Ende des 20. Jahrhunderts erlebte sie zumindest in Kroatien eine erneute Konjunktur, die im Kontext der global- und regionalpolitischen Situation nach 1989 zu sehen ist: Das Zerbrechen des zweiten jugoslawischen Staates und die damit verbundenen Kriege einerseits und der Europäisierungsschub im Zuge der EU-Osterweiterung andererseits bilden den Hintergrund dieser Konjunktur. Um die aktuellen Verwendungsweisen der Denkfigur antemurale christianitatis zu verstehen, sollte aber auch danach gefragt werden, an welche vorhergehenden mittelalterlichen, frühneuzeitlichen und modernen Deutungen angeknüpft wird, mit welchen anderen Diskursen sie verbunden ist und welche kritische Auseinandersetzung mit dem Vormauer-Denken zu verzeichnen ist. Dazu soll im Folgenden ein Beitrag geleistet werden, indem ein paar Schlaglichter auf antemurale christianitatis als Denkfigur geworfen werden, die zwei zeitliche Kontexte eher lose miteinander in Verbindung bringen: Zunächst stehen Raumkonzeptionen und Vergangenheitsdeutungen im Werk von Miroslav Krleža stellvertretend für Suchbewegungen und Neuorientierungen in der ersten Hälfte des 20.  Jahrhunderts. Die Fallstudie zu Krleža wird dann im zweiten Teil dieses Beitrages um einen Blick auf Europa-Diskurse am Ende des 20. Jahrhunderts ergänzt, wobei hier am Beispiel von Texten von Boris Buden danach gefragt wird, wie antemurale christianitatis als Denkfigur zur Strukturierung kultureller Raumvorstellungen und politischer Diskurse beiträgt. Diesen schlaglichtartigen Analysen werden einige Überlegungen zur diskursiven Funktion der Denkfigur antemurale christianitatis in unterschiedlichen Kontexten vorangestellt. Der Beitrag strebt jedoch keine Diskursgeschichte von antemurale als Denkfigur an. Vielmehr wird versucht, die Verwendungsweisen dieses Topos mit Ansätzen in Verbindung zu bringen, die mit den Stichworten „Balkanismus“ oder „nesting orientalisms“ bezeichnet werden.3 Die zugrunde liegende Idee ist dabei, dass Małgorzata: Antemurale Christianitatis. Polen als Vormauer des christlichen Europa. In: Jahrbuch für europäische Geschichte 2 (2001), 149–260; Hein-Kircher, Heidi: Antemurale christianitatis. Grenzsituation als Selbstverständnis. In: Grenzen. Gesellschaftliche Konstitutionen und Transfigurationen. Hg. v. Hans Hecker. Essen 2006, 129–148; Öze, Sándor/Spannenberger, Norbert: „Hungaria vulgo apellatur propugnaculum Christianitatis“. Zur politischen Instrumentalisierung eines Topos in Ungarn. In: Geschichtswissenschaft und Nationsbildung in Ostmittel- und Südosteuropa im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. v. Markus Krzoska und Hans-Christian Maner. Münster 2005, 19–39. 3 Zu den verschiedenen Ansätzen u.  a.: Bakić-Hayden, Milica/Hayden, Robert: Orientalist Variations on the Theme „Balkans“: Symbolic Geography in Recent Yugoslav Cultural Politics. In: Slavic Review 51 (1992), 1–15; Bakić-Hayden, Milica: Nesting Orientalisms: The Case of Former Yugoslavia. In: Slavic Review 54 (1995), 917–931; Bjelić, Dušan I.: Introduction: Blowing Up the „Bridge“. In: Balkan as Metaphor. Between Globalization and Fragmentation. Hg. v. Ders. und Obrad Savić. Cambridge, Mass. 2002, 1–22; Balkan as Metaphor. Between Globalization and Fragmentation. Hg. v. Dušan I. Bjelić und Obrad Savić. Cambridge, Mass. 2002; Blažević, Zrinka: Rethinking Balka-



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diese Ansätze das Problematische dieser Denkfigur erhellen können, während umgekehrt die Untersuchung von antemurale als Denkfigur zugleich zur Erweiterung des Balkanismus-Diskurses beitragen kann.

Antemurale als raum- und gedächtnisstrukturierende Denkfigur Der Rekurs auf Vormauer-Vorstellungen wird in der Regel als Beitrag zur nationalen Mythenbildung betrachtet, antemurale christianitatis als historischer Mythos aufgefasst,4 also als sinnstiftende Erzählung einer Nation. Die Wendung antemurale christianitatis wird zumeist in ihrer Funktion für das nationale Gedächtnis betrachtet, wobei die Verflechtung von nationalen und religiösen Erinnerungsdiskursen zu beobachten ist. In der Verwendung von antemurale christianitatis als erinnerungskulturellem Topos wird eine Kontinuität behauptet, die Vormauer-Vorstellung als festen Bestandteil des jeweiligen nationalen Selbstverständnisses präsentiert. Im kroatischen Fall wird der antemurale-Mythos auf die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Diplomatie zurückgeführt. In der Forschungsliteratur werden als frühe Beispiele Aussagen von König Ladislav II. Jagelović, der Slavonien 1496 als Schutz und Vormauer Ungarns bezeichnet hat, und Maximilian I. genannt, der 1498 eine ähnliche Formulierung in Bezug auf Kroatien gebrauchte.5 Häufig angeführt wird auch Papst Leo X., der Kroatien im Jahr 1519 scudum solidissimus et antemurale christianitatis (festes Schild und Vormauer des Christentums) genannt und dem Bischof von Trogir Unterstützung zugesagt haben soll.6 Ebenfalls zitiert werden kroatische Quellen aus dem Jahr 1521 nach dem Fall Belgrads, in denen davon die Rede ist, dass Kroatien nun die letzte Bastion des Christentums sei.7 Bereits in diesen frühen Beispielen ist erkennbar, dass antemurale sowohl eine Fremdbezeichnung sein kann, die den Kroaten

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nism: Interpretive Challenge of the Early Modern Illyrism. In: Études balkainque (2007), 87–106; Lindstrom, Nicole: Between Europe and the Balkans: Mapping Slovenia and Croatia’s „Return to Europe“ in the 1990s. In: Dialectical Anthropology 27 (2003) 3–4, 313–329; Dies./Razsa, Maple: Balkan is Beautiful: Balkanism in the Political Discourse of Tudman’s Croatia. In: East European Politics and Societies 18 (2004) 4, 628–650; Todorova, Maria: Imagining the Balkans. New York 1997. Heidi Hein-Kircher etwa integriert antemurale christianitatis als ein Beispiel in ihre historische Mythenforschung, s. Hein-Kircher (wie Anm. 2). Rajković, Nikolina: Povlačanje granica istoka i zapada: antemurale christianitatis i konecptualizacija hrvatskog nacionalnog i simboličkog identiteta [Grenzen zwischen Osten und Westen ziehen: antemurale christianitatis und die Konzeptionalisierung der kroatischen nationalen und symbolischen Identität]. In: Diskrepancija 11 (2012), 51–65, hier 55. Eine Zusammenstellung von Quellenbelegen zu antemurale christianitatis und verwandten Ausdrücken findet sich auch in: Paić, Ivo: Sloboda i strah. Hermeneutika predziđa – ogled o iskustvo svijesti hrvatskoga narodnog opstanka [Freiheit und Furcht. Hermeneutik der Vormauer – Versuch über die Bewusstseinserfahrung der kroatischen nationalen Existenz]. Zagreb 1997, 37–42. Ob es diese Aussage wirklich gegeben hat, ist umstritten, s. Žanić, The symbolic identity (wie Anm. 2), 39  f. Ob diese oder ähnliche Zitate tatsächlich durch Quellen belegt werden können, ist für die erinnerungskulturelle Wirkung jedoch fast nebensächlich. Ebd., 40.

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– genauer gesagt ihrer politischen und militärischen Führung – eine bestimmte Rolle zuweist, als auch eine Selbstbezeichnung, mit der aus der eigenen Rolle Forderungen an die christlichen Mächte im westlichen Europa abgeleitet werden. Im 16. Jahrhundert avancierte der Topos dann zu einem wesentlichen Bestandteil antiosmanischer Propaganda und diente der Produktion von Selbst- und Feindbildern. Die eigene Rolle als Verteidiger des Christentums wurde dabei mit Darstellungen der erlittenen Gräuel verbunden. Auf die Kämpfe des 16. Jahrhunderts geht auch die Verehrung des frühneuzeitlichen Heerführers und kroatischen Banus Nikola Šubić Zrinski8 als Nationalheld zurück, der im Jahr 1522 die Stadt Siget (ung. Szigetvár)9 gegen die Belagerung durch das osmanische Heer verteidigte. Zrinski ist sowohl in der kroatischen als auch in der ungarischen Tradition eine der wichtigsten Symbolfiguren der antemurale-Vorstellung. Nach der Reformation und im Laufe der Jahrhunderte verlor der Topos zunächst an Bedeutung, um dann mit gewandeltem Inhalt wieder aufzutauchen. In modernen Verwendungen wird ‚christianitas‘ von antemurale christianitatis konfessionell als ‚katholisch‘ oder kulturell als ‚Westen‘ oder ‚Europa‘ gedeutet. Ivo Žanić führt aus, dass im 19.  Jahrhundert die Idee von Kroatien als Vormauer an die politischen Vorstellungen der kroatischen Nationalbewegung angepasst werden musste. In dieser Zeit ist Žanić zufolge auch die Argumentation entstanden, dass aus der antemurale-Rolle Kroatiens eine moralische Schuld der Verteidigten – also des Westens – erwachsen sei und ihr Undank auf einen moralischen Niedergang Europas hinweise,10 eine Argumentation, die auch im postsozialistischen Kroatien häufig Verwendung fand. Denn Ende des 20. Jahrhunderts erlebte die antemurale-Vorstellung schließlich eine erneute Konjunktur.11 Insbesondere kurz vor und in den Jahren nach der Unabhängigkeit Kroatiens diente der Rückgriff auf antemurale-Konzepte der Abgrenzung von der Vergangenheit im sozialistischen Jugoslawien und war vor allem antiserbisch konnotiert. Im Zuge nationaler Homogenisierungsbestrebungen diente antemurale christianitatis der Mahnung zur Verteidigungsbereitschaft angesichts äußerer Bedrohung. Zu Beginn der 1990er-Jahre und während der jugoslawischen Zerfallskriege wurde der Kampf auf der Vormauer auch als Kampf um die eigene Existenz gedeutet.12 Insbesondere die Re8 Zu Zrinski als zentraler Figur des antemurale-Diskurses s. Žanić, The symbolic identity (wie Anm. 2), 36. 9 Siget ist ein gutes Beispiel für einen transnationalen Erinnerungsort, der allerdings oft nationale Aneignungen erfährt. Zur transnationalen erinnerungskulturellen Bedeutung von Siget exemplarisch: Lauer, Reinhard: Siget. Heldenmythos zwischen den Nationen. In: Erinnerungskultur in Südosteuropa. Berlin-Boston 2011 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, NF 12), 189–216. 10 Žanić, The symbolic identity (wie Anm. 2), 47. 11 Ebd., 66–73. 12 So erklärt der Tudjman nahestehende Schriftsteller Ivan Aralica die kroatische Mentalität und die Widerständigkeit der kulturellen Identität der Kroaten mithilfe dieses Topos. Dazu: Kenneweg, Anne Cornelia: Modi der Verwendung des antemurale christianitatis-Topos in Kroatien seit 1990. In: Marienkult, Cyrillo-Methodiana und Antemurale. Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa vor und nach 1989. Hg. v. Ders. und Stefan Troebst. Marburg 2009, 353–356; zugleich Themenheft der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 59 (2008) 3, 60–75.



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gierung der HDZ (Hrvatska demokratska zajednica/Kroatische Demokratische Union) unter Franjo Tudjman griff auf solche Denkfiguren zurück, um die Zugehörigkeit zu Europa zu unterstreichen.13 Aber auch der Enttäuschung über Europa wurde mit Verweis auf die Vormauer-Funktion Ausdruck verliehen, wenn darüber geklagt wurde, dass Kroatien sich für die europäischen Werte aufopfere, dafür aber nur Undank ernte.14 Da antemurale-Vorstellungen Teil von erinnerungskulturellen Deutungsmustern sind, die Erinnerungs- und Raumdiskurse strukturieren, scheint es mir sinnvoll, von antemurale christianitatis als einer Denkfigur zu sprechen, die mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und Intentionen im kulturellen und politischen Kontext eingesetzt werden kann. Die lange Geschichte der Verwendung dieser Denkfigur dient dabei als eine Art Reservoir, aus dem man sich unter veränderten historischen Umständen immer neu bedienen kann. Mithilfe der Vorstellung, Vormauer des Christentums, des Katholizismus, Europas oder des Westens zu sein, lassen sich nicht nur epochenübergreifend Ereignisse und Einstellungen miteinander verbinden, sondern zudem auch kollektive Identitäten verräumlichen. Es geht nicht allein um die Zugehörigkeit zu ‚Europa‘ und den Umgang mit der peripheren Lage, um die Verortung zwischen ‚Westen‘ und ‚Osten‘, es geht auch um Definitionen von Mitteleuropa, von südslavischen Zugehörigkeiten und nationale Grenzziehungen im übertragenen und konkreten Sinne. Die Vorstellung, an und mit einer bedeutsamen Grenze zu leben, ist Teil des kroatischen erinnerungskulturellen Repertoires, das sowohl auf die historischen Gegebenheiten einer ‚Grenzergesellschaft‘ im Gebiet der Militärgrenze15 zurückgeht als auch auf kulturelle Vorstellungen und Diskurse, wie sie in der Denkfigur antemurale christianitatis Ausdruck finden: die Frage nach der Zugehörigkeit zu Europa und das immer wieder neu diskutierte Verhältnis zu den Nachbarn im Südosten. In diesem Sinne kann „der Grenzraum als geographische und kulturelle Verortung angesehen werden, in der sich Selbst- und Fremdzuschreibungen, Freund- und Feindbilder in Vollzug der Erinnerung quasi verräumlichen“.16 13 Belege hierfür sind aufgeführt in: Paić, Hrvoje: Kroatien. In: Europa – verflucht begehrt. Europavorstellungen in Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Serbien. Hg. v. Vedran Džihić u.  a. Wien 2006, 95–156. 14 Kenneweg (wie Anm. 12), 358–360. 15 Zur Bedeutung der Militärgrenze und zur Herausbildung von Grenzgesellschaften in der Region s. Roksandić, Drago: Triplex Confinium ili O granicama i regijama hrvatske povijesti 1500–1800 [Triplex Confinium oder Über Grenzen und Regionen kroatischer Geschichte 1500–1800]. Zagreb 2003; Hösch, Edgar: Kulturgrenzen in Südosteuropa. In: Südosteuropa 47 (1998), 601–623. Zur kulturwissenschaftlichen Grenzforschung allgemein s. u. a.: Die Grenze. Begriff und Inszenierung. Hg. v. Markus Bauer und Thomas Rahn. Berlin 1997; Über Grenzen. Limitation und Transgression in Literatur und Ästhetik. Hg. v. Claudia Benthien und Irmela Merei Krüger-Fürhoff. Stuttgart-Weimar 1999; Literatur der Grenze. Theorie der Grenze. Hg. v. Richard Faber und Barbara Naumann. Würzburg 1995; Nachdenken über Grenzen. Hg. v. Rüdiger Görner und Susanne Kirkbright. München 1999. 16 Ostermann, Patrick/Müller, Claudia/Rehberg, Karl-Siegbert: Einleitung: Der nordostitalienische Grenzraum als Erinnerungsort. In: Der Grenzraum als Erinnerungsort. Über den Wandel zu einer postnationalen Erinnerungskultur in Europa. Hg. v. Dens. Bielefeld 2012, 9–26, hier 12.

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Die „Grenze als Selbstverständnis“17 ist jedoch nur eins von mehreren möglichen Identifikationsmustern in der peripheren Position. Daher sind auch Konzeptionen, mit denen die Denkfigur antemurale christianitatis konkurriert, zu beachten, etwa das Bild von Kroatien als Brücke, also als Verbindung zwischen ‚Westen‘ und ‚Osten‘.18 Das Brückenbild evoziert andere Vorstellungen des Dazwischenseins als das Bild der Mauer: Eine Brücke ermöglicht Austausch und Kontakt, sie steht anders als die Mauer, die trennt und ausschließt, für Durchlässigkeit und Verbindung. Erinnerungskulturelle Deutungen von Raum werden besonders dann virulent, wenn sich Grenzen verschieben und politisch definierte Territorien verändern, wie dies gerade im 20.  Jahrhundert mehrfach der Fall war. Antemurale christianitatis kommt also als Denkfigur zum Einsatz, wenn es gilt, das Bild der eigenen Nation zwischen ‚Osten‘ und ‚Westen‘ zu zeichnen, die Zugehörigkeit zu Europa zu behaupten und die eigene Rolle in Relation zum Zentrum zu verhandeln. In der Verschränkung von Selbstverständnis und Fremdzuschreibung, Inklusions- und Exklusionsmechanismus ist die Figur Teil dessen, was seit etlichen Jahren unter dem Stichwort Balkanismus untersucht und debattiert wird.

Antemurale als Denkfigur und die (kroatischen) Balkan-/Europa-Diskurse Um das ambivalente Verhältnis zwischen ‚Europa‘ und dem ‚Balkan‘ zu erforschen, werden seit den späten 1990er-Jahren Konzepte entwickelt und diskutiert, die an Edward Saids Orientalismus-Konzept anknüpfen und die Wahrnehmung des Balkans als Spielart des Orientalismus oder als zumindest ähnlich strukturierten Diskurs betrachten. Geht man von Maria Todorovas wegweisendem Buch „Imagining the Balkans“19 aus, so stand beim Balkanismus-Konzept zunächst eine Analyse des westlichen Blicks auf den Balkan im Vordergrund. Im Unterschied zum Orientalismus-Konzept von Edward Said bezeichnet der Balkanismus in Todorovas Verständnis jedoch nicht das fundamental andere des Westens, sondern „the other within“, also ein Anderes, das Teil des Eigenen ist. Es geht dementsprechend beim ‚Balkanismus‘ nicht um die Konstruktion des radikal Anderen, sondern um Übergänge, innere Widersprüche und Ambivalenzen in Europa- und Balkanbildern. Nicht zuletzt wegen dieser Ambiguität werden das Balkanismus-Konzept und ähnliche Ansätze nicht nur zur Deutung von Außensichten auf den Balkan herangezogen, sondern haben sich auch als tragfähig erwiesen, um Diskurse in der Region selbst zu analysieren.20 Bei der Betrachtung von antemurale christianitatis als Denkfigur an dieses Konzept anzuknüpfen, ermöglicht es, Zusammenhänge zwischen aktuellen 17 So der Titel eines Essays von Žanić, Ivo: Die Poetik der Grenze: Fallbeispiel Kroatien. In: Fantom slobode (2008) 1–2, 11–33. 18 Žanić, The symbolic identity (wie Anm. 2); Bjelić (wie Anm. 3). 19 Todorova (wie Anm. 3). 20 Bakić-Hayden (wie Anm. 3); Bakić-Hayden/Hayden (wie Anm. 3).



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Debatten und ihren erinnerungskulturellen Vorgeschichten zu diskutieren und dabei gerade auch jene Aspekte der Europa-Diskurse in Kroatien zu erschließen, die voller Widersprüche, Uneindeutigkeiten und Konflikte sind. Denn in den Beschreibungen von politischen und kulturellen Positionsbestimmungen unterschiedlicher Akteure werden vielfach Ambiguitäten und Dilemmata sichtbar, die das Verhältnis von Balkan und Europa betreffen.21 So haben Maple Razsa und Nicole Lindstrom herausgearbeitet, wie Balkan- und Europastereotype im politischen Diskurs in Kroatien unter Tudjman eingesetzt wurden,22 und beschreiben verschiedene rhetorische Strategien, die auf jeweils unterschiedliche Konzeptionalisierungen von ‚Europa‘ und ‚Balkan‘ verweisen. Nicole Lindstrom führt ferner aus, wie kroatische (aber auch slowenische) Politiker ihre Nationen mithilfe historischer und kultureller Argumente als wesenhaft europäisch, ja als europäischer als die westeuropäischen Nationen darstellen.23 Die beiden jugoslawischen Staaten, die aus dieser Sicht als ‚balkanisch‘ charakterisiert werden, gelten als eine Art Irrtum der Geschichte, der durch die Rückkehr nach Europa beendet wird, wobei ein Rückfall in diesen Irrtum unbedingt zu vermeiden sei.24 Am Beispiel Boris Budens zeigen Rasza und Lindstrom, wie Balkan-Stereotype auch gegen Tudjman gewendet wurden, dessen nationalistische Politik als rückständig und eben nicht europäischen Standards von Demokratie entsprechend kritisiert wird.25 In diesen Mustern sind strukturelle Ähnlichkeiten zur Verwendung der antemurale-Denkfigur auszumachen, die ihren Niederschlag in der Literatur finden. So wird beispielsweise innerhalb der Forschungen zum Balkanismus-Diskurs auf antemuraleVorstellungen26 verwiesen und umgekehrt in der antemurale-Literatur der Balkanismus-Diskurs aufgegriffen27, wobei die antemurale-Denkfigur gewissermaßen als erinnerungskulturelle Dimension der Europa-/Balkan-Problematik in Kroatien verstanden werden kann. Die Feststellung der Verwandtschaft zwischen Balkanismus und antemurale christianitatis ist also nicht neu, dennoch lohnt es sich, ein wenig genauer hinzusehen, um anknüpfend an den Balkanismus-Diskurs das Problematische der Denkfigur antemurale christianitatis präziser herauszuarbeiten und zu zeigen, wie aus kritischen Überlegungen zu diesem Problemkomplex alternative Raumkonzeptionen entwickelt werden können. Dazu sollen im Folgenden zwei intellektuelle Positionen als Beispiele betrachtet werden, die keine affirmativen Verwendungsweisen von antemurale christianitatis vorstellen, sondern vielmehr die Kritik an dieser Figur zum Bestandteil 21 Zu einem ähnlichen Befund kommt in seiner Untersuchung von Alltagsdiskursen in Zagreb Jansen, Stef: Svakodnevni orientalizam: Doživljaj „Balkana“/„Evrope“ u Beogradu i Zagrebu [Alltäglicher Orientalismus: Das Erleben von „Balkan“/„Europa“ in Belgrad und Zagreb]. In: Filosofija i društvo 18 (2002), 33–71. 22 Rasza/Lindstrom (wie Anm. 3), Lindstrom (wie Anm. 3). 23 Lindstrom (wie Anm. 3), 317 f. 24 Rasza/Lindstrom (wie Anm. 3), Lindstrom (wie Anm. 3). 25 Rasza/Lindstrom (wie Anm. 3), Lindstrom (wie Anm. 3). 26 Beispielsweise: Lindstrom (wie Anm. 3), 318; Rasza/Lindstrom (wie Anm. 3), 649. 27 Beispielsweise: Rajković (wie Anm. 5), 61 f.

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nationalismuskritischer Positionen machen. Diese Kritik kann meines Erachtens mit Positionen in Verbindung gebracht werden, die unter Schlagworten wie „Rethinking Balkanism“28 oder „Reimagining the Balkans“29 das Augenmerk auf das produktive Potenzial der Ambivalenz richten. An Theoretiker des Postkolonialismus wie Homi Bhabha anknüpfend wird dabei die Ansicht vertreten, dass die Zwischenposition und die damit verbundene kulturelle Hybridität zum Ausgangspunkt gemacht werden können, um Alternativen zu überkommenen Raummodellen und exklusiven nationalen Identifikationsangeboten zu entwickeln.

Miroslav Krleža und Europa: Deutungen und Diskussion Miroslav Krleža ist eine prägende Figur der kroatischen und gesamtjugoslawischen Literatur und Kultur des 20. Jahrhunderts. In den fast sechs Jahrzehnten seiner schriftstellerischen und kulturpolitischen Tätigkeit schuf er ein alle literarischen Gattungen einschließendes Gesamtwerk, dessen thematisches Spektrum von der antiken Medizin über die europäische Kulturgeschichte, zeitgenössische Literatur und Malerei bis hin zu tagespolitischen Fragen reicht. Ende des 19. Jahrhunderts in Zagreb geboren, hatte Krleža als junger Mann das Ende der Habsburgermonarchie, die Katastrophe des Ersten Weltkrieges und die Entstehung des ersten jugoslawischen Staates erlebt. Als linker, nonkonformistischer Autor prägte er die kontroversen kulturpolitischen Debatten der Zwischenkriegszeit und nach dem Zweiten Weltkrieg die Kultur des zweiten, sozialistischen Jugoslawien. Zeit seines literarischen Lebens hat sich Krleža an den oben skizzierten Raum- und Erinnerungsproblematiken in vielfältiger Form ‚abgearbeitet‘. Die Idee, dass Kroatien eine antemurale christianitatis sei, greift er direkt und indirekt sowohl in seinen fiktionalen als auch und vor allem in nichtfiktionalen Texten – persönlichen Aufzeichnungen, Essays und publizistischen Beiträgen – auf, und zwar in der Regel dann, wenn er politische und kulturelle Eliten in Kroatien bzw. Jugoslawien kritisiert und das Verhältnis der Region zu Europa zu bestimmen sucht. Antemurale christianitatis als Denkfigur ist in seinem Werk daher in einem größeren Zusammenhang zu betrachten: Sie ist Teil seiner Interpretation der Geschichte Kroatiens, des Balkans und Europas, seiner intellektuellen Gegenwartsanalysen und seiner ästhetischen Positionsbestimmung in der Kunstentwicklung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die in ihrer Originalität verbreitete Deutungsmuster konterkarieren, unterlaufen oder erweitern. Europa als Gegenstand von Krležas fiktionalem und nichtfiktionalem Schreiben ist im Zusammenhang mit den sich stetig wandelnden ästhetischen und politischen Positionsbestimmungen des Autors zu sehen. So entwickelt sich sein Europa-Bild parallel zu 28 Blažević (wie Anm. 3). Blažević interpretiert die Raumkonzepte des Illyrismus als flexible Diskursstruktur mit dem Potenzial, Alternativen zu nationalen Reduktionen und vereinfachenden Ost-West-Dichotomien anzubieten. 29 Rasza/Lindstrom (wie Anm. 3), 646–650.



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seiner Abrechnung mit dem Habsburgerreich, zu seiner teils kritischen, teils zustimmenden Sicht auf die verschiedenen Spielarten des Jugoslawismus und zu seiner Position zum kroatischen Nationalismus in der Zwischenkriegszeit. Krležas Auseinandersetzung mit den Kriegen, Krisen und Katastrophen seiner Zeit ist untrennbar mit seiner ambivalenten und komplizierten Haltung zu Europa verbunden: Er haderte mit dem Provinzialismus seines heimischen Kontextes, kritisierte den ‚kleinbürgerlichen‘ kroatischen Nationalismus und das Bestreben der kroatischen Eliten, sich an den europäischen ‚mainstream‘ anzupassen, und sah die europäische Zivilisation angesichts der Weltkriege zum Untergang verdammt. Zugleich zeugen seine Theaterstücke, Prosawerke und Gedichte, vor allem aber seine kulturhistorischen und kunstkritischen Essays auch von der Teilhabe an eben dieser europäischen Zivilisation, auf die er sich – bezogen auf die Kultur – beständig beruft. Kennzeichnend für Krležas essayistisches Schreiben ist, dass er Themen und Motive über Jahre hinweg immer wieder aufgreift und sich – häufig in einem kritischen Dialog mit den Positionen seiner Gegner – an ihnen regelrecht abarbeitet, manches dabei polemisch zuspitzt, anderes im Ungefähren lässt und dabei eine Vielzahl von intertextuellen Bezügen und thematischen Vernetzungen herstellt. Angesichts des Umfangs und der Diversität von Äußerungen zu europäischen Themen, der Kontinuität und Diskontinuität von Krležas Haltungen in den sich verändernden historischen Umständen und angesichts der Ambivalenz, ja teilweise Widersprüchlichkeit seiner Überlegungen ist es nicht verwunderlich, dass die Forschung zu unterschiedlichen Einschätzungen seines Europa-Bildes gekommen ist, die im Rahmen dieses Beitrages jedoch nicht im Einzelnen aufgearbeitet werden können. Lediglich einige Ansätze sollen insoweit skizziert werden, als sie für das Thema relevant erscheinen. Dass und wie die Deutungen vom Standort des jeweiligen Interpreten und dem Zeitpunkt ihrer Entstehung abhängen, lässt sich anhand eines Modells für Krležas Europa-Vorstellung zeigen, das einer der bekanntesten ‚Krležologen‘, Stanko Lasić, auf der Grundlage des mehrbändigen Romans „Zastave“ (Die Fahnen, 1967) vorschlägt.30 Lasić beschreibt in seiner zu Beginn der 1990er-Jahre entstandenen Studie das von Krleža entworfene Raummodell eher statisch als Anordnung von konzentrischen Kreisen – im Zentrum Europa, dann die (balkanische) Peripherie, dann eine Art kulturloser Leerraum: „An der Peripherie herrschen Ungeduld und Nervosität. Zwei grundlegende Ambitionen sind hier beheimatet: der Wunsch ins Zentrum vorzudringen, und der Wunsch den Ödraum daran zu hindern, an die Peripherie heranzureichen und dadurch konkurrent zu werden.“31 30 Lasić, Stanko: Krležologija ili povijest kritièke misli o Miroslavu Krleži. Knjiga šesta. Silazak s povijesne scene: 1982–1990 [Krležologie oder eine Geschichte des kritischen Denkens über Miroslav Krleža. Sechstes Buch. Abgang von der historischen Szene: 1982–1990]. Zagreb 1993, 544–550. Eine deutschsprachige Fassung dieser Überlegungen findet sich unter: Dems.: Miroslav Krležas Geschichtsphilosophie. „Die Fahnen“. In: Neue Literatur. Zeitschrift für Querverbindungen (1993) 1, 91–100. 31 Lasić, Miroslav Krležas Geschichtsphilosophie (wie Anm. 30), 93.

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Europa erscheint dabei als ein „Monsterwesen“32, das Herrschaftssysteme und Kultur nur nutzt, um Macht aufrechtzuerhalten und dazu noch moralische Überlegenheit zu behaupten. Lasić interpretiert Krležas Geschichtsauffassung als ein System von Antinomien und Konflikten, die er als unlösbar oder nahezu unlösbar darstellt. Dabei hebt er den Klassenkampf, der aus seiner Sicht sowohl im Zentrum als auch in Peripherie und Ödraum herrscht, und die territorialen Konflikte der Nationen in der Peripherie hervor. Den Roman „Zastave“ interpretiert Lasić als Erörterung unterschiedlicher Lösungsversuche der südslavischen Nationen, allein oder gemeinsam Staaten zu gründen, die bislang alle an fehlenden Voraussetzungen scheiterten und in Gewalt endeten. Lasićs Lösungsvorschlag lautet: „einvernehmliches Auseinandergehen“33, das freilich nur möglich sei, wenn die Nationen jeweils bereit seien, einen Teil ihres Territoriums zu opfern. Damit unterstellt Lasić meines Erachtens Krleža eine Position, die er selbst zu Beginn der 1990er-Jahre einnimmt. Eine andere, in diesem Fall von der Außensicht geprägte Perspektive bietet die Germanistin Ingrid Hudabiunigg, die Krležas Europa-Bild im Zusammenhang mit ihren Forschungen zur wechselseitigen Wahrnehmung von West- und Osteuropäern betrachtet.34 Sie greift eine Formulierung Krležas auf, der in seinen kulturhistorischen Schriften gelegentlich von zwei Europas, einem westlichen und einem östlichen, spricht. Indem sie diese Zweipoligkeit von Krležas Europa-Vorstellung hervorhebt, interpretiert Hudabiunigg Krležas Schreiben über Europa in erster Linie als Anschreiben gegen eine Marginalisierung des ‚Ostens‘ und stellt ihn in den Kontext umfassenderer Überlegungen zum Ost-West-Verhältnis, die auf eine Anerkennung der Gleichwertigkeit abzielen. Den Verweis auf Kroatien und andere ostmitteleuropäische Nationen als antemurale christianitatis deutet Hudabiunigg als Ausdruck des Ausgeschlossenseins, der mangelnden Zugehörigkeit.35 Ihre Krleža-Lektüre als Beitrag zu einem gesamteuropäischen Diskurs lässt meines Erachtens außer Acht, dass dieser mit den von ihr betrachteten essayistischen Texten auch und gerade zu innerkroatischen Auseinandersetzungen Stellung bezog. Zudem scheint mir Hudabiunigg den Gedanken der zwei Europas überzubewerten und damit eine kulturelle Teilung eher fortzuschreiben als aufzuheben. Wie komplex die Verortungen und Raumentwürfe in Krležas Werk sind, wie stark seine Äußerungen von außerliterarischen Rahmenbedingungen abzuhängen scheinen und wie sehr sich fiktionale Raumentwürfe bisweilen von seinen kulturpolitischen Positionen unterscheiden, hat Boris Škvorc anhand des Mitteleuropa-Komplexes und

32 Ebd. 33 Ebd., 100. 34 Hudabiunigg, Ingrid: Zwei Europas? Miroslav Krleža als Kulturkritiker. In: Zagreber Germanistische Beiträge (2006), Beiheft 9, 207–219; Dies.: Contested Identities: Miroslav Krleža’s Two Europes versus the Notion of Europe’s Edge. In: Contesting Europe’s Eastern Rim. Cultural Identities in Public Discourse. Hg. v. Ljiljana Šarić u. a. Bristol u. a. 2010, 173–187. 35 Hudabiunigg, Zwei Europas? (wie Anm. 34), 217.



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dem Verhältnis Krležas zur Nation zu zeigen versucht.36 Škvorc liest Krleža durch die Brille postkolonialer Theorien und hat vor allem dessen kompliziertes Verhältnis zum habsburgischen Erbe im Blick. Sein Verdienst ist es, darauf hinzuweisen, dass Krleža das ‚Andere‘ eher im Westen sucht und nicht im ‚Orient‘, dass seine Abgrenzung von Europa auf der inhaltlichen Ebene aber ästhetisch und stilistisch durch das Aufgreifen von literarischen Entwicklungen in Westeuropa unterlaufen wird. Außerdem weist Škvorc darauf hin, dass sich die Interpretation von Krležas Werk in den sich wandelnden kulturellen und politischen Kontexten laufend verändert und daher einer permanenten Relektüre bedürfen.37 Obwohl Krleža sich ausdrücklich nicht als mitteleuropäischer Schriftsteller verstanden wissen wollte, liegt es nahe, ihn wegen seiner stilistischen und thematischen Ähnlichkeiten zu seinen Wiener und Budapester Zeitgenossen in diesen Kontext einzuordnen.38 Soviel auch für diese Einordnung spricht, unterschätzt sie meines Erachtens Krležas Versuche, dem peripheren Status seiner Heimat die Idee einer kulturellen Eigenständigkeit entgegenzusetzen, die auf der Widerständigkeit sowohl gegenüber dem ‚Osten‘ als auch gegenüber dem ‚Westen‘ beruht. Ich beziehe mich hier auf einen Aspekt in Krležas Raumvorstellungen, der in den Essays oft in der Formulierung „dritte Komponente“ oder „dritter Faktor“ Ausdruck findet. Damit sind jene oben bereits erwähnten nonkonformistischen Figuren oder Bewegungen gemeint, die sich um Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von den kulturellen, religiösen und politischen Zentren sowohl des Westens als auch des Ostens bemühten. Miroslav Krležas Überlegungen können daher auch im Zusammenhang mit Raumkonzepten der Avantgarde-Bewegungen in Südosteuropa gesehen werden, von denen einige, insbesondere der Zenitismus, ein positiv konnotiertes, vitalistisches BalkanBild entwarfen und eine Erneuerung Europas durch die ‚Balkanisierung‘ des Kontinents forderten.39 Zwar findet sich bei Krleža der Balkan-Begriff seltener und schon gar nicht in dem emphatischen Gebrauch wie bei den Zenitisten, aber eine Affirmation

36 Škvorc, Boris: Gorak okus prešućenog. Ironično u tekstovima, kontekstu i intertekstualnim konotacijama suvremene hrvatske proze [Der bittere Geschmack des Verschwiegenen. Das Ironische in Texten, Kontext und intertextuellen Konnotationen zeitgenössischer kroatischer Prosa]. Zagreb 2005; Ders.: Krleža i Andrić, lokalna i globalna identifikacija: fikcionalizacija faktografskog; poetik kao (i) politika [Krleža und Andrić, lokale und globale Identifikation: die Fiktionalisierung des Faktografischen, Poetik als (und) Politik]. In: Lingua Montenegrina 3 (2010), 345–385; Ders.: Utjecaj kolonijalnih idhodišta i postkolonijalnih okvira na čitanje (pričanje) nacije kod Andrića, Krleže i Nazora [Der Einfluss von kolonialen Zentren und postkolonialen Rahmungen auf die Lektüre (das Erzählen) der Nation bei Andrić, Krleža und Nazor]. In: Croatian Studies Review 7 (2011), 169–227. 37 Škvorc, Krleža i Andrić (wie Anm. 36), 378. 38 Žmegač, Viktor: Krležini Evropski obzori. Djelo u komparativnom kontekstu [Krležas europäische Horizonte. Das Werk im komparativen Kontext]. Zagreb 1986; Bogert, Ralph: The Writer As Naysayser. Miroslav Krleža and the Aesthetic of Interwar Central Europe. Columbus 1991. 39 Europa- und Balkan-Bilder dieser Zeit sind vor allem am Zenitismus erforscht worden, vgl.: Golubović, Vidosava: Europa, der Balkan und die Avantgarde in Jugoslawien. In: Études balkaniques 3 (1996), 30–34; Petzer, Tatjana: Topographien der Balkanisierung. Programme und künstlerische Manifestationen der Demarkation und Desintegration. In: Südosteuropa 55 (2007), 255–275.

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des Barbarentums ist Teil seiner Idee von der Widerständigkeit der Südslaven gegen ‚Osten‘ und ‚Westen‘.

Rückgriffe auf die Denkfigur antemurale christianitatis im Werk von Miroslav Krleža Im Rahmen der jahrzehntelangen, vielschichtigen Auseinandersetzung Krležas mit Europa verweist er hin und wieder direkt auf antemurale christianitatis als Denkfigur. Diese Verweise stellen zwar nur kleine Fragmente seines Geschichtsverständnisses dar, dennoch lohnt es sich, einen Blick darauf zu werfen, wie sie jeweils in das Nachdenken über Zugehörigkeiten und (Selbst-)Verortungen Kroatiens und der Kroaten in und zu Europa eingebunden sind. Hinweise auf antemurale christianitatis finden sich in den kurz nach dem Ersten Weltkrieg verfassten Essays, in denen sich der Autor mit dem kroatischen Nationalismus befasst. Wenn Krleža auf den Nationalismus verweist, so tut er dies in polemischer Absicht. Er kritisiert beispielsweise im Essay „O malograđanskoj ljubavi prema Hrvatstvo“ (Über die kleinbürgerliche Liebe zum Kroatentum, 1926)40 den bürgerlichen Nationalismus der Zwischenkriegszeit. Dabei ist für ihn die nationale Frage immer mit der sozialen Frage verbunden. Antemurale taucht in diesem Zusammenhang auf, wenn Krleža die kroatischen Eliten kritisiert, die Vorbilder im Westen nachahmen und sich dabei für deren Zwecke vereinnahmen lassen, anstatt die Interessen der eigenen Bevölkerung zu vertreten. Die Denkfigur erscheint dabei als ein Argument „aus österreichischer Perspektive“ (iz austrijske perspektive)41, das eingesetzt wurde, um nicht nur die Kroaten, sondern auch Angehörige anderer katholischer Nationen dazu zu bringen, „auf dem blutigen Vorposten europäischer Interessen“ ihr Leben zu lassen. Krleža kritisiert die kroatischen Eliten, weil sie sich in ihrer unterlegenen Position eingerichtet hätten und sich darauf beschränkten, halbherzig gegen eine Fremdherrschaft anzugehen, der sie sich selbst unterworfen hätten. 40 Krleža, Miroslav: O malograđanskoj ljubavi spram hrvatsva [Über die kleinbürgerliche Liebe zum Kroatentum]. In: Ders.: Deset krvavih godina. Eseji i članci IV. Sarajevo 1979, 45–70. 41 Dieses und die folgenden Zitate: Ebd., 46. Zum besseren Verständnis das Original ausführlich im Wortlaut: „Da smo ‚Antemurale Christianitatis‘, to nisu govorili samo nama nego i svim nacionalnim bijedama katoličkim na Dunavu i na Visli koje su ginule u krvavoj predstraži evropskih interesa, dok se u centru civilizacije bančilo navlas tako kao što je to opjevao Jan Panonije, biskup pečujski. Da smo krvarili na braniku civilizacije zapadnoevropske, u bitkama za inostrane kraljeve ‚do poslednje kapi krvi‘ o tome se pisalo iz austrijske perspektive sve do sloma Austrije (1527–1918), [...]. / Dass wir die ‚Antemurale Christianitatis‘ sind, das hat man nicht nur uns gesagt, sondern all den anderen Elenden der katholischen Nationen an Donau und Weichsel, die auf dem blutigen Vorposten der europäischen Interessen umgekommen sind, während man im Zentrum der Zivilisation gezecht hat, so wie es Jan Pannonius, der Bischof von Peč, besungen hat. Dass wir auf dem Bollwerk der westeuropäischen Zivilisation, in Schlachten für fremde Könige ‚bis zum letzten Tropfen Blut‘ geblutet haben, darüber wurde aus österreichischer Perspektive bis zum Zusammenbruch Österreichs (1527–1918) geschrieben [...].“



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Dem von ihm sogenannten kleinbürgerlichen kroatischen Nationalismus stellt Krleža in seinen fiktionalen Werken und seinem publizistischen Schreiben eine Sicht der Vergangenheit entgegen, die das Hauptaugenmerk auf Rebellion, Nonkonformismus und Häretikertum legt. Krležas „Balade Petrice Kerempuha“ (Die Balladen des Petrica Kerempuh, 1936)42 können als literarische Essenz dieser historischen Sichtweise gelten, die zugleich den Höhenpunkt seines lyrischen Schaffens darstellen. Die namensgebende Figur Petrica Kerempuh ist ein Charakter aus der volkstümlichen Überlieferung, vergleichbar mit Till Eulenspiegel. Sie dient im Gedichtzyklus als Klammer, um die einen großen historischen Zeitraum – von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart – umfassenden Inhalte zusammenzuhalten, und als Mittel der Perspektivierung: Die Texte repräsentieren die Sicht der Leidenden und Unterdrückten. Krieg, Unterdrückung und das Aufbegehren dagegen bilden die inhaltlichen Schwerpunkte des variationsreichen Zyklus. Die einzelnen Texte haben dabei je nach thematischer Ausrichtung, zeitlicher Zuordnung und formaler Gestaltung sehr unterschiedlichen Charakter. Die Volkstümlichkeit der Sprache und der Gedichtformen verweist auf die lokale Verankerung, die aber – mal mehr, mal weniger explizit – in einen europäischen Rahmen eingebettet ist.43 Einige Gedichte deuten unmittelbar, zum Beispiel im Titel, auf historische Ereignisse hin, wobei die Bauernaufstände des 16. Jahrhunderts und insbesondere die Symbolfigur des sogenannten Bauernkönigs Matija Gubec im Zentrum stehen. In den Balladen wird dem Vorwurf Ausdruck verliehen, dass die kroatische Bevölkerung zwar als Kanonenfutter herhalten muss, jedes Eintreten für soziale Belange aber bestraft wird: „Kümmern die in Prag sich etwa um uns? Europa hat für uns nur den Strick.“44

Die zugespitzten Polemiken der Zwischenkriegszeit und die lyrische Bearbeitung historischer Themen in den Balladen finden in Krležas Schreiben nach dem Zweiten Weltkrieg eine thematische Fortsetzung in längeren Essays, in denen er die Thesen zur Geschichte Kroatiens und des jugoslawischen Raums mit kulturgeschichtlichen Betrachtungen erläutert und vertieft. 42 Ders.: Sabrana djela 10: Balade Petrice Kerempuha [Gesammelte Werke Bd. 10: Die Balladen des Petrica Kerempuh], Zagreb 1956; wegen ihrer eigenwilligen Sprache und Form gelten die Balladen als nahezu unübersetzbar. Einige Nachdichtungen von ausgewählten Teilen des Zyklus liegen dennoch als Zeitschriftenbeiträge oder in Anthologien vor, u. a. in: Ewiges Flimmern. Neue kroatische und serbische Lyrik. Hg. v. Ježić Slavko. Zagreb 1959; Krleža, Miroslav: Balladen des Peter Kerempuh. In: Most 11 (1968), 6–17, Miroslav Krleža zum 80. Geburtstag. Hg. v. Rupprecht Slavko Baur. München 1973; Beschwingter Stein. Gedichte zeitgenössischer Dichter aus Jugoslawien. Hg. v. Ina Jun Broda. Wien-München 1976; Krleža, Miroslav: Balladen und Gedichte. In: Most (Sonderband) 1978; Das Schlangenhemd des Windes. Eine Anthologie der kroatischen Poesie des 20.  Jahrhunderts. Hg. v. Manfred Jähnichen. Blieskastel-Zagreb 2000. 43 Žmegač (wie Anm. 38), 160–195. 44 Kaj njih je za nas v Pragu brig?/Evropa za nas ima štrik. Krleža, Miroslav: Komendrijaši [Komödianten]. In: Krleža, Balade Petrice Kerempuha (wie Anm. 42), 96–107, hier 107.

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In einer umfassenden und sprachlich sehr dichten Gesamtschau nimmt Krleža in „Illyricum Sacrum“ (1963)45 eine Einordnung der Kultur der Südslaven in die europäische Kulturgeschichte vor. Schwerpunkte bilden dabei die Spätantike und das Mittelalter; nur gelegentlich verweist der Autor auch auf Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Ziel des Textes ist es, die Errungenschaften der südslavischen Kulturen in ihrer Verflechtung mit und Abhängigkeit von den Nachbarn darzustellen. Aus der Rückbesinnung auf kulturelle Traditionen entwickelt Krleža in „Illyricum Sacrum“ einen emanzipatorischen Anspruch der Kultur; fremde Einflüsse wertet er dabei als Bedrohung und kritisiert wieder, dass sich die Südslaven viel zu lange fremder Herrschaft unterworfen, sich dieser gar geopfert haben: „Aufseiten der geflügelten Löwen und doppelköpfigen Adler kämpfend, gemeinsam mit spanischer Inquisition und Wiener Zeremonial oder unter Mohammeds Banner, darf man nicht vergessen, dass diese fremden religiösen, politischen und parteiischen Programme und Weltanschauungen und Moralprinzipien eine ständige Bedrohung unserer eigenen Erkenntnisse im geistigen und materiellen Sinne waren. Und doch, trotz allem, waren wir für Byzanz und den Vatikan und Venedig und Wien jahrhundertelang das ‚Antemurale‘, bis zu ihrem Untergang[.]“46

Die bereits in den frühen Texten geäußerte Kritik an der antemurale-Vorstellung bekommt in diesem Text eine stärker kulturelle als soziale Betonung. Die Vereinnahmung durch fremde zivilisatorische Einflüsse steht nun im Vordergrund. Krleža verhandelt die Denkfigur antemurale nicht primär in ihrer religiösen beziehungsweise konfessionellen Bedeutung, sondern mit Begriffen von Zivilisation und Kultur, aber auch in geopolitischen Zusammenhängen. In diesem Gesamtzusammenhang steht die Denkfigur antemurale christianitatis aus Krležas Sicht für eine verfehlte, weil unselbstständige und lethargische Haltung der Kroaten gegenüber europäischen Machtansprüchen, aber auch für eine Form der Hegemonie durch die politischen Zentren des Westens, die den Topos nutzen, um die Kroaten als ‚Kanonenfutter‘ zu instrumentalisieren. Dieser Haltung stellt er seine Sicht auf die Geschichte entgegen und die Behauptung eines ‚dritten Faktors‘ als produktive Deutung des Dazwischenseins, einer Orientierung weder nach Osten noch nach Westen. Das Beispiel Krleža verdeutlicht, worauf Maria Todorova und andere in Bezug auf Europa- und Balkan-Vorstellungen im Blick von außen und in der südosteuropäischen 45 Ders.: Illyricum sacrum. Odlomci rukopisa iz kasne jeseni 1944 [Illyricum sacrum. Fragmente eines Manuskriptes aus dem Spätherbst 1944]. In: Ders.: Historijske Teme. Sarajevo 1985, 37–88; in deutscher Übersetzung: Ders.: Illyricum sacrum. Fragmente aus dem Spätherbst 1944. Klagenfurt 1996. 46 Im Original: „Ratajući sa krilatim lavovima i dvoglavim orlovima, sa španjolskim i bečkim inkvizicijama i ceremonijalima, sa Muhamedovim barjacima, ne treba zaboraviti da su ti tuđinski religiozni, politički i partijski programi i pogledi na svijet i moralne principe bili trajnom prijetnjom naših vlastitih spoznaja u duhovnom i materijalnom smislu. Pa ipak, uprkos tome, mi smo Bizantu i Vatikanu i Mlecima i Beču bili „Antemurale“ vjekovima, sve do njihove propasti[.]“ Krleža, Illyricum sacrum. Odlomci rukopisa (wie Anm. 45), 54. Deutsche Übersetzung hier aus: Krleža, Illyricum sacrum. Fragmente (wie Anm. 45), 34 f.



