Fragmente der Frühromantik: Edition und Kommentar 9783110232851, 9783110208467

In the Romantic Movement, the fragment acquired the status of an autonomous artistic genre which no longer points back t

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Fragmente der Frühromantik: Edition und Kommentar
 9783110232851, 9783110208467

Table of contents :
1. Einleitung
2. Friedrich Schlegel
Kritische Fragmente (,Lyceums‘-Fragmente)
Fragmente (,Athenäums‘-Fragmente)
Ideen
Aus den Fragmenten zur Poesie und Literatur
Aus den philosophischen Lehrjahren
Fragment-Fragmente
3. Friedrich von Hardenberg (Novalis)
Blüthenstaub
Glauben und Liebe
Aus den Fichte-Studien
Logologische Fragmente
Fragmente oder Denkaufgaben
Teplitzer Fragmente und Ergänzungen zu den Teplitzer Fragmenten
Aus dem Allgemeinen Brouillon
4. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
Gedanken III
5. Friedrich Karl Forberg
Aus den Fragmenten aus meinen Papieren (Anthropologische Fragmente)
6. August Ludwig Hülsen
Aus den philosophischen Fragmenten aus Hülsens literarischem Nachlaß
7. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling
Aus den Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie
8. Henrich Steffens
Aus den Grundzügen der philosophischen Naturwissenschaft
9. Johann Wilhelm Ritter
Aus den Fragmenten aus dem Nachlasse eines jungen Physikers
10. Joseph Görres
Schriftproben von Peter Hammer
9783110232851_Strack_vol2.pdf
1. Editorische Vorbemerkung
2. Friedrich Schlegel
Kritische Fragmente (,Lyceums‘-Fragmente)
Textgrundlage und Textüberlieferung
Entstehung
Wirkung
Struktur und Gehalt
Stellenkommentar
Fragmente (,Athenäums‘-Fragmente)
Textgrundlage und Textüberlieferung
Entstehung
Wirkung
Struktur und Gehalt
Stellenkommentar
Ideen
Textgrundlage und Textüberlieferung
Entstehung
Wirkung
Struktur und Gehalt
Stellenkommentar
Aus den Fragmenten zur Poesie und Literatur
Textgrundlage und Textüberlieferung
Entstehung
Wirkung
Struktur und Gehalt
Stellenkommentar
Aus den philosophischen Lehrjahren
Textgrundlage und Textüberlieferung
Entstehung
Wirkung
Struktur und Gehalt
Stellenkommentar
Fragment-Fragmente
Einleitung
Stellenkommentar
3. Friedrich von Hardenberg (Novalis)
Blüthenstaub
Textgrundlage und Textüberlieferung
Entstehung
Wirkung
Struktur und Gehalt
Stellenkommentar
Glauben und Liebe
Textgrundlage und Textüberlieferung
Entstehung
Wirkung
Struktur und Gehalt
Stellenkommentar
Aus den Fichte-Studien
Textgrundlage und Textüberlieferung
Entstehung
Wirkung
Struktur und Gehalt
Stellenkommentar
Logologische Fragmente
Textgrundlage und Textüberlieferung
Entstehung
Wirkung
Struktur und Gehalt
Stellenkommentar
Fragmente oder Denkaufgaben
Textgrundlage und Textüberlieferung
Entstehung
Wirkung
Struktur und Gehalt
Stellenkommentar
Teplitzer Fragmente und Ergänzungen zu den Teplitzer Fragmenten
Textgrundlage und Textüberlieferung
Entstehung
Wirkung
Struktur und Gehalt
Stellenkommentar
Aus dem Allgemeinen Brouillon
Textgrundlage und Textüberlieferung
Entstehung
Wirkung
Struktur und Gehalt
Stellenkommentar
4. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
Gedanken III
Textgrundlage und Textüberlieferung
Entstehung
Wirkung
Struktur und Gehalt
Stellenkommentar
5. Friedrich Karl Forberg
Aus den Fragmenten aus meinen Papieren (Anthropologische Fragmente)
Textgrundlage und Textüberlieferung
Entstehung
Wirkung
Struktur und Gehalt
Stellenkommentar
6. August Ludwig Hülsen
Aus den philosophischen Fragmenten aus Hülsens literarischem Nachlaß
Textgrundlage und Textüberlieferung
Entstehung
Wirkung
Struktur und Gehalt
Stellenkommentar
7. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling
Aus den Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie
Textgrundlage und Textüberlieferung
Entstehung
Wirkung
Struktur und Gehalt
Stellenkommentar
8. Henrich Steffens
Aus den Grundzügen der philosophischen Naturwissenschaft
Textgrundlage und Textüberlieferung
Entstehung
Wirkung
Struktur und Gehalt
Stellenkommentar
9. Johann Wilhelm Ritter
Aus den Fragmenten aus dem Nachlasse eines jungen Physikers
Textgrundlage und Textüberlieferung
Entstehung
Wirkung
Struktur und Gehalt
Stellenkommentar
10. Joseph Görres
Schriftproben von Peter Hammer
Textgrundlage und Textüberlieferung
Entstehung
Wirkung
Struktur und Gehalt
Stellenkommentar
11. Biographische Skizzen
August Wilhelm und Friedrich Schlegel
Friedrich von Hardenberg (Novalis)
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
Friedrich Karl Forberg
August Ludwig Hülsen
Friedrich Wilhelm Joseph Schelling
Henrich Steffens
Johann Wilhelm Ritter
Joseph Görres
12. Zeichen – Siglen und Abkürzungen – Literatur
Zeichen
Siglen und Abkürzungen
Primärliteratur
Nachschlagewerke
Sekundärliteratur
13. Register

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Fragmente der Frühromantik

Fragmente der Frühromantik 1 Edition

Herausgegeben von Friedrich Strack und Martina Eicheldinger

De Gruyter

ISBN 978-3-11-020846-7 e-ISBN 978-3-11-023285-1 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Fragmente der Frühromantik / edited by Friedrich Strack, Martina Eicheldinger. p. cm. Includes bibliographical references and index. ISBN 978-3-11-020846-7 (alk. paper) 1. Romanticism--Germany. 2. Unfinished books--Germany. 3. German literature--18th century--History and criticism. 4. German literature--19th century--History and criticism. I. Strack, Friedrich. II. Eicheldinger, Martina. PT363.U54F73 2011 830.9‘006--dc23 2011029878

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/ Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

V

Inhalt

1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Friedrich Schlegel . . . . . . . . . . . . . Kritische Fragmente (‚Lyceums‘-Fragmente) . Fragmente (‚Athenäums‘-Fragmente) . . . . . Ideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aus den Fragmenten zur Poesie und Literatur Aus den philosophischen Lehrjahren . . . . . Fragment-Fragmente . . . . . . . . . . . . .

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3. Friedrich von Hardenberg (Novalis) Blüthenstaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glauben und Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aus den Fichte-Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Logologische Fragmente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmente oder Denkaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teplitzer Fragmente und Ergänzungen zu den Teplitzer Fragmenten . Aus dem Allgemeinen Brouillon . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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141 157 172 186 193 195 217

4. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher Gedanken III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

229

5. Friedrich Karl Forberg Aus den Fragmenten aus meinen Papieren (Anthropologische Fragmente) 239 6. August Ludwig Hülsen Aus den philosophischen Fragmenten aus Hülsens literarischem Nachlaß 257 7. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling Aus den Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie . . . . . .

269

8. Henrich Steffens Aus den Grundzügen der philosophischen Naturwissenschaft . . . . . .

283

9. Johann Wilhelm Ritter Aus den Fragmenten aus dem Nachlasse eines jungen Physikers . . . .

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10. Joseph Görres Schriftproben von Peter Hammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung

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1. Einleitung

Wer von Fragmenten spricht, denkt zunächst einmal an Bruchstücke oder Überbleibsel, an „trümmerhaft erhaltene Überreste eines einst reichen und vollständigen Vorrats“ (Zinn 1959, S.166). Es kann sich um Überreste von Bauwerken (antiken Tempeln oder mittelalterlichen Burgruinen), um Torsos von Statuen oder um andere Kunstwerke, auch um Schriftstücke handeln, die einer Katastrophe oder dem geschichtlichen Verfall entkommen sind. Fragmente können aber auch unfertige, nie vollendete Werke genannt werden, aus welchen Gründen auch immer sie abgebrochen wurden. Der mythische Turmbau zu Babel oder Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften sind in diesem Sinne Fragmente geblieben. Wichtig dabei ist, daß ihnen die Intention der Vollendung zugrunde lag, daß sie als ein „Ganzes“ gedacht waren. Ohne Bezug auf ihre Vollendung wären die verbliebenen Bruchstücke keine Fragmente, sondern Abfallprodukte. „In dem kleinsten Fragmente noch die zerstörte Herrlichkeit des Ganzen zu schauen, wird der Genuß des vollendeten Kenners“, bemerkt Goethe in seiner Einleitung in die ‚Propyläen‘ (WA I 47, S.26) und umschreibt damit den intellektuellen und ästhetischen Reiz, den alles Fragmentarische auf den Betrachter ausübt. Er projiziert in das Bruchstück die Vollendung hinein oder liest sie aus ihm heraus, wie Rilke aus dem Archaischen Torso Apolls. Aber nicht nur Überreste eines ehemaligen oder Teile eines künftigen Ganzen können Fragmente genannt werden; auch Auszüge, Exzerpte und Skizzen oder Abrisse umfassender Darstellungen heißen gelegentlich so. Lessing hat 1774 seine Wolfenbüttler Fragmente als Auszüge aus den Werken von Hermann Samuel Reimarus angefertigt, und Herder hat in seinen Fragmenten Über die neuere Deutsche Litteratur von 1767ff. Nicolais, Mendelssohns und Lessings Briefe, die neueste Literatur betreffend (1759–1765) exzerpierend kommentiert. Er wollte keine systematischen Abhandlungen oder diskursiven Betrachtungen liefern, wie sie die Vorlagen boten, sondern „nüzliche Beobachtungen“ seiner Vorgänger „sammeln“ und mit eigenen „Einfällen“ und „vermischten Gedanken“ glossieren (HE1, S.149 und 2, S.205). Fragmente waren ihm „Füllsteine“, „Materialien zu einem !künftigen" Gebäude der Litteratur“ (HE1, S.149 und 2, S.3), nicht etwa wertlose Überbleibsel oder systemgerechte Bauelemente. In ihrer rhapsodischen Gestalt und pantomimischen Gebärde sollten sie durch Andeutungen und Winke neue Perspektiven eröffnen und frischen Wind in die Forschung bringen. Wie Hamann im Hinblick auf seine Sokratischen Denkwürdigkeiten und mit Anspielung auf das biblische Speisungswunder (Joh. 6,12) keine „Grundsätze“ und „Systeme“, sondern nur „Brocken, Fragmente, Grillen, Einfälle“ zu liefern versprach (HAB1, S.431; dazu: Behler 1985, S.127ff.), wollte Herder „blos

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Einleitung

Stückwerke von Betrachtungen“ (HE2, S.4) vorlegen, um einerseits den Blick auf Wesentliches zu lenken, andererseits den „Akademischen Leichenton“ zu überwinden (HE1, S.528). Fragmente sind also nicht nur zufällige Bruchstücke untergegangener Kulturen oder künftiger Projekte, sie können auch absichtlich hervorgebracht sein, um Aufmerksamkeit zu erregen und zu eigenen Überlegungen anzustacheln. Sie können sogar fingiert sein, wie in Goethes Werther oder Wackenroders Phantasien, in denen abgebrochene Briefe auf den verzweifelten Gemütszustand der Protagonisten hindeuten sollen. Von all diesen Fragmentarten unterscheidet sich das romantische Fragment in wesentlichen Punkten. Zwar behalten die traditionellen Bedeutungsvarianten durchaus auch weiterhin ihre Gültigkeit; aber es kommen neue Aspekte in ihrer strukturellen Bewertung und stilistischen Einschätzung hinzu. Friedrich Schlegel unterscheidet grundsätzlich zwei Typen: „Fragmente aus der Vergangenheit“ und „Fragmente aus der Zukunft“, die er „Projekte“ nennt (A22). Während jene „regressiv“ auf eine zerstörte Ganzheit zurückweisen, deuten diese „progressiv“ auf eine künftige Totalität voraus (ebd.). Der Zukunftsaspekt ist für die Einstufung des romantischen Fragments von entscheidender Bedeutung. Er verleiht ihm eine utopische Dimension. Das gilt in gleicher Weise auch für Novalis, der die Fragmente als „Anfangssätze“ oder „Stoßsätze“ begreift (NO2, S.374), die auf eine künftige Vollendung hinzielen. Sie sind ihrerseits vorläufig, provisorisch, wirken aber wie „Inzitamente“ und „fermenta cognitionis“ (Schlegel), die den Geist in Bewegung setzen und neue Erkenntnissphären erschließen. Fragmente werden von den Romantikern keineswegs als letztgültige Wahrheiten begriffen oder als funkelnde Glanzstücke gefaßt; sie wirken systemsprengend und zeigen sich als „revolutionaire Affichen“ (NO4, S.241). Mit ihnen hoffen sie (in Anspielung auf Hardenbergs Pseudonym), „Neuland“ zu erschließen. Witz und Ironie sind dabei die Mittel, festgefahrene Denkmuster zu unterminieren und Innovationen in Gang zu setzen (Mennemeier 1968, S.348ff.; Behler 1985, S.138; Frischmann 2005, S.346ff.). Insofern spielt der antiquarische Charakter des traditionellen Fragmentbegriffs in der Romantik nur eine untergeordnete Rolle. Er wird abgelöst durch eine zukunftsorientierte Denkweise, die eine prozessuale Entfaltung der intellektuellen Kräfte propagiert. Das „Noch-Nicht“ tritt mehr oder weniger an die Stelle des „Nicht-Mehr“ (Schulz 2003, S.377ff.). Clemens Brentano, der selbst keine Fragmente geschrieben hat, faßt den romantischen Fragmentgedanken in seinem Schauspiel Gustav Wasa (nach der Beschreibung einer fiktiven Brandkatastrophe) in die Worte: !…" So kann man das Verbrennen Des Lebens Wechsel nennen. Es bricht das Ganze in Fragmente, Und diese werden Elemente, Aus denen, rein und unversehrt, Ein schöneres Ganze wiederkehrt. (FBA12, S.25)

Einleitung

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Eine derartige – man kann auch sagen: revolutionäre – Veränderung in der Einschätzung des Fragments hat spezifische philosophische Voraussetzungen. Sie ist begründet in der kritischen Philosophie Immanuel Kants und dem willensbetonten Fortschrittsdenken Fichtes. Die transzendentale Denkweise der neuen Philosophie forderte nicht nur, die Resultate des Denkens pointiert und konzis wiederzugeben, sondern auch die Bedingungen des Denkens, als deren Voraussetzungen, nicht zu verschweigen. „Die höchste Aufgabe der Bildung“ sei, „sich seines transcendentalen Selbst zu bemächtigen, das Ich seines Ich’s zugleich zu seyn“, heißt es im 28. der Blüthenstaub-Fragmente des Novalis (NO2, S.425). Dieser „Aufgabe“ stellen sich die Jenenser Frühromantiker besonders in ihrer Fragmentproduktion. Sie wollen nicht nur bündige Gedanken, „pensées“, fixieren, sondern zugleich „das Verhältnis des Idealen und des Realen“ mitdarstellen (Frischmann 2005, S.346ff.). Das Fragment gilt ihnen als geeignete Form, die „transzendentalen Materialien und Vorübungen zu einer poetischen Theorie des Dichtungsvermögens mit der künstlerischen Reflexion und schönen Selbstbespiegelung“ zu vereinigen (A238). Schlegel und Novalis bringen zum Ausdruck, daß alles Denken (und Dichten) nur „halb“ gelingt (NO2, S.114), wenn es sich nicht auch seiner eigenen Voraussetzungen, der Bedingungen des Denkens und Dichtens, versichert. Sie begreifen ihre Fragmente nicht mehr nur als kritische, kommentierende Lesefrüchte (wie Herder), sondern verbinden damit auch den Anspruch zukunftsweisender Erneuerung und selbstbewußter Kunstproduktion. Sie lassen sich ein auf das „Abenteuer des menschlichen Geistes“ (Mautner 1976, S.406), der sich im Fragment selbst zum Gegenstand wird und zu ergründen versucht. Und damit werden Schlegel und Novalis zu Schöpfern einer „neuen literarischen Gattung“ (Behler 1985, S.132), die zwar keine Vollkommenheit beansprucht, sich aber in ihren Produkten selbst reflektiert und ein universelles, wenngleich nie vollendbares Wissen postuliert (Frank 1984, S.215ff.; Pikulik 1992, S.125). Mit ihren neuartigen Kunstfragmenten dokumentieren die Romantiker die „Früchte !ihres" Lesens und Nachdenkens“, die „Brocken“, wie Hamann sie in Analogie zum Johannesevangelium nannte, damit „nichts umkomme“ (HA1, S.239). In „Auszügen“ und „Randglossen“, in „Gedanken“ oder „Ideen“ (Friedrich Schlegel), sowie in „Vermischten Bemerkungen“ (Novalis) präsentieren sie ihre „Einfälle“, die nicht mehr als „Bruchstücke“ im traditionellen Sinne zu werten sind, sondern als „Stückwerke“ eines noch nicht existierenden „Ganzen“ (wie der erste Korintherbrief verkündet, 3,9, und wie Lavater in seinen Physiognomischen Fragmenten fordert, 8. Fragment, vgl. Behler 1985, S.129); genauer noch wären sie als „Werkstücke“ (im handwerklichen Sinne) zu bezeichnen, die auf eine künftige, wenn auch unerreichbare Vollkommenheit hindeuten. Das Sammeln und Publizieren von Fragmenten wird unter den gegebenen Voraussetzungen in der Zeit der Romantik fast zu einer Mode, die alle Bereiche des Wissens und der Erkenntnis erfaßt. Dirk Schröder hat in seiner Kieler Dissertation (1976) in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mehr als 600 Titel nachgewiesen, die sich auf Fragmente oder Aphorismen beziehen. Nicht nur in der Poesie und der Literaturkritik werden sie produziert und reihenweise publiziert;

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Einleitung

auch in der Philosophie, der Theologie, den Naturwissenschaften und der Politik wird das neue Wissen, das ins Unendliche fortschreitet, in Fragmenten zusammengetragen und kaleidoskopartig dargeboten. Im poetischen Bereich sind solche Reihen sogar als eigenständige Kunstwerke deklariert worden, die nach je spezifischen Kriterien gestaltet sind: Während Herder seine „pensées“ metaphorisch als „Blumengärten“ anpries (HE23, S.237ff.) – vielleicht in Anlehnung an Daniel Czepkos Einfälle ohne Nachdenken (vgl. Neumann 1969, S.303) – konzipiert Friedrich Schlegel die ‚Athenäums‘-Fragmente als einen „bunten Haufen von Einfällen, die nur vom Geiste eines Geistes belebt, nach Einem Ziel zielen“ (KFSA2, S.159). Sie folgen einem bewußt „chaotischen“ Prinzip, das in einer „absichtsvoll desintegrierten Form das Chaos des Geistes zu reproduzieren“ versucht (Mennemeier 1968, S.357). Demgegenüber sind Hardenbergs „litterarische Sämereyen“ eher „organisch“ intentioniert. Er versteht sie als „Senker“ (Samenkörner oder Stecklinge), die sich als „Keime des Zukünftigen“ erweisen und schließlich „Blumen“ und „Früchte“ hervorbringen. Fragmentsammlungen gleichen nach Novalis bescheidenen Fruchtgärten auf kargem Boden (vgl. Motto von Blüthenstaub, NO2, S.413), während sie nach Schlegel in ihrer „absichtlichen Formlosigkeit“ als Sinnbilder einer republikanischen Gesellschaft begriffen werden können (L103), in der „jedes Element seine Freiheit behält und sich gegen die anderen !Elemente" behauptet“ (Strack 1997, S.350). Bei allem kompositorischen Anspruch und Gestaltungswillen im Hinblick auf die recht unterschiedlichen Fragmentsammlungen (Mohr 2007, S.41ff.) ist ihr poetischer Status nicht zu überschätzen (Striedter 1995, S.156ff. und Stockinger WTB3, S.340). Schlegel und Novalis waren sich bewußt, daß ihre publizierten Fragmentreihen nur in den Vorhöfen der Poesie anzusiedeln sind. Sie sollten reizen und anregen, die Denkkraft in Bewegung setzen und innovativ wirken. Die poetische Vollendung war dem Roman und dem Märchen vorbehalten. Gattungspoetisch steht das Fragment „im Spektrum der kleinen Formen vom Aphorismus über die Sentenz und Maxime bis zum Epigramm, von denen es sich nur schwer trennen läßt“ (Braun 2002, S.14). Nach Zinn war es Herder, der die „fragmentarische Äußerungsform !…" aus der von der Antike überkommenen !…" Miszellaneen-Schriftstellerei herausentwickelt und zu einem eigenen Gestaltungsprinzip erhoben“ hat (Zinn 1959, S.171). Demgegenüber sieht Justus Fetscher in der „gnomischen Markanz und Zeitkritik“ eine Nähe des romantischen Fragments zu den „Horazischen Epistolae und Sermones“ sowie den römischen Satiren (Fetscher ÄGB2, S.566f.). Nicht selten wird auch die Nähe zu Montaignes Essays (1580), Larochefoucaulds Reflexions (1665), Pascals Pensées (1670) und Chamforts Maximes, pensées, caractères et anecdotes (1796) behauptet, die August Wilhelm Schlegel in der ‚Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung‘ rezensiert hatte. Am häufigsten jedoch wird das romantische Fragment zu Epigramm, Sentenz, Maxime oder Essay in Beziehung gesetzt und als eine Variante des Aphorismus betrachtet (Mautner, Fricke, Neumann, Pikulik, Wilhelm, Mohr). Doch hat bereits Ernst Behler klargestellt, daß es allenfalls in Teilaspekten mit diesen Kurzformen der Prosa in Verbindung steht (Behler 1985, S.133f. vgl. auch Fromm 2000, S.128 und Mennemeier 1968, S.235); denn romantische

Einleitung

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Kunstfragmente zeigen keineswegs durchgängig Inschriftencharakter (wie das Epigramm), und sie müssen auch nicht pointiert zugespitzt sein (wie die Sentenz oder die Maxime, die eine knapp gefaßte Lebensregel oder -weisheit vermitteln). „Während Aphorismus, Maxime und Sentenz ein minimales Ganzes ausmachen, deuten Fragmente auf ihre Verletzungen – und damit zugleich über sie hinaus. Als Abrisse (im eigentlichen Sinn), Exzerpte oder Einfälle, auch als Bemerkungen und flüchtige Notizen geben sie ihre Unfertigkeit zu erkennen, die zur Ergänzung herausfordert“ (Strack 1997, S.333). So ist das romantische Fragment weder in seiner Form, noch in seinem Inhalt festgelegt. Es kann die Gestalt einer Sentenz oder einer Maxime annehmen, muß es aber nicht. Häufig stehen knapp gefaßte Ein-Satz-Gebilde („Man muß das Brett bohren, wo es am dicksten ist“, L10) neben flüchtigen Skizzen, kritischen Bemerkungen, Miniaturessays oder „kondensirten Abhandlungen“ (KFSA24, S.34 und 51) wie etwa dem 116. ‚Athenäums‘-Fragment. Fragmente können sogar in Dialog- oder Versform gestaltet sein, wie in Schlegels 259. ‚Athenäums‘-Fragment (KFSA2, S.209) oder Novalis’ Glauben und Liebe, wo die einleitenden Blumen in Distichen abgefaßt sind (NO2, S.483). Gerade die willkürliche Mischung verschiedener Gattungstypen macht das Eigentümliche der romantischen Fragmentsammlungen aus, die sich – nach Schlegels Worten – als eine „zynische lanx satura“ (A259) präsentieren sollen, aus der sich jeder herausklauben kann, was ihm behagt. Die Vielfalt und die Unterschiedlichkeit der einzelnen Einfälle bestimmt allererst ihren „universalen“ Charakter, der nach Schlegel die Gattung kennzeichnet. „Je größer der Reichtum und je größer selbst die Verschiedenartigkeit ihres Inhalts, desto erregender, desto nährender wirken sie“ (KFSA3, S.83). Aber nicht nur die Vielfalt der Formen und Inhalte ist für die nähere Bestimmung der romantischen Fragmente von entscheidender Bedeutung, sondern auch deren Rohmaterial. Vielfach sind die künstlich angefertigten Fragmente aus Notizen und Exzerpten hervorgegangen, die Schlegel und Novalis in ihren Studienheften niedergeschrieben oder aus Briefen eliminiert haben. Aus diesem Grund sind diese Aufzeichnungen bei der Beurteilung der endgültigen Fragmente mitzuberücksichtigen (Pikulik 1992, S.88). Am Beispiel der Hemsterhuis-Exzerpte Hardenbergs hat Hans-Joachim Mähl nachgewiesen, wie sich ein bestimmter Gedanke durch assoziative Verknüpfung aus flüchtigen Bemerkungen herausschält und schließlich seine konzise Form erhält (NO2, S.326ff.). Daran wird deutlich, daß die Fragmente durchaus einen Formungsprozeß durchlaufen haben, ehe sie ihre endgültige Gestalt annehmen. Deshalb werden hier auch die Vorstufen und Exzerpte Schlegels und Hardenbergs – wenigstens in Ausschnitten – dokumentiert. Sie sollen deutlich machen, daß die „Gattung“ des romantischen Fragments, sofern davon überhaupt die Rede sein kann, einen außerordentlich breiten Spielraum einnimmt, den auszumessen die vorliegende Edition ermöglichen soll. Mit ihrer fragmentarischen Äußerungsweise reagieren die Romantiker nicht nur auf die „pantomimischen“ Auszüge und Abrisse Hamanns und Herders sowie die transzendentalen Erkenntnisforderungen der neuesten Philosophie; sie bereiten auch das fragmentarische Bewußtsein der Folgezeit und die „sprachliche Zerstückelungskunst“ der Moderne vor. „Das Fragmentarische ist geradezu zum Sig-

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Einleitung

num literarischer Modernität geworden“ (Ostermann 1992, S.144) und deutet damit auf eine Verschärfung der fragmentarischen Schreibart. In einer Zeit, „in der jedes denkende und handelnde Dasein von Entfremdung, Verstümmelung, Spaltung gekennzeichnet ist“ (Meckel 1978, S.12), wird das Fragment zum adäquaten Ausdruck brüchiger Lebenserfahrung. Allerdings hat es sich von seinen romantischen Ursprüngen weit entfernt: der Glaube an eine künftige Vollendbarkeit ist ihm abhanden gekommen, und die „Zuversicht“, daß „alles noch nicht Bekannte bald ein nicht mehr Unbekanntes sein werde“ (Schulz 2003, S.378), ist geschwunden. Zumindest seit Nietzsche, so führt Waldemar Fromm in seinem Artikel zur Ästhetik des Fragments in der Frühromantik aus, werde das Fragment zum Bruchstück, „das eine Totalität nicht mehr sinnvoll thematisieren“ könne (Euph 94, 2000, S.125). Ähnlich äußert sich Pierre Garrigues in seinen Poétiques du fragment (1995, S.20). Und die Herausgeber des Sammelbandes Fragment und Totalität, Lucien Dällenbach und Christiaan L. Hart Nibbrig, bemerken in ihrem ‚Fragmentarischen Vorwort‘: „Wie das Ganze als Eins und als Einheit von Vielem zu denken sei, ist, seit die Verbindlichkeit geschlossener Weltbilder suspekt wurde, zu beantworten schwieriger geworden“ (S.7). Während das romantische Fragment gewissermaßen noch heil war und im Totalitätsgedanken seine projektierte Erfüllung fand, verneint und destruiert die Moderne die Ganzheitsidee und schreibt gegen sie an. „Ganzheit“ macht sich als Funktion des Denkens verdächtig und muß deshalb immer wieder subversiv unterlaufen werden. Durch „artifizielle Fragmentierungen“ (Braun 2002, S.12) der verschiedensten Art soll der „Werk“-Charakter durchbrochen und das „Ganze“ zerstückt werden. Das „Werk“ wird „Fragment“; aber auch umgekehrt: Das „Fragment“ wird zum „Werk“ und erhält paradox den Status einer „verdeckten Totalitätskategorie“ (Ostermann 1991, S.190; vgl. auch Camion 1999, S.18). Bereits Joseph Görres’ Schriftproben (1808), mit denen die vorliegende Edition schließt, genügt den frühromantischen Fragmentbestimmungen nicht mehr in vollem Umfang. Achim von Arnim hat sie zwar (insbesondere den ‚Tollgewordnen Epilogus‘) als „in Fragmentenart“ geschrieben charakterisiert (Brief an Brentano vom 25.1.1808); aber den fragmentarischen Reihungsstil und die Idee künftiger Erneuerung haben sie nahezu aufgegeben. Als politische und gesellschaftskritische Notate, die in satirischer Verschlüsselung die Übel der Zeit metaphernreich an den Pranger stellen, markieren sie einen Abschluß in der romantischen Fragmentproduktion und einen Übergang zu einer neuen fragmentarischen Schreibweise, die auch typographische Stilmittel einschließt (Martin 2008, S.415ff.). Insofern kommt Görres eine Brückenfunktion zwischen romantischem und modernem Fragmentbewußtsein zu. Seine Schriftproben sind nicht mehr nach einem „chaotischen“ oder „organischen“ Ordnungsprinzip komponiert wie bei Schlegel und Novalis. Ihr „Werk“-Charakter manifestiert sich in einer Folge bissiger Bemerkungen, die, prismatisch gebrochen, Görres’ „Zorn über die damalige politische Niederträchtigkeit der Zeit Luft !machen"“ (Arnim-Nekrolog, GWB1, S.424). An einzelnen markanten Beispielen ist in der Forschung nachgewiesen worden, wie das Fragmentarische als „konstitutives Prinzip“ in die moderne Literatur eingedrungen ist und „seitdem ihr Erscheinungsbild !kennzeichnet"“ (Oster-

Einleitung

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mann 1992, S.144). Insbesondere Michael Braun hat in seinem Band Hörreste, Sehreste (2002) einige wichtige Stationen der Entfaltung des Fragmentbewußtseins bei Büchner, Kafka, Benn und Celan verfolgt und gezeigt, welche Ansprüche und welche Veränderung der Literatur damit verbunden sind. Aber seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert sind es viele andere bedeutende Autoren und Theoretiker, die dem fragmentarischen Stilprinzip folgen und immer neue Formen der Zerstückelung hervorbringen (vgl. Dällenbach / Nibbrig, Ostermann, Fetscher, Braun). Und es könnte sich erweisen, daß die Geschichte des Fragments, die noch nicht ausreichend erfaßt und wohl auch noch nicht abgeschlossen ist, die Geschichte der modernen Literatur in ihren wichtigsten Aspekten bestimmt. Aus diesem Grund erscheint es angebracht, auch die Ursprünge und Vorstufen, die Unterschiede und die stilistischen Eigentümlichkeiten der fragmentarischen Schreibweise genauer zu erforschen, als es bisher geschehen ist. Und eben dazu will die hier vorliegende Edition romantischer Fragmente richtungweisende Materialien bereitstellen.

Kritische Fragmente (‚Lyceums‘-Fragmente)

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2. Friedrich Schlegel

Kritische Fragmente (‚Lyceums‘-Fragmente)

[1] Man nennt viele Künstler, die eigentlich Kunstwerke der Natur sind. [2] Jedes Volk will auf der Schaubühne nur den mittlern Durchschnitt seiner eignen Oberfläche schauen; man müßte ihm denn Helden, Musik oder Narren zum besten geben. [3] Wenn Diderot im Jakob etwas recht Genialisches gemacht hat, so kömmt er gewöhnlich gleich selbst hinterher, und erzählt seine Freude dran, daß es so genialisch geworden ist. [4] Es gibt so viel Poesie, und doch ist nichts seltner als ein Poem! Das macht die Menge von poetischen Skizzen, Studien, Fragmenten, Tendenzen, Ruinen, und Materialien.

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[5] Manches kritische Journal hat den Fehler, welcher Mozarts Musik so häufig vorgeworfen wird: einen zuweilen unmäßigen Gebrauch der Blasinstrumente. [6] Man tadelt die metrische Sorglosigkeit der Goetheschen Gedichte. Sollten aber die Gesetze des deutschen Hexameters wohl so konsequent und allgemeingültig sein, wie der Charakter der Goetheschen Poesie?

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[7] Mein Versuch über das Studium der griechischen Poesie ist ein manierierter Hymnus in Prosa auf das Objektive in der Poesie. Das Schlechteste daran scheint mir der gänzliche Mangel der unentbehrlichen Ironie; und das Beste, die zuversichtliche Voraussetzung, daß die Poesie unendlich viel wert sei; als ob dies eine ausgemachte Sache wäre.

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[8] Eine gute Vorrede muß zugleich die Wurzel und das Quadrat ihres Buchs sein. [9] Witz ist unbedingt geselliger Geist, oder fragmentarische Genialität. [10] Man muß das Brett bohren, wo es am dicksten ist. [11] Es ist noch gar nichts recht Tüchtiges, was Gründlichkeit, Kraft und Geschick hätte, wider die Alten geschrieben worden; besonders wider ihre Poesie. [12] In dem, was man Philosophie der Kunst nennt, fehlt gewöhnlich eins von beiden; entweder die Philosophie oder die Kunst.

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[13] Jedes Gleichnis, was nur lang ist, nennt Bodmer gern homerisch. So hört man auch wohl Witz aristophanisch nennen, an dem nichts klassisch ist, als die Zwanglosigkeit und die Deutlichkeit. 5

[14] Auch in der Poesie mag wohl alles Ganze halb, und alles Halbe doch eigentlich ganz sein. [15] Der dumme Herr in Diderots Jakob macht dem Künstler vielleicht mehr Ehre, als der närrische Diener. Er ist freilich nur beinah genialisch dumm. Aber auch das war wohl schwerer zu machen, als einen ganz genialischen Narren.

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[16] Genie ist zwar nicht Sache der Willkür aber doch der Freiheit, wie Witz, Liebe und Glauben, die einst Künste und Wissenschaften werden müssen. Man soll von jedermann Genie fordern, aber ohne es zu erwarten. Ein Kantianer würde dies den kategorischen Imperativ der Genialität nennen. [17] Nichts ist verächtlicher als trauriger Witz.

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[18] Die Romane endigen gern, wie das Vaterunser anfängt: mit dem Reich Gottes auf Erden. [19] Manches Gedicht wird so geliebt, wie der Heiland von den Nonnen. [20] Eine klassische Schrift muß nie ganz verstanden werden können. Aber die, welche gebildet sind und sich bilden, müssen immer mehr draus lernen wollen.

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[21] Wie ein Kind eigentlich eine Sache ist, die ein Mensch werden will: so ist auch das Gedicht nur ein Naturding, welches ein Kunstwerk werden will. [22] Ein einziges analytisches Wort, auch zum Lobe, kann den vortrefflichsten witzigen Einfall, dessen Flamme nun erst wärmen sollte, nachdem sie geglänzt hat, unmittelbar löschen.

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[23] In jedem guten Gedicht muß alles Absicht, und alles Instinkt sein. Dadurch wird es idealisch. [24] Die kleinsten Autoren haben wenigstens die Ähnlichkeit mit dem großen Autor des Himmels und der Erde, daß sie nach vollbrachtem Tagewerke zu sich selbst zu sagen pflegen: „Und siehe, was er gemacht hatte, war gut.“

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[25] Die beiden Hauptgrundsätze der sogenannten historischen Kritik sind das Postulat der Gemeinheit, und das Axiom der Gewöhnlichkeit. Postulat der Gemeinheit: Alles recht Große, Gute und Schöne ist unwahrscheinlich, denn es ist außerordentlich, und zum mindesten verdächtig. Axiom der Gewöhnlichkeit: Wie es bei uns und um uns ist, so muß es überall gewesen sein, denn das ist ja alles so natürlich. [26] Die Romane sind die sokratischen Dialoge unserer Zeit. In diese liberale Form hat sich die Lebensweisheit vor der Schulweisheit geflüchtet. [27] Ein Kritiker ist ein Leser, der wiederkäut. Er sollte also mehr als einen Magen haben.

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[28] Sinn (für eine besondere Kunst, Wissenschaft, einen Menschen, u.s.w.) ist dividierter Geist; Selbstbeschränkung, also ein Resultat von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung.

Kritische Fragmente (‚Lyceums‘-Fragmente)

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[29] Anmut ist korrektes Leben; Sinnlichkeit die sich selbst anschaut, und sich selbst bildet. [30] An die Stelle des Schicksals tritt in der modernen Tragödie zuweilen Gott der Vater, noch öfter aber der Teufel selbst. Wie kommts, daß dies noch keinen Kunstgelehrten zu einer Theorie der diabolischen Dichtart veranlaßt hat? [31] Die Einteilung der Kunstwerke in naive und sentimentale, ließe sich vielleicht sehr fruchtbar auch auf die Kunsturteile anwenden. Es gibt sentimentale Kunsturteile, denen nichts fehlt als eine Vignette und ein Motto, um auch vollkommen naiv zu sein. Zur Vignette, ein blasender Postillion. Zum Motto eine Phrasis des alten Thomasius beim Schluß einer akademischen Festrede: Nunc vero musicantes musicabunt cum paucis et trompetis. [32] Die chemische Klassifikation der Auflösung in die auf dem trocknen und in die auf dem nassen Wege, ist auch in der Literatur auf die Auflösung der Autoren anwendbar, die nach Erreichung ihrer äußersten Höhe sinken müssen. Einige verdampfen, andre werden zu Wasser.

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[33] Eins von beiden ist fast immer herrschende Neigung jedes Schriftstellers: entweder manches nicht zu sagen, was durchaus gesagt werden müßte, oder vieles zu sagen, was durchaus nicht gesagt zu werden brauchte. Das erste ist die Erbsünde der synthetischen Naturen, das letzte der analytischen. [34] Ein witziger Einfall ist eine Zersetzung geistiger Stoffe, die also vor der plötzlichen Scheidung innigst vermischt sein mußten. Die Einbildungskraft muß erst mit Leben jeder Art bis zur Sättigung angefüllt sein, ehe es Zeit sein kann, sie durch die Friktion freier Geselligkeit so zu elektrisieren, daß der Reiz der leisesten freundlichen oder feindlichen Berührung ihr blitzende Funken und leuchtende Strahlen, oder schmetternde Schläge entlocken kann.

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[35] Mancher redet so vom Publikum, als ob es jemand wäre, mit dem er auf der Leipziger Messe im Hotel de Saxe zu Mittage gespeist hätte. Wer ist dieser Publikum? – Publikum ist gar keine Sache, sondern ein Gedanke, ein Postulat, wie Kirche. [36] Wer noch nicht bis zur klaren Einsicht gekommen ist, daß es eine Größe noch ganz außerhalb seiner eigenen Sphäre geben könne, für die ihm der Sinn durchaus fehle; wer nicht wenigstens dunkle Vermutungen hat, nach welcher Weltgegend des menschlichen Geistes hin diese Größe ungefähr gelegen sein möge: der ist in seiner eignen Sphäre entweder ohne Genie, oder noch nicht bis zum Klassischen gebildet. [37] Um über einen Gegenstand gut schreiben zu können, muß man sich nicht mehr für ihn interessieren; der Gedanke, den man mit Besonnenheit ausdrücken soll, muß schon gänzlich vorbei sein, einen nicht mehr eigentlich beschäftigen. So lange der Künstler erfindet und begeistert ist, befindet er sich für die Mitteilung wenigstens in einem illiberalen Zustande. Er wird dann alles sagen wollen; welches eine falsche Tendenz junger Genies, oder ein richtiges Vorurteil alter Stümper ist. Dadurch verkennt er den Wert und die Würde der Selbstbeschränkung, die doch für

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den Künstler wie für den Menschen das Erste und das Letzte, das Notwendigste und das Höchste ist. Das Notwendigste: denn überall, wo man sich nicht selbst beschränkt, beschränkt einen die Welt; wodurch man ein Knecht wird. Das Höchste: denn man kann sich nur in den Punkten und an den Seiten selbst beschränken, wo man unendliche Kraft hat, Selbstschöpfung und Selbstvernichtung. Selbst ein freundschaftliches Gespräch, was nicht in jedem Augenblick frei abbrechen kann, aus unbedingter Willkür, hat etwas Illiberales. Ein Schriftsteller aber, der sich rein ausreden will und kann, der nichts für sich behält, und alles sagen mag, was er weiß, ist sehr zu beklagen. Nur vor drei Fehlern hat man sich zu hüten. Was unbedingte Willkür, und sonach Unvernunft oder Übervernunft scheint und scheinen soll, muß dennoch im Grunde auch wieder schlechthin notwendig und vernünftig sein; sonst wird die Laune Eigensinn, es entsteht Illiberalität, und aus Selbstbeschränkung wird Selbstvernichtung. Zweitens: man muß mit der Selbstbeschränkung nicht zu sehr eilen, und erst der Selbstschöpfung, der Erfindung und Begeisterung Raum lassen, bis sie fertig ist. Drittens: man muß die Selbstbeschränkung nicht übertreiben. [38] An dem Urbilde der Deutschheit, welches einige große vaterländische Erfinder aufgestellt haben, läßt sich nichts tadeln als die falsche Stellung. Diese Deutschheit liegt nicht hinter uns, sondern vor uns.

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[39] Die Geschichte der Nachahmung der alten Dichtkunst, vornehmlich im Auslande hat unter andern auch den Nutzen, daß sich die wichtigen Begriffe von unwillkürlicher Parodie und passivem Witz, hier am leichtesten und vollständigsten entwickeln lassen. [40] In der in Deutschland erfundenen und in Deutschland geltenden Bedeutung ist Ästhetisch ein Wort, welches wie bekannt eine gleich vollendete Unkenntnis der bezeichneten Sache und der bezeichnenden Sprache verrät. Warum wird es noch beibehalten? [41] An geselligem Witz und geselliger Fröhlichkeit sind wenige Bücher mit dem Romane Faublas zu vergleichen. Er ist der Champagner seiner Gattung.

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[42] Die Philosophie ist die eigentliche Heimat der Ironie, welche man logische Schönheit definieren möchte: denn überall wo in mündlichen oder geschriebenen Gesprächen, und nur nicht ganz systematisch philosophiert wird, soll man Ironie leisten und fordern; und sogar die Stoiker hielten die Urbanität für eine Tugend. Freilich gibts auch eine rhetorische Ironie, welche sparsam gebraucht vortreffliche Wirkung tut, besonders im Polemischen; doch ist sie gegen die erhabne Urbanität der sokratischen Muse, was die Pracht der glänzendsten Kunstrede gegen eine alte Tragödie in hohem Styl. Die Poesie allein kann sich auch von dieser Seite bis zur Höhe der Philosophie erheben, und ist nicht auf ironische Stellen begründet, wie die Rhetorik. Es gibt alte und moderne Gedichte, die durchgängig im Ganzen und überall den göttlichen Hauch der Ironie atmen. Es lebt in ihnen eine wirklich transzendentale Buffonerie. Im Innern, die Stimmung, welche alles übersieht, und sich über alles Bedingte unendlich erhebt, auch über eigne Kunst, Tugend, oder Genialität: im Äußern, in der Ausführung die mimische Manier eines gewöhnlichen guten italiänischen Buffo.

Kritische Fragmente (‚Lyceums‘-Fragmente)

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[43] Hippel, sagt Kant, hatte die empfehlungswürdige Maxime, man müsse das schmackhafte Gericht einer launigen Darstellung noch durch die Zutat des Nachgedachten würzen. Warum will Hippel nicht mehr Nachfolger in dieser Maxime finden, da doch Kant sie gebilligt hat? [44] Man sollte sich nie auf den Geist des Altertums berufen, wie auf eine Autorität. Es ist eine eigene Sache mit den Geistern; sie lassen sich nicht mit Händen greifen, und dem andern vorhalten. Geister zeigen sich nur Geistern. Das Kürzeste und das Bündigste wäre wohl auch hier, den Besitz des alleinseligmachenden Glaubens durch gute Werke zu beweisen.

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[45] Bei der sonderbaren Liebhaberei moderner Dichter für griechische Terminologie in Benennung ihrer Produkte, erinnert man sich der naiven Äußerung eines Franzosen bei Gelegenheit der neuen altrepublikanischen Feste: que pourtant nous sommes menacés de rester toujours Fran¸cois. – Manche solcher Benennungen der Feudalpoesie können bei den Literatoren künftiger Zeitalter ähnliche Untersuchungen veranlassen, wie die, warum Dante sein großes Werk eine göttliche Komödie nannte. – Es gibt Tragödien, die man, wenn einmal etwas Griechisches im Namen sein soll, am besten traurige Mimen nennen könnte. Sie scheinen nach dem Begriff von Tragödie getauft zu sein, der einmal beim Shakespeare vorkommt, aber von großer Allgemeinheit in der modernen Kunstgeschichte ist: eine Tragödie ist ein Drama, worin Pyramus sich selbst umbringt.

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[46] Die Römer sind uns näher und begreiflicher als die Griechen; und doch ist echter Sinn für die Römer noch ungleich seltner als der für die Griechen, weil es weniger synthetische als analytische Naturen gibt. Denn auch für Nationen gibts einen eignen Sinn; für historische wie für moralische Individuen, nicht bloß für praktische Gattungen, Künste oder Wissenschaften.

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[47] Wer etwas Unendliches will, der weiß nicht was er will. Aber umkehren läßt sich dieser Satz nicht. [48] Ironie ist die Form des Paradoxen. Paradox ist alles, was zugleich gut und groß ist. [49] Eins der wichtigsten Moyens der dramatischen und romantischen Kunst bei den Engländern sind die Guineen. Besonders in der Schlußcadence werden sie stark gebraucht, wenn die Bässe anfangen recht voll zu arbeiten. [50] Wie tief doch im Menschen der Hang wurzelt, individuelle oder nationale Eigenheiten zu generalisieren! Selbst Chamfort sagt: „Les vers ajoutent de l’esprit à la pensée de l’homme qui en a quelquefois assez peu; et c’est ce qu’on appelle talent.“ – Ist dies allgemeiner französischer Sprachgebrauch?

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[51] Witz als Werkzeug der Rache ist so schändlich, wie Kunst als Mittel des Sinnenkitzels. [52] In manchem Gedicht erhält man stellenweise statt der Darstellung nur eine Überschrift, welche anzeigt, daß hier eigentlich dies oder das dargestellt sein sollte, daß der Künstler aber Verhinderung gehabt habe, und ergebenst um gewogene Entschuldigung bittet.

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[53] In Rücksicht auf die Einheit sind die meisten modernen Gedichte Allegorien (Mysterien, Moralitäten,) oder Novellen (Avantüren, Intrigen); ein Gemisch, oder eine Verdünnung von diesen. 5

[54] Es gibt Schriftsteller die Unbedingtes trinken wie Wasser; und Bücher, wo selbst die Hunde sich aufs Unendliche beziehen. [55] Ein recht freier und gebildeter Mensch müßte sich selbst nach Belieben philosophisch oder philologisch, kritisch oder poetisch, historisch oder rhetorisch, antik oder modern stimmen können, ganz willkürlich, wie man ein Instrument stimmt, zu jeder Zeit, und in jedem Grade.

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[56] Witz ist logische Geselligkeit. [57] Wenn manche mystische Kunstliebhaber, welche jede Kritik für Zergliederung, und jede Zergliederung für Zerstörung des Genusses halten, konsequent dächten: so wäre Potztausend das beste Kunsturteil über das würdigste Werk. Auch gibts Kritiken, die nichts mehr sagen, nur viel weitläuftiger.

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[58] Wie die Menschen lieber groß handeln mögen, als gerecht: so wollen auch die Künstler veredeln und belehren. [59] Chamforts Lieblingsgedanke, der Witz sei ein Ersatz der unmöglichen Glückseligkeit, gleichsam ein kleines Prozent, womit die bankerotte Natur sich für die nicht honorierte Schuld des höchsten Gutes abfinde; ist nicht viel glücklicher als der des Shaftesbury, Witz sei der Prüfstein der Wahrheit, oder als das gemeinere Vorurteil, sittliche Veredlung sei der höchste Zweck der schönen Kunst. Witz ist Zweck an sich, wie die Tugend, die Liebe und die Kunst. Der genialische Mann fühlte, so scheint es, den unendlichen Wert des Witzes, und da die französische Philosophie nicht hinreicht, um dieses zu begreifen, so suchte er sein Höchstes instinktmäßig mit dem, was nach dieser das Erste und Höchste ist, zu verknüpfen. Und als Maxime ist der Gedanke, der Weise müsse gegen das Schicksal immer en état d’epigramme sein, schön und echt zynisch. [60] Alle klassischen Dichtarten in ihrer strengen Reinheit sind jetzt lächerlich.

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[61] Streng genommen ist der Begriff eines wissenschaftlichen Gedichts wohl so widersinnig, wie der einer dichterischen Wissenschaft. [62] Man hat schon so viele Theorien der Dichtarten. Warum hat man noch keinen Begriff von Dichtart? Vielleicht würde man sich dann mit einer einzigen Theorie der Dichtarten behelfen müssen.

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[63] Nicht die Kunst und die Werke machen den Künstler, sondern der Sinn und die Begeisterung und der Trieb. [64] Es bedürfte eines neuen Laokoon, um die Grenzen der Musik und der Philosophie zu bestimmen. Zur richtigen Ansicht mancher Schriften fehlt es noch an einer Theorie der grammatischen Tonkunst.

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[65] Die Poesie ist eine republikanische Rede; eine Rede, die ihr eignes Gesetz und ihr eigner Zweck ist, wo alle Teile freie Bürger sind, und mitstimmen dürfen.

Kritische Fragmente (‚Lyceums‘-Fragmente)

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[66] Die revolutionäre Objektivitätswut meiner frühern philosophischen Musikalien hat etwas weniges von der Grundwut, die unter Reinholds Konsulate in der Philosophie so gewaltig um sich griff. [67] In England ist der Witz wenigstens eine Profession, wenn auch keine Kunst. Alles wird da zünftig, und selbst die roués dieser Insel sind Pedanten. So auch ihre wits, welche die unbedingte Willkür, deren Schein dem Witz das Romantische und Pikante gibt, in die Wirklichkeit einführen, und so auch witzig leben; daher ihr Talent zur Tollheit. Sie sterben für ihre Grundsätze.

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[68] Wieviel Autoren gibts wohl unter den Schriftstellern? Autor heißt Urheber. [69] Es gibt auch negativen Sinn, der viel besser ist als Null, aber viel seltner. Man kann etwas innig lieben, eben weil mans nicht hat: das gibt wenigstens ein Vorgefühl ohne Nachsatz. Selbst entschiedne Unfähigkeit, die man klar weiß, oder gar mit starker Antipathie ist bei reinem Mangel ganz unmöglich, und setzt wenigstens partiale Fähigkeit und Sympathie voraus. Gleich dem Platonischen Eros ist also wohl dieser negative Sinn der Sohn des Überflusses und der Armut. Er entsteht, wenn einer bloß den Geist hat, ohne den Buchstaben; oder umgekehrt, wenn er bloß die Materialien und Förmlichkeiten hat, die trockne harte Schale des produktiven Genies ohne den Kern. Im ersten Falle gibts reine Tendenzen, Projekte die so weit sind, wie der blaue Himmel, oder wenn’s hoch kömmt, skizzierte Fantasien: im letzten zeigt sich jene harmonisch ausgebildete Kunst-Plattheit, in welcher die größten engländischen Kritiker so klassisch sind. Das Kennzeichen der ersten Gattung, des negativen Sinns vom Geiste ist, wenn einer immer wollen muß, ohne je zu können; wenn einer immer hören mag, ohne je zu vernehmen. [70] Leute die Bücher schreiben, und sich dann einbilden, ihre Leser wären das Publikum, und sie müßten das Publikum bilden: diese kommen sehr bald dahin, ihr sogenanntes Publikum nicht bloß zu verachten, sondern zu hassen; welches zu gar nichts führen kann.

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[71] Sinn für Witz ohne Witz ist doch schon das Abc der Liberalität. [72] Eigentlich haben sie’s recht gern, wenn ein Dichterwerk ein wenig ruchlos ist, besonders in der Mitte; nur muß der Anstand nicht gradezu beleidigt werden, und zuletzt muß alles ein gutes Ende nehmen.

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[73] Was in gewöhnlichen guten oder vortrefflichen Übersetzungen verloren geht, ist grade das Beste. [74] Es ist unmöglich, jemanden ein Ärgernis zu geben, wenn er’s nicht nehmen will.

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[75] Noten sind philologische Epigramme; Übersetzungen philologische Mimen; manche Kommentare, wo der Text nur Anstoß oder Nicht-Ich ist, philologische Idyllen. [76] Es gibt einen Ehrgeiz, welcher lieber der Erste unter den Letzten sein will, als der Zweite unter den Ersten. Das ist der alte. Es gibt einen andern Ehrgeiz, der lieber wie Tassos Gabriel: Gabriel, che fra i primi era il secondo;

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der Zweite unter den Ersten, als der Erste unter den Zweiten sein will. Das ist der moderne. [77] Maximen, Ideale, Imperative und Postulate sind jetzt bisweilen Rechenpfennige der Sittlichkeit. 5

[78] Mancher der vortrefflichsten Romane ist ein Kompendium, eine Enzyclopädie des ganzen geistigen Lebens eines genialischen Individuums; Werke die das sind, selbst in ganz andrer Form, wie Nathan, bekommen dadurch einen Anstrich vom Roman. Auch enthält jeder Mensch, der gebildet ist, und sich bildet, in seinem Innern einen Roman. Daß er ihn aber äußre und schreibe, ist nicht nötig.

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[79] Zur Popularität gelangen deutsche Schriften durch einen großen Namen, oder durch Persönlichkeiten, oder durch gute Bekanntschaft, oder durch Anstrengung, oder durch mäßige Unsittlichkeit, oder durch vollendete Unverständlichkeit, oder durch harmonische Plattheit, oder durch vielseitige Langweiligkeit, oder durch beständiges Streben nach dem Unbedingten.

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[80] Ungern vermisse ich in Kants Stammbaum der Urbegriffe die Kategorie Beinahe, die doch gewiß ebensoviel gewirkt hat in der Welt und in der Literatur, und ebensoviel verdorben, als irgendeine andre Kategorie. In dem Geiste der Naturskeptiker tingiert sie alle übrigen Begriffe und Anschauungen.

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[81] Es hat etwas Kleinliches, gegen Individuen zu polemisieren, wie der Handel en detail. Will er die Polemik nicht en gros treiben, so muß der Künstler wenigstens solche Individuen wählen, die klassisch sind, und von ewig dauerndem Wert. Ist auch das nicht möglich, etwa im traurigen Fall der Notwehr: so müssen die Individuen, kraft der polemischen Fiktion, so viel als möglich zu Repräsentanten der objektiven Dummheit, und der objektiven Narrheit idealisiert werden: denn auch diese sind, wie alles Objektive, unendlich interessant, wie der höhern Polemik würdige Gegenstände sein müssen. [82] Geist ist Naturphilosophie. [83] Manieren sind charakteristische Ecken.

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[84] Aus dem, was die Modernen wollen, muß man lernen, was die Poesie werden soll: aus dem, was die Alten tun, was sie sein muß. [85] Jeder rechtliche Autor schreibt für niemand, oder für alle. Wer schreibt, damit ihn diese und jene lesen mögen, verdient, daß er nicht gelesen werde. [86] Der Zweck der Kritik, sagt man, sei, Leser zu bilden! – Wer gebildet sein will, mag sich doch selbst bilden. Dies ist unhöflich: es steht aber nicht zu ändern.

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[87] Da die Poesie unendlich viel wert ist, so sehe ich nicht ein, warum sie auch noch bloß mehr wert sein soll, wie dies und jenes, was auch unendlich viel wert ist. Es gibt Künstler, welche nicht etwa zu groß von der Kunst denken, denn das ist unmöglich, aber doch nicht frei genug sind, sich selbst über ihr Höchstes zu erheben. [88] Nichts ist pikanter, als wenn ein genialischer Mann Manieren hat; nämlich wenn er sie hat: aber gar nicht, wenn sie ihn haben; das führt zur geistigen Versteinerung.

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[89] Sollte es nicht überflüssig sein, mehr als Einen Roman zu schreiben, wenn der Künstler nicht etwa ein neuer Mensch geworden ist? – Offenbar gehören nicht selten alle Romane eines Autors zusammen, und sind gewissermaßen nur ein Roman. [90] Witz ist eine Explosion von gebundnem Geist. [91] Die Alten sind weder die Juden, noch die Christen, noch die Engländer der Poesie. Sie sind nicht ein willkürlich auserwähltes Kunstvolk Gottes; noch haben sie den alleinseligmachenden Schönheitsglauben; noch besitzen sie ein Dichtungsmonopol. [92] Auch der Geist kann, wie das Tier, nur in einer aus reiner Lebensluft und Azote gemischten Atmosphäre atmen. Dies nicht ertragen und begreifen zu können, ist das Wesen der Torheit; es schlechthin nicht zu wollen, der Anfang der Narrheit.

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[93] In den Alten sieht man den vollendeten Buchstaben der ganzen Poesie: in den Neuern ahnet man den werdenden Geist. [94] Mittelmäßige Autoren, die ein kleines Buch so ankündigen, als ob sie einen großen Riesen wollten sehen lassen, sollten von der literarischen Polizei genötigt werden, ihr Produkt mit dem Motto stempeln zu lassen: This is the greatest elephant in the world, except himself. [95] Die harmonische Plattheit kann dem Philosophen sehr nützlich werden, als ein heller Leuchtturm für noch unbefahrne Gegenden des Lebens, der Kunst oder der Wissenschaft. – Er wird den Menschen, das Buch vermeiden, die ein harmonisch Platter bewundert und liebt; und der Meinung wenigstens mißtrauen, an die mehre der Art fest glauben. [96] Ein gutes Rätsel sollte witzig sein; sonst bleibt nichts, sobald das Wort gefunden ist: auch ist’s nicht ohne Reiz, wenn ein witziger Einfall insoweit rätselhaft ist, daß er erraten sein will: nur muß sein Sinn gleich völlig klar werden, sobald er getroffen ist.

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[97] Salz im Ausdruck ist das Pikante, pulverisiert. Es gibt grobkörniges und feines. [98] Folgendes sind allgemeingültige Grundgesetze der schriftstellerischen Mitteilung: 1) Man muß etwas haben, was mitgeteilt werden soll; 2) man muß jemand haben, dem man’s mitteilen wollen darf; 3) man muß es wirklich mitteilen, mit ihm teilen können, nicht bloß sich äußern, allein; sonst wäre es treffender, zu schweigen.

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[99] Wer nicht selbst ganz neu ist, der beurteilt das Neue, wie alt; und das Alte wird einem immer wieder neu, bis man selbst alt wird.

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[100] Die Poesie des einen heißt die philosophische; die des andern die philologische; die des dritten die rhetorische, u.s.w. Welches ist denn nun die poetische Poesie? [101] Affektation entspringt nicht so wohl aus dem Bestreben, neu, als aus der Furcht, alt zu sein.

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[102] Alles beurteilen zu wollen, ist eine große Verirrung oder eine kleine Sünde.

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[103] Viele Werke, deren schöne Verkettung man preist, haben weniger Einheit, als ein bunter Haufen von Einfällen, die nur vom Geiste eines Geistes belebt, nach Einem Ziele zielen. Diese verbindet doch jenes freie und gleiche Beisammensein, worin sich auch die Bürger des vollkommnen Staats, nach der Versicherung der Weisen, dereinst befinden werden; jener unbedingt gesellige Geist, welcher nach der Anmaßung der Vornehmen jetzt nur in dem gefunden wird, was man so seltsam, und beinahe kindisch große Welt zu nennen pflegt. Manches Erzeugnis hingegen, an dessen Zusammenhang niemand zweifelt, ist, wie der Künstler selbst sehr wohl weiß, kein Werk, sondern nur Bruchstück, eins oder mehre, Masse, Anlage. So mächtig ist aber der Trieb nach Einheit im Menschen, daß der Urheber selbst, was er durchaus nicht vollenden oder vereinigen kann, oft gleich bei der Bildung doch wenigstens ergänzt; oft sehr sinnreich und dennoch ganz widernatürlich. Das Schlimmste dabei ist, daß alles, was man den gediegenen Stücken, die wirklich da sind, so drüber aufhängt, um einen Schein von Ganzheit zu erkünsteln, meistens nur aus gefärbten Lumpen besteht. Sind diese nun auch gut und täuschend geschminkt, und mit Verstand drappiert: so ist’s eigentlich um desto schlimmer. Dann wird anfänglich auch der Auserwählte getäuscht, welcher tiefen Sinn hat für das wenige tüchtig Gute und Schöne, was noch in Schriften wie in Handlungen sparsam hie und da gefunden wird. Er muß nun erst durch Urteil zur richtigen Empfindung gelangen! Geschieht die Scheidung auch noch so schnell: so ist doch der erste frische Eindruck einmal weg. [104] Was man gewöhnlich Vernunft nennt, ist nur eine Gattung derselben; nämlich die dünne und wäßrige. Es gibt auch eine dicke feurige Vernunft, welche den Witz eigentlich zum Witz macht, und dem gediegenen Styl das Elastische gibt und das Elektrische. [105] Sieht man auf den Geist, nicht auf den Buchstaben: so war das ganze römische Volk, samt dem Senat, und samt allen Triumphatoren und Cäsaren ein Zyniker.

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[106] Nichts ist in seinem Ursprung jämmerlicher und in seinen Folgen gräßlicher, als die Furcht, lächerlich zu sein. Daher z.B. die Knechtschaft der Weiber und mancher andre Krebsschaden der Menschheit. [107] Die Alten sind Meister der poetischen Abstraktion: die Modernen haben mehr poetische Spekulation.

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[108] Die Sokratische Ironie ist die einzige durchaus unwillkürliche, und doch durchaus besonnene Verstellung. Es ist gleich unmöglich sie zu erkünsteln, und sie zu verraten. Wer sie nicht hat, dem bleibt sie auch nach dem offensten Geständnis ein Rätsel. Sie soll niemanden täuschen, als die, welche sie für Täuschung halten, und entweder ihre Freude haben an der herrlichen Schalkheit, alle Welt zum besten zu haben, oder böse werden, wenn sie ahnden, sie wären wohl auch mit gemeint. In ihr soll alles Scherz und alles Ernst sein, alles treuherzig offen, und alles tief verstellt. Sie entspringt aus der Vereinigung von Lebenskunstsinn und wissenschaftlichem Geist, aus dem Zusammentreffen vollendeter Naturphilosophie und vollendeter Kunstphilosophie. Sie enthält und erregt ein Gefühl

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von dem unauflöslichen Widerstreit des Unbedingten und des Bedingten, der Unmöglichkeit und Notwendigkeit einer vollständigen Mitteilung. Sie ist die freieste aller Lizenzen, denn durch sie setzt man sich über sich selbst weg; und doch auch die gesetzlichste, denn sie ist unbedingt notwendig. Es ist ein sehr gutes Zeichen, wenn die harmonisch Platten gar nicht wissen, wie sie diese stete Selbstparodie zu nehmen haben, immer wieder von neuem glauben und mißglauben, bis sie schwindlicht werden, den Scherz grade für Ernst, und den Ernst für Scherz halten. Lessings Ironie ist Instinkt; bei Hemsterhuys ist’s klassisches Studium; Hülsens Ironie entspringt aus Philosophie der Philosophie, und kann die jener noch weit übertreffen.

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[109] Milder Witz, oder Witz ohne Pointe, ist ein Privilegium der Poesie, was die Prosa ihr ja lassen muß: denn nur durch die schärfste Richtung auf Einen Punkt kann der einzelne Einfall eine Art von Ganzheit erhalten. [110] Sollte die harmonische Ausbildung der Adlichen und der Künstler nicht etwa bloß eine harmonische Einbildung sein? [111] Chamfort war, was Rousseau gern scheinen wollte: ein echter Zyniker, im Sinne der Alten mehr Philosoph, als eine ganze Legion trockner Schulweisen. Obgleich er sich anfänglich mit den Vornehmen gemein gemacht hatte, lebte er dennoch frei, wie er auch frei und würdig starb, und verachtete den kleinen Ruhm eines großen Schriftstellers. Er war Mirabeaus Freund. Sein köstlichster Nachlaß sind seine Einfälle und Bemerkungen zur Lebensweisheit; ein Buch voll von gediegenem Witz, tiefem Sinn, zarter Fühlbarkeit, von reifer Vernunft und fester Männlichkeit, und von interessanten Spuren der lebendigsten Leidenschaftlichkeit, und dabei auserlesen und von vollendetem Ausdruck; ohne Vergleich das höchste und erste seiner Art. [112] Der analytische Schriftsteller beobachtet den Leser, wie er ist; danach macht er seinen Kalkül, legt seine Maschinen an, um den gehörigen Effekt auf ihn zu machen. Der synthetische Schriftsteller konstruiert und schafft sich einen Leser, wie er sein soll; er denkt sich denselben nicht ruhend und tot, sondern lebendig und entgegenwirkend. Er läßt das, was er erfunden hat, vor seinen Augen stufenweise werden, oder er lockt ihn es selbst zu erfinden. Er will keine bestimmte Wirkung auf ihn machen, sondern er tritt mit ihm in das heilige Verhältnis der innigsten Symphilosophie oder Sympoesie. [113] Voß ist in der Louise ein Homeride: so ist auch Homer in seiner Übersetzung ein Vosside.

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[114] Es gibt so viele kritische Zeitschriften von verschiedener Natur und mancherlei Absichten! Wenn sich doch auch einmal eine Gesellschaft der Art verbinden wollte, welche bloß den Zweck hätte, die Kritik selbst, die doch auch notwendig ist, allmählich zu realisieren. [115] Die ganze Geschichte der modernen Poesie ist ein fortlaufender Kommentar zu dem kurzen Text der Philosophie: Alle Kunst soll Wissenschaft, und alle Wissenschaft soll Kunst werden; Poesie und Philosophie sollen vereinigt sein.

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[116] Die Deutschen, sagt man, sind, was Höhe des Kunstsinns und des wissenschaftlichen Geistes betrifft, das erste Volk in der Welt. Gewiß; nur gibt es sehr wenige Deutsche. 5

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[117] Poesie kann nur durch Poesie kritisiert werden. Ein Kunsturteil, welches nicht selbst ein Kunstwerk ist, entweder im Stoff, als Darstellung des notwendigen Eindrucks in seinem Werden, oder durch eine schöne Form, und einen im Geist der alten römischen Satire liberalen Ton, hat gar kein Bürgerrecht im Reiche der Kunst. [118] War nicht alles, was abgenutzt werden kann, gleich anfangs schief oder platt? [119] Sapphische Gedichte müssen wachsen und gefunden werden. Sie lassen sich weder machen, noch ohne Entweihung öffentlich mitteilen. Wer es tut, dem fehlt es zugleich an Stolz und an Bescheidenheit. An Stolz: indem er sein Innerstes herausreißt, aus der heiligen Stille des Herzens, und es hinwirft unter die Menge, daß sie’s angaffen, roh oder fremd; und das für ein lausiges Da capo oder für Friedrichsd’or. Unbescheiden aber bleibt’s immer, sein Selbst auf die Ausstellung zu schicken, wie ein Urbild. Und sind lyrische Gedichte nicht ganz eigentümlich, frei und wahr: so taugen sie nichts, als solche. Petrarca gehört nicht hierher: der kühle Liebhaber sagt ja nichts, als zierliche Allgemeinheiten; auch ist er romantisch, nicht lyrisch. Gäbe es aber auch noch eine Natur so konsequent schön und klassisch, daß sie sich nackt zeigen dürfte, wie Phryne vor allen Griechen: so gibts doch kein Olympisches Publikum mehr für ein solches Schauspiel. Auch war es Phryne. Nur Zyniker lieben auf dem Markt. Man kann ein Zyniker sein und ein großer Dichter: der Hund und der Lorbeer haben gleiches Recht, Horazens Denkmal zu zieren. Aber Horazisch ist noch bei weitem nicht Sapphisch. Sapphisch ist nie zynisch. [120] Wer Goethes Meister gehörig charakterisierte, der hätte damit wohl eigentlich gesagt, was es jetzt an der Zeit ist in der Poesie. Er dürfte sich, was poetische Kritik betrifft, immer zur Ruhe setzen.

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[121] Die einfachsten und nächsten Fragen, wie: Soll man Shakespeares Werke als Kunst oder als Natur beurteilen? und: Ist das Epos und die Tragödie wesentlich verschieden oder nicht? und: Soll die Kunst täuschen oder bloß scheinen? können nicht beantwortet werden ohne die tiefste Spekulation und die gelehrteste Kunstgeschichte.

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[122] Wenn irgend etwas die hohe Idee von Deutschheit rechtfertigen kann, die man hie und da findet: so ist’s die entschiedne Vernachlässigung und Verachtung solcher gewöhnlich guten Schriftsteller, die jede andre Nation mit Pomp in ihren Johnson aufnehmen würde, und der ziemlich allgemeine Hang, auch an dem, was sie als das beste erkennen, und was besser ist, als daß die Ausländer es schon gut finden könnten, frei zu tadeln, und es überall recht genau zu nehmen.

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[123] Es ist eine unbesonnene und unbescheidne Anmaßung, aus der Philosophie etwas über die Kunst lernen zu wollen. Manche fangen’s so an, als ob sie hofften hier etwas Neues zu erfahren; da die Philosophie doch weiter nichts kann und

Kritische Fragmente (‚Lyceums‘-Fragmente)

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können soll, als die gegebnen Kunsterfahrungen und vorhandnen Kunstbegriffe zur Wissenschaft machen, die Kunstansicht erheben, mit Hülfe einer gründlich gelehrten Kunstgeschichte erweitern, und diejenige logische Stimmung auch über diese Gegenstände zu erzeugen, welche absolute Liberalität mit absolutem Rigorismus vereinigt. [124] Auch im Innern und Ganzen der größten modernen Gedichte ist Reim, symmetrische Wiederkehr des Gleichen. Dies rundet nicht nur vortrefflich, sondern kann auch höchst tragisch wirken. Zum Beispiel, die Champagnerflasche und die drei Gläser, welche die alte Barbara in der Nacht vor Wilhelm auf den Tisch setzt. – Ich möchte es den gigantischen oder den Shakespeareschen Reim nennen: denn Shakespeare ist Meister darin. [125] Schon Sophokles glaubte treuherzig, seine dargestellten Menschen seien besser als die wirklichen. Wo hat er einen Sokrates dargestellt, einen Solon, Aristides, so unzählig viele andre? – Wie oft läßt sich nicht diese Frage auch für andre Dichter wiederholen? Wie haben nicht auch die größten Künstler wirkliche Helden in ihrer Darstellung verkleinert? Und doch ist jener Wahn allgemein geworden, von den Imperatoren der Poesie bis zu den geringsten Liktoren. Dichtern mag er auch wohl heilsam sein können, wie jede konsequente Beschränkung, um die Kraft zu kondensieren und zu konzentrieren. Ein Philosoph aber, der sich davon anstecken ließe, verdiente wenigstens deportiert zu werden, aus dem Reiche der Kritik. Oder gibt es etwa nicht unendlich viel Gutes und Schönes im Himmel und auf Erden, wovon sich die Poesie nichts träumen läßt?

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[126] Die Römer wußten, daß der Witz ein prophetisches Vermögen ist; sie nannten ihn Nase. [127] Es ist indelikat, sich drüber zu wundern, wenn etwas schön ist, oder groß; als ob es anders sein dürfte.

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Fragmente (‚Athenäums‘-Fragmente)

[1] Über keinen Gegenstand philosophieren sie seltner als über die Philosophie. [2] Die Langeweile gleicht auch in ihrer Entstehungsart der Stickluft, wie in den Wirkungen. Beide entwickeln sich gern, wo eine Menge Menschen im eingeschloßnen Raum beisammen ist. 5

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[3] Kant hat den Begriff des Negativen in die Weltweisheit eingeführt. Sollte es nicht ein nützlicher Versuch sein, nun auch den Begriff des Positiven in die Philosophie einzuführen? [4] Zum großen Nachteil der Theorie von den Dichtarten vernachlässigt man oft die Unterabteilungen der Gattungen. So teilt sich zum Beispiel die Naturpoesie in die natürliche und in die künstliche, und die Volkspoesie in die Volkspoesie für das Volk und in die Volkspoesie für Standespersonen und Gelehrte. [5] Was gute Gesellschaft genannt wird, ist meistens nur eine Mosaik von geschliffnen Karikaturen.

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[6] Manche haben es in Hermann und Dorothea als einen großen Mangel an Delikatesse getadelt, daß der Jüngling seiner Geliebten, einer verarmten Bäurin, verstellter Weise den Vorschlag tut, als Magd in das Haus seiner guten Eltern zu kommen. Diese Kritiker mögen übel mit ihrem Gesinde umgehen. [A. W. Schlegel] [7] Ihr verlangt immer neue Gedanken? Tut etwas Neues, so läßt sich etwas Neues darüber sagen. [A.W.Schlegel] [8] Gewissen Lobrednern der vergangenen Zeiten unsrer Literatur darf man kühnlich antworten, wie Sthenelos dem Agamemnon: wir rühmen uns viel besser zu sein denn unsre Väter. [A.W.Schlegel]

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[9] Zum Glück wartet die Poesie eben so wenig auf die Theorie, als die Tugend auf die Moral, sonst hätten wir fürs erste keine Hoffnung zu einem Gedicht. [A.W.Schlegel] [10] Die Pflicht ist Kants Eins und Alles. Aus Pflicht der Dankbarkeit behauptet er, müsse man die Alten verteidigen und schätzen; und nur aus Pflicht ist er selbst ein großer Mann geworden.

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[11] Der Parisischen schönen Welt haben Geßners Idyllen grade so gefallen, wie der an haut gout gewöhnte Gaum sich manchmal an Milchspeisen labt. [A.W.Schlegel] [12] Man hat von manchem Monarchen gesagt: er würde ein sehr liebenswürdiger Privatmann gewesen sein, nur zum Könige habe er nicht getaugt. Verhält es sich etwa mit der Bibel ebenso? Ist sie auch bloß ein liebenswürdiges Privatbuch, das nur nicht Bibel sein sollte?

Fragmente (‚Athenäums‘-Fragmente)

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[13] Wenn junge Personen beiderlei Geschlechts nach einer lustigen Musik zu tanzen wissen, so fällt es ihnen gar nicht ein, deshalb über die Tonkunst urteilen zu wollen. Warum haben die Leute weniger Respekt vor der Poesie? [14] Schöner Mutwille im Vortrage ist das einzige was die poetische Sittlichkeit lüsterner Schilderungen retten kann. Sie zeugen von Schlaffheit und Verkehrtheit wenn sich nicht überschäumende Fülle der Lebenskraft in ihnen offenbart. Die Einbildungskraft muß ausschweifen wollen, nicht dem herrschenden Hange der Sinne knechtisch nachzugeben gewohnt sein. Und doch findet man unter uns meistens die fröhliche Leichtfertigkeit am verdammlichsten; hingegen hat man das Stärkste in dieser Art verziehen, wenn es mit einer fantastischen Mystik der Sinnlichkeit umgeben war. Als ob eine Schlechtigkeit durch eine Tollheit wieder gut gemacht würde! [A.W.Schlegel] [15] Der Selbstmord ist gewöhnlich nur eine Begebenheit, selten eine Handlung. Ist es das erste, so hat der Täter immer Unrecht, wie ein Kind, das sich emanzipieren will. Ist es aber eine Handlung, so kann vom Recht gar nicht die Frage sein, sondern nur von der Schicklichkeit. Denn dieser allein ist die Willkür unterworfen, welche alles bestimmen soll was in den reinen Gesetzen nicht bestimmt werden kann, wie das Jetzt, und das Hier, und alles bestimmen darf, was nicht die Willkür andrer, und dadurch sie selbst vernichtet. Es ist nie unrecht, freiwillig zu sterben, aber oft unanständig, länger zu leben. [16] Wenn das Wesen des Zynismus darin besteht, der Natur vor der Kunst, der Tugend vor der Schönheit und Wissenschaft den Vorzug zu geben; unbekümmert um den Buchstaben, auf den der Stoiker streng hält, nur auf den Geist zu sehen, allen ökonomischen Wert und politischen Glanz unbedingt zu verachten, und die Rechte der selbständigen Willkür tapfer zu behaupten: so dürfte der Christianismus wohl nichts anders sein, als universeller Zynismus. [17] Die dramatische Form kann man wählen aus Hang zur systematischen Vollständigkeit, oder um Menschen nicht bloß darzustellen, sondern nachzuahmen und nachzumachen, oder aus Bequemlichkeit, oder aus Gefälligkeit für die Musik, oder auch aus reiner Freude am Sprechen, und Sprechen lassen. [18] Es gibt verdiente Schriftsteller, die mit jugendlichem Eifer die Bildung ihres Volkes betrieben haben, sie aber da fixieren wollen, wo die Kraft sie selbst verließ. Dies ist umsonst: wer einmal töricht, oder edel, sich bestrebt hat, in den Gang des menschlichen Geistes mit einzugreifen, muß mit fort, oder er ist nicht besser dran als ein Hund im Bratenwender, der die Pfoten nicht vorwärts setzen will. [A.W.Schlegel]

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[19] Das sicherste Mittel unverständlich oder vielmehr mißverständlich zu sein, ist, wenn man die Worte in ihrem ursprünglichen Sinne braucht; besonders Worte aus den alten Sprachen. [20] Duclos bemerkt, es gebe wenig ausgezeichnete Werke, die nicht von Schriftstellern von Profession herrühren. In Frankreich wird dieser Stand seit langer Zeit mit Achtung anerkannt. Bei uns galt man ehedem weniger als nichts wenn man bloß Schriftsteller war. Noch jetzt regt sich dies Vorurteil hier und da,

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aber die Gewalt verehrter Beispiele muß es immer mehr lähmen. Die Schriftstellerei ist, je nachdem man sie treibt, eine Infamie, eine Ausschweifung, eine Tagelöhnerei, ein Handwerk, eine Kunst, eine Wissenschaft und eine Tugend. [A.W.Schlegel] 5

[21] Die Kantische Philosophie gleicht dem untergeschobnen Briefe, den Maria in Shakespeares Was ihr wollt, dem Malvolio in den Weg legt. Nur mit dem Unterschiede, daß es in Deutschland zahllose philosophische Malvolios gibt, die nun die Kniegürtel kreuzweise binden, gelbe Strümpfe tragen, und immerfort fantastisch lächeln.

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[22] Ein Projekt ist der subjektive Keim eines werdenden Objekts. Ein vollkommnes Projekt müßte zugleich ganz subjektiv, und ganz objektiv, ein unteilbares und lebendiges Individuum sein. Seinem Ursprunge nach, ganz subjektiv, original, nur grade in diesem Geiste möglich; seinem Charakter nach ganz objektiv, physisch und moralisch notwendig. Der Sinn für Projekte, die man Fragmente aus der Zukunft nennen könnte, ist von dem Sinn für Fragmente aus der Vergangenheit nur durch die Richtung verschieden, die bei ihm progressiv, bei jenem aber regressiv ist. Das Wesentliche ist die Fähigkeit, Gegenstände unmittelbar zugleich zu idealisieren, und zu realisieren, zu ergänzen, und teilweise in sich auszuführen. Da nun transzendental eben das ist, was auf die Verbindung oder Trennung des Idealen und des Realen Bezug hat; so könnte man wohl sagen, der Sinn für Fragmente und Projekte sei der transzendentale Bestandteil des historischen Geistes.

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[23] Es wird manches gedruckt, was besser nur gesagt würde, und zuweilen etwas gesagt, was schicklicher gedruckt wäre. Wenn die Gedanken die besten sind, die sich zugleich sagen und schreiben lassen, so ists wohl der Mühe wert, zuweilen nachzusehen, was sich von dem Gesprochnen schreiben, und was sich von dem Geschriebnen drucken läßt. Anmaßend ist es freilich, noch bei Lebzeiten Gedanken zu haben, ja bekannt zu machen. Ganze Werke zu schreiben ist ungleich bescheidner, weil sie ja wohl bloß aus andern Werken zusammengesetzt sein können, und weil dem Gedanken da auf den schlimmsten Fall die Zuflucht bleibt, der Sache den Vorrang zu lassen, und sich demütig in den Winkel zu stellen. Aber Gedanken, einzelne Gedanken sind gezwungen, einen Wert für sich haben zu wollen, und müssen Anspruch darauf machen, eigen und gedacht zu sein. Das einzige, was eine Art von Trost dagegen gibt, ist, daß nichts anmaßender sein kann, als überhaupt zu existieren, oder gar auf eine bestimmte selbständige Art zu existieren. Aus dieser ursprünglichen Grundanmaßung folgen nun doch einmal alle abgeleiteten, man stelle sich wie man auch will. [24] Viele Werke der Alten sind Fragmente geworden. Viele Werke der Neuern sind es gleich bei der Entstehung.

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[25] Nicht selten ist das Auslegen ein Einlegen des Erwünschten, oder des Zweckmäßigen, und viele Ableitungen sind eigentlich Ausleitungen. Ein Beweis, daß Gelehrsamkeit und Spekulation der Unschuld des Geistes nicht so schädlich sind, als man uns glauben machen will. Denn ist es nicht recht kindlich, froh über das Wunder zu erstaunen, das man selbst veranstaltet hat?

Fragmente (‚Athenäums‘-Fragmente)

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[26] Die Deutschheit ist wohl darum ein Lieblingsgegenstand der Charakteriseurs, weil eine Nation je weniger sie fertig, umso mehr ein Gegenstand der Kritik ist, und nicht der Historie. [27] Die meisten Menschen sind, wie Leibnizens mögliche Welten, nur gleichberechtigte Prätendenten der Existenz. Es gibt wenig Existenten.

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[28] Folgendes scheinen nächst der vollendeten Darstellung des kritischen Idealismus, die immer das erste bleibt, die wichtigsten Desiderata der Philosophie zu sein: eine materiale Logik, eine poetische Poetik, eine positive Politik, eine systematische Ethik, und eine praktische Historie. [29] Witzige Einfälle sind die Sprüchwörter der gebildeten Menschen.

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[30] Ein blühendes Mädchen ist das reizendste Symbol vom reinen guten Willen. [31] Prüderie ist Prätension auf Unschuld, ohne Unschuld. Die Frauen müssen wohl prüde bleiben, so lange Männer sentimental, dumm und schlecht genug sind, ewige Unschuld und Mangel an Bildung von ihnen zu fodern. Denn Unschuld ist das einzige, was Bildungslosigkeit adeln kann.

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[32] Man soll Witz haben, aber nicht haben wollen; sonst entsteht Witzelei, Alexandrinischer Styl in Witz. [33] Es ist weit schwerer, andre zu veranlassen, daß sie gut reden, als selbst gut zu reden. [34] Fast alle Ehen sind nur Konkubinate, Ehen an der linken Hand, oder vielmehr provisorische Versuche, und entfernte Annäherungen zu einer wirklichen Ehe, deren eigentliches Wesen, nicht nach den Paradoxen dieses oder jenes Systems, sondern nach allen geistlichen und weltlichen Rechten darin besteht, daß mehre Personen nur eine werden sollen. Ein artiger Gedanke, dessen Realisierung jedoch viele und große Schwierigkeiten zu haben scheint. Schon darum sollte die Willkür, die wohl ein Wort mitreden darf, wenn es darauf ankommt, ob einer ein Individuum für sich, oder nur der integrante Teil einer gemeinschaftlichen Personalität sein will, hier so wenig als möglich beschränkt werden; und es läßt sich nicht absehen, was man gegen eine Ehe à quatre Gründliches einwenden könnte. Wenn aber der Staat gar die mißglückten Eheversuche mit Gewalt zusammenhalten will, so hindert er dadurch die Möglichkeit der Ehe selbst, die durch neue, vielleicht glücklichere Versuche befördert werden könnte.

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[35] Der Zyniker dürfte eigentlich gar keine Sachen haben: denn alle Sachen, die ein Mensch hat, haben ihn doch in gewissem Sinne wieder. Es kömmt also nur darauf an, die Sachen so zu haben, als ob man sie nicht hätte. Noch künstlicher und noch zynischer ist es aber, die Sachen so nicht zu haben, als ob man sie hätte. [Zweiter Teil von Schleiermacher]

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[36] Niemand beurteilt eine Dekorationsmalerei und ein Altarblatt, eine Operette und eine Kirchenmusik, eine Predigt und eine philosophische Abhandlung nach demselben Maßstabe. Warum macht man also an die rhetorische Poesie, welche nur auf der Bühne existiert, Foderungen, die nur durch höhere dramatische Kunst erfüllt werden können?

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[37] Manche witzige Einfälle sind wie das überraschende Wiedersehen zwei befreundeter Gedanken nach einer langen Trennung. [38] Die Geduld, sagte S., verhält sich zu Chamforts état d’epigramme wie die Religion zur Philosophie. [Schleiermacher] 5

[39] Die meisten Gedanken sind nur Profile von Gedanken. Diese muß man umkehren, und mit ihren Antipoden synthesieren. Viele philosophische Schriften, die es sonst nicht haben würden, erhalten dadurch ein großes Interesse. [40] Noten zu einem Gedicht, sind wie anatomische Vorlesungen über einen Braten. [A.W.Schlegel]

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[41] Die welche Profession davon gemacht haben, den Kant zu erklären, waren entweder solche, denen es an einem Organ fehlte, um sich von den Gegenständen über die Kant geschrieben hat, einige Notiz zu verschaffen; oder solche, die nur das kleine Unglück hatten, niemand zu verstehen als sich selbst; oder solche, die sich noch verworrener ausdrückten als er.

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[42] Gute Dramen müssen drastisch sein. [43] Die Philosophie geht noch zu sehr grade aus, ist noch nicht zyklisch genug. [44] Jede philosophische Rezension sollte zugleich Philosophie der Rezensionen sein.

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[45] Neu, oder nicht neu, ist das, wornach auf dem höchsten und niedrigsten Standpunkte, dem Standpunkte der Geschichte, und dem der Neugierde, bei einem Werk gefragt wird. [46] Ein Regiment Soldaten en parade ist nach der Denkart mancher Philosophen ein System.

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[47] Kritisch heißt die Philosophie der Kantianer wohl per antiphrasin; oder es ist ein epitheton ornans. [48] Mit den größten Philosophen geht mirs, wie dem Plato mit den Spartanern. Er liebte und achtete sie unendlich, aber er klagt immer, daß sie überall auf halbem Wege stehn geblieben wären.

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[49] Die Frauen werden in der Poesie ebenso ungerecht behandelt, wie im Leben. Die weiblichen sind nicht idealisch, und die idealischen sind nicht weiblich. [50] Wahre Liebe sollte ihrem Ursprunge nach, zugleich ganz willkürlich und ganz zufällig sein, und zugleich notwendig und frei scheinen; ihrem Charakter nach aber zugleich Bestimmung und Tugend sein, ein Geheimnis, und ein Wunder scheinen.

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[51] Naiv ist, was bis zur Ironie, oder bis zum steten Wechsel von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung natürlich, individuell oder klassisch ist, oder scheint. Ist es bloß Instinkt, so ists kindlich, kindisch, oder albern; ists bloße Absicht, so entsteht Affektation. Das schöne, poetische, idealische Naive muß zugleich Absicht, und Instinkt sein. Das Wesen der Absicht in diesem Sinne ist die Freiheit. Bewußtsein ist noch bei weitem nicht Absicht. Es gibt ein gewisses verliebtes Anschauen eigner Natürlichkeit oder Albernheit, das selbst unsäglich albern ist.

Fragmente (‚Athenäums‘-Fragmente)

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Absicht erfordert nicht gerade einen tiefen Calcul oder Plan. Auch das Homerische Naive ist nicht bloß Instinkt: es ist wenigstens so viel Absicht darin, wie in der Anmut lieblicher Kinder, oder unschuldiger Mädchen. Wenn Er auch keine Absichten hatte, so hat doch seine Poesie und die eigentliche Verfasserin derselben, die Natur, Absicht.

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[52] Es gibt eine eigne Gattung Menschen, bei denen die Begeistrung der Langenweile, die erste Regung der Philosophie ist. [53] Es ist gleich tödlich für den Geist, ein System zu haben, und keins zu haben. Er wird sich also wohl entschließen müssen, beides zu verbinden. [54] Man kann nur Philosoph werden, nicht es sein. Sobald man es zu sein glaubt, hört man auf es zu werden. [55] Es gibt Klassifikationen, die als Klassifikationen schlecht genug sind, aber ganze Nationen und Zeitalter beherrschen, und oft äußerst charakteristisch und wie Zentralmonaden eines solchen historischen Individuums sind. So die griechische Einteilung aller Dinge in göttliche und menschliche, die sogar eine Homerische Antiquität ist. So die römische Einteilung in Zu Haus, und Im Kriege. Bei den Neuern redet man immer von dieser und jener Welt, als ob es mehr als eine Welt gäbe. Aber freilich ist bei ihnen auch das meiste so isoliert und getrennt wie ihre Diese und Jene Welt. [56] Da die Philosophie jetzt alles, was ihr vorkömmt kritisiert, so wäre eine Kritik der Philosophie nichts als eine gerechte Repressalie. [57] Mit dem Schriftstellerruhm ist es oft wie mit Frauengunst, und Gelderwerb. Ist nur erst ein guter Grund gelegt, so folgt das übrige von selbst. Viele heißen durch Zufall groß. „Es ist alles Glück nur Glück;“ ist das Resultat mancher literarischen Phänomene nicht minder als der meisten politischen. [A.W.Schlegel?] [58] An das Herkommen glaubend, und immer um neue Tollheiten bemüht; nachahmungssüchtig und stolz auf Selbständigkeit, unbeholfen in der Oberflächlichkeit, und bis zur Gewandtheit geschickt im tief- oder trübsinnig Schwerfälligen; von Natur platt, aber dem Streben nach transzendent in Empfindungen und Ansichten; in ernsthafter Behaglichkeit gegen Witz und Mutwillen durch einen heiligen Abscheu verschanzt; auf die große Masse welcher Literatur möchten diese Züge etwa passen? [A.W.Schlegel] [59] Die schlechten Schriftsteller klagen viel über Tyrannei der Rezensenten; ich glaube diese hätten eher die Klage zu führen. Sie sollen schön, geistvoll, vortrefflich finden, was nichts von dem allen ist; und es stößt sich nur an dem kleinen Umstande der Macht, so gingen die Rezensierten eben so mit ihnen um wie Dionysius mit den Tadlern seiner Verse. Ein Kotzebue hat dies ja laut bekannt. Auch ließen sich die neuen Produkte von kleinen Dionysen dieser Art hinreichend mit den Worten anzeigen: Führt mich wieder in die Latomien. [A.W.Schlegel] [60] Die Untertanen in einigen Ländern rühmen sich einer Menge Freiheiten, die ihnen alle durch die Freiheit entbehrlich werden würden. So legt man wohl nur deswegen einen so großen Nachdruck auf die Schönheiten mancher Gedichte,

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weil sie keine Schönheit haben. Sie sind im einzelnen kunstvoll, aber im ganzen keine Kunstwerke. [A.W.Schlegel]

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[61] Die wenigen Schriften, welche gegen die Kantische Philosophie existieren, sind die wichtigsten Dokumente zur Krankheitsgeschichte des gesunden Menschenverstandes. Diese Epidemie, welche in England entstanden ist, drohte einmal sogar die deutsche Philosophie anstecken zu wollen. [62] Das Druckenlassen verhält sich zum Denken, wie eine Wochenstube zum ersten Kuß. [63] Jeder ungebildete Mensch ist die Karikatur von sich selbst.

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[64] Moderantismus ist Geist der kastrierten Illiberalität. [65] Viele Lobredner beweisen die Größe ihres Abgottes antithetisch, durch die Darlegung ihrer eignen Kleinheit.

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[66] Wenn der Autor dem Kritiker gar nichts mehr zu antworten weiß, so sagt er ihm gern: Du kannst es doch nicht besser machen. Das ist eben, als wenn ein dogmatischer Philosoph dem Skeptiker vorwerfen wollte, daß er kein System erfinden könne. [67] Es wäre illiberal, nicht vorauszusetzen, ein jeder Philosoph sei liberal, und folglich rezensibel; ja es nicht zu fingieren, wenn man auch das Gegenteil weiß. Aber anmaßend wäre es, Dichter ebenso zu behandeln; es müßte denn einer durch und durch Poesie und gleichsam ein lebendes und handelndes Kunstwerk sein. [68] Nur der Kunstliebhaber liebt wirklich die Kunst, der auf einige seiner Wünsche völlig Verzicht tun kann, wo er andre ganz befriedigt findet, der auch das Liebste noch streng würdigen mag, der sich im Notfall Erklärungen gefallen läßt, und Sinn für Kunstgeschichte hat.

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[69] Die Pantomimen der Alten haben wir nicht mehr. Dagegen ist aber die ganze Poesie jetzt pantomimisch. [70] Wo ein öffentlicher Ankläger auftreten soll, muß schon ein öffentlicher Richter vorhanden sein.

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[71] Man redet immer von der Störung, welche die Zergliederung des Kunstschönen dem Genuß des Liebhabers verursachen soll. So der rechte Liebhaber läßt sich wohl nicht stören! [72] Übersichten des Ganzen, wie sie jetzt Mode sind, entstehen, wenn einer alles einzelne übersieht, und dann summiert.

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[73] Sollte es mit der Bevölkerung nicht sein wie mit der Wahrheit, wo das Streben, wie man sagt, mehr wert ist als die Resultate? [74] Nach dem verderbten Sprachgebrauche bedeutet Wahrscheinlich so viel, als Beinah wahr, oder Etwas wahr, oder was noch vielleicht einmal wahr werden kann. Das alles kann das Wort aber schon seiner Bildung nach, gar nicht bezeichnen. Was wahr scheint, braucht darum auch nicht im kleinsten Grade wahr zu sein: aber es muß doch positiv scheinen. Das Wahrscheinliche ist der Gegenstand der Klugheit, des Vermögens unter den möglichen Folgen freier Handlungen die

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wirklichen zu erraten, und etwas durchaus Subjektives. Was einige Logiker so genannt und zu berechnen versucht haben, ist Möglichkeit. [75] Die formale Logik und die empirische Psychologie sind philosophische Grotesken. Denn das Interessante einer Arithmetik der vier Spezies oder einer Experimentalphysik des Geistes kann doch nur in dem Kontrast der Form und des Stoffs liegen.

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[76] Die intellektuale Anschauung ist der kategorische Imperativ der Theorie. [77] Ein Dialog ist eine Kette, oder ein Kranz von Fragmenten. Ein Briefwechsel ist ein Dialog in vergrößertem Maßstabe, und Memorabilien sind ein System von Fragmenten. Es gibt noch keins was in Stoff und Form fragmentarisch, zugleich ganz subjektiv und individuell, und ganz objektiv und wie ein notwendiger Teil im System aller Wissenschaften wäre.

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[78] Das Nichtverstehen kommt meistens gar nicht vom Mangel an Verstande, sondern vom Mangel an Sinn. [79] Die Narrheit ist bloß dadurch von der Tollheit verschieden, daß sie willkürlich ist wie die Dummheit. Soll dieser Unterschied nicht gelten, so ists sehr ungerecht einige Narren einzusperren, während man andre ihr Glück machen läßt. Beide sind dann nur dem Grade, nicht der Art nach verschieden.

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[80] Der Historiker ist ein rückwärts gekehrter Prophet. [81] Die meisten Menschen wissen von keiner andern Würde, als von repräsentativer; und doch haben nur so äußerst wenige Sinn für repräsentativen Wert. Was auch für sich gar nichts ist, wird doch Beitrag zur Charakteristik irgendeiner Gattung sein, und in dieser Rücksicht könnte man sagen: Niemand sei uninteressant. [82] Die Demonstrationen der Philosophie sind eben Demonstrationen im Sinne der militärischen Kunstsprache. Mit den Deduktionen steht es auch nicht besser wie mit den politischen; auch in den Wissenschaften besetzt man erst ein Terrain, und beweist dann hinterdrein sein Recht daran. Auf die Definitionen läßt sich anwenden, was Chamfort von den Freunden sagte, die man so in der Welt hat. Es gibt drei Arten von Erklärungen in der Wissenschaft: Erklärungen, die uns ein Licht oder einen Wink geben; Erklärungen, die nichts erklären; und Erklärungen, die alles verdunkeln. Die rechten Definitionen lassen sich gar nicht aus dem Stegreife machen, sondern müssen einem von selbst kommen; eine Definition die nicht witzig ist, taugt nichts, und von jedem Individuum gibt es doch unendlich viele reale Definitionen. Die notwendigen Förmlichkeiten der Kunstphilosophie arten aus in Etikette und Luxus. Als Legitimation und Probe der Virtuosität haben sie ihren Zweck und Wert, wie die Bravourarien der Sänger, und das Lateinschreiben der Philologen. Auch machen sie nicht wenig rhetorischen Effekt. Die Hauptsache aber bleibt doch immer, daß man etwas weiß, und daß man es sagt. Es beweisen oder gar erklären zu wollen, ist in den meisten Fällen herzlich überflüssig. Der kategorische Styl der Gesetze der zwölf Tafeln, und die thetische Methode, wo die reinen Fakta der Reflexion ohne Verhüllung, Verdünnung und künstliche Verstellung wie Texte für das Studium oder die Symphilosophie da stehen, bleibt

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der gebildeten Naturphilosophie die angemessenste. Soll beides gleich gut gemacht werden, so ist es unstreitig viel schwerer behaupten, als beweisen. Es gibt Demonstrationen die Menge, die der Form nach vortrefflich sind, für schiefe und platte Sätze. Leibniz behauptete, und Wolff bewies. Das ist genug gesagt. 5

[83] Der Satz des Widerspruchs ist auch nicht einmal das Prinzip der Analyse, nemlich der absoluten, die allein den Namen verdient, der chemischen Dekomposition eines Individuums in seine schlechthin einfachen Elemente. [84] Subjektiv betrachtet, fängt die Philosophie doch immer in der Mitte an, wie das epische Gedicht.

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[85] Grundsätze sind fürs Leben, was im Kabinett geschriebene Instruktionen für den Feldherrn. [86] Echtes Wohlwollen geht auf Beförderung fremder Freiheit, nicht auf Gewährung tierischer Genüsse. [Schleiermacher?]

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[87] Das Erste in der Liebe ist der Sinn füreinander, und das Höchste, der Glauben aneinander. Hingebung ist der Ausdruck des Glaubens, und Genuß kann den Sinn beleben und schärfen, wenn auch nicht hervorbringen, wie die gemeine Meinung ist. Darum kann die Sinnlichkeit schlechte Menschen auf eine kurze Zeit täuschen, als könnten sie sich lieben. [88] Es gibt Menschen, deren ganze Tätigkeit darin besteht, immer Nein zu sagen. Es wäre nichts Kleines, immer recht Nein sagen zu können, aber wer weiter nichts kann, kann es gewiß nicht recht. Der Geschmack dieser Neganten ist eine tüchtige Schere, um die Extremitäten des Genies zu säubern; ihre Aufklärung eine große Lichtputze für die Flamme des Enthusiasmus; und ihre Vernunft ein gelindes Laxativ gegen unmäßige Lust und Liebe. [89] Die Kritik ist das einzige Surrogat der von so manchen Philosophen vergeblich gesuchten und gleich unmöglichen moralischen Mathematik und Wissenschaft des Schicklichen. [90] Der Gegenstand der Historie ist das Wirklichwerden alles dessen, was praktisch notwendig ist.

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[91] Die Logik ist weder die Vorrede, noch das Instrument, noch das Formular, noch eine Episode der Philosophie, sondern eine der Poetik und Ethik entgegengesetzte, und koordinierte pragmatische Wissenschaft, welche von der Foderung der positiven Wahrheit, und der Voraussetzung der Möglichkeit eines Systems ausgeht.

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[92] Ehe nicht die Philosophen Grammatiker, oder die Grammatiker Philosophen werden, wird die Grammatik nicht, was sie bei den Alten war, eine pragmatische Wissenschaft und ein Teil der Logik, noch überhaupt eine Wissenschaft werden. [93] Die Lehre vom Geist und Buchstaben ist unter andern auch darum so interessant, weil sie die Philosophie mit der Philologie in Berührung setzen kann.

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[94] Immer hat noch jeder große Philosoph seine Vorgänger, oft ohne seine Absicht, so erklärt, daß es schien, als habe man sie vor ihm gar nicht verstanden.

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[95] Einiges muß die Philosophie einstweilen auf ewig voraussetzen, und sie darf es, weil sie es muß. [96] Wer nicht um der Philosophie willen philosophiert, sondern die Philosophie als Mittel braucht, ist ein Sophist. [97] Als vorübergehender Zustand ist der Skeptizismus logische Insurrektion; als System ist er Anarchie. Skeptische Methode wäre also ungefähr wie insurgente Regierung.

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[98] Philosophisch ist alles, was zur Realisierung des logischen Ideals beiträgt, und wissenschaftliche Bildung hat. [99] Bei den Ausdrücken, Seine Philosophie, Meine Philosophie, erinnert man sich immer an die Worte im Nathan: „Wem eignet Gott? Was ist das für ein Gott, der einem Menschen eignet?“

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[100] Poetischer Schein ist Spiel der Vorstellungen, und Spiel ist Schein von Handlungen. [101] Was in der Poesie geschieht, geschieht nie, oder immer. Sonst ist es keine rechte Poesie. Man darf nicht glauben sollen, daß es jetzt wirklich geschehe. [102] Die Frauen haben durchaus keinen Sinn für die Kunst, wohl aber für die Poesie. Sie haben keine Anlage zur Wissenschaft, wohl aber zur Philosophie. An Spekulation, innerer Anschauung des Unendlichen fehlts ihnen gar nicht; nur an Abstraktion, die sich weit eher lernen läßt.

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[103] Daß man eine Philosophie annihiliert, wobei sich der Unvorsichtige leicht gelegentlich selbst mit annihilieren kann, oder daß man ihr zeigt, sie annihiliere sich selbst, kann ihr wenig schaden. Ist sie wirklich Philosophie, so wird sie doch wie ein Phönix aus ihrer eignen Asche immer wieder aufleben. [104] Nach dem Weltbegriffe ist jeder ein Kantianer, der sich auch für die neueste deutsche philosophische Literatur interessiert. Nach dem Schulbegriffe ist nur der ein Kantianer, der glaubt, Kant sei die Wahrheit, und der, wenn die Königsberger Post einmal verunglückte, leicht einige Wochen ohne Wahrheit sein könnte. Nach dem veralteten Sokratischen Begriffe, da die, welche sich den Geist des großen Meisters selbständig angeeignet, und angebildet hatten, seine Schüler hießen, und als Söhne seines Geistes nach ihm genannt wurden, dürfte es nur wenige Kantianer geben.

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[105] Schellings Philosophie, die man kritisierten Mystizismus nennen könnte, endigt, wie der Prometheus des Äschylus, mit Erdbeben und Untergang. [106] Die moralische Würdigung ist der ästhetischen völlig entgegengesetzt. Dort gilt der gute Wille alles, hier gar nichts. Der gute Wille witzig zu sein, zum Beispiel, ist die Tugend eines Pagliaß. Das Wollen beim Witze darf nur darin bestehen, daß man die konventionellen Schranken aufhebt, und den Geist frei läßt. Am witzigsten aber müßte der sein, der es nicht nur ohne es zu wollen, sondern wider seinen Willen wäre, so wie der bienfaisant bourru eigentlich der allergutmütigste Charakter ist. [A.W.Schlegel]

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[107] Das stillschweigends vorausgesetzte, und wirklich erste Postulat aller Kantianischen Harmonien der Evangelisten, lautet: Kants Philosophie soll mit sich selbst übereinstimmen. [108] Schön ist, was zugleich reizend und erhaben ist. 5

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[109] Es gibt eine Mikrologie, und einen Glauben an Autorität, die Charakterzüge der Größe sind. Das ist die vollendende Mikrologie des Künstlers, und der historische Glaube an die Autorität der Natur. [110] Es ist ein erhabener Geschmack, immer die Dinge in der zweiten Potenz vorzuziehn. Z.B. Kopien von Nachahmungen, Beurteilungen von Rezensionen, Zusätze zu Ergänzungen, Kommentare zu Noten. Uns Deutschen ist er vorzüglich eigen, wo es aufs Verlängern ankommt; den Franzosen, wo Kürze und Leerheit dadurch begünstigt wird. Ihr wissenschaftlicher Unterricht pflegt wohl die Abkürzung eines Auszugs zu sein, und das höchste Produkt ihrer poetischen Kunst, ihre Tragödie, ist nur die Formel einer Form. [A.W.Schlegel] [111] Die Lehren welche ein Roman geben will, müssen solche sein, die sich nur im Ganzen mitteilen, nicht einzeln beweisen, und durch Zergliederung erschöpfen lassen. Sonst wäre die rhetorische Form ungleich vorzüglicher. [112] Die Philosophen welche nicht gegeneinander sind, verbindet gewöhnlich nur Sympathie, nicht Symphilosophie.

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[113] Eine Klassifikation ist eine Definition, die ein System von Definitionen enthält. [114] Eine Definition der Poesie kann nur bestimmen, was sie sein soll, nicht was sie in der Wirklichkeit war und ist; sonst würde sie am kürzesten so lauten: Poesie ist, was man zu irgendeiner Zeit, an irgendeinem Orte so genannt hat.

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[115] Daß es den Adel vaterländischer Festgesänge nicht entweihen kann, wenn sie tüchtig bezahlt werden, beweisen die Griechen und Pindar. Daß aber das Bezahlen nicht allein selig macht, beweisen die Engländer, die wenigstens darin die Alten haben nachahmen wollen. Die Schönheit ist also doch in England nicht käuflich und verkäuflich, wenn auch die Tugend.

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[116] Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennte Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen, und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will, und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen, den Witz poetisieren, und die Formen der Kunst mit gediegnem Bildungsstoff jeder Art anfüllen und sättigen, und durch die Schwingungen des Humors beseelen. Sie umfaßt alles, was nur poetisch ist, vom größten wieder mehre Systeme in sich enthaltenden Systeme der Kunst, bis zu dem Seufzer, dem Kuß, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosen Gesang. Sie kann sich so in das Dargestellte verlieren, daß man glauben möchte, poetische Individuen jeder Art zu charakterisieren, sei ihr Eins und Alles; und doch gibt es noch keine Form, die so dazu gemacht wäre, den Geist des Autors

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vollständig auszudrücken: so daß manche Künstler, die nur auch einen Roman schreiben wollten, von ungefähr sich selbst dargestellt haben. Nur sie kann gleich dem Epos ein Spiegel der ganzen umgebenden Welt, ein Bild des Zeitalters werden. Und doch kann auch sie am meisten zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden, frei von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte schweben, diese Reflexion immer wieder potenzieren und wie in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen. Sie ist der höchsten und der allseitigsten Bildung fähig; nicht bloß von innen heraus, sondern auch von außen hinein; indem sie jedem, was ein Ganzes in ihren Produkten sein soll, alle Teile ähnlich organisiert, wodurch ihr die Aussicht auf eine grenzenlos wachsende Klassizität eröffnet wird. Die romantische Poesie ist unter den Künsten was der Witz der Philosophie, und die Gesellschaft, Umgang, Freundschaft und Liebe im Leben ist. Andre Dichtarten sind fertig, und können nun vollständig zergliedert werden. Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann. Sie kann durch keine Theorie erschöpft werden, und nur eine divinatorische Kritik dürfte es wagen, ihr Ideal charakterisieren zu wollen. Sie allein ist unendlich, wie sie allein frei ist, und das als ihr erstes Gesetz anerkennt, daß die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide. Die romantische Dichtart ist die einzige, die mehr als Art, und gleichsam die Dichtkunst selbst ist: denn in einem gewissen Sinn ist oder soll alle Poesie romantisch sein.

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[117] Werke, deren Ideal für den Künstler nicht ebensoviel lebendige Realität, und gleichsam Persönlichkeit hat, wie die Geliebte oder der Freund, blieben besser ungeschrieben. Wenigstens Kunstwerke werden es gewiß nicht. [118] Es ist nicht einmal ein feiner, sondern eigentlich ein recht grober Kitzel des Egoismus, wenn alle Personen in einem Roman sich um Einen bewegen wie Planeten um die Sonne, der dann gewöhnlich des Verfassers unartiges Schoßkind ist, und der Spiegel und Schmeichler des entzückten Lesers wird. Wie ein gebildeter Mensch nicht bloß Zweck sondern auch Mittel ist für sich und für andre, so sollten auch im gebildeten Gedicht alle zugleich Zweck und Mittel sein. Die Verfassung sei republikanisch, wobei immer erlaubt bleibt, daß einige Teile aktiv andre passiv sein. [119] Auch solche Bilder der Sprache, die bloß Eigensinn scheinen, haben oft tiefe Bedeutung. Was für eine Analogie, könnte man denken, ist wohl zwischen Massen von Gold oder Silber, und Fertigkeiten des Geistes, die so sicher und so vollendet sind, daß sie willkürlich werden, und so zufällig entstanden, daß sie angeboren scheinen können? Und doch fällt es in die Augen, daß man Talente nur hat, besitzt, wie Sachen, die doch ihren soliden Wert behalten, wenn sie gleich den Inhaber selbst nicht adeln können. Genie kann man eigentlich nie haben, nur sein. Auch gibt es keinen Pluralis von Genie, der hier schon im Singularis steckt. Genie ist nemlich ein System von Talenten. [120] Den Witz achten sie darum so wenig, weil seine Äußerungen nicht lang, und nicht breit genug sind, denn ihre Empfindung ist nur eine dunkel vorgestellte

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Mathematik; und weil sie dabei lachen, welches gegen den Respekt wäre, wenn der Witz wahre Würde hätte. Der Witz ist wie einer, der nach der Regel repräsentieren sollte, und statt dessen bloß handelt. 5

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[121] Eine Idee ist ein bis zur Ironie vollendeter Begriff, eine absolute Synthesis absoluter Antithesen, der stete sich selbst erzeugende Wechsel zwei streitender Gedanken. Ein Ideal ist zugleich Idee und Faktum. Haben die Ideale für den Denker nicht so viel Individualität wie die Götter des Altertums für den Künstler, so ist alle Beschäftigung mit Ideen nichts als ein langweiliges und mühsames Würfelspiel mit hohlen Formeln, oder ein nach Art der chinesischen Bonzen, hinbrütendes Anschauen seiner eignen Nase. Nichts ist kläglicher und verächtlicher als diese sentimentale Spekulation ohne Objekt. Nur sollte man das nicht Mystik nennen, da dies schöne alte Wort für die absolute Philosophie, auf deren Standpunkte der Geist alles als Geheimnis und als Wunder betrachtet, was er aus andern Gesichtspunkten theoretisch und praktisch natürlich findet, so brauchbar und so unentbehrlich ist. Spekulation en detail ist so selten als Abstraktion en gros, und doch sind sie es, die allen Stoff des wissenschaftlichen Witzes erzeugen, sie die Prinzipien der höhern Kritik, die obersten Stufen der geistigen Bildung. Die große praktische Abstraktion macht die Alten, bei denen sie Instinkt war, eigentlich zu Alten. Umsonst war es, daß die Individuen das Ideal ihrer Gattung vollständig ausdrückten, wenn nicht auch die Gattungen selbst, streng und scharf isoliert, und ihrer Originalität gleichsam frei überlassen waren. Aber sich willkürlich bald in diese bald in jene Sphäre, wie in eine andre Welt, nicht bloß mit dem Verstande und der Einbildung, sondern mit ganzer Seele versetzen; bald auf diesen bald auf jenen Teil seines Wesens frei Verzicht tun, und sich auf einen andern ganz beschränken; jetzt in diesem, jetzt in jenem Individuum sein Eins und Alles suchen und finden, und alle übrigen absichtlich vergessen: das kann nur ein Geist, der gleichsam eine Mehrheit von Geistern, und ein ganzes System von Personen in sich enthält, und in dessen Innerm das Universum, welches, wie man sagt, in jeder Monade keimen soll, ausgewachsen, und reif geworden ist. [122] Wenn Bürgern ein neues Buch von der Art vorkam, die einen weder kalt noch warm macht, so pflegte er zu sagen: es verdiene in der Bibliothek der schönen Wissenschaften gepriesen zu werden. [A.W.Schlegel] [123] Sollte die Poesie nicht unter andern auch deswegen die höchste und würdigste aller Künste sein, weil nur in ihr Dramen möglich sind?

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[124] Wenn man einmal aus Psychologie Romane schreibt oder Romane liest, so ist es sehr inkonsequent, und klein, auch die langsamste und ausführlichste Zergliederung unnatürlicher Lüste, gräßlicher Marter, empörender Infamie, ekelhafter sinnlicher oder geistiger Impotenz scheuen zu wollen. [125] Vielleicht würde eine ganz neue Epoche der Wissenschaften und Künste beginnen, wenn die Symphilosophie und Sympoesie so allgemein und so innig würde, daß es nichts Seltnes mehr wäre, wenn mehre sich gegenseitig ergänzende Naturen gemeinschaftliche Werke bildeten. Oft kann man sich des Gedankens nicht erwehren, zwei Geister möchten eigentlich zusammengehören, wie ge-

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trennte Hälften, und nur verbunden alles sein, was sie könnten. Gäbe es eine Kunst, Individuen zu verschmelzen, oder könnte die wünschende Kritik etwas mehr als wünschen, wozu sie überall so viel Veranlassung findet, so möchte ich Jean Paul und Peter Leberecht kombiniert sehen. Grade alles, was jenem fehlt, hat dieser. Jean Pauls groteskes Talent und Peter Leberechts fantastische Bildung vereinigt, würden einen vortrefflichen romantischen Dichter hervorbringen.

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[126] Alle nationale und auf den Effekt gemachte Dramen sind romantisierte Mimen. [127] Klopstock ist ein grammatischer Poet, und ein poetischer Grammatiker. [A.W.Schlegel]

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[128] Nichts ist kläglicher, als sich dem Teufel umsonst ergeben; zum Beispiel schlüpfrige Gedichte machen, die nicht einmal vortrefflich sind. [A.W.Schlegel] [129] Manche Theoristen vergessen bei Fragen, wie die über den Gebrauch des Sylbenmaßes im Drama allzusehr, daß die Poesie überhaupt nur eine schöne Lüge ist, von der es aber dafür auch heißen kann: Magnanima menzogna, ov’ or’ è il vero Si bello, che si possa a te preporre?

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[130] Es gibt auch grammatische Mystiker. Moritz war einer. [A.W.Schlegel] [131] Der Dichter kann wenig vom Philosophen, dieser aber viel von ihm lernen. Es ist sogar zu befürchten, daß die Nachtlampe des Weisen den irre führen möchte, der gewohnt ist im Licht der Offenbarung zu wandeln. [A.W.Schlegel]

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[132] Dichter sind doch immer Narzisse. [A.W.Schlegel] [133] Es ist als wenn die Weiber alles mit eignen Händen machten, und die Männer mit dem Handwerksgerät. [A.W.Schlegel] [134] Das männliche Geschlecht wird nicht eher durch das weibliche verbessert werden, als bis die Geschlechtsfolge der Nayren nach den Müttern eingeführt sein wird. [A.W.Schlegel] [135] Zuweilen nimmt man doch einen Zusammenhang zwischen den getrennten, und oft sich widersprechenden Teilen unsrer Bildung gewahr. So scheinen die besseren Menschen in unsern moralischen Dramen aus den Händen der neuesten Pädagogik zu kommen. [A.W.Schlegel] [136] Es gibt Geister, denen es bei großer Anstrengung und bestimmter Richtung ihrer Kraft an Biegsamkeit fehlt. Sie werden entdecken, aber weniges, und in Gefahr sein diese Lieblingssätze immer zu wiederholen. Man dringt nicht tief, wenn man einen Bohrer mit großer Gewalt gegen ein Brett drückt, ohne ihn umzudrehen. [A.W.Schlegel] [137] Es gibt eine materiale, enthusiastische Rhetorik die unendlich weit erhaben ist über den sophistischen Mißbrauch der Philosophie, die deklamatorische Stylübung, die angewandte Poesie, die improvisierte Politik, welche man mit demselben Namen zu bezeichnen pflegt. Ihre Bestimmung ist, die Philosophie praktisch zu realisieren, und die praktische Unphilosophie und Antiphilosophie nicht bloß

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dialektisch zu besiegen, sondern real zu vernichten. Rousseau und Fichte verbieten auch denen, die nicht glauben, wo sie nicht sehen, dies Ideal für chimärisch zu halten. 5

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[138] Die Tragiker setzen die Szene ihrer Dichtungen fast immer in die Vergangenheit. Warum sollte dies schlechthin notwendig, warum sollte es nicht auch möglich sein, die Szene in die Zukunft zu setzen, wodurch die Fantasie mit einem Streich von allen historischen Rücksichten und Einschränkungen befreit würde? Aber freilich müßte ein Volk, das die beschämenden Gestalten einer würdigen Darstellung der bessern Zukunft ertragen sollte, mehr als eine republikanische Verfassung, es müßte eine liberale Gesinnung haben. [139] Aus dem romantischen Gesichtspunkt haben auch die Abarten der Poesie, selbst die ekzentrischen und monströsen, ihren Wert, als Materialien und Vorübungen der Universalität, wenn nur irgendetwas drin ist, wenn sie nur original sind.

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[140] Die Eigenschaft des dramatischen Dichters scheint es zu sein, sich selbst mit freigebiger Großmut an andere Personen zu verlieren, des lyrischen, mit liebevollem Egoismus alles zu sich herüber zu ziehn. [A.W.Schlegel] [141] Es heißt, in englischen und deutschen Trauerspielen wären doch so viel Verstöße gegen den Geschmack. Die französischen sind nur ein einziger großer Verstoß. Denn was kann geschmackwidriger sein, als ganz außerhalb der Natur zu schreiben, und vorzustellen? [A.W.Schlegel] [142] Hemsterhuys vereinigt Platos schöne Seherflüge mit dem strengen Ernst des Systematikers. Jacobi hat nicht dieses harmonische Ebenmaß der Geisteskräfte, aber desto freier wirkende Tiefe und Gewalt; den Instinkt des Göttlichen haben sie miteinander gemein. Hemsterhuys’ Werke mögen intellektuelle Gedichte heißen. Jacobi bildete keine untadeligen vollendeten Antiken, er gab Bruchstücke voll Originalität, Adel, und Innigkeit. Vielleicht wirkt Hemsterhuys’ Schwärmerei mächtiger, weil sie sich immer in den Grenzen des Schönen ergießt; hingegen setzt sich die Vernunft sogleich in wehrbaren Stand, wenn sie die Leidenschaftlichkeit des gegen sie eindringenden Gefühls gewahr wird. [A.W.Schlegel] [143] Man kann niemand zwingen, die Alten für klassisch zu halten, oder für alt; das hängt zuletzt von Maximen ab. [144] Das goldne Zeitalter der römischen Literatur war genialischer und der Poesie günstiger; das sogenannte silberne in der Prosa ungleich korrekter.

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[145] Als Dichter betrachtet, ist Homer sehr sittlich, weil er so natürlich, und doch so poetisch ist. Als Sittenlehrer aber, wie ihn die Alten trotz den Protestationen der älteren und bessern Philosophen häufig betrachteten, ist er eben darum sehr unsittlich. [146] Wie der Roman die ganze moderne Poesie, so tingiert auch die Satire, die durch alle Umgestaltungen, bei den Römern doch immer eine klassische Universalpoesie, eine Gesellschaftspoesie aus und für den Mittelpunkt des gebildeten Weltalls blieb, die ganze römische Poesie, ja die gesamte römische Literatur, und

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gibt darin gleichsam den Ton an. Um Sinn zu haben für das, was in der Prosa eines Cicero, Caesar, Suetonius das Urbanste, das Originalste und das Schönste ist, muß man die Horazischen Satiren schon lange geliebt und verstanden haben. Das sind die ewigen Urquellen der Urbanität. [147] Klassisch zu leben, und das Altertum praktisch in sich zu realisieren, ist der Gipfel und das Ziel der Philologie. Sollte dies ohne allen Zynismus möglich sein?

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[148] Die größte aller Antithesen, die es je gegeben hat, ist Caesar und Cato. Sallust hat sie nicht unwürdig dargestellt. [149] Der systematische Winckelmann, der alle Alten gleichsam wie Einen Autor las, alles im ganzen sah, und seine gesamte Kraft auf die Griechen konzentrierte, legte durch die Wahrnehmung der absoluten Verschiedenheit des Antiken und des Modernen, den ersten Grund zu einer materialen Altertumslehre. Erst wenn der Standpunkt und die Bedingungen der absoluten Identität des Antiken und Modernen, die war, ist oder sein wird, gefunden ist, darf man sagen, daß wenigstens der Kontur der Wissenschaft fertig sei, und nun an die methodische Ausführung gedacht werden könne. [150] Der Agrikola des Tacitus ist eine klassisch prächtige, historische Kanonisation eines konsularischen Ökonomen. Nach der Denkart die darin herrscht, ist die höchste Bestimmung des Menschen, mit Erlaubnis des Imperators zu triumphieren.

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[151] Jeder hat noch in den Alten gefunden, was er brauchte, oder wünschte; vorzüglich sich selbst. [152] Cicero war ein großer Virtuose der Urbanität, der ein Redner, ja sogar ein Philosoph sein wollte, und ein sehr genialischer Antiquar, Literator, und Polyhistor altrömischer Tugend und altrömischer Festivität hätte werden können.

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[153] Je populärer ein alter Autor ist, je romantischer ist er. Dies ist das Prinzip der neuen Auswahl, welche die Modernen aus der alten Auswahl der Klassiker durch die Tat gemacht haben, oder vielmehr immer noch machen. [154] Wer frisch vom Aristophanes, dem Olymp der Komödie, kommt, dem erscheint die romantische Persiflage wie eine lang ausgesponnene Faser aus einem Gewebe der Athene, wie eine Flocke himmlischen Feuers, von der das Beste im Herabfallen auf die Erde verflog. [155] Die rohen kosmopolitischen Versuche der Karthager und andrer Völker des Altertums erscheinen gegen die politische Universalität der Römer, wie die Naturpoesie ungebildeter Nationen gegen die klassische Kunst der Griechen. Nur die Römer waren zufrieden mit dem Geist des Despotismus, und verachteten den Buchstaben; nur sie haben naive Tyrannen gehabt.

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[156] Der komische Witz ist eine Mischung des epischen und des jambischen. Aristophanes ist zugleich Homer und Archilochus. [157] Ovid hat viel Ähnlichkeit mit dem Euripides. Dieselbe rührende Kraft, derselbe rhetorische Glanz und oft unzeitige Scharfsinn, dieselbe tändelnde Fülle, Eitelkeit und Dünnheit.

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[158] Das Beste im Martial ist das, was Catullisch scheinen könnte. [159] In manchem Gedicht der spätern Alten, wie zum Beispiel in der Mosella des Ausonius, ist schon nichts mehr antik, als das Antiquarische. 5

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[160] Weder die attische Bildung des Xenophon, noch sein Streben nach dorischer Harmonie, noch seine sokratische Anmut, durch die er liebenswürdig scheinen kann, diese hinreißende Einfalt, Klarheit und eigne Süßigkeit des Styls, kann dem unbefangnen Gemüt die Gemeinheit verbergen, die der innerste Geist seines Lebens, und seiner Werke ist. Die Memorabilien beweisen, wie unfähig er war, die Größe seines Meisters zu begreifen, und die Anabase, das interessanteste und schönste seiner Werke, wie klein er selbst war. [161] Sollte die zyklische Natur des höchsten Wesens bei Plato und Aristoteles nicht die Personifikation einer philosophischen Manier sein?

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[162] Hat man nicht bei Untersuchung der ältesten griechischen Mythologie viel zu wenig Rücksicht auf den Instinkt des menschlichen Geistes zu parallelisieren und zu antithesieren genommen? Die Homerische Götterwelt ist eine einfache Variation der Homerischen Menschenwelt; die Hesiodische, welcher der heroische Gegensatz fehlt, spaltet sich in mehre entgegengesetzte Göttergeschlechter. In der alten Aristotelischen Bemerkung, daß man die Menschen aus ihren Göttern kennenlerne, liegt nicht bloß die von selbst einleuchtende Subjektivität aller Theologie, sondern auch die unbegreiflichere angeborne geistige Duplizität des Menschen. [163] Die Geschichte der ersten römischen Caesaren ist wie die Symphonie und das Thema der Geschichte aller nachfolgenden.

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[164] Die Fehler der griechischen Sophisten waren mehr Fehler aus Überfluß als aus Mangel. Selbst in der Zuversicht und Arroganz, mit der sie alles zu wissen, ja auch wohl zu können glaubten und vorgaben, liegt etwas sehr Philosophisches, nicht der Absicht, aber dem Instinkt nach: denn der Philosoph hat doch nur die Alternative, alles oder nichts wissen zu wollen. Das, woraus man nur etwas, oder allerlei lernen soll, ist sicher keine Philosophie. [165] Im Plato finden sich alle reinen Arten der griechischen Prosa in klassischer Individualität unvermischt, und oft schneidend nebeneinander: die logische, die physische, die mimische, die panegyrische, und die mythische. Die mimische ist die Grundlage und das allgemeine Element: die andern kommen oft nur episodisch vor. Dann hat er noch eine ihm besonders eigne Art, worin er am meisten Plato ist, die dithyrambische. Man könnte sie eine Mischung der mythischen, und panegyrischen nennen, wenn sie nicht auch etwas von dem gedrängten und einfach Würdigen der physischen hätte. [166] Nationen und Zeitalter zu charakterisieren, das Große groß zu zeichnen, das ist das eigentliche Talent des poetischen Tacitus. In historischen Porträten ist der kritische Suetonius der größere Meister.

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[167] Fast alle Kunsturteile sind zu allgemein oder zu speziell. Hier in ihren eignen Produkten sollten die Kritiker die schöne Mitte suchen, und nicht in den Werken der Dichter.

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[168] Cicero würdigt die Philosophien nach ihrer Tauglichkeit für den Redner: ebenso läßt sich fragen, welche die angemessenste für den Dichter sei. Gewiß kein System, das mit den Aussprüchen des Gefühls und Gemeinsinnes im Widerspruch steht; oder das Wirkliche in Schein verwandelt; oder sich aller Entscheidung enthält; oder den Schwung zum Übersinnlichen hemmt; oder die Menschheit von den äußern Gegenständen erst zusammenbettelt. Also weder der Eudämonismus, noch der Fatalismus, noch der Idealismus, noch der Skeptizismus, noch der Materialismus, noch der Empirismus. Und welche Philosophie bleibt dem Dichter übrig? Die schaffende, die von der Freiheit, und dem Glauben an sie ausgeht, und dann zeigt wie der menschliche Geist sein Gesetz allem aufprägt, und wie die Welt sein Kunstwerk ist. [169] Das Demonstrieren a priori führt doch eine selige Beruhigung bei sich, während die Beobachtung immer etwas Halbes und Unvollendetes bleibt. Aristoteles machte durch den bloßen Begriff die Welt kugelrund: nicht das kleinste Eckchen heraus, oder hineinwärts ließ er ihr. Er zog deswegen auch die Kometen in die Atmosphäre der Erde, und fertigte die wahren Sonnensysteme der Pythagoräer kurz ab. Wie lange werden unsre Astronomen, die durch Herschelsche Teleskope sehen, zu tun haben, ehe sie wieder zu einer so bestimmten klaren und kugelrunden Einsicht über die Welt gelangen? [A.W.Schlegel] [170] Warum schreiben die deutschen Frauen nicht häufiger Romane? Was soll man daraus auf ihre Geschicklichkeit Romane zu spielen für einen Schluß ziehen? Hängen diese beiden Künste untereinander zusammen, oder steht diese mit jener in umgekehrtem Verhältnisse? Das letzte sollte man beinah aus dem Umstande vermuten, daß so viele Romane von englischen, so wenige von französischen Frauen herrühren. Oder sind die geistreichen und reizenden Französinnen in dem Fall affairierter Staatsmänner, die nicht anders dazu kommen ihre Memoiren zu schreiben, als wenn sie etwa des Dienstes entlassen werden? Und wann glaubt wohl solch ein weiblicher Geschäftsmann seinen Abschied zu haben? Bei der steifen Etikette der weiblichen Tugend in England, und dem zurückgezogenen Leben, wozu die Ungeschliffenheit des männlichen Umgangs die Frauen dort oft nötigt, scheint die häufige Romanenautorschaft der Engländerinnen auf das Bedürfnis freierer Verhältnisse zu deuten. Man sonnt sich wenigstens im Mondschein, wenn man durch das Spazierengehn am Tage seine Haut zu schwärzen fürchtet. [A.W.Schlegel] [171] Ein französischer Beurteiler hat in Hemsterhuys Schriften le flegme allemand gefunden; ein andrer nach einer französischen Übersetzung von Müllers Geschichte der Schweiz gemeint, das Buch enthalte gute Materialien für einen künftigen Geschichtschreiber. Solche überschwengliche Dummheiten sollten in den Jahrbüchern des menschlichen Geistes aufbewahrt werden, man kann sie mit allem Verstande nicht so erfinden. Sie haben auch die Ähnlichkeit mit genialischen Einfällen, daß jedes als Kommentar hinzugefügte Wort ihnen das Pikante nehmen würde. [A.W.Schlegel] [172] Man kann sagen, daß es ein charakteristisches Kennzeichen des dichtenden Genies ist, viel mehr zu wissen, als es weiß, daß es weiß. [A.W.Schlegel]

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[173] Im Styl des echten Dichters ist nichts Schmuck, alles notwendige Hieroglyphe. [A.W.Schlegel] [174] Die Poesie ist Musik für das innere Ohr, und Malerei für das innere Auge; aber gedämpfte Musik, aber verschwebende Malerei. [A.W.Schlegel] 5

[175] Mancher betrachtet Gemälde am liebsten mit verschloßnen Augen, damit die Fantasie nicht gestört werde. [A.W.Schlegel] [176] Von vielen Plafonds kann man recht eigentlich sagen, daß der Himmel voll Geigen hängt. [A.W.Schlegel]

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[177] Für die so oft verfehlte Kunst, Gemälde mit Worten zu malen, läßt sich im allgemeinen wohl keine andre Vorschrift erteilen, als mit der Manier, den Gegenständen gemäß, aufs mannichfaltigste zu wechseln. Manchmal kann der dargestellte Moment aus einer Erzählung lebendig hervorgehn. Zuweilen ist eine fast mathematische Genauigkeit in lokalen Angaben nötig. Meistens muß der Ton der Beschreibung das Beste tun, um den Leser über das Wie zu verständigen. Hierin ist Diderot Meister. Er musiziert viele Gemälde wie der Abt Vogler. [A.W.Schlegel] [178] Darf irgend etwas von deutscher Malerei im Vorhofe zu Raffaels Tempel aufgestellt werden, so kommen Albrecht Dürer und Holbein gewiß näher am Heiligtume zu stehn, als der gelehrte Mengs. [A.W.Schlegel]

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[179] Tadelt den beschränkten Kunstgeschmack der Holländer nicht. Fürs erste wissen sie ganz bestimmt was sie wollen. Fürs zweite haben sie sich ihre Gattungen selbst erschaffen. Läßt sich eins von beiden von der englischen Kunstliebhaberei rühmen? [A.W.Schlegel] [180] Die bildende Kunst der Griechen ist sehr schamhaft, wo es auf die Reinheit des Edlen ankommt; sie deutet zum Beispiel an nackten Figuren der Götter und Helden das irdische Bedürfnis auf das bescheidenste an. Freilich weiß sie nichts von einer gewissen halben Delikatesse, und zeigt daher die viehischen Lüste der Satyrn ohne alle Verhüllung. Jedes Ding muß in seiner Art bleiben. Diese unbezähmbaren Naturen waren schon durch ihre Gestalt aus der Menschheit hinausgestoßen. Ebenso war es vielleicht nicht bloß ein sinnliches, sondern ein sittliches Raffinement, das die Hermaphroditen erschuf. Da die Wollust einmal auf diesen Abweg geraten war, so dichtete man eigne ursprünglich dazu bestimmte Geschöpfe. [A.W.Schlegel] [181] Rubens’ Anordnung ist oft dithyrambisch, während die Gestalten träge und auseinander geschwommen bleiben. Das Feuer seines Geistes kämpft mit der klimatischen Schwerfälligkeit. Wenn in seinen Gemälden mehr innre Harmonie sein sollte, mußte er weniger Schwungkraft haben, oder kein Flamänder sein. [A.W.Schlegel] [182] Sich eine Gemäldeausstellung von einem Diderot beschreiben lassen, ist ein wahrhaft kaierlicher Luxus. [A.W.Schlegel] [183] Hogarth hat die Häßlichkeit gemalt, und über die Schönheit geschrieben. [A.W.Schlegel]

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[184] Peter Laars Bambocciaten sind niederländische Kolonisten in Italien. Das heißere Klima scheint ihr Kolorit gebräunt, Charakter und Ausdruck aber durch rüstigere Kraft veredelt zu haben. [A.W.Schlegel] [185] Der Gegenstand kann die Dimensionen vergessen machen: man fand es nicht unschicklich, daß der Olympische Jupiter nicht aufstehen durfte, weil er das Dach eingestoßen hätte, und Herkules auf einem geschnittnen Steine erscheint noch übermenschlich groß. Über den Gegenstand können nur verkleinernde Dimensionen täuschen. Das Gemeine wird durch eine kolossale Ausführung gleichsam multipliziert. [A.W.Schlegel]

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[186] Wir lachen mit Recht über die Chinesen, die beim Anblick europäischer Porträte mit Licht und Schatten, fragten, ob die Personen denn wirklich so fleckig wären? Aber würden wir es wagen, über einen alten Griechen zu lächeln, dem man ein Stück mit Rembrandtschen Helldunkel gezeigt, und der in seiner Unschuld gemeint hätte: so malte man wohl im Lande der Cimmerier? [A.W.Schlegel]

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[187] Kein kräftigeres Mittel gegen niedrige Wollust als Anbetung der Schönheit. Alle höhere bildende Kunst ist daher keusch, ohne Rücksicht auf die Gegenstände; sie reinigt die Sinne, wie die Tragödie nach Aristoteles die Leidenschaften. Ihre zufälligen Wirkungen kommen hiebei nicht in Betracht, denn in schmutzigen Seelen kann selbst eine Vestalin Begierden erregen. [A.W.Schlegel]

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[188] Gewisse Dinge bleiben unübertroffen, weil die Bedingungen, unter denen sie erreicht werden, zu herabwürdigend sind. Wenn nicht etwa einmal ein versoffner Gastwirt wie Jan Steen ein Künstler wird, einem Künstler kann man nicht zumuten ein versoffner Gastwirt zu werden. [A.W.Schlegel]

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[189] Das wenige, was in Diderots Essai sur la peinture nicht taugt, ist das Sentimentale. Er hat aber den Leser, den es irre führen könnte, durch seine unvergleichliche Frechheit selbst zurecht gewiesen. [A.W.Schlegel]

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[190] Die einförmigste und flachste Natur erzieht am besten zum Landschaftsmaler. Man denke an den Reichtum der holländischen Kunst in diesem Fache. Armut macht haushälterisch: es bildet sich ein genügsamer Sinn, den selbst der leiseste Wink höheres Lebens in der Natur erfreut. Wenn der Künstler dann auf Reisen romantische Szenen kennen lernt, so wirken sie desto mächtiger auf ihn. Auch die Einbildungskraft hat ihre Antithesen: der größte Maler schauerlicher Wüsteneien, Salvator Rosa, war zu Neapel geboren. [A.W.Schlegel]

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[191] Die Alten, scheint es, liebten auch in der Miniatur das Unvergängliche: die Steinschneidekunst ist die Miniatur der Bildnerei. [A.W.Schlegel] [192] Die alte Kunst selbst will nicht ganz wiederkommen, so rastlos auch die Wissenschaft alle angehäuften Schätze der Natur bearbeitet. Zwar scheint es oft: aber es fehlt immer noch etwas, nämlich grade das, was nur aus dem Leben kommt und was kein Modell geben kann. Die Schicksale der alten Kunst indessen kommen mit buchstäblicher Genauigkeit wieder. Es ist als sei der Geist des Mummius, der seine Kennerschaft an den korinthischen Kunstschätzen so gewaltig übte, jetzt von den Toten auferstanden. [A.W.Schlegel]

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[193] Wenn man sich nicht durch Künstlernamen und gelehrte Anspielungen blenden läßt, so findet man bei alten und neuen Dichtern den Sinn für bildende Kunst seltner als man erwarten sollte. Pindar kann vor allen der plastische unter den Dichtern heißen, und der zarte Styl der alten Vasengemälde erinnert an seine dorische Weichheit und süße Pracht. Propertius, der in acht Zeilen ebensoviel Künstler charakterisieren konnte, ist eine Ausnahme unter den Römern. Dante zeigt durch seine Behandlung des Sichtbaren große Maleranlagen, doch hat er mehr Bestimmtheit der Zeichnung als Perspektive. Es fehlte ihm an Gegenständen, diesen Sinn zu üben: denn die neuere Kunst war damals in ihrer Kindheit, die alte lag noch im Grabe. Aber was brauchte der von Malern zu lernen, von dem Michelangelo lernen konnte? Im Ariost trifft man auf starke Spuren, daß er im blühendsten Zeitalter der Malerei lebte, sein Geschmack daran hat ihn bei Schilderung der Schönheit manchmal über die Grenzen der Poesie fortgerissen. Bei Goethen ist dies nie der Fall. Er macht die bildenden Künste manchmal zum Gegenstande seiner Dichtungen, außerdem ist ihre Erwähnung darin niemals angebracht, oder herbeigezogen. Die Fülle des ruhigen Besitzes drängt sich nicht an den Tag, sie verheimlicht sich auch nicht. Alle solche Stellen hinweggenommen, würde doch die Kunstliebe und Einsicht des Dichters, in der Gruppierung seiner Figuren, in der einfachen Großheit seiner Umrisse unverkennbar sein. [A.W.Schlegel]

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[194] Als ein Merkmal der Echtheit antiker Münzen kennt man in der Numismatik den sogenannten edlen Rost. Die verfälschende Kunst hat alles besser nachahmen gelernt, als dies Gepräge der Zeiten. Solch einen edlen Rost gibt es auch an Menschen, Helden, Weisen, Dichtern. Johannes Müller ist ein vortrefflicher Numismatiker des Menschengeschlechts. [A.W.Schlegel]

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[195] Hat Condorcet sich nicht ein schöneres Denkmal gesetzt, da er, von Todesgefahren umringt, sein Buch von den progrès de l’esprit humain schrieb, als wenn er die kurze Frist dazu angewandt hätte, sein endliches Individuum statt jener unendlichen Aussichten hinzustellen? Wie konnte er besser an die Nachwelt appellieren, als durch das Vergessen seiner selbst im Umgange mit ihr? [A.W.Schlegel]

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[196] Reine Autobiographien werden geschrieben: entweder von Nervenkranken, die immer an ihr Ich gebannt sind, wohin Rousseau mit gehört; oder von einer derben künstlerischen oder abenteuerlichen Eigenliebe, wie die des Benvenuto Cellini; oder von gebornen Geschichtsschreibern, die sich selbst nur ein Stoff historischer Kunst sind; oder von Frauen, die auch mit der Nachwelt kokettieren; oder von sorglichen Gemütern, die vor ihrem Tode noch das kleinste Stäubchen in Ordnung bringen möchten, und sich selbst nicht ohne Erläuterungen aus der Welt gehen lassen können; oder sie sind ohne weiteres bloß als plaidoyers vor dem Publikum zu betrachten. Eine große Klasse unter den Autobiographen machen die Autopseusten aus.

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[197] Schwerlich hat irgend eine andre Literatur so viele Ausgeburten der Originalitätssucht aufzuweisen als unsre. Es zeigt sich auch hierin daß wir Hyperboreer sind. Bei den Hyperboreern wurden nämlich dem Apollo Esel geopfert, an deren wunderlichen Sprüngen er sich ergötzte. [A.W.Schlegel]

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[198] Ehedem wurde unter uns die Natur, jetzt wird das Ideal ausschließend gepredigt. Man vergißt zu oft, daß diese Dinge innig vereinbar sind, daß in der schönen Darstellung die Natur idealisch und das Ideal natürlich sein soll. [A. W. Schlegel] [199] Die Meinung von der Erhabenheit des englischen Nationalcharakters ist unstreitig zuerst durch die Gastwirte veranlaßt; aber Romane und Schauspiele haben sie begünstigt, und dadurch einen nicht zu verwerfenden Beitrag zu der Lehre von der erhabenen Lächerlichkeit geliefert. [A.W.Schlegel] [200] „Ich will einem Narren niemals trauen“ sagt ein sehr gescheiter Narr beim Shakespeare, „bis ich sein Gehirn sehe.“ Man möchte diese Bedingung des Zutrauens gewissen angeblichen Philosophen zumuten; was gilts, man fände papier maché aus Kantischen Schriften verfertigt. [A.W.Schlegel] [201] Diderot ist im Fatalisten, in den Versuchen über die Malerei, und überall wo er recht Diderot ist, bis zur Unverschämtheit wahr. Er hat die Natur nicht selten im reizenden Nachtkleide überrascht, er hat sie mitunter auch ihre Notdurft verrichten sehen. [A.W.Schlegel]

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[202] Seit die Notwendigkeit des Ideals in der Kunst so dringend eingeschärft worden ist, sieht man die Lehrlinge treuherzig hinter diesem Vogel herlaufen, um ihm, so bald sie etwa nahe genug wären, das Salz der Ästhetik auf den Schwanz zu streuen. [A.W.Schlegel]

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[203] Moritz liebte den griechischen Gebrauch der geschlechtlosen Adjektive für Abstrakte, und suchte etwas Geheimnisvolles darin. Man könnte in seiner Sprache von der Mythologie und Anthusa sagen, daß das Menschliche dem Heiligen sich hier überall zu nähern und das Denkende im Sinnbildlichen sich wieder zu erkennen sucht, aber sich manchmal selbst nicht versteht. [A.W.Schlegel]

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[204] Mag es noch so gut sein, was jemand vom Katheder herab sagt: die beste Freude ist weg, weil man ihm nicht drein reden darf. Ebenso mit dem lehrhaften Schriftsteller. [A.W.Schlegel] [205] Sie pflegen sich selbst die Kritik zu nennen. Sie schreiben kalt, flach, vornehmtuend und über alle Maßen wässericht. Natur, Gefühl, Adel und Größe des Geistes sind für sie gar nicht vorhanden, und doch tun sie, als könnten sie diese Dinge vor ihr Richterstühlchen laden. Nachahmungen der ehemaligen französischen Schönenweltsversemacherei, sind das äußerste Ziel ihrer lauwarmen Bewunderung. Korrektheit gilt ihnen für Tugend. Geschmack ist ihr Idol; ein Götze dem man nur ohne Freude dienen darf. – Wer erkennt nicht in diesem Porträt die Priester im Tempel der schönen Wissenschaften, welche von dem Geschlecht sind wie die Priester der Cybele? [A.W.Schlegel]

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[206] Ein Fragment muß gleich einem kleinen Kunstwerke von der umgebenden Welt ganz abgesondert und in sich selbst vollendet sein wie ein Igel. [207] Die Freigeisterei geht immer in dieser Stufenleiter fort: zuerst wird der Teufel angegriffen, dann der heilige Geist, demnächst der Herr Christus, und zuletzt Gott der Vater. [A.W.Schlegel]

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[208] Es gibt Tage wo man sehr glücklich gestimmt ist, und leicht neue Entwürfe machen, sie aber eben so wenig mitteilen, als wirklich etwas hervorbringen kann. Nicht Gedanken sind es; nur Seelen von Gedanken. [A.W.Schlegel] 5

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[209] Sollte sich eine durch Konvenienzen gefesselte Sprache, wie etwa die französische, nicht durch einen Machtanspruch des allgemeinen Willens republikanisieren können? Die Herrschaft der Sprache über die Geister ist offenbar: aber ihre heilige Unverletzlichkeit folgt daraus ebenso wenig, als man im Naturrecht den ehemals behaupteten göttlichen Ursprung aller Staatsgewalt gelten lassen kann. [A.W.Schlegel] [210] Man erzählt, Klopstock habe den französischen Dichter Rouget de Lisle, der ihn besuchte, mit der Anrede begrüßt: wie er es wage in Deutschland zu erscheinen, da sein Marseiller Marsch funfzigtausend braven Deutschen das Leben gekostet? Dieser Vorwurf war unverdient. Schlug Simson die Philister nicht mit einem Eselskinnbacken? Hat aber der Marseiller Marsch wirklich Anteil an den Siegen Frankreichs, so hat wenigstens Rouget de Lisle die mörderische Gewalt seiner Poesie in diesem einen Stücke erschöpft: mit allen seinen übrigen zusammengenommen, würde man keine Fliege tot schlagen. [A.W.Schlegel] [211] Die Menge nicht zu achten, ist sittlich; sie zu ehren, ist rechtlich.

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[212] Wert ist vielleicht kein Volk der Freiheit, aber das gehört vor das forum Dei. [213] Nur derjenige Staat verdient Aristokratie genannt zu werden, in welchem wenigstens die kleinere Masse, welche die größere despotisiert, eine republikanische Verfassung hat.

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[214] Die vollkommne Republik müßte nicht bloß demokratisch, sondern zugleich auch aristokratisch und monarchisch sein; innerhalb der Gesetzgebung der Freiheit und Gleichheit müßte das Gebildete das Ungebildete überwiegen und leiten, und alles sich zu einem absoluten Ganzen organisieren. [215] Kann eine Gesetzgebung wohl sittlich heißen, welche die Angriffe auf die Ehre der Bürger weniger hart bestraft, als die auf ihr Leben?

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[216] Die Französische Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre, und Goethes Meister sind die größten Tendenzen des Zeitalters. Wer an dieser Zusammenstellung Anstoß nimmt, wem keine Revolution wichtig scheinen kann, die nicht laut und materiell ist, der hat sich noch nicht auf den hohen weiten Standpunkt der Geschichte der Menschheit erhoben. Selbst in unsern dürftigen Kulturgeschichten, die meistens einer mit fortlaufendem Kommentar begleiteten Variantensammlung, wozu der klassische Text verloren ging, gleichen, spielt manches kleine Buch, von dem die lärmende Menge zu seiner Zeit nicht viel Notiz nahm, eine größere Rolle, als alles, was diese trieb. [217] Altertümlichkeit der Worte, und Neuheit der Wortstellungen, gedrungne Kürze und nebenausbildende Fülle, die auch die unerklärlichern Züge der charakterisierten Individuen wiedergibt; das sind die wesentlichen Eigenschaften des historischen Styls. Die wesentlichste von allen ist Adel, Pracht, Würde. Vornehm

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wird der historische Styl durch die Gleichartigkeit und Reinheit einheimischer Worte von echtem Stamm, und durch Auswahl der bedeutendsten, gewichtigsten und kostbarsten; durch groß gezeichneten, und deutlich, lieber zu hart als unklar, artikulierten Periodenbau, wie der des Thucydides; durch nackte Gediegenheit, erhabene Eil und großartige Fröhlichkeit der Stimmung und Farbe, nach Art des Caesar; besonders aber durch jene innige und hohe Bildung eines Tacitus, welche die trocknen Fakta der reinen Empirie so poetisieren, urbanisieren und zur Philosophie erheben, läutern und generalisieren muß, als sei sie von einem der zugleich ein vollendeter Denker, Künstler, und Held wäre, aufgefaßt, und vielfach durchgearbeitet, ohne daß doch irgendwo rohe Poesie, reine Philosophie oder isolierter Witz die Harmonie störte. Das alles muß in der Historie verschmolzen sein, wie auch die Bilder und Antithesen nur angedeutet oder wieder aufgelöst sein müssen, damit der schwebende und fließende Ausdruck dem lebendigen Werden der beweglichen Gestalten entspreche. [218] Man wundert sich immer mißtrauisch, wenn man zu wissen scheint: das und das wird so sein. Und doch ist es grade ebenso wunderbar, daß wir wissen können: das und das ist so; was niemanden auffällt, weil es immer geschieht. [219] Im Gibbon hat sich die gemeine Bigotterie der engländischen Pedanten für die Alten auf klassischem Boden bis zu sentimentalen Epigrammen über die Ruinen der versunknen Herrlichkeit veredelt, doch konnte sie ihre Natur nicht ganz ablegen. Er zeigt verschiedentlich für die Griechen gar keinen Sinn gehabt zu haben. Und an den Römern liebt er doch eigentlich nur die materielle Pracht, vorzüglich aber, nach Art seiner zwischen Merkantilität und Mathematik geteilten Nation, die quantitative Erhabenheit. Die Türken sollte man denken, hätten es ihm eben auch getan. [220] Ist aller Witz Prinzip und Organ der Universalphilosophie, und alle Philosophie nichts andres als der Geist der Universalität, die Wissenschaft aller sich ewig mischenden und wieder trennenden Wissenschaften, eine logische Chemie: so ist der Wert und die Würde jenes absoluten, enthusiastischen, durch und durch materialen Witzes, worin Baco und Leibniz, die Häupter der scholastischen Prosa, jener einer der ersten, dieser einer der größten Virtuosen war, unendlich. Die wichtigsten wissenschaftlichen Entdeckungen sind bonmots der Gattung. Das sind sie durch die überraschende Zufälligkeit ihrer Entstehung, durch das Kombinatorische des Gedankens, und durch das Barocke des hingeworfenen Ausdrucks. Doch sind sie dem Gehalt nach freilich weit mehr als die sich in Nichts auflösende Erwartung des rein poetischen Witzes. Die besten sind echappées de vue ins Unendliche. Leibnizens gesamte Philosophie besteht aus wenigen in diesem Sinne witzigen Fragmenten und Projekten. Kant der Kopernikus der Philosophie hat von Natur vielleicht noch mehr synkretistischen Geist und kritischen Witz als Leibniz: aber seine Situation und seine Bildung ist nicht sehr witzig; auch geht es seinen Einfällen wie beliebten Melodien: die Kantianer haben sie tot gesungen; daher kann man ihm leicht Unrecht tun, und ihn für weniger witzig halten, als er ist. Freilich ist die Philosophie erst dann in einer guten Verfassung, wenn sie nicht mehr auf genialische Einfälle zu warten, und zu rechnen braucht,

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und zwar nur durch enthusiastische Kraft, und mit genialischer Kunst aber doch in sicherer Methode stetig fortschreiten kann. Aber sollen wir die einzigen noch vorhandenen Produkte des synthesierenden Genies darum nicht achten, weil es noch keine kombinatorische Kunst und Wissenschaft gibt? Und wie kann es diese geben, so lange wir die meisten Wissenschaften nur noch buchstabieren wie Quintaner, und uns einbilden, wir wären am Ziel, wenn wir in einem der vielen Dialekte der Philosophie deklinieren und konjugieren können, und noch nichts von Syntax ahnden, noch nicht den kleinsten Perioden konstruieren können? [221] A. Sie behaupten immer Sie wären ein Christ. Was verstehn Sie unter Christentum? – B. Was die Christen als Christen seit achtzehn Jahrhunderten machen, oder machen wollen. Der Christianismus scheint mir ein Faktum zu sein. Aber ein erst angefangnes Faktum, das also nicht in einem System historisch dargestellt, sondern nur durch divinatorische Kritik charakterisiert werden kann. [222] Der revolutionäre Wunsch, das Reich Gottes zu realisieren, ist der elastische Punkt der progressiven Bildung, und der Anfang der modernen Geschichte. Was in gar keiner Beziehung aufs Reich Gottes steht, ist in ihr nur Nebensache. [223] Die sogenannte Staatenhistorie, welche nichts ist als eine genetische Definition vom Phänomen des gegenwärtigen politischen Zustandes einer Nation, kann nicht für eine reine Kunst oder Wissenschaft gelten. Sie ist ein wissenschaftliches Gewerbe, das durch Freimütigkeit und Opposition gegen Faustrecht und Mode geadelt werden kann. Auch die Universalhistorie wird sophistisch, sobald sie dem Geiste der allgemeinen Bildung der ganzen Menschheit irgendetwas vorzieht, wäre auch eine moralische Idee das heteronomische Prinzip, sobald sie für eine Seite des historischen Universums Partei nimmt; und nichts stört mehr in einer historischen Darstellung als rhetorische Seitenblicke und Nutzanwendungen. [224] Johannes Müller tut in seiner Geschichte oft Blicke aus der Schweiz in die Weltgeschichte; seltner aber betrachtet er die Schweiz mit dem Auge eines Weltbürgers. [A.W.Schlegel]

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[225] Strebt eine Biographie zu generalisieren, so ist sie ein historisches Fragment. Konzentriert sie sich ganz darauf, die Individualität zu charakterisieren: so ist sie eine Urkunde oder ein Werk der Lebenskunstlehre. [226] Da man immer so sehr gegen die Hypothesen redet, so sollte man doch einmal versuchen, die Geschichte ohne Hypothese anzufangen. Man kann nicht sagen, daß etwas ist, ohne zu sagen, was es ist. Indem man sie denkt, bezieht man Fakta schon auf Begriffe, und es ist doch wohl nicht einerlei, auf welche. Weiß man dies, so bestimmt und wählt man sich selbst unter den möglichen Begriffen die notwendigen, auf die man Fakta jeder Art beziehen soll. Will man es nicht anerkennen, so bleibt die Wahl dem Instinkt, dem Zufall, oder der Willkür überlassen, man schmeichelt sich reine solide Empirie ganz a posteriori zu haben, und hat eine höchst einseitige, höchst dogmatizistische und transzendente Ansicht a priori. [227] Der Schein der Regellosigkeit in der Geschichte der Menschheit entsteht nur durch die Kollisionsfälle heterogener Sphären der Natur, die hier alle zusam-

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mentreffen und ineinander greifen. Denn sonst hat die unbedingte Willkür in diesem Gebiet der freien Notwendigkeit und notwendigen Freiheit, weder konstitutive noch legislative Gewalt, und nur den täuschenden Titel der exekutiven und richterlichen. Der skizzierte Gedanke einer historischen Dynamik macht dem Geiste des Condorcet so viel Ehre, als seinem Herzen der mehr als französische Enthusiasmus für die beinah trivial gewordene Idee der unendlichen Vervollkommnung.

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[228] Die historische Tendenz seiner Handlungen bestimmt die positive Sittlichkeit des Staatsmanns und Weltbürgers. [229] Die Araber sind eine höchst polemische Natur, die Annihilanten unter den Nationen. Ihre Liebhaberei, die Originale zu vertilgen, oder wegzuwerfen, wenn die Übersetzung fertig war, charakterisiert den Geist ihrer Philosophie. Eben darum waren sie vielleicht unendlich kultivierter, aber bei aller Kultur rein barbarischer als die Europäer des Mittelalters. Barbarisch ist nämlich, was zugleich antiklassisch, und antiprogressiv ist.

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[230] Die Mysterien des Christianismus mußten durch den unaufhörlichen Streit, in den sie Vernunft und Glauben verwickelten, entweder zur skeptischen Resignation auf alles nicht empirische Wissen, oder auf kritischen Idealismus führen. [231] Der Katholizismus ist das naive Christentum; der Protestantismus ist sentimentales, und hat außer seinem polemischen revolutionären Verdienst auch noch das positive, durch die Vergötterung der Schrift die einer universellen und progressiven Religion auch wesentliche Philologie veranlaßt zu haben. Nur fehlt es dem protestantischen Christentum vielleicht noch an Urbanität. Einige biblische Historien in ein Homerisches Epos zu travestieren, andre mit der Offenheit des Herodot und der Strenge des Tacitus im Styl der klassischen Historie darzustellen, oder die ganze Bibel als das Werk Eines Autors zu rezensieren; das würde allen paradox, vielen ärgerlich, einigen doch unschicklich und überflüssig scheinen. Aber darf irgendetwas wohl überflüssig scheinen, was die Religion liberaler machen könnte? [232] Da alle Sachen die recht Eins sind, zugleich Drei zu sein pflegen, so läßt sich nicht absehen warum es mit Gott grade anders sein sollte. Gott ist aber nicht bloß ein Gedanke, sondern zugleich auch eine Sache, wie alle Gedanken, die nicht bloße Einbildungen sind. [233] Die Religion ist meistens nur ein Supplement oder gar ein Surrogat der Bildung, und nichts ist religiös in strengem Sinne, was nicht ein Produkt der Freiheit ist. Man kann also sagen: Je freier, je religiöser; und je mehr Bildung, je weniger Religion. [234] Es ist sehr einseitig und anmaßend, daß es grade nur Einen Mittler geben soll. Für den vollkommnen Christen, dem sich in dieser Rücksicht der einzige Spinosa am meisten nähern dürfte, müßte wohl alles Mittler sein. [235] Christus ist jetzt verschiedentlich a priori deduziert worden: aber sollte die Madonna nicht ebensoviel Anspruch haben, auch ein ursprüngliches, ewiges,

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notwendiges Ideal wenn gleich nicht der reinen, doch der weiblichen und männlichen Vernunft zu sein?

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[236] Es ist ein grobes, doch immer noch gemeines Mißverständnis, daß man glaubt, um ein Ideal darzustellen, müsse ein so zahlreiches Aggregat von Tugenden wie möglich auf einen Namen zusammengepackt, ein ganzes Kompendium der Moral in einem Menschen aufgestellt werden; wodurch nichts erlangt wird als Auslöschung der Individualität und Wahrheit. Das Ideale liegt nicht in der Quantität sondern in der Qualität. Grandison ist ein Exempel, und kein Ideal. [A.W.Schlegel] [237] Humor ist gleichsam der Witz der Empfindung. Er darf sich daher mit Bewußtsein äußern: aber er ist nicht echt, sobald man Vorsatz dabei wahrnimmt. [A.W.Schlegel] [238] Es gibt eine Poesie, deren eins und alles das Verhältnis des Idealen und des Realen ist, und die also nach der Analogie der philosophischen Kunstsprache Transzendentalpoesie heißen müßte. Sie beginnt als Satire mit der absoluten Verschiedenheit des Idealen und Realen, schwebt als Elegie in der Mitte, und endigt als Idylle mit der absoluten Identität beider. So wie man aber wenig Wert auf eine Transzendentalphilosophie legen würde, die nicht kritisch wäre, nicht auch das Produzierende mit dem Produkt darstellte, und im System der transzendentalen Gedanken zugleich eine Charakteristik des transzendentalen Denkens enthielte: so sollte wohl auch jene Poesie die in modernen Dichtern nicht seltnen transzendentalen Materialien und Vorübungen zu einer poetischen Theorie des Dichtungsvermögens mit der künstlerischen Reflexion und schönen Selbstbespiegelung, die sich im Pindar, den lyrischen Fragmenten der Griechen, und der alten Elegie, unter den Neuern aber in Goethe findet, vereinigen, und in jeder ihrer Darstellungen sich selbst mit darstellen, und überall zugleich Poesie und Poesie der Poesie sein. [239] Bei der Liebe der alexandrinischen und römischen Dichter für schwierigen und unpoetischen Stoff liegt doch der große Gedanke zum Grunde: daß alles poetisiert werden soll: keineswegs als Absicht der Künstler, aber als historische Tendenz der Werke. Und bei der Mischung aller Kunstarten der poetischen Eklektiker des spätern Altertums, die Foderung, daß es nur Eine Poesie geben solle wie Eine Philosophie. [240] Im Aristophanes ist die Immoralität gleichsam legel, und in den Tragikern ist die Illegalität moralisch.

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[241] Wie bequem ist es doch daß mythologische Wesen allerlei bedeuten, was man sich zueignen möchte! Indem man unaufhörlich von ihnen spricht, glaubt einen der gutmütige Leser im Besitz der bezeichneten Eigenschaft. Einer oder der andre von unsern Dichtern wäre ein geschlagner Mann, wenn es keine Grazien gäbe. [A.W.Schlegel]

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[242] Wenn jemand die Alten in Masse charakterisieren will, das findet niemand paradox; und doch, so wenig wissen sie meistens was sie meinen, würde es ihnen auffallen wenn man behauptete: die alte Poesie sei ein Individuum im strengsten und buchstäblichsten Sinne des Worts; markierter von Physiognomie, origineller

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an Manieren und konsequenter in ihren Maximen als ganze Summen solcher Phänomene, welche wir in rechtlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen für Personen, ja sogar für Individuen gelten lassen müssen und gelten lassen sollen. Kann man etwas andres charakterisieren als Individuen? Ist, was sich auf einem gewissen gegebnen Standpunkte nicht weiter multiplizieren läßt, nicht ebenso gut eine historische Einheit, als was sich nicht weiter dividieren läßt? Sind nicht alle Systeme Individuen, wie alle Individuen auch wenigstens im Keime und der Tendenz nach Systeme? Ist nicht alle reale Einheit historisch? Gibt es nicht Individuen, die ganze Systeme von Individuen in sich enthalten? [243] Das Trugbild einer gewesenen goldnen Zeit ist eins der größten Hindernisse gegen die Annäherung der goldnen Zeit die noch kommen soll. Ist die goldne Zeit gewesen, so war sie nicht recht golden. Gold kann nicht rosten, oder verwittern: es geht aus allen Vermischungen und Zersetzungen unzerstörbar echt wieder hervor. Will die goldne Zeit nicht ewig fortgehend beharren, so mag sie lieber gar nicht anheben, so taugt sie nur zu Elegien über ihren Verlust. [A. W. Schlegel]

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[244] Die Komödien des Aristophanes sind Kunstwerke, die sich von allen Seiten sehen lassen. Gozzis Dramen haben einen Gesichtspunkt. [245] Ein Gedicht oder ein Drama, welches der Menge gefallen soll, muß ein wenig von allem haben, eine Art Mikrokosmus sein. Ein wenig Unglück und ein wenig Glück, etwas Kunst, und etwas Natur, die gehörige Quantität Tugend und eine gewisse Dosis Laster. Auch Geist muß drin sein nebst Witz, ja sogar Philosophie, und vorzüglich Moral, auch Politik mitunter. Hilft ein Ingrediens nicht, so kann vielleicht das andre helfen. Und gesetzt auch, das Ganze könnte nicht helfen, so könnte es doch auch, wie manche darum immer zu lobende Medizin, wenigstens nicht schaden. [246] Magie, Karikatur, und Materialität sind die Mittel durch welche die moderne Komödie der alten Aristophanischen im Innern, wie durch demagogische Popularität im Äußern, ähnlich werden kann, und im Gozzi bis zur Erinnerung geworden ist. Das Wesen der komischen Kunst aber bleibt immer der enthusiastische Geist und die klassische Form. [247] Dantes prophetisches Gedicht ist das einzige System der transzendentalen Poesie, immer noch das höchste seiner Art. Shakespeares Universalität ist wie der Mittelpunkt der romantischen Kunst. Goethes rein poetische Poesie ist die vollständigste Poesie der Poesie. Das ist der große Dreiklang der modernen Poesie, der innerste und allerheiligste Kreis unter allen engern und weitern Sphären der kritischen Auswahl der Klassiker der neuern Dichtkunst. [248] Die einzelnen Großen stehen weniger isoliert unter den Griechen und Römern. Sie hatten weniger Genies, aber mehr Genialität. Alles Antike ist genialisch. Das ganze Altertum ist ein Genius, der einzige den man ohne Übertreibung absolut groß, einzig und unerreichbar nennen darf. [249] Der dichtende Philosoph, der philosophierende Dichter ist ein Prophet. Das didaktische Gedicht sollte prophetisch sein, und hat auch Anlage, es zu werden.

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[250] Wer Fantasie, oder Pathos, oder mimisches Talent hat, müßte die Poesie lernen können, wie jedes andre Mechanische. Fantasie ist zugleich Begeistrung und Einbildung; Pathos ist Seele und Leidenschaft; Mimik ist Blick und Ausdruck. 5

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[251] Wie viele gibt es nicht jetzt, die zu weich und gutmütig sind, um Tragödien sehen zu können, und zu edel und würdig, um Komödien hören zu wollen. Ein großer Beweis für die zarte Sittlichkeit unsers Jahrhunderts, welches die Französische Revolution nur hat verleumden wollen. [252] Eine eigentliche Kunstlehre der Poesie würde mit der absoluten Verschiedenheit der ewig unauflöslichen Trennung der Kunst und der rohen Schönheit anfangen. Sie selbst würde den Kampf beider darstellen, und mit der vollkommnen Harmonie der Kunstpoesie und Naturpoesie endigen. Diese findet sich nur in den Alten, und sie selbst würde nichts anders sein, als eine höhere Geschichte vom Geist der klassischen Poesie. Eine Philosophie der Poesie überhaupt aber, würde mit der Selbständigkeit des Schönen beginnen, mit dem Satz, daß es vom Wahren und Sittlichen getrennt sei und getrennt sein solle, und daß es mit diesem gleiche Rechte habe; welches für den, der es nur überhaupt begreifen kann, schon aus dem Satz folgt, daß Ich = Ich sei. Sie selbst würde zwischen Vereinigung und Trennung der Philosophie und der Poesie, der Praxis und der Poesie, der Poesie überhaupt und der Gattungen und Arten schweben, und mit der völligen Vereinigung enden. Ihr Anfang gäbe die Prinzipien der reinen Poetik, ihre Mitte die Theorie der besondern eigentümlich modernen Dichtarten, der didaktischen, der musikalischen, der rhetorischen im höhern Sinn u. s. w. Eine Philosophie des Romans, deren erste Grundlinien Platos politische Kunstlehre enthält, wäre der Schlußstein. Flüchtigen Dilettanten ohne Enthusiasmus, und ohne Belesenheit in den besten Dichtern aller Art freilich müßte eine solche Poetik vorkommen, wie einem Kinde, das bildern wollte, ein trigonometrisches Buch. Die Philosophie über einen Gegenstand kann nur der brauchen, der den Gegenstand kennt, oder hat; nur der wird begreifen können, was sie will und meint. Erfahrungen und Sinne kann die Philosophie nicht inokulieren oder anzaubern. Sie soll es aber auch nicht wollen. Wer es schon gewußt hat, der erfährt freilich nichts Neues von ihr; doch wird es ihm erst durch sie ein Wissen und dadurch neu von Gestalt. [253] In dem edleren und ursprünglichen Sinne des Worts Korrekt, da es absichtliche Durchbildung und Nebenausbildung des Innersten und Kleinsten im Werke nach dem Geist des Ganzen, praktische Reflexion des Künstlers, bedeutet, ist wohl kein moderner Dichter korrekter als Shakespeare. So ist er auch systematisch wie kein andrer: bald durch jene Antithesen, die Individuen, Massen, ja Welten in malerischen Gruppen kontrastieren lassen; bald durch musikalische Symmetrie desselben großen Maßstabes, durch gigantische Wiederholungen und Refrains; oft durch Parodie des Buchstabens und durch Ironie über den Geist des romantischen Drama und immer durch die höchste und vollständigste Individualität und die vielseitigste alle Stufen der Poesie von der sinnlichsten Nachahmung bis zur geistigsten Charakteristik vereinigende Darstellung derselben.

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[254] Noch ehe Hermann und Dorothea erschien, verglich man es mit Vossens Luise; die Erscheinung hätte der Vergleichung ein Ende machen sollen; allein sie wird jenem Gedicht immer noch richtig als Empfehlungsschreiben an das Publikum mit auf den Weg gegeben. Bei der Nachwelt wird es Luisen empfehlen können, daß sie Dorotheen zur Taufe gehalten hat. [A.W.Schlegel] [255] Je mehr die Poesie Wissenschaft wird, je mehr wird sie auch Kunst. Soll die Poesie Kunst werden, soll der Künstler von seinen Mitteln und seinen Zwekken, ihren Hindernissen und ihren Gegenständen gründliche Einsicht und Wissenschaft haben, so muß der Dichter über seine Kunst philosophieren. Soll er nicht bloß Erfinder und Arbeiter sondern auch Kenner in seinem Fache sein, und seine Mitbürger im Reiche der Kunst verstehn können, so muß er auch Philolog werden. [256] Der Grundirrtum der sophistischen Ästhetik ist der, die Schönheit bloß für einen gegebnen Gegenstand, für ein psychologisches Phänomen zu halten. Sie ist freilich nicht bloß der leere Gedanke von etwas was hervorgebracht werden soll, sondern zugleich die Sache selbst, eine der ursprünglichen Handlungsweisen des menschlichen Geistes; nicht bloß eine notwendige Fiktion, sondern auch ein Faktum, nämlich ein ewiges transzendentales. [257] Die Gesellschaften der Deutschen sind ernsthaft; ihre Komödien und Satiren sind ernsthaft; ihre Kritik ist ernsthaft; ihre ganze schöne Literatur ist ernsthaft. Ist das Lustige bei dieser Nation immer nur unbewußt und unwillkürlich? [A.W.Schlegel] [258] Alle Poesie, die auf einen Effekt geht, und alle Musik, die der ekzentrischen Poesie in ihren komischen oder tragischen Ausschweifungen und Übertreibungen folgen will, um zu wirken und sich zu zeigen, ist rhetorisch. [259] A. Fragmente, sagen Sie, wären die eigentliche Form der Universalphilosophie. An der Form liegt nichts. Was können aber solche Fragmente für die größeste und ernsthafteste Angelegenheit der Menschheit, für die Vervollkommnung der Wissenschaft, leisten und sein? – B. Nichts als ein Lessingsches Salz gegen die geistige Fäulnis, vielleicht eine zynische lanx satura im Styl des alten Lucilius oder Horaz, oder gar fermenta cognitionis zur kritischen Philosophie, Randglossen zu dem Text des Zeitalters. [Fr. und A.W.Schlegel] [260] Wieland hat gemeint, seine beinah ein halbes Jahrhundert umfassende Laufbahn habe mit der Morgenröte unsrer Literatur angefangen, und endige mit ihrem Untergange. Ein recht offenes Geständnis eines natürlichen optischen Betrugs. [A.W.Schlegel] [261] Wie das Lebensmotto des poetischen Vagabunden in Claudine von Villabella „Toll aber klug“ auch der Charakter manches Werks des Genies ist: so ließe sich der entgegengesetzte Wahlspruch auf die geistlose Regelmäßigkeit anwenden: Vernünftig aber dumm. [A.W.Schlegel] [262] Jeder gute Mensch wird immer mehr und mehr Gott. Gott werden, Mensch sein, sich bilden, sind Ausdrücke, die einerlei bedeuten.

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[263] Echte Mystik ist Moral in der höchsten Dignität. [264] Man soll nicht mit allen symphilosophieren wollen, sondern nur mit denen die à la hauteur sind. 5

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[265] Einige haben Genie zur Wahrheit; viele haben Talent zum Irren. Ein Talent, dem eine ebenso große Industrie zur Seite steht. Wie zu einem Leckerbissen sind oft zu einem einzigen Irrtum die Bestandteile aus allen Weltgegenden des menschlichen Geistes mit unermüdlicher Kunst zusammengeholt. [266] Könnte es nicht noch vor Abfassung der logischen Konstitution eine provisorische Philosophie geben; und ist nicht alle Philosophie provisorisch, bis die Konstitution durch die Akzeptation sanktioniert ist? [267] Je mehr man schon weiß, je mehr hat man noch zu lernen. Mit dem Wissen nimmt das Nichtwissen in gleichem Grade zu, oder vielmehr das Wissen des Nichtwissens.

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[268] Was man eine glückliche Ehe nennt, verhält sich zur Liebe, wie ein korrektes Gedicht zu improvisiertem Gesang.

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[269] W. sagte von einem jungen Philosophen: Er trage einen Theorien-Eierstock im Gehirne, und lege täglich wie eine Henne seine Theorie; und das sei für ihn der einzig mögliche Ruhepunkt in seinem beständigen Wechsel von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung, welches eine fatigante Manoeuvre sein möchte. [A. W. Schlegel]

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[270] Leibniz ließ sich bekanntlich Augengläser von Spinosa machen; und das ist der einzige Verkehr, den er mit ihm oder mit seiner Philosophie gehabt hat. Hätte er sich doch auch Augen von ihm machen lassen, um in die ihm unbekannte Weltgegend der Philosophie, wo Spinosa seine Heimat hat, wenigstens aus der Ferne hinüber schauen zu können!

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[271] Vielleicht muß man um einen transzendentalen Gesichtspunkt für das Antike zu haben, erzmodern sein. Winckelmann hat die Griechen wie ein Grieche gefühlt. Hemsterhuys hingegen wußte modernen Umfang durch antike Einfachheit schön zu beschränken, und warf von der Höhe seiner Bildung, wie von einer freien Grenze, gleich seelenvolle Blicke in die alte, und in die neue Welt. [A.W.Schlegel] [272] Warum sollte es nicht auch unmoralische Menschen geben dürfen, so gut wie unphilosophische und unpoetische? Nur antipolitische oder unrechtliche Menschen können nicht geduldet werden.

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[273] Mystik ist was allein das Auge des Liebenden an dem Geliebten sieht. Jeder mag seine Mystik für sich haben, nur muß er sie auch für sich behalten. Es gibt wohl viele, die das schöne Altertum travestieren, gewiß aber auch einige die es mystifizieren, und also für sich behalten müssen. [A.W.Schlegel] Beides entfernt von dem Sinn in dem es rein genossen, und von dem Wege worauf es zurückgebracht werden kann. [274] Jede Philosophie der Philosophie, nach der Spinosa kein Philosoph ist, muß verdächtig scheinen.

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[275] Sie jammern immer, die deutschen Autoren schrieben nur für einen so kleinen Kreis, ja oft nur für sich selbst untereinander. Das ist recht gut. Dadurch wird die deutsche Literatur immer mehr Geist und Charakter bekommen. Und unterdessen kann vielleicht ein Publikum entstehen. [276] Leibniz war so sehr Moderantist, daß er auch das Ich, und Nicht-Ich, wie Katholizismus und Protestantismus verschmelzen wollte, und Tun und Leiden nur dem Grade nach verschieden hielt. Das heißt die Harmonie chargieren, und die Billigkeit bis zur Karikatur treiben. [Fr.Schlegel und Schleiermacher?] [277] An die Griechen zu glauben, ist eben auch eine Mode des Zeitalters. Sie hören gern genug über die Griechen deklamieren. Kommt aber einer und sagt: Hier sind welche; so ist niemand zu Hause.

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[278] Vieles was Dummheit scheint, ist Narrheit, die gemeiner ist, als man denkt. Narrheit ist absolute Verkehrtheit der Tendenz, gänzlicher Mangel an historischem Geist. [279] Leibnizens Methode der Jurisprudenz ist ihrem Zwecke nach eine allgemeine Ausstellung seiner Plane. Er hatte es auf alles angelegt: Praktiker, Kanzellist, Professor, Hofmeister. Das Eigne davon ist bloße Kombination des juristischen Stoffs mit der theologischen Form. Die Theodizee ist im Gegenteil eine Advokatenschrift in Sachen Gottes contra Bayle und Konsorten. [Schleiermacher] [280] Man hält es für ein Unglück, daß es kein bestimmtes Gefühl der physischen Gesundheit gibt, wohl aber der Krankheit. Wie weise diese Veranstaltung der Natur sei, sieht man aus dem Zustande der Wissenschaften, wo der Fall umgekehrt ist, und wo ein Wassersüchtiger, Hektischer und Gelbsüchtiger, wenn er sich mit einem Gesunden vergleicht, glaubt, es gäbe zwischen ihnen keinen andern Unterschied als den zwischen Fett und Mager oder Brünett und Blondin. [Schleiermacher] [281] Fichtes Wissenschaftslehre ist eine Philosophie über die Materie der Kantischen Philosophie. Von der Form redet er nicht viel, weil er Meister derselben ist. Wenn aber das Wesen der kritischen Methode darin besteht, daß Theorie des bestimmenden Vermögens und System der bestimmten Gemütswirkungen in ihr wie Sache und Gedanken in der prästabilierten Harmonie innigst vereinigt sind: so dürfte er wohl auch in der Form ein Kant in der zweiten Potenz und die Wissenschaftslehre weit kritischer sein, als sie scheint. Vorzüglich die neue Darstellung der Wissenschaftslehre ist immer zugleich Philosophie und Philosophie der Philosophie. Es mag gültige Bedeutungen des Worts Kritisch geben, in welchen es nicht auf jede Fichtische Schrift paßt. Aber bei Fichte muß man, wie er selbst, ohne alle Nebenrücksicht nur auf das Ganze sehen und auf das Eine, worauf es eigentlich ankommt; nur so kann man die Identität seiner Philosophie mit der Kantischen sehen und begreifen. Auch ist kritisch wohl etwas, was man nie genug sein kann. [282] Wenn der Mensch nicht weiter kommen kann, so hilft er sich mit einem Machtspruche, oder einer Machthandlung, einem raschen Entschluß. [Novalis]

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[283] Wer sucht wird zweifeln. Das Genie sagt aber so dreist und sicher, was es in sich vorgehn sieht, weil es nicht in seiner Darstellung und also auch die Darstellung nicht in ihm befangen ist, sondern seine Betrachtung und das Betrachtete frei zusammen zu stimmen, zu einem Werke frei sich zu vereinigen scheinen. Wenn wir von der Außenwelt sprechen, wenn wir wirkliche Gegenstände schildern, so verfahren wir wie das Genie. Ohne Genialität existierten wir alle überhaupt nicht. Genie ist zu allem nötig. Was man aber gewöhnlich Genie nennt, ist Genie des Genies. [Novalis] [284] Der Geist führt einen ewigen Selbstbeweis. [Novalis]

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[285] Der transzendentale Gesichtspunkt für dieses Leben erwartet uns. Dort wird es uns erst recht bedeutend werden. [Novalis] [286] Das Leben eines wahrhaft kanonischen Menschen muß durchgehends symbolisch sein. Wäre unter dieser Voraussetzung nicht jeder Tod ein Versöhnungstod? Mehr oder weniger versteht sich; und ließen sich nicht mehre höchst merkwürdige Folgerungen daraus ziehen? [Novalis] [287] Nur dann zeige ich, daß ich einen Schriftsteller verstanden habe, wenn ich in seinem Geiste handeln kann; wenn ich ihn, ohne seine Individualität zu schmälern, übersetzen und mannichfach verändern kann. [Novalis] [288] Wir sind dem Aufwachen nah, wenn wir träumen daß wir träumen. [Novalis]

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[289] Echt geselliger Witz ist ohne Knall. Es gibt eine Art desselben, die nur magisches Farbenspiel in höhern Sphären ist. [Novalis] [290] Geistvoll ist das, worin sich der Geist unaufhörlich offenbart, wenigstens oft von neuem in veränderter Gestalt wiedererscheint; nicht bloß etwa nur einmal, so zu Anfang, wie bei vielen philosophischen Systemen. [Novalis]

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[291] Deutsche gibt es überall. Germanität ist so wenig, wie Romanität, Gräzität oder Britannität auf einen besondern Staat eingeschränkt; es sind allgemeine Menschencharaktere die nur hie und da vorzüglich allgemein geworden sind. Deutschheit ist echte Popularität, und darum ein Ideal. [Novalis] [292] Der Tod ist eine Selbstbesiegung, die wie alle Selbstüberwindung, eine neue leichtere Existenz verschafft. [Novalis] [293] Brauchen wir zum Gewöhnlichen und Gemeinen vielleicht deswegen so viel Kraft und Anstrengung, weil für den eigentlichen Menschen nichts ungewöhnlicher nichts ungemeiner ist als armselige Gewöhnlichkeit? [Novalis]

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[294] Genialischer Scharfsinn ist scharfsinniger Gebrauch des Scharfsinns. [Novalis] [295] Auf die berühmte Preisfrage der Berliner Akademie der Wissenschaften über die Fortschritte der Metaphysik sind Antworten jeder Art erschienen: eine feindliche, eine günstige, eine überflüssige, noch eine, auch eine dramatische, und sogar eine sokratische von Hülsen. Ein wenig Enthusiasmus, wenn er auch roh sein sollte, ein gewisser Schein von Universalität verfehlen ihre Wirkung nicht leicht, und verschaffen auch wohl dem Paradoxen ein Publi-

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kum. Aber der Sinn für reine Genialität ist selbst unter gebildeten Menschen eine Seltenheit. Kein Wunder also, wenn es nur wenige wissen, daß Hülsens Werk eines von denen ist, wie sie in der Philosophie immer sehr selten waren und es auch jetzt noch sind: ein Werk im strengsten Sinne des Worts, ein Kunstwerk, das Ganze aus Einem Stück, an dialektischer Virtuosität das nächste nach Fichte, und das eine erste Schrift, die der Veranlassung nach eine Gelegenheitsschrift sein sollte. Hülsen ist seines Gedankens und seines Ausdrucks völlig Meister, er geht sicher und leise; und diese ruhige hohe Besonnenheit bei dem weitumfassenden Blick und der reinen Humanität, ist es eben was ein historischer Philosoph in seinem antiquarischen und aus der Mode gekommenen Dialekt das Sokratische nennen würde; eine Terminologie, die sich jedoch ein Künstler, der so viel philologischen Geist hat, gefallen lassen muß. [296] Ungeachtet er so eine idyllische Natur ist, hat Fontenelle doch eine starke Antipathie gegen den Instinkt, und vergleicht das reine Talent, welches er für unmöglich hält, mit dem ganz absichtslosen Kunstfleiße der Biber. Wie schwer ist es, sich selbst nicht zu übersehn! Denn wenn Fontenelle sagt: La gêne fait l’essence et le merite brillant de la poesie: so scheints kaum möglich, die französische Poesie mit wenigen Worten besser zu charakterisieren. Aber ein Biber, der Academicien wäre, könnte wohl nicht mit vollkommnerem Unbewußtsein das Rechte treffen. [297] Gebildet ist ein Werk, wenn es überall scharf begrenzt, innerhalb der Grenzen aber grenzenlos und unerschöpflich ist, wenn es sich selbst ganz treu, überall gleich, und doch über sich selbst erhaben ist. Das Höchste und Letzte ist, wie bei der Erziehung eines jungen Engländers, le grand tour. Es muß durch alle drei oder vier Weltteile der Menschheit gewandert sein, nicht um die Ecken seiner Individualität abzuschleifen, sondern um seinen Blick zu erweitern und seinem Geist mehr Freiheit und innre Vielseitigkeit und dadurch mehr Selbständigkeit und Selbstgenügsamkeit zu geben. [298] Die Orthodoxen unter den Kantianern suchen das Prinzip ihrer Philosophie vergeblich im Kant. Es steht in Bürgers Gedichten und lautet: „Ein Kaiserwort soll man nicht drehn noch deuteln.“

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[299] An genialischem Unbewußtsein können die Philosophen, dünkt mich, den Dichtern den Rang recht wohl streitig machen. [300] Wenn Verstand und Unverstand sich berühren, so gibt es einen elektrischen Schlag. Das nennt man Polemik.

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[301] Noch bewundern die Philosophen im Spinosa nur die Konsequenz, wie die Engländer am Shakespeare bloß die Wahrheit preisen. [302] Vermischte Gedanken sollten die Kartons der Philosophie sein. Man weiß, was diese den Kennern der Malerei gelten. Wer nicht philosophische Welten mit dem Crayon skizzieren, jeden Gedanken, der Physiognomie hat, mit ein paar Federstrichen charakterisieren kann, für den wird die Philosophie nie Kunst, und also auch nie Wissenschaft werden. Denn in der Philosophie geht der Weg zur

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Wissenschaft nur durch die Kunst, wie der Dichter im Gegenteil erst durch Wissenschaft ein Künstler wird.

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[303] Immer tiefer zu dringen, immer höher zu steigen, ist die Lieblingsneigung der Philosophen. Auch gelingt es, wenn man ihnen aufs Wort glaubt, mit bewundrungswürdiger Schnelligkeit. Mit dem Weiterkommen geht es dagegen langsam genug. Besonders in Rücksicht der Höhe überbieten sie sich ordentlich, wie wenn zwei zugleich auf einer Auktion unbedingte Kommission haben. Vielleicht ist aber alle Philosophie, die philosophisch ist, unendlich hoch und unendlich tief. Oder steht Plato niedriger als die jetzigen Philosophen? [304] Auch die Philosophie ist das Resultat zwei streitender Kräfte, der Poesie und Praxis. Wo diese sich ganz durchdringen und in eins schmelzen, da entsteht Philosophie; wenn sie sich wieder zersetzt, wird sie Mythologie, oder wirft sich ins Leben zurück. Aus Dichtung und Gesetzgebung bildete sich die griechische Weisheit. Die höchste Philosophie, vermuten einige, dürfte wieder Poesie werden; und es ist sogar eine bekannte Erfahrung, daß gemeine Naturen erst nach ihrer Art zu philosophieren anfangen, wenn sie zu leben aufhören. – Diesen chemischen Prozeß des Philosophierens besser darzustellen, wo möglich die dynamischen Gesetze desselben ganz ins reine zu bringen, und die Philosophie, welche sich immer von neuem organisieren und desorganisieren muß, in ihre lebendigen Grundkräfte zu scheiden, und zu ihrem Ursprung zurückzuführen, das halte ich für Schellings eigentliche Bestimmung. Dagegen scheint mir seine Polemik, besonders aber seine literarische Kritik der Philosophie eine falsche Tendenz zu sein; und seine Anlage zur Universalität ist wohl noch nicht gebildet genug, um in der Philosophie der Physik das finden zu können, was sie da sucht. [305] Absicht bis zur Ironie, und mit willkürlichem Schein von Selbstvernichtung ist ebensowohl naiv, als Instinkt bis zur Ironie. Wie das Naive mit den Widersprüchen der Theorie und der Praxis, so spielt das Groteske mit wunderlichen Versetzungen von Form und Materie, liebt den Schein des Zufälligen und Seltsamen, und kokettiert gleichsam mit unbedingter Willkür. Humor hat es mit Sein und Nichtsein zu tun, und sein eigentliches Wesen ist Reflexion. Daher seine Verwandtschaft mit der Elegie und allem, was transzendental ist; daher aber auch sein Hochmut und sein Hang zur Mystik des Witzes. Wie Genialität dem Naiven, so ist ernste reine Schönheit dem Humor notwendig. Er schwebt am liebsten über leicht und klar strömenden Rhapsodien der Philosophie oder der Poesie und flieht schwerfällige Massen, und abgerißne Bruchstücke. [306] Die Geschichte von den Gergesener Säuen ist wohl eine sinnbildliche Prophezeiung von der Periode der Kraftgenies, die sich nun glücklich in das Meer der Vergessenheit gestürzt haben.

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[307] Wenn ich meine Antipathie gegen das Katzengeschlecht erkläre, so nehme ich Peter Leberechts gestiefelten Kater aus. Krallen hat er, und wer davon geritzt worden ist, schreit, wie billig, über ihn; andre aber kann es belustigen, wie er gleichsam auf dem Dache der dramatischen Kunst herumspaziert.

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[308] Der Denker braucht grade ein solches Licht wie der Maler: hell, ohne unmittelbaren Sonnenschein oder blendende Reflexe, und, wo möglich, von oben herab. [309] Welche Vorstellungen müssen die Theoristen gehabt haben, die das Porträt vom Gebiet der eigentlich schönen, freien und schaffenden Kunst ausschließen. Es ist grade, als wollte man es nicht für Poesie gelten lassen, wenn ein Dichter seine wirkliche Geliebte besingt. Das Porträt ist die Grundlage und der Prüfstein des historischen Gemäldes. [A.W.Schlegel] [310] Neuerdings ist die unerwartete Entdeckung gemacht worden, in der Gruppe des Laokoon sei der Held sterbend vorgestellt, und zwar an einem Schlagflusse. Weiter läßt sich nun die Kennerschaft in dieser Richtung nicht treiben, es müßte uns denn jemand belehren, Laokoon sei wirklich schon tot, welches auch in Rücksicht auf den Kenner seine vollkommene Richtigkeit haben würde. Bei Gelegenheit werden Lessing und Winckelmann zurechtgewiesen: nicht Schönheit, wie jener behauptet, (eigentlich beide und mit ihnen Mengs) noch stille Größe und edle Einfalt, wie dieser, sei das Grundgesetz der griechischen Kunst gewesen, sondern Wahrheit der Charakteristik. Charakterisieren will wohl alle menschliche Bildnerei bis auf die hölzernen Götzen der Kamtschadalen hinunter. Wenn man aber den Geist einer Sache in Einem Zuge fassen will, so nennt man nicht das, was sich von selbst versteht, und was sie mit andern gemein hat, sondern was wesentlich ihre Eigentümlichkeit bezeichnet. Charakterlose Schönheit läßt sich nicht denken: sie wird, wenn auch keinen ethischen, doch allezeit einen physischen Charakter haben, d.h. die Schönheit eines gewissen Alters und Geschlechts sein, oder bestimmte körperliche Gewöhnungen verraten, wie die Körper der Ringer. Die alte Kunst hat nicht nur ihre unter Anleitung der Mythologie erschaffnen Bildungen in dem höchsten und würdigsten Sinne gedacht, sondern mit jedem Charakter der Formen und des Ausdrucks den Grad von Schönheit vereinbart, der dabei stattfinden konnte, ohne jenen zu zerstören. Daß sie dies auch da möglich zu machen gewußt, wo ein barbarischer Geschmack nicht einmal des Gedankens fähig gewesen wäre, läßt sich, z.B. an antiken Medusenköpfen, beinah mit Händen greifen. Wenn komische oder tragische Darstellungen ein Einwurf gegen dies allgemeine, durchgängige Streben nach Schönheit wären, so läge er zu nahe, als daß er Kennern des Altertums wie Mengs und Winckelmann hätte entgehen können. Man vergleiche die gröbste Ausgelassenheit antiker Satyren und Bacchantinnen mit ähnlichen Vorstellungen aus der flamändischen Schule, und man müßte selbst ganz unhellenisch sein, wenn man nicht dort noch das Hellenische fühlte. Es ist ganz etwas anders, im Schmutze gemeiner Sinnlichkeit einheimisch sein, oder sich, wie eine Gottheit in eine Tiergestalt, aus mutwilliger Lust dazu herablassen. Auch bei der Wahl schrecklicher Gegenstände kommt ja noch alles auf die Behandlung an, welche den mildernden Hauch der Schönheit darüber verbreiten kann, und in der griechischen Kunst und Poesie wirklich verbreitet hat. Grade in streitenden Elementen, in dem unauflöslich scheinenden Widerspruche zwischen der Natur des Dargestellten und dem Gesetze der Darstellung, erscheint die innre Harmonie des Geistes am göttlichsten. Oder wird man in

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den Tragödien des Sophokles, deswegen weil sie höchst tragisch sind, die stille Größe und edle Einfalt wegleugnen? Daß im Körper des Laokoon der gewaltsamste Zustand des Leidens und der Anstrengung ausgedrückt sei, hat Winckelmann sehr bestimmt anerkannt; nur im Gesichte, behauptet er, erscheine die nicht erliegende Heldenseele. Jetzt erfahren wir, daß Laokoon nicht schreit, weil er nicht mehr schreien kann. Nämlich von wegen des Schlagflusses. Freilich kann er nicht schreien, sonst würde er gegen eine so entstellende Beschreibung und Verkennung seiner heroischen Größe die Stimme erheben. [A.W.Schlegel] [311] Wenn der Geschmack der Engländer in der Malerei, wie die mechanische Zierlichkeit ihrer Kupferstiche befürchten läßt, sich auf dem festen Lande noch weiter verbreiten sollte, so möchte man darauf antragen, den ohnedies unschicklichen Namen, historisches Gemälde, abzuschaffen und dafür theatralisches Gemälde einzuführen. [A.W.Schlegel] [312] Gegen den Vorwurf, daß die eroberten italiänischen Gemälde in Paris übel behandelt würden, hat sich der Säuberer derselben erboten, ein Bild von Carracci halb gereinigt und halb in seinem ursprünglichen Zustand aufzustellen. Ein artiger Einfall! So sieht man bei plötzlichem Lärm auf der Gasse manchmal ein halb rasiertes Gesicht zum Fenster herausgucken; und mit französischer Lebhaftigkeit und Ungeduld betrieben, mag das Säuberungsgeschäft überhaupt viel von der Barbierkunst an sich haben. [A.W.Schlegel?] [313] Die zarte Weiblichkeit in Gedanken und Dichtungen, die auf den Bildern der Angelika Kauffmann anzieht, hat sich bei den Figuren mitunter auf eine unerlaubte Art eingeschlichen: ihren Jünglingen sieht es aus den Augen, daß sie gar zu gern einen Mädchenbusen hätten, und wo möglich auch solche Hüften. Vielleicht waren sich die griechischen Malerinnen dieser Grenze oder Klippe ihres Talentes bewußt. Unter den wenigen, die Plinius nennt, führt er von der Timarete, Irene und Lala nur weibliche Figuren an. [A.W.Schlegel] [314] Da man jetzt überall moralische Nutzanwendungen verlangt, so wird man auch die Nützlichkeit der Porträtmalerei durch eine Beziehung auf häusliches Glück dartun müssen. Mancher, der sich an seiner Frau ein wenig müde gesehen, findet seine ersten Regungen vor den reineren Zügen ihres Bildnisses wieder. [A.W.Schlegel] [315] Der Ursprung der griechischen Elegie, sagt man, liege in der lydischen Doppelflöte. Sollte er nicht nächstdem auch in der menschlichen Natur zu suchen sein?

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[316] Für Empiriker, die sich auch bis zum Streben nach Gründlichkeit und bis zum Glauben an einen großen Mann erheben können, wird die Fichtische Wissenschaftslehre doch nie mehr sein als das dritte Heft von dem Philosophischen Journal, die Konstitution. [317] Wenn Nichts zuviel so viel bedeutet als Alles ein wenig: so ist Garve der größte deutsche Philosoph. [318] Heraklit sagte, man lerne die Vernunft nicht durch Vielwisserei. Jetzt scheint es nötiger zu erinnern, daß man durch reine Vernunft allein noch nicht gelehrt werde.

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[319] Um einseitig sein zu können, muß man wenigstens eine Seite haben. Dies ist gar nicht der Fall der Menschen, die (gleich echten Rhapsoden nach Platos Charakteristik dieser Gattung) nur für eins Sinn haben, nicht weil es ihr alles, sondern weil es ihr einziges ist, und immer dasselbe absingen. Ihr Geist ist nicht so wohl in enge Grenzen eingeschlossen; er hört vielmehr gleich auf, und wo er aufhört, geht unmittelbar der leere Raum an. Ihr ganzes Wesen ist wie ein Punkt, der aber doch die Ähnlichkeit mit dem Golde hat, daß er sich zu einem unglaublich dünnen Plättchen sehr weit auseinanderschlagen läßt. [320] Warum fehlt in den modigen Verzeichnissen aller möglichen Grundsätze der Moral immer das Ridicüle? Etwa weil dieses Prinzip nur in der Praxis allgemein gilt? [321] Über das geringste Handwerk der Alten wird keiner zu urteilen wagen, der es nicht versteht. Über die Poesie und Philosophie der Alten glaubt jeder mitsprechen zu dürfen, der eine Konjektur oder einen Kommentar machen kann, oder etwa in Italien gewesen ist. Hier glauben sie einmal dem Instinkt zu viel: denn übrigens mag es wohl eine Foderung der Vernunft sein, daß jeder Mensch ein Poet und ein Philosoph sein solle, und die Foderungen der Vernunft, sagt man, ziehen den Glauben nach sich. Man könnte diese Gattung des Naiven das philologische Naive nennen.

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[322] Das beständige Wiederholen des Themas in der Philosophie entspringt aus zwei verschiedenen Ursachen. Entweder der Autor hat etwas entdeckt, er weiß aber selbst noch nicht recht was; und in diesem Sinne sind Kants Schriften musikalisch genug. Oder er hat etwas Neues gehört, ohne es gehörig zu vernehmen, und in diesem Sinne sind die Kantianer die größten Tonkünstler der Literatur.

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[323] Daß ein Prophet nicht in seinem Vaterlande gilt ist wohl der Grund, warum kluge Schriftsteller es so häufig vermeiden, ein Vaterland im Gebiete der Künste und Wissenschaften zu haben. Sie legen sich lieber aufs Reisen, Reisebeschreibungen, oder aufs Lesen und Übersetzen von Reisebeschreibungen, und erhalten das Lob der Universalität.

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[324] Alle Gattungen sind gut, sagt Voltaire, ausgenommen die langweilige Gattung. Aber welches ist denn nun die langweilige Gattung? Sie mag größer sein als alle andern und viele Wege mögen dahin führen. Der kürzeste ist wohl, wenn ein Werk nicht weiß, zu welcher Gattung es gehören will oder soll. Sollte Voltaire diesen Weg nie gegangen sein?

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[325] Wie Simonides die Poesie eine redende Malerei und die Malerei eine stumme Poesie nannte, so könnte man sagen, die Geschichte sei eine werdende Philosophie, und die Philosophie eine vollendete Geschichte. Aber Apoll, der nicht verschweigt und nicht sagt, sondern andeutet, wird nicht mehr verehrt und wo sich eine Muse sehen läßt, wollen sie sie gleich zu Protokoll vernehmen. Wie übel verfährt selbst Lessing mit jenem schönen Wort des geistvollen Griechen, der vielleicht keine Gelegenheit hatte, an descriptive poetry zu denken, und dem es sehr überflüssig scheinen mußte, daran zu erinnern, daß die Poesie auch eine geistige Musik sei, da er keine Vorstellung davon hatte, daß beide Künste getrennt sein könnten.

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[326] Wenn gemeine Menschen, ohne Sinn für die Zukunft, einmal von der Wut des Fortschreitens ergriffen werden, treiben sie’s auch recht buchstäblich. Den Kopf voran und die Augen zu schreiten sie in alle Welt, als ob der Geist Arme und Beine hätte. Wenn sie nicht etwa den Hals brechen, so erfolgt gewöhnlich eins von beiden: entweder sie werden stätisch oder sie machen linksum. Mit den letzten muß mans machen wie Caesar, der die Gewohnheit hatte, im Gedränge der Schlacht flüchtig gewordene Krieger bei der Kehle zu packen, und mit dem Gesicht gegen die Feinde zu kehren. [327] Virtuosen in verwandten Gattungen verstehn sich oft am wenigsten, und auch die geistige Nachbarschaft pflegt Feindseligkeiten zu veranlassen. So findet man nicht selten, daß edle und gebildete Menschen, die alle göttlich dichten, denken oder leben, deren jeder aber sich der Gottheit auf einem andern Wege nähert, einander die Religion absprechen, gar nicht um der Partei oder des Systems willen, sondern aus Mangel an Sinn für religiöse Individualität. Die Religion ist schlechthin groß wie die Natur, der vortrefflichste Priester hat doch nur ein klein Stück davon. Es gibt unendlich viel Arten derselben, die sich jedoch von selbst unter einige Hauptrubriken zu ordnen scheinen. Einige haben am meisten Talent für die Anbetung des Mittlers, für Wunder und Gesichte. Das sind die, welche der gemeine Mann, wie es kommt, Schwärmer oder Poeten nennt. Ein andrer weiß vielleicht mehr von Gott dem Vater, und versteht sich auf Geheimnisse und Weissagungen. Dieser ist ein Philosoph, und wird wie der Gesunde von der Gesundheit, nicht viel von der Religion reden, am wenigsten von seiner eignen. Andre glauben an den heiligen Geist, und was dem anhängt, Offenbarungen, Eingebungen usw.; an sonst aber niemand. Das sind künstlerische Naturen. Es ist ein sehr natürlicher ja fast unvermeidlicher Wunsch, alle Gattungen der Religion in sich vereinigen zu wollen. In der Ausführung ists damit aber ungefähr, wie mit der Vermischung der Dichtarten. Wer aus wahrem Instinkt zugleich an den Mittler und an den heiligen Geist glaubt, pflegt schon die Religion als isolierte Kunst zu treiben; welches eine der mißlichsten Professionen ist, die ein ehrlicher Mann treiben kann. Wie müßte es erst einem ergehn, der an alle drei glaubt! [328] Nur der, welcher sich selbst setzt, kann andre setzen. Ebenso hat nur der, welcher sich selbst annihiliert, ein Recht jeden andern zu annihilieren. [Schleiermacher]

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[329] Es ist kindisch, den Leuten das einreden zu wollen, wofür sie keinen Sinn haben. Tut als ob sie nicht da wären, und macht ihnen vor, was sie sehen lernen sollen. Dies ist zugleich höchst weltbürgerlich und höchst sittlich; sehr höflich und sehr zynisch. [Schleiermacher] [330] Viele haben Geist oder Gemüt oder Fantasie. Aber weil es für sich selbst nur in flüchtiger dunstförmiger Gestalt erscheinen könnte, hat die Natur Sorge getragen, es durch irgend einen gemeinen erdigen Stoff chemisch zu binden. Dieses Gebundne zu entdecken ist die beständige Aufgabe des höchsten Wohlwollens, aber es erfodert viel Übung in der intellektuellen Chemie. Wer für jedes, was in der menschlichen Natur schön ist, ein untrügliches Reagens zu entdecken wüßte,

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würde uns eine neue Welt zeigen. Wie in der Vision des Propheten würde auf einmal das unendliche Feld zerstückter Menschenglieder lebendig werden. [Schleiermacher] [331] Es gibt Menschen, die kein Interesse an sich selbst nehmen. Einige, weil sie überhaupt keines, auch nicht an andern, fähig sind. Andere, weil sie ihres gleichmäßigen Fortschreitens sicher sind, und weil ihre selbstbildende Kraft keiner reflektierenden Teilnahme mehr bedarf, weil hier Freiheit in allen ihren höchsten und schönsten Äußerungen gleichsam Natur geworden ist. So berührt sich auch hier in der Erscheinung das Niedrigste und das Erhabenste. [Schleiermacher]

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[332] Unter den Menschen, die mit der Zeit fortgehn, gibt es manche, welche, wie die fortlaufenden Kommentare, bei den schwierigen Stellen nicht still stehn wollen. [333] Gott ist nach Leibniz wirklich, weil nichts seine Möglichkeit verhindert. In dieser Rücksicht ist Leibnizens Philosophie recht gottähnlich.