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Binnensicht wiederholt hingewiesen haben: Die Position des ‚Dazwischen‘ führt zu widersprüchlichen und ambivalenten Raumbildern. Die diskursiven Praktiken, mit denen diese Raumbilder konstruiert, aber auch kritisiert werden, zu verstehen, ist Anliegen dieses Beitrages, um Debatten um die Zugehörigkeit zu Europa beziehungsweise zum Balkan nachvollziehen und einordnen zu können, die in allen südosteuropäischen Gesellschaften nach dem Ende des Kalten Krieges erneut – wenn auch jeweils unter anderen Vorzeichen – geführt wurden. Dass Krleža mit seinen Raumvorstellungen einen festen Platz in den kroatischen Europa-Diskussionen des 20. und 21. Jahrhunderts hat, steht außer Frage. Sein Balkan-Bild wird allerdings allzu häufig auf das oft zitierte, jedoch selten eingeordnete Bild vom balkanischen Wirtshaus reduziert, in dem die Schlägerei beginnt, sobald das Licht ausgeht.47 In den zahlreichen Debatten um das kulturelle Selbstverständnis und die Beziehung Kroatiens zu Europa wird Krleža häufig herangezogen, wobei die Rückgriffe selten der Komplexität seiner Überlegungen gerecht werden, sondern vielmehr in ihrer Einseitigkeit und Reduktion der Vereinnahmung oder Verdammung seines Werkes und seiner Haltung im politischen Diskurs dienen. Eine Ausnahme bildet die Krleža-Rezeption durch Boris Buden in den 1990er-Jahren, der im Zuge seiner Auseinandersetzung mit der politischen Kultur in Kroatien, mit Nationalismus und Europa-Diskursen einige Positionen Krležas auf differenzierte Weise aufgreift.

Einige Bemerkungen zu postjugoslawischen Europa- und Balkan-Diskursen am Beispiel Boris Buden Debatten um die politische Kultur, das nationale Selbstverständnis und die Erinnerungskulturen wurden im Vorfeld der Unabhängigkeit Kroatiens und im postsozialistischen Kroatien unter Beteiligung von Intellektuellen unterschiedlichster Couleur mit besonderer Dringlichkeit und Schärfe geführt. Einige haben sich dabei – mit unterschiedlich viel Tiefgang – auch mit antemurale christianitatis als Denkfigur auseinandergesetzt, teils affirmativ, teils um nationalistische Positionen anzugreifen und/oder Erinnerungsdiskurse zu analysieren und zu kritisieren.48 Hintergrund dieser Debatten, die sich gerade in der Zeit unter Tudjman durch eine starke Polarisierung auszeichneten, waren kulturelle und politische Aushandlungsprozesse im Zusammenhang mit der Unabhängigkeit und Staatsgründung, die Kriegs47 Keiko Mitani argumentiert zu Recht, dass die Popularität dieses Zitats vor allem darauf zurückzuführen ist, dass es sich bestens zur Charakterisierung historischer und aktueller Ereignisse nutzen lässt und zur Bestätigung von Vorurteilen über die ‚Primitivität‘ der exjugoslawischen Gesellschaften. S. dazu: Mitani, Keiko: Balkan as a Sign: Usage of the Word Balkan in Language and Discourse of the ex-Yugoslav People. In: Regions in Central and Eastern Europe: Past and Present. Hg. v. Tadayuki Hayashi und Hiroshi Fukuda. Sapporo 2007 (21st Century COE Program Slavic Eurasian Studies 15), 289–313, hier 290–292. 48 Dazu ausführlicher: Kenneweg (wie Anm. 12).

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erfahrung und die Frage, wo und wie die kroatische Nation in Europa zu verorten ist. Balkanismen und antemurale christianitatis spielten in diesen Debatten vor allem in zweierlei Hinsicht eine Rolle: Zum einen waren sie Teil der Abgrenzungsstrategien gegenüber Serbien beziehungsweise Restjugoslawien. Die Vormauer-Vorstellung wurde aufgerufen, um Bedrohungsszenarien zu beschreiben und die Notwendigkeit der Selbstverteidigung und des Existenzkampfes zu unterstreichen.49 Zum anderen finden sich antemurale-Verweise in Aussagen zum kroatischen Verhältnis zu Europa, wobei die Europa-Euphorie im Moment der Unabhängigkeit in dem Maße der Enttäuschung über mangelnde Unterstützung und mangelndes Verständnis wich, in dem die westliche Kritik am Tudjman-Regime und der kroatischen Rolle in den Kriegen der 1990er-Jahre zunahm und deutlich wurde, dass Kroatien in der westlichen Wahrnehmung als ‚balkanisch‘ gesehen wurde.50 Viele Intellektuelle stellten sich in den Dienst der Regierungspolitik. Andere kritisierten nationalistische Positionen und bemühten sich um differenzierte Betrachtungsweisen und um eine Einbettung der kroatischen Debatten in transnationale Zusammenhänge. Ein Beispiel hierfür sind die nationalismuskritischen Essays des Kulturphilosophen und Publizisten Boris Buden51, der als Herausgeber und Autor maßgeblich an „Arkzin“ beteiligt war, einer unabhängigen Kulturzeitschrift, die aus der Antikriegsbewegung in Kroatien hervorgegangen war. Angesichts der Kriege der 1990er-Jahre reagierte er mit seinen Texten vor allem auf tagespolitische Situationen, gab seinen Analysen und Polemiken aber zugleich auch ein theoretisches und kulturhistorisches Fundament. Buden greift dabei wesentlich auf Gedanken Krležas zurück, um seine eigene intellektuelle Position zu formulieren. So nimmt er in einem der einführenden Texte des Bandes „Barikade“ (1996/97) Bezug auf eine Debatte um eine Äußerung von Stanko Lasić, der behauptet hatte, Krleža wäre – würde er noch leben – sicher ein weiser Ratgeber Franjo Tudjmans geworden. Buden kritisiert diese und ähnliche Vereinnahmungen Krležas als potenziellen kroatischen Staatskünstler scharf und orientiert sich zugleich an der radikal kritischen Haltung Krležas in der Zwischenkriegszeit sowie dessen humanistischer Perspektive. Damit grenzt sich Buden auch von jenen Deutungen ab, die unter Berufung auf Krleža selbst eine Haltung formulieren, die aus seiner Sicht Krležas Humanismus widerspricht. Interessanterweise greift Buden dabei das missverständliche Zitat vom balkanischen Wirtshaus auf und deutet es positiv um:

49 Exemplarisch gezeigt an Texten von Ivan Aralica in: ebd., 352–358. 50 S. dazu: Rasza/Lindstrom (wie Anm. 3). 51 Im Folgenden gehe ich ausschließlich auf Texte von zwei Sammelbänden ein, die Budens Beitrag zu den Debatten der 1990er-Jahre beinhalten: Buden, Boris: Barikade 2 [Barrikaden 2]. Zagreb 1998; Ders.: Kaptolski kolodvor. Politički eseji [Kaptoler Bahnhof. Politische Essays]. Belgrad 2002. Spätere Arbeiten des Autors zur postkommunistischen Gesellschaft und zum Übersetzen als kultureller Praxis sind nicht Gegenstand dieser Betrachtung.



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„Krleža vor seinen treuen Krležologen und Krležijanern zu retten, für die Zukunft den universellen humanistischen Kern seines Werkes und seiner Haltung zu bewahren, heißt heute, die Ehre des balkanischen Wirtshauses zu verteidigen, wenn nötig auch gegen Krležas wörtliche Zitate.“52

Auch im Essay-Band „Kaptolski kolodvor“ (Kaptoler Bahnhof, 2002) dient Krleža in mehrfacher Hinsicht als Bezugspunkt. So verweist bereits der Titel auf Krležas Roman „Povratak Filipa Latinovicza “ (Die Rückkehr des Filip Latinovicz, 1970), denn am Kaptoler Bahnhof – der im realen Zagreb nicht existiert und nie existiert hat  – kommt der Protagonist nach mehrjährigem Aufenthalt in europäischen Metropolen an und beginnt seine Auseinandersetzung mit der kroatischen Provinz und seiner Herkunft. Buden nutzt diesen fiktiven Ort als Ausgangspunkt für seine eigene intellektuelle Suchbewegung, er ordnet die Texte des Bandes – dem Bild des Bahnhofs folgend – Überschriften wie „Dolazak“ (Ankunft), „Odlazak“ (Abfahrt) oder „Čekaonica EUropa“ (Wartehalle EUropa) zu, wobei damit sowohl seine individuelle Situation als Intellektueller im (selbstgewählten) Exil angesprochen ist als auch die Übergangssituation, in der sich die kroatische Gesellschaft in den 1990er-Jahren befindet. Wie auch in den Texten der „Barikade“-Bände verbindet Boris Buden in „Kaptolski kolodvor“ die polemische Reaktion auf das tagespolitische Geschehen mit der Analyse der kulturellen und teils auch den psychologischen Grundlagen dieses Geschehens. Unterschiedliche Perspektiven auf ‚Europa‘ und den ‚Westen‘, Europa-Diskurse und die politische Rolle der Intellektuellen sind die inhaltlichen Schwerpunkte von Budens Essays. In einem Essay, der den Titel „Europa je kurva“ (Europa ist eine Hure) trägt, bezieht sich Buden beispielsweise auf Petitionen und Zeitungsartikel aus der Zeit unmittelbar vor der internationalen Anerkennung Kroatiens im Jahr 1991.53 Die von ihm zitierten Äußerungen interpretiert er unter Berufung auf Axel Honneth dahingehend, dass im Zuge des Anerkennungsprozesses das Gefühl der Zugehörigkeit zu Europa in Kroatien zunächst einem deutlichen Ressentiment gewichen sei. Dieses Ressentiment ist jedoch nicht nur ein Reflex auf die aktuelle politische Situation, sondern lässt sich Buden zufolge auf eine anti-europäische Tradition zurückführen. Einige der Texte, die Buden analysiert, sind direkt an europäische Institutionen wie das Europaparlament gerichtet und greifen die Denkfigur antemurale christianitatis auf.54 Sie belegen die bereits mehrfach erwähnte Undank-Argumentation und werden von Buden in die wechselseitige Wahrnehmung westlicher und kroatischer Beobachter eingebettet. So gelingt es dem Autor aufzuzeigen, dass der Kampf um die Anerkennung auch an Missverständnissen, an der Berufung auf unterschiedliche, nicht miteinander kompatible Europa-Bilder, an Vorurteilen und Fehlwahrnehmungen beider Seiten scheitert. Buden deckt in seinen Essays Argumentationsmuster im po52 „Spasiti Krležu od njegovih vjernih krležologa i krležijanci, sačuvati za budućnost univerzalnu humanističku srž njegova djela i stava znači danas braniti čast balkanske krčme, ako treba i protiv Krležinih doslovnih citata.“ Buden, Barikade (wie Anm. 51), 18. 53 Buden, Kaptolski kolodovor (wie Anm. 51), 34–53. 54 Zum Beispiel: ebd., 40.

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litischen Diskurs Kroatiens in den 1990er-Jahren auf, wie sie auch im Rahmen des Balkanismus-Diskurses analysiert und diskutiert werden. Zugleich verwendet er in seinen polemischen Einwürfen Europa- und Balkan-Bilder als Argumente gegen seine Gegner und setzt – wie Nicole Lindstrom bemerkt55 – damit das rhetorische Spiel des wechselseitigen Barbaren-Vorwurfs fort: „Wer heute den Balkan im Namen Europas herabsetzt, der hat nicht nur die wertvollsten Prinzipien des universellen europäischen Humanismus und die höchsten Maßstäbe der europäischen Zivilisation verraten, sondern offenbart als sein wesentliches Motiv genau jenes Barbarentum, das er dem Balkan zuschreibt.“56

Fazit: Was heißt es, „Vorposten Europas“ zu sein oder nicht zu sein? Die Frage nach der Zugehörigkeit zu Europa, die sich der junge Miroslav Krleža während des Ersten Weltkrieges stellte, formuliert die Aufforderung zur Standortbestimmung, mit der sich jeder kroatische Intellektuelle früher oder später konfrontiert sieht. Keine kulturelle oder politische Debatte kommt völlig ohne die Gretchenfrage aus, wie die Beteiligten es denn nun mit ‚Europa‘ und dem ‚Balkan‘ halten. Anliegen des vorliegenden Beitrages war es zu zeigen, dass der Blick auf antemurale christianitatis als Denkfigur einen möglichen Zugang zu diesen Positionsbestimmungen liefern kann, wobei die Denkfigur als eine erinnerungskulturelle Ausprägung des Balkanismus-Diskurses aufgefasst wurde, die ein bestimmtes, nämlich traditionelles, am Christentum als Kern ausgerichtetes Europa-Bild aufruft und damit Missverständnisse und Kritik provoziert, insbesondere dann, wenn der Rekurs auf antemurale christianitatis mit dem einhergeht, was Krleža als „kleinbürgerliche Liebe zum Kroatentum“57 bezeichnet. Dies wird etwa in den Verweisen von Krleža und Buden auf das Problematische dieser Denkfigur deutlich. Beide Autoren können mit ihren Essays außerdem als Beispiele dafür gelten, dass weniger das Ergebnis als vielmehr der Prozess von Kritik und Reflexion Aufschluss über das Zustandekommen von Europaund Balkan-Bildern im Austausch zwischen Außen- und Innensichten gibt. Die Untersuchung von antemurale christianitatis als Denkfigur ermöglicht den Zugang zu Zusammenhängen, die nur auf den ersten Blick einfach erscheinen, beim näheren Hinsehen aber einen Bereich der Europa-Diskurse in Kroatien voller Widersprüche, Uneindeutigkeiten und Konflikte erschließen. Denn mit der Denkfigur antemurale christianitatis wird die Zugehörigkeit zu Europa behauptet und zugleich wieder infrage gestellt, insofern der Vormauerstatus eine prekäre, nicht nur von außen, 55 Lindstrom (wie Anm. 3), 323. 56 „Tko danas ruži na Balkan u ime europejstva, taj nije samo izdao najvrijednije principe univerzalnog evropskog humanizma i najviša mjerila evropske civilizacije, nego je kao svoj najdublji motov razotkrio upravo ono barbarstvo koje je pripisivao Balkanu.“ Buden, Barikade (wie Anm. 52), 18. 57 Krleža, O malograđanskoj ljubavi spram hrvatsva (wie Anm. 40).



Antemurale christianitatis in kroatischen Europa-/Balkan-Diskursen

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sondern auch durch den Mangel an Anerkennung durch das Zentrum bedrohte Form der Zugehörigkeit darstellt. Der antemurale-Topos zielt zwar in seiner jeweiligen Verwendung auf eine eindeutige Positionierung ab, lässt aber in seiner Umstrittenheit und Uneindeutigkeit letztendlich vor allem Ambivalenzen, Widersprüchlichkeiten und problematische Aspekte des kroatischen Selbstverständnisses zum Vorschein kommen. Das Zusammenspiel von Fremdzuschreibungen und Autostereotypen in Europaund Balkan-Diskursen zu interpretieren, scheint daher eine nicht abschließbare Aufgabe zu sein, die auch im Jahr des EU-Beitritts Kroatiens nichts an ihrer Relevanz und Aktualität verloren hat.

Grü n d u n g smyt h e n von B e la rus Großfürstentum Litauen vs. Partisanenrepublik

Elena Temper Weder Sprache, Rasse, Religion, Territorialität noch militärische Interessen machten für Ernest Renan jene „Schicksalsgemeinschaft“ aus, die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert verstärkt in Erscheinung getreten war, sondern das Bekenntnis zu einer gemeinsamen Vergangenheit. „In der Vergangenheit ein gemeinsames Erbe von Ruhm und Reue, für die Zukunft ein gemeinsames Programm; gemeinsam gelitten, gejubelt, gehofft zu haben – das ist mehr wert als gemeinsame Zölle und Grenzen […]“, so Renan in seiner viel zitierten Vorlesung „Qu’est-ce qu’une nation?“ an der Sorbonne 1882.1 Für die Sicherung der Identität einer Gemeinschaft spielt das kollektive Gedächtnis eine entscheidende Rolle. Dieses lässt sich als ein Netzwerk aus Narrationen und den dazugehörenden Bildern begreifen, die Pierre Nora als Erinnerungsorte bezeichnet hat. Die einflussreichsten Erinnerungsorte sind dabei nationale Mythen, denn sie liefern „das nationale Imago, das ‚lebende Bild‘ zum nationalen Gedanken“ und verleihen auf diese Weise „dem Nationalen seine Physis“; „sie ‚verkörpern‘ die Nation im buchstäblichen Sinne“.2 Im unabhängigen Belarus konkurrieren vor allem zwei Mythen, wobei jeder für sich den konstitutiven Bestandteil einer belarussischen Nation beansprucht. Die offizielle Geschichts- und Erinnerungspolitik stilisiert in sowjetischer Tradition den Sieg über die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg und insbesondere den Mythos von Belarus als Partisanenrepublik zum Gründungsmythos der modernen belarussischen Nation. Die nationalgesinnte Opposition hingegen sieht die Wurzeln der belarussischen Staatlichkeit und Nation im Großfürstentum Litauen. Diese Mythen verorten die Ursprünge der belarussischen Nation in unterschiedliche historische Kontexte. Während der Großfürstentum-Mythos eine Zugehörigkeit von Belarus und der Belarussen zum westeuropäischen Raum behauptet, rückt der Partisanenrepublik-Mythos Belarus in historische Nähe zu Russland bzw. zum Sowjetimperium.

1 Renan, Ernest: Was ist eine Nation? Rede am 11. März 1882 in der Sorbonne. Mit einem Essay von Walter Euchner. Hamburg 1996, 7–37, hier 35. 2 Kaschuba, Wolfgang: Die Nation als Körper. Zur symbolischen Konstruktion „nationaler“ Alltagswelt. In: Nation und Emotion. Deutschland und Frankreich im Vergleich. 19. und 20. Jahrhundert. Hg. v. Etienne François, Hannes Siegrist und Jakob Vogel. Göttingen 1995, 291–299, hier 293. Vgl. auch François, Etienne/Schulze, Hagen: Das emotionale Fundament der Nation. In: Mythen der Nationen: Ein europäisches Panorama. Hg. v. Monika Flacke. München-Berlin 1998, 17–32.



Gründungsmythen von Belarus

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In diesem Beitrag möchte ich zeigen, wie diese beiden Mythen entstanden sind, auf welchen historischen und ideologischen Grundlagen sie basieren, wie sie verbreitet und durch welche Rituale sie gelebt werden.

Der Mythos vom Großfürstentum Litauen als belarussischer Staat Nach dem Zerfall der Sowjetunion zu Beginn der 1990er-Jahre kehrte in Belarus die nationale Geschichte als integrativer Faktor der postsowjetischen Identität zurück. Besonders wichtig war dabei, die belarussische Vergangenheit jenseits des russischen bzw. russischsprachigen Einflusses darzustellen und geeignete neue nationale Mythen zu entwickeln. Mit diesem Ziel wurde die Losung des „Zurück nach Europa“ ausgegeben und ein Image von Belarus als Vermittler zwischen Russland und Europa aufgebaut.3 Kulturgeschichtliche, geografische, linguistische und anthropologische Argumente wurden zum Beweis herangezogen, dass das Land nicht nur als Nordwestprovinz des Zarenreiches und der UdSSR zur Peripherie gehörte, sondern genuin europäische Wurzeln hat. Die neu konzipierte Geschichte der Belarussen wurde in die Tradition des Großfürstentums Litauen gestellt. Für diese Zwecke bemühte die belarussische nationale Historiografie die Schriften von „Naša niva“-Historikern wie Vaclaŭ Lastoŭski und Usevalad Ihnatoŭski.4 Diese bescheinigten Anfang des 20. Jahrhunderts dem Großfürstentum belarussischen Charakter, weil ihrer Meinung nach die slavisch-belarussische Kultur den Staat wesentlich geprägt habe. Als wichtigste Argumente führten sie das in altbelarussischer Sprache verfasste Statut des Großfürstentums von 1588, die Verwendung der altbelarussischen Sprache als Amtssprache und Skarynas Bibelübersetzung von 1517 in Altbelarussisch an. In den Arbeiten der Nationalhistoriker 3 Gapova, Elena: The Nation in Between; or, Why Intellectuals Do Things with Words. In: Over the Wall/After the Fall. Post-Communist Cultures through a Western Gaze. Hg. v. Sibelan Forrester, Magdalena J. Zaborovska und Elena Gapova. Bloomington 2004, 65–79; Leshchenko, Natalia: A fine instrument: two nation-building strategies in post-Soviet Belarus. In: Nations and Nationalism 10 (2004) 3, 333–352. 4 Die illustrierte mehrseitige Wochenzeitschrift „Naša niva“ (Unser/e Feld/Flur) war zwischen 1906 und 1915 das wichtigste Organ der belarussischen Nationalbewegung, Lastoŭski und Ihnatoŭski ihre Redakteure. „Karotkaya Historiya Belarusi“ (Vil’nja 1910) von Vaclaŭ Lastoŭski wurde 1993 in Minsk wiederaufgelegt; „Karotki narys historyi Belarusi“ (Erstausgabe 1919 in Vil’nja) von Usevalad Ihnatoŭski wurde 1991 bereits zum fünften Mal aufgelegt; Lastoŭski, Vaclaŭ: Karotkaja historyja Belarusi [Die kurze Geschichte von Belarus]. Minsk 1993; Ihnatoŭski, Usevalad: Karotki narys historyi Belarusi [Die kurze Abhandlung von Belarus]. Minsk 51991 [11919]. Das Geschichtsbuch von Usevalad Ihnatoŭski „Historyja Belarusi“ von 1925 wurde in den frühen 1990er-Jahren als Schulbuch im Fach Geschichte wiedereingeführt; Ihnatoŭski, Usevalad: Historyja Belarusi [Die Geschichte von Belarus]. Minsk 1994. Das Gleiche galt für die Bücher von Doŭnar-Zapol’ski, Mitrafan: Asnovy Dzjaržaŭnasci Belarusi [Die Grundlagen belarussischer Staatlichkeit]. Minsk 1919 und Historyja Belarusi [Die Geschichte von Belarus]. Minsk 1925, Neuauflage 1994; Lindner, Rainer: Historiker und Herrschaft. Nationsbildung und Geschichtspolitik in Weißrußland im 19. und 20. Jahrhundert. München 1999, bes. 445–459.

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avancierte das sogenannte „Goldene Zeitalter“ zur „Epoche der belarussischen Renaissance“, die nationale Kultur im Großfürstentum zur „Kultur der herrschenden Klassen“, das Litauische Statut zur „ersten demokratischen europäischen und belarussischen Verfassung“. Diese Thesen wurden von Nationalhistorikern Anfang der 1990er-Jahre wieder aufgegriffen und weiterentwickelt. In seinem 1991 veröffentlichten Buch „Pa slajadam adnaho mifa“ (Auf den Spuren des einen Mythos) kam der bekannte belarussische Schriftsteller und Historiker Mikola Ermalovič zu einem für die Fachwelt verblüffenden Ergebnis.5 Er behauptete, dass man nicht, wie lange Zeit angenommen, am Zenit des Polacker und der Turaŭ-Pinsker Fürstentümer in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhundertes von einer litauischen Eroberung der Gebiete sprechen könne. Im Gegenteil, die belarussischen Fürsten von Navahrudak in Litva hätten jene geografische Zone erobert, in der sich die Herrschaftsgebiete der Fürstentümer Polack, Turaŭ-Pinsk und Navahrudak überlappten.6 In seinen letzten Lebensjahren untermauerte Ermalovič die These von einer belarussischen Initiative bei der Gründung des Großfürstentums Litauen und gab seiner letzten, kurz vor seinem Tod erschienenen Publikation den Titel „Belaruskaja dzjaržava: Vjalikae Knjastva Litoŭskae“ (Der belarussische Staat: Das Großfürstentum Litauen)7. Ohne sich direkt auf Ermalovič zu beziehen, unterstützte auch ein anderer belarussischer Publizist und Philologe, Ivan Saverčanka, diese These und berichtete von einer „Navahrudak-Periode“ in der Geschichte „unseres alten Staates“.8 Von 1990 bis 1992 vervierfachte sich die Anzahl der Publikationen zu diesem Thema von 47 auf 183 Titel.9 Um den slavischen oder gar belarussischen Charakter des Großfürstentums zu belegen, wurden immer wieder folgende Argumente herangezogen: 1. die erste Hauptstadt des Großfürstentums Litauen war die belarussische Stadt Navahrudak; auch nach der Verlegung der Hauptstadt nach Wilna lag Navahrudak im Kerngebiet des späteren polnisch-litauischen Staates; 2. die Staatssprache – zutreffender wäre es, von Kanzleisprache zu sprechen – des Großfürstentums Li-

5 Ermalovič, Mikola: Pa slajadam adnaho mifa [Auf den Spuren des einen Mythos]. Minsk 1991; Ders.: Staražytnaja Belarus’: Polacki i Navaharadski peryjady [Das alte Belarus: Polocker und Navahrudsker Abschnitte]. Minsk 1990. 6 Ders.: Ci praŭda, što litoŭcy zavaëŭvali Belarus’? [Ist es wahr, dass Litauer Belarus eroberten?] In: 100 pytannjaŭ i adkazaŭ z historyi Belarusi. Hg. v. Ivan Saverčanka und Z’micer San’ko. Minsk 1993, 10–11; Ders.: Staražytnaja Belarus’: Vilenski peryjad [Das alte Belarus:Vilensker Periode]. Minsk 1994; zum „belarussisch-litauischen Eroberungskonflikt“ auch Briefe von Larysa Henijuš, einer belarussischen Schriftstellerin, an Mikola Ermalovič, geschrieben 1974–1983: Listy Larysy Henijuš da Mikoly Ermaloviča [Die Briefe von Larysa Henijuš an Mikola Ermalovič]. In: Arche 26 (2003) 3, 201–209. 7 Ermalovič, Mikola: Belaruskaja dzjaržava: Vjalikae Knjastva Litoŭskae [Der belarussische Staat: Das Großfürstentum Litauen]. Minsk 2000. 8 Saverčanka, Ivan: Vjalikaje knjastva Litoŭskaje: utvarėnne dzjaržavy [Großfürstentum Litauen: die Staatsbildung]. In: Spadčyna (1993) 2, 11–17, hier 11. 9 Lindner (wie Anm. 4), 453.



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tauen war Altbelarussisch;10 3. die Bevölkerung des Großfürstentums war mehrheitlich orthodox und 4. das 1588 angenommene, in altbelarussischer Sprache verfasste Litauische Statut war „die erste belarussische Verfassung“.11 Zahlreiche belarussische Nationalhistoriker bescheinigten ganz im Trend der postsowjetischen Geschichtsschreibung dem „Litauisch-Belarussischen Großfürstentum“, eines der höchstentwickelten Rechtssysteme im Europa des 16. Jahrhunderts gewesen zu sein.12 Neben fundierten historischen Arbeiten erschien auch eine große Zahl populärwissenschaftlicher Schriften, deren Autoren sich zeittypisch zu pathetischen Äußerungen ohne jegliche wissenschaftliche Grundlage hinreißen ließen. So bezeichnete etwa Vitaŭt Čaropka Belarus unter der Herrschaft des Großfürsten Vitaŭt (lit. Vytautas) als den mächtigsten europäischen Staat des 15. Jahrhunderts.13 Die wissenschaftlichen Dispute der 1990er-Jahre über das Großfürstentum Litauen kreisten vor allem um vier Fragen: 1. Wie lautet die korrekte Bezeichnung des mittelalterlichen Staates, der auf dem Gebiet des heutigen Litauen, Belarus und der Ukraine entstand? Die Historiografie entschied sich überwiegend für den Namen Vjalikae Knjastva Litoŭskae, Ruskae i Žamojskae (Großfürstentum Litauen, Rus’ und Samogitien). Das Adjektiv ruskae wurde stets mit belaruskae (belarussisch) übersetzt, so kam der neue Name Vjalikae Knjastva Litoŭskae i Ruskae/Belaruska-litoŭskaja džjaržava (Großfürstentum Litauen und Rus’/Belarussisch-litauischer Staat) zustande.14 An diesem Beispiel wird besonders deutlich, wie geschichtspolitische Interessen die wissenschaftliche Begriffsbildung steuern. 2. Wie lassen sich der geografische und der semantische Unterschied zwischen Litva, dem Proto-Staat des Großfürstentums Litauen, und dem heutigen Lituva-Litauen erklären? Die Intention hinter dieser terminologischen Demarkation war, dass der historische Begriff ein erheblich größeres Territorium abdecken sollte, als das heutige Staatsgebiet von Litauen und folglich auch Belarus einen Anspruch auf das Erbe des Großfürstentums anmelden konnte. So heißt es in den „150 Fragen und Antworten“, dass die Belarussische Volksrepu10 Dies galt allerdings nur bis 1697. In einem Beschluss, der den Adel des Großfürstentums mit dem des Königreichs Polen gleichstellte, wurde das Polnische zur offiziellen Sprache erhoben. 11 Jucho, Jazėp: Kali bylo stvorana peršaja belaruskaja kanstytucija? [Wann wurde die erste belarussische Verfassung verabschiedet?] In: 100 pytannjaŭ i adkazaŭ z historyi Belarusi. Hg. v. Ivan Saverčanka und Z’micer San’ko. Minsk 1993, 25–26; Dzerbina, Halina: Statuty Vjalikaha Knjastva Litoŭskaha jak prajava pravavoj kul’tury Rėnesansu [Die Statuten des Großfürstentums Litauen als Zeugnis der Rechtskultur der Renaissance]. In: Belarusika Albaruthenica 22 (2001), 127–137. 12 So der belarussische Historiker und Archäologe Michas’ Tkačoŭ; dazu auch ebd. sowie Lindner (wie Anm. 4), 453–459. 13 Čaropka, Vitaŭt: Čamu Vitaŭta nasyvajuc’ Vjalikim? [Warum heißt Vitaŭt der Große?] In: 150 pytan’njaŭ i adkazaŭ. Hg. v. Ivan Saverčanka und Z’micer San’ko. Minsk 1999, 13–14. 14 Ermalovič, Staražytnaja Belarus’: Vilenski peryjad (wie Anm. 6), 3; Hryckevič, Anatol’: Barac’ba Vjalikaha knjastva Litoŭskaha i Ruskaha (belaruska-litoŭskaj dzjaržavy ) z tėŭtonskim ordėnam u kancy XIV – peršaj palove XV st. [Der Kampf des Großfürstentums Litauen und Rus’ (belarussischlitauischer Staat) gegen den Deutschen Orden vom Ende des 14. bis zur ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts]. In: Ders.: Adradžėnne. Histaryčny Al’manach. Vypusk 1. Minsk 1995, 36–61; Sahanovič, Henadz’: Narysy historyi Belarusi ad staražytnasci da kanca XVIII stahodzja [Geschichte von Belarus vom Mittelalter bis Ende des 18. Jahrhunderts]. Minsk 2001, 59–94; Lindner (wie Anm. 4), 455 f.

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blik Nachfolgerin des Großfürstentums Litauen gewesen sei, dieses „besonderen Staatsgebildes, das zwischen dem 13. und 18. Jahrhundert im geografischen Zentrum Europas existierte“.15 Später habe die Belarussische SSR und in der Gegenwart die Republik Belarus die historischen und kulturellen Traditionen des Großfürstentums Litauen weitergeführt. 3. Welchen ethnischen Ursprungs war die politische Elite? Und nicht zuletzt ging es 4. um den Anspruch auf Wilna. Einige Nationalhistoriker erklärten Wilna, wo zahlreiche belarussische Intellektuelle ihre Spuren hinterlassen hatten, quasi zu einer belarussischen Stadt, weil die Belarussen dort eine dominante Rolle gespielt und dadurch ihre Kultur, Sprache und Schriftlichkeit hätten entwickeln können.16 Zum Nachweis des belarussischen Charakters des Großfürstentums wurde auch ein bestimmter Symbolkomplex bemüht. So sollte das Wappen Pahonja, das von 1991 bis 1995 das Staatswappen des postkommunistischen Belarus war, schon seit dem 13. Jahrhundert als altbelarussisches Verteidigungssymbol bekannt gewesen sein. Die erste schriftliche Erwähnung wird in der Gustynsker Chronik auf das Jahr 1270 datiert. Pahonja wird hier als das Wappen des Fürsten Narymon Hleb von Navahrudak beschrieben. Daraus wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass Pahonja urbelarussische Traditionen mit sich führe. Um den Mythos des Großfürstentums massentauglich zu machen, wurden Anfang der 1990er-Jahre Feste installiert, die vor allem an zwei militärische Schlüsselereignisse erinnern sollten: an die Schlacht bei Orša und die Schlacht bei Hrunval’d/Tannenberg. Am 8. September 1514 schlugen die litauisch-belarussischen Truppen das zahlenmäßig überlegene Moskauer Heer bei Orša. In der zeitgenössischen Nationalhistoriografie gilt die Schlacht als „ruhmreiche Seite der belarussischen Militärgeschichte“, die sich ganz in die „Folge heldenhafter Siege der belarussisch-litauischen Truppen im Verlauf vieler Jahrhunderte“ einfüge, die den Bestand „des selbstständigen, unabhängigen und mächtigen Staates, des Großfürstentums Litauen, der Rus’ und Samogitiens (Belarussisch-litauischer Staat)“ gesichert hätten.17 Der 8. September wird seitdem als „Tag des militärischen Ruhmes“ (Den’ Vojennoj slavy) gefeiert. Bei der Zerschlagung des Deutschen Ordens bei Tannenberg 1410 wird ebenfalls die besondere Rolle der belarussischen Truppen, die unter Pahonja-Fahnen kämpften, hervorgehoben. Die Entstehungslegende der weiß-rot-weißen Nationalfahne hat ihren Ursprung ebenfalls an diesem Ort. So soll ein in der Schlacht verwundeter belarus-

15 Saverčanka, Ivan: Što takoe Vjalikae Knjastva Litoŭskae [Was ist das Großfürstentum Litauen]? In: 100 pytannjaŭ i adkazaŭ z historyi Belarusi. Hg. v. Dems. und Z’micer San’ko. Minsk 1993, 35. Siehe auch kritische Anmerkungen von Šupa, Sjarhej: Belaruska-litoŭskija manii i fobii [Belarussisch-litauische Manien und Phobien]. In: Naša niva Nr. 24–25, 28.07.1997. 16 Ermalovič, Staražytnaja Belarus’: Vilenski peryjad (wie Anm. 6), 3–6, bes. 5; Šybeka, Zachar: Čamu Vil’nja ne stala stalicej BNR? [Warum wurde Wilna nicht zur belarussischen Hauptstadt?] In: Belaruski Kalehium, URL: www.baj.by/belkalehium/lekcyji/historyja/szybeka_01.htm (09. 02. 2008). 17 Hryckevič, Anatol’: Bitva pad Oršaj 8 veras’nja 1514 h [Die Schlacht bei Orša 8. September 1514]. In: Spadčyna (1992) 6, 4–11.



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sischer Kämpfer seinen blutgetränkten Stirnverband abgenommen und über seinem Kopf geschwenkt haben, um seine Kameraden zum Kampf anzutreiben. Im Zusammenhang mit dem Mythos vom Großfürstentum werden nicht nur historische und militärische Tatsachen thematisiert, auch der Mittelalterkult erfährt allgemein große Beliebtheit. Ritterturniere, mittelalterliche Feste und Musik sind in vielen belarussischen Städten anzutreffen. Die meist der jüngeren Generation angehörigen Mittelalterfans organisieren sich nach dem Vorbild der besonders in Westeuropa, Großbritannien und den USA beliebten reenactment societies in Vereinen und Rittergesellschaften, die versuchen, mittelalterliche Musik, Handwerkskunst und Lebensweisen wiederzubeleben.

Der Mythos von Belarus als Partisanenrepublik Ein anderer Mythos aus der jüngsten Vergangenheit beansprucht für sich ebenfalls die konstituierende Rolle im belarussischen Nationsbildungsprozess. Seit den 1960erJahren wurde der Große Vaterländische Krieg zum wichtigsten historischen Thema und zu einem zentralen Bestandteil der belarussischen (Erinnerungs-)Kultur. Für die sowjetbelarussische Ideologie und Propaganda war der Kriegs- bzw. Partisanenmythos von besonderem Nutzen, denn so konnte die Selbstidentifikation der Belarussen mit der sowjetischen Geschichte gekoppelt und zugleich ihr Nationalgefühl von einer ethnisch definierten Herkunftsgeschichte losgelöst werden. Fast eine halbe Million Menschen war in den Partisanenkampf gegen die deutschen Besatzer involviert. Die neueste Forschung belegt jedoch, dass es keine einheitliche Partisanenbewegung gab, sondern verschiedene, nur bedingt prosowjetisch eingestellte Formationen. Das normative Bildklischee eines Partisans wurde von der großen Gruppe der Kriegsveteranen wie auch der Kriegsgeneration insgesamt verbreitet, aus der viele Angehörige der Staats- und Parteibürokratie stammten. Inhaber von Führungspositionen, die in der Kommunistischen Partei oder den Sowjets ihre Karriere betrieben, waren in der Regel ehemalige Partisanen oder Soldaten, was ihnen vor allem in Belarus seit den 1960er-Jahren besondere Legitimität verschaffte. Der Krieg wurde „zu einem Teil der politischen Ideologie, zu einem konstitutiven Element der Sozialpolitik von Belarus“18 sowie zu einem sozialisationsbestimmenden Diskurs mehrerer Generationen. Durch patriotische Erziehung der Jugend, zu deren wirkungsvollen Mitteln Gespräche mit Veteranen vor Schulklassen gehörten, wurde das Gefühl der Unbesiegbarkeit, gepaart mit Furchtlosigkeit und eiserner Disziplin, vermittelt. Auch im Privaten wurde der Krieg zur Institution. Bis heute legen Hochzeitspaare nach der Trau18 Bugrova, Irina: Politische Kultur in Belarus. Eine Rekonstruktion der Entwicklung vom Großfürstentum Litauen zum Lukaschenko-Regime. Mannheim 1998 (Forschungsschwerpunkt Konflikt- und Kooperationsstrukturen in Osteuropa 18), 27 (http://www.uni-mannheim.de/fkks/english/fkks18.pdf, 28. 05. 2013).

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ungszeremonie an zentralen Gedenkorten wie dem Platz des Sieges in Minsk, dem Ruhmeshügel, der Brėster Festung, aber auch an kleineren und weniger bekannten Gedenkstätten ihrer Region Blumen nieder. Der ehemalige Partisan Pëtr Mašėraŭ, von 1965 bis 1980 Erster Parteisekretär der BKP (Belarussische Kommunistische Partei), war maßgeblich daran beteiligt, den Partisanenkrieg in einen nationalen Mythos zu verwandeln und ihn zu einem Markenzeichen zu machen, mit dem Belarus immer noch identifiziert wird. Während seiner Amtszeit entstanden die meisten Monumente zum Gedenken an den Zweiten Weltkrieg. Insgesamt wurden zwischen 1944 und 1991 in der BSSR 6 000 Kriegsdenkmäler errichtet. Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg ist in Belarus aber nicht nur von Heroismus bestimmt, sondern ebenso von den unfassbaren Leiden der Zivilbevölkerung. Für diese doppelte Erinnerung stehen die beiden größten Gedenkstätten des Landes, die Festung von Brėst und die Gedenkstätte Chatyn’, die seit ihrer Errichtung zentrale Erinnerungsorte der Belarussen geworden sind. Die Brėster Festung verkörpert den Widerstandswillen und Heroismus des belarussischen Volkes.19 Das Dorf Chatyn’, das am 22. März 1943 von den Deutschen mitsamt seinen Einwohnern niedergebrannt wurde, steht stellvertretend für Hunderte belarussische Dörfer, die das gleiche Schicksal erlitten. Die belarussische Staatsführung unter Lukašėnka übernahm den Mythos der Partisanenrepublik Belarus aus der Sowjetzeit. Seit Anfang 2000 gibt es eine Neuerung in der offiziellen Darstellung: Der Krieg wurde zum Kampf für die nationale Unabhängigkeit von Belarus uminterpretiert. Dazu passt, dass der „Tag der Befreiung von Minsk“ von der deutschen Besatzung am 3. Juli 1944 in „Tag der Unabhängigkeit/Tag der Republik“ umbenannt wurde. Der Große Vaterländische Krieg wurde zum konstitutiven Teil der neuen Ideologie des belarussischen Staates. Für die Kontinuität des Partisanenmythos sprechen auch die neu errichteten Denkmäler „Für die Partisanen von Pales’e“ (Partizanam Palessja) 2002 in Pinsk und „Partisanen-Belarus’“ (Belarus’ partizanskaja) 2005 auf dem Partisanen-Prospekt in Minsk. Welche Bedeutung die Regierung dem Großen Vaterländischen Krieg beimisst, wird nicht zuletzt an der Einführung des obligatorischen Geschichtskurses „Der Große Vaterländische Krieg des Sowjetischen Volkes im Kontext des Zweiten Weltkrieges“ an allen mittleren und höheren Bildungseinrichtungen im Wintersemester des Jubiläumsjahres 2004/05 sichtbar.20 Dieses Curriculum ist eine Konsequenz der 19 Schön, Martin: Die Brester Festung im Kontext heutiger weißrussischer Erinnerungskultur. In: Täter, Opfer, Helden. Der Zweite Weltkrieg in der weißrussischen und deutschen Erinnerung. Hg. v. Olga Kurilo und Gerd-Ulrich Herrmann. Berlin 2008, 103–115; Ganzer, Christian/Paškovič, Alena: „Heldentum, Tragik, Kühnheit.“ Das „Museum der Verteidigung der Brester Festung“. In: Osteuropa 60 (2010) 12, 81–96; Marples, David R./Rudling, Per Anders: War and memory in Belarus: The annexation of the Western borderlands and the myth of the Brest Fortress, 1939–41. In: Białoruskie Zeszyty Historyczne (2009) 12, 225–242. 20 Vjalikaja Ajčynnaja vajna saveckaha narodu (u kantėksce Druhoj susvetnaj vajny): Vučėbny dapamožnik dlja studėntaŭ [Der Große Vaterländische Krieg des Sowjetischen Volkes (im Kontext des Zweiten Welt-



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staatlichen Erinnerungspolitik. Zum einen soll es dem belarussischen Patriotismus aufhelfen, zum anderen jedoch ordnet es Belarus in die Gesamtsituation des Zweiten Weltkrieges und die Leistung des „Sowjetvolkes“ ein. Zu demselben Zweck wurde zum 60. Jahrestag der Befreiung ein Studentenwettbewerb zum Thema „Der Große Vaterländische Krieg in der dankbaren Erinnerung des belarussischen Volkes“ ins Leben gerufen, der seither im Jahresrhythmus stattfindet. Gleich zwei wichtige Staatsfeiertage werden aus Anlass des Großen Vaterländischen Krieges begangen: der „Tag des Sieges“ am 9. Mai und der „Tag der Unabhängigkeit“ am 3. Juli. Weil zwischen diesen beiden Daten nur knapp zwei Monate liegen, bilden sie im Erinnerungs- und Gedenkkalender eine zusammenhängende Festperiode. An den Krieg erinnernde Plakate und Transparente dekorieren während dieser Zeit die belarussischen Städte. In den ersten Jahren der Unabhängigkeit wurde der „Tag des Sieges“ verglichen mit der pompösen sowjetischen Inszenierung recht bescheiden begangen, lediglich mit einer Veteranenparade. Gleich nach seinem Amtsantritt veränderte Lukašėnka die Choreografie des Feiertages, indem er zu sowjetischen Traditionen zurückkehrte. Zu den festen Bestandteilen des „Tages des Sieges“ gehören eine große Militärparade in Minsk sowie Vorbeimärsche von Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges, Sport- und Kunstvorführungen, Gedenkveranstaltungen mit Kranzniederlegungen an zahlreichen Gedenkstätten des Landes und das „Salut an den Sieg“ genannte Abschlussfeuerwerk in allen belarussischen Städten. Auch die zu Brežnevs Zeiten installierten Rituale wie Schweigeminute, Postierung von Schüler- und Soldatenwachen an Kriegsdenkmälern, Regierungsbesuche von Kriegsschauplätzen, Herausgabe von Jubiläumsmedaillen, offiziöse Veteranenehrungen, Schulveranstaltungen mit Veteranen und in Form von Soldatenbriefen verschickte persönliche Gratulationen der Veteranen gehören zur stets wiederkehrenden Choreografie dieses Feiertages. Der Aufwand der Inszenierung des „Tages des Sieges“ hat in den letzten Jahren merklich abgenommen, während sich das Gewicht mehr auf den „Tag der Unabhängigkeit“ verschoben hat.21 Das jährliche Gedenken an die Gründung der belarussischen Nation und die staatliche Souveränität findet seit dem umstrittenen Referendum vom November 1996 nicht mehr am „Tag der Unterzeichnung der Souveränitätserklärung“ (27. Juli) statt, sondern am „Tag der Befreiung von Minsk“ am 3. Juli. Diese Entscheidung wurde sogleich nach dem Referendum und kurz nach der Wiedereinführung des „Tages der Großen Oktoberrevolution“ (7. November) getroffen. Beide Maßnahmen zählten zu den strategischen Instrumenten Lukašėnkas, der damit die ältere Generation, die Veteranen und die Landbevölkerung für sich gewinnen wollte. krieges): Hilfslehrbuch für Studenten]. Hg. v. Aljaksandr Kavalenja u. a. Minsk 2004; dazu die Rezension von Korbut, Viktar: Kul’tura vajny [Die Kultur des Krieges]. In: Arche 36 (2005) 2, http://arche. bymedia.net/2005-2/korbut205.htm (01. 04. 2009); Sahm, Astrid: Der Zweite Weltkrieg als Gründungsmythos. Wandel der Erinnerung in Belarus. In: Osteuropa 60 (2010) 5, 43–54. 21 Krivolap, Aleksej: Parad označajuščich. Belorusskij opyt vizualizacii Dnja nezavisimosti [Die Parade der Bedeutenden. Belarussische Erfahrung der Visualisierung des Tages der Unabhängigkeit]. In: Belorusskij format. Nevidimaja real’nost’. Hg. v. Al’mira Usmanova. Vil’njus 2008, 368–397.

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Elena Temper

Der „Tag der Unterzeichnung der Souveränitätserklärung“ am 27. Juli 1990 wird von der Opposition als „Tag der Erneuerung der belarussischen Unabhängigkeit“ bezeichnet. Nach dieser Auslegung wird der eigentliche Unabhängigkeitstag am 25.  März in Erinnerung an die Belarussische Volksrepublik von 1918 gefeiert und heißt „Tag der Freiheit“. Der „Tag der Unabhängigkeit“ wird stets mit großem Aufwand inszeniert. So trugen zum Unabhängigkeitstag 2008 Hunderte von Menschen eine über vierzig Meter große Staatsflagge über den Minsker Prospekt der Unabhängigkeit, und auf der Tribüne bildeten Zuschauer ein lebendes Staatswappen. Die Teilnehmer der Parade marschierten mehrere Kilometer, bis sie schließlich zum Höhepunkt der Veranstaltung an der Siegessäule der „Heldenstadt“ ankamen. Die Parade inszenierte nicht nur in üblicher Form militärische Stärke sowjetischer und belarussischer Kriegstechnik sowie ökonomisches Potenzial in Form des Traktors „Belarus’“ und landwirtschaftlicher Produkte, sondern räumte auch dem populären Entertainment Platz ein: Volkstänze, Akrobatik (eine zwanzig Meter hohe Menschenpyramide wurde gebildet), Fliegershows mit rot-grünen Rauchfahnen hinter den Maschinen, Breakdance-Einlagen, ein Vorbeizug der Eishockey-Nationalmannschaft auf Rollerblades, Gesangseinlagen etc. gehörten zum Programm. Jedoch kam nicht jedermann an den Ort des Geschehens; der Prospekt war von Sicherheitsleuten abgeriegelt, sodass die Kolonne durch nahezu menschenleere Straßenzüge marschierte. Allein über das Fernsehen erzielte die auf allen Kanälen gleichzeitig übertragene Parade Breitenwirksamkeit. Zum Abschluss wurde die Staatshymne gesungen – für die noch nicht textsicheren Zuschauer am Bildschirm wurde der Wortlaut eingeblendet. Der Unabhängigkeitstag dient außerdem dazu, den Großen Vaterländischen Krieg als spezifisch belarussischen Erinnerungsort zu inszenieren, um den sich die gesamte Gesellschaft versammelt: „Der Tag des Sieges ist ein seliges Fest, und der Tag der Unabhängigkeit ist etwas pompöser und offizieller. Beide Festtage haben ihre eigene Wichtigkeit [...]. Und das werden wir immer weiterführen, damit niemand jemals die Geschichte umschreiben kann. Solange wir leben, werden wir alles dafür tun, diese Errungenschaft des Sieges zu bewahren – die größte historische Kostbarkeit unseres Volkes,“22 sagte Lukašėnka zum „Tag des Sieges“ 2008. Wie alle autoritären Regime sieht auch die Lukašėnka-Regierung eine notwendige Verbindung zwischen einer unter der eigenen Führung geeinten und konsolidierten Gesellschaft und einer homogenen Erinnerungskultur, die keinen nach außen sichtbaren Konflikt, keine inneren Brüche und keine umstrittenen Momente kennt. Die Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges wird instrumentalisiert und auf ihrer Grundlage die nationale Idee in der Version des Lukašėnka-Systems konstruiert. Zentrale Aspekte dieser Geschichtspolitik bilden der Heldenmut des Sowjetvolkes, innerhalb dessen den Belarussen eine besondere Rolle zugesprochen wird, und die Opferbereitschaft der Belarussen. Die belarussische Geschichte wird in die Perioden „vor“ und „nach“ dem Krieg unterteilt. 22 http://www.president.gov.by/press57631.html#doc (20. 06. 2012).



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Konflikt und Konsens Wie deutlich wurde, existieren in Belarus zwei antagonistische Konzepte nationaler Identität. Waren Mitte der 1990er-Jahre bis Anfang 2000 erbitterte Kämpfe um die historische und damit auch um die politische Deutungsmacht der belarussischen Geschichte zu beobachten, ist seit der massiven Verschlechterung der Staatsbeziehungen zu Russland eine Annäherung der beiden Gruppen festzustellen. So wird in der offiziellen Rhetorik zunehmend betont, dass die Belarussen neben Litauern und Ukrainern ebenfalls Anspruch auf das Erbe des Großfürstentums Litauen hätten.23 Die Verfechter des Großfürstentum-Litauen-Mythos kommen ebenfalls nicht umhin, die Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg zu pflegen, und so beteiligt sich die Opposition an den Kranzniederlegungen und Feierlichkeiten anlässlich des „Tages des Sieges“. Besonders im Jahr 2010 war zum einen die gegenseitige Übernahme von bis dato konkurrierenden Topoi zu beobachten und zum anderen der Kampf um die symbolische Besetzung des öffentlichen Raumes. Aus Anlass des 600-jährigen Jubiläums des Sieges bei Hrunval’d konkurrierten die Staatsmacht und die Opposition um die beste Choreografie der Feier. Beide, wenn auch im zeitlichen Abstand, schlugen vor, einige Straßen und Plätze von Minsk in Erinnerung an die Helden von Hrunval’d zu benennen (Platz des Sieges bei Hrunval’d, Straße Vitaut des Großen) und für sie ein Denkmal zu errichten. Im Staatsfernsehen lief ein 5-teiliger Film „Hrunval’d“, eine Briefmarke wurde herausgegeben usw. Die Staatsmacht unternahm indessen Versuche, den Hrunval’d-Mythos in einen panslavischen Mythos umzuwandeln und Belarus (bzw. die Belarussen) als antemurale slavicum darzustellen. Die Belarussen hätten im Kampf für Orthodoxie und Slaventum die entscheidende Rolle gespielt. Der Mythos des Großfürstentums Litauen als belarussischer Staat bzw. belarussisch-litauischer Staat, den die nationale Historiografie konstruierte, hat für die meisten Belarussen große Attraktivität. Laut einer Befragung der Minsker Einwohner bezeichnet die überwiegende Mehrheit das Großfürstentum Litauen als den ersten belarussischen Staat.24 Trotz seiner politischen Instrumentalisierung ist der Große Vaterländische Krieg ohne Zweifel ein wirklicher Erinnerungsort der Belarussen. Er könnte unter der Voraussetzung zu einem authentischen nationalen Erinnerungsort und damit zu einem zentralen Bezugspunkt der belarussischen Identität werden, dass eine kritische Auseinandersetzung mit den Tätern und Opfern des Krieges und eine Pluralität der Erinnerungen zugelassen werden.

23 Мjasnikovič, M.: Belarus’: ėtapy sacyjal’na-ėkanamičnych zdzjajsnennjaŭ [Belarus: Etappen sozialwirtschaftlicher Beziehungen]. In: Belaruski histaryčny časopis (2009) 1, 3–6, hier 3. 24 http://www.intelros.ru/readroom/nz/nz_56/1922-jurijj-drakokhrust.-s-chego.html (28. 05. 2013).

S tä d t i sc h er Rau m u n d Erinne rungsk ultur de r w est u krai n i sc h en Sta dt Trusk a ve c’ Oleksandr Grytsenko

Truskavec’, eine Kleinstadt in der Westukraine, war vor 1939, als der Ort noch Truskawiec (Zdrój1) hieß, wegen seiner Heilwasserquellen in Polen sehr geschätzt und galt auch in der späteren Sowjetunion als eine beliebte Kurstätte. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts, zur Zeit des Habsburger Imperiums, war Truskavec’ noch ein kleiner ruthenischer Ort gewesen, der aber im Zuge seiner Entwicklung zum Heilbad einen umfassenden Wandel erfuhr. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie umfangreiche Urbanisierungsprozesse, nation-building und Geschichtspolitik sowohl zweier Imperien – des Habsburger Reiches und der Sowjetunion – als auch zweier Nationalstaaten – Polen und der Ukraine – den Stadtraum, lokale Identitäten und die Erinnerungskultur prägten. Welche Besonderheiten hatten diese Prozesse im Falle einer Kleinstadt wie Truskavec’? In der amerikanischen Urbanistik und Soziologie wird der Begriff company town verwendet. Er bezeichnet eine kleinere Stadt, die aufgrund der Ansiedlung eines größeren Unternehmens entstanden ist. Dieses Unternehmen, das town-shaping enterprise, ist meist der Hauptarbeitgeber für die Bewohner der Stadt. Deshalb kontrolliert es auch fast alle Aspekte des Stadtlebens – etwa die Selbstverwaltung. Eine spezielle Form der company town ist der Kurort. Die Besonderheit ist hier, dass die für einen Kurort spezifischen Einrichtungen die Aufgabe des town-shaping enterprise erfüllen. In einem Kurort gibt es anstelle von Produktionsprozessen Heilund Freizeitangebote. Außer den Einwohnern der Stadt leben hier saisonal oder auch für längere Zeit Kurgäste, die bisweilen die eigentliche Bevölkerung zahlenmäßig übersteigen.2 Die Teilung des städtischen Raumes in eine Wohn- und eine Industriezone, die für die industrielle company town typisch ist, wird in einem Kurort zur Teilung in eine „Stadt für Einwohner“ und eine „Stadt für Kurgäste“. Dabei gibt es Wohn- und Nichtwohnarchitektur sowohl in der „Stadt für Einwohner“ als auch in der „Stadt für Kurgäste“, doch haben sie jeweils ein unterschiedliches Aussehen und eine andere Funktion. In der zuerst Genannten halten sich die Kurgäste kaum auf, wohingegen die Einwohner der Stadt in der Letztgenannten nicht leben, sondern nur arbeiten (im Dienstleistungssektor).

1 Zdrój = Quelle. 2 Isajevyč, Ja./Chalus, P.: Truskavec’. In: Istorija mist i sil Ukraïns’koï RSR. L’vivs’ka oblast’. Hg. v. P. T. Tron’ko u. a. Kyїv 1968, 838–848, hier 846.



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Die Stadt Truskavec’ im Gebiet L’viv ist wohl der bekannteste Kurort in der Ukraine. Die Nutzung der Mineralwasserquellen machte Truskavec’ erst zu einer Stadt, und bis heute bestimmt der Status als Kurort das wirtschaftliche Leben und den Alltag der Bewohner vollständig.3 Der städtische Raum von Truskavec’ besitzt eine deutlich wahrnehmbare Teilung in eine „Stadt für Kurgäste“ und eine „Stadt für Einwohner“. Besonders interessant ist in Truskavec’ die spezifische Kurortarchitektur vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute mitsamt den für diesen Teil Europas typischen Elementen eines provinziellen Städtebaus. Genauere Aufmerksamkeit verdienen vor allem die verschiedenen nationsbildenden Projekte, die in den symbolischen Raum der Stadt eingeschrieben sind. Bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Truskavec’ ein gewöhnliches galizisches Dorf namens Truszkowyczi, das malerisch an den Berghängen lag. In zeitgenössischen populärwissenschaftlichen Büchern über die Geschichte von Truskavec’ beginnen die Erzählungen über die Anfänge des Ortes allerdings nicht mit der Entstehung des Dorfes Truszkowyczi, sondern mit der Erwähnung einer Festung aus der Zeit der alten Rus’, deren Überreste im 20. Jahrhundert ausgegraben wurden.4 Dieser Beweis für die altrussische Herkunft von Truskavec’ ist auf symbolischer Ebene sehr wichtig und wurde durch die Benennung von Straßen (z. B. Horodyšče-Straße) und durch offizielle historische Narrative fest im symbolischen Raum der Stadt verankert. Die Heilwirkung der Quellen im Ort war schon lange bekannt, zum Kurort wurde Truskavec’ aber erst Mitte des 19. Jahrhunderts. Sieht man die Entstehungsgeschichte des Kurortes nur im Kontext der Nationalgeschichte der Ukraine, so erscheint sie recht bedeutungslos und undurchsichtig. Dennoch wird die Geschichte von Truskavec’ heute genau unter diesem Blickwinkel geschrieben. Betrachtet man die Entstehung des Kurortes jedoch im größeren Kontext der Geschichte Österreich-Ungarns oder Polens, dann stellen sich die Entwicklungen weitaus schlüssiger dar. Vom Ende des 18. Jahrhunderts (nachdem die Habsburger die südwestlichen Teile der Polnisch-Litauischen Union annektiert hatten) bis 1918 gehörte Truskavec’ zum Habsburger Reich, seit 1886 zum autonomen Kronland Galizien. Kurorte mit Heilwasserquellen wurden in Europa Ende des 18.  Jahrhunderts populär; die Besucher stammten vorwiegend aus den oberen Gesellschaftsschichten. Die Wiener und Prager Eliten des Habsburger Imperiums fuhren zu den Heilquellen in Karlsbad, die Budapester Eliten hatten ihre eigenen Quellen vor Ort. Für das provinziell-habsburgische Truskavec’ interessierte sich zu diesem Zeitpunkt noch kaum jemand. Zwei Ereignisse änderten dies grundlegend und ermöglichten eine schlagartige Entwicklung des Kurortes Truskavec’: Die faktische Föderalisierung des österreichischen Imperiums im Jahre 1886 (nach der Galizien zu einem polnischen Quasi-Staat wurde) und die 3 Macjuk, O./Skybak, I.: Korotkyj narys istoriї Truskavcja [Kurze Skizze der Geschichte von Truskavec’]. Truskavec’ 2000, 5. 4 Huzar, Z./Macjuk, O./Skybak, I.: Korotkyj narys istoriї Truskavcja [Kurze Skizze der Geschichte von Truskavec’]. Truskavec’-L’viv 1997, 12.

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Entwicklung der Erdölverarbeitung in den benachbarten Orten Borysław/Boryslav und Drohobycz/Drohobyč. Ende des 19. Jahrhunderts besaßen die polnischen nationalen Eliten Galiziens bereits ihre eigenen politischen Institutionen (politische Parteien, Zeitungen, den galizischen Landtag) und eigene Institutionen für Wissenschaft und Bildung, in denen auf Polnisch unterrichtet wurde (die Universitäten in Krakau und Lemberg, eine Reihe von polnischsprachigen Schulen, das Ossolineum usw.). Hinzu kam, dass die Entwicklung der Borysławer Erdölindustrie die industrielle Modernisierung dieses vernachlässigten Teils des Imperiums ermöglichte. Ganz natürlich nimmt sich hier die Schaffung von nationalen Kurorten wie Zakopane, Krynica und Truskavec’ aus, denn durch die „Nationalisierung“ der regionalen Regierung, Erziehung, Presselandschaft und des Großteils der Wirtschaft wurden in der Folge auch Gesundheitswesen und Freizeit „nationalisiert“. In Zakopane wurde um die Jahrhundertwende ein eigener nationaler Stil in der Architektur geschaffen, der sogenannte „karpatische“ bzw. „Zakopane Stil“. Das charakteristischste Beispiel dieses Stils war die Villa, das heißt ein drei- bis vierstöckiges Holzgebäude mit hohem Giebeldach, verziert mit hölzernen Schnitzereien und geschnitzten Balkons auf allen Etagen, die häufig um drei Seiten des Gebäudes liefen, zumindest aber an der Frontseite angebracht waren. Die Villen wurden als kleine Hotels oder Pensionen für die Gäste genutzt, seltener waren es Familienanwesen besonders wohlhabender Eigentümer (Abb. 1). Die geschnitzten hölzernen Verzierungen und Galerien, die an die volkstümliche Goralenarchitektur (górale) der polnischen Tatra erinnerten, verliehen den Villen und dem „karpatischen Architekturstil“ einen eindrücklich nationalen polnischen Charakter. In Zakopane, das nach der Erlangung der Unabhängigkeit Polens zur „Winterhauptstadt“ des Landes geworden war, entwickelte sich darüber hinaus eine spezifische nationale Form des Kurortlebens, die sich vom einfachen Winterurlaub jener Zeit unterschied. In den Weihnachtsferien versammelte sich fast die ganze Warschauer und Krakauer Elite in Zakopane, und man verbrachte die Zeit nicht nur Schlitten fahrend, sondern auch auf Musikabenden, Lesungen und mit Theateraufführungen. Dieser Lebensstil zog eine entsprechende Infrastruktur nach sich – es entstanden Konzertsäle, „Gesellschaftsclubs“, Fußgängerpromenaden und Parks. Nach diesem Modell des nationalen Kurortlebens, das sich in Zakopane herausgebildet hatte, formierte sich auch der Kurort Truskawiec Zdrój. Dessen verstärkter Ausbau begann in den 1880er-Jahren und dauerte bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges. Eine führende Rolle spielten dabei einige Aktiengesellschaften, die auf eigene Kosten Pensionen, Villen und Schwimmbäder bauten. Die Grundstücke für die neuen Kurortgebäude befanden sich in dem tiefer gelegenen Teil von Truskavec’. Ende des 19. Jahrhunderts standen im unteren Teil des Kurparkes und im Zentrum der heutigen Stadt noch schlichte dörfliche Gehöfte. Sie wurden von Unternehmern gekauft und entweder in Parks oder in Baugrundstücke für Villen oder Pensionen umgewandelt. In einigen Narrativen über die Vergangenheit von Truskavec’ wird dieser massen-



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Abb. 1  Villa „Gopljana“ (1925/26), Familienanwesen von Rajmund Jarosz. Heute: Museum für Mychajlo Bilas.

hafte Verkauf von Gehöften als „Plünderung“ bezeichnet. Zu Beginn des 20.  Jahrhunderts ging die ganze ehemalige Dorfmitte in die Hände der damaligen Unternehmer über. Mit dem Bau von Villen und Pensionaten erfolgte die Umstrukturierung des Zentrums: Neue Straßen wurden angelegt und Brunnen gebaut, eine elektrische Straßenbeleuchtung wurde installiert und schließlich im Jahr 1912, eine Eisenbahnstrecke bis in den Ort verlegt. Der „Freundschaftsclub“ entstand, und Restaurants mit Freiluftterrasse wurden eröffnet – sie waren auf den Lebensstil der oberen Gesellschaftsschicht ausgerichtet. Das erste Denkmal, das in Truskavec’ aufgestellt wurde, war eine Büste des polnischen Nationaldichters Adam Mickiewicz. Es wurde 1898 im Zentrum des neuen Kurparkes zur 100-Jahrfeier seines Geburtstages errichtet und zeugt von der nationalen und kulturellen Orientierung der Bauherren Ende des 19. Jahrhunderts (Abb. 2). Heute wird hingegen eine Persönlichkeit aus der Ausbauzeit des Kurortes besonders verehrt: Rajmund Jarosz aus Drohobycz, ab 1911 Vorsitzender der Aktionärsgesellschaft „Truskawiec Zdrój“ und in den 1920er- und 1930er-Jahren Bürgermeister von Drohobycz. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte diese Aktionärsgesellschaft den Ausbau des Kurortes vorangetrieben. So erhielt Truskawiec Zdrój ein urbanisiertes und national-polnisches Zentrum, das von ukrainischen dörflichen Strukturen umgeben war – was übrigens für das ganze damalige Galizien typisch war. Der „Zakopane-“ und national-polnische Charakter des Stadtzentrums ist bis heute fragmentarisch

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Abb. 2  Die Büste von Mickiewicz, zur 100-Jahrfeier errichtet, 1898, Bildhauer: T. Baroncz.

erhalten geblieben, allerdings wird diese polnische Prägung des symbolischen städtischen Raumes meist kaum noch bemerkt. Die Veränderungen in Truskavec’ zur Zeit des sogenannten Zwischenkriegspolens (1919–1939) haben ebenfalls zahlreiche Spuren im städtischen Raum hinterlassen, von denen aber zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein Großteil ausgelöscht wurde. Drei grundlegende Entwicklungslinien sind auszumachen: erstens die Vergrößerung der „Stadt für Kurgäste“ über die Grenzen des alten Zentrums hinaus, was auf Kosten der „Stadt für Einwohner“ ging, oder mit anderen Worten: die Expansion des „polnischen und zivilisierten“ Truskavec’ auf Kosten des ukrainischen und dörflichen Truskavec’. Die zweite Entwicklungslinie ist die „Industrialisierung“ des Kurortes, das heißt



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Abb. 3  Ehemaliges Sanatorium für Offiziere der polnischen Armee, Blick von der Hofseite.

der Übergang vom Bau kleinerer Villen für das wohlhabende Hauptstadtpublikum zur Errichtung großer Sanatorien für die Mittelklasse. Ein wichtiger Faktor, der diesen Übergang unterstützte, war der Anschluss an die Eisenbahn, der erst den massenhaften Zustrom von Kurortgästen ermöglichte. Die Besucherzahlen erhöhten sich außerdem stark, nachdem die Staatsgrenze Truskavec’ nicht mehr von den zentralen Gebieten Polens, von Warszawa, Łódź und Poznań trennte. Drittens veränderte sich das dominierende architektonische Erscheinungsbild der Stadt stark: Anstelle des ethnografisch-ornamentalen „Zakopane-Stils“ trat der Funktionalismus (Konstruktivismus). Einige der Villen und Sanatoriumsgebäude im konstruktivistischen Stil sind bis heute erhalten geblieben, auch wenn keines dieser Gebäude sein ursprüngliches Aussehen vollständig bewahren konnte. Ein gut erhaltenes Beispiel für die Besonderheiten der konstruktivistischen Kurortarchitektur ist die Sanatoriumsanlage für Offiziere der polnischen Armee. Sie wurde in den 1930er-Jahren errichtet (Abb. 3). Bis zum Jahr 2008 wurde dieses Gebäude als Kindersanatorium genutzt, heute steht es leer. Im Zentrum von Truskavec’ befanden sich vor dem Zweiten Weltkrieg viele Kurortgebäude: Villen (Zählungen zufolge gab es ca. 300), kleine Pensionate und einige große Sanatorien.5 Bei der Villenarchitektur dominierte der „karpatische (Zakopane-) Stil“, aber es gab auch Beispiele für den Schweizer Chaletstil und sogar für den norwegischen und den „mauretanischen“ Stil. Der erste Aufenthalt der Sowjetmacht in Truskavec’ nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges war nur von kurzer Dauer. Vom Krieg selbst war im Kurort kaum etwas zu spüren. Deutlich sichtbare Spuren im städtischen Raum hinterließ hingegen die Sowjetzeit. Die neuen Machthaber begannen in Truskavec’ zunächst mit der administra5 Charčuk, Ch.: Kurortna zabudova Truskavcja kincja XIX – peršoї polovyny XX storiččja: stan i problemy zberežennja [Die Kurort-Bauweise von Truskavec’ vom Ende des 19. bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Zustand und Probleme der Bewahrung]. In: Pam’’jatky Ukraїny: istorija ta kul’tura (2004) 1, 40–45, hier 42.

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tiven Umgestaltung der Strukturen und der Veränderung der Besitzverhältnisse: Alle Villen, Pensionen, Sanatorien und Hotels wurden verstaatlicht und zu acht großen staatlichen Sanatoriumskomplexen zusammengefasst. Drei der neuen Sanatorien waren für gewöhnliche Kurgäste nicht zugänglich: das Regierungssanatorium „Kristallpalast“, das Sanatorium des Ministeriums für Staatssicherheit, das aus den ehemaligen Privatsanatorien „Bristol“ und „Paläste“ bestand, sowie das Armeesanatorium, das sich aus mehreren großen Villen zusammensetzte, die es heute nicht mehr gibt. Eine weitere Veränderung durch die Sowjetmacht war die Lösung des Wohnraumproblems durch die Umgestaltung einiger größerer Villen zu Mehrfamilienhäusern mit Kommunalwohnungen. Sie werden meist bis heute so genutzt und sind dem Verfall ausgesetzt. Nicht nur die Architektur, auch der gesamte öffentliche Raum wurde einer Umgestaltung unterzogen. Der sowjetischen „Denkmalspropaganda“ folgend wurden auf dem zentralen Platz des Kurortes Denkmäler für Lenin und Stalin errichtet und die Parkalleen mit Gipsskulpturen geschmückt: mit der glücklichen Sowjetfamilie, die in eine frohe Zukunft blickt, sowie Sportlern und Sportlerinnen mit Bällen und Tennisschlägern. Eine groß angelegte Umbenennung der Straßen von Truskavec’ fand nicht unmittelbar nach der Machtergreifung der Sowjets, sondern erst Ende der 1940er-Jahre statt. Am 4. Juni 1948 bestätigte das Exekutivkomitee des Drohobyčer Gebietes die Entscheidung über die Umbenennung zweier Straßen im Ort. Die Jarosz-Straße, die bis in die 1930er-Jahre Neuer Weg hieß, erhielt den Namen Taras Ševčenkos, und die Suchovolja-Straße wurde zur Kolchos-Straße. Nachdem Truskavec’ 1950 zur Stadt erklärt worden war, erhielten im selben Jahr weitere 18 Straßen neue sowjetische Namen. Dies waren zum einen Namen zu Ehren kommunistischer Führer und Mitglieder des stalinschen Politbüros (Lenin-, Stalin-, Karl-Marx-, Molotov-Straße usw.) und zum anderen Benennungen, die sowjetische Werte symbolisierten, wie Oktober-, Komsomol-, Rote-Armee- und 1.-Mai-Straße. Die Truskavec’er Straßennamen unterschieden sich nicht von jenen anderer sowjetischer Städte – mit Ausnahme zweier Benennungen, die mit der Ukraine verbunden waren: die Straße der Wiedervereinigung (zwischen der Ukraine und Russland – Anm. d. Ü.) und die Ščors-Straße6. Hier sei daran erinnert, dass die Ševčenko-Straße bereits zwei Jahre früher ihren Namen erhalten hatte und die Franko-Straße,7 die sich auf eine Persönlichkeit aus der Region bezog, schon „zur Zeit Polens“ so hieß. Unberührt blieben einige toponymische Benennungen wie die Drohobyč- und die Boryslav-Straße. So wurde Truskavec’ Ende der 1940er-Jahre zu einem Beispiel für das „stalinsche Modell“ städtischer Namensgebung. Die zentralen Straßen einer sowjetischen Stadt 6 Mykola Ščors (1895–1919) war ein General der Roten Armee mit ukrainischer Herkunft. Man kennt ihn heute vor allem aus Oleksandr Dovženkos gleichnamigem Film. 7 Taras Ševčenko (1814–1861), ukrainischer Nationaldichter und Maler, ist eine zentrale Figur der Erinnerungskultur der Ukraine. Siehe dazu auch den Beitrag von Jenny Alwart in diesem Band. Ivan Franko (1856–1916) war ein ukrainischer Schriftsteller und Gelehrter, der in einem Dorf nicht weit entfernt von Truskavec’ geboren wurde. Er besuchte das Gymnasium in Drohobycz.



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sollten der „stalinschen Ikonostase“ huldigen und ideologische Schlüsselbegriffe propagieren. Ukrainische Namen wurden zwar zugelassen, aber nur in begrenzter Anzahl. In der Regel handelte es sich dabei um die Namen von Klassikern der Literatur – Ševčenko, Franko, Lesja Ukraïnka8 usw. – und von zwei „echten“ Heerführern – Chmel’nyc’kyj9 und Ščors. Die „Sowjetisierung“ des städtischen Raumes wurde durch die Schließung fast aller Gotteshäuser (der griechisch-katholischen und der römisch-katholischen Kirchen sowie Synagogen) verstärkt. Nur am westlichen Stadtrand gab es eine Kirche, die weiterhin für die Gläubigen geöffnet, inzwischen aber orthodox geworden war. Die eigentlichen Bauentwicklungen setzten in Truskavec’ (wie auch in der gesamten UdSSR) erst nach dem Tod Stalins in den 1950er-Jahren ein. Auf dem Gelände der alten Villen, die abgerissen wurden, entstanden nun große Gebäude im stalinschen pseudoklassizistischen Stil wie das Sanatorium „Kastanie“ an der Ševčenko-Straße. Der Abriss wurde damit begründet, dass die Villen die Entwicklung des Kurortes behindern würden. In den 1970er-Jahren wurde es in Truskavec’, das inzwischen zur „AllunionsGesundheitsstätte“ aufgestiegen, aber territorial noch immer an die in den 1920erJahren gesteckten Grenzen gebunden war, zu eng. Daher wurde nun zielstrebig ein neuer Generalplan für die Entwicklung des Kurortes festgelegt, infolgedessen an den Hängen der Stadt zahlreiche mehrgeschossige Sanatoriumsbauten hochgezogen wurden.10 Im östlichen Teil der Stadt entstanden sowjetische Wohngebiete (Mikrorajons). Durch die intensive Bautätigkeit veränderte sich der eher einfache Umriss von Truskavec’ grundlegend. Dabei blieb aber die alte Teilung in eine „Stadt für Kurgäste“ und eine „Stadt für Einwohner“ erhalten: Im westlichen und nördlichen Teil befanden sich ein paar sowjetische Wohngebiete mit den typischen Plattenbauten, im östlichen und südlichen Teil eine Handvoll großer Sanatorien.11 Außer diesem Stahlbeton-Ring, der einen starken Eingriff in den städtischen Raum darstellte, dabei aber eine notwendige Maßnahme zur Stadtvergrößerung war, kam es auch im Stadtinneren zu empfindlichen Eingriffen in die Bausubstanz.12 Beträchtliche Teile des Villenzentrums von Truskavec’ mussten kastenartigen Infrastrukturbauten (mit Post-, Einkaufs-, Kultur-

8 Lesja Ukraïnka (1871–1913) war eine bekannte ukrainische Dichterin und Dramatikerin. 9 Bohdan Chmel’nyc’kyj (1595–1657) war ein bekannter Anführer des ukrainischen Kosakenaufstands im Jahr 1648. Von 1648 bis 1657 war er Hetman der Ukraine. Er wurde sowohl in der russisch-imperialen als auch der sowjetischen Historiografie für seine Huldigung des russischen Zaren verehrt. 10 Huzar/Macjuk/Skybak (wie Anm. 4), 30. 11 Jene Reste der altrussischen Burganlage, die der Horodyšče-Straße ihren Namen gegeben hatten, wurden beim Bau des Sanatoriums „Kristall“ völlig vernichtet, ohne dass der Anlage zuvor eine vernünftige archäologische Untersuchung zuteilgeworden wäre. 12 Fajdula, I./Posac’kyj, B./Mazur, T.: Tradycijna zabudova kurortu Truskavec’ i problemy її zberežennja [Die traditionelle Bauweise des Kurorts Truskavec’ und Probleme ihrer Bewahrung]. In: Novi pidchody do orhanizaciї ta rekreaciї v umovach kurortu: Materialy mižnarodnoї naukovo-praktyčnoї konferenciї. Truskavec’ 1995, 282–288, hier 286.

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und Gesundheitseinrichtungen), den zwei großen Sanatorien „Kastanie“ und „Frühling“ sowie dem Hotel „Truskavec’“ weichen. Dem gesamtsowjetischen Schema folgte auch die Umgestaltung der Denkmallandschaft von Truskavec’: Nach dem 22. Parteitag der KPdSU wurde das StalinDenkmal im Zentrum demontiert, zum Jubiläum Taras Ševčenkos im Jahr 1964 eine Büste des Nationaldichters in der nach ihm benannten Straße aufgestellt und zu Lenins 100.  Geburtstag im Jahr 1970 auf dem zentralen Platz vor der Poliklinik ein neuer, „verbesserter“ Illič eingeweiht. 1955 wurde als weitere „Jubiläums-Büste“ ein Denkmal für Ivan Franko am Anfang der nach ihm benannten Straße errichtet – kurz vor dessen 100.  Geburtstag. Diese Büste überstand zwar den Zusammenbruch der UdSSR, wurde aber im Sommer 2012 von Unbekannten entfernt. Ebenfalls in den 1970er-Jahren entstanden im Kurpark weitere Denkmäler, die eine bestimmte kulturelle Verwurzelung zum Ausdruck bringen sollten, darunter Bronzeskulpturen von den Nymphen Naftusja, Sofija, Marija und Juzja, die die örtlichen Mineralwasserquellen symbolisieren. Weitere Bronzeskulpturen, die literarische Figuren darstellen, wurden in der Nähe der marmornen Mickiewicz’-Büste platziert: Mavka und Lukaš, Helden eines Dramas von Lesja Ukraïnka, sowie eine legendäre Gestalt aus dem Werk Ivan Frankos. Ein Denkmal, das an den Großen Vaterländischen Krieg erinnert, durfte auch in Truskavec’ nicht fehlen. Doch verband man hier das historische Ereignis (wie auch in vielen anderen Städten der Westukraine) mit dem Gedenken an den „Goldenen September“ 1939, das heißt mit der sowjetischen „Befreiung“ der Westukraine. Ein in seiner Machart typischer Denkmalskomplex wurde 1969 am westlichen Stadtrand errichtet: Die vertikale Stele aus Soldatengesichtern in Basrelief-Technik hält der horizontalen „Wand der Erinnerung“ mit den Namen der Gefallenen und geschnitzten Basreliefs, die die ersehnte Befreiung darstellen, die Waage. Kurz vor der Erlangung der staatlichen Unabhängigkeit der Ukraine fanden die ideologischen Veränderungen im symbolischen Raum der Stadt in der Umbenennung von Straßen, in der Demontage sowjetischer Denkmäler und in der Wiedereröffnung der griechisch-katholischen Kirchen Ausdruck. Dieser Prozess begann in Truskavec’ – wie in ganz Galizien – in den Jahren 1988–1990. Im Jahr 1991 wurde in der Stadt ein neues Denkmal für Taras Ševčenko errichtet.13 Es fand seinen Platz vor dem Kulturpalast, der zu diesem Zeitpunkt ebenfalls den Namen des Nationaldichters trug (Abb. 4). Außerdem wurde an der Fassade des Palastes ein großes Mosaik zu mehreren Themen aus seinem Werk angebracht. Bereits 1990 war unweit des Eingangs zum Kulturpalast ein Denkmal in Form eines Mühlrades mit eingeschnitztem Kreuz aufgestellt worden, dessen Aufschrift die Entfernung zu den Dörfern Ševčenkove und Nahujevyči (dem Geburtsort Frankos) angibt. Das Mühlrad soll symbolisch die Raumkoordinaten zwischen Truskavec’ und den geistigen Zentren der Ukraine – den Geburtsorten der größten „Genies“ des Landes – ins Bewusstsein rufen. Damit existierten mit Eintreten 13 Vgl. Anm. 7.



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Abb. 4  Denkmal für Taras Ševčenko vor dem T.-Ševčenko-Kulturpalast, 1991, Bildhauer: R. Romanovyč.

der Unabhängigkeit in Truskavec’ bereits vier Denkmäler, die Ševčenko gewidmet waren: – die Büste Ševčenkos, die 1964 auf der Ševčenko-Straße zur 150-Jahrfeier errichtet worden war; – das Ševčenko-Denkmal vor dem T.-Ševčenko-Kulturpalast aus dem Jahr 1991; – das große Mosaik mit Motiven aus dem Werk Ševčenkos an der Fassade des Kulturpalastes; – das Mühlrad-Denkmal zu Ehren Ševčenkos und Frankos nahe dem Eingang des Kulturpalastes. Vergleicht man das Aussehen der Ševčenko-Denkmäler aus den Jahren 1964 und 1991, wird deutlich, dass der ältere Ševčenko ein romantisch-tragischer, alter Dichter ist, mit mürrischem, nachdenklichem Gesicht, üppigen, struppigen Brauen und Schnurrbart, mit anderen Worten: eine Visualisierung des Volksdichters, eines „revolutionären Sozialdemokraten“.14 Demgegenüber wirkt der Ševčenko von 1991 – vordem nach ihm benannten Kulturpalast sitzend – weitaus ruhiger, reservierter, ist ele14 Siehe auch den Eintrag zu Ševčenko in Grytsenko, Oleksandr: Heroї ta znamenytosti v ukraїns’kij kul’turi [Helden und bekannte Persönlichkeiten in der ukrainischen Kultur]. Kyїv 1999, 97–165.

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Abb. 5  Denkmal zur Ehre der Taufe der Ukraine-Rus’ vor 1000 Jahren, 1988, Bildhauer: Roman Petruk.

gant gekleidet, und – dies ist wohl das auffälligste Merkmal – er ist deutlich jünger. Eine solche Form der ikonografischen Darstellung entsprach dem damaligen Zeitgeist. In den letzten Jahren der Perestrojka manifestierte sich die nationale und religiöse „Wiedergeburt“ der Ukraine auch in Truskavec’. Die griechisch-katholische Kirche konnte endlich aus dem Untergrund heraustreten, und bereits zwei Jahre später, nach der Wahl einer neuen, demokratischen Regionalregierung, erhielt die Kirche in den westukrainischen Gebieten Hunderte Kirchengebäude zurück, unter anderem auch zwei in Truskavec’. 1988 wurde vor der griechisch-katholischen St.-Nikolai-Kirche, die nun wieder für Gläubige geöffnet war, ein Denkmal für die Taufe der UkraineRus’ errichtet. Es zeigt einen kleinen Kurgan, das heißt (Grab-)Hügel, auf dem die Muttergottes mit Kind zu sehen ist (Abb. 5). In den 1990er-Jahren wurden in Truskavec’ neben zahlreichen griechisch-katholischen Kirchen auch eine protestantische im modernen Stil und eine orthodoxe Kirche (Moskauer Patriarchat) im pseudobyzantinischen Stil erbaut. 1996 wurde die römisch-katholische Mariä-Himmelfahrt-Kirche von Anfang des 20. Jahrhunderts erneuert (Abb. 6). Zentral für das öffentliche religiöse Leben von Truskavec’ ist der Marienkult mit seinen Statuen der Jungfrau Maria, die in den Straßen, privaten Anwesen und sogar im Kurpark stehen. Die Figur der Muttergottes, die im Herbst 2010 auf der Hauptallee des Kurparkes ihren Platz fand, ist wohl das auffälligste Beispiel für den Einfluss religiöser Werte der Einwohner von Truskavec’ auf die „Stadt für Kurgäste“. Die Mut



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Abb. 6  Römisch-katholische Mariä-Himmelfahrt-Kirche, 1912/13, erneuert 1996.

tergottes wurde an jenem Ort errichtet, an dem bis zu Beginn des Zweiten Weltkrieges eine ähnliche Statue gestanden hatte. In der Zeit des Stillstands in der Sowjetärawurde auf diesem Hügel eine Skulptur mit den Helden Lukaš und Mavka aufgestellt, die 2010 aber um ein paar Meter versetzt wurde. Nicht nur darin zeigt sich die Schlüsselrolle, welche die Kirche(n), neben den wirtschaftlichen Faktoren, in der Umformung des symbolischen Raumes von Truskavec’ spielte(n). Nach 1991 wurde in Truskavec’ insbesondere die ukrainische griechischkatholische Kirche zu einem wichtigen Akteur im Stadtgeschehen. Der Platz vor der städtischen Hauptkirche St. Nikolai wurde im Verlauf der letzten Jahre zu einem zentralen Ort symbolischer Kodierung (Abb. 7). Hier entstand ein heterogenes Ensemble religiöser und erinnerungsrelevanter Denkmäler und Objekte, das neue Sinnzusammenhänge stiftet: Es wird an Christus und Tschernobyl erinnert, an die Jungfrau Maria und die Sič-Schützen der Ukrainisch-Galizischen Armee (UGA) sowie an Šeptyc’kyj15 und die Soldaten der UPA (Ukraïns’ka Povstans’ka Armija/Ukrainische Aufständische Armee). Es ist ein eilig zusammengestellter, aber dennoch schlüssiger Komplex von materiellen Zeugnissen, der die geistigen Werte und historischen Vorstellungen, die die regionale Identität und das historische Gedächtnis der heutigen, 15 Andrej Šeptyc’kyj (1865–1944) war 1901–1944 Metropolit von L’viv und Galizien (Haupt der griechisch-katholischen Kirche in der Westukraine) und eine bekannte religiöse und gesellschaftliche Autorität der Westukraine zu jener Zeit. Šeptyc’kyj stellte sich offen hinter den ukrainischen Kampf für politische Unabhängigkeit, verurteilte allerdings die terroristischen Aktivitäten der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN).

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Abb. 7  Kirchenprozession auf dem Platz neben der St.-Nikolai-Kirche: Vorn ist die Büste von Šeptyc’kyj zu sehen, rechts der alte Glockenturm mit den Mosaiken und dem Kreuz in Gedenken an die Sič-Schützen.

Truskavec’er Bewohner ausmachen, abbildet. Nach der Errichtung der Steinkirche St. Nikolai im Jahr 1884 war der Kirchenvorplatz zum Zentrum des ukrainischen dörflichen Truskavec’ geworden, denn hier, am Anfang der Stebnyc’ka-Straße, hatte das Gebäude der Gemeinderegierung und ihm gegenüber seit den 1930er-Jahren das prächtige konstruktivistische Gebäude der örtlichen „Prosvita“-Aufklärungsgesellschaft gestanden. Zu Sowjetzeiten war dieses „ukrainische“ Zentrum zerstört worden: Man schloss Kirche und „Prosvita“, und ab den 1970er-Jahren versperrte der große graue Kasten der neuen Poliklinik den Blick auf die Kirche. Schon Ende der 1980er-Jahre wurde in Galizien offen an jene Momente der Nationalgeschichte wie beispielsweise an den Kampf der Westukrainischen Volksrepublik (ZUNR) und der UPA erinnert. Diese erinnerungskulturellen und geschichtspolitischen Prozesse drückten sich auch in der Denkmallandschaft von Truskavec’ aus. Beispiels weise wurde neben der griechisch-katholischen St.-Nikolai-Kirche ein großes metallenes Kreuz im Gedenken an die Sič-Schützen der UGA aufgestellt. Hinzu kam die Errichtung von Denkmälern für historische Personen, die aus der Region stammten und die als Nationalhelden verehrt wurden – beispielsweise die jungen Terroristen



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Abb. 8  Stepan-Bandera-Denkmal auf der Ševčenko-Straße, 2010.

V.  Bilas und D. Danylyšyn der OUN. Sie waren im Jahr 1932 nach ihrer Verurteilung durch ein polnisches Gericht hingerichtet worden, weil sie an einem bewaffneten Überfall auf die Post in der Stadt Horodok teilgenommen hatten. Ein weiteres Ehrenmal wurde für einen aus Truskavec’ stammenden UPA-Kommandeur errichtet: R. Riznjak (Makomac’kyj). Das Gedenken an den Kampf von OUN und UPA führte schließlich zur Errichtung eines Denkmals für Stepan Bandera16 im Herbst 2010. Es steht im Zentrum von Truskavec’ auf dem kleinen Platz vor dem Kino „Zlata“ (ehemaliges Volkshaus) in der Ševčenko-Straße (Abb. 8). Die Errichtung der Denkmäler für Bandera und ebenso für den Metropoliten A. Šeptyc’kyj (auf dem Platz vor der St.-Nikolai-Kirche) fand während der Wahlkampagne für die Regionalwahlen im Herbst 2010 statt. Inoffiziellen 16 Stepan Bandera (1909–1959) war der Anführer eines radikalen Teils der OUN. Er organisierte in den Jahren 1932/1933 eine Serie von terroristischen Anschlägen und saß von 1933 bis 1939 in einem polnischen Gefängnis ein. 1940 regte er eine Teilung der OUN an, wurde zum Anführer der OUN-B (den sogenannten „Banderisten“). Nach der Besetzung L’vivs durch die Nazis im Juni 1941 initiierte er die Ausrufung der Unabhängigkeit der Ukraine und wurde kurz darauf von den Nazis verhaftet. 1941–1944 war er im KZ Sachsenhausen. Nach dem Krieg wurde er zum Anführer der OUN-B im Westen. Er wurde 1959 von einem KGB-Agenten in München ermordet.

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Informationen zufolge wurde das Šeptyc’kyj-Denkmal durch den früheren Bürgermeister von Truskavec’ initiiert und finanziert, das Bandera-Denkmal hingegen von seinem Hauptkonkurrenten aus der Opposition (die Bürgermeisterwahlen gewann der Oppositionskandidat). Unter den eher bescheiden wirkenden Truskavec’er Denkmälern, die in der Zeit seit der Unabhängigkeit errichtet wurden, sticht das Bandera-Denkmal hervor. Es ist relativ groß und erinnert an die Lenin-Denkmäler oder die Denkmäler für revolutionäre Führer der Sowjetzeit. Wir sehen eine Heroenstatue mit fliegendem Mantel auf einem hohen Granitsockel, an der Rückseite befindet sich eine Granit-Stele, die eine vom Wind bewegte Fahne symbolisieren soll. Die Stele hinter Bandera ist in der oberen Hälfte mit rötlich-braunem und in der unteren mit schwarzem Granit verkleidet, was eine Reminiszenz an die rot-schwarze Fahne der UPA sein soll. Im unteren Teil der Stele ist ein Zitat aus den „Zehn Geboten des ukrainischen Nationalisten“ eingraviert, deren Autor S. Lenkavs’kyj17 ist: „Du erlaubst niemandem, weder Ruhm noch Ehre deiner Nation zu beschmutzen. Zehn Gebote P. 2.“ Zwei Punkte sind bemerkenswert: Erstens wird der Text verkürzt mit „Zehn Gebote“ zitiert, sodass man an die bekannteren Zehn Gebote der Bibel denkt. Der Text von Lenkavs’kyj ist für diejenigen, die das Bandera-Denkmal errichteten, nicht weniger sakral als die biblischen Gebote. Zweitens wird nicht das bekanntere Zitat aus den „Zehn Geboten des ukrainischen Nationalisten“ wiedergegeben („Entweder Du errichtest den ukrainischen Staat, oder du stirbst im Kampf um ihn“), sondern eben dieses andere, das weitaus weniger mobilisierende Energie besitzt, dafür aber von einer größeren Intoleranz gekennzeichnet ist. Möglicherweise waren der Bildhauer oder die Initiatoren des Denkmals der Meinung, dass der ukrainische Staat schon errichtet sei und dass man zum nächsten Punkt auf der Tagesordnung übergehen könne – d. h., gegen jene zu kämpfen, die die Ehre des Staates und seinen Ruhm „beschmutzen“. Eine der ersten Handlungen der neu gewählten demokratischen Regierung in Truskavec’ war die Umbenennung der Straßen, die auf recht radikale Weise erfolgte. Von den sowjetischen Bezeichnungen ist heute kaum noch etwas übrig geblieben (außer natürlich den „ukrainischen“ Straßennamen Ševčenko, Chmel’nyc’kyj, Ukraïnka, Hohol’18 usw). Nur einige wenige Straßen erhielten ihre alten vorsowjetischen Namen zurück (Suchovolja-Straße, Quellenstraße usw.). Die Neubenennungen erfolgten vor allem zu Ehren ukrainischer Helden und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Bandera, Sahajdačnyj19, Mazepa20 und Hruševs’kyj21. 17 Stepan Lenkavs’kyj (1904–1977) war ein ukrainischer nationalistischer Aktivist und Journalist. Die „Zehn Gebote des ukrainischen Nationalisten“ schrieb er im Jahr 1929. 18 Mykola Hohol’/Nikolaj Gogol’ (1809–1852) war ein ukrainischer und russischer Schriftsteller. 19 Petro Sahajdačnyj (1570–1622) war ein Hetman der ukrainischen Kosaken. 20 Ivan Mazepa (1639–1709) war der am längsten amtierende Hetman der Ukraine (1687–1709). Er wechselte während des Schwedisch-Russischen Krieges 1708 die Seiten und schloss sich König Karl XII. von Schweden an. Beide wurden 1709 von den Russen in der Schlacht von Poltava besiegt. 21 Mychajlo Hruševs’kyj (1866–1934) war ein ukrainischer Historiker und politischer Führer. Er verfasste das monumentale Werk „Die Geschichte der Ukraine-Rus’“, war Vorsitzender des Ukrainischen Zentralrates in den Jahren 1917/1918. Im Jahre 1919 emigrierte er in den Westen, kehrte aber 1924



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Im Gegensatz zur Errichtung neuer Denkmäler und den Umbenennungen der Straßen tat sich in den 1990er-Jahren in der architektonischen Landschaft der Stadt wenig. Die in der Sowjetära geschaffene städtische und Kurort-Infrastruktur verfiel nach und nach. Die Anzahl der Kurgäste verringerte sich aus ökonomischen Gründen drastisch. Die Einführung der freien Marktwirtschaft fand in Truskavec’ noch am ehesten in der Entstehung privater Restaurants und zahlreicher Verkaufsstände für Kleinartikel Ausdruck. Die Privatisierung der Sanatorien – anstelle der staatlichen Kurortstrukturen entstanden die Aktiengesellschaft „Truskavec’kurort“ (Truskavec’ Kurort) und einige privatisierte Sanatorien – spiegelte sich weder im äußeren Erscheinungsbild noch im Inneren der Gebäude, ebenso wenig im Dienstleistungsstandard wider. Gleichwohl zeichnete sich schon Ende der 1990er-Jahre eine neue ökonomische Tendenz ab: die Erneuerung der alten Villen in Anlehnung an das ursprüngliche Aussehen und die Umwandlung dieser Gebäude in Hotels und Pensionen nicht durch private Geschäftsleute, sondern durch Traditionsunternehmen wie z. B. die Ukrainische Staatsbahn. Die Wiederherstellung der alten Villen im „Zakopane-Stil“ und der Bau von neuen drei- bis viergeschossigen Villen mit „karpatischen Architekturelementen“ fand verstärkt nach 2000 statt. Diese Rückkehr zu Architekturformen des beginnenden 20. Jahrhunderts wirkt mehr nach postsowjetischer Nostalgie, die das „Goldene Zeitalter“ Franz Josephs heraufbeschwört, und nicht wie eine bewusste Fortführung lokaler Bautraditionen. Kleinere Villen schossen in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden. Häufig wurden auch die alten, authentischen Villen abgerissen, und an ihrer Stelle entstanden moderne, zeitgenössische Bauten, die den alten entsprechend stilisiert wurden. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts veränderte sich das Verhältnis zwischen der „Stadt für Kurgäste“ und der „Stadt für Einwohner“ merklich zugunsten der lokalen Einwohnerschaft. Der gesamte symbolische Raum von Truskavec’ bildet heute sichtbar die regionale Identität, den Geschmack und die Erinnerungskultur der Truskavec’er Bürger ab: Er ist patriotischer (genauer gesagt nationalistischer), religiöser und gleichzeitig kommerzialisierter als früher, was für die Architektur bedeutet, dass sie eklektisch, bisweilen sogar kitschig ist. Die äußere Kommerzialisierung des städtischen Raumes ist eine Folge der wirtschaftlichen Entwicklung von Truskavec’ in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts und der regen Bautätigkeit dieser Zeit. Oftmals ist das ursprüngliche Aussehen der Gebäude verlorengegangen (Abb. 9 und 10). Die schwachen Proteste örtlicher Heimatkundler gegen die Veränderungen der historischen Bausubstanz bleiben gegen die Macht des Geldes, das die neu errichteten privaten Hotels einbringen sollen, wirkungslos. Versuche, das alte Truskavec’ mit seinen Villen wiedererstehen zu lassen, haben heute weniger einen kulturellen, denkmalschützerischen, als vielmehr einen kommerziellen Charakter, der mit der Schaffung von Marken arbeitet. in die Sowjetukraine zurück. 1929 wurde er kurzzeitig gefangen genommen und gezwungen, 1931 nach Moskau überzusiedeln. Nach seinem Tod 1934 wurden alle seine Werke in der Sowjetunion als „nationalistisch“ eingestuft und verboten.