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[334] Dafür ist das Zeitalter noch nicht reif, sagen sie immer. Soll es deswegen unterbleiben? – Was noch nicht sein kann, muß wenigstens immer im Werden bleiben. [Schleiermacher] [335] Wenn Welt der Inbegriff desjenigen ist, was sich dynamisch affiziert, so wird es der gebildete Mensch wohl nie dahin bringen, nur in einer Welt zu leben. Die eine müßte die beste sein, die man nur suchen soll, nicht finden kann. Aber der Glaube an sie ist etwas so Heiliges, wie der Glaube an die Einzigkeit in der Freundschaft und Liebe. [Schleiermacher] [336] Wer mit seiner Manier, kleine Silhouetten von sich selbst in verschiednen Stellungen aus freier Hand auszuschneiden und umherzubieten, eine Gesellschaft unterhalten kann, oder auf den ersten Wink fertig ist, den Kastellan von sich selbst zu machen, und was in ihm ist jedem, der an seiner Türe stehn bleibt, zu zeigen wie ein Landedelmann die verschrobenen Anlagen seines englischen Gartens, der heißt ein offner Mensch. Für die, welche auch in die Gesellschaft ihre Trägheit mitbringen und beiläufig gern was sie um sich sehn mustern und klassifizieren möchten, ist dies freilich eine bequeme Eigenschaft. Auch gibt es Menschen genug, die dieser Foderung entsprechen, und durchaus in dem Styl eines Gartenhauses gebaut sind, wo jedes Fenster eine Tür ist, und jedermann Platz zu nehmen genötigt wird, in der Voraussetzung, daß er nicht mehr zu finden erwarte, als was ein Dieb in einer Nacht ausräumen könnte, ohne sich sonderlich zu bereichern. Ein eigentlicher Mensch, der etwas mehr in sich hat, als diesen ärmlichen Hausbedarf, wird sich freilich nicht so preisgeben, da es ohnedies vergeblich wäre, ihn aus Selbstbeschreibungen, auch aus den besten und geistvollsten, kennen lernen zu wollen. Von einem Charakter gibt es keine andre Erkenntnis als Anschauung. Ihr müßt selbst den Standpunkt finden, aus dem grade ihr das Ganze übersehn könnt, und müßt verstehn aus den Erscheinungen das Innere nach festen Gesetzen und sichern Ahndungen zu konstruieren. Für einen reellen Zweck ist also jenes Selbsterklären überflüssig. Und Offenheit in diesem Sinne zu fodern, ist ebenso anma-

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ßend als unverständig. Wer dürfte sich selbst zerlegen, wie das Objekt einer anatomischen Vorlesung, das einzelne aus der Verbindung, in der es allein schön und verständlich ist, herausreißen, und auch das Feinste und Zarteste mit Worten gleichsam aussprützen, daß es zur Ungestaltheit ausgedehnt wird? Das innere Leben verschwindet unter dieser Behandlung; sie ist der jämmerlichste Selbstmord. Der Mensch gebe sich selbst, wie ein Kunstwerk, welches im Freien ausgestellt jedem den Zutritt verstattet, und doch nur von denen genossen und verstanden wird, die Sinn und Studium mitbringen. Er stehe frei und bewege sich seiner Natur gemäß, ohne zu fragen, wer ihn ansieht und wie. Diese ruhige Unbefangenheit verdient eigentlich den Namen der Offenheit allein: denn offen ist, wo hinein jeder gehn kann, ohne daß etwas Gewalttätiges nötig wäre; versteht sich, daß er auch das, was nicht niet- und nagelfest ist, mit Achtung behandle. Mehr gehört nicht zu der Gastfreiheit die der Mensch innerhalb seines Gemüts beweisen muß: alles übrige ist nur in den Ergießungen und den Genüssen einer vertrauten Freundschaft nicht an der unrechten Stelle. Um diesen engeren Kreis erst zu finden, bedarf es freilich einer etwas zuvorkommendern Mitteilung, einer schamhaften, schüchtern versuchenden Offenheit, die hie und da durch einen kleinen Druck ihr innerstes Dasein mit seinen Springfedern erraten läßt, und ihre Tendenz zu Liebe und Freundschaft offenbart. Sie ist aber kein permanenter Zustand, sondern wie eine Wünschelrute schlägt sie nur da an, wo der Instinkt der Freundschaft seinen Schatz zu heben hofft. Über diese schmale Linie des sittlich Schönen werden liebenswürdige Seelen nur durch Mißverstand zu beiden Seiten etwas hinausgeführt. Durch mißlungene Versuche dieses schönen Instinkts zu jener interessanten Verschlossenheit, die sich nicht verstellen, sondern nur verbergen will, und die jeden, der das Vortreffliche zu ahnden weiß, so zauberisch intriguiert; durch sanguinische Hoffnungen und durch eine Reizbarkeit, welche auch von der geringsten Affinität in Bewegung gesetzt wird, zu jener naiven Herzlichkeit, welche, wie die Freimaurer, meint, daß wenigstens der erste Grad niemals zu vielen gegeben werden kann. Diese Erscheinungen sind erfreulich und interessant, weil sie noch an der Grenze des Besten liegen, und nur der Uneingeweihte wird sie mit Manieren verwechseln, die aus reiner Unfähigkeit hervorgehn. So wie man ein nicht verstandnes Buch lieber verleugnet, so sind viele nur deswegen verschlossen, weil sie den Fragen über sich selbst ausweichen wollen; und wie manche nicht für sich lesen können, ohne zugleich die Worte hören zu lassen, so können manche sich nicht anschaun, ohne immer zu sagen, was sie sehn. Diese Verschlossenheit aber ist ängstlich und kindisch verlegen, und diese nur scheinbare Offenheit kümmert sich nicht, ob jemand da ist und wer, sondern strömt ihren Stoff aus ins Weite und nach allen Richtungen wie eine elektrische Spitze. Eine andre langweilige Offenheit, der mehr mit Hörern gedient ist, ist die der Enthusiasten die aus reinem Eifer für das Reich Gottes sich selbst vortragen, erläutern und übersetzen, weil sie glauben Normal-Seelen zu sein, an denen alles lehrreich und erbaulich ist. Heinrich Stilling mag leicht der vollkommenste unter diesen sein; und wie ist er nun ganz herunter? Mit dem was wir nur haben, können wir uns ohne so große Gefahr viel freigebiger zeigen. Erfahrungen und Erkenntnisse deren Erwerbung von lokalen und temporellen Verhältnissen abhängt, darf keiner nur für sich haben wollen; sie

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müssen für jeden rechtlichen Mann immer bereit liegen. Es gibt freilich eine nicht eben beneidenswerte Art, auch Meinungen, Gefühle und Grundsätze nur so zu haben, und mit wem es so steht, der hat natürlich für seine unbedeutende Offenheit einen weit größern Spielraum. Dagegen sind diejenigen sehr übel daran, bei denen Eigentümlichkeit des Sinnes und Charakters überall ins Spiel kommt. Ihnen muß man erlauben, auch mit dem was andren nur lose anzuhängen pflegt zurückhaltender zu sein, bis vollendete Kenntnis ihrer selbst und der andern ihnen den sichern Takt gibt, die Sache, worauf es den Leuten allein ankommt von ihrer individuellen Ansicht durchaus zu trennen und zu jedem Stoff, die ihnen fremde, jenen aber so erwünschte gemeine Form zu finden. So können Notizen und Urteile mitgeteilt werden, ohne auf Ideen hinzudeuten und Empfindungen zu profanieren; und die Heiligkeit des Gemüts kann bewahrt werden, ohne irgend einem zu versagen, was ihm auch nur entfernt gebührt. Wer es dahin gebracht hätte, könnte für jeden offen sein, nach dem Maß, welches ihm zukommt. Jeder würde glauben, ihn zu haben und zu kennen, und nur der, der ihm gleich wäre, oder dem er es gäbe, würde ihn wirklich besitzen. [Schleiermacher]

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[337] Arrogant ist, wer Sinn und Charakter zugleich hat, und sich dann und wann merken läßt, daß diese Verbindung gut und nützlich sei. Wer beides auch von den Weibern fodert, ist ein Weiberfeind. [Schleiermacher] [338] Nur die äußerlich bildende und schaffende Kraft des Menschen ist veränderlich und hat ihre Jahreszeiten. Verändrung ist nur ein Wort für die physische Welt. Das Ich verliert nichts, und in ihm geht nichts unter; es wohnt mit allem, was ihm angehört, seinen Gedanken und Gefühlen, in der Burgfreiheit der Unvergänglichkeit. Verloren gehn kann nur das, was bald hierhin bald dorthin gelegt wird. Im Ich bildet sich alles organisch, und alles hat seine Stelle. Was du verlieren kannst, hat dir noch nie angehört. Das gilt bis auf einzelne Gedanken. [Schleiermacher] [339] Sinn der sich selbst sieht, wird Geist; Geist ist innre Geselligkeit, Seele ist verborgene Liebenswürdigkeit. Aber die eigentliche Lebenskraft der innern Schönheit und Vollendung ist das Gemüt. Man kann etwas Geist haben ohne Seele, und viel Seele bei weniger Gemüt. Der Instinkt der sittlichen Größe aber, den wir Gemüt nennen, darf nur sprechen lernen, so hat er Geist. Er darf sich nur regen und lieben, so ist er ganz Seele; und wann er reif ist, hat er Sinn für alles. Geist ist wie eine Musik von Gedanken; wo Seele ist, da haben auch die Gefühle Umriß und Gestalt, edles Verhältnis und reizendes Kolorit. Gemüt ist die Poesie der erhabenen Vernunft, und durch Vereinigung mit Philosophie und sittlicher Erfahrung entspringt aus ihm die namenlose Kunst, welche das verworrne flüchtige Leben ergreift und zur ewigen Einheit bildet. [340] Was oft Liebe genannt wird, ist nur eine eigne Art von Magnetismus. Es fängt an mit einem beschwerlich kitzelnden en rapport Setzen, besteht in einer Desorganisation und endigt mit einem ekelhaften Hellsehen und viel Ermattung. Gewöhnlich ist auch einer dabei nüchtern. [Schleiermacher] [341] Wer einen höheren Gesichtspunkt für sich selbst gefunden hat, als sein äußeres Dasein, kann auf einzelne Momente die Welt aus sich entfernen. So werden

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diejenigen, die sich selbst noch nicht gefunden haben, nur auf einzelne Momente wie durch einen Zauber in die Welt hineingerückt, ob sie sich etwa finden möchten. [Schleiermacher] 5

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[342] Es ist schön, wenn ein schöner Geist sich selbst anlächelt, und der Augenblick, in welchem eine große Natur sich mit Ruhe und Ernst betrachtet, ist ein erhabener Augenblick. Aber das Höchste ist, wenn zwei Freunde zugleich ihr Heiligstes in der Seele des andern klar und vollständig erblicken, und ihres Wertes gemeinschaftlich froh ihre Schranken nur durch die Ergänzung des andern fühlen dürfen. Es ist die intellektuale Anschauung der Freundschaft. [343] Wenn man ein interessantes philosophisches Phänomen, und dabei ein ausgezeichneter Schriftsteller ist, so kann man sicher auf den Ruhm eines großen Philosophen rechnen. Oft erhält man ihn auch ohne die letzte Bedingung. [344] Philosophieren heißt die Allwissenheit gemeinschaftlich suchen.

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[345] Es wäre zu wünschen, daß ein transzendentaler Linné die verschiedenen Ichs klassifizierte und eine recht genaue Beschreibung derselben allenfalls mit illuminierten Kupfern herausgäbe, damit das philosophierende Ich nicht mehr so oft mit dem philosophierten Ich verwechselt würde. [346] Der gepriesne Salto mortale der Philosophen ist oft nur ein blinder Lärm. Sie nehmen in Gedanken einen erschrecklichen Anlauf und wünschen sich Glück zu der überstandnen Gefahr; sieht man aber nur etwas genau zu, so sitzen sie immer auf dem alten Fleck. Es ist Don Quixotes Luftreise auf dem hölzernen Pferde. Auch Jacobi scheint mir zwar nie ruhig werden zu können, aber doch immer da zu bleiben, wo er ist: in der Klemme zwischen zwei Arten von Philosophie, der systematischen und der absoluten, zwischen Spinosa und Leibniz, wo sich sein zarter Geist etwas wund gedrückt hat. [347] Es ist noch ungleich gewagter, anzunehmen, daß jemand ein Philosoph sei, als zu behaupten, daß jemand ein Sophist sei: Soll das letzte nie erlaubt sein, so kann das erste noch weniger gelten.

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[348] Es gibt Elegien von der heroisch kläglichen Art, die man so erklären könnte: es sind die Empfindungen der Jämmerlichkeit bei den Gedanken der Albernheit von den Verhältnissen der Plattheit zur Tollheit. [349] Die Duldung hat keinen andern Gegenstand als das Vernichtende. Wer nichts vernichten will, bedarf gar nicht geduldet zu werden; wer alles vernichten will, soll nicht geduldet werden. In dem was zwischen beiden liegt, hat diese Gesinnung ihren ganz freien Spielraum. Denn wenn man nicht intolerant sein dürfte, wäre die Toleranz nichts. [Schleiermacher] [350] Keine Poesie, keine Wirklichkeit. So wie es trotz aller Sinne ohne Fantasie keine Außenwelt gibt, so auch mit allem Sinn ohne Gemüt keine Geisterwelt. Wer nur Sinn hat, sieht keinen Menschen, sondern bloß Menschliches: dem Zauberstabe des Gemüts allein tut sich alles auf. Es setzt Menschen und ergreift sie; es schaut an wie das Auge ohne sich seiner mathematischen Operation bewußt zu sein. [Schleiermacher]

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[351] Hast du je den ganzen Umfang eines andern mit allen seinen Unebenheiten berühren können, ohne ihm Schmerzen zu machen? Ihr braucht beide keinen weitern Beweis zu führen, daß ihr gebildete Menschen seid. [Schleiermacher] [352] Es ist eine Dichtung der Geschichtschreiber der Natur, daß ihre plastischen Kräfte lange in vergeblichen Anstrengungen gearbeitet, und nachdem sie sich in Formen erschöpft hatten, die kein dauerndes Leben haben konnten, noch viele andre erzeugt worden wären, die zwar lebten, aber untergehn mußten, weil es ihnen an der Kraft fehlte sich fortzupflanzen. Die sich selbst bildende Kraft der Menschheit steht noch auf dieser Stufe. Wenige leben, und die meisten unter diesen haben nur ein vergängliches Dasein. Wenn sie ihr Ich in einem glücklichen Moment gefunden haben, so fehlt es ihnen doch an der Kraft es aus sich selbst wieder zu erzeugen. Der Tod ist ihr gewöhnlicher Zustand, und wenn sie einmal leben, glauben sie in eine andre Welt entzückt zu sein. [Schleiermacher] [353] Jene Geschichte von einem Franzosen der alten Zeit, welcher seine Adelszeichen den Gerichten übergab, um sie wieder zu fodern, wenn er durch den Handel einiges Vermögen erlangt haben würde, ist eine Allegorie auf die Bescheidenheit. Wer den Ruhm dieser beliebten Tugend haben will, muß es mit seinem innern Adel ebenso machen. Er gebe ihn der gemeinen Meinung ad depositum und erwerbe sich dadurch ein Recht ihn wieder zu fodern, daß er mit Glück und Fleiß einen Speditionshandel treibt mit fremden Verdiensten, Talenten und Einfällen, feinem und Mittelgut, wie es jeder verlangt. [Schleiermacher]

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[354] Wer Liberalität und Rigorismus verbinden wollte, bei dem müßte jene etwas mehr sein als Selbstverleugnung, und dieser etwas mehr als Einseitigkeit. Sollte das aber wohl erlaubt sein? [Schleiermacher] [355] Jämmerlich ist freilich jene praktische Philosophie der Franzosen und Engländer, von denen man meint, sie wüßten so gut, was der Mensch sei, unerachtet sie nicht darüber spekulierten, was er sein solle. Jede organische Natur hat ihre Regel, ihr Sollen; und wer darum nicht weiß, wie kann der sie kennen? Woher nehmen sie denn den Einteilungsgrund ihrer naturhistorischen Beschreibungen und wonach messen sie den Menschen? Eben so gut sind sie aber doch als jene, die mit dem Sollen anfangen und endigen. Diese wissen nicht, daß der sittliche Mensch aus eigner Kraft sich um seine Achse frei bewegt. Sie haben den Punkt außer der Erde gefunden, den nur ein Mathematiker suchen wollen kann, aber die Erde selbst verloren. Um zu sagen, was der Mensch soll, muß man einer sein, und es nebenbei auch wissen. [Schleiermacher]

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[356] Die Welt kennen, heißt wissen, daß man nicht viel auf derselben bedeutet, glauben, daß kein philosophischer Traum darin realisiert werden kann, und hoffen, daß sie nie anders werden wird, höchstens nur etwas dünner. [Schleiermacher] [357] Von einer guten Bibel fodert Lessing Anspielungen, Fingerzeige, Vorübungen; er billigt auch die Tautologien, welche den Scharfsinn üben, die Allegorien und Exempel, welche das Abstrakte lehrreich einkleiden, und er hat das Zutrauen, die geoffenbarten Geheimnisse seien bestimmt, in Vernunftwahrheiten ausgebil-

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det zu werden. Welches Buch hätten die Philosophen nach diesem Ideal wohl schicklicher zu ihrer Bibel wählen können, als die Kritik der reinen Vernunft?

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[358] Leibniz bedient sich einmal, indem er das Wesen und Tun einer Monade beschreibt, des merkwürdigen Ausdrucks: Cela peut aller jusqu’au sentiment. Dies möchte man auf ihn selbst anwenden. Wenn jemand die Physik universeller macht, sie als ein Stück Mathematik und diese als ein Charadenspiel behandelt, und dann sieht daß er die Theologie dazu nehmen muß, deren Geheimnisse seinen diplomatischen und deren verwickelte Streitfragen seinen chirurgischen Sinn anlocken: cela peut aller jusqu’à la philosophie, wenn er noch so viel Instinkt hat als Leibniz. Aber eine solche Philosophie wird doch immer nur ein konfuses, unvollständiges Etwas bleiben, wie der Urstoff nach Leibniz sein soll, der nach Art der Genies die Form seines Innern einzelnen Gegenständen der Außenwelt anzudichten pflegt. [359] Freundschaft ist partiale Ehe und Liebe ist Freundschaft von allen Seiten und nach allen Richtungen, universelle Freundschaft. Das Bewußtsein der notwendigen Grenzen ist das Unentbehrlichste und das Seltenste in der Freundschaft.

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[360] Wenn eine Kunst die schwarze Kunst heißen sollte, so wäre es die, den Unsinn flüssig klar und beweglich zu machen, und ihn zur Masse zu bilden. Die Franzosen haben Meisterwerke der Gattung aufzuweisen. Alles große Unheil ist seinem innersten Grunde nach eine ernsthafte Fratze, eine mauvaise plaisanterie. Heil und Ehre also den Helden, die nicht müde werden, gegen die Torheit zu kämpfen, deren Unscheinbarstes oft den Keim zu einer endlosen Reihe ungeheurer Verwüstungen in sich trägt! Lessing und Fichte sind die Friedensfürsten der künftigen Jahrhunderte.

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[361] Leibniz sieht die Existenz an wie eine Hofcharge, die man zu Lehn haben muß. Sein Gott ist nicht nur Lehnsherr der Existenz, sondern er besitzt auch als Regale allein Freiheit, Harmonie, synthetisches Vermögen. Ein fruchtbarer Beischlaf ist die Expedition eines Adelsdiploms für eine schlummernde Monade aus der göttlichen geheimen Kanzlei. [Schleiermacher?]

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[362] Die Fertigkeit, zu einem gegebnen Zweck die Mittel zu finden, welche ihn, ohne Rücksicht auf etwas anders zu nehmen, am vollkommensten erreichen, und die, sie so zu wählen, daß nicht außer ihrer Beziehung auf den gegebnen Zweck noch etwas anders daraus erfolge, was entweder einen andern von unsern Zwekken hintertreibt, oder irgend einen Gegenstand für die Zukunft von unsern Bestrebungen ausschließt, sind sehr unterschiedene Talente, obgleich die Sprache für beide nur das Wort Klugheit darbietet. Man sollte es nicht an jeden verschwenden, der sich nur in den gemeinsten Fällen des Schicklichen zu bemächtigen weiß, oder der sich durch kleinliche Selbstbeobachtung eine gewisse Menschenkenntnis erworben hat, die weder etwas Schweres noch etwas Rühmliches ist. Man denkt sich unter Klugheit doch etwas Bedeutendes und Wichtiges, und das Talent aus einer Musterkarte von Mitteln die zweckmäßigsten auszuwählen ist etwas so Geringfügiges, daß auch der gemeinste Verstand dazu hinreicht, und daß kaum

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etwas anders als leidenschaftliche Verblendung jemanden darin kann fehl gehen lassen. Sich für so ein Objekt mit einem so imposanten Wort in Unkosten zu stekken, lohnt wahrlich der Mühe nicht. Auch rechtfertigt es der Sprachgebrauch nicht. Man schreibt der Natur oder dem höchsten Wesen nie Klugheit zu, ungeachtet man in allen ihren Veranstaltungen dies Talent in einem hohen Grade preist. Es wäre daher besser, dies Wort für die zweite Eigenschaft allein aufzubewahren. Bei dem Streben nach einem Zweck zugleich auf alle wirklichen und möglichen Zwecke hinsehn, und die natürlichen Wirkungen, die eine jede Handlung nebenher haben kann, berechnen, das ist in der Tat etwas Großes, und was man nur von wenigen wird rühmen können. Daß man im gemeinen Sprachgebrauch wirklich so etwas unter Klugheit versteht, geht auch aus dem Gefühl hervor, welches erregt wird, wenn man jemand mit einem gewissen Akzent als klug preist. Das erste ist, daß er uns imponiert, und das zweite, daß wir uns nach Wohlwollen und Ironie bei dem gerühmten Manne umsehn, und daß er uns verhaßt wird, wenn wir nicht beides antreffen. Das letzte dürfte eben so allgemein sein, als das erste und gewiß ist es auch, sobald man Klugheit in dieser Bedeutung nimmt, ebenso natürlich. Wir hoffen nämlich von jedem Menschen, daß wir ihn mehr oder weniger zu unsern Absichten werden gebrauchen können, und zugleich wünschen wir, daß er uns durch das freie Naturspiel seines Gemüts und durch absichtslose und unverwahrte Äußerungen ein Gegenstand des Wohlwollens und nach Gelegenheit auch ein Gegenstand für den Scherz oder den arglosen Spott werden möge. Bei andern Menschen sind wir ziemlich sicher beides allenfalls auch wider ihren Willen zu erlangen. Der ausgezeichnet Kluge aber, der seine Handlungen so abmißt, daß nichts dabei herauskommen kann, als was er selbst beabsichtigt, macht uns für beides bloß von seinem guten Willen abhängig; und wenn er nicht Wohlwollen besitzt, um mit Bewußtsein und Freiheit in die Absichten andrer hinein zu gehen, oder wenn es ihm an der Ironie fehlt, die ihn dahin bringen könnte, absichtlich sich aus seiner Klugheit herauszusetzen und sich mit Entsagung auf dieselbe als ein Naturwesen der Gesellschaft zum beliebigen Gebrauch hinzugeben: so ist es natürlich, daß wir die Stelle, die er in unserm Kreise einnimmt, von einem andern besetzt wünschen. [Schleiermacher] [363] Das Geliebte zu vergöttern ist die Natur des Liebenden. Aber ein andres ist es, mit gespannter Imagination ein fremdes Bild unterschieben und eine reine Vollkommenheit anstaunen, die uns nur darum als solche erscheint, weil wir noch nicht gebildet genug sind, um die unendliche Fülle der menschlichen Natur zu begreifen, und die Harmonie ihrer Widersprüche zu verstehn. Laura war des Dichters Werk. Dennoch konnte die wirkliche Laura ein Weib sein, aus der ein nicht so einseitiger Schwärmer etwas weniger und etwas mehr als eine Heilige gemacht hätte. [364] Idee zu einem Katechismus der Vernunft für edle Frauen. – Die zehn Gebote. 1) Du sollst keinen Geliebten haben neben ihm: aber du sollst Freundin sein können, ohne in das Kolorit der Liebe zu spielen und zu kokettieren oder anzubeten. 2) Du sollst dir kein Ideal machen, weder eines Engels im Himmel, noch eines Helden aus einem Gedicht oder Roman, noch eines selbstgeträumten oder

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fantasierten; sondern du sollst einen Mann lieben, wie er ist. Denn sie die Natur, deine Herrin, ist eine strenge Gottheit, welche die Schwärmerei der Mädchen heimsucht an den Frauen bis ins dritte und vierte Zeitalter ihrer Gefühle. 3) Du sollst von den Heiligtümern der Liebe auch nicht das kleinste mißbrauchen: denn die wird ihr zartes Gefühl verlieren, die ihre Gunst entweiht und sich hingibt für Geschenke und Gaben, oder um nur in Ruhe und Frieden Mutter zu werden. 4) Merke auf den Sabbat deines Herzens, daß du ihn feierst, und wenn sie dich halten, so mache dich frei oder gehe zu Grunde. 5) Ehre die Eigentümlichkeit und die Willkür deiner Kinder, auf daß es ihnen wohlgehe, und sie kräftig leben auf Erden. 6) Du sollst nicht absichtlich lebendig machen. 7) Du sollst keine Ehe schließen, die gebrochen werden müßte. 8) Du sollst nicht geliebt sein wollen, wo du nicht liebst. 9) Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen für die Männer; du sollst ihre Barbarei nicht beschönigen mit Worten und Werken. 10) Laß dich gelüsten nach der Männer Bildung, Kunst, Weisheit und Ehre. – Der Glaube. 1) Ich glaube an die unendliche Menschheit, die da war, ehe sie die Hülle der Männlichkeit und der Weiblichkeit annahm. 2) Ich glaube, daß ich nicht lebe, um zu gehorchen oder um mich zu zerstreuen, sondern um zu sein und zu werden; und ich glaube an die Macht des Willens und der Bildung, mich dem Unendlichen wieder zu nähern, mich aus den Fesseln der Mißbildung zu erlösen, und mich von den Schranken des Geschlechts unabhängig zu machen. 3) Ich glaube an Begeisterung und Tugend, an die Würde der Kunst und den Reiz der Wissenschaft, an Freundschaft der Männer und Liebe zum Vaterlande, an vergangene Größe und künftige Veredlung. [Schleiermacher] [365] Die Mathematik ist gleichsam eine sinnliche Logik, sie verhält sich zur Philosophie, wie die materiellen Künste, Musik und Plastik zur Poesie. [366] Verstand ist mechanischer, Witz ist chemischer, Genie ist organischer Geist.

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[367] Man glaubt Autoren oft durch Vergleichungen mit dem Fabrikwesen zu schmähen. Aber soll der wahre Autor nicht auch Fabrikant sein? Soll er nicht sein ganzes Leben dem Geschäft widmen, literarische Materie in Formen zu bilden, die auf eine große Art zweckmäßig und nützlich sind? Wie sehr wäre manchem Pfuscher nur ein geringer Teil von dem Fleiß und der Sorgfalt zu wünschen, die wir an den gemeinsten Werkzeugen kaum noch achten!

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[368] Es gab und gibt schon Ärzte, die über ihre Kunst zu philosophieren wünschen. Die Kaufleute allein machen nicht einmal diese Prätension und sind recht altfränkisch bescheiden.

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[369] Der Deputierte ist etwas ganz anders als der Repräsentant. Repräsentant ist nur, wer das politische Ganze in seiner Person, gleichsam identisch mit ihm, darstellt, er mag nun gewählt sein oder nicht; er ist wie die sichtbare Weltseele des Staats. Diese Idee, welche offenbar nicht selten der Geist der Monarchien war, ist vielleicht nirgends so rein und konsequent ausgeführt wie zu Sparta. Die spartanischen Könige waren zugleich die ersten Priester, Feldherren und Präsidenten der öffentlichen Erziehung. Mit der eigentlichen Administration hatten sie wenig

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zu schaffen; sie waren eben nichts als Könige im Sinne jener Idee. Die Gewalt des Priesters, des Feldherrn und des Erziehers ist ihrer Natur nach unbestimmt, universell, mehr oder weniger ein rechtlicher Despotismus. Nur durch den Geist der Repräsentation kann er gemildert und legitimiert werden. [370] Sollte nicht das eine absolute Monarchie sein, wo alles Wesentliche durch ein Kabinett im Geheim geschieht, und wo ein Parlament über die Formen mit Pomp öffentlich reden und streiten darf? Eine absolute Monarchie könnte sonach sehr gut eine Art von Konstitution haben, die Unverständigen wohl gar republikanisch schiene.

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[371] Um den Unterschied der Pflichten gegen sich selbst und der Pflichten gegen andre zu bestimmen, dürften sich schwerlich andre Kennzeichen finden, als die welche jener einfältige Mensch für den der Tragödie und der Komödie angab. Lachst du dabei und bekommst du am Ende etwas, so nimms für eine Pflicht gegen dich selbst; ist dir das Weinen näher und bekommts ein andrer, so nimms für eine Pflicht gegen den Nächsten. Daß die ganze Einteilung am Ende darauf hinausläuft, und daß es auch ein ganz unmoralischer Unterschied ist, leuchtet ein. Es entsteht daraus die Ansicht als ob es zwei ganz verschiedne im Streit liegende Stimmungen gäbe, die entweder sorgfältig auseinander gehalten oder durch eine kleinliche Arithmetik künstlich verglichen werden müßten. Es entstehn daraus die Fantome von Hingebung, Aufopferung, Großmut und was alles für moralisches Unheil. Überhaupt ist die gesamte Moral aller Systeme eher jedes andre, nur nicht moralisch. [Schleiermacher]

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[372] In den Werken der größten Dichter atmet nicht selten der Geist einer andern Kunst. Sollte dies nicht auch bei Malern der Fall sein; malt nicht Michelangelo in gewissem Sinn wie ein Bildhauer, Raffael wie ein Architekt, Correggio wie ein Musiker? Und gewiß würden sie darum nicht weniger Maler sein als Tizian, weil dieser bloß Maler war. [373] Die Philosophie war bei den Alten in ecclesia pressa, die Kunst bei den Neuern; die Sittlichkeit aber war noch überall im Gedränge, die Nützlichkeit und die Rechtlichkeit mißgönnen ihr sogar die Existenz.

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[374] Sieht man nicht auf Voltaires Behandlung, sondern bloß auf die Meinung des Buchs, das Weltall persiflieren sei Philosophie und eigentlich das Rechte: so kann man sagen, die französischen Philosophen machen es mit dem Candide, wie die Weiber mit der Weiblichkeit; sie bringen ihn überall an. [375] Grade die Energie hat am wenigsten das Bedürfnis, zu zeigen, was sie kann. Fodern es die Umstände, so mag sie gern Passivität scheinen, und verkannt werden. Sie ist zufrieden, im Stillen zu wirken ohne Akkompagnement und ohne Gestikulation. Der Virtuose, der genialische Mensch will einen bestimmten Zweck durchsetzen, ein Werk bilden usw. Der energische Mensch benutzt immer nur den Moment, und ist überall bereit und unendlich biegsam. Er hat unermeßlich viel Projekte oder gar keins: denn Energie ist zwar mehr als bloße Agilität, es ist wirkende, bestimmt nach außen wirkende Kraft, aber universelle Kraft, durch die der ganze Mensch sich bildet und handelt.

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[376] Die passiven Christen betrachten die Religion meistens aus einem medizinischen, die aktiven aus einem merkantilischen Gesichtspunkte. [377] Hat der Staat denn ein Recht, Wechsel aus reiner Willkür gültiger zu heiligen, als andre Verträge, und dadurch diese ihrer Majestät zu entsetzen? 5

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[378] Es ist nicht selten, daß jemand lange kalt scheint und heißt, der nachher bei außerordentlichen Veranlassungen durch die gewaltigsten Explosionen von Leidenschaft alles in Erstaunen setzt. Das ist der wahrhaft gefühlvolle Mensch, bei dem die ersten Eindrücke nicht stark sind, aber lange nachwirken, tief ins Innre dringen, und im Stillen durch ihre eigne Kraft wachsen. Immer gleich zu reagieren ist das Kennzeichen der Schwäche, jenes innre Crescendo der Empfindungen ist die Eigenheit energischer Naturen. [Schleiermacher] [379] Der Satan der italiänischen und engländischen Dichter mag poetischer sein: aber der deutsche Satan ist satanischer; und insofern könnte man sagen, der Satan sei eine deutsche Erfindung. Gewiß ist er ein Favorit deutscher Dichter und Philosophen. Er muß also wohl auch sein Gutes haben, und wenn sein Charakter in der unbedingten Willkürlichkeit und Absichtlichkeit, und in der Liebhaberei am Vernichten, Verwirren und Verführen besteht, so findet man ihn unstreitig nicht selten in der schönsten Gesellschaft. Aber sollte man sich bisher nicht in den Dimensionen vergriffen haben? Ein großer Satan hat immer etwas Ungeschlachtes, und Vierschrötiges; er paßt höchstens nur für die Prätensionen auf Ruchlosigkeit solcher Karikaturen, die nichts können und mögen, als Verstand affektieren. Warum fehlen die Satanisken in der christlichen Mythologie? Es gibt vielleicht kein angemeßneres Wort und Bild für gewisse Bosheiten en miniature, deren Schein die Unschuld liebt; und für jene reizend groteske Farbenmusik des erhabensten und zartesten Mutwillens, welche die Oberfläche der Größe so gern zu umspielen pflegt. Die alten Amorinen sind nur eine andre Race dieser Satanisken. [380] Vorlesen und Deklamieren ist nicht einerlei. Dieses erfodert den richtig höchsten, jenes einen gemäßigten Ausdruck. Deklamation gehört für die Ferne, nicht in das Zimmer. Die laute Stimme zu welcher sie sich, um den gehörigen Wechsel hervorzubringen, erhöhen muß, beleidigt ein feines Gehör. Alle Wirkung geht in der Betäubung verloren. Mit Gestikulation verbunden wird sie widrig wie alle Demonstrationen heftiger Leidenschaft. Die gebildete Empfindung kann sie nur in solcher Entfernung ertragen, die gleichsam wieder einen Schleier über sie wirft. Der Ton, statt sich zu erheben, muß, um die Wirkung durch ein andres Mittel hervorzubringen, gedämpft, in der Tiefe gehalten und der Akzent nur so bezeichnet werden, daß das Verstehen dessen was man liest angedeutet wird, ohne das Gelesene ganz auszudrücken. Bei epischen Gedichten und dem Roman insbesondre sollte der Vorleser nie von seinem Gegenstande hingerissen scheinen, sondern die stille Superiorität des Verfassers selbst behaupten, der über seinem Werke ist. Überhaupt wäre es sehr nötig das Vorlesen zu üben, damit es allgemeiner eingeführt würde, und sehr nötig es einzuführen, um es desto besser zu üben. Bei uns bleibt die Poesie wenigstens stumm und wer denn doch zum Beispiel den

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Wilhelm Meister nie laut gelesen oder lesen gehört hätte, der hat diese Musik nur in den Noten studiert. [A.W.Schlegel] [381] Viele der ersten Stifter der modernen Physik müssen gar nicht als Philosophen, sondern als Künstler betrachtet werden. [382] Der Instinkt spricht dunkel und bildlich. Wird er mißverstanden, so entsteht eine falsche Tendenz. Das widerfährt Zeitaltern und Nationen nicht seltener als Individuen. [383] Es gibt eine Art von Witz, den man wegen seiner Gediegenheit, Ausführlichkeit und Symmetrie den architektonischen nennen möchte. Äußert er sich satirisch, so gibt das die eigentlichen Sarkasmen. Er muß ordentlich systematisch sein, und doch auch wieder nicht; bei aller Vollständigkeit muß dennoch etwas zu fehlen scheinen, wie abgerissen. Dieses Barocke dürfte wohl eigentlich den großen Styl im Witz erzeugen. Es spielt eine wichtige Rolle in der Novelle: denn eine Geschichte kann doch nur durch eine solche einzig schöne Seltsamkeit ewig neu bleiben. Dahin scheint die wenig verstandne Absicht der Unterhaltungen der Ausgewanderten zu gehn. Wunder nimmts gewiß niemand, daß der Sinn für reine Novellen fast nicht mehr existiert. Doch wäre es nicht übel, ihn wieder zu erwecken, da man unter andern die Form der Shakespeareschen Dramen ohne das wohl nie begreifen wird. [384] Jeder Philosoph hat seine veranlassende Punkte, die ihn nicht selten real beschränken, an die er sich akkomodiert usw. Da bleiben denn dunkle Stellen im System für den, welcher es isoliert, und die Philosophie nicht historisch und im Ganzen studiert. Manche verwickelte Streitfragen der modernen Philosophie sind wie die Sagen und Götter der alten Poesie. Sie kommen in jedem System wieder, aber immer verwandelt. [385] In den Handlungen und Bestimmungen, welche der gesetzgebenden, ausübenden oder richterlichen Gewalt zur Erreichung ihrer Zwecke unentbehrlich sind, kommt oft etwas absolut Willkürliches vor, welches unvermeidlich ist, und sich aus dem Begriff jener Gewalten nicht ableiten läßt, wozu sie also für sich nicht berechtigt scheinen. Ist die Befugnis dazu nicht etwa von der konstitutiven Gewalt entlehnt, die daher auch notwendig ein Veto haben müßte, nicht bloß ein Recht des Interdikts? Geschehn nicht alle absolut willkürlichen Bestimmungen im Staat kraft der konstitutiven Gewalt? [386] Der platte Mensch beurteilt alle andre Menschen wie Menschen, behandelt sie aber wie Sachen, und begreift es durchaus nicht, daß sie andre Menschen sind als er.

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[387] Man betrachtet die kritische Philosophie immer so als ob sie vom Himmel gefallen wäre. Sie hätte auch ohne Kant in Deutschland entstehn müssen, und es auf viele Weisen können. Doch ists so besser. [388] Transzendental ist was in der Höhe ist, sein soll und kann: transzendent ist, was in die Höhe will, und nicht kann oder nicht soll. Es wäre Lästerung und Unsinn zu glauben, die Menschheit könne ihren Zweck überschreiten, ihre Kräfte

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überspringen, oder die Philosophie dürfe irgend etwas nicht, was sie will und also soll.

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[389] Wenn jede rein willkürliche oder rein zufällige Verknüpfung von Form und Materie grotesk ist: so hat auch die Philosophie Grotesken wie die Poesie; nur weiß sie weniger darum, und hat den Schlüssel zu ihrer eignen esoterischen Geschichte noch nicht finden können. Sie hat Werke, die ein Gewebe von moralischen Dissonanzen sind, aus denen man die Desorganisation lernen könnte, oder wo die Konfusion ordentlich konstruiert und symmetrisch ist. Manches philosophische Kunstchaos der Art hat Festigkeit genug gehabt, eine gotische Kirche zu überleben. In unserem Jahrhundert hat man auch in den Wissenschaften leichter gebaut, obgleich nicht weniger grotesk. Es fehlt der Literatur nicht an chinesischen Gartenhäusern. So zum Beispiel die engländische Kritik, die doch nichts enthält, als eine Anwendung der Philosophie des gesunden Menschenverstandes, die selbst nur eine Versetzung der Naturphilosophie und Kunstphilosophie ist, auf die Poesie ohne Sinn für die Poesie. Denn von Sinn für die Poesie findet sich in Harris, Home und Johnson, den Koryphäen der Gattung, auch nicht die schamhafteste Andeutung. [390] Es gibt rechtliche und angenehme Leute, die den Menschen und das Leben so betrachten und besprechen, als ob von der besten Schafzucht oder vom Kaufen und Verkaufen der Güter die Rede wäre. Es sind die Ökonomen der Moral, und eigentlich behält wohl alle Moral ohne Philosophie auch bei großer Welt und hoher Poesie immer einen gewissen illiberalen und ökonomischen Anstrich. Einige Ökonomen bauen gern, andre flicken lieber, andre müssen immer etwas bringen, andre treiben, andre versuchen alles, und halten sich überall an, andre legen immer zurecht und machen Fächer, andre sehen zu und machen nach. Alle Nachahmer in der Poesie und Philosophie sind eigentlich verlaufne Ökonomen. Jeder Mensch hat seinen ökonomischen Instinkt, der gebildet werden muß, so gut wie auch die Orthographie und die Metrik gelernt zu werden verdienen. Aber es gibt ökonomische Schwärmer und Pantheisten, die nichts achten als die Notdurft und sich über nichts freuen als über ihre Nützlichkeit. Wo sie hinkommen, wird alles platt und handwerksmäßig, selbst die Religion, die Alten und die Poesie, die auf ihrer Drechselbank nichts edler ist als Flachshecheln. [391] Lesen heißt den philologischen Trieb befriedigen, sich selbst literarisch affizieren. Aus reiner Philosophie oder Poesie ohne Philologie kann man wohl nicht lesen. [392] Viele musikalische Kompositionen sind nur Übersetzungen des Gedichts in die Sprache der Musik.

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[393] Um aus den Alten ins Moderne vollkommen übersetzen zu können, müßte der Übersetzer desselben so mächtig sein, daß er allenfalls alles Moderne machen könnte; zugleich aber das Antike so verstehn, daß ers nicht bloß nachmachen, sondern allenfalls wiederschaffen könnte. [394] Es ist ein großer Irrtum, den Witz bloß auf die Gesellschaft einschränken zu wollen. Die besten Einfälle machen durch ihre zermalmende Kraft, ihren un-

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endlichen Gehalt und ihre klassische Form oft einen unangenehmen Stillstand im Gespräch. Eigentlichen Witz kann man sich doch nur geschrieben denken, wie Gesetze; man muß seine Produkte nach dem Gewicht würdigen, wie Caesar die Perlen und Edelsteine in der Hand sorgfältig gegeneinander abwog. Der Wert steigt mit der Größe ganz unverhältnismäßig; und manche, die bei einem enthusiastischen Geist und barockem Äußern, noch beseelte Akzente, frisches Kolorit und eine gewisse krystallne Durchsichtigkeit haben, die man mit dem Wasser der Diamanten vergleichen möchte, sind gar nicht mehr zu taxieren.

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[395] In der wahren Prosa muß alles unterstrichen sein. [396] Karikatur ist eine passive Verbindung des Naiven und Grotesken. Der Dichter kann sie ebensowohl tragisch als komisch gebrauchen.

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[397] Da die Natur und die Menschheit sich so oft und so schneidend widersprechen, darf die Philosophie es vielleicht nicht vermeiden, dasselbe zu tun. [398] Der Mystizismus ist die mäßigste und wohlfeilste aller philosophischen Rasereien. Man darf ihm nur einen einzigen absoluten Widerspruch kreditieren, er weiß alle Bedürfnisse damit zu bestreiten und kann noch großen Luxus treiben.

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[399] Polemische Totalität ist zwar eine notwendige Folge aus der Annahme und Foderung unbedingter Mitteilbarkeit und Mitteilung, und kann wohl die Gegner vollkommen vernichten, ohne jedoch die Philosophie ihres Eigentümers hinreichend zu legitimieren, so lange sie bloß nach Außen gerichtet ist. Nur wenn sie auch auf das Innere angewandt wäre, wenn eine Philosophie ihren Geist selbst kritisierte, und ihren Buchstaben auf dem Schleifstein und mit der Feile der Polemik selbst bildete, könnte sie zu logischer Korrektheit führen.

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[400] Es gibt noch gar keinen Skeptizismus, der den Namen verdient. Ein solcher müßte mit der Behauptung und Foderung unendlich vieler Widersprüche anfangen und endigen. Daß Konsequenz in ihm vollkommne Selbstvernichtung nach sich ziehen würde, ist nichts Charakteristisches. Das hat diese logische Krankheit mit aller Unphilosophie gemein. Respekt vor der Mathematik, und Appellieren an den gesunden Menschenverstand sind die diagnostischen Zeichen des halben unechten Skeptizismus.

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[401] Um jemand zu verstehn, der sich selbst nur halb versteht, muß man ihn erst ganz und besser als er selbst, dann aber auch nur halb und grade so gut wie er selbst verstehn. [402] Bei der Frage von der Möglichkeit, die alten Dichter zu übersetzen, kömmts eigentlich darauf an, ob das treu aber in das reinste Deutsch Übersetzte nicht etwa immer noch griechisch sei. Nach dem Eindruck auf die Laien, welche am meisten Sinn und Geist haben, zu urteilen, sollte man das vermuten. [403] Die echte Rezension sollte die Auflösung einer kritischen Gleichung, das Resultat und die Darstellung eines philologischen Experiments und einer literarischen Recherche sein. [404] Zur Philologie muß man geboren sein, wie zur Poesie und zur Philosophie. Es gibt keinen Philologen ohne Philologie in der ursprünglichsten Bedeutung des

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Worts, ohne grammatisches Interesse. Philologie ist ein logischer Affekt, das Seitenstück der Philosophie, Enthusiasmus für chemische Erkenntnis: denn die Grammatik ist doch nur der philosophische Teil der universellen Scheidungs- und Verbindungskunst. Durch die kunstmäßige Ausbildung jenes Sinns entsteht die Kritik, deren Stoff nur das Klassische und schlechthin Ewige sein kann, was nie ganz verstanden werden mag: sonst würden die Philologen, an deren meisten man die gewöhnlichsten und sichersten Merkmale der unwissenschaftlichen Virtuosität wahrnimmt, ihre Geschicklichkeit ebenso gern an jedem andern Stoff zeigen als an den Werken des Altertums, für das sie in der Regel weder Interesse noch Sinn haben. Doch ist diese notwendige Beschränktheit um so weniger zu tadeln oder zu beklagen, da auch hier die künstlerische Vollendung allein zur Wissenschaft führen, und die bloße formelle Philologie einer materialen Altertumslehre und einer humanen Geschichte der Menschheit nähern muß. Besser als eine sogenannte Anwendung der Philosophie auf die Philologie im gewöhnlichen Styl derer, welche die Wissenschaften mehr kompilieren als kombinieren. Die einzige Art, die Philosophie auf die Philologie oder, welches noch weit nötiger ist, die Philologie auf die Philosophie anzuwenden, ist, wenn man zugleich Philolog und Philosoph ist. Doch auch ohne das kann die philologische Kunst ihre Ansprüche behaupten. Sich ausschließlich der Entwicklung eines ursprünglichen Triebes zu widmen, ist so würdig und so weise, wie das Beste und das Höchste, was der Mensch nur immer zum Geschäft seines Lebens wählen kann. [405] Die Mildtätigkeit ist die schmähliche Tugend die es in Romanen und Schauspielen immer ausbüßen muß, wenn gemeine Natur zum edlen Charakter erhoben, oder gar wie in Kotzebues Stücken anderweitige Schlechtigkeit wieder gut gemacht werden soll. Warum benutzt man nicht die wohltätige Stimmung des Augenblicks, und läßt den Klingelbeutel im Schauspielhause umhergehn? [A.W.Schlegel] [406] Wenn jedes unendliche Individuum Gott ist, so gibts so viele Götter als Ideale. Auch ist das Verhältnis des wahren Künstlers und des wahren Menschen zu seinen Idealen durchaus Religion. Wem dieser innre Gottesdienst Ziel und Geschäft des ganzen Lebens ist, der ist Priester, und so kann und soll es jeder werden. [407] Das wichtigste Stück der guten Lebensart ist die Dreistigkeit, sie denen absichtlich andichten zu können, von denen man weiß, daß sie sie nicht haben: das schwerste ist, unter der Hülle der allgemeinen guten Sitte die eigentümliche Gemeinheit zu ahnden und zu erraten. [Schleiermacher] [408] Niedliche Gemeinheit und gebildete Unart heißt in der Sprache des feinen Umgangs Delikatesse.

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[409] Um sittlich zu heißen, müssen Empfindungen nicht bloß schön, sondern auch weise, im Zusammenhange ihres Ganzen zweckmäßig, im höchsten Sinne schicklich sein. [410] Alltäglichkeit, Ökonomie ist das notwendige Supplement aller nicht schlechthin universellen Naturen. Oft verliert sich das Talent und die Bildung ganz in diesem umgebenden Element.

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[411] Das wissenschaftliche Ideal des Christianismus ist eine Charakteristik der Gottheit mit unendlich vielen Variationen. [412] Ideale die sich für unerreichbar halten, sind eben darum nicht Ideale, sondern mathematische Fantome des bloß mechanischen Denkens. Wer Sinn fürs Unendliche hat, und weiß was er damit will, sieht in ihm das Produkt sich ewig scheidender und mischender Kräfte, denkt sich seine Ideale wenigstens chemisch, und sagt, wenn er sich entschieden ausdrückt, lauter Widersprüche. So weit scheint die Philosophie des Zeitalters gekommen zu sein; nicht aber die Philosophie der Philosophie: denn auch chemische Idealisten haben doch nicht selten nur ein einseitiges mathematisches Ideal des Philosophierens. Ihre Thesen darüber sind ganz wahr d.h. philosophisch: aber die Antithesen dazu fehlen. Eine Physik der Philosophie scheint noch nicht an der Zeit zu sein, und nur der vollendete Geist könnte Ideale organisch denken.

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[413] Ein Philosoph muß von sich selbst reden so gut wie ein lyrischer Dichter. [414] Gibts eine unsichtbare Kirche, so ist es die jener großen Paradoxie, die von der Sittlichkeit unzertrennlich ist, und von der bloß philosophischen noch sehr unterschieden werden muß. Menschen, die so ekzentrisch sind, im vollen Ernst tugendhaft zu sein und zu werden, verstehn sich überall, finden sich leicht, und bilden eine stille Opposition gegen die herrschende Unsittlichkeit, die eben für Sittlichkeit gilt. Ein gewisser Mystizismus des Ausdrucks, der bei einer romantischen Fantasie und mit grammatischem Sinn verbunden, etwas sehr Reizendes und etwas sehr Gutes sein kann, dient ihnen oft als Symbol ihrer schönen Geheimnisse.

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[415] Sinn für Poesie oder Philosophie hat der, für den sie ein Individuum ist. [416] Zur Philosophie gehören, je nach dem man es nimmt, entweder gar keine oder alle Sachkenntnisse.

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[417] Man soll niemanden zur Philosophie verführen oder bereden wollen. [418] Auch nach den gewöhnlichsten Ansichten ist es Verdienst genug, um einen Roman berühmt zu machen, wenn ein durchaus neuer Charakter darin auf eine interessante Art dargestellt und ausgeführt wird. Dies Verdienst hat William Lovell unleugbar, und daß alles Nebenwerk und Gerüste darin gemein oder mißglückt ist, wie der große Machinist im Hintergrunde des Ganzen, daß das Ungewöhnliche darin oft nur ein umgekehrtes Gewöhnliches ist, hätte ihm wohl nicht geschadet: aber der Charakter war unglücklicherweise poetisch. Lovell ist wie seine nur etwas zu wenig unterschiedene Variation Balder ein vollkommner Fantast in jedem guten und in jedem schlechten, in jedem schönen und in jedem häßlichen Sinne des Worts. Das ganze Buch ist ein Kampf der Prosa und der Poesie, wo die Prosa mit Füßen getreten wird und die Poesie über sich selbst den Hals bricht. Übrigens hat es den Fehler mancher ersten Produkte: es schwankt zwischen Instinkt und Absicht, weil es von beiden nicht genug hat. Daher die Wiederholungen, wodurch die Darstellung der erhabenen Langenweile zuweilen in Mitteilung übergehn kann. Hier liegt der Grund, warum die absolute Fantasie in diesem Roman auch von Eingeweihten der Poesie verkannt und als bloß sentimental verachtet

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werden mag, während dem vernünftigen Leser, der für sein Geld mäßig gerührt zu werden verlangt, das Sentimentale darin keineswegs zusagt und sehr furios dünkt. So tief und ausführlich hat Tieck vielleicht noch keinen Charakter wieder dargestellt. Aber der Sternbald vereinigt den Ernst und Schwung des Lovell mit der künstlerischen Religiosität des Klosterbruders und mit allem was in den poetischen Arabesken, die er aus alten Märchen gebildet, im ganzen genommen das Schönste ist: die fantastische Fülle und Leichtigkeit, der Sinn für Ironie, und besonders die absichtliche Verschiedenheit und Einheit des Kolorits. Auch hier ist alles klar und transparent, und der romantische Geist scheint angenehm über sich selbst zu fantasieren. [419] Die Welt ist viel zu ernsthaft, aber der Ernst ist doch selten genug. Ernst ist das Gegenteil von Spiel. Der Ernst hat einen bestimmten Zweck, den wichtigsten unter allen möglichen; er kann nicht tändeln und kann sich nicht täuschen; er verfolgt sein Ziel unermüdet bis er es ganz erreicht hat. Dazu gehört Energie, Geisteskraft von schlechthin unbegrenzter Extension und Intension. Gibt es keine absolute Höhe und Weite für den Menschen, so ist das Wort Größe in sittlicher Bedeutung überflüssig. Ernst ist Größe in Handlung. Groß ist was zugleich Enthusiasmus und Genialität hat, was zugleich göttlich und vollendet ist. Vollendet ist, was zugleich natürlich und künstlich ist. Göttlich ist was aus der Liebe zum reinen ewigen Sein und Werden quillt, die höher ist als alle Poesie und Philosophie. Es gibt eine ruhige Göttlichkeit ohne die zermalmende Kraft des Helden und die bildende Tätigkeit des Künstlers. Was zugleich göttlich, vollendet und groß ist, ist vollkommen. [420] Ob eine gebildete Frau, bei der von Sittlichkeit die Frage sein kann, verderbt oder rein sei, läßt sich vielleicht sehr bestimmt entscheiden. Folgt sie der allgemeinen Tendenz, ist Energie des Geistes und des Charakters, die äußre Erscheinung derselben und was eben durch sie gilt, ihr Eins und Alles, so ist sie verderbt. Kennt sie etwas Größeres als die Größe, kann sie über ihre natürliche Neigung zur Energie lächeln, ist sie mit einem Worte des Enthusiasmus fähig, so ist sie unschuldig im sittlichen Sinne. In dieser Rücksicht kann man sagen, alle Tugend des Weibes sei Religion. Aber daß die Frauen gleichsam mehr an Gott oder an Christus glauben müßten, als die Männer, daß irgend eine gute und schöne Freigeisterei ihnen weniger zieme als den Männern, ist wohl nur eine von den unendlich vielen gemeingeltenden Plattheiten, die Rousseau in ein ordentliches System der Weiblichkeitslehre verbunden hat, in welchem der Unsinn so ins reine gebracht und ausgebildet war, daß es durchaus allgemeinen Beifall finden mußte. [421] Der große Haufen liebt Friedrich Richters Romane vielleicht nur wegen der anscheinenden Abenteuerlichkeit. Überhaupt interessiert er wohl auf die verschiedenste Art und aus ganz entgegengesetzten Ursachen. Während der gebildete Ökonom edle Tränen in Menge bei ihm weint, und der strenge Künstler ihn als das blutrote Himmelszeichen der vollendeten Unpoesie der Nation und des Zeitalters haßt, kann sich der Mensch von universeller Tendenz an den grotesken Porzellanfiguren seines wie Reichstruppen zusammengetrommelten Bilderwitzes ergötzen, oder die Willkürlichkeit in ihm vergöttern. Ein eignes Phänomen ist es;

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ein Autor, der die Anfangsgründe der Kunst nicht in der Gewalt hat, nicht ein Bonmot rein ausdrücken, nicht eine Geschichte gut erzählen kann, nur so was man gewöhnlich gut erzählen nennt, und dem man doch schon um eines solchen humoristischen Dithyrambus willen, wie der Adamsbrief des trotzigen, kernigen, prallen, herrlichen Leibgeber, den Namen eines großen Dichters nicht ohne Ungerechtigkeit absprechen dürfte. Wenn seine Werke auch nicht übermäßig viel Bildung enthalten, so sind sie doch gebildet: das Ganze ist wie das Einzelne und umgekehrt; kurz, er ist fertig. Es ist ein großer Vorzug des Siebenkäs, daß die Ausführung und Darstellung darin noch am besten ist; ein weit größerer, daß so wenig Engländer darin sind. Freilich sind seine Engländer am Ende auch Deutsche, nur in idyllischen Verhältnissen und mit sentimentalen Namen: indessen haben sie immer eine starke Ähnlichkeit mit Louvets Polen und gehören mit zu den falschen Tendenzen, deren er so viele hat. Dahin gehören auch die Frauen, die Philosophie, die Jungfrau Maria, die Zierlichkeit, die idealischen Visionen und die Selbstbeurteilung. Seine Frauen haben rote Augen und sind Exempel, Gliederfrauen zu psychologischmoralischen Reflexionen über die Weiblichkeit oder über die Schwärmerei. Überhaupt läßt er sich fast nie herab, die Personen darzustellen; genug daß er sie sich denkt, und zuweilen eine treffende Bemerkung über sie sagt. So hält ers mit den passiven Humoristen, den Menschen, die eigentlich nur humoristische Sachen sind: die aktiven erscheinen auch selbständiger, aber sie haben eine zu starke Familienähnlichkeit unter sich und mit dem Autor, als daß man ihnen dies für ein Verdienst anrechnen dürfte. Sein Schmuck besteht in bleiernen Arabesken im Nürnberger Styl. Hier ist die an Armut grenzende Monotonie seiner Fantasie und seines Geistes am auffallendsten: aber hier ist auch seine anziehende Schwerfälligkeit zu Hause, und seine pikante Geschmacklosigkeit, an der nur das zu tadeln ist, daß er nicht um sie zu wissen scheint. Seine Madonna ist eine empfindsame Küstersfrau, und Christus erscheint wie ein aufgeklärter Kandidat. Je moralischer seine poetischen Rembrandts sind, desto mittelmäßiger und gemeiner; je komischer, je näher dem Bessern; je dithyrambischer und je kleinstädtischer, desto göttlicher. denn seine Ansicht des Kleinstädtischen ist vorzüglich gottesstädtisch. Seine humoristische Poesie sondert sich immer mehr von seiner sentimentalen Prosa; oft erscheint sie gleich eingestreuten Liedern als Episode, oder vernichtet als Appendix das Buch. Doch zerfließen ihm immer noch zu Zeiten gute Massen in das allgemeine Chaos.

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[422] Mirabeau hat eine große Rolle in der Revolution gespielt, weil sein Charakter und sein Geist revolutionär war; Robespierre, weil er der Revolution unbedingt gehorchte, sich ihr ganz hingab, sie anbetete, und sich für den Gott derselben hielt; Buonaparte, weil er Revolutionen schaffen und bilden, und sich selbst annihilieren kann.

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[423] Sollte der jetzige französische Nationalcharakter nicht eigentlich mit dem Kardinal Richelieu anfangen? Seine seltsame und beinah abgeschmackte Universalität erinnert an viele der merkwürdigsten französischen Phänomene nach ihm.

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[424] Man kann die Französische Revolution als das größte und merkwürdigste Phänomen der Staatengeschichte betrachten, als ein fast universelles Erdbeben,

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eine unermeßliche Überschwemmung in der politischen Welt; oder als ein Urbild der Revolutionen, als die Revolution schlechthin. Das sind die gewöhnlichen Gesichtspunkte. Man kann sie aber auch betrachten als den Mittelpunkt und den Gipfel des französischen Nationalcharakters, wo alle Paradoxien desselben zusammengedrängt sind; als die furchtbarste Groteske des Zeitalters, wo die tiefsinnigsten Vorurteile und die gewaltsamsten Ahndungen desselben in ein grauses Chaos gemischt, zu einer ungeheuren Tragikomödie der Menschheit so bizarr als möglich verwebt sind. Zur Ausführung dieser historischen Ansichten findet man nur noch einzelne Züge. [425] Die erste Regung der Sittlichkeit ist Opposition gegen die positive Gesetzlichkeit und konventionelle Rechtlichkeit, und eine grenzenlose Reizbarkeit des Gemüts. Kommt dazu noch die selbständigen und starken Geistern so eigne Nachlässigkeit, und die Heftigkeit und Ungeschicklichkeit der Jugend, so sind Ausschweifungen unvermeidlich, deren nicht zu berechnende Folgen oft das ganze Leben vergiften. So geschiehts, daß der Pöbel die für Verbrecher oder Exempel der Unsittlichkeit hält, welche für den wahrhaft sittlichen Menschen zu den höchst seltnen Ausnahmen gehören, die er als Wesen seiner Art, als Mitbürger seiner Welt betrachten kann. Wer denkt hiebei nicht an Mirabeau und Chamfort? [426] Es ist natürlich, daß die Franzosen etwas dominieren im Zeitalter. Sie sind eine chemische Nation, der chemische Sinn ist bei ihnen am allgemeinsten erregt, und sie machen ihre Versuche auch in der moralischen Chemie immer im Großen. Das Zeitalter ist gleichfalls ein chemisches Zeitalter. Revolutionen sind universelle nicht organische, sondern chemische Bewegungen. Der große Handel ist die Chemie der großen Ökonomie; es gibt wohl auch eine Alchemie der Art. Die chemische Natur des Romans, der Kritik, des Witzes, der Geselligkeit, der neuesten Rhetorik und der bisherigen Historie leuchtet von selbst ein. Ehe man nicht zu einer Charakteristik des Universums und zu einer Einteilung der Menschheit gelangt ist, muß man sich nur mit Notizen über den Grundton und einzelne Manieren des Zeitalters begnügen lassen, ohne den Riesen auch nur silhouettieren zu können. Denn wie wollte man ohne jene Vorkenntnisse bestimmen, ob das Zeitalter wirklich ein Individuum, oder vielleicht nur ein Kollisionspunkt andrer Zeitalter sei; wo es bestimmt anfange und endige? Wie wäre es möglich, die gegenwärtige Periode der Welt richtig zu verstehen und zu interpungieren, wenn man nicht wenigstens den allgemeinen Charakter der nächstfolgenden antizipieren dürfte? Nach der Analogie jenes Gedankens würde auf das chemische ein organisches Zeitalter folgen, und dann dürften die Erdbürger des nächsten Sonnenumlaufs wohl bei weitem nicht so groß von uns denken wie wir selbst, und vieles was jetzt bloß angestaunt wird, nur für nützliche Jugendübungen der Menschheit halten. [427] Eine sogenannte Recherche ist ein historisches Experiment. Der Gegenstand und das Resultat desselben ist ein Faktum. Was ein Faktum sein soll, muß strenge Individualität haben, zugleich ein Geheimnis und ein Experiment sein, nämlich ein Experiment der bildenden Natur. Geheimnis und Mysterie ist alles was nur durch Enthusiasmus und mit philosophischem poetischem oder sittlichem Sinn aufgefaßt werden kann.

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[428] Auch die Sprache begegnet der Sittlichkeit schlecht. Sie ist nirgends so roh und arm, als wo es auf die Bezeichnung sittlicher Begriffe ankommt. Zum Beispiel nehme ich die drei Charaktere, die sich aus den verschiedenen Verbindungen zwischen Zweck und Mittel konstruieren lassen. Es gibt Menschen, denen unter der Hand alles was sie als Mittel behandeln, zum Zweck wird. Sie widmen sich einer Wissenschaft um ihr Glück zu machen, und werden von den Reizen derselben gefesselt. Sie suchen einen Anhänger derselben auf, und sie fangen an ihn zu lieben. Sie besuchen seine Zirkel um mit ihm zu sein, und sie werden die leidenschaftlichsten Mitglieder derselben. Sie schreiben, oder treiben schöne Künste, oder kleiden sich besser, um in diesen Zirkeln zu gefallen, und ehe man sich versieht, finden sie unabhängig von Gefallen und Mißfallen in ihren Schreibereien, in ihrem Kunststudium, in ihrer Eleganz einen innigen Genuß. Dies ist ein sehr bestimmter Charakter der sich überall leicht erkennen läßt; hat aber die Sprache einen Namen dafür? Ein großer Kreis von verschiedenen Tätigkeiten wird auf diese Art durchlaufen, und die Sprache vergönnt auch ihn deswegen veränderlich oder vielseitig zu nennen: das ist aber nur ein Teil von den Erscheinungen dieser Denkungsart, welchen sie mit manchen andern gemein hat. Menschen von dieser Art machen den endlichen Raum vom gegenwärtigen Augenblick bis zur Erreichung eines gewissen Zweckes zu einer unendlichen und ins Unendliche geteilten Größe. Wem diese Fertigkeit das Endliche als etwas Unendliches zu behandeln, immer liebenswürdig erscheint, möchte sie so nennen: aber dies ist nur die Beschreibung eines Eindrucks. Für das Wesen dieses Charakters, von dem Interesse für etwas als Mittel in ein unmittelbares Interesse leicht und oft überzugehn, hat die Sprache kein Zeichen. Es gibt andre Menschen, welche den entgegengesetzten Weg gehn, und sehr leicht das, was ihnen anfangs Zweck war, nur als Mittel für etwas andres behandeln; die wenn sie einen Schriftsteller leidenschaftlich gelesen haben, mit einer Charakteristik desselben endigen, wenn sie eine Wissenschaft lange getrieben haben, sich bald zur Philosophie der Wissenschaft erheben, und selbst wenn eine persönliche Anhänglichkeit sie fesselt, in Gefahr sind, eine zärtliche Verbindung als Mittel zu behandeln, um eine neue Ansicht der menschlichen Natur zu gewinnen, oder über die Liebe aus eignen Experimenten zu philosophieren. Nenne mir das jemand auf Deutsch! Von den Wirkungen und dem Eindruck eines solchen Charakters zu reden, ist wohlfeil: daß es groß ist, das Endliche wegzuwerfen, weil man auf das Unendliche losgeht, daß es originell ist, Schranken umzureißen, wo andere hängen bleiben, neue Bahnen zu eröffnen, wo andere einen geschloßnen Kreis zu sehen glauben, große Leidenschaften in reißendem Fluge zu durchlaufen, und große Kunstwerke gleichsam im Vorbeigehn aufzubaun; denn das sind die natürlichen Äußerungen eines solchen Charakters, wenn er nicht erlischt; dies zu malen, hat die Sprache nicht Mangel an Worten. Es gibt einen dritten Charakter, der beide vereinigt, der so lange er einen Zweck vor Augen hat, alles wieder zum Zweck macht, was in das System desselben gehört, bei diesem endlichen Genuß dennoch das Höherstreben nicht vergißt und mitten auf seinen Riesenschritten immer wieder zu jenem zurückkehrt. Er verbindet das Talent, seine eignen Grenzen leicht zu finden, und nichts zu wollen, als was man kann, mit dem, seine Endzwecke mit den Kräften zugleich zu erweitern: die Weis-

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heit und ruhige Resignation des in sich gekehrten Gemüts, mit der Energie eines äußerst elastischen und expansibeln Geistes, der durch die geringste Öffnung, die sich darbietet, entweicht, um in einem Augenblick einen weit größern Kreis als den bisherigen auszufüllen. Er macht nie einen vergeblichen Versuch, den erkannten Schranken des Augenblicks zu entweichen, und glüht dabei doch von Sehnsucht, sich weiter auszudehnen; er widerstrebt nie dem Schicksal, aber er fodert es in jedem Augenblick auf, ihm eine Erweiterung seines Daseins anzuweisen; er hat immer alles im Auge, was ein Mensch nur werden kann und zu werden wünschen mag, aber strebt nie nach etwas, bis der günstige Moment erschienen ist. Daß ein solcher Charakter ein vollendetes praktisches Genie wäre, daß bei ihm alles Absicht und alles Instinkt, alles Willkür und alles Natur sein würde, das kann man sagen, aber ein Wort, um das Wesen dieses Charakters zu bezeichnen, wird vergebens gesucht. [Schleiermacher]

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[429] Wie die Novelle in jedem Punkt ihres Seins und ihres Werdens neu und frappant sein muß, so sollte vielleicht das poetische Märchen und vorzüglich die Romanze unendlich bizarr sein; denn sie will nicht bloß die Fantasie interessieren, sondern auch den Geist bezaubern und das Gemüt reizen; und das Wesen des Bizarren scheint eben in gewissen willkürlichen und seltsamen Verknüpfungen und Verwechslungen des Denkens, Dichtens und Handelns zu bestehn. Es gibt eine Bizarrerie der Begeisterung, die sich mit der höchsten Bildung und Freiheit verträgt, und das Tragische nicht bloß verstärkt, sondern verschönert und gleichsam vergöttlicht; wie in Goethes Braut von Korinth, die Epoche in der Geschichte der Poesie macht. Das Rührende darin ist zerreißend und doch verführerisch lokkend. Einige Stellen könnte man fast bürlesk nennen, und eben in diesen erscheint das Schreckliche zermalmend groß.

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[430] Es gibt unvermeidliche Lagen und Verhältnisse, die man nur dadurch liberal behandeln kann, daß man sie durch einen kühnen Akt der Willkür verwandelt und durchaus als Poesie betrachtet. Also sollen alle gebildete Menschen im Notfalle Poeten sein können, und daraus läßt sich ebenso gut folgern, daß der Mensch von Natur ein Poet sei, daß es eine Naturpoesie gebe, als umgekehrt.

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[431] Opfre den Grazien, heißt, wenn es einem Philosophen gesagt wird, so viel als: Schaffe dir Ironie und bilde dich zur Urbanität.

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[432] Bei manchen, besonders historischen Werken von Umfang, die im einzelnen überall sehr anziehend und schön geschrieben sind, empfindet man dennoch im ganzen eine unangenehme Monotonie. Um dies zu vermeiden, müßte Kolorit und Ton und selbst der Styl sich verändern und in den verschiedenen großen Massen des Ganzen auffallend verschieden sein, wodurch das Werk nicht bloß mannichfaltiger, sondern auch systematischer werden würde. Es leuchtet ein, daß eine solche regelmäßige Abwechslung nicht das Werk des Zufalls sein könne, daß der Künstler hier ganz bestimmt wissen müsse, was er wolle, um es machen zu können; aber es leuchtet auch ein, daß es voreilig sei, die Poesie oder die Prosa Kunst zu nennen, ehe sie dahin gelangt sind, ihre Werke vollständig zu konstruieren. Daß das Genie dadurch überflüssig gemacht werde, steht nicht zu besorgen, da der

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Sprung vom anschaulichsten Erkennen und klaren Sehen dessen, was hervorgebracht werden soll, bis zum Vollenden immer unendlich bleibt. [433] Das Wesen des poetischen Gefühls liegt vielleicht darin, daß man sich ganz aus sich selbst affizieren, über Nichts in Affekt geraten und ohne Veranlassung fantasieren kann. Sittliche Reizbarkeit ist mit einem gänzlichen Mangel an poetischem Gefühl sehr gut vereinbar. [434] Soll denn die Poesie schlechthin eingeteilt sein? oder soll sie die eine und unteilbare bleiben? oder wechseln zwischen Trennung und Verbindung? Die meisten Vorstellungsarten vom poetischen Weltsystem sind noch so roh und kindisch, wie die ältern vom astronomischen vor Kopernikus. Die gewöhnlichen Einteilungen der Poesie sind nur totes Fachwerk für einen beschränkten Horizont. Was einer machen kann, oder was eben gilt, ist die ruhende Erde im Mittelpunkt. Im Universum der Poesie selbst aber ruht nichts, alles wird und verwandelt sich und bewegt sich harmonisch; und auch die Kometen haben unabänderliche Bewegungsgesetze. Ehe sich aber der Lauf dieser Gestirne nicht berechnen, ihre Wiederkunft nicht vorherbestimmen läßt, ist das wahre Weltsystem der Poesie noch nicht entdeckt. [435] Einige Grammatiker scheinen den Grundsatz des alten Völkerrechts, daß jeder Fremde ein Feind sei, in die Sprache einführen zu wollen. Aber ein Autor, der auch ohne ausländische Worte fertig zu werden weiß, wird sich immer berechtigt halten dürfen, sie zu brauchen, wo der Charakter der Gattung selbst ein Kolorit der Universalität fodert oder wünscht; und ein historischer Geist wird sich immer für alte Worte, die so oft nicht bloß mehr Erfahrung und Verstand, sondern auch mehr Lebenskraft und Einheit haben, als viele sogenannte Menschen oder Grammatiker, mit Ehrfurcht und Liebe interessieren und sie bei Gelegenheit gern verjüngen. [436] Ganz ohne Rücksicht auf den Inhalt ist der Fürstenspiegel sehr schätzbar als ein Muster des guten Tons in geschriebner Konversation, wie die deutsche Prosa nur wenige aufzuweisen hat, aus denen der Autor, der die Philosophie und das gesellschaftliche Leben en rapport setzen will, lernen muß, wie man das Dekorum der Konvention zum Anstand der Natur adelt. So sollte eigentlich jeder schreiben können, der Veranlassung findet, etwas drucken zu lassen, ohne darum eben ein Autor sein zu wollen. [437] Wie kann eine Wissenschaft auf wissenschaftliche Strenge und Vollendung Anspruch machen, die meistens in usum delphini oder nach dem System der gelegenheitlichen Ursachen angeordnet und eingeteilt ist, wie die Mathematik?

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[438] Urbanität ist der Witz der harmonischen Universalität, und diese ist das Eins und Alles der historischen Philosophie und Platos höchste Musik. Die Humaniora sind die Gymnastik dieser Kunst und Wissenschaft. [439] Eine Charakteristik ist ein Kunstwerk der Kritik, ein visum repertum der chemischen Philosophie. Eine Rezension ist eine angewandte und anwendende Charakteristik, mit Rücksicht auf den gegenwärtigen Zustand der Literatur und des Publikums. Übersichten, literarische Annalen sind Summen oder Reihen von Charakteristiken. Parallelen sind kritische Gruppen. Aus der Verknüpfung beider

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entspringt die Auswahl der Klassiker, das kritische Weltsystem für eine gegebne Sphäre der Philosophie oder der Poesie.

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[440] Alle reine uneigennützige Bildung ist gymnastisch oder musikalisch; sie geht auf Entwicklung der einzelnen und auf Harmonie aller Kräfte. Die griechische Dichotomie der Erziehung ist mehr als eine von den Paradoxien des Altertums. [441] Liberal ist wer von allen Seiten und nach allen Richtungen wie von selbst frei ist und in seiner ganzen Menschheit wirkt; wer alles, was handelt, ist und wird, nach dem Maß seiner Kraft heilig hält, und an allem Leben Anteil nimmt, ohne sich durch beschränkte Ansichten zum Haß oder zur Geringschätzung desselben verführen zu lassen. [442] Philosophische Juristen nennen sich auch solche, die neben ihren andern Rechten, die oft so unrechtlich sind, auch ein Naturrecht haben, welches nicht selten noch unrechtlicher ist.

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[443] Die Deduktion eines Begriffs ist die Ahnenprobe seiner echten Abstammung von der intellektuellen Anschauung seiner Wissenschaft. Denn jede Wissenschaft hat die ihrige. [444] Es pflegt manchem seltsam und lächerlich aufzufallen, wenn die Musiker von den Gedanken in ihren Kompositionen reden; und oft mag es auch so geschehen, daß man wahrnimmt, sie haben mehr Gedanken in ihrer Musik als über dieselbe. Wer aber Sinn für die wunderbaren Affinitäten aller Künste und Wissenschaften hat, wird die Sache wenigstens nicht aus dem platten Gesichtspunkt der sogenannten Natürlichkeit betrachten, nach welcher die Musik nur die Sprache der Empfindung sein soll, und eine gewisse Tendenz aller reinen Instrumentalmusik zur Philosophie an sich nicht unmöglich finden. Muß die reine Instrumentalmusik sich nicht selbst einen Text erschaffen? und wird das Thema in ihr nicht so entwickelt, bestätigt, variiert und konstrastiert, wie der Gegenstand der Meditation in einer philosophischen Ideenreihe? [445] Die Dynamik ist die Größenlehre der Energie, welche in der Astronomie auf die Organisation des Universums angewandt wird. Insofern könnte man beide eine historische Mathematik nennen. Die Algebra erfordert am meisten Witz und Enthusiasmus, nämlich mathematischen. [446] Der konsequente Empirismus endigt mit Beiträgen zur Ausgleichung der Mißverständnisse oder mit einer Subskription auf die Wahrheit.

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[447] Die unechte Universalität ist entweder theoretisch oder praktisch. Die theoretische ist die Universalität eines schlechten Lexikons, einer Registratur. Die praktische entsteht aus der Totalität der Einmischung. [448] Die intellektualen Anschauungen der Kritik sind das Gefühl von der unendlich feinen Analyse der griechischen Poesie und das von der unendlich vollen Mischung der römischen Satire und der römischen Prosa. [449] Wir haben noch keinen moralischen Autor, welcher den Ersten der Poesie und Philosophie verglichen werden könnte. Ein solcher müßte die erhabene anti-

Fragmente (‚Athenäums‘-Fragmente)

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quarische Politik Müllers mit Forsters großer Ökonomie des Universums und mit Jacobis sittlicher Gymnastik und Musik verknüpfen, und auch in der Schreibart den schweren, ehrwürdigen und begeisterten Styl des ersten, mit dem frischen Kolorit, der liebenswürdigen Zartheit des zweiten, und mit der überall wie ferne Harmonika der Geisterwelt antönenden gebildeten Fühlbarkeit des dritten verbinden. [450] Rousseaus Polemik gegen die Poesie ist doch nur eine schlechte Nachahmung des Plato. Plato hat es mehr gegen die Poeten als gegen die Poesie; er hielt die Philosophie für den kühnsten Dithyrambus und für die einstimmigste Musik. Epikur ist eigentlicher Feind der schönen Kunst: denn er will die Fantasie ausrotten und sich bloß an den Sinn halten. Auf eine ganz andre Art könnte Spinosa ein Feind der Poesie scheinen; weil er zeigt, wie weit man mit Philosophie und Moralität ohne Poesie kommen kann, und weil es sehr im Geist seines Systems liegt, die Poesie nicht zu isolieren. [451] Universalität ist Wechselsättigung aller Formen und aller Stoffe. Zur Harmonie gelangt sie nur durch Verbindung der Poesie und der Philosophie: auch den universellsten vollendetsten Werken der isolierten Poesie und Philosophie scheint die letzte Synthese zu fehlen; dicht am Ziel der Harmonie bleiben sie unvollendet stehn. Das Leben des universellen Geistes ist eine ununterbrochne Kette innerer Revolutionen; alle Individuen, die ursprünglichen, ewigen nämlich leben in ihm. Er ist echter Polytheist und trägt den ganzen Olymp in sich.

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[1] Die Foderungen und Spuren einer Moral, die mehr wäre als der praktische Teil der Philosophie, werden immer lauter und deutlicher. Sogar von Religion ist schon die Rede. Es ist Zeit den Schleier der Isis zu zerreißen, und das Geheime zu offenbaren. Wer den Anblick der Göttin nicht ertragen kann fliehe oder verderbe. 5

[2] Ein Geistlicher ist, wer nur im Unsichtbaren lebt, für wen alles Sichtbare nur die Wahrheit einer Allegorie hat. [3] Nur durch Beziehung aufs Unendliche entsteht Gehalt und Nutzen; was sich nicht darauf bezieht, ist schlechthin leer und unnütz.

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[4] Die Religion ist die allbelebende Weltseele der Bildung, das vierte unsichtbare Element zur Philosophie, Moral und Poesie, welches gleich dem Feuer, wo es gebunden ist, in der Stille allgegenwärtig wohltut, und nur durch Gewalt und Reiz von außen in furchtbare Zerstörung ausbricht. [5] Der Sinn versteht etwas nur dadurch, daß er es als Keim in sich aufnimmt, es nährt und wachsen läßt bis zur Blüte und Frucht. Also heiligen Samen streuet in den Boden des Geistes, ohne Künstelei und müßige Ausfüllungen. [6] Das ewige Leben und die unsichtbare Welt ist nur in Gott zu suchen. In ihm leben alle Geister, er ist ein Abyssus von Individualität, das einzige unendlich Volle. [7] Laßt die Religion frei, und es wird eine neue Menschheit beginnen.

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[8] Der Verstand, sagt der Verfasser der Reden über die Religion, weiß nur vom Universum; die Fantasie herrsche, so habt ihr einen Gott. Ganz recht, die Fantasie ist das Organ des Menschen für die Gottheit. [9] Der wahre Geistliche fühlt immer etwas Höheres als Mitgefühl. [10] Ideen sind unendliche, selbständige, immer in sich bewegliche, göttliche Gedanken.

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[11] Nur durch Religion wird aus Logik Philosophie, nur daher kommt alles was diese mehr ist als Wissenschaft. Und statt einer ewig vollen unendlichen Poesie werden wir ohne sie nur Romane haben, oder die Spielerei, die man jetzt schöne Kunst nennt. [12] Gibt es eine Aufklärung? So dürfte nur das heißen, wenn man ein Prinzip im Geist des Menschen, wie das Licht in unserm Weltsystem ist, zwar nicht durch Kunst hervorbrächte, aber doch mit Willkür in freie Tätigkeit setzen könnte. [13] Nur derjenige kann ein Künstler sein, welcher eine eigne Religion, eine originelle Ansicht des Unendlichen hat.

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[14] Die Religion ist nicht bloß ein Teil der Bildung, ein Glied der Menschheit, sondern das Zentrum aller übrigen, überall das Erste und Höchste, das schlechthin Ursprüngliche.

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[15] Jeder Begriff von Gott ist leeres Geschwätz. Aber die Idee der Gottheit ist die Idee aller Ideen. [16] Der Geistliche bloß als solcher ist es nur in der unsichtbaren Welt. Wie kann er erscheinen unter den Menschen? Er wird nichts wollen auf der Erde, als das Endliche zum Ewigen bilden, und so muß er, mag auch sein Geschäft Namen haben wie es will, ein Künstler sein und bleiben.

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[17] Wenn die Ideen Götter werden, so wird das Bewußtsein der Harmonie Andacht, Demut und Hoffnung. [18] Den Geist des sittlichen Menschen muß Religion überall umfließen, wie sein Element, und dieses lichte Chaos von göttlichen Gedanken und Gefühlen nennen wir Enthusiasmus. [19] Genie zu haben, ist der natürliche Zustand des Menschen; gesund mußte auch er aus der Hand der Natur kommen, und da Liebe für die Frauen ist, was Genie für den Mann, so müssen wir uns das goldene Zeitalter als dasjenige denken, wo Liebe und Genie allgemein waren.

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[20] Künstler ist ein jeder, dem es Ziel und Mitte des Daseins ist, seinen Sinn zu bilden. [21] Es ist der Menschheit eigen, daß sie sich über die Menschheit erheben muß. [22] Was tun die wenigen Mystiker die es noch gibt? – Sie bilden mehr oder weniger das rohe Chaos der schon vorhandnen Religion. Aber nur einzeln, im Kleinen, durch schwache Versuche. Tut es im Großen von allen Seiten mit der ganzen Masse, und laßt uns alle Religionen aus ihren Gräbern wecken, und die unsterblichen neu beleben und bilden durch die Allmacht der Kunst und Wissenschaft.

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[23] Tugend ist zur Energie gewordne Vernunft. [24] Die Symmetrie und Organisation der Geschichte lehrt uns, daß die Menschheit, so lange sie war und wurde, wirklich schon ein Individuum, eine Person war und wurde. In dieser großen Person der Menschheit ist Gott Mensch geworden. [25] Das Leben und die Kraft der Poesie besteht darin, daß sie aus sich herausgeht, ein Stück von der Religion losreißt, und dann in sich zurückgeht, indem sie es sich aneignet. Ebenso ist es auch mit der Philosophie.

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[26] Witz ist die Erscheinung, der äußre Blitz der Fantasie. Daher seine Göttlichkeit, und das Witzähnliche der Mystik. [27] Platos Philosophie ist eine würdige Vorrede zur künftigen Religion. [28] Der Mensch ist ein schaffender Rückblick der Natur auf sich selbst. [29] Frei ist der Mensch, wenn er Gott hervorbringt oder sichtbar macht, und dadurch wird er unsterblich.

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[30] Die Religion ist schlechthin unergründlich. Man kann in ihr überall ins Unendliche immer tiefer graben. [31] Die Religion ist die zentripetale und zentrifugale Kraft im menschlichen Geiste, und was beide verbindet.

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[32] Ob denn das Heil der Welt von den Gelehrten zu erwarten sei? Ich weiß es nicht. Aber Zeit ist es, daß alle Künstler zusammentreten als Eidgenossen zu ewigem Bündnis. 5

[33] Das Moralische einer Schrift liegt nicht im Gegenstande, oder im Verhältnis des Redenden zu den Angeredeten, sondern im Geist der Behandlung. Atmet dieser die ganze Fülle der Menschheit, so ist sie moralisch. Ist sie nur das Werk einer abgesonderten Kraft und Kunst, so ist sie es nicht. [34] Wer Religion hat, wird Poesie reden. Aber um sie zu suchen und zu entdekken, ist Philosophie das Werkzeug.

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[35] Wie die Feldherrn der Alten zu den Kriegern vor der Schlacht redeten, so sollte der Moralist zu den Menschen in dem Kampf des Zeitalters reden. [36] Jeder vollständige Mensch hat einen Genius. Die wahre Tugend ist Genialität. [37] Das höchste Gut und das allein Nützliche ist die Bildung.

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[38] In der Welt der Sprache, oder welches ebenso viel heißt, in der Welt der Kunst und der Bildung, erscheint die Religion notwendig als Mythologie oder als Bibel. [39] Die Pflicht der Kantianer verhält sich zu dem Gebot der Ehre, der Stimme des Berufs und der Gottheit in uns, wie die getrocknete Pflanze zur frischen Blume am lebenden Stamme. [40] Ein bestimmtes Verhältnis zur Gottheit muß dem Mystiker so unerträglich sein, wie eine bestimmte Ansicht, ein Begriff derselben.

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[41] Nichts ist mehr Bedürfnis der Zeit, als ein geistiges Gegengewicht gegen die Revolution, und den Despotismus, welchen sie durch die Zusammendrängung des höchsten weltlichen Interesse über die Geister ausübt. Wo sollen wir dieses Gegengewicht suchen und finden? Die Antwort ist nicht schwer; unstreitig in uns, und wer da das Zentrum der Menschheit ergriffen hat, der wird eben da zugleich auch den Mittelpunkt der modernen Bildung und die Harmonie aller bis jetzt abgesonderten und streitenden Wissenschaften und Künste gefunden haben. [42] Glaubt man den Philosophen, so ist das was wir Religion nennen, nur eine absichtlich populäre oder aus Instinkt kunstlose Philosophie. Die Dichter scheinen sie eher für eine Abart von Poesie zu halten, die ihr eignes schönes Spiel verkennend sich selbst zu ernsthaft und einseitig nimmt. Doch gesteht und erkennet die Philosophie schon, daß sie nur mit Religion anfangen und sich selbst vollenden könne, und die Poesie will nur nach dem Unendlichen streben und verachtet weltliche Nützlichkeit und Kultur, welches die eigentlichen Gegensätze der Religion sind. Der ewige Friede unter den Künstlern ist also nicht mehr fern. [43] Was die Menschen unter den andern Bildungen der Erde, das sind die Künstler unter den Menschen.

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[44] Gott erblicken wir nicht, aber überall erblicken wir Göttliches; zunächst und am eigentlichsten jedoch in der Mitte eines sinnvollen Menschen, in der Tiefe eines lebendigen Menschenwerks. Die Natur, das Universum kannst du unmittelbar fühlen, unmittelbar denken; nicht also die Gottheit. Nur der Mensch unter Menschen kann göttlich dichten und denken und mit Religion leben. Sich selbst kann niemand auch nur seinem Geiste direkter Mittler sein, weil dieser schlechthin Objekt sein muß, dessen Zentrum der Anschauende außer sich setzt. Man wählt und setzt sich den Mittler, aber man kann sich nur den wählen und setzen, der sich schon als solchen gesetzt hat. Ein Mittler ist derjenige, der Göttliches in sich wahrnimmt, und sich selbst vernichtend preisgibt, um dieses Göttliche zu verkündigen, mitzuteilen, und darzustellen allen Menschen in Sitten und Taten, in Worten und Werken. Erfolgt dieser Trieb nicht, so war das Wahrgenommene nicht göttlich oder nicht eigen. Vermitteln und Vermitteltwerden ist das ganze höhere Leben des Menschen, und jeder Künstler ist Mittler für alle übrigen.

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[45] Ein Künstler ist, wer sein Zentrum in sich selbst hat. Wem es da fehlt, der muß einen bestimmten Führer und Mittler außer sich wählen, natürlich nicht auf immer sondern nur fürs erste. Denn ohne lebendiges Zentrum kann der Mensch nicht sein, und hat er es noch nicht in sich, so darf er es nur in einem Menschen suchen, und nur ein Mensch und dessen Zentrum kann das seinige reizen und wecken.

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[46] Poesie und Philosophie sind, je nachdem man es nimmt, verschiedne Sphären, verschiedne Formen, oder auch die Faktoren der Religion. Denn versucht es nur beide wirklich zu verbinden, und ihr werdet nichts anders erhalten als Religion.

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[47] Gott ist jedes schlechthin Ursprüngliche und Höchste, also das Individuum selbst in der höchsten Potenz. Aber sind nicht auch die Natur und die Welt Individuen?

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[48] Wo die Philosophie aufhört, muß die Poesie anfangen. Einen gemeinen Standpunkt, eine nur im Gegensatz der Kunst und Bildung natürliche Denkart, ein bloßes Leben soll es gar nicht geben; d.h. es soll kein Reich der Rohheit jenseits der Grenzen der Bildung gedacht werden. Jedes denkende Glied der Organisation fühle seine Grenzen nicht ohne seine Einheit in der Beziehung aufs Ganze. Man soll der Philosophie zum Beispiel nicht bloß die Unphilosophie, sondern die Poesie entgegensetzen.

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[49] Dem Bunde der Künstler einen bestimmten Zweck geben, das heißt ein dürftiges Institut an die Stelle des ewigen Vereins setzen; das heißt die Gemeinde der Heiligen zum Staat erniedrigen.

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[50] Ihr staunt über das Zeitalter, über die gärende Riesenkraft, über die Erschütterungen, und wißt nicht welche neue Geburten ihr erwarten sollt. Versteht euch doch und beantwortet euch die Frage, ob wohl etwas in der Menschheit geschehen könne, was nicht seinen Grund in ihr selbst habe. Muß nicht alle Bewegung aus der Mitte kommen, und wo liegt die Mitte? – Die Antwort ist klar, und also deutet auch die Erscheinung auf eine große Auferstehung der Religion, eine allgemeine Metamorphose. Die Religion an sich zwar ist ewig, sich selbst gleich und unver-

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änderlich wie die Gottheit; aber eben darum erscheint sie immer neu gestaltet und verwandelt.

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[51] Wir wissen nicht was ein Mensch sei, bis wir aus dem Wesen der Menschheit begreifen, warum es Menschen gibt, die Sinn und Geist haben, andre denen sie fehlen. [52] Als Repräsentant der Religion aufzutreten, das ist noch frevelhafter wie eine Religion stiften zu wollen. [53] Keine Tätigkeit ist so menschlich wie die bloß ergänzende, verbindende, befördernde.

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[54] Der Künstler darf ebenso wenig herrschen als dienen wollen. Er kann nur bilden, nichts als bilden, für den Staat also nur das tun, daß er Herrscher und Diener bilde, daß er Politiker und Ökonomen zu Künstlern erhebe. [55] Zur Vielseitigkeit gehört nicht allein ein weitumfassendes System, sondern auch Sinn für das Chaos außerhalb desselben, wie zur Menschheit der Sinn für ein Jenseits der Menschheit. [56] Wie die Römer die einzige Nation, die ganz Nation war, so ist unser Zeitalter das erste wahre Zeitalter. [57] Die Fülle der Bildung wirst du in unsrer höchsten Poesie finden, aber die Tiefe der Menschheit suche du bei dem Philosophen.

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[58] Auch die sogenannten Volkslehrer, die der Staat angestellt hat, sollen wieder Priester werden und geistlich gesinnt: aber sie können es nur dadurch, daß sie sich an die höhere Bildung anschließen. [59] Nichts ist witziger und grotesker als die alte Mythologie und das Christentum; das macht, weil sie so mystisch sind.

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[60] Grade die Individualität ist das Ursprüngliche und Ewige im Menschen; an der Personalität ist so viel nicht gelegen. Die Bildung und Entwicklung dieser Individualität als höchsten Beruf zu treiben, wäre ein göttlicher Egoismus. [61] Man redet schon lange von einer Allmacht des Buchstabens, ohne recht zu wissen was man sagt. Es ist Zeit daß es Ernst damit werde, daß der Geist erwache und den verlornen Zauberstab wieder ergreife. [62] Man hat nur so viel Moral, als man Philosophie und Poesie hat. [63] Die eigentliche Zentralanschauung des Christentums ist die Sünde.

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[64] Durch die Künstler wird die Menschheit ein Individuum, indem sie Vorwelt und Nachwelt in der Gegenwart verknüpfen. Sie sind das höhere Seelenorgan, wo die Lebensgeister der ganzen äußern Menschheit zusammentreffen und in welchem die innere zunächst wirkt. [65] Nur durch die Bildung wird der Mensch, der es ganz ist, überall menschlich und von Menschheit durchdrungen.

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[66] Die ursprünglichen Protestanten wollten treuherzig nach der Schrift leben und Ernst machen, und alles andre vernichten.

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[67] Religion und Moral sind sich symmetrisch entgegengesetzt, wie Poesie und Philosophie. [68] Euer Leben bildet nur menschlich, so habt ihr genug getan: aber die Höhe der Kunst und die Tiefe der Wissenschaft werdet ihr nie erreichen ohne ein Göttliches.

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[69] Ironie ist klares Bewußtsein der ewigen Agilität, des unendlich vollen Chaos. [70] Musik ist der Moral verwandter, Historie der Religion: denn Rhythmus ist die Idee der Musik, die Historie aber geht aufs Primitive. [71] Nur diejenige Verworrenheit ist ein Chaos, aus der eine Welt entspringen kann.

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[72] Vergeblich sucht ihr in dem was ihr Ästhetik nennt die harmonische Fülle der Menschheit, Anfang und Ende der Bildung. Versucht es die Elemente der Bildung und der Menschheit zu erkennen und betet sie an, vor allen das Feuer. [73] Es gibt keinen Dualismus ohne Primat; so ist auch die Moral der Religion nicht gleich sondern untergeordnet.

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[74] Verbindet die Extreme, so habt ihr die wahre Mitte. [75] Als schönste Blüte der besondern Organisation ist Poesie sehr lokal; die Philosophie verschiedner Planeten mag nicht so sehr verschieden sein. [76] Moralität ohne Sinn für Paradoxie ist gemein.

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[77] Ehre ist die Mystik der Rechtlichkeit. [78] Alles Denken des religiösen Menschen ist etymologisch, ein Zurückführen aller Begriffe auf die ursprüngliche Anschauung, auf das Eigentümliche. [79] Es gibt nur Einen Sinn, und in dem Einen liegen alle; der geistigste ist der ursprüngliche, die andern sind abgeleitet.

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[80] Hier sind wir einig, weil wir eines Sinnes sind; hier aber nicht, weil es mir oder dir an Sinn fehlt. Wer hat recht, und wie können wir eins werden? Nur durch die Bildung, die jeden besondern Sinn zu dem allgemeinen unendlichen erweitert; und durch den Glauben an diesen Sinn, oder an die Religion sind wir es schon jetzt, noch ehe wir es werden.

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[81] Jede Beziehung des Menschen aufs Unendliche ist Religion, nämlich des Menschen in der ganzen Fülle seiner Menschheit. Wenn der Mathematiker das unendlich Große berechnet; das ist freilich nicht Religion. Das Unendliche in jener Fülle gedacht, ist die Gottheit. [82] Man lebt nur insofern man nach seinen eignen Ideen lebt. Die Grundsätze sind nur Mittel, der Beruf ist Zweck an sich.

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[83] Nur durch die Liebe und durch das Bewußtsein der Liebe wird der Mensch zum Menschen. [84] Nach der Sittlichkeit zu streben ist wohl der schlechteste Zeitvertreib, die Übungen in der Gottseligkeit ausgenommen. Könnt ihr euch eine Seele, einen

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Geist angewöhnen? – So ists mit Religion und auch mit Moral, die nicht ohne Vermittlung auf die Ökonomie und Politik des Lebens einfließen sollen.

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[85] Der Kern, das Zentrum der Poesie ist in der Mythologie zu finden, und in den Mysterien der Alten. Sättigt das Gefühl des Lebens mit der Idee des Unendlichen, und ihr werdet die Alten verstehen und die Poesie. [86] Schön ist was uns an die Natur erinnert, und also das Gefühl der unendlichen Lebensfülle anregt. Die Natur ist organisch, und die höchste Schönheit daher ewig und immer vegetabilisch, und das gleiche gilt auch von der Moral und der Liebe.

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[87] Ein wahrer Mensch ist, wer bis in den Mittelpunkt der Menschheit gekommen ist. [88] Es gibt eine schöne Offenheit, die sich öffnet wie die Blume, nur um zu duften.

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[89] Wie sollte die Moral bloß der Philosophie angehören, da der größte Teil der Poesie sich auf die Lebenskunst bezieht und auf die Kenntnis der Menschen! Ist sie also unabhängig von beiden und für sich bestehend? Oder ist es etwa mit ihr wie mit der Religion, daß sie gar nicht isoliert erscheinen soll? [90] Du wolltest die Philosophie zerstören, und die Poesie, um Raum zu gewinnen für die Religion und Moral, die du verkanntest: aber du hast nichts zerstören können als dich selber.

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[91] Alles Leben ist seinem ersten Ursprunge nach nicht natürlich, sondern göttlich und menschlich; denn es muß aus der Liebe entspringen, wie es keinen Verstand geben kann ohne Geist. [92] Die einzige bedeutende Opposition gegen die überall aufkeimende Religion der Menschen und der Künstler, ist von den wenigen eigentlichen Christen zu erwarten, die es noch gibt. Aber auch sie, wenn die Morgensonne wirklich emporsteigt, werden schon niederfallen und anbeten.

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[93] Die Polemik kann nur den Verstand schärfen, und soll die Unvernunft vertilgen. Sie ist durchaus philosophisch; der religiöse Zorn und Ingrimm über die Beschränkung verliert seine Würde, wenn er als Polemik erscheint, in bestimmter Richtung auf einen einzelnen Gegenstand und Zweck.

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[94] Die wenigen Revolutionärs, die es in der Revolution gab, waren Mystiker, wie es nur Franzosen des Zeitalters sein können. Sie konstituierten ihr Wesen und Tun als Religion; aber in der künftigen Historie wird es als die höchste Bestimmung und Würde der Revolution erscheinen, daß sie das heftigste Incitament der schlummernden Religion war.

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[95] Als Bibel wird das neue ewige Evangelium erscheinen, von dem Lessing geweissagt hat: aber nicht als einzelnes Buch im gewöhnlichen Sinne. Selbst was wir Bibel nennen ist ja ein System von Büchern. Übrigens ist das kein willkürlicher Sprachgebrauch! Oder gibt es ein andres Wort, um die Idee eines unendlichen Buchs von der gemeinen zu unterscheiden als Bibel, Buch schlechthin, absolutes Buch? Und es ist doch wohl ein ewig wesentlicher und sogar praktischer Unterschied, ob ein Buch bloß Mittel zu einem Zweck, oder selbständiges Werk,

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Individuum, personifizierte Idee ist. Das kann es nicht ohne Göttliches, und darin stimmt der esoterische Begriff selbst mit dem exoterischen überein; auch ist keine Idee isoliert, sondern sie ist was sie ist, nur unter allen Ideen. Ein Beispiel wird den Sinn erklären. Alle klassischen Gedichte der Alten hängen zusammen, unzertrennlich, bilden ein organisches Ganzes, sind richtig angesehen nur Ein Gedicht, das einzige in welchem die Dichtkunst selbst vollkommen erscheint. Auf eine ähnliche Weise sollen in der vollkommnen Literatur alle Bücher nur Ein Buch sein, und in einem solchen ewig werdenden Buche wird das Evangelium der Menschheit und der Bildung offenbart werden.

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[96] Alle Philosophie ist Idealismus und es gibt keinen wahren Realismus als den der Poesie. Aber Poesie und Philosophie sind nur Extreme. Sagt man nun, einige sind schlechthin Idealisten, andre entschieden Realisten; so ist das eine sehr wahre Bemerkung. Anders ausgedrückt heißt es, es gibt noch keine durchaus gebildete Menschen, es gibt noch keine Religion.

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[97] Günstiges Zeichen, daß ein Physiker sogar – der tiefsinnige Baader – aus der Mitte der Physik sich erhoben hat, die Poesie zu ahnden, die Elemente als organische Individuen zu verehren, und auf das Göttliche im Zentrum der Materie zu deuten!

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[98] Denke dir ein Endliches ins Unendliche gebildet, so denkst du einen Menschen.

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[99] Willst du ins Innere der Physik dringen, so laß dich einweihen in die Mysterien der Poesie. [100] Wir werden den Menschen kennen, wenn wir das Zentrum der Erde kennen. [101] Wo Politik ist oder Ökonomie, da ist keine Moral. [102] Der erste unter uns, der die intellektuelle Anschauung der Moral gehabt, und das Urbild vollendeter Menschheit in den Gestalten der Kunst und des Altertums erkannte und gottbegeistert verkündigte, war der heilige Winckelmann.

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[103] Wer die Natur nicht durch die Liebe kennen lernt, der wird sie nie kennen lernen. [104] Die ursprüngliche Liebe erscheint nie rein, sondern in mannichfachen Hüllen und Gestalten, als Zutrauen, als Demut, als Andacht, als Heiterkeit, als Treue und als Scham, als Dankbarkeit; am meisten aber als Sehnsucht und als stille Wehmut. [105] Fichte also soll die Religion angegriffen haben? – Wenn das Interesse am Übersinnlichen das Wesen der Religion ist, so ist seine ganze Lehre Religion in Form der Philosophie.

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[106] Nicht in die politische Welt verschleudere du Glauben und Liebe, aber in der göttlichen Welt der Wissenschaft und der Kunst opfre dein Innerstes in den heiligen Feuerstrom ewiger Bildung. [107] In ungestörter Harmonie dichtet Hülsens Muse schöne erhabene Gedanken der Bildung, der Menschheit und der Liebe. Es ist Moral im hohen Sinne; aber

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Moral von Religion durchdrungen im Übergange aus dem künstlichen Wechsel des Syllogismus in den freien Strom des Epos. [108] Was sich tun läßt, so lange Philosophie und Poesie getrennt sind, ist getan und vollendet. Also ist die Zeit nun da, beide zu vereinigen. 5

[109] Fantasie und Witz sind dir Eins und Alles! – deute den lieblichen Schein und mache Ernst aus dem Spiel, so wirst du das Zentrum fassen und die verehrte Kunst in höherm Lichte wieder finden. [110] Der Unterschied der Religion und Moral liegt ganz einfach in der alten Einteilung aller Dinge in göttliche und menschliche, wenn man sie nur recht versteht.

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[111] Dein Ziel ist die Kunst und die Wissenschaft, dein Leben Liebe und Bildung. Du bist ohne es zu wissen auf dem Wege zur Religion. Erkenne es, und du bist sicher das Ziel zu erreichen. [112] In und aus unserm Zeitalter läßt sich nichts Größeres zum Ruhme des Christentums sagen, als daß der Verfasser der Reden über die Religion ein Christ sei.

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[113] Der Künstler, der nicht sein ganzes Selbst preisgibt, ist ein unnützer Knecht. [114] Kein Künstler soll allein und einzig Künstler der Künstler, Zentral-Künstler, Direktor aller übrigen sein; sondern alle sollen es gleich sehr sein, jeder aus seinem Standpunkt. Keiner soll bloß Repräsentant seiner Gattung sein, sondern er soll sich und seine Gattung auf das Ganze beziehen, dieses dadurch bestimmen und also beherrschen. Wie die Senatoren der Römer sind die wahren Künstler ein Volk von Königen. [115] Willst du ins Große wirken, so entzünde und bilde die Jünglinge und die Frauen. Hier ist noch am ersten frische Kraft und Gesundheit zu finden, und auf diesem Wege wurden die wichtigsten Reformationen vollbracht.

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[116] Wie beim Manne der äußre Adel zum Genie, so verhält sich die Schönheit der Frauen zur Liebesfähigkeit, zum Gemüt. [117] Die Philosophie ist eine Ellipse. Das eine Zentrum, dem wir jetzt näher sind, ist das Selbstgesetz der Vernunft. Das andre ist die Idee des Universums, und in diesem berührt sich die Philosophie mit der Religion.

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[118] Die Blinden, die von Atheismus reden! Gibt es denn schon einen Theisten? Ist schon irgend ein Menschengeist der Idee der Gottheit Meister? [119] Heil den wahren Philologen! Sie wirken Göttliches, denn sie verbreiten Kunstsinn über das ganze Gebiet der Gelehrsamkeit. Kein Gelehrter sollte bloß Handwerker sein.

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[120] Der Geist unsrer alten Helden deutscher Kunst und Wissenschaft muß der unsrige bleiben so lange wir Deutsche bleiben. Der deutsche Künstler hat keinen Charakter oder den eines Albrecht Dürer, Kepler, Hans Sachs, eines Luther und Jakob Böhme. Rechtlich, treuherzig, gründlich, genau und tiefsinnig ist dieser Charakter, dabei unschuldig und etwas ungeschickt. Nur bei den Deutschen ist es eine Nationaleigenheit, die Kunst und die Wissenschaft bloß um der Kunst und der Wissenschaft willen göttlich zu verehren.

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[121] Vernehmt mich nur jetzt und merket warum ihr euch nicht verstehen könnt untereinander, so habe ich meinen Zweck erreicht. Ist der Sinn für Harmonie geweckt, dann ist es Zeit das Eine, was ewig wiedergesagt werden muß, harmonischer zu sagen. [122] Wo die Künstler eine Familie bilden, da sind Urversammlungen der Menschheit. [123] Die falsche Universalität ist die welche alle einzelne Bildungsarten abschleift und auf dem mittlern Durchschnitt beruht. Durch eine wahre Universalität würde im Gegenteil die Kunst zum Beispiel noch künstlicher werden, als sie es vereinzelt sein kann, die Poesie poetischer, die Kritik kritischer, die Historie historischer und so überhaupt. Diese Universalität kann entstehn, wenn der einfache Strahl der Religion und Moral ein Chaos des kombinatorischen Witzes berührt und befruchtet. Da blüht von selbst die höchste Poesie und Philosophie. [124] Warum äußert sich das Höchste jetzt so oft als falsche Tendenz? – Weil niemand sich selbst verstehen kann, der seine Genossen nicht versteht. Ihr müßt also erst glauben, daß ihr nicht allein seid, ihr müßt überall unendlich viel ahnden und nicht müde werden den Sinn zu bilden, bis ihr zuletzt das Ursprüngliche und Wesentliche gefunden habt. Dann wird euch der Genius der Zeit erscheinen und wird euch leise andeuten was schicklich sei und was nicht. [125] Wer ein Höchstes tief in sich ahndet und nicht weiß wie er sichs deuten soll, der lese die Reden über die Religion, und was er fühlte wird ihm klar werden bis zum Wort und zur Rede.

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[126] Nur um eine liebende Frau her kann sich eine Familie bilden. [127] Die Poesie der Dichter bedürfen die Frauen weniger, weil ihr eigenstes Wesen Poesie ist.

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[128] Mysterien sind weiblich; sie verhüllen sich gern, aber sie wollen doch gesehen und erraten sein. [129] In der Religion ist immer Morgen und Licht der Morgenröte. [130] Nur wer einig ist mit der Welt kann einig sein mit sich selbst. [131] Der geheime Sinn des Opfers ist die Vernichtung des Endlichen, weil es endlich ist. Um zu zeigen daß es nur darum geschieht muß das Edelste und Schönste gewählt werden; vor allen der Mensch, die Blüte der Erde. Menschenopfer sind die natürlichsten Opfer. Aber der Mensch ist mehr als die Blüte der Erde; er ist vernünftig, und die Vernunft ist frei und selbst nichts anders als ein ewiges Selbstbestimmen ins Unendliche. Also kann der Mensch nur sich selbst opfern, und so tut er auch in dem allgegenwärtigen Heiligtum von dem der Pöbel nichts sieht. Alle Künstler sind Dezier, und ein Künstler werden heißt nichts anders als sich den unterirdischen Gottheiten weihen. In der Begeisterung des Vernichtens offenbart sich zuerst der Sinn göttlicher Schöpfung. Nur in der Mitte des Todes entzündet sich der Blitz des ewigen Lebens. [132] Trennt die Religion ganz von der Moral, so habt ihr die eigentliche Energie des Bösen im Menschen, das furchtbare, grausame, wütende und unmenschliche

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Prinzip, was ursprünglich in seinem Geiste liegt. Hier straft sich die Trennung des Unteilbaren am schrecklichsten. [133] Zunächst rede ich nur mit denen die schon nach dem Orient sehen. 5

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[134] Du vermutest Höheres auch in mir, und fragst, warum ich eben an der Grenze schweige? – Es geschieht, weil es noch so früh am Tage ist. [135] Nicht Hermann und Wodan sind die Nationalgötter der Deutschen, sondern die Kunst und die Wissenschaft. Gedenke noch einmal an Kepler, Dürer, Luther, Böhme; und dann an Lessing, Winckelmann, Goethe, Fichte. Nicht auf die Sitten allein ist die Tugend anwendbar; sie gilt auch für Kunst und Wissenschaft, die ihre Rechte und Pflichten haben. Und dieser Geist, diese Kraft der Tugend unterscheidet eben den Deutschen in der Behandlung der Kunst und der Wissenschaft. [136] Worauf bin ich stolz und darf ich stolz sein als Künstler? – Auf den Entschluß, der mich auf ewig von allem Gemeinen absonderte und isolierte; auf das Werk, was alle Absicht göttlich überschreitet, und dessen Absicht keiner zu Ende lernen wird; auf die Fähigkeit, das Vollendete was mir entgegen ist, anzubeten; auf das Bewußtsein, daß ich die Genossen in ihrer eigensten Wirksamkeit zu beleben vermag, daß alles was sie bilden Gewinn ist für mich. [137] Die Andacht der Philosophen ist Theorie, reine Anschauung des Göttlichen, besonnen, ruhig und heiter in stiller Einsamkeit. Spinosa ist das Ideal dafür. Der religiöse Zustand des Poeten ist leidenschaftlicher und mitteilender. Das Ursprüngliche ist Enthusiasmus, am Ende bleibt Mythologie. Was in der Mitte liegt, hat den Charakter des Lebens bis zur Geschlechtsverschiedenheit. Mysterien sind, wie schon gesagt, weiblich; Orgien wollen in fröhlicher Ausgelassenheit der männlichen Kraft alles um sich her überwinden oder befruchten. [138] Eben weil das Christentum eine Religion des Todes ist, ließe es sich mit dem äußersten Realismus behandeln, und könnte seine Orgien haben so gut wie die alte Religion der Natur und des Lebens.

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[139] Es gibt keine Selbstkenntnis als die historische. Niemand weiß was er ist, wer nicht weiß was seine Genossen sind, vor allen der höchste Genosse des Bundes, der Meister der Meister, der Genius des Zeitalters. [140] Eine der wichtigsten Angelegenheiten des Bundes ist, alle Ungehörigen, die sich unter die Genossen eingeschlichen haben, wieder zu entfernen. Die Stümperei soll nichts mehr gelten.

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[141] O wie armselig sind eure – ich meine die Besten unter euch – eure Begriffe vom Genie. Wo ihr Genie findet, finde ich nicht selten die Fülle der falschen Tendenzen, das Zentrum der Stümperei. Etwas Talent und ziemlich viel Windbeutelei, das preisen alle und rühmen sich gar wohl zu wissen, das Genie sei inkorrekt, müsse so sein. So ist also auch diese Idee verloren gegangen? – Ist nicht der sinnige Mensch am geschicktesten Geisterwort zu vernehmen? Nur der Geistliche hat einen Geist, einen Genius, und jeder Genius ist universell. Wer nur Repräsentant ist, hat nur Talent.

Ideen

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[142] Wie die Kaufleute im Mittelalter so sollten die Künstler jetzt zusammentreten zu einer Hanse, um sich einigermaßen gegenseitig zu schützen. [143] Es gibt keine große Welt als die Welt der Künstler. Sie leben hohes Leben. Der gute Ton steht noch zu erwarten. Er würde da sein, wo jeder sich frei und fröhlich äußerte, und den Wert der andern ganz fühlte und begriffe.

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[144] Ursprünglichen Sinn fordert ihr vom Denker einmal für allemal, und ein gewisses Maß von Begeisterung verstattet ihr sogar dem Dichter. Aber wißt ihr auch, was das heiße? Ihr habt, ohne es gewahr zu werden, heiligen Boden betreten; ihr seid unser. [145] Alle Menschen sind etwas lächerlich und grotesk, bloß weil sie Menschen sind; und die Künstler sind wohl auch in dieser Rücksicht doppelte Menschen. So ist es, so war es, und so wird es sein. [146] Selbst in den äußerlichen Gebräuchen sollte sich die Lebensart der Künstler von der Lebensart der übrigen Menschen durchaus unterscheiden. Sie sind Brahminen, eine höhere Kaste, aber nicht durch Geburt sondern durch freie Selbsteinweihung geadelt.

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[147] Was der freie Mensch schlechthin konstituiert, worauf der nicht freie Mensch alles bezieht, das ist seine Religion. Es ist ein tiefer Sinn in dem Ausdruck, dies oder jenes ist sein Gott, oder Abgott und in andern ähnlichen. [148] Wer entsiegelt das Zauberbuch der Kunst und befreit den verschloßnen heiligen Geist? – Nur der verwandte Geist.

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[149] Ohne Poesie wird die Religion dunkel, falsch und bösartig; ohne Philosophie ausschweifend in aller Unzucht und wollüstig bis zur Selbstentmannung. [150] Das Universum kann man weder erklären noch begreifen, nur anschauen und offenbaren. Höret nur auf das System der Empirie Universum zu nennen, und lernt die wahre religiöse Idee desselben, wenn ihr den Spinosa nicht schon verstanden habt, vor der Hand in den Reden über die Religion lesen. [151] In alle Gestalten von Gefühl kann die Religion ausbrechen. Der wilde Zorn und der süßeste Schmerz grenzen hier unmittelbar aneinander, der fressende Haß und das kindliche Lächeln froher Demut.

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[152] Willst du die Menschheit vollständig erblicken, so suche eine Familie. In der Familie werden die Gemüter organisch Eins, und eben darum ist sie ganz Poesie. [153] Alle Selbständigkeit ist ursprünglich, ist Originalität, und alle Originalität ist moralisch, ist Originalität des ganzen Menschen. Ohne sie keine Energie der Vernunft und keine Schönheit des Gemüts. [154] Zuerst vom Höchsten redet man durchaus freimütig, völlig sorglos, aber gerade zum Ziel.

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Friedrich Schlegel

[155] Ich habe einige Ideen ausgesprochen, die aufs Zentrum deuten, ich habe die Morgenröte begrüßt nach meiner Ansicht, aus meinem Standpunkt. Wer den Weg kennt, tue desgleichen nach seiner Ansicht, aus seinem Standpunkt. 5

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[156] An Novalis. Nicht auf der Grenze schwebst du, sondern in deinem Geiste haben sich Poesie und Philosophie innig durchdrungen. Dein Geist stand mir am nächsten bei diesen Bildern der unbegriffenen Wahrheit. Was du gedacht hast, denke ich, was ich gedacht, wirst du denken, oder hast es schon gedacht. Es gibt Mißverständnisse, die das höchste Einverständnis nur bestätigen. Allen Künstlern gehört jede Lehre vom ewigen Orient. Dich nenne ich statt aller andern.

Fragmente zur Poesie und Literatur

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!Aus den Fragmenten zur Poesie und Literatur"

!Aus den Fragmenten zur Litteratur und Poesie" !FPL [V] 1–185" !!1797"" [1] Was G[oethe]’s Hexametern fehlt (die strenge Form) fehlt unstreitig auch sein[en] physikalisch[en] Räsonnements/ Er ist ein Antirigorist auch in der Kunst. Der Rigorism entspringt nur aus der Mystik oder aus Kritik. – [2] Nur durch absolute Progressivität (Streben nach dem Unendlichen) wird das Sentimentale sentimental und aesthetisch interessant. Sonst ist es bloß psychologisch d.h. physisch interessant oder moralisch als Theil einer würdigen Individualität. –

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[3] Alle nicht classische und nicht progressive [Poesie] ist Naturpoesie – Shak.[speare] ist d.[er] sentimentale Classiker, !!und"" Maximum der Mimik. – [4] Die Meinung der Roman sei kein Gedicht, gründet sich auf d[en] Satz: Alle [Poesie] soll metrisch sein. Von diesem Satz kann aber zum Behuf der Progressivität, aber auch nur für dies[e] eine Ausnahme gemacht werden. – Der Roman ist noch ungleich gemischteres Mischgedicht als Idylle oder Satire, welche doch ein bestimmtes Gesetz der Mischung befolgen. – [5] Nur die ganz gültig[en] Dichtarten können in der reinen Poetik deducirt werden. – Das « erst in der angewandten, so auch alles was nur für class.[ische] oder nur für progress.[ive] [Poesie] gilt.

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[6] Unterschied der materiellen Sentimentalität aus Furcht, Weichlichkeit/ unbefriedigter Sinnlichkeit oder Eitelkeit (Jakobi) und der höhern aus rein[em] Mystizismus. – Shak[speare] zur lezten; kann er in der sentim.[entalen] [Poesie] übertroffen werden? [7] Die historische Ganzheit sei physisch, logisch, theoretisch und praktisch; außerdem eine Annäherung zur episch[en] zur lyrischen und so viel es sein kann zur polit.[ischen] Einheit. [8] Im rhetor.[ischen] Werk ist die Ganzheit ethisch; in satirisch[en] Schriften muß politisch[e] Ganzheit herrschen, nicht bloß politisch[e] Einheit. – Giebt es rein satirisch[e] Schrift[en]?

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[9] Der Roman muß politisch[e] oder satirisch[e] Totalität haben. Jede andre wäre fehlerhaft. – [10] Klopstock ist ein grammat.[ischer] Korybant. – [11] Durch die Beimischung des bloß [Philosophischen] und [Logischen] (und [Poetischen]?) unterscheidet sich das [philologische] Werk vom histori-

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Friedrich Schlegel

schen; und durch d[ie] Beimischung des [Philologischen], Hist[orischen] das [philosophische] vom [logischen] Werk. Beide durch Kritisiren und Polemisiren. 5

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[12] Sollte es nicht rein ethische Schriften geben, di[e] sich zu [rhetorischen] verhalten, wie [logische] zu [philosophischen], Hist[orische] zu [philologischen], [poetische] zu Sat[irischen]? Sind   [politische rhetorische] Schriften nicht noch verschieden von  [ethischen rhetorischen]? – Die Ganzheit muß immer ethisch sein, wenn auch der Stoff politisch ist. !!NB Genau."" [13] Im [rethorischen] Styl darf nichts bloß Hist[orisch], [poetisch], [kritisch], [philosophisch] sein; es muß alles mit d[em] Ethisch[en] verschmolzen sein, alles ethisch[en] Ton haben. – Wo die Ganzheit nicht Hist[orisch] sondern nur [philologisch] ist, da muß der Ton satirisch sein; so auch wo die Ganzheit bloß [philosophisch] ist, auch in [kritischen] Schriften. – [14] Charakteristik. – Eigne Gattung in welcher die Darstell[un]g vom Eindruck des Schönen die Hauptsache ist. – Poetisch, poetische Ganzheit, rhapsodischer Zweck. (Plat.[os] Ion) – i.e. Mittheilung des Schönen. Diese Gattung war d[en] Alten unbekannt. – Alles [Poetische] in der Form vermieden; nur der Geist und Stoff sei [poetisch]; der Ausdruck so prosaisch als möglich. – !!Es giebt also wahre poetische Prosa. Aber das [Poetische] geht leicht über ins [Rhetorische], welches der Tod des [Philosophischen], Hist[orischen] und [Philologischen] ist. –"" [15] !!Vom Witz. Ueber das Studium der classisch[en] [Philosophie]. –"" [16] Die satirisch[e] Prosa paßt nur für die Mischung heterogener Gegenstände; die urbane scheint davon noch verschieden. –

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[17] Ohne ethisch[e] Ganzheit ist das Rhetorisch[e] sophistisch. [18] Alle Prosa ist poetisch, logisch, ethisch, !!rhetorisch"", politisch, Hist[orisch], [philosophisch], [philologisch], Sat[irisch], Idyll[isch], – romantisch. Giebts nicht auch !!eine"" philo[rhetorische] und philopoetische Gattung der Prosa? –

eine Mystische, skeptische, Emp.[irische], Eklekt.[ische] Prosa? – 30

[19] !!Idee eines theologisch[en] und ökonomisch[en] Styls. – Der erste ist d[er] [ethische] nach Abzug alles Hist[orischen]/ [Rhetorischen], [Philosophi-

schen] pp – der lezte nach Abzug des ethisch[en] Enthus[iasmus]; das ist der rein empirisch[e] Styl. Der erste der mystische; der eklektische bezieht s.[ich] auf das Romantisch[e]."" 35

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[20] Ist die mimische Prosa nicht noch verschieden von der Idyll[ischen] und Satir[ischen]? – In der [mimischen] Idyll[ischen] Sat[irischen] Dichtart ist das Metrum nicht wesentlich, weil diese Dichtarten selbst nicht rigoristisch sind. Die romantische Prosa ist eine Mischung dieser dreien, wie der Roman der 3 Gattung[en]/ Überwiegt das Idyll[ische] so ists ein sentimentaler Roman, das Sat.[irische] so ists ein komischer, das Progressive so ists ein [philosophischer] Roman. Aber alle diese Extreme sind fehlerhaft weil dadurch das Wesen des Romans selbst nämlich die Mischung zerstört wird. !!Es ist also dann eben

Fragmente zur Poesie und Literatur

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darum schon gar kein Roman. – Dieß Übergewicht ist gegen die politische Totalität."" [21] Erhabne Eil und Kürze einiger römisch[er] Schriftsteller. Skizzirte Schreibart. Es ist widersinnig und fehlerhaft ein skizzirtes Werk in nicht skizzirtem Styl zu schreiben.

5

[22] Spinosa Muster des logisch[en] Styls. – Auch Aristoteles, und Plato in   « / [23] Müßte nicht die romantische Schreibart im obig[en] Sinn in allen Schriften in der progressiven Welt herrsch[en]? – !!(die romantische Gattung bei den Modernen durchgängig herrschen wie die satirisch[e] bei d[en] Römern?)""

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[24] In einer reinen Poetik würde vielleicht keine Dichtart bestehn/ die Poetik also zugleich rein und angewandt, zugl[eich] Emp.[irisch] und rational. [25] Verschiedene Art zu lesen eines [Philologen], eines [Philosophen], ([logisch] rigor.[istisch]) und eines Hist.[orikers] (aesthet[isch] [kritisch])/ politisch[e] und populäre Art zu lesen. –

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[26] Die Mischung grammatischer Heterogeneitäten ist am meist[en] erlaubt in der Sat[irischen] (auch [philologischen]) Schreibart, weniger in der idyllisch[en] und romantisch[en], am wenigst[en] in der [poetischen], und was s.[ich] d[ieser] nähert, in !!der"" Hist[orischen] Schreibart; auch in der [rhetorischen].

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[27] Ist das Erotisch[e] was auf Totalität der Vereinigung geht (Ehe) etwa ein wesentl[icher] Bestandtheil d[er] romant[ischen] Gattung, der Entstehung gemäß? – Liegt d.[er] Grund schon in obiger Erklärung? – !!Die Nothwendigkeit des Erotisch[en] in mod.[ernen] [Dramen] gehört zum romant.[ischen] Anstrich."" [28] Das Mathem.[atische] im Spinosa äußerst unlogisch. – Die logisch[e] Fülle ( [Dialektik]) taugt nicht in skizzirt[en] dogmat.[ischen] Schriften; in skizzirten Systemen muß der Ton dogmatisch sein. –

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[29] Rein ethische Schriften müssen idyllisch[e] Wärme/ Fülle und Einfachheit mit lyr.[ischer] Gleichartigkeit und Schönheit, und mit rhetorischer Strenge verbinden/

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[30] Die polit.[ische] Correctheit, der romant.[ische] Zusatz des Erot.[ischen] die Intrigue und der theoret[ische] Einfluß mach[en] die franzö[sische] Trag[ödie] zu einem durchaus modernen Produkt. !!Die Beibehaltung des alten Mythos war eine Nachmachung nicht Nachahmung; die Weglassung des Chors eine wesentl[iche] Untreue.""

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[31] Romant.[ische] Classiker wären die, in welch[en] der Charakter und die Fortschreit[un]g der Gatt[un]g sich am best[en] zeigte. [32] Drei herrschende Dichtart[en]. 1) Tragödie bei d[en] Griech[en] 2) Satire bei d[en] Römern 3) Roman !!b[ei]"" den Modernen/ [33] Für das höchste Schöne würde die Kunst selbst nur eine Schranke sein. [34] Die Plastik der wilden Nationen zu betrachten als eine N ATUR plastik.

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Friedrich Schlegel

[35] Antithetische Gesetze d.[er] reinen Kunstlehre sind, 1) Jede Kunstart soll nothwendig sein d.h. bestimmt, beschränkt, classisch. 2) Jede Kunstart soll unbeschränkt sein; Nicht bloß individuelle Verschiedenheit, sondern consequente Gattung. 5

!!Aus d[em] Satz: es soll keine besondren Kunstarten geben, wird die Vereinigung aller Künste hergeleitet."" [36] !!Nicht die Kunst, sondern der musikalisch[e] Enthus.[iasmus] macht d[en] Künstler.""

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[37] Der Tanz ist zugl[eich] lyrisch und episch; die Eintheil[ung] lyr.[isch] [episch] und [dramatisch] ist gar nicht auf Poesie eingeschränkt. – [38] Im Episch[en] sollte gar kein Absatz Statt finden, er ist durchaus unpoetisch und nur rhetorisch. [39] Das Große und Erhabne in der [Kritik] wird nur möglich durch praktisch[e] Abstraction.

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[40] Alle Prosa ist poetisch. – Sezt man Prosa der [Poesie] durchaus entgegen, so ist nur die logische eigentl[ich] Prosa. [41] Die Gesetze des prosaisch[en] Numerus entstehn durch bloße Modificazion des metrisch[en] Imperativs.

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[42] Der romant.[ische] Dichter muß doch auch, was der class[ische] nie darf, rhetorisch sein. [43] Der menschl.[iche] Geist selbst ist eine Antithese; auch das Herz hat s.[eine] Antithesen.

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[44] Im antithetische[n] Styl werden gleichsam die Ecken der Gegenstände herausgehoben; wohlthätig bei flüssig[em] Stoff wie d[em] historischen. Was so schon eckigt ist wie der [philosophische] Stoff, muß eher flüssig gemacht werden. – [45] !!Verwandtschaft der Parisos[e], Paromoios, pp mit d[em] Reim. Man könnte beinah sagen, die Prosa der Griech[en] sei gereimt. Die römisch[e] Prosa nicht so reimverwandt als die griechische. – Bei ihnen verbannte schon die polit.[ische] Grandiosität diesen Flitterstaat."" Der eigentliche Grund jenes Schmucks (   ) ist wohl Mangel an ethischer Ganzheit. [46] Wo man die Bestandtheile nicht bloß gleichartig sondern auch verschiedenartig zu bilden strebt, da strebt man nach Ganzheit nicht bloß nach Einheit /

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[47] Sophokleisch[e] vollständig[e] Schönheit ist im rhetor.[ischen] Styl unmöglich. Hier ist Aeschylus d.[as] Urbild. [48] Wo Zufall ist, darf auch das Wunderbare sein, also auch im modern[en] Drama. Nur muß das Mythisch[e] und Idealisch[e] selbst mimisch behandelt werd[en], wie in Sh.[akspeare’s] Sommern[achtstraum]. !!Rechtfert[igung] der Oper.""

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[49] Mimus ist mehr und weniger als Poesie, je nach d[em] Gesichtsp[unkt].

Fragmente zur Poesie und Literatur

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[50] Zünden ist d.[er] eigent.[liche] Ausdruck von d[er] Wirkung des höchst[en] Schönen. – [51] Ist Sh[akspeare]’s Drama nur der Aeschylus der romant.[ischen] Gattung? – [52] Wichtiger Unterschied der analytisch[en] und synthet.[ischen] [Poesie]. – [53] Der romant.[ische] Witz ist der höchste. – Der satir[ische] kommt ihm am nächsten, und ist ihm am ähnlichsten. Auch die sokrat.[ische] Ironie gehört dazu. –

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[54] !!Antithesen bei Haller[?] (histor[ische]) oft Ersatz der logisch[en] Bestimmtheit; sinnlich Vorbereitende Bestimtheit."" [55] !!Die Historie ein [epischer] Mimus. Daher das Histor[ische] des Romans./ Roman Mischung aller Dichtarten, der kunstlosen Natur[poesie] und der Mischgattung[en] der Kunst[poesie].""

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[56] Beim nicht vollendeten Mimus !!Shak.[speare] der vollendete Mimus"", der es nur so im Großen und Ganzen nimmt, und s.[ich] an das Gröbste hält, kommts natürlich immer zu einem Cyklus von Characteren !!(Masken)"". – [57] !!Grundlage der Kunstlehre: nichts als höchste Vereinigung des Rigorismus und der Liberalität. –""

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[58] Im Romeo und Petrarcha das Antithetische mehr im Stoff, bei d[en] alt[en] Rednern in d[er] Form. – Erstaunen über die Entgegengeseztheit bei d[en] Neuern; es war also Gleichheit vorausgesezt; weit synthetischer. [59] Bei Herder ist d.[er] synthet.[ische] Klumpen seines Geistes zu Wasser geworden. –

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[60] Wunderbar die Kraft im Gozzi, bei d[er] völlig[en] Aufgelößtheit des innern Mensch[en], der Zerstörung alles Gemüths. – [61] Die beid[en] gewöhnl[ichen] Einwürfe geg[en] d.[ie] Caricatur, sie sei 1) unnatürlich 2) gemein; sind selbst so gemein als unnatürlich. –

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[62] Gozzi’s [Poesie] leicht und grob crayonirt, Decorations[poesie]. – Sonderbarer Begriff von d[er] Nothwendigkeit, neu zu sein im Gozzi. – Das Demagogische des Gozzi d[em] Aristoph[anes] am ähnlichsten; das magisch Wunderbare ein eigenthümlicher Vortheil. [63] !!Petrarcha und Bembo’s franz.[ösische] Grundsätze über die nothw.[endigen] Bestandtheile eines Sonetts.""

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[64] In d[er] alt[en] Tragödie geht physisch so wenig vor als möglich. In der  [Komödie] mehr. [65] Als Vorübung zur Rom[antischen] [Poesie] außer der Sat[irischen], auch Idyll[ische] und die [mimische] vorzügl[ich]. – Die Satire ist sehr empfänglich für Aeußerung der sittlich[en], wissenschaftl[ichen], gesellschaftl[ichen], bürgerl.[ichen] Bildung. – Das arabische, romantische, absolute Wunderbare auch eine Vorübung zum Roman. !!Alle Dichtart[en], die drei alten classisch[en] ausgenommen. Diese Bestandtheile dann zu einer progressiven Einheit verknüpft."" [66] Das romantisch[e] [Epos] ist eine Art Idylle. –

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Friedrich Schlegel

[67] Die Werke des Aristoph.[anes] bildnerisch[e] Kunstwerke, die man v[on] allen Seiten betrachten kann; Gozzi’s Werke brauchen einen Gesichtspunkt. [68] !!Im Pantalone und Truffaldino doch eine sehr feine Schmeichelei d.[es] Venezianisch[en] Volkes."" 5

[69] Stufen des Rom[antischen] 1) bei d[en] Alten: [Epos] und  [Drama]. Anfang des Mischgedichts in Prosa und myst.[ische] sentim.[entale] Liebe   2) Das absolute mystisch Wunderbare, d.[as] eigentl[ich] Romantisch[e] 3) Don Quixote. – [70] Sollte nicht die Tragödie überhaupt einmal antiquirt werden? –

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[71] Alle eigentl.[ichen] aesthet.[ischen] Urtheile s[ind] ihrer Natur nach Machtsprüche und können nichts andres sein. Beweisen kann man sie nicht, legitimiren aber muß man s.[ich] dazu. – Daß man schlechte Werke gar nicht beurtheilen sollte, ist sehr gewiß. – [72] Welche Fehlgriffe thut nicht der [Kritiker] so lange er nur einen Theil des [poetischen] Gebiets kennt, am meisten wenn dieser Theil sehr groß ist, und er des Rigorismus fähig! – [73] Das Publicum existirt nur eben so problematisch wie die Kirche. – [74] !!Annalen der deutsch[en] Litteratur von 1789. –"" [74] !!Vom Witz./ Theorie des Romans. –""

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[75] !!Unter allen gelehrten Wolfianern hatte Sulzer wohl am meist[en] Eigenheit."" [76] Dante’s Komödie ist ein Roman.

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[77] Künstler, Kenner, Liebhaber – alle müßten aus reinem höhern Cynismus handeln. Nicht Ehre, Gold, das Publ.[ikum] lenken wollen, nützen, ergötzen wollen pp – [78] Großer Unterschied der [psychologischen] Repräsentazionsfähigkeit und d[er] technisch[en] Objektivität eines Charakters (Sancho und Achilles). –

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[79] Nützlichkeit daß alle Varietäten d.[es] Geschmacks und d.[er] aesthet.[ischen] Individualität und der Mischung d[er] ursprüngl[ichen] Bestandtheile in d[er] modernen [Poesie] vorkommen. – G ENIALISCHER I MPERATIV für d.[ie] Modernen um die Trennung[en] der künstl[ichen] Bildung wieder zu verkitten und auszufüllen. [80] Jedes Kunstwerk bringt d[en] Rahm[en] mit auf die Welt, muß die Kunst merken lassen.

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[81] !!Die Personen im Meister muß man eigentl[ich] bei einer verständigen Fackelbeleuchtung sehn."" [82] !!Idee einer aesthetisch[en] Casuistik. –/ Mystische Deutung d[er] Höflichkeitsconvenienzen. –""

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[83] Im ächt[en] Künstler zugl[eich] Absicht, Vorsatz, Verstand und Unwillkührliches Genie; beides in Superiorität über das andre. –

Fragmente zur Poesie und Literatur

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[84] Ein bonum dictum ist eine praktische Combination, eine synthetische Aehnlichkeit in gesellschaftl[icher] Form. – [85] Es ist gar nicht schlechthin unmöglich, dass moderne Dichter noch einmahl Studien machen werden, wie die Tragödie[n] des Sophokles oder die  des Homer. Nur wird d.[er] dazu erfoderliche Grad von praktischer Abstraction wohl noch lang nicht erreicht werden. Auch wird die Ungünstigkeit der Darstellungsmittel zur class.[ischen] Kunst immer ein gewisses Etwas fehlen lassen.

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[86] Sh.[akspeare’s] Trauerspiele sind gemischt aus d[er] class.[ischen] Trag[ödie] und d[em] Roman. – [87] !!Ist die Kunst wie der Staat bloß Mittel?""

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[88] Es giebt eine Art von Witz, welcher nur Schrank[en] und Wiedersprüche aufsucht; Voltaire. Nicht so der römisch[e]. – [89] Compacte Combinazionen d[ie] nicht logisch sondern synthetisch gefunden d.h. die Einfälle sind, ohne Urbanität und Salz im Ausdruck, sind Stoff des Witzes ohne die Form desselben. –

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[90] Die class.[ischen] Dichter sind zugl[eich] synthetisch und analytisch. [91] !!Bild eines über-Goethisch[en] Dichters – künftig für das Studium pp"" [92] So wie es das Ziel der W[issen]sch[aft] ist, K[unst] zu werden; so muß auch K[unst] endlich W[issen]sch[aft] werden. – [93] [Philosophie] lehrte d[en] Künstler bisher nur s.[einen] Zweck kennen, s.[einen] Geist und Gedanken zu berichtigen/ zu erheben und zu erweitern. Giebt es erst einmahl eine materielle synthetisch[e] Psychologie, so wird Wissenschaft auch als Leitfaden der Experimente dienen und ihr die Mittel zu s.[einem] Zweck, die er bis jezt nur durch Praktik kennenlernte, theoretisch kennen lehren. – [94] Es giebt eine Art analytisch zu empfangen ja selbst zu empfinden und eine andre, synthetisch. – Das synthetische Kunsturteil muß nicht bloß genetisch dargestellt sondern auch als nothwendig construirt werden. –

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[95] Horatius ist doch kein solcher Geschmacksschreiber, wie Boileau und Addison, wozu ihn einige gern machen wollten. – [96] Die Geschichte der progressiven Poesie ließe s.[ich] erst dann vollständig a priori construiren, wenn sie vollendet wäre; bis jezt kann man nur Bestätigung der progress.[iven] Idee in d[er] Gesch[ichte] d.[er] mod[ernen] [Poesie] aufzeigen, und Vermuthung[en] daraus folgern. [97] Da das Schicksal in d.[er] sentimental[en] Tragödie oft als Gott Vater oder Teufel, !!als ein"" willkührliches vorgestellt wird; so nähert sich dadurch dieselbe nach d[em] classisch[en] Gesichtspunkt der Gattung der Komödie. –

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[98] Es sind zur Approximazion zur höchst[en] Komödie, deren Vollendung nur in der progressiven Poesie möglich ist, Spuren von einer Palingenesie der Dichtkunst selbst in Italien in diesem Jahrhundert. – [99] In d[er] mod[ernen] [Poesie] liegt d[ie] Anlage einmal Wissenschaft zu werden. –

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Friedrich Schlegel

[100] Prosa ist d[er]z[ei]t noch nicht Kunst. – [101] Pedanterie mit d[em] Buchstaben d[es] Alterthums ist recht gut, wenn man auch d[en] Geist hat. – 5

[102] Die deutsch[e] [Poesie] moralischer als irgend eine andre; (nicht negativ, sondern positiv). – [103] Die meist[en] Romane sind nur Compendien der Individualität. – [104] Warum sollte es denn nicht auch immoralisch[e] Mensch[en] geben, wie man unpoetisch[e] und unphilos.[ophische] tolerirt? – Nur unpolitisch[e] oder antipolitisch[e] Mensch[en] dürfen nicht tolerirt werden. –

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[105] Klopstock ist ganz und gar lyrischer Dichter; so unepisch als man nur sein kann. – Kl.[opstock] hat d[en] Buchstaben des Alterthums mehr als Goethe, d[en] Geist mehr als Voß. Vorbild einer künftig[en] Vereinigung. – [106] Sollte es nicht ein Dichtungswerk geben können das zugleich Roman und classisch[e] Komödie wäre, wo Mythologie in d[er] Zukunft läge, in Geist und Buchstabe classisch und doch universell und progressiv? – [107] Wer Fantasie hat, muß Poesie lernen können; es muß noch dahin kommen, daß jeder Philosoph einen Roman schreibt. – [108] Im Pathos übertrifft Sh.[akspeare] alle Alten; seine Mimik vollkommen; an Fantasie er auch der erste. – Also das Maximum aller Natur[poesie]. –

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[109] Klopst.[ock] überspringt s.[ich] selbst, verkennt ganz die weise Beschränkung d[ie] in der Kunst wie in jedem besondern Gebiet so nothwendig ist. – !!Klopst.[ocks] Messias ein Rosenkranz von (calvinisch-antiken) Kirchenliedern. – Ein Compendium der Affectation. – Mehr die Affectation des Unbedingten als dieses selbst. Statt dessen oft das sündig Ungeheure.""

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[110] Die moderne Aesthetik bestand lange Zeit bloß aus psychologisch[er] Erklärung aesthetischer Phänomene. Es liegt darin wenigstens eine Indicazion für d[en] Imperativ daß die Kunst Wissenschaft werden soll. – Man sollte vielmehr für aesthet[ische] Aufgaben die Mittel der Auflösung wissenschaftlich suchen. –

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[111] Die Alten können künftig einmahl in d[em] Classischen selbst übertroffen werden. – [112] Wie viel mehr ist nicht Sakontala werth als Ossian und wie haben beide ein ungleiches Glück gehabt. – [113] Klopst[ock] !!zugl[eich]"" ein christl.[icher] Ovid und Statius (Lucanus). –

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[114] In 10 Jahren müssen Schillers  [Philosopheme], allen die vorn an sind, vorkommen, wie (jezt) !!1797"" Garve’s. – [115] Goethe’s schlechte Idee vom Roman, daß analyt.[ische] Intrigue wesentl[ich] dazu gehört, daß der Held ein Schwachmatikus sein muß, daß der Tom Jones ein guter Roman sein soll. Er geht überhaupt bei Aufsuchung des Geistes der Dichtarten empirisch zu Werke; nun läßt sich aber d[er] Charakter grade dieser Dichtart empirisch nicht vollständig und richtig auffinden. – !!G.[oethe] hat die Ecken aller Dichtarten abgeschliffen. –""

Fragmente zur Poesie und Literatur

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[116] Verzeichniß negativer Classiker zur Theorie des Häßlichen. – [117] Der Grundsatz: Es wird nun einmahl recensirt, also wollen wir (um uns in Vortheil zu setzen) mit recensiren damit es recht geschieht; ist wie bei einer Revoluzion mit zu morden. – [118] Voß hat einen recht dicken, breiten, empirisch[en] Buchstabendünkel. –

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[119] Es gibt auch einen Naturwitz wie einen Kunstwitz. – [120] Wenn es Dichtarten geben soll, und auch nicht, so muß Eine Dichtart alle übrigen vereinig[en]. – [121] Schillers Blei halten s.[eine] Freunde für Tiefe; da er doch als [Philosoph] seicht und als Dichter nur bis zum Calcül gekommen ist.

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[122] Garve ist nichts ganz, also auch nicht Buchstäbler. – [123] Nicht aus Goethescher (Heuchler)toleranz muß man der Kritik entsagen. Einer kann’s nicht; eine Gesellschaft ist noch nicht vorhanden. Ihr ERSTES Princip müßte kritisch und moralisch sein, nicht litterarisch und merkantilisch. Wo das lezte ist muß alles Gute nur zufällig bleiben.

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[124] Das Schöne ist eben so wohl angenehme Erscheinung d[es] Wahren und d[es] Rechtlich-Geselligen als des Guten. – [125] Nur das Classische oder Progressive verdient kritisirt zu werden. – [126] Die kritisch[e] Gesellschaft müßte aus !!lauter"" politisch[en] Cynikern bestehn. Wer darf aufstehn und sagen daß Verhältnisse, Vorliebe, Mitleid, Schonung, Freundschaft nie auf s.[ein] Urtheil d[en] geringsten Einfluß gehabt hätten? – !!Die gewöhnl[ichen] Recensenten sind nur wie Markthelfer oder Buchbinder; andre Pasquillanten. –"" [127] Sträflicher Leichtsinn in öffentl[icher] Bekanntmachung fremder Geistesprodukte. – !!Woltmanns Historie ist eine Elfin. –""

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[128] In Preußen herrscht in der Litter[atur] etwas von der französ.[ischen] universellen Flachheit. [129] Mangel an Urtheil bei d[en] größten Meistern in ihr[em] eignen Fache; Kant, Fichte. – [130] !!In der Schrift vom Witz eine Apologie des Cicero, der ein witziger Kopf war, manches andre, was er nicht war, sein wollte, und immer sehr falsch beurtheilt worden ist. –"" !!Kritischer Allmanach."" [131] Ein rein polem.[isches] Werk thut in der progress.[iven] Rhetorik kein Genüge, denn die progr.[essive] Ethik ist practisch positiv. – Reinhold und Schiller sind nur progr.[essive] Deklamatoren nicht Rhetoren im guten Sinn. – [132] »   »«’    ist Garve’s Motto in s.[einem] eignen Sinne. – [133] Herder schrieb anfangs zäh, voll und klümpricht. Aber er hat sich aus einander geschrieben und mittelst der Auflösung in Wasser sich selber verderbet. –

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Friedrich Schlegel

[134] Nicht ein einzelnes Werk von Goethe ists, worauf es mir ankömmt, sondern Goethe selbst, er ganz. An manch[en] Werken mag sehr wenig sein, und ich verarge es niemand so zu denken. Aber allerdings ist auch in d[em] kleinsten Goethe noch Goethe, einzig unverkennbar. 5

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[135] Manch[e] gutmeinend[e] Kritiker gehn in bewundert[en] Gedicht[en] gleichsam botanisiren. – [136] Herder ist d[er] vornehmste aller Volksdichter. Er hat bei der nothwendig[en] Regression d[er] Deutsch[en] auf alle Elemente der [Poesie] soviel Verdienst um Naturpoesie, wie Klopstock um Sprache und deutsch[e] Dicht[un]g überhaupt, Goethe um Kunst, Schiller um das Ideal. – [137] Der Roman tendenzirt zur Parekbase/ welche fortgesezt etwas humoristisches hat. – [138] Im Humor ist ein Schein von Willkührlichkeit, d[er] s.[ich] aber auf Gesetze gründen muß. –

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[139] !!Antiquarische Briefe."" [140] Der Tadel der class.[ischen] [Philosophie] geg[en] die class.[ische] [Poesie] enthält die erst[en] Princ.[ipien] der progr.[essiven] [Poesie]/ Hier ist also der älteste Anfang der modernen Poesie. –

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[141] An den mimischen Virtuosen macht man allerdings moral.[ische] Forderung[en]. Er kann alles nachahmen was er will; er soll also nur das wollen, was er darf und soll. Daher die Moralität der modernen [Poesie] und ein Theil des Tadels der classischen [Philosophie] geg[en] di[e] Dichter. – Nicht eben das Sittliche allein, aber doch nur das Gebildete, ja wo möglich das Gebildetste soll der mimische Künstler darstellen. – [142] Sentimentalität ohne die unendliche Energie und Einsicht eines Shakesp.[ear] nicht sehr interessant, mit ihr unendlich interessant. – [143] Bildungsverhältnisse und Stufe[n] oder praktisch[e] und historisch[e] Gränzen. –

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[144] Die Kunst geht durch alle Gebiete wie die [Kritik], aber im aesthet.[ischen] Gebiet hat s.[ie] ihren eigentl[ichen] Sitz. Es gibt eine [ethische] [politische] gesellsch.[aftliche] [logische] !!Hist[orische]"" Kunst – aber nur im Aesthet[ischen] kann sie Werke, bleibende Werke bilden. – [145] Styl ist historisch[e] (class.[ische] oder progr.[essive]) objektive Kunsteigenthümlichkeit; Manier bloß individuelle, unhistorische. –

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[146] Alles was auf dem Gegensatz von Schein und Wirklichkeit beruht wie das Elegisch[e] in Schillers Sinn, ist nicht rein poetisch. – [147] Das Fundament der Metrik ist d[er] Imperativ die Poesie möglichst zu musiciren; das der Schauspielkunst, der die Poesie möglichst zu plastisiren. –

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[148] !!Das ist sehr bornirt und illiberal von Herder dass er Sulla, Fichte, und die Erbsünde nicht leiden kann!""

Fragmente zur Poesie und Literatur

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[149] Die Opera buffa hat vor d[er] alt[en] Komödie das voraus, daß sie auch Natur[poesie] in sich aufnehmen kann (doch die Parekbase und andere k[ün]stl[erische] Improvisazion[en] wahre Natur[poesie].) – [150] Die class.[ische] [Poesie] hat sich historisch selbst annihilirt; die sentimentale des Sh.[akspeare] annihilirt sich gleichfalls selbst total. Nur die progressive nicht; d.h. sie selbstvernichtet sich wohl oft, aber selbstschafft sich auch gleich wieder. –

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[151] Das absolut fantastische enthält d[en] episch[en] Grundstoff zum episch[en] Roman. – [152] Schiller ist ein rhetorischer Sentimentalist voll polemischer Heftigkeit, aber ohne Selbständigkeit, der lange tobte und braußte, dann aber sich selbst beschnitt und cultivirte, ein Knecht ward und regreßirte. – [153] Giebts nicht auch eine kritisch[e], practisch[e], skeptisch[e], polemisch[e], mystisch[e] Prosa? Eine epische, lyrisch[e], dramatisch[e], idyllisch[e], satirisch[e], epigrammatisch[e] Prosa? –

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[154] !!Auch die Darstellung absoluter Marter (Did.[erot’s] Religieuse) gehört wesentlich zur mod.[ernen] [Poesie] und zu d[en] Proleg.[omena] des Romans. –"" [155] Hermann das herzlichste, biederste, gefühlvollste, edelste, liebenswürdigste, sittlichste aller Goethesch[en] Gedichte. –

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[156] Manche Werke sind weniger ganz als Einfälle. – [157] Drei Schulen der Kunstlehre in Deutschl[and] 1) Aesthetik – Sulzer 2) Winckelmann, Lessing, Moritz, Herder 3) Kant, Schiller pp –/ [158] Hermann und Dorothea ein romantisirtes Epos, das eben darum idyllisirt. – [159] !!Goethe steht in der Mitte zwischen van der Werff und Raphael.""

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[160] Zweifel ob die Engländer irgend andre als quantitative Begriffe haben. – Komische Auswahl aus d[en] Schriften d[er] größten [Kritiker] des Auslandes. – [161] Ist nicht in d[en] allegorischen Personen d[er] Mysterien ein Analogon von d[en] systemat.[ischen] Charakteren, die d.[er] vollendete Roman bedarf? [162] Der vollkommen[e] Roman muß wohl auch ein Epos sein (d.h. classisch[e] und universelle Natur[poesie])/ So muß er auch Ode sein; Chor und Melos in Rücksicht auf Individualität und Publikum; – wo nicht sein, so doch approximiren. – [163] Die Alten stellten zu sehr nur das Empirische dar. Sie haben keinen Sokrates pp Diotima dargestellt; selbst Sophokles nicht. Die Modernen gerath[en] oft in das entgegengesezte Extrem. – !!Die directe Darstellung des Absoluten in der [Poesie] irgendwo zu vertheidigen; es muß doch wohl irgendwo Imperativ sein, daß auch der Stoff der Poesie absolut sein soll. –"" [164] Die eigentlichen Dramen einer Nazion können so wenig für alle Modernen classisch sein, als die Nachahmung, Übersetzung, Nachbildung d[er] Alt[en] oder Neuen und alles was nur dazu dient, eine Nazion d[er] andern gleich zu machen. –

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Friedrich Schlegel

[165] Sh[akspeare], sagt Johnson, schrieb without rules. – Wer schrieb denn je mit rules? – [166] !!Unterschied zwischen der Unpoesie von Johnson von Fichte und von mir. Verschiedene Arten von Unpoesie characterisirt. –"" 5

[167] Alles Provinzielle ist d[em] Classisch[en] entgegengesezt; Jede Nazion in Europa ist aber nur als eine Provinz der Modernheit zu betrachten. – !!Ein moderner Classiker muß zugl.[eich] universell sein. –"" [168] In der kritisch[en] Prosa muß alles sein, [Philologie], [Philosophie], [Logik] – [Rhetorik], Hist[orie], Sat[ire], Idyll.[e], Mim[us] pp; aber alles

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classisch und nichts durch Gesellschaftlichkeit verschliffen; nicht verschmolzen wie im romantisch[en] Styl. !!Theorie der P ROSA ."" [169] Wer seine Sprache weiter bringt, sie wahrhaft bildet, ist für diese classisch; gesezt auch er könnte veralten. – Selbst die alten Classiker konnten veralten. – [170] (Aehnlichkeit zwisch[en] Dryden und Schiller.) –

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[171] Läßt sich auch das Schöne befördern? Wo es wirklich war, hat es sich selbst befördert. Wo man es befördern wollte, war es oft nur Schein, Eitelkeit, Sinnlichkeit pp. – [172] Abweichungen die auf d[er] Bahn der Gattung oder auf der Bahn d[er] modernen Bildung überhaupt nothwendig sind, sind eigentl[ich] gar keine Abweichungen, Shakesp[ear] ist correct. – Stud [173] !!— [Absolutes Studium] ist das Princip der Kritik. –"" o [174] !!Die modernen Classiker nicht nach Dichtarten zu verzeichnen, sondern so: 1) Classiker d.[er] mod[ernen] [Poesie] 2) Classiker d[er] romant.[ischen] Kunst 3) Classiker in Prosa und 4) universelle Classiker d[er] Modernheit."" [175] Die Franzosen und die Engländer sind einiger als sie selbst es wissen. –

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[176] Gemeinherrschende Denkart über Kunst: Genies sind incorrect, Correcte Autoren nicht genialisch, Regel ist was im Buche steht, Publikum ist der Partner, bewundr[un]gswürdig ist was die meist[en] Schwierigkeit[en] überwund[en] hat; die Kunst entspringt aus Unsittlichkeit, macht aber ein wenig sittlich; sie braucht nicht eben sittlich zu sein, aber sie darf doch auch nicht entschied[en] unsittlich sein. – !!Genie ist roh, Bildung macht mittelmäßig. –"" [177] Unsre Correctheit soll aufs Ganze gehn; die d[er] Alt[en] ging aufs Einzelne. [178] Tasso’s Jerusalem ein sentimentales Romanzo. – [179] Nur das genialisch[e] Werk kann correct sein. – [180] „Nichts ist noch gesagt.“ – !!Tout est dit.""      —[absolute Kritik] sucht, wird man durch kein Werk befriedigt./ 

[181] So lang man noch —[absolute Poesie] oder —[absolute Philosophie] oder 40

Fragmente zur Poesie und Literatur

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[182] Die gewöhnl[iche] Meinung analytischer Denker ist, das Genie sei nothwendig, Natur und Praedestinazion, unerklärlich; – das Genie ist ein Act und eine Wirkung der Freiheit. In der Hist[orie] kann mans freil[ich] nicht so betrachten, aber wohl in der Lebenskunstlehre und in der Kritik. – [183] Sinn ist Herders dominirende Eigenheit. Was ist nun eigentl[ich] das Männlich[e] was ihm fehlt, die Schärfe, das Salz? – Erst fehlt ihm [Philosophie] und damit Alles. Aber auch Praxis fehlt ihm und damit auch Productionskraft. – [184] Sentimental ist eine Gattung von großem Umfang; alle progressive [Poesie] die regressiv ist, alle [Poesie] welche sich nicht historisch sondern poetisch selbst annihilirt. – Wie verschieden ist aber noch die mystische Sentimentalität des Dante, die romantische des Tasso und Petrarcha, die rhetorische von Rousseau und Schiller, die idyllische des Guarini, die satirische und elegische des Klopstock, die ABSOLUTE von Shakespear pp. – [185] Alle Bestandtheile müssen im Roman so verschmolz[en] sein, daß der gebildete Mensch der weder classischer [Poet] noch [Philosoph] noch [Philolog] ist alles fassen kann. In dieser Rücksicht ist der kritische Styl die absolute Antithese des romantisch.[en], denn im [kritischen] müssen alle Bildungsbestandtheile abgeschnitten classisch und isolirt sein. Der [kritische] Styl ist also gradezu satirisch. –

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Friedrich Schlegel

!Aus den philosophischen Lehrjahren"

!Aus den philosophischen Fragmenten. Erste Epoche. II." Kant. (Noch in Jena.) 1796–1797. !PhL [II] 1–53" 5

[1] Man muß es ihnen unmöglich machen sich an Kant zu hängen, wie an ein Panier d[es] Irrthums !!Amulet d[er] Wahrheit"". – [2] Seine gute Absicht zur Fixation bei d[er] scholast.[ischen] Form ist nun erreicht. Das Kleid muß nun weggenommen werden. – [3] Eine Freundschaft zwisch[en] Kant und Klopstock wäre natürlich gewesen. –

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[4] Regreßive Tendenz d[er] Hyperkritiker d.[ie] sich nur an Kants Buchstabe halten, wie d[ie] Mystiker an Kants Geist. – [5] Reinhold, der erste unter d[en] Kantisch[en] Sophist[en] hat eigent[lich] d[en] Kantianismus organisirt und auch das Mißversten gestiftet. – Grundsucher. – [6] Viele Gegner hielten Kants [Christentum] nur für eine mauvaise plaisanterie, wie d.[ie] Politiker, die d[en] Republik.[anismus] nicht begreifen können. –

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[7] Subjektives ist viel in d[er] Ansicht, die Gränzen d[er] Erkentniß nur auf d[ie] Eingeschränktheit d[er] r[einen] V.[ernunft] zu beziehen und nicht aus d[em] Gesichtspunkte als durch absolute Freiheit gesetzt zu beziehen. – !!Kants Schreibart."" [8] Es giebt nur zwei Sprach[en], die logische und die [poetische]. Die politische und die rhetorische sind nur aus diesen gemischt. Klopstock schreibt durchaus poetisch. – [9] Die Mittheilbarkeit ist nur ein Kriterium für den besten Eklektizism, nicht für den ächten Philosophen. Die Mischung der Idiome und die feste Terminologie echt kritisch. – Eine [Kritik] der [philosophischen] Sprache ist jetzt noch nicht möglich – in der [Poesie] ist es etwas andres, da haben wir Classiker. – [10] Die Unkentniß d[er] Historie und die Einsicht von d[er] Nothwendigkeit eines Mittelgliedes zwisch[en] der [theoretischen] und  [praktischen Philosophie] hat großen Einfluß auf die Kantische Aesthetik gehabt. – Die unredliche Hermeneutik (d[er] Kantianer) ist antihistorisch. –

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[11] K[ant] hat eine Voltairische Weltansicht. – [12] Kant ein Hypermoralist, der d[er] Pflicht d[ie] Wahrheit aufopferte. Sein subj[ektiv] [kritischer] Gang veranlaßte das Praktisiren der sogenannten [praktischen] Postulate, welches Mißverständnisse von Wahrheit aus Interesse aufgeopfert und logische Heteronomie veranlaßte. –

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[13] Kants Relig[ion] durchaus nicht Norm. Das Selbstrichten ist nur EIN Weg der sittlichen Bildung; dieser Weg ist unserm Zeitalter durchaus nicht angemessen. –

Philosophische Lehrjahre

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[14] Wahr ist d[er] Vorwurf, daß er die Gesch[ichte] der [Philosophie] entstellt; aber er hat auch die Möglichkeit einer solchen zuerst begründet. – [15] Die  die ein organ[isches] [System] durch mechanische Behandlung entweihen. – !!Active und passive Schüler. –"" [16] Kant moralisirt gewaltig in d[er] Politik, Aesthetik und Historie. In d[er] Moral hingegen legalisirt d.h. politisirt er. –

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[17] Unvereinbarkeit d[es] deutsch[en] und französ.[ischen] Nationalcharakters. Unglückl[iche] ewig sterbende Opfer der versuchten Vereinigung. – [18] Subjektivität der K[anti]schen Pflichtenlehre, scholast[ische] Form, Terminologie pp. –

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[19] K.[ant] ist classisch und progreßiv in hohem Grade. – [20] Klopstock wollte uns so eine classische Deutschheit machen wie uns andre französiren wollten. Er ist d[er] Reinhold d[er] Deutscherei. – [21] Eine progreßive Nation läßt sich nicht charakterisiren; nicht so wie eine classische. –

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[22] Beide haben eine unkritische ja unhistorische Ansicht, die Französisten (Friedrich der Gr.[oße]), und die Deutschisten (Klopstock – schlimmer noch sind die Schwebemänner. – [23] Angewandt wird eine Ws[Wissenschaft] nicht durch Emp[irischen] Stoff sondern Beziehung auf einen individ.[uellen] Gegenstand z.B. Gramm[atik] Geometr[ie].

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[24] Kant hat das ethische Maximum (heil[igen]Willen und Reich Gottes in s.[einem] Sinne) verwechselt mit dem praktischen, aus Mangel an polit[ischem] und aesthet.[ischem] Sinn. Das formale Objekt der sittl[ichen] Handlung ist nicht das ethische sondern das praktische Maximum. –

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[25] Kant geht nicht von der Tatsache aus; Erfahrung IST ; wie Nieth[ammer], Reinh.[old], Erh.[ard] ihn mißverstanden haben; sondern von d[em] unerwiesnen aber zu erweisenden Satze Erfahrung MUSS SEYN wie Beck, Schelling und Fichte ihn richtig verstanden haben. Dieser Satz muß aber durchaus erwiesen werden. –

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[26] !!Ihr seyd berechtigt vorauszusetzen, es sei Übereinstimmung zwischen Ist und Soll. Aber das Wie könnt Ihr nicht erkennen und dürft Ihr nicht bestimmen. Woher also die Befugniß die Unsterblichkeit eines andern anzunehmen? –"" [27] !!Der Wunsch daß ein Böser in d[er] Hölle bestraft und der Gute im Himmel belohnt werde, scheint widersprechend, auch transcendent. Im rech[ten] Himmel kann kein Unterschied der Person (Personalität) Statt finden. Was im Himmel nicht sein kann, läßt s.[ich] bestimmen. –"" [28] So wie Kant aus subj.[ektiven] Gründen die Willensfreiheit in d[as] Gebiet d[er] Geschichte übertragen hat, so auch in d[en] Himmel; daher seine Defin[ition] vom höchsten Gute durchaus subj[ektiv]. – Transcendent ist alles was sein Gebiet überschreitet. (Auf einen so unvollkommnen Himmel müßte man im-

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Friedrich Schlegel

mer noch einen drauf setzen.) Der Unwille über das Glück des Bösen und das Unglück des Guten ist sittlich und heilsam. Aber er hat Gränzen, die bestimmt werden müssen und die durch jene widersinnige Dichtung überschritten werden. 5

[29] Man sollte Kant ins Deutsche übersetzen; vielleicht ginge da d[en] Schülern ein Licht auf. – [30] Die Kantische Formel ist nicht reine praktische Thesis – sondern ein Schematism – gegen den sich vielleicht viel einwenden ließe. – [31] Klopst.[ocks] Deutschheit wie die Attische   . –

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[32] Die Anbetung d[es] Gesetzes hat Kanten zu mehren transcendenten Sätzen verleitet. In K[ant]s Schriften liegt nur ein Keim, aber ein organischer Keim des skept.[ischen] Mystizism, der aus ihm hervorgehn mußte. – [33] Kant schreibt für einen Logiker viel zu saturirt. – [34] Wenn die Königsb[erger] Post umwirft, so sitzt Jak[obi] auf d[em] Trocknen. – [35] K.[ant] im Grunde höchst unkritisch. –

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[36] Die Erklärung eines organischen Produkts, eines organischen Wesens muß HISTORISCH seyn, nicht mechanisch. – [37] Von d[er] Verwüstung, d.[ie] s.[eine] Größe in kleinern Geistern angerichtet hat. (Schiller.) –

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[38] Kant ein Virtuose d[er] Gerechtigkeit; insofern hat sein NR[Naturrecht] einen hohen Werth. – [39] Kant schreibt eigent[lich] zu gut für einen [Philosophen]. Sammlung großer [logischer] Schnitzer aus Kant. – [40] Jeder nicht politische Practiker ist ein Schwärmer und Revoluzionär. – [41] Kants [Philosophie] ist kein System (nicht objektiv).

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[42] !!Lamberts !logische" und !philosophische" Abhandl!ungen" von Bernoulli. Berl[in] und Dess[au] 1782. 1ter B[and.] –"" [43] Der Jubel, daß die [Philosophie] nun mit dem gem.[einen] Menschenverst.[and] ausgesöhnt sei, ist doch auch in Kant. –

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[44] K.[ant] ein oscillirender Mensch, eitel, ohne die gewaltige durchgreifende Kraft des Spinosa und Fichte. Er hat so Sinn für dieses und jenes wie ein Eklektiker, selbst etwas ästhetischen, etwas [philosophischen] und viell.[eicht] auch ein wenig mystisch[en] Enthusiasmus. – !!Thatlehre, Staatslehre, Kunstlehre, Sittenlehre, Denklehre, Bildungslehre.""

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[45] Die Ganzheit s.[eines] [Systems] ist grade das Subjektivste. Kein festes, bleibendes System. –

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[46] Ein Rigorist kann Kanten nicht für einen [Philosophen] gelten lassen. Er wünscht daß dieses und jenes wahr seyn möchte; er will Entdecker seyn, er will’s seyn. Er erkennt d[en] unbedingten Werth d[er] Wahrheit nicht genug. Er kleistert !!flickt"" und ist sich dessen bewußt. Sophist. – Fermenta cognitionis zur  [kritischen Philosophie]. –

Philosophische Lehrjahre

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[47] Gehörte Leibniz nach m.[einer] Ansicht zu den Mystikern oder Empirikern? – [48] Drei Perioden des Kantianismus, die Emp[irische] –  [skeptische] – Mystische. Deduction daß er sich so entwickeln mußte und durch diese drey Elemente reinigend durchgehen mußte. –

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[49] Ein [Philologe] müßte kommen und ihnen den Kant erklären. – (Kant = Wieland.) – [50] Kants practische [Philosophie] wenigstens eben so subjektiv als der Woldemar. – [51] !!Motto     «      pp Pindar.""

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[52] K.[ant] hat eine große Vorliebe alles zu trennen. – Seine schlechte Sprache Beweis eines Mangels an Mittheilungssinn und fähigkeit. – Kritische Ausgabe s.[einer] prakt.[ischen] Schriften; Wegschneiden des Theoretischen, d.[er] Wiederhohlung, d[es] Undeutschen, der Sprachfehler. [53] !!Skeptische Frag[mente] – die  [mathematische] Widerlegung der Newtonschen [Physik].""

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Geist der Fichtischen Wissenschaftslehre. !PhL [II] 126–227" !!1797–1798."" [126] Was Fichte als ausgemacht und s.[ich] von selbst verstehend voraussetzt, kann man fast immer ganz dreist widersprechen. –

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[127] Es scheint den Mystikern eigen, etwas absolut Zufälliges neben ihr absolut Nothwendiges zu setzen. – [128] Giebt es etwas Zufälliges oder ist dieß bloß Schein? Das eigent[lich] Zufällige wäre ein Wirkliches das nicht möglich wäre. Denn was zugl[eich] wirklich und nothwendig ist, ist nothwendig. –

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[129] Das Deduciren hat nirgends ein Ende soll nirgends ein Ende haben. – [130] Das absolut Zufällige, Indeducible und rein Empirische, ursprüngl[ich] Gefühlte, ist gar nichts [Philosophisch]es, kann also nicht [philosoph]isch deducirt werden. Es ist etwas Physisches oder Historisches. Die Nothwendigkeit indessen eines solchen muß aus d[er] Möglichkeit der Ichheit abgeleitet werden. –

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[131] Fichte’s [Philosophie] ist zugleich Punkt, Cirkel und grade Linie. – [132] Ist das Setzen eines absolut Zufälligen nicht der reine, klare Emp[irismus]? – [133] Fichte duldet d[en] Witz bloß, mag ihn gern, sieht aber darauf herab. Er hat etwas [praktische] Abstraction aber nicht viel. Fichte’s Gang ist noch zu sehr grade aus, nicht absolut progr.[essiv] cyklisch – Abstraction und besonders practische ist wohl am Ende nichts als [Kritik]. –

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[134] F.[ichte] ist ein kritisirter Polemiker. Er ist nicht genug absoluter Idealist, weil er nicht genug [Kritiker] und Universalist ist. Ich und Hardenb[erg] offenbar mehr. Er ist ein halber [Kritiker], offenbar auch nicht Realist genug in jeder Bedeutung und Rücksicht. In d[er] polem.[ischen] Schreibart ist er vollkommen Meister. Sein Styl ist fast nie ganz logisch, sondern hat fast immer einen polemisch[en] Anstrich. – [135] Das Transcendentale Ich ist nicht verschieden von d[em] transcendental[en] Wir. Es ist kein persönliches. – [136] Fichte ist nicht bloß Kunst[philosoph] sondern auch Natur[philosoph]. –

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[137] Ist Fichte mehr nicht Id[ealist] genug, oder mehr nicht Re[alist] genug? – [138] Ich habe noch niemand gefunden, der an Fichte glaubte. Viele die ihn bewundern, einige die ihn kennen, einen oder den andern, der ihn versteht. Fichte ist doch eigent[lich] wie d[er] Besoffne, der nicht müde wird von d[er] einen Seite auf das Pferd zu steigen und darüber transcendirend herunter zu fallen. – Er idealisirt s.[ich] s.[eine] Gegner zu vollkommnen Repräsentanten der reinen Unphilosophie. – F[ichte]s [Praxis] geht mehr darauf Mensch[en] zu bilden als Werke (doch auch Unwerke zu zerstören). claß progr. Er ist —[absolut klassisch] und —[absolut progressiv] ist vollendet und coro o rect – auch s.[eine] kunstvollste Methode ist Natur bei ihm durchs Ongefähr mit Eins entstanden, nicht technisch durch Studium allmählig gebildet. – [139] Wer auch noch so beschränkt ist in s.[einer] Sphäre, hat doch zu Zeiten Aussichten in die andre Welt. So gehts F[ichte] wohl mit einigen Ahndungen über Aesthetik und dergl[eichen].

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[140] F[ichte]s Cykliren, das Schwebende s.[einer] Terminologie und s.[eine] vollendet correcte Analytik ist sehr kritisch; aber nur kritisirt nicht kritisirend, weil er nicht weiß daß er [Kritiker] ist. – An s.[einem] Anstoß bin ich immer angestoßen. – Er will viel zu viel demonstriren und lange nicht genug. !!– Viele solche Demonstr.[ationen] nur scheinbar, die eigentl[ich] absolut thetische Sätze sind."" Nichts muß demonstrirt werden oder auch Alles, wie mans nehmen will. – [141] Er ist zu  [mathematisch] aber nicht «[systematisch] d.h. nicht hist[orisch] genug. Er ist wie jeder class.[ische] [Philosoph] mit Leib und Seele nichts als sein System; um etwas bei ihm zu gelten darf man der Wl.[Wissenschaftslehre] nur nach d[em] Maule reden. –

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[142] Zu der geschriebnen W[issenschafts]lehre. X eine F[ichte]sche Manier. Nur ein x oder unendl[ich] viele, oder bestimmt viele (in [systematischer] Hist[orie]) oder unbestimmt viele, beliebig viele. – [143] Das Charakterisiren meist nur Titulatur. Die Wl[Wissenschaftslehre] ist zu eng; es werden nur d[ie] Principien von Fichte darin deducirt d.h. d[ie] [logischen] und die nicht einmal alle, und die [praktischen] und [moralischen] oder [ethischen]? – Gesellschaft, Bildung, Witz, Kunst usw. hätten gleichfalls

Philosophische Lehrjahre

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Recht hier auch deducirt zu werden. Würde dieß bis zur Vollendung d[er] Stammtafel d[er] W[issenschaften] fortgesezt so wäre die Gränzbestimmung Encykl[opädie] und [Philologie]. Nach F[ichte]s erstem Begriff ist sie zu weit; sie greift nähml[ich] ein ins Gebiet der [Logik], verfolgt das Obj[ekt] derselben zu weit. – Auch ist ein großer Fehler daß [Philosophie] und 2[Philosophie der Philosophie] nicht genug verschmolzen ist; beides steht einzeln. – [144] Der Geist d[er] Fichtesch[en] Methode ist THETISCH , daher alles so isolirt. – Der Buchstabe derselben ist Algebra und Geometr.[ie]. – Die Wl[Wissenschaftslehre] ist grade so [rhetorisch] als Fichte selbst; mit Rücksicht auf Indiv[idualität] ist sie eine Fichtesche Darstellung des Fichteschen Geistes in Fichteschen Buchstaben. – Schellings Methode antithetisch – die Methode ist entweder thetisch, antithetisch oder synthetisch. – [145] Die Eintheilung in [Kritizimus], [Mystizismus],  [Skeptizismus], Emp[irismus] bezieht sich gar nicht bloß auf d[ie] Methode (die in [Mystizismus] und Emp[irismus] gleich thetisch ist) sondern auf d[ie] ganze Form, auf Styl, Ton, Manier, Geist d[er] Form.

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[146] Fichte’s Construiren s.[einer] selbst ist wahrer als er denkt; es ist auch Emp[irisch] wahr. – [147] !!Bestandteile der Char[akteristik] oder [kritische] Elemente, [kritische] Kategorien.""

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[148] F[ichte] ist analyt[isch] und synth.[etisch] aber beydes nur isolirt nicht verschmolzen. Also nur [Kritiker], !!noch"" nicht Hist[orischer] «[Systematiker]. – [149] Polemisch ist auch in d[er] Tendenz antithetisch; rhetorisch ist in d[er] Tendenz thetisch. –

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[150] Die  [skeptischen] Emp[irischen] und [mystischen] Methoden sind nur Manieren; der Mat[erialismus] und Spirit[ualismus] nur Hypothesen; Id[ealismus] und Re[alismus] nur Seiten des Systems, Profile, Ansichten. – [151] !!Absoluter Idealismus ohne allen Re[alismus] ist Spiritualismus. –"" [152] F.[ichte] deducirt bloß Abstracta, keine Individuen; also ists mit s.[einer] Construct[ion] nicht weit her. – [153] Id[ealismus] ist [kritischer], realisirter Spiritualismus. Re[alismus] ist idealisirter Materialismus. Mat[erialismus] ist idealisirter d.h. isolirter und absolutirter Re[alismus]. Spiritualismus ist realisirter Idealismus, wenn man was nur Idee ist zum Ding macht. –  [Skeptizismus] ist bloß K[ritik]. –

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[154] !!Schellings Übersichten sind übersichtig. –"" [155] !![Philosophie] = [logische] Chemie."" [156] Meine elastischen Punkte waren materiale [Logik], praktische Historie, positive Politik. – Geschichte meiner [Philosophie]. [157] Die Form der K[ritik] isolirt und absolutirt ist Polemik. Der Stoff, das Classische (endlich Potenzirte) desgl[eichen] wenn es absolutirt wird Mystik.

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[158] !!Der  [Skeptizismus] leidet keine andre als die [rhetorische] Ironie und muß eigent[lich] furios seyn. [Philosophischer] Orlando furioso. (Eine skeptische Romanze.)"" 1— 1— 1— [Ethik]o [Logik]o [Poesie]o [159] Die VOLLENDETE [Mystik] = — + — + — – o o o [160] Giebts nicht auch mystische Kunstwerke wie polemische? O, ja dergl[eichen] sind Romane, Historien, Fragmente. Hardenbergs [Philosophie] ist kritisirender Mystizismus. Schlei[ermacher]s [Philosophie] ist mystisirender Kritizismus. – [161] Nur d[er] Kritiker kann  [skeptische] und Emp[irische] Kunstwerke machen; nur er ist Künstler Kunst[philosophie] = K[ritik]. – !!Natur[philosophie] = k[ritischer] Geist."" [162] F[icht]e betrachtete ich immer als Gott oder als Sache. Recht so. – [163] Die kritische Methode ist zugl[eich] [philosophisch] und [philologisch].

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[164] F[ichte]s Theorie d[er] Weiblichkeit. Die Weiber sind gar nicht passiv sondern antithetisch, physisch und moralisch; nähml[ich] so die rechten. – [165] Um die Aufgabe, Re[alismus] und Id[ealismus] zu vereinigen, zu erfüllen, muß man d[em] Emp[irisch] Idealen Tr[anszendentale] Realität und d[em] Emp[irisch] Realen Tr[anszendentale] Idealität beylegen. –

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[166] Das „Ich thut a, weil es das thut“ – dürfte nie vorkommen; denn das ist Willkühr nicht Freyheit. In der Bildungslehre liegen die Principien dieser freyen Nothwendigkeit und nothwendigen Freyheit; und zugleich die Principien der Individualität. – [167] Ein [Philosoph] muß alles wissen wollen. Nach mir ist [Philosophie] = W[issenschaft] W —[absolute Wissenschaft] nach F.[ichte] [Philosophie] = —. – o [Grammatik] [168] Begriff ist d[er] Form nach bestimmt potenzirte Anschauung. Idee eine unendlich potenzirte. (Innre Classification.) [169] Resultat über das M[anu]skript; das Ganze fließt, das Einzelne aber ist gehacktes Blei, numerotirt. –

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[170] Die ganze Wl[Wissenschaftslehre] ist ein Hysteronproteron. – !!Viele Uebersichten sind nur Umsichten, wo man stehn geblieben war."" Der Anfang ist [episch], das Ende [lyrisch], die Mitte dramatisch. – [171] Die meisten philosophiren immanent, näml[ich] bornirt. –

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[172] Die Vorwissenschaft sollte [philologisch] und [philosophisch] geschrieben werden, die Grundlehre [kritisch], die materiale [Logik] hist[orisch] [systematisch]. – [173] Der wahre Historisch «[systematische] Styl ist zugleich fließend und fest, schwebend und stehend. – Jede Anschauung enthält ein 1o— [Unendliches], 1—

sie ist = —o . – Die Wl[Wissenschaftslehre] fließt nicht bloß sondern sie fließt auch x über. –

Philosophische Lehrjahre

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[174] Die Demonstrativität eines  [Philosophems] ist nur subjektive Legitimation wie die schöne poetische Form eines Kunsturtheils. (Je classischer, bornirter ein [Philosoph] ist, desto mehr hält er auf diese    «.) Objektiv ist nur die historische, construirende Darstellung, d[ie] gar keiner demonstrativen Form mehr bedarf. – Die Demonstr[ation] gehört also mit zur Popularität. Nichts soll und nichts kann bewiesen werden. –

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[175] Die Wl.[Wissenschaftslehre] ist nicht d.[ie] Naturgeschichte und Freyheitsgeschichte – die Bildungslehre d[er] reinen Ichheit; sondern Einfälle und Erzählungen eines schwebenden, reisend lustwandelnden Mystikers. – [176] Das Ich setzt sich nicht weil es sich setzt, sondern weil es sich setzen soll; das ist ein sehr großer Unterschied. –

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[177] Die Form d[es] cyklischen Denkens ist d[ie] Materie d[es] Begriffs vom Ich – der cyklischen Praxis; des Begriffs vom Ich d.h. der Ichheit. – Was das Ich anhält = x = Unbegreifl[ich] = Etwas. – [178] Man empfängt die Wl[Wissenschaftslehre] durch Sinn und Bildung, gar nicht durch Demonstrazionen. – Falscher aber allgemeiner Gedanke, daß das Unverständliche durch Erklärung verständlich werden soll! –

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[179] Weil F.[ichte] nur [logische] Polemik hat, so hält er die moral[ische] und ästhet.[ische] für Unrecht. [180] Viele vertheidigen Kants Lügentheorie eifrigst und lügen doch dabey; das ist d[er] Primat d[er] prakt[ischen] Vernunft.

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[181] Je populärer (im Ausdruck) ein  [Philosophem] ist, je paradoxer in d[er] Erscheinung. – [182] Elendes Einragen der [Philosophen] wenn von einem eigentl[ichen] Problem der [Philosophie] geredet wird, wie Fichte so oft thut. –

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[183] Es giebt keine [philosophischen] Irrthümer; in diesem Gebiet gilt Leibnitzens Lehre von Unvollkommenheit = reine Negazion. – Doch in 2[Philosophie der Philosophie] kann es Irrthümer, barbar.[ische] Maximen geben. – [184] Auch ohne F.[ichte] hätte die Wl.[Wissenschaftslehre] entstehn müssen. – [185] Construction ist weit mehr als Deduction. –

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[186] F[ichte]s ganze [Philosophie] ist sehr politisch d.h. sehr dialektisch und sehr polemisch und juristisch streng. – [187] Das Ich soll seyn muß auch analytisch an und für sich demonstrirt werden können, unabhängig vom Ich = Ich. – !!Die Construction des Satzes ist rein practisch; die Deduction ist Tr[anszendental]."" [188] [Christentum] =

Hist 2[Historie

in der zweiten Potenz] populär. –

[189] F.[ichte] könnte auch einen Diaskeuasten brauchen. – [190] F.[ichtes] Styl ist nichts weniger als schwebend; er liebt nur d[ie] Veränderung im Fixen.

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[191] Niemand kennt wohl eigent[lich] d[en] Geist der K[anti]schen [Philosophie] weniger als d[ie] neusten Geistianer. – [192] Geist besteht aus durchgängigen Widersprüchen. – 5

[193] Das Ich setzt sich selbst und das Ich soll sich setzen sind wohl mit nichten abgeleitete Sätze aus einem höhern; einer ist so hoch als der andre; auch sind es zwei Grundsätze, nicht einer. Wechselgrundsatz. – [194] Die Wl[Wissenschaftslehre] ein rohes Gemisch von Systematik, Polemik, Mystik und Logik. –

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[195] Zur [Philosophie] kann man wohl eigentl[ich] !!wohl"" nicht einmal Talent und Genie haben. Darüber ist sie hinaus. – [196] Spinosa’s Gott = Ich; – gramm.[atischer] Fehler. Armseeligkeit an Spinosa nur die Consequenz zu bewundern (nicht einmal das [System]). Er verstand wohl mehr von d[er] Freiheit, wie Schelling und Consorten. [197] Der Geist einer [Philosophie] ist ihre 2[Philosophie der Philosophie]. –

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[198] Die [grammatische] Formel Ich für das Absolute ist nur aus [kritischer Philosophie] zu rechtfertigen. Es ist die Erweiterung eines [grammatischen] Begriffs. – Unendlich wichtig in s.[einen] Folgen und doch bey vielen nur Ausdruck. Spinosa ist im Innern praktischer und idealistischer als er scheint. [199] In der Relig[ion] betrachtet man das Absolute als Du. !!Keine Sache ist Indiv[iduum]. Streng genommen nur Gott ein Indiv[iduum]."" [200] F.[ichte] sagt d[en] Leuten immer bücherlang, daß er eigent[lich] nicht mit ihnen reden wolle noch könne. –

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[201] F[ichte]s 2[Philosophie der Philosophie] ist F[ichte]scher als s.[eine] [Philosophie] also auch besser. – Traurig ist’s, daß er nicht einmal d[en] Mangel an Gemüth in Leibniz bemerkt. – Die Affinität der Logik hat auch s.[eine] Wl[Wissenschaftslehre] inficirt. – Bei ihm ist wenigstens die construirte Confusion in elementarische Masse aufgelößt. Die Unbegreiflichkeit des Spinosa und des Shake[speare] haben etwas Verwandtes. – Er hat Id[ealität] und Re[alität]; aber beydes steht isolirt und roh da in ihm. – [202] Alles, was F.[ichte] thut – so philosophirt er, indem ers thut. – [203] F.[ichte] hat die K[anti]sche [Philosophie] praktisirt, materialisirt und transcendentalisirt; er allein ist ein Kantianer. Fichte’s Ich = «[systematisirte] Transc — [absolute Transzendentalität]. Es ist das absolut systematisirte Ideal-Reale. o Schellings Ich wohl das ens idealissimum. –

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[204] F[ichte] wird besonders dadurch so unverständlich, daß er d.[as] Antithetisiren absolut cyklisiren will. – [205] F.[ichte] hat d[ie] Moral nicht so wohl abgeleitet als ausgeleitet. –

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[206] F.[ichte] hat d[en] Ernst d[er] Transc[endentalphilosophie] aber gar nicht d[en] combinator.[ischen] Witz eines Leibniz, noch die Ironie und Parodie der Systematiker. Er hat also ganz Recht immer vom Transc[endentalen] Standpunkt

Philosophische Lehrjahre

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zu reden – den absoluten hat er gar nicht und eigent[lich] auch nicht d[en] system[atischen]. – [207] Das fließend Schwebende pp. ist Merkmahl der [systematischen] [Philosophie]. – 

[208] Von d[er] succeßiven — [absoluten Analytik] hat F.[ichte] sehr viel, vielo leicht mehr als irgend ein andrer [Philosoph] unter d[en] Modernen. Denn bey d[en] Alten ists nichts seltenes in d[er] höchsten Vollkommenheit. – [209] Bei Kant und größtentheils auch bei Fichte ist d[ie] Moral außer dem was sie sonst ist, auch noch die Hälfte d[er] Transc[endentalphilosophie] die von d[er] absoluten Realität des Idealen handelt. Denn in d[er] [Kritik] d[er] V.[ernunft] und Wl[Wissenschaftslehre] ist doch eigent[lich] nur von der absoluten Idealität des Realen gehandelt. !!Bei F.[ichte] ist d[ie] Moral eigent[lich] gar keine [praktische] Ws[Wissenschaft] mehr. –"" Die absolute Realität des Idealen wird F.[ichte] nie deduciren können, weil er kein absoluter Idealist ist. – [210] Reflex[iver] Inhalt d[er] Tr[Transzendentalphilosophie] i.e. das Potenzirende und Potenzirte. Das Bew[ußtsein] ist schon etwas Potenzirtes. Das ist sehr classisch. F[ichte]s ganze [Philosophie] ist ein antithetisch[es] Reich von Potenzirungen und Quadraturen. Das Ich und Nicht-Ich sind das + und – Obj[ekt] und Subj[ekt] der class.[ischen] Tr[Transzendentalphilosophie], die absolutirte und in Aeußres und Innres getheilte also elementarisirte Reflexion. –

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[211] !!NB. Sollten in H ÜLSEN (?) nicht Keime von Idealismus seyn, wie in N OVALIS und B AADER ? (Schleiermacher ist Spinosist)."" [212] F[ichte]s Polemik ist was die [Philosophie] darin betrifft, d[er] angewandte Theil seiner negativen 2[Philosophie der Philosophie]. –

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[213] F[ichte]s Agilität ist mehr eine mechanische als chemische. – [214] Da ich überall in [Poesie] und [Philosophie] zuerst und aus Instinkt auf das [System] gegangen bin, so bin ich wohl ein Universalsystematiker d.h. ein Historiker. – [215] !!Nicht jeder d[er] etwas schreibt, ist oder soll ein Autor seyn. (so wenig jeder d[er] ein Pferd hat, ein Bereiter ist.""

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[216] Das Obj[ekt] der F[ichte]schen Polemik ist offenbar nur d[ie] Nullität,   . –

[217] F.[ichte] am meist[en] Tr[anszendentalist] und El[ementarist], Hülsen mehr [Systematiker], Schelling Absol[utist]. –

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[218] F.[ichte] ist auch in dem interessant was er nicht ist; er ist bis zur Größe herzlich. – [219] Darin hat F.[ichte] ganz Recht, daß er der lezte [Philosoph] ist, und daß es s.[einer] [Philosophie] nicht so gehn kann, wie d[er] von Reinhold und Kant. [220] Ohne Sinn für Chaos kann man die Wl[Wissenschaftslehre] nicht verstehn. – Die Wl[Wissenschaftslehre] ist F[ichte]s Werther.

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[221] Geist und Buchstabe ist ein religiöser Unterschied. – [222] Warum wirkt die Wl[Wissenschaftslehre] nicht mehr? Aus denselben Gründen warum d[er] Meister nicht mehr wirkt. – 5

[223] Die Methode d[es] Universums kennen sie wohl aber nicht d[en] Gehalt und Geist. – [224] Jede Einleitung von F[ichte] ist doch nur wieder eine neue Wl.[Wissenschaftslehre], d.h. eine [philosophische] Relig[ion] oder Construction derselben. –

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[225] F[ichte] ist bis zur Religion gekommen in der [Philosophie]. – Den Beweis hat die Wl.[Wissenschaftslehre] in der Universalität und in der Religion. Unsinn, Relig[ion] beweisen zu wollen. [226] F[ichte]s Form ist unendl[ich] viel mehr werth als seine Mat[erie]. Die erste Wl[Wissenschaftslehre] hat in Ton und Styl etwas Reinholdisches in der Hauptsache viel Kantisches Experimentiren. Viell.[eicht] sollten F[ichte]s beide Methoden synthesirt werden, die populäre und die abstracte. [227] F[ichte]s Moral ist das Mittelglied seiner Religions[philosophie] und s.[einer] Revoluzions[philosophie]. –

7. Kritik der Philosophie. 1797. !PhL [II] 228–236"

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!!Philosopheme eines Philologen. (hierzu – Geist der F[ichte]schen Wl.[Wissenschaftslehre]. Form der K[anti]schen [Philosophie], von d.[er] (Sok[ratischen]) Ironie.)"" [228] [Kritik] der [Philosophie] = [Philologie] der [Philosophie], das ist Eins. – Da die [Philosophie] so vieles ja fast alles im Himmel und auf Erden kritisirt hat; so kann sie sichs ja wohl gefallen lassen, daß man sie auch einmal kritisire. – Polemisch ist nicht mehr [kritisch], das also nicht hier. – Ist das Objekt nicht classisch so muß die Form classisch sein, ein [kritisches] Kunstwerk. – Die [Philosph]en hier so dargestellt wie Caesar die Pompejaner, mit dem satirischen Anstrich. – [229] Ohne [Philosophie] hat auch der größte [Poet] oder [Philologe] Seiten, wo er so eigensinning dumm und dunkel ist, wie d.[er] gemeinste Erdensohn. [Philosophische] Classicität und [philosophische] Progreß.[ivität] hier ein Hauptbegriff. – [230] Beck. Die Eintheilung in a priori und a posteriori ist durchaus transcendental und nichts ist verschiedner als Emp[irisch] und a posteriori. – [231] Was man gewöhnl[ich] intell.[ektuelle] Ans.[chauung] nennt, sollte wohl eigent[lich] d.[as] ideale Factum heißen, Subj.[ekt]. Das reale Factum ist das Objekt. Beck ist gekommen bis zur Idealität des Objekts, des realis abstractissimi.

Philosophische Lehrjahre

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Weiter nicht, nicht einmal bis zur Idealität des Idealen oder d[em] Begriff d.[es] Subjekts. – [232] Ist Schein etwa d.[er] Buchstabe, angesehen vom Standpunkte d[es] Geistes? – [233] Alle Arten d[er] Confusion finden Urbilder in der K[anti]schen [Philosophie]. – !!Kants Verdienst und Nutzen liegt wohl weit mehr in d[er] Form als im Stoff. – Sein Buchstabe aber ist wohl mehr werth als s.[ein] Geıst."" [234] Idealität ist noch etwas ganz andres als Schein und Erscheinung. !!(Die Dinge an sich sind erkannt und erkennbar in der [Physik])"" Berkley sezt d[ie] Idealität alles Empirischen, d[ie] Kantianer empirisiren das Ideale, setzen also die Empirie des Idealen. Leibniz auch die Idealität alles Realen; Spinosa sogar die Identität des Idealen und Realen. Daß der horizontale Realismus nur das Aeußre d[es] Buchstabens d[es] Realen kenne, der centrale (d.[er] sich mit d[em] Ding an sich beschäftigt) hingegen d[en] Geist des Innern; das haben Leibn.[iz] und Spin.[oza] recht gut. – Seit Spinosa ist man also in der Transc[endentalphilosophie] eigent[lich] immer rückwärts gegangen. –

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[235] Transc[endental] ist doch nur ein epitheton ornans bey Idealism. Kritisch sogar ein falsches. – [236] Hülsens Gedankengang ist absolut originell, religiös, beinah eigensinnig. Baader ist viell[eicht] noch religiöser und chaotischer.

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!Fragment-Fragmente"

Fragmente zur Poesie und Literatur [III] Zur Philologie. I

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[19] Art und Geist des Aufsatzes durchaus philosophisch. Die Behandlung so lax wie möglich: aber nicht skizzirt. Dagegen fragmentarisch. Muß Art und Geist nicht auch philologisch seyn? Sie kann es nicht sonst würde die Abh.[andlung] zu groß und historisch werden. !!Begriff der Philol.[ogie] oder vom Geist des Philologen??"" [53] Die Schreibart nur ganz populär und formlos sey fragmentarisch. Dieß deutet der Titelbegriff hinlänglich an. !!Eben darum können wohl einige Gedanken über Winkelm.[ann], Lessing, Wolf pp gesagt werden – bloße Indikazionen/ Durch die Form so merkwürdig als durch die Materie. – (Doch scheint dieß dürftig, da ich Ruhnk.[en], Bentley pp nicht würdigen kann. Noch auch Casaub.[onus], Solmas.[ius] und die Batavier. Also lieber ohne diese Indikazionen.)"" !!Ernesti pp""

Fragmente zur Poesie und Literatur [IV] Zur Philologie. II [202] Die encycl.[opädische] Methode ist nicht fragmentar.[isch] sondern rhap1 xo— sodisch. – Also keine Lexika. !!Die Methode für x = —."" o

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Fragmente zur Poesie und Literatur [V] Fragmente zur Litteratur und Poesie Zur Grundlage der Kunstlehre. [354] Petrarcha’s Gedichte sind class.[ische] Fragmente eines Romans. – 

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[370] Vieles was man für —[absolutes Poem] hält, ist nur —[unvollkommenes x o Poem] oder  –y[negativ potenzirtes Poem] oder – [negatives Poem]. Was man für ein [poetisches] Werk hält, ist oft nur Skizze, Studium, oder Fragment. – [411] Alle unvollkommnen Gedichte !!Werke"" sind Tendenzen, Skizzen, Studien, Fragmente, Ruinen. – [437] Jede Stanze in ihrer geschloßnen Form ist ein Bild, Idyllion; das Sinkende auch in d[er] Reimstellung ist elegisch; die Gleichheit d[er] Sylbenzahl episch. –

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Fragment-Fragmente

Sonnett die vollkommenste Form für ein romant.[isches] Fragment. – In d.[er] Terzine viell.[eicht] etwas vom Geist des hebräisch[en] Parallellismus. – Die derbe Verkett[un]g hat sie von der scholast[ischen] [Philosophie]. – [466] Romanze ein kleines fragmentarisches F[antastisches] R[omanzo] oder S[entimentales] R[omanzo]. – Ind. [478] Alle Fragmente als solche gehören wohl zur —[absoluten Individualo poesie].

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[496] Jedes System wächst nur aus Fragmenten. – [524] Lyr.[ische] Gedichte sind romant.[ische] Fragmente. Ind.

[535] Alle Sat.Mim.—[mimische absolut individuell ethische Satire?] ist o fragmentarisch. –

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[536] Studium ist absichtl.[iches] Fragment. – Zur Theorie der Prosa [599] Gattung[en] der Prosa nur folgende: die Rom[antische], die [kritische] (die witzig  [synthetische] nur die fragmentarisch kritisch[e]), die [logische], die Hist[orische], die [rhetorische]. – Die polem.[ische] Schreibart nur eine Modification der [rhetorischen]. –

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Zur Poesie [776] Es giebt vier Arten des prosaisch[en] Witzes 1) der combinat[orische] transcendentale, der fast ganz Stoff ist 2) der analytische/ dahin der höhere [philologische] Witz und die Sokratische Ironie. 3) gesellschaftl[icher] W.[itz] Urbanität, fragmentar.[ischer] W[itz], Nasus der Römer 4) [rhetorischer] W[itz] aus d[en] dreyen gemischt. – [808] Alle [poetischen] Fragm.[ente] müssen irgendwo Theile eines Ganzen sein. –

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[812] Die Form der Fragmente ist die reine Form der Classicität und Progressivität und Urbanität. – [918] !!Nota/ Schriften die nicht Werke sind – S TUDIUM . D IASKEUE . Tendenz. Fragment/ !!Skizze/"" E PIDEIXIS . Materialien."" [930] Auch das größte System ist doch nur Fragment. – 

[952] [System] = —[absolutes Drama]. Fr[agment] = o Drama].

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x

 [reduzirtes

[953] Fragmente sagt man (sie kommen einem), Massen sammelt man, Rhapsodien dichtet man, strömt man aus. Systeme müssen wachsen; der Keim in jedem System muß organisch sein. – !!Masse = Körper/ Fragment = Punct/ [Rhapsodie] = Linie."" [960] Romant[ische] Studien !!Bearbeit[un]g von Volksmährch[en] pp"" sind nothwendig zur Vermischung der R[omantischen] [poetischen] [Kritik] und

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Friedrich Schlegel

der R[omantischen] [Poesie]. Die Novelle eine R[omantische] Tendenz, Fragment, Studie, Skizze in Prosa; – eins, oder alles zusammen. –

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[988] In einer Masse muß alles unterstrich[en] sein, wie im Fr[agment], nicht so im [Rhapsodischen]. – Verse unterbrech[en] in der [Rhapsodie] die Continuität, in der Masse die Gleichartigkeit. – [989] In vollkommnen Fragm.[enten] sollten wohl eigentl[ich] poetische mit eingemischt sein. –

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[1001] Die antike [Poesie] ist die Elementar[poesie]/ [Epos] !! [mimisch]"" – [Lyrik] !! [kritisch]"" – [Drama] !!Emp[irisch]"" – Sat[ire] !! [skeptisch]"". Dieses sind nur die Elemente der [poetischen] Form; die des Stoffs sind F[antasie], S[entimentalität], M[imik], P[olitik]. F[antastische] [Poesie], S[entimentale] [Poesie], M[imische] [Poesie], P[olitische] [Poesie] kann nur in fragmentar.[ischer] Form (Hist[orisch]) gegeben werden; romant.[ische] Fragmentenform. – !!als[o] [Mimik] – Emp[irik] – [Kritik] –  [Skeptik] = Elem[ente]."" [1011] In [Rhapsodien] ist Fülle und Stätigkeit das wichtigste – Ironie paßt nicht für Fr[agmente]. –

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[1013] Fr[agmentarische] [Rhapsodie] ist die Form d.[er] Polem.[ik] und der Eklekt[ik]. !!Schleiermachers Naturform."" Die Form der [Kritik] und der Syncret.[ik] ist Fr[agmenten-] Masse. – [1034] Die [systematische] Form (des R[omans]) eine Kette von Novellen, die wie Theorema, Aporema, Problema auf einander folgt. (Die Fr[agmenten]form eine lanx satura von Novellen). –

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[1037] Terzine ist Rom[antische] [Rapsodie], Madrigale ist Rom[antisches] Fragment. – [1068] Novellen sind romant[ische] Fr[agmente]/ suchen das Barokke in d[er] Intrigue

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[1072] Jeder Periode ist Masse, Fr[agment], [Rhapsodie] oder Syst[em]. Wie jeder Styl s.[eine] eigne Orthographie, so hat auch jeder s.[eine] eigenthümliche Interpunction. –

Fragmente zur Poesie und Literatur [VII] Ideen zu Gedichten Zur Mahlerei

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[112] Die Mineralität d[er] Fr[agmente] ist auffallend; so auch die Anim[alität] der Masse. [Rhapsodie] sollte also Veget[abilisch] sein. !!Das Höchste s[in]d aber doch die Stimmen, die Lichter und Blicke, der Duft und Kuß d[er] Bilder und Gedanken. –"" –

Fragment-Fragmente

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Fragmente zur Poesie und Literatur [VIII] Ideen zu Gedichten Gedanken. [22] In I Form und Mat[erie] männlich, !!daher das"" (Fr[agmentarische]), in II. weiblich; daher das in einander fließende, Jul.[ianes] kindlich[e]   [dialektische] Ironie !!feine [Psychologie] und Gespräch"". – [76] Sidonie soll am meisten Kunstsinn haben – Juliane ist musikheilig – Alle (erotischen) gesellschaftl[ichen] Fragmente. – Die Gattung der Träume, statt der erfundnen Mährchen – Im Fest viel über Kunst – Musik, Mahlerei – Sidonie und Florine über Tanz und Schauspiel !!zum Fest/ Mysterien der Fantasie als Ged[icht]. –""

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Fragmente zur Poesie und Literatur [IX] Fragmente zur Poesie und Litteratur. II. und Ideen zu Gedichten Zur Poesie. 1799. [87] Das romantische Fragment in Miniatur ist d[as] Madrigal. –

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Zur Poesie. 1800 [393] Das Madrigal ist nur ein Fragment von Canzone. –

Fragmente zur Poesie und Literatur [X] Fragmente zur Poesie und Litteratur.II. und Ideen zu Gedichten !!Zur Lucinde""

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[3] Durch  [Dithyramben] wird Luc[inde] am kräftigsten und besten beschlossen. – Das Fest zugl[eich] ein Sympos[ion] über die Liebe. – Die Grundform der Luc[inde] ist die des Festes, der Orgie, der Bakchanalien. – Luc[inde] ist zugl[eich] die Wurzel des [Lyrischen] und d[er] Idyllen. – Luc[inde] als  [chaotische Poesie] der Gegensatz der Fr[agmentarischen]. –

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Fragmente zur Poesie und Literatur [XII] Zur Poesie I. Paris. 1802 December [157]

Theorie der Prosa

!…" Prosa d.[es] W.[ilhelm] Meisters sehr gut zu Journal/ Lessing zwischen Journal und Fragmenten.

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Friedrich Schlegel

Fragmente zur Poesie und Literatur [XX] Zur Poesie und Litteratur. 1811. 2

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[67] !!Zwey wissenschaftl[iche] Formen, Fr[agmentarische] !!höhere symbol[ische] [mathematische] Form"" und Rhetor[ische] – [kritische] in d[er] Mitte –""

Fragmente zur Poesie und Literatur [XXI] Zur Poesie und Litteratur. 1812 [246] Von der vorigen Generation deutscher Gelehrten sind Briefe interessanter, wie von der unsrigen Fragmente.

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Fragmente zur Poesie und Literatur [XXII] Zur Poesie und Litteratur. 1817. December. – 1820 [229] !!Das Idyllion der Alten ist ein episches Bruchstück, Fragment, wie die Romanze bey den Neuern; das erotische Epos ein spielendes Epos wie das Mährchen der romantischen Zeit.""

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Fragmente zur Poesie und Literatur [XXIII] Zur Poesie und Litteratur. 1823 [105] Sehr merkwürdig ist, daß in dem Aufsatz über die Ballade (Kunsthefte. !!S.[eite] 50"" IIIten Bandes 1 tes Heft), Goethe diese, als aus der epischen, lyrischen und dramatischen Gattung gemischt als das UrEy der Poesie aufstellt, da sie doch nur die Atome einer zerstörten Poesie, in fragmentarischen Volksliedern enthalten; und nicht den ersten göttlichen Anklang der Poesie, wie er in dem Hymnus gefunden wird, dem wahren Anfang derselben.

Philosophische Lehrjahre [II] Philosophische Fragmente. Erste Epoche. II. 25

Philosophische Scholien 1798. init.

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[285] Die große Ansicht, daß jeder Geist gleichsam nur eine Skizze ist, lebt überall in L[eibnizen]’s [Philosophie] und ist höchst kritisch. – Weder d[er] Zufall, noch die Willkühr können in der Transc[endentalphilosophie] etwas zu thun haben – P RINC . P HIL . §63. omnia plena auch im Imperativ s.[einer] [Philosophie]. – Daß jegl.[iches] Individuum eigent[lich] absolut ist ein großer Hauptsatz

Fragment-Fragmente

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der Absol[uten] [Philosophie] besonders des [kritischen] Theils. – Alles Göttliche in s.[einer] [Philosophie] ist kritischer Instinkt – Projecte und Fragmente. – Daß es unendl[ich] viele Individuen gebe, auch ein Hauptsatz der L[eibniz]schen und der Absol[uten] [Philosophie] überhaupt – In d[en] princ[ipia] weht sogar ein Hauch von Enthusiasmus; alles nur Bruchstück einer Unendlichkeit. – Wenn er zuerst die absolute Verschiedenheit des Idealen und Realen eingesehen, so ist er der Vater der Transc[endentalphilosophie]. – [298] Auch in Gott trennt er das Id[eale] und Re[ale] – und die Willkühr kommt durch Zufall nach. Ziehe die Wurzel aus s.[einer] [Philosophie], d.h. correctire sie; potenzire sie d.h. progreßivire sie d.h. charakterisire sie im Gang der [Philosophie], ergänze das Fragment, erkläre das Projekt und realisire es. –

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[299] Jemanden kritisiren heißt – s.[eine] Fr[agmente] und s.[eine] Proj.[ekte] bestimmen. – [301] Die ganze alte [Philosophie] eigent[lich] Ein Fr[agment] und d.[ie] moderne Ein Proj[ekt]. –

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[308] Alle [Kritik] ist divinatorisch, ein Proj.[ekt] zu ergänzen ist grade dasselbe, als ein Fr.[agment] zu ergänzen. – Vermischtes (Auch Litter[atur].) 1798. [488] Die Einheit des Fr[agments] ist Individualität. Char[akteristik] ist Hist[orisches] Fr[agment]. Die Char[akteristik] des Indiv.[iduums] steht im Verhältniß mit der Char[akteristik] des Universums; jeder Mensch ein Mikrokosmus.

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Gedanken. !!Zur zweiten Epoche."" [527] Die [poetischen] Fragmente ganz biblisch – Sprüche. – !!Zur Philosophie. b. 1797."" Ende der ersten und Uebergang zur moralischen Epoche.

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[726] Die [poetische] (künstlerische) Bildung macht einen Menschen massiv, die [Philosophie] und Consequenz rhapsodisch, das Genie fragmentarisch. – [730] Witz ist Transc[endentale] [Logik], fragmentarische Mystik. [750] Der Sinn für Projecte ist von d[em] für Fragm.[ente] nur durch die progreßive Richtung verschieden. –

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[754] Die Formen der modernen [Philosophie] sind ganz individuell – Briefe, Autobiogr.[aphien] Romane, Fragmente. – Die  [rhetorische Philosophie] hat wohl Rousseau gestiftet; die  [systematische Philosophie] Spinosa. – [771] Die Endigung Ismus kann nie ein [System] bezeichnen, immer nur Geist einer gewissen Art, oder Aeußerung, Darstellung dieses Geistes. – My[stizismus] – Emp[irismus] – Systematism –  [Skeptizismus] – [Kr]itizism sind nicht Systeme sondern nur Geistesdarstellungen, die freilich so vollständig als möglich sein müssen. – Die passende Form ist Rhapsodie – Frag-

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Friedrich Schlegel

ment ist die Form für Transc[endental][philosophie] Masse für R[Realphilosophie]. – [788] Für Monologe sind meine M[anu]skripte nicht offen, nicht individuell genug, wenige ausgenommen. Für Materialien vieles zu unreif. Naturfragmente. – 5

[815] Ich bin ein fragmentarischer Systematiker und romantischer [Philosoph] und systematischer Kritiker. – [829] Memorabilien nur ein subjekt.[ives] System von Fragmenten, es muß auch ein objektives geben. –

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[832] Ein rechtes [System] von Fr[agmenten] müßte und objektiv sein. –

ZUGLEICH

subjektiv

[857] Meine [Philosophie] ist ein System von Fragmenten und eine Progreß.[ion] von Projekten. [859] Die Fragmente die eigenthümliche Form der Natur[philosophie]. – 15

[870] Werke; Fragmente, [Kritik] der [Philosophie], Hist[orisch] claßi[fizierende] [Philosophie], Brander. – [880] Projekte zu bilden, und Fragmente zu ergänzen, ist die Sache des Idealismus. –

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[881] Der Witz ist ein Synkr[etistisches] und Eklekt.[isches] Vermögen; dieß scheint aber auch mit dem Genie d[er] Fall zu sein. Genie ist Witz +    , das Bildungsvermögen. Witz ist also eigent[lich] fragment.[arische] Genialität. – [932] !!1) [Kritik] der [Philosophie] – absolute [Philosophie] 2) Die Fragmen[te] – Elem[entar][philosophie] 3) Grundlage d[er] Alterthumslehre – Hist[orische] [Philosophie] 4) Hist[orisch-]claß[ische] [Philosophie] – Abstr[akte] [Philosophie] 5) Brander – Transc[endental][philosophie] 6) Systematism –  [systematische Philosophie]"" [944] Die Form d[es] Enthus.[iasmus] ist [Rhapsodie], die d[er] Genialität Fr.[agment] der Kunst Masse pp. –

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[950] Ein System d[er] Elem[entar][philosophie] läßt sich gar nicht anders Schreiben als in Fr[agmenten]. – [955] Auch das Leben ist Fr[agmentarisch] [rhapsodisch] massiv nur bei seltnen Genies ists [System]. Die Kindheit betrachtet man als Prolegomena des Lebens und die Erwachsnen als Fabricanten von Kindern. – [1029] Die eigent[liche] Form d[er] Universal[philosophie] sind Fragmente. –

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Philosophische Lehrjahre [1067] !!In zwei Bücher I. Kritik II. Religion Diese Fragmente so sehr als möglich in das Rein Deutsche zu übersetzen. –""

Fragment-Fragmente

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Besser doch in drei Büchern 1) Das eigentl[ich] [Philosophische] aus d[er] Ansicht des Alterthums Hist[orie] – die erste [Kritik] – Kant und Winkelmann 2) Unendliche Fülle – (Lessing) d[es] Witzes und d[er] Natur 3) Einheit d[er] Liebe Novalis. – !…" Es enthalten meine Fragmente eine vollständige Scala der natürlichen Offenbarung des Witzes, der Liebe und der Begeisterung oder des Naturgefühles. – II. !!I. Metaphysik II. Philosophie"" Texte und Scholien – wäre wohl die beste Benennung. !…"

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Philosophische Lehrjahre [1068] !!Litterar.[ische] Bekenntnisse und Studien"" Die Eintheilung der Fragmente könnte dreifach sein 1) Emp[irie] – die ganze Epoche bis zur Physik und Moral 2) Fantasie Physik und Religion und etwa Poesie 3) Moral, Liebe, [Christentum] in der Andeutung, durch Reden commentirt. Mehre Massen in den Fragm.[enten] bilden Punkte des Uebergangs zwischen diesen drei Epochen. Polemik – Witz – Physik – Poesie – !!Id[ealismus]"" – Vielleicht nur zwei Massen; die erste zwischen 1) und 2) die andre zwischen 2) und 3). !…"

Philosophische Lehrjahre [III] Philosophische Fragmente. Erste Epoche. III.

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Scholien. [204] Der Gegenstand des Fragments ist ein [philosophisches] Individuum, ein lebendiger Gedanke, conceptus. – Vermischte Gedanken. [224] Eine Char[akteristik] ist ein [kritisches] Experiment, ein Fr[agment] ein [kritisches] Phänomen, ein geistiges. – Gedanken. [239] Der Witz ist ganz [kritisch]. Jedes bonmot zugleich Char[akteristik] und Fr[agment]. –

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!!Im Winter 1800 während der Vorlesungen.""

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[622] Man sollte in d[er] Anatomie gar nicht von der teleologischen Voraussetzung d.[er] absolut technischen Vollkommenheit ausgehn, sondern vielmehr die Geschichte d.[es] Menschen in s.[einem] Innern studiren wie die Geschichte d[er] Erde in ihrem Innern. Man fände da vielleicht Ruinen Fragmente voriger längst verfloßner Zeiten. –

Philosophische Lehrjahre [IV] Philosophische Fragmente. Zweite Epoche. I.

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Zur Moral. (Ueber die Form moralischer Schriften – Aesthetik – Metaphysik – Religion.) !!Angefangen 1798 in Dreßden im Sommer. –"" Kritische Skizzen. (über deutsche Moralisten). 

[20] Sonderbar daß der [poetische] R[oman] = —[rein systematisch] der o [philosophische] so fragmentarisch ist. – 15

[22] Tiecks Absichten sind hypostasirte Fragmente d.[es] Instincts, der Individualität. – [30] !! [chemische] Fr.[agmente]. – Alles  [Chemische] in [Philosophie] [Poesie] [Ethik] Alle  [chemische Logik] (Univ[ersalität]) bisher in Fr.[agmenten] behandelt. –""

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[33] Die Fr[agmente] als bibl.[ische] [Philosophie] müssen im Ct[Zentrum] der Encyklopaedie thronen. – [36] !!Aphorismen sind zusammenhängende Fr[agmente]. Spruch ist zugleich Fr[agment] und Dialog (monologischer-)""

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[57] Fragmente (Sprüche) sind die eigentl.[iche] Form des biblischen Vortrags. – Die histor[ische] und religiöse Unsterblichkeit in Contact gesezt; die Ewigkeit des Classischen und d[es] Originellen. – Ironie steht in d[er] nächsten Beziehung auf Gott. – !!Athenaeum"" [66] Alle Sätze der Mathem.[atik] sind indemonstrabel. Die wahre Form der

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  [Mathematik] ist die Fr[agmentarische] = —[rein mechanische]. In d[er] rei-

o nen  [Mathematik] giebts keine Probleme. Jedes  [mathematische] Fr[agment] muß Tr.[anszendentale] El.[ementare] Abs.[olute] und [systematische] [Philosophie] enthalten. – [98] Fr[agmente] haben viel Affinität mit Edelsteinen, [Rhapsodien] mit Landschaften, vegetab.[ilischer] Welt, Blumen, Blättern pp Hist[orie] mit [organischen] animal.[ischen] Körpern. –

Fragment-Fragmente

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!!Aesthet.[ische] Skizzen."" [222] Die Uebersetzungen der  [kritischen Philosophie] können nur [Philosophie] zum Gegenstand haben, die Char[akteristik] auch [Poesie], die Fr[agmente] das Universum. – [249] Auch [Ethik] (in d[er] Gesch.[ichte]) muß [kritisch] behandelt werden können; charakterisirend – fragmentirend – diaskeuastisch – oder alles dreies zugleich. – !!Die Anordnung kann sein taktisch, juristisch, oekon.[omisch] und endl.[ich] harmonisch. In d[er]  [dikanischen] Gattung bei d[en] Alten Wechselberedsamkeit und daher am meisten Kraft dazu erfodert. –"" [267] !!Aphorismen popul[äre] Fr.[agmente] wie Recens.[ionen] populäre Char[akteristiken].""

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Notizen. – [462] Alles Wz[Witzige] ist doch zuerst [grammatisch] und in sofern [philosophisch]. Das [System] der  [chemischen] Fr.[agmente] muß mit Apotheose des Wz[Witzes] endigen, das der mystischen mit d[er] d[er] Physik, der Hist[orie] mit d[er] d[er] Mythologie. – Die [Kritik] d[er] [Philosophie] endige mit d[em] Ideal d[er] Diaskeuase. – Der Schluß der [Kritik] der [Philosophie] sei eine Wss[Wissenschafts]lehre der [Philosophie], d.[er] d.[er] skept.[ischen] Satiren eine Kunstlehre derselben; d[er] der Hist[orisch] claß[ischen] [Philosophie] eine Bildungslehre der [Philosophie]. –

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[473] Die Etymologie wird immer in einer [Rhapsodie] von Fr[agmenten] behandelt. !!1799. init."" [510] Für Fr[agmente] und Char[akteristiken] im Aristoteles wohl sehr viel Sinn und Geist und Stoff. –

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[586] Die Versuche scheinen s.[ich] durchaus auf das Studium des Menschen zu beziehn – Fr.[agmente] mehr aufs Universum selbst. – Gedanken. [777] !!Fr[agmente] : Gedanken = Char[akteristik] : Versuch."" [786] !!Die Constitution der Deutschen Litteratur. Skeptische Reden !!Arabesken"" Kritische Fragmente Mystische Satiren. Theorie d[es] Witzes. Bibl.[ische] Arabesken. Christ.[liche] Mysterien.""

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!!Aelter. (1798. Sommer)"" [805] Ein großes Hist[orisches Werk] muß ein System von Darstellungen enthalten; die [Poesie] ist nicht darstellend genug. Ein großes Hist[orisches] Werk muß auch Rhapsodien von Fragmenten enthalten und Fragmente von Rhapso-

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dien. – !!In meiner alten Ges.[chichte] Homer ein System von Fragmenten, die Dram.[atische] Periode eine Masse von Massen. –""

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[806] Der Ton in einer Schrift kann steigend und sinkend sein, oder schwebend oder schneidend, oder fließend. – !!Auch die Perioden konisch."" In d[er] eigentl[ichen] Masse muß selbst d[as] Colorit und d[er] Styl gewissermassen Ton werden, wie in d[en] Fr.[agmenten] das Colorit und der Ton selbst Styl wird. Manieren sind Blumen als Ton. – [810] Wie Hist[orie]: [organischer] Masse, und Essay: [Rhapsodien] = Abstr[aktes] [System] : Fr[agmenten]. – Satz, Theil und Ganzes muß Fr[agment], [Rhapsodie] und Masse so zugleich sein, daß es keines besonders ist. – [815] Gnomen sind [poetische] Fragmente; auch Aenigmen. Das Zeitalter, Menschheit, Universum viell[eicht] in Gnomen, Scholien, Aphorismen, Aenigmen, !!Fr[agmenten]"" zu charakterisiren. – Beziehn sich nicht alle am Ende auf Geographie d[es] Universums? – [Prophetische] Gnomen, metrisch. – [816] Es ist sehr die Tendenz d[er] Fr[agmente], die [Poesie], [Philosophie], [Ethik] en rapport zu setzen; in so fern sind sie sehr kritisch. – [817] Fr[agment] ist Gesetz [Rhapsodie] Gespräch, Masse ist Werk. –

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[818] Alle Fr[agmente] charakterisiren Classifikationen d[es] Universums, des Zeitalters, der Menschheit. – [825] Die deutsche [Philologie] eine  [Synthese] der Engl.[ischen] Holländ.[ischen] und Franz[ösischen]. – Alle [Philologie] besteht aus Antiquitäten, Kritik und Litteratur. Jeder Essay muß in Rücksicht auf [chaotische] Individualität – Char[akteristik] und Fr[agment] seyn, nur popularisirt. (Principien sind noch tiefer und centraler, sind Char[akteristik] und Fr[agment] zugleich. –) Gymnastik d[es] Geistes !!Zweck"" und Musik !!Witz"" des Buchstabens ist Wesen d[er] [Rhetorik]. – !!Die Prosa in d[en] Novellen eigentl[ich] schön – die Umgebung erotisch. Darstellung d[er] ganzen Liebe. Jede Novelle ist eine Charakteristik. –"" [830] Fr.[agmente] sind Studien und Materialien zugleich zur Schriftstellerkunst. Nur d[ie] Deutschen und Franzosen haben Fr[agmente]. Lessing und Chamfort. Unter d[en] Alten die [Philologen] und die bona dicta d[er] Römer, die   der Dichter. – Die Fr[agmentarier] lieben irrationale Sätze. – Geistige Brüderschaft d[er] neuen Zeitgenossen. Die Char[akteristiken] sind d[er] Arm d[er] Principien. – !!Werk = System."" [854] !!Die Principien müssen aus Fr[agmenten] bestehn, deren jedes auch Char[akteristik] ist. –""

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[859] Fragmente sind Materialien zu einem Buche, aber freil[ich] nur wenn Schriftstellerei und Lectüre als K[unst] und als Wss[Wissenschaft] behandelt werden. –

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Kritik der Philosophie [1015] Form und Zahl der Mo[ral][philosophie] ganz unbestimmt; ein Autor kann unendlich viele Fr[agmente] und Char[akteristiken] schreiben und  [Synthesen] von diesen. – !!1799.""

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[1333] Ein Fragm.[ent] ist ein selbstbestimmter und selbstbestimmender Gedanke. In der [Rhapsodie] ist ein ewiges Schwanken zwischen Selbsterweiterung und Selbstbeschränkung des Denkens. Das Zusammenhaltende der [Rhapsodie] ist das ewige In sich zurückgehn. –

Philosophische Lehrjahre [V] Philosophische Fragmente. Zweite Epoche. II.

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!!Zur Religion. 1798. fin."" [85] !! [Kritische] Symposien sind große Fr.[agmente]"" [86] Cicero, Varro, Plinius major und Quinctilianus Autoren von Profession bei d[en] Römern – !!Zur Hist[orie] eben so gut Dichter als Vorbilder, wie zu Rom Prosaisten –"" Unter d[en] Griechen vielleicht Dionysios. Lessing d[er] einzige Autor unter d[en] Deutschen. – !!Cic[ero] sehr Fr.[agmentarisch] Varro nicht minder"" [90] Voltaire’s Liebe zu d[en] Chinesen, das Gegenstück zu Rousseau’s Wilden. – !!Zusammenhängende Fr[agmente]. –""

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[118] !!Wolfs Proleg[omena] eine Idee von [kritischem] Experiment. Alles was Lessing geschrieben ein Fr[agment]."" !!1799. in Jena."" [177] !!Fragmente, Satiren, Parodien, Novellen viell[eicht] eigne Werke des Witzes.""

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!!Gedanken"" [318] Ueber [Philosophie] in Terzinen – über den Roman, in Stanzen. – Briefe und Gespräche nur eine Annäherung zur [Poesie]. – Für alles Combin.[atorische] Fragmente doch immer d[ie] beste Form. – Moralische Reflexionen, fließend zu bilden wie d[ie] Romanzen. – [319]

!![Drama]



Diss[ertation]



Arab[eske] Fr[agmente] Essay



Stud[ien] Uebers[etzung]



Charakteristik. –""

[390] Die Formen der chaotischen (umgebenden, einleitenden) Litter[atur] sind wohl Studium, Char[akteristik], Fr[agment] und viell[eicht] [Rhapsodie]. –

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Uebersetzung und Darstellung sind die populären Formen der [Poesie]. – !!An Mystiker. Eine [Rhapsodie]."" Das Stud[ium] ist revoluz.[ionärer] Aufruf, und insofern absolute Schrift, Bibel. – Uebersetzung, !!Nachahmung"" Studium (Recension) sind die deutschen Formen der Schriftstellerei. (Compend.[ium] !!Dissert.[ation]"") – Laokoon d[er] [Poesie]. – Ernst und Falk fortgesezt oder potenzirt – desgl[eichen] d[ie] Erziehung des Menschengeschl.[echtes]. – (Noch ein Brief !!Epistel"" über Rel[igion] und Myst[ik]) – Fundament auch eine deutsche Litter[arische] Form. !!Arabeske Roman Fantasie Vis[ion]  [Didaktik] Mährchen Eleg[ie] Ep[os] Bibel Historie System Brief Abhandlung Rede  .[dikanisch]  [symbouleutisch]  .[epideiktisch] Gespräch"" [416] !!Idee von litterar[ischen] Formen Edition – Dissertation – Compend[ium] – Recension !!Commentar"" Skizze – Studium Uebersetzung – Einleitung [System] Fr[agment] [Rhapsodie] Masse Essay Brief. Gespräch. Rede."" [478] Fr[agmente] d[er] Geist und d[ie] Form d[er] Universalität. –

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!!Epoche der Vorlesungen über Idealismus 1800–1801."" [555] Die Form der Fr.[agmente] viell[eicht] nach d[er] Bib.[el] und Jak.[ob] Böhme doch die classische für die Rel[igion] und Schlei[ermacher]s [Rhetorik] – nur falsche Tendenz. – 

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[609] Das Ct[Zentrum] des bindenden Princips ist für Th[eorie] wohl — o [absolute Mathematik] für [Praxis] dagegen Fr[agment] bibl[ischer] Codex. – !!falsch"" [836] !!Für jede Masse von Fr[agmenten] hab ich doch noch außer der Fr[agmentarischen] eine andre Form gesucht. – Zur Astrol[ogie], Hier[archie], Theos[ophie] viell[eicht] auch Gedichte. Gelehrte Hierogl[yphen] große Hymnen (Canzonen) Hier[oglyphen] in [Epos], das Alterthum in Terz[inen]."" !!Zur Rhetorik und Poesie. 1799 fin.""

[846] Gespräche, um Gebildete mit d[er] [Philosophie] bekannt zu machen; einer spricht [philosophisch], und deducirt, der andre springt wie es nur immer im gesellschaftl[ichen] Gespräch geschehn mag. Die Fr[agmente] nur kleine Essays. –

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Philosophische Lehrjahre [VI] Zur Philosophie nro I. Paris 1802 Jul. [10] Italiän[ische] [Physik] Fr.[agmentarisch]. – Zweifel an fran¸c[ösischer] Polit[ik]. – Alles das vielleicht zu [kritischer] Litter[atur]. – Dante und Böhme selbst vielleicht [Philosophen]. Spinosa und Rousseau bloß – Plotinus – Böhme – Dante(?)

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Combinatorische Ideen [243] Nebst d.[er] potenzirten Form zu d.[en] Princ[ipien] der [Philosophie] ein combinatorischer Styl – (Alte Tendenz selbst in d.[en] Fragm[enten].)

Philosophische Lehrjahre [VII]

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Zur Philosophie nr.II. Paris 1802. December [57] Jene formlose Progressivität in 1) ist d.[er] direkte Gegensatz zu d.[em] combinatorischen Chaos in d[en] Fragmenten (Alles da zu bestimmt, wie dort alles unbestimmt.) [141] Encyclopaedie !! "" – (Polemik !!–"" –) Kritik – Grammatik !!–"" – Archaeologie !!+"" – Journal – Editionen – Uebersetzung. Polemik wohl ganz zur höhern [Philosophie] und [Poesie] – Zu d.[en] combinat.[orischen] Ideen freilich als Anhang auch Principien der Polemik? – Grammatik Encyklopaedie Historie Elemens? (Kritik). !!Alles dieß ist [Chaos] ohne Ausnahme – Die Encycl[opädie] läßt sich schlechterdings und durchaus nur in Fragmenten darstellen – Diese combinat[orischen] Ideen und d.[er] Zerbino müßten rechte Elementarbücher der Deutschen Litteratur werden können."" [154] Als Mittelglied des Idealismus und d.[er] Moral, so sonderbar dieß scheinen mag, vielleicht Physik – als Histor[isches] [Dreieck] etwa. – Rhetorik vielleicht als viertes Glied zu Fragm[enten] – Sympos[ium] – Zerbino – Physik nicht einzeln, außer reell magisch. – oder sonst zu Salomo und Dodekamerone. [160] Die GrundElementarwerke zur Deutschen Litterat.[ur] Fragmente und Zerbino. Auch Fragm[ente] künftig gemeinschaft[lich] – In d[er] Mitte künftig ein [Chaos] von vermischten Schriften – Studien und Skizzen jeder Art [162] !!Fragmente das — +[Neutrale] in dieser V[Dreiheit]. – Also ein V. – Die

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projektirte Rhetorik wird auch in d[en] vermischten Schriften größtentheils ihre Stelle finden können"" [177] Der Styl d[er] Fragm[ente] aus d.[er] Identität des Engl[ischen] mit d.[em] Deutschen gerechtfertigt. –

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Zur Philosophie. October 1803.

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[223] Note – Journal – Notiz – Subjektive Chronik und Gesetzbuch zugleich (Fragmente) die beste Uebung für d[en] Schriftsteller (Briefe aber auch) Giebt es objektive Briefe? – Sollte jeder Schriftsteller einen Roman schreiben? !!vielleicht"" – Chronik läßt sich vielleicht lernen – G ESCHICHTE in allerlei Dimensionen und Formen zu excerpiren und umzuschmelzen, ist unendlich besser als nur rhetorische Uebung, die unfehlbar sophistisch und verkehrt machen. – !!Eigentl[iche] Briefe sind auch eine gute Uebung; doch nicht zureichend. –"" [224] !!Sind Fragmente aber jemand zu rathen, der nicht Genie hat? So auch d.[er] Roman nur später und unter gewissen Bedingungen"" [241] !!Polemische Reden vielleicht besser als Polemische Fragmente, verwebt mit d[en] eignen Fragmenten und der Erläuterung derselben."" [255] Die wahre [philosophische] Schreibart ist Synthesis aus Fichte’s Methode und d[en] Fragmenten (in §§. d.h. in unbestimmter Construction.)

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[259] Princ.[ipien] der Mystik !!die ersten Fragmente bis zur Theilung der Theosophie und Encyclopaedie."" – der Encyclopaedie – der Litteratur – der Kritik – der [Philologie] (die esoterische Litteratur –) nachher Etymologie, Grammatik [266] Vielleicht nur indirekt

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1) Encyclopaedie 2) Litteratur 3) Historie 4) Grammatik – (Kritik) (Allgemeine Grammatik Das gemeinschaftl[iche] mit dazu !!auch Etymologie"" – aber Geist von allem diesem) Hier alles gedruckt auch mit Fragmenten und Erörterungen; das hier gleichfalls anwendbar. –

[Philosophische Lehrjahre, Beilage IV. Grundsätze zum Werk Platons ≈ 1800] Dritte Periode 30

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Charakter der höchsten Vollendung, Klarheit, Fülle, Leichtigkeit – leicht zu bestimmen und unfehlbar zu fühlen1. 1) Menon 2) Gorgias: Im Grunde Vernichtung der Sophisten: Sie können die Tugend nicht lehren und sind auch nicht einmal Redner. 3) Kratylos: Nichts als höchste I RONIE im Parallelismus des Parm[enides] und Herakl[it]. Die Sprache bloß Mittel. Ganz Komödie. 4) Laches: Herrliches Portal als Eingang des großen Tempels; sieht man nicht Laches, Charmides, Philebos, Republ[ik] als ein Werk, so ist die ungeheure 1 Hippias major? Nicht ernsthaft genug. Gegen die Universalität der Sophisten.

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Pracht in Stil und Abhandlung bei diesem Umfang und Gegenstand nicht zu begreifen. Polemische Vorarbeiten, um was dem großen Zweck im Wege stand, fortzuschaffen. 5) Charmides 6) Alkibiades I: Vielleicht vor Laches, sonst das erste Hyperbaton dieser Gattung. 7) Philebos: Erstes Hyperbaton dieses Cyclus. 8) Politeia: Jüngstes. 9) Timaios: Drittes Hyperbaton. Kritias. = Unvollendet. Daß beide ein Dialog, oder Fragmente eines Dialogs sind, steht mit klaren Worten in den Einleitungen. – Auch dem Fragment Timaios fehlt die letzte Hand, das Proöm[ium] abgerechnet. Auch ursprünglich Doubletten und Varianten darin. – Von dem, was der dritte Theil des Ganzen sein sollte, was Hermokrates sagen sollte, hat sich auch kein Fragment erhalten.

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Die großer Absicht im Laches, Charmides, Philebos und in der Republ[ik]: das Höchste klar und ganz nach den Kategorien hellenischer Tugend darzustellen – A ,  ,   «,    . In Rücksicht der politischen Ideen und des Timaios könnte man sagen, Sokrates sei in dieser Periode zum Pythagoras erweitert.

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Timaios übrigens doch nur der alte Parallelismus zwischen Herakl[it] und Parm[enides], zwischen Dualismus und Realismus; und vieles darin bloß ironisch, oder doch nur ad unum usum.

[Philosophische Lehrjahre, Beilage VII.] Zur Physik [≈ 1802/03]

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[69] !![Rhetorik] ist unstreitig eine  [Synthese] von Combinator[ik] und   [Dialektik]. Also  [Synthese] der Fragmente und d[er] Ideen gleichsam, aber bloß [philosophische]. – Mit innigster Anschließung an F[ichte] und Sch[leiermacher]."" [72] !!Fragmente als die Hauptsache. Vorn eine Rede – und dann zum Schluß Polem[ik]? –""

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[Philosophische Lehrjahre, Beilage VIII.] Zur Philosophie [≈ 1803–1807] [6] Rechtfertigung der Autorität auf eine gewisse Weise – alle meine [Philosophica] haben diesen Charakter, sind auf diese Voraussetzung gegründet. Fragmente, Lessing pp.

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[60] Philosophische Fragmente nach der Reihe  [Philosophie der Philosophie], [Philologie] [Kritik] (Hist[orie]) ( [Kritik] W[it]z pp.) Philosophie Religion Moral. !!Logik Idealismus Religion"". In diesen aber, in jedem nach der Chronologie meiner Papiere. Oder überhaupt nach dieser mit Sondrung auch nach d[en] Materien 1) [Kritik] Polem[ik] 2. Religion 3) transc.[endentaler] Idealismus.

Philosophische Lehrjahre [VIII] Zur Philosophie nr.III. Paris 1804. Januar

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[106] Fragmente als eigentl[iche] und beste Form der Mittheilung für mich – auch wieder welche zu geben. [110] Polemische Fragmente oder Reden, oder Principien – was es nun sei, gehören gleichfalls durchaus zu dem Deutschen Cyklus von Encyklopaedie Litteratur, Kritik pp

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[217] Fragmente. Entweder die ältern zusammen in 3 Theilen 1) Classisches Alterthum und Poesie. 2) Romantisches und Philosophie 3) Oriental[isches] und Historie – Doch hat sich ja meine Ansicht der [Poesie], [Philosophie] und Hist[orie] nach jenen 3 Stufen gerichtet – Oder ganz neue Fragmente 1) Physikal[ische] Fragmente 2) Oriental[ische] und Universalist.[ische] 3) Christenthum für (Moral) !!Bildung des [Christentums? –"" 4) für [Philosophie] alsdann  [Philosophie der Philosophie] nebst Rhetorik und magischer Grammatik, auch Lehre von der Allegorie. – Oder für [Philosophie] = Mathematik. [219] Die Fragmente also vorzügl[ich] für das Esoterische

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[289] !!Ueber Litter[atur] bloß Materialien – Fragmente In der Art wie d[er] Commentar zum Lessing.""

Philosophische Lehrjahre [IX] Zur Philosophie. 1805 I.

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[115] Das Resultat der Theorie der Anschauung muß sein 1) die Freiheit der Einbildungskraft 2) das Zerstückte Fragmentarische des BW.[Bewußtseins] welches zur Erinnrung führt – das zweite Stück jedoch müßte wohl die Erinnrung sein.

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Philosophische Lehrjahre [X] Zur Philosophie. 1805 II. Aeltere Gedanken (Frühjahr. 1804). [164] Dramatische oder lyrische ([rhetorische] [Philosophie]) in Fr[agmenten], Briefen Reden pp. [375] Die exoterische [Philosophie], oder der negative Id[ealismus] – erscheint in zwei Gestalten als Kritik – besonders auch [Kritik] der [Philosophie], doch nicht diese allein – und 2) der dynamische Geist aller Wss.[Wissenschaften] in combinator[ischen] Fr[agmenten]. Die [Kritik] ist wohl das Bindungsmittel zwischen beiden [Philosophien], denn auch die subj.[ektive] [Philosophie] läßt sich indirekt durch [Kritik] sehr begründen (in Comment[atorischer]   [Diaskeuase]. – Wiederbelebung aller Idealisten.) [376] !!Meine Fragmente sind in Masse mehr dieser negative Id[ealismus] und dynamische Geist aller Wss[Wissenschaften] (Wofür auch jene Form sehr schicklich ist.) !!selbst eine dynamische Form. –"" als [philosophische] Lehrjahre. –""

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[418] Der eigentl[iche] Fehler des Myst[izismus] ist, daß er zu fragmentarisch ist (eine Stufe als das Ganze ansieht – alle Offenbarungen sind nur einzelne Visionen – selbst die älteste nicht ausgenommen [422] Der My[stizismus] also nur fragmentarisch – der Re[alismus] nur negativ – als solche Ansicht ein Element in d[er] Constr[uktion] der Wahrheit, aber das niedrigste. Wird aber diese negative Ansicht isolirt und an die Stelle der positiven gesetzt, so wird der Re[alismus] das böse Princip.

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Von den sieben Qualitäten. [440] Im Böhme ist lauter geistige Anschauung ohne alle Logik; daher die fragmentarische Form nicht bloß aus Nachahmung der Bibel sondern nothwendig. Für die [Philosophie] selbst wäre dieß das Höchste, nur fehlt es an Gliederung oder Constr.[uktion] des Ganzen. Auch formt sich solch eine Reihe geistiger Anschaungen durch poetische (in Terzinen) durchaus

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* [548] Die Capitel für die Fragmente wären wohl; I. Historie. (Studium der [Poesie].) Ueberall Einleitungen, Scholien II. Polemik. Ironie III. Encyclopaedie (von d[en] 3 Imper.[ativen] an) Combinat.[orischer] Witz. IV. Idealismus. (Poesie?) V. Religion. VI. Physik VII. Novalis. (Schluß.) (Poesie?)

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[549] !!Besser 1) Musik – Hist[orie] – Pol[emik] – Griech.[ische] Ex.[zerpte] 2) Polem[ische] Fragm[ente] 3) Idealismus und Real.[ismus]"" 5

[554] Die Fragmente aus d[en] Papieren zur Poesie mehr zu I. Die sämtl.[ichen] Bruchstücke zum Alterthum vielleicht zu einer neuen Ausgabe der Schrift über das Studium der Gr.[iechischen] P.[oesie].

Philosophische Lehrjahre [XI] Zur Philosophie. 1806 I. 10

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[161] !!Am merkwürdigsten wäre der  [Skeptizismus] aus der unendlichen Fülle. – Ist er schon irgendwo dargestellt (in den Fragmenten)"" [195] Alle Kritik und Philologie ist lediglich theologischen Ursprungs – so bei den Indiern deren Litter.[atur] eben dadurch ein so vollkommnes System ist. – Bei d[en] Griechen ist dieß nicht der Fall – was !!ganz"" so fragmentarisch entstanden war, konnte hinterdrein nicht zu einem System gebildet werden. – Dieses System gründete sich aber dennoch auf die religiöse Heiligkeit der Dichter.

Philosophische Lehrjahre [XII] Zur Philosophie. 1806 II.

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[8] Das Breviar.[ium] (so wie auch das Missale) ist die zum religiösen Lesen zubereitete Bibel – Das willkührl[iche] und fragmentar.[ische] Ordnen Relig[ion] das exegetische Lesen irrelig[iös]. – Brevier : Bibel = Messe :Predigt. Warum ist der Psalter im Brev.[ier] und überhaupt in der kathol.[ischen] Relig[ion] so wichtig? – Ist es zufällig wegen d[er] Abstammung von David, aus Mangel an christl.[icher] [Lyrik] in d[en] ältesten Zeiten, aus Empfänglichkeit für die allegor.[ische] Deutung, oder enthält er wirklich hebräisch-persische und also essenische Mysterien? Daß man also in neuen Zeiten sehr unrecht gehabt hätte, ihn so ganz national zu nehmen.

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Freunde, der Boden ist arm, wir müßen reichlichen Samen Ausstreun, daß uns doch nur mäßige Erndten gedeihn. –––––––––––– [1.] Wir suchen überall das Unbedingte, und finden immer nur Dinge. [2.] Die Bezeichnung durch Töne und Striche ist eine bewundernswürdige Abstrakzion. Vier Buchstaben bezeichnen mir Gott; einige Striche eine Million Dinge. Wie leicht wird hier die Handhabung des Universums, wie anschaulich die Konzentrizität der Geisterwelt! Die Sprachlehre ist die Dynamik des Geisterreichs. Ein Kommandowort bewegt Armeen; das Wort Freyheit Nazionen.

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[3.] Der Weltstaat ist der Körper, den die schöne Welt, die gesellige Welt, beseelt. Er ist ihr nothwendiges Organ.

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[4.] Lehrjahre sind für den poetischen, akademische Jahre für den philosophischen Jünger. Akademie sollte ein durchaus philosophisches Institut seyn: nur Eine Facultät; die ganze Einrichtung zur Erregung und zweckmäßigen Übung der Denkkraft organisirt.

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[5.] Lehrjahre im vorzüglichen Sinn sind die Lehrjahre der Kunst zu leben. Durch planmäßig geordnete Versuche lernt man ihre Grundsätze kennen und erhält die Fertigkeit nach ihnen beliebig zu verfahren. [6.] Ganz begreifen werden wir uns nie, aber wir werden und können uns weit mehr, als begreifen.

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[7.] Gewisse Hemmungen gleichen den Griffen eines Flötenspielers, der um verschiedene Töne hervorzubringen, bald diese bald jene Öffnung zuhält, und willkührliche Verkettungen stummer und tönender Öffnungen zu machen scheint. [8.] Der Unterschied zwischen Wahn und Wahrheit liegt in der Differenz ihrer Lebensfunkzionen. Der Wahn lebt von der Wahrheit; die Wahrheit lebt ihr Leben in sich. Man vernichtet den Wahn, wie man Krankheiten vernichtet, und der Wahn ist also nichts, als logische Entzündung oder Verlöschung, Schwärmerey und Philisterey. Jene hinterläßt gewöhnlich einen scheinbaren Mangel an Denkkraft, der

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durch nichts zu heben ist, als eine abnehmende Reihe von Inzitamenten, Zwangsmitteln. Diese geht oft in eine trügliche Lebhaftigkeit über, deren gefährliche Revoluzionssymptome nur durch eine zunehmende Reihe gewaltsamer Mittel vertrieben werden können. Beyde Disposizionen können nur durch chronische, streng befolgte Kuren verändert werden. [9.] Unser sämtliches Wahrnehmungsvermögen gleicht dem Auge. Die Objekte müßen durch entgegengesetzte Media durch, um richtig auf der Pupille zu erscheinen.

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[10.] Die Erfahrung ist die Probe des Razionalen, und so umgekehrt. Die Unzulänglichkeit der bloßen Theorie in der Anwendung, über die der Praktiker oft kommentirt, findet sich gegenseitig in der razionalen Anwendung der bloßen Erfahrung, und wird von den ächten Philosophen, jedoch mit Selbstbescheidung der Nothwendigkeit dieses Erfolgs, vernehmlich genug bemerkt. Der Praktiker verwirft deshalb die bloße Theorie ganz, ohne zu ahnden, wie problematisch die Beantwortung der Frage seyn dürfte: „Ob die Theorie für die Anwendung, oder die Anwendung um der Theorie willen sey?“ [11.] Das Höchste ist das Verständlichste, das Nächste, das Unentbehrlichste.

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[12.] Wunder stehn mit naturgesetzlichen Wirkungen in Wechsel: sie beschränken einander gegenseitig, und machen zusammen ein Ganzes aus. Sie sind vereinigt, indem sie sich gegenseitig aufheben. Kein Wunder ohne Naturbegebenheit und umgekehrt. [13.] Die Natur ist Feindin ewiger Besitzungen. Sie zerstört nach festen Gesetzen alle Zeichen des Eigenthums, vertilgt alle Merkmale der Formazion. Allen Geschlechtern gehört die Erde; jeder hat Anspruch auf alles. Die Frühern dürfen diesem Primogeniturzufalle keinen Vorzug verdanken. – Das Eigenthumsrecht erlischt zu bestimmten Zeiten. Die Ameliorazion und Deteriorazion steht unter unabänderlichen Bedingungen. Wenn aber der Körper ein Eigenthum ist, wodurch ich nur die Rechte eines aktiven Erdenbürgers erwerbe, so kann ich durch den Verlust dieses Eigenthums nicht mich selbst einbüßen. Ich verliere nichts, als die Stelle in dieser Fürstenschule, und trete in eine höhere Korporazion, wohin mir meine geliebten Mitschüler nachfolgen. [14.] Leben ist der Anfang des Todes. Das Leben ist um des Todes willen. Der Tod ist Endigung und Anfang zugleich, Scheidung und nähere Selbstverbindung zugleich. Durch den Tod wird die Redukzion vollendet.

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[15.] Auch die Philosophie hat ihre Blüthen. Das sind die Gedanken, von denen man immer nicht weiß, ob man sie schön oder witzig nennen soll. [Friedrich Schlegel] [16.] Die Fantasie setzt die künftige Welt entweder in die Höhe, oder in die Tiefe, oder in der Metempsychose zu uns. Wir träumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unsers Geistes kennen wir nicht. – Nach Innen geht der geheimnißvolle Weg. In uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft. Die Außenwelt ist die Schattenwelt,

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sie wirft ihren Schatten in das Lichtreich. Jetzt scheint es uns freylich innerlich so dunkel, einsam, gestaltlos, aber wie ganz anders wird es uns dünken, wenn diese Verfinsterung vorbey, und der Schattenkörper hinweggerückt ist. Wir werden mehr genießen als je, denn unser Geist hat entbehrt. [17.] Darwin macht die Bemerkung, daß wir weniger vom Lichte beym Erwachen geblendet werden, wenn wir von sichtbaren Gegenständen geträumt haben. Wohl also denen, die hier schon von Sehen träumten! Sie werden früher die Glorie jener Welt ertragen können. [18.] Wie kann ein Mensch Sinn für etwas haben, wenn er nicht den Keim davon in sich hat? Was ich verstehn soll, muß sich in mir organisch entwickeln; und was ich zu lernen scheine, ist nur Nahrung, Inzitament des Organismus.

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[19.] Der Sitz der Seele ist da, wo sich Innenwelt und Außenwelt berühren. Wo sie sich durchdringen, ist er in jedem Punkte der Durchdringung. [20.] Wenn man in der Mittheilung der Gedanken zwischen absolutem Verstehen und absolutem Nichtverstehen abwechselt, so darf das schon eine philosophische Freundschaft genannt werden. Geht es uns doch mit uns selbst nicht besser. Und ist das Leben eines denkenden Menschen wohl etwas andres als eine stete innere Symphilosophie? [Friedrich Schlegel] [21.] Genie ist das Vermögen von eingebildeten Gegenständen, wie von wirklichen zu handeln, und sie auch wie diese zu behandeln. Das Talent darzustellen, genau zu beobachten, zweckmäßig die Beobachtung zu beschreiben, ist also vom Genie verschieden. Ohne dieses Talent sieht man nur halb, und ist nur ein halbes Genie; man kann genialische Anlage haben, die in Ermangelung jenes Talents nie zur Entwickelung kommt. [22.] Das willkührlichste Vorurtheil ist, daß dem Menschen das Vermögen außer sich zu seyn, mit Bewußtseyn jenseits der Sinne zu seyn, versagt sey. Der Mensch vermag in jedem Augenblicke ein übersinnliches Wesen zu seyn. Ohne dies wäre er nicht Weltbürger, er wäre ein Thier. Freylich ist die Besonnenheit, Sichselbstfindung, in diesem Zustande sehr schwer, da er so unaufhörlich, so nothwendig mit dem Wechsel unsrer übrigen Zustände verbunden ist. Je mehr wir uns aber dieses Zustandes bewußt zu seyn vermögen, desto lebendiger, mächtiger, genügender ist die Überzeugung, die daraus entsteht; der Glaube an ächte Offenbarungen des Geistes. Es ist kein Schauen, Hören, Fühlen; es ist aus allen dreyen zusammengesezt, mehr als alles Dreyes: eine Empfindung unmittelbarer Gewißheit, eine Ansicht meines wahrhaftesten, eigensten Lebens. Die Gedanken verwandeln sich in Gesetze, die Wünsche in Erfüllungen. Für den Schwachen ist das Faktum dieses Moments ein Glaubensartikel. Auffallend wird die Erscheinung besonders beym Anblick mancher menschlichen Gestalten und Gesichter, vorzüglich bey der Erblickung mancher Augen, mancher Minen, mancher Bewegungen, beym Hören gewisser Worte, beym Lesen gewisser Stellen, bey gewissen Hinsichten auf Leben, Welt und Schicksal. Sehr viele Zufälle, manche Naturereignisse, besonders Jahrs- und Tageszeiten, liefern uns solche Erfahrungen. Gewisse Stimmungen sind vorzüglich solchen Offenbarungen günstig. Die meisten sind augen-

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blicklich, wenige verweilend, die wenigsten bleibend. Hier ist viel Unterschied zwischen den Menschen. Einer hat mehr Offenbarungsfähigkeit, als der andere. Einer hat mehr Sinn, der andere mehr Verstand für dieselbe. Der letzte wird immer in ihrem sanften Lichte bleiben, wenn der erste nur abwechselnde Erleuchtungen, aber hellere und mannichfaltigere hat. Dieses Vermögen ist ebenfalls Krankheitsfähig, die entweder Überfluß an Sinn und Mangel an Verstand, oder Überfluß an Verstand und Mangel an Sinn bezeichnet. [23.] Scham ist wohl ein Gefühl der Profanazion. Freundschaft, Liebe und Pietät sollten geheimnißvoll behandelt werden. Man sollte nur in seltnen, vertrauten Momenten davon reden, sich stillschweigend darüber einverstehen. Vieles ist zu zart um gedacht, noch mehres um besprochen zu werden. [24.] Selbstentäußerung ist die Quelle aller Erniedrigung, so wie im Gegentheil der Grund aller ächten Erhebung. Der erste Schritt wird Blick nach Innen, absondernde Beschauung unsers Selbst. Wer hier stehn bleibt, geräth nur halb. Der zweyte Schritt muß wirksamer Blick nach Außen, selbstthätige, gehaltne Beobachtung der Außenwelt seyn. [25.] Derjenige wird nie als Darsteller etwas vorzügliches leisten, der nichts weiter darstellen mag, als seine Erfahrungen, seine Lieblingsgegenstände, der es nicht über sich gewinnen kann, auch einen ganz fremden, ihm ganz uninteressanten Gegenstand, mit Fleiß zu studiren und mit Muße darzustellen. Der Darsteller muß alles darstellen können und wollen. Dadurch entsteht der große Styl der Darstellung, den man mit Recht an Goethe so sehr bewundert. [26.] Hat man nun einmal die Liebhaberey fürs Absolute und kann nicht davon lassen: so bleibt einem kein Ausweg, als sich selbst immer zu widersprechen, und entgegengesetzte Extreme zu verbinden. Um den Satz des Widerspruchs ist es doch unvermeidlich geschehen, und man hat nur die Wahl, ob man sich dabey leidend verhalten will, oder ob man die Nothwendigkeit durch Anerkennung zur freyen Handlung adeln will. [Friedrich Schlegel] [27.] Eine merkwürdige Eigenheit Goethe’s bemerkt man in seinen Verknüpfungen kleiner, unbedeutender Vorfälle mit wichtigern Begebenheiten. Er scheint keine andre Absicht dabey zu hegen, als die Einbildungskraft auf eine poetische Weise mit einem mysteriösen Spiel zu beschäftigen. Auch hier ist der sonderbare Genius der Natur auf die Spur gekommen, und hat ihr einen artigen Kunstgriff abgemerkt. Das gewöhnliche Leben ist voll ähnlicher Zufälle. Sie machen ein Spiel aus, das wie alles Spiel auf Überraschung und Täuschung hinausläuft. Mehre Sagen des gemeinen Lebens beruhn auf einer Bemerkung dieses verkehrten Zusammenhangs. So z.B. bedeuten böse Träume Glück; todtsagen langes Leben; ein Hase, der über’n Weg läuft, Unglück. Fast der ganze Aberglaube des gemeinen Volks beruht auf Deutungen dieses Spiels. [28.] Die höchste Aufgabe der Bildung ist, sich seines transcendentalen Selbst zu bemächtigen, das Ich seines Ich’s zugleich zu seyn. Um so weniger befremdlich ist der Mangel an vollständigem Sinn und Verstand für Andre. Ohne vollendetes Selbstverständniß wird man nie andere wahrhaft verstehn lernen.

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[29.] Humor ist eine willkührlich angenommene Manier. Das Willkührliche ist das Pikante daran: Humor ist Resultat einer freyen Vermischung des Bedingten und Unbedingten. Durch Humor wird das eigenthümlich Bedingte allgemein interessant, und erhält objektiven Werth. Wo Fantasie und Urtheilskraft sich berühren, entsteht Witz; wo sich Vernunft und Willkühr paaren, Humor. Persifflage gehört zum Humor, ist aber um einen Grad geringer: es ist nicht mehr rein artistisch, und viel beschränkter. Was Fr.Schlegel als Ironie karakterisirt, ist meinem Bedünken nach nichts anders als die Folge, der Karakter der Besonnenheit, der wahrhaften Gegenwart des Geistes. Schlegels Ironie scheint mir ächter Humor zu seyn. Mehre Nahmen sind einer Idee vortheilhaft.

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[30.] Das Unbedeutende, Gemeine, Rohe, Häßliche, Ungesittete, wird durch Witz allein Gesellschaftfähig. Es ist gleichsam nur um des Witzes willen: seine Zweckbestimmung ist der Witz. [31.] Um das Gemeine, wenn man nicht selbst gemein ist, mit der Kraft und mit der Leichtigkeit zu behandeln, aus der die Anmuth entspringt, muß man nichts sonderbarer finden als das Gemeine, und Sinn fürs Sonderbare haben, viel darin suchen und ahnden. Auf die Art kann auch wohl ein Mensch, der in ganz andern Sphären lebt, gewöhnliche Naturen so befriedigen, daß sie gar kein Arg aus ihm haben, und ihn für nichts weiter halten, als was sie unter sich liebenswürdig nennen. [Friedrich Schlegel]

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[32.] Wir sind auf einer Mißion: zur Bildung der Erde sind wir berufen. [33.] Wenn uns ein Geist erschiene, so würden wir uns sogleich unsrer eignen Geistigkeit bemächtigen: wir würden inspirirt seyn durch uns und den Geist zugleich. Ohne Inspirazion keine Geistererscheinung. Inspirazion ist Erscheinung und Gegenerscheinung, Zueignung und Mittheilung zugleich.

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[34.] Der Mensch lebt, wirkt nur in der Idee fort, durch die Erinnerung an sein Daseyn. Vor der Hand giebts kein anderes Mittel der Geisterwirkungen auf dieser Welt. Daher ist es Pflicht an die Verstorbenen zu denken. Es ist der einzige Weg in Gemeinschaft mit ihnen zu bleiben. Gott selbst ist auf keine andere Weise bey uns wirksam als durch den Glauben.

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[35.] Interesse ist Theilnahme an dem Leiden und der Thätigkeit eines Wesens. Mich interessirt etwas, wenn es mich zur Theilnahme zu erregen weiß. Kein Interesse ist interessanter, als was man an sich selbst nimmt; so wie der Grund einer merkwürdigen Freundschaft und Liebe die Theilnahme ist, zu der mich ein Mensch reizt, der mit sich selbst beschäftigt ist, der mich durch seine Mittheilung gleichsam einladet, an seinem Geschäfte Theil zu nehmen.

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[36.] Wer den Witz erfunden haben mag? Jede zur Besinnung gebrachte Eigenschaft, Handlungsweise unsers Geistes ist im eigentlichsten Sinn eine neuentdeckte Welt. [37.] Der Geist erscheint immer nur in fremder, luftiger Gestalt. [38.] Jetzt regt sich nur hie und da Geist: wann wird der Geist sich im Ganzen regen? wann wird die Menschheit in Masse sich selbst zu besinnen anfangen?

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[39.] Der Mensch besteht in der Wahrheit. Giebt er die Wahrheit preis, so giebt er sich selbst preis. Wer die Wahrheit verräth, verräth sich selbst. Es ist hier nicht die Rede vom Lügen, sondern vom Handeln gegen Überzeugung. 5

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[40.] In heitern Seelen giebts keinen Witz. Witz zeigt ein gestörtes Gleichgewicht an: er ist die Folge der Störung und zugleich das Mittel der Herstellung. Den stärksten Witz hat die Leidenschaft. Der Zustand der Auflösung aller Verhältnisse, die Verzweiflung oder das geistige Sterben ist am fürchterlichsten witzig. [41.] Von einem liebenswerthen Gegenstande können wir nicht genug hören, nicht genug sprechen. Wir freuen uns über jedes neue, treffende, verherrlichende Wort. Es liegt nicht an uns, daß er nicht Gegenstand aller Gegenstände wird. [42.] Wir halten einen leblosen Stoff wegen seiner Beziehungen, seiner Formen fest. Wir lieben den Stoff, in so fern er zu einem geliebten Wesen gehört, seine Spur trägt, oder Ähnlichkeit mit ihm hat.

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[43.] Ein ächter Klub ist eine Mischung von Institut und Gesellschaft. Er hat einen Zweck, wie das Institut; aber keinen bestimmten, sondern einen unbestimmten, freyen: Humanität überhaupt. Aller Zweck ist ernsthaft; die Gesellschaft ist durchaus fröhlich. [44.] Die Gegenstände der gesellschaftlichen Unterhaltung sind nichts, als Mittel der Belebung. Dieß bestimmt ihre Wahl, ihren Wechsel, ihre Behandlung. Die Gesellschaft ist nichts, als gemeinschaftliches Leben: eine untheilbare denkende und fühlende Person. Jeder Mensch ist eine kleine Gesellschaft. [45.] In sich zurückgehn, bedeutet bey uns, von der Außenwelt abstrahiren. Bey den Geistern heißt analogisch, das irdische Leben eine innere Betrachtung, ein in sich Hineingehn, ein immanentes Wirken. So entspringt das irdische Leben aus einer ursprünglichen Reflexion, einem primitiven Hineingehn, Sammeln in sich selbst, das so frey ist, als unsre Reflexion. Umgekehrt entspringt das geistige Leben in dieser Welt aus einem Durchbrechen jener primitiven Reflexion. Der Geist entfaltet sich wiederum, geht aus sich selbst wieder heraus, hebt zum Theil jene Reflexion wieder auf, und in diesem Moment sagt er zum erstenmal Ich. Man sieht hier, wie relativ das Herausgehn und Hineingehn ist. Was wir Hineingehn nennen, ist eigentlich Herausgehn, eine Wiederannahme der anfänglichen Gestalt. [46.] Ob sich nicht etwas für die neuerdings so sehr gemißhandelten Alltagsmenschen sagen ließe? Gehört nicht zur beharrlichen Mittelmäßigkeit die meiste Kraft? und soll der Mensch mehr als einer aus dem Popolo seyn?

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[47.] Wo ächter Hang zum Nachdenken, nicht bloß zum Denken dieses oder jenes Gedankens, herrschend ist, da ist auch Progreßivität. Sehr viele Gelehrte besitzen diesen Hang nicht. Sie haben schließen und folgern gelernt, wie ein Schuster das Schuhmachen, ohne je auf den Einfall zu gerathen, oder sich zu bemühen, den Grund der Gedanken zu finden. Dennoch liegt das Heil auf keinem andern Wege. Bey vielen währt dieser Hang nur eine Zeitlang. Er wächst und nimmt ab, sehr oft mit den Jahren, oft mit dem Fund eines Systems, das sie nur suchten, um der Mühe des Nachdenkens ferner überhoben zu seyn.

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[48.] Irrthum und Vorurtheil sind Lasten, indirekt reizende Mittel für den Selbstthätigen, jeder Last gewachsenen. Für den Schwachen sind sie positiv schwächende Mittel. [49.] Das Volk ist eine Idee. Wir sollen ein Volk werden. Ein vollkommener Mensch ist ein kleines Volk. Ächte Popularität ist das höchste Ziel des Menschen.

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[50.] Jede Stufe der Bildung fängt mit Kindheit an. Daher ist der am meisten gebildete, irdische Mensch dem Kinde so ähnlich. [51.] Jeder geliebte Gegenstand ist der Mittelpunkt eines Paradieses. [52.] Das Interessante ist, was mich, nicht um mein selbst willen, sondern nur als Mittel, als Glied, in Bewegung setzt. Das Klassische stört mich gar nicht; es afficirt mich nur indirect durch mich selbst. Es ist nicht für mich da, als klassisch, wenn ich es nicht setze, als ein solches, das mich nicht afficiren würde, wenn ich mich nicht selbst zur Hervorbringung desselben für mich, bestimmte, anregte; wenn ich nicht ein Stück von mir selbst losrisse, und diesen Keim sich auf eine eigenthümliche Weise vor meinen Augen entwickeln ließe. Eine Entwickelung, die oft nur einen Moment bedarf, und mit der sinnlichen Wahrnehmung des Objects zusammen fällt, so daß ich ein Object vor mir sehe, in welchem das gemeine Object und das Ideal, wechselseitig durchdrungen, nur Ein wunderbares Individuum bilden. [53.] Formeln für Kunstindividuen finden, durch die sie im eigentlichsten Sinn erst verstanden werden, macht das Geschäft des artistischen Kritikers aus, dessen Arbeiten die Geschichte der Kunst vorbereiten. [54.] Je verworrener ein Mensch ist, man nennt die Verworrenen oft Dummköpfe, desto mehr kann durch fleißiges Selbststudium aus ihm werden; dahingegen die geordneten Köpfe trachten müssen, wahre Gelehrte, gründliche Encyklopädisten zu werden. Die Verworrnen haben im Anfang mit mächtigen Hindernissen zu kämpfen, sie dringen nur langsam ein, sie lernen mit Mühe arbeiten: dann aber sind sie auch Herrn und Meister auf immer. Der Geordnete kommt geschwind hinein, aber auch geschwind heraus. Er erreicht bald die zweyte Stufe: aber da bleibt er auch gewöhnlich stehn. Ihm werden die letzten Schritte beschwerlich, und selten kann er es über sich gewinnen, schon bey einem gewissen Grade von Meisterschaft sich wieder in den Zustand eines Anfängers zu versetzen. Verworrenheit deutet auf Überfluß an Kraft und Vermögen, aber mangelhafte Verhältnisse; Bestimmtheit, auf richtige Verhältnisse, aber sparsames Vermögen und Kraft. Daher ist der Verworrne so progressiv, so perfektibel, dahingegen der Ordentliche so früh als Philister aufhört. Ordnung und Bestimmtheit allein ist nicht Deutlichkeit. Durch Selbstbearbeitung kommt der Verworrene zu jener himmlischen Durchsichtigkeit, zu jener Selbsterleuchtung, die der Geordnete so selten erreicht. Das wahre Genie verbindet diese Extreme. Es theilt die Geschwindigkeit mit dem letzten und die Fülle mit dem ersten. [55.] Das Individuum interessirt nur, daher ist alles Klassische nicht individuell. [56.] Der wahre Brief ist seiner Natur nach poetisch.

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[57.] Witz, als Prinzip der Verwandtschaften ist zugleich das menstruum universale. Witzige Vermischungen sind z. B. Jude und Kosmopolit, Kindheit und Weisheit, Räuberey und Edelmuth, Tugend und Hetärie, Überfluß und Mangel an Urtheilskraft in der Naivetät und so fort ins Unendliche. 5

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[58.] Der Mensch erscheint am würdigsten, wenn sein erster Eindruck der Eindruck eines absolut witzigen Einfalls ist: nemlich Geist und bestimmtes Individuum zugleich zu seyn. Einen jeden vorzüglichen Menschen muß gleichsam ein Geist zu durchschweben scheinen, der die sichtbare Erscheinung idealisch parodirt. Bey manchen Menschen ist es als ob dieser Geist der sichtbaren Erscheinung ein Gesicht schnitte. [59.] Gesellschaftstrieb ist Organisationstrieb. Durch diese geistige Assimilazion entsteht oft aus gemeinen Bestandtheilen eine gute Gesellschaft um einen geistvollen Menschen her.

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[60.] Das Interessante ist die Materie, die sich um die Schönheit bewegt. Wo Geist und Schönheit ist, häuft sich in konzentrischen Schwingungen das Beste aller Naturen. [61.] Der Deutsche ist lange das Hänschen gewesen. Er dürfte aber wohl bald der Hans aller Hänse werden. Es geht ihm, wie es vielen dummen Kindern gehn soll: er wird leben und klug seyn, wenn seine frühklugen Geschwister längst vermodert sind, und er nun allein Herr im Hause ist. [62.] Das beste an den Wissenschaften ist ihr philosophisches Ingrediens, wie das Leben am organischen Körper. Man dephilosophire die Wissenschaften: was bleibt übrig? Erde, Luft und Wasser. [63.] Menschheit ist eine humoristische Rolle.

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[64.] Unsere alte Nazionalität, war, wie mich dünkt, ächt römisch. Natürlich, weil wir auf eben dem Wege wie die Römer entstanden; und so wäre der Name, römisches Reich, warlich ein artiger, sinnreicher Zufall. Deutschland ist Rom, als Land. Ein Land ist ein großer Ort mit seinen Gärten. Das Kapitol ließe sich vielleicht nach dem Gänsegeschrey vor den Galliern bestimmen. Die instinktartige Universalpolitik und Tendenz der Römer liegt auch im Deutschen Volk. Das Beste, was die Franzosen in der Revoluzion gewonnen haben, ist eine Porzion Deutschheit. [65.] Gerichtshöfe, Theater, Hof, Kirche, Regierung, öffentliche Zusammenkünfte, Akademieen, Kollegien u.s.w. sind gleichsam die speciellen, innern Organe des mystischen Staatsindividuums. [66.] Alle Zufälle unsers Lebens sind Materialien, aus denen wir machen können, was wir wollen. Wer viel Geist hat, macht viel aus seinem Leben. Jede Bekanntschaft, jeder Vorfall, wäre für den durchaus Geistigen erstes Glied einer unendlichen Reihe, Anfang eines unendlichen Romans.

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[67.] Der edle Kaufmannsgeist, der ächte Großhandel, hat nur im Mittelalter und besonders zur Zeit der deutschen Hanse geblüht. Die Medicis, die Fugger waren

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Kaufleute, wie sie seyn sollten. Unsere Kaufleute im Ganzen, die größten nicht ausgenommen, sind nichts als Krämer. [68.] Eine Übersetzung ist entweder grammatisch, oder verändernd, oder mythisch. Mythische Übersetzungen sind Übersetzungen im höchsten Styl. Sie stellen den reinen, vollendeten Karakter des individuellen Kunstwerks dar. Sie geben uns nicht das wirkliche Kunstwerk, sondern das Ideal desselben. Noch existirt wie ich glaube, kein ganzes Muster derselben. Im Geist mancher Kritiken und Beschreibungen von Kunstwerken trifft man aber helle Spuren davon. Es gehört ein Kopf dazu, in dem sich poetischer Geist und philosophischer Geist in ihrer ganzen Fülle durchdrungen haben. Die griechische Mythologie ist zum Theil eine solche Übersetzung einer Nazionalreligion. Auch die moderne Madonna ist ein solcher Mythus. Grammatische Übersetzungen sind die Übersetzungen im gewöhnlichen Sinn. Sie erfordern sehr viel Gelehrsamkeit, aber nur diskursive Fähigkeiten. Zu den verändernden Übersetzungen gehört, wenn sie ächt seyn sollen, der höchste poetische Geist. Sie fallen leicht ins Travestiren, wie Bürgers Homer in Jamben, Popens Homer, die Französischen Übersetzungen insgesamt. Der wahre Übersetzer dieser Art muß in der That der Künstler selbst seyn, und die Idee des Ganzen beliebig so oder so geben können. Er muß der Dichter des Dichters seyn und ihn also nach seiner und des Dichters eigner Idee zugleich reden lassen können. In einem ähnlichen Verhältnisse steht der Genius der Menschheit mit jedem einzelnen Menschen. Nicht bloß Bücher, alles kann auf diese drey Arten übersetzt werden. [69.] Im höchsten Schmerz tritt zuweilen eine Paralysis der Empfindsamkeit ein. Die Seele zersetzt sich. Daher der tödtliche Frost, die freye Denkkraft, der schmetternde unaufhörliche Witz dieser Art von Verzweiflung. Keine Neigung ist mehr vorhanden; der Mensch steht wie eine verderbliche Macht allein. Unverbunden mit der übrigen Welt verzehrt er sich allmählig selbst, und ist seinem Princip nach Misanthrop und Misotheos. [70.] Unsere Sprache ist entweder mechanisch, atomistisch oder dynamisch. Die ächt poetische Sprache soll aber organisch, lebendig seyn. Wie oft fühlt man die Armuth an Worten, um mehre Ideen mit Einem Schlage zu treffen. [71.] Dichter und Priester waren im Anfang Eins, und nur spätere Zeiten haben sie getrennt. Der ächte Dichter ist aber immer Priester, so wie der ächte Priester immer Dichter geblieben. Und sollte nicht die Zukunft den alten Zustand der Dinge wieder herbeyführen?

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[72.] Schriften sind Gedanken des Staats, die Archive sein Gedächtniß. [73.] Je mehr sich unsere Sinne verfeinern, desto fähiger werden sie zur Unterscheidung der Individuen. Der höchste Sinn wäre die höchste Empfänglichkeit für eigenthümliche Natur. Ihm entspräche das Talent der Fixirung des Individuums, dessen Fertigkeit und Energie relativ ist. Wenn der Wille sich in Beziehung auf diesen Sinn äußert, so entstehn die Leidenschaften für oder gegen Individualitäten: Liebe und Haß. Die Meisterschaft im Spiel seiner eignen Rolle verdankt man der Richtung dieses Sinns auf sich selbst bey herrschender Vernunft.

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[74.] Nichts ist zur wahren Religiosität unentbehrlicher als ein Mittelglied, das uns mit der Gottheit verbindet. Unmittelbar kann der Mensch schlechterdings nicht mit derselben in Verhältniß stehn. In der Wahl dieses Mittelglieds muß der Mensch durchaus frey seyn. Der mindeste Zwang hierin schadet seiner Religion. Die Wahl ist karakteristisch, und es werden mithin die gebildeten Menschen ziemlich gleiche Mittelglieder wählen, dahingegen der Ungebildete gewöhnlich durch Zufall hier bestimmt werden wird. Da aber so wenig Menschen einer freyen Wahl überhaupt fähig sind, so werden manche Mittelglieder allgemeiner werden; sey es durch Zufall, durch Associazion, oder ihre besondre Schicklichkeit dazu. Auf diese Art entstehn Landesreligionen. Je selbständiger der Mensch wird, desto mehr vermindert sich die Quantität des Mittelglieds, die Qualität verfeinert sich, und seine Verhältnisse zu demselben werden mannichfaltiger und gebildeter: Fetische, Gestirne, Thiere, Helden, Götzen, Götter, Ein Gottmensch. Man sieht bald, wie relativ diese Wahlen sind, und wird unvermerkt auf die Idee getrieben, daß das Wesen der Religion wohl nicht von der Beschaffenheit des Mittlers abhange, sondern lediglich in der Ansicht desselben, in den Verhältnissen zu ihm bestehe. Es ist ein Götzendienst im weitern Sinn, wenn ich diesen Mittler in der That für Gott selbst ansehe. Es ist Irreligion, wenn ich gar keinen Mittler annehme; und in so fern ist Aberglaube und Götzendienst, und Unglaube oder Theismus, den man auch ältern Judaism nennen kann, beydes Irreligion. Hingegen ist Atheism nur Negazion aller Religion überhaupt, und hat also gar nichts mit der Religion zu schaffen. Wahre Religion ist, die jenen Mittler als Mittler annimmt, ihn gleichsam für das Organ der Gottheit hält, für ihre sinnliche Erscheinung. In dieser Hinsicht erhielten die Juden zur Zeit der Babylonischen Gefangenschaft eine ächt religiöse Tendenz, eine religiöse Hoffnung, einen Glauben an eine künftige Religion, der sie auf eine wunderbare Weise von Grund aus umwandelte, und sie in der merkwürdigsten Beständigkeit bis auf unsre Zeiten erhielt. Die wahre Religion scheint aber bei einer nähern Betrachtung abermals antinomisch getheilt in Pantheismus und Monotheismus. Ich bediene mich hier einer Licenz, indem ich Pantheism nicht im gewöhnlichen Sinn nehme, sondern darunter die Idee verstehe, daß alles Organ der Gottheit, Mittler seyn könne, indem ich es dazu erhebe: so wie Monotheism im Gegentheil den Glauben bezeichnet, daß es nur Ein solches Organ in der Welt für uns gebe, das allein der Idee eines Mittlers angemessen sey, und wodurch Gott allein sich vernehmen lasse, welches ich also zu wählen durch mich selbst genöthigt werde: denn ohnedem würde der Monotheism nicht wahre Religion seyn. So unverträglich auch beyde zu seyn scheinen, so läßt sich doch ihre Vereinigung bewerkstelligen, wenn man den monotheistischen Mittler zum Mittler der Mittelwelt des Pantheism macht, und diese gleichsam durch ihn centrirt, so daß beyde einander jedoch auf verschiedene Weise nothwendig machen. Das Gebet, oder der religiöse Gedanke besteht also aus einer dreyfach aufsteigenden, untheilbaren Abstrakzion oder Setzung. Jeder Gegenstand kann dem Religiösen ein Tempel im Sinn der Auguren seyn. Der Geist dieses Tempels ist der allgegenwärtige Hohepriester, der monotheistische Mittler, welcher allein im unmittelbaren Verhältnisse mit der Gottheit steht.

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[75.] Die Basis aller ewigen Verbindung ist eine absolute Tendenz nach allen Richtungen. Darauf beruht die Macht der Hierarchie, der ächten Ma¸connerie, und des unsichtbaren Bundes ächter Denker. Hierin liegt die Möglichkeit einer Universalrepublik, welche die Römer bis zu den Kaisern zu realisiren begonnen hatten. Zuerst verließ August diese Basis, und Hadrian zerstörte sie ganz. [76.] Fast immer hat man den Anführer, den ersten Beamten des Staats, mit dem Repräsentanten des Genius der Menschheit vermengt, der zur Einheit der Gesellschaft oder des Volks gehört. Im Staat ist alles Schauhandlung, das Leben des Volks ist Schauspiel; mithin muß auch der Geist des Volks sichtbar seyn. Dieser sichtbare Geist kommt entweder, wie im tausendjährigen Reiche, ohne unser Zuthun, oder er wird einstimmig durch ein lautes oder stilles Einverständniß gewählt. Es ist eine unwidersprechliche Thatsache, daß die meisten Fürsten nicht eigentlich Fürsten, sondern gewöhnlich mehr oder minder eine Art von Repräsentanten des Genius ihrer Zeit waren, und die Regierung mehrentheils, wie billig, in subalternen Händen sich befand. Ein vollkommner Repräsentant des Genius der Menschheit dürfte leicht der ächte Priester und der Dichter ’   seyn. [77.] Unser Alltagsleben besteht aus lauter erhaltenden, immer wiederkehrenden Verrichtungen. Dieser Zirkel von Gewohnheiten ist nur Mittel zu einem Hauptmittel, unserm irdischen Daseyn überhaupt, das aus mannichfaltigen Arten zu existiren gemischt ist. Philister leben nur ein Alltagsleben. Das Hauptmittel scheint ihr einziger Zweck zu seyn. Sie thun das alles, um des irdischen Lebens willen; wie es scheint und nach ihren eignen Äußerungen scheinen muß. Poesie mischen sie nur zur Nothdurft unter, weil sie nun einmal an eine gewisse Unterbrechung ihres täglichen Laufs gewöhnt sind. In der Regel erfolgt diese Unterbrechung alle sieben Tage, und könnte ein poetisches Septanfieber heißen. Sonntags ruht die Arbeit, sie leben ein bißchen besser als gewöhnlich und dieser Sonntagsrausch endigt sich mit einem etwas tiefern Schlafe als sonst; daher auch Montags alles noch einen raschern Gang hat. Ihre parties de plaisir müssen konvenzionell, gewöhnlich, modisch seyn, aber auch ihr Vergnügen verarbeiten sie, wie alles, mühsam und förmlich. Den höchsten Grad seines poetischen Daseyns erreicht der Philister bey einer Reise, Hochzeit, Kindtaufe, und in der Kirche. Hier werden seine kühnsten Wünsche befriedigt, und oft übertroffen. Ihre sogenannte Religion wirkt blos, wie ein Opiat: reizend, betäubend, Schmerzen aus Schwäche stillend. Ihre Früh- und Abendgebete sind ihnen, wie Frühstück und Abendbrot, nothwendig. Sie können’s nicht mehr lassen. Der derbe Philister stellt sich die Freuden des Himmels unter dem Bilde einer Kirmeß, einer Hochzeit, einer Reise oder eines Balls vor: der sublimirte macht aus dem Himmel eine prächtige Kirche mit schöner Musik, vielem Gepränge, mit Stühlen für das gemeine Volk parterre, und Kapellen und Emporkirchen für die Vornehmern. Die schlechtesten unter ihnen sind die revoluzionairen Philister, wozu auch der Hefen der fortgehenden Köpfe, die habsüchtige Race gehört.

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Grober Eigennutz ist das nothwendige Resultat armseliger Beschränktheit. Die gegenwärtige Sensazion ist die lebhafteste, die höchste eines Jämmerlings. Über diese kennt er nichts höheres. Kein Wunder, daß der durch die äußern Verhältnisse par force dressirte Verstand nur der listige Sklav eines solchen stumpfen Herrn ist, und nur für dessen Lüste sinnt und sorgt. [78.] In den ersten Zeiten der Entdeckung der Urtheilskraft war jedes neue Urtheil ein Fund. Der Werth dieses Fundes stieg, je anwendbarer, je fruchtbarer dieses Urtheil war. Zu Sentenzen, die uns jetzt sehr gemein vorkommen, gehörte damals noch ein ungewöhnlicher Grad von Leben des Verstandes. Man mußte Genie und Scharfsinn aufbieten, um mittelst des neuen Werkzeugs neue Verhältnisse zu finden. Die Anwendung desselben auf die eigenthümlichsten, interessantesten und allgemeinsten Seiten der Menschheit mußte vorzügliche Bewunderung erregen und die Aufmerksamkeit aller guten Köpfe auf sich ziehn. So entstanden die gnomischen Massen, die man zu allen Zeiten und bey allen Völkern so hoch geschätzt hat. Es wäre leicht möglich, daß unsere jetzigen genialischen Entdeckungen im Laufe der Zeiten ein ähnliches Schicksal träfe. Es könnte leicht eine Zeit kommen, wo das alles so gemein wäre, wie jetzt Sittensprüche, und neue, erhabenere Entdeckungen den rastlosen Geist der Menschen beschäftigten. [79.] Ein Gesetz ist seinem Begriffe nach, wirksam. Ein unwirksames Gesetz ist kein Gesetz. Gesetz ist ein kausaler Begriff, Mischung von Kraft und Gedanken. Daher ist man sich nie eines Gesetzes, als solchen, bewußt. In so fern man an ein Gesetz denkt, ist es nur ein Satz, d.h. ein Gedanke mit einem Vermögen verbunden. Ein widerstehender, ein beharrlicher Gedanke, ist ein strebender Gedanke und vermittelt das Gesetz und den bloßen Gedanken. [80.] Eine allzugroße Dienstfertigkeit der Organe würde dem irdischen Daseyn gefährlich seyn. Der Geist in seinem jetzigen Zustande würde eine zerstörende Anwendung davon machen. Eine gewisse Schwere des Organs hindert ihn an allzuwillkührlicher Thätigkeit, und reizt ihn zu einer regelmäßigen Mitwirkung, wie sie sich für die irdische Welt schickt. Es ist unvollkommener Zustand desselben, daß ihn diese Mitwirkung so ausschließlich an diese Welt bindet. Daher ist sie ihrem Prinzip nach terminirt. [81.] Die Rechtslehre entspricht der Physiologie, die Moral der Psychologie. Die Vernunftgesetze der Rechts- und Sittenlehre in Naturgesetze verwandelt, geben die Grundsätze der Physiologie und Psychologie.

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[82.] Flucht des Gemeingeistes ist Tod.

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[83.] In den meisten Religionssystemen werden wir als Glieder der Gottheit betrachtet, die, wenn sie nicht den Impulsionen des Ganzen gehorchen wenn sie auch nicht absichtlich gegen die Gesetze des Ganzen agiren, sondern nur ihren eignen Gang gehn und nicht Glieder seyn wollen, von der Gottheit ärztlich behandelt, und entweder schmerzhaft geheilt, oder gar abgeschnitten werden. [84.] Jede spezifische Inzitazion verräth einen spezifischen Sinn. Je neuer sie ist, desto plumper, aber desto stärker; je bestimmter, je ausgebildeter, mannichfacher sie wird, desto schwächer. So erregte der erste Gedanke an Gott eine gewaltsame

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Emotion im ganzen Individuum; so ist die erste Idee von Philosophie, von Menschheit, Weltall, u.s.w. [85.] Innigste Gemeinschaft aller Kenntnisse, scientifische Republik, ist der hohe Zweck der Gelehrten. [86.] Sollte nicht die Distanz einer besondern Wissenschaft von der allgemeinen, und so der Rang der Wissenschaften untereinander, nach der Zahl ihrer Grundsätze zu rechnen seyn? Je weniger Grundsätze, desto höher die Wissenschaft.

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[87.] Man versteht das Künstliche gewöhnlich besser, als das Natürliche. Es gehört mehr Geist zum Einfachen, als zum Complizirten, aber weniger Talent. [88.] Werkzeuge armiren den Menschen. Man kann wohl sagen, der Mensch versteht eine Welt hervorzubringen, es mangelt ihm nur am gehörigen Apparat, an der verhältnißmäßigen Armatur seiner Sinneswerkzeuge. Der Anfang ist da. So liegt das Prinzip eines Kriegsschiffes in der Idee des Schiffbaumeisters, der durch Menschenhaufen und gehörige Werkzeuge und Materialien diesen Gedanken zu verkörpern vermag, indem er durch alles dieses sich gleichsam zu einer ungeheuren Maschine macht. So erforderte die Idee eines Augenblicks oft ungeheure Organe, ungeheure Massen von Materien, und der Mensch ist also, wo nicht actu, doch potentia Schöpfer. [89.] In jeder Berührung entsteht eine Substanz, deren Wirkung so lange, als die Berührung dauert. Dies ist der Grund aller synthetischen Modifikazionen des Individuums. Es giebt aber einseitige und wechselseitige Berührungen. Jene begründen diese. [90.] Je unwissender man von Natur ist, desto mehr Kapazität für das Wissen. Jede neue Erkenntniß macht einen viel tiefern, lebendigern Eindruck. Man bemerkt dieses deutlich beym Eintritt in eine Wissenschaft. Daher verliert man durch zu vieles Studiren an Kapazität. Es ist eine der ersten Unwissenheit entgegengesetzte Unwissenheit. Jene ist Unwissenheit aus Mangel, diese aus Überfluß der Erkenntnisse. Letztere pflegt die Symptome des Skeptizismus zu haben. Es ist aber ein unächter Skeptizismus, aus indirekter Schwäche unsers Erkenntnißvermögens. Man ist nicht im Stande die Masse zu durchdringen, und sie in bestimmter Gestalt vollkommen zu beleben: die plastische Kraft reicht nicht zu. So wird der Erfindungsgeist junger Köpfe und der Schwärmer, so wie der glückliche Griff des geistvollen Anfängers oder Layen leicht erklärbar. [91.] Welten bauen genügt dem tiefer dringenden Sinn nicht: Aber ein liebendes Herz sättigt den strebenden Geist. [92.] Wir stehen in Verhältnissen mit allen Theilen des Universums, so wie mit Zukunft und Vorzeit. Es hängt nur von der Richtung und Dauer unsrer Aufmerksamkeit ab, welches Verhältniß wir vorzüglich ausbilden wollen, welches für uns vorzüglich wichtig, und wirksam werden soll. Eine ächte Methodik dieses Verfahrens dürfte nichts weniger, als jene längstgewünschte Erfindungskunst seyn; es dürfte wohl mehr noch, als diese seyn. Der Mensch verfährt stündlich nach

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ihren Gesetzen und die Möglichkeit dieselben durch genialische Selbstbeobachtung zu finden ist unzweifelhaft.

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[93.] Der Geschichtschreiber organisirt historische Wesen. Die Data der Geschichte sind die Masse, der der Geschichtschreiber Form giebt, durch Belebung. Mithin steht auch die Geschichte unter den Grundsätzen der Belebung und Organisazion überhaupt, und bevor nicht diese Grundsätze da sind, giebt es auch keine ächten historischen Kunstgebilde, sondern nichts als hie und da Spuren zufälliger Belebungen, wo unwillkührliches Genie gewaltet hat. [94.] Beynah alles Genie war bisher einseitig, Resultat einer krankhaften Konstituzion. Die eine Klasse hatte zu viel äußern, die andere zu viel innern Sinn. Selten gelang der Natur ein Gleichgewicht zwischen beiden, eine vollendete genialische Konstituzion. Durch Zufälle entstand oft eine vollkommene Proporzion, aber nie konnte diese von Dauer seyn, weil sie nicht durch den Geist aufgefaßt und fixirt ward: es blieb bey glücklichen Augenblicken. Das erste Genie, das sich selbst durchdrang, fand hier den typischen Keim einer unermeßlichen Welt; es machte eine Entdeckung, die die merkwürdigste in der Weltgeschichte seyn mußte, denn es beginnt damit eine ganz neue Epoche der Menschheit, und auf dieser Stufe wird erst wahre Geschichte aller Art möglich: denn der Weg, der bisher zurückgelegt wurde, macht nun ein eignes, durchaus erklärbares Ganzes aus. Jene Stelle außer der Welt ist gegeben, und Archimedes kann nun sein Versprechen erfüllen. [95.] Vor der Abstrakzion ist alles eins, aber eins wie Chaos; nach der Abstrakzion ist wieder alles vereinigt, aber diese Vereinigung ist eine freye Verbindung selbständiger, selbstbestimmter Wesen. Aus einem Haufen ist eine Gesellschaft geworden, das Chaos ist in eine mannichfaltige Welt verwandelt. [96.] Wenn die Welt gleichsam ein Niederschlag aus der Menschennatur ist, so ist die Götterwelt eine Sublimazion derselben. Beyde geschehen uno actu. Keine Präzipitazion ohne Sublimazion. Was dort an Agilität verloren geht, wird hier gewonnen.

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[97.] Wo Kinder sind, da ist ein goldnes Zeitalter. [98.] Sicherheit vor sich selbst und den unsichtbaren Mächten, war die Basis der bisherigen geistlichen Staaten.

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[99.] Der Gang der Approximazion ist aus zunehmenden Progressen und Regressen zusammengesetzt. Beide retardiren, beyde beschleunigen, beyde führen zum Ziel. So scheint sich im Roman der Dichter bald dem Spiel zu nähern, bald wieder zu entfernen, und nie ist es näher, als wenn es am entferntesten zu seyn scheint. [100.] Ein Verbrecher kann sich über Unrecht nicht beklagen, wenn man ihn hart und unmenschlich behandelt. Sein Verbrechen war ein Eintritt ins Reich der Gewalt, der Tyranney. Maß und Proporzion giebt es nicht in dieser Welt, daher darf ihn die Unverhältnißmäßigkeit der Gegenwirkung nicht befremden. [101.] Die Fabellehre enthält die Geschichte der urbildlichen Welt, sie begreift Vorzeit, Gegenwart und Zukunft.

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[102.] Wenn der Geist heiligt, so ist jedes ächte Buch Bibel. Aber nur selten wird ein Buch um des Buchs willen geschrieben, und wenn Geist gleich edlem Metall ist, so sind die meisten Bücher Ephraimiten. Freylich muß jedes nützliche Buch wenigstens stark legirt seyn. Rein ist das edle Metall in Handel und Wandel nicht zu gebrauchen. Vielen wahren Büchern geht es wie den Goldklumpen in Irland. Sie dienen lange Jahre nur als Gewichte. [103.] Manche Bücher sind länger als sie scheinen. Sie haben in der That kein Ende. Die Langeweile die sie erregen, ist wahrhaft absolut und unendlich. Musterhafte Beyspiele dieser Art haben die Herren Heydenreich, Jacob, Abicht und Pölitz aufgestellt. Hier ist ein Stock, den jeder mit seinen Bekannten der Art vergrößern kann.

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[104.] Es sind viele antirevoluzionäre Bücher für die Revoluzion geschrieben worden. Burke hat aber ein revoluzionäres Buch gegen die Revoluzion geschrieben. [105.] Die meisten Beobachter der Revoluzion, besonders die Klugen und Vornehmen, haben sie für eine lebensgefährliche und ansteckende Krankheit erklärt. Sie sind bey den Symptomen stehn geblieben und haben diese auf eine mannichfaltige Weise unter einander geworfen und ausgelegt. Manche haben es für ein bloß lokales Übel gehalten. Die genievollsten Gegner drangen auf Kastrazion. Sie merkten wohl, daß diese angebliche Krankheit nichts als Krise der eintretenden Pubertät sey. [106.] Wie wünschenswerth ist es nicht, Zeitgenoß eines wahrhaft großen Mannes zu seyn! Die jetzige Majorität der kultivirten Deutschen ist dieser Meynung nicht. Sie ist fein genug, um alles Große wegzuläugnen, und befolgt das Planirungssystem. Wenn das Kopernikanische System nur nicht so fest stände, so würde es ihnen sehr bequem seyn, Sonne und Gestirn wieder zu Irwischen und die Erde zum Universum zu machen. Daher wird Goethe, der jetzt der wahre Statthalter des poetischen Geistes auf Erden ist, so gemein als möglich behandelt und schnöde angesehn, wenn er die Erwartungen des gewöhnlichen Zeitvertreibs nicht befriedigt, und sie einen Augenblick in Verlegenheit gegen sich selbst setzt. Ein interessantes Symptom dieser direkten Schwäche der Seele ist die Aufnahme, welche Herrmann und Dorothea im Allgemeinen gefunden hat.

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[107.] Die Geognosten glauben, daß der physische Schwerpunkt unter Fetz und Marocco liege. Goethe als Anthropognost meynt im Meister, der intellektuelle Schwerpunkt liege unter der Deutschen Nazion. [108.] Menschen zu beschreiben ist deswegen bis jetzt unmöglich gewesen, weil man nicht gewußt hat, was ein Mensch ist. Wenn man erst wissen wird, was ein Mensch ist, so wird man auch Individuen wahrhaft genetisch beschreiben können. [109.] Nichts ist poetischer, als Erinnerung und Ahndung oder Vorstellung der Zukunft. Die Vorstellungen der Vorzeit ziehn uns zum Sterben, zum Verfliegen an. Die Vorstellungen der Zukunft treiben uns zum Beleben, zum Verkörpern, zur assimilirenden Wirksamkeit. Daher ist alle Erinnerung wehmüthig, alle Ahndung freudig. Jene mäßigt die allzugroße Lebhaftigkeit, diese erhebt ein zu schwaches Leben. Die gewöhnliche Gegenwart verknüpft Vergangenheit und Zukunft durch

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Beschränkung. Es entsteht Kontiguität, durch Erstarrung Krystallisazion. Es giebt aber eine geistige Gegenwart, die beyde durch Auflösung identifizirt, und diese Mischung ist das Element, die Atmosphäre des Dichters. 5

[110.] Die Menschenwelt ist das gemeinschaftliche Organ der Götter. Poesie vereinigt sie, wie uns.

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[111.] Schlechthin ruhig erscheint, was in Rücksicht der Außenwelt schlechthin unbeweglich ist. So mannichfach es sich auch verändern mag, so bleibt es doch in Beziehung auf die Außenwelt immer in Ruhe. Dieser Satz bezieht sich auf alle Selbstmodifikazionen. Daher erscheint das Schöne so ruhig. Alles Schöne ist ein selbsterleuchtetes, vollendetes Individuum.

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[112.] Jede Menschengestalt belebt einen individuellen Keim im Betrachtenden. Dadurch wird diese Anschauung unendlich, sie ist mit dem Gefühl einer unerschöpflichen Kraft verbunden, und darum so absolut belebend. Indem wir uns selbst betrachten, beleben wir uns selbst. Ohne diese sichtbare und fühlbare Unsterblichkeit würden wir nicht wahrhaft denken können. Diese wahrnehmbare Unzulänglichkeit des irdischen Körpergebildes zum Ausdruck und Organ des inwohnenden Geistes, ist der unbestimmte, treibende Gedanke, der die Basis aller ächten Gedanken wird, der Anlaß zur Evoluzion der Intelligenz, dasjenige, was uns zur Annahme einer intelligiblen Welt und einer unendlichen Reihe von Ausdrücken und Organen jedes Geistes, deren Exponent oder Wurzel seine Individualität ist, nöthigt. [113.] Je bornirter ein System ist, desto mehr wird es den Weltklugen gefallen. So hat das System der Materialisten, die Lehre des Helvetius und auch Locke den meisten Beyfall unter dieser Klasse enthalten. So wird Kant jetzt noch immer mehr Anhänger als Fichte finden. [114.] Die Kunst Bücher zu schreiben ist noch nicht erfunden. Sie ist aber auf dem Punkt erfunden zu werden. Fragmente dieser Art sind litterarische Sämereyen. Es mag freylich manches taube Körnchen darunter seyn: indessen, wenn nur einiges aufgeht! *

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Blumen An den König Mehr, als ein Königreich gab der Himmel Dir in Louisen, Aber Du brachtest Ihr auch mehr, als die Krone, Dein Herz.

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Die Alpenrose Selten haftet auf Höhn ein Funken himmlischen Lebens, Aber, als Königin, blüht, dann auch die Rose des Bergs. Der König Nur wer mehr, als König schon ist, kann königlich herrschen, Also soll König seyn, welcher die Herrlichste liebt.

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Das irrdische Paradies Wo die Geliebten sind, da schmückt sich bräutlich die Erde, Aber den Frevler verzehrt schneller die himmlische Luft. Es ist an der Zeit Glänzend steht nun die Brücke, der mächtige Schatten erinnert Nur an die Zeit noch, es ruht ewig der Tempel nun hier, Götzen von Stein und Metall mit furchtbaren Zeichen der Willkühr Sind gestürzt und wir sehn dort nur ein liebendes Paar – An der Umarmung erkennt ein jeder die alten Dynasten, Kennt den Steuermann, kennt wieder die glückliche Zeit. Das Ende des Haders Lange währte der Zwist, es konnte keiner ihn schlichten; Mancher schöne Krystell brach in dem feindlichen Stoß. Nur die Liebe besitzt den Talismann ewigen Friedens – Da nur, wo sie erscheint, fließen die Massen in Eins. Der sterbende Genius Willkommen, Lieber, nun und nicht wieder ruft Dich meine Stimme; nah ist der Abschied mir. Gefunden hab ich was ich suchte Und der Bezauberung Bande schmelzen. Das schöne Wesen – siehst du die Königinn – Hebt Bann und Zauber; lange vergebens flog Um jeden Thron ich, aber endlich Winkte durch Sie mir die alte Heymath.

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Schon lodert mächtig jene geheime Glut – Mein altes Wesen – tief in dem irrdischen Gebilde: Du sollst Opferpriester Seyn, und das Lied der Zurückkehr singen. 5

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Nimm diese Zweige, decke mit ihnen mich, Nach Osten singe dann das erhabne Lied, Bis auf die Sonne geht und zündet Und mir die Thore der Urwelt öffnet. Der Duft des Schleyers, der mich vor dem umgab, Sinkt dann vergoldet über die Ebenen, Und wer ihn athmet, schwört begeistert Ewige Liebe der schönen Fürstinn. Land Jenes himmlische Paar schwimmt hoch auf der Flut, wie die Taube Und der Ölzweig; es bringt Hoffnung des Landes, wie dort. Novalis

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Vorrede 1.

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[1.] Wenn man mit Wenigen, in einer großen, gemischten Gesellschaft etwas heimliches reden will, und man sitzt nicht neben einander, so muß man in einer besondern Sprache reden. Diese besondre Sprache kann entweder eine dem Ton nach, oder den Bildern nach fremde Sprache seyn. Dies letztere wird eine Tropen und Räthselsprache seyn. 2.

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[2.] Viele haben gemeynt, man solle von zarten, mißbrauchbaren Gegenständen, eine gelehrte Sprache führen, z.B. lateinisch von Dingen der Art schreiben. Es käme auf einen Versuch an, ob man nicht in der gewöhnlichen Landessprache so sprechen könnte, daß es nur der verstehn könnte, der es verstehn sollte. Jedes wahre Geheimniß muß die Profanen von selbst ausschließen. Wer es versteht ist von selbst, mit Recht, Eingeweihter. 3.

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[3.] Der mystische Ausdruck ist ein Gedankenreiz mehr. Alle Wahrheit ist uralt. Der Reiz der Neuheit liegt nur in den Variationen des Ausdrucks. Je contrastirender die Erscheinung, desto größer die Freude des Wiedererkennens.

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4. [4.] Was man liebt, findet man überall, und sieht überall Ähnlichkeiten. Je größer die Liebe, desto weiter und mannichfaltiger diese ähnliche Welt. Meine Geliebte ist die Abbreviatur des Universums, das Universum die Elongatur meiner Geliebten. Dem Freunde der Wissenschaften bieten sie alle, Blumen und Souvenirs, für seine Geliebte.

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5. [5.] Aber woher die ernsten, mystisch-politischen Philosopheme? Ein Begeisterter äußert sein höheres Leben in allen seinen Functionen; also philosophirt er auch, und zwar lebhafter als gewöhnlich, poetischer. Auch dieser tiefe Ton gehört in die Symphonie seiner Kräfte, und Organe. Gewinnt aber nicht das Allgemeine durch individuelle, das Individuelle durch allgemeine Beziehungen?

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6. [6.] Laßt die Libellen ziehn; unschuldige Fremdlinge sind es Folgen dem Doppelgestirn froh, mit Geschenken, hieher.

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–––––– [7.] Ein blühendes Land ist doch wohl ein königlicheres Kunstwerk, als ein Park. Ein geschmackvoller Park ist eine englische Erfindung. Ein Land das Herz und Geist befriedigt, dürfte eine deutsche Erfindung werden; und der Erfinder wäre doch wohl der König aller Erfinder. [8.] Der Beste unter den ehemaligen französischen Monarchen hatte sich vorgesetzt, seine Unterthanen so wohlhabend zu machen, daß jeder alle Sonntage ein Huhn mit Reiß auf seinen Tisch bringen könnte. Würde nicht die Regierung aber vorzuziehn seyn, unter welcher der Bauer lieber ein Stück verschimmelt Brod äße, als Braten in einer andern, und Gott für das Glück herzlich dankte, in diesem Lande geboren zu seyn? [9.] Wenn ich morgen Fürst würde, so bät ich zuerst den König um einen Eudiometer, wie den Seinigen. Kein Instrument ist einem Fürsten nöthiger. Auch würde ich, wie er, die Lebensluft für meinen Staat mehr aus blühenden Pflanzungen, als aus Salpeter zu ziehen suchen.

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[10.] Gold und Silber sind das Blut des Staats. Häufungen des Bluts am Herzen und im Kopfe verrathen Schwäche in beiden. Je stärker das Herz ist, desto lebhafter und freigebiger treibt es das Blut nach den äußern Theilen. Warm und belebt ist jedes Glied, und rasch und mächtig strömt das Blut nach dem Herzen zurück. [11.] Ein einstürzender Thron ist, wie ein fallender Berg, der die Ebene zerschmettert und da ein todtes Meer hinterläßt, wo sonst ein fruchtbares Land und lustige Wohnstätte war. [12.] Macht nur die Berge gleich, das Meer wird es euch Dank wissen. Das Meer ist das Element von Freiheit und Gleichheit. Indeß warnt es, auf Lager von Schwefelkies zu treten; sonst ist der Vulkan da und mit ihm der Keim eines neuen Continents.

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[13.] Die mephitischen Dünste der moralischen Welt verhalten sich anders, wie ihre Namensvettern in der Natur. Jene steigen gern in die Höhe, da diese am Boden hängen bleiben. Für die Höhenbewohner ist kein besseres Mittel dagegen, als Blumen und Sonnenschein. Beides hat sich nur selten auf Höhen zusammen getroffen. Auf einer der höchsten moralischen Erdhöhen, kann man aber jetzt die reinste Luft genießen und eine Lilie an der Sonne sehn. [14.] Es war kein Wunder, wenn die Bergspitzen meistentheils nur auf die Thäler herabdonnerten und die Fluren verwüsteten. Böse Wolken zogen sich meist um sie her, und verbargen ihnen ihre Abkunft vom Lande; dann erschien ihnen die Ebene nur wie ein dunkler Abgrund, über welchen sie die Wolken zu tragen schienen, oder wie ein empörtes Meer, da doch nichts eigentlich gegen sie empört war, und sie allmählig abstumpfte und herunterwusch, als die anhänglich scheinenden Wolken. [15.] Ein wahrhaftes Königspaar ist für den ganzen Menschen, was eine Constitution für den bloßen Verstand ist. Man kann sich für eine Constitution nur, wie für einen Buchstaben interessiren. Ist das Zeichen nicht ein schönes Bild, oder ein Gesang, so ist Anhänglichkeit an Zeichen, die verkehrteste aller Neigungen. – Was ist ein Gesetz, wenn es nicht Ausdruck des Willens einer geliebten, achtungswehrten Person ist? Bedarf der mystische Souverain nicht, wie jede Idee, eines Symbols, und welches Symbol ist würdiger und passender, als ein liebenswürdiger treflicher Mensch? Die Kürze des Ausdrucks ist doch wohl etwas werth, und ist nicht ein Mensch ein kürzerer, schönerer Ausdruck eines Geistes als ein Collegium? Wer recht viel Geist hat, den hemmen Schranken und Unterschiede nicht; sie reizen ihn vielmehr. Nur der Geistlose fühlt Last und Hemmung. Übrigens ist auch ein geborner König besser, als ein gemachter. Der beste Mensch wird eine solche Erhebung nicht ohne Alteration ertragen können. Wer so geboren ist, dem schwindelt nicht, den überreizt auch eine solche Lage nicht. Und ist denn am Ende nicht die Geburt die primitive Wahl? Die müssen sich nicht lebendig in sich gefühlt haben die die Freiheit dieser Wahl, die Einmüthigkeit bey derselben bezweifeln. Wer hier mit seinen historischen Erfahrungen angezogen kömmt, weiß gar nicht, wovon ich rede, und auf welchem Standpunct ich rede; dem sprech ich arabisch, und er thut am besten, seines Wegs zu gehn und sich nicht unter Zuhörer zu mischen, deren Idiom und Landesart ihm durchaus fremd ist. [16.] Meinethalben mag jetzt der Buchstabe an der Zeit seyn. Es ist kein großes Lob für die Zeit, daß sie so weit von der Natur entfernt, so sinnlos für Familienleben, so abgeneigt der schönsten poetischen Gesellschaftsform ist. Wie würden unsre Kosmopoliten erstaunen, wenn ihnen die Zeit des ewigen Friedens erschiene und sie die höchste gebildetste Menschheit in monarchischer Form erblickten? Zerstäubt wird dann der papierne Kitt seyn, der jetzt die Menschen zusammenkleistert, und der Geist wird die Gespenster, die statt seiner in Buchstaben erschienen und von Federn und Pressen zerstückelt ausgingen, verscheuchen, und alle Menschen wie ein paar Liebende zusammen schmelzen. [17.] Der König ist das gediegene Lebensprinzip des Staats; ganz dasselbe, was die Sonne im Planetensystem ist. Zunächst um das Lebensprinzip her, erzeugt

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sich mithin das höchste Leben im Staate, die Lichtatmosphäre. Mehr oder weniger vererzt ist es in jedem Staatsbürger. Die Äußerungen des Staatsbürgers in der Nähe des Königs werden daher glänzend, und so poetisch als möglich, oder Ausdruck der höchsten Belebung seyn. Da nun in der höchsten Belebung der Geist zugleich am wirksamsten ist, die Wirkungen des Geistes Reflexionen sind, die Reflexion aber, ihrem Wesen nach, bildend ist, mit der höchsten Belebung also die schöne, oder vollkommene Reflexion verknüpft ist, so wird auch der Ausdruck des Staatsbürgers in der Nähe des Königs, Ausdruck der höchsten, zurückgehaltenen Kraftfülle, Ausdruck der lebhaftesten Regungen, beherrscht durch die achtungsvollste Besonnenheit, ein unter Regeln zu bringendes Betragen seyn. Ohne Etiquette kann kein Hof bestehn. Es giebt aber eine natürliche Etiquette, die schöne, und eine erkünstelte, modische, die häßliche. Herstellung der erstern wird also keine unwichtige Sorge des denkenden Königs seyn, da sie einen bedeutenden Einfluß auf den Geschmack und die Liebe für die monarchische Form hat.

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[18.] Jeder Staatsbürger ist Staatsbeamter. Seine Einkünfte hat er nur, als solcher. Man hat sehr unrecht, den König den ersten Beamten des Staats zu nennen. Der König ist kein Staatsbürger, mithin auch kein Staatsbeamter. Das ist eben das Unterscheidende der Monarchie, daß sie auf den Glauben an einen höhergebornen Menschen, auf der freiwilligen Annahme eines Idealmenschen, beruht. Unter meines Gleichen kann ich mir keinen Obern wählen; auf Einen, der mit mir in der gleichen Frage befangen ist, nichts übertragen. Die Monarchie ist deswegen ächtes System, weil sie an einen absoluten Mittelpunct geknüpft ist; an ein Wesen, was zur Menschheit, aber nicht zum Staate gehört. Der König ist ein zum irdischen Fatum erhobener Mensch. Diese Dichtung drängt sich dem Menschen nothwendig auf. Sie befriedigt allein eine höhere Sehnsucht seiner Natur. Alle Menschen sollen thronfähig werden. Das Erziehungsmittel zu diesem fernen Ziel ist ein König. Er assimilirt sich allmählich die Masse seiner Unterthanen. Jeder ist entsprossen aus einem uralten Königsstamm. Aber wie wenige tragen noch das Gepräge dieser Abkunft?

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[19.] Ein großer Fehler unserer Staaten ist es, daß man den Staat zu wenig sieht. Überall sollte der Staat sichtbar, jeder Mensch, als Bürger characterisirt seyn. Ließen sich nicht Abzeichen und Uniformen durchaus einführen? Wer so etwas für geringfügig hält, kennt eine wesentliche Eigenthümlichkeit unsrer Natur nicht.

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[20.] Ein Regent kann für die Erhaltung seines Staats in den jetzigen Zeiten gewiß nicht zweckmäßiger sorgen, als wenn er ihn vielmöglichst zu individualisiren sucht.

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[21.] Die alte Hypothese, daß die Cometen die Revolutionsfackeln des Weltsystems wären, gilt gewiß für eine andre Art von Cometen, die periodisch das geistige Weltsystem revolutioniren und verjüngen. Der geistige Astronom bemerkt längst den Einfluß eines solchen Cometen auf einen beträchtlichen Theil des geistigen Planeten, den wir die Menschheit nennen. Mächtige Überschwemmungen, Veränderungen der Klimate, Schwankungen des Schwerpunkts, allgemeine Tendenz zum Zerfließen, sonderbare Meteore sind die Symptome dieser

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heftigen Incitation, deren Folge den Inhalt eines neuen Weltalters ausmachen wird. So nöthig es vielleicht ist, daß in gewissen Perioden alles in Fluß gebracht wird, um neue nothwendige Mischungen hervorzubringen, und eine neue, reinere Krystallisation zu veranlassen, so unentbehrlich ist es jedoch ebenfalls diese Krisis zu mildern und die totale Zerfließung zu behindern, damit ein Stock übrig bleibe, ein Kern, an den die neue Masse anschieße, und in neuen schönen Formen sich um ihn her bilde. Das Feste ziehe sich also immer fester zusammen, damit der überflüssige Wärmestoff vermindert werde, und man spare kein Mittel um das Zerweichen der Knochen, das Zerlaufen der typischen Faser zu verhindern. Würde es nicht Unsinn seyn eine Krisis permanent zu machen, und zu glauben, der Fieberzustand sey der ächte, gesunde Zustand, an dessen Erhaltung dem Menschen alles gelegen seyn mußte? Wer möchte übrigens an seiner Nothwendigkeit, an seiner wohlthätigen Wirksamkeit zweifeln. [22.] Es wird eine Zeit kommen und das bald, wo man allgemein überzeugt seyn wird, daß kein König ohne Republik, und keine Republik ohne König bestehn könne, daß beide so untheilbar sind, wie Körper und Seele, und daß ein König ohne Republik, und eine Republik ohne König, nur Worte ohne Bedeutung sind. Daher entstand mit einer ächten Republik immer ein König zugleich, und mit einem ächten König eine Republik zugleich. Der ächte König wird Republik, die ächte Republik König seyn. [23.] Diejenigen, die in unsern Tagen gegen Fürsten, als solche, declamiren, und nirgends Heil statuiren, als in der neuen, französischen Manier, auch die Republik nur unter der representativen Form erkennen, und apodiktisch behaupten, daß nur da Republik sey, wo es Primair- und Wahlversammlungen, Direktorium und Räthe, Munizipalitäten und Freiheitsbäume gäbe, die sind armselige Philister, leer an Geist und arm an Herzen, Buchstäbler, die ihre Seichtigkeit und innerliche Blöße hinter den bunten Fahnen der triumphirenden Mode, unter der imposanten Maske des Kosmopolitismus zu verstecken suchen, und die Gegner, wie die Obscuranten verdienen, damit der Frosch- und Mäusekrieg vollkommen versinnlicht werde. [24.] Wird nicht der König schon durch das innige Gefühl Ihres Werths zum König?

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[25.] Was bey andern Fürsten der erste Tag war, wird hier der Lebenstag des Königs sein. Die Regierungszeit der Meisten ist nur der erste Tag. Der erste Tag ist das Leben dieser Ephemeren. Dann sterben sie, und mit ihren Reliquien wird nun mannichfacher Mißbrauch getrieben. So sind die meisten sogenannten Regierungen Interregna; die Fürsten nur das rothe, heilige Wachs, welches die Befehle sanctionirt. [26.] Was sind Orden? Irwische, oder Sternschnuppen. Ein Ordensband sollte eine Milchstraße sein, gewöhnlich ist es nur ein Regenbogen, eine Einfassung des Ungewitters. Ein Brief, ein Bild der Königin; das wären Orden, Auszeichnungen der höchsten Art; Auszeichnungen, die zu den ausgezeichnetsten Thaten entzündeten. Auch verdienstvolle Hausfrauen sollten ähnliche Ehrenzeichen bekommen.

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[27.] Die Königin hat zwar keinen politischen, aber einen häuslichen Wirkungskreis im Großen. Vorzüglich kommt ihr die Erziehung ihres Geschlechts, die Aufsicht über die Kinder des ersten Alters, über die Sitten im Hause, die Verpflegung der Hausarmen und Kranken, besonders der von ihrem Geschlechte, die geschmackvolle Verzierung des Hauses, die Anordnung der Familienfeste, und die Einrichtung des Hoflebens von rechtswegen zu. Sie sollte ihre eigne Kanzlei haben, und ihr Mann wäre ihr erster Minister, mit dem sie alles überlegte. Zur Erziehung ihres Geschlechts würde Abschaffung der ausdrücklichen Anstalten seiner Corruption gehören. Sollte der Königin nicht beim Eintritt in eine Stadt schaudern, wo die tiefste Herabwürdigung ihres Geschlechts ein öffentliches Gewerbe ist? Die härtesten Strafen würden für diese ächten Seelenverkäufer nicht zu hart sein. Ein Mord ist weit schuldloser. Die gepriesene Sicherheit, die dadurch beabsichtigt wird, ist eine sonderbare Begünstigung der Brutalität. So wenig sich die Regierung in Privatangelegenheiten mischen dürfte, so sollte sie doch jede Beschwerde, jedes öffentliche Skandal, jede Anzeige, oder Klage eines entehrten Gegenstandes auf das strengste untersuchen. Wem steht das Schutzrecht des beleidigten Geschlechts mehr zu, als der Königin? Sie muß für den Aufenthalt in einer Stadt erröthen, die Asyle und Bildungsinstitute der Verworfenheit in sich befaßt. Ihr Beispiel wird übrigens unendlich viel wirken. Die glücklichen Ehen werden immer häufiger und die Häuslichkeit mehr, als Mode werden. Sie wird zugleich ächtes Muster des weiblichen Anzugs sein. Der Anzug ist gewiß ein sehr richtiger Ethometer. Er hat leider in Berlin immer auf einem sehr niedrigen Punkte gestanden, oft unter Null. Was könnte nicht die Gesellschaft der Königin auf die jungen Weiber und Mädchen in Berlin würken? Es wäre an sich schon eine ehrenvolle Distinktion und würde die öffentliche Meinung nothwendig wieder sittlich stimmen; und am Ende ist doch die öffentliche Meinung das kräftigste Restaurations- und Bildungsmittel der Sitten. [28.] Von der öffentlichen Gesinnung hängt das Betragen des Staats ab. Veredlung dieser Gesinnung ist die einzige Basis der ächten Staatsreform. Der König und die Königin können und müssen als solche das Prinzip der öffentlichen Gesinnung sein. Dort giebt es keine Monarchie mehr wo der König und die Intelligenz des Staats nicht mehr identisch sind. Daher war der König von Frankreich schon lange vor der Revolution dethronisirt, und so die meisten Fürsten Europas. Es würde ein sehr gefährliches Symptom des Neupreußischen Staats sein, wenn man zu stumpf für die wohlthätigen Einflüsse des Königs und der Königin wäre, wenn es in der That an Sinn für dieses klassische Menschenpaar gebräche. Das muß sich in Kurzem offenbaren. Wirken diese Genien nichts, so ist die vollkommene Auflösung der modernen Welt gewiß, und die himmlische Erscheinung ist nichts, als das Aufblitzen der verfliegenden Lebenskraft, die Sphärenmusik eines Sterbenden, die sichtbare Ahndung einer bessern Welt, die edlern Generationen bevorsteht. [29.] Der Hof ist eigentlich das große Muster einer Haushaltung. Nach ihm bilden sich die großen Haushaltungen des Staats, nach diesen die kleinern, und so herunter. Wie mächtig könnte nicht eine Hofreform wirken! Der König soll nicht

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frugal, wie ein Landmann, oder ein begüterter Privatmann seyn; aber es giebt auch eine königliche Frugalität, und diese scheint der König zu kennen. Der Hof soll das klassische Privatleben im Großen sein. Die Hausfrau ist die Feder des Hauswesens. So die Königin, die Feder des Hofs. Der Mann fournirt, die Frau ordnet und richtet ein. Ein frivoles Hauswesen ist meistentheils die Schuld der Frau. Daß die Königin durchaus antifrivole ist, weiß jedermann. Daher begreife ich nicht, wie sie das Hofleben, wie es ist, ertragen kann. Auch ihrem Geschmack, der so innig eins mit ihrem Herzen ist, muß die fade Monotonie desselben unerträglich auffallen. Das Schauspiel und Conzert, und hin und wieder die Zimmerverzierungen ausgenommen, trifft man fast keine Spur von Geschmack im gewöhnlichen europäischen Hofleben, und auch jene Ausnahmen, wie oft sind sie geschmacklos, wie oft werden sie nicht geschmacklos genossen. Wie äußerst mannigfaltig könnte es aber seyn? Ein geistvoller Maitre des Plaisirs könnte, geleitet vom Geschmack der Königin, aus dem Hofe ein irdisches Paradies machen, könnte das einfache Thema des Lebensgenusses durch unerschöpfliche Variationen führen, und uns so die Gegenstände der allgemeinen Anbetung in einer immer neuen, immer reizenden Umgebung erblicken lassen. Welches Gefühl aber ist himmlischer, als das, seine Geliebten im wahrhaftesten Lebensgenusse begriffen zu wissen. [30.] Jede gebildete Frau und jede sorgfältige Mutter sollte das Bild der Königin, in ihrem oder ihrer Töchter Wohnzimmer haben. Welche schöne kräftige Erinnerung an das Urbild, das jede zu erreichen sich vorgesetzt hätte. Ähnlichkeit mit der Königin würde der Karakterzug der Neupreußischen Frauen, ihr Nationalzug. Ein liebenswürdiges Wesen unter tausendfachen Gestalten. Mit jeder Trauung ließe sich leicht eine bedeutungsvolle Huldigungszeremonie der Königin einführen; und so sollte man mit dem König und der Königin das gewöhnliche Leben veredeln, wie sonst die Alten es mit ihren Göttern thaten. Dort entstand ächte Religiosität durch diese unaufhörliche Mischung der Götterwelt in das Leben. So könnte hier durch diese beständige Verwebung des königlichen Paars in das häusliche und öffentliche Leben, ächter Patriotism entstehen. [31.] Die Gruppe von Schadow sollte die gute Gesellschaft in Berlin zu erhalten suchen, eine Loge der sittlichen Grazie stiften und sie in dem Versammlungssaale aufstellen. Diese Loge könnte eine Bildungsanstalt der jungen weiblichen Welt aus den kultivirtern Ständen seyn, und der Königsdienst wäre dann, was der Gottesdienst auf eine ähnliche Weise seyn sollte, ächte Auszeichnung und Belohnung der trefflichsten ihres Geschlechts. [32.] Sonst mußte man sich vor den Höfen, wie vor einem ansteckenden Orte, mit Weib und Kindern flüchten. An einen Hof wird man sich jetzt vor der allgemeinen Sittenverderbniß, wie auf eine glückliche Insel zurückziehen können. Um eine trefliche Frau zu finden, mußte ein behutsamer junger Mann sonst in die entlegenern Provinzen, wenigstens in die gänzlich von Stadt und Hof entfernten Familien gehn; künftig wird man, wie es nach dem ursprünglichen Begriff sein sollte, an Hof, als zum Sammelplatz des besten und schönsten gehn, und sich glücklich preisen können, eine Frau aus der Hand der Königin zu empfangen.

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[33.] Dieser König ist der Erste König von Preußen. Er setzt sich alle Tage die Krone selbst auf, und zu seiner Anerkennung bedarf es keiner Negotiationen. [34.] Der König und die Königin beschützen die Monarchie mehr, als 200,000 Mann. [35.] Nichts ist erquickender als von unsern Wünschen zu reden, wenn sie schon in Erfüllung gehn. [36.] Kein Staat ist mehr als Fabrik verwaltet worden, als Preußen, seit Friedrich Wilhelm des Ersten Tode. So nöthig vielleicht eine solche maschinistische Administration zur physischen Gesundheit, Stärkung und Gewandheit des Staats seyn mag, so geht doch der Staat, wenn er bloß auf diese Art behandelt wird, im Wesentlichen darüber zu Grunde. Das Prinzip des alten berühmten Systems ist, jeden durch Eigennutz an den Staat zu binden. Die klugen Politiker hatten das Ideal eines Staats vor sich, wo das Interesse des Staats, eigennützig, wie das Interesse der Unterthanen, so künstlich jedoch mit demselben verknüpft wäre, daß beide einander wechselseitig beförderten. An diese politische Quadratur des Zirkels ist sehr viel Mühe gewandt worden: aber der rohe Eigennutz scheint durchaus unermeßlich, antisystematisch zu sein. Er hat sich durchaus nicht beschränken lassen, was doch die Natur jeder Staatseinrichtung nothwendig erfordert. Indeß ist durch diese förmliche Aufnahme des gemeinen Egoismus, als Prinzip, ein ungeheurer Schade geschehn und der Keim der Revolution unserer Tage liegt nirgends, als hier. Mit wachsender Kultur mußten die Bedürfnisse mannichfacher werden, und der Werth der Mittel ihrer Befriedigung um so mehr steigen, je weiter die moralische Gesinnung hinter allen diesen Erfindungen des Luxus, hinter allen Raffinements des Lebensgenusses und der Bequemlichkeit zurückgeblieben war. Die Sinnlichkeit hatte zu schnell ungeheures Feld gewonnen. In eben dem Verhältnisse, als die Menschen auf dieser Seite ihre Natur ausbildeten, und sich in der vielfachsten Thätigkeit und dem behaglichsten Selbstgefühl verloren, mußte ihnen die andere Seite unscheinbar, eng und fern vorkommen. Hier meinten sie nun den rechten Weg ihrer Bestimmung eingeschlagen zu haben, hieher alle Kräfte verwenden zu müssen. So wurde grober Eigennutz zur Leidenschaft, und zugleich seine Maxime zum Resultat des höchsten Verstandes; und dies machte die Leidenschaft so gefährlich und unüberwindlich. Wie herrlich wär es, wenn der jetzige König sich wahrhaft überzeugte, daß man auf diesem Wege nur das flüchtige Glück eines Spielers machen könne, das von einer so veränderlichen Größe bestimmt wird, als die Imbecillität, und der Mangel an Routine und Finesse seiner Mitspieler. Durch Betrogenwerden lernt man Betrügen und wie bald ändert sich da nicht das Blatt, und der Meister wird Schüler seines Schülers. Ein dauerhaftes Glück macht nur der rechtliche Mann, und der rechtliche Staat. Was helfen mir alle Reichthümer, wenn sie sich bei mir nur aufhalten, um frische Pferde zu nehmen und schneller ihre Reise um die Welt zurück zu legen? Uneigennützige Liebe im Herzen und ihre Maxime im Kopf, das ist die alleinige, ewige Basis aller wahrhaften, unzertrennlichen Verbindung, und was ist die Staatsverbindung anders, als eine Ehe?

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[37.] Ein König muß, wie ein Vater, keine Vorliebe zeigen. Er sollte nicht bloß militairische Gesellschafter und Adjutanten haben. Warum nicht auch civilistische? Wenn er sich in seinen militairischen Adjutanten fähige Generale bildet, warum will er sich nicht auf ähnliche Weise fähige Präsidenten und Minister bilden? Bei ihm laufen alle Fäden der Regierung zusammen. Nur von dort aus läßt sich das ganze Triebwerk des Staats überblicken. Dort allein lernt man im Großen den Staat und sein Detail ansehn. Zu Directorialposten kann man sich nirgends so bilden, als im Kabinet, wo die Staatsweisheit des ganzen Landes sich konzentrirt, wo man jede Sache durchaus bearbeitet erhält, und von wo aus man den Gang der Geschäfte bis in seine kleinsten Adern verfolgen kann. Hier allein würde jener eingeschränkte Geist verschwinden, jener Pedantismus der Geschäftsmänner, der sie auf ihre Bemühungen einen einzigen, auf ihre Vorschläge einen infalliblen Werth legen läßt, der sie alle Dinge nach ihrem Wirkungskreise, nach ihrer Gesichtssphäre beurtheilen macht, und die höhere Instanzen oft selbst zu einseitigen ungleichen Partialschritten verleitet. Dieses kleinstädtische Wesen ist überall sichtbar und verhindert am meisten ächten Republikanismus, allgemeine Theilnahme am ganzen Staate, innige Berührung und Harmonie aller Staatsglieder. Der König sollte noch mehr militairische und civilistische Adjutanten haben. Wie jene die höchste militairische Schule im Staate, so bildeten diese die höchste praktisch-politische Akademie im Staate. Eine Stelle in beiden würde schon Auszeichnung und Anfeuerung genug seyn. Für den König würde diese abwechselnde Gesellschaft der treflichsten jungen Männer seines Landes höchst angenehm und vortheilhaft seyn. Für diese jungen Männer aber wären diese Lehrjahre das glänzendste Fest ihres Lebens, der Anlaß einer lebenslänglichen Begeisterung. Persönliche Liebe schlösse sie auf ewig an ihren Souverain, und der König hätte die schönste Gelegenheit seine Diener genau kennen zu lernen, zu wählen und persönlich zu achten und zu lieben. Die edle Simplicität des königlichen Privatlebens, das Bild dieses glücklichen, innig verbundenen Paars, würde den wohlthätigsten Einfluß auf die sittliche Bildung dieses Kerns der preußischen Jugend haben, und so würde dem König am leichtesten der angeborne Wunsch seines Herzens gewährt, der wahrhafte Reformator und Restaurator seiner Nation und seiner Zeit zu werden. [38.] Einen König sollte nichts mehr am Herzen liegen, als so vielseitig, so unterrichtet, orientirt und vorurtheilsfrey, kurz so vollständiger Mensch zu seyn, und zu bleiben, als möglich. Kein Mensch hat mehr Mittel in Händen sich auf eine leichte Art diesen höchsten Styl der Menschheit zu eigen zu machen, als ein König. Durch Umgang und Fortlernen kann er sich immer jung erhalten. Ein alter König macht einen Staat so grämlich, als er selbst ist. Wie bequem könnte sich der König nicht die Bekanntschaft mit den wissenschaftlichen Fortschritten der Menschheit machen. Er hat schon gelehrte Academien. Wenn er sich nun von diesen vollständige, genaue und präzise Berichte über den vormaligen und gegenwärtigen Zustand der Litteratur überhaupt – terminliche Berichte über die wissenswürdigsten Vorfälle in allem, was den Menschen, als solchen, interessirt – Auszüge aus den vorzüglichsten Büchern, und Bemerkungen über dieselben,

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Hinweisungen auf diejenigen Produkte der schönen Kunst, die eigne Betrachtung und Genießung verdienten, endlich Vorschläge zur Beförderung wissenschaftlicher Kultur der Unterthanen, zur Aufnahme und Unterstützung hoffnungsvoller bedeutender Unternehmungen, und armer vielversprechender Gelehrten, und zur Ausfüllung scientifischer Lücken und Entwicklung neuer litterarischer Keime, erforderte, und allenfalls Correlationen veranstaltete, so würde dies ihn in Stand setzen seinen Staat unter andern Staaten, seine Nation in der Menschheit und sich selbst im Großen zu übersehen, und hier in der That sich zu einem königlichen Menschen zu bilden. Der Mühe einer ungeheuren Lektüre überhoben, genösse er die Früchte der europäischen Studien im Extracte, und würde in kurzem durch fleißiges Überdenken dieses geläuterten und inspissirten Stoffs neue mächtige Kräfte seines Geistes hervorgebrochen, und sich in einem reinern Elemente, auf der Höhe des Zeitalters erblicken. Wie divinatorisch würde sein Blick, wie geschärft sein Urtheil, wie erhaben seine Gesinnung werden! [39.] Ein wahrhafter Fürst ist der Künstler der Künstler; das ist, der Director der Künstler. Jeder Mensch sollte Künstler seyn. Alles kann zur schönen Kunst werden. Der Stoff des Fürsten sind die Künstler; sein Wille ist sein Meißel: er erzieht, stellt und weist die Künstler an, weil nur er das Bild im Ganzen aus dem rechten Standpunkte übersieht, weil ihm nur die große Idee, die durch vereinigte Kräfte und Ideen dargestellt, exekutirt werden soll, vollkommen gegenwärtig ist. Der Regent führt ein unendlich mannichfaches Schauspiel auf, wo Bühne und Parterre, Schauspieler und Zuschauer Eins sind, und er selbst Poet, Director und Held des Stücks zugleich ist. Wie entzückend, wenn wie bey dem König, die Directrice zugleich die Geliebte des Helden, die Heldin des Stücks ist, wenn man selbst die Muse in ihr erblickt, die den Poeten mit heiliger Glut erfüllt, und zu sanften, himmlischen Weisen sein Saitenspiel stimmt.

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[40.] In unsern Zeiten haben sich wahre Wunder der Transsubstantiation ereignet. Verwandelt sich nicht ein Hof in eine Familie, ein Thron in ein Heiligthum, eine königliche Vermählung in einen ewigen Herzensbund? [41.] Wenn die Taube, Gesellschafterin und Liebling des Adlers wird, so ist die goldne Zeit in der Nähe oder gar schon da, wenn auch noch nicht öffentlich anerkannt und allgemein verbreitet. [42.] Wer den ewigen Frieden jetzt sehn und lieb gewinnen will, der reise nach Berlin und sehe die Königin. Dort kann sich jeder anschaulich überzeugen, daß der ewige Friede herzliche Rechtlichkeit über alles liebt, und nur durch diese sich auf ewig fesseln läßt. [43.] Was ich mir vor allen wünschte? das will ich euch sagen: eine geistvolle Darstellung der Kinder- und Jugendjahre der Königin. Gewiß im eigentlichsten Sinn, weibliche Lehrjahre. Vielleicht nichts anders, als Nataliens Lehrjahre. Mir kommt Natalie, wie das Zufällige Portrait der Königin vor. Ideale müssen sich gleichen. Novalis. ––––––

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[Politische Aphorismen] [44.] Der Grund aller Verkehrtheit in Gesinnungen und Meinungen ist – Verwechselung des Zwecks mit dem Mittel. 5

[45.] Genau haben die meisten Revolutionisten gewiß nicht gewußt, was sie wollten – Form, oder Unform. [46.] Revolutionen beweisen eher gegen die wahre Energie einer Nation. Es gibt eine Energie aus Kränklichkeit und Schwäche – die gewaltsamer wirkt, als die wahre – aber leider mit noch tieferer Schwäche aufhört.

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[47.] Wenn man von einer Nation urtheilt, so beurtheilt man meistens nur den vorzüglich sichtbaren, den frappanten Theil der Nation.

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[48.] Kein Argument ist der alten Regierung nachtheiliger, als dasjenige, was man aus der disproportionellen Stärke der Glieder des Staats, die in einer Revolution zum Vorschein kommt, ziehen kann. Seine Verwaltung muß höchst fehlerhaft gewesen sein, daß viele Theile fehlerhaft werden konnten und eine so hartnäckige Schwäche überall einwurzelte. [49.] Je schwächer ein Theil ist, desto mehr zu Unordnungen und Entzündungen geneigt.

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[50.] Was sind Sklaven? Völlig geschwächte, comprimirte Menschen. Was sind Sultane? Durch heftige Reizungen incitirte Sklaven. Wie endigen Sultane und Sklaven? Gewaltsam. – Jene leicht als Sklaven, diese leicht als Sultane, d. h. phrenitisch, hirnwüthig. Wie können Sklaven kurirt werden? Durch sehr behutsame Freilassungen und Aufklärungen. Man muß sie wie Erfrorne behandeln. Sultane? Auf die Art, wie Dionysius und Krösus kurirt wurden. Mit Schrecken, Fasten und Klosterzwang angefangen und allmählig mit Stärkungsmitteln gestiegen. Sultane und Sklaven sind das Extrem. Es gibt noch viel Mittelklassen bis zum König und dem ächten Cyniker – der Klasse der vollkommensten Gesundheit. Terroristen und Hofschranzen gehören so ziemlich in die nächste Klasse nach Sultanen und Sklaven – und gehen so in einander über, wie diese. Beides sind die Repräsentanten der beiden Krankheitsformen einer sehr schwachen Constitution. [51.] Die gesundeste Constitution unter einem Maximum von Reizen repräsentirt der König, – dieselbe unter einem Minimum von Reizen – der ächte Cyniker. Je gleicher beide sind, je leichter und unveränderter sie ihre Rollen verwechseln könnten, desto mehr näh[e]rt sich ihre Constitution dem Ideal der vollkommenen Constitution. Je unabhängiger also der König von seinem Thron lebt, desto mehr ist er König. [52.] Alle Reize sind relativ – sind Größen – bis auf Einen, der ist absolut – und mehr als Größe.

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[53.] Die vollkommenste Constitution entsteht durch Incitation und absolute Verbindung mit diesem Reize. Durch ihn kann sie alle übrige entbehren – denn er wirkt anfänglich stärker im Verhältniß, daß die relativen Reize abnehmen, und

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umgekehrt. Hat er sie aber einmal ganz durchdrungen, so wird sie völlig indifferent gegen die relativen Reize. Dieser Reiz ist – absolute Liebe. [54.] Ein Cyniker und ein König ohne sie, sind nur Titulaturen. [55.] Jede Verbesserung unvollkommener Constitutionen läuft daraus hinaus, daß man sie der Liebe fähiger macht.

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[56.] Der beste Staat besteht aus Indifferentisten dieser Art. [57.] In unvollkommenen Staaten sind sie auch die besten Staatsbürger. Sie nehmen an allem Guten Theil, lachen über die Alfansereien ihrer Zeitgenossen im Stillen, und enthalten sich von allem Uebel. Sie ändern nicht, weil sie wissen, daß jede Aenderung der Art und unter diesen Umständen nur ein neuer Irrthum ist, und das Beste nicht von außen kommen kann. Sie lassen alles in seinen Würden, und so wie sie keinen geniren – so genirt auch sie keiner, und sind überall willkommen.

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––––––– [58.] Der jetzige Streit über die Regierungsformen ist ein Streit über den Vorzug des reifen Alters, oder der blühenden Jugend.

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[59.] Republik ist das Fluidum deferens der Jugend. Wo junge Leute sind, ist Republik. [60.] Mit der Verheirathung ändert sich das System. Der Verheirathete verlangt Ordnung, Sicherheit, und Ruhe – er wünscht, als Familie, in Einer Familie zu leben – in einem regelmäßigen Hauswesen – er sucht eine ächte Monarchie.

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[61.] Ein Fürst ohne Familiengeist ist kein Monarch. [62.] Aber wozu ein einziger, unbeschränkter Hausvater? Welcher Willkühr ist man da nicht ausgesetzt? [63.] In allen relativen Verhältnissen ist das Individuum einmal für allemal der Willkühr ausgesetzt – und wenn ich in eine Wüste ginge – ist da nicht mein wesentliches Interesse der Willkühr meiner Individualität noch ausgesetzt? das Individuum, als solches, steht seiner Natur nach unter dem Zufall. In der vollkommenen Demokratie steh ich unter sehr vielen, in repräsentativer Demokratie unter Wenigern, in der Monarchie unter Einem willkürlichen Schicksale.

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[64.] Aber fordert nicht die Vernunft, daß Jeder sein eigener Gesetzgeber sei? Nur seinen eigenen Gesetzen soll der Mensch gehorchen. [65.] Wenn Solon und Lycurg wahre, allgemeine Gesetze, Gesetze der Menschheit gegeben haben, – woher nahmen sie dieselben? – Hoffentlich aus dem Gefühl ihrer Menschheit und seiner Beobachtung. Wenn ich ein Mensch bin, wie sie, woher nehme ich meine Gesetze? doch wohl aus derselben Quelle – und bin ich, wenn ich dann nach Solons und Lycurgs Gesetzen lebe, der Vernunft untreu? Jedes wahre Gesetz ist mein Gesetz – sagen und aufstellen mag es, wer es will. Dieses Sagen und Aufstellen aber, oder die Beobachtung des ursprünglichen Gefühls und ihre Darstellung muß doch nicht so leicht sein, – sonst würden wir ja keiner besondern geschriebenen Gesetze bedürfen? Es muß also wohl eine Kunst sein?

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So auch das Gesetz anzuwenden, scheint in der That eine langwierige Uebung und Schärfung der Urtheilskraft vorauszusetzen. Wodurch entstanden Stände und Zünfte? – aus Mangel an Zeit und Kräften des Einzelnen. Jeder Mensch konnte bisher nicht alle Künste und Wissenschaften lernen und zugleich treiben – sich nicht alles in Allem sein. Die Arbeiten und Künste wurden vertheilt. Nicht auch die Regierungskunst? Der allgemeinen Forderung der Vernunft zufolge sollten auch alle Menschen Aerzte, Dichter, und so fort, sein. Bei den übrigen Künsten ist es übrigens schon größtentheils hergebracht, daß sich da die Menschen darüber bescheiden – nur Regierungskunst und Philosophie – dazu glaubt jeder gehöre nur Dreistigkeit, und jeder vermißt sich, als Kenner, davon zu sprechen, und Prätensionen auf ihre Praxis und Virtuosität zu machen. [66.] Aber die Vortrefflichkeit der repräsentativen Democratie ist doch unläugbar. Ein natürlicher, musterhafter Mensch ist ein Dichtertraum. Mithin, was bleibt übrig – Composition eines künstlichen. Die vortrefflichsten Menschen der Nation ergänzen einander – In dieser Gesellschaft entzündet sich ein reiner Geist der Gesellschaft. Ihre Decrete sind seine Emanationen – und der idealische Regent ist realisirt. [67.] Zuerst zieh ich die vortrefflichsten Menschen der Nation und die Entzündung des reinen Geistes in Zweifel. Auf die sehr wiedersprechende Erfahrung will ich mich nicht einmal berufen. Es liegt am Tage, daß sich aus todten Stoffen kein lebendiger Körper – aus ungerechten, eigennützigen und einseitigen Menschen kein gerechter, uneigennütziger und liberaler Mensch zusammensetzen läßt. Freilich ist das eben ein Irrthum einer einseitigen Majorität, und es wird noch lange Zeit vergehn, eh man sich von dieser simpeln Wahrheit allgemein überzeugen wird. Eine so beschaffene Majorität wird nicht die Vortrefflichsten, sondern im Durchschnitt nur die Bornirtesten und die Weltklügsten wählen. Unter den Bornirtesten versteh ich solche, bei denen Mittelmäßigkeit zur fertigen Natur geworden ist, die klassischen Muster des großen Haufens. Unter den Weltklügsten – die geschicktesten Courmacher des großen Haufens. Hier wird sich kein Geist entzünden – am wenigsten ein reiner – Ein großer Mechanismus wird sich bilden – ein Schlendrian – den nur die Intrigue zuweilen durchbricht. Die Zügel der Regierung werden zwischen den Buchstaben und mannichfaltigen Partheimachern hin und her schwanken. Die Despotie eines Einzelnen hat denn doch vor dieser Despotie noch den Vorzug, daß man wenigstens dort an Zeit und Schuhen erspart – wenn man mit der Regierung zu thun hat – und jene doch mit offnen Karten spielt, da man hier nicht immer gleich weiß, bei wem gerade den Tag die Regierung anzutreffen ist – und welche Wege die Vortheilhaftesten dahin einzuschlagen sind. Wenn der Repräsentant schon durch die Höhe, auf die er gehoben wird – reifer und geläuterter werden soll, wie viel mehr der einzelne Regent? Wären die Menschen schon das, was sie sein sollten und werden können – so würden alle Regierungsformen einerlei sein – die Menschheit würde überall einerlei regiert, überall nach den ursprünglichen Gesetzen der Menschheit. Dann aber würde man am Ersten die schönste, poetische, die natürlichste Form wählen – Familienform – Monarchie, – Mehrere Herrn – mehrere Familien – Ein Herr – Eine Familie!

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[68.] Jetzt scheint die vollkommene Demokratie und die Monarchie in einer unauflöslichen Antinomie begriffen zu sein – der Vortheil der Einen durch einen entgegengesetzten Vortheil der Andern aufgewogen zu werden. Das junge Volk steht auf der Seite der erstern, gesetztere Hausväter auf der Seite der zweiten. Absolute Verschiedenheit der Neigungen scheint diese Trennung zu veranlassen. Einer liebt Veränderungen – der Andre nicht. Vielleicht lieben wir alle in gewissen Jahren Revolutionen, freie Concurrenz, Wettkämpfe und dergleichen demokratische Erscheinungen. Aber diese Jahre gehn bei den Meisten vorüber – und wir fühlen uns von einer friedlicheren Welt angezogen, wo eine Centralsonne den Reigen führt, und man lieber Planet wird, als einen zerstörenden Kampf um den Vortanz mitkämpft. Man sei also nur wenigstens politisch, wie religiös, tolerant – man nehme nur die Möglichkeit an, daß auch ein vernünftiges Wesen anders incliniren könne als wir. Diese Toleranz führt, wie mich dünkt, allmälig zur erhabenen Ueberzeugung von der Relativität jeder positiven Form – und der wahrhaften Unabhängigkeit eines reifen Geistes von jeder individuellen Form, die ihm nichts als nothwendiges Werkzeug ist. Die Zeit muß kommen, wo politischer Entheism und Pantheism als nothwendige Wechselglieder aufs innigste verbunden sein werden.

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Bemerkungen zur Wissenschaftslehre

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[553.] 1.Unterschied zwischen Thatsache und Thathandlung. pag.4. p.5. a ist a – scheint mir nichts als eine Wiederholung der Hervorbringung des a zu seyn. Es kann eine Verstärkung ausdrücken. Ist involvirt keine Nebenbedeutung, und qualificirt sich mithin zur logischen Copula. Es drückt oft ein solch identisches Urtheil eine eingeschärfte Unterscheidung aus – eine scharfe Aufmercksamkeit auf den eigenthümlichen Karacter desjenigen, was in Gefahr ist verwechselt zu werden. Man bestimmt die Sfäre a – durch die Sfäre a. a ist Name einer unbekannten Sfäre. Das erste a ist ein eigenschaftlich geseztes – das zweyte a ein wesentlich geseztes – Jenes wird vorausgesezt – dieses wird gesezt. Der Begriff a wird dem vorhandnen a entgegengesezt. Ihre gemeinschaftliche Sfäre, ihre Szene ist das Ich – das Subject. Das erste a ist schon im Ich vorhanden – das andre ebenfalls – Sie werden nur verknüpft. /Diese Reflexionen über diesen einfachen Satz müssen uns die Grundlagen aller Filosofie hergeben/ a ist a entsteht aus dem Prädiciren des Einfachen; es sey nun einfach der Quant[ität] Qualit[ät] Relat[ion] Modalit[ät] oder Ihrer Zusammensetzungen wegen. *

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[554.] Alle Erklärung muß von einer Thatsache anfangen. Von welcher Thatsache wird aber alle Erklärung ausgehn müssen? Es muß eine Thatsache seyn, die allen andern Thatsachen zum Grunde liegt und keiner neuen Erklärung bedarf, sondern alle Erklärung selbst erst möglich macht. Die Erklärung geht also von der Thatsache aller Thatsachen, oder von der einzigen ursprünglichen Thatsache aus. Sie muß unerklärbar seyn i.e. ihr vollständiger Begriff muß mit ihr gegeben seyn. Sie ist ihr Begriff – ihr Begriff ist sie. Sie ist erklärt, inwiefern sie ist, und ist, inwiefern sie erklärt ist. In ihr muß das Gesetz jeder Erscheinung enthalten seyn – Sie giebt die Einheit aller Erkenntniß – Von ihr muß alles deducirt werden. Sie giebt die Gewisheit aller Gewisheit – absolute Gewisheit. Es kommt nur darauf an, alles auf sie zurückzuführen. Ihre Verhältnisse zur unendlichen Masse des Erkannten sind die Einheit, nach denen unsere theoretische Vernunft strebt. [555.] Gesetz des Begriffs und Gesez des Objects müssen Eins seyn – nur in der Reflexion zu trennen – /Begriff und Anschauung sind eins, wenn man sie aufs Ich bezieht, getrennt, wenn man auf beyde reflectirt, ohne sie aufs Ich zu beziehn./ Wenn ich bestimmt aufs Ich reflectire, so ist kein Nichtich – wenn ich reflectire, ohne bestimmt aufs Ich zu reflectiren, so ist ein Nichtich. Die freye Reflexion geht auf Nichtich – die bestimmte Reflexion aufs Ich. Das Ich ist in beyden Fällen frey und nicht frey, nur auf verschiedne Weise. Es ist frey, indem es auf sich, als nicht

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frey, auf ein Nichtich, reflectirt, es ist frey, indem es auf sich, als frey, als Ich, reflectirt. Dort ist es als Intelligenz, hier, als reines Ich, frey. Dort trennt es seine reflectirende Thätigkeit von seinem Wesen – es geht aus sich heraus – hier vereinigt es beyde – es geht in sich hinein. Es muß das Erstere thun, um das Andre zu können. Lezteres ist der Zweck, Ersteres das Mittel – der Zweck veranlaßt das Mittel – das Mittel bewürkt den Zweck. /Alle Erkenntniß soll Moralität bewirken – der moralische Trieb, der Trieb nach Freyheit die Erkenntniß veranlassen./ Frey seyn ist die Tendenz des Ich – das Vermögen frey zu seyn ist die productive Imagination – Harmonie ist die Bedingung ihrer Thätigkeit – des Schwebens, zwischen Entgegengesezten. Sey einig mit dir selbst ist also Bedingungsgrundsatz des obersten Zwecks – zu Seyn oder Frey zu seyn. Alles Seyn, Seyn überhaupt ist nichts als Freyseyn – Schweben zwischen Extremen, die nothwendig zu vereinigen und nothwendig zu trennen sind. Aus diesem Lichtpunct des Schwebens strömt alle Realität aus – in ihm ist alles enthalten – Obj[ect] und Subject sind durch ihn, nicht er d[urch] sie. Ichheit oder productive Imaginationskraft, das Schweben – bestimmt, producirt die Extreme, das wozwischen geschwebt wird – Dieses ist eine Täuschung, aber nur im Gebiete des gemeinen Verstandes. Sonst ist es etwas durchaus Reales, denn das Schweben, seine Ursache, ist der Quell, die Mater aller Realität, die Realität selbst. Über die Natur dieses Schwebens. [556.] Die Moralität muß Kern unsers Daseyns seyn, wenn sie uns seyn soll, was sie seyn will. Ideal des Seyns muß ihr Zweck, ihr Ursprung seyn. Eine unendliche Realisirung des Seyns wäre die Bestimmung des Ichs. Sein Streben wäre immer mehr zu Seyn. Vom Ich bin geht der Gang des Bösen herunter, der Gang d[es] Guten hinauf. Die höchste Filosofie ist Ethik. Darum fängt alle Filosofie vom Ich bin an. Der höchste Satz der Erkenntniß muß Ausdruck der alle Erkenntniß, als Mittel, begründenden Thatsache seyn, die sich auf den Zweck d[es] Ichs, der durch Erkenntniß /im weitesten Sinne, als Daseyn in der Sinnenwelt,/ erreicht werden soll, oder beabsichtigt wird, nemlich totales Freyseyn, bezieht. Das Ich scheint im Widerspruch zu stehn, wenn man die Natur seiner Wircksamkeit die Thätigkeit d[er] produktiven Imagination nicht kennt, indem es die Erreichung seines Zwecks gleichsam durch das gewählte Mittel zu vereiteln scheint – aber eben dadurch handelt es mit sich selbst in Uebereinstimmung, consequent möcht ich sagen, es muß so, vermöge seiner Natur, agiren – nemlich weil es nichts ist als ein Schweben etc. und so gerade allein nur hervorbringt, und hervorbringen kann, was es hervorzubringen sucht – Es kann ohne so zu verfahren gar nicht hervorbringen – denn alles Hervorbringen geht aufs Seyn und Seyn ist Schweben etc. /Was Ist, muß sich zu widersprechen scheinen, insofern man es gleichsam in seine Bestandtheile auflößt, welches man doch durch die Natur des Reflexions[ver]mögens gleichsam gezwungen thun muß./ /Seyn, Ich seyn, Frey seyn und Schweben sind Synonymen – ein Ausdruck bezieht sich auf den Andern – es ist nur von Einer Thatsache die Rede – Es

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sind nur Praedikate des einzigen Begriffs Ich – Begriff und Thatsache sind aber hier Eins. Ich ist unbegreiflich, weil es schon, indem es ist, sein Begriff ist – Mit seinem Seyn ist sein einzigmöglicher Begriff gegeben/ 5

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Man denkt sich unter Thatsache, Handlung hier gewöhnlich, etwas in der Zeit Vergehendes oder Vorgegangenes. Die Thatsache, von der hier aber die Rede ist, muß schlechterdings rein geistig gedacht werden – nicht einzeln – nicht zeitgemäß – quasi als Augenblick, der das ewige Universum umfaßt, in sich begreift – worinn wir leben, weben und sind – ein unendliches Factum, was in jedem Augenblick ganz geschieht – identisch ewig wirckendes Genie – Ichseyn. Verhältnisse des Bewußtseyns zu diesem Geheimnißvollen Seyn der Dinge /Uebergang von diesem Begriff z[ur] wircklichen Welt – /Anwendung desselben./ [557.] Kategorieen – Zusammenhang des practischen und theoretischen Ich. *

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Merckwürdige Stellen und Bemerkungen bey der Lectüre der Wissenschaftslehre [558.] Ich und Nichtich sind Abstracta. Sie handeln nicht, wie Gesamtmassen gegeneinander, sondern in jeder empirischen Handlung ohne Unterschied ist Ich und Nichtich würcksam. Der Kanon, das Schema jedes Handelns, freylich aber auch die Materie desselben ist in der W[issenschafts]L[ehre] aufgestellt. [559.] Alle Realität, von der wir reden können muß eine denkbare seyn. Folglich ist das Princip aller Realität, der Garant derselben, der Grund des Denkens – S UM . Die Filosofie ist streng auf die bestimmte Modification – des Bewußtseyns – eingeschränkt. Sie ist bescheiden – Sie bleibt in ihren Gränzen. Sie begreift, was in ihr, oder unter ihr ist. Die Freyheit der Reflexion führt auf eine Freyheit des handelnden Ich. [560.] Filosofiren ist eine Thätigkeit der Intelligenz. Auf welcher Stufe steht die Filosofie? [561.] Der Mensch ist so gut Nichtich, als Ich.

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[562.] Ich ist nur durch ein Nichtich denkbar. Ein Ich ist ja nur ein Ich, insofern es ein Nichtich ist – es könnte übrigens seyn, was es wollte – nur kein Ich wärs. [563.] Der Grund des Naturgesetzes, daß jedes Anstoßes Wirkung ohne Gegenwirkung ewig dauere – wo liegt der im Ich – er kann uns im Ich manches erklären.

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[564.] Wenn man filosofisch von dem, was kommen soll z.B. von Vernichtung des Nichtich, spricht, so hüte man sich für der Täuschung, als würde ein Zeitpunct kommen, wo dieses eintreten würde – Erstlich ist es an und für sich ein Widerspruch, daß in der Zeit etwas geschehn solle, was alle Zeit aufhebt, wie jede Verpflanzung des Unsinnlichen, Denkbaren, Subjectiven, in die sinnliche Welt der Erscheinungen. In jedem Augenblick, da wir frey handeln ist ein solcher Triumpf

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des unendlichen Ich über das Endliche, für diesen Moment ist das Nichtich wircklich vernichtet – nur nicht der sinnlichen Existenz nach. Wie es seyn soll und wird, so ists – die Sache bleibt ewig, nur die Form wechselt unaufhörlich. Die Zeit kann nie aufhören – Wegdenken können wir die Zeit nicht – denn die Zeit ist ja Bedingung des denkenden Wesens – die Zeit hört nur mit dem Denken auf. Denken außer der Zeit ist ein Unding. [565.] Die Welt wird dem Lebenden immer unendlicher – drum kann nie ein Ende der Verknüpfung des Mannichfaltigen, ein Zustand der Unthätigkeit für das denkende Ich kommen – Es können goldne Zeiten erscheinen – aber sie bringen nicht das Ende der Dinge – das Ziel des Menschen ist nicht die goldne Zeit – Er soll ewig existiren und ein schön geordnetes Individuum seyn und verharren – dis ist die Tendenz seiner Natur.

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* [566.] Filosofiren muß eine eigne Art von Denken seyn. Was thu ich, indem ich filosofire? ich denke über einen Grund nach. Dem Filosofiren liegt also ein Streben nach dem Denken eines Grundes zum Grunde. Grund ist aber nicht Ursache im eigentlichen Sinne – sondern innre Beschaffenheit – Zusammenhang mit dem Ganzen. Alles Filosofiren muß also bey einem absoluten Grunde endigen. Wenn dieser nun nicht gegeben wäre, wenn dieser Begriff eine Unmöglichkeit enthielte – so wäre der Trieb zu Filosophiren eine unendliche Thätigkeit – und darum ohne Ende, weil ein ewiges Bedürfniß nach einem absoluten Grunde vorhanden wäre, das doch nur relativ gestillt werden könnte – und darum nie aufhören würde. Durch das freywillige Entsagen des Absoluten entsteht die unendliche freye Thätigkeit in uns – das Einzig mögliche Absolute, was uns gegeben werden kann und was wir nur durch unsre Unvermögenheit ein Absolutes zu erreichen und zu erkennen, finden. Dies uns gegebne Absolute läßt sich nur negativ erkennen, indem wir handeln und finden, daß durch kein Handeln das erreicht wird, was wir suchen. Dis ließe sich ein absolutes Postulat nennen. Alles Suchen nach Einem Princip wär also wie ein Versuch die Quadratur des Zirkels zu finden. /Perpetuum mobile. Stein der Weisen./ (Negative Erkenntniß/ (Die Vernunft wäre das Vermögen einen solchen absoluten Gegenstand zu setzen und festzuhalten./ (Der durch die Einbildungskraft ausgedehnte Verstand/ Streben nach Freyheit wär also jenes Streben zu filosofiren, der Trieb nach der Erkenntniß des Grundes. Filosofie, Resultat des Filosofirens, entsteht demnach durch Unterbrechung des Triebes nach Erkenntniß des Grundes – durch Stillstehn bey dem Gliede, wo man ist – Abstraction von dem absoluten Grunde, und Geltendmachung des eigentlichen absoluten Grundes der Freyheit durch Verknüpfung (Verganzung) des Zu Erklärenden / zu einem Ganzen. Je mannichfaltiger die Glieder dieses Ganzen sind desto lebhafter wird die absolute Freyheit empfunden – je verknüpfter, je Ganzer es ist, je wircksamer, anschaulicher, erklärter, ist der absolute Grund alles Begründens, die Freyheit, darinn. Die Mannichfaltigkeit bezeugt die Energie, die Lebhaftigkeit der practischen Freyheit – die Verknüpfung – die Thätigkeit der theoretischen Freyheit. Die Erste begreift – Handlungen – die Andre – Behandlungen. – Hierunter

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versteh ich die Handlungen der eigentlichen Reflexion, die auf bloße Denkhandlungen gehn. (Reflexion ist nicht alles Denken, sondern behandeltes, bedachtes Denken) Ich bedeutet jenes negativ zu erkennende Absolute – was nach aller Abstraction übrig bleibt – Was nur durch Handeln erkannt werden kann und was sich durch ewigen Mangel realisirt. /So wird Ewigkeit d[urch] Zeit realisirt, ohnerachtet Zeit d[er] Ewigkeit widerspricht./ Ich wird nur im Entgegengesezten wircksam und bestimmt für sich. /Indem ich frage: Was ist das? so fodre ich Entäußerung des Dinges an sich – ich will wissen – was es ist? Das weiß ich ja schon, daß es das und das Ding ist, aber was für ein Ding? Dis will ich wissen – und hier tret ich in die Sfäre des Subjectiven. /D[ie] Anschauung find ich nie, weil ich sie bey der Reflexion suchen muß und so umgekehrt./

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[567.] Was handelt zunächst für mich – woher entlehn ich meine Begriffe? – nothwendig ich – nothwendig von mir. Ich bin für mich der Grund alles Denkens, der absolute Grund, dessen ich mir nur d[urch] Handlungen bewußt werde – Grund aller Gründe für mich, Princip meiner Filosofie ist mein Ich. Dieses Ich kann ich nur negativerweise zum Grund alles meines Filosofirens machen – indem ich so viel zu erkennen /zu handeln/ und dies so genau zu verknüpfen suche, als möglich; /Lezteres durch Reflexion/. Je unmittelbarer, directer ich etwas vom Ich ableiten kann, je erkannter, begründeter ist es mir. /Ergründen ist filosofiren. Erdenken ist Dichten. Bedenken und Betrachten ist eins. Empfinden /reines Denken ist ein bloßer Begriff – Gattungsbegriff. Nun ist aber Gattung nichts außer dem Einzelnen; also denkt man immer auf eine bestimmte Weise, man ergründet, oder erdenkt etc./

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/Durch die Gattung kann ich nicht die Individuen kennen lernen, sondern durch die Individuen die Gattung, aber freylich muß man bey der Betrachtung der Individuen immer die Idee der Gattung in den Augen haben/ (Die Fichtische Filosofie ist eine Aufforderung zur Selbstthätigkeit – ich kann keinem etwas erklären von Grund aus, als daß ich ihn auf sich selbst verweise, daß ich ihn dieselbe Handlung zu thun heiße, durch die ich mir etwas erklärt habe. Filosofiren kann ich jemand lehren, indem ich ihn lehre, es eben so zu machen, wie ich – Indem er thut, was ich thue, ist er das, was ich bin, da, wo ich bin.) /Vom Erfinden oder Nachmachen geht alle Kunst aus/ /Sind nun die Handlungen, die ich thue, die Natürlichen, so sind alle andre Handlungen unnatürlich und erlangen nicht den Zweck, den sie in den Augen haben und haben müssen – der Mensch widerspricht sich. Er widerspricht sich nicht, wenn er seiner Natur gemäß handelt. Daher bleiben die Bösen z.B. in einen ewigen Widerspruch mit sich selbst./ /Der unterschiedne Stoff bringt erst die Unterscheidung in Absicht desjenigen, wovon der Grund gesucht wird, zuwege. Die Alten nannten daher Naturlehre etc. auch Filosofie – wir haben sie auf das Denken des Grundes der Vorstellungen und Empfindungen, kurz der Veränderungen d[es] Subjects eingeschränkt./

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/Üb[er] d[en] Ausdruck – Seele – /Seele d[es] Ganzen// [568.] Es ist allgemein bekannt, daß man Seele und Körper unterscheidet. Jeder der diese Unterscheidung kennt wird dabey eine Gemeinschaft zwischen beyden statuiren, vermöge deren sie auf einander wechselseitig wirken. In dieser Wechselwirkung kommt beyden eine doppelte Rolle zu – entweder sie wirken selbst für sich auf einander oder ein drittes Etwas wirkt durch eins aufs Andre. Der Körper nemlich dient zugleich auch vermittelst der Sinne zu einer Communication der äußern Gegenstände mit der Seele, und insofern er selbst ein äußrer Gegenstand ist, wirkt er selbst, als ein solcher, mittelst der Sinne auf die Seele. Natürlich wirkt die Seele auf demselben Wege zurück und hieraus ergiebt sich, daß dieser Weg, oder die Sinne, ein gemeinschaftliches, ungetheiltes Eigenthum des Körpers und der Seele sind. So gut es äußre Gegenstände giebt, zu denen der Körper mit gehört, eben so gut giebt es innre Gegenstände, zu denen die Seele mit gehört. Diese wirken auf den Körper und die äußern Gegenstände überhaupt, mittelst der Sinne, wie schon gesagt und erhalten die Gegenwirkung auf [auch?] auf diesem Wege zurück. Die Schwierigkeit ist nun die Sinne zu erklären.

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/Gattungsbegriff d[er] Sinne/ Zu Sinnen gehört immer ein Körper und eine Seele. Ihre Vereinigung findet mittelst der Sinne statt. Die Sinne sind schlechthin nicht selbstthätig – Sie empfangen und geben, was sie erhalten – Sie sind das Medium der Wechselwirkung. /Entweder unterscheidet die Seele das wirckliche Daseyn, in der Erscheinung des Augenblicks, den wircklichen Zustand, vom Nothwendigen Daseyn in der Idee, dem gesezten, dem Idealzustande, nicht, /Zustand des freyen Seyns, ohne rege Unterscheidungskraft/ oder sie unterscheidet beydes. Im leztern Falle findet sie nun den wircklichen Zustand mit sich selbst harmonirend, oder sich widersprechend – das Erste ist das Gefühl der Lust, des Gefallens, das Andre das Gefühl d[er] Unlust, des Misfallens. Beyde sind Abweichungen vom natürlichen Zustande und daher nur momentan im weitern Sinne. Im ersten Gefühl ist es die Form des natürlichen Zustandes, der Kunstzustand, das Gefällige, Lusterregende. Im andern ist der Zwang, den das Natürlichnothwendige vom Zufälligen erleidet, das Mißfällige, Schmerzende./ Der Grund der Sinne, der Sinn, muß eine negative Materie und negativer Geist seyn – beydes eins – folglich die absolute Materie und der absolute Geist – welches eins ist. Wahrscheinlich also das Element der Einbildungskraft – des Ichs – des Einzigen vorhingedachten Absoluten – das durch Negation alles Absoluten gefunden wird. Nun müssen wir uns aber diesen Fund nicht materiell oder geistig denken – Es ist keins von beyden, weil es beydes auf gewisse Weise ist. Es ist ein Product der Einbildungskraft, woran wir glauben, ohne es seiner und unsrer Natur nach, je zu erkennen vermögen. Es ist auch nichts an und für sich vorhandnes, sondern dasjenige, was als Gegenstand einer nothwendigen Idee den einzelnen Sinnen zum Grunde liegt und sie erklärt – und sie einer theoretischen Behandlung fähig macht.

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/Das oberste Princip muß schlechterdings Nichts Gegebenes, sondern ein Frey Gemachtes, ein Erdichtetes, Erdachtes, seyn, um ein allgemeines metaphysisches System zu begründen, das von Freyheit anfängt und zu Freyheit geht. /Alles Filosofiren zweckt auf Emancipation ab./ 5

Finden thun wir dieses Substrat in den einzelnen Sinnen vereinzelt – d.h. in Verbindung mit einem äußern oder innern Gegenstande. Licht, Schall, etc. sind Modificationen, Individuen der Gattung Sinn. /Organ und Sinn unterschieden/

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Hieraus sehn wir beyläufig, daß Ich im Grunde nichts ist – Es muß ihm alles Gegeben werden – Aber es kann nur ihm etwas gegeben werden und das Gegebene wird nur durch Ich etwas. Ich ist keine Encyclopaedie, sondern ein universales Princip. Dis hellt auch die Materie von Deductionen a priori auf. Was dem Ich nicht gegeben ist, das kann es nicht aus sich deduciren – aber mit dem Gegebenseyn tritt auch seine Befugniß und Macht ein, dasselbe zu deduciren. Was ihm gegeben ist, ist auf Ewigkeit sein – denn Ich ist nichts als das Princip der Vereigenthümlichung. Alles ist sein, was in seine Sfäre tritt – denn in diesem Aneignen besteht das Wesen seines Seyns. Zueignung ist die ursprüngliche Thätigkeit seiner Natur/ /Innres, äußres Organ – Arten der innern und äußern Gegenstände, die besondre Organe voraussetzen, und damit eine neue Modification des Sinns, sichtbar, erkennbar machen./ /Zwey Weisen die Dinge anzusehn – von oben herunter oder von unten hinauf – durch diesen Wechsel wird positiv, was erst negativ war und vice versa. Man muß beyde Weisen auf einmal brauchen./ /Sinn und Bewußtseyn. Das leztere ist nichts als: Wircksamkeit der einen oder der andern Welt mittelst des Sinns./ *

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[569.] De Officio judicis. 30

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[570.] Intelligenz und Sinnenwesen – was dort einfach ist, ist hier mannichfach et vice versa – So mit Freyheit und Zwang – Allgemeinheit und Besonderheit – Qualität – Quantität – Relation – Modalität – Leiden und Thun – Position – Negation. [571.] Von der productifen Einbildungskraft. Im bloßen Begriff der Bestimmung liegt der Begriff der Wechselbestimmung, des Entgegensetzens, der Substantialitaet. Darinn liegt auch der Grund, warum die höchste Bestimmung sich selbst immer mit bestimmt. Die Bestimmung des Unendlichen ist immer Bestimmung. b daher die Eintheilung des Grundes./ Seyn – Bestimmtseyn a [572.] Adam und Eva. Was durch eine Revolution bewürkt wurde, muß durch eine Revolution aufgehoben werden. /Apfelbiß/

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[573.] Wenn ein Begriff Accidens wird, so stehn seine Bestandtheile in veränderter Ordnung, als wo er Substanz ist. Seine Bestandtheile sind aber ebenfalls Sub-

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stanz und Accidens – folglich wenn der ganze Begriff Accidens ist, so steht sein Accidens in ihm voran, und ist Substanz. /Recht und Billigkeit./ [574.] Über die Versöhnung – ihre Nothwendigkeit – Glauben und Sfäre der kristlichen Religion. [575.] Kategorieen – Urbeschaffenheiten eines Noumenons.

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[576.] Im Manne ist Vernunft, im Weibe Gefühl /beydes positiv/ das Tonangebende. Die Moralität des Weibes ist im Gefühl – wie die des Mannes, in der Vernunft gegründet. [577.] Über die verschiedne Art der Unterhaltungen beyder Geschlechter. /Der Mann darf das Sinnliche in vernünftiger Form, die Frau das Vernünftige in sinnlicher Form begehren./

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Das Beywesen des Mannes ist das Hauptwesen der Frau. [578.] Das grösseste Gut besteht in der Einbildungskraft. [579.] Männer können Weiber, Weiber können Männer am natürlichsten gut unterhalten.

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[580.] Der positiven Thätigkeit steht negative Leidenschaft entgegen, nicht positive. [581.] Unterscheidung des Nichtzuunterscheidenden. [582.] Recht v[on] Richten – urtheilen – unterscheiden und beziehn. Es deutet auf ein bestimmtes Ausschließen eines bestimmten Gegenstandes. Alles Recht gründet sich auf Eigenthum. Das allgemeine Ich besizt ipso jure die Accidenzen – und zwar ex jure identitatis. Die Nothwendigkeit seines Daseyns begründet dieses Recht – was aber in dieser Sfäre noch nicht Recht ist – da nichts ist, was das Ich hier ausschließen könnte. Es ist so, weil es so seyn muß; Es muß so seyn, weil es so ist. Das Recht entsteht erst in der Sfäre der Individuen. In der Sfäre der absoluten Gattung hat [es] einen absoluten Grund. Das Individuum, welches ein Recht hat, ist sein Real – das was ausgeschlossen wird, ist sein Idealgrund. Ich erhalte ein Recht worauf, wenn ich alle andre davon ausschließe. Alles Recht bezielt eine Befugniß. Materie und Form d[er] Substanz des Rechts – Accidens desselben ist der Gegenstand, wozu ich ein Recht habe. Lezterer muß von der Beschaffenheit seyn, daß er eine besondre, ausschließliche Beziehung auf ein Individuum haben kann. Die Materie der Rechtssubstanz wird durch das Individuum, welches ein Recht hat, bestimmt – die Form durch die Individuen, die ausgeschlossen werden. Bey beyden Bestimmungen wirckt die Beschaffenheit der Accidenz mit. /Das und Ein. /Die Gattung besteht aus Geschlechtern – dis wird im Lateinischen vorzüglich durch das Wort Genus, welches Gattung und Geschlecht bedeutet, ausgedrückt. /generischer, special, und individualbegriff./ Der Mensch hat, als solcher, keine Rechte – aber er hat Rechte gegen einen Men-

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schen, gegen den quantitativen Menschen. Nur die Substanz hat Rechte, nie die Accidens; denn nur die Substanz kann überhaupt: haben. /Real, personalrechte, oder besser generische, specielle, und individuelle Rechte./ 5

[583.] Doppelte Nerven – des äußern und innern Sinns – beyde können nur durch einander kurirt werden – Zerstörung der ganzen Maschine durch Ausschweifung ist freylich auch den Nerven schädlich – Hier leiden sie aber nur mittelbar – dort unmittelbar und in diesem Falle versteh ich auch nur die gegenseitige Kur. /Innre Sinnlichkeit widersteht der Äußern, wenn eine Begierde durch Vorstellung weicht./

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[584.] Die Kantischen Kategorieen sind blos für die accidentielle Substanz. [585.] Die Rechte der Gattung deragiren den Rechten der Individuen et sic porro. [586.] Factiz. Natural.

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[587.] Die Idee eines Ganzen muß durchaus ein ästhetisches Werck beherrschen und modificiren. Selbst in den launigsten Büchern. Wieland, Richter und die meisten Comiker fehlen hier sehr oft. Es ist so entsezlich viel überflüssiges und langweiliges, recht eigentliche hors d’œuvres, in ihren Werken. Selten ist der Plan und die große Vertheilung ästethisch – Sie haben nur ästethische oder komische Laune, nicht ästethisch komischen Sinn oder Geist /Einheit des Mannichfachen/

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[588.] Es muß nichts Willkührliches, Regelloses in einer bestimmten Handlungsweise des menschlichen Geistes seyn – Überall Kunst und Wissenschaft. Alle Wissenschaft ist etwas Positives – oder vielmehr ihr muß etwas Gegebenes zum Grunde liegen. Sie ist vollständige Kenntnis eines Gegenstandes – Kunst – die vollkommne Anwendung einer Kenntniß.

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[589.] Andre expressivere Zahlbenennungen. [590.] Über die Natur des Worts. Jedes Wort hat seine eigenthümliche Bedeutung, seine Nebenbedeutungen, seine falschen, und durchaus willkührlichen Bedeutungen. Etymologie ist verschieden – genetische – pragmatische – /wie es gebraucht werden sollte/

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* [591.] Begriff – Urtheil und Schluß sind der Quantitaet nach, oder der Form überhaupt nach verschieden. [592.] Nähere Untersuchung der Kategorieen.

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[593.] Bewußtseyn inwiefern es Accidens eines Objects ist – als Accidens eines Subjects – als Substanz eines Subj[ects] – als Subst[anz] eines Obj[ects]. [594.] Das Subject kann objective Accidenzen, es kann objective Substanz haben. Dort bestimmt es sich als Substanz – hier als Accidens. Das Object verhält sich eben so.

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/Subj[ect] und Obj[ect] sind nur idealische Differenzen, wie links und rechts./

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[595.] Subj[ect] entsteht nicht aus Obj[ect] et vice versa. Theorie des Subjects. [596.] Rechte der Thierheit – Rechte der Menschheit – Rechte des Ich. [597.] D[ie] Kategorieen. Die Modalität enthält die Bestimmungen des bloßen, unbestimmten Daseyns. /in der Sinnenwelt/ Die Qualität enthält die Bestimmungen des Daseyns in der Gedankenwelt. Die Relation – die Bestimmungen beyder durch das Ich, in Rücksicht ihrer Mat[erie]. Die Quantität – die Bestimmungen beyder d[urch] d[as] Ich, in Rücksicht ihrer Form.

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[598.] Jede einzelne Praedicabilie drückt eine mehrfache Beziehung aus. [599.] Quantitaet. Einheit – modale Quant[ität]. Vielheit – modalqualitative Quant[ität]. Allheit – modalqualit[ativ] relative Quantit[ät].

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Relat[ion]. 1 – modale Rel[ation]. 2 – modalqualitat[ive] Rel[ation]. 3. modalquant[itativ]qual[itative] Rel[ation]. Qualit[ät].

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Realit[ät] – modale Qu[alität]. Negat[ion] – modalrelat[ive] Qu[alität]. Limit[ation] – modalrel[ativ]quant[itative] Qu[alität]. Mod[alität] – 1 – qualit[ative] Mod[alität]. 2 – qual[itativ]rel[ative] Mod[alität]. 3. qual[itativ]rel[ativ]quant[itative] Mod[alität].

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[600.] Grundsätze der Algebra angewandt auf Metafysik. Überhaupt Anwendung der bereits aufgefundenen gewissen Naturgesetze. [601.] Widersprechen und widerstreiten.

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1. Reales Widersprechen und ideales Widerstreiten. 2. Reales Widerstreiten und ideales Widersprechen. [602.] Es liegt im Wesen der Bestimmung, daß Sie 2 Sfären ausschließt – die Sfäre, die ihr die Form (Gestalt), die Sfäre, die ihr die Materie (Gehalt – Wesen) gibt. [603.] Nicht – bezieht sich nur auf die Sfäre der ausgeschlossnen Bestimmbarkeit überhaupt. [604.] Unmittelbar, gerade zu läßt sich nichts bestimmen, i.e. läßt sich auf keinen Gegenstand einwirken. Gott konnte die Welt nur nach einer Idee, folglich nur durch ein Mittelbares Schaffen. Alle Wircksamkeit ist mittelbar. Kein Ding kann auf das Andre unmit-

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telbar, Ding zu Ding wirken, sondern nur mittelbar durch Erscheinung, Thätigkeit oder Leiden, in einer gemeinschaftlichen Sfäre – diese ist das universale Sensorium – Die Sfäre der Freyheit ists, und die Sfäre des Zwangs. 5

[605.] Um eine Sache kennen zu lernen muß ich sie, als Erscheinung, beobachten. Hier ist Sie im gemeinschaftlichen Felde – Hier ist sie mein – Hier kann ich auf sie wirken – Sie ist Gegenstand – Hier kann ich Ihren Zustand bestimmen – Ihre Verhältnisse zu mir, zu sich, zum Sensorio, zu andern. [606.] Sezt man das Böse der Tugend entgegen, so thut man ihm zu viel Ehre an. *

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[607.] Grenzberichtigungen. [608.] Ueber das Naturgesez: Die Natur thut keinen Sprung. [609.] Das sich Widersprechende widerstreitet sich nicht, und das Widerstreitende widerspricht sich nicht – weil beydes in entgegengesezten Sfären wechselt. /Mann und Weib/

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Subject /Substanz/ Subjectiv. Accidenzen

objective Subst[anz] d[es] Subj[ects] Mit dem Object eben so.

objective Accidenzen desselben.

[611.] Was ist eigentlich Substanz? was ich bisher Sfäre nannte. [612.] Die metafysischen Worte sind gleichsam nur Buchstaben – wie die Formeln in der Algeber. Sie sind nur schematische Substanzen. 25

[613.] Wie sieht man denn körperlich? Nicht anders, wie im Bewußtseyn – durch productive Einbildungskr[aft]. Bewußtseyn ist Auge, Ohr und Gefühl, für den innern und äußern Sinn – durch sich selbst eins – weil es aus lauter Entgegengesezten besteht und bestehn muß. [614.] Ausbildung einzelner Sätze – Art von Chrieen. Eine Bemerkung deutlich ausgeführt. /Perioden/

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[615.] Kunst Glücklich zu leben. [616.] Chursächsische Constitution. [617.] Es ist kein Universalsystem der Staatswirtschaft etc. möglich.

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[618.] Es giebt Einen wesentlichen Bestandtheil der Tugend – Alle Tugend ist nur Eine. Verschiedne Tugenden entstehn aus der Tugend in mancherley Verhältnissen. [619.] Es ist roh und geistlos, sich blos des Inhalts wegen mitzutheilen – der Inhalt, der Stoff muß uns nicht tyrannisiren. Wir müssen uns zweckmäßig mittheilen – kunstvoll – besonnen – Unser Vortrag muß unsrer nicht unwürdig – Er muß

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seinem Publico, er muß seinem Zweck angemessen seyn – Er muß Vortheile der Zeit und des Orts benutzen. [620.] Nur Sitten und Carackterverbesserungen sind wahre Verbesserungen – Alle Andre ohne Ausnahme sind nur Moden, nur Wechsel, nur unbedeutende Verbesserungen.

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[621.] Über das Böse in der Welt? Über Strafe. [622.] Über den Wortkaracter. Empfindungsworte – Begriffsworte – Redensarten – Figuren – Periodenbau – gedrängt – präcis – leicht – schwerfällig – schleppend – ungefällig – ungleich – verworren – ermüdend – wolklingend – symmetrisch – harmonisch – mehr Fantasie – mehr Empfindung – mehr Verstand – Mehr Vernunft – lebhaft – trocken – Locale des Styls – Farben des Styls. – Verhältniß des Ausdrucks zum Gedanken – auf wie viele Art kann ein Gedanke ausgedrückt werden – Bestandtheile des Gedankens. [623.] Träume der Zukunft – ist ein tausendjähriges Reich möglich – werden einst alle Laster exuliren? Wenn die Erziehung zur Vernunft vollendet seyn wird.

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[624.] Weichheit gegen Unglück und physisches Leiden. Man muß alle Empfindungen gefangen nehmen. [625.] Verdanken die Menschen dem Adel nichts? Sind sie reif genug den Adel zu entbehren. *

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[626.] Die Menschen verändern sich gegen die Extreme, und sind nur das, was sie nach ihrer Umgebung und gegen die Gegenstände und Gegenmenschen seyn können – daher Veränderlichkeit der Charactere und relativer Character überhaupt. [627.] Glück und Unglück – beydes negat[iv] und positiv. [628.] Der lateinische Dichter.

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[629.] Der Punct kann nicht, als bewegt, gedacht werden. /Bestimmte Sfäre der Bestimmung./ Grundsätze des Definirens. /Namengeben/ [630.] Über Gedankenordnung, Wonach ordnet man einen Gedanken? Wo fängt man eine Beschreibung an? Man schreitet entweder der Zeit nach fort – oder man schreitet vom Allgemeinen aufs Besondre. Einen sinnlichen Gegenstand beschreibt man analytisch – einen Geistigen synthetisch – dort fängt man vom Allgemeinsten an – hier vom Besondersten. Die Ordnung, wie man einen Begriff fassen sollte, diese suchen wir. Die Ordnung des nothwendigen Ich. In einem Gantzen muß alles ordentlich zusammenhängen. Welcher Zusammenhang ist zwischen Gedanken? /Er ist wie alles – entw[eder] im Subject, oder im Object begründet/

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[631.] Sollte der Fehler, warum ich nicht weiter komme, etwa darinn liegen – daß ich nicht ein Gantzes fassen und festhalten kann? [632.] Ein Buch kann ein sehr verschiednes Interesse haben. Der Autor, der Leser, Ein Zweck, eine Begebenheit, seine bloße, individuelle Existenz können die Achse seyn um den es sich dreht.

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[633.] Wir erwecken die Thätigkeit, wenn wir ihr reitzenden Stoff geben. /Das Ich muß sich, als darstellend setzen./ Das Wesentliche der Darstellung ist – was das Beywesentliche des Gegenstands ist/ Gibt es eine besondre darstellende Kraft – die blos um darzustellen, darstellt – darstellen, um darzustellen ist ein Freyes Darstellen. Es wird damit nur angedeutet, daß nicht das Obj[ect] qua solches sondern das Ich, als Grund der Thätigkeit, die Thätigkeit bestimmen soll. Dadurch erhält das Kunstwerck einen freyen, selbstständigen, idealischen Karacter – einen imposanten Geist – denn es ist sichtbares Produkt eines Ich – Das Ich aber sezt sich auf diese Art bestimmt, weil es sich, als ein unendliches Ich sezt – weil es sich, als ein unendlich darstellendes Ich setzen muß – so sezt es sich frey, als ein bestimmt darstellendes Ich. /Das Obj[ect] darf nur der Keim, der Typus seyn, der Vestpunct – die bildende Kraft entwickelt an, in und durch ihn erst schöpferisch das schöne Gantze. Anders ausgedrückt – das Object soll uns, als Produkt des Ich, bestimmen, nicht, als bloßes Obj[ect]./ Unterschied der mündlichen und schriftlichen Darstellung./ Nothwendigkeit der regelmäßigen Zeitenabtheilung./ Der Sfärenwechsel ist nothwendig in einer vollendeten Darstellung – Das Sinnliche muß geistig, das Geistige sinnlich dargestellt werden./ Die Rede erfodert, wie der Gesang, einen ganz andern Text, als die Schrift. Zwischen Musik und Schrift steht Rede. Deklamationswissenschaft a priori./ Über das in einer Composition zu unterscheidende und zu Verknüpfende./ Wie findet man in Theilen das Ganze, und im Gantzen die Theile?/ Das Beywesentliche muß nur als Medium, als Verknüpfung behandelt werden – also nur dies Aufnehmende und Fortleitende Merckmal muß ausgezeichnet werden./ Es darf kein Wort überflüssig seyn. /Wir sind jezt nur im Anfang der SchriftstellerKunst/ Überall, wo mehrere Einheiten sind, müssen sie etwas von ihren Ansprüchen, ihrer Freyheit aufgeben – Es existirt sodann eine Gemeinschaft. Gattungsähnlichkeit der Gantzen überhaupt – z.B. eines Staats und einer Composition.

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[634.] Stimme – Stimmung – stimmen – bestimmen – einstimmen. Stimme drückt ein sich selbst Constituirendes aus. Stimmung entsteht aus zwey Thätigen und zwey Leidenden. [635.] Was sind die Erfordernisse eines vernünftigen Staats – Staatswissenschaft – Staatskenntniß – Staatskunst. /In der Wissenschaft muß alles in sich und durch sich begründet und zusammenhängend seyn – In der Kenntniß finden wir nur einzelne Merckmale eines Gantzen, ohne innern Zusammenhang – Die Methodik und die angewandte Wissenschaft machen die Kunst aus./ [636.] Alles Selbstständige, materiale Gantze muß aus 2, blos in der Reflexion zu unterscheidenden Gliedern bestehn, die zusammen Eins und Etwas sind – So Wissensch[aft] Kenntn[iß] und Kunst.

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[637.] Darstellung ist eine Aeußerung des innern Zustands, der innern Veränderungen – Erscheinung des innern Objects. /Das äußere Obj[ect] wechselt durch das Ich und im Ich mit dem Begriff und producirt wird d[ie] Anschauung – Das innre Obj[ect] wechselt d[urch] d[as] Ich und im Ich mit einem ihm angemessnen

Fichte-Studien

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Körper und es entsteht das Zeichen. Dort ist das Obj[ect] der Körper – hier ist das Obj[ect] der Geist. Das gemeine Bewußtseyn verwechselt das Entstandne, die Anschauung und das Zeichen, mit dem Körper, weil es nicht zu abstrahiren weiß – nicht selbstthätig ist, sondern nur nothwendig leidend – nur halb, nicht ganz. [638.] Kriegswissenschaft – Kriegskenntniß – Kriegskunst.

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[639.] Kunst ist: Ausbildung unsrer Wircksamkeit – Wollen auf eine bestimmte Art – einer Idee gemäß – Wirken und Wollen ist hier Eins. Nur die öftere Übung unsrer Wircksamkeit, wodurch sie bestimmter und kräftiger wird, bildet die Kunst aus. *

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[1.] %%Die bisherige Geschichte der Philosophie ist nichts, als eine Geschichte der Entdeckungsversuche des Philosophirens. Sobald philosophirt wird – entstehn Philosopheme und die ächte Naturlehre der Philosopheme ist die Philosophie.&& 5

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[2.] %%Diese mannichfachen Ansichten aus meinen philosophischen Bildungsjahren können vielleicht denjenigen unterhalten, der sich aus der Beobachtung der werdenden Natur eine Freude macht, und demjenigen nicht unnütz seyn, der selbst noch in diesen Studien begriffen ist.&& [3.] %%Der Buchstabe ist nur eine Hülfe der philosophischen Mittheilung, deren eigentliches Wesen in Erregung eines bestimmten Gedanckengangs besteht. Der Redende denckt producirt – der Hörende denckt nach – reproducirt. Die Worte sind ein trügliches Medium des Vordenckens – unzuverlässige Vehikel eines bestimmten, specifischen Reitzes. Der ächte Lehrer ist ein Wegweiser. Ist der Schüler in der That wahrheitslustig, so bedarf es nur eines Wincks, um ihn finden zu lassen, was er sucht. Die Darstellung der Philosophie besteht demnach aus lauter Themas – aus Anfangssätzen – Principien. Sie ist nur für selbstthätige Wahrheitsfreunde. Die analytische Ausführung des Thems ist nur für Träge oder Ungeübte. – Leztere müssen dadurch fliegen und sich in einer bestimmten Direction erhalten lernen. Aufmercksamkeit ist eine zentrirende Kraft. Mit der gegebenen Richtung beginnt das wircksame Verhältniß zwischen dem Gerichteten und dem Objecte der Richtung. Halten wir diese Richtung fest so gelangen wir apodiktisch sicher zu dem gesteckten Ziel. Ächtes Gesammtphilosophiren ist also ein gemeinschaftlicher Zug nach einer geliebten Welt – bey welchem man sich wechselseitig im vordersten Posten, welcher die meiste Anstrengung gegen das widerstrebende Element, worinn man fliegt, nöthig macht, ablößt.&& [4.] %%Ein Problem ist eine feste, synthetische Masse, die mittelst der durchdringenden Denkkraft zersezt wird. So ist umgekehrt das Feuer die Denckkraft der Natur und jeder Körper ein Problem.&&

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[5.] %%Man muß bey jeder Philosophie das Zufällige von dem Wesentlichen zu unterscheiden wissen. Zu diesem Zufälligen gehört ihre polemische Seite. In spätern Zeiten erscheint die an Widerlegung und Beseitigung vorhergegangener Meynungen verschwendete Mühe seltsam genug –. Eigentlich ist diese Polemik noch eine Selbstbekämpfung – indem der seiner Zeit entwachsene Denker doch noch von den Vorurtheilen seiner academischen Jahre beunruhigt wird – eine Beunruhigung, von der man sich in hellern Zeiten keinen Begriff mehr machen kann, weil man kein Bedürfniß fühlt sich dagegen in Sicherheit zu setzen.&& [6.] %%Jedes Wort ist ein Wort der Beschwörung. Welcher Geist ruft – ein solcher erscheint.&&

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[7.] %%Wenn man anfängt über Philosophie nachzudenken – so dünkt uns Philosophie, wie Gott, und Liebe, Alles zu seyn. Sie ist eine mystische, höchstwircksame, durchdringende Idee – die uns unaufhaltsam nach allen Richtungen hineintreibt. Der Entschluß zu philosophiren – Philosophie zu suchen ist der Act der Manumission – der Stoß auf uns Selbst zu.&& [8.] %%Außer der Philosophie der Philosophie giebt es allerdings noch Philosophieen – die man Individualphilosophieen nennen könnte. Die Methode ist ächt philosophisch – Sie gehn vom Absoluten aus – nur von keinem rein Absoluten. Sie sind daher eigentlich aus Philosophie und Unphilosophie gemischt, und je inniger die Vermischung ist, desto interressanter. Sie sind individuell von Grund aus – Sie setzen eine Synthesis mit Gewalt, als Thesis. Die Darstellung der Phil[osophie] der Phil[osophie] wird immer etwas von einer Individualphilosophie haben. Der Dichter stellt ebenfalls nur Individualphil[osophie] dar, und jeder Mensch wird, so lebhaft er übrigens auch die Phil[osophie] der Phil[osophie] anerkennen mag, praktisch nur mehr oder weniger Individualphilosoph seyn, und, trotz allen Bestrebens, nie ganz aus dem Zauberkreise seiner Individualphilosophie heraustreten können.&& [9.] %%Sollte das höchste Princip das höchste Paradoxon in seiner Aufgabe enthalten? Ein Satz seyn, der schlechterdings keinen Frieden ließe – der immer anzöge, und abstieße – immer von neuen unverständlich würde, so oft man ihn auch schon verstanden hätte? Der unsre Thätigkeit unaufhörlich rege machte – ohne sie je zu ermüden, ohne je gewohnt zu werden? Nach alten mystischen Sagen ist Gott für die Geister etwas Ähnliches.&& [10.] %%Unser Denken war bisher entweder blos mechanisch – discursiv – atomistisch – oder blos intuitiv – dynamisch – Ist jezt etwa die Zeit der Vereinigung gekommen?&& [11.] %%Es wäre wohl möglich, daß Fichte Erfinder einer ganz neuen Art zu denken wäre – für die die Sprache noch keinen Namen hat. Der Erfinder ist vielleicht nicht der fertigste und sinnreichste Künstler auf seinem Instrument – ob ich gleich nicht sage, daß es so sey – Es ist aber wahrscheinlich, daß es Menschen giebt und geben wird – die weit besser Fichtisiren werden, als Fichte. Es können wunderbare Kunstwercke hier entstehn – wenn man das Fichtisiren erst artistisch zu treiben beginnt.&&

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[12.] %%Im eigentlichsten Sinn ist philosophiren – ein Liebkosen – eine Bezeugung der innigsten Liebe zum Nachdenken, der absoluten Lust an der Weisheit.&& [13.] Der rohe, discursive Denker ist der Scholastiker, der ächste Scholastiker ist ein mystischer Subtilist. Aus logischen Atomen baut er sein Weltall – er vernichtet alle lebendige Natur, um ein Gedankenkunststück an ihre Stelle zu setzen – Sein Ziel ist ein unendliches Automat. Ihm entgegengesezt ist der rohe, intuitive Dichter. Er ist ein mystischer Macrolog. Er haßt Regel, und feste Gestalt. Ein wildes, gewaltthätiges Leben herrscht in der Natur – Alles ist belebt. Kein Gesetz – Willkühr und Wunder überall. Er ist bloß dynamisch. So regt sich der philosophische Geist zuerst in völlig getrennten Massen. Auf der 2ten Stufe der Kultur fangen sich an diese Massen zu berühren – mannichfaltig genug – So wie in der Vereinigung unendlicher Extreme überhaupt

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das Endliche, Beschränckte, entsteht, so entstehn nun auch hier Eklektiker ohne Zahl. Die Zeit der Mißverständnisse beginnt. Der Beschränkteste ist auf dieser Stufe der Bedeutendste, der reinste Philosoph der 2ten Stufe. Diese Klasse ist ganz auf die wirckliche, gegenwärtige Welt, im strengsten Sinne, eingeschränckt. Die Philosophen der ersten Klasse sehn mit Verachtung auf diese 2te herab. Sie sagen, sie sey alles nur ein bischen – und mithin nichts. Sie halten ihre Ansichten für Folgen der Schwäche, für Inconsequentismus. Gegentheils stimmt die 2te Klasse in der Bemitleidung der Ersten überein – der sie die absurdeste Schwärmerey, bis zum Wahnsitz, schuld geben. Wenn von Einer Seite Scholastiker und Alchymisten gänzlich gespalten, hingegen die Eklektiker Eins zu seyn scheinen, so ist doch auf dem Revers alles gerade umgekehrt. Jene sind im Wesentlichen indirecte Eines Sinns – nemlich über die absolute Unabhängigkeit und unendliche Tendenz der Meditation – Sie gehn beyde vom Absoluten aus – dagegen die Bornirten im Wesentlichen mit sich selbst uneins und nur im Abgeleiteten übereinstimmend sind. Jene sind unendlich, aber einförmig – diese beschränckt – aber mannichfaltig. Jene haben das Genie – diese das Talent – Jene die Ideen – diese die Handgriffe. Jene sind Köpfe, ohne Hände, diese Hände, ohne Köpfe. Die dritte Stufe ersteigt der Künstler, der Werckzeug und Genie zugleich ist. Er findet, daß jene ursprüngliche Trennung der absoluten philosophischen Thätigkeiten eine tiefer liegende Trennung seines eignen Wesens sey – deren Bestehn auf der Möglichkeit ihrer Vermittelung – ihrer Verbindung beruht. Er findet, daß so heterogen auch diese Thätigkeiten sind, sich doch ein Vermögen in ihm vorfinde von Einer zur andern überzugehn, nach Gefallen seine Polaritaet zu verändern – Er entdeckt also in ihnen nothwendige Glieder seines Geistes – er merckt, daß beyde in einem Gemeinsamen Princip vereinigt seyn müssen. Er schließt daraus, daß der Eklekticismus nichts, als das Resultat des unvollständigen, mangelhaften Gebrauchs dieses Vermögens sey. Es wird ihm mehr, als wahrscheinlich, daß der Grund dieser Unvollständigkeit die Schwäche der produktiven Imagination sey – die es nicht vermöge sich im Moment des Übergehns von Einem Gliede zum andern schwebend zu erhalten und anzuschauen. Die vollständige Darstellung des durch diese Handlung zum Bewußtseyn erhobenen ächt geistigen Lebens ist die Philosophie kat exochin. Hier entsteht jene lebendige Reflexion, die sich bey sorgfältige[r] Pflege nachher zu einem unendlich gestalteten geistigen Universo von selbst ausdehnt – der Kern oder Keim einer alles befassenden Organisation – Es ist der Anfang einer wahrhaften Selbstdurchdringung des Geistes die nie endigt. [14.] Sofisten sind Leute, die aufmercksam auf die Schwächen der Philosophen und Kunstfehler, dieselben zu ihrem Vortheil oder überhaupt zu gewissen unphilosophischen, unwürdigen Zwecken zu benutzen suchen – oft die Philosophie selber. Diese haben also eigentlich nichts mit der Philosophie zu thun. Sind sie aus Grundsatz unphilosophisch – so sind sie, als Feinde der Phil[osophie] zu betrachten, und wie Feinde zu behandeln. Die gefährlichste Klasse derselben sind die Skeptiker aus reinen Haß der Philosophie. Die übrigen Skeptiker sind

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zum Theil sehr achtungswerth. Sie sind die Vorläufer der dritten Periode. Sie haben ächt philosophische Unterscheidungsgabe – und es fehlt ihnen nur an geistiger Potenz. Sie haben die gehörige Capacität – aber nicht die selbstincitirende Kraft. Sie fühlen das Unzulängliche der bisherigen Systeme – Keins v i v i fi c i r t sie ganz. Sie haben ächten Geschmack – aber es mangelt die nöthige Energie der produktiven Imagination. Sie müssen polemisch seyn. Alle Eklectiker sind Skeptiker im Grunde – Je mehr sie umfassen, desto skeptischer – diese leztere Bemerkung wird durch die Thatsache bestätigt – daß die größesten und besten zeitherigen Gelehrten am Ende ihres Lebens am wenigsten zu wissen bekannten. [15.] Philosophistisiren ist dephlegmatisiren – Vivificiren. Man hat bisher in der Untersuchung der Philosophie, die Philosophie erst todtgeschlagen und dann zergliedert und aufgelößt. Man glaubte die Bestandtheile des Caput mortuum wären die Bestandtheile der Philosophie. Aber immer schlug jeder Versuch der Reduktion, oder der Wiederzusammensetzung fehl. Erst in den neuesten Zeiten hat man die Philosophie lebendig zu beobachten angefangen, und es könnte wohl kommen, daß man so die Kunst erhielte Philosophieen zu machen. [16.] Die gewöhnliche Logik ist die Grammatik der höhern Sprache oder des Denkens. Sie enthält blos die Verhältnisse der Begriffe untereinander – die Mechanik des Denkens – die reine Physiologie der Begriffe. Die logischen Begriffe verhalten sich aber zu einander, wie die Worte, ohne Gedanken. Die Logik beschäftigt sich blos mit dem todten Körper der Denklehre. Die Metaphysik ist die reine Dynamik des Denkens. Sie handelt von den ursprünglichen Denkkräften – sie beschäftigt sich mit der bloßen Seele der Denklehre. Die metaphysischen Begriffe verhalten sich zu einander, wie Gedanken, ohne Worte. Oft wunderte man sich über die beharrliche Unvollendung beyder Wissenschaften. Jede trieb ihr Wesen für sich, und überall fehlt es. Es wollte nie recht in jeder passen. Gleich von Anfang suchte man sie zu vereinigen, da alles in Ihnen auf Verwandtschaft deutete – Aber jeder Versuch mislang – da Eine von beyden immer dabey litt und ihren wesentlichen Karacter einbüßte. Es blieb bey metaphysischer Logik – und logischer Metaphysik – aber keine war, was sie seyn sollte. Der Physiologie und Psychologie, der Mechanik und Chymie giengs nicht besser. In der lezten Hälfte dieses Jahrhunderts entstand hier eine neue, heftigere Entzündung, als je – die feindlichen Massen thürmten sich stärker, als zeither, gegen einander auf – die Gährung war übermäßig – es erfolgten mächtige Explosionen. Jezt behaupten Einige – es habe sich irgendwo eine wahrhafte Durchdringung eräugnet – es sey ein Keim der Vereinigung entstanden, der allmälich wachsen und alles zu Einer, untheilbaren Gestalt assimiliren würde – Dieses Princip des ewigen Friedens dringe unwiederstehlig nach allen Seiten, und bald werde nur Eine Wissenschaft und Ein Geist, wie Ein Prophet und Ein Gott, seyn. [17.] %%Die vollendete Form der Wissenschaften muß poëtisch seyn. Jeder Satz muß einen selbstständigen Karacter haben – ein selbstverständliches Individuum, Hülle eines witzigen Einfalls seyn.&&

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[18.] %%Der erste synthetische Satz ist gleichsam der erste Kern. Es lößt sich von den beyden Endgliedern ein Satz nach dem Andern nach AnziehungsGesetzen des Kerns ab und wird mittelst seines Durchgehns durch den ersten Satz, diesem assimilirt – und so wächst die Philosophie in die Unendlichkeit, nach außen und nach Innen – Sie strebt gleichsam den unendlichen Raum zwischen den Endgliedern auszufüllen.&& [19.] Die höchsten Aufgaben beschäftigen den Menschen am Frühsten. Äußerst lebhaft fühlt der Mensch beym ersten Nachdenken das Bedürfniß die höchsten Enden zu vereinigen. Mit steigender Kultur nehmen seine Versuche an Genialitaet ab – aber sie nehmen an Bauchbarkeit zu – wodurch er zu dem Irrthume verleitet wird – gänzlich von den Endgliedern zu abstrahiren, und sein Verdienst blos in Vereinigung näherer Bedingter Glieder zu setzen. Es kann aber nicht fehlen, daß er bald die nothwendige Mangelhaftigkeit dieser Methode bemerckt und sich nach der Möglichkeit umsieht die Vortheile der ersten Methode, mit den Vortheilen der 2ten Methode zu verbinden und so beyde zu ergänzen. Jezt fällt ihm endlich ein in sich selbst, als absoluten Mittelpunct dieser getrennten Welten das absolute Vereinigungsglied aufzusuchen – Er sieht auf einmal, daß das Problem realiter schon durch seine Existenz gelößt ist – und das Bewußtseyn der Gesetze seiner Existenz die Wissenschaft kat exoxin sey, die er so lange schon suche. Mit der Entdeckung dieses Bewußtseyns ist das große Räthsel im Grunde gelößt. So wie sein Leben reale Philosophie ist, so ist seine Philosophie ideales Leben – lebendige Theorie des Lebens. Aus zufälligen Thatsachen, werden systematische Experimente. Sein Weg ist ihm nun auf Ewigkeiten vorgezeichnet – Seine Beschäftigung ist Erweiterung seines Daseyns in die Unendlichkeit – der Traum seiner Jugend ist zu einer schönen Wircklichkeit – seine frühern Hoffnungen und Ahndungen sind zu symbolischen Prophezeyungen geworden. Der scheinbare Widerspruch der ursprünglichen Aufgabe – der Aufgaben – Lösung und Nichtlösung zugleich – ist vollkommen gehoben. [20.] Statt Cosmogenieen und Theogenieen beschäftigen sich unsre Philosophen mit Anthropogenieen.

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[21.] Es giebt gewisse Dichtungen in uns, die einen ganz andern Karacter, als die Übrigen zu haben scheinen, denn sie sind vom Gefühle der Nothwendigkeit begleitet, und doch ist schlechterdings kein äußrer Grund zu ihnen vorhanden. Es dünckt dem Menschen, als sey er in einem Gespräch begriffen, und irgend ein unbekanntes, geistiges Wesen veranlasse ihn auf eine wunderbare Weise zur Entwickelung der evidentesten Gedancken. Dieses Wesen muß ein Höheres Wesen seyn, weil es sich mit ihm auf eine Art in Beziehung sezt, die keinem an Erscheinungen gebundenen Wesen möglich ist – Es muß ein homogenes Wesen seyn, weil es ihn, wie ein geistiges Wesen behandelt und ihn nur zur seltensten Selbstthätigkeit auffordert. Dieses Ich höherer Art verhält sich zum Menschen, wie der Mensch zur Natur, oder wie der Weise zum Kinde. Der Mensch sehnt sich ihm gleich zu werden, wie er das N[icht]I[ch] sich gleich zu machen sucht. Darthun läßt sich dieses Factum nicht. Jeder muß es selbst erfahren. Es ist ein Factum höherer Art, das nur der höhere Mensch antreffen wird. Die Menschen sollen aber streben es in sich zu veranlassen.