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Abb. 9  Eine neue Villa, die an eine alte Hütte auf der Suchovolja-Straße „angeklebt“ wurde (Foto aus dem Jahr 2010).

Abb. 10  Gebäude der Truskavec’er „Prosvita“, 1936. Hier sieht man einen konstruktivistischen Bau, dessen ursprüngliches Aussehen durch zeitgenössische Veränderungen vernichtet wurde (Foto aus dem Jahr 2010).

In der Kurort-Infrastruktur von Truskavec’ überwiegt nun der „Kurort für Reiche“ mit seinen überdimensionierten „Elite-Sanatorien“, Hotels, Restaurants, Medizinzentren usw. Häufig tragen diese Einrichtungen ausländisch klingende Namen wie „ChateauGraal“, „Grand Hotel“, „Marriott Medical Centre“, „Med-Palace“. Einige von ihnen wurden mit ausländischem Kapital errichtet, zielen aber vor allem auf vermögende Gäste aus den GUS-Staaten ab. Abschließend soll analysiert werden, inwieweit sich eine kulturelle Identität der Bürger von Truskavec’ in den städtischen Raum eingeschrieben hat. Dies soll mittels bestimmter Faktoren und symbolischer Ressourcen, die m. E. für die Ausprägung von kulturellen Identitäten der Bewohner zentral sind, geschehen. Es ist anhand der vorangegangenen Ausführungen zu prüfen, ob – die traditionelle (vormoderne) ukrainische Kultur, vor allem das System der patriarchalen Werte und die entsprechende Alltagskultur, – das ukrainische sowjetische Kulturerbe,



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das gesamtsowjetische (russischsprachige) Kulturerbe, fremdsprachige kulturelle Einflüsse, vor allem die polnischen, die ukrainische nichtsowjetische Nationalkultur und politische Tradition, die religiöse, weltanschauliche und kulturelle Tradition sowie die örtliche (galizische) Alltagskultur22

Eingang in die Ausbildung einer regionalen kulturellen Identität der Einwohner von Truskavec’ gefunden haben. Welche Momente der zeitgenössischen kulturellen Identität und des städtischen Raumes von Truskavec’ sind zum Erbe der traditionellen ukrainischen Kultur zu zählen? Dies sind vor allem Erscheinungen, die aus dem gesamten System der vormodernen Volkskultur entweder auf die zeitgenössische Hochkultur oder die kommerzialisierte Massenkultur übertragen wurden. Tourismusunternehmen aus Truskavec’ bieten die Vorführung von Volksbräuchen für Touristen in einer kommerzialisierten Variante an. Ein weiteres Beispiel ist der karpatische, pseudo-volkstümliche Ursprung des architektonischen Stils vieler alter und neuer Villen, auch wenn dieser Ursprung, wie wir wissen, eigentlich polnisch und nicht ukrainisch ist. Zum ukrainischen sowjetischen Erbe: Wie bereits erwähnt, entledigte man sich in Truskavec’ – wie auch in ganz Galizien – schon ab 1990 dieses Erbes, indem Straßen umbenannt oder sowjetische Denkmäler vernichtet wurden. Gleichwohl ist bis heute etwas vom sowjetischen Erbe erhalten geblieben, beispielsweise die Denkmäler für Ševčenko, Franko und für die im Krieg Gefallenen (für die „Befreier“ des Jahres 1939). Auch gibt es weiterhin eine Handvoll sowjetischer Straßennamen zu Ehren von Schriftstellern und Künstlern, die zum ukrainischen sowjetischen Kulturkanon gehören. Weitaus bedeutender ist allerdings das sowjetische Erbe im Städtebau: Trotz des Baubooms zu Beginn des 21. Jahrhunderts lebt die Mehrheit der Einwohner weiterhin in den großen Wohnblöcken der Chruščëv- und Brežnev-Ära, was wiederum großen Einfluss auf das Alltagsleben hat, denn die Abhängigkeit von der zentralisierten Wasser- und Energieversorgung macht es unmöglich, den Wohnraum an Kurgäste zu vermieten. Die fremdsprachigen kulturellen Einflüsse, vor allem die polnischen, auf die Formierung der kulturellen Identität Galiziens habe ich an anderer Stelle „europäisch“ genannt,23 hier handelt es sich jedoch hauptsächlich um dezidiert polnische Einflüsse. Diese sind im städtischen Raum von Truskavec’ besonders stark, weil das gesamte historische Zentrum als polnischer nationaler Kurort geschaffen wurde. 22 Siehe hierzu auch Grytsenko, Oleksandr: Do problemy analizu transformaciї symvolyčnoho prostoru ta istoryčnoї pam’’jati v malych mistach Ukraїny. – VIII Kul’turolohični čytannja pam’’jati V. Podkopajeva „Nacional’no-kul’turnyj prostir Ukraїny XXI stolittja: stan i perspektyvy“. Zbirnyk materialiv Mižnarodnoї naukovo-praktyčnoї konferenciї [Zum Problem der Transformationsanalyse des symbolischen Raumes und historischen Gedächtnisses in den Kleinstädten der Ukraine – VIII. Kulturologische Lesungen im Gedenken an V. Podkopajev „National-kultureller Raum der Ukraine im 21. Jahrhundert: Zustand und Perspektiven“. Sammelband mit Materialien der Internationalen wissenschaftlich-praktischen Konferenz]. Kyїv 2010, 16–35. 23 Ebd., 21.

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Die Ausbildung einer galizischen kulturellen Identität bei den Einwohnern von Truskavec’ beruht auf dem Einfluss der nichtsowjetischen, ukrainischen Nationalgeschichte und Nationalkultur. Beispielhaft hierfür ist, dass die wichtigsten Straßen schon zu Beginn der 1990er-Jahre nach Sič-Schützen, UPA-Helden, Stepan Bandera usw. oder nach ukrainischen Personen des kulturellen Lebens aus der Sowjetzeit benannt wurden (Vasyl’ Stus,24 Volodymyr Ivasjuk25 und Vasyl’ Symonenko26, die von der Sowjetmacht nicht anerkannt und verfolgt waren). Jene Version der nationalen Geschichte, die ehemals eine alternative, nichtoffizielle Version darstellte, wurde nun zum Mainstream – zumindest in Galizien. Zum Einfluss der regionalen kulturellen Tradition ist zu sagen, dass bereits historische Arbeiten vorliegen, die der Frage der ethnischen Vielfalt und den interethnischen Kontakten im sogenannten „galizischen Dreieck“ von Ukrainern, Polen und Juden gewidmet sind.27 Die reale ethnokulturelle Vielfalt des alten Galizien, auch wenn sie in Wirklichkeit nicht unproblematisch gewesen ist, endete in den 1940er-Jahren tragisch. Und dennoch: Ein Teil des Erbes dieser Vielfalt hat sich in zahlreichen hybriden Erscheinungen der Populär-, Alltags- und sogar der Hochkultur erhalten (beispielsweise im Werk von Bruno Schulz).28 Ende der 1980er-Jahre kam es im Milieu der Lemberger Intelligenz zu einer Mini-Renaissance dieser hybriden Kultur, die häufig nicht als hybride, polyethnische, sondern als regionale, streng galizische Kultur angesehen wird. Die alten Villen des Stadtzentrums werden von den Einwohnern von Truskavec’ heute nicht als etwas Fremdes, sondern als etwas Eigenes wahrgenommen. Sowohl die Heimatkundler als auch die Unternehmer der Region sehen die Zeit von Rajmund Jarosz und das Erscheinungsbild des damaligen Kurortes als „unsere ruhmhafte Vergangenheit“, als eine „Goldene Ära“ in der Geschichte der Stadt. Ein Beispiel hierfür sind unter anderem Fotografien der historischen Truskavec’er Villen, die in den neuen Cafés als Dekorationselemente dienen. Aus dem Überblick über die Transformation des städtischen Raumes von Truskavec’, seiner Denkmäler und örtlichen Erinnerungskultur lassen sich verschiedene Schlüsse ziehen. Der städtische Raum von Truskavec’ wurde im 20. Jahrhundert aufgrund seiner Zugehörigkeit zu verschiedenen Staaten (Österreich-Ungarn, ZUNR, 24 Vasyl’ Stus (1938–1985) war ein ukrainischer Dichter und Dissident, der wegen seiner Aktivitäten mehrere Jahre in sowjetischen Gefängnissen verbrachte. Er starb in einem Arbeitslager. 25 Volodymyr Ivasjuk (1949–1979) war ein bekannter ukrainischer Komponist, von dem viele beliebte Lieder der 1970er-Jahre stammen. Er lebte und starb unter unklaren Umständen in L’viv – seine Beerdigung wurde zu einer großen patriotischen Demonstration. 26 Vasyl’ Symonenko (1935–1963) war ein ukrainischer Dichter, der an den demokratischen Bewegungen der 1960er-Jahre teilnahm; er verstarb jung, nachdem er von mutmaßlichen KGB-Agenten zusammengeschlagen worden war. 27 Pacholkiv, S.: Ukraїns’ko-jevrejs’ke spivžyttja v Halyčyni i konstrujuvannja nacional’noho [Ukrainisch-jüdisches Zusammenleben in Galizien und die Konstruktion des Nationalen]. In: Ukraїna. Procesy naciotvorennja. Hg. v. Andreas Kappeler. Kyїv 2011, 213–225. Siehe außerdem: Hertz, Aleksander: The Jews in Polish Culture. Evanston 1988; Redlich; Shimon: Together and Apart in Brzezany: Poles, Jews, and Ukrainians, 1919–1945. Bloomington-Indianapolis 2002. 28 Charčuk (wie Anm. 5).



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Zweite Reczpospolita, UdSSR, unabhängige Ukraine) zu einem besonderen Palimpsest mehrerer nationsbildender Projekte, die ihren Ausdruck in der Architektur, der Benennung der Straßen und der Errichtung von Denkmälern fanden. Die Übernahme durch eine neue Staatsmacht bedeutete in der Regel eine mehr oder weniger umfassende Überschreibung des vorhergehenden nationsbildenden Projektes durch neue Formen und Inhalte. Gleichwohl gelang es keiner Macht, die städtischen Zeugnisse ihrer Vorgänger vollständig zu vernichten. Der Kurort-Charakter von Truskavec’ zeigte sich ursprünglich deutlich in einer Teilung zwischen einer „Stadt für Kurgäste“ und einer „Stadt für Einwohner“, die jeweils eigene architektonische und soziokulturelle Besonderheiten aufwiesen. Erst in den letzten Jahren gibt es eine Tendenz zur Integration, vor allem aufgrund der Tatsache, dass seit der Unabhängigkeit die wirtschaftliche und administrative Kontrolle über die „Stadt für Kurgäste“ immer weiter in die Verantwortung der örtlichen Vertreter aus Politik und Wirtschaft übergeht. Des Weiteren ist im Vergleich zu den meisten Kleinstädten in der Zentral- und Ostukraine die De-Sowjetisierung des symbolischen Raumes in Truskavec’ umfassender und folgenreicher und seine Nationalisierung intensiver verlaufen. Dies zeigt sich insbesondere an der Zahl neu errichteter Denkmäler. Gründe hierfür sind der erinnerungskulturelle Konsens der Einwohner, aber auch die Ressourcen, die sich aus der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten zehn Jahre ergeben haben. Am aktivsten auf dem Feld der symbolischen Transformation sind also nicht nur die örtlichen Politiker, sondern auch die Unternehmer und die Kirche. Die tief greifenden Veränderungen sind möglich gewesen, weil es in Truskavec’ keine so offensichtliche Polarisierung in der Wahrnehmung der sowjetischen und nichtsowjetischen Vergangenheit gegeben hat, wie sie in der Zentral- und Ostukraine zu beobachten ist. Schließlich wird in den örtlichen historischen Narrativen und kollektiven Vorstellungen über die Vergangenheit von Truskavec’ besonders die „Goldene Ära“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit ihrem speziellen urbanen Ausdruck, dem Villenbau im „karpatischen Stil“, hervorgehoben. Dieser Stil ist heute zum Vorbild geworden; beim Bau neuer Villen versucht man ihn zu imitieren in dem Bestreben, die Stadt in die „Goldene Ära“ zurückzuführen. Gleichzeitig wird aber versucht, möglichst keine Erinnerung an die polnischen nationalen Elemente des alten Kurortes Truskawiec Zdrój aufkommen zu lassen, indem beispielsweise den restaurierten Villen neue Namen mit eindeutig nichtpolnischer Konnotation gegeben werden. Zum Beispiel wurde das ehemalige „Pogoń“ in „Waldlied“ umbenannt, das „Pod Matką Boską“ wurde zum „ParkHotel“ und das ehemalige „Jagusia“ erhielt den rätselhaften Namen „Nabi“. Es wäre völlig unproblematisch, bei der Benennung von Villen und Straßen auf Bezeichnungen aus der Vorkriegszeit zu verzichten, wenn diese Vermeidungstaktik nicht von einer viel gefährlicheren Tendenz begleitet werden würde – der Vernichtung authentischer Denkmäler zugunsten der Errichtung von neuen Denkmälern, die „auf alt“ stilisiert werden. Leider hat diese Praxis in vielen Regionen der Ukraine Verbreitung gefunden. Aus dem Ukrainischen übersetzt von Jenny Alwart

D i e Eri n n eru n g skultur de r Uk ra ine Nationale Diskurse und transnationale Verflechtungen am Beispiel von Taras Ševčenko

Jenny Alwart Die „drei Ukrainen“ Die Erinnerungskultur der Ukraine gilt als „geteilt“. Die Vorstellungen von Intellektuellen, Schriftstellern, Politikern, Wissenschaftlern und Journalisten über historische Personen und Ereignisse sind von dem Gegensatz einer „westlichen“ und einer „östlichen“ Ukraine geprägt. Diese komplementären Vergangenheitsdeutungen wurden von Mykola Rjabčuk mit den „zwei Ukrainen“ in ein Bild gebracht.1 Er führt sie auf die ehemalige Zugehörigkeit der heutigen westlichen Gebiete der Ukraine zur Habsburger Monarchie und zu Polen einerseits und der östlichen und zentralen Gebiete zum Russischen Reich andererseits zurück. Die Unterschiede zwischen diesen „zwei Ukrainen“ seien so ausgeprägt, dass man von „verschiedenen Welten“ sprechen müsse: „Jeder, der irgendwann mal im ‚fernen Osten‘ und im ‚fernen Westen‘ der Ukraine gewesen ist, zum Beispiel in Donezk und in Lemberg, wird zweifellos feststellen, daß es sich um verschiedene Länder, verschiedene Welten und verschiedene Kulturen handelt.“2

Rjabčuk weist gleichzeitig auf die Gefahr hin, dass die Unterschiede im Land zu der Schlussfolgerung verleiten würden, „eine Teilung der Ukraine sei unvermeidlich oder sogar wünschenswert“. Aber: „Das Paradoxe an dieser Schlußfolgerung ist [...], daß niemand überzeugend zu erklären vermag, wo der eine Teil endet und der andere beginnt und entlang welcher konkreten Linien die erwähnte Teilung vollzogen werden sollte.“3 Deshalb sind die „zwei Ukrainen“ nach Rjabčuk zwar geografisch bedingt, aber nicht in erster Linie geografisch zu verstehen. Sie stellen vielmehr zwei einander ausschließende „ideologische Projekte“ dar, wobei die eine Ukraine für Entwicklungen „zurück zur UdSSR“, die andere für eine „Rückkehr nach Europa“ steht.4 Während es auf der „Ebene der klar definierten und artikulierten ideologischen Projekte“ nur „zwei Ukrainen“ gebe, müsse auf der Ebene der alltäglichen Erfahrungen 1 Rjabčuk, Mykola: Dvi Ukraïny [Die zwei Ukrainen]. In: http://www.ji-magazine.lviv.ua/dyskusija/ arhiv/ryabchuk.htm (04. 05. 2012) (Originaltext erschien in: Krytyka 48 [2001] 10). 2 Ders.: Die reale und die imaginierte Ukraine. Essay. Übersetzt von Juri Durkot. Frankfurt am Main 2005, 12. 3 Ebd., 15. 4 Ders.: Die Ukraine: Ein Staat, zwei Länder? In: Transit 23 (2002), 172–188, hier 174 f.



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aber von unzähligen Ukrainen gesprochen werden.5 Die Ambivalenz im Land stehe zwar „der Konsolidierung der Nation zur Lösung vieler lebenswichtiger Aufgaben im Wege [...], paradoxerweise hat sie aber die Spaltung in ‚zwei Ukrainen‘ verhindert“.6 Rjabčuk sieht im Konflikt zwischen den „zwei Ukrainen“ als „eigentlichen Hauptpreis“ das Bestehen einer metaphorisch gemeinten „dritten Ukraine“.7 Sie ist „unartikuliert, undefiniert, undefinierbar und ambivalent, noch bis vor kurzem zur Rolle eines Objekts und nicht Subjekts im politischen Kampf verdammt – ein großes Schlachtfeld und gleichzeitig der Hauptpreis im Kampf zwischen den zwei anderen ‚Ukrainen‘, die geschichtlich als zwei einander ausschließende Projekte artikuliert und definiert wurden“.8

Von dieser „dritten Ukraine“ hängt die Zukunft der Ukraine in besonderem Maße ab. Rjabčuk hat schon früh auf die Gefahr hingewiesen, dass die „zwei Ukrainen“ zu wörtlich verstanden werden könnten. Dennoch ist genau dies eingetreten und spiegelt sich beispielsweise in der Berichterstattung der deutschen Medien wider.9 Die Vorstellung von den „zwei Ukrainen“ wurde und wird nicht nur intensiv in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen in der Ukraine selbst diskutiert, sondern dominiert auch die wissenschaftlichen Diskurse in Deutschland und Polen. Dabei wurde die „dritte Ukraine“ bisher weitgehend außer Acht gelassen; stattdessen wurden die konfligierenden Momente in der Erinnerungskultur der Ukraine untersucht, zum Beispiel an den Themen Zweiter Weltkrieg10, Holodomor11 und Stepan 5 6 7 8 9

Ders., Die reale und die imaginierte Ukraine (wie Anm. 2), 23. Ebd., 23. Ebd., 24. Ebd. Siehe beispielsweise Schuller, Konrad: Kulturgrenze auf Kiews Prachtstraße. Juschtschenko gegen Janukowitsch, Orange gegen Blau: Die Demonstrationen zeigen die Gräben in der ukrainischen Gesellschaft. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. 04. 2007, 5. Thomas Urban ist der Auffassung, dass die Ukraine „mental weiter völlig gespalten ist“: Urban, Thomas: Ein Platz in der Geschichte. Die Krise in Kiew zeigt eine historisch gespaltene Ukraine. In: Süddeutsche Zeitung, 13. 04. 2007, 12. 10 Jilge, Wilfried/Troebst, Stefan: Divided Historical Cultures? World War II and Historical Memory in Soviet an post-Soviet Ukraine. Introduction. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas N. F. 54 (2006) 1, 1 f.; Jilge, Wilfried: The Politics of History and the Second World War in Post-Communist Ukraine (1986/1991–2004/2005). In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas N. F. 54 (2006) 1, 50–81; Scherrer, Jutta: Ukraine. Konkurrierende Erinnerungen. In: Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen. Bd. 2. Hg. v. Monika Flacke. Mainz 2004, 719–736; Hrynevyč, Vladyslav: Gespaltene Erinnerung. Der Zweite Weltkrieg im ukrainischen Gedenken. In: Osteuropa 4–6 (2005), 88–102. 11 Kas’janov, Heorhij: Danse macabre. Holod 1932–1933 rokiv u polityci, masovij svidomosti ta istoriohrafiï (1980-ti – počatok 2000-ch) [Danse macabre. Der Hunger der Jahre 1932–1933 in der Politik, im Bewusstsein der Massen und in der Historiografie (1980er – Anfang der 2000er Jahre)]. Kyïv 2010. Jilge, Wilfried: Die „Große Hungersnot“ in Geschichte und Erinnerungskultur der Ukraine. Eine Einführung. In: Erinnerungsorte an den Holodomor 1932/33 in der Ukraine. Hg. v. Anna Kaminsky. Leipzig 2008, 11–24; Ders.: Holodomor und Nation. Der Hunger im ukrainischen Geschichtsbild. In: Osteuropa 12 (2004) (Themenheft: Vernichtung durch Hunger. Der Holodomor in der Ukraine und der UdSSR), 147–163.

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Bandera.12 Der vorliegende Beitrag knüpft demgegenüber an die Überlegungen Rjabčuks zur „dritten Ukraine“ an. Dies geschieht exemplarisch anhand der Auseinandersetzungen um den Nationaldichter Taras Ševčenko, dem herausragendsten Erinnerungsort in der Gegenwartskultur des Landes.

Erinnerungsort Ševčenko Taras Ševčenko (Abb. 1) ist eine außergewöhnliche Figur in der Erinnerungskultur der Ukraine,13 die Stefan Troebst als „zerrissen“14 bezeichnet hat. Er gilt als die positivste historische Persönlichkeit des Landes. Dies belegt u. a. eine repräsentative Umfrage des Instituts für Politik (Instytut polityky) in Kiew, die im September 2010 durchgeführt wurde. Insgesamt 97,7 % der Befragten gaben an, ihr Verhältnis zu Ševčenko sei „sehr positiv“ oder „positiv“.15 Gleichzeitig besteht über Ševčenkos herausgehobene Bedeutung Einigkeit – und zwar in allen Regionen des Landes. Dies unterscheidet ihn von anderen historischen Figuren und geschichtlichen Ereignissen, deren Bewertung oft stark differiert.16 Im Westen des Landes beschrieben derselben Umfrage zufolge 56 % ihr Verhältnis zu Stepan Bandera, dem Anführer der Organisation Ukrainischer Nationalisten (Orhanizacija Ukraïns’kych nacionalistiv, OUN), und 50 % zum Politiker Symon Petljura als positiv, wohingegen es im Osten der Ukraine nur 9 % und 11 % waren. Im Osten schätzten dafür 44 % der Befragten ihr Verhältnis zu Stalin als positiv ein, während es im Westen 7 % waren. Mit Ševčenko als zentraler Figur ist damit der bedeutendste Erinnerungsort der Ukraine explizit national gefasst. Ševčenko ist „einer der Ecksteine unseres nationalen Bauwerks“, so Ivan Dzjuba, Vertreter der 1960er-Generation (Šistdesjatnyky), Intellektueller, Wissenschaftler und ehemaliger Kulturminister der Ukraine.17 Er ist „Vater der Nation“18 und „geistige 12 Strasti za Banderoju. Statti ta eseї [Auseinandersetzungen um Bandera. Artikel und Essays]. Hg. v. Tarik Syril Amar, Ihor Balyns’kyj und Jaroslav Hrycak. Kyїv 22011. 13 Zu Ševčenko in Erinnerungskultur und Geschichtspolitik der Ukraine s. Alwart, Jenny: Mit Taras Ševčenko Staat machen. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in der Ukraine vor und nach 1991. Köln-Wien-Weimar 2012 (Visuelle Geschichtskultur 8). 14 Troebst, Stefan: „Was für ein Teppich?“ Postkommunistische Erinnerungskulturen in Ost(mittel)europa. In: Kommunismus im Museum. Formen der Auseinandersetzung in Deutschland und Ostmitteleuropa. Hg. v. Volkhard Knigge und Ulrich Mählert. Köln-Wien-Weimar 2005, 31–54, hier 47. 15 Siehe die Umfrage Stavlennja ukraïnciv do dijačiv kul’tury, istoryčnych ta polityčnych dijačiv (veresen’ 2010 roku) [Das Verhältnis der Ukrainer zu Kulturschaffenden, historischen und politischen Akteuren (September 2010)]. In: http://polityka.in.ua/info/456.htm (30. 09. 2010). 16 Ebd. 17 Dzjuba, Ivan: Taras Ševčenko. Žyttja i tvorčist’ [Taras Ševčenko. Leben und Werk]. Kyïv 2008, 6: „Vin – odyn iz narižnych kameniv našoï nacional’noï budovy.“ 18 Andruchovyč, Jurij: Shevchenko is ok. In: Ders.: Dyjavol chovajet’sja v syri. Vybrani sproby 1999–2005 rokiv. Vydannja 2-e, vypravlene. Kyïv 2007, 141–158, hier 147: „Ševčenko je duchovym bat’kom naciï, jedynym, nezrivnjannym i nedosjažnym“ [Ševčenko ist der geistige Vater der Nation (…), einzig, unvergleichlich und unerreichbar].



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Abb. 1  Taras Ševčenko. 1860, Fotografie.

Substanz der Nation“19. Ševčenkos Bedeutung betonen auch Intellektuelle der jüngeren Generation. So schreibt der Schriftsteller Andrij Bondar, Ševčenko sei für die Ukraine „ukrainischer Papst, König und Gottgesalbter“20 zugleich. Alle Ukrainer können sich auf Ševčenko einigen, ihn gleichermaßen als „groß anerkennen“.21 Und der Schriftsteller Jurij Andruchovyč formuliert lakonisch: „Ševčenko – unser Ein und Alles“.22 Was wissen wir über die historische Gestalt, die in der Ukraine eine so zentrale Rolle spielt, in Deutschland hingegen wenig bekannt ist? Taras Ševčenko wurde am 9.  März 1814 in Morynci in der Nähe von Kyïv als Sohn eines Leibeigenen geboren. 1831 folgte er seinem Besitzer Enhel’hardt nach St. Petersburg, wo er 1838 von Mitgliedern der Akademie der Künste freigekauft wurde. Bis 1845 studierte er Malerei und wurde für seine herausragenden künstlerischen Fähigkeiten ausgezeichnet. Eines seiner bekanntesten Bilder ist ein Selbstporträt aus jungen Jahren (Taf. 1). 1840 erschien erstmals seine Gedichtsammlung „Kobzar“, mit der er bekannt wurde. Sie 19 Dzjuba, Ivan/Žulyns’kyj, Mykola: Na vičnomu šljachu do Ševčenka [Auf dem ewigen Weg zu Ševčenko]. In: Ševčenko, Taras: Povne zibrannja tvoriv u 12-y tt., t. 1: Poezija 1837–1847. Kyïv 2001, 9–66, hier 57: „duchovna substancija naciï“. S. ebenso Žulyns’kyj, Mykola: Ševčenko i sučasna duchovna sytuacija [Ševčenko und die zeitgenössische geistige Situation]. In: Ostannim šljachom Kobzarja. Hg. v. Mykola Novyc’kyj. Kyïv 1994, 238–243, hier 238. 20 Bondar, Andrij: Ščo ukraïncevi dobre [Was ist gut für den Ukrainer]? In: Novynar, 26. 11.– 02. 12. 2007, 47: „Tak uže sklalosja, ščo Taras Hryhorovyč – naš ukraïns’kyj papa, korol’ i božyj pomazanyk“. 21 Ebd.: „joho [Ševčenka – J. A.] vyznajut’ velykym usi bez vynjatku. I polityčni ukraïnci, i malorosy, i chochly, i navit’ p’’jata kolona“. 22 Andruchovyč (wie Anm. 18), 147: „Ševčenko – naše vse“.

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gilt bis heute als Ševčenkos wichtigstes Werk und war von zentraler Bedeutung für die Entwicklung der ukrainischen Sprache und der modernen ukrainischen Literatur. Die Gedichte wurden als „Neues Testament des ukrainischen Volkes“23 und als „Heimatland im übertragenen Sinne“24 bezeichnet. Ševčenko gehörte der geheimen Kyrill- und Method-Bruderschaft an, wurde denunziert, 1847 verhaftet und zunächst in die Orsker Festung in Orenburg, dann in die Festung Novopetrovskoe am Kaspischen Meer verbannt. Er starb am 10. März 1861 in St. Petersburg, wo er zunächst auch beerdigt wurde. Sein Leichnam wurde jedoch zwei Monate später nach Kaniv, südlich von Kyïv gelegen, überführt und dort endgültig beigesetzt. Bis heute erfolgt eine intensive literarische, künstlerische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Dichter und Maler des 19. Jahrhunderts. Außerdem wird er politisch instrumentalisiert, insbesondere während der jährlich stattfindenden Feierlichkeiten zu seinem Todes- und Geburtstag im März und am Tag der Umbettung am 22. Mai. Auch im öffentlichen Raum ist er überaus präsent: Nach Ševčenko sind Straßen, Stadtteile, die größte Universität des Landes, Kultureinrichtungen und Parks benannt. In der Ukraine gibt es unzählige Denkmäler und über hundert ŠevčenkoMuseen. Schließlich wird jährlich der Taras-Ševčenko-Nationalpreis der Ukraine als höchste Auszeichnung im Kulturbereich durch den Präsidenten verliehen25 – ein Ereignis, das in den letzten Jahren mit zahlreichen Streitigkeiten verbunden gewesen ist.

Bildkünstlerische und literarische Positionen zu Ševčenko als Beispiel für die erinnerungskulturellen Auseinandersetzungen Betrachtet man Ševčenko als lieu de mémoire, als Erinnerungsort im metaphorischen Sinne, in dem sich „das Gedächtnis der Nation [...] in besonderem Maße kondensiert, verkörpert oder kristallisiert hat“26, dann liegt das Interesse auf Vorgängen in der zeitgenössischen Kultur der Ukraine, auf Bezügen, Auseinandersetzungen und geschichtspolitischen Indienstnahmen der historischen Gestalt für aktuelle Positionierungen. Sie werden einerseits in literarischen und künstlerischen Werken verarbeitet und dienen andererseits als Speicher für Vorstellungen, auf die immer wieder zurück23 Pavlyčko, Dmytro: Novyj zavit ukraïns’koho narodu [Neues Testament des ukrainischen Volkes]. In: Ševčenko, Taras: Kobzar. Kyïv 1990, 5–8. 24 Dzjuba, Ivan: Ševčenko voviky nasuščnyj [Ševčenko für immer]. In: Ders.: Taras Ševčenko. Žyttja i tvorčist’. Kyïv 2008, 686–697, hier 697: „Takoju ‚perenosnoju vitčyznoju‘ dlja ukraïnciv, kudy b ïch ne zakynula dolja, buv ‚Kobzar‘ Ševčenka. I navit’ u sebe vdoma, na ‚našij, ne svoïj zemli‘, vin davav i daje počuttja vitčyzni“ [Solch ein ‚übertragenes Heimatland‘ war für die Ukrainer, wohin sie das Schicksal auch führte, der ‚Kobzar‘ Ševčenkos. Und sogar bei sich zu Hause, auf ‚unserer, wenngleich nicht der eigenen Erde‘, gab und gibt er das Gefühl des Vaterlandes]. 25 Siehe z. B. Vystup Prezydenta Ukraïny na ceremoniï vručennja Nacional’noï premiï imeni Tarasa Ševčenka v Kanevi [Auftritt des ukrainischen Präsidenten bei der feierlichen Übergabe des TarasŠevčenko-Nationalpreises in Kaniv]. In: http://www.president.gov.ua/news/23298.html vom 09. 03. 2012 (29. 03. 2012). 26 Nora, Pierre: Zwischen Geschichte und Gedächtnis. Frankfurt am Main 1998, 7.



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Abb. 2  Natal’ja Blok, Maks Afanas’jev: Anton Kušnir, Direktor einer Werbeagentur, mit den Attributen von Taras Ševčenko.

gegriffen werden kann. So bilden die Künste ein Fundament der Kontinuität und sind gleichzeitig der Ort, an dem Brüche, d. h. beispielsweise Neudeutungen, offensichtlich werden. Das Thema Ševčenko als „Vater der Nation“ wurde und wird in den Künsten häufig verarbeitet. Die Vatergestalt Ševčenko wird nach 1991 aber nicht nur in einer Kontinuität, die mit dem Pathos der Sowjetzeit verbunden ist, weitererzählt bzw. -gestaltet, sondern auch ironisiert und unterwandert. Ein Beispiel hierfür ist ein Kunstwerk, das 2008 auf dem Hohol’fest (Gogol’fest) gezeigt wurde, der größten Veranstaltung für Gegenwartskunst in der Ukraine. Das Werk heißt „Henoličyl’nyk“ (Genzähler) und besteht aus einer Zeichnung und zehn großformatigen Fotos (beispielhaft s. hier Abb.  2). Die Zeichnung stellt den Entwurf eines Apparates dar. Die Konstruktion soll, nachdem man 50 Kopeken hineingeworfen und die Hand aufgelegt hat, messen, ob man das „Gen nationaler Identität“ besitzt. Das Vorhandensein beziehungsweise Nichtvorhandensein wird über die Anzeigen Y (steht für yes) und N (no) bekannt gegeben. Auf den Fotos, die den zweiten Teil des Werks ausmachen, sieht man Porträts von Männern, Frauen und Kindern, die alle den gleichen üppigen Schnauzbart und eine Perücke mit Haarkranz und Glatze tragen. Bart und Perücke sind deutlich als aufgeklebt beziehungsweise aufgesetzt erkenn- und damit als Maske wahrnehmbar. Die Porträtierten imitieren die historischen Aufnahmen von Ševčenko (vgl. Abb. 1). Sie geben sich so als Nachfahren von „Vater Taras“ aus. Das heißt, sie haben seine Gene geerbt, ein ihm ähnliches Aussehen ausgeprägt und damit den Gen-Test zur nationalen Identität bestanden. Dieses Werk konterkariert überkommene Vorstellungen, nach denen eine Nation eine Gemeinschaft von biologisch miteinander verwandten Menschen ist – der nationale Erinnerungsort Ševčenko wird zum Gegenstand experimentierender und dekonstruierender Eingriffe.

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Abb. 3  Bohdan Musijevs’kyj: Taras Ševčenko. 2005, Lithografie, 41,5 x 41,5 cm.

Als Beispiel für die Kontinuität von Ševčenko-Darstellungen in der Tradition der Sowjetzeit, die insbesondere mit dem berühmten sowjetukrainischen Künstler und Grafiker Vasyl’ Kasijan (1896–1976) verbunden ist, steht eine Grafik des L’viver Künstlers Bohdan Musijevs’kyj aus dem Jahr 2005. Sie macht deutlich, wie sehr sich Darstellungen von Ševčenko auch heute noch auf die Kunst der Sowjetzeit – insbesondere der 1960er-Jahre – beziehen (Abb. 3, 4). Auch die literarischen und essayistischen Beschäftigungen weisen einen produktiven Umgang mit dem tradierten Ševčenko-Bild auf. Rjabčuk hat beispielsweise zwei Essays zu Ševčenko geschrieben, die er „Naši kumyry“ (Unsere Götzen)27 und „Dyktator Ševčenko“ (Diktator Ševčenko)28 genannt hat. In beiden dekonstruiert er die Leitfigur Ševčenko. In dem Text „Naši kumyry“ schildert er den Versuch von drei Generationen – Großmutter, Kind, Enkelkind –, einen ganz persönlichen Zugang zur historischen Gestalt zu finden. Hinter Rjabčuks Text steht die Frage: Was kann Ševčenko mir heute sagen, welche Beziehung kann ich nun, da die geschichtspolitisch verordnete, einheitliche, verpflichtend-verehrende Haltung der Sowjetzeit weggefallen ist, im privaten Raum zu ihm aufbauen? Rjabčuk zeigt, dass es von der jeweiligen 27 Rjabčuk, Mykola: Naši kumyry [Unsere Götzen]. In: Žežera, Vitalij u. a.: Avtors’ka kolonka. Zbirka eseïv. Kyïv 2007, 205 (zit. n. Hazeta po-ukraïns’ky, 25. 06. 2007). 28 Ders.: Dyktator Ševčenko [Diktator Ševčenko]. In: Žežera, Vitalij u. a.: Avtors’ka kolonka. Zbirka eseïv. Kyïv 2007, 194 (zit. n. Hazeta po-ukraïns’kyj, 05. 03. 2007). Siehe auch die OnlineVersion: Ders.: Dyktator Ševčenko. In: http://www.gpu.ua/index.php?&id=152430&rid=59. Hazeta po-ukraïns’kyj 321/5. 3. 2007 (11. 06. 2007).



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Abb. 4  Vasyl’ Kasijan: T. H. Ševčenko (1861– 1961). 1961, ohne Angaben zu Technik, Größe, Aufbewahrungs- ort.

Generation abhängt, wie intensiv und aktiv der Einzelne sich persönlich mit dem Dichter beschäftigt. Die Großmutter ist noch stark von der sowjetischen Propaganda geprägt und spricht in gängigen Phrasen wie: „Ševčenko ist ein Genie.“ Und: „Seine Werke sind in alle Sprachen der Welt übersetzt!“29 Die nächste Generation zeigt kein Interesse. Sie hat eine ganz andere Ikone – den Popmusiker Elton John. Der Enkel wiederum verweigert sich gänzlich der Verehrung irgendeines Idols und reagiert bei diesem Thema gereizt gegenüber Eltern und Großeltern. Der Roman „Dobryj angel smerti“ (Der gute Todesengel)30 des Russisch schreibenden Autors Andrej Kurkov spielt im Jahr 1997 und schildert die abenteuerliche 29 Rjabčuk, Naši kumyry (wie Anm. 27), 205: Joho tvory perekladeni vsima movamy svitu! 30 Kurkov, Andrej: Dobryj angel smerti [Der gute Todesengel]. Moskva-Char’kov 2000 (Detektivnaja serija Kobra); Ders.: Dobryj angel smerti [Der gute Todesengel]. Kiev 2000 (Soldaty fortuny). Ders.:

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und fantastische Suche des Icherzählers Kolja Sotnikov nach dem Geist Ševčenkos in der kasachischen Wüste. Es geht um eine verrückte und unterhaltsame Reise von russisch- und ukrainischsprachigen Ukrainern an den Ort von Ševčenkos Verbannung. Alle Protagonisten des Romans bemühen sich darum, sterbliche Überreste des Nationalhelden aus dem kasachischen Fort Ševčenko in die Ukraine zurückzubringen. Anfangs konkurrieren die Reisenden miteinander. Sie versuchen sich gegenseitig zu zeigen, wer ein „echter“ Ukrainer und wer „Russe“ sei. Am Ende erweist sich die Figur Ševčenko als verbindende Gestalt, als ein Magnet, der alle Ukrainer, egal ob russisch- oder ukrainischsprachig, gleichermaßen anzieht und zusammenbringt. Dies geschieht durch seinen „Geist“, der aber nicht etwa ein erhabener Geist ist, sondern sich durch den Geruch von Zimt zu erkennen gibt. Die zeitgenössischen Darstellungen von Ševčenko fallen somit sehr unterschiedlich aus. Meist – aber nicht immer – stellen sie einen Bruch mit der sowjetischen Tradition dar, in der das Ševčenko-Bild der Reglementierung durch staatliche Institutionen unterlag und verbindlich war.31 Jurij Andruchovyč hat in seinem Essay „Shevchenko is ok“ insgesamt sechs verschiedene Ševčenko-Bilder ausgemacht, die im 20. Jahrhundert dominierten: „Ševčenko, der Kommunist“ (Ševčenko komunistyčnyj), „Ševčenko, der Nationalist“ (Ševčenko nacionalistyčnyj), „Ševčenko, der Christ“ (Ševčenko chrystyjans’kyj), „Ševčenko, der Atheist“ (Ševčenko ateïstyčnyj), „Ševčenko, der Dissident“ (Ševčenko dysydents’kyj) und „Ševčenko, der Anarchist“ (Ševčenko anarchičnyj). Diese Einteilung macht deutlich, dass es nach 1991 nicht mehr darum ging, „wahre“ Ševčenko-Versionen zu (re-)produzieren. Andruchovyč betont die Gemachtheit und damit die Pluralität von Ševčenko-Vorstellungen.

Transnationalität und die Erinnerungskultur der Ukraine Der Erinnerungsort Ševčenko besitzt eine verbindende und integrierende Wirkung, weil er bereits in der Sowjetunion eine ausgeprägte Verehrungsgeschichte hatte. Schon früh zählte er zu den „kommunistischen Heiligen“32, und von Anfang an wurde sein gesamtsowjetischer Charakter33 betont. Die Ševčenko-Verehrung war über viele Jahrzehnte von den höchsten Instanzen des Parteiapparates angeordnet, minutiös geLahidnyj janhol smerti [Der sanfte Todesengel]. Übersetzt von Vita Levyc’ka. Kyïv 2009 (Fijesta. Tajemnyci rozrytych mohyl). Auf Deutsch erschienen als Kurkow, Andrej: Petrowitsch. Übersetzt von Christa Vogel. Zürich 2002. 31 Siehe beispielsweise die Erlasse zu den Ševčenko-Jubiläen in den 1960er-Jahren: Alwart (wie Anm. 13), 164–169. 32 Hrycak, Jaroslav: Pam’’jat’ [Gedächtnis]. In: Ders.: Žyttja, smert’ ta inši nepryjemnosti. Kyïv 2008, 64–78, hier 69. 33 Grytsenko, Oleksandr: „Svoja mudrist’“. Nacional’ni mifolohiï ta „hromadjans’ka relihija“ v Ukraïni. Dodatok do „Narysiv ukraïns’koï populjarnoï kul’tury“ [„Die eigene Weisheit“. Nationale Mythologien und „Zivilreligion“ in der Ukraine. Ergänzung zu den „Skizzen der ukrainischen Populärkultur“]. Kyïv 1998, 154.



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plant und umfassend gefördert worden. Nach 1991 galt Ševčenko aber nicht länger als „revolutionärer Sozialdemokrat“. Das monolithische und staatlich verordnete Bild wurde stattdessen von einer Vielfalt von Vorstellungen abgelöst. Das Heldenbild der Sowjetzeit bildete aber weiterhin einen festen Bezugspunkt für die verschiedenen neuen Entwürfe. Ein weiterer Grund für die besonders vereinigende Rolle Ševčenkos in der Erinnerungskultur der Ukraine besteht darin, dass mit zunehmendem historischen Abstand zu einer Person in den unterschiedlichen Regionen der Ukraine eine größere Einigkeit über den Erinnerungsort entstehen kann.34 So wurde der Dichter, der im Russischen Reich lebte und aus einem Gebiet stammte, das heute zur Zentralukraine gehört, schon zu Lebzeiten auch in der habsburgischen Westukraine zu einer herausragenden historischen Gestalt und zu einem Teil der Tradition. Die überregional zusammenführende Wirkung des Erinnerungsortes Ševčenko ist dadurch zu erklären, dass zum einen in der Zentral- und Ostukraine eine geografisch bedingte Verbindung zu dem aus der Zentralukraine stammenden Ševčenko besteht und dass man sich zum anderen in der Westukraine – in der diese geografische Verbindung nicht besteht  – mit der Idee von Ševčenko als einem der wichtigsten Träger ukrainischer Identität identifizieren kann. Ševčenko ist damit einer der wenigen gesamtukrainischen Erinnerungsorte, der sowohl fest mit dem Russischen Reich verbunden ist als auch in der heutigen Westukraine vollständig in Narrative der „eigenen“ Geschichte integriert werden kann. Der Erinnerungsort Ševčenko hat verbindende Wirkung, weil er – Rjabčuks „dritte Ukraine“ weitergedacht – die unterschiedlichen, ambivalenten und bisweilen gegensätzlichen Vorstellungen über die Entwicklungen des Landes, die in den „zwei Ukrainen“ pointiert zusammengefasst wurden, einzufangen vermag. Die Entwürfe über Ševčenko stellen damit eine Ressource und zugleich Projektionsfläche für Auseinandersetzungen sowohl über Traditionen als auch mögliche zukünftige Wege der Ukraine mitsamt ihren transnationalen Verflechtungen dar. Gerade Literatur und Künste sind ein produktiver, beweglicher und pluraler Bereich der erinnerungskulturellen Debatten. In der Beschäftigung mit der Erinnerungskultur der Ukraine sollten deshalb nicht länger nur die „zwei Ukrainen“ im Vordergrund stehen. Wenn die „dritte Ukraine“ für die Untersuchungen von Vergangenheitsentwürfen produktiv gemacht wird, erlangen auch die verbindenden historischen Ereignisse und Gestalten der Ukraine die ihnen zustehende Bedeutung in den Debatten um die Vergangenheit. Taras Ševčenko als wichtigste historische Gestalt in der Ukraine wird derzeit weiter als explizit nationaler Erinnerungsort ausgestaltet und für die Präsentation und Diskussion von Identitätsvorstellungen genutzt. Damit ist die Erinnerungskultur der Ukraine – zumindest von ihrem herausragenden lieu de mémoire aus betrachtet – weiterhin in besonderem Maße auf sich selbst bezogen. Möglicherweise werden die groß angelegten Feierlichkeiten für das Jahr 2014, in dem Ševčenkos 200. Geburtsjahr be34 Hrycak (wie Anm. 32), 69.

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gangen wird, zum Anlass genommen, die bestehenden transnationalen Schnittstellen zu den Erinnerungskulturen der Nachbarländer – die bisher vor allem mit Themen wie dem Zweiten Weltkrieg verbunden waren – zu verstärken und als Ort des Austausches wahrzunehmen.

C ommemorat i on s and Me morie s of Poz n ań Ju ne 1956 Izabella Main “Poznań June 1956” – the event, its commemorations and memories – are analysed in this essay. This strange name for a historical event – “Poznań June 1956” – is the most neutral of terms, which reflects a long-standing debate over the naming of the event that occurred in Poznań in June 1956. In recent Polish publications, this event has been called “Poznań June”, yet in publications in English it has been referred to as “the Poznań uprising” or “the Poznań protests”. Historians and commentators have suggested that Communist authorities called it “the Poznań incidents” in an effort to downplay its significance. Starting in the 1980s it became permissible to conduct and publish research on Poznań June, and a number of other designations appeared: “revolution”, “uprising”, “protests”, “armed struggle”. The problem with naming results not only from Communist efforts to sweep the event under the rug, but also from its complex nature. It combined workers’ protests and economic and social demands with political and symbolic demands. Although the movement was ultimately suppressed, it was nevertheless seen as an important step leading to the October changes,1 which were generally assessed positively, especially at the beginning. Many volumes have been written about Poznań June, but its commemorations and the memory of it have not been thoroughly analysed. I argue that the many diverse institutionalised and private commemorations and memories of Poznań June are highly contested and used for purposes unrelated to June 1956. Today’s memories are the product of decades of enforced silence and neglect under the Communist regime, and the awakening of memories in 1981 when the NSZZ Solidarność (the Independent Self-Governing Trade Union “Solidarność”) was created and demanded a commemoration for the victims of June 1956. Since 1981 Poznań June 1956 has been very visibly inscribed in Poznań public space in the form of a large monument composed of crosses located in one of the city’s main squares. After 1989, veterans of June 1956 could and did legally organise themselves and became openly active in commemorating the event. But it was not until the 50th anniversary in 2006 that social interest and participation in commemorative events became widespread. After the 50th anniversary the Museum of Poznań June was opened, which serves as an exhibition centre and a space for meetings, research and educational events for a variety of groups. 1 The October changes, also known as October 1956, Gomułka’s thaw and the Polish thaw, were changes in Polish politics in late 1956 that came about as a result of the deaths of Joseph Stalin and Polish leader Bolesław Bierut, the taking of power by the reformist party faction led by Władysław Gomułka, and social unrest after Poznań June 1956. The main changes included the temporary liberalisation of life in Poland and greater autonomy for the Polish government vis-à-vis the Soviet Union.

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In order to discuss the issues of commemoration and memories of June 1956, I shall first briefly describe the event itself. Then I will discuss how the Communist regime silenced it and persecuted its participants, forcing the memory of the events to remain underground. Permission to construct the Poznań June Monument in 1981, along with public commemorations of the victims at the monument and the publication of related books and articles, marked a turning point in the public perception and expression of the event. The situation again changed in the 1980s when new meanings were attributed to the monument, and after 1989, when new places and occasions to commemorate the event were created. The 50th anniversary – another important turning point − is described and, finally, the memories of veterans and several Poznań families are presented and briefly analysed. This chapter is based on existing literature and interviews with veterans of Poznań June, a number of families that have been central to the events, and “engaged individuals” (teachers of history, museum staff). Due to the complexity of issues of commemoration and memory, the analysis can explore only some themes; by no means does this represent an exhaustive analysis of all issues related to Poznań June 1956.

The event, its consequences and official interpretations In June 1956 Poznań workers took to the streets to protest recent changes in the rules used to calculate salaries and to demand better working conditions. Letters and petitions sent to the Ministry of General Machine Works had been ignored for months, until finally a delegation went to Warsaw on 23 June and elicited some promises from the authorities. These were, however withdrawn by the minister on the morning of 28 June, which stirred the workers to action. A list of demands included, among others, better management and organisation of work, fair calculation of wages and taxes, a reduction in food prices, protective clothing and accident insurance – for the most part, very basic rights. A strike started at the Stalin Factory (known as the Cegielski Factory in pre-communist times and after October 1956), and around 80 per cent of the workers marched towards the city centre. They were joined by workers from other Poznań factories. The crowd swelled to 100,000 people, and an enormous demonstration took place in Stalin Square, next to the Imperial Castle2. Sometime after 10 o’clock in the morning what had started out as a peaceful gathering turned into a violent uprising. The crowds stormed the prison at Młyńska Street and freed prisoners. Next, the arms depot at the prison was seized and the arms were distributed among the protesters. People then attacked the office of the PZPR (the Polish United Workers’ Party) and the local office of the security services (the Polish secret police) in Kochanowskiego Street, the district courthouse, the prosecutor’s office, the social security office in Dąbrowskiego 2 The castle is an imperial residence built in the early twentieth century, when Poznań was a part of the German Empire.



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Street (where a radio jamming station was located3) and several police stations on the city’s outskirts. There was also looting in the city. During the day approximately 10,000 armoured troops entered the city and surrounded it. Many people were killed or wounded in the course of the unrest. The official list of victims includes 57 people killed and more than 500 wounded, although the exact figures are still a matter of debate. Most of the victims died on 28 June, which has come to be called Black Thursday. The majority of them were very young (around 20 years old), with the youngest victim being a 13-year-old schoolboy named Romek Strzałkowski. The last sporadic shots were fired on 30 June, on which day the troops started to withdraw. Police started arresting people as early as the first day. By 8 August 746 people had been detained, according to documents from the security services. After a few weeks of brutal interrogation, the first trials began. The main objective of the investigations about Poznań June was to prove the regime’s assertion that the events had been a provocation planned, prepared and carried out by the American and West German secret services and by reactionary underground elements. However, the investigations failed to prove any imperialist provocation; all findings confirmed the spontaneous and impulsive nature of the events. Judgments were passed down in October. Some of the accused received prison sentences ranging from two to six years, others were found not guilty and were released. These relatively lenient sentences were considered a success by the defence attorneys, who managed to have the charges reduced to less serious crimes. The presence of representatives of international mass media organisations also played a role.4 With the whole world watching, Poznań lawyers had the possibility of providing genuine defence for their clients. Many expert sociologists’ and psychiatrists’ opinions were cited, and arguments derived from crowd psychology were used. It was proven that the first tragic shots that triggered the outburst of violence were fired by the security services. However, after the trials the lawyers were harshly repressed. The most wellknown defender, Stanisław Hejmowski, was accused of bribery, deprived of the right to work as a lawyer, and went bankrupt after additional taxes were imposed on him.5 The initial statements by the authorities were quite extreme: on 29 June Prime Minister Józef Cyrankiewicz arrived in Poznań and infamously declared on local radio that “any provocateur or lunatic who raises his hand against the people’s government may be sure that his hand will be chopped off”. Other official interpretations were gradually introduced, first acknowledging errors on the part of the authorities as well as on the part of the workers, then focusing on the criminal acts that occurred during the uprising (avoiding other issues such as the reasons behind the uprising), and finally – in October 1956 – the interpretation that has become known as “the 3 In the 1950s more than 250 radio jamming stations were placed in Poland in order to jam Western radio signals. 4 Poznań June 1956 happened during the International Trade Fair, thus Western journalists were able to observe and write about it. 5 See www.poznan.pl/mim/public/czerwiec56 (26. 06. 2013).

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lesson of Poznań”.6 In October 1956 Władysław Gomułka, who had just been named first secretary of the Communist Party, was somewhat sympathetic to the cause, noting that “the workers who started strikes and demonstrated in the streets were saying: ‘Enough!’”. Yet less than a year later Gomułka, during a visit to Poznań in June 1957, compared the Poznań June to “a family tragedy”; he called for a “curtain of silence” (like in a family) and appealed to people to put it behind them and work towards a new life.7 As a result, Poznań June was silenced, but those who participated in it nevertheless continued to be harassed.

The silencing of Poznań June After 1956 Poznań June was almost completely erased from the public memory of Poles. The archives were closed to historians, and the censorship office blocked any related scholarly publications, articles in the mass media, and mention of the event in textbooks. Many materials were destroyed on purpose, other were lost due to lack of attention. The first book about Poznań June was published in the West in 1971 by Ewa Wacowska. She was in Poznań during Poznań June as a journalist for “Sztandar Młodych” (The Banner of Youth), a Polish newspaper. In 1961 Zbigniew Brzeziński, in his book “The Soviet Bloc”, referred to Poznań June as a “workers’ uprising”, and provided few details beyond that.8 Brzeziński focused on the Polish October and devoted just a sentence to Poznań June: “The late June workers’ uprising, suppressed only through the use of the army, signaled that the ferment had reached the working classes, smarting under oppressive labor conditions.”9 In 1970 local writer Józef Ratajczak wrote a story called “Węzeł” (The Knot) for a literary competition about the Wielkopolska Region. The main character is a history teacher who undergoes a personal crisis, questions the Communist system and observes Poznań June. The story won first prize in the competition, yet its publication was purposely postponed and in 1973 it was withdrawn.10 This demonstrates the lengths to which the authorities went to prevent any mention of June 1956.

6 As Stanisław Bębenek put it, “Klasa robotnicza dała ostatnio kierownictwu partii i rządu bolesną nauczkę” (“The working class recently gave a painful lesson to the leadership of the party and government”). Bębenek, Stanisław: Oficjalne stanowisko władz [Official position of the authorities]. In: Wydarzenia czerwcowe w Poznaniu 1956. Materiały z konferencji zorganizowanej przez Instytut Historii UAM w dniu 4 V 1956 roku. Ed. Edmund Makowski. Poznań 1981, 93−99, here 98. 7 Choniawko, Andrzej: Zachowania polityczne między czerwcem a październikiem 1956 roku [Political behaviours between June and October 1956]. In: Czerwiec ’56. Ed. Jacek Wiesiołowski. Poznań 2006, 31−54; Bębenek (cf. n. 6), 93−99. 8 Trzeciakowski, Lech: Ku wolności. Powstanie Poznańskie [Towards freedom. Poznań Uprising]. In: Ku wolności. Powstanie poznańskie 1956. Ed. Marek Jędraszewski. Poznań 2006, 21−52. 9 Brzezinski, Zbigniew: The Soviet Bloc. Unity and Conflict. New York 1961, 245. 10 Ratajczakowa, Dobrochna: Wokół powieści Józefa Ratajczaka Węzeł [On Józef Ratajczak’s novel “The Knot”]. In: Czerwiec ’56. Ed. Jacek Wiesiołowski. Poznań 2006, 240–255.



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Along with the official silence, active participants of the revolt were persecuted: they were not admitted to schools, and often had problems finding employment or advancing in their jobs.11 For example, Stanisław Matyja, the leader of the strike in the Stalin Factory, was first arrested and beaten, and only after the intervention of his colleagues he was released and allowed to go back to work. Yet in 1958 he was fired from the factory and was persecuted for many years. The repression of the lawyer Hejmowski was mentioned earlier. A few personal stories were described in the book “The struggle for the memory of June ’56”, which was published in 1991.12 During the 1960s and 1970s the families of those who had been killed or wounded viewed the uprising as an important event in their life histories, but these memories were kept very private. One of the occasions when they would allow themselves to remember was All Saints’ Day, when families would visit the graves in the Citadel Cemetery, the Junikowski Cemetery or other local cemeteries. This situation changed in the late 1970s due to the establishment of a viable political opposition in Poland. Stanisław Barańczak – a Poznań poet, essayist and supporter of the opposition – recalled a small celebration in 1979 in the church in Grunwaldzka Street, after which about ten people went to the cemetery and laid flowers at the grave of Romek Strzałkowski, the youngest victim. In June 1980 a few masses were celebrated in memory of the victims, most often inspired by opposition activists. A group of members of KOR,13 ROPCiO14 and SKS15 ordered an anniversary mass in the Church of the Barefoot Carmelites in Poznań. The mass was attended by about 200 people, who had planned to walk towards the Citadel after the mass and lay flowers on the graves of the victims. They were prevented from doing so by officers of the security services. In the Church of St Wojciech a mass was celebrated in memory of Strzałkowski. After this mass, a group of people went by tram to the Junikowski Cemetery, where they laid flowers at his grave and sang the national anthem. They were observed by officers of the security services.16 These first public commemorations were probably not visible to the majority of Poznanians or, if they were visible, did not call the events of June 1956 to mind.17 Furthermore, many people moved to the city in the 1960s and 1970s (between 1956 and 1980 the population grew from 11 Interview with a veteran; see also Dabertowa, Eugenia Renia/Lenartowski, Marek: Pomnik Poznańskiego Czerwca 1956. Symbol pamięci i sprzeciwu [The Monument of Poznań June 1956. Symbol of remembrance and resistance]. Poznań 1996, 13. 12 Dabertowa, Eugenia R./Łuczak, Agnieszka: Walka o pamięć Czerwca ’56. Obchody 26. rocznicy Czerwca w 1982 r. (stan wojenny) [The struggle for the memory of June 1956. Commemorations of the 26th anniversary of June in 1982 (martial law)]. Poznań 2001, 20; Karwat, Janusz/Tischler, Janos: 1956. Poznań Budapeszt. Poznań 2006, 116 f. 13 The Workers’ Self-Defence Committee, established after strikes in Radom in 1976. 14 The Movement for the Protection of Human and Citizen Rights, established in 1977. 15 The Student Committee of Solidarność, established in 1977. 16 Dabertowa/Lenartowski (cf. n. 11), 13. 17 They were not mentioned by any of the people I interviewed. They were similar to the small illegal celebrations in Lublin in the late 1970s, whose participants likewise felt that they had no influence on the city’s inhabitants. See: Main, Izabella: Trudne świętowanie. Konflikty wokół obchodów świąt

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370,000 to 560,000) and they might have had no occasion to learn about Poznań June. Thus during this period the memory of Poznań June remained private, and acts of remembrance were rare and generally personal (restricted to the families of the victims).

The first public renewal of memory in 1981 The political changes after the strikes in July and August 1981 and the signing of the August Agreements between the government and the NSZZ Solidarność raised hopes about the possibility of genuine freedom and democracy. Memories of Poznań June became institutionalised, with at least four impulses contributing to the institutionalisation: the monument, conferences, publications and the first legal commemorative ceremony. The Poznań June Monument became a landmark in Poznań June memory. The inspiration to construct it probably came from the request to create a monument in Gdańsk commemorating the victims of the strikes of 1970, which was included in the August agreements of 1980. The demand for a Poznań monument was formulated by Roman Schefke of the Agriculture University during a meeting of the Interfactory Founding Committee of Wielkopolska NSZZ Solidarność in October 1980. Immediately following that, still in October 1980, the Citizens’ Committee for the Construction of the Monument was formed, with Roman Brandstaetter, a Catholic writer, as its chairman. On All Saints’ Day, a wooden cross in memory of the victims was put up on the Citadel, and flowers were laid at the graves. The cost of the actual monument was to be covered by the general public: money was collected in factories, schools, on the streets, and at cultural and sporting events. Tenders for the design of the monument and the content of the inscription were invited, and in January 1981 the winning project was chosen (a large rectangular structure intended to look like a canvas lying flat on the ground, with horizontal beams at right angles to one another inscribed with the dates of protests, designed by Sapełło and Jarnuszkiewicz). The model was put on display for public viewing and discussion and elicited a great deal of criticism, but there was no time for a new competition as the unveiling was planned for the 25th anniversary of Poznań June in June 1981. The union Solidarność of Artists mediated discussions between the Citizens’ Committee and organisations of artists, and a different project by the artist Wojciechowski was chosen.18 The elements of the monument were cast in the Cegielski Factory. The monument is composed of two crosses (21 and 19 metres high), united by a single shared horizontal crossbar that is bound to the two upright beams by huge ropes (fig. 1 and 2). A schematic representation of an eagle rests slightly in front and a bit to the państwowych i kościelnych w Lublinie w latach 1944−1989 [Difficult celebrations. Conflicts around state and church holidays in Lublin between 1944 and 1989]. Warsaw 2004. 18 Dabertowa/Lenartowski (cf. n. 11), 16−20; Piotrowski, Piotr: Między totalitaryzmem i demokracją. Pomnik Poznańskiego Czerwca 1956 roku [Between totalitarianism and democracy. The Monument of Poznań June 1956]. In: Pomniki. Ed. Jacek Wiesiołowski. Poznań 2001, 195−202.



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Fig. 1  The Monument of June 1956.

right of the crosses. On the front of the first cross there is the date 1956. On the second cross there are the dates 1968, 1970, 1976, 1980 and 1981, refering to the protests that took place in those years. At the base of the eagle there is the inscription, “For Freedom, Justice and Bread – June 1956”. The issue of the best site for the monument turned out to be just as controversial as its design, but in this case the decisive voice belonged to the city’s authorities. Ultimately they agreed on Mickiewicz Square (formerly Stalin Square, renamed after October 1956), where the largest gathering on 28 June 1956 took place.19

19 Dabertowa/Lenartowski (cf. n. 11), 19 f.

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Fig. 2  Inscriptions on the Monument of June 1956.

The monument places the events of June 1956 in line with other anti-Communist protests: 1968, 1970, 1976 and 1980. The monument’s design reflects aspects of the ideological character of Solidarność: the linking of the national and the religious, the glorification of history, the dominance of the collective over the individual, the unification of society around national and religious values – all ideas that contradict the ideal of democracy. Some art critics have pointed out a deeper contradiction implicit in the monument – it will always represent the initiatives and ideas not of the general public, but of the authorities and prominent social groups that have the power to decide how public space is to be organised and utilised. This issue, however, is beyond the scope of this chapter.20 The celebrations commemorating June 1956 started on 27 June 1981 with a symposium at the university. The main celebration took place on 28 June. First, Poznań Solidarność leader Zdzisław Rozwalak and Lech Wałęsa gave speeches, then a mass was celebrated, and the monument was consecrated. Delegations from Solidarność branches from all over country laid flowers and wreaths at the monument. Lech Taczak, the leader of the Eight Day Theatre, directed the ceremony, which attracted an enormous crowd of people (estimated as high as 200,000). It was also attended by members of the Provincial Committee of the PZPR, province and city officials, and members of the State Council.21 The ceremony, like the monument, incorporated religious values and references into the story of June 1956. 20 Piotrowski (cf. n. 18), 202; Kubik, Jan: The Power of Symbols against the Symbols of Power: the Rise of Solidarity and the Fall of State Socialism in Poland. University Park, Penn. 1994, passim. For a very inspiring study of monuments, see Young, James E.: The Texture of Memory. Holocaust Memorials and Meaning. New Haven, Conn.-London 1993. 21 Dabertowa/Lenartowski (cf. n. 11), 47.



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Fig. 3  The commemorative plaque on the Hospital of Raszeja that admitted victims in 1956. It was unveiled in 1981 and includes a fragment of a poem by Kazimiera Iłłakowiczówna: „but brains spattered pavement / and the pavement swells slowly / the blood is not flowing already, just clots / my heart was shot in Poznań.“

Plaques commemorating Strzałkowski and other victims were unveiled at Gajowa Street, Robotnicza Street, Hetmańska Street and inside the Hospital of Raszeja (fig. 3 and 4).22 The City Council responded to the request of NSZZ Solidarność of Cegielski Factory and renamed two streets in Poznań: Feliks Dzerzhinsky Street was renamed 28 June Street, and Mylna Street became Romek Strzałkowski Street.23 In each case these actions were the result of discussions among city authorities, the local office of the PZPR, the veterans of Poznań June 1956 and local leaders of NSZZ Solidarność. Moreover, a photo exhibition documenting 1956 was opened, and a play, “The Accused: June 1956”, directed by Izabella Cywińska, was produced and performed.24 During a conference at the university on 4 May 1981, the reasons for June 1956, its history and consequences were openly discussed for the first time. The conference proceedings were published in 1981, with a print run of 3,200 copies.25

22 23 24 25

Kalendarium. In: Ku wolności. Powstanie poznańskie 1956. Ed. Marek Jędraszewski. Poznań 2006. Dabertowa/Lenartowski (cf. n. 11), 39. Kubik (cf. n. 20), 215 f. Wydarzenia czerwcowe w Poznaniu 1956. Materiały z konferencji zorganizowanej przez Instytut Historii UAM w dniu 4 V 1981 roku [Events of June 1956 in Poznań. Materials from the conference

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Fig. 4  The 50th anniversary of June 1956. The commemo- rative plaque on the hospital that admitted victims in June 1956.

“Poznański Czerwiec 1956” (Poznań June 1956), a publication commissioned by the Citizens’ Committee for the Construction of the Poznań June Monument with a print run of 50,000 copies, provided important impetus to the formation of a public memory. This interdisciplinary work included historical analyses (the reasons behind the Poznań June strikes and protests, a reconstruction of the events of Poznań June, a chronology and discussion of the significance of the trials following Poznań June) and many personal recollections gathered by Aleksander Ziemkowski.26 One of the organized by the Department of History at Adam Mickiewicz University, May 4, 1981]. Ed. Edmund Makowski. Poznań 1981. 26 Poznański czerwiec 1956 [Poznań June 1956]. Eds. Jarosław Maciejewski and Zofia Trojanowiczowa. Poznań 1981. Ziemkowski’s collection of interviews was published posthumously in 2006: Poznański Czerwiec 1956. Relacje uczestników [Poznań June 1956. The accounts of participants]. Ed. Aleksander Ziemkowski. Poznań 2006. The collecting of the personal stories by Ziemkowski is an interesting story. Ziemkowski, who died in 2000, was an architect and urban planner employed in



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families I conducted interviews with about the story and memory of Poznań June proudly showed me this book, even though the family neither actively promoted the memory of Poznań June nor supported patriotic traditions. In fact, the members of this family considered themselves pragmatic and future-oriented, but they nevertheless located the book quickly and easily on their shelves, and it even had the signature of one of the editors, although they did not remember when and where they got it.27 The book’s large print run and wide circulation meant that many people were able to read about the events previously omitted from all publications of Poznań and post-war Poland. The commemorations of 1981, and especially the unveiling of the Poznań June Monument, were exceptional. After a few decades of silence about the revolt, the leaders of the PZPR permitted the building of the monument. It became an enduring symbol not only of June 1956, but also of other protests during Communist rule, notably those that occurred in 1968, 1970, 1976 and 1980 (the dates inscribed on the monument). It also linked the anti-Communist protests with Catholic traditions.

Remembrance after Solidarność: New approaches, new sites of memory, new structures The introduction of martial law on 13 December 1981 radically changed the situation: NSZZ Solidarność and other independent organisations were disbanded, opposition activists were interned, public gatherings forbidden, censorship strengthened and security control reinforced. Yet people still believed in the possibility of political change through protest. In the 1980s they chose the Poznań June Monument as the main symbol of opposition in the city. It actually became the symbol of all anti-Communist actions. Many illegal gatherings on various national and opposition anniversaries took place there (11 November, 3 May, 13 December, 28 June).28 One of the largest demonstrations occurred on 13 February 1982, when more than 10,000 people gathered at the monument. They were attacked by militia with truncheons and water cannons, and the state office for more than 40 years. During the war he fought in the Polish Army in 1939 and later in the underground Home Army. After the war he finished his studies and started working. But he was also an amateur historian and tried to disseminate knowledge about the so-called blank spots of history and politics, especially Katyń and June 1956. He had been collecting materials for many years before 1980, so when the commemorations of 1981 came around, he was prepared to publish the first monograph about June 1956. However, because of the introduction of martial law in 1981, he was unable to publish the book at that time. 27 Interview with family R. 28 Piotrowski (cf. n. 18). 11 November is the anniversary of Poland’s return to independent statehood in 1918; 3 May is the anniversary of the constitution of 1791. Both anniversaries were neglected by the Communist regime (see Main, Izabella: Political Symbols and Rituals in Poland, 1944−2002. A Research Report. Leipzig 2002; Main 2004 [cf. n. 17]. 13 December is the anniversary of the imposition of martial law in 1981, and starting in 1982 it was used by the opposition to protest against the regime.

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after few hours of fighting the gathering was dispersed. One person was killed and more than 200 people were arrested.29 Illegal inscriptions were constantly being written on the monument. Already in December 1981 the date “1981” was added. It was quickly removed by security forces, yet it reappeared many times.30 Other inscriptions included “Solidarność is alive”, “God”, and the Kotwica – the sign of fighting Poland.31 The authorities covered these inscriptions with white paint, so the marks of dissent remained visible. The monument itself was such a visible sign that it would have been impossible for the authorities to cover or demolish it. The monument for many Poznanians was a clear symbol of opposition, yet the authorities tried to appropriate its legacy by organising their own celebrations of the 28 June anniversaries. In 1982 the authorities created the Interfactory Committee for the Celebrations of June ’56. The official organisers often referred to the word “unity”, which had become a catchword during the competition for the design of the monument in 1981, implying that the monument was a symbol of unity and agreement. Opposition leaders claimed that agreement between victims and oppressors was impossible. The official celebrations took place on Sunday, 27 June 1982. On the day before, some 1,500 militia members were brought to Poznań, armoured vehicles drove through the city, and the police and military forces were beefed up significantly. The official ceremony was attended by delegations from a few factories, and a military orchestra performed. The participants were surrounded by militia vehicles. The opposition staged its own celebrations of June ’56 in 1982. After masses in the Dominican and Holy Saviour churches, people moved towards the monument. They did not join the official gathering, however, but rather chanted “Solidarność is alive”. The opposition continued its celebrations on 28 June, when the number of people gathering at the monument reached some 20,000 people. Flowers were laid by representatives of NSZZ Solidarność of the university, the agriculture academy, the Cegielski Factory and other schools and factories. The militia started to check IDs and disperse people in the late afternoon and evening of Sunday, 27 June and Monday, 28 June.32 Commemorations in the following years took place mainly in churches. The local structures of NSZZ Solidarność − the Cegielski Factory, the railway car factory, the public transport depot, NSZZ Solidarność of Wielkopolska Region and others − issued calls to the general public to participate in celebrations, decorate windows with national flags, and visit graves and the monument. There were anniversary masses, lectures, poetry recitations, and in several churches the calling of the roll of honour

29 Dabertowa/Lenartowski (cf. n. 11), 56. 30 Dabertowa/Łuczak (cf. n. 12), 37. 31 The Kotwica (“anchor”), a combination of the letters W and P in the form of an anchor, was an emblem of the Home Army and the underground state during the Second World War. 32 Dabertowa/Łuczak (cf. n. 12), 41−62.



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commemorating the people killed during Poznań June.33 I have found no mention of official responses to these activities; perhaps organising celebrations in churches was a way of avoiding confrontation. Pope John Paul II visited Poznań in June 1983 and planned to visit the Poznań June Monument, but the authorities prevented it and his meeting with residents took place in a field near the city centre. The pope did, however, mention the monument in his sermon.34 The division between “us” and “them”, so often emphasised in opposition publications, was reinforced at moments of confrontation between the regime and opposition groups such as occurred on 28 June 1982, although often at the family, neighbourhood, and local levels this distinction was questioned and blurred. After 1989 the situation again completely changed: first, there were official celebrations on 28 June; second, associations of veterans of Poznań June were organised; and third, new commemorative plaques were installed (constituting new sites of memory). Celebrations of June 1956 were attended by municipal government officials, representatives of NSZZ Solidarność and residents of Poznań, and were reported in the local press. The Association of Poznań June ’56 was initiated in July 1989 and registered in September 1989. Among its members were people engaged in the Citizens’ Committee for the Construction of the Monument and the Club for the Memory of Poznań June ’56, which had previously been under the auspices of NSZZ Solidarność of Wielkopolska Region.35 The association announced its establishment in the press and invited people to join. Its members participated in various national celebrations (11 November, 27 December,36 3 May, and others). The first chairman of the association was Bolesław Januszkiewicz, the second (and still current) is Aleksandra Banasiak. Soon some members left the association and created other veterans’ associations: “Invincible” – the Association of Insurgents of Poznań June 1956, with Ryszard Biniak as its head, and the Association of the Veterans and Participants of the Poznań Uprising, led by Włodzimierz Marciniak.37 As of 2006, the three associations had a combined membership of approximately 300, 140 of whom had veterans’ entitlements. The entitlements were given to people who could prove that they had been arrested or wounded on 28, 29 or 30 June 1956.38 According to some veterans and historical sources, there are cases of abuses and falsifications in the application process for the June entitlements.39 This issue will be further explored in the last part of this chapter.

33 Działalność Stowarzyszenia “Poznański czerwiec ’56” w latach 1989−2008 [Activities of the „Poznań June ’56” association between 1989 and 2008]. Ed. Dariusz Matelski. Poznań 2008, 125. 34 Trzeciakowski (cf. n. 8), 29 f. 35 Działalność Stowarzyszenia (cf. n. 33), 132 f. 36 The anniversary of the Wielkopolska Uprising in 1918. 37 Działalność Stowarzyszenia (cf. n. 33), 167. 38 Karwat/Tischler (cf. n. 12), 122 f. 39 Jastrząb, Łukasz: “Rozstrzelano moje serce w Poznaniu”. Poznański czerwiec 1956 r. − straty osobowe [“My heart was shot in Poznań”. Poznań June 1956 – casulaties]. Poznań 2006, 14−17.

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In 1990, for the 34th anniversary, a commemorative plaque to Stanisław Matyja (1928−1985), one of the leaders of the strike in the Stalin Factory in June 1956, was unveiled in Cegielski Factory.40 A monument consisting of a large stone and six plaques with the names of protesters who were killed in June 1956 was built on Strzałkowski Street and dedicated in 1994.41 In 1991 a plaque dedicated to Piotr Majchrzak, a 19-year-old killed in 1982 by security forces, was unveiled in the Church of the Holy Saviour. That case is still under investigation, but the most likely scenario is that Majchrzak was killed for his opposition activities and for wearing the symbol of resistance (opornik).42 His father, Jerzy Majchrzak, had participated in June 1956 and is an active member of the Association of Poznań June ’56.43 The Association of Poznań June ’56 was very active in publishing books and pamphlets about June 1956. In 1990 the association published the first booklet in the “Library of Poznań June ’56” series: a translation of a chapter from Lawrence Goodwyn’s book “Breaking the Barrier: The Rise of Solidarity in Poland”, which is about political opposition in Poland.44 Following that the association published “The Landscape after June” by Trojanowiczowa, a new edition of “Poznań June ’56” by Maciejewski and Trojanowiczowa, “Poznań” by Albert Camus, and occasional postcards, stamps and badges.45 The following year, for the 35th anniversary of the event, a booklet with a few previously unknown documents was published in the “Library of Poznań June ’56” series.46 In 1996, a feature film, “Poznań ’56”, was made by Andrzej Górny and Filip Bajon. It told the story of a young boy who received his life education in the course of a single day.47 Filip Bajon, a filmmaker and Poznań inhabitant, often spoke of Poznań June as a revolution. After the changes of 1989 the history and memory of June 1956 were popularised in many ways. As I noted earlier, there were official celebrations at the monument, veterans’ associations were created, and numerous publications appeared. Yet it seems that knowledge of June 1956 was still very limited, as was demonstrated by the results of a research project conducted in three Poznań high schools in 1991 concerning family and annual celebrations. Nearly one hundred students between the 40 Działalność Stowarzyszenia (cf. n. 33), 137. 41 Mulczyński, Jarosław: Historia pisana na murach [History written on the walls]. In: Pomniki. Ed. Jacek Wiesiołowski. Poznań 2001, 246−282, here 264. 42 Opornik (resistor) is a small electrical component; it was worn as a symbol of resistance against the Communist regime in Poland during and after martial law. 43 Działalność Stowarzyszenia (cf. n. 33), 138; interview with JM. 44 Goodwyn, Lawrence: Cegielszczacy mówią “jawnie i głośno” [Workers of Cegielski Factory speak “openly and loudly”]. Trans. K. Rosner. Poznań 1990; Goodwyn, Lawrence: Breaking the Barrier: The Rise of Solidarity in Poland. New York 1991. 45 Goodwyn, Cegielszczacy mówią “jawnie i głośno” (cf. n. 44); Trojanowiczowi, Zofia: Krajobraz po czerwcu [The Landscape after June]. Poznań 1990; Działalność Stowarzyszenia (cf. n. 33), 137. 46 Poznański Czerwiec ’56. Nieznane dokumenty, opracowania, fotografie [Poznań June ’56. Unknown documents, descriptions, photographs]. Ed. Zofia Trojanowiczowa. Poznań 1991. 47 Karwat/Tischler (cf. n. 12), 122.



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ages of 17 and 19 were asked about the meaning of a number of national holidays: 1 May, 3 May, 11 November and 28 June. Only a few of them knew what happened on 28 June (approximately 16 per cent), while 79 per cent had no idea. The people who had some idea referred to the event in a variety of ways: “Poznań incidents”, “June incidents”, “workers’ strikes”, and so forth. Joanna Dankowska, the author of this report, found it surprising as “the present tendency is to uncover the blank spots and to criticise Communist rule”. She also pointed to the highly visible symbol of this event, the Poznań June Monument in the city centre.48 Clearly, for many people local history and anti-Communist protests did not carry a great deal of significance even in times of radical social, economic and political change.

The explosion of remembrance for the 50th anniversary In 2006 the 50th anniversary was celebrated in many different ways: there were state celebrations, church celebrations, veterans’ celebrations, school and factory celebrations, artistic performances and academic conferences, in many ways intertwined but also different in focus and tone. Preparations started many months earlier and were reported in the local press. In January 2006 the CD “Poznań June ’56” was released; there were also radio dramas and the broadcasting of archival recordings. In March a special Web page about the anniversary was launched. The official poster of the celebration, presented in June, showed a crying baby with a white-and-red band around its wrist and the slogan “First scream”. This poster was displayed on billboards across Poland and published in newspapers and magazines (fig. 5).49 Some religious celebrations incorporated elements commemorating June 1956. For example, Poznań June was the main theme of the Stations of the Cross during Easter celebrations (on Holy Thursday): the procession followed the same route that the demonstration in 1956 had taken. The bishop’s sermons were later published.50 The annual youth meeting on 3 June organised by the Poznań Dominican fathers in Lednica, near Poznań, was also related to June 1956: seventy-four doves symbolising the souls of the victims and 10,000 balloons with the inscription “We remember” were released. The members of veterans’ associations were invited as honorary guests. 48 Dankowska, Joanna: Postawy młodzieży wobec wybranych elementów obrzędowości rodzinnej i dorocznej (z uwzględnieniem nieformalnych zwyczajów młodzieżowych) [The attitudes of young people towards some family and seasonal rituals (including informal youth customs]. Unpublished Ph. D. dissertation, Department of Ethnology and Cultural Anthropology, Adam Mickiewicz University, Poznań 1993, 235 f. 49 Kronika obchodów 50. rocznicy Powstania Poznańskiego 1956 roku [A chronicle of commemorations of the 50th anniversary of Poznań Uprising 1956]. In: Echa Czerwca. Kronika Obchodów 50. Rocznicy Powstania Poznańskiego 1956 roku. Ed. Włodzimierz St. Gorzelańczyk. Poznań 2006, 10. 50 Ku wolności. Powstanie poznańskie 1956 [Towards Freedom. Poznań Uprising 1956]. Ed. Marek Jędraszewski. Poznań 2006. The book contains the chronicle, a few historical texts and many individual recollections submitted for a literary competition called “I saw the uprising”, which was announced in a Catholic journal.

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Fig. 5  The 50th anniversary of June 1956. The poster with a crying baby “First scream”.

The Poznań June Monument and its surroundings on Adam Mickiewicz Square were renovated. The inscription on the monument, “For Freedom, Justice and Bread”, was extended to include “For God”. This change was justified by referring to the documents from 1956, proving that protesters sang religious songs, carried banners saying “We want God”, and demanded the reintroduction of religion classes in schools. It was impossible to place the words “For God” on the monument in 1981.51 This change to the monument raised a bit of discussion.52 Another element added to the surroundings of the monument was a plaque with words, “Holy Father John Paul II prayed here on 3 June 1997, fulfilling his wish from 20 June 1983, when the authorities did not give him the chance to do so”.53 On 23 June, the holiday of the Heart of Jesus, a procession from Jeżyce (where there was intense fighting in 1956) to the monument was organised to commemorate the victims. After the procession, Primate Józef Glemp celebrated a mass on the square in front of the monument. The new part of the inscription and the plaque commemorating the presence of Pope John Paul II in Poznań in 1997 were consecrated. The primate and about eighty bishops met in Poznań for a plenary conference of the Polish episcopate. The meeting took place in Poznań in order to honour June 1956.54 Religious components also took place on 28 51 52 53 54

Echa Czerwca (cf. n. 49), 10 f. Gazeta Wyborcza, 21 March 2006, http://wyborcza.pl/1,76842,3227124.html (08. 09. 2013). Gazeta Wyborcza, 26 June 2006, 22. Gazeta Wyborcza, 24 June 2006, 4.



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June: a morning mass was celebrated by Bishop Tadeusz Gocłowski. In the sermon, he recalled the meaning of June 1956, but also warned against the dangers of abortion, euthanasia and the “promotion” of homosexuality.55 Archbishop Stanisław Gądecki in his speech focused on the meaning of June 1956, saying that “it showed that there were ideas worth fighting for. […] It broke the wall of silence and hypocrisy.”56 As the above examples show, the anniversary was used by some church leaders to promote religious ideas, some completely unrelated to June 1956. The official state celebrations on 28 June were attended by the presidents of Poland, Germany, Hungary, the Czech Republic and Slovakia, as well as many ambassadors, politicians, and other guests from Poland and abroad. Lech Wałęsa and Ryszard Kaczorowski, the last Polish president-in-exile, also participated in the gathering. The ceremony consisted of speeches, the calling of the roll of honour of the people killed in Poznań June, poetry readings about Poznań June and the laying of wreaths. Poznań June was linked to other anti-Communist protests, especially the Hungarian revolution of late 1956. Veterans of Poznań June were presented by the president with state decorations and special medals. Although 80,000 spectators were expected, only about 10,000 people actually came.57 Two veterans I talked to voiced no disappointment with this turnout. One remarked, “Fortunately the times of obligatory celebrations are gone”. A few veterans mentioned that the celebrations were very beautiful and solemn.58 More Poznanians attended the artistic performances. On 28 June a show prepared by Izabella Cywińska and Jerzy Kalina was staged at Mickiewicz Square. It incorporated tanks, armoury, fields of corn, dancers from the Polish Dance Theatre and music by A.P. Kaczmarek. The Eight Day Theatre prepared a performance, “A time of Mothers”, that focused on the suffering of mothers in June 1956 and other revolutions and wars: in Iraq, Afghanistan, Argentina, Palestine and Chechnya. Ewa Wójciak, the director of the theatre, said that news from battlefronts usually neglects the suffering of mothers, thus it is time to bring it to the fore. This spectacle was repeated later, spreading the commemorative events over the next months. It stressed the role of women in war efforts, which is seldom mentioned in contemporary discourse and commemorative practices.59 The theme of freedom was the focus of other plays. The theatre Silence Zone (Strefa Ciszy) prepared a play devoted to freedom. A concert called “Respect for Poznań June” was organised on 29 June in the Cegielski Factory with Poznań hip-hop musicians and Polish, German and Czech groups. The peak of the concert was the 55 56 57 58 59

Gazeta Wyborcza, 29 June 2006, 2. Echa Czerwca (cf. n. 49), 12. Gazeta Wyborcza, 24 June 2006, 1; 27 June 2006, 3; 29 June 2006, 2. Interview with BA, MW. See Penn, Shana: Podziemie kobiet [The underground of women]. Warsaw 2003; Kenney, Padraic: The Gender of Resistance in Communist Poland. In: American Historical Review 102 (1999) 4, 399−424.

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song “June”, written by Mezo and Owal, two young musicians. They emphasised respect for workers, the right to democracy, and dignity.60 Another concert – of the Catalonian group Lluis Llach with their famous song “The walls” (Mury) – was organised near the old tram depot (a place of intense fighting in 1956).61 Two months later the opera “Ça Ira” (It’ll be fine) by Roger Waters was performed as part of the Poznań International Fair.62 All these events attracted large audiences of all ages. Veterans’ associations, officials of Wielkopolska Province and the city of Poznań, members of workers’ unions and Poznanians paid tribute by installing commemorative plaques on the front of the factories on 27 June. Cegielski workers organised a rally in front of the main gate of the factory. There were also banners with slogans from 1956, many of which were still relevant, a point that was noted in the speech of local Solidarność chairwoman Lidia Dudziak, who linked the difficult situation of workers in the past with that of the present. Young people had their own ways of celebrating: scouts colourised a comic book about June 1956 that was produced in black and white. The story is fictional, yet based on facts from June 1956 in Poznań. One of the authors pointed out that it might be a very good way to teach history, and that comic books were not always funny stories. Colourising it symbolised the transformation from a dismal grey reality to a colourful, democratic and free one.63 Another event was the Poznań Chain of Freedom, created by young people joining hands in a variety of places in Poznań on 23 June (they were not successful in creating one unbroken chain).64 In some schools various activities were organised throughout the year: exhibitions, history competitions, meetings with veterans, visits to the graves of the victims, etc. The school in Śniadecki Street was even given the name “The Heroes of Poznań June ’56”.65 This school was very active in the celebrations of 2006 and in the following years, with history teachers playing a large role.66 The senate of Poznań University passed a resolution stating that the senate “pays tribute to the heroic inhabitants of Poznań and Wielkopolska, who had the courage to demand freedom, law and order, and dignity of work”.67 A two-day conference called “Poznań June 1956: Reasons, Course, Consequences” was also organised by Poznań 60 Gazeta Wyborcza, 29 June 2006, 9. 61 The song “The walls” was the unofficial anthem of the opposition movement in the 1980s. The Catalonian original was directed against Franco’s regime. See also: Linda, Katarzyna: Od L’estaki Lluísa Llacha do Murów Jacka Kaczmarskiego: Mit artysty, historyczno-społeczno-kulturowe tło powstania pieśni oraz ich współczesny odbiór [From Lluís Llach’s L’estaka to Jacek Kaczmarski’s The walls: A myth of an artist; historical, social and cultural background of songs and their contemporary perception]. In: Zanurzeni w historii – zanurzeni w kulturze. Jacek Kaczmarski. Eds. Marek Karwala and Barbara Serwatka. Kraków 2010, 43−54. 62 Gazeta Wyborcza, June 2006, various issues; Echa Czerwca (cf. n. 49), 15 f. 63 Gazeta Wyborcza, 27 June 2006, 6. 64 Gazeta Wyborcza, 24 June 2006, 4. 65 Działalność Stowarzyszenia (cf. n. 33), 207. 66 Interview with BA. 67 Gazeta Wyborcza, 27 June 2006, 3.



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universities, high schools and institutes.68 A myriad of books and pamphlets related to June 1956 was published. A detailed story of the uprising and the celebrations was published in the “Chronicle of Celebrations of the 50th Anniversary of the Poznań 1956 Uprising”.69 Bishop Jędraszewski edited a book called “Towards Freedom”, which included the story of June 1956, recollections of participants, and a description of religious celebrations in Poznań related to June 1956.70 An issue of the “Poznań City Chronicle” was devoted to June 1956.71 The local newspaper “Głos Wielkopolski” (Voice of Wielkopolska) published a photo album called “Hope shot dead”, based on an earlier book, “Wounded City”, with photos made by security forces.72 Personal recollections that had been submitted to literary competitions were published by a Catholic journal and the provincial library.73 In front of the castle there was a tank, similar to the ones used in 1956 against the protesters. Throughout the city there were large billboards with black and white photos from 1956 with inscriptions added in red (fig. 6 and plate 1). These billboards were prepared by the Wielkopolska Museum of Fights for Independence. There were also large pictures of Poznanians and their daily life that had been sent to the daily newspaper “Gazeta Wyborcza” after a call for pictures (plate 2).74 All of these celebrations, religious gatherings, events and concerts, as well as the artistic and historical objects in public places, rendered the 50th anniversary highly visible in the city space. Local newspapers devoted many pages and several issues to June 1956 and various celebrations. Even the poster prepared for the anniversary led to a public debate. All this, in the opinion of one respondent, led to an awakening of the inhabitants. Many of the people I talked to pointed out that everyone could in one or another way participate and commemorate. This large commemorative event often led to recollections and discussions within families and among friends, not only about June 1956 but also about the Communist period in general (fig. 7).

The institutionalisation of memory: The Museum of June 1956 The Museum of June 1956 was opened on 5 October 2007, in the basement of the Castle Cultural Centre (Centrum Kultury Zamek). The Museum of June 1956 is a branch of the Wielkopolska Museum of Fights for Independence, which has been in existence 68 69 70 71 72

Gazeta Wyborcza, 24 June 2006, 4. Echa Czerwca (cf. n. 49). Ku wolności (cf. n. 50). Czerwiec ’56 [June ’56]. Ed. Jacek Wiesiołowski. Poznań 2006. Rozstrzelana nadzieja. Poznański Czerwiec 1956 [Hope shot dead. Poznań June 1956]. Eds. Filip Leśniak and Agnieszka Rogulska. Poznań 2006. 73 Widziałem Powstanie. Czerwiec 1956 [I saw the uprising. June 1956]. Ed. Adam Suwart. Poznań 2006; Rok 1956 − 28 czerwca. Wspomnienia i refleksje 50 lat później [The year 1956 – June 28. Recollections and reflections 50 years later]. Poznań 2006. 74 Gazeta Wyborcza, 20 June 2006, 1.

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Fig. 6  The 50th anniversary of June 1956. The billboard “Landscape in red 1956” on the castle.

since 1960 and was organised by the city council of Poznań. Since the 1990s there had been an exhibition room in the castle devoted to June 1956, created by the veterans of Poznań June. The opening of the museum was planned for the 1990s, but due to organisational and financial difficulties it was postponed. There were high hopes that the museum would be opened in time for the 50th anniversary in 2006, but it was again postponed until 2007.75 Veterans of the revolt played a large role in initiating and supporting the idea of creating the museum (fig. 8). The Museum of June 1956 consists of several rooms, including reconstructions of a typical living room from the 1950s, the interior of the PZPR Province Committee, Pokojowa Street (Peaceful Street) and Kochanowskiego Street (where the office of the security services in Poznań is located), the hall and the investigation room of the security services, a courtroom, a prison cell, and an exhibition hall with art concerning June 1956. Some exhibit items are very impressive – for example, the rooms depicting streets include the front part of T-34 tank and a fragment of a tram. 75 Interview with Barbara Fabiańska, the exhibition’s curator, May 2008; the museum’s Web page: www. muzeumniepodleglosci.poznan.pl/ (05. 06. 2013).



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Fig. 7  The 50th anniversary of June 1956. Street display of photographs from the movie about 1956.

Voices play an important role in the museum. Visitors may sit in the tram and listen to recorded interviews collected in 1981, mostly by Ziemkowski. The museum offers new interactive technology that gives the visitor a chance to learn about June 1956 in an individual, personalised manner. Visitors can hear and read personal stories of the victims, read about the details and sequence of events, listen to the arguments of the defence attorneys during the trials, and listen to soc-real music and speeches of Communist leaders. When a visitor picks up the headphones in the room devoted to those who were killed, she hears nothing – the headphones are actually attached to the cobblestones. Pictures are another important element of the exhibition hall. The museum displays a large number of photographs, many of which have been enlarged and cover walls and pillars. These pictures were taken by private people and agents of the security services. There is also a tableau with the ID photos of more than 500 arrested people. Actual objects play a limited role. Besides the already mentioned parts of a tank and a tram, there are few objects displayed in the museum. The most important objects belonged to Romek Strzałkowski, the youngest victim. These include a photograph from his first communion ceremony, a shirt and school certificates. The limited

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Fig. 8  The entrance to the Museum of Poznań June 1956 in the castle.

number of physical objects from the period is related to the fact that many objects were lost or destroyed during the period of martial law, and many of those that remain are kept in families as mementos. Nevertheless, the curator is of the opinion that the situation is changing: as the museum gains credibility and attracts the attention of people who were not active in veterans’ associations, ever more people are donating objects.76 Veterans of Poznań June who are active in associations are especially likely to donate objects to the museum.77 The exhibition curator, Barbara Fabiańska, claimed that one of the museum’s great successes is that “not only young people but also veterans who are not used to such interactive technology like the way the museum exhibition is presented”.78 The Museum of Poznań June is a historical museum and its function is to “gather objects, conduct research about the objects, and display them for the public”,79 which is typical for any historical museum. But it also has more specific goals, such as to honour the people who took part in the June revolt – both living and dead – as well as to create “a space of trust” and “a space of identity”. The museum exhibition is based on three main sources: the personal stories of participants collected in 1981 (more reliable and valuable than stories collected today because less time had passed), photographs taken by the security services and by Leszek Paprzycki, a student who spontaneously took pictures of the events, and consultation with veterans and historians. One veteran has been employed in the museum, first to help set it up and, after it had opened, to tell his first-hand story of Poznań June. The museum organisers continuously gather new material and plan to rearrange the space with new objects and information. “History is rewritten all the time”, the curator told me. “The museum should be alive.” The next major changes in the exhibition are 76 77 78 79

Interview with Barbara Fabiańska, the exhibition curator. Interview with Krzysztof Głyda, the director. Interview with B. Fabiańska. Web page of Wielkopolska Museum of Fights for Independence: http://www.muzeumniepodleglosci. poznan.pl/index.php (20. 05. 2008).



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planned for the 60th anniversary of June 1956, to take place in 2016. There is also a room for temporary exhibitions, where exhibitions about the 1956 Hungarian revolution and about the trials following June 1956 took place.80 Museum staff believe that one way to disseminate knowledge about June 1956 – especially internationally – is to link it to the 1956 revolution in Hungary. Contacts with Hungarians were established during the time of the 50th anniversary: on the initiative of the Polish and Hungarian embassies, a delegation of Hungarian veterans came to Poznań and a delegation of Polish veterans went to Budapest for the celebrations. Such visits were repeated in subsequent years. Comparisons are made between Strzałkowski and Peter Mansfeld, the youngest Hungarian victim. There is a plan to name a street in Budapest after Strzałkowski and one in Poznań after Mansfeld.81

June 1956 in the memories of veterans, young people and families The memory of Poznań June is fragmented, multifaceted and ambivalent. I attempt to present several aspects of memory, taking into account the voices of sociologists, veterans, young people, and selected families of Poznanians. Furthermore, I try to address the issue of how Poznań June is contextualised, including the problem of the meaning of the Poznań June Monument and the square around it. According to the sociologists Rafał Drozdowski and Marek Ziółkowski, the memory of Poznań June is relatively weak for a number of reasons, including the lack of a consistent and recognisable name for the event, differing interpretations of its meaning, the lack of single leader, the lack of lasting structural outcomes (e. g., an independent group of people or an organisation to advance the cause), its anti-Poznań character (both auto- and heterostereotypes of Poznanians as legalists), and the official silencing by the Communist regime.82 I have already discussed the issues of naming, interpretation and official silencing. The lack of a leader is related to the spontaneous character of the events and the leading role of workers and young people. As also mentioned, the person who became the symbol of the revolt was Romek Strzałkowski, the youngest victim. It is difficult to explain why there was no group of intellectuals to carry on the struggle; I surmise that proximity in time to the war and severe post-war repression played a role, as did the fact that the revolt was instigated by workers who were primarily interested in better work conditions. Historians point to the major role of Poznań June in “preparing” for the October changes, yet this interpretation was neither widespread nor was it something to be proud of: Polish society was soon disillusioned with the October changes. 80 Interview with K. Głyda. 81 Interview with K. Głyda. 82 Drozdowski, Rafał/Ziółkowski, Marek: Poznański Czerwiec w pamięci Polaków [Poznań June in memory of Poles]. In: Poznański Czerwiec ’56. Sens pamięci. Ed. Wiesław Ratajczak. Poznań 2006, 31−45.