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Die Wissenschaft, die hierdurch entsteht ist die höhere W[issenschafts]L[ehre]. %%Hier ist der Satz: Ich bestimmt N[icht]I[ch] das Princip des theoretischen, und der Satz: Ich wird bestimmt – Princip des practischen Theils.&& Der practische Theil enthält die Selbsterziehung des Ich um jener Mittheilung fähig zu werden – der theoretische Theil – die Merckmale der ächten Mittheilung. Die Ritus gehören zur Erziehung. Bey Fichte enthält der theoretische Theil die Merckmale einer ächten Vorstellung – der practische die Erziehung und Bildung des N[icht]I[ch] um eines wahren Einflusses, einer wahren Gemeinschaft mit dem Ich fähig zu werden – mithin auch die parallele Selbstbildung des Ich. Moralität gehört also in beyde Welten; hier, als Zweck – dort als Mittel – und ist das Band, was beyde verknüpft. [22.] Philosophiren ist eine Selbstbesprechung obiger Art – eine eigentliche Selbstoffenbarung – Erregung des wircklichen Ich durch das Idealische Ich. Philosophiren ist der Grund aller andern Offenbarungen. Der Entschluß zu philosophiren ist eine Aufforderung an das wirckliche Ich, daß es sich besinnen, erwachen und Geist seyn solle. Ohne Philosophie keine ächte Moralität, und ohne Moralität keine Philosophie. [23.] %%Die Verknüpfung des Spinotzism und Hylozoïsm würde die Vereinigung des Materialism und Theïsm herbeyführen.&&

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[24.] %%Kraft ist die Materie der Stoffe. Seele die Kraft d[er] Kräfte. Geist ist die Seele der Seelen. Gott ist der Geist der Geister.&& [25.] %%Baader, Fichte, Schelling, Hülsen und Schlegel möcht ich das philosophische Directorium in Deutschland nennen. Es läßt sich noch unendlich viel von diesem Quinquevirat erwarten. Fichte praesidirt und ist Gardien de la Constitution.&&

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[26.] %%Die Möglichkeit aller Philosophie beruht darauf – daß sich die Intelligenz durch Selbstberührung eine Selbstgesezmäßige Bewegung – d.i. eine eigne Form der Thätigkeit, giebt. (Siehe Baaders Theorie der Gliedrung)&& *

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Logologische Fragmente [27.] Statt Cosmogenieen und Theogenieen beschäftigt unsre Philosophen – Anthropogenie. [28.] Wenn die Welt gleichsam ein Niederschlag aus der Menschennatur ist, so ist die Götterwelt eine Sublimation – Beyde geschehn uno actu – Kein plastisches Praecipitat, ohne geistiges Sublimat. Was jenes an Wärme verliert, gewinnt dieses. Gott und Welt entsteht in Einem Wechsel zugleich – durch eine Zersetzung der Menschennatur. /Böse und gute Geister sind gleichsam Stickstoff und Lebens-

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luft. Zum thierischen Leben gehören beyde – und der thierische Körper besteht größtentheils aus bösem Geiststoff./

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[29.] Das Poém des Verstandes ist Philosophie – Es ist der höchste Schwung, den der Verstand sich über sich selbst giebt – Einheit des Verstandes und der Einbildungskraft. Ohne Philosophie bleibt der Mensch in seinen wesentlichsten Kräften uneins – Es sind 2 Menschen – Ein Verständiger – und Ein Dichter. Ohne Philosophie unvollkomner Dichter – Ohne Philosophie unvollkommner Denker – Urtheiler. [30.] Aus der Recension der Fichtischen W[issenschafts]L[ehre] in der Litt[eratur] Zeit[ung] [Jenaer Allgemeine Literatur-Zeitung vom 4.Januar 1798, Sp.33ff.] Reines, unbedingtes Wissen – von der Erfahrung unabhängiges Wissen war von jeher das Ziel der Bestrebungen der phil[osophirenden] Vernunft. Methodischer Profetismus.

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Der Skeptiker und Dogmaticist verstehn unter dem reinen Wissen die Erkenntniß der Dinge an sich. Reine Vernunft ist Ihnen das Vermögen sich die Dinge an sich vorzustellen. Der Kriticism unterscheidet sich von ihnen dadurch, daß er weder ausdrücklich noch stillschweigend v o r a u s s e z t – daß jenes Wissen Erkenntniß der Dinge an sich seyn müsse. Aus dieser neuen Untersuchung geht hervor: 1. Daß Erkenntniß der Dinge an sich überhaupt unmöglich, wohl aber 2. ein von der Erfahrung unabhängiges und insofern reines Wissen möglich sey, 3. daß dasselbe die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung, als solcher, aber auch nur Sie allein zum Object haben müsse, 4. daß es, als reines Wissen, nicht durch die Kritik, sondern durch eine besondre reine Vernunftwissenschaft, zu der sich jene lediglich, als Propaedeutik verhalte, aufgestellt werden könne, 5. daß sich die Vernunft überhaupt, nicht als Vermögen, Dinge an sich vorzustellen, denken lasse, 6. daß derselben nur vermittelst der Sinnlichkeit und des an die Sinnlichkeit gebundenen Verstandes, objectiv reale Erkenntniß möglich, 7. daß durch reine V[ernunft] unmittelbar nichts, … [als die Nothwendigkeit des freyen Handelns, welche das moralische Gesetz heißt, statt finde.] *

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Fragmente oder Denkaufgaben

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Fragmente oder Denkaufgaben

[193.] Der erste Mensch ist der erste Geisterseher. Ihm erscheint alles, als Geist. Was sind Kinder anders, als erste Menschen? Der frische Blick des Kindes ist überschwenglicher, als die Ahndung des entschiedensten Sehers. [194.] Die Sieste des Geisterreichs ist die Blumenwelt. In Indien schlummern die Menschen noch immer und ihr heiliger Traum ist ein Garten, den Zucker und Milchseen umschließen. [195.] Es liegt nur an der Schwäche unsrer Organe, und der Selbstberührung, daß wir uns nicht in einer Feenwelt erblicken. Alle Mährchen sind nur Träume von jener heymathlichen Welt, die überall und nirgends ist. Die höhern Mächte in uns, die einst, als Genien, unsern Willen vollbringen werden, sind jezt Musen, die uns auf dieser mühseligen Laufbahn mit süßen Errinnerungen erquicken.

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[196.] Plastik, Musik und Poésie verhalten sich wie Epos, Lyra und Drama. Es sind unzertrennliche Elemente, die in jedem freyen Kunstwesen zusammen, und nur, nach Beschaffenheit, in verschiednen Verhältnissen geeinigt sind. [197.] Was ist der Mensch? Ein vollkommner Trope des Geistes. Alle ächte Mittheilung ist also sinnbildsam – und sind also nicht Liebkosungen ächte Mittheilungen? [198.] Alle Menschen sind Variationen Eines vollständigen Individuums, d.h. einer Ehe. Ein Variationen Accord ist eine Familie – wozu jede innig verbundene Gesellschaft zu rechnen ist. Wenn eine so einfache Variation, wie Natalie und die schöne Seele, schon ein so tiefes Wohlgefühl erregt, wie unendlich muß das Wohlgefühl dessen seyn der das Ganze in seiner mächtigen Symphonie vernimmt? [199.] Ein Lichtstrahl bricht sich noch in etwas ganz Anderes, als in Farben. Wenigstens ist der Lichtstrahl einer Beseelung fähig, wo sich dann die Seele in Seelenfarben bricht. Wem fällt nicht der Blick der Geliebten ein? [200.] Alle geistige Berührung gleicht der Berührung eines Zauberstabs. Alles kann zum Zauberwerckzeug werden. Wem aber die Wirckungen einer solchen Berührung so fabelhaft, wem die Wirckungen eines Zauberspruchs so wunderbar vorkommen – der errinnre sich doch nur an die erste Berührung der Hand seiner Geliebten – an ihren ersten, bedeutenden Blick, wo der Zauberstab der abgebrochne Lichtstrahl ist, – an den ersten Kuß, an das erste Wort der Liebe – und frage sich, ob der Bann und Zauber dieser Momente nicht auch fabelhaft und wundersam, unauflöslich und ewig ist? [201.] Die Menschheit ist der höhere Sinn unsers Planeten, der Nerv, der dieses Glied mit der Obern Welt verknüpft, das Auge, was er gen Himmel hebt. [202.] %%Der Philosoph lebt von Problemen, wie [der] Mensch von Speisen. Ein unauflösliches Pr[oblem] ist eine unverdauliche Speise […] zum verdaulichen

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Nahrungsmittel, so soll alles […] werden –. Was die Würze an den Speisen, das ist das Paradoxe an den Problemen. Wahrhaft aufgelößt wird ein Problem, wenn es, als solches vernichtet wird – So auch mit den Speisen. Der Gewinn bey beyden ist die Thätigkeit, die durch beyde erregt wird. Jedoch giebt es auch nährende Probleme, wie nährende Speisen – deren Elemente ein Zuwachs meiner Intelligenz werden. Durch Philosophiren, insofern es eine absolute Operation ist, wird aber meine Intelligenz, außer der unaufhörlichen Erneuerung, auch fortwährend ameliorirt – welches bey den Speisen nur bis auf einen gewissen Zeitpunct statt findet. Eine schleunige Amelioration unsrer Intelligenz ist so bedenklich, wie ein plötzliches Starckwerden. Der wahre Schritt der Gesundheit und Besserung ist langsam – wenn es gleich auch hier, nach den verschiedenen Constitutionen, verschiedne Reihen der Geschwindigkeiten giebt. So wenig man also ißt, um ganz neue, fremde Stoffe zu erwerben – so wenig philosophirt [man] um ganz neue, fremde Wahrheiten zu finden. Man philosophirt gerade darum, warum man lebt. Sollte man einmal dahin kommen – ohne gegebene Nahrungsmittel zu leben, [so] wird man auch so weit kommen – [ohne] gegebene Probleme zu philosophiren, [wen]n nicht gar einige schon so weit sind.&& [203.] [Man] weiß und macht eigentlich [nur], was man wissen und machen will. Die Schwierigkeit ist nur dies zu finden. Genaue Beobachtung des ersten Moments der erscheinenden Vellëitaet, der gleichsam der Keim ist, wird uns überzeugen, daß hier alles schon drinn liegt, was sich nachher nur entwickelt und abklärt. *

Teplitzer Fragmente

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!Teplitzer Fragmente und Ergänzungen zu den Teplitzer Fragmente"

[Teplitzer Fragmente] 1. [320.] Gefühl des Gefühls ist schon Empfindung – Empfindung der Empfindung – u.s.fort. ––––––––

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2. [321.] Jedes Glied des Körpers ist aller Kranckheiten fähig, denen eins seiner Mitglieder unterworfen ist. –––––––– 3.

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[322.] Meister ist reiner Roman – nicht, wie die Andern Rom[ane] mit einem Beyworte. historische Ansicht Meisters./ 4. [323.] Noten an den Rand des Lebens. 5.

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[324.] Thetische Bearbeitung des neuen T[estaments] oder der kristlichen Relig[ion]. Ist die Umarmung nicht etwas dem Abendmahl Ähnliches. Mehr über das Abendmahl. ––––––––

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6. [325.] Mystizismus des gesunden Menschenverstandes. Kleinjogg. Campe. Asmus. Plurimi. –––––––– 7. [326.] Individueller, selbstgegebner Name jedes Dings. ––––––––

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8. [327.] Noten zum täglichen Leben. Über das Schlafengehn – das Müßiggehn – Essen. Abend. Morgen. Das Jahr – die Woche. tägliche Beschäftigungen und Gesellschaften. Umgebung. Meublement. Gegend, Kleidung etc. ––––––––

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[328.] Überschriften zu den Fragmenten. Was soll ein Titel seyn? ein organisches, individuelles Wort – oder eine genetische Definition – oder der Plan mit Einem Worte – eine allg[emeine] Formel. Er kann aber noch mehr seyn – und noch etw[as] ganz anders. 10. [329.] Wo ist der Urkeim – der Typus der ganzen Natur zu finden? Die Natur der Natur etc.? 11.

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[330.] Jedes specifische Factum ist Quell einer bes[onderen] Wissenschaft. 12. [331.] Was ist der Bauer? 13.

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[332.] Was haben mehrere Menschen zusammen für eine Misch oder Mittelconstitution, Gesundheit – Kranckheit – kann man sie zusammen – als Ein Individuum nach den Indikationen dieser componirten Kranckheit curiren? 14.

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[333.] Die Foderung die gegenwärtige Welt für die Beste, und die absol[ut] Meine anzunehmen ist ganz der gleich, meine mir angetraute Frau für die Beste und Einzige zu halten und ganz für Sie, und in ihr zu leben. Es giebt noch sehr viel ähnliche Foderungen und Ansprüche – deren Anerkennung derjenige zur Pflicht macht – der einen für immer entschiednen Respect für alles, was geschehn ist, hat – der historisch Religioes ist – der Absolute Gläubige und Mystiker der Geschichte überhaupt – der ächte Liebhaber des Schicksals. Das Fatum ist die mystificirte Geschichte. Jede willkührl[iche] Liebe in der bekannten Bedeutung ist eine Religion – die nur Einen Apostel, Evangelisten und Anhänger hat und haben – und Wechselreligion seyn kann – aber nicht zu seyn braucht. Wo der Gegenstand die Eifersucht seiner Natur nach, ausschließt – so ist es die christliche Relig[ion] – die kristliche Liebe.

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15. [334.] Begriff von Philologie – Sinn für das Leben und die Individualitaet einer Buchstabenmasse. Wahrsager aus Chiffern – Letternaugur. Ein Ergänzer. Seine Wissensch[aft] entlehnt viel von der materialen Tropik. Der Physiker, der Historiker, der Artist, der Kritiker etc. gehören alle in dieselbe Klasse./ Weg v[om] Einzelnen aufs Ganze – vom Schein auf die Wahrheit et sic porro. Alles befaßt die Kunst und Wiss[enschaft] von Einem aufs Andere – und so von Einem auf Alles – rhapsodisch oder systematisch zu gelangen – die geistige Reisekunst – die Divinationskunst. ––––––––

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16. [335.] Nichts ist dem Geist erreichbarer, als das Unendliche – –––––––– 17. [336.] Sofie, oder über die Frauen.

15

–––––––– 18. [337.] Vorrede und Motto zu den Fragmenten. 19. [338.] Verhältnisse des Titels, Plans, und Inhaltsverzeichnisses. Nothwendigkeit einer Nachrede.

20

20. [339.] Ist der äußre Reitz vielleicht nur zur Bewußtwerdung nöthig – Die Wirckung erfolgt jezt nicht, sondern wir werden sie uns jezt nur bewußt – Es kommt uns vor, als geschähe es erst jezt – und zwar durch Sollicitation von außen. Der Verstand trennt nur zum Behuf seines Zwecks, des B[ewußt]S[eyn]s.

25

21. [340.] An schlechten und mittelmäßigen Schriftstellern ließe sich noch mancher schöne Kranz verdienen. Man hat bisher fast lauter Schlechtes und Mittelmäßiges über dieselben – und doch würde eine Philosophie des Schlechten, Mittelmäßigen und Gemeinen von der höchsten Wichtigkeit seyn.

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22. [341.] Ein Roman ist ein Leben, als Buch. Jedes Leben hat ein Motto – einen Titel – einen Verleger – eine Vorrede – Einleitung – Text – Noten – etc. oder kann es haben.

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23.

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[342.] Philologie im Allg[emeinen] ist die Wissenschaft der Litteratur. Alles was von Büchern handelt ist philologisch. Noten, Titel, Mottos, Vorreden, Kritiken, Exegesen, Commentare, Citaten sind philologisch. Rein philologisch ist es, wenn es schlechterdings nur von Büchern handelt, sich auf solche bezieht – und sich durchaus nicht auf die Originalnatur directe wendet. Mottos sind philol[ogische] Texte. Sie ist theils philosophisch, theils historisch – jenes ist ihr reiner Theil – dies ihr angewandter. Gelehrter im strengen Sinn ist nur der Philolog. Diplom[atie] ist philol[ogisch] – die Historie auch. 24.

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[343.] Philosophie des Lebens enthält die Wissenschaft vom unabhängigen, selbstgemachten, in meiner Gewalt stehenden Leben – und gehört zur Lebenskunstlehre – oder dem System der Vorschriften sich ein solches Leben zu bereiten. Alles historische bezieht sich auf ein Gegebnes – so wie gegentheils alles phil[osophische] sich auf ein Gemachtes bezieht. Aber auch die Historie hat einen phil[osophischen] Theil. 25.

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25

[344.] Unsre Meynung, Glaube, Überzeugung von der Schwierigkeit, Leichtigkeit, Erlaubtheit und Nichterlaubtheit, Möglichkeit und Unmöglichkeit, Erfolg und Nichterfolg etc. eines Unternehmens, einer Handlung, bestimmt in der That dieselben – z.B. es ist etwas mühselig und schädlich, wenn ich glaube, daß es so ist und so fort. Selbst der Erfolg des Wissens beruht auf der Macht des Glaubens – In allem Wissen ist Glauben. –––––––– 26.

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35

[345.] Allgemeine Sätze sind nichts, als algebraische Formeln. Die reine Phil[osophie] ist daher gerade so etwas, wie die Lettern Algéber. So eine Formel kann ein Gattungs, ein Classen und Local zeichen seyn – methodischer Name einer ächten genetischen Definition. Definition ist ein Factum. Die Bezeichnung dieses Factums ist die gemeinhin sogenannte Definition. /Auf eine ähnliche Weise wie sich die Logarythmen auf die geometr[ischen] Progressionen beziehn, kann sich der Mechanism auf den Organism beziehn – blos Bezeichnungsweise./ 27. [346.] Auch die Grammatik ist philologisch zum Theil – der andre Theil ist philosophisch. ––––––––

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28. [347.] Die eingezogene Erziehung der Mädchen ist für häusliches Leben und Glück darum so vortheilhaft, weil der Mann, mit dem sie nachher in die nächste Verbindung treten, einen desto tiefern und einzigen Eindruck auf sie macht, welches zur Ehe unentbehrlich ist – Der Erste Eindruck ist der Mächtigste und treuste, der immer wiederkommt, wenn er auch eine Zeitlang verwischt scheinen kann.

5

–––––––– 29. [348.] Ächte Kunstpoësie ist bezahlbar. Die Poësie aus Bedürfniß – die Poësie, als Karacterzug – als Äußerung meiner Natur, kurz die Sentimentale Poësie läßt sich aber nur ein indelicater, roher Mensch bezahlen.

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30. [349.] Die Welt ist ein Universaltropus des Geistes – Ein symbolisches Bild desselben.

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31. [350.] Das Epigramm ist die Centralmonade der altfranzösischen Litteratur und Bildung. 32. [351.] Karactere, wie die Theophrastischen, müssen nicht wahr, aber sie müssen durchaus witzig seyn. Es müssen eine Masse Einfälle seyn – die für den Geist einen Karacter ohngefähr so darstellen – wie die Buchstaben in einer geschriebenen Zeichnung, einen Kopf oder sonst etwas.

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33. [352.] Der vollkommenste Karacter würde der durchsichtige – /der von selbst verständliche – der unendlich leicht und natürlich scheinende, durchaus Bekannte, deshalb unbemerckte, übersehene/ und elastische seyn.

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34. [353.] Das Bekannte, worauf der Phil[osoph] alles reduciren, und wovon er ausgehn soll, muß das Urbekannte – das Abs[olut] Bekannte seyn. Alles Vollkommne ist uns natürlich und absol[ut] Bekannt. 35. [354.] Symbolische Behandl[ung] der Naturwissenschaften. Was symbolisirt unser gewöhnliches Leben? Es ist ein Erhaltungsproceß.

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36. [355.] Alle Bezauberung ist ein künstlich erregter Wahnsinn. Alle Leidenschaft ist eine Bezauberung – Ein reitzendes Mädchen eine reellere Zauberinn, als man glaubt. 5

37. [356.] Über den Spruch: des Menschenwille ist sein Himmelreich. 38.

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[357.] Tout est Vanité – ist der empirische Idealism. C’est la Philosophie des Esprits forts, des Gens du Monde – le Precipitat d’une Vie vague et variée au possible. Tous les Viellards, surtout, qui ont bien joui de leur Vie, prechent c¸ e système. Le jeune homme vigoureux l’entend et va préferer une Vanité gaie a une Verité triste. Une Verité triste n’est aussi qu’ une Vanité, qui a perdu son teint frais et coloré, ses Lèvres vermeilles, et la marche Legère. Laideur de la Viellesse est c¸ e qu’elle est donc plus réelle, que la beauté du premier Age – par¸cequ’elle est la dernière? C’est donc le dernièr, qui a toujours Raison? 39.

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[358.] Jedes Buch, was der Mensch mit oder ohne Absicht, als solcher geschrieben hat – was also nicht sowohl Buch, als geschriebne Gedancken und Caracteräußerung ist – kann so mannichfaltig beurtheilt werden – als der Mensch selbst. Hier ist kein Künstler, sondern der ächte Menschenkenner kompetent – Es gehört nicht für ein artistisches, sondern für ein anthropologisches Forum. So einseitig, und unbillig, so arbitrair und inhuman Menschen beurtheilt werden – eben so auch diese Art Schriften. Es giebt so wenig reifen Sinn für universelle Humanitaet – daß man sich auch über die Kritiken dieser Schriften nicht wundern darf. Gerade das Beste wird am leichtesten übersehn. Auch hier findet der Kenner, für den der Mensch erst eigentlich vorhanden ist, unter dessen Augen er wird, unzählbare Nüancen, Harmonieen und Gelungenheiten – nur er weiß zu appreciren, und bewundert vielleicht in einer sehr mittelmäßig, oder gar schlechtscheinenden Schrift eine seltne Combination und Ausbildung menschlicher Anlagen – die herrliche Naturkunst eines Geistes, der sich ihm in einer barbarischen Form offenbart, weil er nur das Talent des schriftlichen Ausdrucks nicht besaß, oder vernachläßigte. 40. [359.] Fragmente über den Menschen. 41.

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[360.] Das Schwächungs und AbtödtungsSystem der strengen Moralisten und strengen Asceten ist nichts, als das bekannte, bisherige Heilungssystem in der Medicin. Ihm entgegen muß man ein Brownisches Stärkungssystem setzen, wie dem leztern. Hat dies schon jemand versucht. Auch hier werden die bisherigen Gifte und reitzenden Substanzen eine große Rolle spielen, und Wärme und Kälte ebenfalls ihre Rollen wechseln.

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42. [361.] Eine reitzbare Vernunft ist eine Schwächliche – Zärtliche. Daher die Moralisten und Bemercker oft so schlechte Practiker. 43. [362.] Les Femmes sind um deswillen der Pol um den sich die Existenz und La Philosophie der Vornehm-Klugen dreht, weil sie zugleich Körper und Seele afficiren. Auch Sie lieben die Ungetheiltheit – und setzen einen unumschränckten Werth auf diesen gemischten Genuß – dieser Geschmack geht auf alles über – das Bett soll weich – und die Form und Stickerey hübsch – das Essen delicat, aber auch animirend seyn und so durchaus. An den Femmes reibt sich auch ihr schreibender Verstand gern, drum haben sie so viel darüber geschrieben. Jeder sieht überall sein Bild – daher findet die Eitelkeit alles eitel. Nichts ist treffender, als das Bild des Zustandes, zu welchen La philosophie du monde führt, welches unabsichtlich und wahrhaft naïv die consommirten, und consumirten Weltleute von sich und ihrer Denkungsart in ihren Schriften und Reden aufstellen. Tröstlich und anlockend wahrhaftig nicht – ein an Unahnnehmlichkeit dreyfach verstärktes Alter – so wie gegentheils die Jugend auch dreymal gepfeffert war. La vraie philosophie gehört zu der passiven Wissenschaft des Lebens – Sie ist eine natürliche antithetische Wirckung dieses Lebelebens – aber kein freyes Produkt unsrer magischen Erfindungskraft. Auch im Schlimmen giebts eine Progression. Wenn man sich gehn läßt, so entsteht allmälich ein Ungeheuer in seiner Art. So in Brutalitaet, in Grausamkeit, Wollust, Frömmeley etc.

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–––––––– 44. [363.] Jedes Geschäft muß künstlerisch behandelt werden, wenn es sicher und dauernd und durchaus zweckmäßig gelingen soll. 45.

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[364.] Leute, wie Ligne, Voltaire, und Boufflers, halten sich für absolute Esprits – und glauben, daß sie selbst unabsichtlich sich, als Esprits, zeigen. Sie essen, träumen, und machen selbst Sottisen mit Esprit. Kreatoren und Annihilanten des Esprit. 46. [365.] Brown ist der Arzt unsrer Zeit. Die herrschende Konstitution ist die Zärtliche – die Asthenische. Das Heilsystem ist das natürliche Produkt der herrschenden Constitution – daher es sich mit dieser ändern muß.

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47. [366.] La Memoire ne se comporte pas bien avec la sensibilité – comme avec le Jugement – ce qui devient clair par le fait, qu’une grande douleur l’affaiblit. du Prince de Ligne. 48.

5

[367.] Brownische Psychologie. 49.

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[368.] Mit Ärzten und Geistlichen macht sich kein Großer Bedenken öffentlich und vertraut zu erscheinen – denn jeder der ihm begegnet ahndet so gut, wie er, die Unentbehrlichkeit dieser Leute in unvermeidlichen Stunden. 50.

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[369.] Nur der keine Gesellschaft bedarf, ist bon Compagnon. Nur dieser wird von der Gesellschaft unabhängig. Sie haben und mannichfach reitzen und nach Willkührlichen Plan behandeln können. Die Andren werden von ihm gehabt – und haben ihn nicht. Die Gesellschaft muß mich nicht reitzen, wenn ich sie reitzen will. Sie muß Appetit zu mir haben, und ich muß mich nach ihrer Constitution stimmen können, welche Gabe man Tact im allg[emeinen] nennen könnte. Ich muß nur den passiven Willen haben mich hinzugeben, mich genießen zu lassen, mich mitzutheilen. 51. [370.] Les Femmes haben sich nicht über Ungerechtigkeit zu beklagen. Schade, wenn eine Frau dabey war! Die Beauxesprits haben in Rücksicht des Femmes vollkommen recht. Wer wird aber Les Femmes mit den Frauen verwechseln. 52.

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[371.] Les Femmes sind Muster der zärtlichsten, weiblichsten Konstitution – höchste Asthenieen – mit einem Minimum von Vernunft. So werden sie sehr begreiflich. Annihilantinnen der Vernunft. Über die M o d e . Sollte der höchste Reitz für einen Astheniker eine Asthenische seyn? und umgek[ehrt].

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53. [372.] Sinne der 1sten, 2ten, dritten Hand etc. –––––––– 54.

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[373.] Dürfte es wohl eine Dame geben, die sich aus ächter Liebe zum Putz – aus uneigennützigen Geschmack gut anzöge?

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55. [374.] Mancher Skepticism ist nichts, als unreifer Idealism. Realist ist der Idealist, der von sich selbst nichts weis – Der rohe Idealism – der aus der ersten Hand ist der Realism. 56. [375.] Aehnlichkeit und Unähnlichkeit von Asmus und Ligne und Voltaire. Auch Jacobi gehört zu den Transscendenten Empirikern. Empiriker ist: in den die Denkungsart eine Wirckung der Außenwelt und des Fatums ist – der passive Denker – dem seine Philosophie gegeben wird. Voltaire ist reiner Empiriker und so mehrere französische Philos[ophen] – Ligne neigt unmercklich zu den Transcendenten Empirikern. Diese machen den Übergang zu den Dogmatikern – Von da gehts zu den Schwärmern – oder den transscendenten Dogmatikern – dann zu Kant – von da zu Fichte – und endlich zum magischen Idealism.

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57. [376.] Die Geschichte der Philosophen gehört zur philologischen Philosophie. Man hat bisher Geschichte der Bildung der Menschheit, Geschichte der Philosophen, und Geschichte der Philosophie immer vermengt – man hat nur die Lexicographische Vollständigkeit gesucht – und dadurch entstehn eben die Zwitter – und Monstern – daß man z. B. unter den Artikel Philosophie alles bringt, was die Philosophie nur irgend berührt, wo nur das Wort Philosophie etc. vorkommt.

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58. [377.] Von wie wenig Völkern ist eine Geschichte möglich! Diesen Vorzug erwirbt ein Volk nur durch eine Litteratur, oder durch Kunstwercke, denn was bleibt sonst von ihm Individuelles, Caracteristisches übrig. Es ist natürlich, daß ein Volk erst geschichtlich wird, wenn es ein Publicum wird – ist denn der Mensch geschichtlich – eh er mündig ist und ein eignes Wesen vorstellt?

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59. [378.] Paradoxen beschämen immer – daher sie auch so verschrieen sind. 60.

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[379.] Das wäre ihnen die liebste, die die glänzendste Tugend gegen die Andern, und die reitzendste Wollust für sie – die überall angebetete Tyrannin gegen alle, und die anbetende Sklavin gegen sie allein wäre. 61. [380.] Auch Männern kann man absolut anhänglich seyn – so gut wie Frauen. /ein offner, edler Karacter – überall sichtbar./

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62.

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[381.] Das Herz ist der Schlüssel der Welt und des Lebens. Man lebt in diesem hülflosen Zustande, um zu lieben – und andern verpflichtet zu seyn. Durch Unvollkommenheit wird man der Einwirckung andrer fähig – und diese fremde Einwirckung ist der Zweck. In Kranckheiten sollen und können uns nur andre helfen. So ist Xstus, von diesem Gesichtspunct aus, allerdings der Schlüssel der Welt. 63.

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[382.] Oekonomie im weitesten Sinne begreift auch die Lebens-Ordnungslehre. Es ist die practische Wissenschaft im Ganzen. Alles practische ist oeconomisch. 64. [383.] Selbstempfinden – wie Selbstdenken – actives Empfinden. Man bringt das Empfindungsorgan wie das Denkorgan in seine Gewalt. 65.

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[384.] Wer viel Vernunft in gewissen Sinn hat, bey dem wird alles Einzig – Seine Leidenschaften, seine Lage, seine Begebenheiten, seine Neigungen, kurz alles, was ihn berührt, wird absolut – zum Fato. 66.

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[385.] Ächte Unschuld geht, so wenig wie ächtes Leben verloren. Die gewöhnliche Unschuld ist nur Einmal, wie der Mensch, da – und kommt so wenig wieder, als er. Wer, wie die Götter, Erstlinge liebt, wird nie an der 2ten Unschuld den Geschmack finden, wie an der Ersten – ohnerachtet die Leztere mehr ist, wie die Erste. Manches kann nur Einmal erscheinen – weil das Einmal zu seinem Wesen gehört. Unser Leben ist absolut und abhängig zugleich. Wir sterben nur gewissermaaßen. Unser Leben muß also zum Theil – Glied eines Größern, gemeinschaftlichen Lebens seyn. 67. [386.] Ein gemeinschaftlicher Schiffbruch etc. ist eine Trauung der Freundschaft oder der Liebe.

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68. [387.] Die Hypochondrie bahnt den Weg zur körperlichen Selbstkenntniß – Selbstbeherrschung – Selbstlebung. 69.

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[388.] Ob das Erst Sehn und dann Lesen oder das Umgekehrte vorzuziehn ist? Kunst sehn zu lassen – Kunst zu schreiben.

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70. [389.] On dedaigne la Boue – pour quoi? Ne Sommes nous pas de la boue parvenue – Partout de la boue – rien que de la boue – et on s’etonne, que la boue n’a pas changé de Nature. 71.

5

[390.] S’il faut, que Dieu nous aime, et que Dieu est tout – il faut bien aussi, que nous soyons rien. 72. [391.] Une forte quantité d’opinions est fondé sur le principe – que nous sommes rien. Les Meilleurs ajoutent, que nous sommes pourtant susceptibles d’une certaine Espè¸ce de Valeur absolue – en nous reconnoissant pour rien, et en croyant a l’amour de Dieu.

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73. [392.] Das gewöhnliche Leben ist ein Priesterdienst – fast, wie der Vestalische. Wir sind mit nichts, als mit der Erhaltung einer heiligen und geheimnißvollen Flamme beschäftigt – einer doppelten, wie es scheint. Es hängt von uns ab wie wir sie pflegen und warten. Sollte die Art ihrer Pflege vielleicht der Maaßstab unsrer Treue, Liebe, und Sorgfalt für das Höchste – der Caracter unsers Wesens seyn? Berufstreue? symbolisches Zeichen unsrer Religiositaet – d. ist unsers Wesens? (Feueranbeter.)

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–––––––– 74. [393.] L’homme en General est un Alcibiade: A For¸ce d’Amabilité il est partout l’enfant flatteur de la Nature. Par Complaisance envers elle il est Nègre et Esquimau, Européen et Tatare, Jameo et Grec selon l’usage du païs.

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75. [394.] Man kann immer zugeben, daß der Mensch einen vorwaltenden Hang zum Bösen hat – desto besser ist er von Natur – denn nur das Ungleichartige zieht sich an.

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76. [395.] Böse Menschen müssen das Böse aus Haß gegen die Bösen thun. Sie halten alles für böse – und dann ist ihr zerstörender Hang sehr natürlich – denn so wie das Gute das Erhaltende, so ist das Böse das Zerstörende. Dies reibt sich am Ende selbst auf, und widerspricht sich sogar im Begriff, dahingegen jenes sich selbst bestätigt und in sich selbst besteht und fortdauert. Die Bösen müssen wider ihren, und mit ihrem Willen zugleich böse handeln. Sie fühlen, daß jeder Schlag sie selbst trift, und doch können sie das Schlagen nicht lassen. Bosheit ist nichts, als

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eine Gemüthskranckheit, die in der Vernunft ihren Sitz hat – und daher so hartnäckig und nur durch ein Wunder zu heilen ist. 77. 5

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[396.] Die Anstrengung überhaupt bringt nur, als indirecter, vorbereitender Reitz, eine Operation zu Stande. In der rechten Stimmung, die dadurch entstehn kann, gelingt alles von selbst. Der Mangel an mehreren, zugleich gegenwärtigen Ideen etc. rührt von Schwäche her. In der vollkommensten Stimmung sind alle Ideen gleich gegenwärtig – In dieser ist auch keine Passion, kein Affect möglich – In ihr ist man wahrhaft im Olymp – und die Welt zu unsern Füßen. Die Selbstbeherrschung geht in ihr von selbst von Statten. Kurz alles scheint von selbst zu geschehn – wenn das rechte Medium vorhanden ist – wenn das Hinderniß gehoben wird. Alle Construction ist also indirect. On ne fait pas, mais on fait, qu’il se puisse faire. In einer gewissen Höhe der Sensation ist man von selbst, ohne Zuthun, tugendhaft und genialisch. 78. [397.] Unser ganzes Leben ist Gottesdienst – – 79.

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[398.] Die meisten Schriftsteller sind zugleich ihre Leser – indem sie schreiben – und daher entstehn in den Werken so viele Spuren des Lesers – so viele kritische Rücksichten – so manches, was dem Leser zukömmt und nicht dem Schriftsteller. Gedankenstriche – großgedruckte Worte – herausgehobne Stellen – alles dies gehört in das Gebiet des Lesers. Der Leser sezt den Accent willkührlich – er macht eigentlich aus einem Buche, was er will. (Schleg[els] Behandl[ung] Meisters.) /Ist nicht jeder Leser ein Philolog?/ Es giebt kein allgemeingeltendes Lesen, im gewöhnlichen Sinn. Lesen ist eine freye Operation. Wie ich und was ich lesen soll, kann mir keiner vorschreiben. /Soll nicht der Schriftsteller Philolog bis in die unendliche Potenz zugleich – oder gar nicht Philolog seyn? Der Letztere hat litterairische Unschuld/.

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80. [399.] Elemente des Gliedes, und Elemente des Individuums müssen streng unterschieden werden – denn ein Individuum kann Glied zugleich seyn. 81.

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[400.] Über die Karactere (d[er] Geitzige, Stoltze, Eitle, etc. – Im Guten und Bösen und in mannichfaltigen Variationen.) 82. [401.] Eine Idee ist desto gediegener und individueller – und reitzender – je mannichfaltigere Gedancken, Welten und Stimmungen sich in ihr kreutzen, berühren.

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Wenn ein Werck mehrere Veranlassungen, mehrere Bedeutungen, mehrfaches Interresse, mehrere Seiten überhaupt – mehrere Arten verstanden und geliebt zu werden hat, so ist es gewiß höchst interressant – ein ächter Ausfluß der Persönlichkeit. Wie sich die höchsten und gemeinsten Menschen, die höchst und Gemeinverständlichsten gewissermaaßen gleichen – so auch mit den Büchern. Vielleicht gleicht das höchste Buch einem Abcbuch. Überhaupt ist es mit den Büchern und mit allen, so wie mit den Menschen. Der Mensch ist eine Analogieenquelle für das Weltall.

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83. [402.] Von der Trüglichkeit, und Alldeutigkeit aller Symptome. Demohngeachtet sind sie auch nur zweydeutig – und mit einem disjunctiven Urtheil wird man immer den Knopf treffen. (Jedes ist der höchsten, der niedrigsten und der neutralen Auslegung fähig.)

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84. [403.] Die Unschuld des Königs und d[er] Königinn. Der Anfang der Regierung. Die Foderungen an ihn. Braucht ein König sehr in Sorgen zu seyn. Preußens A u s s i c h t e n . Finanzen. Über meinen Aufsatz. Fantasie des Königs.

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85. [404.] Das Postulat des weiblichen Mystizism ist gäng und gäbe. Alles fodert von den Frauen unbedingte Liebe zum ersten, besten Gegenstande. Welche hohe Meynung von der freyen Gewalt und Selbstschöpfungskraft ihres Geistes sezt dies nicht voraus.

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86. [405.] Das Augenspiel gestattet einen äußerst mannichfaltigen Ausdruck. Die übrigen Gesichtsgeberden, oder Minen, sind nur die Consonanten zu den Augenvocalen. Physiognomie ist also die Geberdensprache des Gesichts. Er hat viel Physiognomie heißt – Sein Gesicht ist ein fertiges, treffendes, und i d e a l i s i r e n d e s Sprachorgan. Die Frauen haben vorzüglich eine idealisirende Physiognomie – Sie vermögen die Empfindungen nicht blos wahr, sondern auch reitzend, und Schön, idealisch auszudrücken. Langer Umgang lehrt einen die Gesichtssprache verstehn. Die Vollkommenste Physiognomie muß allg[emein] und abs[olut] verständlich seyn. Man könnte die Augen ein Lichtklavier nennen. Das Auge drückt sich auf eine ähnliche Weise, wie die Kehle, durch höhere und tiefere Töne, die Vocale / durch schwächere und stärkere Leuchtungen aus. Sollten die Farben nicht die Lichtconsonanten seyn?

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87. [406.] Stimmungen – unbestimmte Empfindungen – nicht bestimmte Empfindungen und Gefühle machen glücklich. Man wird sich wohl befinden, wenn man keinen besondern Trieb – keine bestimmte Gedancken und Empfindungsreihe in sich bemerckt. Dieser Zustand ist wie das Licht ebenfalls nur heller oder dunkler.

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Specifische Gedancken und Empfindungen sind seine Consonanten. Man nennt es Bewußtseyn – Vom vollkommensten B[ewußt]S[eyn] läßt sich [sagen], daß es sich alles und nichts bewußt ist. Es ist Gesang – bloße Modulation der Stimmungen – wie dieser der Vocale – oder Töne. Die innere Selbstsprache kann dunkel, schwer, und barbarisch – und griechisch und italiänisch seyn – desto vollkommner, je mehr sie sich dem Gesange nähert. Der Ausdruck, er versteht sich selbst nicht, erscheint hier in einem neuen Lichte. Bildung der Sprache des B[ewußt]S[eyns] Vervollkommnung des Ausdrucks. Fertigkeit sich mit sich selbst zu besprechen. Unser Denken ist also eine Zweysprache – unser Empfinden – Sympathie. 88. [407.] Der größeste Zauberer würde der seyn, der sich zugleich so bezaubern könnte, daß ihm seine Zaubereyen, wie fremde, selbstmächtige Erscheinungen vorkämen – Könnte das nicht mit uns der Fall seyn.

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89. [408.] Jahrszeiten, Tagszeiten, Leben, und Schicksale sind alle merckwürdig genug durchaus rythmisch – metrisch – tactmäßig. In allen Handwercken und Künsten, allen Maschinen – den organischen Körpern, unsren täglichen Verrichtungen – überall – Rythmus – Metrum – Tacktschlag – Melodie. Alles was wir mit einer gewissen Fertigkeit thun – machen wir unvermerckt rythmisch – Rythmus findet sich überall – schleicht sich überall ein. Aller Mechanism ist metrisch – rythmisch. Hier muß noch mehr drinn liegen – Sollt es bloß Einfluß der Trägheit seyn? 90.

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[409.] Über die eigentliche Schwächung durch Debauchen. Durch viele ind[irecte] Asth[enie] entsteht endlich – direct asthenische Disposition. Dies begünstigt Browns Meynung von der quantitativen Erregbarkeit. 91.

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[410.] Schlaf – Nahrung – Anzug und Reinigung – mündliche, schriftliche, und handgreifliche Geschäfte (für mich, für den Staat, für meinen Privatzirkel, für Menschen, für Welt.) – Gesellschaft – Bewegung – Amusement – Kunstthätigkeit. 92.

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[411.] Mechanischer Gottesdienst. Die katholische Religion ist weit sichtbarer – verwebter und familiärer, als die protestantische. Außer den Kirchthürmen und der geistlichen Kleidung – die doch schon sehr temporisirt – sieht man nichts davon. 93. [412.] Alle Zerstreuung schwächt. Durch fremde Gegenstände, die mich reitzen, ohne mich zu befriedigen – oberflächlich – werde ich zerstreut. Mir ist deshalb

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die Zerstreuung zuwider, weil sie mich entkräftet – Nüzlich ist sie bey sthenischen Zufällen – Gegen Ernst und Leidenschaft ist sie mit Nutzen zu gebrauchen. /Die Menschen werden künftig in medicinischer Hinsicht mehr zusammenhalten müssen./ 94.

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[413.] Medicin und Kur um ihrer selbst willen. Schöne Medicin und schöne Kur. Beyde sollen nichts bewircken. Man braucht, um zu brauchen – Man nimmt die Medicin um ihrentwillen. 95. [414.] Vorrede und Kritik der Fragmente in Fragmenten.

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96. [415.] Gemüth – Harmonie aller Geisteskräfte – Gleiche S t i m m u n g und harmonisches Spiel der ganzen Seele. Ironie = Art und Weise des Gemüths. 97. [416.] Frauen – Kinder – Esprit des Baggatelles. Art der Conversation mit ihnen. Die Muster der gewöhnlichen Weiblichkeit empfinden die Grenzen der jedesmaligen Existenz sehr genau – und hüten sich gewissenhaft dieselben zu überschreiten – daher ihre gerühmte Gewöhnlichkeit – practische Weltleute. Sie mögen selbst übertriebne Feinheiten, Delicatessen, Wahrheiten, Tugenden, Neigungen nicht leiden – Sie lieben Abwechselung des Gemeinen – Neuheit des Gewöhnlichen – keine neuen Ideen, aber neue Kleider – Einförmigkeit im Ganzen – oberflächliche Reitze. Sie lieben den Tanz vorzüglich wegen seiner Leichtigkeit, Eitelkeit und Sinnlichkeit. Zu guter Witz ist ihnen fatal – so wie alles Schöne, Große und Edle. Mittelmäßige und selbst schlechte Lectüre, Acteurs, Stücke etc. das ist ihre Sache.

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98. [417.] Über den Hanswurst und komische Rollen überhaupt. 99. [418.] Ordinaire Menschen ohne es zu wissen und zu wollen – Ordinaire M[enschen] aus Absicht und mit Wahl. Glücklicher Instinct der Gemeinheit. Geborne ordinaire Menschen –. (Synth[ese] des ordin[airen] und extraord[inairen] M[enschen])

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100. [419.] Geborne Menschenbeherrscher. 101. [420.] Absolute Hypochondrie – Hypochondrie muß eine Kunst werden – oder Erziehung werden.

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102. ein Haufen.

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[421.] Unterschied zwischen Sitten und Gebräuchen. / Langeweile und Mangel an Reitzen des Seelebens – drückt sich in den Reisebeschreibungen aus. / Industrie bestes Surrogat der Religion und Gegenmittel gegen alle Leidenschaften. Industrie der Noth, Kranckheit und Trägheit – Industrie des Überflusses, der Kraft und Gesundheit, oder Kunstindustrie. / Mancher wird erst dann witzig, wenn er sich dick gegessen hat, wenn er müde ist – oder recht faul – oder gedankenlos behaglich – wenn der üppige Wuchs und Andrang seiner Ideen gehemmt ist – und er überhaupt körperlich gesättigt ist – wenn er so in Noth ist – daß er über die Noth ist – wenn er nichts mehr zu verlieren hat etc. –––––––– 103.

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[422.] Bloße Gedanken, ohne eine gewisse Aufmercksamkeit auf dieselben, und Zueignung, wircken so wenig, wie bloße Gegenstände. Dadurch, daß man häufig an reitzende Gegenstände eines Sinns wircksam denckt, wird dieser Sinn geschärft – er wird reitzbarer. So wenn man häufig an lüsterne Dinge denckt, werden die G[e]S[chlechts]T[heile] empfänglicher – der Magen durch Gedancken an schmackhafte Speisen – der Kopf auf dieselbe Art und so durchaus. Methode eine schwächliche Constitution zu verbessern. (Übung, allmäliche.) 104.

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[423.] Die sog[enannten] falschen Tendenzen sind die besten Mittel vielseitige Bildung zu bekommen. –––––––– 105. 25

[424.] Liebe ohne Eifersucht ist nicht persönliche Liebe, %%– directe Liebe, sondern indirecte Liebe&& – man kann Vernunftliebe sagen – denn man liebt hier nicht, als Person, sondern als Glied der Menschheit – Man liebt die Rivale mehr, wie den Gegenstand. *

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* *

[Ergänzungen zu den Teplitzer Fragmenten] 5.

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[425.] Es giebt 3 Hauptmenschenmassen – Wilde – zivilisirte Barbaren – Europaeer. Der Europaeer ist so hoch über den Deutschen, wie dieser über den Sachsen – der Sachse über den Leipziger. Über ihn ist der Weltbürger. Alles Nationale, Temporelle, Locale, Individuelle läßt sich universalisiren, und so canonisiren und allgemein machen. Xstus ist Ein so veredelter Landsmann. Dieses individuelle

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Colorit des Universellen ist sein romantisirendes Element. So ist jeder National, und selbst der persönliche Gott ein romantisirtes Universum. Die Persönlichkeit ist das romantische Element des Ichs. –––––––– 5. [426.] Grundverschiedenheit des alten und neuen Testaments. Warum Palaestina und die Juden zur Gründung der Xstl[ichen] Relig[ion] erwählt wurden. Wie die Juden zu Grunde darüber giengen, so die Franzosen bey der jetzigen Revolution. / Medicinische Ansicht der Franz[ösischen] Revol[ution] – Wie mußten sie kurirt werden – Ihr Heilungsplan – Wie werden wir indirecte durch sie kurirt? Asthenie der Chinesen – Einmischung der Tataren. Medicinische Behandl[ung] der Gesch[ichte] der Menschheit. /

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–––––––– 8. [427.] Es fehlt uns nicht an Gelegenheit Menschen außer der Welt – und zwar vor und nach der Welt zu betrachten – zu Menschen und nicht zu Menschen bestimmte Stamina. Jenes – Kinder – dieses Alte.

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–––––––– 17. [428.] Sollte nicht für die Superioritaet der Frauen der Umstand sprechen, daß die Extreme ihrer Bildung viel frappanter sind, als die Unsrigen. Der verworfenste Kerl ist vom trefflichsten Mann nicht so verschieden, als das elende Weibsstück von einer edlen Frau. Nicht auch der, daß man sehr viel Gutes über die Männer, aber noch nichts Gutes über die Weiber gesagt findet.

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Haben sie nicht die Aehnlichkeit mit dem Unendlichen, daß sie sich nicht quadriren, sondern nur durch Annäherung finden lassen? Und mit dem Höchsten, daß sie uns absolut nah sind, und doch immer gesucht – daß sie abs[olut] verständlich sind und doch nicht verstanden, daß sie abs[olut] unentbehrlich sind, und doch meistens entbehrt werden, und mit höhern Wesen, daß sie so kindlich, so gewöhnlich, so müßig und so spielend erscheinen?

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17. Auch ihre größere Hülflosigkeit erhebt sie über uns – so wie ihre größere Selbstbehülflichkeit – ihr größeres Sklaven- und ihr größeres Despotentalent – und so sind sie durchaus über uns und unter uns und dabey doch zusammenhängender und untheilbarer, als wir.

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Würden wir sie auch lieben, wenn dies nicht so wäre. Mit den Frauen ist die Liebe, und mit der Liebe die Frauen entstanden – und darum versteht man keins ohne das Andre. Wer die Frauen ohne Liebe, und die Liebe ohne Frauen finden will, dem gehts, wie den Philosophen, die den Trieb ohne das Object, und das Object ohne den Trieb betrachteten – und nicht beyde im Begriff der Action zugleich sahen. Materialien zu 17.

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Ihr Zirkel. Was noch nicht a leur portée ist, ist noch nicht reif. Ihre Beschäftigungen. Was sie jedem Alter sind. Ihre Erziehung. Sie sind, wie die vornehmen Roemer, nicht zum Verfertigen, sondern zum Genuß der Resultate da – Zum Ausüben – nicht zum Versuchen. Chevalerie. Ihr Bau – ihre Schönheit. Sie sind ein liebliches Geheimniß – nur verhüllt – nicht verschlossen. Auf ähnliche Weise reitzen die phil[osophischen] Mysterien. Hetairie. Ihre Seelenkräfte. Blicke auf die Zukunft. Der Act der Umarmung. Die griechischen Göttinnen. Madonna. Jedes Volk, jede Zeit hat ihren Lieblings Frauenkaracter. Die Frauen in der Poësie. Geliebt zu seyn ist ihnen urwesentlich. Über die weiblichen Jahrszeiten. Frauen und Liebe trennt nur der Verstand. ––––––––

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[429.] Das Essen ist nur ein accentuirtes Leben. Essen – Trinken – und Athmen entspricht der dreyfachen Abtheilung der Körper in Feste, Flüssige und luftige. Der ganze Körper athmet – nur die Lippen essen und trinken – gerade das Organ, was in mannichfachen Tönen das wieder aussondert, was der Geist bereitet und durch die übrigen Sinne empfangen hat. Die Lippen sind für die Geselligkeit so viel, wie sehr verdienen sie den Kuß. Jede sanfte weiche Erhöhung ist ein symbolischer Wunsch der Berührung. So ladet uns alles in der Natur figürlich und bescheiden zu seinem Genuß ein – und so dürfte die ganze Natur wohl weiblich, Jungfrau und Mutter zugleich seyn.

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17. [430.] Das schöne Geheimniß der Jungfrau, was sie eben so unaussprechlich anziehend macht, ist das Vorgefühl der Mutterschaft – die Ahndung einer künftigen Welt, die in ihr schlummert, und sich aus ihr entwickeln soll. Sie ist das treffendste Ebenbild der Zukunft.

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[431.] Ein Günstling des Glücks sehnte sich die unaussprechliche Natur zu umfassen. Er suchte den geheimnißvollen Aufenthalt der Isis. Sein Vaterland und seine Geliebten verließ er und achtete im Drange seiner Leidenschaft auf den Kummer seiner Braut nicht. Lange währte seine Reise. Die Mühseligkeiten waren groß. Endlich begegnete er einem Quell und Blumen, die einen Weg für eine

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Geisterfamilie bereiteten. Sie verriethen ihm den Weg zu dem Heiligthume. Entzückt von Freude kam er an die Thüre. Er trat ein und sah – seine Braut, die ihn mit Lächeln empfieng. Wie er sich umsah, fand er sich in seiner Schlafkammer – und eine liebliche Nachtmusik tönte unter seinen Fenstern zu der süßen Auflösung des Geheimnisses.

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8. [432.] Licht ist Symbol der ächten Besonnenheit. Also ist Licht der Analogie nach – Action – der Selbstrührung der Materie. Der Tag ist also das Bewußtseyn des Wandelsterns, und während die Sonne, wie ein Gott, in ewiger Selbstthätigkeit die Mitte beseelt, thut ein Planet nach dem Andern auf längere oder kürzere Zeit das Eine Auge zu und erquickt in kühlen Schlaf sich zu neuen Leben und Anschaun. Also auch hier Religion – denn ist das Leben der Planeten etwas anders, als Sonnendienst? Auch hier kommst du uns also entgegen – uralte Kindliche Religion der Parsen – und wir finden in dir die Religion des Weltalls. 8. [433.] Je mehr Gegenstand – desto größer die Liebe zu ihm – einem absoluten Gegenstand kommt abs[olute] Liebe entgegen. Zu dir kehr ich zurück, edler Keppler, dessen hoher Sinn ein vergeistigtes, sittliches Weltall sich erschuf, statt daß in unsern Zeiten es für Weisheit gehalten wird – alles zu ertödten, das Hohe zu erniedrigen, statt das Niedre zu erheben – und selber den Geist des Menschen unter die Gesetze des Mechanismus zu beugen.

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8. [434.] Was ist also die Sonne? Ein nur durch sich erregbarer – mithin immer selbstthätiger, ewigleuchtender Körper – und ein Planet –? ein relativ erregbarer, für fremde Anregung gestimmter Körper.

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8. [435.] Licht ist Vehikel der Gemeinschaft – des Weltalls – ist dis ächte Besonnenheit in der geistigen Sfäre nicht ebenfalls? 8. [436.] Wie wir, schweben die Sterne in abwechselnder Erleuchtung und Verdunklung – aber uns ist, wie ihnen, im Zustand der Verfinsterung doch ein tröstender, hoffnungsvoller Schimmer leuchtender und erleuchteter Mitsterne gegönnt.

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8. [437.] Die Kometen sind wahrhaft eccentrische Wesen – der höchsten Erleuchtung und der höchsten Verdunkelung fähig – ein wahres Ginnistan – bewohnt von mächtigen guten und bösen Geistern – erfüllt mit organischen Körpern, die sich zu Gas ausdehnen – und zu Gold verdichten können.

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[438.] Die Nacht ist zweyfach – Indirecte und directe Asthenie – Jene entsteht durch Blendung – Übermäßiges Licht – diese aus Mangel an hinlänglichen Licht. So giebt es auch eine Unbesonnenheit aus Mangel an Selbstreitz – und eine Unbesonnenheit aus Übermaaß an Selbstreitz – dort ein zu grobes – hier ein zu zartes Organ. Jene wird durch Verringerung des Lichts oder des Selbstreitzes – diese durch Vermehrung derselben gehoben – oder durch Schwächung und Stärckung des Organs. Die Nacht und Unbesonnenheit aus Mangel ist die Häufigste. Die Unbesonnenheit aus Übermaaß nennt man Wahnsinn. Die verschiedne Direction des übermäßigen Selbstreitzes modificirt den Wahnsinn. –––––––– 8.

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[439.] Das gemeinschaftliche Essen ist eine sinnbildliche Handlung der Vereinigung. Alle Vereinigungen außer der Ehe sind bestimmt gerichtete, durch ein Object bestimmte, und gegenseitig dasselbe bestimmende Handlungen. Die Ehe hingegen ist eine unabhängige, Totalvereinigung. Alles Genießen, zueignen, und assimiliren ist Essen, oder Essen ist vielmehr nichts, als eine Zueignung. Alles Geistige Genießen kann daher durch Essen ausgedrückt werden –. In der Freundschaft ißt man in der That von seinem Freunde, oder lebt von ihm. Es ist ein ächter Trope den Körper für den Geist zu substituiren – und bey einem Gedächtnißmale eines Freundes in jedem Bissen mit kühner, übersinnlicher Einbildungskraft, sein Fleisch, und in jedem Trunke sein Blut zu genießen. Dem weichlichen Geschmack unserer Zeiten kommt dis freylich ganz barbarisch vor – aber wer heißt sie gleich an rohes, verwesliches Blut und Fleisch zu denken. Die körperliche Aneignung ist geheimnißvoll genug, um ein schönes Bild der Geistigen Meinung zu seyn – und sind denn Blut und Fleisch in der That etwas so widriges und unedles? Warlich hier ist mehr, als Gold und Diamant und die Zeit ist nicht mehr fern, wo man höhere Begriffe vom organischen Körper haben wird. Wer weiß welches erhabene Symbol das Blut ist? Gerade das Widrige der organischen Bestandtheile läßt auf etwas sehr Erhabenes in ihnen schließen. Wir schaudern vor ihnen, wie vor Gespenstern, und ahnden mit kindlichen Graußen in diesem sonderbaren Gemisch eine geheimnißvolle Welt, die eine alte Bekanntinn seyn dürfte. Um aber auf das Gedächtnißmal zurück zu kommen – ließe sich nicht denken, daß unser Freund jezt ein Wesen wäre, dessen Fleisch Brodt, und dessen Blut Wein seyn könnte? So genießen wir den Genius der Natur alle Tage und so wird jedes Mahl zum Gedächtnißmahl – zum Seelennährenden, wie zum Körpererhaltenden Mal – zum geheimnißvollen Mittel einer Verklärung und Vergötterung auf Erden – eines belebenden Umgangs mit dem Absolut Lebendigen. Den Namenlosen genießen wir im Schlummer – Wir erwachen, wie das Kind am mütterlichen Busen und erkennen, wie jede Erquickung und Stärckung uns aus Gunst und Liebe zukam, und Luft, Trank, und Speise Bestandtheile einer unaussprechlichen lieben Person sind.

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17. [440.] Die Holzkohle und Der Diamant sind Ein Stoff – und doch wie verschieden – Sollte es nicht mit Mann und Weib derselbe Fall seyn. Wir sind Thonerde – und die Frauen sind Weltaugen und Sapphyre die ebenfalls aus Thonerde bestehn. 8. [441.] Nur das Trinken verherrlicht die Poësie? Wie wenn die Poësie auch eine flüssige Seele wäre? Das Essen weckt den Witz und die Laune – daher Gourmands und dicke Leute so witzig sind – und beym Essen so leicht Scherz und muntere Unterhaltung entsteht. Auch auf andre solide Fähigkeiten wirckts. Bey Tisch streitet und raisonnirt man gern und vieles Wahre ist bey Tisch gefunden worden. Der Witz ist geistige Electricität – dazu sind feste Körper nöthig – Auch Freundschaften werden leicht bey Tische gestiftet – Unter den eisernen Leuten am leichtesten – wer ahndet hier nicht Seelenmagnetism? Die Tischzeit ist die merckwürdigste Periode des Tages – und vielleicht der Zweck – die Blüthe des Tages. Das Frühstück ist die Knospe. Die Alten verstanden sich auch hier besser auf die Philosophie des Lebens – Sie aßen nur Einmal, außer den Frühstück – und zwar nach vollbrachten Geschäften gegen Abend. Das doppelte Essen schwächt das Interresse. Zwischen dem Essen – Schauspiel – Musik und Lectüre – Die Mahlzeit selbst eine Curve, nach ächter BildungsLehre des Lebens. Mit der leichtesten Speise den Anfang gemacht – dann gestiegen – und mit der Leichtesten wieder geschlossen. Das Essen muß lang währen – die Verdauungszeit über – den Schluß macht am Ende der Schlummer.

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8. [442.] /Schlummer. Aufstehn. Morgen etc./ Schlummer ist ein Anhalten des höhern Organs – eine Entziehung des geistigen Reitzes – des abs[olut] seyn sollenden Reitzes. Die Willkühr ist gehemmt –. Schlaf Analogon des Todes. kurzer – aber öfterer Schlaf. Seine Restaurirende Wirckung. Es ist ein Zeichen, daß man ordentlich geschlafen hat – wenn man gleich munter ist. Je weniger Schlaf man braucht – desto vollkommner ist man. Eine augenblickliche Unterbrechung stärckt fast mehr, als eine Lange. Halbes B[ewußt]S[eyn] im Schlafe. Die sonderbaren Traumbilder. Das Leben ein Traum. /Die Zeit verschmilzt die Gegenstände in einander./ Jede Aussicht auf eine Zukunft voll kräftigen, mannichfachen Lebens ist eine Morgenaussicht. Poëtische Curve der Sonne. Das Leben endigt, wie der Tag und ein vollkommnes Schauspiel – wehmüthig – aber mit erhabener Hoffnung. Der Abend ist sentimental, wie der Morgen naïv ist. Der Morgen muß streng, und geschäftig – der Abend üppig seyn. Auch die Arbeit muß gegen Mittag zu wachsen und gegen das Essen zu sich etwas wieder vermindern. Früh keine Gesellschaft. Man ist Morgens jung und Abends alt. Jeder Abend muß unser Testament finden – und unsre Sachen in Ordnung. Eine Verbindung, die auch für den Tod geschlossen ist – ist eine Hochzeit – die uns eine Genossin für die Nacht giebt. Im Tode ist die Liebe, am süßesten; für den Liebenden ist der Tod eine Brautnacht – ein Geheimniß süßer Mysterien.

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Ist es nicht klug für die Nacht ein geselliges Lager zu suchen? Darum ist klüglich gesinnt – der auch Entschlummerte liebt. Die Abenddämmerung – ist immer eine wehmüthige, wie die Morgendämmerung eine freudige, Erwartungsvolle Stunde. 5

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[931.] Einheit des Lichts – Einheit der Finsterniß. [932.] Inwiefern ist der Begr[iff] Ding – Gegenstand einer besondern Wissenschaft – hat er WissenschaftsRecht? [933.] Die Beweise von Gott gelten vielleicht in Masse etwas – als Methode – Gott ist hier etwas, wie ∞ in der Mathematick – oder 00. (Nullgrade) (Phil[osophie] der 0.) 1 (Gott ist bald 1 · ∞ – bald — – bald 0) ∞ Gott ist ein gemischter Begriff – Er ist aus der Vereinigung aller Gemüthsvermögen etc. mittelst einer moralischen Offenbarung, eines moralischen Zentrirwunders entstanden. (Gott ist, wie Phil[osophie] Jedem Alles und jedes – das personificirte x – Fichtes N[icht]I[ch].) Fichtes N[icht]I[ch] ist die Einheit aller Reitze – d[as] Schlechthin Reitzende und eben darum eine Assimilirte – Ewig Unbekannte. Nur Leben reizt und nur Leben kann nicht genossen werden.) [934.] Schon das Gewissen beweißt unser Verhältniß – Verknüpfung – (Die Übergangsmöglichk[eit]) mit einer andern Welt – eine innre unabhängige Macht und einen Zustand außer der gemeinen Individualitaet. Die Vernunft ist nichts anders. Der État de Raison ist ekstatisch. (D[urch] d[ie] Connexion mit dem Vater kann man Wunder thun.) Auf diesem Beweise beruht die Möglichkeit des thätigen Empirismus. Wir werden erst Physiker werden, wenn wir imaginative – Stoffe und Kr[äfte] zum regulat[iven] Maaßstab der Naturstoffe und Kr[äfte] machen. [935.] Alle Vereinigung des Heterogénen führt auf ∞. Theorie der Wahrscheinlichkeit – WahrscheinlichkeitsBew[eise] und Calcül – Quadr[atur] d[es] Unendl[ichen] etc.

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[936.] Wenn wir Selbsterzeugnisse, und Machwercke mit Naturprodukten vergleichen, so werden wir die Natur verstehn lernen. Man versteht Künstler, insofern man Künstler ist und wird, und sich also selbst versteht. [937.] Mit Aufklärung und Berichtigung der physischen Theorieen, werden auch die hyperphysischen (transcendenten) und dadurch die transscendentalen – oder kritischen, Synthetischen Theorieen gewinnen z.B. d[ie] Emanationslehre – d[urch] verbesserte Lichttheorie. [938.] Zentralkr[äfte] sind Radien, nicht Diameter. / Eine Spitze ist ein mechanischer Focus. / Ist wircklich, nach Baader – Kälte und Schwere verwandt? / Die Vorstellung der Innen und Außenwelt bilden sich parallel fortschreitend – wie Rechter und Linker Fuß – bedeutender Mechanism des Gehens. / Betracht[ung]

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Friedrich von Hardenberg (Novalis)

über d[en] Jahrmarckt – ein Waarentheater – auf Illusion etc. angelegt – Von Sammlungen und ihren Aufstellungsarten und Demonstrationsarten überhaupt / Üb[er] die Sprache der Körperwelt durch Figur. Übersetzung d[er] Qualit[ät] in Quantität und umgek[ehrt]. 5

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[939.] Eiter – Jauche./ Organ[ische] Masse ist Synth[ese] v[on] Flüssig und Fest./ Mystische Geometrie / Ächter wissenschaftlicher Geist hat vorzüglich bisher bey den Mathematikern geherrscht. / [940.] Das Mährchen ist gleichsam der Canon der Poësie – alles poëtische muß mährchenhaft seyn. Der Dichter betet den Zufall an. [941.] Die Drey Dimensionen sind Resultat der Reduktion unendl[icher] Dimensionen. Sie beziehn sich auf einen Dreyfachen Durchgang der Blätter.

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[942.] Die Körper sind in den Raum precipitirte und angeschoßne Gedanken – Bey der Precipitation ist der Raum, als 0 oder ∞ – als freye Temperatur – Substantieller K[örper], zugleich entstanden. /Die Zeit ist ein Successiver Wechsel 3er Kräfte – Die Gegenwart ist die Schwebung – gleich einem Gefäße, das einen aufnehmenden und abführenden Gang hat. / Wenn in uns die Welt entsteht – so entsteht das Weltkörpersystem zuerst – und so herunter – Das Astralsystem ist das Schema d[er] Physik. Übersetzung desselben auf die Oberfläche – in Fossilien – Pflanzen, und Thiere. Der Mensch ist ein Focus des Aethers. (Begr[iff] v[om] Aether.) [943.] Die gew[öhnliche] N[atur]L[ehre] ist nothw[endige] Phaenomenologie – Grammatik – Symbolistik. / Wir sehn d[ie] Natur, so wie vielleicht d[ie] Geisterwelt, en perspect[ive]. Der verständigen Einb[ildungs]Kr[aft] kommt das Geschäft des Bezeichnens im Allg[emeinen] zu – des Signalisirens – Phaenomenologisirens – Die Sprachzeichen sind nicht specifisch von den übrigen Phaenomèns unterschieden. [944.] Von porösen und gefäßigen Massen. / Übergangsordnung – der Krystalle – Probleme dieser Lehre. / Mystische Kriegskunst. Der mathem[atische] Krieg – Der poëtische Krieg – der wissenschaftliche – der Spielkrieg etc. Der rhetorische Krieg. [945.] Jedes Stück meines Buchs, das in äußerst verschiedner Manier geschrieben seyn kann – In Fragmenten – Briefen – Gedichten – wiss[enschaftlich] strengen Aufsätzen etc. – Einem oder einigen meiner Freunde dedicirt.

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[946.] Von krampfigen Turgescenzen. [947.] Ist die Chymie – Wärmemodificat[ions]Lehre, so ist ihre Verbindung mit Electricit[aet] und selbst Galvan[ism] nicht befremdend. (Magnet[ism] verhält sich zur Schwere – wie Elektr[icitaet] zu Wärme.)

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[948.] Die einzelnen Wissenschaften werden qualitatibus, nicht quantitatibus gebildet. So ist die Probierkunde keine andre Wissensch[aft] als die Hüttenkunde –

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Die Felsenbild[ungs]L[ehre] keine andre, als d[ie] FossilienBild[ungs]L[ehre] – Migniatur und Colossalwissensch[aft]. Verwandtschaftsprincip der Fossilien. [949.] Schädlichkeit der Motion nach Tisch – Einmal nur essen – um 4 Uhr – Nothwendigkeit der Saamenausleerungen in gewissen Jahren.)

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[950.] Eine Art von Schmerz läßt sich durch Reflexion – andre d[urch] Abstraction vertreiben. [951.] Beweisversuche meiner Sätze im Blüthenstaub. [952.] Das ächte Dividuum ist auch das ächte Individuum. [953.] Der Poët braucht die Dinge und Worte, wie Tasten und die ganze Poësie beruht auf thätiger Idéenassociation – auf selbstthätiger, absichtlicher, idealischer Zufallproduktion – (zufällige – freye Catenation.) (Casuïstik – Fatum. Casuation.) (Spiel.)

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[954.] Ein Mährchen sollt ich warlich schreiben – Gesetze des M[ährchens]. [955.] Über die mystischen Glieder des Menschen – an die nur zu denken – schweigend sie zu bewegen – schon Wollust ist.

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[956.] Wo Colik her entsteht – daher entsteht auch Gicht – Rheumatism – Hypochondrie – Hämorrhoïden etc. NervenKolick etc. – Muskeln Kolik. Halbkranckheiten – Übergänge v[on] Kranckheit und Gesundheit. [957.] Den allg[emeinen] Begriffen: Seyn, Verschiedenheit etc. ist es, wie der Philosophie etc. gegangen – jeder hat aus ihnen gemacht was er gewollt hat. Dies zeigt sehr deutlich, daß man sie nicht allein gebrauchen, oder in Ihnen etwas wunderbares suchen soll – Sie sind intellectualer Stoff, aus dem sich machen läßt, was man will. Sie sind Indicationen des Bestimmens – der Arten der Best[immungs]processe. Sie haben keine Bestimmung – man muß ihnen Eine geben – Eine solche Indication eines Höhern Verfahrens ist auch Philosophie etc. [958.] Spinotza und Andre haben mit sonderbaren Instinkt alles in der Theologie gesucht – die Theol[ogie] zum Sitz der Intelligenz gemacht. Spinotzas Idee von einem kategorischen – imperativen – Schönen oder vollkommenen Wissen – einem an sich befriedigenden Wissen – einem alles übrige Wissen annihilirenden und d[en] Wissenstrieb angenehm aufhebenden Wissen – kurz einem wollüstigen Wissen (welche allem Mysticism zum Grunde liegt) ist höchst interressant. (Euthanasie.) Ist nicht die Moral, insofern sie auf Bekämpfung der sinnlichen Neigung beruht – selbst wollüstig – ächter Eudaemonismus. Wollust ist ein gefälliger und veredelter Schmerz. Aller Krieg ist wollüstig. (Transcendente Wollust der Schwärmer etc.) [959.] Der Traum ist oft bedeutend und prophétisch, weil er eine Naturseelenwirckung ist – und also auf Associationsordnung beruht – Er ist, wie die Poësie bedeutend – aber auch darum unregelmäßig bedeutend – durchaus frey.

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[960.] Man sollte stolz auf den Schmerz seyn – jeder Schmerz etc. ist eine Errinnerung unsers hohen Rangs. [961.] Ächte Experimentalmethode – F o r m a l i t ä t e n des Experimentators. 5

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[962.] Behandlung der Wissenschaften und jedes einzelnen Gegenstandes als Werckzeug – und Experimentalstoff zugleich. Die Wissenschaft ist nichts, als die Skale etc. In einem ächt wiss[enschaftlichen] Kopfe indicirt sich alles von selbst. Der Kopf ist die UniversalSkale. Thätige Ansicht – thätiger Gegenstand. (Ansicht der Welt durch einen Krystall – durch eine Pflanze – durch einen Menschenkörper etc. Ähnliche Experimentation) [963.] Über das Theatralische des Jahrmarckts und des Experimentirens – Jede Glastafel ist eine Bühne – ein Laboratorium – eine Kunstkammer ist ein Theater. [964.] Cosmopol[itische] Ideenpolitik – Steinpolitik – Pflanzenpolitik etc. (Über d[ie] Sensationen und ihre gegens[eitigen] Verwandtschaften und Verhältnisse)

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[965.] Lebendige Kräfte – indirect construïrbare – Wunderkräfte. [966.] Wolkenspiel – Naturspiel äußerst poëtisch. Die Natur ist eine Aeolsharfe – Sie ist ein musikal[isches] Instrument – dessen Töne wieder Tasten höherer Sayten in uns sind. (Ideenassociation.) [967.] Göthische Behandlung der Wissenschaften – mein Project.

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[968.] Das Gedächtniß treibt prophetischen – musicalischen Calcül. Sonderbare bisherige Vorstellungen vom Gedächtniß – als eine Bilderbude – etc. Alle Errinnerung beruht auf indirecten Calcül – auf Musik etc. [969.] Wollust des Erzeugens – Alles Erzeugen ist also eine polemische Operation. Wollust d[er] Synthesis.

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[970.] Gegenwart des Geistes – Zukunft des Geistes – Vergangenheit – (Abwesenheit) d[es] Geistes. [971.] Betracht[ungen] über eine Geschichte der Philos[ophie.]

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[972.] Zweyte – immanente Generation ist Verstandes= B[ewußt]S[eyns]entstehung – Generations – Existenz reihen – Synth[etische] Existenzen. Daseynspotenzen. [973.] Ein Körper verhält sich zum Raume – wie ein Sichtbares zum Lichte. [974.] Auch instinktartig ist d[er] Zirkel der Figuren Kanon. [975.] Sollte die Gicht etc. der Vorläufer der Körperbemächtigungs Periode seyn? Beruht auf Association etc. Poëtisirung d[es] Körpers.

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[976.] Jeder Gegenst[and] läßt sich (beynah) zum Obj[ect] einer bes[ondern] Wissenschaft machen. ––––––––

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[977.] Eigentlich sind alle die allg[emeinen] W[issenschaften] – z.B. Physik und Mathematik, etc. in Einem Fall mit der Phil[osophie] – es sind Proteusse – allg[emeine] Substanzen – I n d i c a t i o n e n etc.

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[978.] Kranckheit hat Brown schlechterdings nicht erklärt – Seine Eintheilung trift beydes Leben und Kranckheit – Die Erklärung d[es] Wesens – der Entstehung d[er] Kr[anckheit] ist weit üb[er] Br[owns] Horizont – Seine Eintheilung ist eine dem GeschlechtsPhaenomèn – worunter Geundh[eit] und Kr[anckheit], als Arten gehören – zukommende P a r t i a l Eintheilung.

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MittelAction des B[ewußt]S[eyns] – Sthenie (Excess) – Asthenie (Excess). [979.] Der Mensch strebt nach nichts mehr, als reitzend, Aufmercksamkeit erregend (Turgescirend, Reflexion anziehend) zu seyn. [980.] Sollte der FroschhautHygrométer und der Hygrom[eter] überhaupt – so wie auch die Folgen des Anhauchs beym Galv[anism] nicht Wirckung der hier verschwindenden Wärme etc. seyn. [981.] Der Differentialcalcül scheint mir die allg[emeine] Methode das Unregelmäßige auf das Regelmäßige zu reduciren – es durch eine Funktion des Regelmäßigen auszudrücken – es mit dem Regelmäßigen zu verbinden – das Regelmäßige zu dessen Meter zu machen – es mit demselben zu logarythmisiren. [982.] Die Kriegskunst zerfällt in eine Menge bes[ondrer] Lehren – die Tanzkunst – Gymnastik – Fechtkunst – Schießkunst – Psychologie etc. liefern ihre Beyträge zur Kriegskunst (Auch Rechenk[unst], Mathematik, Oeconomie, Politik etc.)

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(Krieg – kriegen, erhalten.) [983.] Der W[issenschaft] ist es wie den Menschen gegangen – um sie leichter bearbeiten und bilden zu können, hat man sie in einzelne Wissenschaften (und Staaten) eingetheilt – der Eintheilungsgrund war hier und dort zufällig und fremd. [984.] Der Ausdruck – aufs reine bringen. / In der Spannung oder Aufmercksamkeit ist Repulsion und Attraction vereinigt – eins um des Andern willen z.B. bey der Abstraction ist die Repulsivkr[aft] gegen Einiges vermehrt – gegen das andre vermindert etc. [985.] Leichtsinn – Schwersinn etc./ Entstehungsformel eines Triangels./ Über die successive, und Stückweise Best[immung] des Raums. (Winkel, Hyperbeln, Parabeln – Parallellinien – bloße Linien etc.) Der Begr[iff] der Fläche ist nach dem Begr[iff] d[es] Körpers und fast aus demselben oder wenigstens mittelst desselben entstanden. [986.] Ein Mährchen ist eigentlich wie ein Traumbild – ohne Zusammenhang – Ein Ensemble wunderbarer Dinge und Begebenheiten – z.B. eine musicalische Fantasie – die Harmonischen Folgen einer Aeolsharfe – die Natur selbst. Wird eine Geschichte ins Märchen gebracht, so ist dies schon eine fremde Einmischung – Eine Reihe artiger, unterhaltender Versuche – ein abwechselndes Gespräch – eine Redoute sind Mährchen. Ein höheres Mährchen wird es, wenn ohne den Geist des M[ärchens] zu verscheuchen irgend ein Verstand – (Zusammenhang, Bedeutung – etc.) hinein gebracht wird. Sogar nüzlich könnte vielleicht ein Märchen werden.

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Der Ton des bloßen M[ärchens] ist abwechselnd – er kann aber auch einfach seyn. / Best[and]Th[eile] der Märchen. [987.] Harmonie ist – Ton der Töne – genialischer Ton. 5

[988.] Hätten wir auch eine Fantastik wie eine Logik, so wäre die Erfindungskunst – erfunden. Zur Fantastik gehört auch die Aestethik gewissermaaßen, wie die Vernunftl[ehre] zur Logik. [989.] Sonderbar, daß eine abs[olute], wunderbare Synthesis oft die Axe des Märchens – oder das Ziel desselben ist.

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[990.] Der Begr[iff] v[on] Caussalitaet bezieht sich auf eine reelle Zeiterfüllung – indem in dem vorgegenwärtigen Momente, ein specifischer Gegenstand gedacht wird, der sich auf den Gegenstand des gegenwärtigen Moments, wie sein Moment zu diesem Momente verhält – Im Zweckbegriffe wird dem gegenwärtigen Momente (Gegenst[and]) ein veranlassender folgender (Gegenst[and] oder) Moment zugedacht. Das Mittel ist im gegenwärtigen Momente – die Substanz ist auch im gegenwärtigen Momente – sie ist eine personificirte – figirte Gegenwart. Ein Raumerfüllungsindivid[uum] ist ein Körper. Ein Zeiterfüllungsindividuum eine S e e l e . / Zeiterfüllungsgesetze. / Jenes macht Raum – dies Zeit) [991.] Zeit ist innrer Raum – Raum ist äußre Zeit. (Synth[ese] derselben) Zeitfiguren etc. R[aum] und Z[eit] entstehn zugleich. Die Kraft d[er] zeitlichen Ind[ividuen] wird d[urch] d[en] Raum – die Kraft der räumlichen Individuen d[urch] d[ie] Zeit (Dauer) gemessen. Jeder Körper hat seine Zeit – jede Zeit hat ihren Körper. Zeitconstructionen. (Zeittriangel – Zeitfiguristik – Zeitstereometrie – Zeittrigonometrie.) [992.] Über das Oeligwerden d[er] Weine – allmäliche Wasserzersetzung – das Fett im thierischen Körper entsteht d[urch] Destillation des Oels aus den Säften mittelst der feinen Gefäßchen. / Je zarter, und feiner die Organische Masse sich bildet, desto lebendiger wird sie. [993.] Über das Reflexions Phaenomèn – das sich selbst auf die Schultern springen der Reflexirenden Kraft. (Gliedrung der Bewegung.)

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(Zeitverdichtung – Gedanckenconcentration. [994.] Alles Verdampfende ist zugleich ein ElectricitaetsSammler – (eine Wärme anziehende ([an]lockende) Ursache.) Beziehung auf Galvanism.

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[995.] Giebt es überhaupt einen absoluten Isolator – oder Excitator – Beydes sind relative Begriffe – Es kommt auf die Höhe und d[en] Umfang des Grades d[es] Isolandums und Excitandums an. (Sind nicht alle Wärmeattractionen mit Oxigènanziehungen verbunden?) [996.] Alle Armatur ist am Ende eine Reitzbarkeitserhöhung, wie das Fernrohr eine Sichtbarkeitserhöhung ist.

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[997.] Unser Geist ist eine Associationssubstanz – Aus Harmonie – Simultanëitaet d[es] Mannichfachen geht er hervor und erhält sich durch sie. (Er ist eine Gicht – ein spielendes Wesen.)

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Der Geist ist das Sociale, Concatenirende Princip – Nur ein Geist – eine Association hat ihm das Daseyn gegeben. Der Tod versezt ihn in der großen Association irgendwo anders hin – Associationsgesetze – er wird irgendwo anders erweckt – Licht ist die Action des Weltalls – das Auge der vorz[ügliche] Sinn für das Weltall – oder Weltseele – Weltaction. Die Strahlen desselben sind eine bloße Fiction. [998.] Am Ende giebt es auch in der Chymie keine eigentlich generisch (sprungweise) verschiedne Stoffe, Alcalien und Säuren gehn in einander über – Alcalien und Erden = Säuren und Erden – Erden und Metalle – etc.

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(Hydrogene sulfureux, Blausäure, Alcali Fluor etc.) [999.] Butter schwächt, wie alle Oele etc. / Wie fixe Ideen oft Exostosen im Gehirn, oder andre Körperliche Ursachen haben, so umgekehrt fixe Schmerzen etc. haben Seelenursachen. Gewiß ists, daß der Mensch selbst Seelenkranckheiten Herr werden kann – und dies beweißt unsre Moralitaet – unser Gewissen – unser unabhängiges Ich. Selbst in Seelenkr[anckheiten] kann der Mensch außerhalb seyn – und Beobachten und Gegenexperimentiren. Es ist freylich oft sehr schwer – den Sensibelsten am Schwersten – deren Hang überhaupt lebhaft und schnell ist. [1000.] Gegensatz von Schule und Welt. / Modificiren ist relatives Machen und zerstören. Abs[olut] Machen können wir nichts, weil d[as] Problem des abs[oluten] Machens ein i m a g i n a i r e s Problem ist. Keinen abs[oluten] Anfang giebts nicht – er gehört in die Kategorie d[er] imaginairen Gedanken.

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[1001.] Was eigentlich We l t bürger und weltbürgerlich Interresse ist? [1002.] Kant ist ein netter Beobachter und Experimentator –

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[1003.] Die Synth[ese] von Seele und Leib heißt Person – die Person verhält sich zum Geist, wieder, wie der Körper zur Seele. Sie zerfällt auch einst und geht in veredelter Gestalt wieder hervor. [1004.] Vom Pluralism und Omnilism. / Kants Warnung vor Selbstbeobachtung / Seine fehlerhafte Erkl[ärung] v[on] Naïvetät. / Seine unrichtige Auslegung des m e r c k würdigen Plurals in der öffentlichen Sprache / – wie ihr, sie etc. (Über das Buhlen der Seele mit dem Körper –) [1005.] Vielleicht kann man mittelst eines dem Schachspiel ähnlichen Spiels – symbolische Gedankenkonstructionen zu stande bringen – Das ehmalige Logische Disputirspiel glich ganz einem Bretspiel. [1006.] Die mathematische Methode ist das Wesen d[er] Mathematik. Wer die Methode ganz versteht, ist Mathematiker. Sie ist, als die wiss[enschaftliche] Methode überhaupt höchst interressant, und gibt vielleicht das richtigste Muster zur Eintheilung des Erkenntniß oder Erfahrungsvermögens her. Axiome und Postulate bezeichnen das theoret[ische] (a.) und practische (b.) Wissensvermögen überhaupt aus. Aufgaben bezeichnen den Trieb. Auflö-

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sung und Beweis das analytische (ad a.) und Synth[etische] (ad b.) Vermögen. Die Erklärungen und Zusätze haben auch ihre Bedeutung. Hieraus sieht man, daß unser Wissenstrieb der Lebenstrieb der Intelligenz ist, ein Spiel der Intellectuellen Kr[äfte]. 5

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[1007.] Wie das Auge nur Augen sieht – so der Verstand nur Verst[and] – d[ie] Seele Seelen – die Vernunft – Vernunft – der Geist – Geister etc. Die Einb[ildungs]Kr[aft] nur Einb[ildungs]Kr[aft] – die Sinne – Sinne. Gott wird nur d[urch] einen Gott erkannt etc. [1008.] Auch d[as] Flüssige ist beseelt – freylich anders, als d[as] Feste. Es ist vielleicht mit der Seele, wie mit der Wärme. Gas entspricht dem Seelenmedium – dem Nervenäther. Heftiger Reitz – (mechanischer – oder Feuerreitz) bewirckt Verdampfung und Verflüchtigung. Entstehung des Seelenmedii – g l e i c h s a m Entstehung d[er] Seele selbst. Bey der Zeugung braucht die Seele den Körper und vice versa vielleicht – Mystizism dieser Operation. [1009.] Man hat starre B e w e g u n g e n (Spannungen), wie flüssige – und beyde übergehend – und von mannichfaltigen Graden. [1010.] A u f g a b e n : Denken – erfinden – wissen – glauben – wollen etc. (Axiome, Postulate, Aufgaben, Lehrs[ätze] etc. der Art)

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[1011.] Der Raum geht in die Zeit, wie der Körper in die Seele über. Simultanerzeugungsproc[ess] einer Seite. / Das Märchen ist ganz musicalisch. / Das Auge ist ein Flächensinn – d[as] Gefühl – schon cubischer. Gehör ist ein mech[anischer] – Geruch und Geschm[ack] chymische Bewegungss[inne] – Wie Sprache und Ohr – Geruch und Geschmack – im Verh[ältniß] stehn, so stehn auch wohl noch mehrere Organe in Gemeinschaft. Mit d[em] Auge scheint d[as] Gefühl in bes[ondrem] Verh[ältniß]. Auch mit dem Ohr z.B. Untersch[ied] v[on] Malern und Musikern. Verhältnisse der Schärfe dieser Sinne zum Verstande etc. Ihre Schärfe scheint beynah mit d[er] Schärfe des Verstandes – Gemüths überhaupt – in umgekehrten Verh[ältniß] zu stehn – z.B. Wilde – und Thiere etc. / Flächenbewegungsreitz scheint Licht zu seyn./ [1012.] Wie wir uns durch gewisse Erscheinungen auch zu Hinzudenkungen nicht blos zu gewissen Sensationen, genöthigt fühlen – zu einem bestimmten Supplement und Replement von Gedanken – z.B. d[urch] eine Menschengestalt, ihr einen geistigen Te x t unterzulegen, so ist es auch – indem wir an uns selbst denken – oder uns selbst betrachten – Wir fühlen uns zu einer ähnlichen Hinzuthat von Begriffen und Ideen – zu einem bestimmten Nachdenken genöthigt – und dieser gegliederte Zwang und Anlaß ist das Bild unseres Selbst. Die Regeln unsers Denkens und Empfindens etc. sind das Schema theils des Caracters der Menschheit überhaupt – theils unserer Individuellen Menschheit. Indem wir uns selbst betrachten, fühlten wir uns auf eine mehr oder weniger deutlich bestimmte Weise genöthigt – uns so und nicht anders zu entwerfen, zu denken etc. (Microcosm in potentia.)

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[1013.] Lithocaracteristik. Eine Mittelbare Sensation – eine Sensation der Sensation ist ein halber Gedanke – ist viell[eicht] schon ein Gedanke. vid. Harmonie – Schluß. [1014.] Die Synth[etische] Methode (mit den Datis anzufangen) ist die frostige – anschießende, krystallisirende, figirende, successive Methode. Die Analytische Methode dagegen ist erwärmend, auflösend, liquidirend. Jene sucht das Ganze, diese die Theile. [1015.] Versuch das zu beweisen und aufzulösen – zu construiren, was die Mathem[atik] nicht bew[eist] oder auflößt – Wissenschaftslehre der Math[ematik]. Applicatur der Aufgaben und Lehrsätze – Verknüpfung derselben – Szientificirung der Mathematik.

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[1016.] Alle historische W[issenschaft] strebt mathematisch zu werden. Die mathematische Kraft ist die ordnende Kraft. Jede mathematische W[issenschaft] strebt wieder philosophisch zu werden – a n i m i r t oder rationalisirt zu werden – dann poëtisch – endlich moralisch – zulezt religiös.

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[1017.] W[issenschafts]Lehrer der Physik – Dieser macht erst Licht – Luft – Wärme – etc. er hört auf, wo der Physiker anfängt. Er deducirt die Bestandtheile der Natur und ihre Beschaffenheit und ihre Verhältnisse aus der Aufgabe der Natur überhaupt. Der Mensch ist die phil[osophische] Natur – vielleicht auch die poëtische etc. – Die Wissensch[afts] Natur überhaupt.

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[1018.] Das Maaß ist, was an der Skale der 0 punkt oder d[er] Mittelgrad ist. Das ächte Maaß ist allemal das M i t t e l – auf der Einen Seite Bruch – auf d[er] andern Zusammensetzung. Verschiedne Arten d[es] Maaßes. [1019.] Bemerck[ungen] üb[er] d[ie] Bildung des Rauchs – beym Rauchen und sonst.

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[1020.] Auch Cohaesion beruht am Ende auf Schwere. [1021.] Über das Identisiren und Substituiren des Algébraïsten. [1022.] Denken ist unter d[en] Operationen, was der Schlußsatz unter den Sätzen ist. [1023.] Wie wenn der Verstand nicht der Sinn für Qualitäten[,] sondern nur für Quantitäten wäre – und das thätige Gedächtniß hingegen der Sinn für Qualitäten wäre – Jener der mathematische – dieser der p h y s i k a l i s c h e S i n n . (Gedächtnißkategorieen – Vernunftkategorieen – thät[ige] Vernunft ist prod[uctive] Imagination.) Gott – Welt – Mensch – Thier – Pflanze etc. sind Vernunftcategorieen. (Beyspiele von Gedächtnißkategorieen.)

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[1024.] Am Ende ist Elektricität trockner Galv[anism] (trockner Weg) und Galv[anism] nasse Elektricität (nasser Weg). Beziehung auf Chymie. [1025.] Luft wirckt, meiner Meynung nach, auf Wasser und Oel etc. wie diese auf starre Körper.

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Wirckung 2–3 heterogèner Flüssigkeiten auf einander. Luftglieder in flüssigen und starren Ketten. Luftketten.

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[1026.] Wasser ist eine nasse Flamme. / Probe mit dem Diamant und d[em] Honigstein bey galv[anischen] Versuchen. / Sollte die Brennbark[eit] keinen Einfluß auf Excitat[ion] und Leitkr[aft] haben. [1027.] Einführung t h ä t i g e r Materien – wie thätiger Sinne. [1028.] Electrische Ketten und Nichtketten. / – Action, + Action. Bewegung bey Schluß und Oeffnung – Berührung und Trennung – Gebung und Beraubung. Anwendung auf Asthenie.

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[1029.] Die Theorie des Lebens etc. ist so unabhängig, wie die Theorie des thierischen Baus und seiner Bildung – nur der Geist synthesirt Leben und Figuration. (Richtung entsteht mit Figur.) [1030.] Ausschließender Wechsel v[on] Quantität und Qualität.

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[1031.] Bey allem Flüssigwerden entsteht Kälte – nur beym Eise scheint dies nicht der Fall zu seyn – daher entsteht umgek[ehrt] beym Frost des Wassers Kälte, da hier eigentlich Wärme entstehn sollte – Wenns schneyt, wirds freylich etwas wärmer – aber der Schnee entsteht auch nicht aus Wasser, sondern aus dem allerdings dünnern Dunst.

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[1032.] Dimensionen = Richtungen. (S e l b s t berührung im Galv[anism] und El[ectricitaet] auch wohl in der Chemie.)

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[1034.] Eine Synthese ist ein chronischer Triangel. / Die Sprache und die Sprachzeichen sind a priori aus der menschlichen Natur entsprungen und die ursprüngliche Sprache war ächt w i s s e n s c h a f t l i c h – Sie wieder zu finden ist der Zweck des Grammatikers.

[1033.] Der Fantasie Begriff ist die Anschauung – ihre Einheit etc.

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[1035.] Wissenschaftliche Beantwortung der Frage: Giebt es eigenthätige Fantasmen? (Synth[etische] Urth[eile] a pr[iori] eigenthümliche Sensationen? Sensuale Kategorieen? Wie sich der Verstand raum und zeit vindicirt, um gültige Bestimmungen f[ür] d[ie] Sinne zu bewircken[,] so die Fantasie x und y – um gültige Bestimmungen für den Verstand machen zu können. (x und y vielleicht Zeichen (Schein) und Grenze) [1036.] Sollte es nicht ein Vermögen in uns geben, was dieselbe Rolle hier spielte, wie die Veste außer uns – der Aether – jene unsichtbar sichtbare Materie, der Stein der Weisen – der überall und nirgends, alles und nichts ist – Instinkt oder Genie heißen wir sie – Sie ist überall v o r h e r. Sie ist die Fülle der Zukunft – die Zeitenfülle überhaupt – in der Zeit, was der Stein der Weisen im Raum ist – Vernunft – Fantasie – Verstand und Sinn (Bedeutung 3 – 5 Sinne) sind nur ihre einzelnen Funktionen. [1037.] Sonderbar, daß dem Willen nur die eigentlichen Glieder und fast nur die Äußern unterworfen sind.

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[1038.] Die Theorie des Falls kann zu sehr interressanten Aufschlüssen über die Gesetze der Vivification, der innern mech[anischen] Aufschließung etc. veranlassen. [1039.] Über Pump und Saugwercke – den neuen Hubsatz etc. [1040.] Die Gleichung für den Menschen ist Leib = Seele – für das Geschlechte – Mann = Weib.

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(Die Polaritaet ist eine reale Gleichung.) (Glieder heißen d[ie] Theile, die mit + und – zusammenhängen.) 0 ist das generale Gleichungsglied der vereinigten Gl[eichungs] Glieder. [1041.] Zahlen und Worte sind Zeitdimensionsfiguren oder Zeichen. Wort und Zahlfigurationen. [1042.] Der Keil, der Hebel etc. sind Kraftverstärckungs und Schwächungsmittel – die kleine absolute Kraft zu einer großen specifischen – relativen zu machen. Eine Spitze ist ein mechanischer Brennpunct – eine Fläche das Gegentheil – (der Bohrer.) ––––––––

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1. Jede Aeußerung eines Menschen ist ein Akkord für den der Grundton fehlt, wenn derjenige nicht mehr da ist, der ihn hervorlokt. Sie ist dann unverständlich oder stumm, und es bleibt im Gemüth nur die Erinnerung an Harmonien, die nicht mehr klingen. So sterben wir stükweise. Wem schon Viele gestorben sind, der hat keine Harmonien mehr zu verlieren, und wenn er nachstirbt reißt er nur Andern die Grundtöne ab zu ihren Akkorden. So sterben wenig beßre Menschen; aber jeder tödtet indem er stirbt nachdem er vielfach getödtet worden ist, so lange er lebte. 2. Man muß oft die Bedeutung eines Worts aus einer fremden Sprache nur durch die Vergleichung verschiedener Fälle errathen, troz der Wörterbücher. So auch die Bedeutung eines Begrifs in einer fremden Philosophie troz der Definition.

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3. Bei Fichte ist das Ich stolz, bei Kant ist es eitel bei einem ächten Skeptiker würde es ironisch sein bei Spinoza ist es liberal oder wenn man will höflich. Zu einem anmaßenden Ich hat man es noch gar nicht gebracht. 4. So wie Viele sagen: „das verstehe ich nicht, also taugt es nicht“: so sagen andere „der versteht mich nicht, also taugt er nicht.“ Was ist wol anmaßender? 5. Manche Menschen ziehen aus der Atmosphäre welche sie umgiebt nichts an, sondern sezen bloß ihr Waßer an dieselbe, wie das mineralische Alkali[.] Andere verhalten sich wie das vegetabilische: bringt sie wohin ihr wollt, sie ziehn nur Waßer an.

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6. Der Unterschied zwischen Enthusiasmus und Leidenschaft liegt bloß in der Realität des Gegenstandes. Könnte der Enthusiast seine Idee realisiren, so würde er – den besten Fall vorausgesezt – zu einer gemeinen Leidenschaft herabsinken. Nur die Schlechtigkeit der Welt macht die Enthusiasten groß. 7. Der Imperativ der genialischen Narrheit heißt: es soll Alles Scherz werden, und das Ziel worauf sie hinausgeht ist also absolute Antithese. Der Narr läßt sich bezahlen damit auch das Scherz werde, daß Alles Scherz ist, denn auf diese Art ist ihm der Scherz Ernst. Der Narr allein ist nicht verrükt: denn ihm ist die ganze Welt zurecht gerükt, weil es zu Allem eine absolute Antithese daneben giebt, die er nur aufsucht. Der Narr allein ist reich; denn er allein besizt Alles zu

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beliebigem Gebrauch. Der Narr allein ist ein König denn er hat sich von allen Gesezen dispensirt, und diese Dispensation wird in jedem Augenblik anerkannt und erneuert. Warum hat man sonst im Drama den Scherz gemeiniglich besonders gestellt. Vom Scherz als herrschende Gemüthsstimmung (in der Moral) 8. Diejenigen welche ihr Glük für Talent halten sind geneigt ihren Mangel an Unglük für bon sens, ihre Ungeschiktheit für Unglük, und ihr Unglük für ein Produkt ihrer Genialität zu halten.

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9. Wenn die Menschen auf dem Meere der Zeit angeschwommen kommen klein und groß werden sie langsam ausgedörrt an dem Feuer des Pädagogischen Zwanges, eingerieben mit dem Salz alter Vorurtheile, und wenn sie dann eng zusammengepreßt in dem Gefängniß einer Staatsform beisammen liegen, so entsteht aus diesem ängstlichen Druk eine piquante Brühe, die man den Geist der Zeit nennt. Mit den Heringen nimt man dieselbe Procedur vor; aber erst wenn sie todt sind. 10. Streitigkeiten und besonders literarische sind das feinste reagens auf Illiberalität.

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11. Die kleinen sentimentalen Freuden, die man genießt sind wie der Musenalmanach, der in dem Jahr herauskommt. So wie dieser eigentlich erst fürs künftige Jahr bestimmt ist, so hat uns die Natur auch jene eigentlich verliehen um sie erst in der Zukunft zu genießen; sie sind aber gemeiniglich wie jener schon vergeßen wenn die Zeit ihrer Bestimmung erst kommt. Beide erlangen durch Xenien ein längeres Leben. 12. Liebenswürdig ist wer liebt, das heißt wer überall im Endlichen das Unendliche findet. Groß wer das endliche um des Unendlichen willen wegwirft. Vollendet, wer beides vereinigt. 13. Wer existirt ohne um Erlaubniß zu bitten heißt stolz; wer es wagt etwas zu thun, was erst in hundert Jahren Mode werden kann heißt originell; wer mit dem Schein von Unwillkührlichkeit etwas sagen kann was man sonst für eine Satyre nehmen müßte heißt naiv; wer es sich sauer werden läßt unnüz zu sein heißt artig. 14. Auf die lezten Tage des Jahres soll man sich allen Genuß und alle Erinnerungen zusammenhäufen wie Kinder sich den besten Bissen zulezt verwahren.

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15. Ein Brief bedarf allerdings einer gewißen Dosis von Derbheit um anzukommen: denn es fehlt ihm an allen mimischen Erläuterungen welche dem Gespräch zu Hülfe kommen. 16. Jemand aus einem Briefe an einen Dritten kennen lernen wollen ist eine unbestimmte Aufgabe: denn man muß zwei unbekannte Größen finden sein Verhältniß zu diesem Dritten und seine Geschiklichkeit es zu behandeln. Sie kann auch nur so gelöst werden indem man die Grenzen bestimmt zwischen denen die eine liegen kann. Dazu dient der Styl und die Behandlung.

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Poesie 17. Ist nicht der Roman die einzige Poesie der Neueren? Alles andre ist ihnen fremd. Ihr Drama hat seinen Ursprung in der Novelle und neigt immer dazu hin; und das beste lyrische ist theils im Roman, theils muß man einen darum herum machen um es zu verstehen.

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18. Diderots Vorschlag Stände zu schildern paßt wol eigentlich mehr auf die Novelle, wo er auch früher aufgeführt ist als aufs Drama. 19. Ein charakteristischer Unterschied zwischen Drama und Roman ist unter andern auch der, daß ich im Drama von den Charakteren mir nur einen Begrif machen muß, im Roman aber davon eine reine und bestimte Anschauung bekommen. Das Drama nemlich besteht in der Verknüpfung einzelner Handlungen zu einem Ganzen, und die Frage wie die Handlungen des Einzelnen in Ihm zusammenhängen ist nur eine Nebenfrage eigentlich aus dem romantischen Standpunkt; daher ist auch von den Charakteren bei den Alten nicht die Rede. Sie waren nur bestimmt in Absicht der Rükwirkung des Resultates auf sie. Der Roman hingegen hat seine Einheit in der Beharrlichkeit der Gemüthsart und der Principien unter verschiedenen Umständen. 20. Die gänzliche Unfähigkeit der Alten zum Roman liegt wol zum Theil darin, daß ihre Poesie von der bildenden Kunst ausging die es immer nur mit Momenten zu thun hat, und nicht mit dem successiven wie der Roman. Denn sonst bleibt es doch dabei daß der Roman der Gipfel und die natürliche Tendenz aller Poesie ist.

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21. Wir sollten eigentlich gar kein Drama machen es werden doch alle romantisch. 22. Measure for measure ist wol eines der schlechtesten Stüke von Shakespeare: Es hat die Novellenform so tout crache. Die einzigen dramatischen Ingredienzen sind Escalus Lucio und Clown. Escalus nur insofern der Contrast eigentlich dramatisch ist. 23. Wenn der Roman auf die Darstellung der innern Menschheit geht und ihrer Einheit an der wechselnden Reihe der äußern Verhältniße: so geht die Novelle wol eigentlich auf die Darstellung der äußern Menschheit nemlich der geselligen Verhältniße und ihrer Formen an der verschiedenen Reihe der innern Verhältniße und ihrer Rükwirkungen. Unsere meisten Romane sind bis jezt Novellen gewesen, und auch der Meister hat noch viel von dieser Art. In den Roman hingegen gehören wol keine Novellen. 24. Im Hamlet denke ich mir den entschiedensten Primat der Reflexion und die größte Gleichgültigkeit gegen das Handeln bei dem er deshalb immer dem ersten Eindruk folgt. Daraus glaube ich erklärt sich alles. Polonius ist wol sehr listig und möchte gern die Ophelia an Hamlet verheirathen. Ob Laertes als schlechter Kerl nach dem Königreich trachtet oder ob ihn Shakespeare nur leicht behandelt kann ich noch nicht entscheiden. Doch bin ich mehr fürs Erste und es ist vielleicht durch seine Vorliebe für Frankreich so gut angedeutet wie irgend etwas in diesem Stüke, wo Alles nur angedeutet ist.

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25. Twelve night ist gewißermaßen überbildet. Shakespeare hat manches darin aufgehoben und zu Ende geführt was er sonst würde haben fallen laßen. So die lezte Entwikelung der Komödie mit Malvoglio. 5

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26. Der Mißmuth des Alters besonders über die wirkliche Welt ist ein Mißverstand der Jugend und ihrer Freude, die auch nicht auf die wirkliche Welt ging. Der historische Sinn ist höchst nothwendig um zur ewigen Jugend zu gelangen, die keine Naturgabe sein soll, sondern ein Erwerb der Freiheit. 27. Philosophie und Religion gehn auf die ideale Thätigkeit, Moral und Poesie auf die Reale. Darum kann auch das was die Religion anschaut nicht das Produkt der Philosophie sein, sondern das der Moral und der Poesie. Eigentlich so. Es giebt nur eine Philosophie der Natur und der Menschheit und eine Religion der Welt und der Kunst: aber keine Philosophie der Religion und keine Religion der Philosophie. 28. Mechanik und Recht parallelisiren in so fern beide auf das Bewußtsein der gemeinschaftlichen Seele d.h. der angebornen Schranken gehn. Poesie und Moral gehn auf das Bewußtsein der Freiheit. 29. Jugend und Alter sollen gar nicht auf einander folgen sondern zugleich sein. Jugend geht aufs Leben, Alter auf die Reflexion.

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30. Das Universum gleicht darin dem Menschen daß die Thätigkeit die Hauptsache ist, die Begebenheit nur das vergängliche Resultat. Der ächte historische Sinn erhebt sich über die Geschichte. Alle Erscheinungen sind nur wie die heiligen Wunder da um die Betrachtung zu lenken auf den Geist der sie spielend hervorbrachte. Wie bei dem Menschen du forschest nach dem was drinnen sich reget, Unbeachtend was er äußerlich leidet und thut Also auch in der Welt such auf der ewigen Kräfte unvergänglich Gesez, würdige hohe Gestalt. 31. Mit Klagen und Wünschen zeichnet die Zeit ihre Sklaven und macht dadurch die besten den schlechtesten gleich.

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32. Ein kleines Bruchstük von der göttlichen Reflexion haben sie alle und zum Schulmeister erniedrigt nennen sie es Gewißen. 33. Die Idee Gottes hat in diesem Sinn die schöne Wahrheit einer Allegorie. Das reelle Thun ist nur Moment und Alles ist eigentlich Anschauung der eignen Thätigkeit. Wer sich selbst nicht anschaut wird nie das Ganze begreifen Wer nicht das Ganze gesucht findet auch nimmer sich selbst. 34. Selbstanschauung und Anschauung des Universums sind Wechselbegriffe; darum ist jede Reflexion unendlich.

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35. Es ist die Beschränktheit der Philosophie beides zu trennen ihr Leben ist todt ohne Reflexion und ihre Philosophie ist ein lebloses Gemälde wenn sie erst das Licht des Lebens verlöschen müßen um durch den engen Raum der Abstraktion ihr inneres abzubilden.

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36. So wie den Menschen ist mir nach einem Concert zu Muthe [.] Das Leben aber soll kein Concert sein. 37. Wem die Thätigkeit immer derselbe Bruch ist nur anders ausgedrükt der thut wol sich an die Zahl zu halten und nicht an den Werth zu denken. 38. Sie suspendiren nicht die Zeit: die Empfindung und Vorstellung der Vergangenheit wird ihnen wieder Gegenwart die sich anreiht an die Vergangenheit und hinwirkt in die Zukunft.

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39. Die Blüthe ist die wahre Reife. Die Frucht ist nur die chaotische Hülle dessen was dem organischen Gewächs nicht mehr angehört. 40. Ich lege nur das unvollkommene und irdische der Jugend ab, und lächle die weißen Haare an. 41. Es ist kein Wunder daß in den jezigen Zeitläuften wo das allgemeine Geschrei über den Atheismus manche leise Erinnerung von ehedem aufregt, und wo zugleich Herders Christenthum sich so laut geltend zu machen sucht indeß seine Natur sich gleichsam verläugnet, nach seinem Gott aus mancherlei Ursachen starke Nachfrage gewesen ist.

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42. Die dreifache Verbindung zwischen Gesang, Tanz und Gedicht ist offenbar jünger als die doppelte zwischen Gesang und Gedicht; daher der Hexameter in seiner roheren Gestalt gewiß das älteste Metrum der Griechen. 43. Geben und Nehmen ist ganz anders bestimmt als prendre und donner. Bei Nehmen ist die eigne Willkühr das constitutive, bei prendre die Abwesenheit einer fremden. j’ai pris la fievre. Es ist wichtig für die Art wie die Willkühr angesehn wird. Bekommen ist daher bei uns die Negation von Nehmen und steht mit unter dem französischen Nehmen, recevoir dagegen entspricht ganz dem Geben.

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44. Der allgemeinste Begrif von Esprit ist wol Thätigkeit der Fantasie nemlich auf Vorstellungen gerichtet, und das Correlatum dazu ist Sentiment, Thätigkeit der Fantasie auf Stimmung gerichtet. Der Gegensaz zu Esprit ist Jugement, die Thätigkeit mit dem Gegebenen. Gegensaz zu Sentiment ist das Schikliche als Benehmen die Behandlung der Stimmung als eines Gegebnen mit Verstand delicateße?

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45. Elemente einer Tragödie. Schiksal kann nichts andres sein als der Widerstreit der Freiheit, und das höchste ist also die Antinomie die in den verschiedenen LebensSphären, dem bürgerlichen häuslichen und persönlichen. Die Art wie diese sich unter einander widerstreiten muß in allen verschiednen Ansichten dargestellt werden von der größten Klarheit die sich des Widerstreits bewußt ist bis zur gemeinsten Verwirrung – die Gemeinheit aber muß siegen. Vater und künftiger Eidam sind in politischen Grundsäzen unter revolutionären Umständen entgegengesezt. Der Vater ist der klarste und gestattet ihm häusliche Freundschaft troz der Feindschaft. Der junge Mensch bewundert dies, und will immer darunter erliegen. Beide haben Freunde welche verwirrt und parteisüchtig sind und diese bringen die Katastrophe hervor. Das Mädchen ist ohne politischen Sinn und daher immer elegisch; aber nicht sentimental.

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46. Kunst ist Darstellung eines Ideals. Ein Ideal ist ein durchgängig nach einer Idee bestimmtes Individuum. Art geht immer auf die Verschiedenheit der Form, und so muß auch die Kunst klaßificirt werden nach dem Inbegrif der möglichen Darstellungsarten; das Verhältniß einer Idee zu einer gewißen Art der Darstellung bestimt nur das Gebiet des schiklichen für jede Kunst. 47. Woher komt aber bei dieser Ansicht der Unterschied der plastischen und musischen Künste? Er geht wol auch eigentlich auf das Gebiet des schiklichen denn man hat ja genug versucht die Skulptur musikalisch und die Musik plastisch zu behandeln.

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48. Nach der Moral kann ich eine Vergleichung der moralischen und psychologischen Sprache mehrerer Völker schreiben. 49. Gute Behandlungen einzelner Gegenstände aus dem Gebiet einer Wißenschaft sind nur dann möglich wenn ein System über die ersten Principien derselben herrschend und allgemein klar ist, weil man sonst immer auf die ersten Principien zurükgehn muß. Darum hat uns die Kantische Schule noch keine geliefert. 50. Wenn Abhandlungen welche unter dem Schein einzelner Materien die ersten Principien behandeln dies nur digressorisch thun und nicht heuristisch sind, so taugen sie nichts.

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51. Die Zweideutigkeiten in der Lucinde sind als Erinnerungen anzusehn, und solche Erinnerungen müßten stattfinden wenn die Wollust einmal nicht allein stehen soll. Sie finden aber ihre Rechtfertigung nur darin daß Alles an die Lucinde gerichtet ist; in Selbstbetrachtungen wären sie onanitisch, in einer bloßen Rede ans Publikum pandemisch. 52. Die Alten brauchen die Poesie niemals als Mittel in der Rhetorik: aber etwa die Rhetorik als Mittel in der Poesie? Ist der tragische Dialog wie Heindorf meint rhetorisch? Jede Rolle für sich betrachtet kann wol rhetorisch sein, und muß es gewißermaßen; aber der Dialog als ganzes ist ohne Zweifel immer poetisch. 53. An der eigentlichen Rhetorik ist wol nichts schöne Kunst als die Wolredenheit.

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54. Aussöhnung mit dem Schiksal, wie Süvern meint giebt es wol eigentlich nicht, weil es immer zwei aus verschiednen Principien handelnde Kräfte sind; sondern nur Sieg oder Untergang. 55. Die griechische Tragödie hat offenbar zwei Elemente ein episches und ein lyrisches. Der Dialog ist episch: denn in so fern jeder sich selbst sezt und macht ist er auch nur für sich selbst da. Episch und lyrisch sind sich entgegengesezt wie Realismus und Idealismus. 56. Der Dialog ist auch der Geschichte nach wirklich aus dem Epischen entstanden.

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57. Die Narren waren Scherzkünstler und Improvisatoren über Alles. Einwendungen gegen die Allgemeinheit des Scherzes als Behandlungsart sind theils subiectiv: man will nicht über das Scherz gemacht haben, was uns Ernst ist – diese heben aber allen Scherz auf; theils objektiv[:] man will allgemeine Regeln be-

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stimmen worüber nicht gescherzt werden soll – diese heben ebenfalls den Scherz als selbstständig auf. Denn was nur innerhalb gewißer Grenzen gedacht werden soll, das wird nur als um eines andern willen, wodurch es begrenzt wird gedacht entweder als Mittel zu einem Zwek oder als Theil eines Ganzen. Der Scherz ist zu nichts Mittel als nur ein sehr schlechtes, und an nichts Theil als vom Leben überhaupt; nicht einmal, nach heutigen Begriffen von der Komödie. – Was an sich erlaubt ist muß auch als Beruf getrieben werden dürfen weil es nur so zur Vollkommenheit und Virtuosität kommt. Dieser Beruf läßt sich als Zustand eines Menschen vertheidigen. Die Maxime eines solchen Menschen: Alles soll Scherz sein wird nicht als für alle, sondern wie alle Berufsmaximen als für ihn gedacht. Sie schließt das Handeln nicht aus denn der Scherz hat seinen Siz in der Reflexion, das Scherz mit etwas oder Jemand treiben (nemlich handeln oder handeln laßen um die Handlung als nichtig darzustellen) ist schlecht. Sie schließt auch das Philosophiren nicht aus. Denn dieses geht auf die Synthese des Einzelnen mit dem Ganzen, dagegen Jenes Alles der Maxime nur auf die Verbindung des Einzelnen mit dem Einzelnen geht. Beides kann sich durch einander hinziehen und hat es auch wol oft gethan; viele Buffos sind philosophisch und viele Philosophen grenzen an die Buffonerie. Nach der Möglichkeit nun die Nüzlichkeit. Die ehemalige. Die Fürsten nahmen es zu Ernst mit dem Regieren[.] Das sieht man aus der Etikette und aus deren Vereinfachung des Regierens bis zur Unterschrift. Das Volk ist zu ernsthaft. Das sieht man aus der Pedanterei; nimmts auch mit der Kunst zu ernsthaft in Moralität und Illusion. Jezt muß Literatur statt Theaters dienen. 58. Stil bezieht sich eigentlich wol nicht auf den Ausdruk überhaupt, sondern darauf welche Art desselben herrschend denn nur so kann das Wort auf ein ganzes Werk unmittelbar bezogen werden. S. meine Theorie. Aus dieser scheinen vier Arten des Ausdruks hervorzugehn der logische (Deutlichkeit) progressive (Leichtigkeit) extensive (Lebhaftigkeit) und rhythmische (Wollaut). 59. Casaubonus (de Poes. Satyr. p.160) scheint jedoch am Ende nur auf eine Stelle im Diogenes Laertius anzunehmen daß die Tetralogie durch alle 4 Bacchische Feste durchgegangen so daß an jedem Bacchischen Feste ein Stük von jedem durfte gegeben werden. Dies würde der Hypothese vom Zusammenhange der Tetralogie sehr im Wege stehn, ist mir aber höchst unwahrscheinlich. Es kommt hernach noch einmal vor P.211 daß alle Satyrien im Anthesterion gegeben werden mit Berufung auf dieselbe Stelle des Diogenes Laertius. 60. Enthüllung des Systems der Prüderie in einem Brief an eine Schwester. Theorie der Küße an ein kleines kokettes Mädchen. Persiflage der gemeinen Urtheile und Späße nebst dem über die Ungarn an einen Freund. Statt der Vorrede auch ein Brief. Ein auch ernsthafter an einen alten Mann der an der Luzinde die traurigen Folgen der Emancipation gezeigt hatte. Ernsthaft an eine Freundin über den Scherz mit der Liebe. An einen Freund über die Theorie der Ehe. [60a.] ad60. Parallelisirung der Form in der Lucinde mit dem Stoff. Die Form ist nemlich auch unzüchtig. Gnade und die Freundschaft sind Nuditäten.

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Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher

[60b.] ad60. Ueber die Bornirtheit der Liebe wird wahrscheinlich ein eigener Brief werden. Oder es wird eins mit den Betrachtungen über die Individualität in der Lucinde. Diese kann angesehen werden als Veranlaßung zu dem Haschen nach Personalitäten. 5

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61. Ein Mährchen ist wol eine transitorische Schöpfung einer Mythologie bloß für einen bestimmten Zwek und Moment. Sind die einzelnen Fabeln von Ovid Mährchen? Ist die ganze so lange bestehende alte Mythologie aus Mährchen entstanden wie die neue? [62.] Da im Chor der Alten die Reflexion ruht, so sind wol alle reflectirenden Monologe nur modern – überhaupt wol Monologe. Denn was sich dazu qualificirt war Dialog mit dem Chor. [63.] ad60. Die antike Vergötterung der Wollust gehört zur zweiten Religionsstuffe und mußte also wie jede einseitige Cultur muß wieder untergehn um mit neuen Elementen geschwängert zu werden um der höhern nemlich der systematischen Plaz zu machen. [64.] Ein Roman wo die Weltansicht unter mehrere Menschen vertheilt ist die unabhängig voneinander sind ist dem Grunde nach episch; wo sie ganz in Einem ist für den die andern Anregung sind ist lyrisch.

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[65.] Wie braucht Plato  und   . Im Lysis wird beides unterschieden.  ist dort immer terminus medius um zu zeigen daß ohne Bedürfniß kein    Statt findet. Man muß auch die andere Bedeutung von  „zufrieden sein mit etwas“ dazunehmen. Es scheint beinahe eigentlich auf die Anhänglichkeit zu gehn. Vielleicht ist  nur passiv, das Wohlleidenmögen,    aber activ, das Streben. [66.] Alle Vier Haupttugenden gehören wol eigentlich zur Bildung des Menschen zur Gattung. Vielleicht die einzige Klugheit ausgenommen und darüber muß noch Aristoteles entscheiden.

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[67.] ad60. In den Brief über die Prüderie muß ein polemisches Gespräch über den Begrif des Anständigen eingewebt werden. [68.] Für die  ist der Hauptsiz im Charmides. Dort scheint es beinahe nicht anders als durch Würde übersezt werden zu können. Besonnenheit.

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[69.] Das Anständige als äußerlicher Schein des sittlichen in Dingen die eigentlich nicht sittlich sind. Dann geht die Sittlichkeit auf Vernichtung des Anständigen. Als positive Sittlichkeit. Dann muß man wißen können was gemacht wird. Als Hergebrachtes: dann ist das Anständige eigentlich Nachahmung des Unanständigen. [70.] Kants ganze Philosophie ist wol vielleicht architektonische Polemik und Alles Andere sehr unphilosophisch.

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[71.] Wenn ich auch Gott als moralische Fiction behandle, so geschieht es doch immer nicht in dem Sinne in welchem Kant ihn als logische Fiction behandelt.

Gedanken III

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[72.] In einem Dialog sollte einmal recht persiflirt werden wie die Leute von einzelnen Seelenvermögen reden z.E. Kant die reine Vernunft schmeichelt sich. Erst müßte aber eine ganze Parthie aus Kant Reinhold perge gesammelt werden. [73.]   «  kommt schon beim Aristoteles Eth.II,3 vor. [74.] Im Griechischen unterscheidet Aristoteles   9   und   

   und so auch in der   «. Für die lezten haben wir furchtsam als das in Beziehung auf das passive, feigherzig in Beziehung auf das active. Für die  müssen wir dummdreist vielleicht erst stempeln. [75.]   muß doch eine höchst unbestimmte Bedeutung gehabt haben und macht schwer hier den rechten Begrif herauszufinden. Man vergleiche wie es in Platos Soph. und Aristoteles Ethc.II,7 gebraucht wird.

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[76.] Wenn Gott in der Schöpfungsgeschichte sagt[:] laßt uns ein Bild machen das uns gleich sei so muß man nur denken, daß er dies zu der eben geschafnen Erde sagt, und es ist ein herrlicher sehr sinnvoller Mythos. [77.]  « scheint Aristoteles Ethic.3,10 nur brauchen zu wollen vom Geschmak insofern dadurch Objekte unterschieden werden, wie von dem Weinkosten; dem genießenden sezt er weit mehr die 4κ.

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[78.]    wurde wie unsere Ungezogenheit auch von Kindern gebraucht[.] S. Aristoteles Ethic.III12. [79.] Hippel ist mit seinem Talent zur Musik Biogr. S.139. ein seltnes Beispiel wie man organisch geschikt sein kann zu einer Kunst ohne allen innern Sinn für sie. [80.] Biogr. S.141sqs. Hippel entschuldigt die Satyre bloß moralisch ohne den Scherz als etwas Wesentliches zu sezen. Ich wundre mich nicht daß seine transcendentale Menschenkentniß nicht so weit ging, aber daß er nicht ein anderes Gefühl von der Sache gehabt haben sollte begreife ich nicht. Vielleicht finden sich bessere Erklärungen darüber wo er sie nicht geben will. [81.]          muß auch die Verkupplung eines Buben oder Mädchen an einen dritten heißen[.] S. Aristoteles Eth.Nic.V,2 wo sie ein      genannt wird. Bei Plato im Theaitet scheint sie nur ein    zu sein. [82.] ²                      Aristoteles Eth.Nicom. VII,2 ist gewiß ganz dasselbe Sprichwort wie das im Neuen Testament vom Salz. [83.] Aristoteles Eth.VIII,4.              «[.] Ein recht schlagendes Beispiel wie  « für sibi invicem gebraucht wird.

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Anthropologische Fragmente. 1. !1" Große Männer, sagte einst ein scharfsinniger Schriftsteller, sind Thürmen ähnlich – um beyde ist gemeiniglich viel Wind. Große Männer, erwiderte ein anderer, sind aber auch in Einem Stücke Thürmen sehr unähnlich – denn in der Nähe werden diese immer größer, jene immer kleiner. !2" Man sagt, daß es für Kammerdiener keine Helden gebe. Ich weiß nicht ob es wahr ist: denn ich habe niemals einen Helden gekannt. Aber das weiß ich, daß es für Weiber keine Philosophen giebt. Ich kenne Weiber, die da glauben, daß ihre Männer Philosophen sind: aber sie müssen erst sehen, daß es andere glauben. Sie selbst würden es sonst nicht einmal sehen. Denn woran sollten sie es sehn? Sind die Philosophen nicht zu Hause gewöhnlich Narren? und was das ärgste ist, gefallen sie sich nicht gewöhnlich in ihrer Narrheit selbst? Können wir es den Weibern verdenken, daß sie uns mehr nach dem richten, was wir thun, als nach dem, was wir sagen? Können wir es ihnen verdenken, daß sie die Rolle, die wir im Nachtkleide spielen, mehr für unsere eigene halten, als die im Feyerkleide? !3" Es ist ein eigenthümlicher Zug in der menschlichen Natur, daß wir uns gleichsam schämen, vor unsern Vertrauten in einem vortheilhaften Lichte zu erscheinen. Die Vertraulichkeit ist das Grab der Achtung – nicht blos der, die ertheilt, sondern auch der, die verdient wird – und um die Achtung solcher Menschen zu buhlen, die wir selbst nicht achten, ist unmöglich. !4" Die Achtung ist ein Gefühl, das sich mit der Liebe nicht verträgt. Ein Mann, der anfängt die Achtung seiner Frau verdienen zu wollen, hat aufgehört, sie mit Leidenschaft zu lieben. !5" Wir können gut von Natur seyn; wenn wir aber groß sind, so haben wir es unsern Grundsätzen zu danken. Die Grundsätze sind folglich unnatürlich – und es ist billig, daß große Männer wenigstens zu Hause natürlich seyn dürfen.

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!6" Es scheint, daß dem Character der Menschheit Kleinheit und Mittelmäßigkeit angemessener sey, als Größe: denn niemand wird leicht ein großer Mann seyn, außer wenn er daran denkt. 2. 5

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!7" Ein mit Verstand gegen die gemeine Meynung gewagtes Urtheil ist ein Paradoxon. !8" Aller Irrthum entsteht aus übereiltem Gebrauche des Verstandes – und ein Mensch, der sein Urtheil immer so lange aufschiebt, bis er von dem Gegenstande hinlänglich unterrichtet zu seyn, sich bewußt ist, wird niemals irren – aber auch niemals Wahrheit finden. Er wird niemals fallen, aber auch niemals gehen lernen. Nicht der Weg der Unwissenheit, sondern der Weg des Irrthums führt zu dem Tempel der Wahrheit. Ein gewagtes Urtheil ist daher besser, als gar keins. Wer über jeden Gegenstand, der ihm vorkommt, ein Urtheil hinwirft – nicht auf gerathewohl: dieß wäre abgeschmackt, sondern nach einer Maxime der Vernunft – nicht als ein ausgemachtes, sondern als ein auszumachendes – der erleichtert sich das Finden der Wahrheit um ein Beträchtliches. Er braucht nicht zu suchen, sondern blos zu untersuchen – und dieses ist um sehr vieles leichter, als jenes. !9" Gemeine Seelen wagen nie ein Urtheil: sie erheben sich nie über das Gemeine, und fühlen kein Bedürfnis sich darüber zu erheben. Sie gefallen sich nur in der Gesellschaft des großen Haufens. Sich selbst sind sie nichts, weil sie nicht den Muth haben, etwas zu seyn. Es gebricht ihnen nicht an Muth, weil sie nichts sind, sondern sie sind nichts, weil es ihnen an Muth gebricht. Sie sollen Muth fassen, etwas zu seyn, und sie werden es seyn! !10" Unzufriedenheit mit dem Gemeinen, ist der Character einer Seele, die selbst nicht zu den gemeinen gehört: und Hang zum Paradoxen ist der Character jener Unzufriedenheit. !11" In einem paradoxen Urtheil muß immer etwas gewiß seyn, nähmlich die Maxime der Vernunft, wornach es gefällt wird: dabey aber immer etwas ungewiß, nähmlich die Anwendung jener Maxime auf den gegebenen Gegenstand. Ist nicht bloß die Anwendung der Maxime, sondern die Maxime selbst ungewiß, so ist das Urtheil keine Paradoxie, sondern eine Abgeschmacktheit – es ist ein gewagtes, aber ohne Verstand gewagtes Urtheil. !12" Da es bey dem Unterschiede zwischen einem paradoxen und einem abgeschmackten Urtheile lediglich darauf ankommt, ob es nach einer, oder nach keiner Maxime der Vernunft gefällt sey, so kann es geschehen, daß ein und dasselbe gewagte Urtheil in dem Munde eines Verständigen ein Paradoxon, in dem Munde eines Einfältigen aber eine Abgeschmacktheit ist. Und dieß ist dann einer von den seltnen Fällen, wo man nicht blos darauf zu sehen hat, was gesagt wird, sondern auch, von wem es gesagt wird. In dem Munde Witte’s war die Behauptung, daß die Pyramiden Producte der Natur, und nicht der Kunst wären, so wie die, daß die hebräischen Propheten ita-

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lienische Improvisatori’s wären, in dem Munde Eichhorns, ein Paradoxon. In dem Munde sehr vieler andern wären beyde Behauptungen nichts, als Abgeschmacktheiten gewesen. !13" Menschen die viele Paradoxen sagen, sind immer gute, zuweilen auch große Köpfe. Wenn sie auch nicht viele Wahrheiten sagen, so öffnen sie doch die Aussicht auf viele Wahrheiten. Sie säen Gedanken: was sie säen, geht unter, aber was daraus entstehet, geht auf, und gedeihet, und trägt Früchte ins Unendliche. !14" Wer keinen Muth hat, zu irren, wer niemals eine gewagte Behauptung, niemals ein Paradoxon niederschreibt, der ist vom philosophischen Geist verlassen, und niemals werden ihm andere als gemeine Wahrheiten auf dem ebenen Wege seiner Untersuchung begegnen. Es ist im Speculativen, wie im Practischen. Große Wahrheiten grenzen immer an große Irrthümer, wie große Tugenden an große Laster. !15" An der Art, wie jemand Paradoxen aufnimmt, kann man den Character seines Geistes erkennen. Er verlacht sie, wenn er ein eingeschränkter Kopf ist: sie beunruhigen ihn, wenn er ein denkender Kopf ist, aber sein System mehr, als die Wahrheit liebt: sie reizen ihn, aber befriedigen ihn nicht, wenn er ein System nur noch als eine Aufgabe betrachtet, die er lösen soll, aber noch nicht gelöset hat: sie entzücken ihn, und befriedigen ihn zugleich, wenn er Gedanken als eine Münze ansieht, die sich mit Wucher wieder ausgeben läßt. !16" Es kann einem denkenden Kopfe kein größeres Uebel widerfahren, als wenn seine Denkart den Character der Einseitigkeit annimmt. Eine Meynung übt dann in seinem Geiste den härtesten Despotismus aus, und verdammt durch die bestochne Urtheilskraft jede andere, die ihr nur im mindesten zu nahe tritt, meist ohne sie zu hören. Seine Gedanken, abgeschnitten von dem wohlthätigen Einfluß fremder Geister, ziehen sich in einen immer engern Kreiß zusammen – Geistesarmuth und Herzensleerheit sind das Ziel, dem dieser Sclave seiner eignen Meynung mit schnellen Schritten entgegen eilt. Wer es über sich erhalten kann, auch nur den Wunsch in sich aufkommen zu lassen daß er dieser Sclaverey entledigt seyn möchte – was auch nur zu wünschen, eben nicht leicht ist – der freue sich jedes Paradoxons, das ihm aufstößt: es ist eine Arzney, die ihn heilen kann.

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3. !17" Nur gemeine Seelen werden in der Welt niemals verkannt: Wer keinen Tadel zu verdienen weiß, wird sicher auch niemals Lob einärndten. !18" Niemand kann ein guter Mensch seyn, ausser wer Kraft und Muth hatte, ein Bösewicht zu werden.

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4. !19" Menschen, die in Kleinigkeiten überaus ordentlich sind, die z.B. ein Tisch oder ein Stuhl am unrechten Orte irritiren kann, sind gewöhnlich eingeschränkte Köpfe, und zu großen Unternehmungen ungeschickt. Sie haben vielleicht Muth

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genug, etwas Wichtiges anzufangen; aber da bey ihnen alles nach der Schnur gehen soll, und die Umstände sich immer nach ihnen, sie selbst aber sich nimmer nach den Umständen richten wollen, so verlieren sie ihren Muth sehr bald, und sinken in ihre vorige Unthätigkeit zurück. Sie beweisen ihre Freyheit immer in der Anordnung kleiner Verhältnisse, während sie die wichtigern dem Spiele des Zufalls überlassen. !20" Uebertriebener Hang zur Ordnung ist gewöhnlich mit Faulheit verbunden. Geschäftige Leute sind fast immer unordentlich.

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!21" Ordnung und Reinlichkeit sind keine Tugenden für große Seelen. Sie gehören für die Weiber. Diesen werden sie aber niemals erlassen. 5.

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!22" Wie hat Ihnen Herrn ****** Vorlesung gefallen? fragte Jemand den Herrn von ******** bey seiner Anwesenheit in ***. Ungemein – war die Antwort – ich glaubte mich selbst zu hören! Denken Sie Sich den eiteln Menschen! setzte Herr ****** hinzu, als er diese Antwort einem Dritten erzählte. 6.

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!23" Nichts vergessen wir leichter und lieber, als Wohlthaten, die wir empfangen haben; und zwar vergessen wir sie um so eher, je größer sie sind. Alle Welt findet ein Vergnügen daran, kleine Gefälligkeiten zu erwidern, aber es ist fast kein Mensch, der nicht für die großen undankbar wäre. Mit Menschen, die uns sehr viel Gutes gethan haben, was wir ihnen nicht erwidern können, gehen wir nicht gern um; viel lieber gehen wir mit denen um, die von uns Gutes empfangen haben. Diejenigen, die uns schwer beleidiget haben, können wir bald aufhören zu hassen: aber unsere Wohlthäter können wir nicht so bald anfangen zu lieben: wir sind oft nahe daran, sie zu hassen, zuweilen hassen wir sie wirklich. Es sollte nicht so seyn, aber es ist so. Es scheint, daß die Geistesspannung, die die Dankbarkeit erfodert, uns wie eine Art von Sclaverey vorkomme, der wir uns gern entziehen möchten. – Wer daher Wohlthaten erzeigt, der rechne nie auf Dankbarkeit. Er tröste sich damit, daß der, der Wohlthaten erzeigt, bey weitem mehr Vergnügen davon hat, als der, der sie empfängt. Ohne diese Einrichtung würden die Eltern mehr von den Kindern, als diese von jenen geliebt werden – welches die Naturabsicht zerstören würde. – Wollen wir Freunde haben, die uns um unsrer selbst willen lieben, so dürfen wir sie nie mit Wohlthaten überhäufen. Dieß wäre das sicherste Mittel, wahre Freunde nie zu bekommen, und die man hat, zu verlieren. Die Dankbarkeit ist schon an sich eine Last, die niemand gern auf sich ruhen läßt: mit dem Gefühl der Freundschaft aber verträgt sie sich am wenigsten. Sie ist Pflicht, und bindet, indem sie verbindet. Wo das Sollen sich hören läßt, da ist die Liebe nicht mehr frey: und wo die Liebe nicht mehr frey ist, da hat sie längst aufgehört. !24" Es gehört weit weniger Freundschaft dazu, Wohlthaten dem Freunde zu erzeigen, als sie von ihm anzunehmen.

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7. !25" Ob Baco seinen bekannten Ausspruch jetzt wohl so parodieren würde? Wenig Philosophie, führt zum Ungehorsam gegen die Obrigkeit: aber viel Philosophie führt zum Gehorsam gegen sie zurück. 8.

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!26" Einbildungskraft ist von allen Seelenfähigkeiten diejenige, die sich in der Physiognomie am wenigsten äußert. 9. !27" Wer lernen will, Herr seiner Handlungen zu seyn, der fange damit an, Herr seiner Urtheile zu werden.

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10. !28" Es giebt wenig Menschen, die Muth genug haben, den Spott der Narren zu ertragen; aber sehr viele, die kühn genug sind, sich die Verachtung der Verständigen zuzuziehn. 11.

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!29" Bis jetzt hat die Moralität nur wenig in der Welt ausgerichtet. Sie scheint fast nur eine andere Firma zu seyn, unter der die Leidenschaften bisweilen handeln. Wo etwas auf ihrer Rechnung stehet, da muß es wenigstens immer heißen: Moralität und Kompagnie. Die Moralität giebt den Rahmen, die Leidenschaften das Kapital zu den Unternehmungen her.

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12. !30" Wer den Verstand hat, den Verstand anderer vortrefflich zu finden, ist sicher, den seinigen bewundert zu sehn. 13. !31" Der Enthusiasmus ist ein Zustand, wo das Gemüth durch Ideen in Affect – und die Schwärmerey ein Zustand, wo das Gemüth durch Ideen in Leidenschaft gesetzt ist. Wer sich aber durch Schimären in Affect oder in Leidenschaft setzen läßt, ist ein Phantast. !32" Eine Idee ist eine unendliche Vorstellung. Es giebt zweyerley Ideen, Vernunftideen, und ästhetische. Jene sind unendliche Begriffe, diese unendliche Anschauungen. Der endliche Verstand vermag sie nicht zu fassen durch Begriffe, sondern nur durch Symbole. Wer über das Symbol die Idee aus den Augen verliert, ist ein Phantast. !33" Ein Mensch, der keinen Sinn hat für Ideen, der sich nur in der gegebenen, nie in einer selbstgeschaffenen Welt gefällt, ist eine gemeine Seele. Wer aber

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Sinn hat für Ideen, gehört eben darum unter die bessern Menschen. Es ist daher niemals ein ganzer Tadel, sondern immer zugleich ein halbes Lob, wenn man jemand einen Enthusiasten oder Schwärmer nennt. Freylich richten beyde oft großes Unheil in der Welt an. Allein das schadet nichts. Wer nicht Kraft hat, großes Unheil in der Welt anzurichten, der hat auch niemals Kraft, der Welt etwas Großes zu nützen. !34" Man kann von seiner Idee nur irgend ein Symbol öffentlich ausstellen: die Idee muß jeder selbst hinzudenken. Dies können aber die wenigsten. Die geistvollen Menschen müssen es sich daher immer gefallen lassen von der Majorität des menschlichen Geschlechts für Narren gehalten zu werden. Dieß hätte wenig zu bedeuten: aber das schlimme dabey ist dieß, daß sie eben dadurch sehr leicht wirklich Narren werden. Das allgemeine Urtheil verdient immer Respect, denn es ist das Urtheil des allgemeinen Verstandes. Das allgemeine Urtheil soll auf der Wagschale dem eignen Urtheil ein respectables Gegengewicht geben – dieß ist die Maxime des Weisen: aber es soll nicht das Uebergewicht geben, weder dafür – dieß ist die Maxime des Pöbels; noch dawider, – dies ist die Maxime des Narren. Der Widerspruch des allgemeinen Urtheils ist dem Weisen ein Grund, an dem seinigen zu zweifeln; dem Pöbel, dem seinigen zu entsagen; und dem Narren, dem seinigen zu folgen. Wer nun öfters in den Fall kommt, dem allgemeinen Urtheil nicht folgen zu können, (und geistvolle Menschen kommen öfters in diesen Fall) der ist eben darum immer der Gefahr ausgesetzt, ein unbedingtes Zutrauen zu seinem eignen Urtheil zu fassen – das heißt ein Narr zu werden. 14.

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!35" Man hört öfters die Klugheit der Sittlichkeit entgegen setzen. Aber das sollte man lieber Verschlagenheit nennen. Die Verschlagenheit bestehet in der Geschicklichkeit, andere Menschen zur Beförderung unserer Absichten zu bewegen, ohne und selbst gegen ihren Willen: in der Kunst, andere als Mittel zu unsern Zwecken zu brauchen, ohne daß sie es merken. Wer von dieser Kunst Gebrauch macht, andern kleine Vortheile abzugewinnen, heißt ein pfiffiger Mensch; wer mehr darauf ausgeht, andern wirklichen Schaden beyzubringen, heißt ein Schurke; wer aber nur die Absicht hat, andere zu necken, das heißt, ihnen die Einbildung eines Schadens beyzubringen, heißt ein loser Vogel. Die Geneigtheit zum ersten heißt Arglist, die zum andern Büberey, und die zum dritten Muthwille. So nahe aber Büberey und Muthwille in den Begriffen an einander grenzen, so entfernt sind sie in der Wirklichkeit von einander. Die Muthwilligen sind gemeiniglich keine Schurken, und die Schurken sind selten lose Vögel. Der Grund davon ist, weil niemand sich viele Mühe geben mag, etwas zu scheinen, ausser wenn er es nicht ist. !36" Die Maxime der Verschlagenheit ist die Maxime der Falschheit, (andere als Mittel zu unsern Zwecken zu brauchen, ohne ihren Willen;) sie steht entgegen der Maxime der Ehrlichkeit, (andere als Mittel zu unsern Zwecken zu brauchen mit ihren Willen.) Wahre Klugheit kann nicht mit der Maxime der Falschheit, sondern nur mit der Maxime der Ehrlichkeit bestehn. Die wahre Klugheit ist nähmlich die

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Geschicklichkeit, andere als Mittel zu unsern Zwecken zu brauchen, nicht bloß für das Bedürfniß des Augenblicks, sondern für die Dauer. Es ist aber nichts, was andere für die Dauer bewegen könnte, unsere Absichten befördern zu helfen, als die Ueberzeugung, daß sie die ihrigen zugleich mit den unsrigen befördern. Da wir aber diese Ueberzeugung nicht immer so geschwind in andern hervorbringen können, als es nöthig wäre, so bedürfen wir ihres Zutrauens, d.i. ihrer Ueberzeugung von unserer Ehrlichkeit. Der Falsche thut nichts, um dieses Zutrauen zu gewinnen, und zu befestigen, (wenn er auch nicht eben als Schurke alles thut, um es zu verlieren) er muß daher immer von forne anfangen, wo der Ehrliche sich schon am Ziele sieht, und die Maxime der Falschheit (niemahls offen zu Werke zu gehn,) ist daher keine Maxime der Klugheit, sondern vielmehr im Ganzen Thorheit. Ein Ehrlicher kann wohl in einzelnen Fällen thörigt handeln, d.i. Mittel ergreifen, die seine eignen Zwecke zerstören: im Ganzen aber bleibt er doch ein Weiser, d.i. ein Mensch, der zu seinen Zwecken die besten Mittel ergreift. Ein Schurke wird nicht leicht bis an sein Ende ein Schurke bleiben, nicht als ob er es nicht bleiben wollte, sondern weil er es nicht bleiben kann. Klugheit mit Ehrlichkeit (Redlichkeit) ist also im Ganzen immer Weisheit, und Klugheit ohne Ehrlichkeit (Falschheit) im Ganzen immer Thorheit. 15. !37" Der Endzweck der Regeln des Wohlstandes scheint kein anderer zu seyn, als die Menschen in einer gewissen Entfernung zu halten, damit sich die unaufhörlich widerstreitenden Neigungen nicht zu sehr an einander reiben. Niemand hat mehr Interesse dabey, daß diese Regeln auf das pünctlichste befolgt werden, als die Hochmüthigen. Denn der Hochmuth selbst ist nichts anders, als die Begierde, die Menschen immer in großer Entfernung von sich zu halten. Sehr höfliche Leute sind daher immer sehr hochmüthig. – Die Fertigkeit die Regeln des Wohlstandes zu beobachten, ist die feine Lebensart. !38" Die feine Lebensart scheitert bey sehr vielen Menschen an zwey Klippen – an der Furcht zu misfallen, und an der Verzweiflung zu gefallen. Dort entsteht Blödigkeit, hier Unartigkeit. Der Blöde fürchtet jeden Augenblick durch seine Stellung, durch seine Geberden, durch seine Reden zu misfallen. Er würde sonst nicht misfallen: aber eben durch diese Furchtsamkeit, (deren Aeußerung Verlegenheit heißt,) misfällt er wirklich. Ein anderer hingegen setzt sich über die Regeln des Wohlstandes eigenmächtig hinaus, darum, weil er sich bewußt ist, sie niemals recht beobachten zu können. Er will lieber durch Unartigkeit, als durch schwerfällige Artigkeit misfallen – und er thut wohl daran: er behauptet wenigstens seine Würde, und wird nicht, wie der Blöde, des ersten besten Narren leichte Beute. – Zwischen der Blödigkeit und der Unartigkeit, welche beyde misfallen, steht die Dreistigkeit mitten inne, welche gemeiniglich gefällt. Dreist ist ein Mensch, der die Regeln des Wohlstandes mit der größten Leichtigkeit und Ungezwungenheit zu beobachten weiß, der sich aber eben darum, weil seine Gewandtheit in dergleichen Dingen anerkannt ist, berechtigt glaubt, jene Regeln

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zuweilen auch nicht zu beobachten. Es kommt dabey nur darauf an, daß er sogleich wieder in die Schranken der conventionellen Höflichkeit zurücktrete, sobald er merkt, daß den andern das Nichtgenirtseyn mehr genire, als der Zwang der Etiquette. 5

16. !39" Die Faulheit äussert sich nicht immer durch das Nichtsthun: sie äußert sich öfter noch durch das Spätethun. Leute, die ihre Arbeit, die sie doch einmal thun müssen, immer bis auf den letzten Augenblick aufschieben, sind Leute, die sicher nichts thäten, wenn sie nicht, um ihre Existenz fortzusetzen, Etwas thun müßten.

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17. !40" Das Geschäft eines Recensenten, dem das Interesse seiner Wissenschaft – welches von dem Interesse seiner Meynungen und seines Beutels bisweilen unterschieden ist – am Herzen liegt, besteht nicht darin, daß er keinen Irrthum aufkommen lasse: denn es ist besser, daß ein irriges, als daß gar kein Urtheil über einen Gegenstand im Schwange gehe, indem das Publikum im ersten Falle zwar nicht die Wahrheit, aber doch die Kunst zu urtheilen, im andern aber auch diese nicht einmal lernt. Das Geschäft eines gewissenhaften Recensenten besteht vielmehr darin, daß er der Wahrheit die Thür offen halte: daß er das üppig aufschießende Unkraut menschlicher Meynungen – nicht etwa ausjäte, sondern – beschneide, damit es die langsam aufkeimende Wahrheit nicht ersticke: daß er den Despotismus der Meynung verhüte, und darüber wache, daß die Freyheit des öffentlichen Urtheils erhalten werde: daß er dem Hange der Schriftsteller, ihre Meynung zur ausgemachten zu erheben, kräftig entgegen arbeite, und die Freyheit, künftig noch etwas Anderes, wo möglich Besseres, auszumachen, unaufhörlich reclamire, damit sie nicht durch Präscription verlohren gehe. Wie schwer es seyn müsse, ohne äussere Triebfedern gerecht zu seyn, kann man unter andern aus der Art und Weise abnehmen, wie die Recensenten sich gewöhnlich dieser Pflicht entledigen. 18.

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!41" Die leichtesten Einwürfe sind oft die gefährlichsten. Nicht, als ob sie dem Schriftsteller entgangen wären, sondern weil es ihm nicht wohl zugemuthet werden kann, einen neuen und blendenden Gedanken einem gemeinen und alltäglichen aufzuopfern. Ich habe daher Respect für jeden Schriftsteller, der bey Einwürfen der Weiber seine Fassung nicht verliehrt. Der gesunde Verstand ist bey den Weibern zu Hause, bey den Männern ist er nur zu Gaste. – Der Verstand der Männer ist ein Verstand, den sie mit vieler Mühe krank machen, um ihn mit, wo möglich, noch größerer wieder zu curiren. Rousseau hat Recht, wenn er sagt: die Weiber haben Verstand, und die Männer Genie. Denn es gab keinen Schriftsteller, der mehr Geist, und weniger gesunden Verstand besessen hätte, als der Bürger von Genf.

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19. !42" Ich sehe wohl, daß man nicht lange philosophiren kann, ohne Erklärungen zu wagen – und es ist gut, wenn man sich nicht davor scheut. Aber ich verlange, daß man sie für nichts mehr ausgeben soll, als für das, was sie sind – für Expositionen, nicht für Definitionen. Eine Exposition ist eine unvollendete, eine Definition ist eine vollendete Erklärung. Ob eine Erklärung vollendet sey, davon können wir uns nur dann überzeugen, wenn wir den Beweis führen können, daß ausser ihr keine andere möglich ist. So lange wir diesen Beweis nicht führen können, – und er führt sich nicht leicht – so lange bleibt es kein geringes Wagstück, eine Erklärung, die als Exposition zugelassen werden könnte, wie eine Definition zu gebrauchen. Man hat viel über den Schaden geklagt, den die Definitionen in der Philosophie angerichtet hätten. Sie sind unschuldig daran! denn es hat ihrer niemals viel gegeben. Es waren nur die Expositionen, die man immer für Definitionen ausgab, welche jene Klage veranlaßten. Niemand hat mehr Expositionen, und weniger Definitionen in der Philosophie gebraucht, als Kant – und er ist so übel nicht dabey gefahren. Wenn seine Schüler seine Expositionen wie Definitionen brauchten, so ist das nicht seine Schuld. Er hat alles gethan, um diesen Mißbrauch zu verhüten. Es werden wenig Begriffe von Bedeutung in seinen Werken seyn, von denen er nicht bey verschiedenen Gelegenheiten verschiedene Erklärungen gegeben, und eben dadurch angedeutet hätte, daß es nicht Definitionen – die unveränderlich seyn müßten – sondern daß es Expositionen seyn sollten, die sich so oft ändern können, so oft sich der Standpunct ändert, aus dem ein Begriff betrachtet wird. !43" Der größte Nachtheil gewagter Definitionen ist, daß sie die Untersuchung anfangen, wo sie schließen sollte. Man glaubt einen langen Weg zurückgelegt zu haben, und ist doch – wenn man sichs gestehen will – nicht von der Stelle gekommen. Sagen, daß man seinen Begriff definirt habe, heißt noch nicht, es beweisen; und fodern, daß man es besser mache, heißt, wie ein Advocat beweisen. Es ist künstlich, seinen Gegner zum Stillschweigen zu bringen: aber es ist nicht immer gründlich. !44" Expositionen kann man wagen, so viel man will. Je kühner, je paradoxer, desto besser. Sie sind eben so viele neue Ansichten alter Begriffe, und deren kann man sich nie zu viel verschaffen. Nur darf man seine Ansicht nicht sogleich für Uebersicht ausgeben wollen. Dieß wäre Uebereilung, und diese ist die Mutter aller Irrthümer. Daß wir nicht alles an einem Begriffe sehen, was sich an ihm sehen läßt, das können wir nicht wohl vermeiden. Daß wir aber das, was wir an ihm sehen, nicht sogleich für alles halten, was sich an ihm sehen läßt, dieß können wir gar wohl vermeiden. Vermieden wir dieß immer, so würden wir niemals irren – allein wir wollen es nicht vermeiden. Der verderbte Wille ist der letzte Grund aller Irrthümer. Es ist eben so unmöglich, daß ein sittlich guter Mensch jemals irre, als daß er jemals falle. Freuet euch, ihr Wahrheitsfreunde! wer die Wahrheit finden will, den will die Wahrheit finden!

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!45" Um Begriffe zu erschöpfen, muß man erst zu schöpfen anfangen. Um sie von allen Seiten zu übersehen, muß man sie erst von einzelnen Seiten ansehn. Um zu definiren, muß man erst exponiren. Die synthetische Methode thut freylich von dem allen gerade das Gegentheil – und sie ist genialischer. Aber die analytische ist lehrreicher. Jene ist eine Offenbarung; diese ist ein Unterricht. Jene giebt Erkenntniß; diese lehrt erkennen. Jene macht mir mit der Wahrheit ein Geschenk; diese läßt sie mir verdienen. Jene erspart mir den Hinweg, um mich auf dem Rückwege zu leiten; diese zeigt mir den Hinweg, um mich den Rückweg selbst finden zu lassen. Und ist der Weg nicht beynahe so viel werth, als das, was auf ihm gefunden worden? Ich nehme zwar die gefundne Wahrheit mit Dank aus den Händen des andern an, aber es wäre mir doch um vieles lieber gewesen, wenn er mir blos den Weg gezeigt hätte, sie für mich selbst zu finden. Ich gönne ihm das Vergnügen gern, die Wahrheit gefunden zu haben, aber ich wünschte, daß er mir dieses Vergnügen auch gönnte. Ich freue mich, wenn ich im Besitze der Wahrheit bin, aber ich freue mich doppelt, wenn sie mein Eigenthum ist, oder doch werden kann. Dieß kann sie werden, wenn ich den Weg weiß, auf dem der erste Eigenthümer sie erworben hat. Ich gebe ihm dann sein Geschenk zurück, und suche mir selbst Eigenthumsrechte zu erwerben. !46" Eine Wahrheit auf einem falschen Wege gefunden, ist viel schädlicher, als ein Irrthum auf dem rechten. Wenn sich auf falschen Wegen nichts als Irrthümer finden ließen, würden wir nie das traurige Schauspiel erleben, daß sich gute Köpfe je länger je tiefer in den Irrthum hinein philosophiren. Ich bin der Meynung, daß sich ein noch lebender Schriftsteller in diesem Falle befindet, der sich über nichts so bitter beklagt hat, als über das leidige Schicksal, mit der ganzen Welt in Frieden leben zu müssen. Ich bewundere die Standhaftigkeit, mit welcher er auf seinem Wege fortgeht, aber ich würde noch mehr seinen Muth bewundern, wenn er sich entschließen könnte, wieder umzukehren. Ich war einst im Begriff, mich an ihm zu versündigen: aber ich verdanke es einem Manne, den er für seinen Feind hält, daß es nicht geschehen ist. !47" Je kürzer eine Erklärung ist, jemehr sie wie ein Einfall aussieht, je weniger sie abgezirkelt scheint, und je weniger sie nach der Schule riecht, desto brauchbarer habe ich sie immer gefunden. Hingegen habe ich von einer Erklärung, die das Gegentheil von dem allen war, gemeiniglich nur dann Gebrauch machen können, wenn ich mich in die Gedankenreihe ihres Urhebers versetzte – eine Operation, die mir zwar immer ganz bequem zum Gedankenlernen, aber minder bequem zum Denkenlernen geschienen hat. 20.

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!48" In dem Bewußtseyn der Maximen bey unsern Urtheilen besteht die Aufklärung. Ohne dieses Bewußtseyn ist die Seele blind, und es macht dann keinen Unterschied, ob sie blind im Lichte, oder blind in der Finsterniß wandelt.

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!49" Es giebt einige Menschen, die in vielen Stücken aufgeklärt sind: aber es giebt Niemand, der es in allen wäre. !50" Die Gründe, die wir für unsere Urtheile anführen, sind von den Maximen, nach welchen wir sie fällen, gemeiniglich sehr verschieden, nicht selten widersprechen sie ihnen sogar. Man glaubt gewöhnlich Alles gethan zu haben, wenn man Gründe für seine Urtheile gefunden hat. Gleichwohl wundert man sich, daß diese Gründe gemeiniglich niemand überzeugen, außer wer schon im Voraus den Willen hatte, sich überzeugen zu lassen – eben, als ob es ein Wunder wäre, daß unsern Gründen bey andern widerfährt, was ihnen schon vorher bey uns selbst widerfahren ist. Unsre eigne Ueberzeugung war nicht das Werk der Gründe, die wir für unser Urtheil fanden, sondern das Werk der Maximen, wornach wir jene Gründe suchten. !51" Die Recensenten beschweren sich öfters daß sie durch die gründlichsten Beweise dennoch den Schriftstellern nicht leicht ihre Irrthümer ausreden können. Das macht, sie können den Schriftstellern zwar ihre Gründe, aber nicht ihre Maximen ausreden.

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!52" Die Maxime unseres Urtheils überlebt alle Niederlagen der Gründe für unser Urtheil. Unversengbar, wie Asbest, läßt sie aus der Asche der Alten unaufhörlich neue auferstehn, und in ihrer größten Erschöpfung erquickt sie sich noch durch die Hoffnung, daß die Zeit die Wahrheit schon ans Licht bringen werde.

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!53" Wir sind von Allem überzeugt, wovon wir überzeugt seyn wollen. Der Wille ist die Quelle aller Urtheile und die Urtheilskraft selbst ist nichts, als eine besondere Art, wie sich der Wille äußert. Alle unsre Urtheile haben sich vor dem Richterstuhl der Moralität zu verantworten. Wir fühlen dieß selbst: denn es ist kein Mensch, der nicht auf den Gegner seiner Ueberzeugung zürnt.

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!54" Es ist oft schwer auszumachen, ob wir wirklich eine Ueberzeugung haben. Drey Viertel unsrer Urtheile sind Spiele, oder Lügen. Doch giebts ein Mittel, hinter die Wahrheit zu kommen. Wer überzeugt ist, ist intolerant: wer tolerant ist, will überzeugt scheinen, aber er ist es nicht. Ueberzeugung muß Leidenschaft seyn, oder sie ist nicht vorhanden. Als die Lehrer des Christenthums anfiengen, Toleranz zu predigen, hörten sie im Herzen auf, es zu bekennen. Die Gläubigen hatten daher so Unrecht nicht, die Toleranz nur für eine Maske des Unglaubens zu halten.

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21. !55" Die Weiber sind weiter nichts, als schöne Spielsachen, mit welchen zu spielen des Mannes nur in den Augenblicken würdig ist, wo er nichts besseres zu thun weiß. Dieser Augenblicke haben aber alle Männer sehr viele.

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22. !56" Die Weiber verhalten sich zu den Männern, wie Sackuhren zu Pendeluhren. Man läßt den erstern den Vorrang, aber die letztern gehen besser.

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!57" „So wäre es nur die körperliche Stärke, die unserm Geschlechte das Uebergewicht über das Ihrige gegeben hätte – Madame?“ „Und was könnte es sonst wohl seyn?“ „Vielleicht eben das, was die ungleich stärkern Thiere um ihren Vortheil über die Menschen brachte.“ – 24. !58" Es giebt eine gedoppelte Eifersucht: eine aus Liebe, und die andere aus Stolz. Jene findet außer der Ehe, diese in der Ehe statt.

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25. !59" Unter den Schülern der Philosophie giebt es einige, die die Schwierigkeiten ihres Studiums dadurch sehr glücklich überwinden, daß sie sie nicht sehen. 26.

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!60" Wer niemand hassen kann, kann aber darum auch keinen Menschen lieben. Die anziehende Kraft des Herzens steht mit der zurückstoßenden in gleichem Verhältniß. 27.

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!61" Zwischen einem großen Manne und einem großen Menschen findet unter andern auch der Unterschied statt, daß der große Mann es bis an sein Ende bleibt, der große Mensch aber im folgenden Augenblicke oft ein sehr kleiner ist. 28.

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!62" Wenn man die Klage hört, daß alle Menschen so wenig sich selbst kennen, so muß man wenigstens die Philosophen davon ausnehmen. Sie kennen nicht blos das, was sie geleistet haben, sondern auch das, was sie leisten könnten; und da das Wirkliche nur ein Theil des Möglichen ist, so ist sehr begreiflich, warum sie auf das letztere noch um etwas stolzer sind, als auf das erstere. 29. !63" Widersprechende Urtheile zweyer großen Männer über den Werth des menschlichen Lebens.

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„Man kann die Beantwortung der Sophisterey, (daß Jeder, so schlimm es ihm auch ergeht, doch lieber leben, als todt seyn wolle,) sicher dem Ausspruche eines jeden Menschen von gesundem Verstande, der lange genug gelebt, und über den Werth des Lebens nachgedacht hat, um hierüber ein Urtheil fällen zu können, überlassen, wenn man ihn fragt: ob er wohl, ich will nicht sagen auf dieselben, sondern auf jede andere ihm beliebigen Bedingungen, (nur nicht etwa einer Feen-,

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sondern dieser unserer Erdenwelt,) das Spiel des Lebens noch einmal durchzuspielen Lust hätte.“ Immanuel Kant. „Das Glück blieb bis in mein hohes Alter mein unzertrennlicher Begleiter. – Dieses Glück, wenn ich, wie öfters geschah, darüber nachdachte, veranlaßte mich bisweilen zu sagen: wenn es mir angeboten würde, wollte ich wohl eben dieselbe Lebensbahn noch einmal von einem Ende bis zum andern durchlaufen. Ich würde mir nur das Recht der Schriftsteller ausbedingen, bey einer neuen Ausgabe ihrer Werke die Fehler der erstern zu verbessern. Indessen wenn mir auch dieser Punct verweigert würde, so wäre ich nichts desto weniger bereit, wieder von forne anzufangen.“ Benjamin Franklin.

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30. !64" Verzweiflung ist Traurigkeit ohne Hoffnung. Der religiöse Mensch kann daher nie verzweifeln. Denn die Hoffnung der Religion geht über dieses Leben hinaus, bis in die Ewigkeit.

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31. !65" Es giebt eine eigne Klasse von Menschen, die uns – jedoch durch unsre Schuld – oft sehr lästig ist: die Klasse der leidigen Rathgeber und der leidigen Tröster. In der erstern Rolle ist sie uns oft nur lächerlich, in der andern aber ist sie uns vollkommen unerträglich. Die Ursache scheint in dem geheimen Urtheile zu liegen, daß uns niemand trösten kann, außer wer unsern Schmerz selbst nicht ganz ungern sieht. !66" Trost bedürfen wir niemals, wenn wir ihn verlangen, sondern nur dann, wenn wir ihn fliehen. Im erstern Fall sollte man uns gehen lassen, im letztern – mit uns weinen!

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32. !67" Humanität besteht in der Eigenschaft des Charakters, dahin durchs Gefühl zu kommen, wohin man sonst nur durch Grundsätze gelangen kann. !68" Es giebt eine Rechtschaffenheit ohne Humanität, aber es giebt keine Humanität ohne Rechtschaffenheit.

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!69" Humanität ist dasjenige, wodurch sich die edlern Menschen von den übrigen unterscheiden. !70" Humanität war es, was Rousseau’n verbot, von seinem Freunde jemals ein Vermächtniß anzunehmen. !71" Ob ein Mensch Humanität habe, kann man nicht daraus sehn, wie er sich gegen das Schöne, wohl aber daraus, wie er sich gegen das Erhabene benimmt.

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!72" Es giebt Menschen, die eine starke Dosis von Schmerz brauchen, bevor sie in Thätigkeit gesetzt werden können. Solche Menschen gedeihen im Glücke nicht: sie müssen unglücklich seyn, wenn etwas aus ihnen werden soll. Im Glücke sind sie boshaft, übermüthig und faul. Oft werden sie zu ihrem eignen Unglück glücklich; und dann ist es um sie geschehen! 34. !73" Nur derjenige kann das Vergnügen recht genießen, der es zu entbehren gelernt hat.

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35. !74" Zornige sind gewöhnlich gutherzige Menschen: aber die Aergerlichen sind meistentheils boshaft.

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!75" Der Affect des Zorns ist mit dem Bewußtseyn der Stärke, der Affect der Aergerniß aber mit dem Bewußtseyn der Schwäche verbunden. Daher schickt sich der Zorn besser für die Männer, die Aergerniß besser für die Weiber. Es ist nichts widerlicher, als ein zorniges Weib, und nichts verächtlicher, als ein ärgerlicher Mann. 36.

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!76" Es giebt drey Leidenschaften in unserm Herzen, die unaufhörlich mit einander Krieg führen, – die Habsucht, der Ehrgeiz und die Liebe. Es werden wechselseitig viele Siege erfochten: aber die Grundsätze haben immer die Ehre davon. Die Grundsätze sollten eigentlich neutral seyn: aber sie können ohne Alliancen nicht wohl bestehn. Die Habsucht ist unter jenen Leidenschaften die mächtigste. Die andern weichen oftmals ihr, sie selbst weicht keiner andern. In der Jugend herrscht gewöhnlich die Liebe. Es ist kein übles Zeichen, wenn es der Ehrgeiz, aber ein sehr schlimmes, wenn es die Habsucht thut. Ein Mensch, bey dem keine einzige Leidenschaft sonderlich hervorsticht, hat einen schwachen Charakter und eine gemeine Seele. Die Energie der Leidenschaft muß der Energie der Grundsätze jederzeit vorhergehn. Der Stolz eines solchen Menschen auf seine Tugend ist wie der Stolz gewisser Soldaten, die nie ein Feind überwand, weil – sie keinen sahen. Wer gewisse Jahre überstanden hat, ist vor den Anfechtungen des Ehrgeizes und der Liebe ziemlich sicher. Es wird aber nie zu spät, der Habsucht unterzuliegen. Der Gegenstand der Liebe (als Leidenschaft) ist einzig. Wer mehr als Einen liebt, liebt keinen. Einen Funken Liebe für den Zweyten löscht das Feuer für den Ersten aus. Die Liebe ist blind – nicht nur für die Fehler des Geliebten, sondern auch für alle unsere Vollkommenheiten, außer den liebenswürdigen.

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Die Philosophie triumphirt immer über die vergangenen und über die zukünftigen Leidenschaften; aber die gegenwärtigen triumphiren über sie. Die Grundsätze richten gegen die Leidenschaften darum so wenig aus, weil sie von allen bestochen werden. Die Habsucht spricht immer von Rechten, die Liebe von Pflichten, und der Ehrgeiz von Verdiensten. Es scheint billig, dieß alles wenigstens zu untersuchen. Und gerade das ists, was die Leidenschaft will. Denn meist ist die Vernunft mit der Untersuchung noch nicht fertig, wenn die Handlung bereits geschehen ist.

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37. !77" Die Philosophie ist der Apocalypse darinn ähnlich, daß der größte Theil dessen, was sie verheißt, allererst in Erfüllung gehen soll.

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38. !78" Die Sclaverey des Urtheils vollendet den Despotismus der Leidenschaft über die Seele. So lange noch das Urtheil frey ist, kann die Seele allen Stürmen der Leidenschaften ruhig zusehn; sie kann mit dem Feuer, das das Herz verzehrt, eben so kalt, als der Naturforscher mit dem Blitz, der sein Haus anzündet, experimentiren; sie kann mitten im Aufruhr der Begierden ihre Würde als Herrscherinn behaupten, und mitten aus der größten Verdorbenheit der Sitten die Reinheit des Charakters erretten. 39. !79" Die Idee unterscheidet sich von der Schimäre in weiter nichts als darinn, daß die Idee nur einen Hang hat, die Prüfung des Verstandes zu scheuen, die Schimäre aber Muth, sie abzuweisen. Da also Ideen so nahe an Schimären grenzen, so ist daraus erklärbar, warum alle geistvolle Menschen, (d.i. alle diejenigen die einen Hang haben, Ideen darzustellen,) eben darum immer geneigt sind, sich Schimären zu überlassen – Phantasten zu werden, da sie vorher nur Enthusiasten waren. Das einzige, was sie noch davor bewahren kann, ist die Verbindung mit Menschen, über deren Urtheil sie sich nicht wohl hinwegsetzen können. Daher bedürfen geistvolle Menschen immer einiger Freunde aus der gemeinen Klasse, und eben darum ist für einen geistvollen Mann eine geistlose Frau oft eine unerkannte Wohlthat.

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40. !80" Es ist ein sicheres Zeichen, daß man eines Systems überdrüßig sey, wenn man anfängt, Buchstaben und Geist darinn zu unterscheiden. So ist es ehemahls dem Judenthum, dem Heydenthum und dem Christenthum ergangen, und so gehet es jetzt – der Kantischen Philosophie. Es ist schwer zu glauben, daß diejenigen, die am meisten von dem Geist der Kantischen Philosophie sprechen – Reinhold und Fichte – mit dem Buchstaben am ehrlichsten zu Werke gehn.

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!81" Ich bitte Gott, daß er Kanten nur vor seinen Freunden bewahre, vor seinen Feinden wird er sich wohl selbst in Acht nehmen. Aber ich sehe nicht, wie er den erstern ausweichen will, die ihn, so ausdrücklich er auch (Kritik der pr.V. S.96.) behauptet, daß reiner Wille und reine practische Vernunft einerley sind, nichts desto weniger zu behaupten zwingen, daß beyde zweyerley sind. – 41. !82" Ein Betragen, wodurch wir einem Andern die Meynung beybringen, als ob er uns selbst, oder einen Dritten als Mittel für seine Zwecke brauche, während er selbst doch nur als Mittel für die unsrigen gebraucht wird, heißt eine Intrigue.

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!83" Falschheit (die Maxime seine Absichten immer zu verbergen, im Gegensatz der Ehrlichkeit, als der Maxime, sie nicht zu verbergen, und der Offenherzigkeit, als Maxime, sie überall zu entdecken, wiefern sie sich nicht durchschauen läßt, heißt Feinheit. Falschheit, wiefern sie das Interesse des andern nur aufs Spiel setzt, heißt Arglist, wiefern sie es aber zu zerstören sucht, Büberey. Wer Arglist mit Feinheit verbindet, heißt verschmitzt, und wer Büberey mit Feinheit verbindet, heißt abgefeimt. Ein Mensch, dessen Verschlagenheit sich nur damit beschäftiget, dem andern kleine Vortheile abzugewinnen, heißt in Rücksicht auf die Maxime, die er befolgt, ein eigennütziger – und in Rücksicht auf die Geschicklichkeit, mit der er seine Maxime befolgt, ein pfiffiger Mensch. Sieht er mehr auf große Vortheile, so ist er ein Schurke. 42.

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!84" Man hat neulich gefragt: warum wir so gerne Schimpfwörter, als Zeichen der Vertraulichkeit brauchen? Die Antwort ist: weil wir durch nichts besser andeuten können, wie weit wir entfernt sind, sie im Ernst zu nehmen. 43.

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!85" Die Liebe schämt sich im Urtheile des Geliebten zu steigen, lieber will sie darinn sinken. Ihr ersetzt die Empfindung, was das Urtheil abbricht, aber das Urtheil ersetzt ihr nicht, was die Empfindung abbricht. Die Liebe, als ein Gefühl der Gleichheit, scheint sich mit der Achtung als einem Gefühl der Ungleichheit, nicht recht zu vertragen. Die Achtung ist mit der Furcht weit näher verwandt, als mit der Liebe. Eben darum heißt der höchste Grad der Achtung Ehrfurcht. 44.

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!86" Die Augenblicke, wo man den Menschen am besten kennen lernen kann, sind bey Feldherrn die nach einer verlohrnen Schlacht; bey Gelehrten die nach einer schlechten Recension; und bey Verliebten die nach dem höchsten Genuß. Was ein Gelehrter, der sich über eine schlechte Recension ärgert, am gewissesten daraus lernen kann, ist dieß, daß er seiner eignen Sache nicht ganz gewiß ist.

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45. !87" Der Geist der Zeit ist unter allen Tyrannen der ärgste. Die andern tödten nur den Leib, dieser tödtet die Seele. Obgleich selbst durch einen Mächtigern überwunden, läßt er doch nie seine Gefangenen aus ihren Fesseln los. !88" Die Aufklärung hat nur mit dem Geist der Vorzeit zu kämpfen, und besiegt ihn öfters. Die Weisheit aber hat mit dem Geist der Zeit zu kämpfen, und wird fast immer besiegt.

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46. !89" Die Krankheit der deutschen Democraten scheint hartnäckiger zu seyn, als die der französischen. Indem diese nach und nach anfangen, wieder zu genesen, sieht man jene nichts als scheele Gesichter dazu machen.

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47. !90" Den meisten Philosophen ist ihre Philosophie das Ende ihres Philosophirens. !91" Von einem Philosophen, der mit seinem Systeme fertig ist, steht gemeiniglich nichts mehr zu erwarten, als Polemik und Reminiscenzen.

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48. !92" Es ist so was Köstliches im Lieben, daß es nicht einmahl der Liebe des Geliebten bedarf, um die Seeligkeit davon zu genießen. Die Liebe scheint sich, wie die Tugend, reiner und heiliger, wenn sie unerwiedert und unvergolten liebt.

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49. !93" Es giebt Menschen, welche um die Achtung der Auswärtigen zu verdienen, damit anfangen, sich die Verachtung der Einheimischen zuzuziehn. Sie sind dann aber im Letztern gemeiniglich glücklicher als im Erstern. „Es ist groß, die Achtung der Menschen zu verachten: es muß also,“ denken sie, „wohl noch größer seyn, selbst ihre Verachtung zu verachten!“ Allein sie irren sich. Wenn man damit anfängt, ist es um sehr vieles kleiner.

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50. !94" Man hat es dem Christenthum vorgeworfen, daß es von der Freundschaft schweigt. Und wie konnte es anders, da es die Menschenliebe empfiehlt? Niemand kann seine Freunde lieben, außer wer die Menschen hasset.

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51. !95" Freundschaft und Liebe unterscheiden sich, wie Grundsatz und Neigung. Die Freundschaft ist die Maxime, die Zwecke des andern zu den seinigen zu machen.

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Die Liebe ist die Neigung, den Gegenstand, (der weder lebendig noch vernünftig zu seyn braucht,) um sich zu haben. Die Feindschaft ist die Maxime, seine Zwecke den Zwecken des andern entgegen zu setzen. Der Haß ist die Neigung, den Gegenstand nicht um sich zu haben. Es fehlt so viel daran, daß Menschenliebe Pflicht ist, daß vielmehr, wenn eins von beyden Pflicht seyn müßte, der Menschenhaß es eher wäre. Die Fürsten, welche überhaupt das Unglück haben, die ärgsten Sottisen dann hören zu müssen, wenn sie gelobt werden – müssen es sich heutiges Tages oft gefallen lassen, daß man sie Menschenfreunde nennt. Sie sollten dagegen protestiren. Es macht wenig Ehre, die Menschen zu lieben, wenn sie Verachtung verdienen – und verdient die Gattung etwas anders, als Verachtung? Das Tichten und Trachten der Gattung ist nichtswürdig vom Anbeginn. Man liebt die Menschenfreunde, und lobt sie öffentlich, (und dieß ist begreiflich) aber man verachtet sie im Stillen, so wie man die sanften Tugenden liebt, aber nur die strengen achtet. Wenn man die Schriften einiger Moralisten lieset, welche die ganze Tugend am Ende auf Menschenliebe reduciren, so sollte man beynahe glauben, die Tugend wäre blos dazu da, um den Schwachen das Leben leicht zu machen. Daher haben denn auch die kraftvollsten Menschen mit dem, was man gewöhnlich Tugend nennt, niemals viel zu machen gewußt: denn sie bedurften dessen nicht. Wenn jemand ein Menschenfreund gepriesen wird, so kann man drey gegen eins wetten, daß er ein Schwachkopf sey. 52.

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!96" „Aber die Zerstörung von Lyon?“ – „Auch vortrefflich! Große Städte sind die Lazarethe der Menschheit.“ „Nun begreife ich Sie. Sie wollen die großen Städte nur einmahl für allemahl zu Lazarethen machen.“ ––––––––

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„Aber gestehen Sie wenigstens, daß Ihre Hoffnungen nicht sehr wahrscheinlich sind.“ „Ich gestehe es. Allein sollten wir nicht durch die Erfahrung einiger Jahre endlich gelernt haben, daß vieles Unwahrscheinliche gleichwohl geschiehet?“ „Sie gründen also die Wahrscheinlichkeit Ihrer Hoffnungen gerade auf ihre Unwahrscheinlichkeit!“ „Warum nicht?“ „Nun dann – so lerne ich bey der Gelegenheit, daß sich der Einfluß der Revolution auch auf die – Logik erstreckt.“ ––––––––

Philosophische Fragmente aus Hülsens literarischem Nachlaß

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6. August Ludwig Hülsen

!Aus den philosophischen Fragmenten, aus Hülsens literarischem Nachlaß" A. Ueber das Wesen und die nothwendige Form der Wissenschaften. !1" Man nennt eine Betrachtung wissenschaftlich, wenn sie durch fortgehende Konstruktion auf ein Erkenntniß gerichtet ist, und in der Einheit der Form es objektiv darstellt. !2" Jede wissenschaftliche Betrachtung ist entweder unmittelbar der Ausdruck einer Idee – der Tendenz nach wenigstens – oder doch mittelbar, durch Beziehung auf schon vorhandene Wissenschaften. Im letztern Falle sind diese ihr objectives Zeugniß für die wahre oder falsche Ansicht ihres Gegenstandes, durch die Autorität der Wissenschaften. Im erstern Falle aber will sie von sich selber zeugen, und nur die eigne Idee ist ihre Autorität. Die Idee jeder Betrachtung aber ist als frei in sich selbst, durch Reconstruction ihrer Darstellung zugleich ihre Kritik; die Kritik also überhaupt die vorauszusetzende höchste wissenschaftliche Betrachtung und darum für alle Wissenschaft auch die höchste Autorität. Indeß kann die Kritik diese Autorität nur ausüben, in so fern sie selbst objectiv wird durch wirkliche Beurtheilung. Also tritt sie in ein gleiches Verhältniß mit der Wissenschaft, und so lange sie daher nicht Eines ist mit dieser, geziemt ihr wol ein bescheidnes Verfahren, damit wirklich auch Wissenschaft – ihr Verständniß in der Idee – und nicht etwa ein eitles Maxem nur gefördert werde. !3" In welchem Sinne wir gegenwärtige Betrachtung anstellen, ist durch die Aufgabe klar. Es haben die Wissenschaften für uns kein äußeres Verhältniß unsers Lebens; sondern sind selbst unser eignes stilles Leben geworden. In ihnen lernend, haben wir nicht gelehrt. Wenn wir daher als Fremdling vor Männer erscheinen, die mit öffentlichem Beruf von der ewigen Blüthe des Geistes Zeugniß geben; treten wir nicht in ihre Bahn mit Belehrungen für sie; wir möchten die Jünglinge nur erforschen, die so leicht durch gewohnte Lehren der Meister im Symbole befangen bleiben; aber durch neue und ungewohnte, wenn auch unbedeutende, Worte, den tiefen Sinn der Zeichen oft plötzlich ergreifen lernen.

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August Ludwig Hülsen

!4" Wie scheinbar verschieden auch unsere Wege seyn mögen; doch ist die Bahn eines jeden, auf ewige Weise in sich geschlossen, selbst nur Eines mit dem Leben; also nicht hier oder dort, noch durch Verhältnisse bestimmt, die uns Auszeichnungen vergönnten. Alle wandeln wir die gleiche. Das Ziel aber ward einem jeden in eigner Brust gegeben, so wie er es erkennen möchte; die da meynen, es in irgend einer Zeit zu erringen, oder in ihr es errungen zu haben vielleicht schon wähnen, sind ihm unendlich fern, und schmücken eitel nur ihre Stirn mit der welkenden Palme. !5" Uns, wie manchen, hat es geschienen, daß, wer von Wissenschaften reden will, wohlbescheiden seinen Mund öffne, und seine Worte nur verlauten lasse, als ob sie nichts bedeuteten. Dies ist die Ehrfurcht vor dem Göttlichen, und nach dem Spruche des Alterthums aller Weisheit Anfang.

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!6" Dies Leben, ist uns gesagt worden, sey eine Zeit der Prüfung für uns. Aber wir haben den Sinn dieser Worte nicht verstanden. Wir haben wol geglaubt, zu etwas Höherem berufen zu seyn, aber es nicht erkannt. Daher trösteten wir uns fälschlich, indem wir doch fest hielten an der Zeit und ihrem verderblichen Scheine.

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!7" Wenn wir dieß allgemeine Mißverständniß in sich selbst betrachten, und absehen von dem Geiste, der sich uns einzeln offenbarte, oder auch unsichtbar selbst in der Kraft des Glaubens und der Unschuld der Natur unsern Irrthum versöhnte; dann wird das Leben in ihm uns wie ein Schreckbild erscheinen, wie eine furchtbare Verzerrung des wüthenden Wahnsinns.

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!8" So gewiß wir eines Geschlechts sind, und von den Göttern nur abstammen; müssen wir alle auch zur Erkenntniß der göttlichen Wahrheit berufen seyn; alle auf gleiche und auf nothwendige Weise. Und doch besteht ein Bund unter uns wie von Auserwählten, die durch besondere Veranstaltungen die Erkenntniß der Wahrheit in ausschließenden Besitz genommen, und ihrer Erforschung oft sogar ihr ganzes Leben widmen. Welches Verhältniß setzen wir doch zwischen uns und dem Volke. !9" Jenes Grundverhältniß wird angenommen als in sich göttlich und ewig, mithin als heilig und unverletzlich. Es muß auch wirklich daher kein anderes – menschliches – neben ihm Statt finden, noch je Statt finden können. Diese Beziehung, fodern wir, soll unser besonderes Verhältniß – der Bund der Gelehrten – schlechthin ausdrücken, also in ihm nur Einzig seine Erklärung finden, und anders nichts bedeuten. !10" Wir werden vielleicht behaupten, daß wir eben durch unsern Bund die Lehrer und Führer des Volks geworden, das Volk aber, berufen zu jeder Erkenntniß der Wahrheit, die im allgemeinsten Verhältnisse ihm nothwendig ist, sey noch die ursprüngliche, durch uns nur erhobene, und durch den Einfluß unsrer Wissenschaften immerfort zu erhebende, zahlreiche Klasse der Schüler. Es trifft aber diese Behauptung gar nicht unsere Foderung. Denn eure Schüler sind nur die, welche ihr selbst in den Bund als Meister wieder aufnehmt. In diesem Kreise ist die Erkenntniß der Wahrheit abgeschlossen, und die Lehrer des Volks sollen es

Philosophische Fragmente aus Hülsens literarischem Nachlaß

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auch wirklich nicht mit ihren, sondern mit den Lehren des Glaubens zu thun haben. Aber hättet ihr auch Recht; welche Nutzanwendung für unsre gesammten Nachstrebungen! Wahrlich, das Volk giebt schlechtes Zeugniß von seinen Meistern, und es richtet wahrhaft uns selbst und unsere gepriesensten Erkenntnisse. !11" Wollen wir nun diese Anschuldigung wirklich nicht verdient haben; so mögen wir daraus den Verdacht auch schöpfen, daß das gemeynte Verhältniß zwischen uns und dem Volke gar nicht existire, daß vielmehr jenes Grundverhältniß noch wahrhaft das Einzige sey, wir selbst mithin, nur Schüler, ganz zum Volke gehören, und in dem gleichen göttlichen Berufe mit ihm nur wirklich leben und sind. Möchte es sich so mit uns verhalten; so werden wir die Meynung von unserm Bunde erst ganz müßen aufgeben, und zurückkehren, nicht zum Volke, denn in ihm leben, weben und sind wir – sondern zu den Kindern, um den gemeinschaftlichen Beruf zur Erkenntniß der Wahrheit erst in dem reinen Sinne der Natur wirklich zu deuten und so in uns aufzunehmen. Die Geschichte der Wissenschaften bestättigt es uns noch immer, daß nur ein einfaches Gemüth zur Anschauung der höhern Wahrheit gelangte, und daß die Philosophie, welche in diese Wahrheit uns leiten soll, nie himmlischer und reiner hervorgetreten ist, als in dem wundervoll kindlichen und eben darum nur göttlichen Leben des Sokrates. !12" Betrachten wir uns nun alle in dem gleichen Verhältnisse zur Wahrheit; so verstummt die Sprache bei der heiligen Stille und Offenheit des Kindes, und wir möchten ihre Laute, nachdem wir unser Angesicht wegwenden von dem Wahne der Welt, zum erstenmale vernehmen von den Lippen der Unschuld. In diesem Auge nur will das göttliche Licht ausstralen, und alles erhellen und verklären, und die Erde soll nicht mehr seyn die Menschenleere Wüste, sondern freudig hervorgehen mit unsterblichem Leben, wie in den Tagen ihrer Schöpfung.

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!13" Es ist umsonst, zu reden, wo das Ohr nicht hört, und das Auge nicht sieht das Entzücken der Seele. Wer ist berufen, und wer nicht, zur Wahrheit? die, welche kommen aus der innern Welt des Lebens, zeugen von uns allen. Die, welche zurückkehren in das verlaßne Heiligthum, und von neuem aufblicken in die ewige Sonne, werden ihr Licht nun sehen, und den Geist in ihm erkennen.

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!14" Die göttliche Wahrheit hat in sich keine Grade. Man erkennt sie nur, und man erkennt sie nicht. Wie nun die Jünger zu ihr berufen sind; so sollen sie auch nur lehren, was sie lernen. Was sie aber lernen, kommt nicht von Menschen; denn diese alle sind die Jünger. Alle Wahrheit ist darum nur göttliche Wahrheit, und kann nimmer menschlich, sondern nur auf göttliche Weise erkannt werden.

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!15" Wir glaubten Vieles zu erkennen, und die Meister selbst zu seyn. Aber das Viele war unser Irrthum, und das letzte, der Inbegriff aller Irrthümer. !16" Jünger ist der nur, der alle seine Erkenntnisse auf den Meister bezieht; also auch nur erkennt, was ihm der Meister offenbart hat. !17" Alle unsere Erkenntniß der Wahrheit ist höhere Offenbarung. !18" Meister aber ist der, dessen Erkenntniß schlechthin keine höhere Relation ist, der absolut also erkennt, und dessen Wesen demnach sein Erkennen selbst ist.

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!19" In welchem Sinne wir nun unsere bisherigen Erkenntnisse zu begreifen haben, ist klar durch sie selbst. Alle Relation fällt in ihnen weg, denn unser Verstand ist der Meister und ihre höchste Beziehung. Eine andere nicht achtend, hat er auch darum gegen jede Offenbarung sich aufgelehnt, und, so viel er gekonnt, in jeder den heiligen Sinn verunstaltet. Dies war und ist noch jetzt das Schicksal aller Lehren, welche begeisterte Zungen uns ausgesprochen haben. Der redendste Beweiß von dem irdischen Wesen unsrer Erkenntniß ist aber in unsern Tagen noch der Unterricht unsrer Jugend. Der Sinn ist vertrocknet, die Seele erstorben; breit nur das Wort und tief die Leere. So muß die innere Welt des Kindes erst untergehen, und aufleben in der Klugheit, da sie es in der Unschuld nicht kann. Das Verfahren ist konsequent. Denn wenn der Meister erst auf Erden ist, so sind es nicht die Jünger, sondern aufgenommen durch ihn in das Reich der ewigen Geister. !20" Aber wie wir in dem Wahne, selbst die Meister zu seyn, unser wahres Verhältniß auch nicht erkannten, so sind wir auch in ihm nicht die Jünger gewesen, die ihren Beruf verstanden, und die Stimme des Meisters vernommen hätten. Wir blieben im Volke, und so weit wir uns auszeichneten, ist es Verwirrung und ihr Dünkel und die größte Verderbtheit des Charakters gewesen. Sprecht nicht von den Edlen. Ihr habt sie als Zeugen eines höhern Bundes nie erkannt, sondern verhöhnt und gekreuzigt. Der wahre Jünger erkennt sein Verhältniß, und in ihm erst ward ihm die Erde gebohren als das Leben des Geistes, den ihr verspottet. !21" Es war bei allen unsern Nachforschungen die nothwendige Voraussetzung, daß auch wirklich etwas zu erforschen sey, nämlich die Wahrheit. Eine Wahrheit aber, die wir als nothwendig voraussetzen, um sie selbst auch nur suchen und erforschen zu können, setzt eben so gewiß auch einen Geist voraus, der sie als Wahrheit erkannt hat, und dessen Erkenntniß sie eben ist. So gewiß wir nun suchen die Wahrheit zu erkennen, so ist auch darin schon unser Verhältniß zu dem Geiste ausgedrückt, der nothwendig nicht sucht, sondern wirklich erkennt. Dies Verhältniß aber ist kein anderes, als das der Jünger zu ihrem Meister. !22" Hierdurch erhalten nun unsere Nachforschungen erst ihre wahre Bedeutung. In dem Verhältnisse nämlich als Jünger ist uns die Wahrheit, die wir suchen, auch nothwendig selbst von dem Meister gegeben, daß wir, wie er selbst, sie erkennen sollen. Er selbst aber erkennt sie auf keine Weise suchend, denn sie ist ganz sein Erkenntniß. Suchen wir daher die Wahrheit, so ist sie uns verborgen. Was sie aber verbirgt, kann nicht selbst wieder Wahrheit, also überhaupt nichts Wirkliches und zu Erkennendes seyn. Doch sollen wir an ihm die Wahrheit erforschen; mithin ist es als das Nichzuerkennende der Schein der Wahrheit. !23" Der Schein der Wahrheit ist das Symbol der Wahrheit; die Wahrheit an sich also ein wahrhaft Innres, ein göttliches Mysterium.

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!24" Das göttliche Mysterium ist seinem heiligen Wesen nach schlechthin nicht zu veräußern. Doch ist es veräußert in seinem Scheine, und ist ganz in diesem, was es wahrhaft in sich selbst ist. !25" Dies begründet das Verhältniß der Jünger zu ihrem Meister. Es ist die ewige Nothwendigkeit der Wahrheit selbst in ihrem absoluten Verhältnisse. Da die Wahr-

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heit aber, in ihrem Symbole (äusserlich) angeschaut, ein nie zu ergreifendes, undurchdringliches Geheimniß ist: so würden auch wir sie nie erforschen, wenn sie als göttliche Wahrheit nicht lebendige Wahrheit wäre. !26" Als lebendige Wahrheit – werkthätiges Wissen – ist sie das ganze Leben des Geistes; als Symbol – das Weltall. Wie nun dieses die Fülle eines unendlichen Lebens ist in unendlichen Gestalten, also auch jedes gestaltete Leben das Leben des Geistes. !27" Das Leben des Geistes ist seine ewige Schöpfung im Ausdrucke seiner selbst, seine Schöpfung also vollendet in ihm selbst, als Geist im Geiste. Der Geist im Geiste aber ist Selbstanschauung des Geistes, das Zerfallen der Form als äussere Umhüllung, also ein wahrhaft Innres im frei erschaffnen Bilde. !28" So verklärt der Geist sich selbst zum Geiste in der Gestalt des Menschen. Sie nur Symbol der göttlichen Wahrheit, die lebend sie ist, schwindet dem äussern Blicke, wo er zurückkehrt in sich, und der Hülle entflohen, wird das Mysterium offenbar in seinem himmlischen Glanze.

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!29" Die lebendige Wahrheit ist also ihm eigne Offenbarung in der Anbildung der höchsten und freisten Form des Geistes, die innerlich ihm gleich nur wesentlich und ewig ist. !30" Die freiste Form des Geistes als wesentlich selbst ist der Reflex des Geistes in ihm selbst. Aber alles Leben der Welt ist Reflex des Geistes, und als Reflex im Geiste also auch selbst nur Geist. !31" Durch den Geist also treten wir in innige Gemeinschaft mit dem Meister. Das Symbol ist erloschen mit dem sterblichen Blick; denn wir wohnen im innersten Heiligthum des Lebens. Und, wie es das göttliche Wesen des Geistes ist, zuweilen in sich mit seliger Anschauung, alles wissend und erkennend

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B. !32" Was der Mensch anschaut, nennt er seine Welt. Steht sie ihm gegenüber wie ein Objectives dem Subjectiven, so ist seine Ansicht die formale Betrachtungsweise, und er und seine Welt sind geschieden schlechthin. Er selbst ist in dem Widerspruche der eine Gegensatz. Er also kann ihn nicht lösen, und nie eingehen in seine Welt, noch diese in ihn. !33" Geist und Materie waren die beiden großen Gegenstände dieser Betrachtung. Einmal getäuscht, ergaben sie sich ihm auf eine nothwendige Weise. Die Materie, als das Objective und folglich Reale: der Geist, als das Subjective, Ideale. Beide als ausschliessende Absolute konnten nicht bestehen. Der Geist aber, als das Subjective, machte sich absolut durch die Betrachtung selbst, nach dem richtigen Grundsatze: so gewiß irgend etwas ist, so kann es nur gewiß seyn durch das Absolute. Daher opferten konsequente Denker die Materie als das Ob-

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jective, in der Bedeutung des Realen, und es blieb ihnen, als einzige alles umfassende Welt, nur die subjective Vorstellungsweise – der Idealismus.

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!34" In diesem Idealismus ist der Geist bildlich das Licht, die Materie das Dunkel. Wie das Dunkel also nur die Begrenzung des Lichts, so die Materie nur die Begrenzung des Geistes. Diesen Schatten der Realität hatte man statt ihrer doch behalten, damit das Licht des Geistes nicht ganz in alle Welt ginge, sondern im Dunkeln sich reflectiren und verständig zurückkehren könne. So blieb denn aber doch der Kampf mit der Finsterniß der alte Widerspruch des Idealen und Realen, der auch nicht in Frieden beigelegt, sondern nach aller vergeblicher Mühe selbst in das Dunkle geschoben wurde. !35" Die Betrachtung der Materie als Begrenzung des Geistes ist die endliche Betrachtungsweise. Sie ist als Thatsache zugleich die allgemeinste Vorstellungsart einer in der Materie versunkenen geistlosen Zeit. Als solche konnte sie von heilsamer Vorbedeutung seyn.

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–––––––– !36" Das Absolute ist nur Eines, und absolut daher umfassend; nicht also ein Subjectives mit Ausschluß des Objectiven, und umgekehrt. Ist es aber überhaupt, so ist es nothwendig in sich selbst auch das eine und das andere, und folglich als das eine zugleich das andere.

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!37" In dieser Einheit des absoluten Seyns angeschaut, ist der Geist das Subjective, Ideale; die Idee das Objective, Reale; beide in der Identität des einen und des andern. !38" Der Geist in Beziehung auf sich selbst, also ideel genommen, ist das absolut ursprüngliche lebendige Licht aus sich selbst. Die Idee in Beziehung auf sich selbst, und folglich rein objectiv oder reel genommen, ist die absolut ursprüngliche ewige Materie. In der absoluten Einheit des Geistes und der Idee ist der Geist das ewige Licht in der Materie – ihre Durchsichtigkeit –; die Idee die ewige Materie im Lichte – seine Lebendigkeit. – Geist und Materie sind ewig bei einander in Licht und Klarheit. !39" Wir setzen etwas als Seyend überhaupt durch seine Beziehung auf sich selbst, und es ist absolut nichts ohne diese Beziehung, nämlich A = A. Ein Widerspruch also ist ein Widerspruch, d.h. er kann überhaupt nicht seyn. Ist er dennoch, so ist er es nur dadurch, daß er es nicht ist, also nur als Harmonie. !40" Ein absoluter Widerspruch in Beziehung auf sich selbst, widerspricht sich absolut, d.h., er ist gerade als Widerspruch absolute Harmonie, und als diese wieder absoluter Widerspruch, folglich das eine so absolut, als er das andere ist, und das eine eben durch das andere. !41" Absolut Entgegengesetzte sind es absolut. Also sind sie nur absolut in der Entgegensetzung, folglich absolut Eines und entgegengesetzt zugleich, und das eine nur durch das andere und mit dem andern zugleich. !42" So das Subjective und Objective. Ihre Entgegensetzung ist gerade ihr absolutes Seyn, und dieses nur in ihrer Entgegensetzung. Ihr Seyn aber als Einheit ist

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die Anschauung. Das Subjektive nun ist das Anschauende in beiden. Aber es schaut sich an als das Objective. Also ist das Subjective nur sich selbst als ein Objectives, und das Objective ist nur im Subjectiven. Die Anschauung ist demnach das Seyn selbst, und das Seyn die Anschauung. !43" Das Subjective in seiner Beziehung als Anschauendes, rein ideel, ist der Geist. Das Objective in seiner Beziehung als das Angeschaute, rein reel, ist die Materie. Geist und Materie sind sich absolut daher entgegengesetzt; aber in dieser Entgegensetzung zugleich absolut das Eine. !44" Der Geist schaut sich selbst an als Materie, und die Materie ist er selbst also in seiner Durchdringung. Das Absolute daher in der Identität des Geistes und der Materie ist anschauend reines absolut geistiges Seyn. Es ist nur dies eine Seyn, das Universum überhaupt, und außer ihm ist nichts.

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!45" Daß der formale Verstand diese Klarheit nicht sieht, ist zu erweisen; daß aber unser Geist in der göttlichen Idee sie anschaut, ist ihm nicht zu erweisen. !46" Der Geist als Geist, seine ideelle göttliche Fülle, ist absolutes Licht. Die Materie als Materie, ihre reelle göttliche Fülle, ist absolute Schwere. Beide in der Identität des absoluten Seyns sind absolutes Leben: denn das Seyn ist in beiden seine absolute Beziehung als Eines. !47" Der Geist, ideel angeschaut, ist ganz Licht: die Materie, reel angeschaut, ganz Schwere.