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The anti-Poznań character of June 1956 is also interesting. It is based on a stereotype of the inhabitants of the city and the region as hard-working, legalist, conservative, anti-revolutionary and pro-small-steps. This is, of course, an overgeneralisation that assumes a single character for the entire population. My modest anthropological research reveals a diversity of experiences, memories and beliefs concerning June 1956. Veterans of Poznań June, for example, form a small but influential group. They played a key role in creating the Museum of June 1956, in erecting stones and plaques, and in naming streets. One veteran I talked to was actively engaged in preparing an exhibition in the museum, had been working there since it opened, and is active in a veterans’ association. He had told his story so often that parts of his recollection sounded like a recording. He had been lightly wounded in June 1956, but his close friend (age 16) was killed. He described June from the perspective of a group of young people led by curiosity about what was happening. “We moved from place to place, we followed the crowd”, he said. “When we heard shots, we went to that place.” He became very emotional when speaking about the deaths of his friend and other people.83 June 1956 was one of his most formative experiences and had a great impact on his life, so his individual memory was very vivid. Veterans were and are most visible during ceremonies, and they dominate the public discourse about June 1956 and its memory. They also try to control public spaces related in any way to June 1956. One such space is Mickiewicz Square, around the Poznań June Monument. Veterans have protested against the March of Equality that has taken place every November since 2004. The march starts in the square and is always organised by leftist, feminist and green organisations. In 2005 the march was prevented by the city authorities, who cited security reasons to justify the ban. In subsequent years it was organised and carried out, but a small group of veterans protested against it, fearing that it would turn into something resembling Berlin’s Love Parade. They pointed to the dignity of the place, associated with the victims of fighting in June 1956.84 In recent years there have been no protests against the march. As was mentioned earlier, there are three separate associations of veterans of Poznań June, and in the mid-1990s there were even four associations. The main reason for this division into separate groups is disagreement among association members and historians over the course of events and personal engagement in June 1956 and, as a result, also over who is entitled to veterans’ privileges. The stories told differ, and some veterans tend to exaggerate the number of victims.85 Problems with inaccurate information arose as early as the 1980s, when Ziemkowski was collecting personal recollections. He commented on some stories, and even called one person a habitual liar because he claimed that American parachutists were involved.86 When I was interviewing veterans about their participation in June 1956 and the way it was remem83 84 85 86

Interview with MJ. Gazeta Wyborcza, 19 November 2007; Rzeczpospolita, 15 November 2008. Jastrząb (cf. n. 39), 14−17. Ziemkowski (cf. n. 26), 246.



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bered and commemorated, I noticed that they often merged their personal memories with stories gleaned from different sources (public discourse, the mass media, historical books, other people’s stories). For example, two veterans referred to the fact that there had been a monument to Jesus’s Heart on Mickiewicz Square before the Second World War (destroyed by the Nazis), but they were too young to have personal recollections of it and can only have learned about it from books or other people. As I understood it, they mentioned this in relation to the debate about adding a reference to God on the monument. I presume that one of the reasons for this is that some veterans repeat their stories so often when participating in commemorative ceremonies where other stories are also told, that with the passing of time they cannot distinguish between their own and others’ memories. Veterans feature rather infrequently in the mass media. When the anniversary is approaching there are sometimes short articles with personal recollections of veterans, but for the most part the brief comments about veterans in the daily Poznań press focus on who is entitled to veterans’ privileges (monthly subsidies for housing and utilities, free public transport, etc.). This issue of privileges resurfaces annually in the period immediately prior to the anniversary. Politicians from various parties promised to give veterans these entitlements in 2006, but every year in the media there are notices explaining the “objective reasons” why there is no money for the veterans. As of 2010 a law about veterans’ entitlements had still not passed, but one-time subsidy payments (of around 2 000 zł) were offered to those whose health had been harmed, or who had been persecuted in work or by security services, or who had helped the victims. It was estimated that around 200 people would apply for it.87 For about a dozen veterans – leaders and very active members of the associations – activities related to commemorating June 1956, honouring the victims, maintaining the graves, etc., comprise a full-time job.88 One person I visited at home had a large number of diplomas and certificates on the walls, and an entire room was filled with papers and objects documenting his involvement in June 1956 and activities of the association he belonged to. He meets regularly with other veterans and prepares various commemorative activities. Another veteran spends most of his time meeting with young people in schools in Wielkopolska Province, preparing letters and documents for other veterans applying for the privileges, maintaining the graves, etc. We can assume that for these veterans such activities give meaning to their present lives. Other social groups are less interested in June 1956 and its memory. Students have told me that they get their knowledge of history mostly from school. Students who visit the Museum of Poznań June have varying levels of background knowledge and interest. As the history that students learn in school often focuses on earlier epochs (antiquity, the middle ages, earlier modern times, etc.), young people often lack basic knowledge about post-war history. According to the museum’s director, only a few 87 Wsparcie dla kombatantów Czerwca 56 [Support for June 1956 kombatants], 04.  06.  2010 (http:// www.tvp.pl/poznan/aktualnosci/wsparcie-dla-kombatantow-czerwca-56/1885573, 08. 09. 2013). 88 Interview with B.

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history teachers are genuinely interested in Poznań June, and they pass this interest on to their students.89 The 50th anniversary generated more interest among young people. The schools named after Strzałkowski and June 1956 organised many activities, which they have continued to this day: competitions, exhibitions, performances, meetings with veterans, etc.90 Teachers of history play a decisive role in these actions. Students in other schools get some basic historical background, but developing it further depends on their personal interests or their teachers’ encouragement (for example, through participation in history competitions). I conducted semi-structured interviews with members of two extended families of Poznanians and several individuals concerning their knowledge and memory of June 1956, participation in commemorative activities since the 1980s and the significance of June 1956. Finding families of three generations of Poznanians was actually quite difficult; I had to use personal contacts and ask students and colleagues at work to help me find them. After talking to people from three generations I came to a few conclusions. The age a person was in June 1956 is a very important factor in the way they experienced and remember June 1956. People who were in their twenties or older in 1956 pointed out that the dramatic experiences of the Second World War were far more significant and had a greater impact on their lives. Memories and recollections about the war still dominate discussions about history in the families. June 1956 lasted just a few days; they noticed it, but found it not so important. They never attended any commemoration ceremonies, and were not interested in talking or reading about it. The second generation – people who were children in 1956 – also had very few memories of June 1956. Some members of the second generation became interested in June 1956 at the time of the unveiling of the June 1956 Monument, which led to an increased interest in history in general, but especially in history’s “blank pages”. They would ask their parents and grandparents, but often learned very little. One person mentioned that there was a secret concerning one family member, and still, after more than fifty years, they do not know the truth. “We still have no idea what happened. I know that my father later had problems at school and had to change schools. He still refuses to talk about it.”91 The youngest generation in the families I interviewed learned about June 1956 in school, as their grandparents usually talked about war experiences and their parents about the late Communist years. In general discussions about the past were rare, and were sometimes triggered by elections, news in the mass media or other events. Both grandparents and parents said that historical events were not so important to them; rather, they focused on daily and family life, which they believed was typical for Poznanians. Among the people I interviewed almost nobody attended the annual celebrations of the anniversaries of June 1956. Some people recalled the 50th anniversary because it was so prominent, remembering the tank in front of the castle and many artistic events. 89 Interview with K. Głyda. 90 Interview with a history teacher at Śniadecki school. 91 Interview with IA.



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Some people refused to meet with me because “they had nothing to say”; others had no time. I heard about two families who had lost a family member in June 1956, but they did not want to talk about it with me. The contact persons explained that their memories were so painful and traumatic that they preferred to keep them private. Interestingly, many people directed me to the veterans’ associations as the “guardians of memory”, even when they had their own personal memories and opinions. This situation brings us back to the issue of the institutionalisation of the memory of a historical event. Even when people have interesting individual memories, they value the more official discourse and see it as more reliable.

Concluding remarks The analysis of commemorations and memories of June 1956 in Poznań shows that over the course of more than fifty years there have been several significant changes in attitudes and approaches to this event. In the Communist period up until the registration of NSZZ Solidarność, the event was neglected and silenced by the Communist authorities and its memory was kept private. In 1981 the most significant symbol of its commemoration – the monument on Mickiewicz Square – was unveiled, which itself was an extraordinary act, reflecting the Communist authorities’ loss of control over not only discourse and memory of the past, but also over its physical manifestation in public space. Writings about the commemoration activities in 1981 describe the solemnity, enthusiasm and joint participation of a variety of local groups (the representatives of PZPR, city officials, NSZZ Solidarność, artists, veterans, ordinary Poznanians). This radically changed in 1982, when the monument became a contested space inscribed with divergent meanings for PZPR and opposition members, turning commemorations into confrontations. Since 1989 there has been a wide range of ways of commemorating June 1956; this was especially the case on the 50th anniversary, when different groups of people were stimulated to commemorate in different ways. The meanings that people attached to Poznań June were also heterogeneous: international connections, religious values, workers’ fate and rights, the role of women, the value of freedom and democracy, the obligation to remember. Through various artistic, visual and educational activities it was shown that commemorations may actively involve very different people and stances, lead to an increased interest in history, and contribute to individual and group memories of the past. Memories of June 1956 were and still are in the process of formation; they are ambivalent and contested. Families of mortally wounded victims have individual and family memories that had to be kept private for many years. The loss of a family member and the suppression of memory sometimes led to the stigmatisation and repression of other family members, compounding the trauma that they experienced. People wounded in June 1956 and those beaten during interrogations experienced physical and psychological suffering, and often also had problems getting education and work. The painful memory of these experiences was reawakened by changes in

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commemorative practices (especially following the imposition of martial law in 1981, and again after 1989). The validity and value of their personal memories were also called into question in commemorative situations when other groups asserted contradictory or competing interpretations of the event. The experience and memory of June 1956 motivated some Poznanians to join veterans’ associations. The existence of different veterans’ associations (at one time four, currently three) reflects the different opinions and memories of their members. These memories are also contested when some veterans challenge the claims of others’ participation in June 1956 and their rights to special privileges. Their personal memories often get conflated with stories they heard later from other people or in speeches during commemorative ceremonies, or read in books or the press. In my opinion there is neither a shared memory among veterans nor a shared social memory of June 1956; there are, rather, many memories shaped and reshaped in situations and processes of recollection and commemoration. Individual and family participation in commemorations as well as private and group memories of June 1956 are intertwined with people’s attitudes towards the Communist period, their social and political involvement, and their current political views. This became clear during interviews when some people proudly stated and described their activism in commemorating Poznań June and its victims, while others emphasised that they are focused on daily life and the future. Yet even for the latter group the main site of memory – the Poznań June Monument – is a clear and visible reminder of Poznań 1956. This situation supports the view that for private and group memories to develop and be maintained, commemorations, sites of memory and public discourse are essential.

S e l ec t i ve memori es o f C ommunism Remembering Ceaușescu’s “socialism” in post-1989 Romania

Dragoș Petrescu Romanian Communism is mainly remembered for the flamboyant personality cult of the dictator Nicolae Ceauşescu, the severe food shortages of the 1980s and the violent exit from Communism in which over 1,100 people died and more than 3,300 were wounded. In spite of the everyday miseries of late Communism and the bloody revolution of December 1989, the overwhelming majority of the population voted in the first free elections of 20 May 1990 for the Communist successor party, whose leadership comprised a great number of former Communist officials. This chapter addresses patterns of remembering the Ceauşescu epoch in the post-Communist era and argues that, in terms of popular perception, the Ceauşescu epoch is generally divided into two distinct periods: 1965−1977, which is remembered as a period of relative liberalisation, and 1977−1989, which people remember as a time of state surveillance, shortages and corruption. Patterns of remembering the Ceauşescu epoch in the post-Communist period exhibit a paradoxical phenomenon. Although immediately after the 1989 regime change the electorate brought to power former second- and third-rank members of the nomenklatura, the modest achievements of the epoch of “communist consumerism”, i.  e. 1965−1977, were constantly obscured until 2007. In many respects, this was due to the fact that, immediately after the 1989 regime change, a majority of the discourses aimed at assessing or remembering the Communist period in Romania were produced by public intellectuals associated with the emerging centre-right democratic opposition. These discourses also represented a form of opposition to the “neo-Communist” power epitomised by Ion Iliescu and the National Salvation Front (NSF), and therefore were centred exclusively on criticising the crimes, terror, surveillance and shortages associated with the defunct Communist regime. Thus, during the 1990−2007 period the historical reconstructions of the 1965−1977 period concentrated mainly on political repression and economic shortage. Consequently, a majority of the population that lived through the 1965−1977 period chose to repress any memories of that period that deviated from the prevailing interpretation emphasising crimes, surveillance and shortages. Some advertising campaigns launched between 2005 and 2007 stressed aspects of everyday life during the period of relative liberalisation from the mid-1960s to the mid-1970s, and in a peculiar way contributed to a change of perspective on the period of “good communism”. This chapter analyses a number of commercials released during that period that created a particular link between recent history, collective memory and commodities that were initially produced in the Communist era and sur-

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vived throughout the transition period.1 These commercials used specific techniques of visual representation and narration to represent the Ceauşescu epoch in a way that diverged from the prevailing public representation of that period. One can go further and argue that they paved the way for the more comprehensive representation of the Communist period in Romania that gradually developed from 2007 onwards. These commercials corresponded to the memories of the generation that came of age in the mid-1960s and experienced the period of relative ideological relaxation in Romania from 1965 to 1977. In this chapter I identify and outline three major themes that can be associated with these commercials: (1) experiencing Communism; (2) re-experiencing Communism; and (3) longing for the most beautiful years of our lives.

The Ceaușescu epoch: Rising expectations and sharp decline, 1965–1989 Although the legacy of the Ceauşescu regime is still the subject of heated debates, it is generally agreed that between 1965 and 1977 Romania experienced some economic achievements. Beginning in 1977, however, Communist Romania was faced with growing economic problems. Throughout the 1980s the country experienced a severe economic crisis that contributed to the emergence of the street protests in Timişoara that sparked the bloody revolution of 1989 in Romania. The deep economic crisis of the 1980s and the victims claimed by the violent regime change of December 1989 greatly influenced the way the Communist period was remembered after 1989. Ceauşescu, who came to power in March 1965, continued the line set forth by his predecessor, Gheorghe Gheorghiu-Dej, with regard to Romania’s independent path towards socialism. This implied rapid industrial development with a special emphasis on heavy industry, and a cautious distancing from Moscow. All in all, the 1965−1977 period was characterised by perceptible economic improvement and relative ideological relaxation, and led to a rise in the expectations of a majority of Romania’s population. The rising living standards, combined with a sense of national pride born of the policy of cautious distancing from Moscow, resulted in an improvement in the perception of the regime among significant strata of the population. Rapid industrialisation accompanied by an accelerated pace of urbanisation caused the proportion of the labour force employed in industry to increase from 19.2 per cent in 1960 to 30.6 per cent in 1975. At the same time, the percentage of the population involved in agriculture (not including forestry) declined from 56.5 per cent in 1960 to 37.8 per cent in 1975. The absolute number of people employed in agriculture decreased from 6,233,000 in 1960 to 3,837,000 in 1975, while the total labour force increased from 9,538,000 to 10,150,000 in that same period. Between 1960 and 1977, 1 This follows from Baer’s approach to the “problematic link between history, memory and commodity within a consumer culture … in an increasingly complex and multidimensional cultural context”. See Baer, Alejandro: Consuming History and Memory through Mass Media Products. In: European Journal of Cultural Studies 4 (2001) 4, 491−501, here 492.



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the urban population grew from 32.1 to 47.5 per cent of the total population, while the rural population declined from 67.9 per cent in 1960 to 52.5 per cent in 1977.2 John Michael Montias, a fine observer of Romanian affairs, stated that in spite of the regime’s strident propaganda, in terms of social and economic change the claims of the Communist authorities were true in many respects: “Official Romanian propaganda is so strident and repetitious in proclaiming the economic accomplishments of the Communist regime that a Westerner accustomed to more subtle means of persuasion may become quite obdurate to its claims. Nonetheless, much of what it blares is true.” The same author further observed: “Industrial output has indeed grown very fast; health conditions have vastly improved; education has spread; new technical skills have been developed; and consumption levels have risen since the late 1930s not only because the majority of peasants and industrial workers live somewhat better, but also because so many peasant families have moved to town and acceded to the higher standards of urban living.”3 In the mid-1960s many believed that the liberalisation of Communist Romania was just in its incipient phase. The urban landscape in the capital city Bucharest, as well as in many major towns throughout the country, underwent important changes. The regime made considerable efforts to augment the housing stock and improve the quality of housing. For instance, in 1975 new urban housing represented 81.7 per cent of total housing, while in 1965 urban housing represented only 45.3 per cent of the total.4 Progress was made with regard to the habitational quality of urban living. Thus, the number of newly built dwellings with three or more rooms increased, allowing more living space per person. It is worth mentioning that while in 1965 the number of dwellings with three or more rooms represented 25.9 per cent of the total, in 1975 the same type of dwellings made up 40.7 per cent of the total.5 During the same period, household appliances entered the homes of many Romanians. This was especially due to the launch of domestic production of such equipment. Consequently, ownership of refrigerators, radio and TV sets, vacuum cleaners, ovens, and washing and sewing machines became common. The number of automobiles grew as well, especially after the introduction of domestic car production in August 1968. The Piteşti Automobile Plant, which manufactured cars under a licence purchased from the French manufacturer Renault, produced the legendary Dacia 1300. Romanians developed a strong emotional attachment to this car, since for a great number of families in Romania the Dacia 1300 was their first car ever.6 2 See Table SA1.12, Employment in the State Sector, by Professional Category, 1950, 1955, 1960, 1965, and 1970−76. In: Romania: The Industrialization of an Agrarian Economy Under Socialist Planning. Eds. Andreas C. Tsantis and Roy Pepper. Washington D. C. 1979, 542 f. 3 Montias, John Michael: Economic Development in Communist Rumania. Cambridge, Mass. 1967, 1. 4 Table SA8.7, Housing Turned over to Occupancy, 1965−1976. In: Romania (cf. n. 2), 666−671. 5 Table 12.12. In: Romania (cf. n. 2), 298 f. 6 The Piteşti Automobile Plant was opened on 20 August 1968. See Istoria României în date [Romania’s history in data]. Ed. Dinu C. Giurescu. Bucharest 32010 [12003], 601. Hereafter cited as Romania’s history in data.

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The Communist authorities encouraged better use of leisure time by the general population and allowed the publication of guidebooks for tourists and travellers. Moreover, the “Almanah Scânteia”, the offspring of the Party newspaper “Scânteia”, officially supported the regime’s new approach to leisure and tourism. For instance, the first issue of the “Almanah Scânteia”, published in 1967, paid special attention to tourism. The almanac contained, among other information, useful lists of the most relevant museums, historical monuments and sites, spas and mountain resorts, chalets in the mountains, motels, petrol stations and auto repair shops.7 Consequently, many families spent their holidays at the seaside or in the mountains, or even took annual trips abroad, mostly to the “fraternal countries” in the Soviet bloc.8 The period in which Romanian Communism displayed a less ferocious face came to an end in the mid-1970s. A sharp reversal in terms of both economic conditions and political freedoms occurred in the early 1980s, and a large part of the population became increasingly dissatisfied with the regime. While Western economies were entering the fifth industrial age, i. e. the age of electronics and information technology, the Soviet-type economies were more or less confined to the third industrial age, i. e. the age of steel and organic chemistry.9 The fifth industrial age placed a strong emphasis on rapid circulation of capital. In Romania, decisions were made slowly since almost everything had to be sanctioned at the top of the Romanian Communist Party (RCP), usually by the supreme leader himself. The major characteristics of the economic policy enforced by the Party during the 1977−1989 period can be summarised as follows: (1) continuation of the massive investments in heavy industry (steel and iron, heavy machinery); and (2) the launch of a series of extremely costly projects such as the Danube-Black Sea Canal and the “systematisation” of the capital city, Bucharest. Signs of a severe economic crisis appeared in the mid-1970s. In 1979, the regime introduced price increases for gasoline, electricity, natural gas and heating fuel. Ceauşescu wanted to diminish Romania’s dependence on the West and engaged in a policy of reducing the country’s external debt, which in late 1981 amounted to $10.2 billion and in 1982 reached a record of approximately $13 billion.10 Due to the poor quality of Romanian industrial products, the demand for such goods on the international market was quite low. Thus, in its quest for hard currency revenues the RCP 7 Almanah Scânteia 1967. Bucharest, 257−268, 305−352 and 380−392. 8 For an official point of view on the economic development of Communist Romania during the 1965−1977 period, see România pe calea socialismului şi comunismului: Cifre şi fapte [Romania on the Road to Socialism and Communism: Figures and Facts]. Bucharest 1977. For an assessment of the 1965−1977 period viewed as a period of rising expectations, see Petrescu, Dragoş: Explaining the Romanian Revolution of 1989: Structure, Culture, and Contingency. Bucharest 2010, 143−155. 9 Capitalism went through five industrial ages: (1) the cotton-textile age (from the 1780s to the 1830s); (2) the rail and iron age (from the 1840s to the early 1870s); (3) the steel and organic-chemistry age (from the 1870s up to WWI); (4) the age of automobiles and petrochemicals (from the 1910s to the 1970s); and (5) the age of electronics, information and biotechnology (from the 1970s to the present). See Chirot, Daniel: What Happened in Eastern Europe in 1989? In: The Crisis of Leninism and the Decline of the Left: The Revolutions of 1989. Ed. Daniel Chirot. Seattle 1991, 3–33, here 23. 10 Georgescu, Vlad: The Romanians: A History. London 1991, 270.



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increased exports of agricultural products simultaneously with a drastic reduction of imports. As a consequence, beginning in 1981/82 Romania entered a period of chronic shortages of food and consumer goods. Food rationing measures followed. Bread rationing was introduced in 1981 in order to limit consumption, and was maintained over the entire 1981−1989 period everywhere except Bucharest. Similar measures of food rationing were introduced for other basic foodstuffs such as cooking oil and sugar. Faced with the alimentary crisis, the regime proved incapable of increasing agricultural production. Instead, the Communist authorities issued the so-called Programme of scientific alimentation of the population (Programul de alimentaţie ştiinţifică a populaţiei), which was published on 14 July 1982.11 The “programme” obscured the real causes of the crisis, i.  e. the mistaken economic policies of the RCP, and suggested that the shortages were due to a tendency to overeat among the population. Queuing for food became a daily routine. Shortages of other basic items such as soap, toothpaste and detergent became endemic. Gasoline was drastically rationed. In order to reduce traffic and therefore the demand for gasoline for private cars, people were permitted to drive their cars only every other Sunday, with the Sundays alternating between cars with even and odd registration numbers. Queuing for gasoline was another humiliating experience. Apart from gasoline, natural gas became an issue. In the 1980s the pressure of the natural gas delivered to people’s homes was so low that they could not use their kitchen stoves. Consequently, many families prepared their food overnight, when the gas pressure was higher.12 In 1982 the price of electricity rose by 30 per cent, while the price of heating fuel rose almost 300 per cent.13 Although private electricity consumption represented only 7.0 per cent of total consumption, throughout the 1980s rank-and-file citizens had to bear the brunt of the energy crisis. This led to major problems with central heating during the winter and had appalling long-term consequences for the health of the general population.14 A Party old-timer, sociologist Pavel Câmpeanu, protested publicly against the regime’s irrational energy-rationing policies.15 After the “golden period” of higher consumption and rising expectations of the 1960s and mid-1970s, the period of structural economic crisis of the 1980s led to a sharp rise in societal dissatisfaction with the regime. From the early 1960s until the late 1970s, the regime offered something to the Romanian society: a reasonable standard of living. By the late 1980s, however, as a direct result of RCP’s mistaken policies, a strange phenomenon occurred. As historian Vlad Georgescu noted, “Under the 11 Istoria României în date (cf. n. 6), 696 f. 12 On the miseries of everyday life during the 1980s see, for instance, the accounts by Ioana Monj, Puiu Gheorghiu and Grigore Olimp Ioan in: Martor [Witness] – The Review of Anthropology of the Museum of the Romanian Peasant 7 (2002), 74, 77 and 132. Hereafter cited as Witness. 13 Shafir, Michael: Romania – Politics, Economics and Society: Political Stagnation and Simulated Change. London 1985, 118. 14 Account by M. B. in: Witness (cf. n. 12), 81. 15 Câmpeanu, Pavel: Ceauşescu, anii numărătorii inverse [Ceauşescu, the countdown years]. Iaşi 2002, 279−287.

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guise of austerity, the regime imposed on the country a bizarre process of de-modernization”.16 Absolute deprivation was a primary source of hatred towards the regime. As a result of the regime’s irrational economic policy, by the late 1980s a majority of the population was forced to think in terms of biological survival.17 Relative deprivation also played a role in the development of discontent. Relative discontent was generated not only by the sharp division in terms of social identities – the division between “us” (the people) and “them” (the nomenklatura), but also by the comparison between Romania and “fraternal countries” from the Soviet bloc – such as neighbouring Hungary or Bulgaria – which were better off.18 The two periods briefly described above, i.  e. 1965–1977 and 1977–1989, have been remembered differently in the post-Communist period. The period 1965–1977 has been generally remembered as a time of relative ideological relaxation, perceptible economic improvement and openness towards the West, while the period 1977–1989 has been associated in folk memory with Ceauşescu’s personality cult, food shortages and power cuts, the negative consequences of increased autarky and a widespread feeling of hopelessness.

History and politics: “Memory as a form of justice” The 1989 revolution in Romania succeeded in bringing down the Ceauşescu dictatorship, but did not manage to bring the democratic opposition to power. The overwhelming majority of the population proved to be united in its hatred of the Ceauşescu couple, as is clear from the recollections mentioned above, which speak of deep feelings of humiliation and frustration with the regime in the late 1980s.19 At the same time, there was no united group of dissidents that could fill the power vacuum generated by the sudden collapse of the regime. Consequently, second- and third-rank nomenklatura members came rather smoothly to power and formed the provisional government. The new political power – the National Salvation Front – was headed by Ion Iliescu, a former high-ranking nomenklatura member known for his pro-Gorbachev views, and brought together under one banner numerous former Communist officials.20 The political opposition to the NSF had at its core the revived “historic” parties: the National 16 Georgescu (cf. n. 10), 272. 17 As Katherine Verdery aptly observed: “The experience of humiliation, of a destruction of dignity, was common to those who had waited for hours to accomplish (or fail to accomplish) some basic task. Being immobilized for some meager return, during which time one could not do anything else one might find rewarding, was the ultimate experience of impotence.” See Verdery, Katherine: What Was Socialism, and What Comes Next? Princeton 1996, 56. 18 For more on the period of economic decline (1977−1989), see Petrescu, Explaining the Romanian Revolution of 1989 (cf. n. 8), 155−173. 19 See footnotes 12 and 14 above. 20 The National Salvation Front (NSF) was established on 22 December 1989 in the afternoon and acted in its initial phase as a provisional revolutionary government.



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Peasant Party, the National Liberal Party and the Romanian Social-Democratic Party, i. e. the three democratic parties from the interwar period that were disbanded by the Communists in the late 1940s and were re-established immediately after the collapse of the Ceauşescu regime on 22 December 1989.21 The landslide victory of the NSF in the general elections of 20 May 1990 showed that anti-Communism was not enough to bring the democratic opposition to power. The opposition also had to unite itself and explain its political programme to a population that was still afraid of “selling their country” to the capitalist “exploiters”.22 During the 1990−1996 period, i. e. from the first free elections to the first shift in power, the Iliescu regime refused to adopt lustration legislation or to unveil the crimes of the Communist regime and the abuses of the Securitate (the Communist secret police).23 As a consequence, many intellectuals joined the political opposition and quite a number of them engaged in a project of “healing” the nation from the “Communist disease”. The objective was to provide a “true” history of the Communist period instead of the distorted version written and taught under the Communist regime. Since the works on recent history published under Communism were not to be trusted, the reconstruction of that period was first done via memoirs, diaries and witness accounts. Numerous books of memoirs of those who suffered under the Communist regime were published and were well received by the general public. For this reason, memoirs, diaries and witness accounts have determined to a large extent the way Communism has been remembered in post-1989 Romania.24 As a result, the following three major themes have emerged and become extremely influential: (1) communism as alien to the Romanian psyche and imposed by the Red Army; (2) Stalinist terror in Romania as unparalleled in Sovietised Europe; and (3) Ceauşescu’s Communism as exceptionally repressive. A fourth theme – communism as sheer progress and defender of the

21 The most prominent civic organisations were the Group for Social Dialogue, the Civic Alliance and the Association of Former Political Prisoners in Romania. 22 Opposition parties formed the Democratic Convention in Romania and eventually won the 1996 general elections. See Pavel, Dan/Huiu, Iulia: “Nu putem reuşi decât împreună”: O istorie analitică a Convenţiei Democratice, 1989−2000 [“We can make it only together”: An analytic history of the Democratic Convention, 1989–2000]. Iaşi 2003. 23 Civic organisations repeatedly asked for the introduction of lustration legislation. The first initiative of the kind was the issuing of the “Proclamation of Timişoara” (11 March 1990), whose article 8 requested the banning of all former nomenklatura members, party activists and officers of the former secret police from running in the next three elections. For the text of the proclamation, see Ştefănescu, Domniţa: Cinci ani din istoria României: O cronologie a evenimentelor decembrie 1989− decembrie 1995 [Five years of Romania’s history: A chronology of events between December 1989 and December 1994]. Bucharest 1995, 453 f. 24 For more on the post-1989 memoirs and historical writings about the Communist past, see Petrescu, Cristina/Petrescu, Dragoş: Mastering vs. Coming to Terms with the Past: A Critical Analysis of Post-Communist Romanian Historiography. In: Narratives Unbound: Historical Studies in Post-Communist Eastern Europe. Eds. Sorin Antohi, Balázs Trencsényi and Péter Apor. Budapest 2007, 352−365.

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national interest – also emerged but remained marginal because it was promoted only by former nomenklatura members and Ceauşescu’s court intellectuals.25 Of these four themes, two mutually exclusive representations of Romania’s Communist past have emerged. The first – which became the prevailing vision of the Communist past during the period from 1990 to 2007 – portrays the 1945−1989 period as a period of sheer, random Stalinist terror. This representation of the Communist past was consistent with the recollections of the political prisoners who went through the appalling experience of the Romanian gulag, but obscured the changes that all Communist regimes in the post-Stalinist era underwent. Such a representation also appealed to the majority of the population, which neither engaged in radical dissidence nor risked lives in December 1989. It was because of the terror unleashed by “them” – the nomenklatura and the Securitate – that “we” – the innocent mass of victims – could do nothing more than wait and see until the regime was brought down suddenly and quite surprisingly by a relatively small number of daring protesters. Those who emerged as critics of the former regime only after its collapse could claim that their lack of protest was due to the exceptionally repressive character of the Ceauşescu regime. The second representation, an overwhelmingly positive vision of the Communist past, was promoted by former nomenklatura members. They praised the paternalistic party-state that ensured rapid industrial and urban development and provided secure jobs, decent wages, free education and health care. Such an interpretation did not capture the hearts and minds of the majority of citizens, who have little nostalgia for the Communist regime as such because of the deprivation experienced during the 1980s. Thus, the attempts of former apparatchiks or nomenklatura members to emphasise the achievements of the ancien régime were immediately discarded as Communist propaganda.26 Nonetheless, both ways of remembering Romanian Communism emphasised its exceptionalism. It was either about the violent forms of repression that characterised the Romanian gulag, or about economic progress and independence within the Soviet bloc. Neither of these visions offered a comprehensive view of the Communist past. A law that made possible the opening of the Securitate files was adopted only in 1999.27 In post-Communist Romania, criminal charges were brought only selectively immediately following the regime change, and were limited to the Ceauşescu couple and their inner circle of power. An overall process of dealing with the wrongdoings of 25 These themes are discussed in detail in Petrescu Cristina/Petrescu Dragoş: The Piteşti Syndrome: A Romanian Vergangenheitsbewältigung? In: Postdiktatorische Geschichtskulturen im Süden und Osten Europas: Bestandsaufnahme und Forschungsperspektiven. Ed. Stefan Troebst. Göttingen 2010, 502−618. 26 Petrescu/Petrescu, Mastering vs. Coming to Terms with the Past (cf. n. 24), 363 f. 27 For more on the specific law (Law 187/1999) and its subsequent modifications, as well as for details concerning the activity of the National Council for the Study of the Securitate Archives (Consiliul Naţional pentru Studierea Arhivelor Securităţii – CNSAS), including the institutional Annual Reports, visit the official CNSAS Web site at www.cnsas.ro (20. 06. 2013).



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the Communist regime never took place in Romania after 1989. Instead, in late 1999 a one-dimensional process of exposing publicly those persons who were either agents or informal collaborators of the Securitate was initiated. A law destined to “lustrate” the former nomenklatura members was eventually adopted in May 2010, but was declared unconstitutional by the Constitutional Court of Romania in June of the same year and left no hope that lustration legislation would ever be introduced in Romania.28 Up until 1996, the main instrument civil society and the democratic opposition had at their disposal to do justice to the victims was a historical reconstruction of the Communist period that emphasised the repression of innocent individuals by the defunct regime. Thus, in post-Communist historiography, a Manichean vision of the Communist past was put forward, with the history inspired or authored by the victims set in opposition to the one inspired or produced by the perpetrators. The version proposed by the victims became the prevailing public representation of the Communist past and was institutionalised as such by the Final Report of the Presidential Commission for the Analysis of the Communist Dictatorship in Romania, which was finished in November 2006 and published in a definitive version in 2007.29 There remains, however, to be written a history of the silent bystanders, beneficiaries of the “tacit deal” of the 1960s and 1970s. History should also give a voice to those ordinary people who did not oppose the regime openly but did not support it publicly either. Most probably, they believed in Ceauşescu’s independent policies, thought that Communism was there to stay forever, and had to muddle through in order to provide for their families. A comprehensive survey of their recollections of Communism has yet to appear. With few exceptions, from 1990 to 2007 recollections from the 1965−1977 period of Communist rule were reserved for friends and family, and generally were not revealed in public.30 Scholars were rather uninterested in researching that period unless they were documenting human rights abuses or dissident activities.31 Beginning in 2005, however, advertising campaigns by some companies that wanted to push sales by “commercialising” Communism touched upon the “golden years” of Communist modernisation. Six commercials that were part of

28 For the text of the Lustration Law as adopted by the Romanian Parliament on 19 May 2010, see www.avocatnet.ro/UserFiles/articleFiles/lege%20alustratiei_05201244.pdf (20. 06. 2013). Decision No. 820 of 7 June 2010 of the Constitutional Court of Romania was published in: Monitorul Oficial al României, No. 420, 23 June 2010. 29 Comisia Prezidenţială pentru Analiza Dictaturii Comuniste din România: Raport Final [Presidential Commission for the Analysis of the Communist Dictatorship in Romania: Final Report]. Bucharest 2007. 30 Mihăilescu, Vintilă: Ăştia eram noi. In: Cum era? Cam aşa … Amintiri din anii comunismului (românesc) [How was it? Something like this … Recollections from the times of (Romanian) communism]. Ed. Cǎlin-Andrei Mihǎilescu. Bucharest 2006, 18−26. 31 See, for instance, Viaţa cotidiană în comunism [Everyday life under Communism]. Ed. Adrian Neculau. Iaşi 2004, in which the majority of contributors concentrate on terror, surveillance by the Securitate and shortages.

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sustained advertising campaigns and referred to everyday life under Communism are discussed below.

Experiencing Communism: Dictatorship and chocolate The first major television advertising campaign that involved representations of Communism promoted a very familiar Communist brand, Ciocolata cu rom (Rum Chocolate), and was released in the year 2005. Those who lived long enough under the Communist regime remember the three-color package reminiscent of the national flag – the tricolor (red, yellow and blue) − the only difference being that the red and yellow on the chocolate bar package were darker. The product was launched in the mid-1960s, and the post-Communist advertising campaign associated it with the year 1964, which represents an important chronological landmark. That year the Romanian Communists issued their famous “Declaration of April”, whereby they proclaimed the right of each and every Communist party to pursue its own path of building “socialism”.32 Equally importantly, the political prisoners were liberated in that same year, signalling the beginning of a short period of domestic liberalisation and ideological relaxation. These commercials promote a vision of Communism that is in line with the prevailing public representation of that period, i. e. a period in which basic rights were not observed and in which people were constantly under the surveillance of the Securitate. The key idea of the advertising campaign is that the Rum Chocolate is able to evoke a brief and rather harmless encounter with the miseries of everyday life under Communism. The two Rum Chocolate advertisements discussed in this section have a similar structure. In both commercials, the action takes place in present-day Romania, and the main characters are two youngsters who, as far as one can see, are less than twenty years old and thus have no direct memories of the Communist period. The first commercial portrays a long-haired youngster who is lingering in front of a movie theatre. We see him taking a bite of Rum Chocolate, and suddenly a black Securitate Volga appears and drives in front of the theatre. Two agents get out, grab him and shove him into the car. Then, we see him blindfolded and brought to an interrogation room where a Securitate officer is reading the Party newspaper “Scânteia”. The agent tells him, “The Party wants you to have a haircut!” Consequently our character is forced to have a “regulation” haircut, i. e., a very short, military-style haircut. A few moments later, the black Volga drops him back right in the front of the theatre, to the amazement of a passer-by. The slogan says: Rom tricolor. Senzaţii tari din 1964 (“Rum tricolor: Strong sensations since 1964”).33

32 Istoria României în date (cf. n. 6), 576 f. 33 See ROM – Rockerul (ROM – The rocker): brand: Rom; advertising agency: McCann-Erickson; year of production: 2005 (www.iqads.ro/ad_3326/rom_rockerul.html [20. 04. 2012]).



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The second advertisement portrays a good-looking young woman wearing a miniskirt. We can infer that she is waiting for somebody in the foyer of a university building. While waiting she takes a bite of Rum Chocolate and things around her change. Suddenly, patriotic music fills the air and, to her amazement, she sees the general secretary of the Party, Nicolae Ceauşescu, paying a domestic visit (vizită de lucru), surrounded by Pioneers wearing red ties and accompanied by apparatchiks and Securitate agents. The general secretary stops in front of her and addresses her: “Comrade! We do not tolerate such attire in the Communist youth! Take her! It’s a provocation!” Thus, she is taken by two Securitate agents to a side room where a female apparatchik hands her a set of plain, ugly clothes and tells her to change. Dressed “regularly”, she is pushed back into the corridor. The commercial ends with the same slogan: Rom tricolor: Senzaţii tari din 1964 (“Rum tricolor: Strong sensations since 1964”).34 Again, one should stress that the two commercials discussed above have as main characters young people who did not experience Communism directly and therefore do not have personal recollections of that period.

Re-experiencing Communism: Cream biscuits and ice cream The following two commercials are centred on the way sweet treats act as memory triggers for a generation that does have its own memories of the Communist period. A similar effect has been described by Marcel Proust in the famous opening scene of his work “Swann’s Way” (1922).35 In these two commercials, the memories are happy personal associations with particular situations in the past, triggered by the taste of the product – a sweet taste that has been preserved over the years as a significant feature of the brand. The first commercial promotes Eugenia cream biscuits. For those who lived under Romanian Communism, Eugenia was arguably the most popular and affordable snack. The rounded, elongated biscuits with cocoa cream filling – two pieces per pack − were available even during the most difficult periods of food shortages in the 1980s. In the 34 See ROM – Vizita de lucru (ROM – The working visit): brand: Rom; advertising agency: McCannErickson; year of production: 2005 (www.iqads.ro/ad_3325/rom_vizita_de_lucru.html [20. 04. 2012]). 35 “One day in winter, as I came home, my mother, seeing that I was cold, offered me some tea, a thing I did not ordinarily take. I declined at first, and then, for no particular reason, changed my mind. She sent out for one of those short, plump little cakes called ‘petites madeleines’, which look as though they had been moulded in the fluted scallop of a pilgrim’s shell. And soon, mechanically, weary after a dull day with the prospect of a depressing morrow, I raised to my lips a spoonful of the tea in which I had soaked a morsel of the cake. No sooner had the warm liquid, and the crumbs with it, touched my palate than a shudder ran through my whole body, and I stopped, intent upon the extraordinary changes that were taking place. ... Undoubtedly what is thus palpitating in the depths of my being must be the image, the visual memory which, being linked to that taste, has tried to follow it into my conscious mind” [emphasis added]. Proust, Marcel: Swann’s Way, Remembrance of Things Past, vol. 1. Trans. C. K. Scott Moncrieff. In: http://ebooks.adelaide.edu.au/p/proust/marcel/p96s/chapter1.html (21. 04. 2012).

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beginning of the commercial, one can see an officer writing a letter to his mum. He is wearing a military uniform and the scene takes place in a military command tent. From the outside noise – armoured vehicles, military jets – one can infer that the tent is in a theatre of military operations. On the screen, a piece of information appears: 2007, Nasiria NATO military base. A private enters and addresses the officer in English: “Colonel Ionescu! Your package from home, sir!” “Thank you, Jim!” answers the main character, also in English. Colonel Ionescu opens the package he just received from home and finds inside a box of Eugenia cream biscuits: the new Eugenia, in a modern and fancy package. Our colonel takes a bite of the new Eugenia and travels back in time. The picture turns black and white, and on the screen appear the words Cândva, cu mulţi ani în urmă (“One day, many years ago”). We see our colonel, much younger then, an army recruit in the Communist armed forces, eating a Eugenia cream biscuit while writing to his mum. The slogan says: Dulce ieri, delicioasă azi. Noua Eugenia. Mult mai bună! (“Sweet yesterday, delicious today. The new Eugenia. Much tastier!”).36 The second commercial tells a similar story but in reverse order. We see first a boy in front of an ugly ice cream kiosk asking for an ice cream. The sound of a radio fills the air with news about Ceauşescu’s domestic visits. We see the main character riding home on his Pegas Camping bicycle.37 Preoccupied with eating his ice cream, he loses control of his bicycle and falls down over a bush in front of some of his friends. Astonishingly, he escapes without a scratch and the bush rescues the precious Napoca ice cream from falling to the ground, so he can enjoy it further. He takes a bite and the advertising slogan is delivered. One can hear the period singer Mihaela Runceanu (1955−1989) singing one of her most successful songs, “Happiness has your face”, while a narrator intones the slogan Îngheţata n-a mai avut un gust aşa de bun din copilărie. Napoca: gustul copilăriei (“The ice cream has never tasted so good since childhood. Napoca − the taste of childhood”).38 In the end, we are taken to the present, where the hero, now a young adult, enjoys the taste of the same Napoca ice cream while leaning against the bonnet of a black Spanish-made Seat automobile.

Selective memories of Communism: Longing for the most beautiful years of our lives The two commercials analysed in this section focus on two commodities whose production was initiated under the Ceauşescu regime and which managed to survive 36 See Eugenia – Pachetul (Eugenia – The parcel): brand: Eugenia; advertising agency: Brands & Bears; year of production: 2007 (www.iqads.ro/ad_4089/eugenia_pachetul.html [20.04.2012]). 37 An icon of the Communist period, the folding Pegas Camping bicycle was the most expensive and desired bicycle among the youngsters of the day. 38 See Napoca – Nostalgia (Napoca – Nostalgia): brand: Napoca; advertising agency: Ogilvy; year of production: 2007 (www.iqads.ro/ad_4053/napoca_nostalgia.html [20. 06. 2013]).



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the complicated period of transition to a market economy. The first was devised to promote the Logan model of the well-known Dacia Automobile Company, now owned by the French producer Renault. The plot is straightforward, and the events are arranged in chronological order and presented in the form of a slide show. One can see first a young adult, proudly posing in front of his newly bought Dacia 1300; it is worth noting the unmistakable light red colour, typical of Dacia cars of that period. The next image shows the same character driving his Dacia downtown as a good-looking girl crosses the street just in front of his car. The next image shows them kissing in the back seat of the same Dacia; they have clearly become romantically involved. The next frame shows a doll dressed as a bride and affixed to the bonnet of the red Dacia, indicating that the couple have got married. The story goes on, and we see our hero driving in a state of agitation as his wife leans back in the passenger seat in apparent agony: she has gone into labour and her husband is driving her to the hospital. The children are born, a boy and a girl. Then we see the entire family in front of their Dacia 1300: the children are already of school age. The same Dacia takes them on holidays, as indicated by a slide of the children sleeping in the back seat. In the next image the children are young adults, and the boy is dressed in a military uniform, on his way to serve in the army. The 1989 revolution comes and the light red Dacia 1300, together with its owners, are right in the thick of things, surrounded by the flag-waving crowd. After the revolution, one of the children gets married. It is not clear whose wedding is depicted, but it is most probably the girl, and her brother is getting ready to chauffeur the newlyweds in the same old red Dacia. In the final scene we see first the main character, now much older, in the front of the same Dacia. The camera angle widens and we see that the whole family has gathered – three generations by now – and next to the old red Dacia 1300 appears a white Dacia Logan. The slogan is Împlinim primii noştri patruzeci de ani. Vino să sărbătorim împreună! (“We are completing our first forty years. Let us celebrate together!”).39 The second commercial refers to a particular period, i. e. the 1970s. The commercial does not have a plot; rather, it focuses on recreating the atmosphere of the 1970s, concentrating on music and choreography. We see first the interior of a large store, vaguely reminiscent of grocery stores in Communist times because all the shelves are stocked with the same item – boxes of Dero detergent. On the packages are portraits of the most popular singers of the period, such as Anda Călugăreanu and Dan Spătaru. A group of young adults – we shall discover a bit later that they are in fact dancers – are doing some warm-up exercises. Suddenly, a female voice can be heard through the loudspeaker asking the group to be ready. The music starts and the dancers – each of them carrying a package of Dero – begin dancing. The choreography recalls musical shows that aired on Romanian television in the 1970s, realised by Alexandru Bocăneţ and Cornel Patrichi, while the background music is the song Ce tânăr eşti (“What a 39 See Dacia – 40 ani (Dacia – 40 years): brand: Dacia; advertising agency: Graffiti BBDO; year of production: 2007 (www.iqads.ro/ad_3936/dacia_40_ani.html [21. 06. 2013]).

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young guy you are”), performed by Anda Călugăreanu. The dancers move outside the store and start dancing down the street. Passers-by are charmed by the inexplicable joy displayed by the dancers and join them. Two waiters from a nearby restaurant join the dancing crowd. The joyful procession moves forward. Passengers in a bus look on in amazement. Two housewives start dancing on the balconies of their homes. At some point, the dancers reach a district of high-rise “socialist” blocks, where they perform some elaborate dance steps in front of four prefabricated garages. Two persons, mother and son, look at the dancers with joyful excitement on their faces. Eventually, the dancing crowd leaves behind the “socialist” blocks of flats and finds itself in a large green area. Coloured balloons rise into the sky in an overwhelming atmosphere of de-ideologised happiness. In the end, a slogan appears on the screen: Dero îţi aduce înapoi parfumul anilor cei mai frumoşi (“Dero brings the scent of the most beautiful years back to you”).40 For the duration of the advertising campaign, each package of Dero contained a music CD with nine songs performed by the most prominent singers of the period.41 The story told by the two commercials in this section is about surviving the traumatic events of recent history: late Communism, a bloody revolution and a painful transition. They appeal to the emotions and focus on selective memory. Watching these advertisements, one could exclaim, “Together we managed to survive the Communist dictatorship, and we even had a good time doing it!”42 Nevertheless, it should not be forgotten that those individuals who were imprisoned or deported under the earlier Stalinist regime of Gheorghe Gheorghiu-Dej (1945−1965) had a totally different experience of Communism than the generation that experienced the shortages of the 1980s. The lived experiences of the two generations are by no means similar. The preventive type of control exercised by the secret police during the 1980s cannot be compared to the random terror applied during the Stalinist period. The two epochs were, however, separated by a period of Communist consumerism from 1965 to 1977. Throughout the 1960s and 1970s people had no hope of escaping Communist rule. Many believed that Communism was there to stay forever, and those who had no chance of leaving the country for good still had to 40 See Dero – Parfumul anilor cei mai frumoşi (Dero – The scent of the most beautiful years): brand: Dero; advertising agency: Punct Advertising; year of production: 2007 (www.iqads.ro/ad_4057/dero_ parfumul_anilor_cei_mai_frumosi.html [20.06.2013]). 41 The music CD contains the following songs: (1) Aurelian Andreescu – Copacul (“The tree”); (2) Aura Urziceanu – Vreau să vii în viaţa mea (“I want you to come into my life”); (3) Mondial – De va veni la tine vântul (“If the wind comes to you”); (4) Mihaela Runceanu – De-ar fi să vii (“If you would come”); (5) Cornel Constantiniu – Trubadurul (“The Troubadour”); (6) Roşu şi negru – Semnul tău (“The sign of yours”); (7) Gică Petrescu – Cel mai frumos tango din lume (“The most beautiful tango in the world”); (8) Anda Călugăreanu – Ce tânăr eşti (“What a young guy you are”); and (9) Dan Spătaru – Drumurile (“The roads”). 42 It can be argued that the advertising campaigns for Dacia and Dero acted as triggers of nostalgia for those who were young adults during the period of rising expectations (from 1965 to 1977). For more on the current debates regarding post-Communist nostalgia, see Post-Communist Nostalgia. Eds. Maria Todorova and Zsuzsa Gille. New York 2010.



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live their lives. They fell in love, got married and had children. Most of them saved money to buy a flat, then saved again to buy a Dacia 1300 and to go on holiday to the Black Sea coast, the Bucegi Mountains or even to the “socialist” countries in Eastern and Central Europe. The last two of the three categories of commercials discussed above touch upon recollections from the late 1960s and 1970s that were generally suppressed because they were considered “politically incorrect” after the breakdown of the Communist regime, especially during the period 1990−2007. Nevertheless, by looking at the period when the regime was more permissive one can identify the mechanisms that led to the co-optation by the regime of significant strata of the population and undermined the structuring of a dissident movement in Romania. True, it is much easier to put the whole blame on “them”, the nomenklatura and the Securitate, when attempting to provide a valid explanation for the lack of structured dissidence in Communist Romania. In fact, the de-ideologised atmosphere of inexplicable happiness that one can see in the final scene of the Dero television advertisement is what Ceauşescu wanted to impose on Romanian society. Further research on the period of rising expectations (1965−1977), focusing on the popular perceptions of the regime, is nevertheless needed in order to explain how the Ceauşescu regime managed to ensure societal quiescence prior to 1977.43

Concluding remarks The epoch of Nicolae Ceauşescu can be divided in two distinct periods. The first period, 1965−1977, was characterised by increased consumption and rising expectations. The second period, 1977−1989, was characterised by a deep economic crisis that led to a sharp rise in societal dissatisfaction with the regime. During the first period, the regime had something to offer the Romanian society in general: a reasonable standard of living. The crisis that characterised the second period was a direct result of the mistaken policies implemented by the RCP. Thus, the living standards of the overwhelming majority of the population plummeted. At the beginning of the post-Communist period (up to the first shift in power in 1996), the country was headed by a former nomenklatura member, Ion Iliescu, and his party, in which former apparatchiks held top positions. During this period, the adoption of lustration legislation and free access to the archives of the Communist period – the Securitate archives included – were constantly postponed. As a consequence, from 1990 to 1996 a biased memory of Communism became a fundamental ingredient in opposition politics, and the historical reconstruction of the entire Communist period (1945−1989) was based mostly on the memories of victims of the regime and much 43 On the most significant dissident action in Communist Romania, the 1977 Goma movement, see Petrescu, Cristina: From Robin Hood to Don Quixote: Resistance and Dissent in Communist Romania. Bucharest 2013, 115−170.

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less on historical archives, which were for all practical purposes closed to researchers. This version of Romania’s Communist past overlooked some of the achievements of the first period of Ceauşescu’s rule (1965−1977). Moreover, it addresses only partially the issue of co-optation by the regime of significant strata of the population. This interpretation of the Communist period had two contrasting effects. On the one hand, it postponed the development of a sort of Communist nostalgia in post-1989 Romania. On the other hand, it delayed the initiation of public discussions about the modernising features of the Communist dictatorship in Romania, including such major achievements as industrialisation, urbanisation and the spread of education. During the 1990−2007 period, many people were reluctant to speak of their positive everyday experiences during the 1965−1977 period for fear of being dubbed “communist nostalgics”. However, beginning in 2005 there were a number of advertising campaigns that aimed to increase sales by “commercialising” Communism, specifically by romanticising the “golden years” of Communist modernisation. These television advertising campaigns pointed towards the need to reconstruct that period from the perspective of the lived experiences of ordinary people. Public interest in everyday life under the Ceauşescu regime grew steadily after 2007. The year 2007 represented a watershed in terms of public representations of the Communist regime, brought about by a particular political and economic context. The first event of note is the official condemnation of the wrongdoings committed by the Communist authorities in Romania during the 1945−1989 period, which was publicly pronounced before the Romanian Parliament on 18 December 2006 by the current president of the country, Traian Băsescu. This act of condemnation was based on a massive report compiled by a presidential commission established in April 2006.44 The official condemnation of the crimes committed by the Communist regime in Romania put an end to the extensive instrumentalisation of anti-Communism as a political principle by various political parties and opened the way for a comprehensive and multifaceted professional historical reconstruction of that period. A second event of note is the economic crisis that hit Romania hard from the year 2008 onwards, and its impact on public representations of Communism. There was a palpable change in the popular perception of the Ceauşescu regime. Opinion polls have revealed a tendency towards reconsidering the social and economic achievements of the Communist regime in Romania, although it is still too early to say whether such views will last or will disappear when the current economic difficulties are overcome.45 Thus, it may be argued that after the year 2008 a series of changes occurred in terms of public representations and popular perceptions of the Communist regime, and the prevailing 44 For the complete text of the official declaration by President Băsescu, see Comisia Prezidenţială (cf. n. 29), 11−18; the declaration was published in: Monitorul Oficial al României, No. 196, 28 December 2006. 45 See the opinion polls commissioned by the Institute for the Investigation of the Crimes of Communism and the Memory of Romanian Exile and conducted by the Centre for Public Opinion Survey in 2010 and 2011 (www.crimelecomunismului.ro/pdf/ro/raport_sondaj_opinie_publica_iiccmer_ mai_2011.pdf [20.06.2013]).



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public representation centred on terror, surveillance and shortages has been noticeably amended. It remains to be seen if the current economic crisis will precipitate a major change in the popular perception of the Ceauşescu era and give birth to an enduring Communist nostalgia in present-day Romania.

D i e Rekon st ru ktion de r Na tion Der Wiederaufbau zerstörter Baudenkmäler im Dienst der Erinnerungspolitik in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion*

Arnold Bartetzky Die mehr oder weniger originalgetreue Rekonstruktion zerstörter Bauten ist in den letzten Jahrhunderten immer wieder eine Option der Architekturproduktion gewesen. Auf die Praxis des idealisierenden Wiederaufbaus und der freizügig ergänzenden Restaurierung besonders symbolträchtiger Baudenkmäler in der Zeit der Romantik und des Historismus folgten nach 1918 und 1945 Wellen von Rekonstruktionsprojekten, die die Wunden der Kriegszerstörungen heilen sollten. Seit den 1980er-Jahren erlebt die Rekonstruktion in verschiedenen Teilen Europas eine neue Konjunktur. Einen wesentlichen Anteil daran haben die nach dem Umbruch von 1989–1991 in Angriff genommenen Projekte in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, bei denen das Bedürfnis nach Inszenierung einer glorifizierten Geschichte und nach Identitätsstiftung für die Gegenwart im Mittelpunkt steht. Ein Paradebeispiel dafür bietet die Christus-Erlöser-Kathedrale in Moskau, die zu den politisch aufgeladensten Erinnerungsorten Russlands zählt (Taf. 1).1 In der Geschichte ihrer Erbauung, Zerstörung und Wiedererrichtung zeigen sich wie in einem Brennglas die symbolpolitischen Konzepte der aufeinanderfolgenden Regime. Nach langer Planungszeit entstand die Kathedrale in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Memorialbau für Russlands Sieg über Napoleon. Sie war die zentrale Kultstätte des russisch-orthodoxen Christentums und zugleich einer der prominentesten Repräsentationsbauten des Zarenreichs, der die Symbiose von kirchlicher und weltlicher Macht symbolisierte. Im Jahr 1931 wurde dieses im Stil des russisch-byzantinischen Eklektizismus errichtete größte Bauwerk Moskaus nach Stalins Willen gesprengt, um Platz für die neue Kathedrale des Kommunismus – den Sowjetpalast – zu machen. * Eine etwas kürzere Version dieses Beitrages ist in polnischer und englischer Sprache erschienen: Bartetzky, Arnold: Naprawianie historii. Odbudowa zniszczonych zabytków a polityka historyczna w Europie Wschodniej/Corrected history. Reconstruction of destroyed buildings and politics of history in Eastern Europe [zweisprachig]. In: Herito. Dziedzictwo, kultura, współczesność. Heritage, Culture & the Present 2 (2011) 3, 22–33. 1 Akinsha, Konstantin/Kozlov, Grigorij: The Holy Place. Architecture, Ideology, and History in Russia. New Haven-London 2007; de Keghel, Isabelle: Der Wiederaufbau der Moskauer Erlöserkathedrale. Überlegungen zur Konstruktion und Repräsentation nationaler Identität in Russland. In: Inszenierung des Nationalen. Geschichte, Kultur und die Politik der Identitäten am Ende des 20. Jahrhunderts. Hg. v. Beate Binder, Wolfgang Kaschuba und Peter Niedermüller. Köln-Weimar-Wien 2001, 211–232; Dmitrieva, Marina: Christus-Erlöser-Kathedrale versus Palast der Sowjets. Zur Semantik zeitgenössischer Architektur in Moskau. In: Kultur und Krise. Rußland 1987–1997. Hg. v. Elisabeth Cheauré. Berlin 1997, 121–135.



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Doch das geplante höchste Gebäude der Welt kam nicht über die Fundamente hinaus. An seiner Stelle entstand in der Tauwetterperiode unter Chruschtschow ein anderer Bau der Superlative – das mutmaßlich weltgrößte Schwimmbad namens „Moskva“. Die Erlöserkathedrale schien zum Vergessen verdammt. Nicht einmal Fotos von ihr durften publiziert werden. Bereits mit Gorbatschows Perestroika wurden aber erste Wiederaufbauforderungen laut. Sie stammten von gläubigen Intellektuellen aus dem oppositionellen Milieu, die sich von der Wiedererstehung des Gotteshauses ein Zeichen der Sühne für bolschewistische Untaten und einen Akt spiritueller Läuterung Russlands versprachen. Doch das Projekt verlor rasch seinen dissidentisch-zivilgesellschaftlichen Charakter und seine Initiatoren hatten bald nichts mehr zu sagen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion erklärte Russlands Präsident Boris Jelzin den Wiederaufbau der Kathedrale zur Staatssache. Das Bauprojekt avancierte zu einem der wichtigsten erinnerungspolitischen Vorhaben des einstigen Sowjetfunktionärs, der – Ironie der Geschichte – keine zwei Jahrzehnte zuvor selbst für die Vernichtung eines historisch bedeutenden Bauwerks verantwortlich gewesen war: Als örtlicher Parteisekretär hatte er 1977 die Ipat’ev-Villa in Jekaterinburg abreißen lassen, in der 1918 die Zarenfamilie ermordet worden war. Die Rekonstruktion der Erlöserkathedrale sollte den stalinistischen Zerstörungsakt rückgängig machen, die Überwindung der Sowjetherrschaft zum Ausdruck bringen, die vorrevolutionäre Allianz von Staat und Kirche wiederbeleben und, als antinapoleonisches Siegessymbol, den nunmehr gefährdeten Großmachtanspruch Russlands vergegenwärtigen. Zum tatkräftigsten Förderer des Projekts wurde Moskaus langjähriger Oberbürgermeister Jurij Lužkov. Dieser verfolgte mit seinem Engagement im Städtebau ganz eigene Ziele – er setzte sich als Macher in Szene, um sich, wie die Kunsthistoriker Konstantin Akinsha und Grigorij Kozlov vermuten, als potenzieller Präsidentschaftskandidat in Position zu bringen. Dementsprechend setzte Lužkov alle Hebel in Bewegung, um den Wiederaufbau voranzutreiben. Während die Errichtung des Originalbaus im 19.  Jahrhundert mehr als vier Jahrzehnte gedauert hatte, entstand die Kopie ab 1994 im Rekordtempo von drei Jahren. Ähnlich rasant füllte sich der Kirchenraum mit opulenten Dekorationen, die bis 1999 fertiggestellt waren. An Detailtreue der Rekonstruktion war angesichts dieses Tempos nicht zu denken. Sie war aber auch nicht beabsichtigt. An die Stelle des früheren Mauerwerks trat Stahlbeton, Bronzeelemente wurden teilweise durch Plastik imitiert, die Vergoldung der Kuppeln besteht aus einem Bruchteil der ursprünglichen Goldmenge, bei der Innenausmalung kamen moderne Acrylfarben zum Einsatz. Dafür ist die neue Kathedrale bequemer zu erreichen als ihre Vorgängerin, denn sie erhebt sich über einer gigantischen Tiefgarage. Lužkov feierte den durch eine multimediale Werbekampagne propagierten Wiederaufbau als „einigendes Symbol der Wiedergeburt der Nation“.2 Zu diesem Wunschbild der nationalen Einheitsstiftung gehörte auch die Fiktion, dass die neue Erlöser2 Zit. nach Akinsha/Kozlov (wie Anm. 1), 156.

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kathedrale gleichsam ein Werk der Volksmassen sei. So wurde mehrfach betont, dass der Wiederaufbau nicht durch den Staat, sondern durch Spenden unzähliger russischer Gläubiger und Patrioten aus dem In- und Ausland finanziert werde. Viel wichtiger als die Gaben der „kleinen Leute“ waren aber die millionenschweren Zuwendungen teils zwielichtiger russischer Geschäftsleute, die sich mit ihrer Spendenbereitschaft das Wohlwollen von Lužkovs Stadtverwaltung erkaufen wollten. Wie schon der Vorgängerbau dient auch die Rekonstruktion als Ort pompösen staatlich-religiösen Zeremoniells, bei dem Vertreter der weltlichen Macht ihre Nähe zur Kirche demonstrieren. Im Jahr 2007 fand hier auch die Trauerfeier für Jelzin statt. Der falsche Prunk der Stahlbetonkathedrale und vor allem ihre Instrumentalisierung für nationalistische Propaganda und Eigeninteressen der neuen Eliten aus Politik und Wirtschaft ernteten besonders in liberalen Intellektuellenkreisen heftige Kritik. „Die Intelligenzija wollte den Glauben. Sie bekam die Christus-Erlöser-Kathedrale“, höhnte ein Kommentator.3 Wie sehr der Bau heute als Symbol des russischen Machtapparats und vor allem der unheiligen Allianz zwischen Kreml und orthodoxer Kirche gilt, wurde mit der Aktion der Punkrockband Pussy Riot im Jahr 2012 deutlich, die für ihren Anti-Putin-Protest den Altar der Kathedrale nutzte. Ungeachtet aller Kritik und aller Aversionen können die Akteure des Wiederaufbaus ihr Werk als großen Erfolg verbuchen. Den Schönheitssinn der Massen bedienend, hat sich die Erlöserkathedrale als zuverlässiger Publikumsmagnet behauptet. Kein Wunder, dass sie in Moskau und anderen Teilen Russlands zahlreiche Nachahmer fand. Sie wurde zum Fanal für weitere Rekonstruktionen von Kirchen, Klöstern und anderen Monumenten aus der Zarenzeit, die die vorsowjetische Geschichte restituieren, aber auch für pseudohistorische Neubauprojekte im Dienst der Traditionserfindung. So entstand etwa in Kaliningrad, dem einstigen deutschen Königsberg, eine kleinere, vereinfachte Replik der Erlöserkathedrale, die eine russisch-orthodoxe Tradition der Stadt simuliert. Als Vorbild diente der Wiederaufbau der Moskauer Kathedrale wohl auch für eines der wichtigsten Rekonstruktionsprojekte in der Ukraine – das Goldkuppelkloster des heiligen Michael in Kiew (Abb. 1).4 Sowohl die Zerstörungs- als auch die Rekonstruktionsgeschichte der beiden Bauten zeigt unübersehbare Parallelen. Doch während Ersterer die vermeintlich glorreiche Vergangenheit von Russlands Staat und Nation feiert, steht Letzterer für nationale Emanzipation und Selbstbehauptung gegenüber der russischen Vormacht. Das im 12.  Jahrhundert errichtete und später im Stil des sogenannten kosakisch-ukrainischen Barock ausgebaute Kiewer Kloster, dem

3 Zit. nach ebd., 165. 4 Jilge, Wilfried: Staatssymbolik, Geschichtskultur und Nationsbildung in der postsozialistischen Ukraine, Dissertationsvorhaben (in Vorbereitung); Naukovyj zbirnyk prysvjačenyj 900-littju SvjatoMichajlivs’koho Zolotoverchoho Monastyrja [Wissenschaftlicher Sammelband anlässlich des 900-jährigen Jubiläums des Goldkuppelklosters des heiligen Michael]. Hg. v. Dymytrij Rudjuk. Kyïv 2008; Dehtjar’ov, M. H./Reutov, A. V.: Mychajlivs’kyj Zoloverchyj Monastyr [Das Goldkuppelkloster des heiligen Michael]. Kyïv 1999.



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Abb. 1  Kiew, Michaelskloster, Rekonstruktion. Aufnahme 2004.

eine zentrale Bedeutung sowohl für die religiöse als auch für die staatliche Tradition der Ukraine beigemessen wird, wurde in den 1930er-Jahren auf Geheiß der stalinhörigen sowjetukrainischen Führung gesprengt. Das Nationalheiligtum sollte Platz machen für ein ambitioniertes Regierungszentrum, das allerdings ebenso wenig gebaut wurde wie der Moskauer Sowjetpalast. Der Denkmalsturz war Teil der Kampagne zur „Säuberung der neuen Hauptstadt von konterrevolutionären und antisowjetischen Elementen und zur Festigung der revolutionären Ordnung“.5 Er setzte ein demütigendes Zeichen der sowjetischen Herrschaft über das Land, das sich nach dem Ersten Weltkrieg Hoffnungen auf dauerhafte Unabhängigkeit gemacht hatte. Im Bewusstsein der Ukrainer stand er sinnbildlich für die Unterdrückung der Nationalkultur und für die Massenmorde an ihrem Volk in der Zeit des Stalinismus. Dementsprechend war die 1997–2000 vorgenommene Rekonstruktion des Klosters, die ebenso wie die der Moskauer Erlöserkathedrale mehr auf den Glanz der 5 Jilge (wie Anm. 4), Kapitel: „Denkmäler als Erinnerungsorte: Die topographische Umsetzung des nationalen Geschichtsbildes in der Hauptstadt Kiev in der ersten Hälfte der Ära Kučma“, ohne Paginierung.

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Oberflächen als auf Originaltreue setzt, ein wirkmächtiges Zeichen der Überwindung der Unterdrückungsgeschichte der Sowjetära und der Wiederanknüpfung an die vorsowjetische Nationalgeschichte. Wie Wilfried Jilge in seinen Untersuchungen zur Geschichtskultur der postsozialistischen Ukraine darlegt, diente die vom damaligen Staatspräsidenten Kutschma und der Kiewer Stadtführung initiierte Wiederaufbaukampagne zugleich der Selbstdarstellung der altneuen ukrainischen Nomenklatura: Durch ihren Einsatz für das Nationaldenkmal wollten sich die Ex-Sowjetfunktionäre von ihrer eigenen Vergangenheit absetzen und als nationale Führung legitimieren. Gleichzeitig mit der Verklärung der Zarenzeit und der Renaissance des Christentums schreitet derweil in Russland die Teilrehabilitation sowjetischer Geschichte voran, die, wie von Isabelle de Keghel herausgestellt, bereits in den letzten Jahren der Präsidentschaft Jelzins eingesetzt hatte und unter seinem Nachfolger Putin mit Vehemenz vorangetrieben wurde.6 An die Stelle der unmissverständlichen Distanzierung von der kommunistischen Diktatur ist das Bestreben nach Versöhnung vorrevolutionärer Traditionen mit sowjetischem Erbe getreten. Im Zeichen dieses geschichtspolitischen Spagats führen Kultorte wie die Erlöserkathedrale und das Leninmausoleum im heutigen Russland eine erstaunlich selbstverständliche Kohabitation. Eine staatlich geförderte erinnerungskulturelle Aufwertung der Sowjetzeit setzte nach der Ablösung der prowestlichen Staatsführung im Jahr 2010 auch in der Ukraine ein. Undenkbar wäre ein solcher geschichtspolitischer Schwenk dagegen in den baltischen Ländern. Denn dort wird die sowjetische Vergangenheit mit besonderer Emphase nicht nur als eine Zeit kommunistischer Diktatur, sondern auch und vor allem als Ära russischer Fremdherrschaft interpretiert. Dem offiziellen Geschichtsbild der drei Baltenrepubliken zufolge war sie nichts anderes als eine dauerhafte Okkupation, die in ihrer Brutalität mit der vorangehenden Besatzung durch Nazideutschland gleichzusetzen sei. Der vermeintlich unbeugsame nationale Kampf gegen das russisch-sowjetische Joch ist der Gründungsmythos der heutigen baltischen Staaten. Rekonstruierte Baudenkmäler aus der vorsowjetischen Zeit haben dort eine zumindest implizite antirussische Symbolik. Ein Beispiel dafür ist das Schwarzhäupterhaus, der einstige Versammlungsort wohlhabender Kaufleute am Rathausplatz von Riga (Abb. 2).7 Der in mehreren Phasen zwischen dem 14. und dem 17. Jahrhundert errichtete Prachtbau, ein Zeugnis früheren Bürgerstolzes, wurde im Zweiten Weltkrieg durch Beschuss der Wehrmacht 6

Keghel, Isabelle: Die Staatssymbolik des neuen Russland. Traditionen – Integrationsstrategien – Identitätsdiskurse. Hamburg 2008; Dies.: Die Rekonstruktion der vorsowjetischen Geschichte. Identitätsdiskurse im neuen Russland. Hamburg 2006. 7 Hackmann, Jörg: Metamorphosen des Rigaer Rathausplatzes, 1938–2003. Beobachtungen zur Rolle historischer Topographien in Nordosteuropa. In: Wiedergewonnene Geschichte. Zur Aneignung von Vergangenheit in den Zwischenräumen Mitteleuropas. Hg. v. Peter Oliver Loew, Christian Pletzing und Thomas Serrier. Wiesbaden 2006, 118–141; Sparitis, Ojars: The Rebirth and Restoration of Administrative, Political, and Cultural Symbols in Riga’s Town Hall Square. In: Composing Urban History and the Constitution of Civic Identities. Hg. v. John J. Czaplicka und Blair A. Ruble. Washington, D. C.-Baltimore-London 2003, 341–371. de



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Abb. 2  Riga, Schwarzhäupterhaus mit benachbartem Schwabehaus, Rekonstruktion. Aufnahme 2007.

stark beschädigt und in der Stalinzeit vollständig abgebrochen. Der Wiederaufbau in den 1990er-Jahren stand im Zeichen des nationalen Aufbruchs und der Wiederaneignung der in der Sowjetzeit zurückgedrängten lokalen Kulturgeschichte nach Erlangung der Unabhängigkeit. Die antirussische Symbolik der Rekonstruktion wird kaum ausdrücklich ausgesprochen, aber durch eine sinnfällige Nachbarschaft unterstützt: Einige Meter entfernt befindet sich das Okkupationsmuseum, das der Leidensgeschichte des lettischen Volkes unter der sowjetrussischen Fremdherrschaft gewidmet ist. Gerade in Ländern, die auf keine kontinuierliche eigenstaatliche Geschichte zurückblicken, kann der Rückgriff auf eine weit zurückreichende Vergangenheit durch Rekonstruktion auch der historischen Legitimation politischer Souveränität dienen. Dies ist besonders deutlich beim Wiederaufbau des Großfürstlichen Schlosses in Litauens Hauptstadt Vilnius (Abb. 3).8 Die im Mittelalter entstandene und in der Renais8 The History and Collections of the Palace of the Grand Dukes of Lithuania. Hg. v. Dalius Avižinis, Vydas Dolinskas und Ėrika Striškienė. Vilnius 2010; Lietuvos Didžiosios Kunigaikštystės valdovų rūmai ir jų atkūrimas europinės patirties kontekste/The Palace of the Grand Dukes of Lithuania and its Restoration within the Context of the European Experience [zweisprachig]. Hg. v. Vydas Dolinskas und Daiva Steponavičienė. Vilnius 2009; Dolinskas, Vydas: Der Palast der Großfürsten von Litauen in Vilnius: Wiederaufbau und Nutzung. In: Wege für das Berliner Schloss/Humboldt-Forum.

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Abb. 3  Vilnius, Großfürstliches Schloss, Rekonstruktion. Aufnahme 2012.

sancezeit ausgebaute Anlage war seit dem 16. Jahrhundert das Machtzentrum des litauischen Staates, der damals zusammen mit dem mächtigeren Polen ein Doppelreich von immenser Ausdehnung bildete. Der Niedergang der Vilniusser Residenz begann bereits mit der Plünderung durch moskowitische Truppen in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Bald nach der Dritten Polnischen Teilung von 1795, bei der Vilnius an Russland fiel, ließ ein Kaufmann das verfallende Schloss abbrechen, um die Ziegel als Baumaterial zu verkaufen. Er tat dies im Auftrag der neuen russischen Administration. Die Verantwortung für den Abbruch trug also das Zarenreich, der nicht minder imperialistische Vorgänger der Sowjetunion. Es ist nicht überraschend, dass dieser Umstand besondere Bedeutung für die heutige symbolische Bewertung des Großfürstlichen Schlosses hat. Vielleicht war er sogar einer der Hauptgründe für den im Jahr 2000 getroffenen Beschluss des litauischen Parlaments, mit staatlichen Mitteln einen Großbau wiedererstehen zu lassen, der nach mehr als zwei Jahrhunderte langer Nichtexistenz nur lückenhaft dokumentiert ist. War die Einebnung des Vilniusser Schlosses ein ebenso politisch motivierter Akt wie zum Beispiel die Sprengung der Moskauer Erlöserkathedrale, des Kiewer Michaelsklosters oder auch des Berliner Schlosses? Die litauische Forschung beantwortet Wiederaufbau und Rekonstruktion zerstörter Residenzschlösser in Deutschland und Europa (1945– 2007). Hg. v. Guido Hinterkeuser. Regensburg 2008, 169–196; Lietuvos Didžiosios Kunigaikštystės Valdovų rūmų Atkūrimo Byla. Vieno požiūrio likimas [Der Prozess der Wiederherstellung des Palasts der Großfürsten von Litauen. Schicksal eines Konzepts]. Hg. v. Alfredas Bumblauskas. Vilnius 2006.



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diese Frage mit einem entschiedenen Ja. Vydas Dolinskas etwa sieht in dem Abbruch eine durch die Besatzungsmacht diktierte bewusste Zerstörung von Erinnerungszeichen an die litauische Staatlichkeit. Dieser Gewissheit steht freilich die Tatsache entgegen, dass die Beseitigung von aus heutiger Sicht noch so bedeutenden Baudenkmälern, die durch Verfall nutzlos geworden waren, bis weit in das 19.  Jahrhundert gängige Praxis war. Doch die Unterstellung eines politischen Zerstörungsmotivs ist unverzichtbar für die symbolische Botschaft des Wiederaufbaus. Seine Befürworter preisen ihn als Rückgewinn eines Nationalsymbols und als „Wiedergutmachung für historische Verluste“.9 Gemeint sind natürlich die Verluste, die Litauen durch die jahrhundertelange, zunächst zaristische, später sowjetische Herrschaft erlitten hat. Die Wiedergeburt des Palasts erscheint so als nachträglicher Triumph des litauischen David über den russischen Goliath. Wichtiger noch ist aber seine Funktion, an die bis ins Mittelalter zurückreichende Geschichte des litauischen Staates zu erinnern und damit den Anspruch auf dessen heutige Unabhängigkeit zu untermauern. Sinnigerweise sollte der Schlossnachbau im Jahr 2009, pünktlich zum Millennium der ersten Erwähnung Litauens in einer Schriftquelle, vollendet werden. Doch der Wunsch scheiterte an der damaligen globalen Finanzkrise, die Litauen schwer getroffen hat. Immerhin, der im Kern aus Stahlbeton bestehende Bau mit trotz Quellenmangels historisch nachempfundenen Innenräumen konnte so weit fertiggestellt werden, dass 2009 zumindest eine provisorische Einweihungsfeier stattfand – am 6. Juli, dem auf die Krönung des einzigen litauischen Königs zurückgehenden Staatsfeiertag. Der einem Opferbewusstsein entspringende Wunsch nach symbolischer Korrektur einer als Unrecht empfundenen Geschichte verbindet sich beim Wiederaufbau des Vilniusser Schlosses idealtypisch mit dem Bedürfnis nach nationaler Selbstvergewisserung durch architektonische Visualisierung der eigenen Geschichte. Es gibt aber auch ein ganzes Bündel weiterer Gründe für die besondere Popularität von Rekonstruktion in Osteuropa. Dazu gehört die durch den Systemwechsel ausgelöste soziale Unsicherheit. Die Nöte und Zukunftsängste der Transformation, gepaart mit einem rasanten Wandel der urbanen Lebenswelt, verstärken die latent immer vorhandene Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“. Rekonstruierte Monumentalbauten aus Epochen vermeintlicher Stabilität verheißen in dieser Situation Halt und Orientierung. Hinzu kommt das Erwachen von in sozialistischer Zeit marginalisierten oder gar tabuisierten regionalen Identitäten. So entdecken etwa die Städte in den ehemaligen deutschen Gebieten Nord- und Westpolens seit den 1980er-Jahren zunehmend ihre lange verdrängte, vorpolnische Vergangenheit, Rekonstruktionen und freie Nachempfindungen des früher politisch missliebigen Bauerbes sind an der Tagesordnung. Auch im russischen Teil Ostpreußens schreitet die Aneignung der Geschichte voran: In Kaliningrad kursieren immer wieder Pläne zum Wiederaufbau des in den 1960erJahren abgebrochenen Schlosses und angrenzender Stadtviertel des untergegangenen Königsberg. 9 Dolinskas, Der Palast der Großfürsten von Litauen (wie Anm. 8), 181.

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Ein weiterer Impuls für eine Rekonstruktion ist die Hoffnung auf ökonomischen Gewinn durch Ankurbelung des Tourismus. Denn Politiker wie Investoren wissen: Historisches oder zumindest historisch kostümiertes Ambiente zieht mehr Besucher an als moderne Stadträume. Nicht anders als die Touristen reagieren auch die Einwohner. Das Leiden an der monotonen und unwohnlichen Stadt der Moderne mag in den postsozialistischen Ländern, die von den früheren Plattenbauexzessen ebenso gezeichnet sind wie von billiger Architekturmassenware aus der Zeit nach 1989, besonders ausgeprägt sein. Es ist aber nicht nur in der östlichen Hälfte Europas eine der Hauptwurzeln des Rekonstruktionsenthusiasmus.

V i s u e l l e Gesc h i c h t sku l t u r: Zwische nbila nz e ine s Forsc h u n g sd e signs Mit Kommentaren von Rudolf Jaworski und Stephanie Schwandner-Sievers*

Stefan Troebst Der als Soziologe berühmt gewordene US-amerikanische Wissenschaftshistoriker Robert K. Merton, der 1910 als Meyer Robert Schkolnick in einem Shtetl in Russisch-Polen geboren wurde, hat zahlreiche Theoreme formuliert, die auch in die deutsche Wissenschafts- und Alltagssprache eingegangen sind: die „sich selbst erfüllende Prophezeiung“ (self-fulfilling prophecy) etwa, die „Theorie mittlerer Reichweite“ (middle-range theory) oder das „Rollenmodell“ (role model). Nicht im selben Umfang trifft dies für den mertonschen Neologismus der „Serendipität“ (serendipity)1 bzw. – wie Mertons deutscher Übersetzer Reinhard Kaiser vorgeschlagen hat – der „Zufallserfindsamkeit“2 als einem der unberechenbarsten, aber auch wirkungsmächtigsten Mechanismen wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts zu. Denn Serendipität liegt dann vor, wenn man etwas Bestimmtes sucht, dabei aber etwas ganz anderes, mitunter noch Interessanteres findet.3 Serendipity – Zufallserfindsamkeit – war zweifelsohne am Werk, als mein GWZOKollege Frank Hadler und ich 1999 mit der Aufgabe konfrontiert waren, einen Projektantrag an die Deutsche Forschungsgemeinschaft zu einem Thema der Geschichte Ostmitteleuropas im 20. Jahrhundert zu schreiben. Dabei galt es, vier zur Geschichtskultur forschende Historiker und zwei über visual culture arbeitende Kunsthistoriker unter einem thematischen Dach unterzubringen. „Geschichtskultur“ haben wir dabei mit Jörn Rüsen als Summe bzw. Synthese der drei Dimensionen der Geschichtsschreibung, der Geschichtspolitik und der Literarisierung von Geschichte aufgefasst: „Mit dem Terminus ‚Geschichtskultur‘ soll die in der Wissenschaft kultivierte kognitive Seite der historischen Erinnerungsarbeit systematisch mit der politischen und ästhetischen Seite der

* Vortrag auf der GWZO-Jahrestagung „In, mit und über Ostmitteleuropa 1989–2009. Erträge, Desiderate und Perspektiven historischer und kulturwissenschaftlicher Forschungen“, 8.–10. Juli 2009, Leipzig. 1 Troebst, Stefan: Kryptomnesie, Koinzidenz und Kelvin-Diktum: Korrespondieren mit Robert K. Merton. Eine Autoedition. In: Rocznik Centrum Studiów Niemieckich i Europejskich im. Willy Brandta Uniwersytetu Wrocławskiego 3 (2005), 223–244. 2 Merton, Robert K.: Auf den Schultern von Riesen. Ein Leitfaden durch das Labyrinth der Gelehrsamkeit. Aus dem Amerikanischen von Reinhard Kaiser. Frankfurt/M. 1980, 24. 3 Merton, Robert K./Barber, Elinor: The Travels and Adventures of Serendipity. Princeton, NJ-Oxford 2004 (verfasst 1958).

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gleichen Arbeit verbunden werden. Keine Seite kann ohne die andere gedacht werden, ja es ist bereits eine Frage der Vernunft in der praktischen Verwendung historischen Wissens, wie sie jeweils aufeinander bezogen werden. Wissenschaft, Politik und Kunst können sich im Felde des Geschichtsbewusstseins [...] wechselseitig instrumentalisieren und dabei die jeweils in Dienst genommene Dimension des historischen Wissens durch die herrschende verkürzen und verstümmeln. Dies ist fast immer dann der Fall, wenn die einzelnen Dimensionen der Geschichtskultur nicht auseinander gehalten werden, sondern in der naiven Selbstverständlichkeit je einer Dimension deren Unterschiede und Beziehungen zu den anderen übersehen werden.“4

Visual culture hingegen haben wir in der Perspektive der Kunstgeschichte als das Einbeziehen von Bildkategorien wie Fotos, Film und Fernsehen, also die Erweiterung der Kunstgeschichte zu einer „Bild-Geschichte“ bzw. historischen Bildwissenschaft definiert. Das besagte Zusammenspannen von Geschichtskulturforschung und visual culture studies gelang schließlich unter dem (nicht unbedingt eingängigen) Projektoberthema „Visuelle und historische Kulturen Ostmitteleuropas im Prozeß staatlicher und gesellschaftlicher Modernisierung seit 1918“. Einer der beiden Schwerpunkte lag dabei auf der Staatssymbolik, hier neben der literarischen und musikalischen vor allem auf der heraldisch-visuellen, desgleichen auf nationalen „Schlagbildern“ (Aby Warburg) sowohl regierungsamtlicher wie parteipolitischer, zivilgesellschaftlicher und religiöser Art. Als besonders aussagekräftige Medien nationalhistorischer Aufladung und visueller Verdichtung erwiesen sich dabei zum einen von Kunstgeschichte wie Geschichtswissenschaft bislang vernachlässigte Kleinformen wie Exlibris, Visitenkarten oder Websites – neben den besser erforschten Trägermedien von Geldschein, Briefmarke oder Flagge. Dabei wurde rasch klar, dass es vor allem die Schnittmenge aus beiden Bereichen, also aus Geschichtskultur und visual culture war, welche aufschlussreiche Forschungsergebnisse erwarten ließ. Insbesondere versprachen wir uns damals, „Erkenntnisse über die Visualisierung nationaler Geschichte im neuen politischen Raum sowie über die Historizisierung der sich verändernden staatlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit zu gewinnen“.5 Im Zuge intensiver Projektarbeit, an der Marina Dmitrieva, Heidemarie Petersen, Wilfried Jilge und Arnold Bartetzky, aber auch Gastwissenschaftler wie Izabella Main, Petr Roubal, Steven Mansbach und andere teilnahmen, kristallisierte sich dann der Arbeitsbegriff „Visuelle Geschichtskultur“ heraus, welcher das genannte Interaktionsfeld der beiden Bereiche eingängig umriss. Entsprechend haben wir unsere 2005 gegründete Buchreihe dann auch „Visuelle Geschichtskultur“ genannt. Mit anderen Worten: Weniger wissenschaftsimmanente Forschungs4 Rüsen, Jörn: Lebendige Geschichte. Grundzüge einer Historik III: Formen und Funktionen des historischen Wissens. Göttingen 1989, 110. 5 GWZO-Arbeitsgebiet IV (Historische Erfahrungen und Perspektiven Ostmitteleuropas: Staatensystem – Nation – Demokratie): DFG-Antrag 2001–2003/04: Visuelle und historische Kulturen Ostmitteleuropas im Prozeß staatlicher und gesellschaftlicher Modernisierung seit 1918. Ms., Leipzig, 12. 04. 2000, 4.



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logik als vielmehr ein äußerer, wissenschaftsorganisatorischer „Zwang“, nämlich die Notwendigkeit der Kombination von Kunst- mit Zeithistorikern, hat den skizzierten Erkenntnisfortschritt in Gestalt des Forschungsdesigns „Visuelle Geschichtskultur“ bewirkt – serendipity eben. Die Konzentration auf ein „langes“, um 1890 beginnendes und noch immer nicht abgeschlossenes 20. Jahrhundert erwies sich für unser Vorhaben insofern als außerordentlich glücklich, als die multiplen Umbrüche der Staatenlandschaft Ostmitteleuropas – 1918/19, 1939/41, 1944/45 und 1989/91 – nicht nur eine Proliferation von Staatsneu- bzw. -wiedergründungen bewirkten, sondern dem besagten Bereich nationaler, auch und gerade nationalstaatlicher Symbolik große Bedeutung zuwiesen. Vor allem die teils erfolgreichen, teils gescheiterten Versuche der Nach-„Wende“-Zeit, auf „historische“ Symbole der Zeit davor zurückzugreifen, trugen zu ungeahnter Aktualität des Themas bei: Ob der weiße Adler Polens seine Krone zurückbekommen sollte oder nicht, wurde 1989 zu einer innenpolitischen Kardinalfrage; darüber, ob das obere linke Eckfeld des kroatischen Schachbrettwappens weiß oder rot sein sollte, wurde im Sabor der neuen Republik Kroatien 1991 erbittert gestritten; die neue Ukraine geriet mit der neu-alten Russländischen Föderation in Streit um das Dreizack-Symbol und die „Sonne“ bzw. der „Stern von Vergina“ auf der Flagge der im selben Jahr gegründeten Republik Makedonien beschwor einen bilateralen Konflikt mit dem Nachbarn Griechenland herauf.6 Wie vielversprechend die staatssymbolische Komponente des Ansatzes der „Visuellen Geschichtskultur“ war, wurde deutlich, als die ersten Projektergebnisse vorlagen. Dazu gehörte die Ausstellung „Geschichtskultur der Ukraine im Spiegel der ukrainischen Exlibris-Kunst des 20. Jahrhunderts“, kuratiert von Wilfried Jilge, zu der es auch einen Katalog gibt.7 Diese gemeinsam mit dem Verband der Exlibris-Sammler der Ukraine realisierte Unternehmung belegte, dass der Übergang von der sowjetischkommunistischen zur ukrainisch-nationalen Symbolik in diesem zwar „privaten“, aber in staatlichen Druckereien produzierten, somit kontrollierten und sicher auch zensierten, aber dennoch semioffiziellen Medium bereits in den 1970er-Jahren begann. Gleichfalls zu nennen ist ein Themenheft zu „Staatssymbolik und Geschichtskultur im neuen Osteuropa“ der Zeitschrift „Osteuropa“, an dem neben den Projektmitarbeitern Arnold Bartetzky und Wilfried Jilge sowie mir selbst weitere Fachkolleginnen und -kollegen aus Südost-, Ostmittel-, Zentral- und Nordeuropa mitwirkten.8 Nicht zuletzt die zahlreichen Farbabbildungen machten dieses Heft zu einer viel zitierten Standard6 Staatssymbolik und Geschichtskultur im neuen Osteuropa. Hg. v. Stefan Troebst und Wilfried Jilge. Berlin 2003 (Themenheft von Osteuropa. Zeitschrift für Gegenwartsfragen des Ostens 53 [2003] 7, 905–1014). 7 Geschichtskultur der Ukraine im Spiegel der ukrainischen Exlibris-Kunst des 20. Jahrhunderts. Katalog zur Ausstellung. Hg. v. Wilfried Jilge unter Mitarbeit v. Petro Nesterenko, Ol’ha Lahutenko und Dmytro Horbačov. Leipzig 2003. 8 Staatssymbolik und Geschichtskultur (wie Anm. 6). Zu einem weiteren Projektergebnis s. Main, Izabella: Political Rituals and Symbols in Poland, 1944–2002. A Research Report. Leipzig 2003 (GWZO-Arbeitshilfe 2).

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publikation, der eine große überregionale Tageszeitung eine Besprechung widmete.9 Schließlich ist der Tagungsband „Neue Staaten – neue Bilder? Visuelle Kultur im Dienst staatlicher Selbstdarstellung in Zentral- und Osteuropa seit 1918“ zu nennen, der zugleich den Auftakt zu unserer genannten Buchreihe bildete10 und der in Auszügen unter dem Titel „New States – New Images?“ in englischer Sprache als Themenheft der New Yorker Zeitschrift „Centropa“ erschien.11 Im Zentrum standen hier die Visualisierungsstrategien staatlicher Macht in den Spannungsfeldern zwischen Modernisierung und Kontinuität sowie zwischen nationaler Identität und europäischer Tradition. Das vielfältige Rezensionsecho auf den Band war nicht zuletzt deswegen außerordentlich positiv, weil neben den ostmitteleuropäischen Fallbeispielen auch solche aus anderen Teilen Europas und der Welt behandelt wurden, so aus der Türkei, Israel und Australien.12 Die in Verbindung mit dem 2008 verstorbenen schwedischen Kunst- und Architekturhistoriker Anders Åman, dem ungarischen Neuzeithistoriker László Kontler und dem US-amerikanischen Kunsthistoriker Steven Mansbach im Böhlau Verlag herausgegebene „grüne“ GWZO-Buchreihe ist mittlerweile gut etabliert.13 Erschienen sind Sammelbände zur Erinnerung an den Kommunismus in Südosteuropa,14 zu den bila9 Croitoru, Joseph: Ihr habt uns den König gestohlen. Blick in osteuropäische Zeitschriften: Die neue Staatssymbolik als Zankapfel der Nationalgeschichte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06. 09. 2003, 36. 10 Neue Staaten – neue Bilder? Visuelle Kultur im Dienst staatlicher Selbstdarstellung in Zentral- und Osteuropa seit 1918. Hg. v. Arnold Bartetzky, Marina Dmitrieva und Stefan Troebst. Köln-Weimar-Wien 2005 (Visuelle Geschichtskultur 1). 11 New States – New Images? Hg. v. Arnold Bartetzky und Marina Dmitrieva. New York, NY 2006 (Themenheft von Centropa. A Journal of Central European Architecture and Related Arts 6 [2006] 3, 165–263). 12 Vgl. die Besprechungen von Sibylle Reinke de Buitrag in S+F. Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden 24 (2006) 2, 110–112; Heidi Hein-Kirchner in sehepunkte 6 (2006) 7/8 vom 15.  07.  2006 (http://www.sehepunkte.de/2006/07/11410.html; 29. 05. 2013); Martin Kohlrausch in H-Soz-u-Kult vom 27. 10. 2006 (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-4-080; 29. 05. 2013); Theodore R. Weeks in Kritika. Explorations in Russian and Eurasian History (2006) 4, 899–904; Claudia Weber in Neue politische Literatur 40 (2006) 1, 101 f.; Burkhard Steppacher in Zeitschrift für Politikwissenschaft 16 (2006) 2, 540; Grzegorz Rossolinski in Osteuropa 57 (2007) 7, 147  f.; Bernhard Böttcher in Zeitschrift für Siebenbürgische Landesgeschichte 30 (2007), 189; Nicola Hille in Journal für Kunstgeschichte 11 (2007) 4, 312–315; Stefan Dyroff in Comparativ 18 (2008) 2, 131 f. und Ulrike Tischler in Südost-Forschungen 65/66 (2006/07), 746–750. 13 Seit Band 10 sind neben Stefan Troebst und Steven A. Mansbach Małgorzata Omilanowska und Arnold Bartetzky Mitherausgeber der Buchreihe „Visuelle Geschichtskultur“. Eine Übersicht über die erschienenen Bände der Reihe findet sich unter: http://www.boehlau-verlag.com/Visuelle_Geschichtskultur.htm (12. 05. 2013). 14 Zwischen Amnesie und Nostalgie: Die Erinnerung an den Kommunismus in Südosteuropa. Hg. v. Ulf Brunnbauer und Stefan Troebst. Köln-Weimar-Wien 2007 (Visuelle Geschichtskultur 2). Siehe dazu die Besprechungen von Elisabeth Kübler in H-Soz-u-Kult vom 17. 10. 2008 (http://hsozkult. geschichte. hu-berlin.de/rezensionen/28008-4-052; 29. 05. 2013); NW in Zeitschrift für Politikwissenschaft, 19. 06. 2008; Anton Sterbling in Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas 57 (2008) 3, 309–311; Rainer Eckert in DeutschlandArchiv 42 (2009) 4, 719–721; Marie-Janine Calic in Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 2009, 308; Stefan Kube in G2W. Öku-



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teralen Erinnerungskulturen Polens im 19. und 20.  Jahrhundert15 und zum Wiederaufbau Danzigs nach 194516. In den Bereich der mittelfristigen Planungen gehören Ergebnisse des bis 2010 laufenden GWZO-Projekts „Zwischen religiöser Tradition, kommunistischer Prägung und kultureller Umwertung: Transnationalität in den Erinnerungskulturen Ostmitteleuropas seit 1989“17, des 2011 beginnenden Anschlussprojekts „Post-Panslavismus: Die Slavische Idee im 20. und 21. Jahrhundert“18 sowie etliche vom Herausgeber betreute Leipziger Dissertationen. An dieser Stelle sei mir der Hinweis auf die Interdisziplinarität von Buchreihe und Forschungsdesign gestattet: An den vorliegenden Bänden haben neben Historikern Vertreter weiterer Disziplinen mitgewirkt. Wenn ich richtig gezählt habe, sind dies Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft, Ethnologie, Politologie, Filmwissenschaft, Stadtplanung und Journalismus. Ich bin gelegentlich gefragt worden, was denn der Unterschied unseres Konzeptes „Visueller Geschichtskultur“ zu demjenigen von „Visual History“ sei, welches vor allem der Flensburger Historiker Gerhard Paul in den vergangenen Jahren erfolgreich propagiert hat – etwa in dem Studienbuch „Visual History“ oder in den beiden voluminösen Bänden „Das Jahrhundert der Bilder“.19 Die Antwort darauf fällt relativ leicht: „Visuelle Geschichtskultur“ ist das Produkt der Tätigkeit von Akteuren – sie wird gleichsam „gemacht“. Staat, Partei(en), Kirche(n) und andere Instanzen sind hier auf der Akteursseite zu nennen, Bürger, Wähler, Gläubige et alii auf derjenigen der

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menisches Forum für Glauben, Religion und Gesellschaft in Ost und West (2009) 11, 30; Carolin F. Roeder in Südosteuropa-Mitteilungen 49 (2009) 6, 112 f.; Cornelius R. Zach in Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 32 (2009) 2, 221 f.; Stefan Rohdewald in Südost-Forschungen 67 (2008), 535–537. Verflochtene Erinnerungen. Polen und seine Nachbarn im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. v. Martin Aust, Krzysztof Ruchniewicz und Stefan Troebst. Köln-Weimar-Wien 2009 (Visuelle Geschichtskultur 3). Siehe dazu die Besprechungen von Ulrike Breitsprecher in H-Soz-u-Kult vom 02.11.2009 (http:// hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-4-101; 29. 05. 2013); K.-H. G. in Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik 21 (2009) 2, 131  f.; Stefan Kube in G2W. Ökumenisches Forum für Glaube, Religion und Gesellschaft in Ost und West (2010) 3, 30 f.; Joachim Neander in theologie.geschichte. Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte 5 (2010) (http://aps. sulb.uni-saarland.de/theologie.geschichte/inhalt/2010/131.html; 29. 05. 2013); Klaus Steinke in Informationsmittel für Bibliotheken (IFB). Digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft 18 (2010) (http://ifb.bsz-bw.de/ifb2/bsz303381434rez-1.pdf?id=2584; 29. 05. 2013). Friedrich, Jacek: Neue Stadt in altem Gewand. Der Wiederaufbau Danzigs 1945–1960. Aus dem Polnischen von Heidemarie Petersen. Köln-Weimar-Wien 2010 (Visuelle Geschichtskultur 4). Vgl. dazu auch Marienkult, Cyrillo-Methodiana und Antemurale. Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa vor und nach 1989. Hg. v. Anne C. Kenneweg und Stefan Troebst. Marburg/L. 2009 (Themenheft von Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 57 [2008] 3, 287–385). Siehe als vorbereitende Publikation: Gemeinsam einsam. Die Slawische Idee nach dem Panslawismus. Hg. v. Agnieszka Gąsior und Stefan Troebst. Berlin 2009 (Themenheft von Osteuropa 59 [2009] 12). Paul, Gerhard: Von der Historischen Bildkunde zur Visual History. In: Visual History. Ein Studienbuch. Hg. v. Dems. Göttingen 2006, 7–36; Ders.: Der Bildatlas – ein Streifzug durch unser kulturelles Gedächtnis. In: Das Jahrhundert der Bilder. 1900 bis 1949. Hg. v. Dems. Göttingen 2009, 9–13; Ders.: Das Jahrhundert der Bilder. Die visuelle Geschichte und der Bildkanon des kulturellen Gedächtnisses. In: Das Jahrhundert der Bilder. 1900 bis 1949. Hg. v. Dems. Göttingen 2009, 14–39. Dieser Aufsatz findet sich auch in: Das Jahrhundert der Bilder. 1949 bis heute. Hg. v. Dems. Göttingen 2008, 14–39.