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!48" Jede Anschauung des Menschen ist sein lebendiges Licht, und darum Anschauung seines Geistes. Er selbst also, der Mensch, ist ganz dieser Geist, wenn er ganz lebendiges Licht, ganz Anschauung ist. !49" Jede Anschauung unsers Geistes ist durch ihn selbst bestimmt auf den einen und selben Gegenstand. Sie hat in dieser aber zugleich eine zweifache Beziehung: die der ewigen Idee, als absoluten Seyns, und die der endlichen Zeit im formalen Scheine. !50" Jede Anschauung in der Zeit ist weder die erste noch die lezte. Jede Anschauung in der Idee aber ist beides ewig zugleich. Jene also ist ewig eine Wiederholung des Einen; diese ursprünglich in sich ewig die Eine. !51" Die Anschauung in der Zeit als Wiederholung des Einen ist die formale Nachbildung des erscheinenden Geistes; die Anschauung in der Idee, Selbstanschauung des Geistes. Als Wiederholung des Einen ist der Gegenstand ewig das Bekannte, Gewesene: als ursprüngliche Anschauung ist ihr Gegenstand ewig das nie gewesene Neue. Beide, das Bekannte und Neue, sind in sich ewig beisammen; aber überwiegend in der Anschauung ist das eine durch die Zeit, als endliche formale, das andere durch die Idee, als ewige reale Betrachtungsweise. Beide in einer Anschauung, ist das Aufnehmen der Zeit in die ewige Idee, wodurch der Geist die Materie zu sich selber verklärt, und der formale Schein selbst innigen Theil nimmt an dem ewig klaren Leben. !52" Nach aussen ist der Gegenstand unsrer Betrachtung überall unendlich vielseitig und mannigfaltig, so wie nach innen durch Eigenthümlichkeit unsre An-

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schauung eben so unendlich verschieden. Doch dem Auge ward mit ihm selbst nur das Eine gegeben, und diese Anschauung ist bleibend und alles Mannigfaltige verknüpfend durch den einen ewigen Blick. 5

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!53" Dieser eine bleibende Gegenstand ist das Leben, das ewige, allwaltende in der Totalität aller seiner Verhältnisse. Giebt die Natur uns das Schauspiel eines großen, unendlich verschiednen Lebens; so ist auch sie wieder die eine alles belebende Mutter, und löst durch dieses ihr Verhältniß zu sich selber, den Widerspruch, den unsre Anschauung eines Mannigfaltigen ohne höhere Einigung nicht vermeiden kann. Rühmlich haben die Menschen gestrebt, dies Problem zu lösen, und in fester Ansicht ihres Gegenstandes sich selbst nicht gefürchtet, den Tod in die Welt des Lebens zu rufen, damit er zu sich nehmen wolle, was ihre Anschauung nicht fassen konnte. Oft ergriff dieses Schrecken mit würdiger Konsequenz die ganze Natur. Dann traf es wieder nur jedes einzelne Leben, damit das große Ganze – unbegreiflicher Weise – lebendiger halten würde. In der gemeinen Ansicht der inkonsequenten Formal-Philosophie war es aus Unsicherheit der bescheidne Grundsatz: leben und leben lassen. Sie ließ den göttlichen Grund, dessen Tiefe sie einmal nicht erreichen konnte, auf sich selbst beruhen, und stellte bloß nur Betrachtungen über die Nützlichkeit alles Lebens an. !54" Aber welche Erklärung wir auch versuchen mögen, nie wird es uns gelingen, das Leben auf eine endliche Weise in seiner Wurzel zu begreifen. Der Zeitwechsel der Erscheinungen, als ein Anfang und Ende, ist in Beziehung auf das Leben ein völlig leerer Begriff, sowol im Wesen als in der Form. Es ist darum nichts gewonnen, wenn wir die letztern vernichten, und das Wesen zurückkehren und im ewig Einen bestehen lassen. Wir werden auch das Ganze nicht retten können, wenn nicht jedes Einzelne, in Beziehung seiner selbst, einzig in Form und Wesen, und somit ewig und unverjüngt ist. Das schaffende göttliche Prinzip, als absolute Fülle in sich, ist dadurch auch absolut unbedürftig, und kann nicht von dem einen fodern, was es dem andern geben möchte. Es wäre schlechthin selbst vernichtet. !55" Betrachten wir nun das Leben auf eine ewige Weise, so nehmen wir seine Zeitverhältnisse selbst mit auf in die Idee, als die absolute Zeit, und die Zeit, als ein Wechsel des Entstehens und Vergehens, hat ganz für dasselbe aufgehört. Einmal in Beziehung seiner selbst, als Leben, ist es auch einzig einig in Wesen und Form, und in beiden daher selbstständig und unvergänglich. Man kann aus der absoluten Anschauung nicht heraustreten, um irgend etwas auch auf endliche Weise erklären zu wollen. Denn es ist nichts als das Absolute und alles Leben muß in ihm auf ewige Weise erkannt werden. Zwar können wir ein unendlich mannigfaltiges Leben für sich selbst auf ewige Weise nicht anschauen. Die Natur aber durch ihr Verhältniß zu sich selber löst uns vollkommen der Widerspruch. Ihr Leben nämlich ist einig auf ewige Weise, zeitlos, absolut, also ewig untrennbar und schlechthin das Ganze. In ihr nun ist das große mannigfaltige Leben ihre eigne ewige Geburt, und da es, als ewig, in seiner ihm eingebohrnen Eigenthümlichkeit unzerstörbar ist, so waltet also in jedem Einzelnen die ganze Natur, eines und ungetrennt, und jedes einzelne Leben seine Eigenthümlichkeit – in Beziehung seiner

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selbst, ist zugleich die Beziehung in der einen Natur, eben dadurch selbstständig. Eines mit ihr, und ewig selbst das Ganze. !56" So auch hat die Natur den Menschen, ursprünglich und auf eine ewige Weise, als ein Ganzes ausgebohren. Sie wollte in ihm aber ihre große, herrliche Schöpfung vollenden, als Verklärung ihrer selbst, ihres tiefsten, innersten Wesens, in dem Lichte seiner Anschauung. Sie also ist dieses Ganze in der Fülle seines Bewußtseyns und der Totalität aller seiner Verhältnisse. Kraft dieser in ihm wohnenden göttlichen Natur strebt er darum nothwendig nach Einheit mit sich selber, als Einheit in der ewigen Harmonie der Natur. Ist es ihre göttliche Kraft aber, und sie selbst ihre eigne, zeitlose Vollendung; so ist sie es auch in ihm auf eine ewige Weise. Zwar gelingt ihm die vollkommne Einheit seiner selbst, als Harmonie in der Natur, nur in dem frühen Leben der bewußtlosen Unschuld, dem tiefen seligen Frieden des kindlichen Zeitalters der Welt, das zu uns nur gekommen ist vorgeschichtlich als eine heilige Sage. Aber die bewußtlose Unschuld des frühen kindlichen Lebens ist nicht die vollendete Schöpfung der Natur. Sie ist nur das göttliche, vollendete Vorbild für ein neues Tagwerk, das der Mensch in Kraft der Natur beginnen und vollenden soll. In errungener Freiheit, selig anschauend die Harmonie des einen Lebens, in Licht und Klarheit das Ganze, und wandellos und ewig: so wollte die Natur sich im Menschen offenbaren, so sollte er sich selbst als Natur erkennen. Die Epoke dieser neuen Schöpfung, als ein fortgerichtetes Streben zur vollendeten Einheit, der Selbstanschauung der Natur, ist die Zeit überhaupt ihr Inhalt die Geschichte. Wo es dem Menschen gelungen ist, in der Verklärung seines Geistes dem Leben der Zeit die ewige Idee und mit ihr die ewige Liebe einzubilden; da ist die Zeit für ihn abgelaufen, und er führt auf ewige Weise ohne Wandel und Tod – ob er gleich stirbt – ein seliges, harmonisches und unsterbliches Leben. Solche göttliche Augenblicke waren wol manchem der Preis eines mühevollen Lebens, und so oft er zurücksank in den Kampf der Zeit, sehnte sich seine Seele so inniger nach der Erlösung, daß er mit neuem Muthe aufathmete in den seligen Himmel des Lebens. !57" Das Streben des Menschen nach Einheit mit sich selber, ist zugleich das vereinte Streben des ganzen Geschlechts. Nur äusserlich ist das eine Leben der Natur getrennt durch den Gegensatz der Geschlechter, also auch scheinbar nur durch die unendliche Wiederholung ihres individuellen Seyns in den Individuen der Menschen. Innerlich – in ihr selbst, – ist keine Trennung. In sich selbst also, als dem einen Leben der Natur, ist der Mensch mit dem Menschen auf ewige Weise verbunden. Diese innre heilige Einheit hat die Natur auch äusserlich wieder abgebildet durch die Vereinigung im Staate. Es liegt in ihm ein tiefer göttlicher Sinn, den man unwürdig oft als eine äussere Nöthigung erklären wollte, welche Erklärung aber nicht einmal die Aussenseite des Lebens, vielweniger den innern Geist desselben berührte. !58" In der Vereinigung des Staats erscheint der Mensch zuförderst persönlich, als ergänzender Theil, nämlich zu einem Ganzen. Eben dadurch aber ist es auch seine Idee, die – im vollkommensten Verein durch eine unwandelbare Gesinnung, in der Ausbildung desselben durch ein Gesetz – die Theile zu einer gleichen in-

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nern Einheit verbindet, damit in ihnen allen, wie in einem Körper, wieder nur ein Geist und ein Leben walte. Wie unvollkommen dies bis jetzt auch erreicht seyn möge; so ist das eine Leben, als die einige Idee, doch die nothwendige Beziehung auf jeden einzelnen Menschen, und dieser also das Ganze, und der einige ewige Zweck aller Vereinigung im Staate. Dadurch also wird die Persönlichkeit als Mittel wieder aufgehoben, und durch Heiligung des Gesetzes der ewigen Idee jedes Leben in ihr selbst geheiliget, und zur vollendeten Einheit der Natur beabsichtigt. !59" Wie das Streben des Menschen nach Einheit mit sich selber, als Uebereinstimmung mit der Natur in ihrer Selbstanschauung, der alleinige Inhalt aller Geschichte ist; so wird sich dies besonders in seiner höchsten Beziehung, in der Geschichte der Wissenschaften, ausdrücken müssen. Die Wissenschaften waren immer die wiederholten Versuche, den reinen innern Gehalt unserer Erkenntnisse zu fixiren, ohne Relation und auf ewige Weise. Hier zeigt sich daher besonders, wie man in allen diesen Bestrebungen von der ewigen Idee ausging, und sie als klare Erkenntniß auszudrücken versuchte. Es war in ihnen schon von jeher ein höherer Verein der Geister. Denn welchen zufälligen Antheil auch die Persönlichkeit behielt; so war sie nirgends doch gemeynt, und der Widerstreit der Urheber und Pfleger der Wissenschaften entstand immer nur aus der Anfoderung der innern und nothwendigen Allgemeingültigkeit einer Wissenschaft. Sie also sollte gelten als Erkenntniß Eines Geistes, und darum sind es preiswürdige, erhabene Männer, die mit dieser Strenge forschten, und im Kampfe nicht ermüdeten, den einen Schein zu vertilgen und den andern zu behaupten. In beiden war es die eine und ewige Idee, die sie lebendig erhielten und kräftiger anregten bei eigenthümlichen Geistern. Es giebt düstre Zeiten, wo wir den Schauplatz leer finden. Aber plötzlich fällt wieder das Feuer Gottes vom Himmel, verzehrt das Sterbliche, und gründet in kräftigen Naturen die heilige Flamme des Lebens. In ihr hat sich das Fortstreben der Wissenschaften erhalten, und deren Bedeutung in der Idee der ewigen Einheit beurkundet. Diese Einheit offenbart sich auch in den wissenschaftlichen Formen. Jede nämlich, als Anordnung zu einem systematischen Ganzen, ist die Idee, in welcher die Wissenschaft sich sphärisch zu vollenden sucht. Dennoch finden wir hier überall ein getrenntes Bemühen, und es könnte uns wundern, wie die Idee, welche das wissenschaftliche Bestreben leitete, es nicht zugleich auch auf die Einheit aller Wissenschaften führen mußte. Wir finden es aber wirklich so, wenn wir zurückgehen in die vorgeschichtliche Zeit unsers Lebens, in die Zeit der lebendigen Anschauung. Sie ist die unmittelbare Einheit der ewigen Idee, und darum zeitlos in sich, wie alles, was auf ewige Weise geschieht. Es war also eine Zeit, wo noch – wie in unserm frühesten Kindesalter – die reine Natur unsers Geistes sich aussprach, ohne Trennung von dem Einen, worin bewußtlos oder mit Selbstanschauung unser Leben gehalten wird, ewig, unsterblich. Es gehet jeder Geschichte eine Ewigkeit voraus, die noch lange durch sie hindämmert als eine heilige Sage. Dadurch bewahrt uns die Geschichte große Denkmäler jener Zeit, selbst in den Sprachen aller Nationen, die als reine Offenbarungen der Natur lebendig mit der Idee und auf ewige Weise nur entstanden sind. Diese Denkmäler verstummten in der endlichen Betrachtungsweise der

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Menschen, der eigentlichen Nacht des Lebens, bewahrten sich in sich selbst aber für den neuen Tag, als geweihte Zeichen göttlicher Geheimnisse. !60" Als die Natur mit der Geschichte ihre große Schöpfung begann, da trennte sich im Aeussern das Endliche vom Ewigen, der Mensch von der Natur, doch nicht die Natur vom Menschen. Denn in ihr ist alles nur auf ewige Weise, und ihre göttliche Harmonie kann nimmer getrübt werden. Es mußte aber ihre Verklärung in der Selbstanschauung des Menschen als Freiheit errungen werden. Denn die ewige Nothwendigkeit in der Einheit des Seyns ist in sich beziehungslos, und daher als schaffendes Licht doch sich selbst die ewige Nacht. Die Nothwendigkeit aber in ihrer eigenen Beziehung ist die göttliche Freiheit der Selbstanschauung als Licht im Lichte; so sollte der Mensch sich finden lernen, sich selbst als freies Leben in der ewigen Einheit mit der Natur. In dieser Bestimmung also lag es, daß es zuförderst sich getrennt von der Natur finden mußte, und zwar durch einen absoluten Gegensatz, über den ein dunkles Schicksal waltete. Der Mutter gegenüber stand der Sohn hingegeben an sich selbst: während sie im innersten Leben ihn doch ewig an ihre Brust hielt, und die göttliche Kraft nicht versiegen ließ, damit er freien Antlitzes einst zu ihr zurückkehren und das selige Leben mit ihr theilen möchte. Auch lebte sie fort in seiner Sprache, die er von ihr erhalten hatte und offenbarte ihm ihren Geist in ewig neuer Anregung der Zeit. –

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1. Es gibt keine höhere Offenbarung weder in Wissenschaft noch in Religion oder Kunst als die der Göttlichkeit des All: ja von dieser Offenbarung fangen jene erst an und haben Bedeutung nur durch sie. 2. Wo nur immer, auch bloß vorübergehend, jene Offenbarung geschehen ist, da war Begeisterung, Abwerfung endlicher Formen, Aufhören alles Widerstreits, Einigkeit und wunderbare Uebereinstimmung, oft durch lange Zeitalter getrennt, bei der größten Eigenthümlichkeit der Geister, allgemeines Bündniß der Künste und Wissenschaften ihre Frucht. 3. Wo das Licht jener Offenbarung schwand, und die Menschen die Dinge nicht aus dem All, sondern aus einander, nicht in der Einheit, sondern in der Trennung erkennen, und ebenso sich selbst in der Vereinzelung und Absonderung von dem All begreifen wollten: da seht ihr die Wissenschaft in weiten Räumen verödet, mit großer Anstrengung geringe Fortschritte im Wachsthum der Erkenntniß, Sandkorn zu Sandkorn gezählt, um das Universum zu erbauen; ihr seht zugleich die Schönheit des Lebens verschwunden, einen wilden Krieg der Meinungen über die ersten und wichtigsten Dinge verbreitet, alles in Einzelheit zerfallen. 4. Aller Widerstreit in der Wissenschaft kann seiner Natur nach nur Eine Quelle haben, das Absehen von dem, welches als das Allselige keinen Widerstreit in sich haben kann. Die sich gegen die Idee der Einheit setzen, streiten für nichts anderes als für den Widerstreit selbst, an welchem ihr Daseyn hängt. Sind alle falschen Systeme, sind die Ausartungen in der Kunst, die Verirrungen in der Religion nur ebenso viele Folgen jener Abstraktion, so kann auch die Wiedergeburt aller Wissenschaften und aller Theile der Bildung nur von der Wiedererkennung des All und seiner ewigen Einheit beginnen. 5. Diese Erkenntniß ist kein Licht, das bloß äußerlich leuchtet, sondern es regt innerlich an und bewegt die ganze Masse menschlicher Bildung; es ist nichts so groß noch so gering, darin sie nicht wirksam wäre, und wie sie treibt und schafft im ganzen Baum der Erkenntniß, so auch in jedem einzelnen Zweige derselben.

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6. Aber nicht nur die Trennungen der Wissenschaften untereinander sind bloß Abstraktionen, sondern auch die der Wissenschaft selbst von der Religion und der Kunst. 5

7. Wie alle Elemente und Dinge der Natur, als bloße Abstraktionen des All, zuletzt eingehen in das Allleben der Natur, deren Bild die Erde und die Gestirne sind, von denen jedes alle Formen und Arten des Seyns göttlich in sich trägt: so müssen alle Elemente und Schöpfungen des Geistes zuletzt gleichfalls zu einem gemeinsamen Leben übergehen, welches höher ist als das Leben jedes von ihnen insbesondere.

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8. Dieses Gesammtleben der Wissenschaft, der Religion und der Kunst, wäre im Ganzen der Menschheit der nach dem göttlichen Vorbilde geformte Staat. Das Verhältniß aber, welches zum Weltbau die Vernunft hat, dasselbe hat zum vollendeten Staat die Philosophie, nämlich daß sie nur in einem solchen ihr eigen Bild dargestellt und lebend erkennen mag.

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9. Die Wissenschaft ist die Erkenntniß der Gesetze des Ganzen, also des Allgemeinen. Religion aber ist Betrachtung des Besonderen in seiner Gebundenheit an das All. Sie weiht den Naturforscher zum Priester der Natur durch die Andacht, womit er das Einzelne pflegt. Sie weist dem Trieb zum Allgemeinen die ihm durch Gott gesetzten Schranken an, und vermittelt so als ein heiliges Band die Wissenschaft mit der Kunst, welche die Ineinsbildung des Allgemeinen und Besonderen ist.

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10. Wie im Staat die Gesetzgebung nichts ist ohne den Heroismus der Erhaltung und die Religion der Beobachtung im Einzelnen, und wie nur die Vereinigung des Allgemeinen der ersten mit der Besonderheit aller und eines jeden durch den das Ganze, nicht mechanisch, sondern kunstmäßig, beseelenden und regierenden Geist, die vollkommene Schönheit des öffentlichen Lebens gebiert: so gelangt Philosophie nur in der wirklichen Durchdringung der Wissenschaft mit der Religion und der Kunst zu der ihrer Idee gemäßen Göttlichkeit. 11. Nicht allein das Auge sieht sich nimmer satt, und das Ohr hört sich nimmer satt: auch die Vernunft wird nicht satt von Betrachtung. Dieß kann der Wissenschaft in ihrer Absonderung entgegengesetzt werden, daß den Gedanken des All niemand auszudenken noch auszureden vermag. Als Gesetzgebung auf die Beschlossenheit dringend, hat sie nothwendig eine andere Seite, von der sie offen und unbegrenzt ist, deren Anerkennung die Religion in ihr ist.

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12. Diese dagegen verliert sich in der Hingebung an das Besondere ohne die Rückkehr auf das schlechthin Allgemeine, das All, nothwendig in Superstition, und ich frage jeden Unbefangenen, ob er die Vorstellungen, die ein oft frommer Eifer ohne Kenntniß der Gesetze des All sich von den einzelnen Dingen und Erscheinungen der Natur gemacht hat, anders zu bezeichnen wüßte.

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13. Das Endliche nur aufgelöst im Unendlichen zu sehen, ist der Geist der Wissenschaft in ihrer Absonderung: das Unendliche in der ganzen Begreiflichkeit des Endlichen in diesem zu schauen, ist der Geist der Kunst.

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14. Mit dem Ernst der Wissenschaft jene Gesetze darstellend, in denen, nach dem Ausdruck eines Alten, der unsterbliche Gott lebt, aber mit gleicher Liebe das Besondere, das Einzelnste selbst umfassend, das All in ihm darzustellen, und so das Allgemeine und Besondere auf unendliche Weise ineinsbildend ist der Geist wahrer Philosophie. 15. In welcher Form sich übrigens diese Begeisterung offenbart, ob in dem lyrischen Erguß einer harmonischen Individualität, die den Einklang des Universums in sich wiedertönen läßt, oder mit epischer Ausbreitung und Fülle die Geschichte des Universums dichtend, oder endlich in streng plastischer Begrenzung, es sey in dem noch herben Styl, den in der Wissenschaft wie in der Kunst das System gebiert, oder in dem durch Anmuth gemäßigten der schon freier gewordenen Kunst, oder in der letzten Vollendung mit dramatischem Leben, in erhabener Sicherheit über die Sache, wo der tiefste Ernst und das freieste Spiel sich wechselseitig verklärend sich wechselseitig erheben: dieß ist in Bezug auf die Unendlichkeit des Stoffs (ist nur dieser aus der Allheit geschöpft) und die Philosophie selbst gleichgültig, und bezeichnet nur verschiedene Stufen der Bildung und der Reife der Kunst. 16. Gleichwie aber, nach Winkelmanns Worten, der noch herbe und strenge Styl der ältesten Plastik den durch Grazie verschönten Erzeugnissen der späteren Kunst vorangehen mußte, und wie nur diejenigen Staaten die Anlage haben groß zu werden, die von strenger Gesetzgebung beginnen: so muß der Ernst und die Strenge wissenschaftlicher Bildung die Unwissenheit der Gemüther bezwungen haben, bevor die süßern Früchte der Philosophie reifen mögen. Das Platonische: daß kein in der Geometrie Uneingeweihter hereintrete, gilt in viel allgemeinerer Bedeutung. 17. Nicht Formlosigkeit ist das wahre Unendliche, sondern, was in sich selbst begrenzt, von sich abgeschlossen und vollendet ist. Diese innere Vollendung des Unendlichen, die im Größten wie im Kleinsten abgedrückt ist, gibt im Einzelnen einen Typus der Betrachtung und im Ganzen ein Systema der Erkenntnisse. 18. Aber nicht nur das Ganze als Ganzes ist göttlich. Auch der Theil und das Einzelne ist es für sich. Wäre die wissenschaftliche Form auch bloß das Band um die volle Garbe, und ich reichte dir auch nur die einzelne Aehre dar, als ein Gewächs göttlicher Art, du müßtest mir danken. Wie viel mehr, da sie eine innere organische Verbindung ist, wo jeder Theil von der Natur des Ganzen ist, und in sich selbst lebt, wie er in diesem lebt. 19. Wessen ich mich rühme? – Des Einen, das mir gegeben ward, daß ich die Göttlichkeit auch des Einzelnen, die mögliche Gleichheit aller Erkenntniß ohne Unterschied des Gegenstandes, und damit die Unendlichkeit der Philosophie verkündigt habe. 20. In kurzen Sätzen, mit so einfachen Zügen, als mir damals möglich schien, habe ich zuerst im Jahr 1801 die Lehre von der Natur und dem All, auf eine neue Weise dargestellt1. Ich habe Ursache gefunden, über manches in dem Theil, wo die Betrachtung ins Besondere eingeht, meine Ansicht zu verbessern oder zu 1 Zeitschrift für speculative Physik (Jena und Leipzig) 2ter Band 2tes Heft.

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ändern, überhaupt sie zu erweitern. Die allgemeinen Gründe aber, wie sie dort aufgestellt sind2, haben sich mir bei jeder folgenden Untersuchung, selbst in dem, was mehr noch aus Divination als aus bewußter Erkenntniß entsprungen war, zum Wunder bewährt: die Wuth der tobenden Menge, die diese Lehre vom All als einen unter sie geworfenen Zankapfel betrachtete, hat nach meiner besten Einsicht von jenen Sätzen auch nicht Einen nur zweifelhaft gemacht, noch weniger Einen aufzuheben vermocht; und meine einzige Absicht ist, das Ganze und Allgemeine, wie es dort ausgesprochen worden, ferner zu behaupten und in jedes nur mögliche Licht zu stellen. 21. Ich danke hiermit für alle mir bis jetzt bekannt gewordenen, wohl oder übel gemeinten, Verbesserungen in Materie und Form, die man jener Darstellung zugedacht hat. 22. Zuvörderst, ob die Religion höher sey als Philosophie, und, was in dieser ist, durch jene höher gesteigert werden könne, mag aus dem Vorhergehenden und Folgenden beurtheilt werden. Wohl ist Religion nicht Philosophie; aber die Philosophie, welche nicht in heiligem Einklang die Religion mit der Wissenschaft verbände, wäre auch jenes nicht. Die Religion des Philosophen aber hat die Farbe der Natur, sie ist die kräftige desjenigen, der kühnen Muthes in die Tiefen der Natur hinabsteigt, nicht die einsiedlerische müßiger Selbstbeschauung, welche mit dieser ganz auf die Allheit der Natur gegründeten Philosophie auf keine Weise in Verbindung zu setzen ist. 23. Auch Poesie ist die Philosophie, aber sie sey keine vorlaute, nur aus dem Subjekt schallende, sondern eine innerliche, dem Gegenstande eingepflanzte, wie die Musik der Sphären. Erst sey die Sache poetisch, eh’ es das Wort ist.

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24. Am meisten verbitte ich rhetorische Zuthat, womit einige diese einfache Lehre zu verbessern gesucht haben. In manchen Schriften solcher Verfasser hat mir das wohlbekannte Gewächs nicht anders gemundet denn als ein bei ihnen sauer gewordener Wein, dem sie, wie schlechte Wirthe, durch Honig oder Zucker aufzuhelfen suchen.

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25. Wohl erkenne ich etwas Höheres denn Wissenschaft, und was ihr davon saget, redet ihr nicht von euch selbst; aber hat man darum das Höhere erreicht, weil man in der Wissenschaft stümpert? So gewiß als jemand ein trefflicher Dichter ist, weil er schlechte Prosa schreibt.

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26. Die ihr Bewußtseyn am meisten verurtheilt, Schüler zu seyn, schreien am lautesten über den Zwang der Schule, und Vortheil suchende Bewerber aller Art pflanzen sich in die Naturphilosophie nicht anders wie die übermüthigen Prasser in das Haus des Odysseus: kein Wunder, wenn zuletzt selbst freche Bettler, die ärmer an Geist sind wie Irus an Habe, den, von dessen Tische sie noch immer den Abfall verzehren, zum Faustkampf herausfordern. 27. Wie eng aber haben selbst manche von den Bessern diese Sache betrachtet, welche nicht sehen, daß sie keine Sache bloß dieser Zeit, und daß ich nichts 2 §.1–50 der in der angeführten Schrift befindlichen Darstellung.

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gethan habe, als das Element hergegeben zu einer endlos möglichen Bildung. Nie wird, es müßte denn die ganze Zeit sich wandeln, Philosophie wieder die ewige Beziehung auf die Natur von sich ausschließen können und mit dem einseitigen Abstraktum der intelligenten Welt das Ganze umfassen wollen. 28. Ob ich eine Schule will? – Ja, aber wie es Dichterschulen gab. So mögen gemeinschaftlich Begeisterte in gleichem Sinn fortdichten an diesem ewigen Gedicht. Gebt mir einige der Art, wie ich sie gefunden habe, und sorgt, daß auch der Zukunft Begeisterte nicht fehlen, und ich verspreche euch einst noch den 6O« (das einigende Princip) auch für die Wissenschaft. Hiezu bedarf es keiner Schüler, so wie keines Hauptes noch Meisters. Keiner lehret den andern, oder ist dem andern verpflichtet, sondern jeder dem Gott, der aus allen redet.

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29. Lange habe ich vor Gegnern und andern Eisen und Bogen hingestellt, ob sie durchschießen: das Folgende wird zeigen, ob sie den Bogen zu spannen vermocht haben. 30. Der besondern Absicht gegenwärtiger Zeitschrift gemäß habe ich diejenigen Grundsätze, die nöthig sind, um der Naturphilosophie im Besondern zu folgen, nicht doctrinal, oder so, daß ich jederzeit nach strenger Art die Beweise führte, sondern mehr historisch, zum Zeugniß der Sache, vorausschicken wollen; und zwar schien das Zweckmäßigste, davon in folgender Ordnung zu handeln.

a) Von der Ein- und Allheit.

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31. Die Vernunft kann man niemanden beschreiben: sie muß sich selbst beschreiben in jedem und durch jeden. 32. Der Sinn ist göttlich darin, daß er das Besondere zwar, aber jedes für sich auffaßt, als ob nichts außer ihm wäre, gleich einer eignen Welt. Er schaut, sich unbewußt, eine gegenwärtige Unendlichkeit an, er schaut also in jedem die Allheit, aber ohne Wiederauflösung in die Einheit. – Daher die Unergründlichkeit in allem Sinnlichen, das Chaos, die verworrene Fülle. Der Sinn ist der Religion gleichzusetzen. 33. Der Verstand hingegen erkennt die leere Einheit ohne Erfüllung oder Allheit; Klarheit ohne Tiefe ist sein Wesen. Allgemeinbegriffe bildend vergleicht er die Dinge und hebt die Göttlichkeit aller und eines jeden insbesondere auf, indem er es nur im Widerschein andrer, nicht an sich selbst begreift. Er ist zugleich das Setzende aller Unterscheidbarkeit und Vielheit der Dinge, und inwiefern er das Allgemeine auf Kosten der Unendlichkeit im Besondern auffaßt, der Wissenschaft in ihrer Absonderung vergleichbar.

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34. Klarheit mit Tiefe, die Fülle des Sinns mit der Begreiflichkeit des Verstandes vereinigend ist die Einbildungskraft: diese ist selbst nur der Sinn, der seiner Unendlichkeit sich bewußt ist, oder der Verstand, der zugleich anschauet. 35. Die Vernunft aber trägt in sich Sinn, Verstand und Einbildungskraft als ebenso viele Endlichkeiten, ohne selbst eine derselben insbesondere zu seyn. Sie

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erkennt weder bloß das verworrene Unendliche (ohne die Einheit), wie der Sinn, noch die leere Einheit (ohne die Unendlichkeit), wie der Verstand, sondern die Einheit und die Unendlichkeit, die Klarheit und die Fülle sind selbst eins in ihr, und nicht bloß auf besondere Weise, wie für die Einbildungskraft, sondern schlechthin und auf unendliche Weise. 36. Die Vernunft kann nichts bejahen, das nur in Beziehung oder Vergleichung Realität hätte (denn dadurch würde sie dem Verstande gleich und nur Endlichkeiten setzen): sie kann daher erstens keine Unterschiede bejahen, welcher Art sie seyen, dann kann sie auch nichts erkennen oder setzen, das nur durch ein anderes wäre, sondern das, was schlechthin und in jedem Betracht aus und von sich selbst, oder was die unendliche Position seiner selbst ist. Dieses ist die Idee der Absolutheit. 37. Die Vernunft mag daher nur erfüllt seyn von dem, was [nicht nur im Besonderen, sondern was schlechthin und durchaus allgemein, also] in allem und jedem das auf unendliche Weise sich selbst Gleiche, sich selbst Bejahende ist, und welches daher, als das sich Gleiche, oder als die Einheit unmittelbar auch Unendlichkeit oder Allheit ist. [Dieß nur Gott. Denn er ist Bejahung von sich selbst, d.h. die unauflösliche Identität von Prädicirendem und Prädicirtem. Da nur diese der Bestand und das Wesen aller Dinge, so Gott die Position aller Dinge, das in allen Dingen sich selbst Gleiche]. 38. Die Bejahung der unendlichen Ein- und Allheit ist der Vernunft nicht zufällig, sondern ihr ganzes Wesen selbst, das auch ausgesprochen ist in dem Gesetz, von dem zugestanden wird, daß es allein unbedingte Bejahung in sich schließe, dem Gesetz der Identität (A = A). 39. Ihr betrachtetet dieses Gesetz als ein bloß formales und subjektives, und konntet darin nur die leere Wiederholung eures eignen Denkens erkennen. Es hat aber keine Beziehung auf euer Denken, sondern ist ein allgemeines, ein unendliches Gesetz, welches aussagt vom Universum, daß in ihm nichts als bloß Prädicirendes oder als bloß Prädicirtes ist, sondern daß ewig und in allem nur Eines ist, welches sich selbst bejaht und von sich selbst bejaht ist, sich manifestirt und von sich manifestirt ist, mit Einem Wort, daß nichts wahrhaft ist, das nicht (36) absolut, nicht göttlich wäre. 40. Betrachtet jenes Gesetz an sich selbst, erkennet den Gehalt, den es hat, und ihr werdet Gott schauen.

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41. Die unendliche Klarheit in unfaßlicher Fülle und die unfaßliche Fülle in unendlicher Klarheit ist Gott – unendliche Bejahung und gleich unendliches Bejahtseyn von sich selbst, auf schlechthin einfache untheilbare Weise.

b) Von der Vernunft als Erkenntniß des Absoluten.

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42. Nicht wir, nicht ihr oder ich, wissen von Gott. Denn die Vernunft, inwiefern sie Gott affirmirt, kann nichts anderes affirmiren, und vernichtet zugleich sich selbst als eine Besonderheit, als etwas außer Gott.

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43. Es gibt wahrhaft und an sich überall kein Subjekt und kein Ich, eben deshalb auch kein Objekt und kein Nichtich, sondern nur Eines, Gott oder das All, und außerdem nichts. Ist also überall ein Wissen und ein Gewußtwerden, so ist das, was in jenem und was in diesem ist, doch nur das Eine als Eines, nämlich Gott. 44. Das Ich denke, Ich bin, ist, seit Cartesius, der Grundirrthum in aller Erkenntniß; das Denken ist nicht mein Denken, und das Seyn nicht mein Seyn, denn alles ist nur Gottes oder des Alls.

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45. Die Eine Art des Erkennens, in welcher nicht das Subjekt, sondern das schlechthin Allgemeine (also das Eine) weiß (43), und in welchem eben daher auch nur das schlechthin Allgemeine das Gewußte ist (39), ist die Vernunft.

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46. Die Vernunft ist kein Vermögen, kein Werkzeug, und läßt sich nicht brauchen: überhaupt gibt es nicht eine Vernunft, die wir hätten, sondern nur eine Vernunft, die uns hat. Die Vermögen aber zur Erkenntniß Gottes in sich aufsuchen und zählen oder wägen, ist die äußerste Gränze der Verwirrung und der innern Verfinsterung des Geistes.

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47. Auch die Vernunft ist nicht eine Bejahung des Einen, die selbst außer dem Einen wäre, sondern ein Wissen Gottes, welches selbst in Gott ist. Ist nichts außer Gott, so ist auch die Erkenntniß von Gott nur die unendliche Erkenntniß, welche Gott von sich selbst hat in der ewigen Selbstbejahung (36), d.h. sie ist selbst das Seyn Gottes und in diesem Seyn.

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48. Die Vernunft hat nicht die Idee Gottes, sondern sie ist diese Idee, nichts außerdem. Das Licht hat nicht die Idee der Körper, wohl aber ist es diese Idee. Wie man nun bei dem Licht nicht fragen kann, woher ihm seine Klarheit komme, da es eben die Klarheit selbst ist, so kann man von der Vernunft nicht fragen, woher ihr die Idee Gottes komme, da sie eben selbst diese Idee ist. So wenig man ferner das Licht weiter beschreiben, oder die Idee von ihm wieder mittheilen kann, so wenig kann man die Erkenntniß Gottes weiter beschreiben oder mittheilen, denn sie ist, selbst indem sie sich im Subjekt ausspricht, doch nichts Subjektives, sondern geht aus der Vernichtung aller Subjektivität hervor. Wie vielmehr jeder das Licht als eine wahre Objektivität und als leuchtend in der Natur nur anschauen und betrachten kann, so muß er die Idee Gottes als an sich leuchtend in der Vernunft und in denjenigen anerkennen, die, nicht aus Macht der Selbstheit, sondern aus Macht Gottes davon reden; denn ohne göttliche Begeisterung vermag niemand Gott zu erkennen oder von Gott zu reden. 49. Diese Idee ist kein Gegenstand des Bestreitens oder der Zwietracht; alle Besonderheit, aus welcher allein Widerstreit kommt, geht unter in ihr. Der Unsinnige, der sie leugnet, spricht sie aus, ohne es zu wissen; er vermag nicht zwei Begriffe vernunftgemäß zu verbinden als in dieser Idee. 50. Gott ist nicht das Höchste, sondern er ist das schlechthin Eine; er ist nicht anzuschauen als Gipfel oder Ende, sondern als Centrum, nicht im Gegensatz einer Peripherie, sondern als alles in allem. Auch das Höchste ist dieses nur in Beziehung auf etwas Niedereres; Gott aber ist das schlechthin Beziehungslose, allein aus sich selbst und durch sich selbst Affirmable.

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51. Es gibt daher kein Aufsteigen der Erkenntniß zu Gott, sondern nur unmittelbare Erkennung, aber auch keine unmittelbare, die des Menschen wäre, sondern nur des Göttlichen durch das Göttliche. 5

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52. In keiner Art der Erkenntniß kann sich Gott als Erkanntes [als Objekt] verhalten: als Erkanntes hört er auf Gott zu seyn. [Wir sind niemals außer Gott, so daß wir ihn uns fürsetzen könnten als Objekt]. Sondern wie das Gefühl des Schwerseyns selbst das Seyn in der Schwere ist, so ist die Erkenntniß Gottes selbst das Seyn in Gott. Es ist kein Subjektives und kein Objektives, weil es nicht ein Verschiedenes ist, das erkennt und das erkannt wird, sondern nur ein und dasselbe (51), Gott. 53. An sich verwerflich ist ebenso jede Art der Betrachtung, in welcher das Subjekt als Subjekt besteht. Du redest von einer Ahndung des Göttlichen, einem Glauben, den du höher setzest als die Erkenntniß. Das Göttliche aber ahndet das Göttliche nicht, denn es ist selbst das Göttliche; auch gibt es keinen Glauben an Gott als eine Beschaffenheit des Subjekts. Du wolltest also nur dieses retten, keinesweges aber das Göttliche verklären.

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54. Wie es eine Gebundenheit des Willens gibt, die den Menschen nicht auf menschliche, physische oder psychologische, sondern auf göttliche Weise zwingt, zu handeln, wie es recht ist [wie es ein Handeln gibt, in dem das Individuum sich selbst vergißt]: so gibt es eine göttliche Gebundenheit der Erkenntniß, welche nicht aus dem Menschen selbst stammt, und in der das Erkennende als ein solches, ebenso wie dort das Handelnde, aber mit ihm auch nothwendig das Erkannte, als Erkanntes, verschwindet.3

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c) Von der Untheilbarkeit der Vernunfterkenntniß oder der Unmöglichkeit etwas von der Idee des Absoluten zu abstrahiren oder aus ihr herzuleiten.

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55. Kaum ist aus der Fülle der Vernunft die Idee Gottes geboren, so tritt der Verstand hinzu, um Theil zu haben an diesem Gut. Er möchte das, was in jener Idee als ewig und absolut eins gesetzt ist, getrennt betrachten, und dem, was nur Realität hat in der Einheit, auch Realität geben außer der Einheit. Jede solche Abstraktion gibt ihre Nichtigkeit unmittelbar durch den Widerspruch kund, den sie zur nothwendigen Begleitung hat. 3 Diese Sätze zeigen den Werth des bis jetzt namhaftesten, aber ohne Zweifel auch letzten Versuches die Erkenntniß des Absoluten in eine Subjektivität zu verwandeln. Unerwartet zwar konnte er dem Verfasser nicht seyn, welcher ihn in den Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums S.149 so bestimmt vorhergesagt hat, daß er jetzt nicht bestimmter davon schreiben könnte. Dieses Zeitalter verlangt ein Wissen als Wissen des Subjekts, eine Sittlichkeit als eine selbstgegebene des Individuums. In einem solchen Sinn schließe ich diese so wie jenes aus dem Vernunftsystem allerdings aus, und zwar auf ganz positive Weise aus, und ich freue mich, daß man angefangen hat dieß zu erkennen.

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56. Ihr meintet, mit diesen Widersprüchen, in die sich die Idee auflöst, sobald ihre untheilbare Einheit aufgehoben wird, gegen die Vernunft und gegen die Idee selbst zu streiten, während ihr wahrhaft nur ihr inneres Wesen offenbartet. Eben dadurch ward und wird offenbar, daß der Verstand keines der möglichen Entgegengesetzten für sich bejahen kann, ohne Widerspruch, daß jedem solchen ein anderes Gleiches mit gleichem Recht entgegengesetzt wird, und daß nur die untheilbare Einheit der Idee in ihrer Untheilbarkeit Wahrheit hat. 57. Von der Vernunftidee Gottes, daß er die unendliche Affirmation seiner selbst ist, möchte der Verstand zuvörderst das Affirmative und das Affirmirte absondern und Gott als das eine oder das andere für sich begreifen. Von jedem der beiden Glieder aber, in welche die Idee auflösbar scheint, läßt sich, eben durch die Idee selbst, das Widersprechende aufzeigen. 58. Die Idee, daß Gott die unendliche Bejahung seiner selbst ist, scheint auflösbar in die zwei Folgen: Gott affirmirt sich selbst unendlich, und: Gott ist von sich selbst affirmirt. Betrachtet ihr die erste für sich, so ist es unmöglich, daß Gott sich selbst affirmirt, denn das Affirmative (der Begriff) ist jederzeit größer als das Affirmirte (die Sache). Gott aber als affirmirend sich selbst, ist [mit] Gott als dem affirmirten von sich selbst schlechthin gleich [nur ein und dasselbe]. Gott faßt sich selbst nicht, weil er nicht größer seyn kann, als er selbst ist. Demnach ist der Satz: Gott bejaht sich selbst, für sich genommen, kraft der Idee selbst ein unmöglicher. Dasselbe gilt von seinem Gegentheil. Gott kann ebensowenig das Affirmirte von sich selbst seyn; er ist sich selbst unfaßlich und wird nicht gefaßt, weil er nicht kleiner seyn kann als er selbst, weil er nicht ein Verschiedenes, sondern nur ein und dasselbe ist. 59. Auf gleiche Weise kann jede mögliche Vernunftbejahung, ihr Ausdruck sey welcher er wolle, wenn ihr das einzelne Glied der in ihr ausgedrückten Identität heraushebt, in Widerspruch aufgelöst werden, so nämlich, daß das Abstrahirte weder gesetzt noch auch nicht gesetzt werden kann. Z.B. kraft der Idee des Absoluten: es sey dasjenige, dessen Wesen auch das Seyn ist, kann Gott kein Seyn zugeschrieben werden; denn Seyn als solches ist nur im Gegensatz von Wesen, in Gott aber ist es absolut eins mit demselben. Gleichwohl kann das Seyn von Gott auch nicht negirt werden, aus dem gleichen Grunde, und gerade deshalb, weil es in ihm dasselbe mit dem Wesen ist. 60. Von dem Satz: Gott ist Ein- und Allheit, kann die Einheit nicht für sich gesetzt werden. Gott ist nicht das schlechthin Eine; denn das Eine ist nur im Gegensatz des Vielen, in Bezug auf das schlechthin Eine ist aber kein Vieles. Also hebt diese Idee sich selbst auf, und Gott ist auch nicht Eines. Dennoch ist er auch nicht nicht-Eines und Vieles. 61. Alles Erkennen ist nichts anderes denn ein Affirmiren. Von eher suchte die Wissenschaft nach dem Punkt, wo das Seyn das Erkennen, das Erkennen das Seyn einschließt. Wie könnten sie aber vollkommener eins seyn als in der Idee der allgemeinen Substanz, Gottes, dessen Seyn die unendliche Affirmation von sich selbst ist, dessen Seyn daher die Erkenntniß in sich schließt, und zwar auf unend-

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liche Weise, und hinwiederum die Erkenntniß das Seyn. Aber eben deßhalb ist es unmöglich, Gott ein Seyn oder ein Erkennen insbesondere zuzuschreiben. Denn die Selbstbejahung Gottes ist eine unendliche, das Erkennende also und das Erkannte ist ein und dasselbe in ihm, und es ist insofern kein Erkennen in Gott. Gleichwohl ist Gott auch nicht Verneinung alles Erkennens, ein völlig blindes Absolutes, bloßes Seyn. Denn das Seyn ist, als solches, nur im Gegensatz des Erkennens, das Seyn Gottes ist aber die unendliche Bejahung seiner selbst, also nicht die Verneinung des Erkennens. 62. Dasselbe läßt sich in allgemeinerem Sinn von dem Gegensatze des Seyns und des Handelns zeigen. In Gott ist weder ein Handeln noch auch eine Verneinung des Handelns. Nicht ein Handeln, denn die unendliche Selbstbejahung Gottes fließt zusammen mit dem Seyn Gottes, und ist selbst dieses Seyn (61); dennoch ist das Handeln in Gott auch nicht verneint, darum, weil er im Seyn die unendliche Affirmation seiner Selbst ist. So kann der Umkreis des Cirkels als ein Seyn betrachtet werden, aber als Seyn schließt es ein Handeln in sich, nämlich das absolute Sichselbsterkennen der Einheit als Allheit.

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63. Diese kurze Betrachtung (55–63) reicht hin zum Beweis, daß die Idee des Absoluten jeder Abstraktion widersteht, daß sie schlechthin untheilbar, daß es also unmöglich ist, irgend etwas aus ihr durch Analyse oder Abstraktion zu entwickeln.

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64. Der Satz, daß das Absolute keine Prädicate hat,4 ist insofern ganz richtig, als das Prädicat selbst nur im Gegensatz des Subjekts möglich ist (ein Gegensatz, der in Gott undenkbar ist), und inwiefern auch jedem möglichen Prädicat ein anderes entgegengesetzt werden kann. Aber nichts, das in Beziehung, nichts also, das im Gegensatze stehen kann, ist affirmabel durch die Vernunft (36) und von Gott. 65. Das Absolute kann daher ewig nur ausgesprochen werden als absolute, schlechthin untheilbare Identität des Subjektiven und Objektiven, welcher Ausdruck gleich ist dem der unendlichen Selbstbejahung Gottes (36) und dasselbe bezeichnet.

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66. Die Vernunft setzt in dieser Idee weder die Negation von Gegensätzen, noch setzt sie auch wirklich Gegensätze in ihr. Nicht die Verneinung, denn alsdann wäre die Einheit selbst eine bloß verneinende und insofern bedingte. Die Gegensätze sind aber in jener Idee nicht auf eine negative, sondern auf eine positive Weise vertilgt; nicht ihre Verschiedenheit ist verneint, sondern ihre absolute Identität ist gesetzt. Aber ebensowenig gilt das Gegentheil, daß die Gegensätze in jener Idee als wirklich gesetzt wären. Sie sind nicht, denn ihre positive Identität ist gesetzt, und sie sind auch nicht nicht, denn es ist nicht ihre Negation gesetzt. 4 Der Verfasser der bekannten Aphorismen über das Absolute, die eine Parodie der sogenannten neuesten Philosophie seyn sollen, von Gegnern derselben aber treulich nachgeschrieben wurden, hat auch diesen Satz aufgenommen. Indeß wäre ihm, besonders auch in dieser Beziehung, ein trefflicher Aufsatz Ueber das Verhältniß des Skepticismus zur Philosophie und seine verschiedenen Modificationen etc. zum genauen Nachlesen zu empfehlen. Er steht im kritischen Journal der Philosophie. Bd.1, St.2.

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67. Absolute Identität des Subjektiven und Objektiven kann nicht bloßes Gleichgewicht seyn5, oder Synthese, sondern allein gänzliches Einsseyn. 68. Wir versuchen diesen, an sich freilich sehr klaren, den meisten aber doch nicht klaren Unterschied durch einige Beispiele deutlich zu machen. Der Ruhepunkt eines Hebels stellt das Gleichgewicht zweier entgegengesetzter Kräfte dar; er ist das Vereinigende beider, aber er ist keineswegs ihre absolute Identität. Er ist, was er ist, nämlich Ruhepunkt, nur relativ auf beide entgegengesetzte, nicht an sich selbst; diese reduciren sich wechselseitig in ihm zur Null, nicht aber er selbst, als er selbst, ist die positive Null beider. 69. Beispiele des absoluten Einsseyns Entgegengesetzter bietet nothwendiger Weise die ganze Natur, bieten alle Wissenschaften in Menge dar. Wer die Materie auch nur auf die einfachste Art aus Contraktion und Expansion zu begreifen versuchte, würde nie zu einer realen Materie gelangen, solange er jene beiden wie die Kräfte eines Hebels entgegengesetzt annähme, wenn er die Materie nicht durchaus und in jedem Punkt als expansiv und als attraktiv dächte auf untheilbare Weise. 70. Oder man denke sich ein Sinneswerkzeug; ein Sehorgan z.B.: ein solches ist in jedem Punkte seines Wesens ein Seyn und ein Sehen und doch nur Eins. Das Sehen und das Seyn verhalten sich nicht wie Faktoren zueinander, die sich auf die Null reducirten, und doch ist auch das Organ nicht bloß Seyn, abstrahirt von dem Sehen (sonst wäre es nur Materie), noch bloß Sehen, abstrahirt von dem Seyn (sonst wäre es nicht Organ); sondern es ist ganz Seyn und ganz Sehen. Es ist in dem Seyn auch ein Sehen und in dem Sehen ein Seyn. 71. Die Idee des Kreises ist eine schlechthin einfache und untheilbare Idee. – Wenn schon Mittelpunkt und Umkreis räumlich (im concreten Kreis) außereinander liegen, so sind sie doch in der Idee des Kreises eins. Von dem Kreis kann nicht abstrahirt werden; denn der Mittelpunkt für sich, ohne den Umkreis, ist auch nicht Mittelpunkt; der Umkreis für sich, abstrahirt von dem Mittelpunkt und sonach vom ganzen Kreis, auch nicht Umkreis. Wahrhaft wird also in der Idee des Kreises weder der Mittelpunkt für sich noch die Peripherie für sich gesetzt, sondern in jedem nothwendig schon der Kreis, d.h. die absolute Einheit. Der Mittelpunkt ist der Kreis in seiner Affirmativität angeschaut oder der ideale Kreis; denn was ist überhaupt der Punkt als eine Kreislinie von unendlich kleinem Durchmesser oder ein Kreis, dessen Peripherie mit dem Centrum zusammenfällt? Dagegen ist die Peripherie nur der Kreis in seinem Affirmirtseyn oder in der Totalität angeschaut. Die Einheit ist hier als solche gleich der Allheit, der Mittelpunkt als solcher gleich der Peripherie (denn da die Größe der Peripherie gleichgültig ist, so ist sie = dem Punkt). Das Einsseyn beider ist nicht das zweier Theile, die erst zusammen ein 5 Ein Gleichgewicht Entgegengesetzter ist das Höchste, wozu man es mit Relationen bringen kann: daher dieses Mißverstehen der Idee durch diejenigen, welche nichts begreifen außer Relationen. Die meisten haben denn doch dieses Produkt ihres Nichtverstehens bestritten. Was soll man aber von denen urtheilen, die nicht dagegen, sondern – damit gegen mich streiten wollen?

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Ganzes ausmachen, beide sind nicht Faktoren des Kreises, dieser nicht das Produkt noch die Synthese beider: er ist ihre absolute Identität.

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72. Die ganze Natur streitet gegen jede Abstraktion, z.B. die der Materie als eines reinen Seyns, von dem alles subjektive, innere Leben, alle Perception negirt ist. Wenn auch in den tiefern Sphären der Natur die Perceptionen dunkler und undeutlicher sind, so sind sie doch in den Thieren unverkennbar, die wir deßhalb gleichwohl als bloße materielle Wesen betrachten. Wie kommt nun hier die Perception zur Materie hinzu, wenn diese nicht an sich schon und als Seyn auch perceptiv ist? Das Handeln der Thiere ist ein völlig blindes. Wir denken uns nicht sie selbst als handelnd, sondern ein anderes, einen objektiven Grund als handelnd in ihnen; gleichwohl erkennen wir mit unwidersprechlicher Gewißheit, welche uns die Sinnigkeit jener Handlungen, besonders der Kunsttriebe aufdrängt, daß dieses, relativ auf die Thiere bloß objektive Princip, an sich betrachtet, auch ein subjektives, ein dem bewußten ähnliches in der Bewußtlosigkeit sey, ohne daß wir dabei irgend einen Dualismus setzen. Auch die hartnäckigste Angewöhnung, in der Natur die bloße Objektivität zu sehen, hätten längst die Erscheinungen außerordentlicher Zustände des Menschen, an welchen, selbst nach der gemeinen Vorstellung, die Seele keinen Theil hat, überwinden können, z.B. die geschickten und sichern Handlungen des Nachtwandlers, die völlig so bewußtlos geschehen, und dennoch nicht selten ebenso viel Zweckmäßigkeit verrathen als die Handlungen der Thiere, der beständigen Somnambulisten. 73. Die Meinung ist daher keineswegs, daß die absolute Identität des Subjektiven und Objektiven nur das besondere Wesen Gottes sey (denn das Wesen Gottes ist kein Besonderes), sondern daß sie das Wesen aller Dinge, das schlechthin Allgemeine sey, und nichts bejaht werden oder seyn möge, das nicht gleich affirmativ und gleich affirmirt sey ohne allen Dualismus. Denn so wenig es eine reelle Entgegensetzung ist, wenn ein und dasselbe Wesen zwei verschiedene Namen trägt, A und B, und so wenig das Wesen A und das Wesen B in diesem Fall zwei verschiedene Wesen, wie sie vielmehr nur Ein Wesen sind, so ist jedes durch Vernunft Affirmable nur Ein Wesen, und als das Eine ganz und durchein affirmativ, und ganz und durchein affirmirt, ganz ideal und ganz real. 74. Daß aber diese absolute Identität des Subjektiven und Objektiven das Gleiche in allem ist, davon liegt der Grund nur in Gott, der die unendliche Affirmation seiner selbst ist, und durch welchen, als allgemeine Substanz, alle Substanz gleichfalls in sich Einheit des Affirmativen und des Affirmirten ist. 75. So wenig nun (55–74) die Abstraktion etwas vermag über die Idee Gottes, sie zu beugen oder etwas Besonderes aus ihr herauszunehmen und für sich zu setzen: so unmöglich ist es, aus dieser Idee etwas auf dem Wege des Entstehens oder des Hervorgehens aus derselben abzuleiten.

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76. Alles ist ursprunglos, ewig in Gott. Denn, was kraft dessen Idee seyn kann, ist nothwendig und ist ewig, und was nicht auf diese Weise seyn kann, vermag überhaupt nicht zu seyn. Nichts kann daher in Gott oder aus Gott wahrhaft entstehen.

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77. Gott neigt sich zu nichts weder in ihm noch außer ihm, denn er ist allselig; er bewirkt nichts, denn er ist alles. Die unendliche Bejahung von sich selbst ist keine Handlung, zu der sich Gott als das Subjekt verhielte, sondern sie ist selbst das Seyn Gottes. Gott wird nicht dadurch, daß er sich selbst bejaht oder erkennt, sondern er ist ein unendliches Selbsterkennen in dem unendlichen Seyn, nicht außer dem und in abesonderter Handlung. 78. So einfach diese Idee der unendlichen Selbstbejahung des unendlichen vonund aus-sich selbst-Seyns an sich ist, so schwer ist sie für den Verstand, der nur in Gegensätzen sein Wesen hat. Diesem ist sie entweder eine Selbsttheilung Gottes, so daß er z.B. einen Theil seiner selbst objektiv setzte (als Welt), den andern für sich behielte, das ist, daß er sich selbst im Subjekt und im Objekt als negirt setzte, welches gegen die erste Idee Gottes streitet, die unendliche Position von sich selbst zu seyn; oder eine Selbstdifferenziirung, da sie im Gegentheil, wäre nur überhaupt ein Handeln in Gott, die Selbst-Identifizirung Gottes seyn müßte. Sie ist es nicht, weil Gott nicht sich identifizirt, sondern die absolute Identität ist. 79. Von demselben Werth, d.h. gänzlich widersprechend, ist die Vorstellung eines Herausgehens des Absoluten aus sich selbst. Könnte Gott aus sich selbst herausgehen, so wäre er eben deßhalb nicht Gott, nicht absolut. Die Absolutheit oder die unendliche Selbstbejahung ist vielmehr das ewige Zurückgehen, nicht als Handlung, sondern als das ewige Seyn und Bestehen Gottes in sich selbst. 80. Diese Betrachtung (75–79) so wie die frühere (55–74) zeigt, daß der Verstand keinen Theil haben kann an der Idee des Absoluten, und wenn der Wissenschaft nur diese zwei Wege zur Erkenntniß offen sind, der der Analyse oder Abstraktion, und der des synthetischen Ableitens (wie dieß nach der herrschenden Vorstellung allerdings der Fall ist), so leugnen wir alle Wissenschaft des Absoluten. Es läßt sich von Gott nichts absondern, denn eben darum ist er absolut, weil sich von ihm nicht abstrahiren läßt; es läßt sich nichts herleiten aus Gott, als werdend oder entstehend, denn eben darum ist er Gott, weil er alles ist. – Speculation ist alles, d.h. Schauen, Betrachten dessen, was ist in Gott. Die Wissenschaft selbst hat nur insoweit Werth, als sie speculativ ist, d.h. Contemplation Gottes wie er ist.6 Die bisherigen Erklärungen enthalten die bloßen Anfänge der Philosophie, über welche mit jemandem zu streiten völlig zwecklos ist. Denen, welche sich, nach ihren vielfachen Aeußerungen, von dem Absoluten nun einmal keine andere Vorstellung machen können als die eines Dings, und zwar eines Dings, dem die Identität des Subjektiven und Objektiven als eine Eigenschaft inhärirt, weitere Erläuterungen geben zu wollen, würde gleichfalls völlig unnütz seyn. – Von allen Erörterungen der einfachsten Idee gilt übrigens, was Leibniz irgendwo sagt: „On a dit, que si l’esprit avoit une vue claire et directe de l’Infini, le P.Malebranche n’auroit pas eu besoin de tant de raisonnements pour nous y faire penser. Mais par le même argument on rejetteroit la connoissance très-simple et très-naturelle, que nous avons de la Divinité. Ces sortes d’objections ne valent rien, car on a 6 Man vergleiche hiermit die Abhandlung von der Art alle Dinge im Absoluten darzustellen in der Neuen Zeitschrift für speculative Physik, HeftII, §.IV.

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besoin de travail et d’application pour donner aux hommes l’attention nécessaire aux notions les plus simples, et on n’en vient guères à bout qu’en les rappelant de leur dissipation à eux-mêmes. C’est aussi pour cela, que les théologiens, qui ont parlé de l’éternité, ont eu besoin de beaucoup de discours, de comparaisons et d’exemples pour la bien faire connoître, quoiqu’il n’y ait rien de plus simple que la notion de l’éternité etc. etc.“

Grundzüge der philosophischen Naturwissenschaft

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8. Henrich Steffens

!Aus den Grundzügen der philosophischen Naturwissenschaft"

!1" Es giebt nur Ein wahres Erkennen, und dieses ist das absolute Erkennen der Vernunft. !2" Was in der Vernunft erkannt wird, ist nichts als die Vernunft selbst, und auch das Erkennen ist wiederum nur die Vernunft. !3" Nennen wir das Erkennende ein Subjektives, das Erkannte ein Objektives, so ist das wahre Erkennen, oder das An-sich des Erkennens, weder das eine noch das andere, also weder ein erkennendes Subjekt, noch ein erkanntes Objekt, sondern die absolute Einheit beider. !4" Der Gegensatz zwischen Subjektivität und Objektivität ist also kein reeller Gegensatz; die wahre Realität ist nur da, wo er schlechthin verschwindet.

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!5" Das Objektive sei uns hier das Mannigfaltige des Seyns, das Subjektive die Einheit des Denkens, so wird das wahre Erkennen nur da seyn, wo Denken und Seyn identisch werden. !6" Das Erkennen selbst wird als ein Subjektives gesetzt, und da es eine Identität des Subjektiven und Objektiven ist, zugleich als ein Nicht-Subjektives. Wird das Erkennen als ein bloss Subjektives gesetzt, im realen Gegensatz gegen ein Objektives, so verschwindet seine Realität, die nur in der Identität beider ist; wird es als das Identische der Objektivität und Subjektivität gesetzt, so verschwindet die besondere Form, in welcher es doch nur ein Erkennen ist. Dieser Widerspruch wird durch das Wesen der Vernunft selbst gehoben, indem es zu ihrem Wesen gehört, sich selbst zu erkennen. Die Vernunft also, unter der Form des Erkennens, ist die ganze Vernunft, auch ihrem Wesen nach, und da in der Form des Erkennens der Vernunft nichts ist, was nicht zugleich das Wesen der Vernunft wäre, und in ihrem Wesen (ihrer ewigen Selbsterkenntniss wegen) nichts seyn kann, was nicht zugleich ihre Form wäre, so ist mit der Idealität der Form des Selbsterkennens zugleich die Realität des Wesens der Vernunft ewig, nothwendig und unzertrennbar gesetzt. !7" In der Vernunft ist Alles, ausser der Vernunft nichts; denn da Alles, was sich ausser der Vernunft befinden sollte, sich zur Vernunft wie ein Objektives (so dass

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die Vernunft ein Subjektives würde), oder wie ein Subjektives (so dass die Vernunft ein Objektives würde) verhalten muss, die Vernunft aber die ewige und absolute Identität des Subjektiven und Objektiven ist, so verschwindet Alles nothwendig in der Einheit der Vernunft. 5

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!8" Die absolute Einheit wird nicht gesucht; als wenn ein Erkennen ausser ihr anfangen und mit ihr etwa endigen konnte, – auch nicht postulirt, in dem Sinne, wie man zum Behuf einer Wissenschaft einen Grundsatz sonst wohl fordert; sie ist vielmehr das ewig daseiende, nicht-gesuchte, nicht-gefundene, sondern absolut geschenkte Organ aller lebendigen Untersuchung, alles wahrhaften Erkennens, welches das Ganze des Erkennens und einen jeden Punkt desselben gleich klar bezeichnet. !9" Die Vernunft ist schlechthin, d.h.: sie ist ewig, und ihr Wesen ist das ewige Seyn selbst, seinem Wesen nach; alles endliche Seyn ist also nur als besondere Form des Seyns des Ewigen zu erkennen; da aber das Erkennen als die Form schlechthin gesetzt wird, so müssen alle endliche Formen mit der absoluten Form eins werden; diese aber ist mit der Einheit des ewigen Wesens alles Seyns identisch. Es giebt daher für das wahre Erkennen kein endliches Ding, das Endliche wird vielmehr nothwendig in die ewige Form und sofort in das ewige Wesen gesetzt, in welcher es aber mit diesem eins ist. !10" In der gemeinen Reflexion wird das Denken von dem Seyn getrennt. Das Seyn erscheint als die mannigfaltige Fülle des Endlichen, das Denken als die leere Einheit des Unendlichen. Das Seyn enthält, für diese Ansicht, die Menge des bestimmten Wirklichen; dieser gegen über steht das Denken als das Bestimmende, und enthält die blosse Möglichkeit alles Wirklichen in sich; durch das Denken wird die Mannigfaltigkeit des Endlich-Wirklichen in der Einheit des Begriffs vereinigt. Diese Einheit enthält aber die blosse Möglichkeit, die in dem Mannigfaltig-Endlichen wirklich ist. Dieser Gegensatz des Endlichen und Unendlichen, der Wirklichkeit eines besondern Seyns und der Möglichkeit eines allgemeinen Denkens ist aber für das wahre Erkennen von keiner Realität; für dieses ist vielmehr das Endliche mit dem Unendlichen, das Wirkliche mit dem Möglichen ursprünglich und nothwendig verbunden. Wird nun das Besondere dem Allgemeinen absolut einverleibt, so ist in dem Allgemeinen ein jedes Besondere, nicht bloss der Möglichkeit, sondern auch der Wirklichkeit nach, in einem jeden Besondern aber die Allgemeinheit des Begriffs nicht bloss möglich, sondern auch wirklich; nun sind alle einzelne Begriffe, in so fern sie einzeln sind, wieder als besondere in den ewigen Begriff gesetzt, dieser aber ist mit dem Wesen des Ewigen eins. Auf einem jeden Punkte und in einem jeden Besondern entdeckt sich daher die ganze Fülle des Ewigen für das wahre Erkennen. !11" Die Identität des Denkens und Seyns wird Anschauung genannt. Das Erkennen der Identität des ewigen Denkens und ewigen Seyns ist die Selbstanschauung der Vernunft schlechthin – intellektuelle Anschauung. !12" Schauen wir ein Endliches als ein solches, so hat dieses Endliche den Grund seines Daseyns nicht in sich selbst; es ist bestimmt durch ein anderes Einzelnes,

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dieses wieder durch ein anderes, und so fort ins Unendliche; auch muss es als bestimmend für ein anderes Einzelnes, dieses wiederum als bestimmend für ein folgendes u.s.w. gesetzt werden. Es hat also ein jedes Endliche in sich eine endliche Wirklichkeit, die aber durch die allgemeine Verkettung aller Dinge nothwendig ausser sich auf eine unendliche Möglichkeit hinweiset. Dieser Gegensatz der endlichen Wirklichkeit und der unendlichen Möglichkeit hat aber bloss für einen Standpunkt ausserhalb der Vernunft Realität, für die Vernunft selbst also keine; für die wahre Anschauung ist vielmehr eine jede endliche Wirklichkeit mit der unendlichen Möglichkeit unmittelbar verknüpft, und ein jeder Punkt bezeichnet ein wahrhaft ewiges nur unter der bestimmten Potenz des Besondern. !13" Das Erkennen, welches ein Einzelnes, Endliches als reell setzt, entspringt nur in der Form der Zeit, aber die Zeit selbst ist für das Ewige nicht; daher ist nicht allein das Endliche als ein solches, ein Nicht-Reelles für die Vernunft, sondern auch jene Gesetze, die für den Verstand absolute Realität haben, indem sie, die Zeit gesetzt, nicht allein für eine bestimmte, sondern für alle Zeit gelten, wie z.B. das Gesetz der Kausalität, welches auf die wechselseitige Abhängigkeit und Unvollkommenheit des Endlichen allein deutet, und also in der absoluten Seligkeit der ewigen Vernunft verschwindet. !14" Es ist daher kein Widerstreit im Ewigen, nichts Sterbliches oder Vergängliches, kein Gegensatz vom Innern und Aeussern, nichts was für sich selbst oder für das Ganze fremd wäre, ein jedes Einzelne nimmt an dem Leben des Ganzen Theil, und ist dem Wesen nach Eins mit Allem. !15" In der Vernunft erkennen, heisst daher nicht ein Sinnliches, Endliches, so wie es sich den leiblichen Sinnen entdeckt, als ein Sterbliches oder Vergängliches, sondern, ein jedes Einzelne in seinem Wesen, d.h. in der Potenz des Ewigen, erkennen. Ein jedes wissenschaftliche Bestreben, wenn es sich gleich selbst nicht erkennt, ist, seinem Wesen nach, ein Bestreben, die Dinge, nicht wie sie in der Erscheinung, sondern wie sie, an sich in der Vernunft sind, zu erkennen; denn auch in einer jeden, selbst empirischen, Wissenschaft ist nicht das Besondere für sich, auch nicht der allgemeine Grundsatz für sich, sondern nur die Identität beider das Reelle. Nur weil man, sich selbst missverstehend, das Wesen der Wissenschaft selbst als ein Einzelnes setzt, verschwindet die Realität dieses Strebens in der Nichtrealität eines sich selbst widersprechenden Produkts. !16" Wenn das Denken, wie in der endlichen Reflexion, als von dem Seyn getrennt, angesehen wird, so erscheint jenes als ein bloss negatives Vermögen, das nichts vermag, dieses als das absolut-positive, in welchem alle Realität ist. Das Denken ist dann eine unendliche leere Form, das Seyn eine Mannigfaltigkeit des Wesens. Da aber für das wahre Erkennen alle Gegensätze nur formell sind, und sich in die absolute Form auflösen, in und mit welcher sie an der unbetrübten Einheit des Wesens Theil nehmen; so wird (die Identität des Denkens und des Seyns vorausgesetzt) die Allgemeinheit des Denkens – wenn sie mit dem Besondern des Seyns unmittelbar verknüpft ist – jene als die unendliche Einheit des Wesens selbst, dieses als die formelle Mannigfaltigkeit des Endlichen heraustreten. –

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Durch die Aufnahme des Besondern ins Allgemeine wird das Endliche dem Unendlichen einverleibt, die Form dem Wesen gleich gesetzt. Durch die Aufnahme des Allgemeinen ins Besondere wird ferner das Unendliche dem Endlichen einverleibt, das Wesen in die bestimmte Form aufgenommen. Aber das Wesen, als das ewig Unbegränzbare, Untheilbare, Ideale, im Gegensatze gegen die Form, als das ins Unendliche getheilte Reale, ist, wo es ist, dasselbe, also in der Form aufgenommen, ganz und untheilbar, und da mit einer jeden Form die Identität der Form und des Wesens gesetzt ist, so ist eine jede Form für sich absolut, und geniesst ein ewiges Leben. !17" Nur in der endlichen Welt und für eine endliche Anschauung trennt sich das Wesen von der Form, das Allgemeine von dem Besondern, das Endliche von dem Unendlichen. In dieser Trennung erscheint daher nothwendig das Wesen als eine leere Möglichkeit und formlose Form, die Form, das Besondere aber, als eine vergängliche Wirklichkeit und ein bloss veränderliches Wesen. Für das wahre Erkennen hingegen ist die ewige Substanz der Dinge mit der Unendlichkeit des Denkens eins und dasselbe, nur im Ewigen der Endlichkeit der Formen unmittelbar einverleibt. Was daher für das endliche Erkennen reine, einzige, reelle Position ist – die vergängliche Wirklichkeit – ist, für das wahre Erkennen, vielmehr blosse Negation. Nemlich das, was als unendliche Möglichkeit der endlichen Wirklichkeit entgegensteht, ist mit dieser in der ewigen Idee nothwendig verknüpft, und erscheint, bloss unter den Bedingungen der Zeit, also nicht an sich, als getrennt. Auch ist ein jedes Endliche, wenn es in die Allgemeinheit des Wesens mit der bestimmten Form aufgenommen wird, ein Unendlich-Endliches. Aber diese Unendlichkeit des Endlichen ist nicht eine Unendlichkeit der Zeit nach, sondern vielmehr eine ewige zeitlose Unendlichkeit. Ein jeder Begriff ist, als dieser bestimmte Begriff, nothwendig ein Besonderes, als Begriff aber schlechthin ein Unvergängliches; das Endliche daher – in die Allgemeinheit des Denkens aufgenommen – wird, als ein Endliches, unvergänglich, und in der Ewigkeit als das Unendlich-Endliche selbst schlechthin gesetzt. – !18" Indem ein Endliches als zeitlos endlich gesetzt ist, ist es zugleich ewig, und wie in einer Rücksicht, wenn wir das Endliche, als in sich seyend betrachten, dem Ewigen absolut entgegengesetzt, in einer andern Rücksicht mit dem Ewigen absolut eins und verbunden; schauen wir das Absolute schlechthin an, so ist sie die Einheit alles Unendlich-Endlichen und Endlich-Unendlichen selbst, und alle Formen, der Einheit des Wesens eingepflanzt, drucken die Identität des Einen und Vielen in ewiger Klarheit aus; – schauen wir die bestimmte Form, in so fern ihr die Allgemeinheit des Wesens eingepflanzt ist, so ist sie, in so fern sie zeitlos in sich ist, eine geschlossene Totalität, und in ihrer Form druckt sie das Wesen des Absoluten auf eine absolute Weise ganz aus. Auf einem jeden Punkte ist also, wie im Ganzen, die Klarheit und Einheit des Absoluten ohne Gegensatz oder Widerstreit; die Dinge im Absoluten erkennen, heisst, sie als absolut erkennen. Schelling druckt dieses so aus: es sei im Absoluten keine Differenz des Subjektiven und Objektiven; in so fern aber zum Behuf der Selbsterkenntniss die Form dem Wesen als ein Erkennendes dem Er-

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kannten, ein Subjektives dem Objektiven, ideell, nicht reell entgegengesetzt wird, so entstehe keine qualitative, sondern nur eine quantitative Differenz des Subjektiven und Objektiven, so, dass dasselbe identische Subjekt-Objekt, in so fern es mit der Bestimmung der überwiegenden Subjektivität auf der einen Seite heraustritt, eben so und nothwendig mit überwiegender Objektivität auf der andern Seite heraustreten muss. In dieser Entgegensetzung ist aber auf einem jeden Punkte das ganze Subjekt-Objekt nur auf der einen Seite mit der überwiegenden Subjektivität, auf der andern Seite mit der überwiegenden Objektivität gesetzt, so dass der absolute Centralpunkt in zwei relative Indifferenzpunkte getrennt erscheint. Diese ideelle, für das Erkennen gesetzte Entgegensetzung fixirt, erscheint also dasselbe Identische auf einem jeden Punkte ganz, auf der einen Seite, als der ewige Leib, oder das körperliche Universum, oder Natur, nicht in so fern es sichtbar ist, sondern in so fern das Wesen der Form auf ewige Weise eingepflanzt ist, und nun das ganze Wesen unter der Bestimmung der Form sich darstellt, auf der andern Seite als ewiger Geist oder Geschichte, nicht in so fern diese unter den Zeitbedingungen abläuft, sondern in so fern sie das Aufnehmen der Form in das Wesen auf eine ewige Weise ausdruckt, und nun die ganze Form unter der Bestimmung des Wesens sich darstellt. Aber diese Bestimmungen sind blos ideell, und sind sie einmal relativ gesetzt, so erscheint das Absolute als die Indifferenz des Unendlich-Endlichen, des unter der Form gesetzten Wesens, – der Natur – und des Endlich-Unendlichen, der in das Wesen eingepflanzten Form, – der Geschichte. – !19" Die Geschichte sowohl als die Natur sind geschlossene Totalitäten; in beiden offenbart sich die ganze Totalität. – Daher zwei Wissenschaften als Hauptwissenschaften – nemlich Naturrecht und Physik. !20" Der Indifferenzpunkt zwischen Natur und Geschichte erkennt die Relativität beider in ihrer Absolutheit. Die Natur erhält ihre höchste Bedeutung im Erkennen, als eine innere Gewalt, die die äussere überwältigt (die Gewalt des Wesens über die Form). Die Geschichte erhält ihre tiefste Bedeutung im Naturzwange, als eine äussere Gewalt, die die innere überwältigt (die Gewalt der Form über das Wesen). !21" Die Geschichte ist das ewige Vorbild der Natur, die Natur das ewige Abbild und Gleichniss der Geschichte. – Die Natur bewahrt die Schönheit des Wesens in einer ewigen Form, – die Geschichte die Wahrheit der Form in ihrem unvergänglichen Wesen.

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!22" Die Natur hat in ihrer ewig schönen Form alle Wahrheit der Geschichte, die Geschichte in der Wahrheit ihres ewigen Wesens alle Schönheit der Natur. !23" Schauen wir die Natur aus dem absoluten Standpunkte, so ist sie bloss im Erkennen; schauen wir das Erkennen, so ist es bloss in der Natur. Die ewige Wahrheit ist da, wo die Natur keinen Schatten ins Erkennen wirft, das Erkennen keine Gewalt über die Natur ausübt, wo beide völlig unzertrennbar sind. !24" Die Geschichte ist die erkannte Natur, daher übt diese hier ihre Gewalt aus, und offenbart sich als das Recht der Natur – Naturrecht.

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!25" Die Natur ist ihr eignes Erkennen; daher kehrt sie durch das Erkennen (in der Geschichte) ihre Gewalt gegen sich selbst, und wird Naturwissenschaft – Physik. 5

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!26" Also erst nachdem wir die Natur zur Geschichte gehoben, die Geschichte in die Natur versenkt haben, erhalten wir das Erkennen in und für sich (das Erkennen ohne irgend einen Gegensatz vom Erkannten) d. h. Wahrheit. Aber diese ist in einer doppelten Richtung, in der Physik und in dem Naturrecht gleich möglich. !27" Die Natur repräsentirt im Gegensatz gegen die Geschichte das Endliche, Bestimmte, Nothwendige; die Geschichte, im Gegensatz gegen die Natur, das Unendliche, Unbestimmte, Freie. Aber bloss im Gegensatze sind beide relativ, in und für sich beide absolut. Die Natur ist das Unendlich-Endliche; das Endliche in ihr ist in der That unendlich, das Ewige die Identität beider. Das Nothwendige in ihr, durch das Aufnehmen im Erkennen, durch welches sie erst vollendet ist, wahrhaft frei, (dieses Erkennen – wohl verstanden – als ein zeitloses Erkennen, mit dem Seyn der Natur zugleich absolut gesetzt) gedacht; die Form, durch welche das Unendliche in das Endliche aufgenommen wird, ist der Raum, durch das Erkennen mit der Zeit identifisirt. !28" Die Geschichte ist das Endlich-Unendliche, doch so, dass das Unendliche in ihr in der That ein Endliches ist, das ewig Wahre die Identität beider. Das Freie in ihr wird durch den Naturzwang, durch welchen sie erst vollendet ist, nothwendig. Die Form, durch welche das Endliche in das Unendliche aufgenommen wird, ist die Zeit, welche durch das absolute Erkennen mit dem Raume identifisirt wird. !29" Der Raum und die Zeit, das Nothwendige und das Freie, sind relative Formen, welche identisch werden, auf dem Standpunkte, wo Natur und Geschichte indifferent sind. !30" Aber die Natur und die Geschichte sind jede für sich; wenn sie ohne Gegensatz betrachtet werden, wiederum geschlossene Totalitäten, und die wahre Natur in der Natur, die wahre Geschichte in der Geschichte, die Identität beider relativen Formen, so dass Raum und Zeit, Nothwendigkeit und Freiheit in der Natur und der Geschichte eins, nicht bloss vereinigt sind. !31" Da die relative Entgegensetzung der Form und des Wesens nur eine ideelle Bestimmung ist, so ist sie selbst in die Form gesetzt, und in das Wesen nur in so fern, als dieses sich in die Form ausdruckt. Aber da die absolute Form dem absoluten Wesen schlechthin gleich ist, so verschwindet auch in jener die ideelle Bestimmung, auf eine solche Weise, dass das in den zwei relativen Indifferenzpunkten Getrennte in dem Centralpunkte des schlechthin Ewigen sich wiederum auflös’t. !32" Das, wodurch eine relative Differenz des Wesens und der Form in Rücksicht auf das Ganze gesetzt wird, nennen wir die bestimmte Potenz, und sie druckt sich durch den Grad des Ueberwiegens der Subjektivität oder der Objektivität aus.

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!33" Aber, wie ein so bestimmt, in einem relativen Differenzverhältniss der überwiegenden Subjektivität oder Objektivität Gesetztes, in Rücksicht des Ganzen ein Relativ-Differentes ist, so ist es für sich doch das ganze Subjekt-Objekt; in seiner Form mit dem untheilbaren Wesen als Eins, also ewig gesetzt. Das, wodurch die Potenz als dem ewigen Wesen gleich gesetzt wird, nennen wir Idee. !34" Die Philosophie ist die Wissenschaft der Ideen.

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9. Johann Wilhelm Ritter

!Aus den Fragmenten aus dem Nachlasse eines jungen Physikers"

I. 1. Möchten wohl alle Körper ohne Wärme, möchte alle Materie ohne Wärme, vielleicht gar keine Verwandtschaft mehr unter einander haben? – Aber ohne Wärme möchte auch wohl gar keine verschiedene Materie, und keine überhaupt mehr statt finden! –

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2. Sind die Körper vom größten specifischen Gewicht auch die von der stärksten Cohärenz oder Cohäsion? – Man muß nie Zähigkeit mit Starrheit und Sprödigkeit verwechseln. – 3. Zusammenhang, Cohäsion, muß sich nothwendig verhalten, wie chemische Verwandtschaft und Bindung der Theile des Körpers, oder bestimmter, umgekehrt, wie seine Zerlegbarkeit. Es ergab sich überhaupt schon aus der Erfahrung, daß sich mechanische Anziehung verhalte, wie Zusammenhang, und dieser wieder wie chemische Anziehung. 4. Ist Eisen dasjenige Metall, aus dem alle übrigen entstehen, entstanden sind? – Was noch Bestandtheile, oder einen, enthält und hält, den die übrigen Metalle, nachdem sie aus ihm entstanden sind, nicht mehr halten? – Was noch einen Bestandtheil frey enthält, der jene gebunden enthalten? – 5. Sind vielleicht Licht, Wärme, Electricität, Galvanismus, Magnetismus u. s. w., sämmtlich Dinge, Materien, die nur nicht gegen den Mittelpunkt der Erde angezogen werden? – Könnte ein endliches Product aus ihnen eben so gut entstehen durch abgeändertes Kraftverhältniß, als bey der sogenannt positiv schweren Materie? – Dieser Gedanke verdient Aufmerksamkeit! – Vielleicht ist diese feinere Materie so gegen die positiv schwere angezogen oder schwer, wie letztere dann gegen den Mittelpunkt der Erde. Etwa so wären leuchtende, wärmende etc., Körper alle in Vergleich zu setzen mit dem Weltsystem. Z. B. ein Stein wird nicht (vorherrschend) gegen den Mittelpunkt der Sonne gezogen, wohl aber gegen den Mittelpunkt der Erde. Und doch ist der Stein so gut Materie, als die ganze Erde. So könnte wohl auch eine Materie gegen diesen Stein

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Anziehung, Schwere, haben, nicht aber gegen die Erde. Uebrigens bemerken wir bey solchen partiellen Anziehungen eben die Gesetze, die Newton an der allgemeinen Schwere beobachtet hat. Und ohne solche partielle Anziehungen würde gewiß wohl keine chemische Verwandtschaft statt finden, keine chemische Verbindung. – 6. Wenn überall ursprüngliche Bewegung (dynamische, chemische) mitgetheilte (mechanische) zur Folge hat, und folglich auch bey Auflösungen, Zersetzungen u. s. w., wenn ferner dabey der Fall eintritt, daß der flüßige Körper in den festen Zustand übergeht, so muß diese mitgetheilte Bewegung ihm nothwendig eine bestimmte Richtung geben, und dies ist das ganze Geheimniß der Krystallisation. Durch Abkühlung einer Salzauflösung z. B., wo Wärme entweicht, entsteht Krystallisation; hier muß dynamische Bewegung statt haben, dies ist ausgemacht, – aber auch mitgetheilte mechanische; und diese ist es, die dem Krystall seine Form bestimmt. Alle Niederschläge, selbst die schnell geschehenden, müssen eine bestimmte Form haben, und haben sie, wenn immerhin zuweilen auch nur fast im unendlich Kleinen. – Vielleicht aber giebt es auch Umstände, wo die mitgetheilte Bewegung von allen Seiten her kommt, so daß der Niederschlag nicht bestimmt eckigt geformt, sondern mehr ohne Figur erscheint; sind dann seine Theile vielleicht rund? – Deckt etwa hier sich das Entstehen der Kügelchen in der Organisation auf? – Sie müssen eine sehr feste Bindung haben, da sie feuerbeständig sind. Aber entstand auf ähnliche Art der Erdball und jeder runde Körper? – 7. Erscheinen Niederschläge dann als Pulver ohne Krystallform, wenn ihr Thätigkeitswinkel bey der chemischen Zersetzung über 90° war? –

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8. Möchte wohl von zwey Stahlfedern, von denen die eine krumm gespannt ist, und die bey gleichen Temperaturen gleichem Wasser ausgesetzt sind, die gespannte eher rosten? – Wenn durch geschwächten mechanischen Zusammenhang auch der chemische geschwächt wird, so möchte wohl die stärkere Zersetzung auf der gespannten Seite erfolgen. –

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9. Läßt sich wohl durch die Geschichte nachweisen, daß die chemischen Verwandschaftsfälle vor Zeiten anders, als jetzt, gewesen seyn mögen? – Schon aus damals anderer Temperatur muß dies folgen. Und so kann Metall einst in organischen Wesen enthalten gewesen, ja selbst ein solches gewesen seyn. –

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10. Ist es nicht merkwürdig, wie das Wasser getrocknete thierische und vegetabilische Theile, die einen so festen mechanischen Zusammenhang haben, erweicht, ohne doch sie aufzulösen, so, daß sie neu einen weit schwächeren haben? – wirkt es hier blos durch mechanische Adhäsion, und ist diese im Stande, den innern Zusammenhang verhältnißmäßig aufzuhellen? – Wie wirkt Wasser beym Weichkochen so mancher Substanzen? – Ist es die Wärme, die den Zusammenhang aufhebt, und das Reiben beym Kochen? – Warum wirkt dies letztere (das Kochen) vorzüglich so schnell? 11. Fällt ein fester Körper von bestimmter Größe in verschiedenen, chemisch verschiedenen, Flüßigkeiten, die aber einerley specifisches Gewicht haben, mit

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verschiedener Schnelligkeit nieder, und steht dieser Unterschied mit der chemischen Anziehung dieser Flüßigkeit zum festen Körper im Verhältniß? – 12. Sollte das Zusammenvorkommen von Gyps und Steinkohlen wohl darauf deuten, daß einst hier die Kohlensäure oder kohlensaure Kalkerde durch Schwefel auf ähnliche Art zersetzt worden sey, wie wir jetzt die kohlensaure Kalkerde durch Phosphor zersetzen? – Deutet nicht selbst der Schwefelgehalt der Steinkohlen auf diese Erklärungsart? – Gäbe wohl Holz, Schwefel und reine Kalkerde, oder auch Kohlensäure, etwas künstlichen Steinkohlen Aehnliches? – 13. Ein rein dynamisches System wird gar nicht nach Stoffen .... fragen dürfen; alle Chemie und Physik wird blos Bewegungsgrößen zu messen haben. Denn was sind chemische Zerlegungen und dgl. anders, als Bewegungen? – 14. Könnte man nicht auch einmal die ziemlich chemisch reinen Stoffe so schmecken, daß man die ähnlichen Geschmäcke unter allgemeine Begriffe und Reihen brächte, damit man sähe welche Uebereinstimmung zwischen Geschmack und den chemischen und physischen Qualitäten der Körper statt fände? – Eben so sollte man es einmal mit dem Geruch machen; auf ähnliche Art mit dem Gefühl, dann mit dem Gesicht (Glanz, Farbe, u.s.w.) Alles verspricht bestimmte Ordnungen, die man dann wieder unter einander vergleichen kann. – Sollte nicht auch ein gewisser Antagonismus zwischen den Sinnen statt finden, so daß das, was den einen am stärksten afficirte, den andern am schwächsten afficirte, und umgekehrt? – 15. Wir sagen: die Kraft der Anziehung sey überall der Quantität der Materie proportional. Aber was ist denn Quantität der Materie? – Nach was bestimmen wir sie? – nach der Schwere? – Aber was ist Schwere selbst, als Resultat der Anziehungskraft? – Also: die Kraft der allgemeinen Anziehung ist überall proportional der Quantität von Materie, heißt eigentlich: die Kraft der Anziehung ist überall der Kraft der Anziehung gleich. Dies aber ist ein Zirkel, und nichts ist erklärt. Wie können wir daher sagen: quantitative Anziehung? – Alle muß qualitative seyn. – 16. Entwickelt sich leichter Wasserstoffgas aus Eisenfeile, wenn sie mit Wasser übergossen, und das Ganze anhaltend electrisirt wird? – Geht jede Auflösung u.s.w. schneller von statten, wenn sie electrischen Atmosphären und Strömungen ausgesetzt wird? – Vielleicht, daß Electricität eben die Wirkung auf Abänderung der chemischen Verwandtschaftsgrade hat, wie Wärme, und dies ist höchst wahrscheinlich! – Galvanische Versuche in electrischen, dann magnetischen, Atmosphären, im starken Lichte und in der Finsterniß. – Zeigen sich Unterschiede bey der Electricitätsentwickelung, nachdem die Erregung im Sonnenlicht oder im Dunkeln geschieht? – Welchen Einfluß üben die beyden letztern auf den Magnet? – Wirkt der Magnet verschieden durch Körper, die eben ihre Wärmecapacität beträchtlich geändert haben, z.B. durch Eis und Wasser? – Wirkt er durch thierische Organe mit einer gewissen Leichtigkeit, besonders durch menschliche, und durch welche von diesen, wenn ein Unterschied statt hat, am leichtesten? – und in welchem Zustande, in dem der höchsten Erregbarkeit oder dem der tiefsten Unerregbarkeit am stärksten? –

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17. Ein warmer Körper muß für eine ganz andere Materie angesehen werden, als ein kalter desselben Namens, nur mit dem Unterschied, daß er mit der Erkaltung wieder in den vorigen Zustand zurückkommen kann. Ein Metall nennt man eine andere Materie, als ein anderes, aber sie zeigen ja eben die verschiedne Verhältnisse, wie zwey ungleich warme Körper gleichen Namens. Man sieht, wie fehlerhaft der Begriff von Stoff in der Chemie bisher war. Warmes und kaltes Wasser z.B. sind ganz eigentlich verschiedene Stoffe; sie wirken ganz verschieden, und oft kann hier größere Heterogeneität statt finden, als bey von uns für wirklich heterogen erklärten Stoffen. – 18. Giebt Wasser von 32° Fahrenheit mehr oder weniger Tropfen, als Wasser von 40° Fahr.? – Wahrscheinlich schon mehr; wie dann von 3 zu 5° weiter? – Wie Oel, wie Weingeist? – (Auf Veranlassung Lichtenberg’s bey de Luc.) 19. Giebt eine bestimmte Menge Wasser im luftleeren Raum mehr oder weniger Tropfen, als im luftvollen, und, wie sich versteht, bey einer und derselben Temperatur? – 20. Der specifisch leichteste Körper hat die stärkste Verwandschaft zum Sauerstoff, der specifisch schwerste die geringste! (Wasserstoff und Platina). –

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21. Ist das ganze Phänomen der Cohärenz (Adhäsion) nicht dem partiellen dynamischen Proceß, dem electrischen, zu verdanken? – Möchten wohl diejenigen Körper die stärkste Electricität mit einander geben, die am stärksten mit einander cohäriren? – Geben nicht diejenigen die stärkste Electricität mit einander, die sich am nächsten chemisch verwandt sind? – Und cohäriren nicht auch diejenigen am stärksten zusammen, die die stärkste chemische Verwandschaft zu einander haben? – Und so gehen Cohärenz und chemische Bindung in Eins zusammen, jene ist Folge des partiellen, diese Folge des totalen dynamischen Processes. – 22. Wie würde sich wohl die Stärke der Cohärenz und ihrer Modificationen verhalten, wenn unsere Körper entweder in gerader Linie oder in geschlossenen Ketten mit einander cohärirten, und diese dann ferner eben so mannichfach abwechselten, wie galvanische Ketten? –

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23. Materie ohne Schwere muß diejenige seyn, die ihrem dynamischen Verhältniß nach von den andern gar nicht mehr verschieden ist, wo also auch kein Thätigkeitsmoment etc. bestimmt ist. Diese Materie aber ist das Resultat der Schwere selbst. Durch Schwere ist Alles geeint, eine homogene Materie geworden, die nun selbst nicht mehr schwer seyn kann, denn sie ist mit sich selbst eins. Thetische Einheit. Feuer, Licht, die Naturbande, Electricität, u.s.w. So nothwendig also, alles schwere Materie giebt, muß es auch nicht schwere geben, und umgekehrt. Jede Materie, in Bezug auf sich selbst, ist nicht schwer, nur in Bezug auf andere. Unsere Erde als Totum z.B. ist gegen sich nicht schwer, sondern gegen die Sonne etc. Diese mit ihrem System nicht gegen sich, sondern ein höheres System, u.s.w. Lauter Bewußtseynseinheiten, überfließend in höhere. 24. Feste Körper haben einen positiven, tropfbar flüßige keinen, und elastisch flüßige einen negativen Schwerpunkt. –

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25. Kann man sich einer Reihe elastischer Kugeln, von denen die folgende immer noch einmal so klein ist, als die vorige, zum Schnellschießen bedienen? – 26. Beweis für die absolute Polarität in der Natur. Die Natur ist ein Handeln, und nur insofern ist sie Natur. Handeln erfordert aber ein Mannichfaltiges, denn nur dadurch wird ein Handeln, und mit dem Mannichfaltigen fällt auch das Handeln weg. Jedes Handeln also setzt Differenz voraus. Diese aber ist Gegensatz, Polarität. Und da Natur nur ist, wo Handeln ist, so muß deshalb auch überall Polarität seyn. – 27. Wenn der Sauerstoff, wie ich schon längst vermuthete, selbst schon ein Oxyd eines Oxydirbaren ist, hat dann dies Oxydirbare in ihm gar keine specifische Schwere, sondern gehört zum dynamischen Mittelverhältniß der Erde selbst? – So nähme zugleich dieses Oxydirbare unter allen möglichen verbrennlichen Körpern die größte Menge Sauerstoff auf, – welches es auch als der specifisch leichteste schon thun müßte. Und dieses Oxyd wäre nur erst Oxyd für alle übrigen verbrennlichen Körper, und in jeder Verbrennung doppelte Wahlverwandtschaft. – 28. Es ist merkwürdig, daß beym electrischen Proceß derjenige Theil der Raumerfüllungen, dessen größte Gravitation gegen den Mittelpunkt der Erde gerichtet ist, oder der für uns ponderable Theil derselben, als Residuum übrig bleibt, indeß die eine höhere Ponderabilität habenden Theile des Körpers den dynamischen Proceß beginnen. Vielleicht sind dieses die zunächst gegen die Sonne schweren Theile des Körpers. Und vielleicht einen sich beym Magnetismus die gegen den Centralkörper (gegen den die Sonne wieder gravitirt) schweren Theile der Raumerfüllung. – Die Natur dieser Residuen ist für den Physiker höchst interessant. – Ist beym Lichtbrechen und Farbenentstehen auch ein solches Verhältniß, und verhält sich letzteres zum ersten, wie magnetischer zum electrischen Proceß? – Sind zwischen Flüßig und Fest, Dampf und Luft, Flüßigkeit und Dampf etc., ähnliche Verhältnisse? – 29. Schon längst mußte ich glauben, daß beym Dianenbaum das Silber nicht da niedergeschlagen werde, wo das Kupfer sey, sondern da, wo es fortwüchse. Heute, den 11.Jul. 1798., fiel mir ein, ob wohl ein Tropfen Oel z.B., der mit einem Tropfen Silberauflösung gränzt, das Fortschießen des Baumes hemmen möchte? – Er that es wirklich. Rings um den Tropfen Oel schoß Silber an, nie aber hinein, obschon derselbe dem präcipitirenden Kupfer weit näher war, als die übrige Silberauflösung. Weingeist hemmte ebenfalls, so auch Wasser, selbst in den dünnsten Schichten. – Uebrigens schien es, als ob die Silbervegetation erst dann weiter schöße, wenn sich kein Silber in der die Dendriten umgebenden Flüssigkeit oder Auflösung mehr vorfände; nirgends wurde durch neues Messing, Kupfer u.s.w. mehr niedergeschlagen, wo das alte schon niedergeschlagen hatte. – Salzsaures Zinn mit Zink, essigsaures Bley mit Zink, gaben durchgängig dieselben Phänomene. – Worin besteht nun aber hier das Wie des Niederschlagens? – Offenbar ist hier Wirkung in die Ferne. Ist dies bey jeder Präcipitation der Fall? – z.B. bey Niederschlagung des Sauerstoffs aus der Atmosphäre, u.s.w. Ist es ein allgemeines Präcipitationsgesetz? – So könnte ein Tropfen Silberauflösung mit einer

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Stecknadelspitze einst noch zu dem nämlichen Ruhme gelangen, als Newton’s ,Apfel‘ für die Gravitationsgesetze. – Ist Vertheilung bey der Electricität dasselbe, was hier Wirkung in die Ferne beym chemischen Proceß? – 5

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30. Merkwürdig ist es, daß nur Electricitätsleiter bey ihren Niederschlagungen Dendriten geben, – Metalle nämlich, und das die Electricität auch leitende Braunsteinoxyd. Alle Dendriten schießen wahrscheinlich nach einerley Gesetz an. Leiten die Braunsteindentriten auf Kalk u.s.w. nicht? – 31. Möchten wohl auch eine Menge physiologischer Erscheinungen sich mit meiner Entdeckung über Metallpräcipitationen verähnlichen? – Kann man schwitzen, ohne daß der Schweiß durch Röhren austrete, absorbiren, ohne daß es durch Röhren geschieht? – Gehört schon die Propagation des venerischen Gifts und anderer hierher? – Ferner: von Marum’s Oxydation der Metalle in Irrespirabilien? – So manche Erscheinungen in der Pflanzenphysiologie? – Ferner das bekannte Phänomen der Verähnlichung, z. B. daß Milch in den Brüsten entsteht aus dem und dem, Knochenmasse in der Nähe von Knochen u. s. w.? – Auch können eine Menge äußerlicher Mittel so wirken, daß sie, durch Leitung, innerlich Veränderungen hervorbringen. Der Assimilationsproceß scheint sehr zu gewinnen, wo immer Homogenes sich an Homogenes ansetzt. – Die Reproduction bey Thieren. – Das Fortwachsen der Metalle in Bergwerken. – Auch Salzkrystallisationen scheinen eine Art ähnlicher Präcipitationen zu seyn. – Wachsen zerbrochene Ramificationen von Metallbäumen noch fort? – gewiß nicht! – Sind die Veränderungen, welche das Licht hervorbringt, nachdem es durchsichtige Medien durchgangen ist, ähnlicher Art? – Ist so das Entstehen der Wärme durch dasselbe gleichsam ein Anschießen derselben? – Reducirt sich darauf alles Sehen, – Riechen, – Schmecken u. s. w.? – So wäre wahrscheinlich ein Körper, der dieser Wirkung Durchgang verstattete, durchsichtig für sie? – durchdringlich, nach meiner neuen Construction des Begriffs der Durchdringung. – So ist gleichsam die Silberauflösung im obigen Versuche das Gehirn, das krystallisirte metallische Silber der Nerve, durchsichtig für die Einwirkung, und das Anschießen des neuen Silbers eine Idee, – gewirkt auf ähnliche Art, als die unseren. – Kann man wohl Brennspiegel für Electricität erfinden? – Reflexion innerhalb Metallebenen? – – durch Spiegel? – Der Electricität ist wahrscheinlich das Glas z. B. das nämliche, was dem Licht das Metall am oder als Spiegel ist, und der Electricität das Metall das, was dem Licht das Glas. – So ist die ganze Welt sich Auge, überall Retina und Lichtstrahl. Alles wird gesehen, gewußt. Wer faßt es? – 32. Sollte wohl vieles Gold bey der Bildung der Erde durch die Centrifugalkraft, welcher zu Folge das specifisch Schwerste sich am meisten vom Mittelpunkt der Erde entfernen mußte, unter die Gegend des Aequators gekommen seyn? – Wirklich findet man auch in den nördlichen Gegenden die specifisch leichtesten Metalle. Vielleicht war es im Anfang blos nach seiner größern oder geringern specifischen Schwere an seinen Ort gekommen, und so wäre es nicht unwahrscheinlich, daß die sich jetzt an diesen Orten findenden specifisch leichteren Körper sich erst durch nachfolgende Zersetzungen aus jenen schwereren gebildet hätten. So

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könnte man vielleicht aus dem, was sich jetzt findet, zurück schließen auf das, was sich anfangs da fand, damit auf die Bestandtheile der sehr specifisch schweren Körper, u.s.w. – 33. Da wahrscheinlich auch die Kochsalzmasse des Meers durch Wahlzersetzung ihren Ursprung bekam, so müssen die andern, den Fall completirenden Glieder ebenfalls noch gegenwärtig seyn, und zwar in der zu dieser Menge Kochsalz gehörigen Menge. Welches sind sie? – Und welches sind ferner die zersetzenden Potenzen zu diesen secundären Körpern u.s.f.? – Auf solchem Wege müßte man sicher zuletzt auf ein Radical-Proportionalsystem über die absoluten Quanta der verschiedenen Qualitäten (Körper, Materien), und ihrer Verhältnisse zu einander, kommen. Man muß hier große Rücksicht nehmen auf die so häufig vorkommende Kieselerde, die minder häufig vorkommende Thonerde, Kalkerde u.s.w. Welches waren hierzu die zersetzenden Potenzen? – 34. Bey den Metallkalken ist es allgemeiner Grundsatz, daß sie schwerer schmelzbar sind, als die Metalle, aus denen sie entstanden. Gilt die schwerere Schmelzbarkeit des Oxyds bey allen verbrennlichen Körpern? – 35. Nicht blos in dieser oder jener bestimmten Temperatur äußern sich die chemischen Verwandtschaften. In jeder thun sie es, und ihre Wirkung, wo es nicht zum wirklichen chemischen Proceß kommt, wird Magnetismus, Electricität u.s.w. –

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36. Schon der Ausdruck: Vereinigung (union chimique) zeigt an, daß man den chemischen Proceß schon längst sehr bestimmt definirte. – 37. Bey Bestimmung einer neuen Maaß- und Gewichtseinheit wird immer das Wasser den Kubus bilden müssen, dessen Seite das Maaß u.s.w., giebt. Es besitzt Eigenschaften, die jedem andern Körper mangeln. Es hat unter allen Körpern allein bey den Ausdehnungen und Zusammenziehungen, kurz den Umfangsänderungen, ein Minimum der Ausdehnung, nemlich bey 40° Fahrenheit. Kein Barometerstand kann Einfluß darauf haben, da es fast gar keine Kompressibilität besitzt. Es ist allenthalben zu haben, und die Destillation desselben ist eine der einfachsten Arbeiten. – 38. Man sieht so oft bey chemischen Processen die Ziehkraft des einen Körpers A auf den andern Körper B die Bindung dieses B mit einem dritten C bewirken, z.B. bey der Phosphore, den Schwefelalkalien u.s.w. – Sollte jeder chemische Prozeß, wenigstens der der Oxydation und Desoxydation, auf ähnliche Art bewirkt werden. –

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39. Es ist äußerst merkwürdig, daß der luftleere Raum die Electricität isolirt, aber den Magnetismus nicht. – Auch die Schwere wirket im luftleeren Raume noch fort, und der Magnetismus ist die einzige bekannte Kraft, welche den Schwerpunkt verrückt. Wie sehr verrathen auch hier beyde ihren Bezug auf einander! – 40. Wenn es nach ,Das Oel, ein Mittel, die Wogen des Meeres zu besänftigen, von J.F.W.Otto.‘, richtig ist, was in den allg.geogr.Ephemeriden 1798. II, 524. daraus steht, daß nämlich das Wasser zur Luft Verwandtschaft äußere, und des-

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halb diese jenes mit sich fortreiße, was beym Oel wegfalle, so müßte wohl ein Luftstrom von gleicher mechanischer Stärke zwar, aber anderer Luft, auch anders wirken, wenn man ihn über Wasser gehen läßt. Wie also Ströme von Kohlensaurem, von Stickgas, Sauerstoffgas, Wasserstoffgas u.s.w.? Wie einerley Luftstrom auf verschiedene Flüßigkeiten, und werden die Wirkungen immer blos sich wie die mechanischen Verhältnisse verhalten, oder tritt noch ein verschiedenes dynamisches dabey hervor? – Auch feste Körper, die auf Wasser hinrollen, müssen Wirkungen hervorbringen, die noch etwas Dynamisches, Chemisches zu ihrer völligen Erklärung erfordern. Eben so, wenn tropfbare Flüßigkeiten sich über tropfbaren bewegen. Selbst wenn feste Körper auf festen sich bewegen, muß die chemische Ziehkraft sich äußern. Eisenkugeln z.B. werden sicher ein wenig langsamer auf Sauerstoffhaltigen, als auf verbrennlichen Flächen, sich fortbewegen. Gehört schon Manches, womit man Axen und Pfannen bey Rädern u.s.w. glättet, zur Hebung dieser Widerstände? – 41. Es ist bekannt, daß die Stärke der Cohäsion einer Metallplatte .... an Wasser, Weingeist, u. so w., nicht sowohl von der Adhäsion des Metalls .... am Wasser ...., als von der des Wassers unter sich, herkomme, da es ja das Wasser .... ist, welches reißt, und so, daß die Metallplatte naß bleibt; niemals trennt das Wasser .... sich vom Metall. Aber bey jedem andern aufliegenden Metall oder Körper überhaupt ist das zum Reißen nöthige Gewicht verschieden, und doch reißt allemal dasselbe Wasser ....! Hier muß also der aufliegende Körper durch die angränzende Wasserschicht auf die folgenden wirken, und die Cohäsion des Wassers modificiren. In welchem Verhältniß steht diese Wirkung bey verschiedenen Körpern zu ihrer dynamischen Beschaffenheit? – Wie bey einerley aufliegendem Körper zu derjenigen der verschiedenen Flüßigkeiten? – Es wäre die Frage, wie groß die Wirkung der aufliegenden Platte auf die Theile der Flüßigkeit in verschiedenen Entfernungen von ihr sey? – Dies müßte sich finden lassen, wenn man die Adhäsion einer und derselben Metallplatte auf einer Flüßigkeit erprobte, welche mit verschiedenen Höhen über einer andere Wirkung äußernden Platte, Schüssel u.s.w. stände. Sollte auch wohl ein Unterschied statt finden, wenn eine feste Platte auf einer Flüßigkeit ist, die wiederum auf einer andern Flüßigkeit steht? – Sollten ferner Processe vorgehen können, bey denen ein verbrennlicher Körper, z.B. Phosphor, das Wasser zersetzte in einer Gegend desselben, die in gewissen Verhältnissen steht zu dem Metall ...., während diese Zersetzung in einem anderen Theil desselben nicht statt fände? – Welche Körper vermindern die Cohäsion des Wassers ...., Welche vermehren sie? – Die sie vermindernden vermindern wieder die chemische Bindung der Bestandtheile des Wassers, und erleichtern dadurch seine Zersetzbarkeit, diejenigen, die sie vermehren, erschweren seine Zersetzbarkeit. Wie verhält es sich, wenn Sphären in einander wirken, die entweder beyde schwächen, oder beyde verstärken, oder von denen die eine schwächt, die andere verstärkt? – Dies alles muß partieller dynamischer Proceß seyn. Giebt es hier wohl Fälle, wo Flüßigkeiten besondere Leiter oder Nichtleiter dieses Processes sind? – Hängt dies dann mit der electrischen Leitung oder Isolation dieser Flüßigkeiten zusammen? –

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42. Kann sich wohl die Sphäre eines von uns angestellten Versuchs sehr oft zu der eigentlichen Sphäre desselben verhalten, wie die Gegend um die Spitze des fortwachsenden Silberdendriten bey der Metallpräcipitation zum ganzen Proceß? – Mögen wir also häufig Glieder weglassen? – Gewiß sind wir fast bey jedem Versuch in diesem Fall, denn die ganze Natur construirt das Experiment, nicht blos die enge Sphäre, die wir ihm zumuthen. – Stoff ist dem Chemiker das Unbekannte, was sich zum Resultat verhält, wie die Kupferstange zum Silberdendrit. Hat er den Versuch ganz aufgefaßt, so weiß er nichts mehr von Stoff. – 43. Wenn zwey Heterogene in Eines übergehen, so gehen die zwey Ich’s derselben in Eines über. Der Grad der Einung ist die Intensität der neuen Ichheit, ihre Cohäsion. 44. Giebt es wohl aus den großen Schmelzungsprocessen auf und in der Erde her noch ähnliche Massen, wie die Glaskügelchen, die lacrymae batavae im Kleinen sind? – Was geschieht, wenn sie zerspringen? – Gehört dahin wohl z.B. die Erscheinung von dem Springen des Gebürges um Ternate bey de Loys (s. dessen chronol. Geschichte der Naturlehre. B.II. S.262. 263)? – Selbst Weltkörper könnten auf ähnliche Art springen und brechen. – 45. Aller künstliche Glanz und Politur sind eigentlich bloßer Trug, da hier Unebenheiten etc. im Auge eben nicht anders in einander verfließen, als die geschwungene glühende Kohle zum feurigen Kreiß. Daher ächter Glanz alle künstliche Politur so unendlich hinter sich zurückläßt, z.B. der Silberblick. – 46. Es muß ewig gleich mit chemischen, gleich mit electrischen, gleich mit magnetischen Proceß, u.s.w., in der Welt geben. In welchem Verhältniß steht dies Alles zu einander? – Es müßte Stücke aus dem Fundamentalsystem der allgemeinen Stochyometrie geben. –

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47. Wenn Körper schmelzen, so kommen sie erst zur Vernunft. Jetzt erst können sie einander begreiffen. So auch ists mit uns. Je ,wärmer‘ wir sind, desto mehr können wir verstehen, begreiffen, wir thauen auf. 48. Nach Wärme

= Expansivkraft, und Kälte

= Attractivkraft, kann

man die Beschränkung beyder, die Materie, bezeichnen mit

.–

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49. Findet sich wohl bey den verschiedenen Zerreißungen von Metallfäden .... ein Unterschied, je nachdem die Zerreißung horizontal oder perpendiculär geschieht? – Und rührt dieser Unterschied, sofern einer statt hat, von verschiedenen Einwirkungen des Erdmagnetismus her? – 50. Kann aus der magnetischen Anziehbarkeit des Diamants ein neues Argument für seine Metalleität genommen werden? – Bis jetzt traf der Magnetismus nur das Metallische merklich. – 51. Alle Stoffe auf Erden scheinen zerlegtes Eisen zu seyn. Eisen ist der Kern der Erde, ,der sichtbare Quellgeist der Erde‘ (Jac.Böhme). Auch ist es ein Oxyd; es

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wird zerlegt in reinen Brennstoff und in reinen Sauerstoff, und in alle Mittelglieder dazwischen. Es ist der dynamische Aequator der Erde, unter ihm steht die Sonne des Magnetismus senkrecht. – Alle Stoffe auf Erden zusammen genommen, müßten zum Product Eisen geben müssen. Dieses ideale Eisen herzustellen, ist die Tendenz aller chemischen Action. Denn das dynamische Mittel der Erde muß sich immer wieder neu herstellen, der Repräsentant desselben aber ist das Eisen. Aller chemische Proceß auf Erden ist Regenerationsproceß der Erde; dieses drückt sich zuerst aus in der beständigen Regeneration der Schwere, und diese ist nur das Phänomen dieses Processes; so müssen sich alle Processe in Schwere auflösen. – Das Eisen im Blut und in organischen Substanzen überhaupt, sollte es nicht wirklich schon aus dem idealen Eisen, was überall construirt wird, blos niederfallen? – 52. Unter dem magnetischen Aequator muß das Eisen noch ganz seyn. – Darum ist hier der chemische Proceß, d.i. die Zerlegung der Erde, noch am vollkommensten im Gange. Nach den Polen hin wird die Erde immer einseitiger, halber, und darum der chemische Proceß gehinderter. Um den Aequator wird das Eisen mehr noch im idealen Zustande erhalten, um die Pole wirds schon mehr niedergeschlagen, weshalb in diesen Gegenden es häufiger ist. – Der Mensch steht unter dem organischen Aequator der Erde; alle übrigen Thiere etc. gehen nach den beyden Polen zu. – Je vollkommener die Organisation, desto weniger wird Eisen aus dem Idealen niedergeschlagen, je unvollkommener desto mehr. Mensch ...... Conchylien. Schon Buchholz fand im Menschenschädel das wenigste Berlinerblau. – 53. Ein gutes Beyspiel einer potenzirten Naturkraft geben das + und – E an der Leidner Flasche; sie binden einander, halten sich latent, scheinen Null, und doch sind sie keine. Erst mit der Entladung kommt Null zu Stande.

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54. Werden Hohlspiegel die Ausflüsse riechender Substanzen concentriren? – Convexspiegel sie verbreiten, schwächen? – 55. (1800) Zu einer Untersuchung über die chemischen Imponderabilien muß ganz Lavoisier’s Weg eingeschlagen werden. Was er durch Gewichts-Ab- und Zunahme entschied, muß hier durch Bemerkung der Ab- und Zunahme anderer Kraftäußerungen ausgemacht werden. Was für Lavoisier Oxydation war, muß hier Wärmeerzeugung seyn. Licht ist hier, was dort Sauerstoff war; die Wärme ist die Säure, das Oxyd. Das Oxydirbare im Körper aber ist ziemlich gleich dem Phlogiston. Von Wärmeerzeugung und Zerlegung muß ausgegangen, und dieselbe nach allen Rücksichten betrachtet werden. – 56. Pflanzen und Thiere laufen um den Menschen, wie Planeten und Monden um die Sonne. Alles lebt nur durch und für den Menschen, er ist die Centralsonne des Organismus auf Erden. – 57. Man sollte das Wasser durchaus für eine Säure ansehen, und von Hydraten sprechen. (Hydrates de potasse, de soude, de chaux, etc), Was sind Hydrites? – Mittelsalze mit Krystallisationswasser wären dreyfache Salze. – 58. Das System des Oxydationsprocesses muß das System der Chemie seyn. Es müßte sehr überraschend seyn, durch eine vollendete Darstellung aller Oxydationsprocesse die Chemie zu erschöpfen. –

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59. Wie wichtig wäre eine Scale der Schmelzgrade durch alle Körper hindurch! – Giebt es permanente Festigkeiten, wie es permanente elastische Flüßigkeiten giebt? – Giebt es gas- und dampfartige Festigkeiten, und welche sind es? – 60. Ist Wasser die ponderable Grundlage aller Erdmaterie, so sind alle Luftarten nichts als Dunst, und alle festen Körper nichts als so und so modificirtes – gefärbtes – Eis. Bey den unmetallischen Electricitäts-Isolatoren .... ist die Färbung innerlich, bey den metallischen äußerlich. Gegensatz. Merkwürdigkeit desselben. – 61. Merkwürdig ist die Metallfarbensteigerung nach den beyden Seiten des Eisens hin. Nach dem Gold zu röthlich und roth, nach dem Zink zu bläulich und blau. Es ist versteckt, aber doch deutlich. –

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62. Ist es allgemeines Gesetz, daß nur die Indifferenz leitet, die Pole aber isoliren? – So ist es sogar mit der Erde. Unter dem Aequator ist alles weit lebendiger, weit geleiteter. Was ists, das der Erdäquator leitet, und die Pole nicht? – 63. Es giebt auch flüßige Krystallen. Jeder Wasser-, Weingeisttropfen u.s.w., ist ein solcher, und das sind Kugeln. Also in jedem Zustand hat der Körper eine Gestalt, die positive Kugel im tropfbarflüßigen, die negative im luftartigflüßigen, die eckige oder gewöhnliche Krystallgestalt im festen Zustand. – 64. Alles, was ist, erhält sich organisch. Jeder Stein entsteht in jedem Augenblick neu, erzeugt sich ins Unendliche fort. Nur sterben die Eltern des Kindes sogleich immer wieder, und so sieht man das Individuum nicht zunehmen. Kann man die Vernichtung aufheben, so schließt sich das Neue an das fortbestehende Alte an, und nun hat wirkliche Fortpflanzung, Mehrung, statt. –

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65. Das Wasser ist die chemische Octave, ihre Töne die primären Stoffe, und ihre Verbindungen unter einander sind die Accorde. – 66. Schema: Wasserst.

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Alkali . . . . . Metalle . . . . . Säure

Sauerst.

Eisen.

Quecksilber.

Salz.

Wasser.

Die Oxydabilitäten, Affinitäten, verhalten sich wie die Abstände. – 67. Die Potenz des Eisens als Punkt muß eigentlich eine Sphäre geben. So auch die dritte und vierte Potenz desselben. Die Erde ist ein solches potenzirtes Eisen,

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darum ist sie rund. So alle Körper im Weltraum, denn sie sind Potenzen von etwas. Die Erde nach ihrer Organisation ist nichts, als die Organisation ihrer Potenzirung, – die Erde ist ihre eigene Gleichung. Sie ist das vollständige System der Chemie. Jede Chemie muß sich in die Erde mit allem, was in und auf ihr ist, auflösen. So wird die Erdkunde erstaunlich wichtig. Man studirt die Erde, und hört auf, Chemie zu studiren, weil man nun überhaupt erst anfängt. Sonderbar wird es einst überraschen, wie das System der Erde das System der Chemie ist. – Jedes Sonnensystem ist ein höheres chemisches System; Planeten sind einzelne Stoffe in dieser Chemie. Ihre Verwandschaften, ihre Uebergänge. Trabanten sind abgeleitete Stoffe. Die Sonne ist das Eisen der Planeten. – Aber in jedem höheren System wiederholt sich das System der Erde. Selbst das Höchste ist doch nur System der Erde, – des Menschen! – 68. (1801.) Jedes große analysirende Werk müßte nach dem Schema der Erde und ihrer Potenzirung ausgeführt werden. –

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69. Das Potenzenschema der Erde ist auch das Potenzenschema der Vegetation und Animalisation. Es muß Potenzen-Thiere und Pflanzen geben, sind das die verschiedenen Klassen der Pflanzen und Thiere? – In jeder einzelnen Organisation muß es sich ebenfalls wiederfinden. Alle diese Schemata lösen sich auf in ein Potenzenschema der Electricität. –

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70. Um einen Stoff .... hervorzubringen, muß man den Gegensatz, die Geschlechter, gleichsam zurückversetzen in der Geschichte ihres Daseyns, und in jene Zeit, wo er, wo sie, im Laufe der Welt wirklich entsprangen. Es ist ein wahres Aufheben oder Zurückholen der Zeit. Dergleichen aber ist schon jedes organische Erzeugen. Hier kommt die Natur ewig auf die Zeit der Schöpfung zurück. Je höher sie ging, desto weiter muß sie zurück. So giebt es also zweyerley Processe überhaupt, 1) rückgehend, wiederholende; dies sind die organischen, 2) vorwärtsgehende, – und diese? –

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71. Alles organische Fortschreiten und Bilden der Erde ist hydrogeneer Art, eine Entwicklung, ein Ausbilden, ein Individualisiren des Hydrogens. So kommt es, daß alle Mannichfaltigkeit in das verbrennliche Prinzip, und alle Einheit in das Verbrennende, den Sauerstoff, fällt. Der Sauerstoff ist das irrdische, das Erde, das herbe, das verschließende Princip, der Wasserstoff dagegen das Princip der Freyheit. – Daß die Erde jetzt allgemein im Desoxygenationsproceß begriffen ist, zeigt sich auch aus der Verbrennlichkeit aller ihrer Mittelkörper. Das Eisen z.B. konnte einst nicht verbrennlich seyn, sondern wurde es erst nach und nach. Das Quecksilber ist es zwar wenig, aber doch auch; auch entstand es später. Neuer wieder ist das Kochsalz, dieses zeigt dafür seine Verbrennlichkeit nur erst noch in galvanischen und Lichtbrechungsversuchen. Endlich kommt das Wasser, das jüngste Verbrennliche. – 72. Ist Oxygen zuletzt wohl das Schwerste, Hydrogen das Leichteste von Erdmaterie? – Jenes das Schwere, dieses das Leichte par excellence? – 73. Dazu, daß das Eisen nach und nach erst verbrennlich wurde, wurde erfordert, daß es ein oxygenirter Körper sey, und noch heute ist es ein solcher. Alle künst-

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liche Oxygenation kann es nur bis zur Oxygenation des Eisens bringen, bis zur Oxygenation der Erd-Indifferenz, und zwar der jetzigen. Wenn der Wasserstoff derselbe bliebe, ließe sich behaupten, daß in 10000 Jahren weit weniger Sauerstoff nöthig seyn würde, um ihn zu Wasser zu machen, als jetzt. – 74. Bessere Zeichen als + und –, wären + und

; die Verbindung wäre

.–

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75. Eine neue Art von chemischem Proceß. Es ist der Fall, wo ein verbrennlicher Körper z.B., einem verbrannten den Sauerstoff durch bloße Adhäsionsverwandschaft entreißt, ihn aber nicht selbst bindet, sondern ihn gleichsam nur befreyt. Als wirkte hinterher der Proceß ihm selber über den Kopf. – 76. Es giebt eine Polarität des Raums. Es sind die entgegengesetzten Figuren und

, in der Verbindung

oder

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. Es giebt eine Polarität der Zeit.

Bey der Wasserzersetzung im Galvanismus u.s.w. kommt sie vor. Hydrogen ist Zukunft, Oxygen Vergangenheit. Wie sind ihre Zeichen, als was drucken sie sich aus? – Alle Gestaltung ist Polarität des Raums. Polarität der Zeit ist alle Qualitätspolarität. – 77. Wie eine Polarität der Oxydabilität, so giebt es auch eine Polarität der Oxydation. Die Pole sind hier Säure und Alkali, jene das mehr Oxydirte, dieses das minder Oxydirte; oxydirt aber muß es seyn, um eines oder das andere zu seyn. Das mittler Oxydirte ist neutral. Alles Oxydirbare läuft bey seiner Oxydation die ganze Scale vom Alkali bis zur Säure durch, und auch noch darüber hinaus. Oxydüte und Süroxyde werden oft gleichsam zu unsichtbaren Alkalien und Säuren, so wie das Prismabild zu beyden Seiten unsichtbare Farben hat. – Vermißt man bey der Oxydation eines Oxydirbaren während der ersten Oxydationsgrade das Alkali, so ist die Frage, ob dies Oxydirbare in seinem Innern nicht selbst schon bis zu diesem Range oxydirt sey, ja selbst noch weiter. So z.B. ist der noch sehr mit Sauerstoff zur Oxydation aufnehmende Stickstoff ausnehmend auf die Natur eines Alkali verdächtig, während die weniger Sauerstoff bedürfende Kohle, Phosphor und Schwefel sich in einer Menge Hinsichten schon wie halbe Säuren verhalten. Von hier aus lassen sich interessante Betrachtungen fortsetzen. – 78. Alles bildet eine große Scale: Atmosphäre – Pflanzenreich – Thierreich – todte Natur. Das Thierreich hat weniger Individuen, mehr das Pflanzenreich. Das Atmosphärenreich unendlich viele, aber sie sind flüßig, und machen Eins. Die todte Natur weniger als das Thierreich, aber sie sind fest, und machen so vielerley, als ihrer sind. Die Atmosphäre bildet dem Thierreich ganze Opposition, dem Pflanzenreich und der todten Natur aber nur halbe, der letztern vielleicht nur das Viertheil. –

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79. Kommt nicht im Thier auch wieder Pflanze und todte Natur vor? – Etwa: Thier = Nerv und Hirn, Pflanze = Muskel, todte Materie = Knochen, Schaale, Schuppen u.s.w. – 80. Wenn Azot Alkali, und Kohle Säure ist, so ist es schön, wie in der Atmosphäre gleich die Factoren von zwey Polaritäten da sind. (Stickstoff und Kohle,

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Wasserstoff und Sauerstoff.) Und da aus nicht mehreren, als diesen, oder durch nicht mehr, das Leben in der anorgischen, wie in der vegetabilischen, und in der animalischen Natur, bestimmt ist, so wird damit die Atmosphäre eingreifbar in Alles. Merkwürdig ist nach der Atmosphäre die Pflanze. Sie hat nur 3 dieser Stoffe, also nur 1 1/2 Polaritäten. (Wasserstoff und Sauerstoff, Kohle.) Hierdurch wird sie ganz vorzüglich eingreifbar ins Thier, als sollte sie blos darein eingreifen. Die Pflanzenwelt wird gleichsam zur besondern Atmosphäre der Thierwelt, und soll blos in den Stickstoff-Kohle-Dualismus eingreifen; die Atmosphäre greift schon in beyde ein. – 81. Metalle = Knochen einer alten Welt? – Vorrede zu der Organisation der neuen? – Zwischen todter und lebender Natur scheint doch ein scharfer Abschnitt zu seyn. – 82. Die Erden sind die Ahnen des jetzt Lebenden. Einst lebten sie, die eine nach der andern. Jetzt ruht ihr Leichnam, und Kinder spielen in den Blumen, die ihre Gräber schmücken. – 83. Newton verglich seinen Apfel mit dem Monde, und schloß von jenem auf diesen. Aber der Schluß läßt sich auch umkehren. Der Apfel ist eben so gut ein Trabant der Erde, als der Mond. Alles, was die Erde anzieht, ist Trabant, ist Mond, und die ganze Erde ist Trabant von sich selbst. Jedes Raumindividuum ist Weltkörper, die Erde .... übt nur so große Störung darauf aus, daß es ganz nicht weiter kann. Alles ist Weltkörper: Störung, – von derselben Art, wie, Erde und Mars, Saturn und Jupiter sich stören. Das System dieser Störungen ist das System chemischer .... Verwandtschaften. Alle Chemie ist Astronomie. Jeder dieser kleinen Planeten hat seine Atmosphäre oder Schwersphäre so gut, wie ein großer Weltkörper; – dies ist schon faktisch. – Alles stört sich. Schönste Störung: – Liebe. Blume, Frucht, Pflanze, Saamen, Kind, Jüngling, Mann und Frau: – Weltkörper, – sie stören sich. – 83.b) Manches Transitorische hat die Erde. Feuerkugeln – Sternschnuppen – Kometen: – bey größter Störung der Erde Eigenthum. Sie fallen herunter, sagen wir. Jeder Regentropfen ist eine Welt, der Thau ein wahrer Planetenseegen; die Luft ein ganzes gegossenes Meer von Weltkörpern. Alles zieht sich, das Homogene sogar, und selbst aus der Ferne. Licht = Selbstwahrnehmung dieses Processes in die Ferne. Doch sind ja immer die Körper einander gegenwärtig. Jeder Schwerpunkt ein organischer Keim. Wie die Erde lauter Weltkörper, Mond, u.s.w., so jedes Aggregat, jeder Stein, jedes Continuum, eine Masse von kleinen Planetchen. Der Schwerpunkt, ohne Sättigung mit Körpern, mit Massen, zu der er ohnehin nie ganz gelangt, ließe sich eine Monade nennen. Giebt es dergleichen selbst im größern Styl? – Sie könnten sogar wichtige Rollen spielen. Durch nichts zu erblikken, und doch da: – Weltgeister. – Im Vaccum z.B. bleibt dieser Weltgeist übrig. Wärme, Magnetismus u.s.w., sind Modificationen, die er erleidet und erleiden kann. Man sieht, es kann solche Vacuumsplaneten geben, und sie werden sich verhalten, wie die vollen. Aus jedem materiellen Planetenpartikelchen scheidet eine solche Weltmonade neuen Geist aus, indem sich der ihrige in ihm verfängt, und so

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bleibt immer Geist nach außen da. Doch ist noch auszumachen, wie weit dies fortgeht. – Die ganze Electricität scheint ein solcher Monadenartiger Planet zu seyn, – alle durchdringenden Kräfte. Alles, alles ist Planet. Eine Ansicht für Alles! – 84. Jeder Körper ist noch außer sich da. Eben so, wie der Magnet noch außer sich da ist. Jeder Körper ist kleiner Planet; (s.83.) Jeder Körper läßt sich eben so von aller Materie entblößt vorstellen; dann ist er bloße ,Monade.‘ Beym electrischen Proceß z.B. dürfen sich blos die Monaden der Körper berühren, denn sie sind die eigentlichen Körper. Hieher Volta’s Beobachtung, daß Körper schon bey bloßer Näherung sich gegenseitig erregen, electrisiren. Mag wohl alles + und – E, was erregt wird, nur auf dem Wachsthum dieser Monaden beruhen? – Das electrische System der Körper ist das System dieser Monaden, der Gegensatz darin ihr Gegensatz. Gewöhnlicher Weise sind alle dem allgemeinen Bindungsindifferenzgesetz der Erde unterworfen. Hierbey treten sie hervor, die negativen wie die positiven. Alle Körper sind versteinerte Electricitäten. Franklin schon sagte, man sollte denken, Glas bestünde aus weiter nichts, als Electricität. –

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X. 462. [1799] Eine Eisenstange, die senkrecht steht, erhält verschiedene magnetische Pole, warum nicht auch die Pflanze, das Thier, der Mensch? – 463. Sollte wohl das Todtscheinen mancher Thiere bey der Berührung, blos von mechanischer Reizung herrühren? – Sollte nicht vielmehr hier etwas dem thierischen Magnetismus Aehnliches vorgehen? – Sind alle Körper gleich gut zur Hervorbringung dieses Todtscheinens, oder thun es bloß Electricitätsleiter, und diese wieder bloß, wenn sie in menschlicher Berührung sind? – Kann ein zweytes, abgeändertes Berühren die Wiedererweckung bewirken? – 464. Wird beym Taufen das Taufwasser magnetisirt? – Auch das Becken ist gewöhnlich von Metall. – 465. Wenn schon die nächtlichen Handlungen der Fledermäuße nach Wienholt durch ihre Lebenssphäre so sehr unterstützt werden, warum sollte das nicht bey allen nächtlichen Raubthieren und Raubvögeln, und so vielen fast immer im Dunkeln thätigen Insekten und Würmern, der Fall seyn? – Wo kommt in Bergwerken, in Eingeweiden, das Tageslicht her? – Wo den Flöhen, den Wanzen, den Maden im Obst, den Holzwürmern, den Fischen in tiefem trübem Wasser und Schlamm u.s.w.? – Und endlich, kann man nicht auch allen Pflanzen eine solche Wirkungssphäre zuschreiben? – Ist schon ihr Geruch bloßer Ausdruck einer solchen Wirkungssphäre für uns? – Das Neigen der Staubfäden bey vielen nach dem Pistill? – Ihr Neigen nach dem Licht? –– Merkwürdig ist’s, daß bey den Klapperschlangen besonders das Auge das Organ ist, durch welches sich ihr Einfluß auf äußere Dinge verräth; gerade wie beym Sehen. Fixirung des geliebten Gegenstandes durch das Auge, als wären alle Verliebte Klapperschlangen, und alle Klapperschlangen Verliebte. Ueberdem haben beyde noch das gemein, daß beyde so ihren Fraß finden. –

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466. (1800.) Ist thierischer Magnetismus blos ein Spiel der Zeugungskräfte, so müssen sie, durch Batterien gesammelt, Wunder thun, z.B. wirklich befruchten, durch bloße Berührung. Giebts nicht schon in der Natur Befruchtung durch bloße Berührung? – Was ist überhaupt menschliche Berührung verschiedener Geschlechter zum Theil schon anderes? – 467. Ob wohl beym thierischen Magnetisiren Anziehen und Abstoßen zu bemerken ist. Der magnetisirende Arm ist doch gleichsam nur als der eine Pol zu betrachten. Dieser muß anziehen, Homogenes abstoßen. Thierische Polarität. –

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468. (1801.) Giebt es thierische magnetische Nadeln? – Wahrscheinlich geschieht beym thierischen Magnetismus so was, wie solche Nadeln machen. – 469. (1802.) Wenn am Tage das Thier durch Willkühr sich ergänzt, und dieses eben sein Leben ist, so muß in der Nacht die Ergänzung geschehen ohne Willkühr. Es ist eine andere Willkühr, nicht die meinige, welche hier eintritt. Die Nacht wirkt daher auf den Menschen, wie der Silberpol der Galvanischen Batterie: contrahirend. Im Tage, oder beym Nachlassen der Nacht, tritt die Expansion ohne Sättigung durch Willkühr hervor, und fordert diese. Es ist die Aufforderung zur That. Der Tag, das Leben, ist somit ein Trennungsphänomen, die Trennung aus der Nacht. So der Sommer das Trennungsphänomen des Winters; etc. – 470. Die Medicina magnetica (Vergl. z.B. Van Swieten’s Analogie etc. T.II. p.354–367) ist höchst interessant, und besonders ihre Principien nach Maxwell (l.c. p.366.) Sie beruft sich auf die Einheit des Lebens und ihr Bleiben bey aller möglichen Vertheilung des Körpers im Raum, so wie schon wir die Todten nicht verdorben glauben, wenn etwas von ihnen hier, das andere dort, verweßt. Es ist die rechte eigentliche Unsterblichkeit, die sie voraussetzt. Alles was gelebt hat, lebt noch, und wird ewig leben; alles, was noch leben wird, hat seit Ewigkeit gelebt. Wo die Theile im Raume sich befinden, thut nichts, und alle Körper bis zur schönsten Gestalt sind potentia überall da. Auf was führt nicht schon die nähere Betrachtung des Ernährens, des gewöhnlichen Medicinnehmens u.s.w.? – 471. Es ist schon eine Art von Hell-Sehen (Clairvoyance), daß wir unsern eignen Körper sehen. Wir selbst gehen weiter, als dieser Körper, und sind eigentlich das Universum selbst; indem wir sehen, sehen wir schon Theile unseres Innern. Im Somnambulismus wird unsere Anschauung mannichfacher, wir sehen das Innere unseres Körpers wieder als Aeußeres. Das Ideal ist, daß wir unsern Körper bis in seine kleinste und feinste Organisation und Structur erkennen und sehen. Wir bekommen gleichsam einen neuen Körper. Damit muß sich auch die äußere Welt erweitern; was an den Dingen Inneres, muß uns Aeußeres werden. Die Aussage einer guten Somnambüle muß jederzeit die Resultate einer guten Physik bestätigen. – 472. Das Merkwürdigste im thierischen Magnetismus ist die Anschauung der Zeit. Folge ist hier Nebeneinander. Im Erwachen wird das Nebeneinander wieder Folge. – 473. Im thierischen Magnetismus muß das bildende Leben das Uebergewicht haben, so wie schon im Schlaf, – und wie der Schlaf alles bildende Leben herunter

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bis zum Schmetterling und zur Häutung der Puppe begleitet. Wohlgefühl des Somnambulismus, wie jedes bildenden Lebens. – 474. (1803.) Vitalmachung erloschner Organe durch Berührung mit lebenden. Todtenerweckung durch Berührung von Lebendigen in Masse, besonders von Rabdomanten. Sollte wohl die Galvanische Batterie schon wie ein Lebendiges wirken, und Berührung von ihr, Theilnahme an ihr (ihrer Action) schon dadurch Leben mittheilen können? – 475. (1806). Im Schlafe sinkt der Mensch in den allgemeinen Organismus zurück. Hier ist sein Wille unmittelbar der der Natur, und umgekehrt. Beyde sind jetzt Eins. Hier ist der Mensch wirklich physisch allmächtig, und wahrer Zauberer. Alles gehorcht ihm, und sein Wille selbst ist das allem übrigen Gehorchen. Hier wird jeder Wunsch befriedigt, denn er hat keinen andern, als den er haben soll und muß. Ein solches Document davon ist der Traum. Sein Gehalt ist nicht unmittelbar der jener Einheit mit dem allgemeinen Organismus, als welcher an sich nie Gegenstand künftiger Erinnerung werden könnte. Aber er ist der Uebergang zu ihm, ein Zwischenzustand zwischen Schlaf und Wachen: partielles Begriffenseyn in jener Einheit, mit Selbstgegenwart genug, damit es Eigenthum des Individuellen sey und scheine. Nur um so mehr aber erscheint der Mensch hier als Zauberer u.s.w. – 476. (1807.) (Nach dem Besuch bey einer Somnambüle.) – Wie klar lößt sich vor solchen Erscheinungen die Bestimmung des Physikers in diese auf: Herr des Lebens zu werden! – Wie ungeschickt und wichtig sieht man dann so Vieles angegriffen, was hier aufhört! – Auch dem Physiker ist für sein Treiben das Bild der Liebe erlaubt; das Leben ist seine Geliebte. Bedeutend ist es, daß es auch in seinem Leben einen Punkt giebt, wo die Sehnsucht bricht – zur Resignation, denn nun erst findet die Himmlische Stätte, – wie ja alles Sehnen nur die Bedeutung hat, daß wir nie finden, wo wir suchen; – welches bis auf den Gott herauf gilt. Wie mag wohl jenes Umgekehrte heißen müssen, was dem Glauben früher, und immer, vorauszugehen pflegt? – Es weitläuftiger zu beschreiben, ist es allerdings die Anstalt, uns selbst weg zu beweisen. – 477. Im thierischen Magnetismus kommt man aus dem Gebiete der Willkühr heraus, und ganz herüber in das der Unwillkühr, oder dem, wo der organische Körper sich wieder als anorgischer verhält, doch aber so beyder Geheimnisse veroffenbart. Es giebt ein Bewußtseyn, was dazu des Willens und seiner Uebung nicht mehr nöthig hat. Es ist eben das im Schlafe, im gewöhnlichen, wie im magnetischen, das Bewußtseyn des Unwillkührlichen. Wille ist hier nicht einmal möglich. Höchst merkwürdig ist, daß hier auch das Gewissen wegfällt, und daß mit seinem Wegfallen das größte leibliche Wohlbehagen eintritt, was es giebt. Weiter interessant ist, wie sich hier guter und böser Wille des Magnetiseurs, an der Somnambüle ausnimmt. Sie ist ganz dem Willen des Magnetiseurs unterworfen. Alles Reine, Gute, jede That, zu der sie der Magnetiseur auffordert, und die gut ist, erhöht nur jenes Wohlbehagen; jede schlechte unreine, aber, auch in der bloßen Zumuthung schon, stört dasselbe, und bringt Krämpfe, Zuckungen u.s.w., hervor,

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obgleich die Somnambüle das Gute vom Bösen durch nichts, als aus diesen körperlichen, Zeichen zu unterscheiden weiß. Dies erklärt auf der Stelle, wie Magnetismus, auch als Heilmittel angewandt, nur dann wirksam und heilbringend seyn kann, wenn er vom Magnetiseur mit reinem Herzen und Willen, und rein gehalten während seiner Uebung, unternommen wird. Der Somnambüle, (oder auch dem, da u.sw.), fällt die Willkühr gänzlich weg, wie schon gesagt. Der Magnetiseur hat fast keine andere Rolle, als dieselbe für sie zu übernehmen, für sie zu wollen. Er will für sie, und er heilt sie; aber dazu muß er rein wollen, und Reines. Erscheint hier nicht die Krankheit recht offenbar als Willensverderbniß, als Verderbniß durch unreinen Willen? – Und ist es nicht herrlich, daß Heilung möglich ist, dadurch, daß die Kranke allen Willen aufzugeben genöthiget ist, daß er ihr wirklich wegfällt, und dagegen die Verbindungsmöglichkeit fremder Willkühr mit ihrer Unwillkühr eintritt? – Wo man nicht mehr selbst wollen kann, muß man sich durch andere wollen lassen. – Der Magnetiseur bekommt hier Priesterwürde, und alle, die wir für andere wollen und zu wollen berufen sind, sind gewissermaßen Magnetiseurs, und damit Priester, Absolutoren. Wir verrichten ein Hochamt; wirklich ein hohes Amt. –– Ferner ist es interessant, wie die Somnambüle, nachdem sie erst zu einem Maximum von Willkührlosigkeit gekommen, (in der Clairvoyance), (indem sie gleichsam sich erst von allem Willen, worunter auch der böse, falsche, reinigt), dann nach und nach wieder Willen bekommt, wie vom Magnetiseur herüber, und reinern, bessern, auch körperlich gedeihlicheren, als sie zuvor hatte. Dies nimmt zu, und endlich ist sie durch nichts mehr in eine Spur von Somnambulismus zurückzubringen, womit sie aber eben nun geheilt ist. – Hier fällt mir ein, ob nicht der natürliche Schlaf schon nichts anderes, als eine Anstalt ist, den Willen des vorigen Tages abzuwaschen, worauf des Morgens neuer, reiner wiederwächst. Hier ist Gott der natürliche Magnetiseur, und wir scheinen von einer großen allgemein verbreiteten Naturanstalt blos speciellen Gebrauch für einzelne Fälle zu machen, wenn wir magnetisiren. Gebe man nur selbst einmal genau Achtung, mit welcher Gemüths- und Gewissensstimmung man einschläft, und wie man dagegen wieder erwacht, – nach einem gesunden Schlafe nämlich. Weiter kann man diese Betrachtung fortsetzen, wenn man alles, was gleiche Wirkung mit dem Schlafe hat, in Erwägung zieht, z.B. die Liebe. Hier findet sich das nämliche Aufgeben alles Willens wieder, und die nämliche Wiederkunft eines neuen, reineren. Erst will man die Geliebte für sich; aber es kommt eine Zeit, wo dies aufhört und man ohne Willen ist (resignirt), worauf man denn nur für die Geliebte, und um der Geliebten willen, will. Hier ist zugleich der Magnetismus gegenseitig; beyde Theile sind sich Magnetiseur und Somnambüle. So kommt, das Vorige dazugenommen, auch in die Liebe von neuer Seite etwas sehr Hohes, Heiliges. – Doch ich will nicht Alles vorgreifen, was hier noch folgt. – 478. Die Somnambüle kann sich alles irgend Vergangenen erinnern, sobald sie im Schlafe ist, im Wachen nachmals aber blos des wachenden Lebens. Auch die Zukunft sieht sie im Schlafe voraus, aber als Unwillkührlichkeit, und auch aus ihr das Unwillkührliche nur; diese Voraussicht hört mit dem Wachen auf. Erinnerung muß etwas Vermitteltes seyn: Aufnahme des Speciellen, Willkührlichen, ins Un-

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willkührliche, Allgemeine. Am Unwillkührlichen erinnern wir uns. Gedächtniß ist schon eine Art von Orakel; es spricht das (uns) Geschehene aus. Des Unwillkührlichen selber aber erinnern wir uns nicht; es würde dazu ein höheres Unwillkührliches, und daß das Unwillkührliche selbst den Schein der Willkühr annähme, gehören. Schein aber entsteht überall durch Aequivalent; Schein und Wahrheit unterscheiden sich durch die bloßen Beziehungen. Und so ist allerdings noch Ein Wissen und Bewußtseyn möglich außer jenem, was durch den erklärten Willen zu Stande kommt; von dieser Art ist das somnambulistische. Die an sich außer allem Bewußtseyn stehende Unwillkührlichkeit wird zu in ihrem System nicht liegenden Actionen bewegt durch Hervorrufung unter der Form der Frage, durch gewöhnlich nicht vorkommende, also in ihr System noch nicht aufgenommene oder eingewohnte Reize u.s.w. Jenes Bewußtseyn ist Bewußtseyn aus Herrschen, dieses Bewußtseyn aus Dienen, Folgen, Geleitetwerden. Dieses Bewußtseyn aber gehört ganz dem Unwillkührlichen an, und kann nie wieder, als von ihm – dem gleichen, wenn es wiederkehrt, aufgenommen werden. Da aber das willkührliche Bewußtseyn ohnehin immer am Unwillkührlichen als seiner Matrix vorkommt, so kann natürlich auch das unwillkührliche Bewußtseyn sich selbst und das Willkührliche begreifen, da das Willkührliche blos sich wiedergiebt. Hier tritt der seltene Fall ein, wo Menschen, Reize, außer sich Bewußtseyn schaffen können, und damit Daseyn. Wenn etwa nun der Tod in nichts bestände, als im Wegfallen des willkührlichen Bewußtseyns, so könnte dem Verstorbenen noch immer wieder Bewußt- und Daseyn, – Leben – hervorgerufen werden, und ein Leben, was alles Vergangene enthielte, und auch die Zukunft aufschließbar vor sich hätte, – durch das bloße Andenken der zurückgebliebenen Lebenden. Hier enthüllte sich die Bedeutung so vieler Anstalten, dieses Andenken zu feyern und es zu unterhalten: der Sinn des Monuments, – der vielleicht das Einzige war, was nie von Menschen wich. Denn das Monument erhält geradezu im Leben und giebt Leben dem, dem es gesetzt ist. Wen wir für unsterblich erklären, wird unsterblich; sich unsterblich gemacht zu haben, ist das Höchste, was man für sich gethan haben kann. Sich Namen gemacht zu haben, heißt, sich Daseyn gesichert zu haben. Man citirt hier das Leben, wie Shakesspear und die Alten die Geister. Daher der unwiderleglich tief begründete Trieb in uns, uns Andenken zu stiften, denn eben in diesem Andenken werden wir uns selbst von neuem an-ge-dacht. Denken wir an jemand, so denken wir ihn an ihm, wir denken ihn, und er selbst ist da. Die Lebenden geben den Todten die Unsterblichkeit; ein übles Andenken muß ihm ein Leben voll Hölle, wie ein gutes ein Leben voll Himmel, geben. Die Lebenden bilden das Todtengericht. Hier die Macht der Phantasie, des Gedankens. Alles an Etwas Denken, ist Denken dieses Etwas selbst. Wir geben Daseyn, eben aber, weil zum großen Theile es dem Gedachten gehört, läßt es uns nur jenen schwachen Grad der Gegenwart desselben zurück, der das Gedachte uns immer noch vom Wirklichen unterscheidet, genau, wie die zweyte Person, die ich sehe, doch für mich noch bey weitem den Grad der Wirklichkeit nicht hat, die ich mir selbst. – Um und um sind wir Lebensspender und -Verbreiter. Unser Leben selbst ist nur die Erndte von unserer Saat. Hier Theorie der Kraft der Freundschaft, auch der Liebe von neuem.

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Man denkt für und an andere, diese, dem zu Folge, an und für uns, uns selbst, und so können wir reiner das Leben zurück erhalten, was wir uns, unmittelbar, so rein nie geben könnten. Wohlbehagen in diesem allen. Der Freund, die Geliebte, denkt somnambulistisch zurück, also nur das Behagliche, das Gute, – und dies macht uns selbst gut. In den Freund herein denkt man abermals nur das gewählteste Gute. Aber aus Willkühr entsprungen ist seine vollkommene Reinheit nie garantirt, wohl aber die Desjenigen, was der Freund zurückgiebt, weil es aus belebter Unwillkührlichkeit entsprang. Hier auch alle Kraft des Seegens, der Weihe, der Sakramente. Das hier ins Leben Gerufene erweißt sich nicht am Bewußtseyn unmittelbar. Es wird zu einem Theile geläuterter, zur Erfreulichkeit gebrachter, Unwillkührlichkeit. Aber das Licht des willkührlichen Bewußtseyns überblendet es noch, und es erweißt sich blos aus der Leichtigkeit und dem Muthe, (eins vielleicht), gewissenhaft zu seyn. Und hierdurch kommt die Freude des Tieferen im Höheren zum Mitgenuß. Wir könnten eigentlich nichts Höheres, als mit dem geläutertsten Willen, (wozu sogar der Willen so oft schon gegen sich selbst angewandt werden muß), nur Aequivalente dessen, was auch unwillkührlich so ausfallen würde, zu liefern. Aber eben, weil es doch durch Willkühr zu Stande kam, kehrt alle Freude und Wohlbehagen vollendeter bewußter Unwillkührlichkeit hier ein, und die der erweckten Unwillkührlichkeit dient überhaupt nur zum abermals wiederglänzenden Grunde. Eben in dieser Einheit des Aeußern und Innern geht die Freude, die Seeligkeit, tiefer auf; sie fühlt sich an unendlich mehr Gliedern, und wird überhaupt zum allgemeinen Wonnegefühl im Besondern. Ein solcher Seegen, wie auch zugekommen, giebt allem Folgenden Bewußten Grund und Boden und Nahrung, während der Fluch nur Angst, d.i. Grund- und Bodenlosigkeit, Irren in der Wüste, Verlorenheit und Verzweiflung erzeugt. Halte dich recht und bleibe redlich, (d.i. daß du davon reden kannst), so wird dir’s wohlgehen, (wohl und glücklich gehen, du wirst vorwärts kommen). – 479. Dem Gewissen liegt das Unwillkührliche zum Grunde. Gewöhnlich ist der Fromme nur Frager an ihm, und dieses, als allgemeines Orakel, antwortet. Dreht der Frager die Frage selbst in Antwort um, und handelt somit ohne Gewissen, ohne Unterwerfung unter den Gottesausspruch, so ist Leidenschaft, Laster, Sünde, da. Greift aber der Frager die Gottesantwort als seinige auf, so fällt er ab von Gott, und eben dieses Erheben des Besondern zum Allgemeinen giebt den Teufel. Der Abfall selbst muß möglich seyn, weil er wirklich seyn konnte; er muß es daher immer seyn. Hier noch im Unwillkührlichen die Huth, Gott anzuerkennen, Gottesgenuß selbst. Misbrauch der Allmacht zur sündlichen Magie, zur teuflischen. Wirklich entsprang die Sünde damit, daß der Mensch Gott selbst werden wollte, wie das hier sich genau so ergiebt. – 480. Willen und Reiz sind gleicher Dignität, also nur Stufenweise verschieden. Der Wille ist mehr äußerer, peripherischer Reiz, als der innere nur dem Phänomen nach äußre der Natur. – Der Wille ist ohne Macht über das Pulsirende. Dies müßte sonach innerlicher seyn, als das Willkührliche, nicht Pulsirende. Wie alles Licht, so erkennet auch das des Willens sich erst am größeren Detail der Gegenstände

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oder des Aeußeren; er findet zu wenig Widerstand, um schon am Innern, minder detaillirten, sich zu erkennen. So ist er sich im Aeußersten erst offenbar, im Innern aber geheim. Er ist das eingewelkte Pulsationsprincip. Wo Wissen, ist Willen. Gewissen, als die Grenze des Wissens, liegt an dem Uebergange des Unwillkührlichen, Pulsirenden, ins Unwillkührliche nicht Pulsirende. Es selbst kann klärer werden, und dies giebt die Möglichkeit der Offenbarung. In dieser aber hört das Phänomen des Willens auf, – wie bey den Somnambülen schon, damit zugleich die Erinnerung, die nothwendiges Element des Wissens hiermit wird. Die Einheit in der Zeit ist verlegt. Gerade, daß hier die Zeit selbst objectiv werden kann, (Wirkliches bestätigt es.)

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Fragmente der Frühromantik

Fragmente der Frühromantik 2 Kommentar

Herausgegeben von Friedrich Strack und Martina Eicheldinger

De Gruyter

ISBN 978-3-11-020846-7 e-ISBN 978-3-11-023285-1 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Fragmente der Frühromantik / edited by Friedrich Strack, Martina Eicheldinger. p. cm. Includes bibliographical references and index. ISBN 978-3-11-020846-7 (alk. paper) 1. Romanticism--Germany. 2. Unfinished books--Germany. 3. German literature--18th century--History and criticism. 4. German literature--19th century--History and criticism. I. Strack, Friedrich. II. Eicheldinger, Martina. PT363.U54F73 2011 830.9‘006--dc23 2011029878

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/ Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

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Inhalt

Inhalt

1. Editorische Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Friedrich Schlegel . . . . . . . . . . . . . . . Kritische Fragmente (‚Lyceums‘-Fragmente) . . Textgrundlage und Textüberlieferung . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmente (‚Athenäums‘-Fragmente) . . . . . Textgrundlage und Textüberlieferung . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . Ideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textgrundlage und Textüberlieferung . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . Aus den Fragmenten zur Poesie und Literatur Textgrundlage und Textüberlieferung . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . Aus den philosophischen Lehrjahren . . . . . Textgrundlage und Textüberlieferung . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . Fragment-Fragmente . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Friedrich von Hardenberg (Novalis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blüthenstaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textgrundlage und Textüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glauben und Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textgrundlage und Textüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aus den Fichte-Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textgrundlage und Textüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Logologische Fragmente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textgrundlage und Textüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmente oder Denkaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textgrundlage und Textüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teplitzer Fragmente und Ergänzungen zu den Teplitzer Fragmenten Textgrundlage und Textüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aus dem Allgemeinen Brouillon . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textgrundlage und Textüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher Gedanken III . . . . . . . . . . . . . . . Textgrundlage und Textüberlieferung . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Friedrich Karl Forberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aus den Fragmenten aus meinen Papieren (Anthropologische Fragmente) Textgrundlage und Textüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

397 397 397 397 397 398 399

6. August Ludwig Hülsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aus den philosophischen Fragmenten aus Hülsens literarischem Nachlaß Textgrundlage und Textüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

405 405 405 405 405 406 407

7. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling . . . . . . . . . . . Aus den Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie Textgrundlage und Textüberlieferung . . . . . . . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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8. Henrich Steffens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aus den Grundzügen der philosophischen Naturwissenschaft Textgrundlage und Textüberlieferung . . . . . . . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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9. Johann Wilhelm Ritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aus den Fragmenten aus dem Nachlasse eines jungen Physikers Textgrundlage und Textüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VIII

Inhalt

10. Joseph Görres . . . . . . . . . . . Schriftproben von Peter Hammer . . . Textgrundlage und Textüberlieferung . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Gehalt . . . . . . . . . . Stellenkommentar . . . . . . . . . . .

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11. Biographische Skizzen . . . . . . . August Wilhelm und Friedrich Schlegel Friedrich von Hardenberg (Novalis) . . Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher . Friedrich Karl Forberg . . . . . . . . . August Ludwig Hülsen . . . . . . . . . Friedrich Wilhelm Joseph Schelling . . Henrich Steffens . . . . . . . . . . . . Johann Wilhelm Ritter . . . . . . . . . Joseph Görres . . . . . . . . . . . . . .

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12. Zeichen – Siglen und Abkürzungen – Literatur Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siglen und Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . Primärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachschlagewerke . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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13. Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Editorische Vorbemerkung

Die vorliegende Auswahl romantischer Fragmente folgt keinem chronologischen oder systematischen Prinzip. Sie dokumentiert die Vielfalt und die Verschiedenartigkeit romantischer Fragmentäußerungen auf literarischem, philosophischem, theologischem, politischem und naturwissenschaftlichem Gebiet. Das breite Spektrum fragmentarischer Mitteilung, das vom (mehr oder weniger) witzigen Einfall über die Lesenotiz, den Kommentar und den Kurzessay bis zur reflektierten Kunstform reicht, wird an den bedeutendsten Autoren des Jenenser Umkreises und einem Vertreter der Heidelberger Romantik, Joseph Görres, vorgestellt. Da das Fragment als eigenständige Form oder Gattung nicht klar zu umreißen ist, werden diejenigen Fragmentreihen an den Anfang gestellt, die als solche von ihren Verfassern autorisiert und publiziert worden sind; das heißt: Friedrich Schlegels ‚Lyceums‘- und ‚Athenäums‘-Fragmente sowie die Ideen einerseits und Novalis’ Blüthenstaub-Fragmente sowie Glauben und Liebe andererseits. Diese Sammlungen bilden die verläßlichsten Orientierungspunkte für eine genauere inhaltliche und stilistische Bestimmung des romantischen Fragments. Ihnen werden die Studiennotizen und gesammelten Bemerkungen nachgeordnet, aus denen vielfach die späteren Reihen ausgesondert oder herausdestilliert worden sind. Es folgen die weniger bedeutenden Verfasser von Fragmenten aus dem frühromantischen Umfeld: Friedrich Schleiermacher, der im Sog Friedrich Schlegels zum Fragmentisten geworden ist; Friedrich Karl Forberg, der die romantische Fragmentproduktion mit angeregt hat; und August Ludwig Hülsen, der im Schlegelkreis hoch geschätzt wurde, von dem Fragmente aber nur aus dem Nachlaß überliefert sind. Eine zweite Gruppe fragmentarischer Mitteilungen bilden die naturphilosophischen und naturwissenschaftlichen Aphorismen und Fragmente Schellings, Steffens’ und Ritters. Diese Beispiele zeigen, daß die romantische Fragmentproduktion nicht nur als geistreiches Spiel betrieben, sondern auch auf das Feld der empirischen Erfahrung und des wissenschaftlichen Experimentierens übertragen wurde. Die ungeheure Erweiterung der naturwissenschaftlichen Kenntnisse und die Expansion des Wissens, das in seiner Vielfalt noch nicht systematisch einzuordnen war, wurde zunächst einmal in Fragmentform, das heißt vorläufig, provisorisch erfaßt und zur Diskussion gestellt. Fragmente oder Aphorismen (wie sie auch genannt wurden) dienten als Gedankenreservoire oder Fermente für eine auf transzendentaler Grundlage neu zu entwickelnde universale Experimentalwissenschaft. In einer dritten Gruppe von Fragmenten, die bereits über das Jenenser Vorbild hinausweist, werden die Auswirkungen und Erweiterungen der frühromantischen

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Editorische Vorbemerkung

Fragmentidee an Görres’ Schriftproben demonstriert. Görres hatte bereits 1802/03 Aphorismen über die Kunst und die Organonomie publiziert, in denen er – auf Fichtescher und Schellingscher Grundlage – seine Anschauungen über Kunst und Natur pointiert und bilderreich zusammenfaßte. In Aretins ‚Aurora‘ folgten 1804/05 seine Korruskationen, das heißt ‚Wetterleuchten‘, die in der Manier von Herders Fragmenten kritische Kommentare und Skizzen zur Gegenwartsliteratur lieferten. In den Schriftproben jedoch, deren ‚Epilog‘ Achim von Arnim als „in Fragmentenart“ geschrieben, „nur mehr in einzelnen Mythen zusammengezogen“ bezeichnet hat (Brief an Brentano vom 25.01.1808), rechnet Görres mit den politischen und gesellschaftlichen Zuständen der Gegenwart ab. Aus einem Mosaik bissiger Bemerkungen, die metaphorisch miteinander verflochten sind, entsteht ein Zeitbild, das im „Nonpareille“ des ‚Tollgewordnen Epilogus‘ seinen Höhepunkt findet. Im Rückblick auf die frühromantische Fragmentproduktion bilden die Schriftproben einen gewissen Abschluß; denn sie stellen nicht nur isolierte Einzelfragmente in Reihen zusammen, sondern verfugen sie zu einem Gesamtwerk, das Görres’ Kulturkritik zum Ausdruck bringt und auf künftige fragmentarische Schreibweisen vorausweist. Die Auswahl der Fragmente, die bei der Fülle des vorhandenen Materials unvermeidlich war, ist nicht nach subjektiven Kriterien erfolgt. Die einzelnen Gruppen werden in der Reihe ihrer Niederschrift wiedergegeben, um den Eindruck ihrer sprunghaften Vielfalt zu erhalten. Eine Auswahl nach literarischen Glanzstücken hingegen müßte die eigentümlich heterogene und lockere Fügung der romantischen Fragmentreihen verwischen. Nur in einem einzigen Fall wird von dem kontinuierlichen Ordnungsprinzip abgewichen: bei der Auswahl der sogenannten ‚Fragment-Fragmente‘, die aus den Studienheften Schlegels isoliert worden sind, um einer Theorie des romantischen Fragments vorzuarbeiten. Die weitläufigen Fichtestudien des Novalis werden hier nur in begrenztem Umfang wiedergegeben, weil sie zum größten Teil nur erste Niederschriften seiner philosophischen Auseinandersetzung darstellen. Aber sie lassen auch erkennen, wie sich Novalis fremde Gedanken aneignet (er selbst spricht von „Zueignung“) und seinem eigenen Verstehenshorizont integriert. Insofern sind sie für den Entstehungsprozeß der romantischen Fragmente aus flüchtigen Notizen von erheblicher Bedeutung. Zumindest partiell können sie Auskunft geben über die Genese der romantischen Kunstfragmente, mit denen Novalis Fichte übertrumpfen wollte. So bleibt die hier vorgestellte Auswahl frühromantischer Fragmente ihrerseits fragmentarisch. Aber sie kann dazu anregen, die vielfältigen Aspekte des Fragmentarischen näher zu erkunden.

Kritische Fragmente (‚Lyceums‘-Fragmente)

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2. Friedrich Schlegel

Kritische Fragmente (‚Lyceums‘-Fragmente)

Textgrundlage und Textüberlieferung Friedrich Schlegels erste, 127 Stücke umfassende Fragmentsammlung erschien unter dem Titel Kritische Fragmente in Johann Friedrich Reichardts (1752–1814) Zeitschrift ‚Lyceum der schönen Künste‘, Ersten Bandes zweiter Teil, Berlin 1797, S.133–169. Vier Jahre später nahm der Verfasser 41 der ‚Lyceums‘- und 52 ‚Athenäums‘Fragmente – teilweise umgearbeitet und um vier Fragmente erweitert – in die Sammlung Eisenfeile auf, die er in den zweiten, abschließenden Teil seines Aufsatzes Über Lessing einschob (Eichner, KFSA2, S.CIII). Diese Sammlung ist enthalten in dem Band Charakteristiken und Kritiken, von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel, Erster Band, Königsberg 1801, S.224–255. Jacob Minor veröffentlichte bereits Ende des 19. Jahrhunderts die Kritischen Fragmente in seiner Edition der Jugendschriften Friedrich Schlegels: Friedrich Schlegel 1794–1802. Seine prosaischen Jugendschriften, hg. von Jacob Minor, Bd.2, Wien 1882, S.183–202. Inzwischen liegen die ‚Lyceums‘-Fragmente auch in folgender neuerer Edition vor: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hg. von Ernst Behler unter Mitwirkung von Hans Eichner und Jean-Jacques Anstett sowie zahlreicher Fachgelehrter. Bd.2: Charakteristiken und Kritiken I (1796–1801), hg. und eingeleitet von Hans Eichner, München, Paderborn und Wien (Ferdinand Schöningh) 1967, S.147–163. (Die Sammlung Eisenfeile ist dort auf S.399–409 publiziert.) Der Text der vorliegenden Veröffentlichung folgt der Kritischen Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags Ferdinand Schöningh.

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Friedrich Schlegel

Entstehung 1796 siedelte Friedrich Schlegel nach Jena über; doch seine Hoffnung, wie August Wilhelm zur Mitarbeit bei den ‚Horen‘ aufgefordert zu werden, erfüllte sich nicht. In dieser Situation bot ihm der Komponist und Publizist Johann Friedrich Reichardt, ein erklärter Gegner Schillers, an, Beiträge für dessen neugegründetes Journal ‚Deutschland‘ zu liefern. Diese republikanischen und demokratischen Gedanken verpflichtete Zeitschrift stellte allerdings wegen Schwierigkeiten mit der Zensur bereits nach dem ersten Jahrgang ihr Erscheinen ein. Reichardt gründete an ihrer Stelle das ‚Lyceum der schönen Künste‘, dessen Schwerpunkt im Bereich der Ästhetik und der Literaturkritik lag (Peter, Schlegel, S.35). Im Juli 1797 ging Friedrich Schlegel als Mitarbeiter des ‚Lyceums‘ nach Berlin, wo seine Kritischen Fragmente entstanden. Er konnte dabei auf seine Notizhefte zurückgreifen, in denen er Einfälle festhielt und Material sammelte (Eichner, KFSA2, S.17). In seine erste Fragmentsammlung nahm er zahlreiche Fragmente aus den Heften Zur Philologie I und II, Fragmente zur Litteratur und Poesie (KFSA16) sowie aus seinen philosophischen Heften (KFSA18) auf, die er teilweise überarbeitete. Am 19.9.1797 erwähnt Friedrich Schlegel seinem Bruder gegenüber, daß er ein Manuskript in die Druckerei gegeben habe (KFSA24, S.16f.), und am 26.9. kündigt er in einem Brief an Friedrich von Hardenberg das Erscheinen der Kritischen Fragmente an: „Ich habe so eben auch eine kritische Chamfortade von einigen Bogen in die Welt d.h. in die Druckerey geschickt. In einigen Wochen wirst Du sie schon im IIten Stück des Lyceums !!nebst Lessing"" lesen können“ (ebd., S.21). Mit den Namen Chamfort und Lessing gibt diese Briefstelle einen Hinweis auf die Anregungen und Einflüsse, die in Schlegels erster Fragmentsammlung wirksam sind. Zum Lessingschen Geist, dem sich Schlegel verpflichtet weiß, tritt die „Chamf.[ortsche] Form“, die den ‚Lyceums‘-Fragmenten ihr eigentümliches Gepräge verleiht. (An Friedrich von Hardenberg, 26.9.1797; KFSA24, S.22.) 1796 waren die Maximes, Pensées, Caractères et Anecdotes von Nicolas Chamfort (1741–1794) erschienen (deutsch 1797 von Nikolaus Peter Stampeel). August Wilhelm Schlegel besprach das Werk des französischen Moralisten im Oktober 1796 in der Jenaer ‚Allgemeinen Literaturzeitung‘ (AWS,SW10, S.272–304). Chamforts Aphorismen und Maximen sind gekennzeichnet durch knappe, geschliffene Formulierungen, durch unbestechliche Beobachtungsgabe und Menschenkenntnis. Chamfort durchschaut seine Zeitgenossen und stellt illusionslose, äußerst pessimistische Diagnosen über den Zustand der Gesellschaft am Ende des Ancien Régime und in den Wirren der Revolution. (Rühle-Gerstel, S.809f.; Wuthenow, S.153f.) Sein Einfluß auf Friedrich Schlegel erweist sich vor allem in den kurzen, pointierten Einzelsätzen, wie sie in den ‚Lyceums‘-Fragmenten noch vorherrschen, in einer ausgesprochenen Vorliebe für Definitionen (z.B. L9, 26–29, 48, 56, 82f., 90, A29, 51, 64) und in der Übernahme des Proportionalvergleichs der

Kritische Fragmente (‚Lyceums‘-Fragmente)

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Form ‚a verhält sich zu b wie c zu d‘. (Z.B. A38, 62, Id43; Rühle-Gerstel, S.848 und 851.) An die Stelle der konzisen, zugespitzt formulierten Lebensweisheiten bei Chamfort treten in Schlegels Sammlung jedoch bewußt dunkle, verrätselte Sätze und groteske Einfälle, die dem Verständnis erheblichen Widerstand entgegensetzen, vom Leser dechiffriert werden müssen und ihn zum ‚Selbstdenken‘ anregen sollen. Diese wichtige Differenz zwischen beiden Autoren verweist auf die unterschiedlichen philosophischen Voraussetzungen ihrer Werke: Chamfort steht empiristischen und sensualistischen Positionen nahe, während die Romantiker transzendentalphilosophischem Denken verpflichtet sind und die Grundlagen ihrer Poetik durch die Rezeption der Fichteschen Bewußtseinsphilosophie gewinnen (Behler, Fragment, S.135).

Wirkung Die erste Resonanz auf die ‚Lyceums‘-Fragmente kam kurz nach ihrem Erscheinen aus Schlegels engerem Freundeskreis. Am 31.10.1797 schreibt Friedrich Schlegel an seinen Bruder: „Herzlich freut michs, daß Dir meine Fragmente so gefallen haben. Eine Freundin von mir !Dorothea Veit" nennt sie meine verzognen Kinder. Schley[ermacher] hat wohl eben so viel Theil dran genommen wie Du und Caroline“ (KFSA24, S.34). Auch Hardenberg spendet in einem Brief vom 26.12. uneingeschränktes Lob. Er erkennt die geistige Verwandtschaft zwischen Schlegel und Lessing, betont aber auch, daß die Kritischen Fragmente eine umwälzende literarische Neuerung darstellen, wenn er schreibt: „Du bist an den fruchtbarsten Gegenstand für Dich gekommen !…". Du bist dephlogistisirter Lessing. Deine Fragmente sind durchaus neu – ächte revolutionaire Affichen. Manche haben mir bis ins Marck gefallen“ (NO4, S.241). Schlegel selbst schätzte zwar auch zuvor schon die „große edle Form“ des Fragments (Brief an Hardenberg, 26.9.1797; KFSA24, S.22), doch scheint es, als seien ihm erst durch die positive Reaktion der Freunde, und vor allem August Wilhelms, die Ausdrucksmöglichkeiten und die Bedeutung der fragmentarischen Schreibweise für künftige (gemeinschaftliche) Werke bewußt geworden. Noch am 19.9., als er die Reinschrift der ‚Lyceums‘-Fragmente bereits in die Druckerei geschickt hatte, teilt er seinem Bruder eher beiläufig mit, er habe dem Drucker außer dem ersten Teil des Lessing-Aufsatzes „für noch 2 bis 2½ Bogen etwas Andres gegeben, da es an M[anu]scr[i]pt fehlte !!"“ (KFSA24, S.17). Nachdem August Wilhelm die Sammlung gelesen und vorgeschlagen hatte, „gemeinschaftlich solche Fr.[agmente] zu schreiben“ (Friedrich Schlegel an August Wilhelm, 31.10.1797; KFSA24, S.34), fand der jüngere Bruder diesen Gedanken „Allerliebst“ (ebd.) und machte bereits Pläne für eine neue Fragmentsammlung: „Ich habe noch unendlich Vorrath; das nächstemahl denke ich aber mehr kondensirte und kompakte Abhandlung und Charakteristik zu geben, als Einfälle“ (ebd.). Die ‚Lyceums‘-Fragmente regten Friedrich von Hardenberg, August Wilhelm Schlegel und Schleiermacher an, ebenfalls Fragmente zu schreiben bzw. zu veröffentlichen; deren Äußerungen über Friedrich Schlegels erste Fragmentsammlung

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Friedrich Schlegel

wirkten aber auch auf diesen selbst zurück und beflügelten ihn zu weiteren fragmentarischen Produktionen. Weit weniger erfreut als Schlegels Freunde zeigte sich allerdings der Herausgeber Reichardt. Insbesondere hatte er das gegen Voß gerichtete 113. Fragment „sehr empfindlich aufgenommen“ (ebd., S.30), da er den Homer-Übersetzer auch persönlich schätzte. Schlegel wurde dadurch in seiner Absicht bestärkt, sich möglichst rasch vom ‚Lyceum‘ zu trennen (RS, S.27). Da die ‚Lyceums‘-Fragmente nur wenige Monate vor den umfangreicheren Sammlungen des ‚Athenäums‘ erschienen, läßt sich ihre weitere Wirkungsgeschichte kaum isoliert von jenen betrachten. Im Juli 1798 schreibt Friedrich Schlegel an Schleiermacher: „Ueber meine Arbeiten habe ich noch nicht viel Witziges gehört, außer daß Hard.[enberg] meynt die Ironie !!sey"" in den Fragmenten die Spadille womit immer gestochen wird“ (KFSA24, S.147). Schlegels Ironiebegriff, den er in den Kritischen Fragmenten zum ersten Mal formuliert, beeinflußte die Ästhetik des 19. Jahrhunderts nachhaltig und setzte eine ausgedehnte Diskussion in Gang, an der sich u.a. August Wilhelm Schlegel, Ludwig Tieck, Jean Paul, Adam Müller, K.W.F.Solger, Hegel und Kierkegaard beteiligten (Behler, Ironie, S.11). Selbstbewußt bemerkt Friedrich Schlegel in seinem Aufsatz Über die Unverständlichkeit (1800): „erst seitdem !seit dem Erscheinen des ‚Lyceums‘ und des ‚Athenäums‘" ist die Ironie an die Tagesordnung gekommen“ (KFSA2, S.368). Bis in die Literatur des 20. Jahrhunderts lassen sich die Entwicklungslinien der romantischen Ironie verfolgen, etwa bei Autoren wie Thomas Mann oder Robert Musil, in dessen Nachlaß sich Exzerpte aus den ‚Lyceums‘-Fragmenten finden (Schanze, Theorie des Romans, S.372). Welche Bedeutung den ‚Lyceums‘- wie auch den ‚Athenäums‘-Fragmenten für das aphoristische Werk von Karl Kraus zukommt, wurde bislang noch nicht untersucht. (Vgl. hierzu Karl Kraus, Schriften, hg. von Christian Wagenknecht, Bd.8: Aphorismen. Sprüche und Widersprüche. Pro domo et mundo. Nachts, Frankfurt am Main 1986, z.B. S.113 (Nr.709) mit L13, S.231 (Nr.1962) mit L24, S.315 (Nr.514) mit A34, S.215 und 362 (Nr.323 und 322) mit A80 sowie S.91 (Nr.1778) mit A119.)

Struktur und Gehalt Mit seinen Kritischen Fragmenten wird Schlegel zum Schöpfer einer neuen Literaturgattung (Eichner, KFSA2, S.XXXVI). Die als Medium für die „programmatische Selbstdarstellung einer poetisch innovativen Gruppe“ (Fricke, S.85) dient. Wie der Titel bereits andeutet, setzt sich die Sammlung mit verschiedenen Bereichen der Literatur- und Kunstkritik auseinander. Häufig wiederkehrende Themen sind die Bedingungen künstlerischer Mitteilung, das Verhältnis des Dichters zum Leser oder zum Publikum, die Aufgabe von Kritik und Kunsttheorie, die Beziehung zwischen Künsten und Wissenschaften, insbesondere zwischen Poesie und Philosophie sowie die Eigenart der modernen im Unterschied zur ‚alten‘ Literatur.

Kritische Fragmente (‚Lyceums‘-Fragmente)

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Schlegel legt mit seinen ‚Lyceums‘-Fragmenten ein erstes bedeutsames Manifest der frühromantischen Ästhetik vor (Immerwahr, KFSA24, S.326). Die Schlüsselbegriffe der romantischen Dichtungstheorie: Witz, Ironie, Kritik, der Roman und das Romantische sind hier bereits vertreten und werden zueinander und zu der implizit entwickelten Poetik des Fragments in vielfältige Beziehung gesetzt. Allerdings bietet Schlegel seine Theorie in eigenwilliger, unsystematischer Form dar. Die Sammlung erweckt zunächst den Eindruck einer bunten, ungeordneten Mischung von Einfällen und Gedankenblitzen. Bei genauerem Lesen fallen jedoch zahlreiche Verweisungen, Vor- und Rückgriffe auf. So nennt z.B. das Fragment Nr.37 als Bedingung ‚guten‘ Schreibens „Selbstbeschränkung“, die als Mitte zwischen den Extremen der „Selbstschöpfung“ und der „Selbstvernichtung“ bestimmt wird. Damit greift Schlegel auf L28 zurück, das die „Selbstbeschränkung“ als „Resultat von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung“ definiert. An diese Trias von Begriffen knüpfen die ‚Athenäums‘-Fragmente Nr.51, 269, 305, 400 und Nr.44 der Ideen an. Obwohl diese Termini in L42 nicht auftauchen, beschreibt dieses Fragment das Phänomen der „Selbstbeschränkung“, die dem Kunstwerk „den göttlichen Hauch der Ironie“ zu verleihen vermag. (Vgl. hierzu auch A51, das Ironie als „steten Wechsel von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung“ auffaßt.) Von hier aus ergibt sich eine Verbindung zu den zahlreichen Ironie-Fragmenten der ersten wie auch der späteren Sammlungen (L48, 108, A121, 305, 431, Id69). Auch das Moment der „Willkür“ und der „Liberalität“, von dem L37 spricht, verweist auf zahlreiche vorausgehende und nachfolgende Fragmente (u.a. auf L16, 26, 71, A67, 116, 227, 354, 379, 421, 430, 441). Wenn Fragment Nr.37 ferner für den Schriftsteller die Möglichkeit vollständiger Mitteilung bestreitet, nimmt es Gedanken des 33. Fragments auf, das von zwei einander entgegengesetzten Gefahren schriftstellerischer Mitteilung spricht: zuviel oder aber zu wenig zu sagen. Von nahezu jedem der Fragmente, mit denen L37 derart verbunden ist, geht wiederum ein reich verzweigtes Netz von Verweisungen auf andere Fragmente und Themenbereiche aus. Gedanken, die dem Leser zunächst unvollständig erscheinen, finden durch dieses Verfahren Seiten später ihre Ergänzung, so daß sich die Dunkelheit zumindest teilweise aufhellt. Oft beleuchten verschiedene Fragmente denselben Gegenstand von unterschiedlichen Seiten und stellen komplementäre oder auch kontrastierende Aspekte nebeneinander; Begriffe und Vorstellungen tauchen an verschiedenen Stellen mit jeweils anderer Akzentuierung auf. „Im Grunde muß man sie alle kennen, um den an einer Stelle intendierten Sinn richtig zu treffen“ (Mennemeier, Brennpunkte, S.28). Schlegel will kein fertiges Lehrgebäude präsentieren, sondern Anstöße geben, die zum Weiterdenken – auch zum Widerspruch – anregen. Der Leser ist herausgefordert, durch Kombinieren und Assoziieren immer neue Bezüge herzustellen (Neumann, Ideenparadiese, S.455) und avanciert dabei zum ebenbürtigen Partner des Autors (Härtl, S.252). Doch nicht nur die Themen sind hier scheinbar planlos gemischt, auch Stilhöhe und ‚Gewicht‘ der Aussagen weisen dieselbe verwirrende Heterogenität auf. Fragmente von hohem Abstraktionsgrad wechseln mit solchen, die ihre ausge-

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Friedrich Schlegel

sprochen plastische Bildlichkeit aus den verschiedensten Lebensbereichen schöpfen; anspruchsvolle ästhetische Reflexionen und (auf den ersten Blick) banale Wahrheiten stehen nebeneinander und relativieren sich wechselseitig. Schlegel rechtfertigt dieses unkonventionelle Vorgehen in einer Nachschrift zur Sammlung Eisenfeile und gibt seinem Leser eine Anleitung zur angemessenen Rezeption derartiger Texte: Und so nehmt denn mit und ohne Ironie, was Euch eben so dargeboten wurde; und haltet nur getrost die eine oder andre dieser kombinatorischen Anregungen Eures ernstlichsten Nachdenkens würdig. Scheint Euch diese Anforderung zu schwer und mancher der hingeworfnen Gedanken zu leicht: so zieht, wenn es möglich ist, in gewissenhafte Erwägung, daß vielleicht einiges mit Absicht so leicht sei, um denjenigen, für den auch das Schwere gesagt ist, in die jovialische Stimmung zu versetzen und darin zu erhalten, in der es den Sterblichen am ersten vergönnt ist, das imponderable Gewicht des wahren Ernstes und der ernsten Wahrheit zu empfinden; des wahren Ernstes, der in so vielen Fällen auch der wahre Scherz zu sein pflegt. (KFSA2, S.409.)

Stellenkommentar 9, Titel Kritische Fragmente] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 1: 9,1 Man nennt viele Künstler !…" Natur sind] Diesen Gedanken spricht Schlegel bereits in seinem Aufsatz Über das Studium der griechischen Poesie (1797) aus: „Der Mensch ist eine aus seinem reinen Selbst und einem fremdartigen Wesen gemischte Natur. !…" Die Grundlage seiner stolzesten Werke ist oft ein bloßes Geschenk der Natur“ (KFSA1, S.230). Und speziell bei den Griechen „war die darstellende Kunst nicht erlernte Fertigkeit, sondern ursprüngliche Natur“ (KFSA1, S.276). – Vgl. zum Verhältnis von Natur und Kunst auch FPL [V] 195, L21, L121 (bei Shakespeare), A82, 116 und 252 („Naturpoesie“ und „Kunstpoesie“), A155 („Naturphilosophie“ und „Kunstphilosophie“), FPL [V] 119 („Naturwitz“ und „Kunstwitz“), FPL [V] 189 („Naturkunst“ und „Kunstkunst“); Novalis, AB78, 248, 583, 936, 1101, 1113 und 1126. Siehe ferner Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘) und Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘). 2: 9,2 Schaubühne] Schlegel deutet hier auf ein großes Thema der deutschen Literatur seit Gottsched: die Bildung des Bürgertums durch das Theater. Mit Blick auf Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre, den Schlegel bald darauf rezensierte, desillusioniert er die hohen Erwartungen, die man an die Bildung durch das Theater knüpfte. 3: 9,5 Diderot im Jakob] Denis Diderot (1713–1784), Jacques le Fataliste et son Maître (franz. zuerst vollständig 1796, deutsch bereits 1792 von W.Ch.S.Mylius) gehört zu den Romanen des 18. Jahrhunderts, die sich bereits – im Sinne der Romantiker – ironischer Techniken bedienen und den Akt des Erzählens im Werk selbst thematisieren: Digressionen unterbrechen den Gang der Handlung, der Erzähler stört durch ständiges Dazwischenreden die literarische Illusion; Jacques wird durch Zwischenfälle immer wieder daran gehindert, seine Liebesgeschichte zu erzählen. Vgl. auch L15, A201, Brief über den Roman

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(KFSA2, S.331), FPL [V] 386, [VII] 171. -- Behler, Ironie, S.46–52; Eichner KFSA2, S.LXV-LXVII; Schanze, Theorie des Romans, S.379. 3: 9,5 etwas recht Genialisches] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘); das ‚Genialische‘ wird hier allerdings dem ‚Genialen‘ gegenüber von Schlegel ironisch abgewertet. 4: 9,8 Es gibt so viel Poesie !…" nichts seltner als ein Poem!] Ein etymologisches Wortspiel: poiesis ist das (literarische) Machen, Verfertigen, Poem ist das ‚Gemachte‘, das Werk. 4: 9,9f. Skizzen, Studien, Fragmenten, Tendenzen, Ruinen, und Materialien] Zu den „Schriften die nicht Werke sind“ zählt FPL [V] 918 z.T. dieselben Gattungen wie L4 – darunter auch das Fragment. Vgl. auch FPL [V] 370 und 411. Vgl. zur Textsorte ‚Skizze‘ auch L69, FPL [III] 19, [V] 21, 28, 370, 411, 914, 918, 922, 960, PhL [II] 285, 1023, [IV] 615, 631 und 929. Vgl. zu den ‚Materialien‘ L69, A139, FPL [I] 13, [III] 177, [IV] 35, 38, PhL [IV] 237, 830, 859, [VIII] 289, 396 u. ö. Siehe Anm. 24,14f. zu A22 (‚Fragment‘) und 15,18f. zu L69 (‚Tendenz‘). 5: 9,11 Manches kritische Journal] Vgl. auch L114 zu den kritischen Zeitschriften. 5: 9,11 Mozarts Musik] In Einklang mit der romantischen Forderung nach Annäherung und Verschmelzung der Künste und Wissenschaften verwendet der Schlegel-Kreis häufig Metaphern und Vergleiche aus der Musik (hier allerdings in ironischer Form), um Phänomene des literarischen Lebens oder der Philosophie zu beschreiben (z.B. L31, 49, 64, 66, A174, 177, 220 253, 268, 322, 339, 380, 389, 440, 450; Novalis, AB419, 550 und 826; Schleiermacher, G I 55b und 142). Als nicht-mimetische, autonome Kunst besitzt die Musik Vorbildfunktion für das romantische Ideal einer absoluten Poesie. Siehe auch Anm. 40,3 zu A174 über die „Mischung aller Kunstarten“ (A239). -- Barbara Naumann, Musikalisches Ideen-Instrument. Das Musikalische in Poetik und Sprachtheorie der Frühromantik, Stuttgart 1989; Preisendanz, S.67f.; Schanze, Aufklärung, S.106–108. 6: 9,13–15 Man tadelt die metrische Sorglosigkeit der Goetheschen Gedichte !…" Poesie?] So bemängelt z.B.Johann Heinrich Voß beim Erscheinen von Hermann und Dorothea: „An dem Versbau lasse sich freilich noch immer viel tadeln; !…" und immer seien diese letzten Goetheschen Hexameter bei weitem besser als alle seine vorigen“; (Brief Wilhelm von Humboldts an Schiller, 20.1.1798. In: Goethe in vertraulichen Briefen seiner Zeitgenossen, zusammengestellt von Wilhelm Bode, Berlin und Weimar 21979, Bd.2: 1794–1818, S.123.) „einige Verstöße gegen die Quantität“ rügt auch der Rezensent der ‚Neuen Critischen Nachrichten‘, Greifswald, vom 10. 2. 1798 an diesem Werk (Braun 2, S.278). Auch Schlegel stellt fest, daß Goethe in seinen Hexametern auf „die strenge Form“ (FPL [V] 1) verzichtet, doch ist er der Auffassung, daß nicht „geistlose Regelmäßigkeit“ (A261), sondern innere Konsequenz ein dichterisches Werk von Rang ausmache. Dieses Plädoyer für die „Sorglosigkeit“ des Genies führt in die Nähe des Willkür-Begriffs, mit dem sich mehrere Fragmente auseinandersetzen (siehe Anm. 10,9 zu L16). Vgl. auch L124 zum ‚inneren Reim‘ im Wilhelm Meister; zu Goethe ferner L120, A6, 193, 216, 238, 247, 254, 261,

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380, 383, Id135; Novalis, BL25, 27, 106, GL43, T3, AB967, 1096 uö. -- Ernst Behler, Die Wirkung Goethes und Schillers auf die Brüder Schlegel. In: ders., Studien zur Romantik 1, S.264–282, Härtl, S.259–261; Huge, S.84–86. 7: 9,16 Mein Versuch über das Studium der griechischen Poesie] Der Aufsatz Über das Studium der Griechischen Poesie (1797; KFSA1, S.217–367). Schlegel distanziert sich hier – und ähnlich auch in L60, 66 und 91 – von der klassizistischen Position seiner Frühschriften. -- Eichner, KFSA2, S.XLVI–LII. 7: 9,16f. ein manierierter Hymnus] Während die Begriffe ‚Manier‘ und ‚manieriert‘ bei Schlegel meist positive Bedeutung besitzen (siehe Anm. 16,28 zu L83), nähert er sich in diesem Fragment dem heutigen abschätzigen Gebrauch des Wortes an. Einen Abriß der Wortgeschichte gibt H.von Einem: Manier ist die ‚maniera‘ der italienischen Kunstliteratur. Ursprünglich bedeutete sie das jedem Künstler, jeder Nation, jeder Zeit eigene Verfahren künstlerischer Behandlung. In diesem wertindifferenten Sinn spricht man von maniera buona, maniera cattiva, von maniera antica, moderna usw. Im 17. Jhdt. vollzieht sich in der Kunstlehre des barocken Klassizismus !…" ein Bedeutungswandel. Maniera wird nun nicht mehr in Verbindung mit einem Adjektiv oder Genitiv !…", sondern absolut gebraucht. Dipingere di maniera = aus dem Kopf, nicht unmittelbar nach der Natur malen. In dieser Bedeutung gewinnt der Begriff Manier jenen tadelnden Sinn der Manieriertheit, den er bis in die Gegenwart behalten hat. (Goethes Werke, Hamburger Ausgabe in vierzehn Bänden. Bd.12: Schriften zur Kunst. Schriften zur Literatur. Maximen und Reflexionen, mit Anmerkungen versehen von Herbert von Einem, Hamburg 1953, S.576f.)

-- Huge, S.73f. 7: 9,18 der gänzliche Mangel der unentbehrlichen Ironie] Über den Ironiebegriff, der in Schlegels Ästhetik von zentraler Bedeutung ist, siehe Anm. 12,33 zu L42. 7: 9,19 daß die Poesie unendlich viel wert sei] Diese Auffassung relativieren jedoch L87 und 125 (Schluß); vgl. auch A123. 7: 9,16–20 Mein Versuch !…" eine ausgemachte Sache wäre] -- Peter Schnyder, Die Magie der Rhetorik. Poesie, Philosophie und Politik in Friedrich Schlegels Frühwerk, Paderborn 1999, S.44f.; Schöning, S.191–193. 8: 9,21f. Eine gute Vorrede muß zugleich die Wurzel und das Quadrat !…" sein] Mit dem mathematischen Begriffspaar Radizierung und Potenzierung verdeutlicht Schlegel den transzendentalen Reflexionsprozeß, den er im Rückgriff auf Fichte als Aus-sich-heraustreten und In-sich-zurückkehren bezeichnet. (Vgl. z.B. KFSA2, S.314, Rede über die Mythologie (1800) und Novalis, BL45.) Analog zum dialektisch verlaufenden Erkenntnisprozeß, in dem der Geist dem Ich die Welt erschließt, sollte also die Vorrede dem Leser den Zugang zum Inhalt des Buchs vermitteln. – Novalis bezieht sich im ersten der Dialogen, einem Gespräch über die „Büchermacherey“ (NO2, S.664), auf dieses Fragment, wenn er den einen Dialogpartner sagen läßt: „Auch die Vorrede ist ein subtiler Büchermesser. Die Klügern lassen deshalb jetzt diesen verrätherischen Inhaltsanzeiger gewöhnlich weg, und die Bequemen thun es, weil eine gute Vorrede schwerer ist, wie das Buch – denn, wie der junge, revolutionaire Lessing2 sich ausdrückt, so ist die Vorrede Wurzel und Quadrat des Buchs zugleich, und ich füge hinzu, mithin

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nichts anders, als die ächte Recension desselben“ (NO2, S.663). – Dieselbe gedankliche Struktur wie in L8 liegt u.a. vor in FPL [V] 695, 736, PhL [IV] 1334, [V] 870, bei Novalis z.B. in Vorarbeiten105. Siehe auch Anm. 10,4f. zu L14 über die Gedankenbewegung des ordo inversus sowie 33,6f. zu A116 (‚potenzieren‘). -- Behler, Ironie, S.90f. 9: 9,23 Witz ist unbedingt geselliger Geist] Im 18. Jahrhundert besitzt der Begriff des Witzes noch eine weitere Bedeutung als heute, er bezeichnet die Fähigkeit, scharfsinnig zu kombinieren und versteckte Analogien zu entdecken. So definiert z.B. der englische Literaturhistoriker Samuel Johnson (1709–1784) Witz als „yoking together of heterogenious things“. (Lives of the Poets, hg. von G.Birbeck Hill, 3.Bd., Oxford 1905, S.20.) Als spontanes schöpferisches Vermögen ist der Witz in Schlegels Poetik von zentraler Bedeutung. In den Kritischen Fragmenten unternimmt er eine facettenreiche Erweiterung und Vertiefung des herkömmlichen Witzbegriffs, wobei er an manieristische und barocke Traditionen anknüpft. Weitere Definitionen des Witzes geben L34, 56, 59, 90, 126, A29, 37, 220, 366, Id26; vgl. auch FPL [V] 572, 1038 und den Brief an Hardenberg vom 18.2.1797 (NO4, S.478); bei Novalis BL36, 40, 57, 69, ET441; bei Schleiermacher G I 158 und 177f. Siehe Anm. 78,24f. zu A426 (‚Geselligkeit‘) -Marina Foschi Albert, Friedrich Schlegels Theorie des Witzes und sein Roman Lucinde, New York u.a. 1995; Ayrault 1, S.138–162; Behler, Ironie, S.106f.; Eichner, KFSA2, S.XXXVIII–XL; Manfred Frank, Philosophische Grundlagen, S.120f.; Götze, Ironie, S.185–189; Pikulik, Frühromantik, S.96–100; Schanze, Dualismus, S.318f.; ders., Theorie des Romans, S.386–388; Schlagdenhauffen, Schlegel, S.120–126. 9: 9,23 fragmentarische Genialität] Siehe Anm. 24,14f. zu A22 (‚Fragment‘) und 33,40f. zu A119 (‚Genie‘). 9: 9,23 Witz !…" Genialität] L9 gibt eine doppelte Definition des Witzes. Der erste Teil des Fragments scheint zunächst von der konventionellen Auffassung des Witzes als Ingrediens des gesellschaftlichen Lebens auszugehen. Ein Vergleich mit L56, 103 und A37 legt aber nahe, daß hier (auch) die ‚gesellige‘ Begegnung der Gedanken gemeint ist, die das kombinatorische Vermögen zustande bringt. Demgegenüber dürfte sich die zweite Bestimmung auf den ‚punktuellen‘ Erkenntnisgewinn des witzigen Einfalls beziehen, dessen formales Äquivalent die fragmentarische Schreibweise darstellt. – Eine Vorstufe des Fragments findet sich in PhL [II] 881. -- Neumann, Ideenparadiese, S.459; Strack, Fermenta cognitionis, S.350–352. 10: 9,24 Man muß das Brett bohren, wo es am dicksten ist] Schlegel bedient sich gelegentlich der aphoristischen Technik, festgefügte Wendungen zu verändern (z.B. L74 und A70); die verblüffende Umkehrung einer Redensart („Man soll das Brett bohren, wo es am dünnsten ist“; Wander 1, Sp.462, Nr.6, 9 u. ö.) in ihr Gegenteil relativiert gängige Denkschemata und fordert zu deren Überprüfung auf. 11: 9,25f. Es ist noch gar nichts recht Tüchtiges !…" wider die Alten geschrieben worden] Vgl. hierzu den Werkplan „Rede gegen die Poesie“ (FPL [V] 241); im Brief an Hardenberg vom 5.5.1797 erwähnt Schlegel, daß er „wider die

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Griechen etwas schreiben“ wolle (KFSA23, S.363). Nachdem der Studium-Aufsatz noch für die ‚Alten‘ Partei ergriffen hatte, bereiten nun Fragmente wie L91 die ‚Entthronung‘ der antiken Kunst vor. Mit den ‚Alten‘ setzen sich u.a. auch L44, 91, A143, 248, PhL [II] 66, 97, 110 und Schleiermacher in G I 72, III20, 52, 62 auseinander. Siehe auch Anm. 13,5f. zu L44 (‚Altertum‘), 13,21 zu L46 über die Griechen und Römer sowie 16,29f. zu L84 über den Gegensatz zwischen den ‚Alten‘ und den Modernen. 12: 9,27 Philosophie der Kunst] Das Verhältnis von Philosophie und Kunst (bzw. von Philosophie und Poesie) und die Möglichkeit ihrer Vermittlung thematisiert Friedrich Schlegel in mehreren Fragmenten. Siehe Anm. 19,41f. zu L115. 13: 10,1 Jedes Gleichnis, was nur lang ist, nennt Bodmer gern homerisch] Johann Jakob Bodmer (1696–1783), Schweizer (Literatur-)Historiker und maßgeblicher Dichtungstheoretiker der Aufklärung. – Über Homer siehe Anm. 36,35f. zu A145. 13: 10,1f. So hört man auch wohl Witz aristophanisch nennen] Über den Komödiendichter Aristophanes (450/444 – um 380 v.Chr.) äußert sich Schlegel u.a. in FPL [V] 62, 67, 369 und in seinem Aufsatz Vom ästhetischen Werte der griechischen Komödie (1794; KFSA1, S.19–33) mit überschwenglicher Bewunderung. Siehe auch Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘). L13 gehört zu einer Reihe von Fragmenten, in denen sich Schlegel gegen den ‚Witz‘ im alltäglichen Wortsinn abgrenzt. Vgl. L17, 51, 67, FPL [V] 1087 u. ö. -- Neumann, Ideenparadiese, S.456. 13: 10,2 klassisch] Vgl. L20, 36, 60, 69, 81, 119, A51, 116, 143, 146, 155; eine Definition gibt FPL [V] 1070. -- Bär, S.399–404; Peter D. Krause, „ … muß progr.[essiv] sein, das Innre class[isch]“. Friedrich Schlegels früher Stilbegriff. In: ‚Rhetorik. Ein internationales Jahrbuch‘ 20 (2001), S.1–116, hier S.112–116. 14: 10,4f. Auch in der Poesie mag wohl alles Ganze halb !…" ganz sein] Nach F.H.Mautner ist dieser prägnante Chiasmus „die bündigste Form für die romantische paradoxale Überzeugung vom Fragmentarischen aller Poesie, vom Universellen eines jeden poetischen Fragments“ (Aphorismus, S.67). Vgl. ergänzend hierzu L103, das die ‚Halbheit‘ scheinbar ‚ganzer‘ Werke entlarvt. Die Vorstellung einer dialektischen Vermittlung von ‚Ganzem‘ und ‚Halbem‘ in der Poesie ist typisch für Schlegels an Fichtes Philosophie geschultem Denken. Dasselbe Reflexionsmodell liegt zugrunde, wenn Schlegel weitere Gegensatzpaare in spannungsreiche Beziehung setzt: Bedingtes und Unbedingtes (L108), Endliches und Unendliches (L47), Selbstschöpfung und Selbstvernichtung (L28), Freiheit und Notwendigkeit (L108), Absicht und Instinkt (L23), Natur und Kunst (L1), Kunst und Wissenschaft (L115), Poesie und Philosophie (Id48), Geist und Buchstabe (L69), Antike und Moderne (L84), Synthese und Analyse (L33), Radizierung und Potenzierung (L8), Regression und Progression (FPL [V] 292, 309), Chaos und System (Id55). Auch zentrale Begriffe wie Ironie (L42), Witz (L9), Willkür (L16), Selbstbeschränkung (L28), Bildung (L20), Sinn (L63), Projekt (A22) und Liebe (A50) werden als Resultate eines dialektischen Prozesses, als unendliches Oszillieren oder Schweben zwischen zwei Polen aufgefaßt; vgl. entsprechend

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auch den Gedanken des ‚Wechselgrundsatzes‘ (siehe Anm. 118,6 zu PhL [II] 193). – Auch für das Werk Friedrich von Hardenbergs ist die gedankliche Struktur des „ordo inversus“ (FSt36) grundlegend. Sie wird greifbar in Begriffspaaren wie dem „In sich zurückgehn“ und dem „Herausgehn“ (BL45 und FSt555; ähnlich auch Schlegel im Gespräch über die Poesie (1800; KFSA2, S.314, und in PhL [VI] 112, [VII] 53) des Geistes, im „Blick nach Innen“ und im „Blick nach Außen“ (BL24), in „Selbstentäußerung“ und „Erhebung“ (BL24), „Präzipitazion“ und „Sublimazion“ (BL96), in Wendungen wie der „Hin und her Direction“ (FSt19), in Sätzen wie: „Meine Geliebte ist die Abbreviatur des Universums, das Universum die Elongatur meiner Geliebten“ (GL4) oder in der Struktur von Heinrichs Traum im Heinrich von Ofterdingen (NO1, S.196f.). Vgl. auch FSt41, BL96, 99, Lg27 und siehe Anm. 33,4–6 zu A116 (‚Reflexion‘). -- Behler, Ironie, S.89–95; Frank/Kurz, Ordo inversus; Huge, S.124; Strack, Neugier, S.34–76; Striedter, S.48f. 15: 10,6 Diderots Jakob] Siehe Anm. 9,5 zu L3. 15: 10,6f. Der dumme Herr !…" der närrische Diener] Zu den Begriffen Dummheit bzw. Torheit und Narrheit äußert sich Schlegel auch in L81, 92, A79, 278, KFSA2, S.332 (Brief über die Poesie), PhL [II] 669, 687, [III] 749, FPL [V] 616, 694, [IX] 63 u. ö. Vgl. ferner Miguel de Cervantes Saavedra, Don Quijote de la Mancha (2. Teil, 2. Kap.): „Es scheint, als wären die beiden !Don Quixote und sein Knappe" nach der nämlichen Form geprägt worden und die Narrheiten des Herrn wären ohne die Dummheiten des Knechts nicht einen Pfifferling wert“ (Übersetzung von A.M.Rothbauer, S.663), und Chamfort: „Les trois quarts des folies ne sont que des sottises.“ (Oeuvres 1, S.352: „Drei Viertheile der menschlichen Thorheiten sind nur Dummheiten.“ Übersetzung von N.P.Stampeel, S.29; ähnlich S.355 und Oeuvres 2, S.39.) -- Polheim, Arabeske, S.330–332; RühleGerstel, S.837. 15: 10,8 einen ganz genialischen Narren] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘). Von ‚genialischer Narrheit‘ spricht Schleiermacher in G I 36. 16: 10,9 Genie ist zwar nicht Sache der Willkür !…" der Freiheit] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘). Bei Schlegel ist der Begriff ‚Willkür‘ noch ohne die heutige pejorative Bedeutung. Er bezeichnet die Eigengesetzlichkeit und freie Selbstbestimmung künstlerischen Schaffens und steht in enger Verbindung zum Witz und zur Ironie. In den Werken Shakespeares und Goethes sieht Schlegel die schöpferische Willkür am reinsten verwirklicht, wie L6 und 124 andeuten. Vgl. auch L37, 55, 67, 108, A121, 385, FPL [V] 97, 138, 217, 356, 384, 537, 703, 825, 885, 1075, 1138, 1223, Über Goethes Meister (1798; KFSA2, S.131); Schleiermacher, G I 53, III8 u. ö. Siehe Anm. 85,35f. zu Id29 (‚frei, Freiheit‘) -- Huge, S.83–90; Polheim, Arabeske, S.114f.; Strohschneider-Kohrs, S.26f. 16: 10,9f. Witz, Liebe und Glauben] Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘) und 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). 16: 10,10 Künste und Wissenschaften] Vgl. zu diesem Begriffspaar auch A125, 223, 255, 302, 404, 444, Id22, 41, 68, 106, 111, 120, 135; Novalis, FSt588 u. ö.; siehe auch Anm. 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft. -- Bär, S.275–289; Kapitza, Mischung, S.60–63.

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16: 10,11 Ein Kantianer] Vgl. A21, 47, 104, 200, 220, 298, 322, Id39, PhL [II] 1, 4f., 10, 20, 29, 34, 37, 48, 203, 234, 437, 600 u. ö. 16: 10,12 den kategorischen Imperativ der Genialität] Kants ‚Vernunftgebot‘ moralischen Handelns: „handle nach einer Maxime, die zugleich als allgemeines Gesetz gelten kann“. (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (21786), KA8, S.BA52). Vgl. zur Auseinandersetzung mit Immanuel Kant (1724–1804) auch L43, 77, 80, A3, 10, 41, 61, 107, 220, 281, 298, 322, 357, 387; Novalis, BL113, FSt584, T56, AB1002; Schleiermacher, G I 9, 27, 61f., 172f., 178, 189, GIII3 u. ö. 17: 10,13 trauriger Witz] Siehe Anm. 10,1f. zu L13. 18: 10,14f. Die Romane endigen gern !…" auf Erden] Wie auch das folgende Fragment ein Beispiel ‚witziger‘ Kombination scheinbar unvereinbarer Gegenstände. Schlegel durchschaut die quasi-religiöse Funktion der zeitgenössischen Unterhaltungsliteratur, die das eschatologische „Reich Gottes auf Erden“ durch ein utopisches ersetzt. Siehe auch Anm. 10,34 zu L 26 (‚Roman‘). 19: 10,16 Manches Gedicht] Werk der Dichtkunst (in Versen oder in Prosa). 20: 10,17f. Eine klassische Schrift muß nie ganz verstanden werden !…" lernen wollen] Vgl. A401 und Novalis, BL6. Eine Vorstufe findet sich in FPL [V] 671; in A404 nimmt Schlegel diesen Gedanken wieder auf. Siehe Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). – Bildung erscheint in diesem Fragment als prinzipiell unendliche Progression. Durch seine intensive Beschäftigung mit dem klassischen Altertum und beeinflußt von Condorcet (siehe Anm. 42,25–29 zu A195) gelangte Schlegel zu der geschichtsphilosophischen Konzeption der unendlichen Perfektibilität des Menschen, die sich am Leitbild einer ‚absoluten Klassik‘ orientiert. Wie andere für Schlegels Denken zentrale Begriffe weist auch seine Auffassung von Bildung eine dialektische Struktur auf. Als ihre eigentliche Triebkraft wirkt das Nicht-Verstehen, das zu immer vollkommenerem Verstehen anreizt und doch nie ganz zu überwinden ist. Vgl. zur Bildung auch L36, 70, 86, 110, A18, 63, 98, 116, 440, Id37, PhL [II] 57, 102, 620, 637, 1027, Studium-Aufsatz (KFSA1, S.229f.); Novalis, BL28, 32, 50, GL16, 30, Lg2, ET376, 423; Schleiermacher, GIII66 u. ö. Siehe auch Anm. 10,4f. zu L14. – Zur Problematik des Verstehens äußert sich Schlegel in L79, A19, 78, 401, FPL [III] 46, PhL [II] 178, 651, 1022, [III] 89, [IV] 713, 1503 und in Über die Unverständlichkeit (1800; KFSA2, S.363–372); Novalis in A287, BL6 (‚begreifen‘), AB342; Schleiermacher in G I 198. -- Ernst Behler, Friedrich Schlegels Theorie des Verstehens: Hermeneutik oder Denkstruktur. In: Die Aktualität der Frühromantik, S.141–160; ders., Theorie der romantischen Ironie, S.112; ders., Unendliche Perfektibilität – Goldenes Zeitalter; Brauers, S.115–117; Frank, Zeit, S.54f.; Frischmann, Transzendental, S.358–362; Rehme-Iffert, Skepsis und Enthusiasmus, S.92–101; Trosiener, S.145; Zovko, besonders S.125–132. 21: 10,19f. Wie ein Kind eigentlich eine Sache ist !…" ein Kunstwerk werden will] Siehe Anm. 9,1 zu L1 über das Verhältnis von Natur und Kunst sowie 154,30 zu BL97 (‚Kind‘).