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Rezipienten – all dies unter dem überwölbenden Dach der Nation. „Visual History“ hingegen bietet neben dem „handelsüblichen“ textuellen einen zweiten, eben visuellen Zugang zur Geschichte „an sich“, blickt somit auf deren bildlichen Niederschlag, ohne gezielt nach den Produzenten und deren Absichten zu fragen. Dies heißt natürlich nicht, dass etliche Beiträge, die im Rahmen dieses deutlich großflächigeren Ansatzes der „Visual History“ erstellt wurden, zugleich in die Kategorie der „Visuellen Geschichtskultur“ fallen – ganz im Gegenteil. Jost Dülffers Untersuchung von Joe Rosenthals Fotografie „Die Flaggenhissung auf Iwo Jima“ am 23. Februar 1945 beispielsweise zeigt, wie das Produkt eines Kriegsfotografen anschließend vom US Marine Corps zur Ikone heroischer Kriegserinnerung umfunktioniert bzw. besser „ausgebaut“ wurde,20 und Christoph Schneider demonstriert, welches Eigenleben Sven Simons Schnappschuss vom Kniefall Willy Brandts am Denkmal für die Ermordeten des Gettoaufstandes in Warschau am 7. Dezember 1970 bis heute entfaltet.21 Marilyn Monroe, Soraya, Madonna, Laika, Lara Croft, das HB-Männchen, Jimi Hendrix, Coca Cola und die Doppelhelix – um nur einige der Beiträge in Pauls „Jahrhundert der Bilder“ zu nennen22 – sind zwar zweifelsohne zur „Visual History“ des Säkulums zu rechnen, aber wohl kaum unter dem Rubrum „Visuelle Geschichtskultur“ zu verbuchen. Wenn auf der einen Seite der Fokus der Letztgenannten auf „Staat“, „Nation“ und „Ideologie“ liegt und auf der anderen Paul als „seine“ Themenkreise „Wissenschaft und Technik“, „Medialisierung“, „Mobilität“, „Gender und Generation“, „Revolution und Umbruch“ sowie „Gewalt, Krieg und Genozid“ ausmacht,23 dann werden sowohl die gravierenden Unterschiede wie die beträchtlichen Überlappungsbereiche beider Forschungsansätze deutlich. Schließlich sei die selbstkritische Frage, ob wir unserem selbst gesteckten Anspruch der Entwicklung (und Popularisierung!) des Forschungsdesigns „Visuelle Geschichtskultur“ gerecht geworden sind, erlaubt. Ohne den beiden Kommentatoren vorgreifen zu wollen, schlage ich als Antwort ein „teils, teils“ vor: Entwicklung – ja, auch wenn der ultimative, theoretisch fundierte und empiriegesättigte Grundsatzartikel zum Thema noch aussteht. Ich hoffe aber, der wird sich im Anschluss an diese Sektion gleichsam von selbst schreiben.24 Popularisierung – eher nein (oder noch nicht?), und dies ungeachtet der besagten zahlreichen und positiven Rezensionen. Wenn ich recht 20 Dülffer, Jost: Über-Helden. Das Bild von Iwo Jima in der Repräsentation des Sieges. Eine Studie zur US-amerikanischen Erinnerungskultur seit 1945. In: Zeithistorische Forschungen 3 (2006) 2 (http:// www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Duelffer-2-2006; 29. 05. 2013); Ders.: Iwo Jima. Die patriotische Siegesikone der USA. In: Das Jahrhundert der Bilder. 1900 bis 1949. Hg. v. Gerhard Paul. Göttingen 2009, 674–681. 21 Schneider, Christoph: Der Warschauer Kniefall. Ritual, Ereignis und Erzählung. Konstanz 2006; Ders.: Der Kniefall von Warschau. Spontane Geste – bewusste Inszenierung? In: Das Jahrhundert der Bilder. 1949 bis heute. Hg. v. Gerhard Paul. Göttingen 2008, 410–417. 22 Paul, Das Jahrhundert der Bilder. 1949 bis heute (wie Anm. 18), passim. 23 Ebd., 10. 24 Vgl. bislang lediglich Troebst, Stefan: Vorwort. In: Neue Staaten – neue Bilder? (wie Anm. 10), IX–X.



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sehe, hat allein mein Heidelberger Kollege Edgar Wolfrum den Begriff „Visuelle Geschichtskultur“ in sein eigenes Vokabular aufgenommen, wenngleich ohne klare Abgrenzung zum Konzept einer von ihm sogenannten „visuellen Zeitgeschichte“25. Bei Paul hingegen taucht unsere Begriffsneuprägung verständlicherweise gar nicht auf. Und die Rezensenten haben über der Begeisterung für die jeweilige Sammelbandkonzeption samt -beiträgen das Gesamtkonzept schlicht übersehen. Hier gilt es, noch Aufklärungsarbeit zu leisten. Zu guter Letzt noch eine Bemerkung aus der Herausgeberperspektive: Es ist relativ einfach, Autoren für den Forschungsansatz der „Visuellen Geschichtskultur“ zu gewinnen. Wesentlich schwieriger ist es jedoch, Nicht-Kunsthistoriker zum Denken vom „Bild“ her (statt von der „Botschaft“ her) zu bewegen – mit der Folge, dass etliche dann doch wieder auf die Textebene plus Illustrationen abgleiten. Entsprechend stammt der aus meiner Sicht gelungenste Beitrag in unserer Reihe von einer Kunsthistorikerin. Ich meine Tasja Langenbachs luzide Analyse von György Légrády alias George Legradys digitalem Museum „An Anecdoted Archive from the Cold War“, in welchem der mediale Interaktionskünstler den Aufstand von 1956 in Ungarn vor dem Hintergrund der eigenen Familiengeschichte „inszeniert“.26 Hier fallen Untersuchungsgegenstand und Analyserahmen idealtypisch zusammen – davon brauchen wir mehr! Ich habe aber noch ein Postskriptum: Bei der Konzipierung dieser Sektion war mir nicht gegenwärtig, dass beide Diskutanten – Rudolf Jaworski und Stephanie Schwandner-Sievers – mit Beiträgen in der Buchreihe „Visuelle Geschichtskultur“ vertreten sind. Das ist ein klarer Fall nicht von Amnesie, sondern von Kryptomnesie – womit wir wieder bei Robert Merton wären, der diesen Mechanismus der „vergessenen Erinnerung“ bzw. des „versteckten Gedächtnisses“ in seinem phänomenalen Buch „On the Shoulders of Giants. A Shandean Postscript“27 – auf Deutsch unter dem Titel „Auf den Schultern von Riesen. Ein Leitfaden durch das Labyrinth der Gelehrsamkeit“ erschienen – so eindringlich beschrieben hat.28 Ich hoffe, die beiden als Kommentatoren fungierenden Geistesriesen verzeihen mir diesen Fauxpas und fühlen sich dadurch nicht befangen oder gar zur Beißhemmung genötigt.

25 Wolfrum, Edgar/Arendes, Cord: Die Macht der Bilder. In: Ruperto Carola (2006) 2 (http://www. uni-heidelberg.de/presse/ruca/ruca06-2/8.html; 29.05.2013). Zu einer – um mit Merton zu sprechen – kryptomnetischen Verwendung des Begriffs „visuelle Geschichtskultur“ gleichsam avant la lettre vgl. Schweizer, Stefan: Geschichtsdeutung und Geschichtsbilder: Visuelle Erinnerungs- und Geschichtskultur in Kassel 1866–1914. Göttingen 2004. 26 Langenbach, Tasja: Der Versuch einer (Wieder-)Aneignung „verkapselter“ Erinnerungen an sozialistische Zeiten. „An Anecdoted Archive from the Cold War“ von George Legrady. In: Zwischen Amnesie und Nostalgie (Anm. 14), 291–306. Siehe zu Legradys „Anecdoted Archive“ auch die (stark verkürzte) Webversion unter http://www.mat.ucsb.edu/~g.legrady/glWeb/Projects/anecdote/Anecdote. html (29. 05. 2013). 27 Merton, Robert K.: On the Shoulders of Giants. A Shandean Postscript. New York, NY 1965, 24 f. 28 Merton, Auf den Schultern von Riesen (wie Anm. 2), 33.

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Kommentar I Rudolf Jaworski Wenn ich mich nicht lange habe bitten lassen, als Kommentator in dieser Sektion aufzutreten, so geschah dies aus ganz handfesten, forschungspraktischen Erwägungen heraus. Ich sehe nämlich diese Arbeitsgruppe des GWZO national wie international als eine wichtige und, soweit ich es überblicken kann, zurzeit wohl auch einzige kontinuierliche Anlaufstelle für die wissenschaftliche Aufarbeitung visueller Geschichtskulturen in Ostmitteleuropa. Da ich mich selbst seit Jahren als Einzelkämpfer mit derselben Thematik befasse29 und zudem generell die Arbeit des GWZO schon von Anbeginn an als Gutachter, Tagungsteilnehmer und Leser aufmerksam beobachten konnte, habe ich die Einladung nach Leipzig also aus sehr eigennützigem Interesse heraus sofort und ohne Zögern angenommen. Ich kann Herrn Kollegen Troebst nur zustimmen, wenn er feststellt, dass es NichtKunsthistorikern ganz offensichtlich immer noch schwerfällt, vom Bild her zu denken, und sie darum weiterhin geneigt sind, Bilder hauptsächlich als zusätzlich erläuternde Illustrationen zu Texten zu verwenden, ohne sie selbst zum Gegenstand der Untersuchung zu machen. Das trifft in der Tat auch für manche Beiträge in der seit 2005 erscheinenden Buchreihe „Visuelle Geschichtskultur“ zu. Obwohl die rasant zunehmende Bedeutung von Bildmedien in der Gegenwart nicht zu übersehen ist, ihre historischen Dimensionen mittlerweile anerkannt sind und der pictorial oder iconic turn in den Kulturwissenschaften schon geraume Zeit zurückliegt, scheint vor allem unter den Neuzeithistorikern mehrheitlich immer noch eine Art visueller Analphabetismus vorzuherrschen. Darüber kann auch die mittlerweile deutlich angewachsene Anzahl von Abbildungen in Geschichtsbüchern aller Art nicht wirklich hinwegtäuschen. Inzwischen finden sich nämlich Plakate, Karikaturen, historische Postkarten und Fotografien nicht nur als Dekoration auf Buchumschlägen oder in didaktischen Unterrichtshilfen, sondern in zunehmendem Umfang auch in fachwissenschaftlichen Publikationen. Bei einer genaueren Überprüfung stellt sich indes bald heraus, dass aussagekräftige und zukunftsweisende Untersuchungen zu den verwendeten Bildmedien, also zu ihrer Bildsprache und ihren Botschaften, immer noch eine ausgesprochene Mangelerscheinung darstellen. Unter meinen engeren Fachkollegen, den Osteuropahistorikern der älteren Generation, war es in Deutschland einzig und allein Frank Kämpfer, der sich solcher Fragestellungen kontinuierlich angenommen hat. Aber diese Beobachtung trifft kei29 Siehe etwa Jaworski, Rudolf: Bildende Künste und nationale Identifikation im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Die Tschechen und ihre Nachbarn. In: Österreichische Osthefte 45 (2003), 419–445; Ders.: Deutsche und tschechische Ansichten: Kollektive Identifikationsangebote auf Bildpostkarten in der späten Habsburgermonarchie. Innsbruck 2006; Die Besetzung des öffentlichen Raumes. Politische Plätze, Denkmäler und Straßennamen im europäischen Vergleich. Hg. v. dems. und Peter Stachel. Berlin 2007; Denkmäler in Kiel und Posen. Parallelen und Kontraste. Hg. v. dems. und Witold Molik. Kiel 2002.



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nesfalls nur für die wissenschaftliche Aufarbeitung der visuellen Geschichtskulturen im östlichen Europa zu. 1999 ist das in der Tradition Aby Warburgs ausgerichtete Hamburger Graduiertenkolleg „Politische Ikonographie“ unter der Leitung des Kunsthistorikers Martin Warnke ausgelaufen. Dieses imponierende Großprojekt hat wichtige Impulse für die Erforschung der hier interessierenden Fragen geliefert und dauerhaft einschlägige Spezialisten auf diesem Gebiet hervorgebracht. Ich erwähne hier nur stellvertretend Elisabeth von Hagenow, die sich u. a. mit der neuzeitlichen politischen Bildpublizistik seit den napoleonischen Kriegen befasst – und ebenfalls aus der Kunstgeschichte kommt. Auch der Berliner Historiker Wolfgang Hardtwig ist von seiner wissenschaftlichen Sozialisation her betrachtet zur Hälfte Kunsthistoriker, was sich entsprechend fruchtbar auf seine Forschungsperspektive ausgewirkt hat. Für Ostmitteleuropa sind in diesem Zusammenhang Michaela Marek und Adam Labuda zu nennen, die von der Kunstgeschichte ausgehend zu allgemein historisch-politischen und gesellschaftsgeschichtlichen Fragestellungen gelangt sind. Und erst in jüngster Zeit versammelte Gerhard Paul, gelernter Historiker und Didaktiker, an der Universität Flensburg einen Arbeitskreis zur zeitgeschichtlichen Bildgeschichte um sich. Wie schon an dieser kleinen Aufzählung deutlich wird, haben die Fachhistoriker bei all diesen Ansätzen bisher keine herausragende Vorreiterrolle gespielt, was übrigens auch für das Ausland gilt. Das bemerkenswerte Engagement von Kunsthistorikern zeigt hingegen, dass sich zumindest ein Teil der Vertreter dieses Faches längst auf dem Weg zu einer umfassenden Bild- und Medienwissenschaft befindet. In Anbetracht solcher Voraussetzungen ist die von vornherein interdisziplinär angelegte Leipziger Initiative, Historiker und Kunsthistoriker in einen praktischen Arbeitszusammenhang zu bringen, als umso verdienstvoller zu bewerten – und umso dringlicher erscheint mir darum auch die Fortsetzung solcher Bemühungen. Dass, wie Stefan Troebst angemerkt hat, bislang kein „ultimativer, theoretisch fundierter und empiriegesättigter Grundsatzartikel“ in Leipzig vorgelegt wurde, halte ich persönlich nicht für einen gravierenden Mangel, sondern eher für einen Vorteil, weil auf diese Weise ein von vornherein allzu eng gefasstes, theoretisch-methodisches Korsett vermieden und die Forschungspraxis flexibel gestaltet werden konnte. Daher kann ich den hier vorgenommenen Versuch, die Begriffe „Visuelle Geschichtskultur“ und „Visual History“ trennscharf voneinander abgrenzen zu wollen, nur bedingt nachvollziehen, auch wenn mir die Logik der angeführten Unterscheidungen einleuchtet. Denn auch die Arbeiten von Gerhard Paul bringen m. E. einen methodischen Zugewinn gegenüber älteren Ansätzen der historischen Bildkunde und Ikonografie – ich erwähne hier nur stellvertretend den von ihm hervorgehobenen und überaus wichtigen Aspekt der Medialität. Schließlich möchte ich noch einige wenige Vorschläge anfügen, was neben dem in Leipzig bereits Geleisteten noch zusätzlich berücksichtigt werden müsste und welche Fragestellungen und Themenfelder in Zukunft unbedingt zu beachten wären. An erster Stelle steht mein Plädoyer, diesen Forschungsschwerpunkt, wenn es sich institutionell, finanziell und organisatorisch nur irgendwie machen lässt, in der einen oder anderen Form beizubehalten, und sei es nur in der Buchreihe, damit wenigstens diese

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nicht als romantisches Fragment im Raum stehen bleibt. Ich weiß, ein solcher Wunsch widerspricht im Grunde der im Wissenschaftsbetrieb üblichen Antragsmechanik – ein Anschlussprojekt ab 2011 zur Slavischen Idee wurde ja bereits benannt. Dennoch sollte in der verbleibenden Zeitspanne versucht werden, den Beobachtungszeitraum ins 19. Jahrhundert zurück zu verlängern. So sehr ich die forschungspraktische Entscheidung nachvollziehen kann, dass diese Projektgruppe sich vornehmlich auf die Zeit nach Gründung der sogenannten Nachfolgestaaten und auf das 20. Jahrhundert konzentriert hat, so sehr bin ich zugleich davon überzeugt, dass allein mit dem darin eingeschlossenen erinnerungspolitischen Rekurs auf ältere Visualisierungen historischer Symbole, Persönlichkeiten und Ereignisse deren Bedeutung nur unzureichend zu erfassen ist. Ergänzend müsste eine eigenständige Auseinandersetzung mit der Genese und dem Nationalisierungsprozess solcher Phänomene im gesamten 19. Jahrhundert hinzutreten, zumal die visuellen Geschichtskulturen für die staatslosen Nationalitäten Ostmitteleuropas gerade in diesem Zeitraum von erheblicher Relevanz und identitätsstiftender Potenz gewesen sind. Zu denken ist hierbei unter anderem an den nur punktuell aufgearbeiteten Denkmalkult und an die in der Forschung noch völlig vernachlässigte Geschichtsmalerei in diesem Teil Europas. Eine andere, alternative und vielversprechende Option wäre aus meiner Sicht der Versuch, mittels eines Graduiertenkollegs oder einer Sommerschule Nachwuchswissenschaftler an konkrete Beobachtungsfelder visueller Geschichtskulturen in Ostmitteleuropa heranzuführen. Ich denke hierbei beispielsweise an eine Bearbeitung und Interpretation bereits publizierter Fotodokumentationen zum Generalgouvernement und/oder zum Protektorat Böhmen und Mähren im Zweiten Weltkrieg. Denn eines ist klar: Die eingangs beklagten Desiderate bei der Erforschung visueller Geschichtskulturen werden sich mit Sicherheit nicht von selbst aufheben, dazu genügt ein resignierter Blick in die Vorlesungsverzeichnisse und Publikationslisten deutscher Universitäten der letzten Jahre. Entsprechende Einführungsveranstaltungen in Leipzig könnten quellenkundlicher und methodischer Natur sein, sie könnten länderspezifisch oder vergleichend angelegt sein und/oder bestimmte Themenfelder und Zeitabschnitte zum Inhalt haben. Auch eine Kombination aller genannten Gesichtspunkte wäre vorstellbar. Nur eine solchermaßen systematisch betriebene Sensibilisierung für Bildquellen scheint mir geeignet zu sein, eine kontinuierliche wissenschaftliche Bearbeitung visueller Geschichtskulturen längerfristig und auf breiter Basis zu garantieren. So viel oder so wenig zur Zwischenbilanz aus Kieler Sicht.

Kommentar II Stephanie Schwandner-Sievers Zuerst möchte ich meinen Dank für die Einladung aussprechen, trotz oder vielleicht auch gerade wegen meines Beitrages im „Amnesie und Nostalgie“-Tagungsband der Reihe „Visuelle Geschichtskultur“. Das mag ein Fall von Kryptomnesie gewesen sein,



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aber ich möchte doch anmerken, dass es angesichts der Fülle, der inhaltlichen Breite und auch der Interdisziplinarität und Internationalität der bereits vorhandenen Veröffentlichungen im Rahmen des Projektthemas recht schwierig sein dürfte, Diskutanten zu finden, die sich einerseits auch mit dem weiteren Themenkomplex befassen und doch andererseits nicht irgendwie und irgendwann in den vergangenen Jahren, und sei es auch nur am Rande, ein Teil der vielen Aktivitäten, Konferenzen, Seminare und Publikationen des Forschungsdesigns gewesen sind. Befangenheit könnte sich höchstens aus der Tatsache ergeben, dass ich in Berlin vor Jahren bei Stefan Troebst studiert habe, aber das hat uns damals die Beißhemmungen nur abtrainiert. Stefan Troebst hat uns also eine „Zwischenbilanz“ dieser Aktivitäten geliefert, und die Wortwahl legt nahe, dass eine Fortsetzung der Produktivität unter dem Terminus der „Visuellen Geschichtskultur“ zu erwarten ist. Hier ist ein eingängiges, ertragreiches und vielversprechendes Konzept vorgeschlagen worden, und ich hoffe, dass es noch die gebührende Etablierung im kulturwissenschaftlichen Kanon erlangen wird, da diese nach seinen eigenen Angaben ja erst am Anfang steht. Gerade für mich als Ethnologin bzw. Sozialanthropologin ist der Zusammenfall von Visualität, Geschichte und Kultur im Konzeptbegriff der „Visuellen Geschichtskultur“ inspirierend. Als Ethnologin steht für mich besonders die Frage im Mittelpunkt, wie die Komponente der gesellschaftlichen Wirklichkeit im ursprünglichen Forschungsdesign in diesem Konzept erfasst werden kann und wie diese sich zu staatspolitischen Prozessen verhält. Mir geht es also um die sozial-kulturelle Einbettung politischer Prozesse. Hierbei möchte ich vor allem vor einer vereinfachenden Dichotomisierung von Staat und Institutionen als Produzenten und Akteuren auf der einen Seite und den Bürgern, Gläubigen und Wählern auf der Rezipientenseite warnen. Artefakte wie z. B. die Exlibris zeigen, wie im privaten Bereich die staatliche Kultur ausgehandelt, reproduziert oder transformiert wird. Staatliche Legitimation und Symbole können kaum ohne deren sozio-kulturelle Resonanz eine Wirkung entfalten. Außerdem interessiert mich besonders auch die Frage, was denn eigentlich das Visuelle an der untersuchten Geschichtskultur sein mag. Ich hoffe, diesbezüglich ein paar disziplinenüberschreitende, theoretische Überlegungen anreißen zu können, die nicht unbedingt in der Aufzählung der bisher beteiligten Disziplinen, so wie wir sie vorhin gehört haben, vertreten sind. Vielleicht können diese ja für ein weiterreichendes „Denken vom Bild her“ ein paar Anregungen und auch interessante Hinweise geben. Auf jeden Fall hängen diese mit dem sich wandelnden Selbstverständnis meines eigenen Faches in den letzten Jahrzehnten zusammen. Konkret werde ich mich im Folgenden auf bestimmte wissenschaftliche Schulen beziehen: Auf die sogenannte „Visuelle Kulturforschung“, international unter dem Begriff der Visual Culture bekannt (quasi komplementär zu dem Begriff der Visual History, von der Stefan Troebst sich in interessanter Weise abgrenzt, aber durchaus nicht auf positivistischen Annahmen von „Kultur an sich“ beruhend, wie das für den Fall der Visual History – hier parallel für den Begriff der Geschichte – zutreffen mag); ich beziehe mich spezifisch auf John Bergers „Ways of Seeing“ (1972), das unter dem

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schlichten Titel „Sehen“ 1974 auf Deutsch erschienen ist, und auf den 2004 erschienenen Sammelband „Das Sichtbare und das Verborgene“ von Berger.30 Dabei werde ich auch die komplexe Philosophie von Jacques Rancière zur Politik der Ästhetik streifen. Eine Weiterentwicklung in der „Materiellen Kulturforschung“, die sich auf alle Arten von visuellen Objekten bezieht, findet man in den Material Culture Studies, wie sie von einigen namhaften Anthropologen an meiner englischen Heimatuniversität, dem University College London, in den vergangenen zwanzig Jahren betrieben wurde, namentlich von Daniel Miller, Christopher Tilley, Victor Buchli und anderen. Diese neuere Art der „Materiellen Kulturforschung“ wurde teilweise auch mit der Anthropologie des Postsozialismus verknüpft, die hierzulande in Halle durch Chris Hann und seine Schule vertreten ist. Die genannten Forschungsrichtungen haben gemein, dass sie die Beziehung zwischen privater und öffentlicher Kultur und zwischen Objekten und Subjekten thematisieren. Die sozialen und politischen Wechselwirkungen zwischen Menschen und Dingen in sich wandelnden Kontexten stehen im Mittelpunkt des Interesses, und die Frage nach Kontinuitäten und Brüchen wird dabei anders gestellt. Zumindest lässt sie sich nicht in evolutionistisch-lineare Schemata der Modernisierungstheorien einpassen, die im Eröffnungsvortrag von Claus Offe anklangen.31 Zuerst möchte ich fragen: Was ist überhaupt „visuell“ an den Forschungen, auf die sich Stefan Troebst bezogen hat? Visuell sind nicht die Forschungsmethodik oder das Medium des Forschungsinteresses, wie z. B. in der Visual Anthropology oder der Visual History, die oft Film und Foto in beiderlei Hinsicht bevorzugen, sondern die Tatsache, dass materielle Objekte selbst, die gestaltet werden, um gesehen zu werden, im Zentrum des Forschungsinteresses stehen. Wir haben von faszinierenden Objekten der materiellen Alltagskultur gehört, z. B. von Exlibris, Visitenkarten, Briefköpfen und Websites, die die Produkte individueller Fertigung sein können, aber auch von eher staatlich sanktionierten Produkten wie Geld, Briefmarken, Flaggen und Monumenten. Die für mich faszinierendste Frage des Forschungsdesigns ist dabei die von der Schnittmenge zwischen privater und öffentlicher Kultur, also wie sich die private Produktion von materiellen Objekten und Bildern zur staatlich sanktionierten Ideologie verhält und umgekehrt. Ich möchte vorschlagen, die Frage des Spektrums der Aufmerksamkeit vermehrt in den Vordergrund zu rücken, und zwar nicht als reine Rezeptionsforschung, sondern in einer Art und Weise, die weiterführende Auskunft über die gesellschaftliche und politische Einbettung und Wirkung von Artefakten ermöglicht. Wir wissen, dass nicht alle Objekte, die mit politischer Intention geschaffen werden, um gesehen zu werden, auch entsprechend wahrgenommen werden. Wer kann z.  B. sagen, welche historische Persönlichkeit auf einem Geldschein abgedruckt ist? Geldscheine aber 30 Berger, John: Ways of Seeing. London 1972 (dt. Übers.: Sehen. Das Bild der Welt in der Bilderwelt. Reinbek b. Hamburg 1974). 31 Offe, Claus: Das Dilemma der Gleichzeitigkeit. Ein Rückblick auf die Transformationsforschung. Vortrag anlässlich der GWZO-Jahrestagung 2009.



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sind im Umlauf, also sozial und ökonomisch interaktiv, und nicht allein rein statische Bildrepräsentationen. In wandelndem Kontext können sie allerdings neue Bedeutungen erlangen, z. B. in der nostalgischen Erinnerung, nachdem bestimmte Repräsentationen abgeschafft wurden, oder nationalpolitisch aufgeladen werden in Zeiten der Etablierung von Eigenstaatlichkeit nach Erfahrungen von Krieg und Unsicherheit. Es gibt bestimmte historische Momente, in denen der symbolische Inhalt an Bedeutung gewinnt, in Vergessenheit gerät oder sich verändert. Die untersuchten Artefakte können mehr oder minder emotional aufgeladen sein und der nationalstaatlichen Identifikation oder auch der Ablehnung im privaten Bereich dienen. Die Unterschiede drücken sich auch darin aus, wie und auf welche Art überhaupt die Bilder und Symbole auf den Scheinen gesehen und wahrgenommen werden. Privat gefertigte Artefakte – ich denke hier an die Exlibris – können politisch-subversive Orientierungen oder politisches Fatigue ausdrücken, wobei diese sich nicht nur gegen paternalistische Regime kommunistischer Prägung richten müssen. Der Exlibris-Katalog zeigt beispielsweise, wie lokale, national-traditionalistische Identifikationen in der Alltagskultur dem politischen Wandel vorausgehen können.32 Man denke aber auch an das postsozialistische Leben des DDR-Ampelmännchens als ein Beispiel nostalgischer Alteritätsbehauptung gegenüber dem wiedervereinten Deutschland, die nicht vom Staat oktroyiert wurde. Die neue Bedeutung geht dabei mit einer neuen Sicht auf das Objekt einher, die den in der neuen, sozialen und politischen Einbettung gewandelten symbolischen Inhalt reflektiert. Hier bietet es sich an, John Berger beim Wort zu nehmen, der von verschiedenen Arten des Sehens ausgeht. Demnach ließe sich erschließen, was von wem wie gesehen oder auch nicht gesehen wird. Allein die kulturelle Wortwahl zur Frage des Sehens eines bestimmten Objektes kann dabei schon Hinweise geben – hier bin ich von auf Berger aufbauenden Überlegungen in der Sozialanthropologie beeinflusst.33 Im Deutschen z. B. kann man ein Objekt oder Bild betrachten, anschauen, angucken, anblicken, beobachten, intensiv studieren oder auch darüber hinwegsehen. Die Art und Weise des Blickes macht dabei den großen Unterschied. Im Deutschen kann man mit Blicken die Dinge flüchtig streifen, aber auch durchbohren, töten, strafen usw.34 Der staatliche Designer oder der Fälscher eines Geldscheines wird einen ganz anderen Blick auf diesen haben als der Händler oder der Konsument, der Sammler, der Nostalgiker, der Tourist, der Historiker … Das Spektrum der visuellen Aufmerksamkeit, also der Grad der Flüchtigkeit bzw. der Intensität des Sehens, kann demnach Auskunft über die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt und die politisch-soziale Einbettung des Objektes geben. Der Blick ist sozusagen ein visueller Zeigefinger: Sobald er auf 32 Jilge, Wilfried: Geschichtskultur und nationale Identitätsbildung in der Ukraine seit der „Perestrojka“ am Beispiel von Exlibris. In: Geschichtskultur der Ukraine (wie Anm. 7), 27–41. 33 Ich danke Garry Marvin für die entsprechende Anregung. Siehe auch Marvin, Garry: Introduction: Seeing, Looking, Watching, Observing Nonhuman Animals. In: Society & Animals 13 (2005) 1, 1–12. 34 Für den persönlichen Gedankenaustausch hinsichtlich der im Deutschen verschiedenen Arten des Sehens danke ich dem Künstlerehepaar Erika und Christian Tappe (http://www.tappe-art.de/art/index_ main_de.html; 29. 05. 2013).

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das Objekt „deutet“, gibt er ihm „Bedeutung“. Die Art und Weise des Blickes erlaubt dabei Rückschlüsse über die Be-Deutung des Objekts für verschiedene Personengruppen. Aus ethnologischer Sicht stellt daher die Verschiedenartigkeit der Blicke, die ein Objekt anziehen mag, ein wichtiges Potenzial der Untersuchung jedweder visueller Objekte und ihrer sozio-kulturellen und politischen Einbettung dar. In diesem Zusammenhang möchte ich zweitens auf Jacques Rancières Philosophie der „Partage du Sensible: Esthétique et politique“ hinweisen,35 mehr schlecht als recht im ersten Teil ins Deutsche übersetzt als „Die Aufteilung des Sinnlichen“.36 Ich kann Rancières komplexen Ausführungen hier kaum gerecht werden. Wichtig für das Forschungsdesign der „Visuellen Geschichtskultur“ scheint mir jedoch sein Begriff der Ästhetik. Dieser gleicht nicht dem uns aus der Alltagssprache bekannten, wertenden Begriff zu Fragen der Schönheit oder der Hässlichkeit von Dingen, sondern bezieht sich – im platonischen Sinne – auf die Frage der Wahrnehmung der Dinge durch die menschlichen Sinne (einschließlich des Sehens), d. h., auf die Sinnlichkeit selbst. Rancière löst einerseits die Hierarchie zwischen Kunst und Artefakten der Alltagskunst oder Dekorationskunst auf – Kunst ist für ihn die Art des Tuns und Machens. Andererseits fragt er danach, wer was wo sieht oder sehen kann bzw. was aufgrund der sozio-politischen Positionalität des Betrachters verborgen bleibt. Er thematisiert sozio-politische Ausschluss- und Einschlussmechanismen, die die Sichtbarkeit bzw. Nichtsichtbarkeit von Kunst und anderen Artefakten bestimmen. Eine sozio-politische Differenzierung des Zugangs zu Bildern wird ferner auch kulturell erklärt, indem die Sichtbarkeit der Dinge von der Frage abgeleitet wird, inwieweit Selbstverständlichkeiten als internalisierte Gemeinsamkeit von Gesellschaftsgruppen oder -klassen die Wahrnehmung einschließen oder ausschließen. Die gesellschaftliche Partizipation an Kunst und Alltagskultur wird also in einem System der Selbstverständlichkeiten – in der ethnologischen/sozial-anthropologischen Literatur auch „Kultur“ genannt37 – verortet, die das Sehen oder Nichtsehen von Objekten über die Frage der physischen Gegenwärtigkeit des Sehenden hinaus interpretiert. Ich bin keine Philosophin, doch möchte ich hiermit betonen, dass in der visuellen Kulturforschung und der Kunstphilosophie einige Ideen zu finden sind, die die Dichotomie zwischen dem Staat als Produzenten und dem Bürger als Rezipienten von Bildern auflösen, in dem sie zuallererst der Frage der Visualität nachgehen und die Beziehung zwischen visuellem Objekt und den sehenden Subjekten in den Mittelpunkt stellen. Dies setzt immer voraus, dass die sozio-politische Einbettung des Sehens als Akt und der Sehenden als Subjekte über den Fokus auf das visuelle Objekt hinaus thematisiert wird. Hiermit wird eine Option aufgezeigt, sich dem Bereich der Politik vom Bild ausgehend auf einem neuen Wege zu nähern. 35 Ich nähere mich Rancière bisher allein über die englische Übersetzung: Rancière, Jacques: The Politics of Aesthetics. London-New York, NY 2004. 36 Ders.: Die Aufteilung des Sinnlichen: Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien. Berlin 2006. 37 Douglas, Mary: Implicit Meanings: Essays in Anthropology. London 1975, 276–381; Herzfeld, Michael: Anthropology: Theoretical Practice in Culture and Society. Oxford-Malden, MA 2001, 1.



Visuelle Geschichtskultur: Eine Zwischenbilanz

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Drittens und letztens einige Worte zur „Materiellen Kulturforschung“ in der Ethnologie, die sich seit den späten 1980er-Jahren am University College of London entwickelt und die diese aus der Nische der vormalig archivarisch-folkloristischen und funktionalistischen Forschungsansätze herausgeholt hat. Auch diese untersucht genau das Verhältnis und die wechselseitige Beeinflussung zwischen Menschen und Dingen, Subjekten und Objekten. Die frühere Annahme, dass Artefakte unabhängig von ihrer kulturellen und gesellschaftlichen Einbettung beschrieben werden können, wurde aufgegeben zugunsten der These, dass durch die Dinge Sozialbeziehungen konstituiert werden und der Mensch als soziales (und politisches) Wesen und seine Artefakte sich gegenseitig bedingen.38 Wichtig und neu ist bei diesem Ansatz die Gleichsetzung der Untersuchung von Objekt und Subjekt – und dass den Objekten selbst sowohl im unbewussten Sozialisierungs- und Akkulturationsprozess als auch in der bewussten Aushandlung innergesellschaftlicher Beziehungen eine Wirkungsmacht (agency) zugestanden wird,39 also auch der Beziehungen zu staatlichen Akteuren und Institutionen. Die Objekte der materiellen Kultur unterliegen einer kulturellen Bedeutungsgebung, die vom jeweiligen sozio-politischen Kontext abhängig ist. Ihnen wird eine inhärente Heterogenität und Widersprüchlichkeit zugestanden, und damit zusammenhängend ein gemäß den gerade bestehenden Machtstrukturen und gesellschaftlichen Verhältnissen sich wandelnder Charakter. Als eingängige Beispiele erinnere ich noch einmal an die sich verändernden Bedeutungszuschreibungen des Ampelmännchens. Diese Theorieentwicklungen stehen auch im Zusammenhang mit Überlegungen zum „sozialen Leben der Dinge“ des Globalisierungsforschers und Anthropologen Arjun Apparduraj,40 die sich auf die Bedeutungsgebung, wie sie sich aus sozialen und politischen Austauschbeziehungen ergibt, beziehen. In vielen Ethnografien sozialistischer und postsozialistischer Tauschpraktiken werden diese empirisch belegt und entwickelt, wobei Bilder auch hinsichtlich der Analyse von Austauschbeziehungen – wie Schokolade und Likör als Gabe an Lehrer als Repräsentanten höherer Autoritäten, aber auch Coca Cola, MacDonalds oder amerikanische Küche als Markierung von Prestige – untersucht wurden: Schließlich geht es um visuelle Marken, nicht nur um die visuellen materiellen Objekte selbst.41 Das „politische Leben toter Körper“ wurde 38 Frei nach dem Handbook of Material Culture. Hg. v. Christopher Tilley u. a. London 2006, 28. 39 Vellinga, Marcel: Anthropology and the materiality of architecture. Review essay. In: American Ethnologist 23 (2007) 4, 756–766. Für eine neuere Auswahl der besprochenen Material Culture Studies s. The Material Culture Reader. Hg. v. Victor Buchli. New York, NY-Oxford 2002; Miller, Daniel: The Comfort of Things. London 2009; Ders.: Material Culture and Mass Consumerism. London-Oxford 1997; Ders./Slater, Don: The Internet: an Ethnographic Approach. Oxford-New York, NY 2001. 40 Apparduraj, Arjun: The Social Life of Things: Commodities in Culture Perspective. Cambridge 1986. 41 Die erwähnten Beispiele beziehen sich auf Patico, Jenifer: Chocolate and Cognac: Gifts, and the Recognition of Social Worlds in Post-Soviet Russia. In: Ethnos 67 (2002) 3, 345–368; Dies./Caldwell, Melissa L.: Consumers Exiting Socialism: Ethnographic Perspectives on Daily Life in Post-Communist Europe. In: Ethnos 67 (2002) 3, 285–294; Fehérváry, Krisztina: American Kitchens, Luxury Bathrooms, and the Search for a ‘Normal’ Life in Postsocialist Hungary. In: Ethnos 67 (2002) 3, 369–400.

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dann anhand des postsozialistischen Umgangs mit sozialistischen Monumenten in der bekannten Monografie der Anthropologin Katherine Verdery untersucht,42 als die vormalig heroisierenden Denkmäler der sozialistischen Führer und Idole symbolträchtig gestürzt, geköpft und umgesiedelt wurden. Zusammenfassend möchte ich sagen, dass sich eine Vielzahl von ethnografischen Studien mit der Frage der Wirkungsmacht der Objekte auf die sozialen und politischen Beziehungen im Sozialismus und Postsozialismus beschäftigt hat. Ich habe hiermit vor allem für einen noch erweiterten und dezidierteren Blick über den disziplinären Tellerrand geworben und hoffe, dass dies dazu anregt, Fragen der Betrachtung des Verhältnisses zwischen Visualität, Kultur und Geschichte, zwischen Objekten und Subjekten und zwischen Produzenten und Konsumenten von Bildern wieder anders und neu zu stellen. Vielleicht können andere Wissenschaften helfen, die disziplinären Gegensätze zwischen den Kunsthistorikern und den Zeithistorikern noch mehr aufzulösen, als das bereits geschehen ist: also ein „Denken vom Objekt“ oder „Bild“ her voranzutreiben, ohne die Frage der gesellschaftlichen und politischen Einbettung, den historischen Wandel und die verschiedenen sozio-politischen Wechselwirkungen außer Acht zu lassen. Das Konzept der „Visuellen Geschichtskultur“ erscheint mir dabei als großartige Chance, der Serendipität auch weiterhin Raum zu lassen.

42 Verdery, Katherine: The Political Lives of Dead Bodies. Reburial and Postsocialist Change since 1989. New York, NY 1999.

Abbi l d u n g sn achwe is Jenny Alwart Abb. 1 und Taf. 1: Nacional’nyj muzej Tarasa Ševčenka. Al’bom [Nationales TarasŠevčenko-Museum. Bildband]. Hg. v. Tetjana Andruščenko und Serhij Hal’čenko. Kyïv 2002, 9 (Ausschnitt), 38. Abb. 2 und Taf. 2: Kartel’ Kuratoriv. Festyval’ Hohol’fest 2008 [Kuratorenkartell. Festival „Gogol’fest“ 2008]. Kyïv 2008, 66 (Abb. 2), 65 (Taf. 2). Abb. 3: Nakonečnyj, Roman/Filipčuk, Zenovija: Svoju Ukraïnu ljubit’... KimnataMuzej Tarasa Ševčenka u L’vivs’komu palaci mystectv [Die Ukraine lieben … TarasŠevčenko-Museumszimmer im Kunstpalast von L’viv]. L’viv 2007, 69. Abb. 4: Kasijan, Vasyl’: Prorok [Der Prophet]. Kyïv 2006, 232. Arnold Bartetzky Abb. 1: Pryb’eh, Leonid: Chramy Ukraïny – Churches of Ukraine. Kyïv 2004. Abb. 2: Wikipedia/Foto: Roland Struwe Abb. 3: Arnold Bartetzky Taf. 1: Wikimedia Commons/Foto: Voytek s Agnieszka Gąsior Abb. 1, 3, 4, 6 und Taf. 1: Wikimedia Commons/O. A. Abb. 2: Agnieszka Gąsior Abb. 5: PAP/Grzegorz Rogiński Abb. 7: http://stamps.y0.pl/polska/strko.php?strona=16&koniec=42&dzial=2 (13. 10. 2013) Oleksandr Grytsenko Abb. 1–10: Oleksandr Grytsenko Agnieszka Halemba Fig. 1–5: Agnieszka Halemba Daniela Koleva Fig. 1 and plate 1: Božkov, Atanas: Izobraženijata na Kiril i Metodii prez vekovete [The images of Cyril and Methodius over the centuries]. Sofija 1989. Fig. 2: Bosilkov, Svetlin: Bălgarskijat plakat [The Bulgarian poster]. Sofija 1973, 124 f. Plate 2: www.lostbulgaria.com (13. 06. 2013) Izabella Main Fig. 1−8 and plates 1−2: Izabella Main

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Abbildungsnachweis

Tatiana Podolinská Fig. 1−5 and plates 1−3: Tatiana Podolinská Michaela Schäuble Abb. 1, 2, 5 und Taf. 1: Franziskanerkloster Sinj Abb. 3, 4, 6, 7: Michaela Schäuble Um die Einholung der Bildrechte haben wir uns bemüht. Sollten dennoch eventuelle Rechteinhaber unberücksichtigt geblieben sein, so bitten wir diese, sich mit dem Verlag in Verbindung zu setzen.

Au t oren verz e ichnis Dr. Jenny Alwart, Kulturwissenschaftlerin, Ukrainistin; freie Übersetzerin, Berlin; [email protected] Dr. Arnold Bartetzky, Kunsthistoriker, Architekturkritiker; Fachkoordinator für Kunstgeschichte am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig (GWZO); [email protected] Dr. Patrice Dabrowski, Historikerin; Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Doktoratskolleg Galizien an der Universität Wien; [email protected] Dr. Agnieszka Gąsior, Kunsthistorikerin; Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Kultur und Geschichte Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig (GWZO); [email protected] Dr. Oleksandr Grytsenko, Kulturwissenschaftler, Kulturpolitikwissenschaftler; Direktor des Ukrainian Centre for Cultural Studies in Kiew; [email protected] Dr. Agnieszka Halemba, Sozialanthropologin; Assoziierte Professorin am Institut für Ethnologie und Kulturanthropologie der Universität Warschau; [email protected] Prof. Dr. Rudolf Jaworski, Historiker, Germanist; Professor i. R. für Osteuropäische Geschichte an der Universität Kiel; [email protected] Dr. Anne Cornelia Kenneweg, Slawistin, freiberufliche Hochschuldidaktikerin und Beraterin, Leipzig; [email protected] Dr. Daniela Koleva, Sozialanthropologin; Assoziierte Professorin am Institut für Geschichte und Kulturtheorie der St.-Kliment-Ohridski-Universität Sofija; koleva@phls. uni-sofia.bg Dr. Izabella Main, Historikerin, Sozialanthropologin; Assoziierte Professorin am Institut für Ethnologie und Kulturanthropologie der Universität Poznań; [email protected] Dr. Małgorzata Morawiec, Germanistin, Historikerin; Geschäftsführerin des Graduiertenkollegs „Die christlichen Kirchen vor der Herausforderung Europa“ am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz; [email protected] Dr. Mirela-Luminiţa Murgescu, Historikerin, Kulturwissenschaftlerin; Professorin an der Fakultät für Geschichte der Universität Bukarest; [email protected]

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Autorenverzeichnis

Dr. Dragoş Petrescu, Politikwissenschaftler, Historiker; Assoziierter Professor an der Fakultät für Politikwissenschaft der Universität Bukarest; dragos.petrescu@fspub. unibuc.ro Dr. Tatiana Podolinská, Religionswissenschaftlerin, Kulturanthropologin; Direktorin des Instituts für Ethnologie der Slowakischen Akademie der Wissenschaften, Bratislava; [email protected] Prof. Dr. Stefan Rohdewald, Osteuropahistoriker, Slavist, Literaturwissenschaftler, Sozial- und Wirtschaftshistoriker; Professor für südosteuropäische Geschichte am Historischen Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen; Stefan.Rohdewald@ geschichte.uni-giessen.de Dr. Michaela Schäuble, Sozialanthropologin; Dozentin an der School of Social Sciences der Universität Manchester; [email protected] Dr. Stephanie Schwandner-Sievers, Sozialanthropologin; Privatdozentin an der Universität Bournemouth; [email protected] Dr. Elena Temper, Kulturwissenschaftlerin; Mitglied der Geschäftsführung im Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW), Regionalverbund Leipzig; elena. [email protected] Prof. Dr. Stefan Troebst, Historiker, Slavist; Professor für Kulturstudien Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig sowie stellvertretender Direktor des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig (GWZO); [email protected]