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22: 10,21–23 Ein einziges analytisches Wort !…" löschen] Mit seiner Licht- und Feuermetaphorik steht L22 mit einer Reihe von Fragmenten in Verbindung, in denen Schlegel eine ‚Chemie‘ und eine ‚Physik des Witzes‘ entwickelt. Während Witz hier als synthetisches Vermögen erscheint, beschreibt L34 seine analytische, L90 seine explosive Wirkung. Vgl. auch A220, 366, 426; Novalis, BL57, ET441 und Schleiermacher, GIII4. Siehe auch Anm. 11,12–15 zu L32 über Schlegels Gebrauch chemischer Terminologie. -- Neumann, Ideenparadiese, S.463; Specht, S.60–62. 23: 10,24f. In jedem guten Gedicht muß alles Absicht, und alles Instinkt sein !…" idealisch] Zur Bedeutung von ‚Gedicht‘ im 18. Jahrhundert siehe Anm. 10,16 zu L19. – Vgl. zum Begriffspaar Absicht und Instinkt auch A51, 164, 305, 418 u. ö. Absicht kennzeichnet für Schlegel Kunstpoesie, Instinkt dagegen Naturpoesie, deren Synthese die romantische Poesie nach A116 anstrebt. Siehe auch Anm. 19,8 zu L108 (‚Instinkt‘) und 10,4f. zu L14 über die dialektische Vermittlung von Gegensätzen. L23 ist aus FPL [V] 415 hervorgegangen. (Der zweite Teil des Fragments, der Schiller als negatives Beispiel anführt, wurde für die Veröffentlichung gestrichen.) 24: 10,26 Die kleinsten Autoren] Gegen ‚kleine‘ und mittelmäßige Schriftsteller polemisieren auch L52, 54, 68, 79, 94 und A59. Siehe auch Anm. 15,9 zu L68 (‚Autor‘). 24: 10,28 „Und siehe, was er gemacht hatte, war gut.“] Vgl. Gen.1,10: „Und Gott sah, daß es gut war.“ 25: 10,29–33 Die beiden Hauptgrundsätze der sogenannten historischen Kritik !…" natürlich] Eine Vorstufe findet sich in FPL [III] 76. Die fundamentale Kritik der (historischen) Kritik und der anspruchsvolle Entwurf einer neuartigen Kritik gehören zu den bevorzugten Themen der Kritischen Fragmente. (Z.B. L5, 27, 31, 57, 86, 114, 117, 120; vgl. auch A26, 47, 56, 66, 89, 116, 121, 166f., 205, 221, 281, 387, 404, 426, 439, 448, Id123 u. ö.) Funktion und Charakter dieser zukunftsweisenden, „konstituierenden und organisierenden“ Kritik erläutert Schlegel in Lessings Gedanken und Meinungen (1804); sie solle „nicht so wohl der Kommentar einer schon vorhandnen, vollendeten, verblühten, sondern vielmehr das Organon einer noch zu vollendenden, zu bildenden, ja anzufangenden Literatur“ sein. Schlegel erstrebt „also eine Kritik, die nicht bloß erklärend und erhaltend, sondern die selbst produzierend wäre, wenigstens indirekt durch Lenkung, Anordnung, Erregung“ (KFSA3, S.82). Ihre Aufgabe ist es zunächst, durch Polemik „das böse Prinzip der Gemeinheit und Unwissenheit bis in ihre höchsten Potenzen !…" zu verfolgen“ (ebd.) und auszurotten, um danach „eine wahre Literatur !…" hervorzubringen“ (KFSA3, S.83). -- Frischmann, Frühromantische Kritikkonzeption; Götze, Ironie, S.231–245; Henel; Schulte-Sasse; Jure Zovko, Zur Aktualität von Schlegels Kritikkonzeption. In: Das neue Licht der Frühromantik, S.71–79. 26: 10,34 Die Romane sind die sokratischen Dialoge unserer Zeit] Mit dem Hinweis auf den griechischen Philosophen Sokrates (469–399 v.Chr.), von dem Schlegel in L42 und 108 seine Auffassung von Ironie herleitet, bezeichnet L26 implizit Ironie als Wesensmerkmal des Romans und charakterisiert ihn als

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prinzipiell philosophische Literaturgattung, grenzt ihn aber zugleich gegen die zeitgenössische „Schulweisheit“ ab. Als Romane bezeichnete man an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert allerdings nicht nur erzählende Prosawerke, sondern auch Epen und Dramentexte, soweit sie von der aristotelischen Form abwichen. Schlegels wachsendes Interesse am Roman, der für ihn die Dichtart der Moderne schlechthin repräsentierte, dokumentieren zahlreiche Fragmente zu diesem Thema, z.B. L18, 41, 78, 89, A111, 116, 118, 124, 146, 170, 199, 252, 380, 405, 418, 426, Id11, FPL [V] 4 (und siehe dort Anm. 97,15f. zum Roman als ‚Mischgedicht‘), 9, 20, 32, 55, 74, 76, 86, 103, 106f., 115, 577, Brief über den Roman (1800; KFSA2, S.329–339); vgl. auch Schleiermacher, G I 186, III17, 20, 23, 63. Vgl. zu Sokrates u.a. auch L43, 108, 125, A104, 160, 295, FPL [V] 163, PhL Beilage IV und Hülsen, H13. Siehe Anm. 13,30 zu L49 (‚romantisch‘), 35,7 zu A126 (‚romantisieren‘) und 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Philosophie und Dichtung. -- Barth, S.170–173; Brauers, S.112–114; Gerhart Hoffmeister, Der romantische Roman. In: Romantik-Handbuch, S.207–240; Ostermann, Fragment, S.121f. 26: 10,34f. liberale Form] ‚Liberal‘ wurde im 18. Jahrhundert noch ohne die heute vorherrschende politische Bedeutungsdimension im Sinn von ‚frei, undogmatisch, geistig flexibel‘ verwendet. Schlegels Auffassung von Liberalität steht seinem Willkür- und Ironiebegriff nahe. Vgl. u.a. auch L37, 71, 117, 123, A67, 231; Schleiermacher, G I 41, GIII3 und die Definition in A441. 27: 10,36 Ein Kritiker ist ein Leser, der wiederkäut] Die ‚respektlose‘ Metapher des wiederkäuenden Lesers verlangt vom Kritiker mehrfaches, gründlich zergliederndes Durcharbeiten seines Gegenstands als Voraussetzung für dessen produktive, quasi organische Aneignung. Dieses Verfahren beschreibt Schlegel in Lessings Gedanken und Meinungen (1804) in einem Abschnitt, der den Ursprung der Kritik bei den Griechen schildert: „Und vortrefflich war die Methode ihres Studiums; ein unaufhörliches, stets von neuem wiederholtes Lesen der klassischen Schriften, ein immer wieder von vorn angefangnes Durchgehen des ganzen Zyklus; nur das heißt wirklich lesen; nur so können reife Resultate entstehen und ein Kunstgefühl, und ein Kunsturteil, welches allein durch das Verständnis des Ganzen der Kunst und der Bildung selbst möglich ist“ (KFSA3, S.53). Vgl. auch PhL [II] 927, „Die wahre Kritik ein Autor in der 2t Potenz“, und die weiteren Fragmente über den Kritiker: L69, A66, PhL [II] 134, 140, 148, 161, 582, 815 u. ö.; ferner A59 (‚Rezensent‘) und siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). -Strack, Fermenta cognitionis, S.348; Jure Zovko, Zur Aktualität von Schlegels Kritikkonzeption. In: Das neue Licht der Frühromantik, S.71–79. 28: 10,38f. Sinn (für !…") ist dividierter Geist] Vgl. zu der für Schlegel charakteristischen Wendung ‚Sinn für‘ auch L36, 46, 71, A22, 68, 81, 87, 102, 146, 193, 219, 295, 326f., 329, 339, 389, 412, 415, 418, Id121, PhL [II] 850; Novalis, BL18, FuS53, 671, 680, 699 („Aller innere Sinn ist Sinn für Sinn“) u. ö. Siehe auch Anm. 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘). -- Brauers, S.107; Fromm, Geheimnis der Entzweyung, S.136–147. 28: 10,39f. Selbstbeschränkung, also ein Resultat von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung] Der Terminus ‚Selbstbeschränkung‘ „meint die Freiheit des

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Menschen und Künstlers vor sich selbst oder vor zu starker oder falscher Bindung an den Gegenstand und den Aussagewillen, ein für die künstlerische Mitteilung wichtiges in sich gebundenes Vermögen der Selbstbestimmung“ (StrohschneiderKohrs, S.28). ‚Selbstbeschränkung‘, die nach L37 die Voraussetzung für künstlerisches Schaffen darstellt, resultiert aus dem Zusammenwirken der beiden entgegengesetzten Möglichkeiten ‚Selbstschöpfung‘ und ‚Selbstvernichtung‘. Vgl. zu diesen Begriffen auch A51, 269, 305, 400, Id44, FPL [V] 150, 204f., 207f., 237, PhL [II] 988, Über Goethes Meister (1798; KFSA2, S.136), Friedrich Schlegels Brief an August Wilhelm, 26.8.1797 (KFSA24, S.8f.) sowie Novalis, AB820: „Wir verstehn natürlich alles Fremde nur durch Selbstfremdmachung – Selbstveränderung – Selbstbeobachtung“ (NO3, S.429); siehe außerdem Anm. 10,4f. zu L14. -- Barth, S.139–147; Behler, Ironie und literarische Moderne, S.97; Strohschneider-Kohrs, S.26–34. 28: 10,38–40 Sinn !…" Selbstvernichtung] Eine Vorstufe findet sich in der Definition FPL [V] 207. 29: 11,1 Anmut ist korrektes Leben] Vgl. FPL [V] 204 und siehe Anm. 50,34 zu A253 (‚korrekt‘). 30: 11,5 Theorie der diabolischen Dichtart] Siehe Anm. 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘) und 14,29 zu L60 (‚Dichtarten‘). 30: 11,3–5 An die Stelle des Schicksals tritt in der modernen Tragödie !…" veranlaßt hat?] Vgl. die Vorstufe FPL [V] 97 und zur Tragödie L42, 45, 121, A110, 251, 371, FPL [V] 30, 32, 64, 70, 86, 97, 201, 217, 275, 317, 353, 607, 786; Schleiermacher, GIII45, 55 u. ö. -- Ernst Behler, Die Theorie der Tragödie in der deutschen Frühromantik. In: Romantik in Deutschland, S.572–583; Cometa. 31: 11,6 Die Einteilung der Kunstwerke in naive und sentimentale] Vgl. Schillers Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung (1795/96; NA20, S.413–503). Siehe auch Anm. 26,35 zu A51 (‚naiv‘). Der Begriff des Sentimentalen begegnet ferner in A219, 418, 421, FPL [V] 152, im Studium-Aufsatz (KFSA1, S.211–213) sowie in A121 und 189 (von A.W.Schlegel) in abschätzigem Sinn. Im Gespräch über die Poesie (1800) gibt Friedrich Schlegel folgende Definition: „Was ist denn nun dieses Sentimentale? Das was uns anspricht, wo das Gefühl herrscht, und zwar nicht ein sinnliches, sondern das geistige. Die Quelle und Seele aller dieser Regungen ist die Liebe, und der Geist der Liebe muß in der romantischen Poesie überall unsichtbar sichtbar schweben“ (KFSA2, S.333f.). Vgl. zum Begriffspaar ‚naiv und sentimental‘ A231, FPL [V] 252f., 761, 765, 1040, PhL [II] 631; Novalis, ET442 u. ö. 31: 11,7 Kunsturteile] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 31: 11,10 Phrasis] Satz. 31: 11,10 des alten Thomasius] Christian Thomasius (1655–1728), bedeutender Vertreter der Aufklärung. 31: 11,10f. Nunc vero !…" trompetis] „Wahrlich nun werden die Musikanten mit Pauken und Trompeten musizieren“. 32: 11,12–15 Die chemische Klassifikation der Auflösung !…" Wasser] Schlegel benutzt in seinen Fragmenten – ebenso wie Novalis – öfters die Begrifflichkeit der zeitgenössischen Naturwissenschaften – insbesondere der Chemie

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und der Elektrizitätslehre –, um Phänomene der literarischen Produktion zu verdeutlichen. Aus der Chemie entlehnt sind z.B. Termini wie „Zersetzung“ (L34), „Gemisch“ (L53), „Verdünnung“ (A82), „Lebensluft“, „Azote“ (L92), ‚Vermischung und Zersetzung‘ (A243), „Scheidungs- und Verbindungskunst“ (A404) oder „Mischung“ (A239, 448); vgl. ferner A83, 366, 426, PhL [IV] 30, 459, 461, 466; Schleiermacher, G I 28f., 136; L22 (‚Flamme‘), L90 (‚Explosion‘), L34 (‚elektrisieren‘), A300 (‚elektrischer Schlag‘); Novalis, Lg15 („dephlegmatisiren“), Lg28 („Sublimation“), ferner BL14, 96, 109, GL9, 21, AB941f. u. ö. – Vgl. zur mehrfach wiederkehrenden Vorstellung von Synthese und Analyse L22, 33f., 46, 112, FPL [V] 90. FPL [V] 59 und 133 führen Herder als Beispiel für die „Auflösung in Wasser“ an; vgl. zu Analyse und Synthese in der Philosophie PhL Beilage I 60 u. ö. Siehe auch Anm. 27,12 zu A55 (‚Klassifikation‘). -- Michel Chaouli, Friedrich Schlegels Labor der Poesie. In: ‚Athenäum. Jahrbuch für Romantik‘ 11 (2001), S.59–70; ders., Laboratory; Frank, Wechselgrundsatz, S.40–44; Kapitza, Physik; Maatsch, S.129–133; Naschert, Wechselerweis, S.82f.; Specht; Stein. 33: 11,16–18 Eins von beiden !…" brauchte] Nach L108 „enthält und erregt“ die Ironie „ein Gefühl !…" der Unmöglichkeit und Notwendigkeit einer vollständigen Mitteilung“. 33: 11,19 der synthetischen Naturen !…" der analytischen] Siehe Anm. 11,12–15 zu L32. 34: 11,20 Ein witziger Einfall ist die Zersetzung geistiger Stoffe] Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘), 10,21–23 zu L22 über die Wirkung des Witzes sowie 11,12–15 zu L32 über den Gebrauch chemischer Termini in den Fragmenten der Frühromantiker. 34: 11,23 Friktion] Reibung. 34: 11,20–25 Ein witziger Einfall !…" entlocken kann] -- Neumann, Ideenparadiese, S.463. 35: 11,26 Mancher redet so vom Publikum] Siehe Anm. 15,24–27 zu L70 über Leser und Publikum. 35: 11,27 Hotel de Saxe] Von 1767 bis 1909 bestehendes Hotel in der Klostergasse 9 zu Leipzig. 36: 11,31f. für die ihm der Sinn durchaus fehle] Siehe Anm. 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘). 36: 11,34f. bis zum Klassischen gebildet] Vgl. die Wendung „bis zur Ironie“ in A51 und 305. Siehe auch Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 37: 11,37 Besonnenheit] Siehe Anm. 213,7 zu ET432. 37: 11,38f. So lange der Künstler erfindet und begeistert ist] Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘) und 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘). 37: 11,39 für die Mitteilung] Siehe Anm. 17,30f. zu L98. 37: 11,40 in einem illiberalen Zustande] Siehe Anm. 10,34f. zu L26 (‚liberal‘). 37: 11,40 Er wird dann alles sagen wollen] FPL [IV] 119 nennt es „Plattheit, wenn man alles sagen kann“. L33 bezeichnet es als die Sünde ‚analytischer‘ Naturen, „vieles zu sagen, was durchaus nicht gesagt zu werden brauchte“.

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37: 11,41 eine falsche Tendenz junger Genies] Die Wendung „falsche Tendenz“ begegnet bei Schlegel mehrfach, z.B. in A382, 421, Id124, 141, PhL [III] 343, 424, 480, 583, 610, 613, 703, 748, 786, KFSA2, S.125 (Über Lessing); KFSA2, S.141 (Über Goethes Meister); A278 („Verkehrtheit der Tendenz“); KFSA2, S.290 (Gespräch über die Poesie); Schleiermacher, GV67; in T104 nimmt Novalis diese Formulierung auf. Siehe auch Anm. 15,18f. zu L69 (‚Tendenz‘) und 33,40f. zu A119 (‚Genie‘). 37: 11,42–12,5 Selbstbeschränkung !…" Selbstschöpfung und Selbstvernichtung] Im Zustand der Begeisterung besitzt der Dichter noch nicht die Freiheit und innere Distanz, die ihm erst ermöglicht, ‚gut‘ über einen Gegenstand zu schreiben. Dies gelingt erst, wenn der Künstler seinem Enthusiasmus Schranken setzt und zu einer ‚indifferenten‘ Haltung findet. Schlegel bezieht sich hier auf Fichtes Gedanken der notwendigen Selbstbeschränkung des Ichs zur „allgemeine Gültigkeit beanspruchenden Erkenntnis von dem Beschränkten und der Beschränkung als Bedingung der Möglichkeit gerade der universalen, objektiven schriftstellerischen Existenz“ (Mennemeier, Fragment, S.352). Diese Erkenntnis liefert zugleich auch eine theoretische Begründung des Fragmentarischen. Zur Trias von ‚Selbstbeschränkung‘, ‚Selbstschöpfung‘ und ‚Selbstvernichtung‘ siehe auch Anm. 10,39f. zu L28, dessen Begrifflichkeit L37 aufgreift. -- Behler, Ironie und literarische Moderne, S.94f.; Eichner, KFSA2, S.LXIX; Huge, S.87; Naschert, Wechselerweis, S.28–34; Ostermann, Fragment, S.122f.; Strohschneider-Kohrs, S.31–34. 37: 12,7 aus unbedingter Willkür] Vgl. L67. Siehe Anm. 141,4 zu BL1 über das Unbedingte und 10,9 zu L16 (‚Willkür‘). 37: 11,36–12,15 Um über einen Gegenstand gut schreiben zu können !…" nicht übertreiben] Obwohl seine auffallende Länge den Text fast schon als selbständige Abhandlung erscheinen läßt, wird sein fragmentarischer Charakter durch zahlreiche Querverweise, durch mehrfaches Anknüpfen an früher Gesagtes und durch Vorgriffe auf die Gegenstände nachfolgender Fragmente sowie durch den offenen, geradezu abgebrochenen Schluß gewahrt. Sein Thema, die Bedingung künstlerischen Schaffens, verbindet L37 mit den beiden großen Ironie-Fragmenten L42 und 108 und schlägt darüber hinaus eine Brücke zu A116, das die Eigenart der romantischen Poesie näher zu bestimmen sucht. 38: 12,16f. An dem Urbilde der Deutschheit !…" falsche Stellung] Vgl. zum Thema ‚Deutschheit‘ und Nationalcharakter der Deutschen auch L116, 122, A26, 291, Id120, 135, PhL [II] 20, 31, 64, KFSA1, S.223 (Studium-Aufsatz); Novalis, BL61 und ET425. 38: 12,17f. Diese Deutschheit liegt nicht hinter uns, sondern vor uns] Eine Anspielung auf Fichtes Kritik an Rousseau und an der traditionellen Hirtenidylle in der 5. Vorlesung Über die Bestimmung des Gelehrten (1794): „Vor uns also liegt, was Rousseau unter dem Namen des Naturstandes, und jene Dichter unter der Benennung des goldenen Zeitalters, hinter uns setzen“ (FI6, S.342). Ähnlich fordert auch Schiller in der Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung (1795/96) vom Idyllendichter: „Er führe uns nicht rückwärts in unsre Kindheit !…" sondern führe uns vorwärts zu unsrer Mündigkeit !…" Er mache sich

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die Aufgabe einer Idylle, welche !…" den Menschen, der nun einmal nicht mehr nach Arkadien zurückkann, bis nach Elisium führt“ (NA20, S.472). Auch A243 spiegelt diese Entwicklung der Geschichtsphilosophie im ausgehenden 18. Jahrhundert, die das Idealbild eines vergangenen goldenen Zeitalters zugunsten einer künftigen goldenen Zeit aufgibt. -- Mähl, Idee, S.177f. 39: 12,21 passivem Witz] Als Beispiel für ‚passiven Witz‘ nennt FPL [IV] 113 Johann Heinrich Voß (1751–1826). Siehe auch Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘). 40: 12,23–26 In der in Deutschland !…" geltenden Bedeutung ist Ästhetisch ein Wort !…" beibehalten?] Als ‚aisthétike téchne‘ wurde ursprünglich die Wissenschaft vom sinnlich Wahrnehmbaren oder von den Sinneswahrnehmungen bezeichnet. Das 18. Jahrhundert übernimmt den Begriff mit einer Bedeutungsverschiebung und -verengung zum Gefälligen und Harmonischen. ‚Ästhetik‘ bezeichnet nur noch die ‚Lehre vom Schönen‘ und klammert das Häßliche aus. Seine Auffassung vom Häßlichen in der Kunst entwickelt Schlegel im Aufsatz Über das Studium der griechischen Poesie (1797; KFSA1, S.311–315). 41: 12,27f. An geselligem Witz !…" vergleichen] Das gesellige Moment des Witzes beleuchten u.a. L9, 56, 103, A37, 394. Mit der europäischen WitzTradition seit der Antike setzen sich ferner L13, 59, 67, 126, A156 und 217 auseinander. 41: 12,28 Faublas] Jean-Baptiste Louvet de Couvray (1760–1797), Les Amours du Chevalier de Faublas (1789), ein galanter Roman. Schlegel schätzte das Werk, und eine Übersetzung durch Dorothea Veit war geplant. (Vgl. den Brief Friedrich Schlegels an Caroline Schlegel, 19.2.1799; KFSA24, S.230.) Auf diesen Roman beziehen sich auch A421, FPL [IX] 550, [XI] 4, 19 und Schleiermacher, G I 187. Siehe Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘). 42: 12,29 Die Philosophie ist die eigentliche Heimat der Ironie] Gemeint ist zunächst die griechische, speziell die sokratische Ironie; sie hat befreiende, ‚aufklärerische‘ Wirkung, indem sie „durch Rede und Gegenrede, durch Abschweifung und Improvisation über scheinbar Nebensächliches den Gegenstand der Erkenntnis in die erhellende Spannung von Gegensätzen stellt“ (Huge, S.74). Der frühromantische Ironiebegriff läßt sich als philosophisches Konzept auf der Grundlage der Fichteschen Transzendentalphilosophie auffassen; die Schlegelsche Ironie stellt nach B.Frischmann eine „dialektische Methode der Synthesis“ dar, die jedoch zu keinem abschließenden Endpunkt führen, sondern in der Synthesis die Dynamik aufbewahren soll. Ein solches Denken bewegt sich (schwebt) dialektisch zwischen den antithetischen Widerspruchspolen, ohne dabei zur Ruhe zu kommen“ (Transzendental, S.342). Dabei verzichtet Schlegel darauf, seine Konzeption von Ironie systematisch auszuarbeiten; sie bleibt fragmentarisch, begegnet aber „an wichtigen Stellen des theoretischen Diskurses !…" und dient Schlegel als Platzhalter für solche Aspekte seiner Philosophie, die ein modernes, antimetaphysisches und plurales Weltbild kennzeichnen“ (ebd., S.330). – Vgl. zur Ironie auch L7, 48, A51, 121, 253, 305, 362, 431, Id69, FPL [V] 409, 455, 483, 502f., 505, 507–509, 520f., 565, 572, 700, 709, 716, 731, 776, 783, 789, 809, 833, 878, 902, PhL [II] 158, 206, 339, 487, 554f., 592f., 604, 637, 668, 678, 766;

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Novalis, BL29, ET 415; Schleiermacher GIII3 u. ö.; die sokratische Ironie thematisieren L108, FPL [V] 53, 519; vgl. ferner L26, das Romane als ‚sokratische Dialoge‘ bezeichnet. 42: 12,29f. logische Schönheit] Siehe Anm. 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘) und 32,4 zu A108 (‚schön‘). 42: 12,32 Urbanität] Die rhetorische Kategorie der ‚urbanitas‘ bezeichnet die „städtische Eleganz des Stils“ und den ‚feinen Witz‘ der Rede (Lausberg, §1244); sie steht der sanften Affektstufe des ‚ethos‘ nahe, die geeignet ist, Sympathie zu erregen, und hat gesellige, gesellschaftliche Funktion (ebd., §256). Vgl. auch FPL [V] 16, 341, 385, 410, 426, 534, 731, 747, 758, 772, 776, 812, 832, 866 u. ö. -- Schanze, Aufklärung, S.83. 42: 12,33 rhetorische Ironie] Der bis ins späte 18. Jahrhundert gebräuchliche Ironiebegriff entstammt der antiken Schulrhetorik und ist dort Bestandteil der Lehre von den Tropen und Figuren (Lausberg, §§582–585 und 902–904). Ironie wird hier definiert als Redeform, bei der das Gegenteil des Gesagten zu verstehen ist. (Quintilian, Institutio oratoria IX, 2,44: „contrarium ei quod dicitur intelligendum est“.) Gegen diesen eingeschränkten Ironiebegriff, der eine bloße rhetorische Technik bezeichnet, grenzt sich Friedrich Schlegel energisch ab. Seine Neubestimmung der Ironie versteht sich als Rückkehr zum sokratischen Modell und stellt eine „Potenzierung durch Infinitisierung“ dar (Oesterreich, Wenn die Ironie wild wird, S.32), die in drei Stufen von der rhetorischen ‚Ironia verbi‘ über die ‚Ironia vitae‘ (die existenzielle Grundhaltung z.B. eines Sokrates) zur ontologischen Kategorie schlechthin ausgeweitet wird, in der die Natur als „objektive!r" Ausdruck der absoluten Ironie des Absoluten“ (ebd., S.33) fungiert (vgl. z.B. Id69 und 71). Siehe auch Anm. 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘). -- Bär, S.394–399; Behler, Ironie; ders., Theorie der romantischen Ironie, S.93f.; Frischmann, Transzendental, S.329–369; dies., Was ist ironistische Philosophie? In: Das neue Licht der Frühromantik, S.80–93, besonders S.80–89; Huge, S.79; Oesterreich, Ironie; ders., Wenn die Ironie wild wird. 42: 12,34 im Polemischen] Siehe Anm. 16,19 zu L81 (‚Polemik‘). 42: 12,36 eine alte Tragödie in hohem Styl] Siehe Anm. 11,3–5 zu L30 (‚Tragödie‘) und 18,25 zu L104 (‚Styl‘). 42: 12,36f. Die Poesie allein kann sich !…" bis zur Höhe der Philosophie erheben] Die Ironie soll als spezifisch ‚philosophisches‘ Vermögen in der Dichtung wirksam werden und zu einer Annäherung von Poesie und Philosophie führen. Zum Verhältnis von Poesie und Philosophie siehe Anm. 19,41f. zu L115. -- Strohschneider-Kohrs, S.17–21. 42: 12,38f. Es gibt alte und moderne Gedichte !…" Ironie atmen] Als Gedichte bezeichnet der zeitgenössische Sprachgebrauch Werke der Dichtkunst, auch solche in Prosa. – Schlegel erkannte und benannte als erster die Ironie als durchgängiges Gestaltungsprinzip in literarischen Werken auch früherer Jahrhunderte. Besonders schätzte er die ironische Haltung Shakespeares, Cervantes’, Diderots, Goethes und Tiecks. -- Behler, Frühromantik, S.248–250; ders., Ironie, S.40–52; ders., Die Theorie der romantischen Ironie, S.46–65; Götze, Ironie, S.195–253.

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42: 12,40 transzendentale Buffonerie] Schlegels ‚witzige‘ Denk- und Ausdrucksweise verknüpft sinnreich gegensätzliche Komponenten, um die dialektische Struktur seines Ironiebegriffs zu verdeutlichen: „im Äußern“ zeigt der ironisch gestaltende Künstler das Gehabe eines Buffo, des Sängers komischer Rollen in der italienischen Oper, der scheinbar willkürlich aus seiner Rolle heraustritt und die dramatische Illusion stört. Als ‚transzendentaler Buffonerie‘ ist dieser Haltung eigentümlich, daß sie sich „im Innern“ über alles Bedingte erhebt. Transzendental nennt A22, „was auf die Verbindung oder Trennung des Idealen und des Realen Bezug hat“. Siehe auch Anm. 24,19 zu A22 (‚transzendental‘). – FPL [IV] 113 nennt „Vossens [philologische! "] Mimen !…" Naturbuffonerien“. Vgl. auch Schleiermacher, GIII57. – Zum Gedanken der Erhebung über das Bedingte äußert sich Schlegel in seinem Aufsatz Über Goethes Meister (1798): „Wir müssen uns über unsre eigne Liebe erheben, und was wir anbeten, in Gedanken vernichten können: sonst fehlt uns !…" der Sinn für das Weltall“ (KFSA2, S.131). Vgl. ferner L108 zum „Widerstreit des Unbedingten und des Bedingten“ und die Ausführungen zur ‚Selbstbeschränkung‘ in L28 und A51. Siehe ferner Anm. 10,4f. zu L14 über die Gedankenbewegung des ordo inversus. -- Härter, S.241f.; Strohschneider-Kohrs, S.18–22. 42: 12,42 mimische Manier] Vgl. zur Mimik des Buffo FPL [V] 269. Siehe auch Anm. 13,17 zu L45 (‚Mimus‘) und 9,16f. zu L7 bzw. 16,28 zu L83 (‚Manier‘). 42: 12,29–43 Die Philosophie !…" Buffo] -- Barth, S.134–138; Ernst Behler, Ironie und literarische Moderne, S.46–49; Schöning, S.178–185. 43: 13,1 Hippel, sagt Kant] Der Schriftsteller Theodor Gottlieb von Hippel (1741–1796) war mit Kant befreundet und bemühte sich um eine Popularisierung der Aufklärungsphilosophie (über ihn äußert sich Schlegel auch in PhL [IV] 21 und 24, Schleiermacher in GIII79f.). Siehe auch Anm. 10,12 zu L16 (Kant). 44: 13,5f. Geist des Altertums !…" mit den Geistern] Schlegel setzt spielerisch die verschiedenen Bedeutungen des Worts ‚Geist‘ im Singular und im Plural nebeneinander. Vgl. Novalis, Lg6; vgl. ferner die Fragmente über das Altertum: A121, 147, 155, 273, 404, Id102, und siehe Anm. 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘). 44: 13,8f. den Besitz des alleinseligmachenden Glaubens durch gute Werke zu beweisen] Eine Anspielung auf den zentralen Gedanken der Ringparabel in Lessings Nathan der Weise (1779; dort III7); vgl. auch den Aufsatz Über Lessing (1797; KFSA2, S.102). 45: 13,12f. que pourtant !…" François] „Daß wir dennoch in Gefahr sind, immer Franzosen zu bleiben“. Vgl. zu Frankreich und den Franzosen auch folgende Fragmente: L50, 59, A20, 110, 141, 170f., 205, 209, 216, 227, 251, 296, 312, 353, 355, 360, 374, 423f., 426, Id94; Novalis, BL64, GL8, ET375; Schleiermacher GIII24 u. ö. 45: 13,15f. warum Dante sein großes Werk eine göttliche Komödie nannte] Dantes berühmtes Epos La commedia (entstanden 1311–1321, veröffentlicht 1472) schildert die Wanderung des Dichters durch die drei Reiche des Jenseits, ‚Inferno‘, ‚Purgatorio‘ und ‚Paradiso‘. Den Titel Divina commedia ver-

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dankt das Werk allerdings nicht seinem Verfasser, dem „heilige!n" Stifter und Vater der modernen Poesie“ (Gespräch über die Poesie; KFSA2, S.297), sondern dem Herausgeber Lodovico Dolce (1508–1568). Mit Dante beschäftigen sich auch A193, 247, FPL [V] 76, 184 und PhL [VI] 10. -- Hoffmeister, Europäische Einflüsse, S.108. 45: 13,17 traurige Mimen] In der Antike improvisierte szenische Darstellungen des täglichen Lebens, Vorläufer der Komödie. Vgl. zum Mimus bzw. zum Mimischen L42, 75, A126, FPL [V] 20, 49, 55f., 168 u. ö. 45: 13,19f. eine Tragödie ist ein Drama, worin Pyramus sich selbst umbringt] In Shakespeares Sommernachtstraum proben die Handwerker eine dramatische Bearbeitung des griechischen Sagenstoffes von Pyramus und Thisbe, dem antiken Paar, das wie Romeo und Julia durch ein Mißverständnis ums Leben kommt. (Vgl. Ovid, Metamorphosen, Buch IV.) Das ‚Stück im Stück‘ wird den Zuschauern bei Hof angekündigt als „Ein kurz langweil’ger Akt vom jungen Pyramus Und Thisbe, seinem Lieb. Spaßhafte Tragödie“. Diese widersprüchliche Benennung des Stücks kommentiert Philostrat, der Zeremonienmeister des Herzogs von Athen: „Und tragisch ist es auch, mein Gnädigster, Denn Pyramus bringt selbst darin sich um“. (V1, Vers 55f. und 66f.) Siehe auch Anm. 20,30f. zu L121 über Shakespeare, 11,3–5 zu L30 (‚Tragödie‘), und vgl. zum Drama die Fragmente L49, A17, 36, 42, 123, 126, 129, 135, 140, 244f., 253; Novalis, FD196; Schleiermacher, GIII7, 17–19, 21f. u. ö. -- Cometa. 46: 13,21 Die Römer sind uns näher und begreiflicher als die Griechen] Vgl. zu den Römern L105, 117, 126, A55, 144, 146, 152, 155, 163, 193, 219, 239, 248, 448, Id56, 114; Novalis, BL64, 75; Schleiermacher, G I 181, 207 u. ö.; zu den Griechen A55, 115, 149, 155, 162, 164f., 180, 186, 203, 219, 238, 248, 271, 277, 304, 310, 440, 448; Schleiermacher, GIII42 u. ö. 46: 13,22 Sinn für] Siehe Anm. 10,38f. zu L28. 46: 13,23 weniger synthetische als analytische Naturen] Siehe Anm. 11,12–15 zu L32 zum Gebrauch von Metaphern aus den Naturwissenschaften und speziell aus der Chemie. 46: 13,24 Individuen] C.Brauers, S.88f., weist im Zusammenhang mit dem Begriff der Individualität auf die „für den frühen Schlegel insgesamt charakteristische Tendenz“ hin, „strukturelle Begriffsbeschreibungen !…" nicht mehr notwendig an die Bezugsgröße der menschlichen Personalität zu binden, sondern als Systemeigenschaft auf andere Ebenen übertragbar zu machen.“ Vgl. auch A22, 34, 51, 55, 77, 82f., 116, 121, 165, 225, 236, 242, 253, 287, 406, 415, 426f., 451, Id6, 24, 47, 60, 64, 95, 97; Novalis, BL52, 55, 58, 89, 108, 111, GL63; Schleiermacher, G I 89, 112b, 140, 144, 170, 179 u. ö. -- Brauers, S.104–107 und 306f. 46: 13,25 Künste oder Wissenschaften] Siehe Anm. 10,10 zu L16. 47: 13,26 etwas Unendliches] Vgl. L54, A102, 116, 227, 406, Id3, 13, 16, 42, 81, 85, 98, 131; Novalis, Vorarbeiten (Poësie) 31, Vorarbeiten 75, 105, T16; Schleiermacher, G I 170 u. ö. -- Brauers; Markus Enders, Das romantische Unendlichkeitsverständnis Friedrich Schlegels. In: DVjs 74 (2000), S.44–83; Frischmann, Transzendental, S.212–216.

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47: 13,26f. Aber umkehren läßt sich dieser Satz nicht] Schlegel treibt in diesem Fragment ein wohlkalkuliertes Spiel mit dem Typus der ‚Maxime à renversement‘ (Fink, S.22). Indem der Verfasser die Umkehrbarkeit des ersten Satzes ausdrücklich verwirft, regt er den Leser dazu an, die verschiedenen Möglichkeiten der Umkehrung zu erproben. 48: 13,28f. Ironie ist die Form des Paradoxen. Paradox ist alles, was !…" groß ist] Die Definitionskette der Form ‚a ist b, b ist …‘ gibt keine theoretische Erklärung, sondern eine praktische Demonstration des Paradoxen. Vgl. zum Phänomen des Paradoxen u.a. auch A231, 414 und Über die Unverständlichkeit (1800; KFSA2, S.368). Eine Vorstufe liegt eventuell in FPL [V] 1078 vor. -- Behler, Theorie der romantischen Ironie, S.93; Fricke, S.87; Schöning, S.181f. 49: 13,30 Moyens] Mittel, Hilfsmittel. 49: 13,30 der dramatischen und romantischen Kunst] Siehe Anm. 13,19f. zu L45 (‚Drama‘). ‚Romantische Kunst‘ ist hier Synonym zu ‚Romankunst‘. Der Begriff ‚romantisch‘ bezeichnete im 18. Jahrhundert zunächst die in einer romanischen Volkssprache – nicht im Lateinischen als Sprache der Gebildeten – geschriebene Literatur, die sich im Roman und im Romanzo eigenständige, mit der klassisch-normativen Bestimmung der Dichtarten brechende, Ausdrucksformen geschaffen hatte. Im Hinblick auf Form und Inhalt dieser Werke konnte ‚romantisch‘ auch eine ‚nicht-klassische‘ Form bezeichnen, die sich z.B. der Prosa statt des epischen Versmaßes bediente und/oder den klassischen Grundsatz der Trennung und Reinheit der Dichtungsgattungen mißachtete; im Hinblick auf den Inhalt so populärer Genres wie Rittererzählung und Liebesromanzo wurde ‚romantisch‘ auch auf die Kategorie des Phantastischen, Abenteuerlichen, Unwahrscheinlichen bezogen. Vgl. auch L67, 119, A116, 125f., 139, 153f., 190, 247, 253, 414, 418, FPL [V] 18–20, 23, 26f., 30f., 42, 51, 65f., 69, 168, 174, 184f., Friedrich Schlegel an August Wilhelm, ca. 1.12.1797 (KFSA24, S.53); Novalis, T4; Schleiermacher, GIII19, 21 u. ö.; siehe Anm. 35,7 zu A126 (‚romantisieren‘). – Bär, S.483–506; Eichner, KFSA2, S.LVI-LVIII; Pikulik, Frühromantik, S.71–79; Schillemeit, S.138–141. 49: 13,30f. bei den Engländern] Über Kunst und Kritik der Engländer äußert sich Friedrich Schlegel öfters abfällig; vgl. L67, 69, 91, A61, 115, 141, 170, 199, 219, 297, 301, 311, 355, 379, 389, 421, FPL [VI] 41, [V] 60, Gespräch über die Poesie (1800; KFSA2, S.289); Schleiermacher, G I 161, 169. 49: 13,31 Guineen] Die Guinea ist eine alte englische Goldmünze. 50: 13,34 Chamfort] Siehe Einleitung, Kapitel „Entstehung“; vgl. zu Chamfort auch L59, 111, A38, 82, 425, FPL [VI] 24. 50: 13,34–36 „Les vers ajoutent de l’esprit !…" talent.“] „Die Versform gesellt Geist zu den Gedanken des Menschen, der mitunter recht wenig hat: man spricht dann von Talent.“ (Übersetzung von F.Schalk, S.282.) Die Fortsetzung des Textes aus den Maximes et pensées lautet: „Souvent ils ôtent de l’esprit à la pensée de celui qui a beaucoup d’esprit: et c’est la meilleure preuve de l’absence du talent pour les vers.“ (Chamfort, Oeuvres 1, S.424f. „Manchmal unterschlägt sie aber den Geist in den Gedanken eines Menschen, der viel Geist hat; das be-

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weist dann, daß ihm das Talent für die Verskunst abgeht.“) Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Talent‘). 51: 13,37 Witz als Werkzeug der Rache] Siehe Anm. 9,23 zu L9 und 10,1f. zu L13 (‚Witz‘). 52: 13,39 In manchem Gedicht] Siehe Anm. 10,16 zu L19. 53: 14,1 die meisten modernen Gedichte] Siehe Anm. 10,16 zu L19. 53: 14,1 Allegorien] Vgl. zur Allegorie auch Id2, FPL [V] 161, 221, 975, 1098, 1100, 1212 und die Jenaer Vorlesung über Transcendentalphilosophie (1800–1801; KFSA12, S.39–43). -- Götze, Apologie, S.47f.; Zovko, S.110–132. 53: 14,2 Mysterien] Mysterienspiele, geistliche Spiele um das Leben Christi. Siehe Anm. 78,42 zu A427. 53: 14,2 Moralitäten] Religiöse Schauspiele, in denen Tugenden und Laster personifiziert auftreten. 53: 14,2 Novellen] Siehe Anm. 80,14 zu A429. 53: 14,2 Avantüren] Aventiuren, hier abenteuerliche Erzählungen, (höfische) Romane. 53: 14,2f. ein Gemisch, oder eine Verdünnung] Termini der zeitgenössischen Chemie. Siehe auch Anm. 11,12–15 zu L32. 53: 14,4f. Es gibt Schriftsteller !…" aufs Unendliche beziehen] Siehe Anm. 141,4 zu BL1 über das Unbedingte und 13,26 zu L47 (‚unendlich‘). 55: 14,6 Ein recht freier und gebildeter Mensch] Siehe Anm. 85,35f. zu Id29 (‚frei‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 55: 14,8 willkürlich] Siehe Anm. 10,9 zu L16. 55: 14,6–9 Ein recht freier !…" in jedem Grade] Nach E.Behler, Schlegel, S.178, deutet sich in diesem Fragment das Verständnis von Ironie als freiem Schweben zwischen Gegensätzen an. (Siehe Anm. 12,33 zu L42 über Schlegels Ironiebegriff.) Vgl. auch A121 und Novalis, FSt634 sowie dessen Journal vom 23.5.1797 („Stimmungen nach Willkühr !…" erregen“, NO4, S.40). -- Ernst Behler, Ironie und literarische Moderne, S.112–114; ders., Theorie der romantischen Ironie, S.110; Huge, S.80f. 56: 14,10 Witz ist logische Geselligkeit] Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘) und 78,24f. zu A426 (‚Geselligkeit‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.461. 57: 14,11–14 Wenn manche mystische Kunstliebhaber !…" weitläuftiger] Siehe Anm. 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 58: 14,15f. Wie die Menschen !…" veredeln und belehren] Bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ist der Hinweis auf die erzieherische Funktion der Dichtung fester Bestandteil der normativen Poetik. – Obwohl die Vergleichspartikeln ‚wie … so …‘ ein parallel gebautes Satzpaar erwarten lassen, findet nur der erste Teil des Vergleichs „lieber groß als gerecht“ eine Entsprechung. Es bleibt dem Leser überlassen, zu entscheiden, welche Aufgaben der Künstler an Stelle des ‚Belehrens und Veredelns‘ eigentlich zu erfüllen hätte. Zum zweiten Teil des Fragments vgl. Chamforts Aphorismus: „Man muß erst gerecht seyn, ehe man großmüthig ist, so wie man erst Hemden hat ehe man Manschetten anschafft.“ (Übersetzung von N.P.Stampeel, S.58.) Vgl. auch FPL [V] 77.

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59: 14,17–19 Chamforts Lieblingsgedanke, der Witz sei ein Ersatz !…" abfinde] Siehe Anm. 13,34 zu L50 über Chamfort. – Schlegel stellt im ersten Teil des Fragments drei historische Ansätze zur Bestimmung des Witzes vor, die er jedoch allesamt verwirft, um ihnen im zweiten Teil seine eigene Konzeption einer ‚Autonomie des Witzes‘ entgegenzuhalten. Siehe auch Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘) und 111,39f. zu PhL [II] 28 (‚das höchste Gut‘). 59: 14,22 Zweck an sich, wie die Tugend, die Liebe und die Kunst] Siehe Anm. 85,24 zu Id23 (‚Tugend‘) und 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). 59: 14,23 Der genialische Mann] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘). 59: 14,27 en état d’epigramme] „Zum Epigramm aufgelegt.“ – Chamforts Text lautet vollständig: L’honnête homme, détrompé de toutes les illusions, est l’homme par excellence. Pour peu qu’il ait d’esprit, sa societé est très-aimable. Il ne saurait être pédant, ne mettant d’importance à rien. Il est indulgent, parce qu’il se souvient qu’il a eu des illusions, comme ceux qui en sont encore occupés. C’est un effet de son insouciance d’être sûr dans le commerce, de ne se permettre ni redites ni tracasseries. Si on se les permet à son égard, il les oublie ou les dédaigne. Il doit être plus gai qu’un autre, parce qu’il est constamment en état d’épigramme contre son prochain. Il est dans le vrai, et rit des faux pas de ceux qui marchent à tatons dans le faux. C’est un homme qui, d’un endroit éclairé, voit dans une chambre obscure les gestes ridicules de ceux qui s’y promènent au hasard. Il brise en riant les faux poids et les fausses mesures qu’on applique aux hommes et aux choses. (Oeuvres 1, S.410.)

Und in der Übersetzung von F.Schalk, S.271f.: Der vorzüglichste Charakter hat keine Illusionen mehr. Hat er Geist, so ist seine Gesellschaft sehr angenehm. Niemals ist er pedantisch, denn er nimmt nichts allzu wichtig. Er ist nachsichtig, denn er weiß, daß er an Illusionen ebenso gelitten hat wie die noch von ihnen erfüllt sind. Seine Unbekümmertheit macht ihn sicher im Umgang, er erlaubt sich keine Wiederholung im Gespräch, keine üble Nachrede, keine Intrige. Nimmt man sich so etwas gegen ihn heraus, so geht er verächtlich darüber hinweg. Er ist heiterer als irgendwer und stets zum Epigramm gegen den Nächsten aufgelegt. Sein Weg ist gerade, und er lacht über das Straucheln der andern. Damit gleicht er einem, der aus dem Hellen in ein finsteres Zimmer blickt und dort die lächerlichen Bewegungen derer sieht, die blind herumtaumeln. Sein Lachen zerbricht das falsche Maß; mit dem man Menschen und Dinge mißt.

Schlegel radikalisiert Chamforts Wendung vom „honnête homme en état d’epigramme contre son prochain“ zur Vorstellung vom Weisen „en état d’epigramme“ gegen das Schicksal. In A38 greift Schleiermacher, der sich auf einen Ausspruch Friedrich Schlegels beruft, dieses Chamfort-Zitat auf. Novalis variiert dieselbe Wendung in den Vorarbeiten 453 mit Bezug auf Goethe: „Dramatische Erzählungsart: Märchen und Meister. Toujours en état de Poësie“, ferner in AB152 („toujours en état de Critique“). -- Schlagdenhauffen, Schlegel, S.112. 59: 14,28 zynisch] Von Schlegel als positives Prädikat gebraucht, nicht im heutigen Sinn von ‚zynisch‘ als einer spöttisch-verächtlichen Haltung, sondern – die Schreibung „cynisch“ im Erstdruck läßt beide Lesungen zu – eher in der Bedeutung von ‚kynisch‘ als einer selbstgenügsamen, in äußerlichen Dingen anspruchslosen Lebenshaltung, wie sie der griechischen Philosophenschule der Kyniker eigen war. Deren Name ist vom griechischen Wort für Hund, kyon, ab-

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geleitet und drückt die Verachtung der Zeitgenossen für diese „Proletarier unter den antiken Philosophen“ (Wb Antike, S.400 (‚Kyniker‘)) aus, die keinem Brotberuf nachgingen und das Ideal eines möglichst bedürfnislosen, ungebundenen Lebens anstrebten. ‚Cynisch‘ nennt Friedrich Schlegel eine selbständige, innerlich unabhängige Existenz. Im Typus des ‚freien Schriftstellers‘, dem auch Schlegel selbst zuzurechnen ist, verkörpert sich das Leitbild des Cynikers in besonderer Weise. Schlegels Cynismus „ist selbstreflektierend und labil, dem Witz, der Ironie, der geistigen Liberalität eng verwandt, kann sich von dem eigenen Standpunkt befreien oder, wie im Witz, mit dem Entgegengesetzten verbinden und läßt sich von keiner Sache ‚haben‘“ (Immerwahr, KFSA24, S.L). Vgl. auch L105, 111, 119, A16, 35, 147, 329, PhL [II] 850f., 854, Über Lessing (1797; KFSA2, S.105, 121 und 124); Novalis, GL50f. und 54; Schleiermacher, Leibniz I, Nr.64 (FDES,KGI/2, S.94) sowie in den Briefen der Frühromantiker, z.B. Friedrich Schlegel an August Wilhelm, 27.2.1794 (KFSA23, S.183), Novalis an Friedrich Schlegel, 26.12.1797 und 11.5.1798 (KFSA24, S.69 und 130) und Friedrich Schlegel an Schleiermacher, Mitte August 1798 (KFSA24, S.164). -- Mennemeier, Brennpunkte, S.15; RS, S.240–242. 60: 14,29 Alle klassischen Dichtarten !…" lächerlich] Vgl. hierzu ergänzend A116 und FPL [V] 55, wo der Roman als „Mischung aller Dichtarten“ charakterisiert wird, während Schlegel noch im Studium-Aufsatz die Vermischung der Gattungen in der nachantiken Zeit beklagte (KFSA1, S.219). Mit ihrer Theorie der Mischung – und letztlich der Auflösung – der Dichtarten, die eine nicht mehr überschaubare Fülle poetischer Kombinationsmöglichkeiten schafft, wenden sich die Frühromantiker entschieden von der tradierten normativen Gattungsbestimmung ab zugunsten einer historischen Differenzierung der Dichtarten. – Vgl. zu den Dichtarten L30, 62, A4, 252, 327, FPL [V] 5, 20, 24, 32, 55, 65, 115, 120 und 174. -- Eichner, Theorie der romantischen Poesie, S.173f. und 181; Mandelkow, S.69f. 61: 14,30 der Begriff eines wissenschaftlichen Gedichts] Zum Verhältnis von Kunst und Wissenschaft siehe Anm. 19,41f. zu L115. 62: 14,32–34 Man hat schon so viele Theorien der Dichtarten !…" behelfen müssen] Mit der Gegenüberstellung von Dichtungstheorien und der „einzigen Theorie“ wendet sich Friedrich Schlegel gegen die klassifizierende Regelpoetik des 18. Jahrhunderts, der die Romantik eine umfassendere Auffassung vom poetischen Kunstwerk entgegensetzte. – Vgl. zum Begriff der Theorie auch L64, A4, 9, 76, 116, 238, 447, Id137, FPL [I] 1f., 8, 14, 19, 21, 32; Schleiermacher, G I 104, 106, 120 u. ö.; siehe auch Anm. 14,29 zu L60 (‚Dichtarten‘). 63: 14,35 Nicht die Kunst und die Werke machen den Künstler] Hervorgegangen aus FPL [V] 36. Vgl. ferner die zahlreichen Äußerungen über den Künstler, wie L1, 37, 52, 58, 81, 87, 89, 110, 125, A109, 121, 188, 190, 253, 381, 406, 421, Id13, 16, 20, 32, 42–45, 49, 54, 64, 113f., 120, 122, 131, 136, 142f., 145f., 156; Novalis, GL39, Lg13, Vorarbeiten (Poësie) 38, 40 u. ö. 63: 14,35f. der Sinn und die Begeisterung] Vgl. zum ‚Sinn‘ auch L69, 111, A78, 339, 450, Id5, 20 (mit der Randbemerkung von Novalis), 51, 79f., 124,

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PhL [II] 630, 919, 1028; Novalis, HKS46, Vorarbeiten 105, 234 und AB632; siehe ferner Anm. 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘) und 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘). -- Fromm, Geheimnis der Entzweyung, S.136ff.; Neumann, Ideenparadiese, S.464f. 64: 14,37f. Es bedürfte eines neuen Laokoon !…" bestimmen] Gotthold Ephraim Lessings Abhandlung Laokoon, oder über die Grenzen der Malerei und Poesie. Mit beyläufigen Erläuterungen verschiedener Punkte der alten Kunstgeschichte (1766). Lessing arbeitet in seiner kunsttheoretischen Schrift heraus, daß Poesie und bildende Kunst unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten der Darstellung gehorchen und vergleicht zu diesem Zweck die Schilderung des sterbenden Laokoon in Vergils Aeneis mit der Marmorgruppe der griechischen Bildhauer Hagesandros, Polydoros und Athenodoros. Während die Malerei durch das Nebeneinander von Farben und Formen im Raum ihre Wirkung erzielt, folgen in der Dichtung Töne (bzw. deren schriftliche Zeichen) zeitlich aufeinander. Lessing wendet sich damit gegen die zeitgenössische Auffassung, die Dichtung müsse sich am Modell der bildenden Kunst des alten Griechenlands orientieren. – Vgl. zu Lessing ferner L78, 108, A99, 259, 310, 325, 357, 360, Id95, 135, FPL [III] 53, [V] 157, PhL [II] 1067, [IV] 830, Über Lessing (1795; KFSA2, S.100–125), Lessings Gedanken und Meinungen (1804; KFSA3, S.45–102). 64: 14,39 Theorie der grammatischen Tonkunst] Siehe Anm. 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘) und 9,11 zu L5 über Schlegels musikalische Metaphorik. 65: 14,40 Die Poesie ist eine republikanische Rede] Vgl. zu den Begriffen ‚Republik‘ und ‚republikanisch‘ auch A118, 138, 209, 213f., 370 (ergänzend L103), FPL [V] 781, PhL [II] 518, [III] 80, 345, 623, [IV] 674, 704, 745, 749, 1379, 1458, 1481, Schlegels Schrift Über den Republikanismus (1796; KFSA7, S.11–25); Novalis, GL22, 59, ET426, AB189, 249, 251, 677 u. ö. Am 5.5.1797 schreibt Friedrich Schlegel an Novalis: „Ich zähle mit Gewißheit darauf, daß Dein Republikanismus unsre respektiven Philosophien besser vereinigt, als meine Hefte“ (KFSA23, S.362). ‚Republikanismus‘ steht hier für die (nicht nur im politischen Sinn) freiheitliche Gesinnung der Romantikerfreunde. -- Immerwahr, KFSA23, S.529; Peter D. Krause, „Vollkommne Republik“. Friedrich Schlegels frühe politische Romantik. In: ‚Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur‘ 27 (2000), H.1, S.1–31. 65: 14,40f. eine Rede, die ihr eignes Gesetz und ihr eigner Zweck ist] Auf der Eigengesetzlichkeit der Kunst beharrt z.B. auch L59. 65: 14,40f. Die Poesie !…" mitstimmen dürfen] -- Mennemeier, Poesiebegriff, S.176. 66: 15,1f. Die revolutionäre Objektivitätswut meiner frühern philosophischen Musikalien] ‚Musikalisch‘ nennt A322 „Das beständige Wiederholen des Themas in der Philosophie“. Siehe auch Anm. 9,11 zu L5 über Friedrich Schlegels musikalische Metaphorik und vgl. L7; die Begriffe ‚Revolution‘ und ‚revolutionär‘ verwenden die Romantiker sowohl mit Bezug auf die Französische Revolution (siehe Anm. 27,40–28,2 zu A60) als auch für die gleichzeitigen umwälzenden Veränderungen im geistigen Bereich, und ihr „Enthusiasmus für die Revolution war, wenn überhaupt, ein literarischer. !…" Die physische Revolu-

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tion sollte durch eine geistig-ästhetische überholt werden“ (Krause, a.a.O., S.15 und 18). Vgl. hierzu A216, 222, 231, 251, 422, 424, 426, Id41, 94, PhL [II] 380, 492, 508, 591, 637, 662, [III] 335, 345, 438, 460, 503, 538, 572, 574, 577, 665, 682, 753; Novalis, BL64, 104, AB68, Novalis’ Randnotiz zu Id50 und 156, FSt572 u. ö. -- Ernst Behler, Die Auffassung der Revolution in der Frühromantik. In: Essays on European Literature, hg. von Peter Uwe Hohendahl u.a., St. Louis 1972, S.191–215; ders., KFSA8, S.XCIX-CI; Brauers, S.84; Brinkmann, Frühromantik; Peter D. Krause, „Vollkommne Republik“. Friedrich Schlegels frühe politische Romantik. In: ‚Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur‘ 27 (2000), H.1, S.1–31; Polheim, Arabeske, S.95 und 100–103; Samuel, Staatsauffassung, S.64–89. 66: 15,2 Grundwut !…" unter Reinholds Konsulate] Gemeint ist der Kantianer Karl Leonhard Reinhold (1758–1823), der auch in FPL [V] 131, PhL [II] 5, 20, 219, 226, von Schleiermacher in GIII72 und von Forberg in F80 erwähnt wird. Zur grundsatzkritischen Einstellung der Frühromantiker siehe Anm. 110,11f. zu PhL [II] 5. 67: 15,4 In England ist der Witz !…" Kunst] Siehe Anm. 13,30f. zu L49 (‚Engländer‘) und 9,23 zu L9 (‚Witz‘). 67: 15,5 roués] Elegante Lebemänner, Genußmenschen. 67: 15,6 wits] ‚Witzige‘ Köpfe. 67: 15,6 unbedingte Willkür] Siehe Anm. 141,4 zu BL1 (‚unbedingt‘) und 10,9 zu L16 (‚Willkür‘); vgl. auch L37, FPL [V] 138 und 537. 67: 15,6 das Romantische] Siehe Anm. 13,30 zu L49. 67: 15,8 Tollheit] Vgl. auch A14, 58, 79, PhL [III] 256, 277, 339, [IV] 812, 880. 68: 15,9 Wieviel Autoren gibts wohl unter den Schriftstellern? !…" Urheber] Denselben Gedanken formuliert Schlegel bereits in PhL [II] 215; vgl. auch die zahlreichen weiteren Fragmente über die Autoren, wie z.B. L24, 85, 89, 94, A66, 153, 367, 436, 449, FPL [V] 449, 627, 641, 643, 678, 992, 1022, 1026, 1049, 1100; Schleiermacher, G I 82. 69: 15,10 Sinn] Siehe Anm. 14,35f. zu L63. 69: 15,14f. Gleich dem Platonischen Eros !…" Sohn des Überflusses und der Armut] In Platons Symposion erklärt Diotima die Doppelnatur des Eros durch die allegorische Erzählung von seiner Herkunft: Er ist der Sohn von Poros und Penia, von Überfluß und Mangel. (Symposion, 203b-e; Eigler 3, S.316–319.) Novalis nimmt dieses mythologische Motiv in den Vorarbeiten Nr.225 ebenfalls auf: „Plato macht die Liebe schon zum Kinde des Mangels, des Bedürfnisses – und des Überflusses“; im ersten der Dialogen bezieht er dasselbe Motiv auf die „Citaten und Kommentarmanier der ältern Philologen“ (NO2, S.663). – Vgl. zu Plato (428/27–348/47 v.Chr.) auch A48, 142, 161, 165, 252, 303, 319, 438, 450, Id27, FPL [V] 22, 883, PhL Beilage IV; Novalis, AB851; Schleiermacher, GIII65, 75, 81; Schelling, AEN16 u. ö. -- Bernd Auerochs, Platon um 1800. Zu seinem Bild bei Stolberg, Wieland, Schlegel und Schleiermacher. In: ‚Wieland-Studien‘ 6 (1996), S.161–193, hier S.183–193; Götze, Ironie, S.200–207; Hans Krämer, Fichte, Schlegel und der Infinitismus in der Platondeutung. In: DVjs 62 (1988),

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Friedrich Schlegel

S.583–621, hier S.600–610; Peter D. Krause, Friedrich Schlegel und Plato – Plato und Friedrich Schlegel. In: GRM 52 N.F. (2002), S.343–363; Zovko, S.61–84. 69: 15,16 wenn einer bloß den Geist hat, ohne den Buchstaben; oder umgekehrt] Vgl. 2.Kor.3,6: „Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.“ Das Verhältnis von Geist und Buchstabe, historischem und spirituellem Sinn eines Textes, spielt in der Hermeneutik seit dem Mittelalter eine wichtige Rolle. Im Bibelstreit des 18. Jahrhunderts gilt ihm besonderes Interesse. Insbesondere durch Fichtes Aufsatz Über Geist und Buchstab in der Philosophie (1798; FI8, S.270–300) wird das Begriffspaar zum populären Schlagwort im zeitgenössischen philosophischen Diskurs. Vgl. auch L93, 105, A93, 155, Id61, FPL [V] 101, 105f., 473, 567, 607, 695, 762, 857, 944, 977, 979, 984, 992, 999, 1005, ferner A92; Novalis, HKS35; Schleiermacher, G I 90, 117, GV212 u. ö. -Bär, S.276–282 und 365–372; P.Bläser (LThK2, Sp.749–751 (‚Buchstabe‘)); Eichner, KFSA16, S.541; Götze, Apologie, S.43–45; ders., Ironie, S.153–156; Neumann, Ideenparadiese, S.544–549; Nüsse, S.88–92; Schanze, Theorie des Romans. 69: 15,17 Materialien] Siehe Anm. 9,9f. zu L4. 69: 15,17f. die trockne harte Schale des produktiven Genies ohne den Kern] Ähnlich wie Geist und Buchstabe veranschaulicht auch das Metaphernpaar Schale und Kern in der (biblischen) Hermeneutik die Beziehung von literalem und geistigem Schriftsinn. – Siehe auch Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘). 69: 15,18f. Tendenzen, Projekte] Vgl. zum Begriff der Tendenz L4, A216, 228, 239, 278, FPL [III] 178, [V] 137, 244, 293, 295, 317f., 329, 411, 432, 436, 439, 441, 445, 447, 491f., 507, 512, 517, 537 u. ö.; siehe auch Anm. 11,41 zu L37 (‚falsche Tendenz‘) und 24,14f. zu A22 (‚Projekt‘). -- Bubner, S.297; Frank, Zeit, S.38. 69: 15,19f. skizzierte Fantasien] Siehe Anm. 9,9f. zu L4 (‚Skizze‘). Vgl. zur ‚Fantasie‘ auch A125, 138, 250, 330, 350, 414, 450, Id8, 26, 109, FPL [V] 107f., 368, 397, 402, 454, 503, 515, 565, 701, 722, 728, 799, 1001, 1007, 1158, PhL [III] 429, 431, 497, 714, 738, 753, 796 und Friedrich Schlegels Brief an August Wilhelm, Mitte März 1798 (KFSA24, S.104): „Fantastisch, Fantasie habe ich mit F geschrieben, weil mir diese Worte so wie wir sie brauchen, gar nicht Griechisch, sondern durchaus romantisch und modern scheinen“; ferner Novalis, FSt396, 663, BL16, 29, Vorarbeiten 157, (Anekdoten) 206, AB419, 496, 619, 698, 826, 1033 u. ö. -- Brylla, S.105–116; Silvio Vietta, Der Phantasiebegriff der Frühromantik und seine Voraussetzungen in der Aufklärung. In: Literarische Frühromantik, S.208–220. 69: 15,20 harmonisch ausgebildete Kunst-Plattheit] Vgl. L79, 95 und 108; im Brief Friedrich Schlegels an August Wilhelm vom 19.9.1797 erscheint der Aufklärer Nicolai als Vertreter der „Plattheitslehre“ (KFSA24, S.17). Siehe Anm. 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘). 69: 15,20f. in welcher die größten engländischen Kritiker so klassisch sind] Siehe Anm. 13,30f. zu L49 (‚Engländer‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 10,2 zu L13 (‚klassisch‘).

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70: 15,24–27 Leute die Bücher schreiben, und sich dann einbilden, ihre Leser wären das Publikum !…" führen kann] Vgl. L35, 85f., 112, FPL [IV] 157, [V] 73, 262 und 641. -- Bär, S.298–300. 71: 15,28 Sinn für Witz !…" Liberalität] Siehe Anm. 10,38f. zu L28, (‚Sinn für‘), 9,23 zu L9 (‚Witz‘) und 10,34f. zu L26 (‚liberal‘). Das Fragment ist aus PhL [II] 669 hervorgegangen. 73: 15,32f. Was in gewöhnlichen guten oder vortrefflichen Übersetzungen !…" das Beste] Vgl. zur Problematik des Übersetzens auch L75, 113, A287, 392f., 402, FPL [IV] 15, 17f., 28, 42f., 50, 56, 78, 89, 105, 116, 119, 123, 159f., 170f., 211, [V] 164, 889, 927, 1021, 1122, 1131, 1222; Novalis, BL68 und Hardenbergs Brief an August Wilhelm Schlegel, 30.11.1797 (NO4, S.237). -- Bär, S.309–314. 74: 15,34f. Es ist unmöglich, jemanden ein Ärgernis zu geben !…" nehmen will] Eine Anspielung auf Mark.18,6: „Wer aber Ärgernis gibt einem dieser Kleinen, die an mich glauben, dem wäre besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist.“ Siehe Anm. 9,24 zu L10 über Schlegels Technik der Verfremdung geläufiger Redensarten. 75: 15,36f. Übersetzungen philologische Mimen] Siehe Anm. 15,32f. zu L73 (‚Übersetzungen‘) und 13,17 zu L45 (‚Mimus‘). 75: 15,37 Nicht-Ich] Ein Grundbegriff aus Fichtes Wissenschaftslehre. Indem das Ich sich selbst setzt, setzt es zugleich das Nicht-Ich, von dem es sich abgrenzt. (Vgl. Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre; FI1, S.104.) Siehe auch Anm. 50,18 zu A252 (‚Ich‘). 75: 15,37f. philologische Idyllen] Siehe Anm. 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘) und 97,15f. zu FPL [V] 4 (‚Idylle‘). 75: 15,36–38 Noten sind philologische Epigramme !…" Idyllen] Hervorgegangen aus FPL [III] 218; vgl. auch A439. 76: 15,39f. lieber der Erste unter den Letzten !…" als der Zweite unter den Ersten] Plutarch überliefert in seinen Vitae parallelae den Ausspruch Caesars, als er 61 v.Chr. auf dem Weg in die Provinz Spanien mit seinen Begleitern durch ein armseliges Alpenstädtchen kam: „Ich für meine Person wollte doch lieber bei diesem Völkchen der erste als in Rom der zweite sein.“ (Plutarchs vergleichende Lebensbeschreibungen, übersetzt von Johann Friedrich Salomon Kaltwasser, neu hg. von Otto Güthling. 9.Bd.: Alexander – Caius Julius Cäsar, Leipzig 1925, Kap.11, S.118.) – Während Caesar hier im Vergleich mit Gabriel (siehe die folgende Anm.) als Repräsentant eines altertümlichen Ehrgeizes erscheint, vertritt er in A148 im Kontrast zu Cato den Geist einer neuen Zeit. 76: 15,41 Tassos Gabriel] Der Erzengel Gabriel in Torquato Tassos Epos La Gerusalemme liberata (beendet 1575), das Schlegel auch in A129 zitiert. 76: 15,42 Gabriel, che fra i primi era il secondo] „Gabriel, der unter den Ersten der zweite war“ (La Gerusalemme liberata, 1. Gesang, 11. Stanze). – Unter den Erzengeln, den ‚Ersten‘ im Himmel, nimmt Gabriel in der traditionellen Engelshierarchie nach Michael den zweiten Platz ein. Siehe auch Anm. 16,29f. zu L84 über den Gegensatz von ‚Alten‘ und ‚Modernen‘.

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Friedrich Schlegel

77: 16,3f. Maximen, Ideale, Imperative !…" Rechenpfennige der Sittlichkeit] Vgl. PhL [II] 12, 16, 79; siehe ferner Anm. 75,3 zu A412 (‚Ideal‘) und 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 78: 16,5f. ein Kompendium, eine Enzyclopädie !…" eines genialischen Individuums] Sowohl Friedrich Schlegel als auch Novalis beschäftigten sich mit Enzyklopädieprojekten, die als umfassendes „System des wissenschaftlichen Geistes“ (AB56), bzw. als „Lehrbuch der Universalität“ (PhL [IV] 706) konzipiert waren und in „der Bestimmung der Poesie als des enzyklopädischen Prinzips schlechthin“ übereinstimmten. (Winfried Menninghaus, Vom enzyklopädischen Projekt romantischer Poesie. In: Vom Weltbuch bis zum World Wide Web – Enzyklopädische Situationen, hg. von Waltraud Wiethölter u.a., Heidelberg 2005, S.149–163, hier S.151.) Diese Projekte der Frühromantiker knüpften an die Enzyklopädien der Aufklärung an, setzten sich mit deren Rationalismus kritisch auseinander und steigerten den Enzyklopädiegedanken zum breit angelegten Projekt einer erschöpfenden Darstellung des Zusammenhangs aller Künste und Wissenschaften (siehe hierzu Anm. 19,41f. zu L115) – ein Projekt, das freilich nicht verwirklicht wurde und wegen seiner enormen Ausdehnung wohl kaum zu verwirklichen ist. Vgl. ferner PhL [IV] 33 (Fragmente als ‚Zentrum‘ der Enzyklopädie), 625, 703, 729, 942, 944; Novalis, BL54, AB49–51, 56, 59, 65f., 79, 90, 92, 95, 98, 102, 104, 114, 124, 130, ferner den Brief Friedrich Schlegels an Hardenberg, 2.12.1798 (KFSA24, S.205). – Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘) und 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) sowie zur Parallele des frühromantischen Bibelprojekts Anm. 90,36f. zu Id95. -- Ulrich Dierse, Enzyklopädie. Zur Geschichte eines philosophischen und wissenschaftstheoretischen Begriffs, Bonn 1977, S.125–140; Heiner, S.4–44; Kohns; Maatsch, S.100–142, besonders S.139–142; Mähl, Idee, S.349–353; Pikulik, Frühromantik, S.119–123; Polheim, Studien, S.302f.; Schanze, Aufklärung, S.115–150. 78: 16,7 Nathan] Gotthold Ephraim Lessing, Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen (1779). Siehe Anm. 14,37f. zu L64 über Lessing. 78: 16,8f. Auch enthält jeder Mensch, der gebildet ist !…" einen Roman] Vgl. auch A321, das fordert, „daß jeder Mensch ein Poet und ein Philosoph sein solle“ und siehe Anm. 59,16f. hierzu sowie Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 10,34 zu L26 (‚Roman‘). 78: 16,5–9 Mancher der vortrefflichsten Romane !…" ist nicht nötig] H.Schanze, Theorie des Romans, S.374–376, verweist auf die Parallelen zu Johann Elias Schlegel (1719–1749) und zu Friedrich von Blanckenburgs Versuch über den Roman (1774), S.310–324 und 381–321. Das Fragment ist aus FPL [V] 103 hervorgegangen. – Vgl. auch Gespräch über die Poesie (1800; KFSA2, S.337), FPL [V] 576, L89, A116, das die Eigenart der romantischen Poesie beschreibt, „den Geist des Autors vollständig auszudrücken; so daß manche Künstler, die nur auch einen Roman schreiben wollten, von ungefähr sich selbst dargestellt haben“, und Novalis T22. -- Eichner, KFSA2, S.LXI; Schlagdenhauffen, Grundzüge, S.37. 79: 16,10–14 Zur Popularität gelangen deutsche Schriften !…" nach dem Unbedingten] Am 25.3.1798 schreibt Friedrich Schlegel an August Wilhelm mit

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Bezug auf dieses Fragment: „Die Popularität der Fr.[agmente] nach Euch zu messen, das wäre wohl ein sehr falscher Calcül. Sie haben die meisten der Eigenschaften, die ich nach den Fr.[agmenten] im Lyc.[eum] für die Prinzipien der deutschen Popularität halte.“ (KFSA24, S.113; Immerwahr, ebd., S.381.) – Zu den in den literarischen Produkten selbst angelegten Gründen für ihre Popularität äußert sich Schlegel noch jeweils gesondert: zur Unsittlichkeit in L72, zur ‚harmonischen Plattheit‘ in L69, zur Langeweile in A2 und 52, zum Streben nach dem Unbedingten in L54. Die komische Wirkung des Fragments beruht vor allem auf der Reihung heterogener Merkmale. 80: 16,15 Kants Stammbaum der Urbegriffe] Die sogenannte Kategorientafel; vgl. Kritik der reinen Vernunft (21787; S.B106, §10) und Novalis, FSt575 und 584. Siehe Anm. 10,12 zu L16 (Kant) und 179,5 zu FSt575 (‚Kategorien‘). 80: 16,17f. Naturskeptiker] Wohl analog zur ‚Naturphilosophie‘ (L82) gebildet: von Natur aus (nicht durch philosophisches Studium) skeptischer Denker. Siehe Anm. 28,15 zu A66 (‚Skeptiker‘). 80: 16,18 tingiert] Färbt ein. 80: 16,15–18 Ungern !…" Anschauungen] -- Schumacher, S.224f. 81: 16,19 Es hat etwas Kleinliches gegen Individuen zu polemisieren] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘); zum Thema ‚Polemik‘ vgl. auch L42, A229, 231, 300, 399, 450, Id93, PhL [II] 157, 179, 194, 356, 361, 447, 449, 453f., 456, 613, 624, 629, 640f., 646; Novalis, Lg5 und AB1100. -- Röttgers, Kritik, S.122–124. 81: 16,20 en detail !…" en gros] „Im kleinen … im großen“. 81: 16,20f. so muß der Künstler wenigstens solche Individuen wählen, die klassisch sind] Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘) und 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). 81: 16,23f. Repräsentanten der objektiven Dummheit, und der objektiven Narrheit] Siehe Anm. 10,6f. zu L15 über das Begriffspaar ‚Dummheit‘ und ‚Narrheit‘ sowie 151,17f. zu BL76 (‚Repräsentant‘). 81: 16,25 wie alles Objektive, unendlich interessant] Im Studium-Aufsatz (1795/97) nennt Friedrich Schlegel die antike Poesie ‚objektiv‘, die moderne dagegen ‚interessant‘ (KFSA1, S.252–255). 81: 16,19–26 Es hat etwas Kleinliches !…" würdige Gegenstände sein müssen] Schlegel gibt in diesem Fragment eine knappe theoretische Begründung seiner polemischen Schriften; vgl. dazu etwa auch den – im wesentlichen von August Wilhelm Schlegel bestrittenen – „Litterarischen Reichsanzeiger oder Archiv der Zeit und ihres Geschmacks“ im ‚Athenäum‘. -- Polheim, Arabeske, S.331f. 82: 16,27 Geist ist Naturphilosophie] In Lessings Gedanken und Meinungen (1804; KFSA3, S.47) definiert Schlegel Naturphilosophie als das Denken „des bloß natürlichen philosophischen Geistes“ im Gegensatz zu einem solchen mit „einer streng wissenschaftlichen Methode“. Vgl. auch L108, A82, 389, PhL [II] 136, 161, 604, 619, 639, 643, 665, 859 u. ö. -- Eichner, KFSA16, S.552. 83: 16,28 Manieren sind charakteristische Ecken] Die Definition läßt offen, ob ‚Manieren‘ hier eher im Sinn von ‚Sitten, gesellschaftlichen Umgangs-

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Friedrich Schlegel

formen‘ oder als ‚individuelle, charakteristische Ausdrucksweise‘ aufzufassen sind, so daß der Leser herausgefordert ist, durch Kombinieren und durch Erschließen von Sinnzusammenhängen sein ‚fragmentarisches‘ Verstehen zu vervollständigen. Vgl. zu diesem Begriff auch Schlegels Erläuterungen im Studium-Aufsatz: „Unter Manier verstehe ich in der Kunst eine individuelle Richtung des Geistes und eine individuelle Stimmung der Sinnlichkeit, welche sich in Darstellungen, die idealisch sein sollen, äußern“ (KFSA1, S.251f.); ferner L42, 88, A161, 336, 426, FPL [III] 3, [V] 145, 400f., 410, 484, 520, 567, 574, 649, 771, 851, 923, 932, 938, 946, 966, 1150, 1186, 1202, 1209, PhL [IV] 806; Novalis, BL29, AB945; Schleiermacher, G I 8, 137, 144, 148 u. ö.; siehe auch Anm. 9,16f. zu L7. -- Huge, S.73; Neumann, Ideenparadiese, S.433–435; Schanze, Theorie des Romans, S.377f. 84: 16,29f. die Modernen !…" die Alten] Vgl. zu diesem Gegensatz auch L91, 93, 99, 101, 107, A24, 149, 393 und Schlegels Schrift Über das Studium der griechischen Poesie (KFSA1, S.217–367). Siehe auch Anm. 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘). -- Huge, S.70. 85: 16,31f. Jeder rechtliche Autor schreibt für niemand, oder für alle !…" gelesen werde] Vgl. L35 und siehe Anm. 15,9 zu L68 (‚Autor‘). 86: 16,33f. Der Zweck der Kritik, sagt man, sei, Leser zu bilden! !…" nicht zu ändern] Vgl. L70, FPL [IV] 157 und [IX] 464; siehe auch Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). – Das Fragment dürfte sich gegen Johann Gottfried Herders Humanitätsbriefe (1797; HE8, S.173) wenden, wo es heißt: „Der Schriftsteller schreibt für Leser; sind diese verdorben, so schreibt jener !…" für ihren verdorbenen Geschmack. Die vielen schlechten Schriftsteller Deutschlands schreiben alle für ihr Publikum und kennen es sehr gut; !…" Leser zu bilden muß also der Kunstrichter erste Bestrebung seyn; die Schriftsteller werden selbst wider Willen folgen“. -- Eichner, KFSA16, S.535. 87: 16,35–38 Da die Poesie unendlich viel wert ist !…" zu erheben] Die Konjunktion „Da“ am Satzanfang legt nahe, daß das Fragment an früher Gesagtes – wohl an L7 – anknüpft. Indem Schlegel die Auffassung vom ‚unendlichen Wert‘ der Poesie, die er in seinen Frühschriften vertrat, nun relativiert, beweist er jene ironische Freiheit, die L87 von den Künstlern fordert, um „sich selbst über ihr Höchstes zu erheben“. – Siehe auch Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘) und 85,35f. zu Id29 (‚frei‘). -- Huge, S.95f.; Strohschneider-Kohrs, S.22f. 88: 16,39 Manieren] Siehe Anm. 9,16f. zu L7 und 16,28 zu L83. 88: 16,40 wenn er sie hat !…" wenn sie ihn haben] Im Brief an August Wilhelm vom 16.10.1793 beschreibt Friedrich Schlegel diese Ambivalenz des Besitzens mit einer ähnlichen Formulierung: „Du besitzest die Kunst, ohne daß sie Dich besäße“ (KFSA23, S.142). Vgl. A35 (und siehe Anm. 25,33–35 dazu) und Novalis, T50. 89: 17,1–3 Sollte es nicht überflüssig sein, mehr als Einen Roman zu schreiben !…" ein Roman] Hervorgegangen aus FPL [V] 288 und 449; vgl. L78 und siehe Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘) sowie 15,9 zu L68 (‚Autor‘). 90: 17,4 Witz ist eine Explosion von gebundnem Geist] Vgl. Novalis, HKS40 (letzter Satz). Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘), 10,21–23 zu L22 über die

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Chemie des Witzes und 11,12–15 zu L32 über Schlegels Gebrauch von naturwissenschaftlichen Termini. 91: 17,5–8 Die Alten sind !…" Dichtungsmonopol] In einer dreifachen minutio reduziert Schlegel schrittweise die unausgesprochene Überschätzung der ‚Alten‘. Die dreifach negierte, zur Antiklimax angeordnete Metaphernreihe „weder die Juden, noch die Christen, noch die Engländer“ ‚steigt‘ aus der religiösen Sphäre in den profanen Bereich der Wirtschaft herab und führt aus der historischen und räumlichen Ferne des Alten Testaments in die Gegenwart der englischen Wirtschaftspolitik, so daß die ‚Alten‘ ihrer erhabenen Größe entkleidet werden und einen Platz allenfalls auf derselben Stufe mit den ‚Modernen‘ einnehmen. Vgl. FPL [V] 682; siehe Anm. 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘). 92: 17,10 Azote] Stickstoff. Siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über den Gebrauch chemischer Termini in Schlegels Fragmenten. 92: 17,11f. Torheit !…" Narrheit] Siehe Anm. 10,6f. zu L15 (‚dumm – närrisch‘). 93: 17,13f. In den Alten !…" werdenden Geist] Das Fragment ist – bei parallelem Bau seiner beiden Sätze – antithetisch strukturiert; dem dominierenden Gegensatz der „Alten“ und der „Neuern“ sind drei weitere kontrastierende Begriffspaare untergeordnet: ‚sehen‘ und ‚ahnen‘, ‚vollendet‘ und ‚werdend‘, ‚Geist‘ und ‚Buchstabe‘ (siehe hierzu Anm. 15,16 zu L69). 94: 17,15 Mittelmäßige Autoren] Vgl. L24 und siehe Anm. 10,26 dazu; siehe auch Anm. 15,9 zu L68 (‚Autor‘). 94: 17,17f. This is the greatest elephant in the world, except himself] „Dies ist der grösseste Elephant in der Welt, ihn selbst ausgenommen.“ Das Zitat entstammt Popes satirisch-poetologischer Abhandlung PEI BAOY oder Die Kunst in der Dichtkunst zu sinken (1772) in dessen Leben, Werke und Entdeckungen von Martinus Scriblerus. (Zitiert nach: Alexander Pope, Sämmtliche Werke, 12Bde., Straßburg (ab Bd.9 Mannheim) 1778–1781, Bd.8, S.79.) 95: 17,19 Die harmonische Plattheit] Siehe Anm. 15,20 zu L69. 96: 17,24–27 Ein gutes Rätsel sollte witzig sein !…" getroffen ist] Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.464f. 97: 17,28 Salz im Ausdruck] A259 nennt Fragmente „ein Lessingsches Salz gegen die geistige Fäulnis“. 98: 17,30f. Grundgesetze der schriftstellerischen Mitteilung] Vgl. zur künstlerischen Mitteilung auch L37, 108, A399, PhL [V] 277, 754, 774, 941, 994, 1034, 1052, 1073; Schleiermacher, G I 171 u. ö. 99: 17,35 neu !…" alt] Siehe Anm. 16,29f. zu L84. 100: 17,38f. Welches ist denn nun die poetische Poesie?] In der scheinbaren Tautologie „poetische Poesie“ deutet sich der Gedanke der Steigerung und Potenzierung an, wie ihn etwa auch die typisch ‚romantische‘ Formulierung ‚Poesie der Poesie‘ zum Ausdruck bringt. Siehe hierzu Anm. 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘). Vgl. auch A1, das von der Philosophie eine Reflexion auf sich selbst fordert, und zur ‚poetischen Poesie‘ A247, FPL [V] 565, 746, 765, 816, 1044, 1050, 1070, 1102, 1124, PhL [IV] 728, [V] 711 u. ö.

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100: 17,37–39 Die Poesie !…" die poetische Poesie?] Siehe Anm. 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘) und 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘). 101: 17,40f. Affektation entspringt !…" aus der Furcht, alt zu sein] L101 ist fast identisch mit dem zweiten Teil von FPL [V] 593; vgl. auch L99. 103: 18,15 Schein von Ganzheit] Vgl. zur Ganzheit L109, FPL [III] 8, [V] 7f., 12–14, 17, 45f., 187, 212f., 215, PhL [II] 674, 1068; Novalis, HKS30, 32, AB1117 und siehe Anm. 180,13 zu FSt587 über den Begriff eines Ganzen. 103: 18,2–22 Viele Werke, deren schöne Verkettung man preist !…" einmal weg] Schlegels indirekte Rechtfertigung des Fragmentarischen in L103, an die Novalis in BL95 und wohl auch in T102 anknüpft, besitzt vielleicht in der Notiz FPL [V] 156 einen Keim. Siehe Anm. 123,33f. zu FPL [V] 953 (‚Masse‘) und 78,24f. zu A426 (‚gesellig‘). -- Härter, S.232–234 und 239; Heinrich, Geschichtsphilosophische Positionen, S.151; Strack, Fermenta cognitionis, S.352f. 104: 18,24f. eine dicke feurige Vernunft, welche den Witz eigentlich zum Witz macht] Zur Vernunft vgl. auch A88, 230, 235, 318, Id23, 117, 131, 153; zur Feuermetaphorik in Zusammenhang mit dem Witz siehe Anm. 10,21–23 zu L22 und 11,12–15 zu L32, ferner 9,23 zu L9 (‚Witz‘). 104: 18,25 dem gediegenen Styl] Vgl. zum Stil L42, A173, 217, 432, FPL [V] 13, 19, 22, 44, 47, 145, 168, 185, 443, 445, 447, 455, 473, 567, 574, 591, 593, 602, 604, 609, 613f. 660; Novalis, BL25, 68, GL38, FSt622; Schleiermacher, GIII58 u. ö. 104: 18,23–26 Was man gewöhnlich !…" das Elektrische] -- Mennemeier, Poesiebegriff, S.442. 105: 18,27 Geist !…" Buchstaben] Siehe Anm. 15,16 zu L69. 105: 18,27f. das ganze römische Volk] Siehe Anm. 13,21 zu L46 über die Römer. 105: 18,28 Zyniker] Siehe Anm. 14,28 zu L59. 106: 18,30 Knechtschaft der Weiber] Der Themenkreis Frauen – Liebe – Ehe gehört – z.T. mit ausgesprochen misogyner Akzentuierung – zu den ergiebigsten Gegenständen der Aphoristik im 18. und 19. Jahrhundert (vgl. etwa das 6. Kapitel von Chamforts Maximes et pensées „Des Femmes, de l’Amour, du Mariage et de la Galanterie“ („Von den Weibern, der Liebe, der Ehe und der Galanterie“), übersetzt von N.P.Stampeel). Bei Schlegel wird demgegenüber eine provokant moderne, ja revolutionäre Bestimmung der Geschlechterrollen sichtbar. Weitere Fragmente über die Frauen sind u.a. A31, 49, 102, 133f., 170, 196, 337, 364, 374, 420, Id19, 115f., 126–128, 137, FPL [II] 111, 354, 549, 693, [III] 2, 100, 438, 463, 668, 690, 696, 710, 765; Novalis, FSt510, GL29–32, Vorarbeiten 100, T14, 17, 43, 51f., 61, 85, 97, ET428, AB101; Schleiermacher, G I 12, 38, 55bf., 187 u. ö. Siehe auch Anm. 182,15 zu FSt609 über die Typologie der Geschlechter. -- Rehme-Iffert, Emanzipation. 106: 18,29–31 Nichts ist in seinem Ursprung !…" Menschheit] Eine Vorstufe findet sich in PhL [II] 89. 107: 18,32f. Die Alten !…" die Modernen haben mehr poetische Spekulation] Vgl. zu den Begriffen ‚Abstraktion‘ und ‚Spekulation‘ A121; siehe auch Anm. 16,29f. zu L84 (‚die Modernen – die Alten‘).

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108: 18,34–41 Die Sokratische Ironie !…" tief verstellt] Die Definition der sokratischen Ironie führt die Ausführungen über die Ironie in L42 weiter aus. Die Affinität von Witz und sokratischer Ironie heben FPL [V] 53 und 519 hervor. – Zur dialektischen Struktur der Ironie, die dieses Fragment in mehreren Ansätzen herausarbeitet, siehe Anm. 10,4f. zu L14; siehe auch Anm. 12,33 zu L42 (‚Ironie‘) und 10,9 zu L16 (‚Willkür‘). 108: 18,41f. Lebenskunstsinn] Vgl. A225 („Lebenskunstlehre“) und siehe Anm. 46,31 dazu. 108: 18,42f. Naturphilosophie !…" Kunstphilosophie] Siehe Anm. 16,27 zu L82 (‚Naturphilosophie‘) und 9,1 zu L1 über das Verhältnis von Natur und Kunst. 108: 18,43–19,1 Gefühl von dem unauflöslichen Widerstreit des Unbedingten und des Bedingten] Vgl. BL29 und siehe Anm. 141,4 zu BL1 über das Unbedingte. 108: 19,1f. Unmöglichkeit und Notwendigkeit einer vollständigen Mitteilung] Siehe Anm. 17,30f. zu L98 (‚Mitteilung‘). 108: 19,5 die harmonisch Platten] Siehe Anm. 15,20 zu L69. 108: 19,8 Lessings Ironie ist Instinkt] Zu Lessing siehe Anm. 14,37f. zu L64. Vgl. zum Instinkt auch L23, A51, 121, 142, 162, 164, 305, 321, 382, 418, 428, Id42 u. ö. 108: 19,8 bei Hemsterhuys ist’s klassisches Studium] Vgl. über den niederländischen Philosophen Frans Hemsterhuis (1721–1790) auch A142, 171 und 271. Siehe Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘) und 103,3–5 zu FPL [V] 85 (‚Studium‘). 108: 19,8f. Hülsens Ironie] Das Fragment bezieht sich auf August Ludwig Hülsens erste Veröffentlichung, Prüfung der Preisfrage, welche Progressen hat die Metaphysik seit Leibniz und Wolf gemacht (1796), die anläßlich eines Wettbewerbs der Akademie der Wissenschaften zu Berlin entstanden war und Schlegel sehr beeindruckte. Vgl. zu Hülsen auch A295, Id107 und Novalis, Lg25. -Friedrich Strack, Was soll die Schweiz dem Athenäum? Romantische Schönheitsmetaphysik in Hülsens ‚Natur-Betrachtungen‘. In: Geschichtlichkeit und Aktualität, S.113–137. 108: 19,9 Philosophie der Philosophie] Diese Wendung wurde von Fichte geprägt, der sie im Sinne einer Philosophie über die Philosophie gebraucht. Die Romantiker verwenden häufig derartig potenzierende Formulierungen. Außer „Philosophie der Philosophie“ (A274, 281, 412, PhL [II] 143, 183, 197, 201, 212, 384, 869, 991; Novalis, Lg8, sowie ähnlich A1) finden sich weitere paronomastische Identitätsgenitive, wie „Poesie der Poesie“ (A238, 247, FPL [V] 520, 527, 583; ähnlich auch L100 und 117), „Wissenschaft aller !…" Wissenschaften“ (A220, ähnlich Novalis, AB56), „Genie des Genies“ (A283), „Idee aller Ideen“ (Id15), „Künstler der Künstler“ (Id114 und Novalis in GL39), „der Meister der Meister“ (Id139), ferner bei Novalis „Gefühl des Gefühls“, „Empfindung der Empfindung“ (T1), „der Dichter des Dichters“ (BL68), „Die Natur der Natur“ (T10), „Herz des Herzens“ (Heinrich von Ofterdingen; NO1, S.219) und Wendungen wie „wenn wir träumen daß wir träumen“ (A288). Schlegel drückt den

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Gedanken der Potenzierung (siehe Anm. 33,6f. zu A116) zuweilen durch die formelhaft verkürzende Schreibweise der Mathematik aus, so z.B. in FPL [V] 583: „Jedes Rom.[antische] Kunstwerk = 2[Poesie der Poesie] = [kritische Poesie] verwandt mit d[er] Charakteristik“. Vgl. auch Novalis, T79. -- Eichner, Theorie der romantischen Poesie, S.170; Ostermann, Fragment, S.111–114; Striedter, S.113f. 108: 18,34–19,10 Die Sokratische Ironie !…" übertreffen] Eine Vorstufe findet sich in FPL [V] 206. -- Barth, S.125–134; Frank, Zeit, S.41f.; Frischmann, Transzendental, S.333–335; Götze, Ironie, S.196–200; Huge, S.74–80; Mennemeier, Poesiebegriff, S.230; Neumann, Ideenparadiese, S.465; Schöning, S.186–190; Strohschneider-Kohrs, S.21–23 und 25f. 109: 19,11 Milder Witz] Siehe Anm. 9,23 zu L9. 109: 19,13 eine Art von Ganzheit] Siehe Anm. 18,15 zu L103. 110: 19,14 Sollte die harmonische Ausbildung der Adlichen und der Künstler] Siehe Anm. 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘), 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 14,35 zu L63 (‚Künstler‘). 111: 19,16 Chamfort war !…" ein echter Zyniker] Zu Chamfort siehe Anm. 13,34 zu L50. In L111 gibt Schlegel eine kurze Würdigung der Persönlichkeit und ihres Werks, wie er sie in den Charakteristiken und Kritiken – wenn auch ausführlicher – z.B. über Georg Forster und Lessing vorgelegt hat. Siehe auch Anm. 14,28 zu L59 (‚cynisch‘) und 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘). 111: 19,16 Rousseau] Mit Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) setzt sich Schlegel auch in A137, 196, 420, 450, FPL [V] 184, PhL [II] 754, [V] 90 und [VI] 10 sowie Forberg in F41 und 70 auseinander. 111: 19,20 Mirabeaus Freund] Siehe Anm. 77,35 zu A422 über Mirabeau. 111: 19,20 Sein köstlichster Nachlaß] Chamforts posthum erschienene Maximes, Pensées, Caractères et Anecdotes (1796). 111: 19,21f. voll von gediegenem Witz, tiefem Sinn] Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘) und 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘). 112: 19,26–28 Der analytische Schriftsteller !…" Der synthetische] Siehe Anm. 11,12–15 zu L32. 112: 19,27f. um den gehörigen Effekt auf ihn zu machen] Dichtung, die ‚Effekt machen‘ will, bezeichnen A82 und 258 als ‚rhetorisch‘; vgl. auch A126, FPL [V] 308, 336, 348, 827 und 837. -- Krause, S.160–166. 112: 19,28f. Leser] Vgl. zur ‚Konstruktion‘ eines idealen Lesers Schlegels Aufsatz Über die Unverständlichkeit (1800; KFSA2, S.363–372); ferner Novalis’ Angebot an den Leser, als „erweiterte!r" Autor“ (VB125) am dichterischen Text teilzuhaben. Zum Thema Leser und Publikum siehe Anm. 15,24–27 zu L70. -- Bär, S.296–300; Westerhoff, Erweiterte Autorschaft, S.337–339. 112: 19,33 Symphilosophie oder Sympoesie] Das Ideal gemeinschaftlichen Philosophierens, Kritisierens, Dichtens oder anderer Tätigkeiten spielt im Freundeskreis der Frühromantiker eine bedeutende Rolle; es stellt das – zunächst im exklusiven Zirkel Gleichgesinnter verwirklichte – Modell einer interdisziplinären Wissenschaftlichkeit dar. Vgl. A82, 125, 264, PhL [III] 293 sowie PhL Beilage I 97 („Philosophiren heißt die Allwissenheit gemeinschaftl[ich] suchen“);

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Novalis, BL20, Lg3 („Gesammtphilosophiren“), Vorarbeiten 147 und Friedrich Schlegels Briefe an Hardenberg, 26.9.1797 (KFSA24, S.22), 28.5.1798 (ebd., S.135), Hardenberg an Friedrich Schlegel, 7.11.1798 (ebd., S.194f.), Friedrich Schlegel an August Wilhelm, 28.11. und 5.12.1797 (ebd., S.45 und 56) an Schleiermacher, 3.7. und Mitte Juli 1798, (ebd., S.140 und 148) sowie an Auguste Böhmer, Herbst 1798 (ebd., S.173 mit der humoristischen Neubildung „symgeschrien“). -- Behler, Universalpoesie, S.217–220; Enders, S.243f.; Immerwahr, KFSA24, S.356; Lukas, S.71–73; Röttgers, Symphilosophieren. 113: 19,34 Voß ist in der Louise ein Homeride] Johann Heinrich Voß, Luise. Ein ländliches Gedicht in drei Idyllen (1783/84). In seiner Hexameterdichtung, die drei Szenen aus der Welt des Pfarrhauses von Grünau schildert, ahmt Voß die Sprache Homers nach und stilisiert dadurch das Bürgertum ins ZeitlosHomerische. – Das polemische Fragment L113 gab den letzten Anstoß zu Schlegels Trennung von Reichardts ‚Lyceum‘. Vgl. den Abschnitt „Entstehung“ und Friedrich Schlegels Briefe an August Wilhelm vom 15.6.1796 und vom 31.10.1797 (KFSA23, S.312f. und KFSA24, S.30), ferner FPL [III] 230 und zur Luise A254. 113: 19,34f. so ist auch Homer in seiner Übersetzung ein Vosside] Homers Odüßee erschien 1787, Ilias und Odyssee 1793 in Vossens Übersetzung. – Ähnlich äußert sich Friedrich Schlegel im Brief an August Wilhelm vom 2.8.1797 über eine Horaz-Übersetzung des Voß-Schülers Friedrich August Eschen (1776–1800) im Stil von Vossens Vergil-Übersetzung: „Deine Beschreibung von Eschens Bevoßung und von dem Voßirten Vergil hat mir unendlich viel Freude gemacht“ (KFSA24, S.5). Im Brief an seinen Bruder vom 15.6.1796 kommentiert Friedrich Schlegel ausführlich Vossens Homer-Übersetzung (KFSA23, S.313), die August Wilhelm Schlegel in der ‚Allgemeinen Literaturzeitung‘ 1796, Nr.262 (AWS,SW10, S.155–198) rezensierte. Siehe Anm. 36,35f. zu A145 über Homer. 114: 19,36–39 Es gibt so viele kritische Zeitschriften !…" realisieren] Vgl. L5; siehe auch Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 115: 19,41f. Alle Kunst soll Wissenschaft, und alle Wissenschaft soll Kunst werden; Poesie und Philosophie sollen vereinigt sein] Diesen Gedanken formuliert bereits der Studium-Aufsatz. – Das utopische Postulat einer Versöhnung der Künste und Wissenschaften als Grundlage einer umfassenden kulturellen Erneuerung nimmt in Schlegels Denken einen zentralen Platz ein. „Schlegel betont immer wieder: Poesie und Philosophie haben denselben Gegenstand, das Unendliche; sie bilden einen Funktionszusammenhang und erklären und bestimmen sich deshalb wechselseitig. !…" Das bedeutet für die Philosophie: Wahrheit wird gemacht, nicht gefunden. Sie ist symbolisch und relativ. Das bedeutet für die Poesie: Sie ist genauso sinngebend und orientierend wie Philosophie, auch sie gibt eine gehaltvolle Beschreibungsweise unserer Welt. Sie bildet Welt nicht ab, sondern entwirft sie“ (Frischmann, Transzendental, S.318f.). – Möglichkeiten zur Vereinigung von Kunst und Wissenschaft erblickt Friedrich Schlegel z.B. in der Arabeske, in der Enzyklopädie, in der Religion und im Roman. – Vgl. zum Verhältnis von Poesie und Philosophie, von Kunst und Wissenschaften auch folgende Frag-

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mente: L12, 42, 123, A116, 249, 252, 302, 304, 404, 451, Id48, 67, 97, 99, 108, FPL [III] 14, 40, 68, 96–98, [V] 99, 110, 622, PhL [IV] 739, 816, Gespräch über die Poesie (1800; KFSA2, S.303); Novalis, BL68, Lg17. Siehe auch Anm. 10,10 zu L16 (‚Künste und Wissenschaften‘). -- Behler, Universalpoesie, S.219f.; Eichner, KFSA2, S.LXXX und CVIII; Frischmann, Transzendental, S.313–319; Huge, S.71; Polheim, Arabeske, S.77–80; Zeuch, S.202–209. 116: 20,1–3 Die Deutschen, sagt man !…" sehr wenige Deutsche] Hervorgegangen aus FPL [V] 261; siehe auch Anm. 12,16f. zu L38. 117: 20,4 Poesie kann nur durch Poesie kritisiert werden] Vgl. A44 und 238. Ein Beispiel derartiger poetischer Kritik, die nach Auffassung der Frühromantiker einen prinzipiell unabschließbaren Reflexionsprozeß darstellt, wäre etwa Schlegels Aufsatz Über Goethes Meister (1798; KFSA2, S.126–146). Siehe auch Anm. 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘). 117: 20,6f. einen im Geist der alten römischen Satire liberalen Ton] Vgl. zur Satire auch A146, 238, 448, FPL [V] 4, 9, 12f., 16, 18, 20, 23, 26, 53, 65, 153, 168, 184f., 222, 240, 403, 409; Novalis, Vorarbeiten 159, 162, (Anekdoten) 205, FuS223; Schleiermacher, G I 53. Siehe auch Anm. 10,34f. zu L26 (‚liberal‘). 117: 20,4–8 Poesie kann !…" im Reiche der Kunst] -- Lore Hühn, Das Schweben der Einbildungskraft. Eine frühromantische Metapher in Rücksicht auf Fichte. In: ‚Fichte-Studien‘ 12 (1997), S.127–151, hier S.132f.; Polheim, Arabeske, S.180. 119: 20,11 Sapphische Gedichte] Vgl. über die griechische Dichterin Sappho (um 600 v.Chr.) auch FPL [VIII] 114, [IX] 444 und bei Novalis, Vorarbeiten 92. 119: 20,15 Da capo] Noch mal! Von vorn! 119: 20,16 Friedrichsd’or] Preußische Goldmünze zu fünf Talern. 119: 20,18 Petrarca] Vgl. zu Petrarca (1304–1374) auch A363, FPL [V] 58, 63, 184 und 354. -- Hoffmeister, Europäische Einflüsse, S.108–110. 119: 20,20 romantisch, nicht lyrisch] Siehe Anm. 13,30 zu L49 (‚romantisch‘). Vgl. zum Lyrischen A140, 413, FPL [III] 132, 185, [V] 7, 29, 37, 105, 153, 322, PhL [II] 170 u. ö. -- Mennemeier, Brennpunkte, S.33–43. 119: 20,21 daß sie sich nackt zeigen dürfte, wie Phryne vor allen Griechen] Phryne war eine griechische Hetäre des 4. Jahrhunderts aus Thespiai. Ihre Schönheit war berühmt, sie soll Praxiteles für seine Statue der Aphrodite Modell gestanden haben. Schlegel bezieht sich in diesem Fragment vielleicht auf eine Stelle in Winckelmanns Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst (1755; hg. von Ludwig Uhl, Stuttgart 21977, S.29): „Phryne badete an den Eleusinischen Spielen vor den Augen aller Griechen, und wurde beim Heraussteigen aus dem Wasser dem Künstler das Urbild einer Venus Anadyomene.“ -- Raubitschek, RE39, Sp.894–907 (‚Phryne‘). 119: 20,23 Nur Zyniker lieben auf dem Markt] Dies wird dem Kyniker Diogenes von Sinope (gest. 323 v.Chr.) nachgesagt. (Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen, Buch 6, Kap.69.) Auf diesen griechischen Philosophen spielt auch A131 an. Vgl. auch C.M.Wielands Musarion, Erstes Buch, Vers12 (und die Anmerkung dazu, wonach Krates, der Schüler des

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Diogenes, „sein Beilager mit der schönen Hipparchia in der großen Halle !…" zu Athen öffentlich“ vollzog; CMW9, S.3 und 37 (Bd.3 des Nachdrucks)). – Siehe Anm. 14,28 zu L59 (‚cynisch‘). 119: 20,24f. der Hund und der Lorbeer haben gleiches Recht, Horazens Denkmal zu zieren] Die griechische Philosophenschule der Kyniker erhielt ihren Namen vom griechischen Wort für ‚Hund‘, mit dem man ihre Mitglieder beschimpfte. – Der immergrüne Lorbeer ist Apoll, dem Gott der Dichtung heilig, er versinnbildlicht unvergänglichen Dichterruhm. – Auf den römischen Dichter Horaz (65–8 v.Chr.) beziehen sich auch A146 und 259. Vgl. auch FPL [VI] 27. 119: 20,25f. Aber Horazisch ist noch bei weitem nicht Sapphisch. Sapphisch ist nie zynisch] Der Schluß der Fragments setzt „das Weiblich-Sapphische dem Männlich-Zynischen scharf entgegen. Hier ist das Sapphische das spontan wachsende, vor allem der Frau natürliche lyrische Dichten“ (Immerwahr, KFSA24, S.L). – Im März 1799 schreibt Friedrich Schlegel an Caroline Schlegel über die Lucinde: „Denn übrigens kann ich Ihnen nichts entgegensetzen, als daß !!das"", was Sie noch nicht kennen, bald sapphisch, bald cynisch, oft beydes !!gleich sehr"" ist“ (KFSA24, S.253). Vgl. zum Prädikat ‚sapphisch‘ auch Friedrich Schlegels Brief an August Wilhelm vom 25.3.1798 (KFSA24, S.109 und 112). 119: 20,11–26 Sapphische Gedichte !…" nie zynisch] Siehe auch Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘) und 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). Eine Vorstufe des Fragments L119 findet sich in FPL [V] 422. 120: 20,27–29 Wer Goethes Meister gehörig charakterisierte !…" zur Ruhe setzen] Eine solche Charakterisierung unternimmt Schlegel im Aufsatz Über Goethes Meister (1798). Wilhelm Meister kommt Friedrich Schlegels Auffassung vom Roman als gattungsmischendem Genre nahe; die poetologischen Passagen dieses Werks entsprechen der romantischen Forderung nach Selbstreflexion der Poesie. Vgl. zu Wilhelm Meister auch L124, A216, 380, FPL [V] 289, Über Goethes Meister (1800; KFSA2, S.126–146); Novalis, BL107, GL43, Vorarbeiten 157, FD198, Vorarbeiten (Anekdoten) 205, Vorarbeiten 242, 443 (Über Goethe), T3, AB87, 390, 419, 445, FuS87 und 93, 290f. – Zur Anspielung auf das Losungswort aus Goethes Das Mährchen (1795) siehe die Anm. zu Novalis’ Distichon Es ist an der Zeit im ersten Teil von Glauben und Liebe. Siehe dazu Anm. 157,15–21, 9,13–15 zu L6 (Goethe) und 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘). -- Ernst Behler, Goethes Wilhelm Meister und die Romantheorie der Frühromantik. In: ders., Studien zur Romantik 2, S.157–172; Hendrik Birus, ‚Größte Tendenz des Zeitalters‘ oder ‚ein Candide, gegen die Poësie gerichtet‘? Friedrich Schlegels und Novalis’ Kritik des Wilhelm Meister. In: Goethes Kritiker, hg. von Karl Eibl und Bernd Scheffer, Paderborn 2001, S.27–43; Eichner, Theorie der romantischen Poesie, S.174–177. 121: 20,30f. Soll man Shakespeares Werke als Kunst oder als Natur beurteilen?] Vgl. zu Shakespeare auch L45, 124, A21, 200, 247, 253, 301, 383, FPL [V] 3, 6, 48, 51, 56, 86, 108, 142, 150, 165, 172, 184 und den Studium-Aufsatz, wo Shakespeare als „Gipfel der modernen Poesie“ erscheint (KFSA1, S.249);

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Schleiermacher, GIII22, 24f. u. ö. Siehe auch Anm. 9,1 zu L1 über das Verhältnis von Natur und Kunst. 121: 20,31 das Epos und die Tragödie] Vgl. zum Epos A84, 116, 156, 231, 380, Id107, FPL [V] 5, 66, 69, 158, 162, 247, 276, 322, 329, 394, 464, 553, 557f. Zur Tragödie siehe Anm. 11,3–5 zu L30. 122: 20,35 die hohe Idee von Deutschheit] Siehe Anm. 12,16f. zu L38. 122: 20,38 Johnson] Der englische Schriftsteller Samuel Johnson (1709– 1784) verfaßte ein biographisches Nachschlagewerk mit dem Titel Biographie und kritische Nachrichten von englischen Dichtern (die englische Ausgabe in 10 Bänden erschien 1779–1781; deutsch in 2 Teilen, 1781). Vgl. auch FPL [V] 165f. 123: 20,41f. aus der Philosophie etwas über die Kunst lernen zu wollen] Vgl. L12; zum Verhältnis von Philosophie und Kunst siehe Anm. 19,41f. zu L115. 123: 21,3 logische Stimmung] Siehe Anm. 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘). 123: 21,4 absolute Liberalität] Vgl. zum Begriff des Absoluten A83, 121, 149, 214, 385, 398, 418, FPL [III] 103, [V] 173, 181, 370, 952, PhL [II] 138, 167, 208, BL26 (Schlegel); Novalis, Lg13, FSt49 u. ö. Siehe Anm. 10,34f. zu L26 (‚liberal‘). -- Götze, Apologie, S.33–51; Rieder, S.77. 124: 21,6 Auch im Innern und Ganzen der größten modernen Gedichte] Im Sprachgebrauch des 18. Jahrhunderts sind ‚Gedichte‘ Werke der Dichtkunst, in Vers oder Prosa. (Siehe Anm. 10,16 zu L19.) 124: 21,6f. Reim, symmetrische Wiederkehr des Gleichen] Vgl. ähnlich FPL [IX] 24: „bei Don Quixote reimen sich auch die Gedanken“, und Novalis, Vorarbeiten 242: „Ein Romanschreiber macht eine Art von Bouts rimes !bout rimés sind Gedichte, die zu vorgegebenen Reimwörtern verfaßt werden."“. 124: 21,8f. die Champagnerflasche und die drei Gläser] Als Beispiel für „den Shakespeareschen Reim“ in der Dichtkunst führt Schlegel die motivische Verknüpfung in Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre (siehe Anm. 20,27–29 zu L120) an. Zu Beginn des Romans, im dritten Kapitel des ersten Buchs, wird die alte Barbara von Wilhelm und Mariane beauftragt, Champagner für eine nächtliche „Kollation“ herbeizuschaffen (WA I 21, S.15f.); gegen Ende, im 7.Buch, Kap.8, arrangiert sie eine ähnliche Szene, um Wilhelm Marianes Schicksal zu schildern, nachdem er sie verlassen hatte. Sie setzt ihm nochmals Champagner vor und stellt wieder drei Gläser auf den Tisch, von denen eines zum Andenken an die verstorbene Mariane unberührt bleibt (WA I 23, S.91f.). 124: 21,11 Shakespeare] Siehe Anm. 20,30f. zu L121. 124: 21,6–11 Auch im Innern !…" Meister darin] -- Huge, S.85; Wiethölter, S.595f. 125: 21,12f. Schon Sophokles !…" besser als die wirklichen] Vgl. zu Sophokles auch A310, FPL [V] 47, 85, 163 und Schlegels Studium-Aufsatz (KFSA1, S.296–301). 125: 21,13 Sokrates] Siehe Anm. 10,34 zu L26. 125: 21,13 Solon] Staatsmann und Gesetzgeber in Athen (ca. 640 – nach 561 v.Chr.).

Kritische Fragmente (‚Lyceums‘-Fragmente)

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125: 21,13f. Aristides] Griechischer Staatsmann in Athen (5. Jahrhundert v.Chr.), trug den Beinamen ‚der Gerechte‘. 125: 21,17 Liktoren] Amtsdiener höherer Magistrate in Rom, sie trugen den Beamten Fasces, die Abzeichen ihrer Machtbefugnisse, voraus. 126: 21,23f. Die Römer wußten, daß der Witz ein prophetisches Vermögen ist !…" Nase] Vgl. den Brief Friedrich Schlegels an Hardenberg, Ende Februar 1797: „Ich bin jetzt mit einer Grundlage der allgemeinen Witzlehre beschäftigt, und werde jetzt: Etwas über die Nasen schreiben“ (KFSA23, S.348). Vgl. FPL [V] 929 und 776; siehe Anm. 13,21 zu L46 (‚die Römer‘), 9,23 zu L9 (‚Witz‘) und 29,19 zu A80 (‚Prophet‘). 127: 21,25 Es ist indelikat, sich drüber zu wundern, wenn etwas schön ist] Siehe Anm. 32,4 zu A108 (‚schön‘).

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Friedrich Schlegel

Fragmente (‚Athenäums‘-Fragmente)

Textgrundlage und Textüberlieferung Unter dem schlichten Titel Fragmente veröffentlichte Friedrich Schlegel schon etwa ein halbes Jahr nach den Fragmenten des ‚Lyceums‘ eine große, aus 451 Stücken bestehende Sammlung in der erst kurz zuvor von den Brüdern Schlegel gegründeten Zeitschrift ‚Athenäum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel‘, Ersten Bandes Zweites Stück, Berlin 1798, S.3–146. Bei dieser Fragmentsammlung handelt es sich um eine Gemeinschaftsarbeit des Romantikerkreises, die zu rund drei Vierteln von Friedrich Schlegel bestritten wurde, aber auch dreizehn Fragmente von Novalis, 29(?) von Friedrich Schleiermacher und 85 von August Wilhelm Schlegel enthält. Eine Auswahl der ‚Athenäums‘-Fragmente wurde 1801 in den Eisenfeilen wieder abgedruckt (siehe hierzu auch den Abschnitt „Textgrundlage und Textüberlieferung“ der ‚Lyceums‘-Fragmente). Friedrich Schlegel hat die ‚Athenäums‘Fragmente nicht in die von ihm selbst besorgte Ausgabe seiner Werke aufgenommen, da er sich von der Position seiner Jugendjahre schon zu weit entfernt hatte. Dagegen veröffentlichte August Wilhelm in späteren Jahren den größten Teil der Fragmente, die er beigetragen hatte, unter dem Titel Urteile, Gedanken und Einfälle über Literatur und Kunst in seiner Werkausgabe: Kritische Schriften von August Wilhelm von Schlegel, Erster Teil, Berlin 1828, S.416–436. Diejenigen Fragmente, die Friedrich Schlegel aus den Vermischten Bemerkungen seines Freundes Friedrich von Hardenberg auswählte und unter die ‚Athenäums‘Fragmente mischte, sind in der historisch-kritischen Novalis-Edition zugänglich: Novalis Schriften. Zweiter Band: Das philosophische Werk I, hg. von Richard Samuel in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Revidiert von Richard Samuel und Hans Joachim Mähl, Stuttgart, Berlin, Köln und Mainz 31981, S.412–471. Schleiermachers Anteil an den ‚Athenäums‘-Fragmenten liegt vor in: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Kritische Gesamtausgabe, hg. von Hans Joachim Birkner u.a. Erste Abteilung: Schriften und Entwürfe, Bd.2: Schriften aus der Berliner Zeit 1796–1799, hg. von Günter Meckenstock, Berlin und New York 1984, S.142–153. Jacob Minor edierte die ‚Athenäums‘-Fragmente vollständig in seiner Ausgabe von Friedrich Schlegels Jugendwerk: Friedrich Schlegel. 1794–1802. Seine prosaischen Jugendschriften, hg. von Jacob Minor, Bd.2, Wien 1882, S.203–288. Der Text dieses Bandes folgt der kritischen Edition der ‚Athenäums‘-Fragmente: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hg. von Ernst Behler unter Mitwir-

Fragmente (‚Athenäums‘-Fragmente)

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kung von Hans Eichner und Jean-Jacques Anstett sowie zahlreicher Fachgelehrter. Bd.2: Charakteristiken und Kritiken I (1796–1801), hg. und eingeleitet von Hans Eichner, München, Paderborn und Wien (Ferdinand Schöningh) 1967, S.165–255. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags Ferdinand Schöningh. Offensichtliche Druckfehler wurden nach dem Vergleich mit dem Erstdruck im ‚Athenäum‘ stillschweigend berichtigt.

Entstehung Nach seiner Trennung von Reichardts ‚Lyceum‘ und angesichts der wachsenden Unzufriedenheit seines Bruders als Mitarbeiter der Jenaer ‚Allgemeinen Literaturzeitung‘ erinnerte Friedrich Schlegel in einem Brief vom 31.10.1797 an ihren Plan, gemeinsam eine Zeitschrift zu gründen: „Mir hat es lange Zeit geschienen, unser gemeinschaftliches Journal anzufangen. !…" Nähmlich ein Journal von uns beyden nicht bloß edirt, sondern ganz allein geschrieben, ohne alle !!regelm.[äßige]"" Mitarbeiter, wo weder Form noch Stoff näher bestimmt wäre, außer daß alles was ganz unpopulär wäre, oder großes Werk oder Theil eines solchen wäre, ausgeschlossen bliebe. !…" Denk !!Dir"" nur den unendlichen Vortheil, daß wir alles thun und lassen könnten, nach unserm Gutdünken“ (KFSA24, S.29 und 31). Beiträge anderer Autoren sollten nur aufgenommen werden, sofern es sich um „Meisterstücke der höhern Kritik und Polemik“ handelte. „Ja auch überhaupt Alles, was sich durch erhabne Frechheit auszeichnete, und für alle andren Journale zu gut wäre“, sollte in der geplanten Zeitschrift Platz finden (ebd., S.31). Friedrich Schlegel dachte dabei zunächst an Arbeiten Hardenbergs und Schleiermachers. In den Briefen der nächsten Wochen und Monate nimmt das Projekt allmählich konkrete Gestalt an. Die Konzeption der Zeitschrift wird präzisiert, die Frage des Titels wird diskutiert, Umfang und Erscheinungsweise erörtert und Richtlinien zur Leitung festgelegt (Behler, Zeitschriften, S.13–26). Friedrich Schlegel, der dieses Unternehmen energischer als sein Bruder vorantrieb und es durch seine Persönlichkeit prägte, legte besonderen Wert darauf, mit der gemeinsamen Zeitschrift ein Organ der „Symphilosophie“ zu schaffen: „Erstlich an sich ist es jetzt eine Lieblingsidee von mir; dann mit Dir; !…" ich wünsche, daß wir bey der Organisazion und Konstituzion nicht bloß nach der höchst möglichen Freyheit, sondern auch nach der größten Gemeinschaft strebten. Durch Einheit des Stoffs kann ein Journal wohl eine gewiße Einheit erreichen, aber es wird dadurch auch sicher monoton. !…" Es ist meine schönste Hoffnung bey diesem Unternehmen, unsern Geist dadurch in recht innige Verbindung zu setzen“ (5.12.1797; KFSA24, S.56). Mit diesem bewußt ‚offenen‘, universalen Programm machte Friedrich Schlegel das ‚Athenäum‘ zum Medium, in dem sich romantisches Denken weitgehend frei artikulieren konnte. In diesem weitgesteckten Rahmen konnte eine widersprüchliche Vielfalt von Positionen zur Sprache kommen, und hier bot sich ein Experimentierfeld, auf dem die junge

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Autorengeneration die propagierte Mischung und wechselseitige Durchdringung verschiedener Disziplinen und Formen erproben konnte (Behler, Zeitschriften, S.18–20). Zunächst plante Friedrich Schlegel, bereits im ersten Stück des ‚Athenäums‘ eine größere Fragmentenmasse zu veröffentlichen. An August Wilhelm schrieb er um den 1.12.1797 über die Arbeiten, die er zur gemeinsamen Zeitschrift beitragen könnte: „Ferner kann ich an die 6 Bogen voll Fragmente geben, die noch ein wenig aus anderm Auge sehn sollen, als die im Lyc.[eum]. Doch eigentlich wirds eine ganz neue Gattung seyn 1) denke ich größten Theils !!(nicht einzelne Sentenzen und Einfälle)"" kondensirte Abhandlung und Charakteristik, Recensionen [zu] geben 2) werde ich dabey Universalität ordentlich suchen, nicht philos.[ophische] und krit.[ische] Frag.[mente] trennen, wie im Lyc.[eum] !…", sondern mischen, dazu auch moralische nehmen“ (KFSA24, S.51f.). Für einen Teil der ‚Athenäums‘-Fragmente läßt sich nachweisen, daß sie aus dem Briefwechsel Friedrich Schlegels mit den übrigen Mitgliedern des Romantikerkreises hervorgegangen sind (z.B. A82, 254 und 313), einige scheinen im Gespräch mit Freunden oder in geselliger Konversation – vielleicht ist dabei auch an die Berliner Salons zu denken – entstanden zu sein (z.B. A38 und 296). Vier Fragmente sind Gemeinschaftsarbeiten Friedrich Schlegels mit August Wilhelm (A259 und 273) bzw. mit Schleiermacher (A35 und 276). Wie schon bei den ‚Lyceums‘-Fragmenten konnte Friedrich Schlegel auch den Fragmenten des ‚Athenäums‘ die umfangreichen Materialsammlungen zugrundelegen, die er, nach Disziplinen geordnet, in seinen Notizheften zur Philosophie, zur Literatur, zur Philologie und zu anderen Gebieten angelegt hatte. Deshalb meinte er im gleichen Brief recht optimistisch, es werde ihn „fast gar keine Zeit !…" kosten“, die Fragmentsammlung fertigzustellen. „Ich fange, wenn Ihr mir geantwortet habt, gleich an in den Abendstunden, beym Caffee u.s.w. zu blättern, auszuschreiben und zu diaskeuasiren, und schicke sie Euch dann“ (KFSA24, S.52). Vier Wochen später kann er bereits berichten, daß er „schon viele Convolute durchgesehn und signirt“ habe. (28. und 29.12.1797; KFSA24, S.72.) Um das Ideal einer „Verbrüderung der Kenntnisse und Fertigkeiten“ („Vorerinnerung“ zum ‚Athenäum‘) zu verwirklichen, spornt Friedrich Schlegel seinen Bruder in den folgenden Monaten immer wieder an, Fragmente zu schreiben. (Z.B. in den Briefen vom 12. und 18.12.1797 und von Anfang Februar 1798; KFSA24, S.63, 65 und 83.) Dieser trägt schließlich nahezu 90 Nummern zu der Sammlung bei (A6–9, 11, 14, 18, 20, 40, 57(?), 58–60, 106, 110, 122, 127–136, 140–142, 169–195, 197–205, 207–210, 224, 236f., 241, 243, 254, 257, 259 (teilweise), 260f., 269, 271, 273 (erster Teil), 309–311, 312(?), 313f., 380 und 405). Auch Caroline Schlegel (1763–1809) und deren damals gerade zwölfjährige Tochter Auguste Böhmer (1785–1800) sollen Fragmente produzieren. Im Brief an August Wilhelm vom 5.12.1797 drängt Friedrich Schlegel: „Willst Du keine machen? Will Car.[oline] keine machen? – Will Auguste keine machen? – Bey Tische könntet ihr das sehr gut. Aug.[uste] kann sie gleich aufschreiben“ (KFSA24, S.57). Und Caroline Schlegel wird aufgefordert, „aus Ihren, aus Deinen, aus meinen, aus Hardenbergs [Briefen], woher sie will, aus Himmel und Erde

Fragmente (‚Athenäums‘-Fragmente)

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Fragmente zu excerpiren. Denn wenn sie gleich keine Fragmente machen kann d.h. will, so weiß doch gewiß niemand besser, Fr.[agmente] auszuschmecken“. (Friedrich Schlegel an August Wilhelm, 18.12.1797; KFSA24, S.67; vgl. auch Friedrich Schlegels und Schleiermachers Brief an August Wilhelm, 27.2.1798; KFSA24, S.91.) Schleiermacher, mit dem Friedrich Schlegel seit Anfang 1798 die Wohnung teilte, erging es nicht besser, wie er in einem Brief, den er zusammen mit Friedrich Schlegel an August Wilhelm schrieb, anschaulich schildert: „Mir hat er !d.h. Friedrich Schlegel", da er mir einen Spaziergang durch seine philosophischen Papiere erlaubte, das onus aufgelegt, daß ich sie, wie ein Trüffelhund habe abtreiben müßen, um Fragmente oder Fragmentensamen aufzuwittern, und er selbst hat viele ganze Tage nichts als Striche gemacht, wie ein Silberprobirer. Alles ist auch nun crayonirt und es darf nur geschrieben werden“ (15.1.1798; KFSA24, S.78). Schleiermachers Beitrag zu den ‚Athenäums‘-Fragmenten beschränkte sich aber nicht darauf, das vielfältige Material in Friedrich Schlegels Notizheften zu sichten; er hat schließlich auch rund 30 eigene Fragmente (A35, zweiter Teil, A38, 86(?), 279f., 328–331, 334–338, 340f., 349–356, 361f., 364, 371, 378, 407 und 428) dazu beigesteuert, die vorwiegend Themen aus dem Bereich von Ethik und Religion betreffen (Meckenstock, FDES,KG I/2, S.XXXI–XXXVII). Friedrich von Hardenberg, von dem sich Schlegel einen „Pack physische oder chemische“ Fragmente wünschte, schickte am 24.2. ein Manuskript. (Friedrich Schlegel und Schleiermacher an August Wilhelm Schlegel, 27.2.1798; KFSA24, S.91.) Friedrich Schlegel veröffentlichte die Aufzeichnungen seines Freundes als eigenständige Sammlung unter dem Titel Blüthenstaub im ersten Stück des ‚Athenäums‘ und verschob den Druck der eigenen Fragmente auf die zweite Nummer der Zeitschrift, wo sie zusammen mit seinem Aufsatz Über Goethes Meister erschienen. Allerdings entnahm er Hardenbergs Manuskript dreizehn Fragmente, die er der eigenen Sammlung einverleibte (A282–294), und erlaubte sich einige weitere Eingriffe (siehe die Einleitung zu Blüthenstaub). Auch bei einzelnen Fragmenten seines Bruders und Schleiermachers hielt Friedrich Schlegel für erforderlich, „kleine Aenderungen vorzunehmen“, wie er im Brief an August Wilhelm Schlegel vom 6.3.1798 schreibt (KFSA24, S.98). Offenbar waren die Betroffenen damit nicht immer einverstanden, denn Mitte März muß Friedrich Schlegel seinen Bruder beschwichtigen: „Wegen meines Synthesirens, d.h. Zusammenwalkens der Deinigen sey nur ganz außer Sorgen, lieber Freund. Es werden nicht viel über sechs seyn, an die ich Hand angelegt. Fast überall habe ich nur weggelaßen, nirgends habe ich Dir einen Zug oder auch nur ein Wort geliehen“ (ebd., S.103). Ab Februar schickte Friedrich Schlegel die fertiggestellten Manuskriptteile der Fragmente an August Wilhelm mit der Bitte, „mit rother Dinte und feiner Feder Anmerkungen !zu" schreiben“ (KFSA24, S.84). Bei einigen Fragmenten äußerte August Wilhelm, der auf seine berufliche und gesellschaftliche Stellung in Jena Rücksicht nehmen mußte, Bedenken, die der jüngere Bruder meist zu zerstreuen suchte. Bei einigen Stücken, die ihm zu gewagt erschienen, machte er auch von seinem Vetorecht als Mitherausgeber des ‚Athenäums‘ Gebrauch, z.B.

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bei dem gestrichenen Fragment über den Roman Agnes von Lilien (1798) von Schillers Schwägerin Karoline von Wolzogen (1763–1847) und bei dem 216. ‚Athenäums‘-Fragment, das aber trotz des brüderlichen Einspruchs gedruckt wurde. (Vgl. hierzu Friedrich Schlegels Briefe an August Wilhelm vom 6. und 25.3.1798; KFSA24, S.99 und 108f.) Einig war man sich darüber, daß Schiller im ‚Athenäum‘ weder direkt noch indirekt erwähnt werden sollte, denn die Brüder fürchteten, sich mit Angriffen auf ihn Goethes Sympathie zu verscherzen. (Friedrich Schlegel an August Wilhelm, 17.2.1798; KFSA24, S.89.) Allerdings war Friedrich Schlegel auch in diesem Punkt weitaus risikofreudiger als der ältere Bruder. Dem Grundsatz gemäß, daß „alle unsre Fähigkeiten fraternisiren müssen“ (Friedrich Schlegel an August Wilhelm, 25.3.1798; KFSA24, S.112), beurteilte einer die Fragmente des andern, äußerte Lob oder Tadel und versah sie mit Frageoder „Beyfallszeichen“ (Friedrich Schlegel an August Wilhelm, Mitte März; KFSA24, S.102). Diskutiert wurden neben Änderungsvorschlägen auch stilistische Fragen, die Anordnung der Fragmente und divergierende Auffassungen der Fragmentpoetik. (Vgl. hierzu insbesondere Friedrich Schlegels ausführlichen Brief an August Wilhelm vom 6.3.1798; KFSA24, S.95–101.)

Wirkung Die Reaktionen auf das ‚Athenäum‘ und insbesondere auf die Fragmente des zweiten Stücks waren lebhaft und reichten von begeisterter Aufnahme bis zu strikter Ablehnung und Diffamierung, wobei allerdings die kritischen Stimmen und negative Urteile überwogen (Behler, Zeitschriften, S.47–52). Novalis verfaßte nach der Lektüre der ‚Athenäums‘-Fragmente zu den Nummern 1–213 (mit Ausnahme von A33 und 48) Titel (NO2, S.625–639; siehe unten im Stellenkommentar zu den jeweiligen Fragmenten) und schrieb während seines Kuraufenthalts in Bad Teplitz im Sommer 1798 zu 55 Aufzeichnungen knappe kritische Notizen (NO2, S.623f., Kritik der Athenaeumsfragmente; siehe unten im Stellenkommentar; vgl. auch Hardenbergs Brief an Friedrich Schlegel, 20.7.1798; KFSA24, S.152), in denen sich eine von Friedrich Schlegel abweichende Auffassung vom Fragment abzeichnet. Dieser begrüßte sie im Brief an Hardenberg von Ende Juli 1798 ausdrücklich als „Incitamente zur Symphilosophie“ (KFSA24, S.155). Mit besonderer Spannung erwarteten die Herausgeber und Verfasser, wie die ‚Athenäums‘-Fragmente in Weimar aufgenommen werden würden, wo die neue Zeitschrift, wie Caroline Schlegel am 14./15.10. an Friedrich Schlegel schrieb, „viel gelesen“ wurde (ebd., S.177). Goethe äußerte sich wohlwollend über die Fragmente und nahm die Brüder Schlegel in einem Brief an Schiller gegen dessen Kritik in Schutz: Das Schlegelsche Ingrediens, in seiner ganzen Individualität scheint mir denn doch in der Olla potrida unsers deutschen Journalwesens nicht zu verachten. Diese allgemeine Nichtigkeit, Parteisucht fürs äußerst mittelmäßige, diese Augendienerey, diese Katzenbuckelgebärden, diese Leerheit und Lahmheit in der nur wenige gute Producte sich

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verlieren, hat an einem solchen Wespenneste wie die Fragmente sind einen fürchterlichen Gegner. !…" Bey allem, was Ihnen daran mit Recht mißfällt kann man denn doch den Verfassern einen gewissen Ernst, eine gewisse Tiefe und von der andern Seite Liberalität nicht ableugnen. Ein Dutzend solcher Stücke wird zeigen, wie reich und wie perfectibel sie sind. (25.7.1798; WA IV13, S.226.)

Einige Tage später äußerte Goethe Schiller gegenüber den Wunsch, die Fragmente mit ihm gemeinsam durchzugehen, denn „als Veranlassung zum interessanten Gespräch werden sie gewiß sehr dienen, selbst indem sie zum Widerspruch aufregen“ (28.7.1798; ebd., S.232). Caroline Schlegel berichtet Friedrich Schlegel in einem Brief vom 14./15.10.1798 über ein Gespräch Goethes mit August Wilhelm: „Die Fragmente haben ihn ungemein interressirt; ihr hättet euch in Kriegsstand gesezt, aber er hat keine einzige Einwendung dagegen gemacht; nur gemeint, es wäre eine allzu starke Ausgabe [Zusatz W.Schlegels: die Verschwendung wäre doch zu groß, war der pivot seines allgemeinen Urtheils], und es hätte sollen getheilt werden. Wilhelm hat ihm geantwortet, in Einem Strich ließe sichs freylich nicht lesen; da hat er so etwas gemurmelt, als das hätte er denn doch nicht lassen können, es wäre denn doch so anziehend –“ (KFSA24, S.177). Selbst Leser und Leserinnen, die für die moderne Literatur aufgeschlossen waren, nahmen an der ‚Unverständlichkeit‘ der Fragmente Anstoß und beurteilten sie skeptisch, wie Helmina von Chézy (1783–1856), die vermutete, dieses Werk habe „ein Wahnsinniger geschrieben“, (Unvergessenes, Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Helmina von Chézy von ihr selbst erzählt, Bd.1, Leipzig 1858, S.258) oder Johanna Dorothea Stock (1760–1832), die sich am 24.10.1798 irritiert an Charlotte von Schiller (1766–1826) wendet: „Ich gestehe, daß ich nicht dahin gelangen kann die Fragmente zu verstehen. Wenn nicht tiefer Sinn darin liegt, der mir zu fassen vielleicht ganz unmöglich ist, so kann ich nicht läugnen, daß Stellen mir platt und gemein vorkommen.“ (Charlotte von Schiller und ihre Freunde, hg. von Ludwig Ulrichs, Bd.3, Stuttgart 1865, S.25; zitiert nach Härtl, S.289.) Die Brüder Schlegel hatten weder beabsichtigt noch erwartet, daß die Vertreter der Aufklärung ihren Fragmenten Beifall spenden würden. Friedrich Schlegel schreibt am 20.10.1798 an seine Schwägerin Caroline: „Ueberhaupt ist das Geschrey groß über uns und unsre Frechheit“ (KFSA24, S.184). Er berichtet von einer „elenden Brochüre, so in Leipzig erschienen ist“. In ihr „gehts ganz aufs Athen.[äum] los, aber doch vorzüglich auf mich, auch noch auf die Fr.[agmente] im Lyceum. Kästner !der Mathematiker und Dichter Abraham Gotthelf Kästner (1719–1800)" soll hieher geschrieben haben, wir hätten die xenialische Tendenz, die illiberale Humanität classisch zu machen“ (ebd.). Bei der „elenden Brochüre“ handelt es sich um eine Schrift mit dem Titel Ankündigung und Probe einer Ausgabe der römischen und griechischen Classiker in Fragmenten. Enthaltend die Fragmente von Cicero’s erster catilinarischen Rede, mit philologischen Fragmenten und Idyllen begleitet. Nebst einer Vorrede, bestehend in Fragmenten von Friedrich Schlegel, Rom !!" 1798. Der Verfasser Paul Emil Thierist verbirgt sich hinter dem Pseudonym „Gottlob Dietrich Schlägel“.

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Diese Satire bildet den Auftakt einer ganzen Reihe von Pasquillen, die sich gegen Friedrich Schlegel und den Kreis der Frühromantiker richteten und von diesen wiederum mit Persiflagen und satirischen Streitschriften beantwortet wurden. (Vgl. im einzelnen Pfeiffer-Belli, Antiromantische Streitschriften und Pasquillen (1798–1804). In: Euph 26 (1925), S.602–630; Die ästhetische Prügeley; Härtl; Schumacher, S.173–182 und Wistoff, S.97–102.) Friedrich Nicolai (1733–1811), der Hauptvertreter der Berliner Aufklärung, veröffentlichte die Vertrauten Briefe von Adelheid B*** an ihre Freundin Julie S** (1798), die Schlegels Fragmente parodieren und sich über seine Lucinde (1799) lustig machen. 1799 folgt August von Kotzebues (1761–1819) Attacke mit Der hyperboräische Esel oder Die heutige Bildung. Ein drastisches Drama, und philosophisches Lustspiel für Jünglinge, in Einem Akt, das bereits im Titel auf das 42. und auf das 197. ‚Athenäums‘Fragment anspielt, und Christian Wilhelm Augustis anonoym veröffentlichtes Der Engel Gabriel und die Gebrüder Schlegel. Die Frühromantiker revanchierten sich mit satirischen Publikationen wie August Wilhelm Schlegels ebenfalls anonym erschienener Ehrenpforte und Triumphbogen für den Theater-Präsidenten von Kotzebue (1800). Gegen Kotzebue und für die Herausgeber und Beiträger des ‚Athenäums‘ ergriff auch Clemens Brentano (1778–1842) in seinem parodistischen Drama Gustav Wasa (1800) Partei. (Hartwig Schultz, Brentanos „Gustav Wasa“ und seine versteckte Schöpfungsgeschichte der romantischen Poesie. In: Clemens Brentano. Beiträge des Kolloquiums im Freien Deutschen Hochstift 1978, hg. von Detlev Lüders, Tübingen 1980, S.295–330, hier besonders S.297–309.) Die literarischen Fehden um das ‚Athenäum‘ führten schließlich 1800 zu August Wilhelm Schlegels Trennung von der Jenaer ‚Allgemeinen Literaturzeitung‘, die dadurch ihren besten und produktivsten Rezensenten verlor.

Struktur und Gehalt Bereits bei einem ersten flüchtigen Blick auf die ‚Athenäums‘-Fragmente werden einige Unterschiede im Vergleich zu den ‚Lyceums‘-Fragmenten sichtbar: Die zweite Sammlung ist insgesamt wesentlich umfangreicher und breiter angelegt als die erste, auch die einzelnen Fragmente sind im Durchschnitt länger als die Kritischen Fragmente und haben zuweilen nahezu den Umfang von selbständigen kleinen Aufsätzen. Auch die thematische Vielfalt der Sammlung fällt auf, sie beschäftigt sich mit Literatur und Literaturkritk, mit bildender Kunst und mit der Theorie der Künste, mit Philosophie, Moral, Religion, Geschichte, Politik und Gesellschaft. Und schließlich wurden die ‚Athenäums‘-Fragmente nicht von einem einzelnen, sondern von vier Autoren verfaßt; allerdings wurden die Fragmente ohne Angabe eines Verfassernamens gedruckt, um den Charakter eines gemeinschaftlich hervorgebrachten Werks zu unterstreichen. Dem Bruder gegenüber betont Friedrich Schlegel mehrfach, daß die neuen Fragmente „ganz anders“ als die früheren werden sollten, und im Brief vom 25.5.1798 skizziert er seine Konzeption der Fragmente: „Mein Zweck war 1) die größte Masse von Gedanken in dem kleinsten Raum, 2) « von Universali-

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tät. Dieser letzte Zweck wäre ohne Dein Hinzutreten sehr unvollkommen erreicht und dadurch wurde nun noch etwas in den Zweck gebracht: 3) Ouvertüre des Athenäums, fraternaler Potenzismus, und gigantische Synfonierung“ (KFSA24, S.111). August Wilhelms Bedenken, die Fragmentenmassen könnten auf den Leser eintönig wirken, versucht Friedrich Schlegel zu zerstreuen: die „Abwechslung, die ich beabsichtige“, erfordere „einen nicht ganz kleinen Spielraum“ (18.12.1797; KFSA24, S.65), und „je mehr Fragm.[ente] gegeben werden, je weniger Monotonie, und je mehr Popularität. Die Menge muß es machen“ (17.2.1798; KFSA24, S.88). Der „Charakter des Ganzen“ besteht nach Friedrich Schlegel darin, „daß das Einzelne sehr verschiedenartig seyn solle“ (6.3.1798; KFSA24, S.96). Einen Einblick in die thematische und stilistische Vielfalt der Fragmente gibt Friedrich Schlegel im Brief an seinen Bruder vom 17.2.1798, in dem er noch „sehr viele kleine pikante“ ankündigt, dazu „noch viel Griechische und philologische. Sehr große moralische und !!neue"" philosophische, und viele Charakt.[eristiken] in 12° pp“ (ebd., S. 88). Besonderen Wert legt Friedrich Schlegel auf Aktualität: „Noch ein Theil meines Zwecks mit den Fr.[agmenten] ist daß sie in Rücksicht der litterarischen Beziehungen on the top of the fashion“ sein sollten (25.3.1798; KFSA24, S.113). In diesem groß angelegten Unternehmen, in dem bereits Grundzüge des romantischen Enzyklopädieprojekts vorgebildet sind, entwickelt Friedrich Schlegel in Fragmentform eine Theorie der romantischen Literatur. Auf eine systematische Anordnung der Fragmente verzichtet Friedrich Schlegel wie schon bei den ‚Lyceums‘-Fragmenten; durch überraschende Gedankensprünge und abrupten Wechsel der Stilhöhe werden die Erwartungen des Lesers gezielt getäuscht, um seinen Geist „in produktiver Bewegung“ zu erhalten (Mennemeier, Brennpunkte, S.17). Daß diese scheinbar völlig ungegliederte Fülle von Fragmenten eigenen Ordnungsprinzipien gehorcht und durchaus eine innere Einheit darstellt, deutet Friedrich Schlegel an, wenn er ablehnt, die Fragmente auf zwei Nummern des ‚Athenäums‘ zu verteilen, und dies folgendermaßen begründet: „Eins oder das andere ist auch ein Mitglied einer Masse, die sich nicht trennen läßt. Ueberhaupt hängen die verdammten Dinger so zusammen.“ (An August Wilhelm Schlegel, 6.3.1798; KFSA24, S.97.) Bei der Lektüre stößt man öfter auf thematisch zusammenhängende Gruppen, z.B. auf eine Reihe von Fragmenten zur antiken Literatur und Philosophie (A143–169), zur Religion (A230–235), zu Gesellschaft und Staat (A209–216) oder auf die ‚Kunstfragmente‘ (A177–194 und 309–314). Dazwischen sind immer wieder kleinere Gruppen von drei oder vier Stücken oder auch einzelne Fragmente zur Philosophie eingestreut (z.B. A269–272, 274–276, 301–304, 316–319, 342–347), oder es finden sich ‚pikante‘, kritische, öfter auch polemische Fragmente, die Erscheinungen des zeitgenössischen literarischen Lebens gewidmet sind. Teilweise hat Schlegel auch die Beiträge der anderen Mitarbeiter als geschlossene Gruppen in die eigenen Fragmentmassen eingeschoben (A127–136, 169–195, 197–205, 207–210 von August Wilhelm Schlegel, A282–294 von Novalis, A328–331, 334–338 und 349–355 von Schleiermacher);

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doch ist dieses Prinzip nicht durchgängig verwirklicht. Es überwiegt die assoziative Verknüpfung, die oft über viele Seiten hinweg Fragmente verbindet; die Sammlung scheint nach den Gesetzmäßigkeiten einer musikalischen Komposition geordnet, wie die häufig wiederkehrenden Begriffe aus diesem Bereich (z.B. ‚Baß‘, ‚Kadenz‘, ‚Synfonie‘, ‚Ouvertüre‘) nahelegen (Immerwahr, KFSA24, S.XLII).

Stellenkommentar 1: 22,1 Über keinen Gegenstand philosophieren sie seltner als über die Philosophie] Vgl. zur Reflexion der Philosophie auf sich selbst Anm. 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘). Novalis schrieb dazu folgenden Titel: „Worüber selten phil[osophiert] wird.“ 2: 22,2 Stickluft] Hier im Sinn von: stickige, sauerstoffarme Luft. 2: 22,2–4 Die Langeweile !…" beisammen ist] Novalis gab dem Fragment den Titel: „Langeweile und Stickluft. ein Gleichniß.“ 3: 22,5–7 Kant hat den Begriff des Negativen !…" in die Philosophie einzuführen?] Über Kant siehe Anm. 10,12 zu L16. Hardenbergs Überschrift lautet: „Der negative Kant.“ Als kritische Anmerkung fügte er hinzu: „Der Ausdruck ist tadelhaft.“ 4: 22,8f. Zum großen Nachteil der Theorie von den Dichtarten vernachlässigt man oft die Unterabteilungen der Gattungen] Vgl. zu den Gattungen A116, 121, 179, 252, 324, FPL [V] 4, 18, 20, 23, 27, 31, 35, 51, 55, 97, 172, 184, 220, 345 u. ö.; siehe Anm. 14,29 zu L60 (‚Dichtarten‘) und 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘). 4: 22,9f. teilt sich !…" die Naturpoesie in die natürliche und in die künstliche] Siehe Anm. 9,1 zu L1 über das Verhältnis von Natur und Kunst und vgl. zur Naturpoesie A116, 155, 252, 430, FPL [III] 104, [V] 3, 55, 108, 136, 149, 195, 208, 211. 4: 22,8–11 Zum großen Nachteil !…" Gelehrte] Vgl. L62. – Zu diesem Fragment schrieb Hardenberg folgenden Titel: „Rüge des Mangels an Subdivisionen der Poëtik mit einem Beyspiele“. In seiner Kritik der Athenaeumsfragmente heißt es zu diesem Fragment: „Versteh ich nicht. auch kein Fragment.“ 5: 22,12f. Was gute Gesellschaft genannt wird !…" Karikaturen] Vgl. über die Karikaturen auch A63, 246, 396, FPL [V] 61, 395, 1080, 1083, 1158, 1176, 1272; Novalis, Vorarbeiten 214, AB270 und 638. Siehe Anm. 78,24f. zu A426 (‚Geselligkeit‘). Novalis wählte den Titel: „Gleichniß der sog[enannten] guten Gesellschaft.“ -- Polheim, Arabeske, S.29–32. 6: 22,14 Hermann und Dorothea] Goethes Versepos Hermann und Dorothea (1797). Vgl. zu diesem Werk Goethes, das August Wilhelm Schlegel 1797 in der Jenaer ‚Allgemeinen Literaturzeitung‘ (Nr.393) rezensierte (AWS,SW11, S.183–221), auch A254 (und siehe dazu Anm. 51,1–5 über die Aufnahme bei Publikum und Kritik), FPL [V] 155, 158; Novalis, BL106 und Vorarbeiten 98; siehe ferner Anm. 9,13–15 zu L6 über Goethe und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘).

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6: 22,14–17 Manche haben es !…" umgehen] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis gab dem Fragment die Überschrift: „Eine Kritik, als Beytrag zur Kritik des häußlichen Lebens der Kritiker“. 7: 22,19f. Ihr verlangt immer neue Gedanken? !…" sagen] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis fügte den Titel „Postulat und Gegenpostulat“ hinzu. 8: 22,22f. antworten, wie Sthenelos dem Agamemnon: wir rühmen uns viel besser zu sein denn unsre Väter] Sthenelos war der Sohn des Kapaneius, der als einer der ‚Sieben gegen Theben‘ gekämpft hatte. Agamemnon war König von Mykene und Oberbefehlshaber des griechischen Heers vor Troja. Im vierten Gesang der Ilias läßt Homer beide aufeinanderstoßen. Sthenelos verwahrt sich gegen Agamemnons Vorwurf, die griechischen Heerführer scheuten den Kampf und stünden hinter ihren Vorfahren an Tapferkeit zurück, und erwidert ihm selbstbewußt: „Tapferer rühmen wir uns, weit mehr denn unsere Väter!“ (Vers 405; in der Übersetzung von Johann Heinrich Voß.) – Novalis überschrieb das Fragment: „Antwort, den Lobrednern der alten, modernen Litteratur.“ 8: 22,21–23 Gewissen Lobrednern !…" Väter] Von August Wilhelm Schlegel. 9: 22,24f. Zum Glück wartet die Poesie eben so wenig auf die Theorie !…" Gedicht] Von August Wilhelm Schlegel. – Vgl. zum Thema Moral auch L77, A89, 106, 135, 145, 211, 215, 228, 263, 272, 320, 371, 373, 390, 409, 414, 420, 425f., 428, 433, 449f., Id1, 18, 33, 35, 62, 67, 70, 73, 76, 84, 86, 89f., 101f., 107, 110, 123, 132, 153; Novalis, FSt51, 54, 108, 555 (‚Moralität‘ und siehe hierzu Anm. 173,6f.) BL81, AB229, 257, 296, 299, 400, 414, 417, 521, 653, 769, 789, 958; Schleiermacher, G I 23, 25f., 59, 76, 104, 153. Siehe auch Anm. 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘). Vgl. zu diesem Fragment auch folgenden Aphorismus Chamforts: „Die Natur fragt nicht erst Cherin !der letzte Genealoge des französischen Königs" wenn sie einen tugendhaften Mann oder ein Genie erschafft“ (Übersetzung von N.P.Stampeel, S.195) sowie Schleiermacher, G I 104 und Novalis, Vorarbeiten 82. – Novalis wählte den Titel: „Unglück, wenn die Poësie auf die Theorie wartete.“ 10: 22,27–29 Die Pflicht ist Kants Ein und Alles !…" ein großer Mann geworden] Vgl. auch PhL [II] 12, ferner A371, Id39; G I 167 zur Pflicht; und siehe Anm. 10,12 zu L16 (Kant) sowie 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘). Hardenberg gibt diesem Fragment den Titel: „Was ist für Kant die Pflicht – nebst einer Episode.“ 11: 22,30 Der Parisischen schönen Welt] Die höfische Gesellschaft am französischen Hof. 11: 22,30 Geßners Idyllen] Salomon Geßner, Idyllen. Von dem Verfasser des Daphnis (1756) und Neue Idyllen (1772). 11: 22,31 haut gout] Scharfer Geschmack und Geruch von Wildfleisch. 11: 22,30f. Der Parisischen schönen Welt !…" an Milchspeisen labt] Von August Wilhelm Schlegel. – Von Novalis wurde das Fragment überschrieben: „Milchspeise für die Pariser Welt.“ 12: 22,33–36 Man hat von manchem Monarchen gesagt !…" nicht Bibel sein sollte?] Vgl. hierzu Wieland, Der Goldene Spiegel oder die Könige von Scheschian (1772), CMW6 (Bd.2 des Nachdrucks), S.306f. – Siehe Anm. 90,36f.

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zu Id95 (‚Bibel‘). Novalis verfaßte zu diesem Fragment den Titel: „Das liebenswürdige Privatbuch. Ein Übergang“. -- Neumann, Ideenparadiese, S.503–506. 13: 23,1–3 Wenn junge Personen beiderlei Geschlechts !…" Respekt vor der Poesie?] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). Novalis gab dem Fragment folgenden Titel: „Wonach tanzen und darüber urtheilen ist zweyerley.“ 14: 23,4f. die poetische Sittlichkeit lüsterner Schilderungen] Vgl. A145 zur ‚poetischen Sittlichkeit‘ Homers. Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 14: 23,10f. mit einer fantastischen Mystik der Sinnlichkeit] Siehe Anm. 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘) und 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘). 14: 23,11 Tollheit] Siehe Anm. 15,8 zu L67. 14: 23,4–12 Schöner Mutwille im Vortrage !…" wieder gut gemacht würde!] Von August Wilhelm Schlegel. – Hardenbergs Überschrift zu diesem Fragment lautet: „Wer darf schlüpfrig seyn?“ 15: 23,13–20 Der Selbstmord ist gewöhnlich nur eine Begebenheit !…" länger zu leben] Vgl. zum Selbstmord auch Schleiermacher, G IV15. Siehe Anm. 10,9 zu L16 (‚Willkür‘). – Novalis überschrieb das Fragment „Von der Selbsttödtung“, und fügte eine kritische Notiz dazu: „Non liquet.“ !„Ist nicht klar.“" 16: 23,21 Wesen des Zynismus] Siehe Anm. 14,28 zu L59 (‚cynisch‘). 16: 23,21 Natur !…" Kunst] Siehe Anm. 9,1 zu L1. 16: 23,21f. der Tugend vor der Schönheit und Wissenschaft den Vorzug zu geben] Siehe Anm. 85,24 zu Id23 (‚Tugend‘), 32,4 zu A108 (‚schön‘) und 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘). 16: 23,23 Buchstaben !…" Geist] Siehe Anm. 15,16 zu L69. 16: 23,23f. allen ökonomischen Wert und politischen Glanz] Siehe Anm. 74,41 zu A410 (‚Ökonomie‘) und 91,24 zu Id101 (‚Politik‘). 16: 23,25 Willkür] Siehe Anm. 10,9 zu L16. 16: 23,25f. Christianismus] Vgl. zum Christentum auch L91, A221, 230f., 234, 376, 379, 411, Id59, 63, 92, 112, 138, PhL [II] 6, 104, 107, 117, 119f., 188, 258, 357, 359, 366, 372, 631, 658, 663, 692; Novalis, FuS57, 73, 82, 84; Schleiermacher, G I 87, 141, 200, 204, 209, III41 u. ö. -- Polheim, Arabeske, S.66f.; Hermann Timm: Universalität und Individualität: Das Konzept des frühromanischen ‚Christianismus‘. In: Romantik in Deutschland, S.443–462. 16: 23,21–26 Wesen des Zynismus !…" universeller Zynismus] Vgl. auch PhL [II] 848. Als Titel wählte Novalis: „Neue Entdeckung über den Xstianism.“ 17: 23,27–30 Die dramatische Form !…" Sprechen lassen] Siehe Anm. 13,19f. zu L45 (‚Drama‘). – Novalis gab dem Fragment den Titel „Motiven zur Dramatischen Form“ und versah es mit der Bemerkung „undeutlich.“ 18: 23,31f. Es gibt verdiente Schriftsteller !…" die Bildung ihres Volkes betrieben haben] Nach Härtl, S.265, richtet sich dieses Fragment gegen C.M.Wieland (siehe Anm. 51,33–36 zu A260). Vgl. L86, in dem sich Schlegel skeptisch über die Kritik als Instrument der Bildung äußert. Siehe ferner Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 18: 23,34f. nicht besser dran als ein Hund im Bratenwender, der die Pfoten nicht vorwärts setzen will] Den skurrilen Vergleich hat A.W.Schlegel vermutlich

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Chamforts Maximes et Pensées (siehe Anm. 13,34 zu L50) entlehnt: „M...., provençal, qui a des idées assez plaisantes, me disait, à propos des rois et même des ministres, que, la machine étant bien montée, le choix des uns et des autres était indifférent: ‚Ce sont, disait-il, des chiens dans un tourne-broche; il suffit qu’ils remuent les pattes pour que tout aille bien. Que le chien soit beau, qu’il ait de l’intelligence, ou du nez, ou rien de tout cela, la broche tourne, et le soupé sera toujours à peu près bon.‘“ (Oeuvres 2, S.19.) -- Rühle-Gerstel, S.838. 18: 23,31–35 Es gibt verdiente Schriftsteller !…" setzen will] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis schlägt folgenden Titel vor: „Der faule Hund im Bratenwender.“ 19: 23,37–39 Das sicherste Mittel unverständlich oder vielmehr mißverständlich zu sein !…" alten Sprachen] Zur Problematik des Verstehens und der Unverständlichkeit siehe Anm. 10,17f. zu L20. Schlegel beschreibt in diesem Fragment ein Verfahren, das er selbst öfter anwendet. „Worte in ihrem ursprünglichen Sinne“ verwendet er z.B. in L4, 24, 40, 68, A42, 119, 253; vgl. auch Id78 und Novalis, GL1 (zur „Tropen und Räthselsprache“). – Novalis betitelt A19 folgendermaßen: „Sichres und erprobtes Mittel unverständlich zu seyn.“ 20: 23,40–24,3 Duclos bemerkt !…" eine Wissenschaft und eine Tugend] Von August Wilhelm Schlegel. -- Charles Pinot Duclos (1704–1772), Schriftsteller, Historiograph, Vertreter des französischen Moralismus. Siehe Anm. 13,12f. zu L45 über Frankreich und die Franzosen, 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘) und 85,24 zu Id23 (‚Tugend‘). – Novalis’ Titel zu diesem Fragment lautet: „Werth und Werthe der Schriftstellerey.“ 21: 24,5 Die Kantische Philosophie] Siehe Anm. 10,12 zu L16. 21: 24,5f. dem untergeschobnen Briefe, den Maria in Shakespeares Was ihr wollt, dem Malvolio in den Weg legt] In Shakespeares Komödie läßt das Kammermädchen Maria den Haushofmeister Malvolio durch einen anonymen Brief glauben, die Gräfin Olivia sei in ihn verliebt und verlange, daß er sich zum Zeichen des Einverständnisses mit „gelben Strümpfen !…" kreuzweise gebundnen Kniegürteln“ und ständigem Lächeln vor ihr sehen lasse (II5). – Auf Shakespeares Was ihr wollt spielt Schlegel auch in A57, 79 und 200 an. Siehe auch Anm. 20,30f. zu L121 über Shakespeare. 21: 24,5–9 Die Kantische Philosophie !…" fantastisch lächeln] Novalis verfaßte zu diesem Fragment den Titel: „Kants Philosophie und ein falscher Brief, ein Gleichniß.“ 22: 24,10–14 Ein Projekt ist !…" moralisch notwendig] Schlegel gibt hier eine zweifache Definition eines ‚Projekts‘, wobei er dessen Nähe zum Fragment herausarbeitet. Vgl. auch L69, A220, 375, PhL [II] 285, 298f., 301, 308, 683, 750, 857, 880; Vorarbeiten 284. Siehe Anm. 10,4f. zu L14 über die dialektische Struktur des Projekts; ferner 22,24f. zu A9 (‚Moral‘) und 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). 22: 24,11 subjektiv !…" objektiv] Vgl. zu diesem Begriffspaar A77, FPL [II] 6f., 20, [V] 322, 552, 556, 696, 729, 749, 836, 1000, [VII] 104, [VIII] 84, [IX] 458, 512, 749, [X] 80, PhL [II] 829, 832, [III] 157, [IV] 63, 646, [V] 184, 669, 1046; Novalis, FSt16, 49, 594f., 610; Schleiermacher, GIII57.

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22: 24,14f. Sinn für Projekte, die man Fragmente aus der Zukunft nennen könnte] Siehe Anm. 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘). Vgl. zum Fragment-Begriff der Frühromantiker auch L4, 9, A24, 77, 206, 220, 225, 259, das Kapitel „FragmentFragmente“ und Novalis, Vorarbeiten 96, 302, 318, T9, 18, 40, 95, AB218, 314, 851, 945; zum Projekt L69 und A375; vgl. ferner zum komplementären Begriffspaar ‚Projekte und Fragmente‘ PhL [II] 285, 298f., 301, 308, 750, 857 und 880. -F.N.Mennemeier (Literaturprogramm, S.288) betrachtet Schlegels Konzeption des ‚Projekts‘ in Zusammenhang mit dessen Geschichtsphilosophie: „Fortschritt wird nun als Resultat eines Wechselverhältnisses regredierender und progredierender Akte interpretiert. Durch sie bestimmt der Mensch sich und den Geschichtsverlauf, wie er durch den letzteren, indem er auf ihn reflektiert, seinerseits bestimmt wird. In zwar stets unfertigem, subjektivem Sichentwerfen gelingt doch tendenziell das fertige, Vollkommene, ‚Objektive‘, am ehesten dann, wenn der Handelnde sich des Fragmentcharakters seines Tuns bewußt ist und wenn er solches Bewußtsein in eben dieses Tun als schöpferisches Element einbezieht.“ – Anhand des komplementären Begriffspaars ‚Projekte und Fragmente‘ erläutert E.Ostermann Schlegels Auffassung vom notwendig fragmentarischen Charakter des (literarischen) Kunstwerks; in kritischer Auseinandersetzung mit Fichtes Wissenschaftslehre erhebt er die Einbildungskraft in den Rang eines unendlich progredierenden Vermögens, Dichtung nimmt utopisch-projektiven Charakter an: Projekte sind die Werke, indem sie den geschichtlichen Anspruch der Poesie in stets überbietbaren Realisationen zukünftiger Möglichkeiten progressiv entfalten. Fragmente sind sie zudem, insofern diese sich der poetischen Dynamik als transzendentale Bedingung ihrer Möglichkeit geöffnet hat. !…" Als „subjektiver Keim eines werdenden Objekts“ (A22) verdankt sich das Projekt seinem eigenen Telos, d.h. es läßt sich als Relikt eines Zustandes denken, auf dessen Verwirklichung es selbst noch angelegt ist. Das Fragmentarische der Poesie erscheint deshalb nicht als ihr wie auch immer gearteter defizitärer Status, sondern als negative Erscheinungsform des Ermöglichungsgrundes, der sich als abwesender und dennoch realer manifestiert. In diesem, wörtlichen Sinne sind die Kunstwerke nicht eigentlich selbst erzeugte Bruchstücke einer erst teilweise realisierten Utopie. !…" Als „Fragmente aus der Zukunft“ sind die Werke der Poesie dagegen Emanationen einer schon vorhandenen, aber jenseits der Geschichte liegenden Realität, deren wirkliche Erscheinung sich in ihnen als Bruchstück bereits ankündigt. (Fragment, S.114f.)

-- Frank, Zeit, S.419; Ostermann, Fragment, S.111–115; Matthias Schöning, Eichendorffs Synthese. Zur Poetik von Fragment und Ruine in der Literatur der Romantik. In: Einheit der Romantik? Zur Transformation frühromantischer Konzepte im 19. Jahrhundert, hg. von Bernd Auerochs und Dirk von Petersdorff, Paderborn u.a. 2009, S.109–124, hier S.115–118; Strack, Romantische Fragmentkunst, S.332. 22: 24,16f. die Richtung !…", die bei ihm progressiv !…" ist] Vgl. zum Begriff ‚progressiv‘ A116, 222, 231, FPL [III] 23, 84, 129, 171, [V] 2, 4, 20, 23, 96, 98, 131, 184, 203, 208, PhL [II] 76, 118, 133, 750, [III] 334; Novalis, BL47, 54, T26, HKS28, 37, 53, AB601 u. ö. Siehe auch Anm. 97,11 zu FPL [V] 3 (‚klassisch – progressiv‘). -- Bär, S.480–483.

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22: 24,19 transzendental] Eine weitere Definition dieses Begriffs gibt Novalis in A388; vgl. auch L42, A256, 271, 285, 305, PhL [II] 79f., 165, 187, 230, 235, 302, 467, 472, 483, 506, 544, 604, 704, 707, 716, 728, 743, 756, 804, 816, 821, 826–828, 863, 876, 884, 886, 963, 978f., 1009; Novalis, Vorarbeiten (Poësie) 40, 42, 47f. u. ö. – Transzendental heißt bei Kant eine Erkenntnis, die sich mit der Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung beschäftigt: „transzendental !…" bedeutet nicht etwas, das über alle Erfahrung hinausgeht, sondern, was vor ihr (a priori) zwar vorhergeht, aber doch zu nicht Mehrerem bestimmt ist, als lediglich Erfahrungserkenntnis möglich zu machen.“ (Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können (1783); KA5, S.A204, Anmerkung.) Wie E.Behler (Ironie und literarische Moderne, S.110) erläutert, hat Fichte in seiner Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794; vgl. etwa FI1, S.227f., 273 und 279–281) „Diese besondere Sehweise noch mit einem Begriff spezifiziert, den er den ‚transzendentalen Punkt‘ nannte. Hiernach ist das Ich in seiner schöpferischen Aktion durch ein zentrifugal oder schaffend aus sich heraustretendes und dann zentripetal in das Ich zurückkehrendes und dies damit bestimmendes Streben bestimmt.“ Schlegel entwickelte von diesem philosophischen Reflexionsmodell ausgehend die Methode der transzendentalen Ironie, „der Wechselwirkung im Denken und Gegendenken, des Wechsels zwischen Chaos und System oder des Alternierens von Selbstschöpfung und Selbstverwirklichung“ (ebd., S.111). -- Behler, Frühromantik, S.246f.; ders., Ironie und literarische Moderne. 22: 24,10–21 Ein Projekt !…" des historischen Geistes] Vorstufen finden sich in PhL [II] 683 und 750. – Novalis gab dem Fragment den Titel: „Was ein Projekt ist?“ In seiner Kritik der Athenaeumsfragmente merkte er dazu an: „Mystisch willkührlich und eigenthümlich und also unverständlich.“ 23: 24,22–36 Es wird manches gedruckt !…" wie man auch will] Obwohl Schlegel im Unterschied zum vorausgehenden und zum nachfolgenden Text in A23 den Begriff Fragment nicht gebraucht, leistet seine Gegenüberstellung von ‚ganzem Werk‘ und ‚einzelnen Gedanken‘ ebenfalls einen Beitrag zur Poetik des Fragments, dessen hohe Anforderungen an den Verfasser hier besonders hervorgehoben werden. Hardenberg schrieb als Titel dazu: „Vom Drucken lassen – mit einem Trost am Ende.“ -- Schlagdenhauffen, Schlegel, S.107. 24: 24,37f. Viele Werke der Alten sind Fragmente geworden !…" bei der Entstehung] Siehe Anm. 24,14f. zu A22 (‚Fragment‘) und 16,29f. zu L84 (‚die Alten – die Modernen‘). – Novalis gab dem Fragment den Titel „Gewordne und geborne Fragmente.“ -- Bubner, S.291–296; Chaouli, Laboratory, S.57–59; Ostermann, Fragment, S.123; Matthias Schöning, Eichendorffs Synthese. Zur Poetik von Fragment und Ruine in der Literatur der Romantik. In: Einheit der Romantik? Zur Transformation frühromantischer Konzepte im 19. Jahrhundert, hg. von Bernd Auerochs und Dirk von Petersdorff, Paderborn u.a. 2009, S.109–124, hier S.115–118. 25: 24,39–43 Nicht selten ist das Auslegen !…" veranstaltet hat?] Novalis’ Titel dazu lautet: „Die Unschuld des Exegeten.“ 26: 25,1–3 Die Deutschheit !…" der Historie] Siehe Anm. 12,16f. zu L38 (‚Deutschheit‘), 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘),

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und vgl. zum Themenkreis Geschichte/Historie L115, A28, 45, 80, 90, 109, 138, 163, 196, 217, 222, 226–228, 278, 325, 404, 426, 432, Id24, 70, 94, 123, 139; Novalis, BL93f., 101, T14, 57, ET426, AB300, 598, 623, 666, 686, 886, 971, 1068; Schleiermacher, G I 78, 85. – Das Fragment ist aus PhL [II] 1020 hervorgegangen. Novalis überschrieb es: „Warum die Deutschheit so viel anziehende Kraft für die Characteriseurs hat.“ -- Behler, KFSA8, S.LXXI–LXXXVII; Polheim, Arabeske, S.85–95. 27: 25,4f. wie Leibnizens mögliche Welten, nur gleichberechtigte Prätendenten der Existenz] Vgl. zu Leibniz auch A82, 220, 270, 276, 279, 333, 346, 358, 361, PhL [II] 206, 237, 245f., 248–250, 252–255, 257, 260f., 267, 273, 281–285, 304, 306, 313–316, 318–322; aus dem von Schlegel gemeinsam mit Schleiermacher geplanten Projekt eines ‚Anti-Leibniz‘ gingen Schleiermachers Aufzeichnungen G I 93 und Leibniz (FDES,KG I/2, S.77–103) hervor. Schlegel bezieht sich hier auf §201 der Theodizee (1710). 27: 25,4f. Die meisten Menschen !…" wenig Existenten] Als Titel schlägt Novalis vor: „Es giebt wenig Existenten.“ Und in einer kritischen Notiz bemängelt er: „Kein Fragment – durchaus unverständlich.“ 28: 25,6–9 Folgendes scheinen !…" Historie] Siehe Anm. 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘), 91,24 zu Id101 (‚Politik‘) und 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). Vorstufen liegen in PhL [II] 156 und 737 vor. Hardenbergs Titel dazu lautet: „Die wichtigsten Desiderata.“ 29: 25,10 Witzige Einfälle sind die Sprüchwörter der gebildeten Menschen] Schlegel scheint hier einen Satz von Montesquieu (Mes Pensées, Nr.898) abzuwandeln: „Les Maximes de M. La Rochefoucauld sont les proverbes des gens d’esprit.“ (Oeuvres complètes, hg. von Roger Caillois, Paris 1949, Bd.1.1, S.1246.) Siehe auch Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘). Novalis formulierte die Überschrift: „Was witzige Einfälle sind.“ -- Neumann, Ideenparadiese, S.458. 30: 25,11 Ein blühendes Mädchen !…" guten Willen] Vgl. A106 über den guten Willen. „Dieser Satz kann Gedankengänge veranlassen, deren Gegenstandsbereich sich vom Kavaliermäßigen bis hinauf zu den hintergründigen Beziehungen zwischen vegetabilischer Natur und Moral erstreckt; das Wort Symbol, das die Aussage inhaltlich qualifiziert, weist auf die Spannung zwischen Erscheinung und Wesen; die wahrscheinlich vorauszusetzende banale Ausgangsvorstellung vom unschuldigen gutwilligen Mädchen erhält auf diese Weise Tiefendimension, die Adjektive rein und gut, die zum Substantiv Willen treten, bringen überdies einen leisen pathetischen Zug in den Satz hinein.“ (Mennemeier, Brennpunkte, S.31.) – Novalis betitelt das Fragment: „Das reizendste Symbol des guten Willens.“ 31: 25,12–15 Prüderie ist Prätension auf Unschuld !…" adeln kann] Siehe Anm. 18,30 zu L106 über die Frauen, über die Bildung Anm. 10,17f. zu L20; vgl. PhL [III] 100. Novalis schrieb dazu den Titel: „Prüderie und ihr Anlaß.“ 32: 25,16 Man soll Witz haben, aber nicht haben wollen] Ein ähnliches ‚Postulat der Absichtslosigkeit‘ stellt A237 für den Humor, Id84 für die Sittlichkeit auf. Ähnlich fordert Chamfort in einem seiner Aphorismen: „Ein ehrlicher Mann muß die öffentliche Achtung besitzen, ohne darauf gedacht zu haben, und

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so zu sagen, wider seinen Willen. Wer sie gesucht hat, gibt mir sein Maas an“ (Übersetzt von N.P.Stampeel, S.16). 32: 25,16f. Alexandrinischer Styl] In seiner frühen Schrift Von den Schulen der griechischen Poesie (1794) charakterisiert Schlegel die Alexandrinische Schule als Phase des Niedergangs der griechischen Dichtung. Sie ist gekennzeichnet durch „Schwerfälligkeit und überladne Gelehrsamkeit“ (KFSA1, S.15). „Der Geschmack der Gelehrten und die Eitelkeit der Virtuosen beherrschte die Kunst. Kunst war der Zweck der Kunst; an die Stelle der Schönheit trat die Künstlichkeit, man suchte seine Geschicklichkeit in der Überwindung großer Schwierigkeiten zu zeigen: daher die Wahl solcher toten Stoffe, wie Nikanders. Eben daher absichtliche Dunkelheit, gesuchte Gelehrsamkeit, und künstliche Spielereien. Außer dem Schwierigen, war alsdann Prinzip der Kunst das Pikante, dasjenige was dem stumpfen Sinne noch Aufmerksamkeit abnötigen kann. Dergleichen ist das Seltne, Alte und Überladene in den ernsthaften Werken, Schlüpfrigkeit der lyrischen Gedichte, oder auch sogar das Rohe“ (ebd., S.16). 32: 25,16f. Man soll !…" in Witz] Novalis überschreibt das Fragment: „Witzeley.“ 34: 25,20 Fast alle Ehen sind nur Konkubinate] Vgl. über die Ehe auch A268, 359 sowie Schlegels Roman Lucinde; Novalis, GL27, 36, T28, ET439, AB83, 1106; Schleiermacher, GIII60 u. ö. -- Rehme-Iffert, Emanzipation. 34: 25,29 à quatre] Zu viert. 34: 25,20–32 Fast alle !…" werden könnte] Siehe Anm. 13,28f. zu L48 (‚paradox‘) und 26,22f. zu A46 (‚System‘), 10,9 zu L16 (‚Willkür‘) und 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). – Vgl. auch Chamforts Aphorismus: „M. de L.... disait qu’on avait dû appliquer au mariage la police relative aux maisons, qu’on loue pour un bail pour trois, six et neuf ans, avec pouvoir d’acheter la maison si elle vous convient.“ (Oeuvres 2, S.121) – Novalis gab dem Fragment den Titel: „Es gibt noch keine Ehe, nebst Aussichten auf bessre Zeiten.“ 35: 25,33–37 Der Zyniker dürfte eigentlich gar keine Sachen haben !…" als ob man sie hätte] Der erste Teil des Fragments stammt von Friedrich Schlegel, der zweite von Schleiermacher. Eine ähnliche Formulierung verwendet Schlegel in L88, Novalis in T50. Möglicherweise liegt eine Anspielung auf 1.Kor.7, 29–31 vor. Von seiner und Schleiermachers gemeinsamer Arbeit an diesem Fragment schreibt Friedrich Schlegel seinem Bruder Mitte März 1798: „Die beyden Fr.[agmente] von Schley.[ermacher] sind das von der Geduld, und das cynische vom Haben und Nichthaben !A38 und 35", wo nur der Anfang von mir ist, dessen Verdienst nur darin besteht, daß er das weitere veranlaßt hat.“ (KFSA24, S.105f.; dazu Immerwahr, ebd. S.378.) – Zu Schlegels Begriff des Cynikers siehe Anm. 14,28 zu L59. – Als Titel schlug Novalis vor: „Der Cyniker, und der Hypercyniker, als Besitzer.“ Er scheint dabei eine Wendung aus seinem Brief an Fr. Schlegel vom 26.12.1797 aufzunehmen, die den Freund einen „Hypermystischen, hypermodernen HyperCyniker“ (KFSA24, S.69) nennt. -- Mollenhauer, S.18f. 36: 25,38–42 Niemand beurteilt eine Dekorationsmalerei !…" werden können?] Vgl. FPL [V] 336 und das Gespräch über die Poesie (1800; KFSA2,

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S.328). Siehe auch Anm. 13,19f. zu L45 (‚Drama‘) und 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘). – Novalis verfaßte dazu den Titel: „Man fodert zu viel von der rhetorischen oder Bühnenpoësie.“ 37: 26,1f. Manche witzige Einfälle !…" Trennung] Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘). Novalis überschrieb das Fragment: „Gedanken, die sich wiedersehn.“ 38: 26,3f. Die Geduld, sagte S., verhält sich zu Chamforts état d’epigramme wie die Religion zur Philosophie] Von Schleiermacher, hervorgegangen aus dessen Notiz G I 21. Der Proportionalvergleich nimmt Schlegels ChamfortZitat aus L59 auf. Chamfort gibt in seinen Anekdoten öfter Aussprüche wieder, deren Urheber anonym bleiben, wie z.B.: „M...... disait“ (Oeuvres 2, S.5) oder „Mes idées, mes principes, disait M.... !…"“ (ebd., S.14). In A269 bedient sich A.W.Schlegel eines ähnlichen Verfahrens. – Novalis gab dem Fragment folgenden Titel: „Geduld und État d’Epigramme. eine Proportionalgleichung.“ 39: 26,5–7 Die meisten Gedanken !…" ein großes Interesse] Das Fragment besitzt eine Vorstufe in PhL [II] 936. Zu Schlegels Gebrauch chemischer Termini („synthesieren“) siehe Anm. 11,12–15 zu L32. Hardenbergs Titel dazu lautet: „Gedankenprofile.“ -- Kubiak, S.429. 40: 26,8f. Noten zu einem Gedicht !…" über einen Braten] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis faßte dieses Fragment unter dem Titel: „Noten zu einem Gedicht. Ein Gleichniß.“ 41: 26,10–14 Die welche Profession davon gemacht haben, den Kant zu erklären !…" verworrener ausdrückten als er] Zu Kant siehe Anm. 10,12 zu L16. Als Titel schlug Novalis vor: „Disjunctiver Satz über Kantische Interpretatoren.“ 42: 26,15 Gute Dramen müssen drastisch sein] Die Paronomasie Dramen – drastisch beleuchtet Schlegels antiklassische Auffassung vom Drama. Siehe Anm. 13,19f. zu L45 (‚Drama‘). Hardenberg überschrieb das Fragment: „Gute Dramen – in welcher Rubrik der Materia Medica müssen sie stehn?“ 43: 26,16 Die Philosophie geht noch zu sehr grade aus, ist noch nicht zyklisch genug] Das Fragment ist hervorgegangen aus PhL [II] 133 (dort auf Fichte bezogen). Vgl. zur Reflexionsfigur des zyklischen Fortschreitens, Denkens, methodischen Vorgehens usw. A161, FPL [IV] 61–63, 66, PhL [II] 140, 177, 204, [V] 359 u. ö. Nach B.Frischmann beinhaltet Schlegels Konzept einer ‚zyklischen Philosophie‘ „ein offenes, flexibles Denken, das immer wieder neu ansetzt, um sich seine Gegenstände zu deuten“ (Transzendental, S.129). Novalis schlug für dieses Fragment folgenden Titel vor: „Die Philosophie soll nicht gerade gehn.“ -- Frischmann, Transzendental, S.156–158; Wiethölter. 44: 26,17f. Jede philosophische Rezension sollte zugleich Philosophie der Rezensionen sein] Vgl. zum Postulat der Selbstreflexion der Poesie L117 und siehe dazu Anm. 20,4 sowie 81,40–42 zu A439 (‚Rezension‘). Eine Vorstufe findet sich in PhL [II] 680. Novalis betitelte das Fragment: „Was soll eine phil[osophische] Rezens[ion] noch seyn?“ und merkt dazu kritisch an: „Unverständlich.“ -- Naschert, Wechselerweis, S.16f. 45: 26,19–21 Neu, oder nicht neu !…" gefragt wird] Vgl. A7. – Als Titel notierte Novalis: „Neu oder nicht neu? Höchste und unterste Frage.“

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46: 26,22f. Ein Regiment Soldaten en parade !…" ein System] „ … bei der Parade …“. – Seinen Begriff des Systems erläutert Friedrich Schlegel im Brief an August Wilhelm, 28.8.1793: „Was wir in Werken, Handlungen, und Kunstwerken Seele heißen !…" im Menschen Geist und sittliche Würde, in der Schöpfung Gott, – lebendigster Zusammenhang – das ist in Begriffen System. Es giebt nur Ein !!wirkliches"" System – die große Verborgene, die ewige Natur, oder die Wahrheit“ (KFSA23, S.129f.). Er grenzt sich damit deutlich gegen den Systembegriff ab, wie er in der zeitgenössischen Philosophie diskutiert wird. Vgl. ferner A17, 53, 66, 77, 91, 113, 116, 119, 121, 149, 242, 247, 253, 290, 384, 432, Id55, PhL [II] 15, 41, 45, 141, 150, 196, 214, 246, 273, 326, 432, 465, 598, 609, 614, 650, 671, 674, 676, 693, 709; Novalis, BL113, GL18, 60, Lg14, T24, 38, AB333, 460, 463, 682, 929; Schleiermacher, G I 93f., III49, 60 u. ö. Siehe auch Anm. 29,9f. zu A 77 über das Verhältnis zwischen System und Fragment, 88,13–15 zu Id55 über Chaos und System. – Novalis gab dem Fragment den Titel: „Was ist vielen ein System?“ -- Frischmann, Transzendental, S.147f.; Heiner, S.22–32; Pikulik, Frühromantik, S.95f.; Röttgers, Kritik, S.124–126; Schanze, Aufklärung, S.2f. und 43–46; Stadler; Waibel, Filosofiren, S.64–67 und 77–90. 47: 26,24 Kritisch heißt die Philosophie der Kantianer] Vgl. A56, 259, 387, 399, FPL [III] 14, PhL [I] 31, [II] 46, 228 und [IV] 222 sowie Schleiermacher, GV78f. zum changierenden Begriff der ‚kritischen Philosophie‘, mit dem Schlegel nicht nur die Philosophie Kants, sondern auch das romantische (Sym-)Philosophieren bezeichnet. Siehe auch Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 10,11 zu L16 über die Kantianer. -- Röttgers, Kritik, S.132f. 47: 26,24 per antiphrasin] Antiphrasis nennt die Schulrhetorik den Gebrauch der Ironie als Wortfigur zur Unterscheidung von der Gedankenfigur (Lausberg, §585); ‚per antiphrasin‘ bedeutet also „ironisch“. 47: 26,25 epitheton ornans] Schmückendes Beiwort. 47: 26,24f. Kritisch heißt !…" epitheton ornans] Vorstufen finden sich in FPL [III] 15, [IV] 9 und PhL [II] 235. Hardenbergs Titel lautet: „Warum die Phil[osophie] d[er] Kantianer kritisch heißt?“ 48: 26,26–28 Mit den größten Philosophen geht mirs, wie Plato mit den Spartanern !…" wären] Vgl. PhL [II] 114 und 398. Über Plato siehe Anm. 15,14f. zu L69. 49: 26,29f. Die Frauen werden in der Philosophie !…" nicht weiblich] Siehe Anm. 18,30 zu L106 über die Frauen. – Als Titel sah Novalis vor: „Die Frauen und die Poësie.“ 50: 26,31 Wahre Liebe] Vgl. zum Thema Liebe auch L16, 59, A87, 116, 268, 340, 359, 363, Id19, 83, 86, 91, 104, 106f., 111, FPL [VI] 48, [VII] 223, PhL [IV] 278, Rede über die Mythologie (1800; KFSA2, S.311–322) und Novalis, FSt396, 462, 525, BL23, 35, 77, VB122, die Sammlung Glauben und Liebe, und dort insbesondere Der sterbende Genius, Vers 20, GL4, 17, 36f., 55, Lg7, 12, Vorarbeiten 130, FD200, T14, 67, 73, 85, 105, ET428, 433, 442, AB79f., 717, 835 u. ö. -- Härter, S.249–257; Edith und Willy Michel, Der „zusammenstimmende Pluralis“ und die „unbegreiflichen gleichzeitigen Empfindungen“. Zur Symphilosophie der Liebe bei Friedrich Schlegel und Novalis. In: Friedrich Schlegel und

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die Kunsttheorie seiner Zeit, S.342–369; Rehme-Iffert, Emanzipation; dies., Skepsis und Enthusiasmus, S.100–108 und 110–118. 50: 26,31f. ganz willkürlich und ganz zufällig] Siehe Anm. 10,9 zu L16 (‚Willkür‘). Zur widersprüchlichen Beschaffenheit der Liebe siehe auch Anm. 10,4f. zu L14. 50: 26,32 zugleich notwendig und frei] Vgl. zu diesem Begriffspaar A227. 50: 26,33 Bestimmung und Tugend] Siehe Anm. 85,24 zu Id23 (‚Tugend‘). 50: 26,31–34 Wahre Liebe !…" scheinen] Einen ähnlichen Gedanken formuliert Schlegel in FPL [VIII] 36. Novalis gab dem Fragment den Titel: „Wahre Liebe.“ 51: 26,35 Naiv ist, was bis zur Ironie] Vgl. zu dieser Definition des Naiven A305; eine weitere Definition bietet PhL [III] 68. Mit dem Begriff des Naiven beschäftigen sich ferner A155, 321, 396, FPL [V] 229, 258, 426, 430, 793, 906, 985, 1075, 1158, 1170, 1233, 1241, PhL [II] 851; Schleiermacher, G I 53. Siehe auch Anm. 12,33 zu L42 (‚Ironie‘) und vgl. A121 („bis zur Ironie“). 51: 26,35f. bis zum steten Wechsel von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung] Siehe Anm. 10,39f. zu L28. 51: 26,36 natürlich, individuell oder klassisch] Siehe Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘), 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). 51: 26,37 bloß Instinkt !…" bloße Absicht] Siehe Anm. 10,24f. zu L23. 51: 26,39 Das Wesen der Absicht in diesem Sinne ist die Freiheit] Siehe Anm. 85,35f. zu Id29 (‚frei‘). 51: 27,1f. das Homerische Naive] In seiner Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung (1795) führt Schiller Homer als Prototyp des naiven Dichters an (NA20, S.478). Über Homer siehe Anm. 36,35f. zu A145. 51: 27,4f. seine Poesie und die eigentliche Verfasserin derselben, die Natur] Auf den Künstler im allgemeinen bezogen formuliert L1 einen ähnlichen Gedanken. 51: 26,35–27,5 Naiv ist !…" Absicht] Vorstufen zu diesem Fragment finden sich in FPL [V] 426, 985 und in PhL [II] 1035; vgl. auch die Definition des Klassischen in FPL [V] 1070. – Novalis betitelte den Text: „Naivität“ und kommentiert in seiner Kritik der Athenaeumsfragmente: „der erste Periode unverständlich.“ -- Strohschneider-Kohrs, S.42f. 52: 27,6f. Es gibt eine eigne Gattung Menschen !…" Philosophie ist] Eine Vorstufe findet sich in PhL [II] 689. Novalis gab dem Fragment den Titel: „Begeisterung der Langenweile.“ Kritisch merkt er dazu an: „Nicht persönlich genug – daher U[n]V[erständlich].“ -- Mennemeier, Brennpunkte, S.31f. 53: 27,8f. Es ist gleich tödlich für den Geist, ein System zu haben !…" beides zu verbinden] Hervorgegangen aus PhL [II] 614. Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘). Vgl. zu diesem Paradox auch Novalis, FSt648: „Das eigentliche Philosophische System muß Freyheit und Unendlichkeit, oder, um es auffallend auszudrücken, Systemlosigkeit in ein System gebracht, seyn“ und FNS, NO3, S.98: „Synth[ese] der getrennten Systeme – oder auch d[es] Systems und des Nichtsystems“. Als Titel für dieses Fragment notierte Novalis: „Geistiges Gift und Gegengift.“ -- Chaouli, Laboratory, S.66f.; Rehme-Iffert, Skepsis und Enthu-

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siasmus, S.64–69; Schanze, Aufklärung, S.45f.; Schlagdenhauffen, Schlegel, S.138f. 54: 27,10f. Man kann nur Philosoph werden, nicht es sein !…" zu werden] Der Gedanke unendlicher Progression kehrt im theoretischen wie im dichterischen Werk der Romantiker geradezu als Konstante wieder. Niemals den Zustand der Vollendung zu erreichen, sondern eine prinzipiell unabschließbare Entwicklung zu durchlaufen, kennzeichnet nach A116 auch die „romantische Dichtart“: „das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann.“ Vgl. auch Novalis, BL47 und siehe Anm. 146,40–42 dazu; zur Formel ‚werden, nicht sein‘ vgl. A116, PhL [III] 309, 316, 319; Novalis, AB936 u. ö. – Hardenbergs Titel dazu lautet: „Was man nur werden, aber nicht seyn kann.“ 55: 27,12 Es gibt Klassifikationen] Vgl. ergänzend hierzu A113, 345, FPL [IV] 111, 169, [V] 190, 224; Novalis, AB191, 194, 405, 441, 550, 552, 661; Schleiermacher, G I 81. 55: 27,14 Zentralmonaden eines solchen historischen Individuums] Vgl. dasselbe Kompositum bei Novalis, T31. Den Begriff der Monade (von griechisch monas, „Einheit“) definiert Leibniz im ersten Artikel der Monadologie (1720) als „une substance simple, qui entre dans les composés; simple, c’est à dire, sans parties“ (Gerhardt 6, S.607). Vgl. Theodizee (1710), §10 (ebd., S.56). Siehe auch Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). -- Mennemeier, Fragment und Ironie, S.370. 55: 27,15f. eine Homerische Antiquität] Über Homer siehe Anm. 36,35f. zu A145. 55: 27,12–19 Es gibt Klassifikationen !…" Diese und Jene Welt] Vgl. hierzu Schleiermacher, G I 181. Novalis verfaßte zu diesem Fragment den Titel: „Characteristische Klassificationen.“ 56: 27,20f. Da die Philosophie jetzt alles, was ihr vorkömmt kritisiert !…" gerechte Repressalie] Vorstufen finden sich in PhL [II] 228 und 679. Vgl. auch A47 zur kritischen Philosophie; siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und zu Schlegels Werkplan einer ‚Kritik der Philosophie‘ Anm. 120,22–25 zu PhL [II] 228. – Als Titel schlug Novalis vor: „Kritik der Philos[ophie] als Repressalie.“ 57: 27,24 „Es ist alles Glück nur Glück;“] Das Zitat stammt aus Shakespeares Was ihr wollt: „’s ist nur ein Glück, alles ist Glück“ (II5). Malvolio, der Haushofmeister der Gräfin Olivia, glaubt, nachdem ihm ein Kammermädchen einen geschickt fingierten Brief in die Hände gespielt hat, Gunst und Reichtum seiner Herrin würden ihm zufallen. Er kommentiert die vermeintliche glänzende Wendung seines Schicksals mit den oben zitierten Worten. Siehe auch Anm. 24,5f. zu A21 über diese Komödie. 57: 27,22–25 Mit dem Schriftstellerruhm !…" politischen] Von August Wilhelm Schlegel? – Von Novalis stammt folgender Titel: „Auch in der Schriftstellerey ist alles Glück nur Glück.“ 58: 27,26 neue Tollheiten] Siehe Anm. 15,8 zu L67. 58: 27,29 transzendent] Eine Definition dieses Begriffs gibt A388. 58: 27,30 Witz] Siehe Anm. 9,23 zu L9.

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58: 27,26–32 An das Herkommen glaubend !…" passen?] Von August Wilhelm Schlegel. – Als Titel schlug Novalis vor: „Portrait, ohne Namen.“ 59: 27,33 Die schlechten Schriftsteller] Vgl. A66; siehe auch Anm. 10,26 zu L24 über die ‚kleinen‘ und mittelmäßigen Autoren. 59: 27,36f. wie Dionysius mit den Tadlern seiner Verse] Dionysios I., der Ältere (430–367 v.Chr.), Tyrann von Syrakus, als kriegerischer, grausamer und mißtrauischer Herrscher berüchtigt, war literarisch gebildet und verfaßte mehrere Tragödien. 59: 27,37 Kotzebue] Vgl. auch A405, das sich ebenfalls gegen den dramatischen Erfolgsautor August von Kotzebue (1761–1819) richtet. 59: 27,39 Führt mich wieder in die Latomien] Latomien hießen die Steinbrüche auf Sizilien; sie waren im Altertum ein berüchtigtes Staatsgefängnis, dessen Insassen als Zwangsarbeiter zum Brechen und Transportieren von Steinen herangezogen wurden. – Den in diesem Fragment wiedergegebenen Ausspruch schreibt Diodor, Bibliotheca historica, 15,6,3 dem Dichter Philoxenos von Kythera (435/4–380/79 v.Chr.) zu. Der Tyrann Dionysios soll ihn wegen seiner freimütigen Kritik an den Versen des Herrschers in die Steinbrüche verbannt, auf die Bitten seiner Freunde jedoch am nächsten Tag wieder freigelassen haben. Als Dionysios erneut aus seinen Werken vortrug und Philoxenos nach seiner Meinung hierüber befragte, soll dieser mit dem zitierten Satz geantwortet haben. -- Wb Antike, S.716 (‚Steinbruch‘). 59: 27,33–39 Die schlechten Schriftsteller !…" Latomien] Von August Wilhelm Schlegel. – Von Novalis stammt der Titel: „Wechselklage der Tyranney.“ 60: 27,42 die Schönheiten mancher Gedichte] Siehe Anm. 32,4 zu A108 (‚schön‘) und 10,16 zu L19 (‚Gedichte‘). 60: 27,40–28,2 Die Untertanen !…" keine Kunstwerke] Von August Wilhelm Schlegel. – Dieser Text gehört zu einer Reihe von politischen Fragmenten, in denen die Frühromantiker ihre Gedanken über Monarchie und Republik äußern und in weiterem Sinne die Auswirkungen der Französischen Revolution reflektieren: L103, A12, 210–216, 251, 369f., 377, 422; Novalis, VB122 und die Sammlung Glauben und Liebe. Siehe auch Anm. 85,35f. zu Id29 (‚frei‘), 15,1f. zu L66 (‚revolutionär‘) und 14,40 zu L65 (‚republikanisch‘). Es ist charakteristisch für Schlegel, daß er Staatlichkeit und Ästhetik nicht als zwei vollkommen unabhängig voneinander existierende Sphären betrachtet, sondern dieselben Gesetzmäßigkeiten in beiden Bereichen erkennt, wie die Parallelisierung von ‚Untertanen‘ und ‚Gedichten‘ nahelegt. – Novalis schrieb dazu den Titel: „Freyheit und Schönheit im Singulari und Plurali.“ 61: 28,3 Die wenigen Schriften !…" gegen die Kantische Philosophie] Siehe Anm. 10,12 zu L16 über Kant. 61: 28,5 Diese Epidemie, welche in England entstanden ist] Zu England und den Engländern siehe Anm. 13,30f. zu L49. 61: 28,3–6 Die wenigen Schriften !…" anstecken zu wollen] Hervorgegangen aus PhL [I] 95 und 117. Hardenbergs Überschrift dazu lautet: „Antikantische Epidemie, eine englische Kranckheit.“

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62: 28,7f. Das Druckenlassen verhält sich zum Denken, wie eine Wochenstube zum ersten Kuß] Novalis gab dem Fragment den Titel: „Druckenlassen und Wochenstube. eine proportionale Gleichung.“ -- Strack, Fermenta cognitionis, S.349f. 63: 28,9 Jeder ungebildete Mensch ist die Karikatur von sich selbst] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 zur Bildung und 22,12f. zu A5 (‚Karikatur‘). Dazu der Titel von Novalis: „Unbildung und Selbstkarricatur.“ 64: 28,10 Moderantismus ist Geist der kastrierten Illiberalität] Als Moderantisten bezeichnet A276 Leibniz. Siehe Anm. 10,34f. zu L26 (‚liberal‘). Novalis überschrieb das Fragment: „Moderantismus?“ 65: 28,11f. Viele Lobredner beweisen die Größe ihres Abgottes antithetisch !…" Kleinheit] Gemeint ist das rhetorische Verfahren der Beweisführung anhand des locus a contrario (Lausberg, §394). – Am 17.2.1798 schreibt Friedrich Schlegel an August Wilhelm über A65: „Wenigstens paßt das Fragm.[ent] von der Antithese, was mir immer so unterhaltend scheint, als manches andere, vollkommen eben so gut auf Reinhold !!als auf Sch.[iller]"" und beynah eben so gut auf Garve und Humbold“ (KFSA24, S.89). R.Immerwahr vermutet, daß Schlegel in diesem Text „Goethe als Antithese von Schiller, Kant oder Fichte als Antithese von Reinhold, W.von Humbold als Antithese von Garve“ annimmt (KFSA24, S.372). – Novalis’ Titel lautet: „Naïve, antithetische Apologien.“ 66: 28,13f. Wenn der Autor dem Kritiker gar nichts mehr zu antworten weiß !…" nicht besser machen] Vgl. A59, Forberg, F43 und Steffens, StG29; siehe auch Anm. 15,9 zu L68 (‚Autor‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). – Vielleicht spielt Schlegel hier auf eine Stelle in Diderots Jacques le Fataliste et son Maître an. Gegen Ende des Romans zitiert der vorgeschobene Erzähler einen vorgeblichen Plagiator, der auf mögliche Einwände des Publikums kurzerhand antwortet: „Leser, wenn du nicht zufrieden bist mit dem, was ich dir von Jacques’ Liebesgeschichte enthülle, so mach es besser, ich will’s zufrieden sein.“ (Denis Diderot, Jacques der Fatalist und sein Herr, Roman, Übersetzung und Nachwort von Ernst Sonder, Stuttgart 1982, S.328f.) Vgl. auch den kurzen Text aus Lessings Nachlaß Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt, in dem es vom Rezensenten heißt: „Mache es besser! ist zwar die Ausforderung, welche der getadelte Schriftsteller an ihn ergehen läßt, aber nicht in der Absicht, daß sie angenommen werden soll“ (Göpfert 5, S.333). 66: 28,15 Skeptiker] Vgl. auch A97, 400, FPL [V] 275, 320, 638 u. ö. 66: 28,15 System] Siehe Anm. 26,22f. zu A46. 66: 28,13–16 Wenn der Autor !…" erfinden könne] Vgl. aber Novalis, Vorarbeiten (Poësie) 35. Dieser schrieb dazu den Titel: „Machen und beurtheilen.“ 67: 28,17–20 Es wäre illiberal, nicht vorauszusetzen, ein jeder Philosoph sei liberal !…" Kunstwerk sein] Siehe Anm. 10,34f. zu L26 (‚liberal‘). – Mit der Gegenüberstellung von Philosoph und Dichter ergänzt A67 die zahlreichen Fragmente, die das Verhältnis von Poesie und Philosophie erörtern (siehe hierzu Anm. 19,41f. zu L115). – Hardenbergs Überschrift dazu lautet: „Verschiedne Voraussetzungen beym Philosophen und Dichter – nebst einer Ausnahme.“

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68: 28,21–24 Nur der Kunstliebhaber liebt wirklich die Kunst !…" Sinn für Kunstgeschichte hat] Vgl. A71. Siehe auch Anm. 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘). – Novalis gab dem Fragment den Titel: „Symptom ächter Kunstliebe.“ 69: 28,25f. Die Pantomimen der Alten haben wir nicht mehr !…" pantomimisch] Über die ‚Alten‘ siehe Anm. 9,25f. zu L11. – Novalis überschrieb den Text: „Was nicht mehr einzeln, aber im Ganzen noch vorhanden ist“, und notierte dazu „Nescio“. („Ich weiß nicht.“) 70: 28,27f. Wo ein öffentlicher Ankläger auftreten soll, muß schon ein öffentlicher Richter vorhanden sein] Wie in L10 zeigt Friedrich Schlegel, daß einer alltäglichen Redensart (hier: ‚Wo kein Kläger ist, da ist kein Richter‘, Wander 2, Sp.1364) eine tiefere Bedeutung abzugewinnen ist, wenn man ihren Sinn ins Gegenteil verkehrt. – Hardenberg schlug dafür den Titel vor: „Ohne Richter, kein Kläger.“ 71: 28,29–31 Man redet immer von der Störung !…" nicht stören!] Vgl. A68. – Novalis gab dem Fragment den Titel: „Anatomie und rechte Liebhaberey. Ein dito zu 65 !recte: zu Nr.68, da Novalis sich verzählt hat".“ 72: 28,32f. Übersichten des Ganzen !…" summiert] Vgl. PhL [II] 154 zu „Schellings Übersichten“ und PhL [II] 170. Siehe Anm. 18,15 zu L103 (‚Ganzheit‘). – Novalis schrieb dazu den Titel: „Moderne Art zu übersehn.“ 73: 28,34f. Sollte es mit der Bevölkerung nicht sein wie mit der Wahrheit !…" Resultate?] Novalis’ Titel dazu lautet: „Bevölkerung und Wahrheit. Eine Ähnlichkeit.“ 74: 29,1 einige Logiker] Siehe Anm. 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘). 74: 28,36–29,2 Nach dem verderbten Sprachgebrauche !…" Möglichkeit] Hervorgegangen aus PhL [II] 264. Novalis überschrieb das Fragment: „Vom Wahrscheinlichen“, und merkte kritisch dazu an: „Kein Fragment, trocken. Unverständlich.“ 75: 29,4f. Experimentalphysik des Geistes] Vgl. dieselbe Formulierung bei Novalis, AB648, sowie AB911 und 647, wo es mit Bezug auf J.W.Ritter heißt: „Ein gutes physikalisches Experiment kann zum Muster eines innern Experiments dienen und ist selbst ein gutes inneres subj[ektives] Experiment“. Siehe Anm. 220,4–10 zu AB962 (‚Experimentieren‘) -- Daiber, Experimentalphysik. 75: 29,3–6 Die formale Logik und die empirische Psychologie sind philosophische Grotesken !…" liegen] Vgl. zum Grotesken auch A125, 305, 389, 396, 424, Id59, 145, FPL [V] 1069, 1075, 1082, 1086, 1114, 1158, 1275, PhL [II] 313, 385, 462, 487, 909, u. ö. Siehe auch Anm. 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘) und 46,39 zu A226 (‚Empirie‘). Als Titel schlug Novalis vor: „Philosophische Grotesken – Eine Demasquirung.“ Und er merkte dazu an: „Artig – aber fingirt.“ -Mennemeier, Fortschreitung, S.365–367; Neumann, Ideenparadiese, S.460; Polheim, Studien, S.307f. 76: 29,7 Die intellektuale Anschauung ist der kategorische Imperativ der Theorie] Der Begriff ‚intellektuale Anschauung‘ wurde von Novalis unter dem Einfluß von Schellings Philosophischen Briefen über Dogmatismus und Kritizismus (1795) und in Abgrenzung gegen Kants und Fichtes ‚intellektuelle Anschauung‘ geprägt (siehe Anm. 82,16 zu A443). Schelling beschreibt das Phänomen

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der ‚intellektualen Anschauung‘ folgendermaßen: „Uns allen nämlich wohnt ein geheimes, wunderbares Vermögen bei, uns aus dem Wechsel der Zeit in unser Innerstes, von allem, was von außenher hinzukam, entkleidetes Selbst zurückzuziehen, und da unter der Form der Unwandelbarkeit das Ewige in uns anzuschauen. Diese Anschauung ist die innerste, eigenste Erfahrung, von welcher allein alles abhängt, was wir von einer übersinnlichen Welt wissen und glauben. !…" In diesem Moment der Anschauung schwindet für uns Zeit und Dauer dahin: nicht wir sind in der Zeit, sondern die Zeit – oder vielmehr nicht sie, sondern die reine absolute Ewigkeit ist in uns.“ (Sch6, S.198f. (8. Brief).) – Vgl. zu diesem Begriff Novalis, FSt19, 21–23, 31, 48, 91, Vorarbeiten 173, 247, AB896 und Die Christenheit oder Europa (1799; NO3, S.522). Zum kategorischen Imperativ siehe Anm. 10,12 zu L16. Das Fragment ist aus PhL [II] 462 hervorgegangen. Siehe auch Anm. 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘). – Novalis verfaßte dazu den Titel: „Kategorischer Imperativ der Theorie.“ In seiner Kritik der Athenaeumsfragmente heißt es über diesen Text: „Versteh ich nicht recht und ist zu scholastisch.“ -Brylla, S.53–67; Manfred Frank, ‚Intellektuale Anschauung‘. Drei Stellungnahmen zu einem Deutungsversuch von Selbstbewußtsein: Kant, Fichte, Hölderlin, Novalis. In: Die Aktualität der Frühromantik, S.96–126; Haslinger, S.73–75; Kurzke, Konservatismus, S.249–251; Schanze, Aufklärung, S.38; Strack, Neugier, S.61f.; Uerlings, Hardenberg, S.136–139. 77: 29,8 Ein Dialog ist eine Kette, oder ein Kranz von Fragmenten] Vgl. zum Dialog u.a. L26, PhL [IV] 36; Schleiermacher, G I 159, 161, III52, 55f., 62 und 72. Siehe Anm. 46,9–13 zu A221 über Fragmente in Dialogform, 134,9–20 zu PhL [V] 390 (‚Gespräch‘), 219,12 zu AB953 (‚Kette‘) und 24,14f. zu A22 zum Fragment. 77: 29,9 Memorabilien] Denkwürdigkeiten, Erinnerungen. Vgl. PhL [II] 829. 77: 29,9f. System von Fragmenten] Vgl. zum Verhältnis von System und Fragment FPL [V] 496, 930, 952f., PhL [II] 815, 829, 832, 857, 950, 955, [IV] 20, 805 und Friedrich Schlegel an August Wilhelm, 18.12.1797 (KFSA24, S.67). Siehe auch Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘). -- Chaouli, Critical Mass; Frischmann, Transzendental, S.145–148; Korte, S.305–309. 77: 29,12 im System aller Wissenschaften] Vgl. zur Wissenschaft u.a. A82, 89, 91f., 98, 149, 192, 220, 280, 411, 437, 443, Id11; siehe auch Anm. 10,10 zu L16 und 19,41f. zu L115 über das Begriffspaar Kunst und Wissenschaft. 77: 29,8–12 Ein Dialog !…" wäre] Eine Vorstufe zu diesem Fragment findet sich in PhL [II] 829. „Für den Dialog haben Schlegel und später sein Freund Schleiermacher die paradigmatische Äußerungsform der platonischen Philosophie vor Augen !…" Der Briefwechsel und die Memorabilien charakterisieren hingegen Schlegels Romanfragment Lucinde“. (Rüdiger Bubner, Von Fichte zu Schlegel. In: ders., Innovationen des Idealismus, Göttingen 1995, S.140–151; hier S.146.) – Novalis schlug als Überschrift vor: „Dialog, Brief, und Memorabilien, eine geometrische Reihe.“ 78: 29,13f. Das Nichtverstehen !…" Mangel an Sinn] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 über die Problematik des Verstehens und 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘). Das

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Fragment ist hervorgegangen aus PhL [II] 893. Schleiermacher dürfte an dieses Fragment anknüpfen, wenn er in den Reden Über die Religion (1799) seinem Unbehagen Ausdruck verleiht: „Mit Schmerzen sehe ich täglich, wie die Wuth des Verstehens den Sinn gar nicht aufkommen läßt“ (FDES,KG I/2, S.252). Hardenbergs Titelvorschlag lautet: „Woher meistens das Nichtverstehn?“ -- Schumacher, S.230f. 79: 29,15–18 Die Narrheit ist bloß dadurch von der Tollheit verschieden !…" nicht der Art nach verschieden] Zum Verhältnis von Dummheit und Narrheit siehe Anm. 10,6f. zu L15. Vgl. zum Zusammenhang von Narrheit und Tollheit Shakespeares Was ihr wollt; dort vergleicht der kluge Narr in I 5 den betrunkenen Junker Tobias mit einem Narren und mit einem Tollen. In III4 wird Malvolio wegen seiner ‚Tollheit‘ eingesperrt, während der Narr für seine Leistungen belohnt wird, das Intrigenspiel entwirrt und schließlich als Befreier Malvolios auftritt. (Siehe Anm. 24,5f. zu A21 über Shakespeares Was ihr wollt.) Siehe auch Anm. 15,8 zu L67 (‚Tollheit‘). – Das Fragment ist hervorgegangen aus PhL [II] 669. Novalis verfaßte dazu die Überschrift: „Narrheit und Tollheit. eine für viele glückliche Distinction.“ 80: 29,19 Der Historiker ist ein rückwärts gekehrter Prophet] Das Fragment ist identisch mit PhL [II] 667. Schleiermacher, GV65 knüpft an A80 an. Vgl. A90, Id64; Novalis, AB1061 sowie Novalis’ Äußerungen über den Historiker in BL93 und AB256. Zum Propheten vgl. auch L126, A247, 249, 323, 330, PhL [II] 84, 214, 290, 666; Novalis, ET334, Vorarbeiten 286 u. ö. – Novalis schrieb dazu den Titel: „Der Rückwärtsseher. Eine bekannte Person.“ In der Kritik der Athenaeumsfragmente notierte er: „Nicht der rechte Begr[iff] v[om] Profeten.“ -- Brauers, S.92. 81: 29,20–23 Die meisten Menschen !…" uninteressant] Hervorgegangen aus PhL [II] 718. Siehe Anm. 151,17f. zu BL76 (‚Repräsentant‘) und 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘). – Als Überschrift schlug Novalis vor: „Wovon alle wissen und wofür doch so wenige Sinn haben – nebst einer interessanten Folgerung.“ 82: 29,24–26 Die Demonstrationen der Philosophie !…" mit den politischen] Vgl. über das Demonstrieren A169, PhL [II] 140, 174, 178 und [III] 104; zur Deduktion A443, PhL [II] 129f., 152, 185 und 187. 82: 29,26 in den Wissenschaften] Siehe Anm. 29,12 zu A77. 82: 29,27 Definitionen] Vgl. A113f., PhL [II] 802, 901f., 906, [III] 104; Novalis, Vorarbeiten 297, T9, 26, AB333, 554. 82: 29,28 was Chamfort von den Freunden sagte, die man so in der Welt hat] Über Chamfort siehe Anm. 13,34 zu L50. Schlegel spielt hier vielleicht auf folgendes Aperçu Chamforts an: „Dans le monde, disait M…, vous avez trois sortes d’amis: vos amis qui vous aiment, vos amis qui ne se soucient pas de vous, et vos amis qui vous haïssent“ (Oeuvres 2, S.105). -- Rühle-Gerstel, S.831f. 82: 29,32f. eine Definition die nicht witzig ist, taugt nichts] Dieser Teil des Fragments ist aus PhL [II] 791 übernommen. Ergänzend hierzu fordert FPL [V] 482: „Lexika sollten witzig sein.“ Siehe auch Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘). 82: 29,33 Individuum] Siehe Anm. 13,24 zu L46.

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82: 29,34–30,1 Kunstphilosophie !…" Naturphilosophie] Zum Verhältnis von Natur und Kunst siehe Anm. 9,1 zu L1, ferner Anm. 16,27 zu L82 (‚Naturphilosophie‘). 82: 29,36f. das Lateinschreiben der Philologen] Vgl. über das Lateinschreiben FPL [III] 151 und 159; siehe auch Anm. 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘). 82: 29,37 rhetorischen Effekt] Vgl. A258 und siehe Anm. 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘). 82: 29,37f. Die Hauptsache !…" daß man etwas weiß, und daß man es sagt] Diese Passage unternimmt eine Rechtfertigung der ‚witzig‘-fragmentarischen Schreibweise. 82: 29,40 Der kategorische Styl der Gesetze der zwölf Tafeln, und die thetische Methode] Das sogenannte Zwölftafelgesetz (um 450 v.Chr.) hielt das römische Gewohnheitsrecht schriftlich fest. Die zwölf Bronzetafeln waren auf dem Forum Romanum aufgestellt. – ‚Kategorisch‘ bedeutet in diesem Zusammenhang ‚unbedingt gültig‘; ‚thetisch‘ heißt ‚behauptend‘, ‚setzend‘. – Siehe Anm. 18,25 zu L104 (‚Styl‘). 82: 29,41 Verdünnung] Ein Terminus der zeitgenössischen Chemie; siehe Anm. 11,12–15 zu L32. 82: 29,42 Symphilosophie] Siehe Anm. 19,33 zu L112. 82: 30,2 ist es unstreitig viel schwerer behaupten, als beweisen] Der Schluß des Fragments ist aus einem Brief Friedrich Schlegels an seinen Bruder vom 28.11.1797 hervorgegangen. Dort heißt es: „Doch was Deinen Satz betrifft, den Du auch nur behauptest: behaupten sey leichter als beweisen: so bin ich nicht Deiner Meynung und getraue mich wohl das Umgekehrte beweisen zu können. In der Jurisprudenz mag es seine Richtigkeit haben; aber in der  !Philosophie" ist gewiß das Behaupten das schwerere, wenn beydes gleich gut geschehen soll. Nichts ist gewöhnlicher als recht gute Demonstrazionen, die nichts helfen, weil sie an schlechte Behauptungen verschwendet sind“ (KFSA24, S.44). Vgl. auch Schleiermachers erste Akademierede Ueber den Begriff der Hermeneutik (1829), die diese Formulierung nach rund drei Jahrzehnten aufnimmt. -- Patsch, Philosophie der Philologie, S.438–440. 82: 30,4 Leibniz behauptete, und Wolff bewies. Das ist genug gesagt] Über Leibniz siehe Anm. 25,4f. zu A27. Vgl. über den Mathematiker und Philosophen Christian Frh. von Wolff (1679–1754) FPL [V] 75, PhL [II] 240, 325, 339, 429; Novalis, AB459 u. ö. – Die beiden letzten Sätze des Fragments schließen sich an die Fortsetzung der oben ziterten Briefstelle (siehe vorige Anm.) an: „Kant und Leibnitz behaupten: Reinhold und Wolf beweisen, C’est tout dire“ (KFSA24, S.44). 82: 29,24–30,4 Die Demonstrationen !…" genug gesagt] Vgl. auch PhL [II] 174 und 752. Novalis gab dem Fragment folgenden Titel: „Demonstrationen, Deduktionen und Definitionen – oder die phil[osophischen] Titulaturen – nebst einer Behauptung für das Behaupten.“ In seiner Kritik der Athenaeumsfragmente schreibt er zu A82: „Confus und einzeln unverständlich.“ -- Neumann, Ideenparadiese, S.439–441. 83: 30,5 Der Satz des Widerspruchs] Der Satz des Widerspruchs (–A nicht = A) bezeichnet den logischen Grundsatz, daß zwei einander ausschließende Aus-

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sagen nicht gleichzeitig wahr sein können. Vgl. zu diesem Satz auch PhL [II] 673, 714, [IV] 1066, [V] 892, 906, 1070, 1080 und Novalis, BL26. -- Zeuch, S.70f. 83: 30,5–7 das Prinzip der Analyse, nemlich der absoluten !…" der chemischen Dekomposition eines Individuums] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 11,12–15 zu L32 über den Gebrauch chemischer Termini bei den Romantikern; siehe ferner Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). 83: 30,5–7 Der Satz des Widerspruchs !…" einfachen Elemente] Eine Vorstufe zu diesem Fragment findet sich in PhL [II] 904. Novalis’ Titel dazu lautet: „Eine abermalige Actio negativa gegen das cidevant Princip des Widerspruchs.“ In seiner Kritik der Athenaeumsfragmente notiert er: „zu scholastisch und U[n]V[erständlich].“ 84: 30,8f. Subjektiv betrachtet, fängt die Philosophie doch immer in der Mitte an, wie das epische Gedicht] Vgl. zum Topos des Anfangs in der Mitte (nach Horaz, Ars poetica, Vers 148) PhL [II] 626, Beilage II16; Die Entwicklung der Philosophie in zwölf Büchern (1804/5; KFSA12, S.328). Siehe Anm. 20,31 zu L121 (‚Epos‘) und 110,11f. zu PhL [II] 5 über die frühromantische Grundsatzkritik. Von Novalis stammt der Titel: „Phil[osophie] und Epos. Eine Ähnlichkeit.“ -- Naschert, Wechselerweis, S.67f. und 87. 85: 30,10f. Grundsätze sind fürs Leben !…" Feldherrn] Das Verhältnis von Theorie und Praxis thematisieren auch die Fragmente A9 und Novalis, BL10. A.Rühle-Gerstel, S.835, verweist auf einen Proportionalvergleich Chamforts, der die Lebensgrundsätze allerdings nicht mit dem militärischen, sondern mit dem künstlerischen Bereich in Beziehung setzt: „Les maximes générales sont, dans la conduite de la vie, ce que les routines sont dans les arts.“ („Allgemeine Maximen sind für das Verhalten im menschlichen Leben, was in der Kunst die Routine ist.“ Übersetzt von N.P.Stampeel, S.56.) – Novalis überschrieb A85 ironisch: „Grundsätze und Hofkriegsrathsinstructionen.“ 86: 30,12f. Echtes Wohlwollen geht auf Beförderung fremder Freiheit !…" Genüsse] Von Schleiermacher? – Vgl. A330, 362 (zweite Hälfte) und siehe Anm. 85,35f. zu Id29 (‚frei‘). – Als Titel formuliert Novalis die Frage: „Worauf geht ächtes Wohlwollen?“ -- Mollenhauer, S.22f. 87: 30,14–18 Das Erste in der Liebe ist der Sinn füreinander !…" lieben] Vgl. A50; siehe auch Anm. 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘) und 93,14 zu Id124 (‚das Höchste‘). Dazu der Titel von Novalis: „Das Erste in der Liebe und das Höchste.“ 88: 30,23 Flamme des Enthusiasmus] Vgl. zum Enthusiasmus, der nach G.Naschert durch Schlegels Auseinandersetzung mit Fichtes Wissenschaftslehre zu einem philosophischen, historiographischen, poetologischen und philosophischen Grundbegriff mit integraler Begründungsfunktion avancierte, A137, 246, 404, 419f., 427, 445, Id18, 137, FPL [V] 19, 36, 245, 248, 661, 1056, 1063, 1123, 1157, 1218, 1222, PhL [II] 44, 96, 280, 285, 292, 309, 456, 458, 593, 766, 892, 894, 924, 944, 1001, 1006, 1027; Novalis, AB498, 1077, dessen Randbemerkung zu Id22; Schleiermacher, G I 30 u. ö. -- Brylla, S.128–137; Naschert, Klassisch leben; Rehme-Iffert, Skepsis und Enthusiasmus, S.63f. 88: 30,19–24 Es gibt Menschen !…" Lust und Liebe] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘). – Vorstufen zu diesem Fragment finden sich in PhL [II] 845,

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1004 und 1012. Novalis betitelte es spöttisch: „Über die Neinherrn.“ -- Krause, S.212–215; Naschert, Klassisch leben. 89: 30,25–27 Die Kritik ist das einzige Surrogat !…" Wissenschaft des Schicklichen] Hervorgegangen aus PhL [I] 80. Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘) und vgl. zur Mathematik und zu mathematischen Verfahren A120, 219, 365, 400, 412, 437, 445, Id81, FPL [V] 173 (und siehe Anm. 108,21 dazu), PhL [II] 324, 392, 416, 446, 457, 677, 817, 879, 888, 907–909, [III] 39, 97, 101f., 106, 112, 178, 180, 321, 342f.; Novalis, T26, Vorarbeiten 308, FNS (NO3, S.119–128), AB111, 148, 242, 348, 447, 935, 939 (und siehe dazu Anm. 218,7f.), 944, 981f., 1006, 1015, 1023; Schleiermacher, G I 80 u. ö. -- Schanze, Aufklärung, S.88–90 und 129–132. – Als Titel schlug Novalis vor: „Surrogat der moralischen Mathematick.“ In seiner Kritik der Athenaeumsfragmente bemängelt er die Unklarheit des Fragments: „Non Liquet. !Ist nicht klar."“ 90: 30,28f. Der Gegenstand der Historie !…" notwendig ist] Vgl. A80 und Id64. Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). Das Fragment ist aus PhL [II] 112 hervorgegangen. Novalis gab ihm den Titel: „Der Gegenstand der Historie.“ 91: 30,30–34 Die Logik ist weder die Vorrede !…" eines Systems ausgeht] Vgl. zur Logik auch L42, 56, 123, A28, 74f., 92, 97f., 165, 220, 266, 365, 399f., 404, Id11, PhL [II] 62, 159, 194, 201, 257, 270, 421, 535, 561, 618, 646, 656, 736, 791, 865, 872, 877; Lg16, AB32, 252, 319, 346 u. ö. Siehe auch Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘) und 26,22f. zu A46 (‚System‘). Novalis schrieb dazu den Titel: „Logik – was sie ist und nicht ist.“ Seine kritische Anmerkung zu diesem Fragment lautet lapidar: „Nescio. !Ich weiß nicht."“ 92: 30,35–37 Ehe nicht die Philosophen Grammatiker !…" Wissenschaft werden] Hervorgegangen aus PhL [II] 506; der zweite Teil von A92 knüpft an das vorausgehende Fragment an; vgl. auch A127 und 130 zur grammatischen ‚Tönung‘ von Poesie und Mystik. Vgl. zur Grammatik ferner A404, 435, FPL [III] 24f., 28, 40, 50, 82, 85, 111, 117, 145, 154, 159, 171, 173, 177, 211 u. ö. Und siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘). – Novalis verfaßte dazu die Überschrift: „Wann eher kommt die Grammatik wieder.“ 93: 30,39 in Berührung setzen] Siehe Anm. 153,19 zu BL89 (‚Berührung‘) und 63,39 zu A340 (‚en rapport setzen‘). 93: 30,38f. Die Lehre von Geist und Buchstaben !…" die Philosophie mit der Philologie in Berührung setzen kann] Siehe Anm. 15,16 zu L69 zum Begriffspaar Geist und Buchstabe, 19,41f. zu L115 über den Gedanken der Verbrüderung von Kunst und Wissenschaft und zum Verhältnis von Philologie und Philosophie A391, FPL [III] 8, 11, 19, 21, 120, 127, PhL [II] 163, 172 u. ö.; zur Philologie ferner L75, 100, A82, 147, 231, 255, 391, 403f., Id119, FPL [III] 11, 14, 19, 21, 67, 87, 89, 120, 127, FPL [III] 14, 67, 87, 89, PhL [II] 66, 96, 104, 143, 382, 392, 523, 534, 584, 621, 640, 644, 648, 651, 660, 671, 688, 701, 732, 836, 850, 928f., 933; Novalis, Vorarbeiten (Poëticismen) 57, T15, 23, AB171, 287, 324, 571, 580, 589, 599, 610, 629, 717 u. ö. – Hardenbergs Titel für dieses Fragment lautet: „Welche Lehre sezt Phil[osophie] und Philologie in Rapport.“ -Zovko, S.133f.

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94: 30,40f. Immer hat noch jeder große Philosoph seine Vorgänger !…" nicht verstanden] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 über die Problematik des Verstehens, und vgl. besonders A401. Novalis überschrieb das Fragment: „Originalabsol[ute] Exegese der großen Philosophen.“ 95: 31,1f. Einiges muß die Philosophie einstweilen auf ewig voraussetzen !…" weil sie es muß] Vgl. hierzu PhL Beilage I 95 und Beilage II19. Zur grundsatzkritischen Haltung der Frühromantiker siehe Anm. 110,11f. zu PhL [II] 5. – Als Titel schlug Novalis vor: „Was die Phil[osophie] einstweilen auf ewig thun darf und warum sie es darf?“ -- Götze, Ironie, S.179. 96: 31,3f. Wer nicht um der Philosophie willen philosophiert !…" ist ein Sophist] Hervorgegangen aus PhL [I] 26. Sophisten heißen griechische Philosophen des späten 5. Jahrhunderts, die als (bezahlte) Wanderlehrer für Rhetorik, Staatslehre und andere Disziplinen auftraten und die philosophische Lehre in den Dienst der gesellschaftlichen Praxis stellten. Die Sophisten vertraten die Auffassung, es gebe keine absolute Wahrheit und beförderten damit Skeptizismus, Subjektivismus und egoistisches Verhalten. Deshalb und wegen ihrer rhetorischen ‚Spitzfindigkeit‘ galten die Sophisten vielfach als Verdreher der Wahrheit. (Wb Antike, S.697–700, (‚Sophist‘).) Vgl. zu den Sophisten auch A137, 164, 223, 256, 347. – Novalis’ Titel zu diesem Fragment lautet: „Der Sofist.“ -- Krause, S.63–69. 97: 31,5–7 Als vorübergehender Zustand ist der Skeptizismus logische Insurrektion !…" Regierung] Insurrektion: Aufstand, Erhebung; insurgent: aufrührerisch. – Siehe Anm. 28,15 zu A66 (‚Skeptiker‘), 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘) und 26,22f. zu A46 (‚System‘). – Novalis gab dem Fragment den Titel: „Logische Insurrection und Anarchie.“ 98: 31,8f. Philosophisch ist alles, was zur Realisierung des logischen Ideals beiträgt, und wissenschaftliche Bildung hat] Hervorgegangen aus PhL Beilage II11. Siehe auch Anm. 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘), 75,3 zu A412 (‚Ideal‘), 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). – Novalis überschreibt diesen Text mit den Worten: „Was ist alles philosophisch?“ 99: 31,11f. die Worte im Nathan: „Wem eignet Gott? Was ist das für ein Gott, der einem Menschen eignet?“] Schlegel bezieht sich auf Lessings Nathan der Weise (1779). Die zitierte Frage stellt Nathans Pflegetochter Recha ihrer christlichen Magd Daja, die ihren Schützling für das Christentum gewinnen will und dabei Rechas Rettung durch den Tempelherrn als bedeutungsvollen Wink ‚seines‘ (und ‚ihres‘) Gottes interpretiert (III1; Vers 1556f.). 99: 31,10–12 Bei den Ausdrücken !…" „!…" eignet?“] Novalis formulierte die Überschrift: „Über die Phil[osophie], als Eigenthum.“ 100: 31,13f. Poetischer Schein ist Spiel der Vorstellungen !…" Handlungen] Eine Vorstufe findet sich in FPL [V] 223. Die Definitionskette thematisiert wie auch das folgende Fragment den fiktionalen, ‚scheinhaften‘ Charakter der Poesie. Zum Verhältnis von Poesie und Wirklichkeit vgl. auch A101, 350 und 363. – Novalis’ Titel lautet: „Schein von Handl[ungen] und Spiel von Vorstellungen.“ Die divergierende Auffassung der Frühromantiker vom Fragment äußert sich in seiner entschiedenen Kritik an Schlegels Text: „Nicht Fragment – und U[n]V[erständlich].“

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101: 31,15f. Was in der Poesie geschieht !…" wirklich geschehe] Hervorgegangen aus PhL [II] 684. Vgl. auch das vorige Fragment und A350. – Novalis schrieb dazu den Titel: „Wo etwas nie oder immer geschieht.“ 102: 31,17 Die Frauen haben durchaus keinen Sinn für die Kunst] Siehe Anm. 18,30 zu L106 über die Frauen und 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘). 102: 31,19 innerer Anschauung des Unendlichen] Der Begriff ‚innere Anschauung‘ bezeichnet bei Fichte analog zur ‚äußeren‘ Anschauung und auf dieser basierend das schöpferische Vermögen der Einbildungskraft. Die Romantiker übernehmen in ihrer Ästhetik Fichtes Erkenntnismodell der ‚inneren Anschauung‘. Siehe auch Anm. 29,7 zu A76 (‚intellektuale Anschauung‘) und 13,26 zu L47 über das Unendliche. -- Peter, Idealismus, S.14f. 102: 31,17–20 Die Frauen !…" lernen läßt] Vorstufen finden sich in PhL [II] 684 und [III] 100; vgl auch FPL [VII] 210. Novalis gab dem Fragment den Titel: „Was haben die Frauen und was haben sie nicht.“ Und er merkt skeptisch dazu an: „Woher weißt Du das?“ 103: 31,21–24 Daß man eine Philosophie annihiliert !…" wieder aufleben] ‚Annihilieren‘: „zunichte machen“. – Den Hintergrund für dieses Fragment dürfte wohl Fichtes Auseinandersetzung mit dem Kantianer Carl Christian Erhard Schmid (1761–1812) bilden, die zu dessen ‚Annihilation‘ in Fichtes Vergleichung des vom Herrn Prof. Schmid aufgestellten Systems mit der Wissenschaftslehre (1796; im ‚Philosophischen Journal‘, Dritten Bandes Viertes Heft, S.267–320; FI2, S.421–458) führte; vgl. PhL [II] 138. Vgl. zum Annihilieren auch A229, 328, 422, PhL [I] 1, 16, 63, 65, 70, [II] 56, 349, 361, 567, 592, 605, 628, 790 u. ö. – Als Titel schlug Novalis vor: „Die ächte Philosophie hat Phœnix Natur.“ -- Frank, Unendliche Annäherung, S.538–560. 104: 31,25f. Nach dem Weltbegriffe ist jeder ein Kantianer !…" interessiert] Über Kant und die Kantianer siehe Anm. 10,12 und 10,11 zu L16. 104: 31,27–29 wenn die Königsberger Post !…" ohne Wahrheit sein könnte] Vgl. PhL [II] 34. 104: 31,29 Nach dem veralteten Sokratischen Begriffe] Über Sokrates siehe Anm. 10,34 zu L26. 104: 31,25–32 Nach dem Weltbegriffe !…" nur wenige Kantianer geben] Vorstufen finden sich in PhL [II] 1, 4, 34 und 191. Hardenbergs Titel zu diesem Fragment, das aus drei zur Klimax angeordneten Sätzen besteht, lautet: „Kantianer nach dem Weltbegriffe, dem Schulbegriffe, und einem antiken Begriffe.“ -Rehme-Iffert, Skepsis und Enthusiasmus, S.38f. 105: 31,33 Schellings Philosophie, die man kritisierten Mystizismus nennen könnte] Vgl. zu Schelling A304, PhL [II] 144, 154, 196, 203, 217, 460, 483, 586, 590, 775, 826; Novalis, Lg25, AB824; Schleiermacher, G I 111 u. ö.; ferner FPL [III] 134 (‚kritisierte Mystiker‘) und PhL [II] 160 (‚kritisierender Mystizismus‘ und ‚mystisierter Kritizismus‘) sowie über den Mystizismus A398, 414, PhL [II] 771, [X] 418, 422 u. ö. Vgl. zum Begriff des Mystizismus K.Röttgers, Symphilosophieren, der zeigt, wie unter dem Eindruck von Hardenbergs Persönlichkeit ‚Mystizismus‘ für Schlegel die „philosophische Begeisterungsfähigkeit für den Grund des philosophischen Interesses an Wahrheit“ bezeichnete (S.95)

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und aufgrund seiner Beschäftigung mit Fichte auf „jede sich selbst erzeugende philosophische Position“ angewandt werden konnte, „die mit einem Anspruch auf das Absolute auftritt, das heißt ein willkürliches Setzen des Absoluten postuliert“ (ebd.). Siehe auch Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). -- Behler, Friedrich Schlegel in Selbstzeugnissen, S.77; Frank, Wechselgrundsatz, S.31f.; Frischmann, Transzendental, S.168–171; Götze, Apologie, S.35–38; Röttgers, Symphilosophieren, S.94f.; Volkmann-Schluck, S.49. 105: 31,34 der Prometheus des Äschylus] Die Tragödie Der gefesselte Prometheus von Aischylos endet mit einem Bild des Untergangs: Schon wird es zur Tat, was gedroht uns ward! Es erbebet die Erd’, Und der Donner, er brüllt dumpfhallend empor, Und es zuckt und es zischt der geschlängelte Blitz Sein Flammengeschoß, auf wirbelnd den Staub Windstöße; daher, wie im Taumel gejagt, Rast allseits Sturm; ineinander gestürzt Mit des Aufruhrs Wut, mit Orkanes Geheul Ineinander gepeitscht mischt sich Himmel und Meer! !…" (Aischylos, Die Tragödien und Fragmente, übertragen von Johann Gustav Droysen, !…" Stuttgart 1962, S.393.)

105: 31,33f. Schellings Philosophie !…" Untergang] Novalis gab dem Fragment den Titel: „Schellings Phil[osophie] und der Prometheus des Aeschylus.“ 106: 31,35 Die moralische Würdigung] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 106: 31,36 der gute Wille] Vgl. A30. 106: 31,36 witzig] Siehe Anm. 9,23 zu L9. 106: 31,37 Tugend eines Pagliaß] Siehe Anm. 85,24 zu Id23 (‚Tugend‘). Pagliaccio (Bajazzo) heißt der Spaßmacher im italienischen Theater. 106: 31,40 der bienfaisant bourru] Le Bourru bienfaisant (Der wohltätige Griesgram), Komödie von Carlo Goldoni (1707–1793). 106: 31,35–41 Die moralische Würdigung !…" Charakter ist] Von August Wilhelm Schlegel. – Hardenbergs Titel zu diesem Fragment lautet: „Wo gilt der gute Wille alles, und wo nichts? Dem Leser bleibt der Schluß auf sein Vaterland nach einem bekannten Sprüchwort überlassen.“ 107: 32,1f. Postulat aller Kantianischen Harmonien der Evangelisten] Über Kant und die Kantianer siehe Anm. 10,12 und 10,11 zu L16. – Evangelienharmonien sind Kompilationen aus den vier Evangelien zu einem einheitlichen Bericht vom Leben Jesu. 107: 32,2f. Kants Philosophie soll mit sich selbst übereinstimmen] Vgl. Fichte, Über die Bestimmung des Gelehrten (1794), der „Die vollkommene Uebereinstimmung eines vernünftigen Wesens mit sich selbst“ (FI6, S.299) unter Berufung auf Kant als „das höchste Gut“ bezeichnet. 107: 32,1–3 Das stillschweigends vorausgesetzte !…" übereinstimmen] Novalis schrieb zu diesem Fragment den Titel: „Das erste Postulat der Harmonieen der Kantischen Evangelien.“

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108: 32,4 Schön ist, was zugleich reizend und erhaben ist] Diesen Gedanken formuliert Schlegel bereits im Studium-Aufsatz: „Das Schöne im weitesten Sinne (in welchem es das Erhabne; das Schöne im engern Sinne, und das Reizende umfaßt) ist die angenehme Erscheinung des Guten“ (KFSA1, S.288). Weitere Texte, die sich mit dem Schönen beschäftigen sind u.a. L42, 59, 127, A16, 60, 115, 142, 146, 183, 198, 252, 256, 305, 310, 342, Id11, 86, FPL [V] 777, PhL [IV] 309, Über die Grenzen des Schönen (1794; KFSA1, S.34–44); Novalis, BL111, VB122, Vorarbeiten 69, 226, T97, AB910. Der zweite Teil der Definition schließt sich an Formulierungen Alexander Gottlieb Baumgartens (1714–1762) und Johann Adolf Schlegels (1721–1793) an. Schlegel erweitert den ästhetischen Bereich gegenüber Kant, der in der Kritik der Urteilskraft (1790) das ‚Angenehme‘ und das ‚Erhabene‘ vom Schönen ausschließt. – Novalis formuliert dazu die Überschrift: „Was zugleich excitirt und deprimirt.“ -- Barth, S.342; Mennemeier, Poesiebegriff, S.76f. 109: 32,5–7 Es gibt eine Mikrologie !…" Autorität der Natur] Beschäftigung mit dem Kleinsten. Vgl. zur Mikrologie, der (wissenschaftlichen) Beschäftigung mit dem Kleinsten, FPL [III] 5 und Novalis, HKS53, AB554, 661, 707. Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘), 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘) und 9,1 zu L1 über den Zusammenhang von Künstlertum und Natur. Novalis gab dem Fragment den Titel: „Makromikrologie und Meisterglaube an Autoritaet.“ 110: 32,8f. Es ist ein erhabener Geschmack, immer die Dinge in der zweiten Potenz vorzuziehn] Vgl. dazu Novalis’ Notiz in den Vorarbeiten 287: „Eine Note zum Text etc. ist viel piquanter, als der Text.“ Überraschend für den Leser versieht Schlegel hier den romantischen Gedanken der Potenzierung mit einem negativen Vorzeichen; die ‚zweite Potenz‘ bedeutet hier keine Steigerung, sondern eine ‚Verdünnung‘ des jeweiligen Gegenstands. Siehe Anm. 33,6f. zu A116 (‚potenzieren‘). 110: 32,9 Beurteilungen von Rezensionen] Siehe Anm. 81,40–42 zu A439 (‚Rezension‘). 110: 32,10f. Uns Deutschen !…" den Franzosen] Über den Nationalcharakter der Deutschen und der Franzosen siehe Anm. 12,16f. zu L38 und 13,12f. zu L45. 110: 32,13f. ihre Tragödie, ist nur die Formel einer Form] Siehe Anm. 11,3–5 zu L30 (‚Tragödie‘). 110: 32,8–14 Es ist ein erhabener Geschmack !…" Formel einer Form] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis schrieb dazu den Titel: „Vom Geschmack an Dingen aus der 2ten Hand.“ 111: 32,15–17 Die Lehren welche ein Roman geben will !…" vorzüglicher] Siehe Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘). – Von Novalis stammt der Titel: „Der didaktische Roman.“ 112: 32,18f. Die Philosophen welche nicht gegeneinander sind !…" Symphilosophie] Siehe Anm. 19,33 zu L112 (‚Symphilosophie‘). – Novalis überschrieb das Fragment: „Philosophische Sympathie.“ 113: 32,20f. Eine Klassifikation ist eine Definition !…" enthält] Siehe Anm. 27,12 zu A55 (‚Klassifikation‘), 29,27 zu A82 (‚Definition‘) und 26,22f. zu

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A46 (‚System‘). Dazu der Titel von Novalis: „Klassification – quid? !Was?"“ Und seine knappe Kritik: „Kein Fragment.“ 114: 32,22–24 Eine Definition der Poesie kann nur bestimmen, was sie sein soll !…" genannt hat] Siehe Anm. 29,27 zu A82 (‚Definition‘) und vgl. das vorige Fragment. Novalis’ Titel hierzu lautet: „Von der Definition der Poësie.“ 115: 32,25f. Daß es den Adel vaterländischer Festgesänge nicht entweihen kann, wenn sie tüchtig bezahlt werden] Unter Schlegels Zeitgenossen haben z.B. Klopstock (siehe Anm. 35,9 zu A127) und Friedrich Leopold Stolberg (1750–1819) ‚vaterländische Festgesänge‘ verfaßt. Klopstock schrieb u.a. Gedichte wie Hermann und Thusnelda (1753) und Mein Vaterland (1768), von Stolberg stammt das Lied eines deutschen Knaben (1774) und Mein Vaterland, an Klopstock (1774). Mit der Frage der Bezahlung berührt Schlegel die Problematik des vom Markt oder von Gönnern abhängigen Literaturproduzenten, die im 18. Jahrhundert akut wird. Zur Bezahlbarkeit der Poesie überhaupt äußert sich Novalis in T29. 115: 32,26 die Griechen und Pindar] Der griechische Lyriker Pindar (522/518 – kurz nach 445 v.Chr.) verfaßte Preislieder auf Götter und Menschen. Die wachsende Schätzung Pindars im ausgehenden 18. Jahrhundert hängt damit zusammen, daß sich die freien Rhythmen als moderne Gedichtform durchsetzten; vgl. auch A193, 238, PhL [II] 51 und Novalis, VB105. Siehe Anm. 13,21 zu L46 über die Griechen. 115: 32,26f. Daß aber das Bezahlen nicht allein selig macht] Wohl eine Anspielung auf Apostelgeschichte 20,35 („Geben ist seliger denn Nehmen“) und auf das Attribut ‚allein seligmachend‘ der katholischen Kirche. 115: 32,27f. die Engländer, die wenigstens darin die Alten haben nachahmen wollen] Siehe Anm. 13,30f. zu L49 über die Engländer, 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘) und 32,4 zu A108 (‚schön‘). 115: 32,28f. Schönheit !…" Tugend] Siehe Anm. 32,4 zu A108 (‚schön‘) und 85,24 zu Id23 (‚Tugend‘). 115: 32,25–29 Daß es den Adel !…" Tugend] Novalis gab dem Fragment den Titel: „Macht die Bezahlung den Dichter, oder vernichtet sie ihn?“ 116: 32,30 Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie] ‚Romantische Poesie‘ ist bei Schlegel meist mit Romanpoesie identisch (siehe Anm. 13,30 zu L49 über den Begriff des Romantischen und 10,34 zu L26 über den Roman). Vgl. zur Universalpoesie auch folgende Fragmente: A146, FPL [V] 208, 550, 556, 765, 771, 1076, 1092, 1102 und PhL [II] 1034. Siehe Anm. 24,16f. zu A22 (‚progressiv‘) und 97,11 zu FPL [V] 3 (‚progressive Poesie‘). – Mit den Bestimmungen ‚progressiv‘ und ‚universal‘ wird die romantische Poesie als prinzipiell unabschließbare Bewegung auf ein Unendliches hin charakterisiert. Den projektierten umfassenden Charakter des romantischen Kunstwerks, das die Einheit von Kunst und Leben anstrebt, hebt Schlegel im folgenden mehrfach hervor. -- Härter, S.227–315; Plumpe, S.166–168. 116: 32,31 alle getrennte Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen] Diesen Gedanken deutet bereits L60 an; vgl. auch A239. Siehe Anm. 22,8f. zu A4 (‚Gattungen‘) und 97,15f. zu FPL [V] 4 über den Roman als Mischgedicht.

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116: 32,32 die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen] Vgl. A93 und siehe Anm. 19,41f. zu L115 über das romantische Ziel der Verschmelzung der Künste und Wissenschaften, 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘) und 153,19 zu BL89 (‚Berührung‘). 116: 32,33 Genialität und Kritik] „Mit der Vereinigung von Genialität und Kritik wird zunächst verlangt, daß der Romandichter Begeisterung und Besonnenheit, Schöpferkraft und Selbstkritik verbinden müsse; das Geheimnis dieser Synthese ist die Ironie. Schlegel meint aber auch, daß der Roman sowohl Poesie als auch Kritik der Poesie bieten solle“ (Eichner, KFSA2, S.LIXf.). Vgl. hierzu auch L115. Siehe ferner Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 116: 32,33f. Kunstpoesie und Naturpoesie] Vgl. zu diesem Begriffspaar A155, 252 und FPL [V] 55; siehe Anm. 9,1 zu L1 über das Verhältnis von Natur und Kunst bzw. Künstler und 22,9f. zu A4 (‚Naturpoesie‘). 116: 32,34f. die Poesie lebendig und gesellig !…" das Leben und die Gesellschaft poetisch machen] Siehe Anm. 78,24f. zu A426 (‚Geselligkeit‘). 116: 32,35 den Witz poetisieren] Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘) und 48,28f. zu A239 (‚poetisieren‘). 116: 32,36 mit gediegnem Bildungsstoff jeder Art] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 116: 32,37 Schwingungen des Humors] Siehe Anm. 48,10f. zu A237 (‚Humor‘). 116: 32,38f. vom größten !…" Systeme der Kunst, bis zu dem Seufzer] Im Gespräch über die Poesie (1800) spricht Schlegel über die „bewußtlose Poesie, die sich in der Pflanze regt, im Lichte strahlt, im Kinde lächelt, in der Blüte der Jugend schimmert, in der liebenden Brust der Frauen glüht“; sie ist „die erste, ursprüngliche, ohne die es keine Poesie der Worte geben würde“ (KFSA2, S.285). Vgl. auch den Abschnitt „Poesie“ in A.W.Schlegels Berliner Vorlesungen, Über Literatur, Kunst und Geist des Zeitalters. Eine Auswahl aus den kritischen Schriften, hg. von Franz Finke, Stuttgart 21984, S.95–105. Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘). 116: 32,40–33,1 Sie kann sich so in das Dargestellte verlieren !…" den Geist des Autors vollständig auszudrücken] Die komplementären Möglichkeiten der romantischen Poesie, die ‚ganze umgebende Welt‘ widerzuspiegeln und dem „Geist des Autors“ vollständigen Ausdruck zu verleihen, entsprechen der in L14 beschriebenen dialektischen Gedankenbewegung. Vgl. auch L78 zum Roman als „Kompendium !…" des ganzen geistigen Lebens eines genialischen Individuums“. – Siehe ferner Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). 116: 33,2f. gleich dem Epos ein Spiegel der ganzen umgebenden Welt] Vgl. zur analogen Funktion von Epos und Roman den Brief über den Roman (KFSA2, S.335). Zum Epos siehe Anm. 20,31 zu L121. 116: 33,4–6 zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden !…" auf den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte schweben] Siehe Anm. 184,1–5 zu FSt633 (,Darstellung‘). Schlegel scheint hier an den Romantyp zu denken, in dem sich der Autor in einem vorgeschobenen Erzähler spiegelt; dieser teilt

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seine Gedanken über das Werk mit, so daß sich Autor und Werk wechselseitig spiegeln. Ähnlich vermittelt auch die romantische Ironie zwischen ihren beiden Polen „Im Innern“ und „im Äußern“, wie L42 erläutert. Vgl. zur (künstlerischen) Reflexion A238, 305, PhL [IV] 682, 1059, 1541, [V] 507, 955, 1004, 1116 und zu dem für die Ästhetik der Frühromantik zentralen Motiv der schwebenden Einbildungskraft Novalis, Lg13 und FSt555f. „Man kann die methodische Verfahrensweise der Romantiker nachgerade dadurch charakterisieren, affirmativ nie beim eigentlich Gemeinten anzukommen, vielmehr im oszillierenden Habitus zwischen dem, was erreicht werden soll, aber nicht kann, zu verbleiben“. (Lore Hühn, Das Schweben der Einbildungskraft. Eine frühromantische Metapher in Rücksicht auf Fichte. In: ‚Fichte-Studien‘ 12 (1997), S.127–151; hier S.128.) -- E.Behler, Die Kunst der Reflexion. Das frühromantische Denken im Hinblick auf Nietzsche. In: E.B., Studien zur Romantik 1, S.116–141; Hühn; Walter Schulz, Metaphysik des Schwebens. Untersuchungen zur Geschichte der Ästhetik, Pfullingen 1985, S.270–275. 116: 33,6f. diese Reflexion immer wieder potenzieren] Vgl. zum Gedanken des Potenzierens L8, A110, FPL [III] 170, 216, 225, PhL [II] 157, 298, 322, 946; Novalis, Vorarbeiten 105, T79, AB96, 111, 117, 138, 221, 239, 243, 333, 487, 522 u. ö. Siehe Anm. 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘) zu Schlegels potenzierenden Formeln. -- Neubauer, Zwischen Natur und mathematischer Abstraktion; Striedter, S.143. 116: 33,7f. Sie ist der höchsten und der allseitigsten Bildung fähig] Vgl. hierzu in Schlegels Aufsatz Über Goethes Meister (1798) den Abschnitt über „die Organisation des Werks“ (KFSA2, S.135). Siehe auch Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 116: 33,10f. Aussicht auf eine grenzenlos wachsende Klassizität] Siehe Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). 116: 33,13f. Andre Dichtarten sind fertig !…" Die romantische Dichtart ist noch im Werden] Siehe Anm. 14,29 zu L60 (‚Dichtarten‘) und 27,10f. zu A54 über die Formel ‚werden, nicht sein‘. 116: 33,16f. nur eine divinatorische Kritik dürfte es wagen, ihr Ideal charakterisieren zu wollen] Siehe Anm. 46,13 zu A221 (‚divinatorische Kritik‘), 75,3 zu A412 (‚Ideal‘) und 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘). 116: 33,17–19 Sie allein ist unendlich !…" die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide] Schlegel beharrt auf der Eigengesetzlichkeit künstlerischen Schaffens; sein Freiheitspostulat sprengt die Grenzen der herkömmlichen Gattungspoetik. Siehe Anm. 13,26 zu L47 über das Unendliche und 10,9 zu L16 (‚Willkür‘). 116: 32,30–33,21 Die romantische Poesie !…" romantisch sein] Zu diesem viel zitierten Fragment, in dem Schlegel eine gedrängte Darstellung seiner Romantheorie gibt, existieren zahlreiche Vorstufen und Parallelen: FPL [V] 23, 263, 293, 577, 590, 606, 617, 797, 821, 982, [VII] 27. – Novalis betitelte den Text: „Progressive Universalpoesie“, und notiert dazu die kritische Anmerkung: „Zu herausgerissen eigenthümlich – nicht genetisch – oder generirend – der letzte Satz hebt d[as] Ganze Vorhergehende auf.“ -- Behler, Universalpoesie; Brinkmann, Dichtungstheorie, S.262f.; Eichner, KFSA2, S.LIX-LXIV; Frischmann, Tran-

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szendental, S.307f.; Götze, Ironie, S.225f., Andreas Härter, Rhetorik der Progression. Zur Konzeption des Figuralen bei Friedrich Schlegel. In: ‚Rhetorik. Ein internationales Jahrbuch‘ 20 (2001), S.67–88; Mennemeier, Fortschreitung, S.367–369; Peter Michelsen, „Progressive Universalpoesie“. Fragmentarische Bemerkungen zum Athenäums-Fragment 116. Vom Scheitern eines Lektüre-Versuchs. In: Evolution des Geistes, S.323–342; Schanze, Rhetorik, S.130f. und 134; Strohschneider-Kohrs, S.42–47 und 50f.; Wiethölter, S.604–614. 117: 33,22–24 Werke, deren Ideal für den Künstler nicht ebensoviel lebendige Realität !…" gewiß nicht] Vgl. A100f. und 363; siehe auch Anm. 75,3 zu A412 (‚Ideal‘) und 14,35 zu L63 (‚Künstler‘). Novalis gab dem Fragment den Titel: „Ächte Kunstwerke müssen persönlich seyn.“ 118: 33,26 wenn alle Personen in einem Roman sich um Einen bewegen] Friedrich Schlegel denkt dabei vielleicht an Goethes Wilhelm Meister (siehe Anm. 20,27–29 zu L120). Siehe Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘). 118: 33,30 im gebildeten Gedicht] Werk der Dichtkunst in Versen oder in Prosa. Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 118: 33,30f. Die Verfassung sei republikanisch] Siehe Anm. 14,40 zu L65 (‚republikanisch‘). 118: 33,25–32 Es ist nicht einmal !…" passiv sein] Novalis verfaßte dazu den Titel: „Republicanische Verfassung des Romans.“ 119: 33,36 willkürlich] Siehe Anm. 10,9 zu L16. 119: 33,40f. Genie ist nemlich ein System von Talenten] Zum Talent vgl. A125, 265, 296, 362, 410, Id141, FPL [V] 1029, PhL [II] 195, 312, 465, 985, 996 und Schleiermacher, G I 37; zum Geniebegriff der Frühromantiker vgl. folgende Fragmente: L16, 36f., A88, 172, 283, 358, 366, 432, Id19, 36, 116, die Definition in Id141, FPL [V] 83, 176, 179, 182, 387, 418, 492, 495, 504, 506, 514, 533, 582, 642, 1004, 1029, 1038, 1063, 1123, 1223, PhL [II] 996; Novalis, BL78, Lg13, Vorarbeiten (Poësie) 49, Vorarbeiten 78, AB416, 454, 567, 650 und 903 u. ö. – Eine Definition des Genies unternimmt Schlegel in seinem Aufsatz Georg Forster (1797): „Genie ist Geist, lebendige Einheit der verschiedenen natürlichen, künstlichen und freien Bildungsbestandteile einer bestimmten Art. Nun besteht aber das Eigentümliche eben nicht in diesem oder jenem einzelnen Bestandteil, oder in dem bestimmten Maß desselben: sondern in dem Verhältnis aller“ (KFSA2, S.98). Zum Verhältnis von Genie und Talent äußert sich Kant in der Kritik der Urtheilskraft (1790), §§46–49; KA10, S.B181–191, S.A178–189); vgl. auch Novalis, BL21. In Schlegels Besprechung Jacobis Woldemar (1796) heißt es hierzu: „Denn was ist Genie anders, als die gesetzliche freie innige Gemeinschaft mehrerer Talente?“ (KFSA2, S.73.) Siehe auch Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘). – Novalis überschrieb das Fragment: „Tiefsinn der Sprache, nebst einem Beyspiel.“ -- Brylla, S.165–184. 120: 33,42–34,3 Den Witz achten sie darum so wenig !…" bloß handelt] Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘), und 30,25–27 zu A89 (‚Mathematik‘). – Als Überschrift schlug Novalis vor: „Witzverächter, oder undeutliche Mathematicker.“ In der Kritik der Athenaeumsfragmente merkt er dazu an: „Versteh ich nicht.“ -- Neumann, Ideenparadiese, S.466.

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121: 34,4 Eine Idee ist ein bis zur Ironie vollendeter Begriff] Vgl. zu dieser Bestimmung der Idee „im Sinne des ironischen Idealismus !…" als absolute Synthesis absoluter Antithesen“ (Oesterreich, Wenn die Ironie wild wird, S.34) auch die Definition in Id10, ferner Id15, 82, 155 und den Titel der Sammlung Ideen, ebenso FPL [V] 96, 115, 309, 382, 568, 718, 739, 757, 770, 774, 831; Novalis, BL34, GL15, 39, Lg7, 13, T82; Schleiermacher, G I 190 u. ö. – Die Wendung „bis zur Ironie“ gebraucht Schlegel auch in A51 und 305; siehe auch Anm. 12,33 zu L42 (‚Ironie‘). -- Oesterreich, Wenn die Ironie wild wird, S.34f.; Strohschneider-Kohrs, S.39f. 121: 34,6 Ein Ideal ist zugleich Idee und Faktum] Siehe Anm. 75,3 zu A412 (‚Ideal‘) und 143,36f. zu BL22 (‚Faktum‘). 121: 34,6f. Haben die Ideale !…" nicht so viel Individualität wie die Götter des Altertums für den Künstler] Vgl. Novalis, FuS569 über Schlegels „Glaube!n" an die Persönlichkeit der Begriffe“. Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘), 13,5f. zu L44 (‚Altertum‘) und 14,35 zu L63 (‚Künstler‘). 121: 34,9 Bonzen] Buddhistische Priester. 121: 34,11f. Mystik !…" dies schöne alte Wort für absolute Philosophie] Vgl. zur Mystik auch L57, A14, 130, 263, 273, 305, Id22, 26, 40, 59, 77, 94, FPL [III] 4, 66, 134, [IV] 61, 105, 119, [V] 1, 206, 256, 507f., 975; Novalis, Vorarbeiten 105, T14, AB788 u. ö. Vgl. zum Begriff der ‚absoluten Philosophie‘ PhL [II] 245, 256, 258, 285, 289f., 294f., 302f., 343, 449, 454, 462, 471, 544. -- Polheim, Arabeske, S.63. 121: 34,15 en detail !…" en gros] „Im einzelnen … im großen“. 121: 34,16f. die Prinzipien der höhern Kritik, die obersten Stufen der geistigen Bildung] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 121: 34,18 praktische Abstraktion] Siehe Anm. 100,13f. zu FPL [V] 39. 121: 34,18 die Alten, bei denen sie Instinkt war] Siehe Anm. 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘) und 19,8 zu L108 (‚Instinkt‘). 121: 34,21–23 sich willkürlich bald in diese bald in jene Sphäre !…" versetzen] Vgl. L55; siehe Anm. 10,9 zu L16 (‚Willkür‘). 121: 34,26–28 ein Geist, der gleichsam !…" ein ganzes System von Personen in sich enthält] Vgl. hierzu Kant, Kritik der Urteilskraft (1790; S.B158). Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘). -- Oesterreich, Ironie, S.358; ders., Wenn die Ironie wild wird, S.36f. 121: 34,28f. das Universum, welches, wie man sagt, in jeder Monade keimen soll] Eine Anspielung auf Leibniz und seine Monadologie; siehe Anm. 27,14 zu A55 über den Begriff der Monade. 121: 34,4–29 Eine Idee !…" reif geworden ist] Vorstufen und Parallelen finden sich in FPL [V] 39, 626, PhL [II] 67, 79, 82, 91, 133, 372, 781, [III] 110; vgl. auch L107. – Novalis gab dem Fragment den Titel: „Die Idee und das individuelle Ideal. ein System von Fragmenten.“ Er bemerkt dazu: „In der Mitte etwas dunkel.“ -- Härter, S.284–291; Mennemeier, Poesiebegriff, S.97; Zovko, S.102.

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122: 34,30f. weder kalt noch warm] Vgl. Apoc. 3,15f.: „Ach daß du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien !…".“ 122: 34,31f. Bibliothek der schönen Wissenschaften] Von Friedrich Nicolai (1733–1811) herausgegebene Zeitschrift, bedeutendes zeitgenössisches Rezensionsorgan. 122: 34,30–32 Wenn Bürgern !…" gepriesen zu werden] Von August Wilhelm Schlegel. – Im Brief vom 27.2.1798 schreiben Friedrich Schlegel und Schleiermacher an August Wilhelm Schlegel: „Der Anfang zu dem schönen !!Fr.[agment]"" von der schönen Biblioth.[ek] scheint mir nicht so bleiben zu können.“ (KFSA24, S. 93; nach Immerwahr, KFSA24, S.375, könnte in dieser Briefstelle aber auch A205 gemeint sein.) Vgl. zu Gottfried August Bürger (1747–1794) auch A298 und Novalis, BL68. – Novalis schrieb dazu den Titel: „Bürger über laue Bücher.“ 123: 34,33f. Sollte die Poesie nicht !…" Dramen möglich sind?] Vgl. zum hohen Wert der Poesie auch L7 und A116, wo Schlegel speziell über die romantische Poesie schreibt, sie sei „unter den Künsten was der Witz der Philosophie, und die Gesellschaft, Umgang, Freundschaft und Liebe im Leben ist“. Siehe auch Anm. 13,19f. zu L45 (‚Drama‘). – Novalis gab diesem Fragment den Titel: „Was verdanckt die Poësie den Dramen?“ In der Kritik der Athenaeumsfragmente merkt er an: „Nescio.“ !„Ich weiß nicht.“" 124: 34,35–38 Wenn man einmal aus Psychologie Romane schreibt !…" scheuen zu wollen] Vorstufen finden sich in FPL [V] 154, 277, 386. Siehe Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘). Als Titel notierte Novalis: „Inconsequenz psychologischer Romanleser.“ 125: 34,39 eine ganz neue Epoche der Wissenschaften und Künste] Zu diesem Begriffspaar siehe Anm. 10,10 zu L16. 125: 34,40f. wenn die Symphilosophie und Sympoesie so allgemein und so innig würde] Siehe Anm. 19,33 zu L112 über die romantischen Neologismen mit dem Präfix ‚Sym-‘. 125: 34,43–35,1 zwei Geister möchten eigentlich zusammengehören, wie getrennte Hälften] Vielleicht eine Anspielung auf den platonischen Mythos von der Entstehung der Geschlechter, die er als ‚getrennte Hälften‘ eines ursprünglich androgynen Wesens deutet. (Plato, Symposion, 189d-193d; Eigler 3, S.266–283.) 125: 35,1–3 Gäbe es eine Kunst, Individuen zu verschmelzen, oder könnte die wünschende Kritik etwas mehr als wünschen] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 125: 35,3f. so möchte ich Jean Paul und Peter Leberecht kombiniert sehen] Vgl. zu Jean Paul (1763–1825) auch A421, FPL [V] 305, 823, 826, 828, 840, 1019, Gespräch über die Poesie (1800; KFSA2, S.329 und 331); Novalis, FSt587; Schleiermacher, G I 55b–57. – Ludwig Tieck (1773–1853) veröffentlichte 1797 unter dem Pseudonym Peter Leberecht seine Volksmärchen, Ritter Blaubart und Der gestiefelte Kater. Mit Tieck setzen sich u.a. auch A307, 418, PhL [IV] 22f., [VII] 141, 154 und 160 auseinander.

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125: 35,5 Jean Pauls groteskes Talent] Siehe Anm. 29,3–6 zu A75 (‚grotesk‘) und 33,40f. zu A119 (‚Talent‘). 125: 35,5 fantastische Bildung] Siehe Anm. 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 125: 35,6 einen vortrefflichen romantischen Dichter] Siehe Anm. 13,30 zu L49 (‚romantisch‘). 125: 34,39–35,6 Vielleicht würde !…" hervorbringen] Am 28. und 29.12.1798 schreibt Friedrich Schlegel an seinen Bruder: „Von Tieck und Richter werde ich ein großes Fragment machen“ (KFSA24, S.75). Eine Vorstufe zu diesem Fragment findet sich in PhL [II] 485; vgl. auch FPL [IX] 268. Novalis überschreibt den Text: „Neue Litteraturepoke. oder allgemeine Sympraxis.“ -- Härtl, S.274–278; Mennemeier, Poesiebegriff, S.264–278. 126: 35,7 Alle nationale und auf den Effekt gemachte Dramen sind romantisierte Mimen] Siehe Anm. 19,27f. zu L112 (‚Effekt‘) und 13,19f. bzw. 13,17 zu L45 über ‚Drama‘ und ‚Mimus‘. Vgl. zum Terminus ‚romantisieren‘ FPL [V] 158, 280, 297, 322, 346, 384, 606, 609, 645, 717, 750, 1045, [VI] 10, 38; Novalis, Vorarbeiten 105, AB10, 87; siehe auch Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘) und 13,30 zu L49 (‚romantisch‘). – Vorstufen und Parallelen finden sich in FPL [V] 278, 346, 351, 369, 469, 645 und 837. Vgl. auch A258 über „auf den Effekt gemachte Poesie“. – Novalis betitelte das Fragment: „Romantisirte Mimen“. Sein kurzer Kommentar dazu lautet: „Nescio.“ !„Ich weiß nicht.“" -- Dick, S.373–377; Frank, Einführung, S.272–275; Striedter, S.117. 127: 35,9 Klopstock ist ein grammatischer Poet, und ein poetischer Grammatiker] Mit A127 beginnt eine Gruppe von zehn Fragmenten von August Wilhelm Schlegel. Die Aufzeichnung bezieht sich wohl auf Klopstocks Grammatische Gespräche (1794), die August Wilhelm Schlegel 1797 im ‚Berliner Archiv der Zeit und ihres Geschmacks‘ der ‚Allgemeinen Literaturzeitung‘ besprochen hatte. Im ersten Stück des ‚Athenäums‘ (S.3–64) erschien von ihm außerdem ein Aufsatz Die Sprachen. Ein Gespräch über Klopstocks grammatische Gespräche. Vgl. auch FPL [V] 10 sowie A130, 210, FPL [III] 234, [V] 105, 109, 113, 136, 184, PhL [II] 3, 20, 22 u. ö. zu Klopstock. Siehe ferner Anm. 30,35–37 zu A92 (‚Grammatik‘). – Novalis’ Titel dazu lautet: „Der Wechselpoët und Grammatiker.“ 128: 35,11f. Nichts ist kläglicher !…" vortrefflich sind] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis gab dem Fragment den Titel: „Was ist das Kläglichste?“ 129: 35,13 Theoristen] „Einer der theorisiert“ (DWb11.1.1, Sp.366). 129: 35,13f. den Gebrauch des Sylbenmaßes im Drama] Siehe Anm. 13,19f. zu L45 (‚Drama‘). 129: 35,14f. daß die Poesie überhaupt nur eine schöne Lüge ist] Eine Anspielung auf den Platonischen Vorwurf, daß die „Dichter nur Nachbildner von Schattenbildern der Tugend seien !…", die Wahrheit aber gar nicht berühren“ (Politeia, 10.Buch, 600e; Eigler 4, S.810f.). 129: 35,16f. Magnanima menzogna !…" preporre?] „Großmütige Lüge, wann ist die Wahrheit so schön, daß man sie dir vorziehen könnte?“ Ein Zitat aus Tassos La Gerusalemme Liberata (1575), 2. Gesang, 4. Stanze; vgl. L76.

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129: 35,13–17 Manche Theoristen !…" preporre?] Von August Wilhelm Schlegel. – Als Titel schlug Novalis vor: „Erinnerung an gewisse Theoristen wegen der schönen Lüge.“ 130: 35,18 Es gibt auch grammatische Mystiker] Das Fragment knüpft an A127 von Klopstock als dem ‚grammatischen Poeten‘ an. Vgl. Novalis, AB138; siehe Anm. 30,35–37 zu A92 (‚Grammatik‘) und 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘). 130: 35,18 Moritz] Karl Philipp Moritz (1756–1793) veröffentlichte u.a. auch sprachwissenschaftliche Werke. Vgl. auch A203 und FPL [V] 157. 130: 35,18 Es gibt !…" war einer] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis überschrieb das Fragment: „Was es auch giebt – ? mit einem Beyspiele.“ 131: 35,19 Der Dichter kann wenig vom Philosophen, dieser aber viel von ihm lernen] Siehe Anm. 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Dichtung und Philosophie; vgl. auch L12 zur „Philosophie der Kunst“. 131: 35,20 die Nachtlampe des Weisen] Der Kyniker Diogenes von Sinope, auf den auch L119 anspielt, soll bei hellem Sonnenschein mit einer brennenden Lampe durch Athen gegangen sein und den neugierigen Fragern erklärt haben, er suche Menschen. Siehe auch Anm. 14,28 zu L59 (‚cynisch‘). 131: 35,19–21 Der Dichter !…" zu wandeln] Von August Wilhelm Schlegel. – Hardenbergs Titel dazu lautet: „Wer den Philosophen wenig, und wen der Philosoph viel nöthig hat?“ 132: 35,22 Dichter sind doch immer Narzisse] Von August Wilhelm Schlegel. – Narkissos war der sagenhafte Jüngling, der nach Ovid (43 v.Chr. – 17 n.Chr.) die Liebe der Bergnymphe Echo verschmähte; Venus bestrafte ihn damit, daß er sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte, als er es in einer Quelle erblickte; er starb aus Kummer über seine unerfüllbare Liebe (Metamorphosen, Buch III, Vers 339–510). – Dazu schrieb Novalis den Titel: „Ewige Narzisse.“ 133: 35,23f. Es ist als wenn die Weiber alles mit eignen Händen machten !…" Handwerksgerät] Von August Wilhelm Schlegel. – Siehe Anm. 18,30 zu L106 über die Frauen und 182,15 zu FSt609 über die Typologie der Geschlechter. – Hardenbergs Titel zu diesem Fragment lautet: „Die Hände und die Werckzeuge, oder die Frauen und Männer.“ 134: 35,25 Das männliche Geschlecht !…" das weibliche] Mit dem Thema Männer und Frauen schließt sich dieses Fragment an das vorhergehende an. 134: 35,26 die Geschlechtsfolge der Nayren] Nayar (oder Nair) heißt eine Stammeskaste in Südindien mit ausgeprägter matriarchalischer Gesellschaftsstruktur. – Vielleicht wurde dieses Fragment von einem anonymen Aufsatz im ‚Neuen Teutschen Merkur‘ mit dem Titel Ueber die Vortheile des Systems der Galanterie und Erbfolge bey den Nayren (1793) angeregt. 134: 35,25–27 Das männliche Geschlecht !…" eingeführt sein wird] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis überschrieb das Fragment mit den Worten: „Die Geschlechtsfolge der Nayren. Aussicht auf die Verbesserung des Männergeschlechts.“ 135: 35,28f. Zusammenhang zwischen den getrennten !…" Teilen unsrer Bildung] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘).

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135: 35,30 in unsern moralischen Dramen] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘) und 13,19f. zu L45 (‚Drama‘). 135: 35,28–31 Zuweilen nimmt man !…" zu kommen] Von August Wilhelm Schlegel. – Als Titel notierte Novalis: „Die neuen Paedagogen, als Lieferanten des modernen Dramenstoffs.“ 136: 35,34f. Man dringt nicht tief, wenn man einen Bohrer !…" gegen ein Brett drückt] Vgl. zu diesem Bild auch L10. 136: 35,32–36 Es gibt Geister !…" ohne ihn umzudrehen] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis schlug folgenden Titel vor: „Steife Geister, oder der Bohrer, als Pfriem.“ 137: 35,37 Es gibt eine materiale, enthusiastische Rhetorik] Dem wirkungsbezogenen traditionellen System der Schulrhetorik stellt Friedrich Schlegel die erweiterte und vertiefte Konzeption einer ‚enthusiastischen‘ Rhetorik entgegen, in der die ursprüngliche Funktion der Redekunst als philosophische Bildungsinstanz par excellence wieder zur Geltung kommt. „Rhetorik geht in das Programm romantischer Poetisierung !…" in zweifacher Weise ein, als Vermittlungsmedium des historisch entwickelten, auf der gesteigert reflexiven Stufe romantischer Kunst zu aktivierenden Wissens- und Formenbestands, gleichzeitig durch ihren affektbestimmenden, ‚enthusiastischen‘ Kern als Potenz, durch die die rationalistisch verengten Relationen von Kunst und Künstler, Autor und Leser !…" überwunden, d.h. zusammengefügt werden. Die aus allen vordergründig zweckhaften Bezügen gelöste Rede steigert sich zur unendlichen.“ (Johannes G. Pankau, Unendliche Rede. Zur Formulierung des Rhetorischen in der deutschen Romantik, Oldenburg 1990, S.27.) – Vgl. zur Rhetorik auch L42, A36, 111, 116, 157, 168, 252, 258, 426, FPL [V] 8, 12–14, 17–19, 26, 29, 38, 42, 47, 131, 152, 168, 184, 209, 221, 246, 273, 311, 319, 336, 346, 352, 398; Novalis, AB581, 1107, 1142; Schleiermacher, GIII52f. u. ö. Siehe auch Anm. 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘). -- Krause; Schanze, Aufklärung, S.94–106; ders., Rhetorik, S.130–136; ders., Romantische Rhetorik. In: Romantik-Handbuch, S.336–350. 137: 35,38 sophistischen Mißbrauch der Philosophie] Siehe Anm. 31,3f. zu A96 (‚Sophist‘). 137: 35,39 die improvisierte Politik] Siehe Anm. 91,24 zu Id101 (‚Politik‘). 137: 36,1 Rousseau und Fichte] Über Rousseau siehe Anm. 19,16 zu L111; vgl. zu Fichte A216, 281, 295, 316, 360, Id105, 135, FPL [IV] 47, 61f., 84, 106, 186, [V] 129, 148, 166, 196, 228, 621, 647, 818, 881, 888, 935, 1114; Novalis, BL113, Lg11, 21, T56, AB155, 463, 1073, 1096, 1098, 1147; Schleiermacher, G I 18, 216 u. ö. -- Link, Fichte-Rezeption. 137: 36,2 die nicht glauben, wo sie nicht sehen] Nach Joh.20,29 spricht der auferstandene Christus zu seinem ‚ungläubigen‘ Jünger: „Weil du mich gesehen hast, Thomas, so glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ 137: 36,2 Ideal] Siehe Anm. 75,3 zu A412. 137: 35,37–36,3 Es gibt eine materiale !…" für chimärisch zu halten] Novalis’ Titel zu diesem Fragment lautet: „Die materiale Rhetorik – die erhabne Freundinn von Rousseau und Fichte.“ 138: 36,6 Fantasie] Siehe Anm. 15,19f. zu L69.

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138: 36,9f. republikanische Verfassung !…" liberale Gesinnung] Siehe Anm. 14,40 zu L65 (‚republikanisch‘) und 10,34f. zu L26 (‚liberal‘). 138: 36,4–10 Die Tragiker !…" Gesinnung haben] Vorstufen zu diesem Fragment liegen in FPL [V] 450, 704 und 860 vor. Als Titel wählte Novalis: „Profetische Dramen.“ 139: 36,11 Aus dem romantischen Gesichtspunkt] Siehe Anm. 13,30 zu L49 (‚romantisch‘). 139: 36,12f. Materialien und Vorübungen der Universalität] Siehe Anm. 9,9f. zu L4 (‚Materialien‘) und 83,15 zu A451 (‚Universalität‘). 139: 36,11–14 Aus dem romantischen Gesichtspunkt !…" original sind] Novalis gab dem Fragment folgenden Titel: „Der rechte Standpunct für die Ungeheuer der Poësie.“ 140: 36,15–17 Die Eigenschaft des dramatischen Dichters !…" zu ziehn] Von August Wilhelm Schlegel. – Siehe Anm. 13,19f. zu L45 (‚Drama‘) und 20,20 zu L119 (‚lyrisch‘). – Hardenbergs Überschrift lautet: „Großmuth und Liebe oder der dramatische und lyrische Dichter.“ 141: 36,18–21 Es heißt, in englischen und deutschen Trauerspielen !…" vorzustellen?] Von August Wilhelm Schlegel. – Siehe Anm. 13,30f. zu L49 (‚Engländer‘), 12,16f. zu L38 (‚Deutschheit‘), 11,3–5 zu L30 (‚Tragödie‘), 13,12f. zu L45 (‚Franzosen‘) und 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘). – Novalis gab diesem Fragment den Titel: „Der große Verstoß, oder die französischen Tragödien.“ 142: 36,22f. Hemsterhuys vereinigt Platos schöne Seherflüge mit dem strengen Ernst des Systematikers] Siehe Anm. 19,8 zu L108 über F.Hemsterhuis und 15,14f. zu L69 über Plato, siehe auch Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘). 142: 36,23 Jacobi hat nicht dieses harmonische Ebenmaß] Schlegel rezensierte Friedrich Heinrich Jacobis Roman Woldemar (1779 und 1796; vgl. KFSA2, S.57–77). Vgl. zu Jacobi (1743–1819) auch A346, 449, PhL [II] 364, [IV] 654, 659, 1014, 1304 und Friedrich Schlegels Brief an seinen Bruder, 7.5.1799 (KFSA24, S.283f.). Siehe Anm. 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘). 142: 36,24 den Instinkt des Göttlichen] Siehe Anm. 19,8 zu L108 (‚Instinkt‘) und 47,30 zu A232 (‚Gott‘). 142: 36,26 Antiken] Statuen. 142: 36,28 in den Grenzen des Schönen] Siehe Anm. 32,4 zu A108 (‚schön‘). 142: 36,22–30 Hemsterhuys !…" gewahr wird] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis verfaßte dazu den Titel: „Hemsterhuis und Jacobi.“ 143: 36,31f. Man kann niemand zwingen, die Alten für klassisch zu halten !…" hängt zuletzt von Maximen ab] Siehe Anm. 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘) und 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). – Hardenberg gab dem Fragment den Titel: „Kann man jemand zum philologischen Glauben zwingen?“ 144: 36,33f. Das goldne Zeitalter der römischen Literatur war genialischer !…" korrekter] Die literarische Stilepoche der goldenen Latinität reicht von Cicero bis zum Tod Augustus’, also von ca. 80 v.Chr. bis 14 n.Chr. Diese Blütezeit der römischen Literatur ist gekennzeichnet durch die eigenständige Aneignung griechischer Vorbilder. Zu ihren Vertretern gehören Vergil, Ovid, Horaz,

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Properz, Tibull, Cicero und Sallust. Auf diese Phase der Klassik folgt bis etwa 120 n.Chr. die sog. silberne Latinität, die stilistische Kennzeichen der Spätzeit aufweist. Zu ihr zählen Seneca, Tacitus, Martial, Petronius u.a. (Wb Antike, S.242 und 685f. (‚goldene Latinität‘ und ‚silberne Latinität‘)). Zum Motiv des goldenen Zeitalters siehe Anm. 49,10 zu A243. Siehe auch Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘) und 50,34 zu A253 (‚korrekt‘). Von Novalis stammt folgende Überschrift: „Das genialische Gold und das korrekte Silber.“ 145: 36,35f. Als Dichter betrachtet ist Homer sehr sittlich, weil er so natürlich !…" ist] Vgl. zu Homer auch L13, 113, A51, 55, 156, 162, 231, FPL [V] 85, 270, 365, 426, 454, 558, 605, 782; siehe ferner Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘) und 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). -- Stefan Matuschek, Homer als ‚unentbehrliches Kunstwort‘. Von Wolfs „Prolegomena ad Homerum“ zur ‚Neuen Mythologie‘. In: Die schöne Verwirrung der Phantasie. Antike Mythologie in Literatur und Kunst um 1800, hg. von Dieter Burdorf und Wolfgang Schweickard unter Mitarbeit von Annette Gerstenberg, Tübingen und Basel 1998, S.15–28; Joachim Wohlleben, Die Sonne Homers. Zehn Kapitel deutscher Homer-Begeisterung von Winckelmann bis Schliemann. Göttingen 1990, S.54–65. 145: 36,36f. wie ihn die Alten !…" häufig betrachteten] Siehe Anm. 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘). 145: 36,35–38 Als Dichter betrachtet !…" sehr unsittlich] Vgl. zur ‚poetischen Sittlichkeit‘ auch A14. – Novalis verfaßte dazu den Titel: „Als Dichter sittlich, als Sittenlehrer unsittlich.“ Seine Kritik an diesem Fragment lautet: „Die Sittlichkeit des Homers versteh ich nicht.“ 146: 36,39 Wie der Roman die ganze moderne Poesie !…" tingiert auch die Satire] Tingieren: einfärben. Siehe Anm. 20,6f. zu L117 (‚Satire‘). – Mit der Betonung des Romancharakters der gesamten modernen Dichtung schließt sich dieses Fragment an A116 und dessen Charakterisierung der ‚romantischen Poesie‘ als „progressive Universalpoesie“ an. Siehe auch Anm. 10,34 zu L26 zum Roman. 146: 36,40f. bei den Römern doch immer eine klassische Universalpoesie] Siehe Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘) und 13,21 zu L46 über die Römer. – Den Begriff ‚Universalpoesie‘ gebraucht Schlegel in A116 für die „romantische Poesie“. Während er dort die Affinität der ‚romantischen Poesie‘ zum antiken Epos hervorhebt, beleuchtet A146 die Parallele zwischen modernem Roman und römischer Satire. 146: 37,1f. Um Sinn zu haben für !…" in der Prosa eines Cicero, Caesar, Suetonius] Siehe Anm. 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘). – Der römische Rhetor, Politiker und Schriftsteller Marcus Tullius Cicero (106–43 v.Chr.) gilt als Schöpfer der lateinischen Kunstprosa und Vermittler der griechischen Gedankenwelt; mit Ihm beschäftigen sich A152, 168, FPL [V] 130 und PhL [V] 86. – Der Staatsmann und Feldherr Gaius Iulius Caesar hinterließ zwei bedeutende Prosawerke, seinen Bericht über den Gallischen Krieg, De bello Gallico, und einen Kommentar zum römischen Bürgerkrieg, De bello civili. Vgl. zu Cäsar auch A148, 217, 326, 394 und Caesar und Alexander. Eine welthistorische Vergleichung (1796; KFSA7, S.26–55). – Gaius Suetonius Tranquillus (70–130/40) schrieb eine

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Reihe von Kaiserbiographien von Cäsar bis Domitian mit dem Titel De vita Caesarum, außerdem Biographien von Dichtern, Rednern und Grammatikern (De viris illustribus), von denen nur Bruchstücke erhalten sind. 146: 37,2 das Urbanste, das Originalste und das Schönste] Siehe Anm. 12,32 zu L42 (‚Urbanität‘) und 32,4 zu A108 (‚schön‘). 146: 37,3 die Horazischen Satiren] In seinen Satiren entwirft Horaz scharf beobachtete, humorvolle, aber auch zeitkritische Charakterzeichnungen. Über Horaz siehe Anm. 20,24f. zu L119 und 20,6f. zu L117 (‚Satire‘). 146: 36,39–37,4 Wie der Roman !…" der Urbanität] Vorstufen zu diesem Fragment finden sich in FPL [V] 32, 1092 und 1096. Vgl. auch Schleiermacher, GIII17. Über die Wirkung dieses Fragments gibt der Brief Friedrich von Hardenbergs an Schlegel vom 11.5.1798 Auskunft; Novalis schreibt dort seinem Freund: „Für Einen Begriff weis ich Dir noch insonders Dank, der bey mir schön ausgeschlagen ist – das ist Dein Begriff von der römischen Satyre Du wirst künftig Proben davon sehn“ (NO4, S.254). Diese „Proben“ liegen in den Vorarbeiten 159, 162 und (Anekdoten) 205 vor. (Immerwahr, KFSA24, S.388.) – Als Titel notiert Novalis: „Satyre und Roman. eine Ähnlichkeit.“ 147: 37,5f. Klassisch zu leben !…" ist der Gipfel und das Ziel der Philologie] Siehe Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘), 13,5f. zu L44 (‚Altertum‘) und 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘). 147: 37,6 ohne allen Zynismus] Siehe Anm. 14,28 zu L59 (‚cynisch‘). 147: 37,5f. Klassisch zu leben !…" möglich sein?] Als Titel schlug Novalis vor: „Wer strebt das Alterthum hervorzubringen, und was ist dazu erforderlich?“ 148: 37,7f. Die größte aller Antithesen !…" ist Caesar und Cato !…" dargestellt] Der römische Historiker Sallust (86–35/34 v.Chr.) stellt in seinem Werk De Catilinae coniuratione den überzeugten Republikaner und Vertreter der Senatsaristokratie Marcus Porcius Cato (95–46 v.Chr.) und den Popularen Cäsar (siehe Anm. 37,1f. zu A146) einander gegenüber als „zwei Männer, die hervorragend tüchtig, aber ganz verschieden geartet waren“. (Die Verschwörung des Catilina, Kap.53; zitiert nach Sallust, Werke und Schriften, Lat.-Dt. hg. von Wilhelm Schöne unter Mitwirkung von Werner Eisenhut, Stuttgart 21960.) Die nachfolgende vergleichende Charakteristik zeichnet Cato als Repräsentanten altrömischer Tugend, Cäsar als Vertreter einer neuen Zeit. Ein Porträt Cäsars gibt Friedrich Schlegel in seiner Studie Caesar und Alexander. Eine welthistorische Vergleichung (1796; KFSA7, S.26–55). – Novalis überschrieb das Fragment: „Die größeste Antithese.“ 149: 37,9f. Der systematische Winckelmann, der alle Alten gleichsam wie Einen Autor las] Vgl. zu Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) auch A271, 310, Id102, 135, FPL [III] 1, 3, 7, 9, 22, 33, 35, 53, 58, 75, 93, 113, 153, 196, [V] 157 u. ö. – Siehe auch Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘) und 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘). 149: 37,10 die Griechen] Siehe Anm. 13,21 zu L46. 149: 37,11f. die Wahrnehmung der absoluten Verschiedenheit des Antiken und des Modernen] Vgl. hierzu etwa die Gegenüberstellung von Skulpturen alter

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und moderner Künstler in Winckelmanns Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst (1755; Uhlig, S.10–12). Über die Beziehung der ‚Alten‘ zu den ‚Modernen‘ siehe Anm. 16,29f. zu L84 und 21,4 zu L123 (‚absolut‘). 149: 37,14 die war, ist oder sein wird] Ein Anklang an die feierlich-gehobene Sprache der Bibel, vgl. Apoc.1,8 („Gott der Herr, der da ist und der da war und der da kommt“). 149: 37,15 der Kontur der Wissenschaft] Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘). 149: 37,9–16 Der systematische Winckelmann !…" gedacht werden könne] Vgl. auch A231 und 242; Vorstufen zu diesem Fragment liegen vor in FPL [III] 1, [V] 236 und 1049, wo Schlegel den aufschlußreichen Satz notiert: „Die Alten habe ich !!" immer als einen einzigen Autor gelesen.“ – Friedrich Schlegel beschäftigte sich intensiv mit Winckelmanns Schriften und plante für das ‚Athenäum‘ einen Aufsatz über ihn, der aber nicht zustande kam. (Vgl. den Brief an August Wilhelm Schlegel vom 31.10.1797; KFSA24, S.32.) – Novalis gab dem Fragment den Titel: „Der Erfinder der materialen Alterthumslehre.“ 150: 37,17–20 Der Agrikola des Tacitus !…" triumphieren] Der römische Historiograph Publius Cornelius Tacitus (58–120) verfaßte eine Biographie seines Schwiegervaters mit dem Titel De vita Iulii Agricolae. Vgl. zu Tacitus auch A166, 217 und 231. Siehe auch Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘) und 74,41 zu A410 (‚Ökonomie‘). – Novalis’ Titel für dieses Fragment lautet: „Über eine historische Canonisation des Alterthums.“ 151: 37,21f. Jeder hat noch in den Alten gefunden !…" sich selbst] Schlegel spricht hier vermutlich von seinen eigenen Erfahrungen beim Studium der antiken Literatur, der er eine klärende, ‚therapeutische‘ Wirkung zumaß. – Als Titel formulierte Novalis die Frage: „Was findet jeder in den Alten?“ 152: 37,23–25 Cicero war ein großer Virtuose der Urbanität !…" hätte werden können] „!H"ier ist jedes Prädikat im Grunde eine schneidende Negation, verstärkt im zweiten Teil durch Verwendung des Irrealis; ‚versteckt‘ ist in diesem einen Satz freilich auch noch etwas: ein unerhört anspruchsvoller Begriff von wahrer Philosophie und Sittlichkeit; auf ihn wird man anläßlich Ciceros aufmerksam gemacht“ (Mennemeier, Brennpunkte, S.30f.). Über Cicero siehe Anm. 37,1f. zu A146. Siehe auch Anm. 12,32 zu L42 (‚Urbanität‘) und 13,21 zu L46 über die Römer. – Eine Vorstufe findet sich in FPL [V] 130. – Novalis notierte hierzu den Titel: „Cicero, was er war, nicht war und seyn konnte.“ 153: 37,26–28 Je populärer ein alter Autor ist, je romantischer ist er !…" immer noch machen] Siehe Anm. 15,9 zu L68 (‚Autor‘), 13,30 zu L49 (‚romantisch‘) und Anm. 16,29f. zu L84 über das Verhältnis der Moderne zu den ‚Alten‘. Das Fragment ist aus PhL [IV] 244 hervorgegangen. Als Titel schlug Novalis vor: „Popularitaet und Romantismus.“ 154: 37,29 Wer frisch vom Aristophanes, dem Olymp der Komödie, kommt] Über Aristophanes siehe Anm. 10,1f. zu L13; vgl. zur Komödie auch A244, 246, 251, 371, FPL [V] 64, 97f., 106, 149, 247, 275, 322, 397, 521, 546, 786, 803, 810, 1008, 1161; Novalis, AB1069 u. ö.

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154: 37,30 die romantische Persiflage] Siehe Anm. 13,30 zu L49 (‚romantisch‘). 154: 37,31 Athene] Pallas Athene, Schutzgottheit der Stadt Athen, Göttin des Handwerks und der bildenden Künste. 154: 37,29–32 Wer frisch vom Aristophanes !…" auf die Erde verflog] Novalis verfaßte dazu den Titel: „Der Olymp der Komoedie und die romantische Persifflage.“ 155: 37,33 Die rohen kosmopolitischen Versuche der Karthager] Karthago unterhielt im 5. Jahrhundert v.Chr. ein Bündnissystem im nördlichen Mittelmeerraum, mit dessen Hilfe es dort seine Vormachtstellung bis zum zweiten Punischen Krieg behaupten konnte. Nach dem dritten Punischen Krieg zerstörte Rom im Jahr 146 v.Chr. seine nordafrikanische Rivalin endgültig. 155: 37,34 politische Universalität der Römer] Siehe Anm. 91,24 zu Id101 (‚Politik‘), 83,15 zu A451 (‚Universalität‘) und 13,21 zu L46 (‚die Römer‘). Vgl. PhL [II] 895 über die ‚ethische Universalität‘ der Römer. 155: 37,35 Naturpoesie ungebildeter Nationen gegen die klassische Kunst der Griechen] Siehe Anm. 22,9f. zu A4 (‚Naturpoesie‘) und 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). 155: 37,36f. Geist !…" Buchstaben] Siehe Anm. 15,16 zu L69. 155: 37,37 naive Tyrannen] Siehe Anm. 26,35 zu A51 (‚naiv‘). 155: 37,33–37 Die rohen !…" Tyrannen gehabt] Novalis gab dem Fragment den Titel: „Römer, die Mystiker des Despotismus.“ 156: 37,38 Der komische Witz ist eine Mischung des epischen und des jambischen] Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘) und 20,31 zu L121 (‚Epos‘). Den Terminus ‚Mischung‘ entlehnt Schlegel der Sprache der zeitgenössischen Naturwissenschaft (siehe Anm. 11,12–15 zu L32), um Aristophanes in seiner Nähe zu Homer und zu Archilochus zu charakterisieren. 156: 37,39 Aristophanes ist zugleich Homer und Archilochus] Über Aristophanes siehe Anm. 10,1f. zu L13, über Homer 36,35f. zu A145. Der griechische Lyriker Archilochus entwickelte im 7. Jahrhundert v.Chr. den Jambus. 156: 37,38f. Der komische Witz !…" Archilochus] Dazu der Titel von Novalis: „Homer und Archilochus – in chemischer Verbindung.“ 157: 37,40–42 Ovid hat viel Ähnlichkeit !…" Dünnheit] Novalis überschreibt das Fragment: „Ovid und Euripides. eine Aehnlichkeit.“ 158: 38,1 Das Beste im Martial ist das, was Catullisch scheinen könnte] Wie bereits in den beiden vorausgehenden Fragmenten stellt auch A158 überraschende Beziehungen zwischen antiken Autoren verschiedener Epochen und zwischen Vertretern unterschiedlicher Gattungen her, hier zwischen Martial, dem Epigrammatiker des ersten nach-, und Catull, dem Lyriker des ersten vorchristlichen Jahrhunderts. – Als Titel schlägt Novalis vor: „Martial, als Catull.“ 159: 38,2 In manchem Gedicht der spätern Alten] Siehe Anm. 9,25f. zu L11 über die ‚Alten‘. 159: 38,2f. in der Mosella des Ausonius] In seiner Hexameterdichtung Mosella schildert der spätantike Dichter Decimus Magnus Ausonius (310–393) eine Reise auf Rhein und Mosel von Bingen nach Trier.

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159: 38,2f. In manchem Gedicht !…" das Antiquarische] Novalis verfaßt zu diesem Fragment die Überschrift: „Das Antike Antiquarische im modernen Alterthum.“ 160: 38,4f. Weder die attische Bildung des Xenophon, noch sein Streben nach dorischer Harmonie] Der griechische Schriftsteller Xenophon (426–355 v.Chr.) berichtet in der Anabasis vom Feldzug Kyros’ des Großen gegen Artaxerxes II. Mnemon im Jahr 401; nach dem Tod des Kyros hatte Xenophon die 10.000 Soldaten der griechischen Hilfstruppen in die Heimat zurückgeführt. Memorabilia nennt Xenophon seine Erinnerungen an Sokrates. Schlegels negative Beurteilung entspricht weitgehend der Kritik antiker Autoren an Xenophon, die den ‚echten‘ Sokrates bei ihm vermißten und seine historischen Schriften an Thucydides maßen. – Siehe auch Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘). 160: 38,5 sokratische Anmut] Zu Sokrates siehe Anm. 10,34 zu L26. 160: 38,4–10 Weder die attische Bildung !…" selbst war] In seinem frühen Aufsatz Von den Schulen der griechischen Poesie (1794; KFSA1, S.3–18) unterscheidet Schlegel „vier Hauptschulen: die Jonische, die Dorische, die Athenische, und die Alexandrinische“ (ebd., S.5). Unter ihnen ist die Dorische Schule durch innere Harmonie, „Größe, Einfalt und Ruhe“ gekennzeichnet. Sie bietet dem Betrachter „den Schein der Vollendung !…" Das Prinzip der Darstellung liegt in der „Mitte zwischen Natur und Ideal“ (ebd., S.11). Ihr folgt die Athenische Schule, die eigentliche Blütezeit der griechischen Dichtung, in der „das Ideal des Schönen“ (ebd., S.13) herrscht. Während die Dorische Schule vor allem auf dem Gebiet der Lyrik Hervorragendes leistete, führt die Athenische Schule das Drama zur Vollendung (ebd., S.12–15). – Als Titel wählt Novalis in Anlehnung an Matth.19,30: „Und die ersten werden die lezten seyn. eine philologische persönliche Paradoxe.“ 161: 38,11 die zyklische Natur des höchsten Wesens bei Plato und Aristoteles] Siehe Anm. 26,16 zu A43 (‚zyklisch‘) und 15,14f. zu L69 über Plato. Vgl. zu Aristoteles (384–322 v.Chr.) auch A162, 169, 187, FPL [V] 22, PhL [IV] 510; Schleiermacher, GIII66, 73–75, 77f., 81–83, 161 u. ö. 161: 38,12 Personifikation einer philosophischen Manier] Über Schlegels Begriff der Manier siehe Anm. 9,16f. zu L7 und 16,28 zu L83. 161: 38,11f. Sollte die zyklische Natur !…" Manier sein?] Siehe Anm. 26,16 zu A43 (‚zyklisch‘). Novalis gab dem Fragment die Überschrift: „Personification einer phil[osophischen] Manier – bey Plato und Aristoteles.“ 162: 38,13 Untersuchung der ältesten griechischen Mythologie] Vgl. zur Mythologie und zum umfassenden Entwurf einer auf Vernunftideen basierten ‚Neuen Mythologie‘, mit der Philosophie und Wissenschaft überboten werden sollten, A241, 304, 379, Id38, 59, 85, 137, PhL [II] 323, 393, 484, 555, 584, 688, 694, 713, 748, 773, 793, 803f., 819, 830, 833–836, 838, Rede über die Mythologie (1800; KFSA2, S.311–322); Schleiermacher, GIII61 u. ö. -- Manfred Frank, Der kommende Gott. Vorlesungen über die Neue Mythologie, Frankfurt am Main 1982; Frischmann, Transzendental, S.319–328; Heinz Gockel, Neue Mythologie; Stefan Matuschek, „Doch Homeride zu sein, auch nur als letzter, ist schön.“ Zur

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Bedeutung der Mythologie bei Friedrich Schlegel. In: DVjs 72 (1998), S.115–125; Schanze, Aufklärung, S.90–94. 162: 38,14 Instinkt des menschlichen Geistes] Siehe Anm. 19,8 zu L108 (‚Instinkt‘). 162: 38,15f. Die Homerische Götterwelt !…" die Hesiodische] Zu Homer siehe Anm. 36,35f. zu A145. Der griechische Dichter Hesiod (um 700 v.Chr.) hinterließ eine Theogonie, die den Ursprung der Götter- und Menschenwelt schildert. 162: 38,17–19 In der alten Aristotelischen Bemerkung, daß man die Menschen aus ihren Göttern kennenlerne] Über Aristoteles siehe Anm. 38,11 zu A161. 162: 38,13–20 Hat man nicht !…" Duplizität des Menschen] Novalis schrieb hierzu den Titel: „Griechische Mythologie – der Grund ihrer Bildung – mit einem phil[osophischen] Schlußaccord.“ 163: 38,21f. Die Geschichte der ersten römischen Caesaren !…" aller nachfolgenden] Siehe Anm. 13,21 zu L46 über die Römer, 9,11 zu L5 über die musikalische Metaphorik der Schlegelschen Fragmente und 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). Novalis formulierte dazu folgenden Titel: „Die Geschichte der römischen Caesaren, als musicalisches Thema.“ 164: 38,23f. Die Fehler der griechischen Sophisten] Siehe Anm. 13,21 zu L46 über die Griechen, über die Sophisten siehe Anm. 31,3f. zu A96. 164: 38,26 nicht der Absicht, aber dem Instinkt nach] Zum Begriffspaar Absicht und Instinkt siehe Anm. 10,24f. zu L23. 164: 38,26f. der Philosoph hat doch nur die Alternative, alles oder nichts wissen zu wollen] Schlegel spielt hier wohl auf den Sokrates zugeschriebenen Satz „Ich weiß, daß ich nichts weiß“, an (Platon, Apologia, 21c-d; Eigler 2, S.13–15). Dieses Diktum variieren auch A172, 267 und Novalis, Lg14, der sich dort auf vorliegendes Fragment beziehen dürfte. 164: 38,23–28 Die Fehler !…" keine Philosophie] Eine Vorstufe findet sich in PhL Beilage II21. Hardenbergs Titel dazu lautet: „Philosophischer Instinckt der griechischen Sophisten.“ 165: 38,29f. Im Plato finden sich alle reinen Arten der griechischen Prosa in klassischer Individualität unvermischt] Siehe Anm. 15,14f. zu L69 über Plato, 13,21 zu L46 über die Griechen ferner Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘). Das Partizip ‚unvermischt‘ entstammt der Sprache der zeitgenössischen Chemie (siehe Anm. 11,12–15 zu L32). Für die eigene Gegenwart lehnt Schlegel die „Reinheit“ der „klassischen Dichtarten“ jedoch ab, wie er in L60 erklärt. 165: 38,33f. eine ihm besonders eigne Art !…" die dithyrambische] Dithyramben hießen in der Antike die kultischen Weihegesänge des Dionysos. Vgl. zum Dithyrambus A181, FPL [V] 390, 477, 883, PhL [IV] 728, 732, 837; Novalis, VB105, AB28. 165: 38,29–36 Im Plato !…" der physischen hätte] Vorstufen und Parallelen zu diesem Fragment finden sich in FPL [V] 875, 877, 879f., 883; vgl. auch Die Entwicklung der Philosophie in zwölf Büchern (1804/5; KFSA12, S.215). – Als Titel schlug Novalis vor: „Plato, als Musterkarte der griechischen Prosen“.

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166: 38,37f. Nationen und Zeitalter zu charakterisieren !…" ist das eigentliche Talent des poetischen Tacitus] Über Tacitus siehe Anm. 37,17–20 zu A150. Siehe auch Anm. 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘) und 33,40f. zu A119 (‚Talent‘). 166: 38,39 der kritische Suetonius] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 37,1f. zu A146 über Sueton. 166: 38,37–39 Nationen und Zeitalter !…" der größere Meister] Das Fragment setzt die Reihe der Vergleiche antiker Autoren aus A156–158 fort. Vorstufen finden sich in FPL [V] 601 und 659. – Novalis überschrieb den Text: „Der kritische Sueton und der poëtische Tacitus.“ 167: 38,40 Fast alle Kunsturteile] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 167: 38,41 die schöne Mitte] Horazens Gesetz der aurea mediocritas bezeichnet die ‚goldene Mitte‘ zwischen zwei Extremen (Carmina, II10, Vers 5). 167: 38,40–42 Fast alle !…" in den Werken der Dichter] Novalis’ Titel zu diesem Fragment lautet: „Kranckheitsformen der Kunsturtheile.“ 168: 39,1 Cicero würdigt die Philosophien nach ihrer Tauglichkeit für den Redner] Siehe Anm. 37,1f. zu A146 über Cicero. 168: 39,2 die angemessenste für den Dichter] Zum Verhältnis von Philosophie und Poesie siehe Anm. 19,41f. zu L115. 168: 39,2f. Gewiß kein System] Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘). 168: 39,7f. Skeptizismus !…" Empirismus] Siehe Anm. 28,15 zu A66 (‚Skeptiker‘) und 46,39 zu A226 (‚Empirie‘). 168: 39,8f. welche Philosophie !…" Die schaffende, die von der Freiheit] Fichtes Philosophie. Siehe auch Anm. 85,35f. zu Id29 (‚frei‘). 168: 39,1–11 Cicero würdigt !…" Kunstwerk ist] Das Fragment ist hervorgegangen aus PhL [II] 749. Als Titel notiert Novalis: „Die Philosophie für den Dichter.“ 169: 39,12 Das Demonstrieren a priori] „Vom Früheren“. (Philosophische) Beweisführung, die nicht auf Erfahrung oder Wahrnehmung beruht, sondern sich lediglich logischer Schlüsse bedient. Vgl. zu diesem Verfahren auch A226, 235 und Novalis, FSt568. Siehe Anm. 29,24–26 zu A82 (‚demonstrieren‘). 169: 39,13f. Aristoteles machte durch den bloßen Begriff die Welt kugelrund] Zu Aristoteles siehe Anm. 38,11 zu A161. 169: 39,16f. Sonnensysteme der Pythagoräer] Die Pythagoräer lehrten, daß die Eigenschaften der Himmelskörper durch die Zahlen 1–10 bestimmt seien und daß diese bei ihren Umdrehungen Sphärenharmonien erzeugten. 169: 39,17f. Herschelsche Teleskope] Der Musiker und Astronom Friedrich Wilhelm Herschel (1738–1822) baute 1776 das erste leistungsfähige Spiegelteleskop. 169: 39,12–19 Das Demonstrieren a priori !…" gelangen?] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis schrieb dazu den Titel: „Die Seligkeit des Demonstrirens apriori.“ 170: 39,20 Warum schreiben die deutschen Frauen nicht häufiger Romane?] Siehe Anm. 18,30 zu L106 über die Frauen und Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘).

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170: 39,24 so viele Romane von englischen, so wenige von französischen Frauen] Siehe Anm. 13,30f. zu L49 (‚Engländer‘) und 13,12f. zu L45 (‚Franzosen‘). 170: 39,25f. affairierter Staatsmänner] Vielbeschäftigter Staatsmänner. 170: 39,20–33 Warum schreiben !…" fürchtet] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis’ Titel zu diesem Fragment lautet: „Romane schreiben, und Romane spielen, oder die Engländerinnen und Französinnen.“ 171: 39,34f. Ein französischer Beurteiler hat in Hemsterhuys Schriften le flegme allemand gefunden] „Das deutsche Flegma“. Frans Hemsterhuis (siehe Anm. 19,8 zu L108) war Niederländer. 171: 39,35f. Müllers Geschichte der Schweiz] Auf das Hauptwerk des Schweizer Historikers Johannes von Müller, Die Geschichte der Schweizer Eidgenossenschaft (5Bde., 1786–1802), beziehen sich auch die Fragmente A194, 224 und 449. Im ‚Athenäum‘ besprach Caroline Schlegel Müllers Fragmente aus den Briefen eines jungen Gelehrten (1798). 171: 39,39f. Ähnlichkeit mit genialischen Einfällen] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘). 171: 39,34–41 Ein französischer Beurteiler !…" nehmen würde] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis formulierte dazu den Titel: „Überschwengliche Dummheiten, mit Beyspielen.“ 172: 39,42f. ein charakteristisches Kennzeichen des dichtenden Genies !…", viel mehr zu wissen, als es weiß, daß es weiß] Das Fragment stellt eine Kontrafaktur zum Sokratischen „scio nescire“ dar, auf das auch A164 und 267 anspielen. Das ‚Wissen des Nichtwissens‘ verkehrt sich – dem ersten Grundsatz von Fichtes Wissenschaftslehre gemäß – zum ‚Wissen des Wissens‘; vom „dichtenden Genie“ wird dieses Vermögen sogar noch überboten. Ein ähnlicher Gedanke findet sich in Schlegels Aufsatz Über Goethes Meister (1798). Dort heißt es, die Kritik muß „über die Grenzen des sichtbaren Werkes mit Vermutungen und Behauptungen“ hinausgehen, „weil jedes vortreffliche Werk !…" mehr weiß als es sagt, und mehr will als es weiß“ (KFSA2, S.140). Vgl. hierzu auch PhL [IV] 1515. – Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘). 172: 39,42f. Man kann !…" daß es weiß] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis’ Überschrift zu diesem Fragment lautet: „Wer weiß mehr, als er weis, daß er weis?“ 173: 40,1f. Im Styl des echten Dichters !…" Hieroglyphe] Von August Wilhelm Schlegel. – Siehe Anm. 134,34f. zu PhL [V] 836 (‚Hieroglyphe‘) und 18,25 zu L104 (‚Styl‘). – Novalis gab dem Fragment den Titel: „Der Hieroglyphist.“ -Ralf Klausnitzer, „Im Styl des echten Dichters ist nichts Schmuck, alles notwendige Hieroglyphe“. Theorie und Praxis metaphorischer Rede in der Frühromantik. In: ‚Rhetorik. Ein internationales Jahrbuch‘ 20 (2002), S.40–66, hier S.50f. 174–193: 40,3–42,19 Eine Gruppe von 21 Fragmenten August Wilhelm Schlegels zur Malerei und bildenden Kunst. Novalis faßte die Aufzeichnungen Nr.175–193 unter folgendem Obertitel zuammen: „Aus den Bildenden Künsten.“ 174: 40,3 Die Poesie ist Musik für das innere Ohr, und Malerei für das innere Auge] Vgl. zur ‚synästhetischen‘ Vermischung der Künste in der romanti-

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schen Kunstauffassung auch die Fragmente A177, 193, 325, 372, 392, FPL [V] 67, 147, 1146, PhL [IV] 742 und Schleiermacher, GIII42. Siehe auch Anm. 40,17–19 zu A178 über die Malerei. A.W.Schlegels Formulierung klingt an Horazens Forderung einer ‚malenden‘ Dichtung an. (Ars poetica, Vers 361: „ut pictura poiesis !…"“.) – Siehe auch Anm. 9,11 zu L5 über die musikalischen Metaphern und Vergleiche in Schlegels Fragmentsammlungen. – Novalis verfaßte dazu den Titel: „Gedämpfte Musik und verschwebende Mahlerey. eine Synthese.“ -- Kapitza, Mischung, S.63–65. 174: 40,3f. Die Poesie !…" verschwebende Malerei] Von August Wilhelm Schlegel. 175: 40,5f. Mancher betrachtet Gemälde am liebsten mit verschloßnen Augen !…" gestört werde] Von August Wilhelm Schlegel. – Siehe Anm. 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘). – Novalis überschrieb das Fragment: „Der Betrachter mit verschloßnen Augen.“ 176: 40,7f. Von vielen Plafonds !…" voll Geigen hängt] Von August Wilhelm Schlegel. – Plafonds sind Zimmerdecken. – Als Titel schlug Novalis vor: „Wo hängt der Himmel voll Geigen?“ 177: 40,9 Für die so oft verfehlte Kunst, Gemälde mit Worten zu malen] Zu Malerei und Poesie, deren Verwandtschaft schon Horaz in der Ars poetica (mit weitreichenden Konsequenzen für die Dichtungstheorie bis ins 18. Jahrhundert) unterstrich, tritt im letzten Satz des Fragments als dritte Schwesterkunst die Musik. Siehe Anm. 40,3 zu A174 über die Verschwisterung der Künste und 40,17–18 zu A178 über die Malerei. 177: 40,10 Manier] Siehe Anm. 9,16f. zu L7 und 16,28 zu L 83. 177: 40,14f. Hierin ist Diderot Meister] Vgl. zu Diderot L3, A189 und besonders A181. Für die die alle zwei Jahre im Louvre stattfindenden Gemäldeausstellungen (Salons) verfaßte Diderot zwischen 1759–1781 zahlreiche Bildbeschreibungen und ausführliche Kunstkritiken, die in Friedrich Melchior Grimms (1723–1802) ‚Correspondence littéraire‘ veröffentlicht wurden. 177: 40,15 Er musiziert viele Gemälde] Siehe Anm. 9,11 zu L5 über die zahlreichen Anleihen bei der Sprache der Musik. 177: 40,15 der Abt Vogler] Georg Joseph, genannt Abbé Vogler (1749–1814), Komponist, Musiktheoretiker und Hofkapellmeister in Darmstadt. 177: 40,9–15 Für die so oft verfehlte Kunst !…" Vogler] Von August Wilhelm Schlegel. – Dazu der Titel von Novalis: „Der Wortkünstler von Gemählden.“ 178: 40,17f. Darf irgend etwas von deutscher Malerei im Vorhofe zu Raffaels Tempel aufgestellt werden] Vgl. ergänzend zu diesem Zeugnis quasi-kultischer Raffael-Verehrung im 18. Jahrhundert A372, FPL [V] 159, 1146, 1256, Vom Raffael (1803; KFSA4, S.48–60); AB7. -- Polheim, Arabeske, S.40–46. 178: 40,18 Albrecht Dürer] Vgl. zu Dürer auch Id120 und 135. 178: 40,18 Holbein] Die Augsburger Künstlerfamilie Holbein hat mehrere bedeutende Maler unter ihren Mitgliedern. Hier könnte sowohl Hans Holbein d.Ä. (1465–1524) als auch Hans Holbein d.J. (1497–1553) gemeint sein. 178: 40,19 der gelehrte Mengs] Vgl. über den klassizistischen Maler und Kunstschriftsteller Anton Raphael Mengs (1728–1779) auch A310.

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178: 40,17–19 Darf irgend etwas !…" Mengs] Von August Wilhelm Schlegel. – Vgl. über die Malerei auch A174, 177, 190, 193, 302, 308, 311, 325 und 372. Im ‚Athenäum‘ II, 1. Stück erschien Die Gemälde, ein Gespräch von Caroline und August Wilhelm Schlegel. – Novalis gab dem Fragment folgenden Titel: „Der deutsche Vorhof zu Raphaéls Tempel.“ 179: 40,20 Tadelt den beschränkten Kunstgeschmack der Holländer nicht] Im Unterschied zur idealisierenden ‚italienischen Schule‘ in der Malerei bevorzugt die ‚niederländische‘ die realistische, zuweilen auch karikierende, Darstellung von Szenen und Gegenständen des alltäglichen bäuerlichen und kleinbürgerlichen Lebens. Vgl. hierzu auch A181, 184 und 309. 179: 40,21f. ihre Gattungen selbst erschaffen] Siehe Anm. 22,8f. zu A4 (‚Gattungen‘). 179: 40,22f. von der englischen Kunstliebhaberei] Siehe Anm. 13,30f. zu L49 (‚Engländer‘). 179: 40,20–23 Tadelt den beschränkten Kunstgeschmack !…" rühmen?] Von August Wilhelm Schlegel. – Dazu verfaßt Novalis den leicht ironischen Titel: „Trost für den Holländischen Geschmack.“ 180: 40,24–33 Die bildende Kunst der Griechen !…" Geschöpfe] Von August Wilhelm Schlegel. – Siehe Anm. 13,21 zu L46 über die Griechen. Novalis gab dem Fragment folgenden Titel: „Die specifische Schamhaftigkeit der griechischen Künstler.“ 181: 40,34 Rubens’ Anordnung ist oft dithyrambisch] Der niederländische Maler Peter Paul Rubens (1577–1640) fand durch seinen Italienaufenthalt zu einem repräsentativen Barockstil, der durch kühne Bewegungen und spannungsvolle Hell-Dunkel-Kontraste gekennzeichnet ist. Siehe Anm. 40,20 zu A179 über die niederländische und die italienische Schule in der Malerei. Siehe Anm. 38,33f. zu A165 (‚Dithyrambus‘). 181: 40,35f. Das Feuer seines Geistes kämpft mit der klimatischen Schwerfälligkeit] Autoren des 18. Jahrhundert, u.a. auch Herder, untersuchen den Einfluß von Klima und Landschaft auf Charakter und Temperament des Menschen. Während das mildere, warme Klima südlicher Regionen einen ‚leichtblütigen‘ Menschentyp hervorbringe, begünstige das kältere und rauhere Klima des Nordens eher den schwerfälligen, in sich zurückgezogenen Charakter. 181: 40,37 Flamänder] Flame. 181: 40,34–37 Rubens’ Anordnung !…" kein Flamänder sein] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis überschrieb das Fragment: „Schade, daß er ein Flamänder war.“ 182: 40,39f. Sich eine Gemäldeausstellung von einem Diderot beschreiben lassen !…" kaiserlicher Luxus] Von August Wilhelm Schlegel. – Vgl. zu Diderot L3, A189 und insbesondere A177 über seine Beschreibung der Gemälde in den Ausstellungen des Pariser Salons. – Novalis’ Titel dazu lautet: „Wahrhaft kayserlicher Luxus. Ein gegen Diderot englisch freygebiges Fragment.“ 183: 40,41 Hogarth hat die Häßlichkeit gemalt, und über die Schönheit geschrieben] Von August Wilhelm Schlegel. – Der englische Maler, Graphiker und Kunsttheoretiker William Hogarth (1697–1764) wurde besonders durch seine

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„moral pictures“, humoristische und satirische Gemäldezyklen, bekannt. Während er in diesen gesellschaftskritischen Darstellungen des zeitgenössischen Lebens „die Häßlichkeit gemalt“ hat, trägt Hogarths kunsttheoretische Schrift, auf die Schlegel hier anspielt, den Titel The analysis of beauty. Written with a view of fixing the fluctuating ideas to taste. (1753; dt. von C.Mylius, Zergliederung der Schönheit, die schwankenden Begriffe von dem Geschmack festzusetzen.) Vgl. zu Hogarth auch Novalis, Vorarbeiten 159. Siehe Anm. 32,4 zu A108 (‚schön‘). – Novalis überschrieb das Fragment: „Der bizarre Hogarth.“ 184: 41,1 Peter Laars Bambocciaten sind niederländische Kolonisten in Italien] Der niederländische Maler Pieter Laer (1582–1642) wurde wegen seiner verwachsenen Gestalt ‚Bamboccio‘, Knirps, Puppe, genannt; er malte als erster realistische, groteske oder auch derbkomische Darstellungen des italienischen Volkslebens; dieses Genre wurde nach ihm ‚Bambocciaden‘ genannt. Aufgrund seiner Herkunft und seines künstlerischen Werdegangs treffen sich im Werk Laers (wie auch bei Rubens, siehe Anm. 40,34 zu A181) Merkmale der niederländischen und der italienischen Schule (siehe Anm. 40,20 zu A179). 184: 41,1–3 Peter Laars !…" haben] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis gab dem Fragment folgenden Titel: „Niederländische Colonisten in Italien.“ 185: 41,5 daß der Olympische Jupiter nicht aufstehen durfte] Vgl. hierzu Strabo, Geographica, 8,3,30; die Aufzeichnung könnte sich aber auch auf eine Passage in J.J.Winckelmanns Sendschreiben über die Gedanken von der Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst (1756) beziehen, in dem es heißt: „Ist es nichts, daß Phidias seinen sitzenden Zeus so groß gemacht hat, daß er beinahe an die Decke des Tempels gereichet, und daß man befürchten müssen, der Gott werde das ganze Dach abwerfen, wenn es ihm einmal einfallen sollte aufzustehen? Man hätte weislicher gehandelt, diesen Tempel ohne Dach, wie den Tempel des Olympischen Jupiters zu Athen zu lassen“ (Uhlig, S.47). 185: 41,4–9 Der Gegenstand !…" multipliziert] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis verfaßte dazu den Titel: „Der Gegenstand und die Dimension.“ 186: 41,12 einen alten Griechen] Siehe Anm. 13,21 zu L46 über die Griechen. 186: 41,13 ein Stück mit Rembrandtschen Helldunkel] Charakteristisch für Rembrandts Malweise sind rote und goldene Töne, die sich vom dunklen Hintergrund abheben. Vgl. auch A421. 186: 41,14 im Lande der Cimmerier] In Südrußland ansässiger ‚barbarischer‘ Volksstamm, der nach antiker Auffassung am Rande der Welt in immerwährender – sprichwörtlich gewordener – Finsternis lebte. 186: 41,10–14 Wir lachen mit Recht !…" Cimmerier?] Von August Wilhelm Schlegel. – Dazu der Titel von Novalis: „Die Chineser und die Cimmerier.“ 187: 41,16–18 Alle höhere bildende Kunst !…" reinigt die Sinne, wie die Tragödie nach Aristoteles die Leidenschaften] Im sechsten Kapitel seiner Schrift Über die Dichtkunst bestimmt Aristoteles die Wirkung der Tragödie: sie erregt

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Furcht und Mitleid (oder: Rührung und Jammer) und erreicht dadurch die lustvolle Katharsis dieser Affekte. Siehe auch Anm. 38,11 zu A161 über Aristoteles. 187: 41,18f. in schmutzigen Seelen kann selbst eine Vestalin Begierden erregen] Vestalinnen hießen im antiken Rom die jungfräulichen Priesterinnen der Göttin Vesta, die als Gottheit des Herdes und des Feuers verehrt wurde. Vielleicht spielt die Aufzeichnung auf Nero an, der nach Sueton eine Vestalin vergewaltigt haben soll (De vita Caesarum, Kap.28). 187: 41,15–19 Kein kräftigeres Mittel !…" erregen] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis überschrieb das Fragment: „Ein Antivenereum.“ 188: 41,21f. ein versoffner Gastwirt wie Jan Steen] Jan Steen (1626–1679), einer der bedeutendsten Vertreter der holländischen Genremalerei; er bevorzugt humorvolle bis ironische Schilderungen des bäuerlichen und kleinbürgerlichen Lebens, besonders Wirtshausszenen, Familienfeste und dergleichen. 188: 41,20–23 Gewisse Dinge !…" Gastwirt zu werden] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis’ Titel zu diesem Fragment lautet: „Ein Wirthshaus und ein Brantweinglas, oder der besondre Weg zum originalen Künstler.“ 189: 41,24f. Das wenige, was in Diderots Essai sur la peinture nicht taugt, ist das Sentimentale] Vgl. zu Diderot L3 und A177. Seine kunsttheoretische Schrift Essai sur la peinture, mit der sich auch A201 beschäftige, erschien 1795 (entstanden bereits 1766). – Zum Begriff des ‚Sentimentalen‘ siehe Anm. 11,6 zu L31. 189: 41,24–26 Das wenige !…" zurecht gewiesen] Von August Wilhelm Schlegel. – Hardenberg formulierte dazu folgenden Titel: „Diderots Essai de Peinture.“ -- Eichner, Theorie der romantischen Poesie, S.172. 190: 41,31 romantische Szenen] Siehe Anm. 13,30 zu L49 (‚romantisch‘). 190: 41,32f. der größte Maler schauerlicher Wüsteneien, Salvator Rosa, war zu Neapel geboren] Salvator Rosa (1615–1673), italienischer Maler des Hochbarock, berühmt für seine phantasievollen, virtuosen Landschaftsbilder, Schlachtengemälde und für seine Gestaltung mythologischer Themen. Siehe auch Anm. 40,17–19 zu A178 über die Malerei. 190: 41,27–33 Die einförmigste !…" geboren] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis überschrieb das Fragment: „Antithetische KünstlerBildung.“ 191: 41,34f. Die Alten !…" liebten auch in der Miniatur das Unvergängliche !…" Bildnerei] Von August Wilhelm Schlegel. – Siehe Anm. 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘). – Novalis gab dem Fragment folgenden Titel: „Migniatur Sculptur – ihr Grund.“ 192: 41,36 Die alte Kunst selbst will nicht ganz wiederkommen] Der einleitende Satz des Fragments stellt die (alte) Kunst in einen doppelt spannungsvollen Bezug zur modernen Wissenschaft und zu deren ‚Bearbeitung‘ der Natur. Siehe Anm. 10,10 zu L16 und 19,41f. zu L115 (‚Künste und Wissenschaften‘), zum Verhältnis von Natur und Kunst Anm. 9,1 zu L1. 192: 41,40–42 der Geist des Mummius, der seine Kennerschaft an den korinthischen Kunstschätzen so gewaltig übte] Lucius Mummius, römischer Feldherr des 2. Jahrhunderts v.Chr. zerstörte Korinth und ließ berühmte Kunstwerke nach Italien abtransportieren (Hiltbrunner, S.356 (‚Mummius‘)). 1796/97

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raubte Napoleon während seines Feldzugs in Oberitalien wie auch später im Ägyptenfeldzug (1798/99) Kunstschätze von unermeßlichem Wert, um sie in den Louvre zu überführen. – Aus dem Brief Friedrich Schlegels und Schleiermachers an August Wilhelm Schlegel vom 27.2.1798 geht hervor, daß Friedrich Schlegel am Fragment seines Bruders Änderungen vorgenommen hat. Er schreibt: „Deine neuesten Fragmente haben mir eine große Freude gemacht, besonders die über die Kunst. Wie schön sind die einzelnen, und wie erst in Masse. Freylich müssen sie beysammen bleiben. !…" Was wirst Du aber sagen, wenn ich so frech bin, den Mummius mit einem andern etwas abgekürzten Fragm.[ent] von Dir zu synthesiren, und eine ähnliche Operazion mit dem großen über den plastischen Geist der Dichter !A193" vorzunehmen?“ (KFSA24, S.91.) Vgl. auch den Brief Friedrich Schlegels an August Wilhelm, Mitte März 1798: „Eigentlich synthesirt oder zusammengewalkt hab’ ich nur den einzigen Mummius, der mir als ein bedenklicher Mensch designirt wurde“ (KFSA24, S.103). 192: 41,36–42 Die alte Kunst !…" auferstanden] Von August Wilhelm Schlegel. – Dazu der Titel von Novalis: „Das Kunstschicksal – ein Revenant.“ 193: 42,2f. Sinn für bildende Kunst] Siehe Anm. 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘). 193: 42,3f. Pindar !…" der plastische unter den Dichtern] Über Pindar siehe Anm. 32,26 zu A115, ferner Anm. 40,3 zu A174 über die ‚synästhetische‘ Kunstauffassung der Romantiker. 193: 42,4f. seine dorische Weichheit] Vgl. A160 und siehe Anm. 38,4f. und 38,4–10 dazu. 193: 42,5f. Propertius, der in acht Zeilen ebensoviel Künstler charakterisieren konnte] Gemeint ist Properz’ (48–15 v.Chr.) Katalog bildender Künstler im 9. Stück des 3. Elegienbuchs: Gloria Lysippo est animosa ecfingere signa, exactis Calamis se mihi iactat equis, in Veneris tabula summam sibi poscit Apelles, Parrhasius parva vindicat arte locum, argumenta magis sunt Mentoris addita formae, at Myos exiguum flectit acanthus iter, Phidiacus signo se Iuppiter ornat eburneo, Praxitelen propria vendit ab urbe lapis. (Vers9–16.)

(„Lysipps Ruhm besteht darin, beseelte Statuen zu gestalten; Kalamis empfiehlt sich mir durch seine vollendeten Pferdeskulpturen; handelt es sich um Gemälde der Aphrodite, so nimmt Apelles den ersten Rang in Anspruch; Parrhasios heischt einen ehrenvollen Platz in der Kleinkunst; Mentors Gußform verbindet sich vorzüglich mit Gruppenbildern; der Akanthos des Mys windet sich gern auf engem Raum; Pheidias’ Zeus prunkt mit elfenbeinernem Standbild; den Praxiteles macht der Marmor seiner Vaterstadt berühmt“. Zitiert nach: Properz und Tibull, Liebeselegien, lat. und dt., neu hg. und übersetzt von Georg Luck, Zürich und Stuttgart 1964, S.178f.) – Siehe auch Anm. 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘). 193: 42,6 unter den Römern] Siehe Anm. 13,21 zu L46 über die Römer. 193: 42,6 Dante] Siehe Anm. 13,15f. zu L45.

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193: 42,9 diesen Sinn zu üben] Siehe Anm. 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘). 193: 42,10f. von dem Michelangelo lernen konnte?] Michelangelo Buonarotti (1475–1564) ließ sich durch Dantes Schilderung des ‚Purgatorio‘ zu den Fresken seines Jüngsten Gerichts in der Sixtinischen Kapelle anregen. Vgl. auch A372 zu Michelangelo. 193: 42,13–15 Bei Goethen !…" Er macht die bildenden Künste manchmal zum Gegenstande seiner Dichtungen] Zu Goethe siehe Anm. 9,13–15 zu L6. 193: 42,1–19 Wenn man sich !…" unverkennbar sein] Von August Wilhelm Schlegel. – Siehe Anm. 40,17–19 zu A178 über die Malerei. Zu diesem Fragment schrieb Novalis den Titel: „Die plastischen Dichter.“ 194: 42,23 Johannes Müller] Siehe Anm. 39,35f. zu A171. 194: 42,20–24 Als ein Merkmal der Echtheit antiker Münzen !…" Numismatiker des Menschengeschlechts] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis überschrieb das Fragment: „Der Numismatiker des Menschengeschlechts, oder vom edlen Roste.“ 195: 42,25–29 Hat Condorcet sich nicht ein schöneres Denkmal gesetzt !…" Umgange mit ihr?] Von August Wilhelm Schlegel. – Der Politiker und Philosoph Condorcet (1743–1794) wurde als Anhänger der Girondisten nach deren Sturz verhaftet und starb im Gefängnis. Sein Werk Esquisse d’un tableau historique des progrès de l’esprit humain (1794, dt. 1796: Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes) verfaßte er in einem Versteck innerhalb weniger Monate vor seiner Verhaftung. Er bringt darin trotz seiner eigenen aussichtslosen Situation seinen Glauben an die unendliche Perfektibilität der Menschheit im Gang der Geschichte zum Ausdruck. Dieses Modell einer unendlichen Progression prägt das Werk des jüngeren Friedrich Schlegel entscheidend. Die Anregung zur Lektüre Condorcets erhielt er von Caroline Böhmer (vgl. ihren Brief, Juni 1795, KFSA23, S.235f.). Vgl. Friedrich Schlegels Besprechung dieses Werks (KFSA7, S.3–10). – Novalis’ Titel dazu lautet: „Condorcets Denkmahl.“ -- Behler, Unendliche Perfektibilität – Goldenes Zeitalter, S.144. 196: 42,30f. Reine Autobiographien !…" Rousseau mit gehört] Über Rousseau siehe Anm. 19,16 zu L111. Seine Autobiographie, die Confessions, erschienen 1782. Vgl. hierzu und zur Gattung der ‚Bekenntnisse‘ das Gespräch über die Poesie (1800; KFSA2, S.337f.). 196: 42,32f. die des Benvenuto Cellini] Die Autobiographie des italienischen Künstlers Benvenuto Cellini aus dem 16. Jahrhundert, Vita di Benvenuto Cellini orefice e scultore fiorentino da lui medesimo scritta … (1728), wurde von Goethe ins Deutsche übersetzt. (Leben des Benvenuto Cellini, von ihm selbst geschrieben (1802), WA I 43 und 44.) 196: 42,39 Autopseusten] Neubildung analog zu ‚Autobiographen‘ aus griechisch ‚autos‘, selbst und ‚pseustes‘, Lügner. 196: 42,30–39 Reine Autobiographien !…" machen die Autopseusten aus] Vgl. auch A219 über Gibbons Lebenserinnerungen und A336 über JungStillings Autobiographie. – Novalis überschreibt das Fragment: „Classification der Autobiografen.“

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197: 42,42 Bei den Hyperboreern wurden nämlich dem Apollo Esel geopfert] Die Hyperboreer sind ein sagenhaftes Volk in Thrakien, bei dem Apollo, der Gott der Dichtkunst, den Winter zuzubringen pflegte. Kotzebue, gegen den A59 und 405 gerichtet sind, benannte nach dem Hyperboreer-Fragment seine Satire Der hyperboräische Esel oder Die heutige Bildung. Ein drastisches Drama !…" und philosophisches Lustspiel für Jünglinge (1799). August Wilhelm rächte sich dafür mit einer kleinen „Privatteufelei“ (Schleiermacher an A.W.Schlegel, 26.7.1800; FDES,KG V/4, S.174.) unter dem Titel Ehrenpforte und Triumphbogen für den Theater-Präsidenten von Kotzebue bey seiner gehofften Rückkehr ins Vaterland (1800). 197: 42,40–43 Schwerlich hat !…" sich ergötzte] Von August Wilhelm Schlegel. – Als Titel schlug Hardenberg vor: „Litterairischer Beweis, daß wir Hyperboreer sind.“ 198: 43,1–3 Ehedem wurde unter uns die Natur, jetzt wird das Ideal !…" natürlich sein soll] Von August Wilhelm Schlegel. – Vgl. auch folgende Fragmente über die Natur: A51, 141, 145, 397, Id28, 44, 47, 86, 103, FPL [I] 38, 60, [II] 10, 17, 19, [V] 71, 182, 218, 422, 426, 489, 677, 690, 901, 968, PhL [III] 268; Novalis, FSt608, BL13, 73, 94, GL13, 16, 36, 63, 67, Lg2, 4, 21, T10, 70, 75 u. ö. – Siehe Anm. 75,3 zu A412 (‚Ideal‘). Vgl. auch A202 über „die Notwendigkeit des Ideals in der Kunst“. – Novalis gab diesem Fragment den Titel: „Natur und Ideal, oder die Inseparables.“ („ … die Untrennbaren, die Unzertrennlichen“.) -- Zovko, S.120–125. 199: 43,5–8 Die Meinung von der Erhabenheit des englischen Nationalcharakters !…" Lächerlichkeit geliefert] Von August Wilhelm Schlegel. – Siehe Anm. 13,30f. zu L49 über die Engländer. – Novalis verfaßte dazu den Titel: „Wer hat zuerst die Erhabenheit des englischen Nationalkaracters bemerckt?“ 200: 43,9f. „Ich will einem Narren niemals trauen !…" bis ich sein Gehirn sehe.“] Der Narr in Was ihr wollt erwidert Malvolio, der aufgrund einer Intrige für verrückt gehalten wird: „Ei, ich will einem verrückten Menschen niemals trauen, bis ich sein Gehirn sehe“ (IV2). Siehe auch Anm. 20,30f. zu L121 über Shakespeare und 24,5f. zu A21 über Was ihr wollt. 200: 43,11f. papier maché aus Kantischen Schriften] Siehe Anm. 10,12 bzw. 10,11 zu L16 über Kant und die Kantianer. 200: 43,9–12 „Ich will einem Narren !…"“ !…" verfertigt] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis’ Titel zu diesem Fragment lautet: „Papier maché aus Kantischen Schriften, nebst einem Citate. eine Vermuthung.“ 201: 43,13f. Diderot ist im Fatalisten, in den Versuchen über die Malerei !…" bis zur Unverschämtheit wahr] Siehe Anm. 9,5 zu L3 über Diderot und dessen Roman Jacques le Fataliste et son Maître; mit dem Essai sur la peinture beschäftigt sich A189. Siehe auch Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘). 201: 43,13–16 Diderot !…" Notdurft verrichten sehen] Von August Wilhelm Schlegel. – Als Titel schlug Novalis vor: „Die schaamlose Wahrheit, oder der rechte Diderot, und seine Betrachtung.“ 202: 43,17–20 Seit die Notwendigkeit des Ideals in der Kunst !…" streuen] Von August Wilhelm Schlegel. Vgl. zur Forderung des Ideals in der

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Kunst A198. – Novalis’ Titel lautet: „Der Vogel des Ideals und das Salz der Aesthetik.“ 203: 43,21 Moritz liebte den griechischen Gebrauch] Vgl. A130 zu Karl Philipp Moritz. A.W.Schlegel bezieht sich in diesem Fragment auf Moritzens Götterlehre oder Mythologische Dichtungen der Alten (1791) und auf dessen zweibändiges Werk ANOYA oder Roms Alterthümer. Ein Buch für die Menschheit (1791–1796). 203: 43,21–25 Moritz !…" nicht versteht] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis überschrieb das Fragment: „Moritz. ein Versuch in Moritzischer Manier.“ 204: 43,26–28 Mag es noch so gut sein !…" Schriftsteller] Von August Wilhelm Schlegel. – Als Titel notierte Novalis: „Wo fehlt die beste Freude?“ 205: 43,29 Sie pflegen sich selbst die Kritik zu nennen] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 205: 43,30 Natur] Siehe Anm. 43,1–3 zu A198. 205: 43,32f. Nachahmungen der ehemaligen französischen Schönenweltsversemacherei] Siehe Anm. 13,12f. zu L45 über die Franzosen. ‚Schöne Welt‘ nennt das 18. Jahrhundert die vornehme, höfische Gesellschaft. 205: 43,34 Korrektheit gilt ihnen für Tugend] Siehe Anm. 50,34 zu A253 (‚korrekt‘) und 85,24 zu Id23 (‚Tugend‘). 205: 43,36 Priester im Tempel der schönen Wissenschaften] Wohl eine Anspielung auf das renommierte Rezensionsorgan ‚Bibliothek der schönen Wissenschaften‘, das A.W.Schlegel auch in A122 erwähnt. -- Immerwahr, KFSA24, S.375. 205: 43,36f. von dem Geschlecht !…" Cybele?] Den Priesterdienst der Kybele, einer phrygischen Fruchtbarkeits- und Vegetationsgottheit, deren Kult in römischer Zeit weit verbreitet war, versahen Kastraten. -- Schwenn, RE22, Sp.2250–2298 (‚Kybele‘). 205: 43,29–37 Sie pflegen !…" Cybele?] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis überschrieb das Fragment: „Die Kritik in Personen. Ein Portrait.“ 206: 43,38f. Ein Fragment muß gleich einem kleinen Kunstwerke !…" wie ein Igel] Dieses Fragment beleuchtet einen Aspekt der Fragmentpoetik (vgl. z.B. auch PhL [IV] 1333); seine apodiktisch vorgetragene Aussage wird von anderen Fragmenten (z.B. A259) relativiert. – Novalis schlug folgenden Titel vor: „Der Igel – ein Ideal.“ -- Chaouli, Critical Mass, S.142f.; ders., Laboratory, S.33; Härter, S.234–239; Pikulik, Frühromantik, S.126; Strack, Romantische Fragmentkunst, S.333f. 207: 43,40–42 Die Freigeisterei geht immer in dieser Stufenleiter fort !…" Gott der Vater] Von August Wilhelm Schlegel. – Dazu der Titel von Novalis: „Die Skale der Freygeisterey.“ 208: 44,1–3 Es gibt Tage !…" Seelen von Gedanken] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis notierte hierzu folgenden Titel: „Gedanckenseelen. eine Gedankenseele.“ 209: 44,4f. eine durch Konvenienzen gefesselte Sprache, wie etwa die französische] Konvenienz: gesellschaftliche Übereinkunft, Anständigkeit, Schicklichkeit. Siehe Anm. 13,12f. zu L45 über die Franzosen.

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209: 44,5f. durch einen Machtanspruch des allgemeinen Willens republikanisieren] Anspielung auf die Lehre von der ‚Volonté générale‘ (dem allgemeinen Willen einer Nation, der das Wohl aller zum Ziel hat), die Rousseau in seiner Schrift vom Contrat social (1762) entwickelt. Siehe auch Anm. 14,40 zu L65 (‚republikanisch‘). 209: 44,7f. den ehemals behaupteten göttlichen Ursprung aller Staatsgewalt] Mit dieser Behauptung legitimierten die Staatsdenker des 17. Jahrhunderts die absolute Gewalt des Monarchen. 209: 44,4–8 Sollte sich !…" gelten lassen kann] Von August Wilhelm Schlegel. – Mit A209 beginnt eine Gruppe von acht Fragmenten, in denen August Wilhelm und Friedrich Schlegel die Ereignisse der Französischen Revolution reflektieren. – Novalis verfaßte dazu folgenden Titel: „Eine Frage, in Beziehung auf eine arme, gefesselte Sprache.“ 210: 44,10f. Klopstock habe den französischen Dichter Rouget de Lisle !…" begrüßt] Siehe Anm. 35,9 zu A127 über Klopstock und 13,12f. zu L45 über die Franzosen. – Von Claude Joseph Rouget de Lisle (1760–1836) stammen Text und Melodie der französischen Nationalhymne (siehe die folgende Anm.). 210: 44,12f. da sein Marseiller Marsch funfzigtausend braven Deutschen das Leben gekostet] Der 1792 von Rouget de Lisle komponierte Kriegsgesang der französischen Rheinarmee, Chant de guerre pour l’armée du Rhin. Der Dichter Klopstock scheint in dieser Anekdote die Macht der Dichtung und der Musik so sehr zu überschätzen, daß er sie unmittelbar für die Kriegsopfer unter seinen Landsleuten verantwortlich macht. A.W.Schlegel korrigiert diesen lächerlichen Irrtum mit dem Hinweis auf den charismatischen Helden Simson, dem eine Eselskinnbacke genügte, um tausend Feinde zu erschlagen. 210: 44,13f. Schlug Simson die Philister nicht mit einem Eselskinnbakken?] Vgl. die sagenhafte Überlieferung von diesem Nationalhelden der Israeliten im Alten Testament, Richter 13–16. 210: 44,10–17 Man erzählt !…" keine Fliege tot schlagen] Von August Wilhelm Schlegel. – Novalis formuliert zu diesem Fragment den doppelt deutbaren Titel: „Die Marseiller Hymne – Todtschlägerinn ihrer Geschwister.“ 211: 44,18 Die Menge nicht zu achten, ist sittlich; sie zu ehren, ist rechtlich] Eine ähnlich kritische Unterscheidung zwischen Recht und Moral treffen A215, 373, 425; Schleiermacher, GV89, 101 und 175. Siehe auch Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). Vgl. hierzu auch Kant, Die Metaphysik der Sitten (1797), KA8, S.BA7. – Novalis gab diesem Fragment den Titel: „Was man mit der Menge thun und nicht, thun muß – nach dem Rechts und Sittengesetz.“ 212: 44,19f. Wert ist vielleicht kein Volk !…" forum Dei] „Gericht Gottes“. – Eine Vorstufe findet sich in PhL [II] 686. – Novalis sah für das Fragment folgenden Titel vor: „Die Freyheitswürdigkeit.“ 213: 44,21–23 Nur derjenige Staat verdient Aristokratie genannt zu werden !…" republikanische Verfassung hat] Vgl. hierzu das folgende Fragment, das von der ‚vollkommenen‘ Republik fordert, sie „müßte nicht bloß demokratisch, sondern zugleich auch aristokratisch und monarchisch sein“. Dieses utopische Postulat stellt das politisch-gesellschaftliche Pendant dar zum romantischen

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Programm einer Verschmelzung aller Künste und Wissenschaften (siehe Anm. 19,41f. zu L115), zur ‚synästhetischen‘ Wechselwirkung verschiedener Kunstdisziplinen (siehe Anm. 40,3 zu A174), zu Schlegels Theorie des Romans als gattungsmischender literarischer Form (siehe Anm. 97,15f. zu FPL [V] 4) oder auch zu seinem Ideal der Symphilosophie als geistigem Austausch und Ergänzung einander ebenbürtiger Individuen (siehe Anm. 19,33 zu L112). Vgl. auch Novalis, GL18 (zur ‚Thronfähigkeit‘ aller Menschen), GL22 und siehe Anm. 14,40 zu L65 (‚republikanisch‘). – Novalis überschreibt dieses Fragment: „Ächte Aristocratie.“ 214: 44,24f. Die vollkommne Republik müßte nicht bloß demokratisch, sondern zugleich auch aristokratisch und monarchisch sein] Vgl. das vorige Fragment, A370, Novalis, GL68 und den pointiert chiastischen Schlußsatz von Fragment GL22: „Der Ächte König wird Republik, die Ächte Republik König seyn.“ Siehe auch Anm. 14,40 zu L65 (‚republikanisch‘). 214: 44,26f. müßte das Gebildete das Ungebildete überwiegen und leiten] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 214: 44,24–27 Die vollkommne Republik !…" zu einem absoluten Ganzen organisieren] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 18,15 zu L103 (‚Ganzheit‘). – Vorstufen zu diesem Fragment finden sich in PhL [III] 80 und 83. 215: 44,28f. Kann eine Gesetzgebung wohl sittlich heißen !…" auf ihr Leben?] Vgl. A211 zu den einander widersprechenden Forderungen von Recht und Moral. Siehe auch Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). Das Fragment ist aus PhL [III] 111 hervorgegangen. 216: 44,30–38 Die Französische Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre, und Goethes Meister !…" was diese trieb] Vgl. PhL [II] 220, 222 und [IV] 748, in denen ebenfalls Fichtes und Goethes Werk als einander ebenbürtige Leistungen anerkannt werden. – Vorstufen und Parallelen zu diesem Fragment finden sich in FPL [XIII] 195, 199 und PhL [II] 662 („Die drei größten Tendenzen unsres Zeitalters sind die Wl.[Wissenschaftslehre] W[ilhelm] M.[eister] und die franz.[ösische] Revoluz[ion]. Aber alle drei sind doch nur Tendenzen ohne gründliche Ausführung.“). Siehe auch Anm. 15,1f. zu L66 und 27,40–28,2 zu A60 (‚Revolution‘), 36,1 zu A137 (Fichte), 9,13–15 zu L6 (Goethe) und 15,18f. zu L69 (‚Tendenz‘). – Wenn Schlegel an dieser Stelle Goethes Bildungsroman eine der „größten Tendenzen des Zeitalters“ nennt, knüpft er damit an die Forderung an, die er in A116 aufstellt, daß „alle Poesie romantisch sein“ soll. – In seinem Aufsatz Über die Unverständlichkeit (1800) interpretiert Friedrich Schlegel ausführlich „das berüchtigte Fragment von den drei Tendenzen“, dem „sogar demokratische Gesinnungen“ (KFSA2, S.366) vorgeworfen wurden, wie der Verfasser ironisch bemerkt: Dieses Fragment schrieb ich in der redlichsten Absicht und fast ohne alle Ironie. Die Art, wie es mißverstanden worden, hat mich unaussprechlich überrascht, weil ich das Mißverständnis von einer ganz andern Seite erwartet hatte. Daß ich die Kunst für den Kern der Menschheit, und die Französische Revolution für eine vortreffliche Allegorie auf das System des transzendentalen Idealismus halte, ist allerdings nur eine von meinen äußerst subjektiven Ansichten. !…" Alles übrige ist nur Chiffernsprache. Wer Goethes Geist nicht auch im Meister finden kann, wird ihn wohl überall vergeblich suchen. Die Poesie und der Idealismus sind die Centra der deutschen Kunst und

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Bildung; das weiß ein jeder. Aber wer es weiß, kann nicht oft genug daran erinnert werden, daß er es weiß. Alle höchsten Wahrheiten jeder Art sind durchaus trivial und eben darum ist nichts notwendiger als sie immer neu, und wo möglich immer paradoxer auszudrücken !…". (Ebd., S.366.)

Seinen Gebrauch des Begriffs ‚Tendenz‘ erläutert Schlegel hier ebenfalls: „das Wort bedeute in dem Dialekt der Fragmente, alles sei nur noch Tendenz, das Zeitalter sei das Zeitalter der Tendenzen“ (ebd., S.367). Und nicht nur auf das 216. ‚Athenäums‘-Fragment, sondern auf die Zeitschrift als Ganzes bezogen, nennt Schlegel einen Grund für die negative Reaktion mancher Leser und legt gleichzeitig ein provokantes Bildungsprogramm vor: „Goethe und Fichte, das bleibt die leichteste und schicklichste Formel für allen Anstoß, den das Athenaeum gegeben, und für alles Unverständnis, welches das Athenaeum erregt hat. Das Beste dürfte wohl auch hier sein, es immer ärger zu machen; wenn das Ärgernis die größte Höhe erreicht hat, so reißt es und verschwindet, und kann das Verstehen dann sogleich den Anfang nehmen. Noch sind wir nicht weit genug mit dem Anstoßgeben gekommen: aber was nicht ist kann noch werden“ (ebd.). – In einem seiner Beiträge unter der Rubrik „Korruskationen“ nimmt Joseph Görres auf dieses Fragment Bezug, wenn er schreibt: „Drei große Revolutionen sind sich in unsern Tagen begegnet, eins in ihren Principien, unabhängig von einander, und doch immer parallel in ihrem Gange, höchst verschieden in ihren Resultaten. Die Philosophie !…" Die Poesie !…" die Politik“ (GGS3, S.88–93); im Vorwort zu seiner Exposition der Physiologie (1805) spielt er erneut – nun jedoch scherzhaft – auf Schlegels Text an: „überhaupt kann ich alle Arten von Aberglauben nicht leiden, und ich halte das Buch vom Aberglauben nebst dem Noth- und Hülfsbüchlein und der Braunschweiger Mumme für die drey höchsten Tendenzen des Jahrhunderts“ (GGS2.2, S.7). -- Brauers, S.84; Eichner, Theorie der romantischen Poesie, S.182; Justus Fetscher, Tendenz, Zerrissenheit, Zerfall. Stationen der Fragmentästhetik zwischen Friedrich Schlegel und Thomas Bernhard. In: Totalität und Zerfall im Kunstwerk der Moderne, hg. von Reto Sorg und Stefan Bodo Würffel, München 2006, S.11–31, besonders S.15–17; Frischmann, Transzendental, S.134f.; Härtl, S.284–289; Pikulik, Frühromantik, S.130–134; Polheim, Arabeske, S.98–100; Radrizzani, S.181f.; Schanze, Das ‚kleine Buch‘; Scheier, Philosophische Tendenzen, S.303f.; Schlagdenhauffen, Schlegel, S. 152; Ziolkowski. 217: 44,40f. die unerklärlichern Züge der charakterisierten Individuen] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). 217: 44,41f. die wesentlichen Eigenschaften des historischen Styls] Siehe Anm. 18,25 zu L104 (‚Styl‘). 217: 45,4 Thucydides] Griechischer Historiograph des 5. Jahrhunderts v.Chr. 217: 45,6 Caesar] Siehe Anm. 37,1f. zu A146. 217: 45,6 jene innige und hohe Bildung eines Tacitus] Siehe Anm. A150 zu Tacitus und Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 217: 45,7f. die trocknen Fakta der reinen Empirie so poetisieren, urbanisieren und zur Philosophie erheben] Siehe Anm. 143,36f. zu BL22 (‚Faktum‘),

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48,28f. zu A239 (‚poetisieren‘) und 12,32 zu L42 (‚Urbanität‘). Nach Schlegels Ausführungen gelingt dem Historiker Tacitus die von den Romantikern geforderte Synthese von Poesie und Philosophie (hierzu siehe Anm. 19,41f. zu L115). 217: 45,9 Künstler] Siehe Anm. 14,35 zu L63. 217: 45,10f. isolierter Witz die Harmonie störte] Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘) und 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘). 217: 45,11 in der Historie] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). 218: 45,15–17 Man wundert sich !…" weil es immer geschieht] Vgl. zum Verhältnis von ‚Wunder‘ und ‚Alltagswelt‘ auch Heinrichs (und seines Vaters) Traum von der Blauen Blume in Novalis’ Roman Heinrich von Ofterdingen (NO1, S.195–202). 219: 45,18 Im Gibbon] Edward Gibbon (1733–1794), englischer Historiker. – Da Friedrich Schlegel im Brief an seinen Bruder vom 6.3.1798 ein Fragment über „Gibbons Memoirs und die Engländischen Kritiker“ (KFSA24, S.101) erwähnt, bezieht sich A219 wohl nicht auf Gibbons sechsbändiges römisches Geschichtswerk History of the Decline and Fall of the Roman Empire (1776–1788), sondern auf dessen Memoirs of the Life and Writings of Edward Gibbon (1796). Vgl. auch die Charakterisierung dieses Werks im Brief über den Roman (1800): „Es ist ein unendlich gebildetes und ein unendlich drolliges Buch !…", und wirklich ist der komische Roman, der darin liegt, fast ganz fertig. Sie werden den Engländer, den Gentleman, den Virtuosen, den Gelehrten, den Hagestolzen, den Elegant vom guten Ton in seiner ganzen zierlichen Lächerlichkeit durch die Würde dieser historischen Perioden so klar vor Augen sehn, wie Sie nur immer wünschen können. Gewiß man kann viele schlechte Bücher und viele unbedeutende Menschen durchsehn, ehe man so viel Lachstoff auf einem Haufen beisammen findet“ (KFSA2, S.338). – Am 26.8.1797 empfiehlt Friedrich Schlegel seinem Bruder: Vergiß ja nicht, Gibbon’s Memoirs bey Gelegenheit zu lesen. Es hat mir den größten Genuß gewährt zu sehen, wie der Pedant darin seine häusl[ichen] Kleinigkeiten mit derselben classischen Pracht und gemächlicher Würde ausbreitet, wie in seiner Geschichte. Es ist !!vielleicht"" eins der lehrreichsten und gewiß eins der lächerlichsten Bücher, die je geschrieben sind. Groß ist es meines Bedünkens daß er seine Lächerlichkeit selbst fühlte. Ich habe eine große Anhänglichkeit für alle Beschränkung, die man selbst weiß, und die aus Kraft und Vollendung in einer bestimmten Art entspringen. Auch seine freundschaftlichen Briefe sind ein würdigster größter und prächtigster historischer Styl, welcher oft zum Todtlachen ist. (KFSA24, S.9.)

Gibbon wird außerdem noch im Brief Friedrich Schlegels an Carl Gustav Brinckmann (1764–1847) vom Oktober 1797 erwähnt (ebd., S.26). Vgl. auch A196 über Autobiographien. -- Immerwahr, KFSA24, S.334f. 219: 45,18f. die gemeine Bigotterie der engländischen Pedanten für die Alten auf klassischem Boden] Siehe Anm. 13,30f. zu L49 (‚Engländer‘), 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘), 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). 219: 45,19 bis zu sentimentalen Epigrammen] Siehe Anm. 11,6 zu L31 (‚sentimental‘). 219: 45,21 für die Griechen gar keinen Sinn] Siehe Anm. 13,21 zu L46 über die Griechen und 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘).

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219: 45,22 an den Römern] Siehe Anm. 13,21 zu L46. 220: 45,26 Ist aller Witz Prinzip und Organ der Universalphilosophie] Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘) und vgl. A259 zum Begriff der Universalphilosophie. 220: 45,27 Geist der Universalität] Siehe Anm. 83,15 zu A451 (‚Universalität‘). 220: 45,27f. die Wissenschaft aller !…" Wissenschaften] Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘) und 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘) über die potenzierenden Formeln der Romantiker. 220: 45,28 logische Chemie] Über den Gebrauch von Vergleichen und Metaphern aus dem Bereich der Chemie siehe Anm. 11,12–15 zu L32 und 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘). Vgl. zur Metapher der ‚logischen Chemie‘, die sich auf das synthetische und analytische Vermögen der Philosophie bezieht, auch PhL [II] 155, 716 (‚transzendentale Chemie‘); Novalis, Vorarbeiten 476 (Studien zur bildenden Kunst: „Fichtes intellectuelle Chemie“) und AB785 („Lamberts Grund[lehre] ist intellectuale Chemie“). 220: 45,30f. Baco und Leibniz, die Häupter der scholastischen Prosa] Francis Bacon (1561–1626), Philosoph und Staatsmann, Begründer des englischen Empirismus, Kritiker der Scholastik und ihrer spekulativen Methode. Über Leibniz siehe Anm. 25,4f. zu A27. 220: 45,36f. echappées de vue ins Unendliche] Ausblicke. Siehe Anm. 13,26 zu L47 über den Begriff des Unendlichen. 220: 45,38 witzigen Fragmenten und Projekten] Siehe Anm. 24,14f. zu A22 (‚Projekte und Fragmente‘). 220: 45,38f. Kant der Kopernikus der Philosophie] Diese Charakterisierung von Kants epochaler geistesgeschichtlichen Bedeutung knüpft an dessen eigene Formulierung in der Vorrede zur Kritik der reinen Vernunft, 2.Aufl., an, die Kants Erkenntnistheorie mit Kopernikus’ Revolutionierung des (astronomischen) Weltbilds vergleicht: „Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche, über sie a priori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert würde, gingen unter dieser Voraussetzung zu nichte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserem Erkenntnis richten !…". Es ist hiemit eben so, als mit den ersten Gedanken des Kopernikus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das ganze Sternenheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen, und dagegen die Sterne in Ruhe ließ“ (S.BXVI). Vgl. zu diesem Gedanken Novalis, AB460 und HKS47, vgl. ferner A434 und BL106. Siehe auch Anm. 10,12 zu L16 über Kant. 220: 45,39f. synkretistischen Geist und kritischen Witz] ‚Synkretistisch‘ bedeutet hier: philosophische Lehren vermischend. Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 220: 45,40 Bildung] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘).

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220: 45,41f. auch geht es seinen Einfällen wie beliebten Melodien: die Kantianer haben sie tot gesungen] Siehe Anm. 9,11 zu L5 über den Gebrauch musikalischer Metaphern in Schlegels Fragmentsammlungen und Anm. 10,11 zu L16 über die Kantianer. 220: 45,44 genialische Einfälle] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘). 220: 46,3f. weil es noch keine kombinatorische Kunst und Wissenschaft gibt] Vgl. auch AB196 und 552. Siehe Anm. 10,10 zu L16 über dieses Begriffspaar. 220: 45,26–46,8 Ist aller Witz !…" konstruieren können?] Zu diesem umfangreichen Fragment über den Witz existieren zahlreiche Vorstufen und Parallelstellen: FPL [V] 84, 882, PhL [II] 274; vgl. auch A322 und Schlegels Aufsatz Über die Philosophie. An Dorothea (1799; KFSA8, S.57). -- Neumann, Ideenparadiese, S.453–456. 221: 46,9 A. Sie behaupten immer Sie wären ein Christ] Siehe Anm. 23,25f. zu A16 über das Christentum. 221: 46,12f. ein erst angefangnes Faktum, das also nicht in einem System historisch dargestellt !…" werden kann] „‚Faktum‘ heißt hier vor allem: nicht systematisch darstellbare Lehre, nicht ‚Wissenschaft‘, wie aus der Vorform des Fragments in den philosophischen Heften !PhL [II] 755" deutlicher wird“ (Schillemeit, S.139). Siehe Anm. 143,36f. zu BL22 (‚Faktum‘) und 26,22f. zu A46 (‚System‘). 221: 46,13 divinatorische Kritik] „Verstehen und Interpretieren erfordern immer einen Anteil Divination, um den geistigen Gehalt eines kulturellen Gebildes zu erfassen !…". Divination, ursprünglich als eine auf das Göttliche gerichtete Seherkunst, meint im hermeneutischen Prozeß Ahnen, Deuten, Phantasie walten lassen. Schlegels Theorem der Divination ist verbunden mit seiner Auffassung von der Unerschöpflichkeit des Geistigen, die auch jedes geistige Produkt betrifft. Divination geht über die Empirie hinaus und ist notwendig für jede Konstruktion von Theorie“ (Frischmann, Frühromantische Kritikkonzeption, S.95). Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘); vgl. A116, PhL [II] 308 und [IV] 699. -Zovko, S.23 und 154f. 221: 46,9–13 A. Sie behaupten !…" charakterisiert werden kann] Hervorgegangen aus PhL [II] 631. Mit der Wahl der Dialogform (vgl. u.a. auch A259 und Forberg, F22, 57, 96) schließt sich Schlegel in diesem Fragment an die reiche abendländische Tradition des literarischen Gesprächs an. Vielleicht hat ihm dabei als unmittelbares Vorbild Chamfort gedient, der unter der Überschrift „Petits Dialogues philosophiques“ (Oeuvres 1, S.319–336) kurze, pointierte Dialoge veröffentlichte und die Gesprächspartner teilweise nur mit Großbuchstaben oder mit fingierten Namen bezeichnete. Zur Dialogform äußert sich Friedrich Schlegel in seinem Brief an August Wilhelm, 15.1.1798 (KFSA24, S.78). Siehe auch Anm. 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘) und 29,8 zu A77 (‚Dialog‘). 222: 46,14 Der revolutionäre Wunsch, das Reich Gottes zu realisieren] Siehe Anm. 15,1f. zu L66 (‚revolutionär‘). 222: 46,14f. der elastische Punkt der progressiven Bildung, und der Anfang der modernen Geschichte] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 über die romantische

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Vorstellung einer unendlich progredierenden Bildung, 24,16f. zu A22 (‚progressiv‘) und 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). 222: 46,14–16 Der revolutionäre Wunsch !…" Nebensache] Eine Vorstufe findet sich in PhL [II] 119. 223: 46,17 Die sogenannte Staatenhistorie] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). 223: 46,19 reine Kunst oder Wissenschaft] Zu diesem Begriffspaar siehe Anm. 10,10 zu L16. 223: 46,21 Auch die Universalhistorie wird sophistisch] Siehe Anm. 31,3f. zu A96 (‚Sophist‘). 223: 46,22 Bildung der ganzen Menschheit] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘). 223: 46,23 wäre auch eine moralische Idee das heteronomische Prinzip] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘) und 34,4 zu A121 (‚Idee‘); heteronom, von fremden Gesetzen abhängig. 223: 46,25 rhetorische Seitenblicke] Siehe Anm. 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘). 224: 46,26–28 Johannes Müller tut in seiner Geschichte oft Blicke aus der Schweiz !…" eines Weltbürgers] Von August Wilhelm Schlegel. – Siehe Anm. 39,35f. zu A171 über J.von Müller und dessen Geschichte der Schweiz. 225: 46,29f. Strebt eine Biographie zu generalisieren, so ist sie ein historisches Fragment] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘) und 24,14f. zu A22 (‚Fragment‘). 225: 46,30 die Individualität zu charakterisieren] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘). 225: 46,31 ein Werk der Lebenskunstlehre] Vgl. FPL [V] 182; Novalis, T24 und AB596 sowie den Begriff ‚Lebenskunstsinn‘ in L108 und Novalis, FSt615 sowie BL5, „Lehrjahre der Kunst zu Leben“. Zu diesem Neologismus wurde Schlegel vielleicht von Herders Schrift Über den Einfluß der schönen in die höhern Wissenschaften (1781) angeregt, wo es heißt: „Die höchste Wissenschaft ist die Kunst zu leben“ (HE9, S.294). 225: 46,29–31 Strebt eine Biographie !…" Lebenskunstlehre] Vorstufen finden sich in FPL [V] 182 und 664. 226: 46,33 versuchen, die Geschichte ohne Hypothese anzufangen] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). 226: 46,34f. bezieht man Fakta schon auf Begriffe] Siehe Anm. 143,36f. zu BL22 (‚Faktum‘). 226: 46,38 Willkür] Siehe Anm. 10,9 zu L16. 226: 46,39 Empirie] Vgl. auch A75, 168, 316, 446, Id150, FPL [III] 92, [V] 24, 115, 118, 163 u. ö. und siehe Anm. 98,29 zu FPL [V] 18 über die Begriffsreihe mystisch – skeptisch – empirisch – eklektisch. 226: 46,39–41 a posteriori !…" a priori] „Vom Späteren her“ (d.h. aus der Erfahrung oder Wahrnehmung), „vom Früheren her“ (d.h. unabhängig von Erfahrung oder Wahrnehmung, allein durch logisches Schließen gewonnene Erkenntnis). Vgl. hierzu auch A169 und 235.

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227: 46,42 Geschichte der Menschheit] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘) und 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘). 227: 46,43 Sphären der Natur] Siehe Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘). 227: 47,1 die unbedingte Willkür] Siehe Anm. 141,4 zu BL1 (‚unbedingt‘) und 10,9 zu L16 (‚Willkür‘). 227: 47,2 der freien Notwendigkeit und notwendigen Freiheit] Vgl. zum Begriffspaar ‚frei‘ und ‚notwendig‘ A50; siehe Anm. 85,35f. zu Id29 (‚frei‘) sowie Anm. 10,4f. zu L14 über diesen paradoxen Chiasmus. 227: 47,5 Condorcet] Siehe Anm. 42,25–29 zu A195. 227: 47,5–7 der mehr als französische Enthusiasmus !…" Idee der unendlichen Vervollkommnung] Siehe Anm. 13,12f. zu L45 über die Franzosen, Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘) und 13,26 zu L47 (‚unendlich‘). 228: 47,8f. Die historische Tendenz seiner Handlungen bestimmt die positive Sittlichkeit] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 15,18f. zu A69 (‚Tendenz‘) und 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 229: 47,10 Die Araber sind eine höchst polemische Natur] Siehe Anm. 16,19 zu L81 (‚Polemik‘). 229: 47,10 Annihilanten] Vernichter; siehe Anm. 31,21–24 zu A103 (‚annihilieren‘). 229: 47,11f. wenn die Übersetzung fertig war] Siehe Anm. 15,32f. zu L73 (‚Übersetzung‘). 229: 47,14f. Barbarisch ist nämlich, was zugleich antiklassisch und antiprogressiv ist] Siehe Anm. 97,11 zu FPL [V] 3 (‚klassisch – progressiv‘). 229: 47,10–15 Die Araber !…" antiprogressiv ist] Vorstufen zu diesem Fragment finden sich in FPL [III] 171 und [IV] 170. 230–235: 47,16–48,2 Diese Gruppe von sechs Fragmenten über die Religion weist bereits auf das zentrale Thema der Ideen voraus. 230: 47,16–18 Die Mysterien des Christianismus !…" führen] Eine Vorstufe zu diesem Fragment findet sich in PhL [II] 658. Siehe Anm. 78,42 zu A427 (‚Mysterien‘), 23,25f. zu A16 (‚Christianismus‘), 98,29 zu FPL [V] 18 (‚mystisch – skeptisch – empirisch – kritisch‘). 231: 47,19f. Der Katholizismus ist das naive Christentum; der Protestantismus ist sentimentales] Siehe Anm. 23,25f. zu A16 (‚Christianismus‘) und 84,9 zu Id4 (‚Religion‘), zum Begriffspaar ‚naiv‘ und ‚sentimental‘ Anm. 11,6 zu L31; vgl. zur Gegenüberstellung der beiden Konfessionen auch Id66 und Novalis, T92. 231: 47,20 außer seinem polemischen revolutionären Verdienst] Siehe Anm. 16,19 zu L81 (‚Polemik‘) und 15,1f. zu L66 (‚revolutionär‘). 231: 47,21f. einer universellen und progressiven Religion] Siehe Anm. 83,15 zu A451 (‚Universalität‘) und 24,16f. zu A22 (‚progressiv‘). 231: 47,22 wesentliche Philologie veranlaßt zu haben] Siehe Anm. 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘). 231: 47,23 Urbanität] Siehe Anm. 12,32 zu L42. 231: 47,24 ein Homerisches Epos] Siehe Anm. 36,35f. zu A145 zu Homer und 20,31 zu L121 (‚Epos‘).

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231: 47,24f. Offenheit des Herodot !…" Strenge des Tacitus im Styl der klassischen Historie] Herodot von Halikarnassos (490/80–424 v.Chr.) war ein griechischer Historiograph und Völkerkundler. Über Tacitus siehe Anm. 37,17–20 zu A150. Siehe auch Anm. 18,25 zu L104 (‚Styl‘), 10,2 zu L13 (‚klassisch‘) und 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). 231: 47,26–28 die ganze Bibel als das Werk Eines Autors zu rezensieren !…" paradox !…" scheinen] D.h. so wie die Altphilologie bis dahin die Homerischen Epen behandelt hatte. Zur Bibel siehe Anm. 90,36f. zu Id95. Vgl. zu dieser Wendung auch A242 und A149, wo es von Winckelmann heißt, daß er „alle Alten gleichsam wie Einen Autor las“. Siehe Anm. 13,28f. zu L48 (‚paradox‘). 231: 47,19–29 Der Katholizismus !…" liberaler machen könnte?] Vorstufen zu diesem Fragment finden sich in FPL [III] 107, PhL [II] 631, 732. Siehe Anm. 10,34f. zu L26 (‚liberal‘). 232: 47,30 Da alle Sachen die recht Eins sind, zugleich Drei zu sein pflegen] Vorstufen finden sich in FPL [V] 391, PhL [II] 661 und 664. Vgl. zu Gott auch folgende Fragmente: L18, 30, A99, 142, 207, 262, 327, 333, 361, 406, 411, 419f., Id6, 8, 15, 18, 24, 29, 39f., 44, 47, 50, 68, 81, 91, 97, 110, 118f., 147; Novalis, BL34, 74, 83, 84, Lg7, 9, 16, 24; Schleiermacher, GIII33, 71, 76 u. ö. 233: 47,34–37 Die Religion !…" weniger Religion] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 85,35f. zu Id29 (‚frei‘). 234: 47,38f. daß es grade nur Einen Mittler geben soll] Vgl. zur christlichen Vorstellung des Mittlers und deren romantischer Transformation A327, Id44f., PhL [II] 866, 1002, 1057, [III] 451, [IV] 644, 681, 722, 740, 744, 781, 1483, 1486; Novalis, BL74, AB398 und Schleiermachers Reden über die Religion (1799; FDES,KG I/2, S.266–292). -- Brauers, S.132–135; Lindemann, S.30; Michel, Antithetische Synthesis, S.393f.; Nowak, Schleiermacher und die Frühromantik, S.129–134. 234: 47,39 Für den vollkommnen Christen] Siehe Anm. 23,25f. zu A16 (‚Christianismus‘). 234: 47,40 Spinosa] Baruch de Spinoza (1632–1677) vertrat einen Monismus neuplatonischer Prägung; seine pantheistische Philosophie brachte ihn in den Verdacht des Atheismus. Mitte der 80er Jahre des 18. Jahrhunderts lebt im sogenannten Spinozastreit die Auseinandersetzung um seine Philosophie erneut auf: F.H.Jacobi beurteilte den Spinozismus als Atheismus, während Herder diese Auffassung strikt ablehnte. Vgl. zu Spinoza auch A270, 274, 301, 346, 450, Id137, 150, FPL [V] 22, 28, PhL [II] 754, [VI] 10 u. ö. 234: 47,38–40 Es ist sehr einseitig !…" Mittler sein] Vorstufen zu diesem Fragment finden sich in FPL [V] 1086, PhL [II] 369 und 658. -- Michel, Antithetische Synthesis, S.394. 235: 47,41 Christus ist jetzt verschiedentlich a priori deduziert worden] Vgl. auch A169 und 226 über „Das Demonstrieren a priori“. 235: 47,42–48,1 ein ursprüngliches, ewiges, notwendiges Ideal] Siehe Anm. 75,3 zu A412 (‚Ideal‘). 235: 47,41–48,2 Christus !…" zu sein?] Hervorgegangen aus PhL [II] 659.

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236: 48,4 um ein Ideal darzustellen] Siehe Anm. 75,3 zu A412 (‚Ideal‘) 236: 48,5f. ein ganzes Kompendium der Moral] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 236: 48,7 Auslöschung der Individualität] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). 236: 48,8 Grandison ist ein Exempel, und kein Ideal] Samuel Richardson, The History of Sir Charles Grandison (1754). Die Titelgestalt des empfindsamen Briefromans wird vom Autor in didaktischer Absicht als vollkommener Gentleman von makelloser Tugend und nahezu übermenschlicher Sittlichkeit geschildert. 236: 48,3–8 Es ist ein grobes !…" kein Ideal] Von August Wilhelm Schlegel. 237: 48,10f. Humor ist gleichsam der Witz der Empfindung !…" wahrnimmt] Von August Wilhelm Schlegel. – Vgl. zum Humor A116, 305, 421, FPL [V] 137f., 385, 401, 516, 537, 782, 794, 1017, 1038, 1040, 1077, 1158, 1229; Novalis, BL29, 63, AB281, 287, 420. Über den Witz siehe Anm. 9,23 zu L9. – Ebenso wie der Humor soll nach A32 auch der Witz, nach Id84 die Sittlichkeit absichtslos sein. -- Mennemeier, Poesiebegriff, S.278f.; Polheim, Arabeske, S.214–218. 238: 48,13f. Es gibt eine Poesie, deren eins und alles das Verhältnis des Idealen und des Realen ist] In Schillers Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung (1795/96) ist dies ein Kennzeichen der sentimentalen Poesie: „Der sentimentalische Dichter hat es !…" immer mit zwey streitenden Vorstellungen und Empfindungen, mit der Wirklichkeit als Grenze, und mit seiner Idee als dem Unendlichen zu thun“ (NA20, S.441). Vgl. auch die Definition des Idealen in A412 und siehe Anm. 114,10 zu PhL [II] 137 über das Verhältnis des Realen und des Idealen. 238: 48,14f. die also nach der Analogie der philosophischen Kunstsprache Transzendentalpoesie heißen müßte] Analog zur Transzendentalphilosophie (siehe Anm. 48,17f. zu A238): Poesie, die die Bedingungen ihrer Entstehung mitreflektiert. – Vgl. zur Transzendentalpoesie auch A247, FPL [V] 560, 696, 702, 704, 731, 734, 746, 748, 761, 771f., 799, 804, 813, 819, 824, 848, 872, 886, 964, 1008, 1043, 1050, 1052, 1096, 1101. -- Frischmann, Frühromantische Kritikkonzeption, S.85–91; dies., Transzendental, S.308–312; Heine, S.42–93; Mennemeier, Poesiebegriff, S.239–244; Ostermann, Fragment, S.119f. 238: 48,15–17 Sie beginnt als Satire !…" schwebt als Elegie in der Mitte !…" endigt als Idylle] In der Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung bestimmt Schiller die drei Spezies der sentimentalischen Dichtung nach ihrem Verhältnis zu Ideal und Wirklichkeit: „In der Satyre wird die Wirklichkeit als Mangel dem Ideal als der höchsten Realität gegenüber gestellt“ (NA20, S.442). „Setzt der Dichter die Natur der Kunst und das Ideal der Wirklichkeit entgegen, daß die Darstellung des ersten überwiegt, und das Wohlgefallen an demselben herrschende Empfindung wird, so nenne ich ihn elegisch. !…" Entweder ist die Natur und das Ideal Gegenstand der Trauer, wenn jene als verloren, dieses als unerreicht dargestellt wird. Oder beyde sind ein Gegenstand der Freude,

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indem sie als wirklich vorgestellt werden. Das erste giebt die Elegie in engerer, das andere die Idylle in weitester Bedeutung.“ (Ebd., S.448f.) Siehe auch Anm. 20,6f. zu L117 (‚Satire‘), 58,33f. zu A315 (‚Elegie‘), 97,15f. zu FPL [V] 4 (‚Idylle‘) und 33,4–6 zu A116 (‚schweben‘). 238: 48,17f. eine Transzendentalphilosophie !…", die nicht kritisch wäre] Vgl. zur Transzendentalphilosophie auch PhL [II] 206, 209f., 234, 252, 285, 293, 302, 343, 422 u. ö. Siehe Anm. 26,24 zu A47 über die kritische Philosophie. 238: 48,26 zugleich Poesie und Poesie der Poesie] Vgl. L117, A247 und zum selbstreflexiven Charakter des modernen Romans auch Schlegels Brief über den Roman (1800; KFSA2, S.337); siehe Anm. 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘). -- Härter, S.247f.; Plumpe, S.164f. 238: 48,13–26 Es gibt eine Poesie !…" sein] Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘), 24,19 und 24,14f. zu A22 (‚transzendental‘, ‚Fragment‘), 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘), 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘), 33,4–6 zu A116 (‚Reflexion‘), 32,26 zu A115 (Pindar), 13,21 zu L46 über die Griechen und 9,13–15 zu L6 (Goethe). – Eine Vorstufe zu diesem Fragment findet sich in FPL [V] 1050. – Vgl. auch den Brief Friedrich Schlegels an August Wilhelm vom 6.3.1798, in dem er offenbar auf Einwände seines Bruders antwortet: „Das Frag.[ment] über die Transcendentalpoesie hast Du wohl nur sehr flüchtig gelesen. Denn wie könntest Du sonst besorgen, daß Schiller ein Fr.[agment], worin er, wenn er !!es"" einmahl willkührlich auf sich beziehen !!will"", freylich wohl eine große Geringschätzung nicht bloß seiner Aesthetik, wie er’s nennt, sondern seines Ideals selbst finden !!oder ahnden"" könnte, für ein Plagiat halten würde“ (KFSA24, S.99). -Behler, Frühromantik, S.246f.; ders., Ironie, S.92; ders., Theorie der romantischen Ironie, S.108f.; Frank, Zeit, S.32; Götze, Ironie, S.222–225; Huge, S.104; Polheim, Arabeske, S.103–108; Radrizzani, S.198–201; Schillemeit, S.144f.; Strohschneider-Kohrs, S.48–51. 239: 48,27f. Bei der Liebe der alexandrinischen und römischen Dichter für schwierigen und unpoetischen Stoff] In seinem Aufsatz Von den Schulen der griechischen Poesie (1794) charakterisiert Schlegel die Alexandrinische Schule als Phase des Niedergangs. „Der Geschmack der Gelehrten und die Eitelkeit der Virtuosen beherrschte die Kunst. Kunst war der Zweck der Kunst; an die Stelle der Schönheit trat die Künstlichkeit, man suchte seine Geschicklichkeit in der Überwindung großer Schwierigkeiten zu zeigen“ (KFSA1, S.16); „absichtliche Dunkelheit, gesuchte Gelehrsamkeit, und künstliche Spielereien“ kennzeichnen diese Dichtung als Produkt einer Spätzeit. „Außer dem Schwierigen, war alsdann Prinzip der Kunst das Pikante, dasjenige was dem stumpfen Sinne noch Aufmerksamkeit abnötigen kann. Desgleichen ist das Seltne, Alte und Überladene in den ernsthaften Werken, Schlüpfrigkeit der lyrischen Gedichte, oder auch sogar das Rohe“ (ebd.). Siehe auch Anm. 13,21 zu L46 über die Römer. 239: 48,28f. der große Gedanke !…" daß alles poetisiert werden soll] Dieser Gedanke stellt ein Grundmotiv romantischer Ästhetik und Poetik dar; er zielt auf die „Erhebung der Wirklichkeit zur Höhe der Idealwelt, Verwandlung und Durchdringung des empirisch-geschichtlichen Daseins zum vollkommenen,

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sinnlich-repräsentativen Ausdruck für diese Idealwelt“ (Mähl, Idee, S.344). Vgl. auch in A116, 217, PhL [III] 92, 208, 406, FPL [V] 312, 317, 544, 632, 746, 750, 855, 894, 1157, 1168; Novalis, Vorarbeiten (Poësie) 43, (Anekdoten) 206f., 226, 471, AB975 und Paralipomena zum Heinrich von Ofterdingen. (NO1, S.347); vgl. ferner Vorarbeiten Nr.105; „Die Welt muß romantisiert werden“. -- Mähl, Idee, S.344; Striedter, S.143. 239: 48,29f. keineswegs als Absicht der Künstler, aber als historische Tendenz der Werke] Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘) und 15,18f. zu L69 (‚Tendenz‘). 239: 48,30f. bei der Mischung aller Kunstarten der poetischen Eklektiker des spätern Altertums] Die romantische Poesie ist ebenfalls durch eine ‚Mischung‘ (siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über diesen Terminus der zeitgenössischen Chemie) der poetischen Gattungen gekennzeichnet. 240: 48,33 Im Aristophanes ist die Immoralität gleichsam legal] Siehe Anm. 10,1f. zu L13 (Aristophanes) und 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 241: 48,35–39 Wie bequem ist es doch !…" keine Grazien gäbe] Von August Wilhelm Schlegel. – Grazien heißen in der römischen Mythologie die Göttinnen der Anmut und Schönheit. Siehe Anm. 38,13 zu A162 (‚Mythologie‘). – Nach Friedrich Schlegels Brief an August Wilhelm vom 17.2.1798 (KFSA24, S.88) zielt dieses Fragment – wenn auch nicht ausschließlich – auf Wieland und Matthison. 242: 48,40f. Wenn jemand die Alten in Masse charakterisieren will, das findet niemand paradox] Siehe Anm. 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘), 123,33f. zu FPL [V] 953 (‚Masse‘), 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘) und 13,28f. zu L48 (‚paradox‘). 242: 48,42 die alte Poesie sei ein Individuum] Vgl. zu diesem Gedanken A149 und 231. Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). 242: 49,1 Manieren] Siehe Anm. 9,16f. zu L7 und 16,28 zu L83. 242: 49,6–8 Sind nicht alle Systeme Individuen !…" der Tendenz nach Systeme?] Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘) und 15,18f. zu L69 (‚Tendenz‘). 242: 48,40–49,9 Wenn jemand die Alten !…" enthalten?] Vorstufen zu diesem Fragment finden sich in FPL [V] 634, 677 und in PhL [II] 812. 243: 49,10 Das Trugbild einer gewesenen goldnen Zeit] Vgl. zur Vorstellung eines goldenen Zeitalters A144, Id19, PhL [V] 202, Gespräch über die Poesie (1800, KFSA2, S.322); Novalis, BL97, GL41, AB782, Heinrich von Ofterdingen (1. Teil, Kap.3; NO1, S.225). -- Mähl, Idee. 243: 49,10–15 Das Trugbild !…" Verlust] Von August Wilhelm Schlegel. 244: 49,17 Die Komödien des Aristophanes sind Kunstwerke] Siehe Anm. 37,29 zu A154 (‚Komödie‘) und 10,1f. zu L13 über Aristophanes. 244: 49,18 Gozzis Dramen] Der venezianische Komödiendichter Carlo Gozzi (1720–1806) begründete das italienische Stegreifspiel. Vgl. auch A246, FPL [V] 60 und 62. 244: 49,17f. Die Komödien des Aristophanes !…" Gesichtspunkt] Hervorgegangen aus FPL [V] 67.

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245: 49,19–26 Ein Gedicht oder ein Drama !…" nicht schaden] Siehe Anm. 13,19f. zu L45 (‚Drama‘), 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘), 9,23 zu L9 (‚Witz‘) und 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 246: 49,27–29 die moderne Komödie der alten Aristophanischen !…" ähnlich werden kann] Siehe Anm. 37,29 zu A154 (‚Komödie‘), 10,1f. zu L13 über Aristophanes und 16,29f. zu L84 über ‚die Alten‘ und die Modernen. 246: 49,29 Gozzi] Siehe Anm. 49,18 zu A244. 246: 49,30f. der enthusiastische Geist und die klassische Form] Siehe Anm. 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘) und 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). 246: 49,27–31 Magie, Karikatur, und Materialität !…" klassische Form] Vgl. zur Magie u.a. A289, FPL [V] 242, 368, 563, PhL [II] 552, 563, 567, 573, 1020, [III] 124, 132, 202, 371, 405, 489, 543; Novalis, Vorarbeiten 109, 133, T56 (‚magischer Idealismus‘), AB61, 79, 137, 322, 650, 694. – Das Fragment knüpft an A244 an. Eine Vorstufe findet sich in FPL [V] 62. -- Dick, S.223–277; Joachim Stieghahn, Magisches Denken in den Fragmenten Friedrichs von Hardenberg (Novalis), Basel 1964. 247: 49,32f. Dantes prophetisches Gedicht ist das einzige System der transzendentalen Poesie] Siehe Anm. 13,15f. zu L45 über Dante und die Göttliche Komödie. Siehe auch Anm. 29,19 zu A80 (‚Prophet‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘) und 48,14f. zu A238 (‚Transzendentalpoesie‘). 247: 49,33f. Shakespeares Universalität ist wie der Mittelpunkt der romantischen Kunst] Siehe Anm. 20,30f. zu L121 (Shakespeare), 83,15 zu A451 (‚Universalität‘) und 13,30 zu L49 (‚romantisch‘); zu Shakespeare als ‚romantischem‘ Dichter vgl. insbesondere FPL [V] 86, 359, 507, 509, 758, 1174 und [IX] 530. Vgl. ergänzend hierzu auch in A116 die Definition der romantischen Poesie als ‚Universalpoesie‘. 247: 49,34f. Goethes rein poetische Poesie ist die vollständigste Poesie der Poesie] Siehe Anm. 9,13–15 zu L6 über Goethe; zur potenzierenden Formel ‚Poesie der Poesie‘ vgl. A238 und siehe auch Anm. 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘). 247: 49,37 Klassiker der neuern Dichtkunst] Siehe Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). 247: 49,32–37 Dantes prophetisches Gedicht !…" der neuern Dichtkunst] Vorstufen zu diesem Fragment finden sich in FPL [V] 583, 626 und in PhL [II] 560. Vgl. zu den drei Perioden der modernen Literatur FPL [V] 857, zur Trias der prophetischen, der romantischen und der absoluten Poesie FPL [V] 382. -Behler, Frühromantik, S.30–34; Eichner, Theorie der romantischen Poesie, S.166f. und 177–180; Schillemeit, S.144–146. 248: 49,38f. Die einzelnen Großen stehen weniger isoliert unter den Griechen und Römern] Siehe Anm. 13,21 zu L46 über die Griechen und Römer. 248: 49,39 weniger Genies, aber mehr Genialität] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘). 248: 49,40 Das ganze Altertum] Siehe Anm. 13,5f. zu L44 (‚Altertum‘). 249: 49,42f. Der dichtende Philosoph, der philosophierende Dichter ist ein Prophet !…" es zu werden] Siehe Anm. 19,41f. zu L115 über das Verhältnis

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von Dichtung und Philosophie und 29,19 zu A80 (‚Prophet‘). Vorstufen zu diesem Fragment finden sich in FPL [V] 331, [IX] 55 und 425. 250: 50,1–4 Wer Fantasie, oder Pathos, oder mimisches Talent hat !…" Blick und Ausdruck] Siehe Anm. 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘) und 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘). Vorstufen finden sich in FPL [V] 107 und 255. 251: 50,5f. Tragödien !…" Komödien] Siehe Anm. 11,3–5 zu L30 (‚Tragödie‘) und 37,29 zu A154 (‚Komödie‘). 251: 50,7f. die zarte Sittlichkeit unsers Jahrhunderts, welches die Französische Revolution nur hat verleumden wollen] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 15,1f. zu L66 (‚revolutionär‘) und 27,40–28,2 zu A60 über die Französische Revolution. 252: 50,11f. mit der vollkommnen Harmonie der Kunstpoesie und Naturpoesie endigen] Nach A116 ist die romantische Poesie dadurch gekennzeichnet, daß sie „Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen“ kann. Vgl. A155 zu Natur- und Kunstpoesie. Siehe auch Anm. 22,9f. zu A4 (‚Naturpoesie‘) und 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘). 252: 50,18 Ich = Ich] Diese Gleichung bezieht sich auf Fichte, der in seiner Schrift Über den Begriff der Wissenschaftslehre (1794) ausgeführt hatte: „A = A ist ohne Zweifel ein logisch richtiger Satz, und insofern er das ist, ist seine Bedeutung die: wenn A gesetzt ist, so ist A gesetzt. !…" Setzet: A im obigen Satze bedeute Ich, und habe also seinen bestimmten Gehalt; so hiesse der Satz zuvörderst: Ich bin Ich: oder wenn ich gesetzt bin, so bin ich gesetzt.“ (FI1, S.69f.; vgl. auch die Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794), FI1, S.91–105.) Vgl. PhL [II] 187 und Novalis, FSt1 und 553 zum Satz der Identität. 252: 50,25f. Dilettanten ohne Enthusiasmus] Vgl. Schiller, Schemata über den Dilettantismus (Beilage zu NA21). Siehe Anm. 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘). 252: 50,27 bildern] Bilder oder ein bebildertes Buch betrachten (DWb2, Sp.17). 252: 50,30f. inokulieren] Einimpfen, einpflanzen. 252: 50,9–33 Eine eigentliche Kunstlehre !…" neu von Gestalt] Siehe Anm. 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘), 10,2 zu L13 (‚klassisch‘), 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Philosophie und Poesie, 32,4 zu A108 (‚schön‘), 22,8f. zu A4 (‚Gattungen‘), 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘), 14,29 zu L60 (‚Dichtarten‘), 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘), 10,34 zu L26 (‚Roman‘) und 15,14f. zu L69 (Plato). – Vorstufen und Parallelen finden sich in FPL [V] 188, 193 und PhL [II] 95. Vgl. zu diesem Fragment auch L123. 253: 50,34 In dem edleren und ursprünglichen Sinne des Worts Korrekt] Vgl. zu diesem Begriff auch L29, A144, 205, 268, 399, FPL [V] 30, 176f., 179, 205, 372, 387f., 430, 771, 985, 1070 und die Vorlesungen Zur Geschichte der europäischen Poesie (1803–1804; KFSA11, S.60). 253: 50,39–41 musikalische Symmetrie !…" Wiederholungen und Refrains] Über die musikalische Metaphorik der Schlegelschen Fragmente siehe Anm. 9,11 zu L5; vgl. auch L124 zum ‚inneren Reim‘ bei Shakespeare.

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253: 50,41f. durch Parodie des Buchstabens und durch Ironie über den Geist des romantischen Drama] Zum Begriffspaar ‚Geist‘ und ‚Buchstabe‘ siehe Anm. 15,16 zu L69; siehe ferner Anm. 12,33 zu L42 (‚Ironie‘), 13,30 zu L49 (‚romantisch‘) und 13,19f. zu L45 (‚Drama‘). 253: 50,34–44 In dem edleren !…" Darstellung derselben] Siehe auch Anm. 20,30f. zu L121 (Shakespeare), 26,22f. zu A46 (‚System‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘), 123,33f. zu FPL [V] 953 (‚Masse‘) und 184,1–5 zu FSt633 (‚Darstellung‘). – Das Fragment ist hervorgegangen aus FPL [V] 172 und 507. Novalis kommentiert diese Aufzeichnung in FuS94. 254: 51,1–5 Noch ehe Hermann und Dorothea erschien, verglich man es mit Vossens Luise !…" zur Taufe gehalten hat] Von August Wilhelm Schlegel. – Über Goethes Hermann und Dorothea siehe Anm. 22,14 zu A6, und vgl. Novalis, BL106 über die Aufnahme dieses Werks in der Öffentlichkeit; über J.H.Voß und dessen Luise siehe Anm. 19,34 zu L113. Ein Vergleich beider Werke findet sich z.B. in der Kieler ‚Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek‘ (1799, 64.Bd., 1.Stück): Ob Luise oder Herrmann und Dorothea vorzüglicher sey, – wer mag es entscheiden, und wozu bedürfte es der Entscheidung? Der Rec. gesteht unverholen, daß die patriarchalische Einfalt, die sich in dem Vossischen Gedichte so mannigfaltig und schön offenbart, ihn mit stärkern Banden anzieht, als das bunte Leben des Göthischen, er bekennt frey, daß ihm die Charaktere in dem ersten noch völliger, runder und bestimmter ausgedrückt zu seyn scheinen, als die in dem letztern, er läugnet endlich nicht, daß das edler empfindende und höher gebildete Paar, dessen Liebe Voß schildert, ihn selbst mit mehr Liebe erfüllt hat, als Herrmann und Dorothea. (Braun 2, S.330.)

Ähnlich äußert sich auch der Rezensent von Goethes Epos in den ‚Neuen Critischen Nachrichten‘, Greifswald, vom 10.2.1798: Sollte wohl eine andere Nation zwei Gedichte haben, die so ganz von griechischem, von homerischem Geiste belebt sind, als dieses und Vossens Luise? Wiewohl die letztere kein eigentliches episches Gedicht ist, so haben beide doch die größte Ähnlichkeit durch Geist und Darstellung. Wir überlassen es dem Leser, die Schönheiten des Göthischen Gedichts selbst zu genießen !…" Der Versbau so schön er im Ganzen ist, erreicht doch nicht durchgehends den Voßischen, denn G. hat sich selbst einige Verstöße gegen die Quantität erlaubt. (Braun 2, S.278f.)

Auch Nicolai, den Friedrich Schlegel im Brief an August Wilhelm vom 19.9.1797 als Verehrer Vossens schildert, verglich im Gespräch mit Schlegel beide Werke: „Er behauptet, Hermann sey eine platte Nachahmung der Louise. – Ueberall gilt Voß hier im Ganzen recht viel“ (KFSA24, S.17). – Ausführlich schreibt Friedrich Schlegel seinem Bruder am 26.8.1797 über Hermann und Dorothea, das er sehr schätzte: Es ist das herzlichste, biederbste, edelste, naivste und sittlichste unter G[oethe]’s Gedichten !…" Das Gedicht ist offenbar mit der Absicht gedichtet, so sehr altes Griechisches homerisches « zu seyn, als bey dem romantischen Geist, der im Ganzen lebt, möglich wäre. Bey sehr großer Aehnlichkeit im Einzelnen ist also absolute Verschiedenheit im Ganzen. Durch diesen romantischen Geist ist es weit über Homer, dem es aber an « und Fülle wieder weit nachsteht. Man könnte es ein romantisches « nennen. !…" Auch wo es am antiksten und naivsten ist, und am homerischsten

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scheint, läßt s.[ich] doch ein Bewußtseyn, eine Selbstbeschränkung wahrnehmen, die höchst unhomerisch oder vielmehr überhomerisch sind. – Man vergleicht es viel mit Voßens Louise, und wird es noch viel thun. Ich wüßte aber nicht in welcher Rücksicht diese Vergleichung interessant seyn könnte, es müßte denn die vom absoluten Gegensatz zwischen Geist und Buchstaben seyn. (KFSA24, S.8f.)

Vgl. auch FPL [V] 490 und Novalis’ kurze Gegenüberstellung der beiden Werke in den Vorarbeiten 98. 255: 51,6 Je mehr die Poesie Wissenschaft wird, je mehr wird sie auch Kunst] Zum Verhältnis von Kunst und Wissenschaft siehe Anm. 19,41f. zu L115. 255: 51,6–12 Je mehr !…" Philolog werden] Vorstufen und Parallelen finden sich in FPL [III] 127, [V] 285, 313 und in PhL [V] 132. Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘), 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘) und vgl. A404 zum Verhältnis von Philologie und Kunst. -- Ostermann, Fragment, S.120f.; StrohschneiderKohrs, S.49. 256: 51,13–18 Der Grundirrtum !…" ein Faktum, nämlich ein ewiges transzendentales] Siehe Anm. 31,3f. zu A96 (‚Sophist‘), 32,4 zu A108 (‚schön‘), 143,36f. zu BL22 (‚Faktum‘) und 24,19 zu A22 (‚transzendental‘). – Hervorgegangen aus FPL [V] 188. H.Schanze weist darauf hin, daß Schlegel in diesem Fragment die Kritik an Baumgartens Ästhetik, die er bereits in dem Heft Von der Schönheit in der Dichtkunst (KFSA16, S.17–31) vorbrachte, noch verschärft (Aufklärung, S.17–31). -- Mähl, Idee, S.347. 257: 51,19 Die Gesellschaften der Deutschen sind ernsthaft] Siehe Anm. 12,16f. zu L38 über die Deutschen. 257: 51,19f. ihre Komödien und Satiren !…" ihre Kritik] Siehe Anm. 20,6f. zu L117 (‚Satire‘), 37,29 zu A154 (‚Komödie‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 257: 51,19–21 Die Gesellschaften !…" unwillkürlich?] Von August Wilhelm Schlegel. 258: 51,23–25 Alle Poesie, die auf den Effekt geht !…" ist rhetorisch] Eine Vorstufe zu diesem Fragment findet sich in FPL [V] 336. Vgl. A82 und siehe Anm. 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘). 259: 51,26f. A. Fragmente, sagen Sie, wären die eigentliche Form der Universalphilosophie] Der Anfang des Fragments ist aus PhL [II] 1029 hervorgegangen. Siehe Anm. 24,14f. zu A22 (‚Fragment‘); zum Begriff der Universalphilosophie vgl. A220. 259: 51,28f. Vervollkommnung der Wissenschaft] Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘). 259: 51,29f. ein Lessingsches Salz gegen die geistige Fäulnis] Über Lessing siehe Anm. 14,37f. zu L64. 259: 51,30f. eine zynische lanx satura im Styl des alten Lucilius oder Horaz] In der Antike wurde bei feierlichen Anlässen, Opfern, Gastmählern und dergleichen, eine Schale oder Schüssel (lanx) mit verschiedenen Früchten (satura) bereitgestellt. In späterer Zeit bezeichnete man auch Gedichtsammlungen vermischten Inhalts als lanx satura. Aus diesem Genre entwickelte sich die kritische

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Satire der lateinischen Dichtung (Wb Antike, S.410 (‚lanx satura‘); K.Schneider, RE23, Sp.695f. (‚lanx satura‘)). – Siehe Anm. 14,28 zu L59 (‚cynisch‘). – Gaius Lucilius war ein Satiriker und Epigrammatiker des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts. Horaz (siehe Anm. 20,24f. zu L119) schrieb ebenfalls Satiren. 259: 51,31 fermenta cognitionis zur kritischen Philosophie] „Erkenntnisfördernde Fermente“; dieselbe Formulierung verwendet Schlegel in PhL [II] 46. F.X.von Baader (siehe Anm. 91,15 zu Id97) ließ sich von dieser Formulierung bei der Titelwahl seiner Fragmentsammlung Fermenta cognitionis (1820) beeinflussen. Vgl. auch Hardenbergs Brief an Caroline Schlegel, 9(?).9.1798 (NO4, S.261f.). – Unter der ‚kritischen Philosophie‘ ist vor allem Kants Philosophie zu verstehen; siehe Anm. 26,24 zu A47 (‚kritische Philosophie‘). 259: 51,31f. Randglossen zu dem Text des Zeitalters] In einem Brief an Schleiermacher vom 22.1.1798 schreibt August Wilhelm Schlegel: „Sie sollen also kritische Fragmente [heißen], wenn er !Friedrich" sie nicht etwa lieber Randglossen nennen will, nämlich Glossen an den Rand des Zeitalters geschrieben“ (FDES,KG V/2, S.260). Die Schlegelsche Formulierung wurde von den Herausgebern bzw. Verfassern einer 1801 in Zürich anonym erschienenen epigonalen Sammlung von Fragmenten im Untertitel ihrer Veröffentlichung aufgegriffen: Die Eumeniden oder Noten zum Text des Zeitalters. -- Mohr, S.237. 259: 51,26–32 A. Fragmente !…" des Zeitalters] Von Friedrich und August Wilhelm Schlegel. Vorstufen zu diesem Fragment finden sich in FPL [V] 1034 und in PhL [II] 1029. Zur Dialogform siehe Anm. 46,9–13 zu A221. -Strack, Romantische Fragmentkunst, S.334. 260: 51,33–36 Wieland hat gemeint !…" Betrugs] Von August Wilhelm Schlegel. – Schlegel bezieht sich hier auf den „Vorbericht“ zu Wielands Sämmtlichen Werken (1794–1811), in dem der Autor von sich selbst schreibt, er habe seine literarische Laufbahn in dem Augenblick begonnen, „da eben die Morgenröthe unsrer Litteratur vor der aufgehenden Sonne zu schwinden anfing; und er beschließt sie – wie es scheint, mit ihrem Untergange“ (CMW1, S.III). – Anfang Februar 1798 schreibt Friedrich Schlegel an August Wilhelm über dieses Fragment: „Ich bin entschieden dafür, daß Wieland in dem bewußten Fr.[agment] genannt [werde]. Die Beleidigung ist ganz dieselbe. Das Anonyme, und doch so deutliche ist recht Xeniastisch. Auch ist das Pikante dann davon.“ (KFSA24, S.83f. Vgl. auch Friedrich Schlegels Brief an seinen Bruder vom 17.2.1798; KFSA24, S.88.) – Für das ‚Athenäum‘ plante Schlegel eine kritische „Hinrichtung“ Wielands. (Brief an August Wilhelm Schlegel, 18.12.1797; KFSA24, S.68.) Im Litterarischen Reichsanzeiger (‚Athenäum‘ II, 2.Stück, S.34) wurde schließlich Wielands Konkurs erklärt. Vgl. zu Wieland auch PhL [II] 49 und Novalis, FSt587. -- Härtl, S.261–174. 261: 51,37f. Wie das Lebensmotto des poetischen Vagabunden in Claudine von Villabella „Toll aber klug“] Johann Wolfgang von Goethe, Claudine von Villabella. Ein Singspiel mit Gesang (1775). Das Zitat stammt aus der zweiten Fassung, die J.Reichardt 1798 vertonte (1.Aufzug, WA I 11, S.219). Der Abenteurer und Frauenheld Rugantino plant, die junge, schöne Lucinde aus dem Schloß ihres Onkels zu entführen. Als er seinen Gefährten in dieses waghalsige Vorhaben ein-

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weiht, ruft dieser erschrocken aus: „Ha! Bist du toll?“ Worauf Rugantino mit dem zitierten Wortspiel antwortet. 261: 51,38 der Charakter manches Werks des Genies] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘). 261: 51,37–40 Wie das Lebensmotto !…" aber dumm] Von August Wilhelm Schlegel. 262: 51,41f. Gott werden, Mensch sein, sich bilden] Vgl. auch Id24 und 65. Siehe Anm. 47,30 zu A232 (‚Gott‘), 85,18 zu Id21 (‚Mensch(heit)‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 263: 52,1 Echte Mystik ist Moral in der höchsten Dignität] Siehe Anm. 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘) und 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). – In seiner Kritik der Athenaeumsfragmente merkte Novalis dazu an: „falsch.“ 264: 52,2 Man soll nicht mit allen symphilosophieren wollen] Siehe Anm. 19,33 zu L112 über Schlegels Wortneubildungen mit ‚sym-‘. 264: 52,3 à la hauteur] Auf der Höhe. 264: 52,2f. Man soll nicht !…" sind] Ein ähnlich elitäres Bewußtsein äußert sich in Id133. 265: 52,4 Einige haben Genie zur Wahrheit; viele haben Talent zum Irren] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 über das Verhältnis von Genie und Talent. 265: 52,5 Industrie] Hier im ursprünglichen Wortsinn von lat. industria: reger Fleiß, Betriebsamkeit, Beharrlichkeit. 266: 52,8–10 Könnte es nicht noch vor Abfassung der logischen Konstitution !…" sanktioniert ist?] Siehe Anm. 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘). Dazu notiert Novalis in der Kritik der Athenaeumsfragmente: „U[n]V[erständlich].“ 267: 52,11–13 Mit dem Wissen nimmt das Nichtwissen in gleichem Grade zu, oder vielmehr das Wissen des Nichtwissens] Siehe Anm. 39,42f. zu A172 über die Anspielungen auf das Sokratische „scio nescire“. Vgl. zu diesem Fragment auch die romantische Auffassung der Bildung als unendlicher Progression (L20). 268: 52,14f. Was man eine glückliche Ehe nennt, verhält sich zur Liebe !…" Gesang] Vgl. zu diesem Proportionalvergleich auch A359. Über die musikalische Metaphorik der ‚Lyceums‘- und ‚Athenäums‘-Fragmente Anm. 9,11 zu L5, über den Themenkreis Liebe und Ehe Anm. 26,31 zu A50 und 25,20 zu A34 sowie 50,34 zu A253 (‚korrekt‘). 269: 52,16f. W. sagte von einem jungen Philosophen: Er trage einen Theorien-Eierstock] Von August Wilhelm Schlegel, wie bereits das Namenskürzel „W.“ andeutet. – Am 6.3.1798 schreibt Friedrich Schlegel an August Wilhelm: „Das Fragment vom Eyerstock erkläre ich für gute Prise, und eins von der barbarischen Sprache läßt sich gewiß auch noch aus Deinem Brief nehmen. Doch gebe ich dem vom Eyerstock unter allen Fragm.[enten] von Dir, die vorzüglich pikant seyn sollen, den Kranz“ (KFSA24, S.95). Derselben Bildlichkeit bedient sich Friedrich Schlegel im Brief an Schleiermacher, Mitte August 1798: „Schön ists, daß Du einige Fragmente gelegt hast“ (ebd., S.163). Am 24.8.1798 dankt er Henriette Herz dafür, daß sie Schleiermacher „eine Gedankenschachtel geschenkt“ hat, mit der Begründung: „Er profitirt bloß die Schachtel und hätte die Gedanken

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sonst doch gehabt und für sich behalten. Das wird ihm nun gelegt und er mag wöchentlich seine Zahl Eyer auf dem Herrengute abliefern“ (ebd., S.169). Goethe spielt in seinem Brief an August Wilhelm Schlegel vom 18.6.1798 auf dieses Fragment an, wenn er schreibt: „Übrigens wird über allerley gebrütet, sobald die Küchlein auskriechen sollen Sie gleich Notiz davon haben“ (WA IV13, S.184). 269: 52,18f. beständigen Wechsel von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung] Vgl. PhL [II] 988 und siehe Anm. 10,39f. zu L28. 269: 52,19 eine fatigante Manoeuvre] „Eine ermüdende Betätigung“. 270: 52,21 Leibniz ließ sich bekanntlich Augengläser von Spinosa machen] Über Leibniz siehe Anm. 25,4f. zu A27, über Spinoza Anm. 47,40 zu A234; Spinoza verdiente seinen Lebensunterhalt teilweise mit dem Schleifen optischer Gläser. 271: 52,26f. einen transzendentalen Gesichtspunkt für das Antike] Vgl. Fichtes Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794). Dort bestimmt er den ‚transzendentalen Punkt‘ folgendermaßen: „Der Begriff der Richtung ist ein blosser Wechselbegriff; eine Richtung ist gar keine, und ist schlechthin undenkbar. Mithin können wir der absoluten Thätigkeit des Ich eine Richtung, und eine centripetale Richtung, nur unter der stillschweigenden Voraussetzung zuschreiben, dass wir auch eine andere centrifugale Richtung dieser Thätigkeit entdecken werden“ (FI1, S.273). Vgl. auch PhL [II] 80, A285 zum „transzendentale!n" Gesichtspunkt für dieses Leben“ und Novalis, HKS39; siehe Anm. 24,19 zu A22 (‚transzendental‘) und 16,29f. zu L84 über das Verhältnis der Modernen zu den ‚Alten‘. 271: 52,27f. Winckelmann hat die Griechen wie ein Grieche gefühlt] Über Winckelmann siehe Anm. 37,9f. zu A149, über die Griechen 13,21 zu L46. 271: 52,28 Hemsterhuys] Siehe Anm. 19,8 zu L108 über Frans Hemsterhuis. 271: 52,26–30 Vielleicht !…" neue Welt] Von August Wilhelm Schlegel. 272: 52,31–33 Warum sollte es nicht auch unmoralische Menschen geben !…" nicht geduldet werden] Das Fragment ist hervorgegangen aus FPL [V] 104. Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 273: 52,36 das schöne Altertum] Siehe Anm. 13,5f. zu L44 (‚Altertum‘) und 32,4 zu A108 (‚schön‘). 273: 52,34–39 Mystik ist !…" werden kann] Der Anfang stammt von August Wilhelm, der letzte Satz von Friedrich Schlegel. Die Entstehung des Fragments erhellt ein Brief Schleiermachers an August Wilhelm Schlegel vom 15.1.1798, in dem er schreibt: „Zu dem !Fragment" vom Mystificiren will er !Friedrich" einen kleinen Zusatz machen – wahrscheinlich um das lezte Wort zu behalten – und es soll die Gestalt eines kleinen Dialogs gewinnen“ (KFSA24, S.78). Siehe Anm. 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘). 274: 52,40f. Jede Philosophie der Philosophie, nach der Spinosa kein Philosoph ist !…" verdächtig scheinen] Siehe Anm. 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘), zu Spinoza siehe Anm. 47,40 zu A234. 275: 53,1–4 Sie jammern immer, die deutschen Autoren schrieben !…" ein Publikum entstehen] Eine Vorstufe zu diesem Fragment findet sich in FPL

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[V] 73. Vgl. zum esoterischen Charakter frühromantischer Fragmentkunst Novalis, GL1f. Siehe Anm. 15,9 zu L68 (‚Autor‘) und 15,24–27 zu L70 (‚Publikum‘). 276: 53,5 Leibniz war so sehr Moderantist] Über Leibniz siehe Anm. 25,4f. zu A 27; vgl. die Definition des Begriffs ‚Moderantismus‘ in A 64. 276: 53,5 Nicht-Ich] Siehe Anm. 15,37 zu L75. 276: 53,6 Katholizismus und Protestantismus verschmelzen wollte] Leibniz machte Anstrengungen für eine Reunion der Konfessionen. 276: 53,7 Das heißt die Harmonie chargieren] Chargieren: beladen, überstrapazieren. Siehe auch Anm. 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘). 276: 53,5–8 Leibniz war !…" bis zur Karikatur treiben] Von Friedrich Schlegel und Schleiermacher. Vorstufen und Parallelen zu diesem Fragment finden sich in PhL [II] 253, 260, 270, 309. Vgl. Schleiermacher, Leibniz I, Nr.36 und 41 (FDES,KG I/2, S.85 und 87.). Siehe Anm. 22,12f. zu A5 (‚Karikatur‘). 277: 53,9 An die Griechen zu glauben] Siehe Anm. 13,21 zu L46 über die Griechen. 278: 53,12 Vieles was Dummheit scheint, ist Narrheit] Siehe Anm 10,6f. zu L15 über das Verhältnis von ‚Dummheit‘ und ‚Narrheit‘. 278: 53,13 Narrheit ist absolute Verkehrtheit der Tendenz] Siehe Anm. 11,41 zu L37 (‚falsche Tendenz‘). 279: 53,18f. Die Theodizee ist !…" eine Advokatenschrift in Sachen Gottes contra Bayle] In seinem Dictionnaire historique et critique (1697) kritisierte der französische Philosoph Pierre Bayle (1647–1706) Leibniz’ Theorie der prästabilierten Harmonie; dieser antwortete mehrfach, u.a. auch in der Theodizee (1710), der ‚Rechtfertigung Gottes‘, auf Bayles Einwände. Einer der Anhänge zur Theodizee trägt den Titel Causa Dei asserta per justitiam ejus, cum caeteris ejus perfectionibus, cunctisque actionibus conciliatam („Die Sache Gottes sichergestellt durch die Versöhnung seiner Gerechtigkeit mit seinen übrigen Vollkommenheiten und allen seinen Handlungen“; Gerhardt 6, S.437–462). 279: 53,15–19 Leibnizens Methode !…" Konsorten] Von Schleiermacher. – Vgl. hierzu PhL [II] 237, 248, 313, 330 und den Brief Friedrich von Hardenbergs an Friedrich Schlegel vom 7.11.1798, in dem er Schleiermachers Urteil über Leibniz (siehe Anm. 25,4f. zu A27) für ungerecht erklärt (KFSA24, S.196). Das Fragment ist aus den Notizen Nr.60 und 39 aus Leibniz I hervorgegangen (FDES,KG I/2, S.93 und 86). Wie A358 und 361 entstand A279 im Zusammenhang mit dem gemeinsam mit Friedrich Schlegel geplanten Projekt eines ‚Anti-Leibniz‘, für das sowohl Schleiermacher als auch Schlegel eigene Materialienhefte angelegt hatten. -- Arndt, Schleiermacher-Schriften, S.1135. 280: 53,23 aus dem Zustande der Wissenschaften] Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘). 280: 53,24 ein !…" Hektischer] Schwindsüchtiger. 280: 53,21–26 Man hält !…" Blondin] Von Schleiermacher. 281: 53,28f. Fichtes Wissenschaftslehre ist eine Philosophie über die Materie der Kantischen Philosophie] Siehe Anm. 36,1 zu A137 (Fichte) und 10,12 zu L16 (Kant).

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Friedrich Schlegel

281: 53,30 das Wesen der kritischen Methode] Siehe Anm. 26,24 zu A47 über die kritische Philosophie. 281: 53,31 System der bestimmten Gemütswirkungen] Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘). 281: 53,33 ein Kant in der zweiten Potenz] Zu den potenzierenden Formulierungen der Romantiker siehe Anm. 19,9 zu L108 und 33,6f. zu A116 (‚potenzieren‘). 281: 53,34–36 die neue Darstellung der Wissenschaftslehre ist immer zugleich Philosophie und Philosophie der Philosophie] Fichtes Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre war zuerst 1794 erschienen und wurde vom Verfasser mehrfach überarbeitet; der Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, der hier gemeint sein dürfte, stammt aus dem Jahr 1797. – Vgl. A238, das Goethes Werk als „Poesie und Poesie der Poesie“ charakterisiert und damit die Ebenbürtigkeit Fichtes und Goethes, von der A216 spricht, erneut unterstreicht. Siehe auch Anm. 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘). 281: 53,28–41 Fichtes Wissenschaftslehre !…" sein kann] Eine Vorstufe zu diesem Fragment findet sich in FPL [IV] 47; vgl. auch PhL [II] 203. 282: 53,42f. Wenn der Mensch nicht weiter kommen kann !…" Entschluß] Von Novalis (= VB24) wie auch die folgenden Fragmente bis einschließlich A294. Vgl. FPL [V] 71. -- Neumann, Ideenparadiese, S.312f. 283: 54,1 Wer sucht wird zweifeln] Vgl. Matth.7,7: „suchet so werdet ihr finden.“ 283: 54,1 Das Genie sagt] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘). 283: 54,3f. seine Betrachtungen und das Berachtete frei zusammen zu stimmen, zu einem Werke] Vgl. hierzu auch die Bestimmung der romantischen Poesie, die „zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden, frei von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte !zu" schweben“ vermag, wie Schlegel in A116 formuliert. Siehe Anm. 85,35f. zu Id29 (‚frei‘). 283: 54,7f. Genie des Genies] Siehe Anm. 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘). 283: 54,1–8 Wer sucht !…" Genie des Genies] Von Novalis (= VB22, um den Mittelteil gekürzt). -- Neumann, Ideenparadiese, S.310f.; Striedter, S.85f. 284: 54,9 Der Geist führt einen ewigen Selbstbeweis] Von Novalis (= VB5). Vgl. hierzu FSt46 und 566. -- Neumann, Ideenparadiese, S.293f.; Stockinger, WTB3, S.347. 285: 54,10f. Der transzendentale Gesichtspunkt für dieses Leben !…" bedeutend werden] Von Novalis (= VB49). Zur Wendung ‚transzendentaler Gesichtspunkt‘ siehe Anm. 52,26f. zu A271; vgl. ferner BL28. -- Neumann, Ideenparadiese, S.327; Samuel, NO2, S.748; Stockinger, WTB3, S.355. 286: 54,12 Das Leben eines wahrhaft kanonischen Menschen] In Novalis’ Sprachgebrauch bedeutet ‚kanonisch‘: „der Norm entsprechend; in der bildenden Kunst: den Regeln der Proportion entsprechend“ (Stockinger, WTB3, S.352). 286: 54,13f. Wäre unter dieser Voraussetzung nicht jeder Tod ein Versöhnungstod?] Als Versöhnungstod deutet die christliche Religion den Opfertod

Fragmente (‚Athenäums‘-Fragmente)

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Christi. Vgl. Id131 zum Motiv des Menschenopfers; siehe Anm. 47,38f. zu A234 über die Vorstellung eines (religiösen) Mittlers und 54,29f. zu A292 über Tod und Sterben. 286: 54,12–15 Das Leben !…" daraus ziehen?] Von Novalis (= VB21). -Neumann, Ideenparadiese, S.309f.; Stockinger, WTB3, S.352. 287: 54,16–18 Nur dann zeige ich, daß ich einen Schriftsteller verstanden habe !…" verändern kann] Von Novalis (= VB29). Siehe Anm. 10,17f. zu L20 über die Problematik des Verstehens, 15,32f. zu L73 über die Schwierigkeiten des Übersetzens und 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.316. 288: 54,19 Wir sind dem Aufwachen nah, wenn wir träumen daß wir träumen] Von Novalis (= VB16). Vgl. die Traumschilderung im ersten Kapitel (1. Teil) des Heinrich von Ofterdingen (NO1, S.196–202.), FSt623, ET442, AB237, 381, 519, 638, 769, 959, Novalis an Caroline Schlegel, 27.2.1799 (NO4, S.278.) u. ö. Zum potenzierten ‚Traum im Traum‘ siehe Anm. 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘). – In seinem Roman Das Foucaultsche Pendel (1988) läßt Umberto Eco den Ich-Erzähler seine Empfindungen (unwillkürlich) mit einem Novalis-Zitat beschreiben: „!…" so wie man dem Erwachen nahe ist, wenn man träumt, daß man träumt“ (S.393; Übersetzung von Burkhart Kroeber). -- Barth, S.356; Walter Hinderer, Traumdiskurse und Traumtexte im Umfeld der Romantik. In: Romantische Wissenspoetik, S.213–233; Neumann, Ideenparadiese, S.303f. 289: 54,20f. Echt geselliger Witz ist ohne Knall !…" in höheren Sphären ist] Von Novalis (in VB30). Novalis scheint hier L90 zu ‚korrigieren‘. Über die ‚Chemie des Witzes‘ siehe Anm. 10,21–23 zu L22, 49,27–31 zu A246 (‚Magie‘) und 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘). 290: 54,22–24 Geistvoll ist das !…" wie bei vielen philosophischen Systemen] Von Novalis (= VB31). Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.319. 291: 54,25–28 Deutsche gibt es überall !…" ein Ideal] Von Novalis (= VB66). Vgl. BL61 und 64. – Novalis ergänzt hier Schlegels Bemerkungen über die Nationalcharaktere. ‚Echt‘ bedeutet hier „dem absoluten Postulat entsprechend“. (Stockinger, WTB3. S.357.) Siehe Anm. 12,16f. zu L38 (‚Deutschheit‘), 13,12f. zu L45 (über die Franzosen), 13,30f. zu L49 (über die Engländer), 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘) und 75,3 zu A412 (‚Ideal‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.338. 292: 54,29f. Der Tod ist eine Selbstbesiegung !…" verschafft] Von Novalis (= VB11). Vgl. auch A286, BL14, HKS54 und 35: „Sterben ist ein ächtphilosophischer Act.“ -- Neumann, Ideenparadiese, S.299f.; Stockinger, WTB3, S.348. 293: 54,31–33 Brauchen wir zum Gewöhnlichen und Gemeinen !…" Gewöhnlichkeit?] Von Novalis (aus VB12). Vgl. BL11 und 77. -- Neumann, Ideenparadiese, S.300f. 294: 54,34 Genialischer Scharfsinn ist scharfsinniger Gebrauch des Scharfsinns] Von Novalis (= VB55). Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.331.

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Friedrich Schlegel

295: 54,36–39 Auf die berühmte Preisfrage der Berliner Akademie der Wissenschaften !…" eine sokratische von Hülsen] Schlegel bezieht sich auf Hülsens Schrift Prüfung der von der Akademie der Wissenschaften zu Berlin aufgestellten Preisfrage: Was hat die Metaphysik seit Leibniz und Wolf für Progressen gemacht? (1796). Über Hülsen siehe Anm. 19,8f. zu L108, über Sokrates 10,34 zu L26. Schlegel plante, „philosophische! " Rhapsodien“ über Hülsen zu schreiben. (Friedrich Schlegel im Brief an Hardenberg, 28.5.1798; KFSA24, S.134.) 295: 54,39 Enthusiasmus] Siehe Anm. 30,23 zu A88. 295: 54,40 Schein von Universalität] Siehe Anm. 83,15 zu A451 (‚Universalität‘). 295: 55,1f. Sinn für reine Genialität ist selbst unter gebildeten Menschen eine Seltenheit] Siehe Anm. 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘), 33,40f. zu A119 (‚Genie‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 295: 55,5f. an dialektischer Virtuosität das nächste nach Fichte] Über Fichte siehe Anm. 36,1 zu A137. 295: 55,12 ein Künstler, der so viel philologischen Geist hat] Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘) und 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘); siehe auch Anm. 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft. 296: 55,14f. Ungeachtet er so eine idyllische Natur ist, hat Fontenelle doch eine starke Antipathie gegen den Instinkt] Der französische Schriftsteller Bernard le Bovier de Fontenelle (1657–1757) verfaßte Eklogen und eine poetologische Schrift Discours sur la nature de l’Eglogue (1688). – Siehe Anm. 19,8 zu L108 (‚Instinkt‘) und 97,15f. zu FPL [V] 4 (‚Idylle‘). 296: 55,17f. La gêne fait l’essence et le merite brillant de la poesie] „Die Not macht das Wesen und den glänzenden Verdienst der Poesie aus.“ Das Zitat stammt aus Fontenelles Réflexions sur la Poétique (1742; Oeuvres, Bd. 3, Paris 1818, S.37). 296: 55,20 Academicien] Mitglied der Académie Française. 296: 55,14–21 Ungeachtet !…" das Rechte treffen] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Talent‘) und 13,12f. zu L45 über die Franzosen. – Vgl. zu diesem Fragment die Vorstufen PhL [II] 318 und 312, wo es über Leibniz heißt: „Sein Talent war von d[em] reinen Talent; er wußte so wenig was er that, als die Biber von ihrer Kunst.“ 297: 55,22 Gebildet ist ein Werk] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 297: 55,24f. wie bei der Erziehung eines jungen Engländers] Siehe Anm. 13,30f. zu L49 (‚Engländer‘). 297: 55,25 le grand tour] „Die große Reise“, Kavalierstour, obligatorische Bildungsreise junger Adliger und vermögender Bürgersöhne, die meist durch Frankreich und Italien führte. 297: 55,26f. die Ecken seiner Individualität] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). 297: 55,22–29 Gebildet ist ein Werk !…" Selbstgenügsamkeit zu geben] -Härter, S.239–241. 298: 55,30f. Die Orthodoxen unter den Kantianern suchen das Prinzip

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ihrer Philosophie vergeblich im Kant] Über Kant und die Kantianer siehe Anm. 10,12 und 10,11 zu L16. 298: 55,31f. „Ein Kaiserwort soll man nicht drehn noch deuteln.“] Der Vers steht in Bürgers Ballade Die Weiber von Weinsberg (1774; erschienen 1778). Das Gedicht schildert, wie die Weinsbergerinnen bei der Belagerung ihrer Stadt durch Konrad III. im Jahr 1140 ihren Männern durch eine List das Leben retteten: Im Zorn hatte der Kaiser der männlichen Bevölkerung den Tod angedroht, sobald er die Stadt eingenommen hätte. Die Frauen von Weinsberg erwirkten nach der Kapitulation von ihm jedoch die Erlaubnis, „Mit ihren besten Schätzen“ unbehelligt aus der Stadt zu ziehen, und entschieden sich dafür, ihre Männer in Sicherheit zu bringen, indem sie sie auf dem Rücken aus der Stadt trugen. Der Kaiser bestand darauf, das Versprechen, das er den Frauen gegeben hatte, zu halten und antwortete seinen ‚Hofschranzen‘, die „Das Kniffchen zu vereiteln“ wünschten, mit dem von Schlegel zitierten Satz. (Gottfried August Bürger, Sämtliche Werke, hg. von Günter und Hiltrud Häntzschel, München 1987, S.193–197.) Über G.A.Bürger siehe Anm. 34,30–32 zu A122. 299: 55,33f. An genialischem Unbewußtsein können die Philosophen !…" den Dichtern den Rang recht wohl streitig machen] Hervorgegangen aus PhL [II] 318 und 785. Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘) und zum Verhältnis von Philosophie und Dichtung Anm. 19,41f. zu L115. 300: 55,35f. Wenn Verstand und Unverstand sich berühren, so gibt es einen elektrischen Schlag !…" Polemik] Siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über die naturwissenschaftliche Bildlichkeit der Schlegelschen Fragmente, 153,19 zu BL89 (‚Berührung‘) und 16,19 zu L81 (‚Polemik‘). 301: 55,37 Noch bewundern die Philosophen im Spinosa nur die Konsequenz] Zu Spinoza siehe Anm. 47,40 zu A234. 301: 55,37f. wie die Engländer am Shakespeare bloß die Wahrheit preisen] Siehe Anm. 13,30f. zu L49 über die Engländer, über Shakespeare siehe Anm. 20,30f. zu L121. 302: 55,39 Vermischte Gedanken sollten die Kartons der Philosophie sein] In der Malerei werden die Vorzeichnungen für Gemälde Kartons genannt. 302: 55,41 Crayon] Bleistift, Zeichenstift. 302: 55,43–56,2 in der Philosophie geht der Weg zur Wissenschaft nur durch die Kunst !…" Künstler wird] Vgl. hierzu A404. Siehe Anm. 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft, Philosophie und Poesie; siehe ferner Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘). 302: 55,39–56,2 Vermischte Gedanken !…" ein Künstler wird] Vorstufen und Parallelen finden sich in FPL [V] 92, 110, 313, 622, 1098, [IX] 124; vgl. auch den Aufsatz Literatur in der Zeitschrift ‚Europa‘ (1803; KFSA3, S.7). 303: 56,9 steht Plato niedriger als die jetzigen Philosophen?] Zu Plato siehe Anm. 15,4 zu L69. 304: 56,10f. Auch die Philosophie ist das Resultat zwei streitender Kräfte, der Poesie und Praxis] Zum Verhältnis von Poesie und Philosophie siehe Anm. 19,41f. zu L115. 304: 56,12 Mythologie] Siehe Anm. 38,13 zu A162.

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Friedrich Schlegel

304: 56,17 chemischen Prozeß des Philosophierens] Siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über die chemische Metaphorik in Schlegels Fragmentsammlungen. 304: 56,21 Schellings eigentliche Bestimmung] Zu Schelling siehe Anm. 31,33 zu A105. 304: 56,22f. seine Polemik !…" seine literarische Kritik der Philosophie eine falsche Tendenz] Siehe Anm. 16,19 zu L81 (‚Polemik‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 11,41 zu L37 (‚falsche Tendenz‘). 304: 56,24 Philosophie der Physik] Siehe Anm. 66,5f. zu A358 (‚Physik‘). 305: 56,26f. Absicht bis zur Ironie !…" Instinkt bis zur Ironie] Siehe Anm. 12,33 zu L42 über die Ironie; die Wendung „bis zur Ironie“ findet sich auch in A51 und 121. Zum Begriffspaar Absicht und Instinkt siehe Anm. 10,24f. zu L23. 305: 56,30f. Humor hat es mit Sein und Nichtsein zu tun !…" Reflexion] Wohl eine Anspielung auf Hamlets berühmten Monolog (III1). Siehe Anm. 48,10f. zu A237 (‚Humor‘) und 33,4–6 zu A116 (‚Reflexion‘). 305: 56,35 Rhapsodien] Zum mündlichen Vortrag bestimmte epische Dichtungen, Gedichte in freien Rhythmen. Vgl. A319, FPL [IV] 202f., 210f., 213, 222, [V] 14, 953 (‚Fragment – Masse – Rhapsodie – System‘), PhL [II] 479, 726, 771, 944, 955, 967 u. ö. -- Mennemeier, Poesiebegriff, S.130 und 278f. 305: 56,26–36 Absicht bis zur Ironie !…" abgerißne Bruchstücke] Siehe auch Anm. 10,9 zu L16 (‚Willkür‘), 10,39f. zu L28 (‚Selbstvernichtung‘), 26,35 zu A51 (‚naiv‘), 29,3–6 zu A75 (‚grotesk‘), 58,33f. zu A315 (‚Elegie‘), 24,19 zu A22 (‚transzendental‘), 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘), 9,23 zu L9 (‚Witz‘), 33,40f. zu A119 (‚Genie‘) und 32,4 zu A108 (‚schön‘). – Vorstufen und Parallelen finden sich in FPL [V] 83, 415, 426, 794, 985, 1075 und 1077; vgl. auch A51 und A396 zum Verhältnis des Naiven zum Grotesken. -- Polheim, Arabeske, S.214–216; Strohschneider-Kohrs, S.40f. und 43. 306: 56,37 Die Geschichte von den Gergesener Säuen] Vgl. Luk. 8,26–39. Bei der Heilung des besessenen Gergeseners durch Jesus verlassen „die bösen Geister“ den Kranken und fahren in eine Schweineherde, die sich daraufhin von einem Felsen ins Wasser stürzt. 306: 56,38 von der Periode des Kraftgenies] Die literaturgeschichtliche Phase des Sturm und Drang in den frühen 70er Jahren des 18. Jahrhunderts. 307: 56,41 Peter Leberechts gestiefelten Kater] Ludwig Tieck veröffentlichte zeitweise unter dem Pseudonym Peter Leberecht (siehe Anm. 35,3f. zu A125). Der gestiefelte Kater (1797) ist eine satirische Märchenkomödie Tiecks. 309: 57,4 die Theoristen] Siehe Anm. 35,13 zu A129. 309: 57,4–8 Welche Vorstellungen !…" des historischen Gemäldes] Von August Wilhelm Schlegel. – Vgl. A311 zum ‚historischen Gemälde‘. 310: 57,9–11 Neuerdings ist die unerwartete Entdeckung gemacht worden, in der Gruppe des Laokoon !…" Schlagflusse] Die ‚Entdeckung‘ machte der Kunsthistoriker und Altertumsforscher Aloys Hirt (1759–1839) in seinem Aufsatz Laokoon, der 1797 in Schillers ,Horen‘ erschien. Hirt polemisiert darin gegen Lessings und Winckelmanns Auffassung von der Antike und stellt die These auf, daß die griechische Kunst nicht idealisiere, sondern realistisch darstelle. – Im ‚Ar-

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chiv der Zeit und ihres Geschmacks‘ antwortete Hirt auf dieses ebenso lange wie sarkastische Fragment August Wilhelm Schlegels; daraufhin veröffentlichte dieser in seinem Aufsatz Über Zeichnungen zu Gedichten und John Flaxman’s Umrisse, der im ‚Athenäum‘ (2.Stück, S.193–246) erschien, eine Erwiderung (Immerwahr, KFSA24, S.384). – Im Brief an seinen Bruder vom 13.4.1798 zeigt sich Friedrich Schlegel erbost über Hirts Deutung und findet es „prächtig“, „daß Du Hirt über die Nase hauen willst, denn so ein Lümmel muß nicht von Kunst mitreden wollen dürfen“ (KFSA24, S.120). Zustimmung zum Fragment seines Bruders äußert er auch am 20.4.1798: „Das Fr.[agment] über Laoc.[oon] ist mir keineswegs zu lang, und gefällt mir in jeder Rücksicht !!sehr"", so wie verschiedne andre dieser letzten“ (ebd., S.122). Vgl. zu Hirt auch Caroline Schlegels Brief an Friedrich, 14./15.10 (ebd., S.180), Friedrich Schlegel an Caroline, 27.11.1798 (ebd., S.203) und Ende April (?) 1799, (ebd., S.279) sowie Friedrich Schlegel an August Wilhelm, 8.3. und April 1799 (ebd., S.245 und 263); ferner den Brief August Wilhelm Schlegels an Friedrich, Ende Mai oder Juni 1799 (ebd., S.291). -- Härtl, S.279–282. 310: 57,13–15 Bei Gelegenheit werden Lessing und Winckelmann zurechtgewiesen !…" (!…" und mit ihnen Mengs)] Über Lessings Laokoon siehe Anm. 14,37f. zu L64. Winckelmann geht in seinen Gedanken über die Nachahmung griechischer Werke in der Malerei und Bildhauerkunst (1755) ausführlich auf die Statue des Laokoon ein (Uhlig, S.20f.); siehe auch die folgende Anm. Über Mengs siehe Anm. 40,19 zu A178. – Im 18. Jahrhundert entstand eine ausgedehnte Literatur über die antike Laokoon-Statue. Herder greift in den Kritischen Wäldern (1769) in die Diskussion zwischen Lessing und Winckelmann ein. Hirt gab mit seinem Aufsatz den Anstoß zu Goethes Abhandlung Über Laokoon (1798; WA I 47, S.101–107). Vgl. hierzu auch AB745. 310: 57,14–16 nicht Schönheit !…" noch stille Größe und edle Einfalt] Winckelmanns berühmte Charakteristik der griechischen Kunst in den Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst: „Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt, und eine stille Größe, sowohl in der Stellung als im Ausdrucke“ (Uhlig, S.20). 310: 57,17 Wahrheit der Charakteristik] Siehe Anm. 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘). 310: 57,18 die hölzernen Götzen der Kamtschadalen] Bewohner der nordost-asiatischen Halbinsel Kamtschatka, die Anhänger des Fetischismus waren und „Götzenbilder aus Kräutern u. Gras“ verehrten (Pierer 15 (1843), S.445). 310: 57,35 aus der flamändischen Schule] Zur niederländischen Schule in der Malerei siehe Anm. 40,20 zu A179. 310: 57,36f. das Hellenische] Siehe Anm. 13,21 zu L46 über die Griechen. 310: 58,1 Tragödien des Sophokles] Über Sophokles siehe Anm. 21,12f. zu L125, siehe ferner Anm. 11,3–5 zu L30 (‚Tragödie‘). 311: 58,9–13 Wenn der Geschmack der Engländer in der Malerei !…" einzuführen] Von August Wilhelm Schlegel. – Vgl. A309 zum ‚historischen

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Gemälde‘. Siehe Anm. 13,30f. zu L49 (‚Engländer‘) und 40,17–19 zu A178 über die Malerei. 312: 58,14f. Gegen den Vorwurf, daß die eroberten italiänischen Gemälde in Paris übel behandelt würden] Siehe Anm. 41,40–42 zu A192 über Napoleons Kunstraube in Italien. 312: 58,15 ein Bild von Carracci] Italienische Malerfamilie. Annibale Carracci (1560–1609) begründete die römische Barockmalerei, die durch starke Bewegung, pathetischen Ausdruck und allegorisch-mythologische Sujets gekennzeichnet ist. 312: 58,14–20 Gegen den Vorwurf !…" von der Barbierkunst an sich haben] Von August Wilhelm Schlegel? 313: 58,21f. Die zarte Weiblichkeit !…" auf den Bildern der Angelika Kauffmann] Angelika Kauffmann (1741–1807), prominente (Porträt-)Malerin und Vertreterin der klassizistisch getönten Rokokokunst. Siehe auch Anm. 18,30 zu L106 über die Frauen. 313: 58,23f. ihren Jünglingen sieht es aus den Augen, daß sie gar zu gern einen Mädchenbusen hätten] Vgl. hierzu den Brief Friedrich Schlegels an seinen Bruder vom 27.3.1796, in dem er über die Schriftstellerin Sophie Mereau (1770–1806) schreibt: „Wenn sie darstellen könnte, so würde sie es thun wie Angelika Kaufmann, der die Busen und Hüften, auch immer wie von selbst aus den Fingern quellen“ (KFSA23, S.305). 313: 58,26f. Unter den wenigen, die Plinius nennt !…" nur weibliche Figuren an] C. Plinius Secundus (d.Ä.) schreibt in seiner Naturalis historiae, Buch 35, 147. Abschnitt, über diese drei Malerinnen: „Pinxere et mulieres: Timarete, Miconis filia, Dianam, quae in fabula Ephesi est antiquissimae picturae; Irene, Cratini pictoris filia et discipula, puellam, quae est Eleusine, Calypso, senem et praestigiatorem Theodorum, Alcisthenen saltatorem; !…" Iaia !andere Namensform von Lala bzw. Laia" Cycicena, perpetua virgo, M.Varronis iuventa Romae et penicillo pinxit ex cestro in ebore imagines mulierum maxime !…" suam quoque imaginem ad speculum.“ 313: 58,21–27 Die zarte Weiblichkeit !…" weibliche Figuren an] Von August Wilhelm Schlegel. 314: 58,28 Da man jetzt überall moralische Nutzanwendungen verlangt] Vgl. A135 über die „moralischen Dramen“. 314: 58,30 Mancher, der sich an seiner Frau ein wenig müde gesehen] Siehe Anm. 18,30 zu L106 über die Frauen. 314: 58,28–31 Da man jetzt !…" Bildnisses wieder] Von August Wilhelm Schlegel. 315: 58,33f. Der Ursprung der griechischen Elegie !…" in der lydischen Doppelflöte] Die Flöte gilt als das traditionelle Begleitinstrument der Elegie. Vgl. auch Horaz in der Ars Poetica, Vers 202–219; zur Elegie und zum Elegischen A238, 305, 348, FPL [V] 146, 240, 325, 328f., 377, 428, 430, 725, 755, 762, 980, 1077, 1101, 1105, 1248, 1266. 316: 58,35 Für Empiriker] Siehe Anm. 46,39 zu A226 (‚Empirie‘). 316: 58,36–38 die Fichtische Wissenschaftslehre !…" das dritte Heft von

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dem Philosophischen Journal] Über Fichte siehe Anm. 36,1 zu A137. Seine Erste und die Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre und das erste Kapitel des Versuchs einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre erschienen 1797 und 1798 im ‚Philosophischen Journal‘, fünften Bandes erstes und viertes Heft, sechsten Bandes erstes Heft und siebten Bandes erstes Heft. 317: 58,39f. Wenn Nichts zuviel so viel bedeutet als Alles ein wenig, so ist Garve der größte deutsche Philosoph] Christian Garve (1742–1798) vertrat die popularisierende Richtung der Aufklärungsphilosophie. Über ihn äußert sich Schlegel in FPL [V] 114, 132 und 1126; vgl. Schleiermacher, G I 69 und 184. – Vorstufen zu diesem Fragment finden sich in FPL [V] 122 und 1115. 318: 58,41 Heraklit sagte, man lerne die Vernunft nicht durch Vielwisserei] Die Werke des griechischen Philosophen Heraklit (320–260 v.Chr.), von dem nur Fragmente überliefert sind, ist in dunkler, rätselhafter Sprache verfaßt. Der Satz, auf den sich Schlegel bezieht, lautet: „Vielwisserei lehrt nicht Einsicht haben.“ (Heraklit, Urworte der Philosophie. Griech. und ins Dt. übertragen von Georg Burckhardt, Frankfurt 1951, S.11.) 318: 58,42f. daß man durch reine Vernunft allein noch nicht gelehrt werde] Eine Anspielung auf Kants Kritik der reinen Vernunft (21787); zu den Kantianern siehe Anm. 10,11 zu L16. 319: 59,2f. (gleich echten Rhapsoden nach Platos Charakteristik dieser Gattung) nur für eins Sinn haben] Rhapsoden hießen die fahrenden Sänger im antiken Griechenland. Zu Plato, auf dessen Ion sich Schlegel hier bezieht, siehe Anm. 15,4 zu L69. Siehe auch Anm. 56,35 zu A305 (‚Rhapsodie‘) und 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘). 320: 59,9f. in den modigen Verzeichnissen aller möglichen Grundsätze der Moral] ‚Modig‘ bedeutet „der Mode eigen oder gemäß“ (DWb6, Sp.2440). Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 321: 59,12 Über das geringste Handwerk der Alten wird keiner zu urteilen wagen] Siehe Anm. 9,25f. zu L11 über die ‚Alten‘. 321: 59,14 Konjektur] Textverbesserung des Philologen in schlecht überlieferten Werken, die wahrscheinlich richtige Lesart. 321: 59,16f. daß jeder Mensch ein Poet und ein Philosoph sein solle] Vgl. zur Forderung des allgemeinen Dichter- bzw. Künstlertums auch A430, Id19, PhL [IV] 739 und Novalis, GL39, Vorarbeiten 226; Ritter, RF496. 321: 59,18f. das philologische Naive] Siehe Anm. 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘) und 26,35 zu A51 (‚naiv‘). 322: 59,20 Das beständige Wiederholen des Themas in der Philosophie] Über die musikalischen Bildlichkeit der Schlegelschen Fragmente siehe Anm. 9,11 zu L5. 322: 59,22–24 Kants Schriften !…" die Kantianer] Siehe Anm. 10,12 und 10,11 zu L16 über Kant und die Kantianer. 322: 59,20–24 Das beständige Wiederholen !…" Tonkünstler der Literatur] Hervorgegangen aus FPL [V] 882. Novalis notiert dazu in der Kritik der Athenaeumsfragmente: „Kants Musik versteh ich nicht.“ 323: 59,25 Daß ein Prophet] Siehe Anm. 29,19 zu A80.

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323: 59,28 Lesen und Übersetzen von Reisebeschreibungen] Siehe Anm. 99,13–15 zu FPL[V] 25 (‚Lesen‘) und 15,32f. zu L73 (‚Übersetzung‘). 323: 59,29 Lob der Universalität] Siehe Anm. 83,15 zu A451 (‚Universalität‘). 324: 59,30 Alle Gattungen sind gut, sagt Voltaire, ausgenommen die langweilige] Vgl. zu Voltaire auch A374, FPL [V] 88, PhL [II] 11, [V] 90; Novalis, T45 u. ö. – Siehe Anm. 22,8f. zu A4 (‚Gattungen‘). 325: 59,35f. Wie Simonides die Poesie eine redende Malerei und die Malerei eine stumme Poesie nannte] Von Plutarch, De gloria Atheniensium, 3,346f., wurde der für die Dichtungstheorie bis ins 18. Jahrhundert bedeutsame Satz überliefert: „Simonides nennt die Malerei eine schweigende Dichtung, die Dichtung eine redende Malerei.“ (Simonides, Bakchylides, Gedichte, griech. und dt. hg. und übers. von Oskar Werner, München 1969, S.224f. und 255–261.) Siehe auch Anm. 40,3 zu A174 über die Affinität von Malerei und Dichtung und 40,17–19 zu A178 über die Malerei. 325: 59,36f. die Geschichte sei eine werdende Philosophie] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 zur Geschichte. Vgl. hierzu auch A80 und FPL [II] 1: „Die Vollendung einer Wißenschaft ist der einzige Schlüßel zu ihrer Geschichte, und ihre Vollendung ist oft nichts als das philosophische Resultat ihrer Geschichte.“ 325: 59,37 Apoll] Vgl. A197. Im Delphischen Orakel äußerte sich die Gottheit sprichwörtlich dunkel oder doppeldeutig. 325: 59,39f. Wie übel verfährt selbst Lessing mit jenem schönen Wort des geistvollen Griechen] Vgl. Lessing, Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie (1766), Vorrede (Göpfert 6, S.10f.). Siehe Anm. 14,37f. zu L64 über Lessing. 325: 59,41 descriptive poetry] Beschreibende Dichtung. 325: 59,42 daß die Poesie auch eine geistige Musik sei] Vgl. zu diesem Gedanken A174. 326: 60,1 gemeine Menschen, ohne Sinn für die Zukunft] ‚Gemein‘ bedeutet im älteren Sprachgebrauch ‚alltäglich‘, ‚gewöhnlich‘. Siehe Anm. 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘). 326: 60,5 stätisch] „Nicht von der Stelle zu bringen, widerspenstig, störrisch“ (DWb10.2.1, Sp.947f.). 326: 60,6–8 Caesar, der die Gewohnheit hatte, im Gedränge der Schlacht flüchtig gewordene Krieger !…" zu kehren] Diese Gewohnheit schildert Sueton: „Eine in der Schlacht erschütterte Front brachte Cäsar oft ganz allein wieder zum Stehen. Er trat den Fliehenden entgegen, hielt einzelne fest, packte sie bei der Kehle und wandte sie so wieder gegen den Feind.“ (Sueton, Cäsarenleben, übertragen und erläutert von Max Heinemann, !…" Stuttgart 71986, Kap.62.) Über Cäsar siehe Anm. 37,1f. zu A146. 327: 60,27 Vermischung der Dichtarten] Dies bezeichnet A116 als Ziel der romantischen Poesie. Siehe Anm. 14,29 zu L60 (‚Dichtarten‘) und 11,12–15 zu L32 über den Begriff der Mischung. 327: 60,9–30 Virtuosen in verwandten Gattungen !…" an alle drei glaubt!] Siehe Anm. 22,8f. zu A4 (‚Gattungen‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘),

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10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘), 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘), 74,31 zu A406 (‚Priester‘), 47,38f. zu A234 (‚Mittler‘), 33,40f. zu A119 (‚Talent‘) und 14,35 zu L63 (‚Künstler‘). – Vorstufen und Parallelen zu diesem Fragment liegen in PhL [II] 262, 661, 1017 und [V] 974 vor. -- Lindemann, S.67–71. 328: 60,31 Nur der, welcher sich selbst setzt, kann andre setzen] Vgl. hierzu Fichtes Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794): „Das Ich setzt sich selbst schlechthin, und insofern ist seine Thätigkeit in sich selbst zurückgehend“ (FI1, S.273). 328: 60,32 welcher sich selbst annihiliert !…" andern zu annihilieren] Schleiermacher spielt hier wohl auf Fichtes vernichtende Kritik an konkurrierenden philosophischen Systemen an; eine solche Annihilation beabsichtigte er z.B.in seinem Beitrag zum ‚Philosophischen Journal‘ Vergleichung des von Herrn Prof.[Carl Christian Erhard] Schmid aufgestellten Systems mit der Wissenschaftslehre (1796; FI2, S.421–458). Siehe Anm. 31,21–24 zu A103 über den Begriff des Annihilierens und zu Fichtes Auseinandersetzung mit Schmid. 328: 60,31f. Nur der, welcher sich selbst setzt !…" jeden andern zu annihilieren] Von Schleiermacher (= Leibniz I, Nr.63 (FDES,KG I/2, S.94)). Vgl. hierzu die Dialektik von ‚Selbstschöpfung‘ und ‚Selbstvernichtung‘, wie sie Schlegel z.B.in L28 thematisiert, und siehe Anm. 10,4f. zu L14 über die Gedankenbewegung des ordo inversus. 329: 60,34–37 Es ist kindisch !…" zynisch] Von Schleiermacher (vgl. Leibniz I, Nr.64 (FDES,KG I/2, S.94). Vgl. PhL [II] 831. Siehe Anm 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘) und 14,28 zu L59 (‚cynisch‘). 330: 60,38 Viele haben Geist oder Gemüt oder Fantasie] Siehe Anm. 63,28f. zu A339 (‚Gemüt‘) und 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘). 330: 60,42 Übung in der intellektuellen Chemie] Siehe Anm. 11,12–15 zu L32. 330: 61,1f. Wie in der Vision des Propheten würde auf einmal das unendliche Feld zerstückter Menschenglieder lebendig werden] Vgl. Hesekiel 37,1–14. -- Meckenstock, FDES,KG I/2, S.145f. 330: 60,38–61,2 Viele haben Geist !…" lebendig werden] Von Schleiermacher (= Leibniz I, Nr.66 (FDES,KG I/2, S.95)). 331: 61,4 Es gibt Menschen, die kein Interesse an sich selbst nehmen] Möglicherweise bezieht sich Schleiermacher an dieser Stelle auf eine Anekdote Chamforts: „J’ai assisté hier à une conversation philosophique entre M. D..... et M. L....., où un mot m’a frappé. M. D..... disait: ‚Peu de personnes et peu de choses m’intéressent; mais rien ne m’intéresse moins que moi.‘ M. L..... lui répondit: ‚N’est-ce point par la même raison? et l’un n’explique-t-il pas l’autre?‘ – Cela est très-bien ce que vous dites-là, reprit froidement M. D....; mais je vous dis le fait. J’ai été amené là par degrés: en vivant et en voyant les hommes, il faut que le coeur se brise ou se bronze“ (Oeuvres 2, S.42f.). Siehe auch Anm. 85,35f. zu Id29 (‚frei‘). 331: 61,4–9 Es gibt Menschen !…" das Erhabenste] Von Schleiermacher (= Leibniz I, Nr.67 (FDES,KG I/2, S.95)).

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333: 61,14 Gott ist nach Leibniz wirklich, weil nichts seine Möglichkeit verhindert] Schlegel (oder Schleiermacher) bezieht sich hier auf §44f. der Theodizee. Über Leibniz siehe Anm. 25,4f. zu A27; siehe auch Anm. 47,30 zu A232 (‚Gott‘); vgl. zu Leibniz’ Gottesbegriff A361. – Das Fragment stimmt fast wörtlich mit Schleiermachers Leibniz I, Nr.31 (FDES,KG I/2, S.84) überein; vgl. auch PhL [II] 237. 334: 61,16–18 Dafür ist !…" im Werden bleiben] Von Schleiermacher. Siehe Anm. 87,37–88,2 zu Id50 (‚Zeitalter‘) und 27,10f. zu A54 (‚werden, nicht sein‘) 335: 61,19f. Wenn Welt der !…" nur in einer Welt zu leben] Eine Anspielung auf Leibniz, Specimen Dynamicum (1695). 335: 61,19–23 Wenn Welt !…" Freundschaft und Liebe] Von Schleiermacher. Vgl. Novalis, Vorarbeiten 301 („Von der geheimen Welt“). Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). 336: 61,24f. Wer mit seiner Manier, kleine Silhouetten von sich selbst !…" auszuschneiden] Siehe Anm. 9,16f. zu L7 und 16,28 zu L83 (‚Manier‘). 336: 61,26 Kastellan] Schloßverwalter, Burgvogt. 336: 61,28 die verschrobenen Anlagen seines englischen Gartens] Vgl. Novalis, GL7 und FuS640 zum Motiv des englischen Parks bzw. Gartens. 336: 62,18f. ihre Tendenz zu Liebe und Freundschaft] Siehe Anm. 15,18f. zu L69 (‚Tendenz‘) und 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). 336: 62,21 schmale Linie des sittlich Schönen] Vgl. FPL [V] 124 und Kant, Kritik der Urteilskraft (1793), §59, „Von der Schönheit als Symbol der Sittlichkeit“ (KA10, S.B254–260). Siehe Anm. 32,4 zu A108 (‚schön‘). 336: 62,38 elektrische Spitze] „Zugespitzte Enden leitender unisolirter Körper haben die merkwürdige Eigenschaft, daß sie die Elektricität äusserst leicht auf große Entfernungen und ohne Funken annehmen und mittheilen“, erklärt J.S.T.Gehler in seinem Physikalischen Wörterbuch (Bd.4, S.158 sub voce ‚Spitzen, elektrisirte‘, ebd. S.158–167); diese Beobachtung spielte zunächst u.a. bei der Erfindung des Blitzableiters eine wichtige Rolle und wurde in der zeitgenössischen Physik intensiv erforscht. „Spitzige Körper laden die Elektricität auf eine weit größere Enfernung in andere aus, und nehmen sie von andern in weit größerer Entfernung an, als Körper von andern Gestalten. Der Uebergang in Spitzen bringt auch gewöhnlich keinen Schall hervor, und die Elektricität geht nicht als ein plötzlich abgesonderter Funken von merklichem Durchmesser, sondern nach und nach, oder in einem anhaltenden Strome über. An Spitzen, welche Elektricität abgeben oder einnehmen, zeigt sich im Dunkeln das elektrische Licht, und zwar, wenn die Spitze +E aussendet und –E annimmt, als ein Strahlenbüschel oder Stern !…" In beyden Fällen fühlt man eine gelinde Bewegung oder ein Blasen, welches allezeit von der Spitze ausgeht“ (ebd. S.159). 336: 62,41 Normal-Seelen] Vorbildliche Seelen, Seelen, die einer Norm entsprechen. 336: 62,41f. Heinrich Stilling] Johann Heinrich Jung, genannt Stilling (1740–1817) wurde als Schriftsteller vor allem durch seine vielbändige, von pietistischer Selbstbeobachtung geprägte Autobiographie bekannt, die mit Heinrich

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Stillings Jugend (1777) beginnt und bis zu Heinrich Stillings Alter (1817) weitergeführt wird. 336: 63,5 Eigentümlichkeit des Sinnes und Charakters] Siehe Anm. 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘). 336: 63,11 ohne auf Ideen hinzudeuten] Siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘). 336: 61,24–63,16 Wer mit seiner Manier !…" wirklich besitzen] Von Schleiermacher. Vgl. PhL [II] 237, A196 über Autobiographen und Schleiermacher, GII3. 337: 63,17 Arrogant ist, wer Sinn und Charakter zugleich hat] Siehe Anm. 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘). 337: 63,18f. Wer beides auch von den Weibern fordert, ist ein Weiberfeind] Siehe Anm. 18,30 zu L106 über die Frauen. 337: 63,17–19 Arrogant ist !…" Weiberfeind] Von Schleiermacher (= GII5). 338: 63,20–26 Nur die äußerlich bildende !…" einzelne Gedanken] Von Schleiermacher, fast wörtlich in GII7. 339: 63,27 Sinn der sich selbst sieht] Siehe Anm. 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘). 339: 63,27 Geist ist innre Geselligkeit] Siehe Anm. 78,24f. zu A426 (‚Geselligkeit‘). 339: 63,28f. die eigentliche Lebenskraft der innern Schönheit !…" ist das Gemüt] Der Begriff Gemüt bezeichnet bei den Frühromantikern die „Gesamtheit und Einheit der geistigen und sinnlichen Vermögen des Menschen“ (Balmes, WTB3, S.434). In dem Aufsatz Über Lessing (1797) definiert Schlegel das Gemüt als „jene lebendige Regsamkeit und Stärke des innersten, tiefsten Geistes, des Gottes im Menschen“ (KFSA2, S.106). Vgl. auch A350, Id116, 152f; Schleiermacher, G I 177. Siehe Anm. 32,4 zu A108 über das Schöne. -- Brylla, S.148–157; Dick, S.274–277; Volkmann-Schluck, S.50. 339: 63,32 Sinn für alles] Siehe Anm. 10,38f. zu L28. 339: 63,33 Geist ist wie eine Musik von Gedanken] Siehe Anm. 9,11 zu L5 über Schlegels musikalischen Metaphern und Vergleiche. 339: 63,27–37 Sinn der sich selbst sieht !…" zur ewigen Einheit bildet] Vorstufen und Parallelen finden sich in FPL [IV] 79, [V] 443, 517 und in PhL [II] 831. Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚Bildung, gebildet‘) – In Friedrich Schlegels und Dorothea Veits Brief an Schleiermacher vom 20. oder 27.3.1798 schreibt Schlegel: „Hier sind zwey Gemüthsfragmente von mir.“ Es folgen A339 und 342 in Dorotheas Handschrift (KFSA24, S.116). – In der Kritik der Athenaeumsfragmente merkt Novalis zu A339 an: „Schön – aber dunkel.“ 340: 63,38 Was oft Liebe genannt wird, ist nur eine Art von Magnetismus] Siehe Anm. 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). Vgl. zum Magnetismus bzw. zum sogenannten tierischen Magnetismus FPL [V] 1171, 1174, [VIII] 80, [XII] 134, [XIII] 111, 131; Novalis, AB11, 232, 890, 947; Ritter, RF367–388 und 462–480. Zur zeitgenössischen Entdeckung des Magnetismus als eines geradezu universellen Erklärungsmodells, nicht nur für Erscheinungen der anorganischen Natur, sondern auch für physiologische und psychologische Phänomene im einzelnen: Andreas B. Kilcher, Ästhetik des Magnets. Zu einem physikalischen Modell der Kunst in

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der Frühromantik. In: DVjs 72 (1998), H.3, S.463–511, besonders S.464f. Eine entsprechend zentrale Funktion im großen Zusammenhang der Natur schreibt Ritter dem Galvanismus zu (siehe Anm. AB947 und in den „Biographischen Skizzen“ den Abschnitt über J.W.Ritter). 340: 63,39 en rapport Setzen] „In Beziehung setzen“, ein Terminus des Mesmerismus; vgl. dieselbe Formulierung in A436 sowie A93 und PhL [IV] 816 (‚in Berührung setzen‘) und siehe Anm. 153,19 zu BL89 (‚Berührung‘). 340: 63,38–41 Was oft Liebe !…" nüchtern] Von Schleiermacher (= GII1). 341: 63,42–64,3 Wer einen höheren Gesichtspunkt !…" finden möchten] Von Schleiermacher (= GII6). 342: 64,4 Es ist schön] Siehe Anm. 32,4 zu A108. 342: 64,9 die intellektuale Anschauung der Freundschaft] Siehe Anm. 29,7 zu A76 zur intellektualen Anschauung. 343: 64,10–12 Wenn man ein interessantes philosophisches Phänomen !…" die letzte Bedingung] Hervorgegangen aus PhL [II] 1051. 344: 64,13 Philosophieren heißt die Allwissenheit gemeinschaftlich suchen] Identisch mit PhL Beilage I 97. Vorstufen und Parallelen finden sich in PhL [I] 101, [II] 167 und Beilage I 9f. Vgl. L112 zur romantischen ‚Symphilosophie‘. 345: 64,14f. Es wäre zu wünschen, daß ein transzendentaler Linné die verschiedenen Ichs klassifizierte] Der schwedische Arzt und Naturforscher Carl von Linné (1707–1778) schuf mit seiner Systema naturae (1735) die Grundlage der modernen biologischen Klassifikation und führte die heute noch gebräuchliche systematische binäre Bezeichnung in Zoologie und Botanik ein. Von einem „Linnäeus des Menschengeschlechts“ spricht Schiller in Der Verbrecher aus verlorener Ehre (NA16, S.7). – In ihren philosophischen Studien und weiterführenden Aufzeichnungen unterscheiden die Frühromantiker u.a. zwischen ‚absolutem Ich‘ (PhL Beilage I 51, 70, 72f.; Novalis, FSt111, Vorarbeiten 112, AB314), ‚empirischem‘ (PhL Beilage I 41, 83; Novalis FSt113f., Vorarbeiten 112), ‚praktischem‘ (FSt89, 91, 96, 103, 109, 111, 113f. u. ö.), ‚theoretischem‘ (FSt90f., 96–99, 103, 105, 109, 113f. u. ö.), ‚transzendentalem‘ (PhL [II] 135), ‚unendlichem‘ (PhL [X] 396; Novalis, FSt564), ‚reinem‘ (FSt555), ‚höherem‘ und ‚niederem Ich‘ (PhL [X] 223). – Siehe Anm. 27,12 zu A55 (‚Klassifikation‘) und 50,18 zu A252 (‚Ich‘). -- Maatsch, S.135f. 346: 64,18 Der gepriesne Salto mortale der Philosophen] Diese Metapher prägte Friedrich Heinrich Jacobi in seinem Buch Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (21789, S.27), wo er dem Pantheismus des niederländischen Philosophen sein eigenes Credo gegenüberstellt: „Ich glaube eine verständige persönliche Ursache der Welt“, und sich durch einen „Salto mortale“ aus dem Dilemma des Begründungsdenkens rettet. „Jacobi hatte in !…" der Zweitauflage seines sog. ‚Spinoza-Büchleins‘ (v.a. SS.422/423) gezeigt, daß, wenn denn Philosophieren als ein System von begründetem Wissen verstanden werden soll, man an einen Punkt kommen muß, welcher selbst nicht mehr begründet werden kann, da man sonst in einen infiniten Regreß bedingter Bedingungen geraten würde. Um diese Kette haltloser Bedingungen stoppen zu

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können, muß ein Un-bedingtes als letzter Grund des in Bedingungen operierenden Begründens von Wissen angenommen werden. Da dieses Unbedingte, um eine solche letzte begründungsstiftende Funktion erfüllen zu können, selbst nicht mehr begründet, also auch nicht im Modus eines Wissens repräsentiert werden kann, ist es nur noch als ‚Glaube‘ zugänglich“ (Rehme-Iffert, Skepsis und Enthusiasmus, S.26). Schlegel knüpft im vernichtenden Schlußsatz seiner Rezension (1796) von Jacobis Roman Woldemar an Jacobis Formulierung an: „Woldemar ist !…" eigentlich eine Einladungsschrift zur Bekanntschaft mit Gott !…", und das Theologische Kunstwerk endigt, wie alle moralische Debauchen endigen, mit einem Salto mortale in den Abgrund der göttlichen Barmherzigkeit“ (KFSA2, S.77). Vgl. auch Friedrich Schlegels Brief an August Wilhelm vom 28.8.1798 (KFSA24, S.124). In PhL [II] 371 bemerkt Schlegel suffisant: „Jak[obi]s [Philosophie] könnte man die [Philosophie] vom Sprunge nennen.“ -- Naschert, Wechselerweis, S.59–62; Rehme-Iffert, Skepsis und Enthusiasmus, S.25–27. 346: 64,21 Don Quixotes Luftreise auf dem hölzernen Pferde] Cervantes gehört zu den ‚romantischen‘ Autoren, die Friedrich Schlegel besonders hochschätzte (vgl. auch FPL [V] 69, 78, 429 und Gespräch über die Poesie (1800; KFSA2, S.299 und 337). Das Abenteuer mit dem hölzernen Pferd findet sich im 2. Teil des Don Quijote (Kap.40f.). Am Herzogshof fällt Don Quijote verschiedenen Mystifikationen zum Opfer. Das Herzogspaar und sein Gefolge vergnügt sich damit, Don Quijote und Sancho Pansa auf einem hölzernen Pferd reiten zu lassen und ihnen einzureden, sie flögen auf einem Pferd mit wunderbaren Fähigkeiten in schwindelnder Höhe durch die Lüfte, um einen Kampf mit dem riesenhaften Zauberer Malambruno zu bestehen. -- Hoffmeister, Europäische Einflüsse, S.111f.; Rachel Schmidt, Reassessing Friedrich Schlegel’s Reading of Don Quixote in the Light of His Early Writings. In: The Lion and the Eagle. Interdisciplinary Essays on German-Spanish Relations over the Centuries, hg. von Conrad Kent u.a., New York und Oxford 2000, S.188–213. 346: 64,22 Jacobi] Siehe Anm. 36,23 zu A142. 346: 64,23f. zwei Arten von Philosophie !…" Spinosa und Leibniz] Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 47,40 zu A234 (Spinoza) und 25,4f. zu A27 (Leibniz). 346: 64,18–25 Der gepriesene Salto mortale der Philosophen !…" gedrückt hat] Vorstufen finden sich in PhL [II] 775, 1047 und 1049. 347: 64,26–28 Es ist noch ungleich gewagter !…" noch weniger gelten] Von der Unmöglichkeit, Philosoph zu sein, spricht A54. Siehe Anm. 31,3f. zu A96 (‚Sophist‘). Zu diesem Fragment schreibt Novalis in der Kritik der Athenaeumsfragmente: „U[n]V[erständlich].“ 348: 64,29–31 Es gibt Elegien !…" von den Verhältnissen der Plattheit zur Tollheit] Siehe Anm. 58,33f. zu A315 (‚Elegie‘), 15,20 zu L69 (‚Plattheit‘) und 15,8 zu L67 (‚Tollheit‘). 349: 64,32–36 Die Duldung !…" wäre die Toleranz nichts] Von Schleiermacher. 350: 64,37 Keine Poesie, keine Wirklichkeit] Vgl. A100f. zum Verhältnis der Poesie zur Wirklichkeit.

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350: 64,37 Fantasie] Siehe Anm. 15,19f. zu L69. 350: 64,38f. Wer nur Sinn hat] Siehe Anm. 14,35f. zu L63. 350: 64,39f. dem Zauberstabe des Gemüts allein tut sich alles auf] Vgl. zum Motiv des Zauberstabs auch Id61; Novalis, Vorarbeiten (Poësie) 32 („Zauberworte“), Vorarbeiten 121, 189, 298, FD200, AB733, Die Lehrlinge zu Sais (NO1, S.100), Hardenbergs Brief an Wilhelmine von Thümmel, 8.2.1797 (NO4, S.201), und Friedrich Schlegel an Hardenberg, 2.12.1798 (KFSA24, S.208). Siehe Anm. 63,28f. zu A339 (‚Gemüt‘). 350: 64,37–42 Keine Poesie !…" bewußt zu sein] Von Schleiermacher, fast wörtlich in GII8. Zum Interesse der Frühromantiker an der kognitiven, die Welt allererst sinnvoll strukturierenden Leistung der Sprache: Bär, S.86 und 170. 351: 65,1–3 Hast du je !…" daß ihr gebildete Menschen seid] Von Schleiermacher (= GII9). Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). -- Mollenhauer, S.20f. 352: 65,4–13 Es ist eine Dichtung !…" entzückt zu sein] Von Schleiermacher (= GII10). Vgl. G I 47. 353: 65,18 ad depositum] Zur Verwahrung. 353: 65,14–21 Jene Geschichte von einem Franzosen der alten Zeit !…" verlangt] Von Schleiermacher, fast wörtlich in GII4. Vgl. G I 54. Siehe Anm. 13,12f. zu L45 über die Franzosen. 354: 65,22–24 Wer Liberalität und Rigorismus verbinden wollte !…" erlaubt sein?] Von Schleiermacher (= GII11). Siehe Anm. 10,34f. zu L26 (‚liberal‘). 355: 65,25f. Jämmerlich ist freilich jene praktische Philosophie der Franzosen und Engländer] Siehe Anm. 13,12f. zu L45 über die Franzosen und 13,30f. zu L49 über die Engländer. 355: 65,31f. daß der sittliche Mensch aus eigner Kraft sich um seine Achse frei bewegt] Vgl. zu diesem Bild Hülsen, H71. 355: 65,32f. Sie haben den Punkt außer der Erde gefunden, den nur ein Mathematiker suchen wollen kann] Anspielung auf einen Ausspruch des griechischen Mathematikers und Physikers Archimedes (287–212 v.Chr.). Als dieser das Hebelgesetz entdeckte, soll er versprochen haben, die Erde aus ihren Angeln zu heben, wenn ihm jemand einen festen Punkt außerhalb derselben gäbe. Novalis bezieht sich in BL94 und AB784 auf dieselbe Anekdote. In der Abhandlung Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie (1794) führt Fichte den Ausspruch des Archimedes als Beispiel für die letzte Begründung des Selbstbewußtseins an: „Archimedes konnte die Maschine, durch welche er den Erdball aus seiner Stelle bewegen wollte, berechnen, ob er gleich sicher wusste, dass er keinen Platz ausserhalb der Anziehungskraft derselben finden würde, von welchem aus er sie könnte wirken lassen“ (FI1, S.46). Vgl. auch Schelling in seinen Abhandlungen zur Erläuterung des Idealismus der Wissenschaftslehre (1796/97; Sch6, S.280). -- Stockinger, WTB3, S.362. 355: 65,25–35 Jämmerlich !…" wissen] Von Schleiermacher, fast wörtlich in GII2. 356: 65,36–38 Die Welt kennen !…" nur etwas dünner] Von Schleiermacher (= GII13).

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357: 65,40 Von einer guten Bibel fodert Lessing Anspielungen, Fingerzeige] Diese Forderung erhebt Lessing in seiner Erziehung des Menschengeschlechts (1777/80), §43 (Göpfert 8, S.498f.). Siehe Anm. 90,36f. zu Id95 (‚Bibel‘) und 14,37f. zu L64 (Lessing). 357: 66,1 nach diesem Ideal] Siehe Anm. 75,3 zu A412. 357: 66,2 die Kritik der reinen Vernunft] Siehe Anm. 10,12 und 10,11 zu L16 über Kant und die Kantianer. Kants Kritik der reinen Vernunft erschien zuerst 1781, die zweite Auflage 1787. 357: 65,40–66,2 Von einer guten Bibel !…" Kritik der reinen Vernunft?] Eine Vorstufe findet sich in PhL [II] 427f.; vgl. auch PhL [II] 436. 358: 66,3f. Leibniz !…" indem er das Wesen und Tun einer Monade beschreibt] Siehe Anm. 25,4f. zu A27 über Leibniz und 27,14 zu A55 über den Begriff der Monade. 358: 66,4–9 Cela peut aller jusqu’au sentiment !…" cela peut aller jusqu’à la philosophie] „Das kann bis zur Empfindung gehen“, „das kann bis zur Philosophie gehen“. Ein Zitat aus G.W.Leibniz, Principes de la Nature et de la grace, fondés en raisons (Gerhardt 6, S.599). 358: 66,5f. Wenn jemand die Physik universeller macht !…" ein Stück Mathematik] Vgl. zur Physik, die um 1800 vielfach Modellcharakter für die literarische Produktion annahm, auch A304, 381, 412, Id97, 99; Novalis, AB8, 41, 67, 79, 81, 83, 88f., 94, 129, 133; Schleiermacher, G I 80, 111 u. ö. Siehe Anm. A89 zur Mathematik. -- Kapitza, Physik; Specht, besonders, S.273–287; Luciano Zagari, La fisica come metafora. A proposito di due testi di Friedrich Schlegel e di Novalis. In: ‚Annali. Sezione Germanica (Istituto Universitario Orientale (Napoli))‘ N.S.3 (1993), H.1/3, S.387–417: Zovko, S.122f. 358: 66,11 wie der Urstoff nach Leibniz sein soll] „Leibniz versteht unter der materia prima (lat., erste Materie, ‚Urstoff‘) die passive Kraft als Prinzip der Undurchdringlichkeit und Trägheit“ (Arndt, Schleiermacher-Schriften, S.1288). 358: 66,11f. nach Art der Genies] Siehe Anm. 33,40f. zu A119. 358: 66,3–13 Leibniz bedient sich !…" anzudichten pflegt] Friedrich Schlegel stellte dieses Fragment teilweise aus Schleiermachers Leibniz I, Nr.30 und 53 (FDES,KG I/2, S.84 und 89f.) zusammen. 359: 66,14–17 Freundschaft ist partiale Ehe und Liebe ist Freundschaft von allen Seiten !…" in der Freundschaft] Vgl. hierzu A268, PhL [II] 111 und Novalis, BL35. Siehe auch Anm. 26,31 zu A50 (‚Liebe‘) und 25,20 zu A34 (‚Ehe‘). Vorstufen finden sich in PhL [III] 49 und 53. 360: 66,21 mauvaise plaisanterie] Schlechter Scherz. 360: 66,24f. Lessing und Fichte sind die Friedensfürsten der künftigen Jahrhunderte] Siehe Anm. 14,37f. zu L64 (Lessing) und 36,1 zu A137 (Fichte). Vgl. zur Prophezeiung eines Friedensfürsten Jesaja 9,5. 361: 66,26 Leibniz sieht die Existenz an wie eine Hofcharge] Über Leibniz siehe Anm. 25,4f. zu A27. Eine Hofcharge ist ein Amt oder Rang bei Hofe. Vgl. Leibniz, Principes de la Nature et de la Grace, fondés en raison (Gerhardt 6, S.598–606), besonders Abschnitt 9–15. 361: 66,28 Regale] Hoheitsrechte.

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361: 66,29 Expedition eines Adelsdiploms] Vgl. Novalis’ Charakterisierung von Wilhelm Meisters Lehrjahren als „Wallfahrt nach dem Adelsdiplom“ (FuS536). 361: 66,26–30 Leibniz sieht !…" geheimen Kanzlei] Von Schleiermacher? Der erste Satz findet sich z.T. wörtlich in dessen Leibniz I, Nr.39, 47 und 49 (FDES,KG I/2, S.86 und 89f.) Vgl. zu Leibniz’ Gottesbegriff auch A333. -Arndt, Schleiermacher-Schriften, S.1288. 362: 66,37 Klugheit] Vgl. zu Klugheit und Klugheitslehre Novalis, AB612. 362: 67,13f. Wohlwollen und Ironie] Vgl A86 zur Bestimmung von ‚echtem Wohlwollen‘ und siehe Anm. 12,33 zu L42 (‚Ironie‘). 362: 66,31–67,31 Die Fertigkeit !…" besetzt wünschen] Von Schleiermacher. Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Talent‘) und 63,28f. zu A339 (‚Gemüt‘). – Novalis merkte dazu in der Kritik der Athenaeumsfragmente an: „Ganz gut, aber schläfrig.“ 363: 67,34f. weil wir noch nicht gebildet genug sind] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 363: 67,36f. Laura war des Dichters Werk] Laura war die von Petrarca (siehe Anm. 20,18 zu L119) verehrte Dame, die er im Canzoniere (veröffentlicht 1470) besingt. Vgl. hierzu auch A100 zum Verhältnis von Poesie und Wirklichkeit sowie A117 zur spezifischen Realität des literarischen Werks. 364: 67,40 Idee zu einem Katechismus der Vernunft für edle Frauen] Von Schleiermacher. Siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘) und 18,30 zu L106 über die Frauen. 364: 67,40–68,14 Die zehn Gebote !…" Der Glaube] Schleiermacher persifliert in seinem ‚Katechismus‘-Fragment den Dekalog in der Fassung von Exodus 20 in der reformierten Zählung der Gebote, wie er sie im Heidelberger Katechismus vorfand, und das apostolische Glaubensbekenntnis in Anlehnung an Luthers Kleinen Katechismus. 364: 67,43 Du sollst dir kein Ideal machen] Siehe Anm. 75,3 zu A412 (‚Ideal‘). 364: 68,8f. die Eigentümlichkeit und die Willkür deiner Kinder] Siehe Anm. 10,9 zu L16 über die Willkür. In seinem Brief an Schleiermacher vom 20. oder 27.3.1798 merkt Friedrich Schlegel hierzu an: „In die Glaubensartikel hab’ ich die Willkühr hereingebracht der Veit zum Possen“ (KFSA24, S.117). Siehe Anm. 154,30 zu BL97 (‚Kind‘). 364: 68,13f. Laß dich gelüsten nach der Männer Bildung, Kunst, Weisheit und Ehre] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 über die Bildung. Vgl. Id115 zum Postulat weiblicher Bildung und A233 zum Verhältnis von Bildung und Religion. 364: 68,18f. mich dem Unendlichen wieder zu nähern] Siehe Anm. 13,26 zu L47 über das Unendliche. 364: 68,21 die Würde der Kunst und den Reiz der Wissenschaft] Zum Begriffspaar Kunst und Wissenschaft siehe Anm. 10,10 zu L16. 364: 67,40–68,23 Idee zu einem Katechismus !…" künftige Veredlung] Mitte März 1798 kündigt Friedrich Schlegel dieses Fragment seinem Bruder an:

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„Ich habe noch ein sehr großes von ihm !Schleiermacher", einen Katechismus für edle Frauen, eine höchst ernsthafte Parodie der zehn Gebote. Ich muß Dich im voraus bitten, Dich ja nicht prüdisiren zu lassen, und es ernstlich in Betracht zu ziehn“ (KFSA24, S.102). Für das erste Gebot dieses Katechismus hatte Friedrich Schlegel zunächst einen etwas anderen Wortlaut vorgesehen: „Ich glaube an die unendliche Menschheit die sich selbst erschuf, ehe sie die Hüllen der Weiblichkeit oder der Männlichkeit annahm.“ (Friedrich Schlegel an Schleiermacher, 20. oder 27.3.1798; KFSA24, S.117.) Im Juli 1798 schrieb Schlegel an Schleiermacher: „Der Katechism ist Hard.[enberg] wohl zu hoch gewesen“ (KFSA24, S.147). Dieser hatte in seiner Kritik der Athenaeumsfragmente den Satz notiert: „Der Glaube misfällt mir, wie ein Bruchstück aus Agnes v[on] Lillien !Roman von Schillers Schwägerin Caroline von Wolzogen; ein Fragment über dieses Werk wurde wegen August Wilhelm Schlegels Veto nicht veröffentlicht. (Vgl. Friedrich Schlegels Brief an seinen Bruder, 25.3.1798; KFSA24, S.113.)"“ -Arndt, Schleiermacher-Schriften, S.1136f.; Juliane Jacobi, ‚Idee zu einem Katechismus der Vernunft für edle Frauen‘. Friedrich Schleiermachers literarische Praxis, ein Beitrag zur Bildungsreligion des 19. und 20. Jahrhunderts? In: Literatur als religiöses Handeln?, hg. von Karl E. Grötzinger und Jörg Rüpke, Berlin 1999, S.253–272; Nowak, Schleiermacher und die Frühromantik, S.283–285; Erwin Quapp, Friedrich Schleiermachers Gebots- und Glaubensauslegung in seiner „Idee zu einem Katechismus der Vernunft für edle Frauen“. In: Internationaler Schleiermacher-Kongreß, Berlin 1984, hg. von Kurt-Victor Selge, Bd.1, Berlin 1985, S.163–192. 365: 68,24f. Die Mathematik ist gleichsam eine sinnliche Logik !…" zur Poesie] Siehe Anm. 30,25–27 zu A89 (‚Mathematik‘) und 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘). Eine Vorstufe zu diesem Proportionalvergleich findet sich in PhL [III] 97. Novalis rügte die Unverständlichkeit dieses Fragments: „versteh ich nicht.“ 366: 68,26f. Verstand ist mechanischer, Witz ist chemischer, Genie ist organischer Geist] Siehe Anm. 9,23 zu L9 und 10,21–23 zu L22 über den Witz und dessen ‚chemische‘ Natur, ferner 33,40f. zu A119 über das Genie und vgl. A412, 426, Id85, 95, 97 und 152 zur Vorstellung des Organischen, die Schlegel auf den Geist überträgt. – Die Trias mechanisch – chemisch – organisch kehrt bei Friedrich Schlegel, aber auch bei Novalis, öfter wieder, z.B. in A412, PhL [II] 481, [III] 5, 67, 70, 112, 117, 162, 275, 287 und Novalis, BL70. – Eine Vorstufe findet sich in PhL [IV] 295. Novalis’ Kritik lautet: „Kein rechtes Fragment und z[um] Th[eil] non liquet.“ („ … nicht klar.“) -- Chaouli, Laboratory, S.3f.; Kapitza, Mischung, S.165–175. 367: 68,28–33 Man glaubt Autoren oft durch Vergleichungen !…" kaum noch achten!] Siehe Anm. 15,9 zu L68 (‚Autor‘). Hervorgegangen aus PhL [III] 77. 368: 68,35f. Die Kaufleute !…" sind recht altfränkisch bescheiden] Anders jedoch in Novalis’ Roman Heinrich von Ofterdingen (NO1, S.205–213). 368: 68,34–36 Es gab und gibt schon Ärzte !…" bescheiden] Eine Vorstufe zu diesem Fragment liegt in PhL [III] 28 vor.

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369: 68,37–69,4 Der Deputierte !…" legitimiert werden] Siehe Anm. 151,17f. zu BL76 (‚Repräsentant‘), 34,4 zu A121 (‚Idee‘) und 74,31 zu A406 (‚Priester‘). – Zwei Vorstufen finden sich in PhL [III] 78 und 82. 370: 69,5–9 Sollte nicht das eine absolute Monarchie sein !…" republikanisch schiene] Vgl. A214. Siehe Anm. 14,40 zu L65 (‚republikanisch‘). Das Fragment ist aus PhL [III] 87 hervorgegangen. 371: 69,10f. Um den Unterschied der Pflichten gegen sich selbst und der Pflichten gegen andre zu bestimmen] Vgl. zur Pflicht A10 und Id39, zur traditionellen Einteilung der Pflichten des Menschen gegen sich selbst und gegen andere Kants Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre (1797; KA8, S.501–633). 371: 69,10–22 Um den Unterschied !…" nur nicht moralisch] Von Schleiermacher. Das Fragment ist aus G I 24 hervorgegangen. Die Aufzeichnung dürfte, wie A.Arndt (Schleiermacher-Schriften, S.1131f. und 1163) vermutet, mit Schleiermachers Vortrag über die Immoralität der Moral (1797) in Zusammenhang stehen. (Vgl. hierzu auch G I 25f. und Friedrich Schlegels Brief an August Wilhelm, 31.10.1797; KFSA24, S.31.) Siehe Anm. 11,3–5 zu L30 (‚Tragödie‘), 37,29 zu A154 (‚Komödie‘), 22,24f. zu A9 (‚Moral‘) und 26,22f. zu A46 (‚System‘). 372: 69,23f. In den Werken der größten Dichter atmet nicht selten der Geist einer andern Kunst] Vgl. zu diesem Gedanken A193 und 325. Siehe Anm. 40,3 zu A174 über die ‚synästhetische‘ Vermischung der Künste in der Romantik. 372: 69,24 bei Malern] Siehe Anm. 40,17–19 zu A178 über die Malerei. 372: 69,24f. Michelangelo] Siehe Anm. 42,10f. zu A193. 372: 69,25 Raffael] Siehe Anm. 40,17f. zu A178. 373: 69,28f. Die Philosophie war bei den Alten in ecclesia pressa, die Kunst bei den Neuern] „In der unterdrückten Kirche“, eine Formel des katholischen Kirchenrechts, das mit diesem Ausdruck Gebiete bezeichnete, in denen sich die Kirche in weltlichen Angelegenheiten an die jeweiligen Staatsgesetze halten mußte. – Zum Verhältnis der ‚Alten‘ und der Modernen siehe Anm. 16,29f. zu L84 -- Balmes, WTB3, S.618. 373: 69,29f. die Sittlichkeit !…" die Rechtlichkeit] Siehe Anm. 44,18 zu A211 über das Verhältnis von Recht und Sittlichkeit sowie 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 373: 69,28–30 Die Philosophie war !…" sogar die Existenz] Vorstufen finden sich in FPL [V] 1090 und in PhL [IV] 896. 374: 69,31 Sieht man nicht auf Voltaires Behandlung] Über Voltaire siehe Anm. 59,30 zu A324. 374: 69,33f. die französischen Philosophen machen es mit dem Candide, wie die Weiber mit der Weiblichkeit] Siehe Anm. 13,12f. zu L45 über die Franzosen und 18,30 zu L106 über die Frauen. In Voltaires satirischem Roman Candide ou l’optimisme (1759) führt die Serie von Unglücksfällen und Widrigkeiten, die seinem Helden zustößt, Leibniz’ Auffassung von der ‚besten aller möglichen Welten‘, in der wir leben, ad absurdum.

Fragmente (‚Athenäums‘-Fragmente)

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375: 69,37 Akkompagnement] Begleitung. 375: 69,35–43 Grade die Energie !…" handelt] Hervorgegangen aus PhL [III] 43 und 47. Vgl. auch A378. Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘), 24,14f. zu A22 (‚Projekt‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 376: 70,1f. Die passiven Christen betrachten die Religion !…" aus einem merkantilischen Gesichtspunkte] Vorstufen zu diesem Fragment finden sich in PhL [III] 11 und 37. Siehe Anm. 23,25f. zu A16 (‚Christianismus‘) und 84,9 zu Id4 (‚Religion‘). 377: 70,3f. Hat der Staat denn ein Recht, Wechsel aus reiner Willkür !…" zu entsetzen?] Hervorgegangen aus PhL [III] 26. In der Kritik der Athenaeumsfragmente notiert Novalis zu diesem Fragment: „Der Blinde v[on] d[er] Farbe.“ 378: 70,10f. jenes innre Crescendo der Empfindungen ist die Eigenheit energischer Naturen] Siehe Anm. 9,11 zu L5 über die musikalische Metaphorik dieser Fragmente. Vgl. auch A375 über die ‚energischen Naturen‘. 378: 70,5–11 Es ist nicht selten !…" energischer Naturen] Von Schleiermacher. 379: 70,16 unbedingten Willkürlichkeit] Siehe Anm. 10,9 zu L16 (‚Willkür‘). 379: 70,22 Warum fehlen die Satanisken in der Christlichen Mythologie?] Satanisken sind Teufelchen. Vermutlich meint Dorothea dieses Fragment, wenn sie im Brief an Schleiermacher vom 20. oder 27.3.1798 berichtet, Friedrich Schlegel habe „noch eins zum Lobe der Satanisken gemacht, das trägt er aber in sich“ (KFSA24, S.116). Siehe auch Anm. 38,13 zu A162 (‚Mythologie‘). Vgl. zu den Satanisken auch Schlegels Lucinde. (1799; KFSA5, S.28); Görres spielt in den Schriftproben, S.316 (2),1a–2a auf dieses Fragment an. 379: 70,23 en miniature] Im kleinen. 379: 70,24 reizend groteske Farbenmusik] Siehe Anm. 29,3–6 zu A75 (‚grotesk‘), 9,11 zu L5 über die musikalische Metaphorik der Schlegelschen Fragmentsammlungen und Anm. 40,3 zu A174 über die ‚synästhetische‘ Vermischung der Künste bei den Romantikern. 379: 70,12–27 Der Satan !…" dieser Satanisken] Eine Vorstufe zu diesem Fragment findet sich in PhL [II] 1052. -- Polheim, Arabeske, S.338–340. 380: 70,38 Bei epischen Gedichten und dem Roman] Siehe Anm. 20,31 zu L121 (‚Epos‘) und 10,34 zu L26 (‚Roman‘). 380: 70,40f. die stille Superiorität des Verfassers !…" über seinem Werke] Von dieser ‚Überlegenheit‘ des (Roman-)Schriftstellers, mit der er „alles übersieht, und sich über alles Bedingte unendlich erhebt“, spricht schon L42. 380: 71,1 Wilhelm Meister] Über Goethe siehe Anm. 9,13–15 zu L6, über Wilhelm Meister Anm. 20,27–29 zu L120. 380: 70,28–71,2 Vorlesen !…" studiert] Von A.W.Schlegel. 381: 71,3f. Viele der ersten Stifter der modernen Physik müssen gar nicht als Philosophen, sondern als Künstler betrachtet werden] Als Beispiel hierfür nennt Id97 Franz X. von Baader. 1806 veröffentlichte J.W.Ritter seine Akademierede mit dem Titel Die Physik als Kunst. Ein Versuch, die Tendenz der Physik aus ihrer Geschichte zu deuten. Siehe Anm. 19,41f. zu L115 über das Verhältnis

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von Kunst und Wissenschaft, ferner Anm. 66,5f. zu A358 (‚Physik‘). Eine Vorstufe findet sich in PhL [III] 378. 382: 71,5–7 Der Instinkt spricht dunkel und bildlich !…" als Individuen] Siehe Anm. 19,8 zu L108 (‚Instinkt‘), 11,41 zu L37 (‚falsche Tendenz‘) und 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). 383: 71,15f. Unterhaltungen der Ausgewanderten] Goethes Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten (1795; WA I 18, S.93–273). 383: 71,8–19 Es gibt eine Art von Witz !…" nie begreifen wird] Vorstufen und Parallelen zu diesem Fragment finden sich in FPL [V] 1162 und in PhL [III] 93. Siehe auch Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘), 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘), 80,14 zu A429 (‚Novelle‘), 20,30f. zu L121 (Shakespeare) und 13,19f. zu L45 (‚Drama‘). -- Schanze, Dualismus, S.323. 384: 71,21 akkomodiert] Anpaßt. 384: 71,21f. dunkle Stellen im System] Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘). 384: 71,20–25 Jeder Philosoph !…" immer verwandelt] Vorstufen bzw. Parallelen liegen in PhL [II] 609 und [III] 93f. vor. 385: 71,28 etwas absolut Willkürliches] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 10,9 zu L16 (‚Willkür‘). 385: 71,31f. Veto !…" des Interdikts] Zwei Termini des (Römischen) Rechts; Veto ist der Einspruch (eines Amtsinhabers) mit aufschiebender Wirkung; ein Interdikt untersagt die Durchführung einer Maßnahme. 385: 71,26–33 In den Handlungen !…" kraft der konstitutiven Gewalt?] Hervorgegangen aus PhL [II] 615. – Novalis merkt dazu in der Kritik der Athenaeumsfragmente an: „Kein Fragment – und U[n]V[erständlich].“ 386: 71,34–36 Der platte Mensch !…" andre Menschen sind als er] Das Fragment ist aus PhL [II] 624 hervorgegangen. 387: 71,37–39 Man betrachtet die kritische Philosophie !…" ists so besser] Hervorgegangen aus PhL [II] 184 und 645. Siehe Anm. 26,24 zu A47 (‚kritische Philosophie‘) und 10,12 zu L16 (Kant). 388: 71,40–72,2 Transzendental ist !…" transzendent ist !…" will und also soll] Vgl. zur Unterscheidung von ‚transzendent‘ und ‚transzendental‘ PhL [XI] 84. – Vorstufen bzw. Parallelen finden sich in PhL [II] 605, 634 und 636. Siehe Anm. 24,19 zu A22 (‚transzendental‘). – In der Kritik der Athenaeumsfragmente notierte Novalis zu diesem Fragment: „zu nichts, um nichts, für nichts – und sogar falsch.“ 389: 72,14 eine Versetzung der Naturphilosophie und Kunstphilosophie] Siehe Anm. 9,1 zu L1 über das Verhältnis von Natur und Kunst sowie 16,27 zu L82 (‚Naturphilosophie‘). 389: 72,16 Harris, Home und Johnson] James Harris, englischer Philosoph (1709–1780). – Henry Home Lord Kames (1696–1782), schottischer Philosoph. – Zu Johnson siehe Anm. 20,38 zu L122. 389: 72,3–17 Wenn jede !…" schamhafteste Andeutung] Eine Vorstufe findet sich in FPL [V] 1082. Siehe auch Anm. 10,9 zu L16 (‚Willkür‘), 29,3–6 zu A75 (‚grotesk‘), 89,10f. zu Id71 (‚Chaos‘), 13,30f. zu L49 über die Engländer,

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10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘). -- Polheim, Arabeske S.110–112. 390: 72,22f. Einige Ökonomen !…" flicken lieber] In PhL [II] 447 auf Kant bezogen. 390: 72,18–32 Es gibt rechtliche !…" Flachshecheln] Eine Vorstufe findet sich in PhL [II] 938. Vgl. Id101. Siehe Anm. 74,41 zu A410 (‚Ökonomie‘), 22,24f. zu A9 (‚Moral‘) und 10,34f. zu L26 (‚liberal‘). Novalis notierte dazu eine kritische Anmerkung: „versteh ich nicht – oder es ist confus und unwahr.“ 391: 72,33–35 Lesen heißt den philologischen Trieb befriedigen !…" nicht lesen] Vorstufen und Parallelen finden sich in FPL [IV] 74, 80, 82, [V] 25 und 637; vgl. über den Leser auch L27, Lessings Gedanken und Meinungen (1804; KFSA3, S.46–102) und Novalis, T79. Siehe Anm. 30,38f. zu A93 über das Verhältnis von Philosophie und Philologie. -- Frischmann, Frühromantische Kritikkonzeption, S.92f. und 98–100; Zovko, S.18–23. 392: 72,36f. Viele musikalische Kompositionen sind nur Übersetzungen des Gedichts in die Sprache der Musik] Vgl. ergänzend auch das folgende Fragment. Eine Vorstufe liegt in FPL [V] 1131 vor. Siehe Anm. 15,32f. zu L73 über das Übersetzen und 40,3 zu A174 über die synästhetische Vermischung der Künste. 393: 72,38–41 Um aus den Alten ins Moderne vollkommen übersetzen zu können !…" wiederschaffen könnte] Vgl. zur Übersetzung antiker Autoren auch A402. Vorstufen finden sich in FPL [IV] 56 und [V] 927. Siehe Anm. 16,29f. zu L84 über das Verhältnis der Modernen zu den ‚Alten‘ und 15,32f. zu L73 über die Schwierigkeiten des Übersetzens. W.G.Schmidt weist auf Parallelen zu James MacPhersons Vorrede zu den Poems of Ossian (1773) hin, wo es heißt: „Genuine poetry, like gold, loses little, when properly transfused; but when a composition cannot bear the test of a literal version, it is a counterfeit which ought not to pass current. The operation must, however, be performed with skilful hands. A translator, who cannot equal his original, is incapable of expressing its beauties“ (zitiert nach W.G.Schmidt, S.140). -- Wolf Gerhard Schmidt, Zwischen ‚alter‘ und ‚neuer‘ Mythologie. Zur poetologischen Funktion Ossians bei Friedrich Schlegel. In: ‚Athenäum. Jahrbuch für Romantik‘ 14 (2004), S.129–150. 394: 72,42f. den Witz bloß auf die Gesellschaft einschränken zu wollen] Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘) und 78,24f. zu A426 (‚Geselligkeit‘). 394: 73,1 ihre klassische Form] Siehe Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). 394: 73,3f. man muß seine Produkte nach dem Gewicht würdigen, wie Caesar die Perlen und Edelsteine] Die Quelle für dieses Detail aus der Historie ist Suetons Cäsarenleben; dort heißt es: „Nach Britannien soll Cäsar gegangen sein, weil er hoffte, dort Perlen zu finden. Wenn er deren Größe verglich, wog er sie manchmal mit eigener Hand ab“ (Kap.47). Diese Anekdote gibt Friedrich Schlegel auch in seinem Aufsatz Caesar und Alexander. Eine historische Vergleichung (1796; KFSA7, S.42) wieder; in Cäsar erkennt der Betrachter „Liebe zu gediegener Pracht, und endlich jene!n" den großen Herrschern und Eroberern oftmals eigne!n" Hang zu Kostbarkeiten von bloß willkürlichem Wert. So war er ein Liebhaber von großen Perlen, deren Gewicht er dann und wann vergleichend

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in seiner Hand prüfte“. -- A.Rühle-Gerstel, S.838, verweist auf eine Parallele in Chamforts Aphorismen: „Il en est de la valeur des hommes comme de celle des diamans, qui à une certaine mesure de grosseur, de pureté, de perfection, ont un prix fixe et marqué; mais qui par delà cette mesure, restent sans prix, et ne trouvent point d’acheteurs.“ (Oeuvres 1, S.356. In der Übersetzung von N.P.Stampeel, S.36: „Es verhält sich mit dem Menschenwerthe, wie mit dem Werthe der Diamanten. Sind diese von einer gewissen Größe, Reinheit und Vollkommenheit, so haben sie einen festen und bestimmten Preis; überschreiten sie dieses Maas, so läßt sich ihr Preis nicht mehr bestimmen, und sie finden keine Käufer.“) 394: 73,5f. bei einem enthusiastischen Geist] Siehe Anm. 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘). 395: 73,9 In der wahren Prosa muß alles unterstrichen sein] Vorstufen zu diesem Fragment finden sich in FPL [V] 614 und 988. Vgl. hierzu auch den Brief Friedrich Schlegels und Schleiermachers an August Wilhelm vom 15.1.1798, in dem Schleiermacher anmerkt: „so fällt mir doch noch ein, daß Schlegel auch gegen das Sperren ist. Es sei nur ein moderantistisches Schwabachern, und er möchte es einmal wagen mit dem Deutschen ohne solche pädagogische Hilfsmittel“ (KFSA24, S.80f.). 396: 73,10 Karikatur ist eine passive Verbindung des Naiven und Grotesken] Siehe Anm. 22,12f. zu A5 (‚Karikatur‘), 26,35 zu A51 (‚naiv‘) und 29,3–6 zu A75 (‚grotesk‘). Vgl. auch A51 und 305 zum Verhältnis des Naiven zum Grotesken. 397: 73,12f. Da die Natur und die Menschheit sich so oft !…" widersprechen] Zur Natur siehe Anm. 43,1–3 zu A198. Vgl. A398, 400, 412, PhL [II] 647 und Novalis, BL26 über das Sich-selbst-Widersprechen. -- Frank, Philosophische Grundlagen, S.124–126. 398: 73,14–16 Der Mystizismus ist die mäßigste und wohlfeilste aller philosophischen Rasereien !…" Luxus treiben] Hervorgegangen aus PhL [I] 9, 13 und 67. Vgl. auch PhL [I] 2, das vorige Fragment und A414; siehe Anm. 31,33 zu A105 (‚Mystizismus‘). – Novalis schrieb dazu in seiner Kritik der Athenaeumsfragmente: „Nichts rechts.“ 399: 73,17 Polemische Totalität] Siehe Anm. 16,19 zu L81 (‚Polemik‘) und 18,15 zu L103 (‚Ganzheit‘). Vgl. zum programmatischen Begriff der ‚polemischen Totalität‘ auch PhL Beilage I 98, 101, Beilage II7 und Schlegels Brief an Hardenberg vom 2.1.1797 (KFSA23, S.340f.). Das System der Philosophie, das der skizzierten Idee des Mystizismus !siehe Anm. 31,33 zu A105" folgt, besteht im willkürlichen Setzen eines Absoluten, verbunden mit strenger Ergebenheit an die Wahrheitsliebe. !…" Aus dem mystizistischen Absolutheitsanspruch folgt dann die öfter wiederholte Formel Schlegels: ‚Jede verschiedene Meinung ist in der Philosophie eine entgegengesetzte. Daher polemische Totalität nothwendige Bedingung der Methode und Kriterium des Systemes.‘ (PhL Beil. II,7 !…") Philosophieren mit dem Anspruch auf Totalität des Wissens begegnet sich selbst als Partikularität der Polemik gleichgearteter Ansprüche. !…" Polemik ist notwendig und für das Ganze förderlich, weil niemand alles sein oder repräsentieren kann und weil niemandes Vernunft die Vernunft repräsentiert. Jeder mystizistisch gesetzte Totalitätsanspruch ist somit in metaphilosophischer Perspektive (um nicht zu

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sagen in transzendentaler) zu einem bloßen Aspekt des Ganzen relativiert; jeder Anspruch ist Anspruch auf etwas, was er nicht ist, was aber ebensowenig ohne den Anspruch auf es ist. Die Tendenz auf Einheit in der Gemeinsamkeit der Aufgabe setzt nicht nur den Gedanken einer Einheit am Ursprung nicht voraus, sondern verbietet ihn. Was seinen Ursprung einer willkürlichen Setzung des Absoluten verdankt, kann nur als widersprechend auftreten !…". (Röttgers, Symphilosophieren, S.96.)

-- Röttgers, Fichtes Wirkung, S.67–69; ders., Symphilosophieren, S.96–98. 399: 73,17f. Annahme und Foderung unbedingter Mitteilbarkeit und Mitteilung] Siehe Anm. 17,30f. zu L98 über die Bedingungen schriftstellerischer Mitteilung. 399: 73,21–23 wenn eine Philosophie ihren Geist selbst kritisierte, und ihren Buchstaben !…" mit der Feile der Polemik selbst bildete] Zum Begriffspaar ‚Geist und Buchstabe‘ siehe Anm. 15,16 zu L69; siehe auch Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 26,24 zu A47 (‚kritische Philosophie‘), 16,19 zu L81 (‚Polemik‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 399: 73,23 zu logischer Korrektheit führen] Siehe Anm. 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘) und 50,34 zu A253 (‚korrekt‘). 399: 73,17–23 Polemische Totalität !…" führen] Vorstufen zu diesem Fragment finden sich in PhL Beilage I 101 und Beilage II7. Novalis notierte dazu kritisch: „Auch das würde ich nicht aufgenommen haben.“ 400: 73,25 Behauptung und Foderung unendlich vieler Widersprüche] Siehe Anm. 73,12f. zu A397 über das Sich-selbst-Widersprechen. 400: 73,24–30 Es gibt noch gar keinen Skeptizismus !…" unechten Skeptizismus] Parallelen und Vorstufen finden sich in PhL [I] 7, 101 und [II] 988. Vgl. Novalis, BL90. Siehe Anm. 28,15 zu A66 (‚Skeptiker‘), 10,39f. zu L28 (‚Selbstvernichtung‘) und 30,25–27 zu A89 (‚Mathematik‘). 401: 73,31–33 Um jemand zu verstehn, der sich selbst nur halb versteht !…" wie er selbst verstehn] Über die Problematik des Verstehens siehe Anm. 10,17f. zu L20. Diesen Gedanken variiert Schlegel mehrfach, z.B. in seiner Lucinde (1799), wo er den Ich-Erzähler zu Lucinde sagen läßt: „Viele würden mich besser verstehen als ich selbst, aber nur Eine ganz, und die bist du“ (KFSA5, S.24). In seinem Aufsatz Über Goethes Meister (1798) schreibt Schlegel, alle Kritik müsse „über die Grenzen des sichtbaren Werkes mit Vermutungen und Behauptungen“ hinausgehen, „weil jedes vortreffliche Werk, von welcher Art es auch sei, mehr weiß als es sagt, und mehr will als es weiß“ (KFSA2, S.140). – Eine mögliche Quelle findet sich in Kants Kritik der reinen Vernunft (21787); dort heißt es in einer Passage über die Platonischen Dialoge, „daß es gar nichts Ungewöhnliches sei, !…" durch die Vergleichung der Gedanken, welche ein Verfasser über seinen Gegenstand äußert, ihn so gar besser zu verstehen, als er sich selber verstand“ (KA3, S.B370). Vgl. auch Schleiermacher, GV70 und Fichtes Vorlesungen Über die Bestimmung des Gelehrten (1794), wo es über eine Schwierigkeit in Rousseaus Diskurs über die Ungleichheit heißt: „Wir !…" werden den Widerspruch lösen; wir werden Rousseau besser verstehen, als er sich selbst verstand, und wir werden ihn in vollkommener Uebereinstimmung mit sich selbst

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und mit uns antreffen“ (FI6, S.337). – Den von Schlegel formulierten hermeneutischen Grundsatz nimmt Schleiermacher auf: „Die !hermeneutische" Aufgabe ist auch so auszudrücken, die Rede ebenso gut und dann besser verstehen als ihr Urheber“. (Hermeneutik und Kritik mit besonderer Beziehung auf das Neue Testament, hg. und eingeleitet von Manfred Frank, Frankfurt am Main 1977, S.94.) Danach findet sich dieses Prinzip in August Boeckhs (1785–1867) Encyklopädie und Methodologie der philologischen Wissenschaften (hg. von E.Bratuschek, Leipzig 21886, S.87): „Hieraus folgt, daß der Ausleger den Autor nicht nur ebenso gut, sondern sogar noch besser verstehen muß als er sich selbst.“ Auch Wilhelm Dilthey (1833–1911) schließt sich dieser Erkenntnis an: „Das letzte Ziel des hermeneutischen Verfahrens ist, den Autor besser zu verstehen, als er sich selber verstanden hat. Ein Satz, welcher die notwendige Konsequenz der Lehre von dem unbewußten Schaffen ist.“ (Die Entstehung der Hermeneutik. Gesammelte Schriften Bd.5, Stuttgart 61957, S.331.) – Vorstufen und Parallelen zu diesem Fragment finden sich in FPL [V] 992, PhL [II] 434, 624 und 651. -- Behler, Frühromantik, S.271–277; Jesper Gulddal, Das „bessere“ und das „gerade so gute“ Verstehen. Friedrich Schlegels hermeneutischer Doppelblick. In: ‚Text und Kontext‘ 25 (2003), S.33–64: Nüsse, S.92–94; Patsch, Philosophie der Philologie; Harald Schnur, Schleiermachers Hermeneutik und ihre Vorgeschichte im 18. Jahrhundert. Studien zur Bibelauslegung, zu Hamann, Herder und F.Schlegel, Stuttgart und Weimar 1994, S.147–159; Zovko, S.140–175. 402: 73,34 Möglichkeit, die alten Dichter zu übersetzen] Siehe Anm. 15,32f. zu L73 über die Schwierigkeiten des Übersetzens; vgl. insbesondere A393 und FPL [III] 233 über Übersetzungen antiker Autoren. Möglicherweise denkt Schlegel in diesem Fragment an Johann Heinrich Voß’ Homerübersetzungen, die er auch in L113 kritisch beleuchtet. 402: 73,36f. welche am meisten Sinn und Geist haben] Siehe Anm. 14,35f. zu L63. 403: 73,38–40 Die echte Rezension !…" Recherche sein] Vorstufen finden sich in FPL [V] 1145 und PhL [III] 224. Siehe Anm. 81,40–42 zu A439 (‚Rezension‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘). 404: 73,41 Zur Philologie muß man geboren sein] Siehe Anm. 30,38f. zu A93 zur Philologie. 404: 74,2 Enthusiasmus für chemische Erkenntnis] Siehe Anm. 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘). Über die chemische Metaphorik in den Schlegelschen Fragmenten siehe Anm. 11,12–15 zu L32. 404: 74,3f. Grammatik ist doch nur der philosophische Teil der universellen Scheidungs- und Verbindungskunst] Siehe Anm. 30,35–37 zu A92 (‚Grammatik‘). 404: 74,5f. das Klassische und schlechthin Ewige !…", was nie ganz verstanden werden mag] Vgl. zu diesem Gedanken L20 und siehe Anm. 10,17f. zu L20 über die Problematik des Verstehens. 404: 74,11f. da auch hier die künstlerische Vollendung allein zur Wissenschaft führen] Siehe Anm. 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft. Vgl. hierzu auch A302.

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404: 73,41–74,21 Zur Philologie muß man geboren sein !…" wählen kann] Vorstufen und Parallelen zu diesem Fragment finden sich in FPL [III] 14, 61, 67f., 111, 117, 127, 140, 231, [IV] 39, 75, [V] 125, 627, 666, 671 und 677. Schelling greift diesen Gedanken in der Vorlesung über die Methode des akademischen Studiums (1803) auf. Siehe auch Anm. 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘), 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). – In seiner Kritik der Athenaeumsfragmente schrieb Novalis dazu: „versteh ich nicht.“ -- Bär, S.275–285. 405: 74,22f. Die Mildtätigkeit ist die schmähliche Tugend !…" in Romanen und Schauspielen] Siehe Anm. 85,24 zu Id23 (‚Tugend‘), 10,34 zu L26 (‚Roman‘) und 13,19f. zu L45 (‚Drama‘). 405: 74,24 in Kotzebues Stücken] Über Kotzebue siehe Anm. 27,37 zu A59. 405: 74,22–26 Die Mildtätigkeit !…" umhergehn?] Von August Wilhelm Schlegel. 406: 74,28 Wenn jedes unendliche Individuum Gott ist] Vgl. hierzu insbesondere Id6 und 47. Siehe Anm. 13,26 zu L47 (‚unendlich‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 47,30 zu A232 (‚Gott‘). 406: 74,28f. so viele Götter als Ideale] Siehe Anm. 75,3 zu A412 (‚Ideal‘). 406: 74,29f. Auch ist das Verhältnis des wahren Künstlers und des wahren Menschen zu seinen Idealen durchaus Religion] Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘) und 84,9 zu Id4 (‚Religion‘). 406: 74,31 der ist Priester] Vgl. auch A369, Id58, PhL [II] 104, 121, 540, [III] 31, 99, 240, 612, [IV] 79, 476, 740, 745, 771, 980, 1110, 1267, 1476, 1483, 1525, 1538; Novalis, BL71, AB261, T73 u. ö. Siehe auch Anm. 84,5f. zu Id2 (‚geistlich‘, ‚Geistlicher‘). 407: 74,32–35 Das wichtigste Stück der guten Lebensart !…" zu erraten] Von Schleiermacher. Das Fragment ist aus seinen Aufzeichnungen für eine geplante Schrift über die gute Lebensart hervorgegangen. Vgl. G I 84, 92, 106, 113, 137, 149, 156, 164. -- Eichner, KFSA2, S.242. 408: 74,37 Delikatesse] Vgl. zu Novalis’ Verwendung des Begriffs NO4, S.132, 151, 157 und 170. 409: 38–40 Um sittlich zu heißen !…" schicklich sein] Hervorgegangen aus PhL [III] 111. Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 410: 74,41 Alltäglichkeit, Ökonomie ist das notwendige Supplement] Vgl. zur Ökonomie auch A16, 150, 390, 421, 426, 449, Id54, 101, FPL [V] 19, 968, 1041, 1060, 1132. 410: 74,42 Oft verliert sich das Talent und die Bildung] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 33,40f. zu A119 (‚Talent‘). 411: 75,1f. Das wissenschaftliche Ideal des Christianismus !…" Variationen] Hervorgegangen aus PhL [II] 351. Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘), 75,3 zu A412 (‚Ideal‘), 23,25f. zu A16 (‚Christianismus‘) und 47,30 zu A232 (‚Gott‘). – Novalis notiert dazu in der Kritik der Athenaeumsfragmente: „U[n]V[erständlich].“

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412: 75,3 Ideale die sich für unerreichbar halten] Vgl. zum Begriff des Ideals und des Idealischen auch L77, A121, 198, 202, 235f., 406, 411, PhL [II] 704, 708, 715, [III] 4, 108, 112, 212, FPL [II] 1, 3, 12, [III] 149, [V] 48, 136, 382, 391, 413, 415, 458, 491, 567, 585, 641, 710, 739, 750, 758, 802; Novalis, BL52, GL36, 43, 51, AB19, 22; Schleiermacher, GIII46 u. ö.; siehe auch Anm. 114,10 zu PhL [II] 137 (‚real – ideal‘). -- Härter, S.290f. 412: 75,4f. Wer Sinn fürs Unendliche hat, und weiß was er damit will] Vgl. L47; siehe auch Anm. 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘) und 13,26 zu L47 (‚unendlich‘). 412: 75,5f. das Produkt sich ewig scheidender und mischender Kräfte] Siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über die chemische Terminologie der Schlegelschen Fragmente. 412: 75,7 sagt, wenn er sich entschieden ausdrückt, lauter Widersprüche] Vgl. A397 und siehe dazu Anm. 73,12f. 412: 75,8f. die Philosophie des Zeitalters !…" nicht aber die Philosophie der Philosophie] Siehe Anm. 87,37–88,2 zu Id50 (‚Zeitalter‘) und 19,9 zu L108 über die Formel ‚Philosophie der Philosophie‘. 412: 75,3–13 Ideale !…" organisch denken] Vorstufen zu diesem Fragment finden sich in PhL [III] 4f. und 112. Siehe auch Anm. 30,25–27 zu A89 (‚Mathematik‘), 66,5f. zu A358 (‚Physik‘) und 68,26f. zu A366 über die Trias mechanisch – chemisch – organisch. -- Frischmann, Tanszendental, S.205; Zovko, S.147–149. 413: 75,14 Ein Philosoph !…" ein lyrischer Dichter] Siehe Anm. 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Philosophie und Poesie und 20,20 zu L119 (‚lyrisch‘). 414: 75,15 Gibts eine unsichtbare Kirche] Die unsichtbare Kirche ist die Gemeinschaft der Gläubigen, die untereinander und mit Christus als ihrem Oberhaupt verbunden sind; vgl. Schleiermachers Schrift, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1821/22), §164: „Die Totalität aller Wirkungen des Geistes in ihrem Zusammenhange bildet also die unsichtbare Kirche“ (FDES,KG I/7.2, S.299). -- DWb11.3, Sp.1387; Zedler 49, Sp.2010–2012 (‚Unsichtbare Kirche‘). 414: 75,20f. Mystizismus des Ausdrucks !…" bei einer romantischen Fantasie und mit grammatischem Sinn verbunden] Siehe Anm. 31,33 zu A105 (‚Mystizismus‘), 13,30 zu L49 (‚romantisch‘), 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘), 30,35–37 zu A92 (‚Grammatik‘) und 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘). Vgl. A398. 414: 75,15–23 Gibts eine unsichtbare Kirche !…" Symbol ihrer schönen Geheimnisse] Vgl. A373, Id76 und Novalis, GL3. Siehe auch Anm. 13,28f. zu L48 (‚paradox‘), 22,24f. zu A9 (‚Moral‘) und 85,24 zu Id23 (‚Tugend‘). – Novalis merkte in der Kritik der Athenaeumsfragmente dazu an: „U[n]V[erständlich].“ -- Petersdorff, S.152f. 415: 75,24 Sinn für Poesie oder Philosophie hat der, für den sie ein Individuum ist] Vgl. A242. Siehe Anm. 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘) und 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). 418: 75,30 William Lovell] Ludwig Tiecks (siehe Anm. 35,3f. zu A125) Briefroman Die Geschichte des Herrn William Lovell (1795/96).

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418: 75,34f. Lovell ist wie seine nur etwas zu wenig unterschiedene Variation Balder ein vollkommner Fantast] In dem Briefroman William Lovell beschreibt Mortimer, der Reisegefährte der Titelgestalt, Balder und seine geistige Verwandtschaft mit William Lovell folgendermaßen: „Wir sind mit einem jungen, aufbrausenden, sonderbaren Deutschen bekannt geworden, dem sich William ganz und gar hingibt; er heißt Balder und ist auch nur seit kurzem in Paris. Zwei harmonierende Töne können nicht so leicht ineinanderschmelzen, als diese beiden Seelen: beide sind Enthusiasten, beide poetisch gestimmt, beide begegnen sich mit gleicher Liebe.“ (Ludwig Tieck, William Lovell, hg. von Walter Münz, Stuttgart 1986, S.46.) 418: 75,39f. schwankt zwischen Instinkt und Absicht] Zu diesem Begriffspaar siehe Anm. 10,24f. zu L23. 418: 75,40–42 die Wiederholungen, wodurch die Darstellung der erhabenen Langenweile zuweilen in Mitteilung übergehn kann] Siehe Anm. 184,1–5 zu FSt633 (‚Darstellung‘) und 17,30f. zu L98 (‚Mitteilung‘). 418: 76,4f. Sternbald vereinigt den Ernst und Schwung des Lovell mit der künstlerischen Religiosität des Klosterbruders] Ludwig Tiecks Roman Franz Sternbalds Wanderungen. Eine altdeutsche Geschichte (1798). Dessen Freund Wilhelm Heinrich Wackenroder veröffentlichte anonym den Künstlerroman Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders (1797). 418: 76,5f. in den poetischen Arabesken] Vgl. auch A421, FPL [V] 409, 986, 1075, PhL [II] 380, 884, 978, [V] 319, 390, 403, 413, 443, 1017 u. ö. Der Begriff der Arabeske begegnet bei Friedrich Schlegel nicht nur als Terminus aus dem Bereich der Malerei, sondern auch als poetische Gattung; unter seinen Werkplänen erwähnt er mehrfach ‚Arabesken‘. Darüber hinaus erblickt Schlegel in der Arabeske die „romantische Idealform, Vereinigung und Potenzierung der Gattungen und Vereinigung von Kunst und Wissenschaft“ (Polheim, Arabeske, S.24). Und umfassender noch ist die Arabeske für ihn „eine Geisteshaltung oder Formmöglichkeit, !…" eine Struktur im weitesten Sinn, welche auf das höchste und letzte Ziel: die unendliche Fülle in der unendlichen Einheit, gerichtet ist und den im menschlichen Bereich noch zu erahnenden Ausdruck dafür verkörpert“ (ebd.). -- Behler, Theorie der romantischen Ironie, S.96f.; Gerhard Oesterle, Arabeske. In: ÄGB1, S.272–286, besonders S.279–281; Polheim, Arabeske. 418: 75,28–76,10 Auch nach den gewöhnlichsten !…" fantasieren] Vorstufen und Parallelen zu diesem Fragment finden sich in FPL [V] 522, 526f., 531 und 926. Siehe auch Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘), 11,6 zu L31 (‚sentimental‘), 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘), 12,33 zu L42 (‚Ironie‘) und 13,30 zu L49 (‚romantisch‘). -- Härter, S.245. 419: 76,17–23 Groß ist !…" vollkommen] Vgl. hierzu A420 („etwas Größeres als die Größe“); „das hier verwandte Verfahren dient am offenkundigsten der Vertiefung des Begriffs, es handelt sich um ein Definieren durch systematisches Indefinisieren“ (Mennemeier, Brennpunkte, S.31). 419: 76,11–23 Die Welt ist viel zu ernsthaft !…" ist vollkommen] Eine Vorstufe zu diesem Fragment findet sich in PhL [II] 695. Siehe Anm. 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘), 33,40f. zu A119 (‚Genie‘), 9,1 zu L1 über das Verhältnis von

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Natur und Kunst, 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 14,35 zu L63 (‚Künstler‘). -Mennemeier, Poesiebegriff, S.284–290; Polheim, Arabeske, S.253–256. 420: 76,34f. Plattheiten, die Rousseau in ein ordentliches System der Weiblichkeitslehre verbunden hat] Gemeint ist hier wohl Rousseaus Briefroman Julie ou La nouvelle Héloise (1761). Zu Rousseau siehe Anm. 19,16 zu L111 sowie 26,22f. zu A46 (‚System‘). 420: 76,24–36 Ob eine gebildete Frau !…" Beifall finden mußte] Hervorgegangen aus PhL [II] 1041. Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘), 18,30 zu L106 über die Frauen, 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 15,18f. zu L69 (‚Tendenz‘), 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘), 85,24 zu Id23 (‚Tugend‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘) und 47,30 zu A232 (‚Gott‘). – Novalis bemerkt dazu in der Kritik der Athenaeumsfragmente: „Zu nichts, und für nichts – un rien mit einem Worte.“ („… ein Nichts …“) 421: 76,37 Der große Haufen liebt Friedrich Richters Romane] Zu Johann Paul Friedrich Richter (1763–1825), der unter dem Pseudonym Jean Paul veröffentlichte, siehe Anm. 35,3f. zu A125. Am 6.3.1798 kündigt Friedrich Schlegel seinem Bruder an, er werde Jean Paul in einem Fragment „bis zur Ironie loben“ (KFSA24, S.97). 421: 77,4f. der Adamsbrief des !…" herrlichen Leibgeber] „Leibgebers Schreiben über den Ruhm“ im Siebenkäs (3. Bändchen, 11. Kapitel; siehe die folgende Anm.). 421: 77,8 Siebenkäs] Jean Pauls Roman Blumen- Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F.S.Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel (1796). 421: 77,12 Louvets Polen] Siehe Anm. 12,28 zu L41 über den Schriftsteller Louvet de Couvray. In seinem Roman Les Amours du Chevalier de Faublas tritt der vertriebene polnische Adlige Lovetzinsky unter dem Namen Duportail auf, um seine geheimnisvollen Machenschaften ungestört betreiben zu können. 421: 77,19f. Menschen, die eigentlich nur humoristische Sachen sind] Vgl. Novalis, BL63. 421: 77,27 Kandidat] (Theologie-)Student eines höheren Semesters, Examensanwärter. 421: 77,28 Je moralischer seine poetischen Rembrandts sind, desto mittelmäßiger] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘); 41,13 zu A186 über Rembrandt und 40,3 zu A174 über die ‚synästhetische‘ Vermischung der Künste. Vgl. A193 über den „Sinn für bildende Kunst“ beim Dichter und A372. 421: 76,37–77,34 Der große Haufen !…" das allgemeine Chaos] Vorstufen und Parallelen finden sich in FPL [V] 823, 826, 828, PhL [IV] 1310; vgl. auch Schlegels Äußerungen über Jean Paul im Brief über den Roman (1800; KFSA2, S.329); „hier behauptet sich semantische Mannigfaltigkeit als Schein gegen die semantische Einheit, die durchaus vorhanden ist, die aber kunstvoll dissimuliert wird; das witzige, sprühende Äußere, quasi ein farbiges Kaleidoskop aus Antithesen, Zeugma, Antiklimax, verbirgt als positive Substanz einen überlegenen Begriff von idealer humoristischer Dichtung; dieser Begriff, ironisch in den For-

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mulierungen versteckt, ermöglicht es dem Autor, seine Kritik wie ein Spiel aus souveräner Distanz abrollen zu lassen“ (Mennemeier, Brennpunkte, S.17). – Siehe Anm. 74,41 zu A410 (‚Ökonomie‘), 14,35 zu L63 (‚Künstler‘), 83,15 zu A451 (‚Universalität‘), 15,18f. zu L69 (‚Tendenz‘), 29,3–6 zu A75 (‚grotesk‘), 9,23 zu L9 (‚Witz‘), 10,9 zu L16 (‚Willkür‘), 48,10f. zu A237 (‚Humor‘), 38,33f. zu A165 (‚Dithyrambus‘), 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘), 13,30f. zu L49 über die Engländer, 11,41 zu L37 (‚falsche Tendenz‘), 18,30 zu L106 über die Frauen, 76,5f. zu A418 (‚Arabeske‘), 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘), 11,6 zu L31 (‚sentimental‘), 123,33f. zu FPL [V] 953 (‚Masse‘) und 89,10f. zu Id71 (‚Chaos‘). -Polheim, Arabeske, S.47f. 422–426: 77,35–78,38 Eine Gruppe von fünf Fragmenten über die Französische Revolution. Siehe Anm. 27,40–28,2 zu A60 über die Französische Revolution. 422: 77,35 Mirabeau hat eine große Rolle in der Revolution gespielt] Der Publizist und Politiker Honoré Gabriel de Riqueti, comte de Mirabeau (1749–1791) hatte in der französischen Nationalversammlung wichtige Funktionen inne. Über ihn äußert sich Schlegel auch in A425 und in L111. 422: 77,36 Robespierre] Als führendes Mitglied des Jakobinerklubs und des Wohlfahrtsausschusses war Maximilien de Robespierre (geb. 1758) von April bis zu seinem Sturz im Juli 1794 mit faktisch diktatorischer Gewalt ausgestattet; um eine radikale Demokratisierung durchzusetzen, griff Robespierre zunehmend zum Terror als Mittel der Politik, was letztlich seinen Sturz und seine Hinrichtung herbeiführte. 422: 77,38f. Buonaparte, weil er Revolutionen schaffen und bilden, und sich selbst annihilieren kann] Vor seinem Staatsstreich vom 18. Brumaire (9.11.1799) war Napoleon Bonaparte (1769–1821) für die Anhänger der Französischen Revolution eine Symbolfigur der Befreiung und politischer Erneuerung. Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 31,21–24 zu A103 (‚annihilieren‘). 423: 77,40 Sollte der jetzige französische Nationalcharakter] Siehe Anm. 13,12f. zu L45 über die Franzosen. 423: 77,41 Kardinal Richelieu] Armand-Jean du Plessis, duc de Richelieu (1585–1642), einer der einflußreichsten Politiker im absolutistischen Frankreich. 423: 77,41f. Universalität] Siehe Anm. 83,15 zu A451. 424: 77,43–78,9 Man kann die Französische Revolution !…" einzelne Züge] Eine Vorstufe zu diesem Fragment findet sich in PhL [II] 380. Vgl. zur ambivalenten Deutung der Französischen Revolution als furchtbarer Naturkatastrophe und als „Urbild der Revolution !…" schlechthin“ Schlegels Aufsatz Über die Unverständlichkeit (1800), der die Französische Revolution als „eine vortreffliche Allegorie auf das System des transzendentalen Idealismus“ (KFSA2, S.366) bezeichnet und damit den geistig-philosophischen Umwälzungen den Rang eines wahrhaft revolutionären Moments für sein Zeitalter zuerkennt; vgl. auch Novalis, GL11–14 und Görres, Schriftproben, S.320 (6),20a und S.327 (13),20b. Siehe Anm. 13,12f. zu L45 über die Franzosen, 13,28f. zu L48 (‚paradox‘), 29,3–6 zu A75 (‚grotesk‘) und 89,10f. zu Id71 (‚Chaos‘). -- Mennemeier, Literaturprogramm, S.285f.; Polheim, Arabeske, S.97–100.

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425: 78,10f. Die erste Regung der Sittlichkeit ist Opposition gegen die positive Gesetzlichkeit] Zum Gegensatz von Sittlichkeit und Rechtlichkeit siehe Anm. 44,18 zu A211 sowie 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 425: 78,18 Mirabeau und Chamfort] Siehe Anm. 77,35 zu A422 (Mirabeau) und 13,34 zu L50 (Chamfort). 426: 78,19 daß die Franzosen etwas dominieren im Zeitalter] Siehe Anm. 13,12f. zu L45 über die Franzosen und 87,37–88,2 zu Id50 (‚Zeitalter‘). 426: 78,20 der chemische Sinn ist bei ihnen am allgemeinsten erregt] Siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über die chemische Metaphorik der Schlegelschen Fragmente und 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘); vgl. zu den die zeitgenössischen Naturwissenschaften (und das Weltbild der Zeitgenossen) revolutionierenden Entdekkungen im Bereich der Chemie als parallelen Phänomenen zu den politischen Umwälzungen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert M.Chaouli, Laboratory, S.91–99. 426: 78,24f. Die chemische Natur des Romans, der Kritik, des Witzes, der Geselligkeit] Vgl. über Geselligkeit und Gesellschaft auch L9, 56, A5, 116, 339, 394, 436, FPL [V] 750, 776, PhL [V] 812; Novalis, T50; Schleiermachers Versuch einer Theorie des geselligen Betragens (1799; FDES,KG I/2, S.163–184) u. ö. Siehe Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) -Korte, S.309–325. 426: 78,19–38 Es ist natürlich !…" Menschheit halten] Eine Vorstufe findet sich in FPL [V] 1144; vgl. auch A404 und 366. I.Radrizzani, S.188–195, interpretiert dieses Fragment im Zusammenhang des romantischen Postulats einer Überwindung der Moderne, die in einem dialektischen Prozeß von der Herrschaft der Natur über die der Freiheit zu einer Synthese beider führt. Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 74,41 zu A410 (‚Ökonomie‘), 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 9,16f. zu L7 und 16,28 zu L83 (‚Manier‘) sowie 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). – Novalis schreibt dazu in der Kritik der Athenaeumsfragmente: „versteh ich nicht recht.“ -- Chaouli, Laboratory, S.93–95. 427: 78,42 Geheimnis und Mysterie] Vgl. zum Begriff der Mysterien auch L53, A230, Id85, 99, 128, 137, FPL [V] 161, 961, 1233, PhL [IV] 531, 541, 575, 627, 658, 664, 725, 792, 826, 844, 919, 1067, 1069, 1209, 1215, 1223, 1271, 1339, 1437, 1450; Novalis, ET428, 442 u. ö. -- Petersdorff, S.166f. 427: 78,39–44 Eine sogenannte Recherche !…" aufgefaßt werden kann] Eine Vorstufe findet sich in PhL [III] 107. Siehe Anm. 143,36f. zu BL22 (‚Faktum‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘), 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘), 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘) und 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘). – In der Kritik der Athenaeumsfragmente notiert Novalis zu diesem Fragment: „U[n]V[erständlich].“ 428: 79,1 Auch die Sprache begegnet der Sittlichkeit schlecht] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 428: 79,5f. Sie widmen sich einer Wissenschaft] Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘). 428: 79,41 System desselben] Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘). 428: 80,10 vollendetes praktisches Genie] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘).

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428: 80,11 alles Absicht und alles Instinkt, alles Willkür und alles Natur] Siehe Anm. 10,24f. zu L23 über das Begriffspaar Absicht und Instinkt, ferner 10,9 zu L16 (‚Willkür‘) und 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘). 428: 79,1–80,13 Auch die Sprache !…" gesucht] Von Schleiermacher, hervorgegangen aus dessen kurzer Notiz GIII12 (siehe dort auch Anm. 230,24–26 zu weiteren Vorstufen). 429: 80,14 Wie die Novelle] Vgl. zur Novelle auch L55, A383, FPL [V] 960, 1034, 1068, PhL [IV] 825, [V] 177; Schleiermacher, GIII17, 22f. u. ö. 429: 80,16 Romanze unendlich bizarr] Vgl. zur Romanze bzw. zum Romanzo, einer Gattung der Verserzählung (spanischer Provenienz) FPL [V] 178, 423, 466, 733, 743, 1108f, 1116, 1141, 1147, PhL [IV] 485, 537f., 910, [V] 5, 8 u. ö. 429: 80,22 Goethes Braut von Korinth] Goethes Ballade Die Braut von Korinth (1798; WA I 1, S.219–226), die er selbst in seinem Tagebuch (4.6.1797) als ‚vampirisches‘ Gedicht charakterisierte, gestaltet das Motiv des Wiedergängers. 429: 80,14–25 Wie die Novelle !…" das Schreckliche zermalmend groß] Vorstufen zu diesem Fragment finden sich in FPL [V] 1147 und 1168. Siehe auch Anm. 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘), 10,9 zu L16 (‚Willkür‘), 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 430: 80,28f. sollen alle gebildete Menschen im Notfalle Poeten sein können] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 59,16f. zu A321 über das Postulat des allgemeinen Dichtertums. 430: 80,26–30 Es gibt unvermeidliche Lagen !…" umgekehrt] Hervorgegangen aus PhL [II] 719. Siehe auch Anm. 10,34f. zu L26 (‚liberal‘), 10,9 zu L16 (‚Willkür‘) und 22,9f. zu A4 (‚Naturpoesie‘). 431: 80,31 Opfre den Grazien] Nach Diogenes Laertius, Über Leben und Meinungen der berühmten Philosophen, 4,7, soll Plato diese Aufforderung an seinen Schüler Xenokrates (396/5–314 v.Chr.) gerichtet haben. 431: 80,31f. Opfre den Grazien !…" Schaffe dir Ironie und bilde dich zur Urbanität] Vgl. PhL [II] 999. Über die Grazien siehe Anm. 48,35–39 zu A241; siehe ferner Anm. 12,33 und 12,32 zu L42 (‚Ironie‘, ‚Urbanität‘) sowie 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 432: 80,33–81,2 Bei manchen, besonders historischen Werken !…" unendlich bleibt] Vgl. A217 zum „historische!n" Styl“. Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 18,25 zu L104 (‚Styl‘), 123,33f. zu FPL [V] 953 (‚Masse‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘), 14,35 zu L63 (‚Künstler‘), 117,30 zu PhL [II] 185 (‚Konstruktion‘), 33,40f. zu A119 (‚Genie‘) und 13,26 zu L47 (‚unendlich‘). – In der Kritik der Athenaeumsfragmente merkt Novalis zu diesem Fragment an: „nicht persönlich genug.“ 434: 81,9 Vorstellungsarten vom poetischen Weltsystem] Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘); vgl. auch A439 über „das kritische Weltsystem“. 434: 81,10 Kopernikus] Zu Kopernikus siehe Anm. 45,38f. zu A220. 434: 81,11 totes Fachwerk] Vgl. zu Schlegels Gebrauch dieses Begriffs Über Goethes Meister (1798): „Ja man dürfte eine systematische Ordnung in dem

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Vortrage dieser poetischen Physik der Poesie finden; nicht eben das tote Fachwerk eines Lehrgebäudes, aber die lebendige Stufenleiter jeder Naturgeschichte und Bildungslehre“ (KFSA2, S.132). 435: 81,18 Einige Grammatiker] Siehe Anm. 30,35–37 zu A92 (‚Grammatik‘). 435: 81,21f. Kolorit der Universalität] Siehe Anm. 83,15 zu A451 (‚Universalität‘). 436: 81,26 Ganz ohne Rücksicht auf den Inhalt ist der Fürstenspiegel sehr schätzbar] C.M.Wieland (siehe Anm. 51,33–36 zu A260) veröffentlichte 1772 seinen politischen Roman Der Goldene Spiegel oder die Könige von Scheschian, der ironisch an diese Textsorte anknüpft. 436: 81,29 das gesellschaftliche Leben en rapport setzen] „In Beziehung setzen“, ein Terminus des Mesmerismus (siehe hierzu Anm. 63,38 zu A340). Siehe Anm. 78,24f. zu A426 (‚Geselligkeit‘). 436: 81,31f. ohne darum eben ein Autor sein zu wollen] Vgl. zu diesem Gedanken PhL [II] 215. Siehe Anm. 15,9 zu L68 (‚Autor‘). 437: 81,34 in usum delphini] „Zum Gebrauch des Dauphins“; für den Schulgebrauch bearbeitete Klassikerausgaben, aus denen anstößige Stellen entfernt wurden. 437: 81,33–35 Wie kann eine Wissenschaft !…" Mathematik?] Eine Vorstufe zu diesem Fragment findet sich in PhL [III] 101 Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘) und 30,25–27 zu A89 (‚Mathematik‘). 438: 81,36 Urbanität ist der Witz der harmonischen Universalität] Siehe Anm. 12,32 zu L42 (‚Urbanität‘), 9,23 zu L9 (‚Witz‘), 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘) und 83,15 zu A451 (‚Universalität‘). 438: 81,37 Platos höchste Musik] Zu Plato siehe Anm. 15,4 zu L69. Vgl. A450 und siehe Anm. 83,8f. 438: 81,37f. Die Humaniora sind die Gymnastik dieser Kunst und Wissenschaft] ‚Humaniora‘ bezeichnet im älteren Sprachgebrauch das griechische und römische Altertum als Grundlage der Bildung. Vgl. A449 und 440 zum ‚gymnastischen‘ und musikalischen Charakter dieses Bildungsideals. Siehe ferner Anm. 10,10 zu L16 über das Begriffspaar ‚Kunst und Wissenschaft‘. 438: 81,36–38 Urbanität ist der Witz !…" Kunst und Wissenschaft] Hervorgegangen aus PhL [II] 961. 439: 81,39 Eine Charakteristik ist ein Kunstwerk der Kritik] Vgl. zur Charakteristik und zum Charakterisieren als Aufgabe der Kritik auch die folgenden Fragmente: L120, A26, 81, 116, 166, 310, FPL [V] 14, 166, 197, 487, 567, 583, 601, 603, 624, 629, 631–636, Lessings Gedanken und Meinungen (1804; KFSA3, S.60) u. ö. Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). -- Frischmann, Frühromantische Kritikkonzeption, S.95f.; Röttgers, Kritik, S.119–121; Schulte-Sasse, S.118f.; Zovko, S.91f. und 142f. 439: 81,39f. der chemischen Philosophie] Siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über naturwissenschafliche Termini und Vorstellungen in Schlegels Fragmentsammlungen.

Fragmente (‚Athenäums‘-Fragmente)

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439: 81,40–42 Eine Rezension ist !…" des Publikums] Vgl. zu dieser Definition auch A44, 110, 403, FPL [V] 633, 670, 673, 931, 1145. 439: 82,1 Auswahl der Klassiker] Siehe Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). 439: 82,1 das kritische Weltsystem] Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘); vgl. auch A434 zum „poetischen Weltsystem“. 439: 81,39–82,2 Eine Charakteristik ist ein Kunstwerk !…" der Philosophie oder der Poesie] Diese Definitionskette besitzt mehrere Vorstufen und Parallelen: FPL [V] 629, 633, 667, 676, PhL [II] 846 und 931. Novalis merkt zu diesem Fragment in der Kritik der Athenaeumsfragmente an: „Im ganzen U[n]V[erständlich].“ 440: 82,3 Alle reine uneigennützige Bildung ist gymnastisch oder musikalisch] Vgl. A438 und 449; siehe auch Anm. 10,17f. zu L20 über die Bildung. 440: 82,4 Harmonie aller Kräfte] Vgl. zum Begriff der Harmonie auch L110, A142, 160, 217, 276, 451, Id17, 121. 440: 82,3–6 Alle !…" des Altertums] Hervorgegangen aus PhL [III] 31. Siehe auch Anm. 13,21 zu L46 über die Griechen, 13,28f. zu L48 (‚paradox‘) und 13,5f. zu L44 (‚Altertum‘). – Novalis merkt dazu kritisch an: „U[n]V[erständlich].“ 441: 82,7–11 Liberal ist !…" verführen zu lassen] Hervorgegangen aus FPL [V] 57. Siehe Anm. 10,34f. zu L26 (‚liberal‘) und 85,35f. zu Id29 (‚frei‘). 442: 82,12 Philosophische Juristen] Wen Schlegel meint, ist unklar. 442: 82,13 Naturrecht] Vgl. A209. 443: 82,15 Die Deduktion eines Begriffs] Siehe Anm. 29,24–26 zu A82 (‚Deduktion‘). 443: 82,16 von der intellektuellen Anschauung seiner Wissenschaft] ‚Intellektuelle Anschauung‘ nennt Kant in der Kritik der reinen Vernunft (21787; KA3, S.B71f., 158f. und 306–309) eine nichtsinnliche – intuitive – Anschauung, deren Möglichkeit er jedoch für den Menschen leugnet, da sie außerhalb unseres Erkenntnisvermögens stattfinden müßte. Fichte bestimmt in der Zweiten Einleitung in die Wissenschaftslehre (1797) die ‚intellektuelle Anschauung‘ folgendermaßen: „Dieses dem Philosophen angemuthete Anschauen seiner selbst im Vollziehen des Actes, wodurch ihm das Ich entsteht, nenne ich intellectuelle Anschauung. Sie ist das unmittelbare Bewusstseyn, dass ich handle, und was ich handle: sie ist das, wodurch ich etwas weiss, weil ich es thue. Dass es ein solches Vermögen der intellectuellen Anschauung gebe, lässt sich nicht durch Begriffe demonstriren, noch, was es sey, aus Begriffen entwickeln. Jeder muss es unmittelbar in sich selbst finden, oder er wird es nie kennen lernen“ (FI1, S.463). Vgl. auch Id102, AEN84 und den Begriff der ‚intellektualen Anschauung‘ (Anm. 29,7 zu A76); siehe ferner Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘). – Eine Vorstufe zu diesem Fragment findet sich in PhL [II] 971. -- Balmes, WTB3, S.290. 444: 82,21f. Sinn für die wunderbaren Affinitäten aller Künste und Wissenschaften] Zu diesem Gedanken siehe Anm. 40,3 zu A174 und 19,41f. zu L115; siehe ferner Anm. 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘) und 10,10 zu L16 (‚Künste und Wissenschaften‘).

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444: 82,28 in einer philosophischen Ideenreihe] Siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘). 444: 82,18–28 Es pflegt manchem !…" Ideenreihe?] Eine Vorstufe findet sich in FPL [V] 1130. 445: 82,29–32 Die Dynamik ist die Größenlehre der Energie !…" mathematischen] Hervorgegangen aus PhL [III] 102. Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 30,25–27 zu A89 (‚Mathematik‘), 9,23 zu L9 (‚Witz‘) und 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘). – In seiner Kritik der Athenaeumsfragmente schreibt Novalis dazu: „Seh ich nicht ein.“ 446: 82,33 Der konsequente Empirismus] Siehe Anm. 46,39 zu A226 (‚Empirie‘). 447–449: 82,35–83,6 Zu den Fragmenten A447–449 notierte Novalis in der Kritik der Athenaeumsfragmente: „Alle 3 versteh ich nicht recht.“ 447: 82,35–37 Die unechte Universalität ist entweder theoretisch oder praktisch !…" Totalität der Einmischung] Siehe Anm. 83,15 zu A451 (‚Universalität‘) und 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘). 448: 82,38 Die intellektualen Anschauungen der Kritik] Siehe Anm. 29,7 zu A76 (‚intellektuale Anschauung‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 448: 82,39f. Analyse !…" Mischung] Zur chemischen Terminologie der Schlegelschen Fragmente siehe Anm. 11,12–15 zu L32. 448: 82,40 der römischen Satire] Siehe Anm. 20,6f. zu L117 (‚Satire‘) und 13,21 zu L46 (‚die Römer‘). 449: 82,41 Wir haben noch keinen moralischen Autor] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘) und 15,9 zu L68 (‚Autor‘). 449: 82,42–83,1 die erhabene antiquarische Politik Müllers] Zu Johannes von Müller siehe Anm. 39,35f. zu A171. 449: 83,1 Forsters großer Ökonomie des Universums] Der Schriftsteller, Natur- und Völkerkundler Johann Georg Forster (1754–1794) hatte 1772–1775 mit seinem Vater an J.Cooks Weltumsegelung teilgenommen. Dieses Unternehmen beschrieb Forster in seinem Buch A voyage round the world (1777; dt. 1778/80 unter dem Titel Reise um die Welt), das die neue Form des wissenschaftlich fundierten Reiseberichts begründete. – Siehe auch Anm. 74,41 zu A410 (‚Ökonomie‘). 449: 83,2 Jacobis sittlicher Gymnastik und Musik] Siehe Anm. 36,23 zu A142 über Jacobi; vgl. zu den Begriffen „Gymnastik und Musik“ A438 und 440. 449: 82,41–83,6 Wir haben noch keinen !…" verbinden] Eine Vorstufe zu diesem Fragment findet sich in FPL [V] 1114; vgl. auch PhL [IV] 928. 450: 83,7f. Rousseaus Polemik gegen die Poesie ist doch nur eine schlechte Nachahmung des Plato] Siehe Anm. 19,16 zu L111 (Rousseau) und 15,14f. zu L69 (Plato). Wie in A129 spielt Schlegel hier auf Platos Vorwurf an, die Dichter seien Lügner. 450: 83,8f. er hielt die Philosophie für den kühnsten Dithyrambus und für die einstimmigste Musik] Vgl. Plato, Phaidon, 61a (Eigler 3, S.12f.) und A438. Siehe Anm. 38,33f. zu A165 (‚Dithyrambus‘) und 9,11 zu L5 über die musikalische Metaphorik der Schlegelschen Fragmentsammlungen.

Fragmente (‚Athenäums‘-Fragmente)

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450: 83,10f. Epikur !…" will die Fantasie ausrotten und sich bloß an den Sinn halten] Epikur (341–271 v.Chr.) vertrat eine Philosophie der Sinnlichkeit; Lust war ihm Ausdruck des höchsten Gutes, Schmerz Zeichen des größten Übels. Siehe Anm. 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘) und 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘). 450: 83,12 Spinosa] Über Spinoza siehe Anm. 47,40 zu A234. 450: 83,12f. Philosophie und Moralität ohne Poesie] Siehe Anm. 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Philosophie und Poesie sowie 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 450: 83,13f. im Geist seines Systems] Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘). 450: 83,7–14 Rousseaus Polemik !…" isolieren] Vgl. hierzu Schlegels Vorlesungen zur Transzendentalphilosophie (1800/01; KFSA12, S.67). 451: 83,15 Universalität ist Wechselsättigung] Vgl. zu dieser Definition der Universalität auch A139, 155, 247, 423, 438, 447, Id123, FPL [V] 194, 217, 243, 260, 303, 436, 512, 520, 580, 662, 883, PhL [II] 59, 119, 225, 244, 310, 339, 551, 627, 637, 895, 1027, [III] 58, 76, 108, 152, 243; Novalis, AB155 u. ö. Siehe Anm. 118,6 zu PhL [II] 193 (‚Wechselgrundsatz‘). -- Brauers, S.300–302. 451: 83,15f. Zur Harmonie gelangt sie nur durch Verbindung der Poesie und der Philosophie] Vgl. A116 und siehe Anm. 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘). Über das Verhältnis von Poesie und Philosophie siehe Anm. 19,41f. zu L115. 451: 83,19f. eine ununterbrochne Kette innerer Revolutionen] Siehe Anm. 15,1f. zu L66 (‚revolutionär‘) und 219,12 zu AB953 (‚Kette‘). 451: 83,15–21 Universalität !…" den ganzen Olymp in sich] Vgl. hierzu PhL [IV] 1500 und [V] 132. -- Kapitza, Physik, S. 101f.

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Textgrundlage und Textüberlieferung Als dritte und letzte Fragmentsammlung veröffentlichte Friedrich Schlegel 156 Ideen; sie erschienen im ‚Athenäum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel‘, Dritten Bandes Erstes Stück, Berlin 1800, S.4–33. Eine nicht ganz zuverlässige Abschrift von Dorothea Schlegel ist erhalten und befindet sich im Besitz des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar. (Richard Samuel, Friedrich Schlegels ‚Ideen‘ in Dorothea Schlegels Abschrift mit Randbemerkungen von Novalis. In: ‚Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft‘ 10 (1966), S.67–102.) Dieses Manuskript gibt eine frühere Fassung des Texts mit Änderungsvorschlägen August Wilhelms wieder, die von Dorothea in ihre Abschrift übertragen und im Druck teilweise berücksichtigt wurden. In dasselbe Manuskript hatte auch Novalis Randbemerkungen eingetragen. (Eichner, KFSA2, S.LXXXIIIf. Der Stellenkommentar gibt jeweils den Wortlaut dieser Randbemerkungen nach NO3, S.488–493 wieder.) Folgende kritische Editionen der Ideen liegen vor: Friedrich Schlegel 1794–1802. Seine prosaischen Jugendschriften, hg. von Jacob Minor, Bd.2, Wien 1882, S.289–307. Und die Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hg. von Ernst Behler unter Mitwirkung von Hans Eichner und Jean-Jacques Anstett sowie zahlreicher Fachgelehrter, Bd.2: Charakteristiken und Kritiken I (1796–1801), hg. und eingeleitet von Hans Eichner, München, Paderborn und Wien (Ferdinand Schöningh) 1967, S.256–272. Der Text dieses Bandes folgt der Kritischen Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags Ferdinand Schöningh.

Entstehung Schon Anfang 1799 schlägt Friedrich Schlegel seinem Bruder eine neue Fragmentsammlung für das ‚Athenäum‘ vor: „Ich dächte“, schreibt er am 5.2., „wir gäben mit nächstem einmal in das Athen.[äum] eine kleine Portion von Fragmenten ohne alle künstliche Ordnung oder Unordnung; wobey wir mehr auf die Gediegenheit und das Classische der einzelnen sehn, !!wenn das Ganze dann auch nicht so reich wäre, könnte es correcter sein, und populärer."" Da wäre es am besten, jeder ordnete seine selbst, Du, ich und Schl.[eyermacher] und sie folgten so aufeinander, unvermischt“ (KFSA24, S.228). Im Mai hat dieser Plan bereits Gestalt angenommen; allerdings kommt eine Mitarbeit Schleiermachers und August

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Wilhelm Schlegels nicht zustande. „Eine ganz kleine Portion Gedanken – denn so möchte ich sie einmal lieber nennen als Fragmente – aber exquisite, bedürfen nur der Abschrift“ (ebd., S.287), berichtet Friedrich Schlegel seinem Bruder. Wie schon bei seinen früheren Sammlungen erwiesen sich auch jetzt wieder die Materialienhefte, besonders die philosophischen Notizhefte, als nützlich. In ihnen hatte Friedrich Schlegel u.a. die Resultate seines Gedankenaustauschs mit Schleiermacher festgehalten (Eichner, KFSA2, S. LXXXIV). Einige der Ideen gehen auch auf den Briefwechsel mit Novalis zurück. (Aus dem Brief Friedrich Schlegels an Hardenberg vom 2.12.1798 (KFSA24, S.204–208) entstanden Id52, 61, 90 und 95; Immerwahr, KFSA24, S.423f.) Am 10.8.1798 kündigt Friedrich Schlegel dem Bruder seine neue Sammlung an: „Ich freue mich, daß Dich Schlei[ermacher]’s Religion so sehr interessirt. Um so eher darf ich das gleiche für die Ansichten hoffen, die ich Dir nächstens fürs Athen.[äum] schicken werde. Es sind nicht eigentlich Fragmente, wenigstens nicht in der alten Manier“ (KFSA24, S.307). Im Begleitbrief, den Friedrich Schlegel bald darauf zusammen mit dem Manuskript der Ideen nach Jena schickt, unternimmt der Verfasser eine erste, halb scherzhafte Charakterisierung seines Werks, in der er auf Cervantes und Jean Paul anspielt: „Hier sind Ideen denn so will ich sie schicklicher nennen, der Cardenio zu Schlei[ermache]rs Don Quixote. Ich hoffe ihr werdet wenigstens wie Olivia sagen: Nun das ist eine rechte Hundstagstollheit. Doroth.[ea] meynt es sey Kaviar der Mystik – theils wegen der Form, wie kleiner Froschlaich, theils Kaviar fürs Volk, theils wegen des hitzigen Geschmacks und noch aus mehr andern Gründen. Indessen habe ich doch – nach Beschaffenheit der Umstände – sehr leise angefangen, und wenn diese Ideen erst erstiegen sind, so sollen dann Hieroglyphen erscheinen“ (August 1799; KFSA24, S.308f.). Nachdem Friedrich Schlegel am 1. September nach Jena zurückgekehrt war, ging eine Abschrift an August Wilhelm, der am Rand Notizen eintrug. Danach wurde das Manuskript Hardenberg geschickt, der ebenfalls Randbemerkungen machte. Im Druck erschienen die Ideen im darauffolgenden Frühjahr. In Schlegels Ideen manifestiert sich seine ‚religiöse‘ Neuorientierung. Die Sammlung steht in engem Zusammenhang mit Schlegels Plan, eine neue, ästhetische Religion zu stiften und eine neue Bibel zu schreiben, den er im Briefwechsel mit Hardenberg erörterte. (Vgl. die Briefe Schlegels an Hardenberg, 20.10. und 2.12.1798 (KFSA24, S.183f. und 204–208) und Hardenbergs an Schlegel, 7.11.1798 (KFSA24, S.194–196)) Seine Beschäftigung mit Hemsterhuis bestärkte Schlegel in seiner Forderung, Poesie und Philosophie zu verbinden; Lessings Schrift über Die Erziehung des Menschengeschlechts (1780) führte ihn zu dem Gedanken einer progressiven Religiosität als Grundlage der Bildung (Eichner, KFSA2, S.LXXXI). Wichtige Anregungen erhielt er außerdem von Schleiermachers anonym veröffentlichter Schrift Über die Religion, Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799), die er im Mai 1798 für das ‚Athenäum‘ rezensierte. (Eichner, KFSA2, S. LXXXIVf.; RS, S.489.) Von Schleiermacher übernahm Schlegel die „entkirchlichte Fassung des Religionsbegriffs und seine von Spinoza hergeleitete Identifizierung der Religion mit der Anbetung des Universums“. (Benno von Wiese, Friedrich Schlegel. Ein Beitrag zur Geschichte der

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romantischen Konversionen, Berlin 1927, S.21.) Er schließt sich aber auch ihm nur in einzelnen Fragen an und setzt im übrigen eigene Akzente. So bestimmt Schlegel die Religion als das Produkt der Synthese von Poesie und Philosophie (vgl. Id46, 96 und 108), während Schleiermachers Reden der Religion eine dominierende Rolle zuweisen, die die Kunst fast völlig verdrängt (Eichner, KFSA2, S.LXXXVI). Die Unterschiede ihrer Standpunkte erkennt Schlegel, wenn er am 20.9.1799 an Schleiermacher schreibt: „Was in den ‚Ideen‘ in näherer Beziehung auf Deine ‚Reden‘ scheint als das übrige, ist eigentlich weder an Dich noch gegen Dich, sondern nur !…" aus Gelegenheit Deiner. Die ganzen ‚Ideen‘ gehen bestimmt von Dir, oder vielmehr von Deinen ‚Reden‘ ab, neigen nach der andern Seite in den ‚Reden‘. Weil Du stark nach einer Seite hängst, habe ich mich auf die andre gelegt, und Hardenberg mich gleichsam, wie es scheint, angeschlossen“ (NO3, S.484).

Wirkung Unmittelbare Wirkung, noch vor ihrer Publikation, zeigten die Ideen, indem sie August Wilhelm Schlegel, vor allem aber indem sie Hardenberg zu einer kritischen Auseinandersetzung mit ihnen anregten und so der frühromantischen Symphilosophie neue Impulse gaben. 27 Ideen versah Novalis mit kürzeren oder längeren (Rand-)Notizen (Nr.8–10, 12–16, 18–20, 22, 29f., 46, 50f., 63, 67, 91, 95f., 106, 126, 131, 151 und 156). Außerdem unterstrich er in Idee 104 die Begriffe ‚Zutraun‘, ‚Demut‘, ‚Andacht‘, ‚Treue‘, ‚Dankbarkeit‘, ‚Sehnsucht‘ und ‚Wehmut‘ und hob einige der Aufzeichnungen durch einen Stern (Nr.1, 4–6, 21, 39–41, 49, 61, 77 und 117), durch zwei (Nr.2, 12, 22, 24, 27, 35, 38, 47, 64, 80, 91, 107 und 120) oder drei Sterne (Nr.7, 44, 50, 60, 69, 71, 94, 104, 123, 127–129 und 137) besonders hervor.

Struktur und Gehalt Die Ideen, die Friedrich Schlegel nicht mehr als Fragmente gelten lassen möchte, wie er seinem Bruder gegenüber bemerkt (vgl. die Briefe vom Mai und vom 10.8.1798; KFSA24, S.287 und 307), unterscheiden sich von den ‚Athenäums‘-Fragmenten durch ihre knappere, aber auch dunklere, hermetische Sprache. Aktuelle Bezüge treten zugunsten einer abstrakten Begrifflichkeit zurück. Seiner Auffassung von der quasi-religiösen Funktion des Künstlers entsprechend herrscht in dieser Sammlung ein feierlicher Ton vor; Schlegel spricht mit dem Gestus des Propheten und wendet sich an ein eingeweihtes Publikum. Der Eindruck der Exklusivität wird verstärkt durch die Anspielung auf Hardenbergs Die Lehrlinge zu Sais in der ersten und durch die ausdrückliche Widmung „An Novalis“ in der letzten Idee. Durch diese Rahmung und durch die Du-Anrede in einigen weiteren Texten (Nr.90, 111, 115, 152) verleiht Schlegel den Ideen den Charakter eines Dialogs.

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Anders als die ‚Athenäums‘-Fragmente kreist diese spätere Sammlung um wenige Themen: In immer neuen Ansätzen versucht Schlegel die vier grundlegenden Bereiche der Bildung zu definieren und in ihrem Verhältnis untereinander zu bestimmen: Religion, Philosophie, Poesie und Moral repräsentieren jeweils eine der schöpferischen Kräfte, auf deren Zusammenwirken unsere Kultur beruht. Diese „Theorie des Kulturzusammenhangs“ (Behler, Friedrich Schlegel in Selbstzeugnissen, S.59f.) weist bereits voraus auf Wilhelm Diltheys Begründung der „Geisteswissenschaften“.

Stellenkommentar 84, Titel Ideen] Schlegel spricht von Ideen nicht im platonischen Sinn, sondern A121 (und Id10) entsprechend, wo eine Idee bestimmt wird als „ein bis zur Ironie vollendeter Begriff, eine absolute Synthesis absoluter Antithesen, der stete sich selbst erzeugende Wechsel zwei streitender Gedanken“. Dieser ‚metalogische‘ Begriff widersetzt sich einer exakten Definition und fordert die Phantasie des Lesers auf, am Verstehensprozeß mitzuwirken. -- Schlagdenhauffen, Grundzüge, S.34f.; Neumann, Ideenparadiese, S.469–472. 1: 84,1 Die Foderungen und Spuren einer Moral] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 1: 84,2f. Sogar von Religion ist schon die Rede] Siehe Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘). 1: 84,3f. Es ist Zeit den Schleier der Isis zu zerreißen, und das Geheime zu offenbaren] Eine Anspielung auf Novalis’ Die Lehrlinge zu Sais (NO1, S.82, 110f. und 195); vgl. auch ET431, AB788, Vorarbeiten 250, das fünfte der Geistlichen Lieder (NO1, S.165) und Id128, die von den verhüllten Mysterien spricht, ferner Schillers Gedicht Das verschleierte Bild zu Sais (NA1, S.256), das vor dem Akt der Enthüllung eindringlich warnt, Kants Kritik der Urteilskraft (1790), Anmerkung zu §49 (S.B197) und F.X.von Baaders Beiträge zur Elementarphysiologie (1797; Sämmtliche Werke I/3, S.226). – Zum Anklang an das Losungswort von Goethes Mährchen in Id1, 61 und 108 siehe Anm. 157,15–21 zum Gedicht Es ist an der Zeit im ersten Teil von Glauben und Liebe. – Der doppelte Bezug auf Schlegels Freund Friedrich von Hardenberg in der ersten und in der letzten Idee (Id156: „An Novalis“) umrahmt die Sammlung. --– Johannes Endres, Der Schleier des Novalis. In: Novalis. Poesie und Poetik, S.109–123; Kurzke, Novalis, S.50f.; Neumann, Ideenparadiese, S.476 und 493; Constanze Peres, Verhüllte und offenbare Wahrheit. Die Metapher des Schleiers (der Wahrheit) bei Schiller und Novalis. In: Denken und Geschichte. Festschrift für Friedrich Gaede zum 65. Geburtstag von seinen Freunden und Kollegen, hg. von Hans Günther Schwarz und Jane V. Curran, München 2002, S.46–73; Strack, Neugier, S.33f. 2: 84,5f. Ein Geistlicher ist !…" Allegorie hat] Ein ‚Geistlicher‘ ist hier nicht ein Vertreter einer Amtskirche, aber auch nur bedingt – Schlegels Auffassung von Religion gemäß – als ‚religiöser‘ Mensch zu verstehen.

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Der ‚Geistliche‘ im Schlegelschen Sinne ist derjenige Mensch, in dem der Konflikt zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt als Konflikt unmittelbar manifest wird, und zwar als Deutungszusammenhang. Er ist am entschiedensten der Dialektik von Zeichen und Bezeichnetem ausgesetzt, die Schlegel mit der biblischen Chiffre von Geist und Buchstabe !siehe Anm. 15,16 zu L69" bezeichnet, in ihm vollzieht sich die ‚kopernikanische Wende‘, in der das vor Augen Stehende sich unvermittelt entwertet zugunsten einer Konstruktion im Unsichtbaren, er vermag aus dem Zusammenhang des Ganzen dem Einzelnen seinen Platz zu bestimmen, durch ‚geistliche‘ Auffassung der Gegenstände das Einzelne auf das Ganze hin zu transzendieren. (Neumann, Ideenparadiese, S.487.)

Vgl. zur Auffassung des Geistlichen bzw. des Religiösen Id9, 16, 58, 141, PhL [II] 518, [III] 243 und [IV] 1267; Novalis, AB1125 und siehe Anm. 74,31 zu A406 (‚Priester‘) sowie 14,1 zu L53 (‚Allegorie‘). 3: 84,7f. Nur durch Beziehung aufs Unendliche !…" unnütz] Siehe Anm. 13,26 zu L47 über das Unendliche; vgl. auch Id81. -- Neumann, Ideenparadiese, S.507. 4: 84,9 Die Religion ist die allbelebende Weltseele der Bildung] Vgl. über die Religion auch folgende Fragmente: A231–233, 327, 406, 420, Id1, 13f., 18, 22, 27, 30f., 38, 44, 50, 70, 73, 78, 80f., 84, 92–94, 96, 105, 110f., 117, 129, 132, 137f., 147, 150, PhL [IV] 47, 50, 53, 72, 99, 111–113, 117, 143, 216, 230, 233, 239, 245, 322, 375f., 382, 384, 392, 404, 1520–1548 (Zur Religion); Novalis, BL74, 77, Vorarbeiten (Poëticismen) 55, T14, 102, ET432, AB62, 82, 116, 257 u. ö. Siehe auch Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). -- Behler, KFSA8, S.CIII-CV; Brauers, S.120–128. 4: 84,9–12 das vierte unsichtbare Element zur Philosophie, Moral und Poesie, welches gleich dem Feuer !…" ausbricht] Der Vergleich mit dem Feuer (siehe Anm. 205,15f. zu T73) rückt Schlegels Religionsbegriff in die Nähe des Witzes, der besonders in den ‚Lyceums‘-Fragmenten ebenfalls durch Licht- und Feuermetaphorik veranschaulicht wird. (Siehe Anm. 10,21–23 zu L22; vgl. auch Id26, die auf „das Witzähnliche der Mystik“ hinweist.) Zu den vier Zentralbegriffen der Ideen – Religion, Moral, Poesie und Philosophie – vgl. Id67, 89f., 107, 123; Novalis, AB1016; Schleiermacher, GIII27 und ironisch Görres, Schriftproben, S.331 (17),15a–17a. Siehe auch Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 84,25–28 zu Id11 zum Verhältnis von Religion, Poesie und Philosophie sowie Anm. 19,41f. zu L115 über die Beziehung zwischen Poesie und Philosophie. -- Brauers, S.122–124; Mohr, S.238–246; Neumann, Ideenparadiese, S.480. 4: 84,9–12 Die Religion !…" ausbricht] Vgl. PhL [IV] 1288. 5: 84,13–15 Der Sinn versteht etwas nur dadurch, daß er es als Keim in sich aufnimmt !…" Ausfüllungen] Siehe Anm. 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘) und 10,17f. zu L20 (‚verstehen‘); in mehreren Fragmenten dieser Sammlung veranschaulicht die Pflanzenmetaphorik geistige Prozesse (Id75, 88, 123 und 131; vgl. hierzu auch PhL [III] 249 und [IV] 1503); vgl. den Titel von Hardenbergs Blüthenstaub und siehe Anm. 141,1f. zum Motto der Sammlung. 6: 84,16 Das ewige Leben und die unsichtbare Welt ist nur in Gott zu suchen] Vgl. ergänzend A406 und Id16 zur ‚unsichtbaren Welt‘. Siehe Anm. 47,30 zu A232 (‚Gott‘).

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6: 84,17 Abyssus] Abgrund. 6: 84,16f. Das ewige Leben !…" Volle] Vgl. Id60; siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 13,26 zu L47 (‚unendlich‘). -- Brauers, S.144. 7: 84,18 Laßt die Religion frei, und es wird eine neue Menschheit beginnen] Vgl. zu diesem Gedanken Id47 und PhL [IV] 1497. Siehe Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘), 85,35f. zu Id29 (‚frei‘) und 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘). 8: 84,19 der Verfasser der Reden über die Religion] Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher veröffentlichte seine Schrift Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799; FDES,KG I/2, S.185–328) anonym. Auf diese Arbeit beziehen sich auch Id112, 125 und 150. 8: 84,20f. Fantasie ist das Organ des Menschen für die Gottheit] Siehe Anm. 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘) und 47,30 zu A232 (‚Gott‘). Novalis notierte hierzu die Randbemerkung: „(Nicht das Herz?)“ Er nennt in FuS104 das Herz „das religioese Organ“ des Menschen. 8: 84,19–21 Der Verstand !…" die Gottheit] Vgl. PhL [V] 57. -- Balmes, WTB3, S.575f.; Neumann, Ideenparadiese, S.540f.; Stockinger, WTB3, S.326. 9: 84,22 Der wahre Geistliche fühlt immer etwas Höheres als Mitgefühl] Siehe Anm. 84,5f. zu Id2 (‚geistlich‘). – Vgl. dazu Hardenbergs zustimmende und ergänzende Randbemerkung: „(Ja, er überschaut die ganze Composition, in der dieses Mitgefühl nur die Note Einer Stimme ist).“ 10: 84,23f. Ideen sind !…" göttliche Gedanken] Siehe Anm. 34,4 zu A121. Vgl. auch PhL [IV] 1467. – Dazu merkt Novalis an: „(Sie sind Naturgedanken – nothwendige Gedanken, Idole ungeborner Welten)“. -- Neumann, Ideenparadiese, S.554. 11: 84,25–28 Nur durch Religion wird aus Logik Philosophie !…" schöne Kunst nennt] Während die ‚Lyceums‘- und ‚Athenäums‘-Fragmente das Verhältnis von Poesie und Philosophie zu bestimmen suchen (siehe Anm. 19,41f. zu L115), tritt in den Ideen als dritte, dominierende Größe die Religion hinzu (vgl. Id25, 34, 42, 46, 96, PhL [IV] 661; ferner Schelling, AEN6 und 9). Diese Trias wird in einigen Texten, um ein viertes Element – die Moral – erweitert (siehe Anm. 84,9–12 zu Id4). Vgl. zur Beziehung von Kunst und Wissenschaft zur Religion Id68, 111 und Schelling, AEN6, jedoch auch Goethes Zahme Xenien (WA I 5.1, S.134). – Siehe Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘), 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘), 85,33 zu Id27 über das Verhältnis von Religion und Philosophie und 10,34 zu L26 (‚Roman‘). -- Behler, KFSA8, S.CI-CIII; Frischmann, Transzendental, S.382f.; Götze, Ironie, S.341; Neumann, Ideenparadiese, S.484. 12: 84,29–31 Gibt es eine Aufklärung !…" in freie Tätigkeit setzen könnte] Vgl. Novalis, Vorarbeiten 247. Siehe Anm. 10,9 zu L16 (‚Willkür‘) und 85,35f. zu Id29 (‚frei‘). – Hardenberg versah das Fragment mit zwei Sternen und einer Randbemerkung: „(Das Aufklären gehörte zur Sinnzuchtslehre).“ -- Balmes, WTB3, S.576; Neumann, Ideenparadiese, S.501. 13: 84,32f. Nur derjenige kann ein Künstler sein !…" des Unendlichen hat] Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘) und 13,26 zu L47 (‚unendlich‘). – Hardenberg widerspricht in seiner Randbemerkung: „(Der Künstler ist durchaus irreligiös – daher kann er in Religion wie in Bronze

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arbeiten. Er gehört zu Schleyerm[achers] Kirche).“ Vgl. auch Novalis’ Äußerung über Schleiermachers „Kunstreligion“ (FuS48). 14: 84,34–36 Die Religion ist nicht bloß ein Teil der Bildung !…" sondern das Zentrum !…" das schlechthin Ursprüngliche] Siehe Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘), 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘); vgl. Id4 zum Verhältnis von Religion und Bildung. Den Begriff des Zentrums dürfte Schlegel von J.Böhme übernommen haben, bei dem er „die höchste Wesenheit, das Göttliche bezeichnet“ (Schlagdenhauffen, Grundzüge, S.33), das für das logische Denken nicht faßbar und lediglich der Spekulation zugänglich ist. Vgl. hierzu Id41, 44f., 85, 97, 100, 109, 117, 141, 155, PhL [III] 382, 403, 439, 536, 541, 545, 546, 550f., 582, 648, [IV] 8, 23, 33, 125, 134, 167, 584, ferner die verwandte Vorstellung der Mitte in Id20, 44, 50, 74, 97, PhL [III] 166, 181, 372, [IV] 72, 77, 81, 112, 148, 276, 309, 320 und bei Novalis ET432, sowie des Mittelpunkts in A146, 247, 424, 434, Id41, 87, bei Novalis in BL51, Lg19, bei Schelling AEN71 und bei Ritter u.a. in RF5, 28, 32. – Hardenberg notierte hierzu kritisch: „(Mir scheint sie mehr durchaus und wesentlich ein hors d’Oeuvre !Nebenbeschäftigung" zu seyn.)“ -- Brauers, S.194–199. 15: 85,1 Jeder Begriff von Gott ist leeres Geschwätz] Siehe Anm. 47,30 zu A232 (‚Gott‘) und vgl. ergänzend Id40. Schlegel nimmt an dieser Stelle eine Auffassung der spekulativen Mystik auf. 15: 85,1f. die Idee der Gottheit ist die Idee aller Ideen] Siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘) und 19,9 zu L108 über die potenzierenden Formulierungen der Romantiker (‚Philosophie der Philosophie‘). 15: 85,1f. Jeder Begriff !…" Idee aller Ideen] Das Fragment ist aus PhL [IV] 1468 hervorgegangen. – Novalis schreibt dazu als Randbemerkung: „(Von Gott weis ich nichts – von Göttern will ich reden und da ist der Satz bey jedem Religiösen wahr.)“ Diese Notiz kommentiert H.J.Balmes: „Das Absolute ist nur negativ zu erkennen !…", in den Göttern findet es aber Mittler, über die es symbolisch zu fassen ist“ (WTB3, S.576). -- Neumann, Ideenparadiese, S.554f. 16: 85,3 Der Geistliche !…" in der unsichtbaren Welt] Siehe Anm. 84,5f. zu Id2 (‚der Geistliche‘) und vgl. Id6 zur ‚unsichtbaren Welt‘. 16: 85,4f. das Endliche zum Ewigen bilden] Vgl. zu diesem Gedanken Id89; siehe auch Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 13,26 zu L47 (‚unendlich‘). 16: 85,5f. und so muß er !…" Künstler sein und bleiben] Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘) und 149,32–35 zu BL71 über die ursprüngliche Einheit von Dichter- und Priesteramt. 16: 85,3–6 Der Geistliche !…" sein und bleiben] Vgl. hierzu auch Hardenbergs Widerspruch in seiner Randbemerkung: „(Bilden kann der Geistliche durchaus nicht – wenn Bilden ein Thätig seyn ist. Unthätig bis zur Leidenschaft ist der geistlich gesinnte Mensch.)“ -- Neumann, Ideenparadiese, S.488f. 17: 85,7f. Wenn die Ideen Götter werden !…" Hoffnung] Siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘), 47,30 zu A232 (‚Gott‘) und 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘). 18: 85,9–11 Den Geist des sittlichen Menschen !…" Enthusiasmus] Vgl. hierzu auch PhL [IV] 1482. Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 84,9 zu Id4

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(‚Religion‘), 89,10f. zu Id71 (‚Chaos‘) und 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘). – Novalis merkt dazu an: „(Allerdings ist die Religion ein umgebendes Meer, worinn jede Bewegung, statt einer Welle eine Vision hervorbringt.)“ 19: 85,12–15 Genie zu haben, ist der natürliche Zustand des Menschen !…" allgemein waren] Siehe Anm. 59,16f. zu A321 über das Postulat des Künstlertums eines jeden Menschen, 33,40f. zu A119 (‚Genie‘), 26,31 zu A50 (‚Liebe‘), 18,30 zu L106 (‚die Frauen‘) und 49,10 zu A243 über das goldene Zeitalter. – Dazu schreibt Hardenberg folgende Randbemerkung: „(Jetzt bin ich überzeugt, daß Genie, wenn es nicht mit Geist verwechselt wird, nichts, als Specifiker Geist und daher eine widernatürliche Beschränkung, eine Leidenschaft des Geistes ist.)“ Seine Unterscheidung zwischen Genie und Geist entspricht ungefähr Schlegels Gegenüberstellung von Genie und Talent in Id141. -- Balmes, WTB3, S.576; Neumann, Ideenparadiese, S.539. 20: 85,16f. Künstler ist ein jeder !…" seinen Sinn zu bilden] Siehe Anm. 14,35 und 14,35f. zu L63 (‚Künstler‘, ‚Sinn‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). In seiner Randbemerkung bezweifelt Novalis diese Definition: „(Sollte dies nicht der Dilettant seyn – Mit seinem Sinn zu bilden, dann ist es der Künstler.)“ Vgl. zu diesem Einwand auch die von Goethe und Schiller gemeinsam konzipierte Schrift Über den Dilettantismus (1799; WA I 47, S.299–326). -- Balmes, WTB3, S.576; Neumann, Ideenparadiese, S.541f. 21: 85,18 Es ist der Menschheit eigen, daß sie sich über die Menschheit erheben muß] Schlegel kleidet den Gedanken der unbegrenzten Progression und der unendlichen Perfektibilität in eine scheinbar paradoxe Formulierung. Vgl. über die Begriffe ‚Menschheit‘ und ‚Mensch‘ auch folgende Fragmente: Id24, 28, 33, 41, 50f., 55, 57, 64f., 72, 81, 83, 87, 91f., 95, 98, 102, 107, 145, 152, PhL [IV] 1278 und [V] 181. Während Id21 den Aspekt des ‚Aus-sich-Heraustretens‘ thematisiert, findet sich in Id87 die komplementäre Gedankenbewegung des ‚In-sich-Zurückgehens‘; siehe Anm. 10,4f. zu L14 über die gedankliche Struktur des ordo inversus. -- Mähl, Idee, S.299f.; Neumann, Ideenparadiese, S.518. 22: 85,19–23 Was tun !…" Kunst und Wissenschaft] Vgl. Id94 und siehe Anm. 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘), 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘), 89,10f. zu Id71 (‚Chaos‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘) und 10,10 zu L16 (‚Künste und Wissenschaften‘). – Novalis, der diese Idee durch zwei Sterne hervorhebt, merkt zum ersten Teil an: „(Wenn du von Relig[ion] sprichst, so scheinst du mir den Enthusiasmus überhaupt zu meynen, von dem die Religion nur Eine Anwendung ist.)“ Den Schlußteil kommentiert er folgendermaßen: „(Das Grab ist recht eigentlich ein religiöser Begriff – Nur die Religion und ihre Bekenner liegen in Gräbern. Der Scheiterhaufen gehört zum Ritus der Bekenner des Universums.)“ Vgl. zum Motiv des Scheiterhaufens das Klingsohr-Märchen (Heinrich von Ofterdingen, Kapitel 9; NO1, S.300 und 307) und in Glauben und Liebe das Gedicht Der sterbende Genius. 23: 85,24 Tugend ist zur Energie gewordne Vernunft] Vgl. zur Tugend auch L59, A9, 16, 50, 106, 115, 405, 420, Id36, 135 u. ö. Vgl. auch Id153 („Energie der Vernunft“). -- Neumann, Ideenparadiese, S.514f.

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24: 85,25–27 Die Symmetrie !…" Mensch geworden] Eine Vorstufe findet sich in PhL [IV] 1534; vgl. auch Id60 und A262. Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 47,30 zu A232 (‚Gott‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.520. 25: 85,28f. Das Leben und die Kraft der Poesie !…" aus sich herausgeht !…" und dann in sich zurückgeht] Siehe Anm. 10,4f. zu L14 über diese dialektische Gedankenbewegung und vgl. besonders Novalis, BL45. Siehe auch Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘). 25: 85,28–30 Poesie !…" Religion !…" Philosophie] Siehe Anm. 84,25– 28 zu Id11 zum Verhältnis dieser drei Disziplinen. 26: 85,31f. Witz ist die Erscheinung, der äußre Blitz der Fantasie !…" Mystik] Siehe Anm. 9,23 zu L9 über den Witz und 10,21–23 zu L22 über die Feuermetaphorik, die Schlegel im Zusammenhang mit diesem häufig verwendet, sowie Anm. 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘) und 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘). Vgl. auch Id8, 59, 109 und FPL [IX] 122. -- Neumann, Ideenparadiese, S.541. 27: 85,33 Platos Philosophie !…" zur künftigen Religion] Siehe Anm. 15,14f. zu L69 über Plato und 84,9 zu Id4 (‚Religion‘). Vgl. zum Verhältnis von Philosophie und Religion auch Id11, 117 und PhL [IV] 675–685. -- Neumann, Ideenparadiese, S.498. 28: 85,34 Der Mensch ist ein schaffender Rückblick der Natur auf sich selbst] Siehe Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.519f. 29: 85,35f. Frei ist der Mensch !…" unsterblich] Eine Vorstufe findet sich in PhL [V] 74. Vgl. zu dieser Definition des Frei-Seins auch L16, 55, 87, A50f., 60, 86, 116, 168, 212, 214, 227, 233, 283, 331, 441, Id147 u. ö. -- Hardenberg schlägt in seiner Randnotiz vor, die Verben durch „(anschaut)“ zu ersetzen. Siehe auch Anm. 47,30 zu A232 (‚Gott‘). -- Günter Birtsch, Aspekte des Freiheitsbegriffs in der deutschen Romantik. In: Romantik in Deutschland, S.47–58; Neumann, Ideenparadiese, S.573. 30: 85,37f. Die Religion ist schlechthin unergründlich !…" immer tiefer graben] Vgl. Id13 und 81. Siehe Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘) und 13,26 zu L47 (‚unendlich‘). Am Rand notiert Novalis: „(Aber auch einfach bis zur Vernichtung aller Quantität und Qualität.)“ 31: 85,39f. Die Religion ist die zentripetale und zentrifugale Kraft im menschlichen Geiste] Siehe Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘), zu den korrelierenden Begriffen ‚zentripetal‘ und ‚zentrifugal‘ siehe Anm. 10,4f. zu L14. Vgl. zu diesen physikalischen Termini auch Novalis, Vorarbeiten 242: „Alle Dinge haben eine Centrifugaltendenz – Centripetal werden sie durch den Geist !…"“; und Vorarbeiten 274: „Zentripetalkraft – ist das synthetische Bestreben – Centrifugalkraft – das analytische Bestreben des Geistes – Streben nach Einheit – Streben nach Mannichfaltigkeit – durch wechselseitige Bestimmung beyder durch Einander – wird jene höhere Synthesis der Einheit und Mannichfaltigkeit selbst hervorgebracht – durch die Eins in Allem und Alles in Einem ist.“ 32: 86,1f. von den Gelehrten !…" Künstler] Siehe Anm. 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft.

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32: 86,2f. Zeit ist es, daß alle Künstler zusammentreten !…" zu ewigem Bündnis] Vgl. zum Bund der Künstler auch Id49, 139f., 142 und Novalis, BL75 („des unsichtbaren Bundes ächter Denker“); von einer ‚Familie‘ der Künstler spricht Id122. Siehe auch Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘). 33: 86,4–7 Das Moralische einer Schrift !…" ist sie es nicht] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘) und 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘). Schlegel scheint hier auch in eigener Sache, zur Rechtfertigung seiner Schriften, zu sprechen. -- Neumann, Ideenparadiese, S.512f. 34: 86,8f. Wer Religion hat, wird Poesie reden !…" Philosophie das Werkzeug] Siehe Anm. 84,25–28 zu Id11 über die Trias von Religion, Poesie und Philosophie. Vgl. ergänzend Id149 und Siehe Anm. 149,32–35 zu BL71 über die ursprüngliche Einheit von Dichter- und Priestertum. 35: 86,10f. Wie die Feldherrn der Alten !…" reden] Siehe Anm. 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘) und 87,37–88,2 zu Id50 (‚Zeitalter‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.513. 36: 86,12f. Jeder vollständige Mensch hat einen Genius !…" Genialität] Vgl. Id141. Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘) und 85,24 zu Id23 (‚Tugend‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.540. 37: 86,14 Das höchste Gut und das allein Nützliche ist die Bildung] Vgl. zur Bildung als höchstem Gut PhL [IV] 634, 868, 898, 1032 und 1075. Siehe Anm. 113,39f. zu PhL [II] 28 (‚das höchste Gut‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.550. 38: 86,15–17 In der Welt !…" der Kunst und der Bildung, erscheint die Religion notwendig als Mythologie oder als Bibel] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘), 38,13 zu A162 (‚Mythologie‘) und 90,36f. zu Id95 (‚Bibel‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.504. 39: 86,18–20 Die Pflicht der Kantianer verhält sich zum Gebot der Ehre !…" Stamme] Ein Proportionalvergleich. Nach Kant ist „Pflicht“ die „Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz“ (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785; KA7, S.BA14). Schlegel argumentiert hier eher im Sinne Schillers, der „die sinnliche Natur im Sittlichen“ als lebendig „mitwirkende Parthey“ anerkennt; „der Mensch darf nicht nur, sondern soll Lust und Pflicht in Verbindung bringen; er soll seiner Vernunft mit Freude gehorchen.“ (Ueber Anmuth und Würde, NA20, S.283 und 286.) Siehe Anm. 22,27–29 zu A10 über den Pflichtbegriff bei Kant und 47,30 zu A232 (‚Gott‘). 40: 86,21f. Ein bestimmtes Verhältnis zur Gottheit muß dem Mystiker so unerträglich sein !…" Begriff derselben] „Ein mystisches Christentum wäre für Schlegel eine Religion, die plurale Sprechweisen über das Göttliche zuläßt und das mit immanenten Denkkategorien nicht faßbare höchste Sein nicht dogmatisiert. !…" Die Möglichkeit für eine solche ästhetische Respiritualisierung und psychische Individualisierung des Christentums, die gleichzeitig nicht in eine bedeutungslose Sektiererei münden will, aber sieht Schlegel allein vom katholischen Standpunkt gegeben“ (Petersdorff, S.194). Vgl. Id22 und 34 sowie Id15 über den einengenden „Begriff von Gott“. Siehe Anm. 47,30 zu A232 (‚Gott‘) und 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘).

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41: 86,23–30 Nichts ist mehr Bedürfnis der Zeit !…" gefunden haben] Vgl. zum „Zentrum der Menschheit“ Id14 und 87. Siehe Anm. 15,1f. zu L66 (‚revolutionär‘), 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘), 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘), 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘), 10,10 zu L16 sowie 19,41f. zu L115 (‚Künste und Wissenschaften‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.502f. 42: 86,31–34 Glaubt man den Philosophen !…" einseitig nimmt] Siehe Anm. 84,25–28 zu Id11 über die Trias Philosophie – Religion – Poesie. 42: 86,36 die Poesie will nur nach dem Unendlichen streben] Siehe Anm. 13,26 zu L47 (‚unendlich‘). 42: 86,38f. Der ewige Friede unter den Künstlern ist also nicht mehr fern] Eine Anspielung auf Kants Schrift Zum ewigen Frieden (21796; KA11, S.191–251). Siehe auch Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘). 43: 86,40f. Was die Menschen unter den andern Bildungen der Erde, das sind die Künstler unter den Menschen] Vgl. zu diesem Proportionalvergleich PhL [V] 419 und 987; siehe auch Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘). Ein ähnlich elitäres Selbstbewußtsein des Künstlers äußert sich auch in Id64, 136, 146 und bei Novalis, Vorarbeiten (Poësie) 38. 44: 87,2 in der Mitte eines sinnvollen Menschen] Vgl. Id45 und 87. Siehe auch Anm. 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘) und 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘). 44: 87,14 jeder Künstler ist Mittler für alle übrigen] Die Auffassung von der Mittler-Rolle des Künstlers findet sich bereits bei J.Böhme. Vgl. auch Novalis, BL74 und AB398. Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘) und 47,38f. zu A234 (‚Mittler‘). 44: 87,1–14 Gott erblicken wir nicht !…" alle übrigen] Vgl. die folgende Idee, die an Id44 anknüpft und PhL [IV] 1459. Siehe Anm. 47,30 zu A232 (‚Gott‘), 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘) und 84,9 zu Id4 (‚Religion‘). -- Lindemann, S.31f.; Neumann, Ideenparadiese, S.521f.; Schlagdenhauffen, Schlegel, S.338. 45: 87,15–19 Ein Künstler ist, wer sein Zentrum !…" reizen und wecken] Vgl. die Vorstufe dieser Idee, PhL [II] 658, und das vorige Fragment, an das Id45 anschließt. Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘), 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘) und 47,38f. zu A234 (‚Mittler‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.523. 46: 87,20–23 Poesie und Philosophie sind !…" als Religion] Siehe Anm. 84,25–28 zu Id11. – Am Rand merkt Novalis hierzu an: „(Die Moral fehlt, als das Dritte vermittelnde Substrat.)“ -- Balmes, WTB3, S.576; Neumann, Ideenparadiese, S.500f. 47: 87,24–26 Gott ist jedes schlechthin Ursprüngliche und Höchste !…" Individuen?] Siehe Anm. 47,30 zu A232 (‚Gott‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘), 93,14 zu Id124 (‚das Höchste‘) und 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘). Vgl. Id6 und PhL [IV] 1497. -- Neumann, Ideenparadiese, S.485f. 48: 87,27f. Wo die Philosophie aufhört !…" im Gegensatz der Kunst und Bildung natürliche Denkart] Vgl. Id108 und PhL [V] 132. Siehe Anm. 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Poesie und Philosophie sowie 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). -- Barth, S.101f.; Neumann, Ideenparadiese, S.552.

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49: 87,34–36 Dem Bunde der Künstler einen bestimmten Zweck geben !…" erniedrigen] Siehe Anm. 86,2f. zu Id32 über den Bund der Künstler. -- Neumann, Ideenparadiese, S.524f. 50: 87,37–88,2 Ihr staunt über das Zeitalter !…" neu gestaltet und verwandelt] Vgl. Id41, 56, 94, PhL [IV] 615 und [VIII] 71. Siehe Anm. 87,37–88,2 zu Id50 (‚Zeitalter‘), 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘) und 47,30 zu A232 (‚Gott‘). – Novalis versah den Text mit drei Sternen und folgender Randbemerkung: „(Die Ursachen der Revolution und ihr eigentliches Wesen, muß wenn sie wircklich historisch ächt ist, jeder Zeitgenosse in sich selbst finden können.)“ -- Balmes, WTB3, S.576; Neumann, Ideenparadiese, S.490. 51: 88,3–5 Wir wissen nicht was ein Mensch sei !…" fehlen] Vgl. auch die Äußerungen über die (Selbst-)Erkenntnis des Menschen in Id100, 139; Novalis, BL6 und Vorarbeiten 115. Siehe Anm. 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘) und 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘). – Hardenberg notierte zu diesem Fragment eine Randbemerkung, in der er die neuplatonische Auffassung der Korrespondenz von Mikrokosmos und Makrokosmos zum Ausdruck bringt: („Ich weis nicht warum man immer von einer abgesonderten Menschheit spricht. Gehören Thiere, Pflanzen und Steine, Gestirne und Lüfte nicht auch zur Menschheit und ist sie nicht ein bloßer Nervenknoten, in den unendlich verschiedenlaufende Fäden sich kreutzen. Läßt sie sich ohne die Natur begreifen –? ist sie denn so sehr anders, als die übrigen Naturgeschlechter?)“ -- Balmes, WTB3, S.576f.; Neumann, Ideenparadiese, S.518. 52: 88,6f. Als Repräsentant der Religion aufzutreten !…" eine Religion stiften zu wollen] Diese Idee ist aus einem Brief Friedrich Schlegels an Novalis vom 2.12.1798 hervorgegangen, in dem er schreibt: „Mein biblisches Projekt aber ist kein litterairisches, sondern – ein biblisches, ein durchaus religiöses. Ich denke eine neue Religion zu stiften oder vielmehr sie verkündigen zu helfen: denn kommen und siegen wird sie auch ohne mich“ (KFSA24, S.205). Vgl. auch Anm. 151,17f. zu BL76 (‚Repräsentant‘) und 84,9 zu Id4 (‚Religion‘). 54: 88,10f. Der Künstler!…" kann nur bilden] Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 55: 88,13–15 Zur Vielseitigkeit gehört nicht allein ein weitumfassendes System !…" Jenseits der Menschheit] Vgl. zu Chaos und System PhL [III] 145, [IV] 145, 607, 782, 851, 950, 995, 1035, 1068, 1091, [V] 24, 49, 405 und siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘), 89,10f. zu Id71 (‚Chaos‘), 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘), 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘) und 10,4f. zu L14 über die Einordnung der Dialektik von System und Chaos ins Denken der Frühromantik. -- Götze, Ironie, S.181–184; Neumann, Ideenparadiese, S.508; Seyhan, Fractal contours. 56: 88,16f. Wie die Römer die einzige Nation !…" das erste wahre Zeitalter] Siehe Anm. 13,21 zu L46 (‚die Römer‘) und 87,37–38,2 zu Id50 (‚Zeitalter‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.526. 57: 88,18f. Die Fülle der Bildung wirst du in unsrer höchsten Poesie finden !…" bei dem Philosophen] Siehe Anm. 89,12f. zu Id72 (‚Fülle‘), 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘), 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘) und Anm. 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Poesie und Philosophie. -- Neumann, Ideenparadiese, S.551f.

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58: 88,20–22 Auch die sogenannten Volkslehrer !…" an die höhere Bildung anschließen] Siehe Anm. 74,31 zu A406 (‚Priester‘), 84,5f. zu Id2 (‚geistlich‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). Vgl. hierzu PhL [II] 121. -- Neumann, Ideenparadiese, S.489. 59: 88,23f. Nichts ist witziger und grotesker !…" mystisch sind] Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘), 29,3–6 zu A75 (‚grotesk‘), 38,13 zu A162 (‚Mythologie‘), 23,25f. zu A16 (‚Christianismus‘) und 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘). Eine Vorstufe findet sich In PhL [III] 138; vgl. auch Id26. -- Polheim, Arabeske, S.65; ders., Studien, S.294–296. 60: 88,25–27 Grade die Individualität ist das Ursprüngliche !…" Egoismus] Vgl. Id6. Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 61: 88,28f. Allmacht des Buchstabens !…" Geist] Siehe Anm. 15,16 zu L69 (‚Geist und Buchstabe‘). – Am 2.12.1798 schreibt Schlegel an Hardenberg: „Man spricht und erzählt seit etwa hundert Jahren von der Allmacht !!des Wortes"" der Schrift und was weiß ich sonst noch“ (KFSA24, S.205). 61: 88,29 Es ist Zeit !…" daß der Geist erwache] Zur Anspielung auf das Losungswort von Goethes Mährchen in Id1, 61 und 108 siehe die Anm. 157,15–21 zu Novalis’ Gedicht Es ist an der Zeit im ersten Teil von Glauben und Liebe. 61: 88,30 den verlornen Zauberstab] Diese Formulierung ist ebenfalls aus einer Briefstelle hervorgegangen. „Der Buchstab ist der ächte Zauberstab“, heißt es in Schlegels Brief an Hardenberg (2.12.1798; KFSA24, S.208). Siehe Anm. 64,39f. zu A350 (‚Zauberstab‘). 61: 88,28–30 Man redet !…" ergreife] -- Neumann, Ideenparadiese, S.546. 62: 88,31 Man hat nur so viel Moral, als man Philosophie und Poesie hat] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘) und vgl. Id89. 63: 88,32 Die eigentliche Zentralanschauung des Christentums ist die Sünde] Siehe Anm. 23,25f. zu A16 (‚Christianismus‘). – Novalis’ Randbemerkung lautet: „(Sollte nicht die Sünde nur das Nichtich des Xstenthums – oder vielleicht gar nur annihilando durch das Xstenthum gesetzt werden?)“ – Annihilando: durch Negieren. – Vgl. hierzu auch FuS57 und die briefliche Diskussion zwischen Hardenberg und Friedrich Schlegel über dieses Thema. Am 2.12.1798 schreibt Schlegel dem Freund: „Die eigentliche Sache ist die, ob Du Dich entschließen kannst, wenigstens in einem gewissen Sinne das Christenthum absolut negativ zu setzen“ (KFSA24, S.206). Hardenberg antwortet darauf am 20.1.1799: „Deine Meynung von der Negativitaet der Xstlichen Religion ist vortrefflich – das Xstenthum wird dadurch zum Rang der Grundlage – der projectirenden Kraft eines neuen Weltgebäudes und Menschenthums erhoben – einer ächten Veste eines lebendigen !!moralischen"" Raums“ (ebd., S.220. Diese Passage ist mit dem Anfang der Notiz AB1095 identisch). -- Balmes, WTB3, S.577; Immerwahr, KFSA24, S.430; Neumann, Ideenparadiese, S.491f.; Peter, Idealismus, S.104f. 64: 88,33 Durch die Künstler wird die Menschheit ein Individuum] Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘), 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘), 13,24 zu

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L46 (‚Individuum‘) und 86,40f. zu Id43 über das elitäre Selbstbewußtsein des Künstlers. 64: 88,33f. indem sie Vorwelt und Nachwelt in der Gegenwart verknüpfen] Vgl. hierzu Novalis, BL92, A90 und Schlegels Definition des Historikers in A80. Im 18. Jahrhundert bietet die Abkehr von einem verlorenen goldenen Zeitalter einer fernen Vorzeit zugunsten einer künftig zu verwirklichenden goldenen Zeit, die der Dichter in seinem Werk vorwegnimmt, ein Beispiel für die von Schlegel genannte Leistung des Künstlers. -- Neumann, Ideenparadiese, S.522f. 65: 88,37f. Nur durch die Bildung wird der Mensch !…" durchdrungen] Vgl. Id68 und 83. Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.550f. 66: 88,39 Die ursprünglichen Protestanten] Vgl. zum Protestantismus und Katholizismus A231 und Novalis, T92. 67: 89,1f. Religion und Moral sind sich symmetrisch entgegengesetzt, wie Poesie und Philosophie] Siehe Anm. 84,9–12 zu Id4 über diese vier Kernbegriffe der Ideen. Novalis schreibt dazu die Randbemerkung: „(Indeß doch nur verschiedne Modificationen).“ -- Neumann, Ideenparadiese, S.495. 68: 89,3–5 Euer Leben bildet nur menschlich !…" ein Göttliches] Vgl. Id65 und 98. Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘), 10,10 zu L16 (‚Künste und Wissenschaften‘), 47,30 zu A232 (‚Gott‘) und 84,25–28 zu Id11 über das Verhältnis von Kunst/Poesie, Wissenschaft/Philosophie und Religion. 69: 89,6f. Ironie ist klares Bewußtsein !…" Chaos] Siehe Anm. 12,33 zu L42 (‚Ironie‘), 13,26 zu L47 (‚unendlich‘) und 89,10f. zu Id71 (‚Chaos‘). Das Fragment ist aus PhL [IV] 411 hervorgegangen. -- Barth, S.163f.; Behler, Ironie und literarische Moderne, S.100; ders., Theorie der romantischen Ironie, S.95f.; Oesterreich, Wenn die Poesie wild wird, S.32; Strohschneider-Kohrs, S.59–63; Szondi, S.155. 70: 89,8f. Musik ist der Moral verwandter, Historie der Religion !…" aufs Primitive] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘) und 34,4 zu A121 (‚Idee‘). Zum Verhältnis von Religion und Moral vgl. Id73, 84, 107, 110 und 132. -- Neumann, Ideenparadiese, S.496. 71: 89,10f. Nur diejenige Verworrenheit ist ein Chaos !…" entspringen kann] Während Friedrich Schlegel den Begriff des Chaos in A421, 424 und Id22 in abwertendem Sinn gebraucht, erhält dieser in Id18, 69 und 71 zunehmend positive Bedeutung als ‚lebendiges‘ Ordnungsprinzip, das eine Fülle schöpferischer Möglichkeiten in sich birgt. Schlegel kann sich dabei auf die Weltschöpfungsmythen der Bibel (Gen.1,2) und des griechischen Altertums berufen (z.B. Hesiod, Theogonie, 116ff., und Plato, Symposion, 178b (Eigler 3, S.230f.), wo berichtet wird, daß Eros aus dem Chaos den Kosmos erschaffen habe.) Das komplementäre Verhältnis von Chaos und System beleuchtet Id55. Vgl. zum Chaos auch Schlegels Rede über die Mythologie: „!…" die höchste Ordnung ist denn doch nur die des Chaos, nämlich eines solchen, welches nur auf die Berührung der Liebe wartet, um sich zu einer harmonischen Welt zu entfalten !…"“ (1800; KFSA2, S.313); ferner A421, FPL [V] 1217, 1253, [VI] 48, 54, PhL [II] 220, 428, 506, 509, 592, [III] 294, 401; Novalis, BL95 u. ö. -- Brauers, S.140–142; Frank, Zeit,

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S.45–51; Gockel, Theorie, S.25–28 und 32; Neumann, Ideenparadiese, S.507; Röttgers, Fichtes Wirkung, S.66f.; Schlagdenhauffen, Schlegel, S.139, 141, 154; Seyhan, Fractal contours; Stockinger, WTB3, S.362f. 72: 89,12f. Vergeblich sucht ihr !…" die harmonische Fülle der Menschheit] Siehe Anm. 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘), 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘); vgl. zum Begriff der ‚Fülle‘ Id57, 81, 86, FPL [V] 409, 431, 489, PhL [II] 467, [IV] 72, 86, 650 u. ö. -- Frank, Zeit, S.48f. 72: 89,12–14 Vergeblich !…" Feuer] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 205,15f. zu T73 über die Feuer- und Flammenmetaphorik. -- Schanze, Theorie des Romans S.374f. 73: 89,15f. so ist auch die Moral der Religion nicht gleich] Siehe Anm. 89,8f. zu Id70 über das Verhältnis von Moral und Religion. 74: 89,17 Verbindet die Extreme, so habt ihr die wahre Mitte] „Diese Formel bezieht sich unmittelbar auf die Schlegelsche Denkstruktur des Paradoxes, mittelbar auf das Gestaltungsprinzip der ‚Ideen‘“ (Neumann, Ideenparadiese, S.507). Eine Vorstufe findet sich in PhL [IV] 112. Siehe Anm. 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘, ‚Mitte‘, ‚Mittelpunkt‘) und vgl. BL26, 54 sowie Lg13. 75: 89,18f. Als schönste Blüte !…" verschieden sein] Zur Pflanzenmetaphorik der Ideen siehe Anm. 84,13–15 zu Id5. -- Neumann, Ideenparadiese, S.552. 76: 89,20 Moralität ohne Sinn für Paradoxie ist gemein] (= PhL [IV] 83.) Vgl. ergänzend PhL [IV] 85. Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘) und 13,28f. zu L48 (‚paradox‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.513. 77: 89,21 Ehre ist die Mystik der Rechtlichkeit] Siehe Anm. 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.495f. 78: 89,22 Alles Denken des religiösen Menschen ist etymologisch] Siehe Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘). Vgl. A19 zum Gebrauch der „Worte in ihrem ursprünglichen Sinne“ als Ursache der Unverständlichkeit und zur Etymologie u.a. FPL [III] 111, [IV] 12, 66, PhL [IV] 284, 473, [V] 749, 868, [VII] 259, 266 u. ö. Vgl. zum spekulativen Charakter der zeitgenössischen Etymologie, die Ähnlichkeiten nicht nur registriert, sondern auch allererst herstellt und dadurch die einzelnen sprachlichen Elemente als nahezu beliebig kombinierbares Material verfügbar macht: Stefan Willer, Poetik der Etymologie. Texturen sprachlichen Wissens in der Romantik, Berlin 2003, besonders S.4f. und 86–94. 79: 89,24 Es gibt nur Einen Sinn] Siehe Anm. 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘). 80: 89,26–30 Hier sind wir einig, weil wir eines Sinnes sind !…" ehe wir es werden] Vgl. Id130. Siehe Anm. 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘), 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 84,9 zu Id4 (‚Religion‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.478f. 81: 89,31–34 Jede Beziehung des Menschen aufs Unendliche !…" Gottheit] Vgl. Id3, 13, 30, 85 und 98. Siehe Anm. 13,26 zu L47 (‚unendlich‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘), 89,12f. zu Id72 (‚Fülle‘), 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘), 30,25–27 zu A89 (‚Mathematik‘) und 47,30 zu A232 (‚Gott‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.478. 82: 89,35 Man lebt nur insofern man nach seinen eignen Ideen lebt] Siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘).

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83: 89,37f. Nur durch die Liebe !…" wird der Mensch zum Menschen] Vgl. Id65. Siehe Anm. 26,31 zu A50 (‚Liebe‘) und 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.530. 84: 89,39–90,2 Nach der Sittlichkeit zu streben !…" einfließen sollen] Vgl. die Fragmente A32 und 237, in denen die Forderung nach ‚absichtslosem‘ Witz und Humor gestellt wird. Siehe Anm. 89,8f. zu Id70 zum Verhältnis von Religion und Moral; vgl. aber zur Beziehung von Moral, Politik und Ökonomie Id101. -- Neumann, Ideenparadiese, S.512. 85: 90,3–5 Der Kern, das Zentrum !…" die Poesie] Vgl. Id3, 13, 30, 81 und 98. Siehe Anm. 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘), 38,13 zu A162 (‚Mythologie‘), 78,42 zu A427 (‚Mysterien‘), 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘), 34,4 zu A121 (‚Idee‘), 13,26 zu L47 (‚unendlich‘) und 10,17f. zu L20 zur Problematik des Verstehens. -- Neumann, Ideenparadiese, S.512. 86: 90,6f. Gefühl der unendlichen Lebensfülle] Siehe Anm. 13,26 zu L47 (‚unendlich‘) und 89,12f. zu Id72 (‚Fülle‘). E.Behler (Universalpoesie, S.95) weist darauf hin, daß die Wendung ‚unendliche Fülle‘ auf J.Böhme zurückgeht. 86: 90,6–9 Schön ist !…" der Moral und der Liebe] Siehe Anm. 32,4 zu A108 (‚schön‘), 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘), 22,24f. zu A9 (‚Moral‘) und 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.558. 87: 90,10f. Ein wahrer Mensch ist, wer bis in den Mittelpunkt der Menschheit gekommen ist] Siehe Anm. 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘, ‚Mitte‘, ‚Mittelpunkt‘) und 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘). Eine Vorstufe zu dieser Idee findet sich in PhL [IV] 305. Vgl. ergänzend Id21. 88: 90,12 Es gibt eine schöne Offenheit, die sich öffnet wie die Blume !…" duften] Zu den vegetabilischen Metaphern dieser Sammlung siehe Anm. 84,13–15 zu Id5. Diese Idee ist aus PhL [IV] 281 hervorgegangen. -- Neumann, Ideenparadiese, S.558. 89: 90,13–16 Wie sollte die Moral bloß der Philosophie angehören !…" erscheinen soll?] Vgl. Id62. Siehe Anm. 84,9–12 zu Id4 zu den vier Grundbegriffen der Ideen, Moral, Philosophie, Poesie und Religion sowie 46,31 zu A225 (‚Lebenskunstlehre‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.510f. 90: 90,17–19 Du wolltest die Philosophie zerstören, und die Poesie !…" dich selber] Vgl. hierzu Friedrich Schlegels Brief an Hardenberg vom 2.12.1798: „Meine Religion ist nicht von der Art, daß sie die Philosophie und Poesie verschlucken wollte“ (KFSA24, S.205). Siehe Anm. 84,9–12 zu Id4 zum Verhältnis von Religion, Poesie, Philosophie und Moral. -- Immerwahr, KFSA24, S.423. 91: 90,20–22 Alles Leben ist seinem ersten Ursprunge nach !…" Geist] Siehe Anm. 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). – Novalis hob dieses Fragment durch zwei Sterne hervor und schrieb folgende Randbemerkung: „(Wie du meynst hast du recht, sonst ist freylich kein Unterschied zwischen dem Natürlichen und dem Göttlichen und Menschlichen.)“ 92: 90,23–26 Die einzige bedeutende Opposition !…" anbeten] Siehe Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘), 14,35 zu L63 (‚Künstler‘), 23,25f. zu A16

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(‚Christianismus‘) und 93,28 zu Id129 über das Bild der Morgenröte. -- Neumann, Ideenparadiese, S.482f. 93: 90,27 Die Polemik kann nur den Verstand schärfen] Siehe Anm. 16,19 zu L81 (‚Polemik‘). 94: 90,34 Incitament] Reizmittel. Ein Terminus der Brownschen Krankheitslehre (siehe Anm. 142,1–3 zu BL8). 94: 90,31–35 Die wenigen Revolutionärs !…" Religion war] Siehe Anm. 15,1f. zu L66 (‚revolutionär‘) und 27,40–28,2 zu A60 über die Französische Revolution, 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘) und 13,12f. zu L45 über die Franzosen. Vgl. Id22, 41 und PhL [IV] 1376. -- Neumann, Ideenparadiese, S.502. 95: 90,36f. Als Bibel wird das neue ewige Evangelium erscheinen, von dem Lessing geweissagt hat] Zur Bibel siehe auch A12, 231, 357, Id38, PhL [II] 496, 541, 507, 511, 548, 594, 598, [III] 138, 200, [IV] 28, 379, 393, 516, 520, 525, 850, FPL [IV] 150, 175, [V] 423, 460; Novalis, BL102, AB433, 557, 571, Heinrich von Ofterdingen (NO1, S.333) und Die Christenheit oder Europa (NO3, S.512). Über Lessing siehe Anm. 14,37f. zu L64. Schlegel bezieht sich hier auf Lessings Schrift Die Erziehung des Menschengeschlechts (1780), §86: „Sie wird gewiß kommen, die Zeit eines neuen ewigen Evangeliums, die uns selbst in den Elementarbüchern des Neuen Bundes versprochen wird“ (Göpfert 8, S.508). Vgl. auch Schlegels Sonett Etwas das Lessing gesagt hat (KFSA2, S.397). Lessing knüpft an die Gedankenwelt des pietistischen Chiliasmus an, der auch in Schlegels und Hardenbergs Geschichtsphilosophie nachwirkt. – Am 20.10.1798 erwähnt Friedrich Schlegel im Brief an Hardenberg zum ersten Mal seinen Plan, eine neue Bibel zu schreiben: „Was mich betrifft, so ist das Ziel meiner litterarischen Projekte eine neue Bibel zu schreiben, und auf Muhameds und Luthers Fußstapfen zu wandeln“ (KFSA24, S.183). In seinem Antwortschreiben vom 7.11. zeigt sich Novalis überrascht und erfreut über das Zusammentreffen dieses Plans mit seinem eigenen Vorhaben: „Du schreibst von Deinem Bibelproject und ich bin auf meinem Studium der Wissenschaft ü[ber]ha[upt] – und ihres Körpers, des Buchs – ebenfalls auf die Idee der Bibel gerathen – der Bibel – als des Ideals jedweden Buchs. Die Theorie der Bibel entwickelt, !!giebt"" die Theorie der Schriftstellerey oder der Wortbildnerey üb[er]h[aupt] – die zugleich die symbolische, indirecte, Constructionslehre des schaffenden Geists abgiebt.“ Er beabsichtigt eine „vielumfassende Arbeit“, nämlich „eine Kritik des Bibelprojects – ein Versuch einer Universalmethode des Biblisirens – die Einleitung zu einer ächten Encyklopaedistik“ (ebd., S.194f.). – Während Schlegels Bibelprojekt auf die Stiftung einer neuen Religion zielt, steht Novalis’ Vorhaben in Zusammenhang mit seinem Enzyklopädieprojekt; seine ‚Bibel‘ ist Chiffre für ein monumentales, alle Wissenschaften, ja alle Bereiche der Wirklichkeit umfassendes und theoretisch durchdringendes Projekt, für „die eschatologische Literaturform eines absoluten Buches !…", von dem schon der antike Johannes lehrte, daß es die Speicherkapazität unseres Weltalls sprengen muß“ (Timm, S.131). – Die Differenzen beider Bibelprojekte arbeitet Schlegels Brief an den Freund vom 2.12.1798 deutlich heraus:

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Allerdings ist das absichtslose Zusammentreffen unsrer biblischen Projekte eines der auffallendsten Zeichen und Wunder unsres Einverständnisses und unsrer Mißverständnisse. Ich bin eins darin mit Dir, daß Bibel die litterair.[ische] Centralform und also das Ideal jedes Buchs sei – aber mit mannichfachen ganz bestimmten Bedingungen und Unterschied. Auch das Journal, der Roman, das Compendium, der Brief, das Drama pp. sollen in einem gewissen Sinne Bibel seyn, und doch das bleiben, was ihr Name und sein Geist bezeichnet und umfaßt. Nun habe ich aber eine Bibel im Sinne, die nicht in gewissem Sinne, nicht gleichsam sondern ganz buchstäblich und in jedem Geist und Sinne Bibel wäre, das erste Kunstwerk dieser Art, da die bisherigen nur Produkte der Natur sind. !…" Mein biblisches Projekt aber ist kein litterairisches, sondern – ein biblisches, ein durchaus religiöses. Ich denke eine neue Religion zu stiften oder vielmehr sie verkündigen zu helfen. (Ebd., S.204f.)

Siehe auch Anm. 16,5f. zu L78 (‚Enzyklopädie‘). -- Hans Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt am Main 1981, S.238–245 und 267–271; Nowak, Schleiermacher und die Frühromantik, S.134–140; Rieder, S.149–152. 95: 91,4 Alle klassischen Gedichte der Alten hängen zusammen] Siehe Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘), 10,16 zu L19 (‚Gedichte‘), 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘) und vgl. A149 über Winckelmann, der „alle Alten gleichsam wie Einen Autor las“. 95: 90,36–91,9 Als Bibel !…" offenbart werden] Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘), 34,4 zu A121 (‚Idee‘), 13,26 zu L47 (‚unendlich‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘), 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). – Vgl. auch Novalis’ Randbemerkung: „(Bibel ist ein Gattungsbegriff unter dem Büchergeschlecht. Er subsumirt nach Arten und Individuen. Die Bibeln sind die Menschen und Götter unter den Büchern. Sie haben gewissermaaßen selbst einen Antheil an ihrer Entstehung – und ihr Ursprung ist schlechthin unerklärlich. Originale müssen sie daher nothwendig seyn. Man liebt und haßt, vergöttert und verachtet sie, wie eigne Wesen. Eine Bibel schreiben zu wollen – ist ein Hang zur Tollheit, wie ihn jeder tüchtige Mensch haben muß, um vollständig zu seyn.)“ -- Brauers, S.128–132; Götze, Ironie, S.344f.; Neumann, Ideenparadiese, S.474f. und 503–506; Nüsse, S.96f.; Peter, Idealismus, S.97f.; Schanze, Dualismus, S.324–326, Timm S.129–151. 96: 91,10f. Alle Philosophie ist Idealismus und es gibt keinen wahren Realismus als den der Poesie] Siehe Anm. 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Philosophie und Poesie und 114,10 zu PhL [II] 137 (‚ideal – real‘). 96: 91,13f. es gibt noch keine durchaus gebildete Menschen !…" Religion] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘), 85,18 zu Id21 (‚Mensch(heit)‘) und 84,9 zu Id4 (‚Religion‘). Vgl. zu diesem Gedanken Id65, 68 und 72. 96: 91,10–14 Alle Philosophie ist !…" Religion] Als Randbemerkung notierte Novalis: „(Thätige Unthätigkeit, ächter Quietismus ist der kritische Idealism. Du wirst leicht einsehn, wie sehr Fichtens W[issenschafts]L[ehre], nichts als Schema des innern Künstlerwesens ist. Realism ist Asthenie – Gefühl – Idealism – Sthenie, Vision oder Fiction.)“ ‚Asthenie‘ und ‚Sthenie‘ sind Termini der Brownschen Physiologie (siehe hierzu Anm. 142,1–3 zu BL8) und bezeichnen Zustände verminderter bzw. erhöhter Reizbarkeit. -- Neumann, Ideenparadiese, S.499.

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97: 91,15 der tiefsinnige Baader] Franz Xaver von Baader (1765–1841) gelangte, von Böhme und Schelling beeinflußt, zu einer mystischen Naturphilosophie. Seinem Hauptwerk gab er den von A259 beeinflußten Titel Fermenta cognitionis (1822ff.). Vgl. auch PhL [II] 211 und 236 sowie Novalis, Lg25 und AB938. 97: 91,15f. daß ein Physiker !…" aus der Mitte der Physik sich erhoben hat, die Poesie zu ahnden] Siehe Anm. 84,34–36 zu Id14 (‚Mitte‘, ‚Mittelpunkt‘, ‚Zentrum‘), 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft und 66,5f. zu A358 (‚Physik‘). 97: 91,15–18 Günstiges Zeichen !…" zu deuten] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘), 47,30 zu A232 (‚Gott‘) und 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘). Vgl. A381, Id99, PhL [III] 382 und Friedrich Schlegels Brief an Hardenberg, 2.12.1798, in dem er sich nach Baader erkundigt: „Schließt er sich an Fichte an wie Schelling und Hülsen und ist er etwa ein chaotischer Mittelpunkt für diese beide? oder ist er ein Sohn der neuen Zeit, und hat etwa in der Mitte der Physik so originell begonnen, wie ich aus den Tiefen der Kritik? – !…" dann habe ich nicht nöthig, mich noch mit ihm zu verbinden. Ich bin es schon, nämlich in Dir !…"“ (KFSA24, S.208). Dieser Äußerung war am 7.11.1798 ein Brief Hardenbergs vorausgegangen, in dem er Schlegel mit enthusiastischen Worten auf Baader als einen Geistesverwandten aufmerksam machte: „Einen wünscht ich noch in unsre Gemeinschaft – Einen, den ich Dir allein vergleiche – Baadern. !…" Ich habe jezt seine ältere Abh.[andlung] vom Wärmestoff gelesen !…" Ich denke an ihn zu schreiben – Könnte er nicht zum Athenaeum eingeladen werden? Vereinige dich mit Baadern, Freund – Ihr könnt ungeheure Dinge leisten“ (ebd., S.195). 98: 91,19f. Denke dir ein Endliches ins Unendliche gebildet !…" Menschen] Vgl. Id3, 13, 16, 30, 81, 85. Siehe Anm. 13,26 zu L47 (‚unendlich‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.508. 99: 91,21f. Willst du ins Innere der Physik dringen !…" Mysterien der Poesie] Vgl. Id97 und siehe Anm. 66,5f. zu A358 (‚Physik‘), 78,42 zu A427 (‚Mysterien‘) sowie Anm. 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft. 100: 91,23 Wir werden den Menschen kennen, wenn wir das Zentrum der Erde kennen] Vgl. hierzu ergänzend Id87, über die (Selbst-)Erkenntnis des Menschen Id51, 139, Über Lessing (1797; KFSA2, S.115: „Ganz und im strengsten Sinn kennt niemand sich selbst.“) und Novalis, Vorarbeiten 115. Siehe Anm. 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘), 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘) und 127,19–21 zu PhL [II] 488 über den Gedanken der Analogie alles Seienden. -Neumann, Ideenparadiese, S.518f. 101: 91,24 Wo Politik ist oder Ökonomie, da ist keine Moral] Vgl. A390, jedoch auch Id84. – Zahlreiche Fragmente der Frühromantiker beschäftigen sich mit Politik, wie z.B. A16, 28, 155, Id54, 106, FPL [V] 7–9, 12, 18, 20, 25, 30, 45, 104, 144, 194, 217, 279, 289, 321, PhL [II] 56, 86, 118, 156, 243, 377, 618f.; Novalis, FSt51, 96, AB91, 143, 162, 170, 189, 249–251, 254, 261f. und 398. Siehe auch Anm. 74,41 zu A410 (‚Ökonomie‘), 27,40–28,2 zu A60 über die verschiedenen Staatsformen und 22,24f. zu A9 (‚Moral‘).

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102: 91,25–27 Der erste unter uns !…" der heilige Winckelmann] Siehe Anm. 82,16 zu A443 (‚intellektuelle Anschauung‘), 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘), 13,5f. zu L44 (‚Altertum‘) sowie 37,9f. zu A149 über Winckelmann und vgl. die Notiz PhL [IV] 28, in der dieser als Stifter oder Prophet einer Kunstreligion angesprochen wird. -- Neumann, Ideenparadiese, S.510. 103: 91,28f. Wer die Natur nicht durch die Liebe kennen lernt !…" nie kennen lernen] Siehe Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘) und 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). -Neumann, Ideenparadiese, S.544. 104: 91,30–33 Die ursprüngliche Liebe !…" stille Wehmut] Siehe Anm. 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). – Novalis zeichnete an den Rand dieses Texts drei Sterne. -- Neumann, Ideenparadiese, S.531f. 105: 91,34 Fichte also soll die Religion angegriffen haben?] Wie auch in Id118 bezieht sich Schlegel hier auf den Vorwurf des Atheismus, der gegen Fichte erhoben wurde, nachdem im ‚Philosophischen Journal‘ Ende 1798 Karl Friedrich Forbergs Aufsatz Entwicklung des Begriffs der Religion und Fichtes Anmerkungen dazu mit dem Titel Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung erschienen waren (FI5, S.175–189). Im Verlauf dieses sogenannten Atheismusstreits wurde auf Anordnung des Dresdner Oberkonsistoriums das betreffende Heft des ‚Philosophischen Journals‘ konfisziert, Fichte verlor schließlich seine Jenaer Professur. – Vgl. PhL Beilage III, Für Fichte. An die Deutschen, PhL [IV] 647–685 und Schleiermacher, GIII41; siehe Anm. 85,33 zu Id27 über das Verhältnis von Religion und Philosophie, 36,1 zu A137 (Fichte) und 84,9 zu Id4 (‚Religion‘). -- Beyer; Jacobs, S.65–81; Röhr. 106: 91,37 Nicht in die politische Welt verschleudere du Glauben und Liebe] Eine Anspielung auf den Titel von Hardenbergs zweiter Fragmentsammlung Glauben und Liebe. Siehe Anm. 91,24 zu Id101 (‚Politik‘). 106: 91,37–39 Nicht in die politische Welt !…" ewiger Bildung] Siehe Anm. 10,10 zu L16 (‚Künste und Wissenschaften‘), 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und vgl. Id4 zu Schlegels Gebrauch der Feuermetaphorik in Zusammenhang mit der Bildung. – Novalis notierte dazu am Rand: „(Ich folge diesem Worte, theurer Freund.)“ 107: 92,1f. im Übergange aus dem künstlichen Wechsel des Syllogismus in den freien Strom des Epos] Syllogismus heißt in der Rhetorik das zumeist dreiteilige Schlußverfahren vom Allgemeinen auf das Besondere. Siehe auch Anm. 20,31 zu L121 (‚Epos‘). 107: 91,40–92,2 In ungestörter Harmonie dichtet Hülsens Muse !…" des Epos] Siehe Anm. 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘), 19,8f. zu L108 über Hülsen, 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘), 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘), 26,31 zu A50 (‚Liebe‘) und 89,8f. zu Id70 zum Verhältnis von Religion und Moral. – In der älteren, in Dorothea Schlegels Abschrift überlieferten Fassung, lautet dieses Fragment: „Wer nur die Harmonie denkt, und redet in reinem Lichte ewig schöner Menschheit, wie Hülsen, dessen einsame Muse wird fast keiner vernehmen. Hätten sie schon gebildeten Sinn für Religion und Moral so würden sie auch Sinn haben können für das was beides zugleich ist auf der Grenze von der Philosophie zur Poesie.“ -- Neumann, Ideenparadiese, S.510.

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108: 92,3 so lange Philosophie und Poesie getrennt sind] Siehe Anm. 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Poesie und Philosophie. 108: 92,4 Also ist die Zeit nun da] Zu den Anspielungen auf das Losungswort aus Goethes Mährchen siehe die Anm. 157,15–21 zu Novalis’ Gedicht Es ist an der Zeit im ersten Teil von Glauben und Liebe. 108: 92,3f. Was sich tun läßt !…" vereinigen] Das Fragment ist aus PhL [V] 132 hervorgegangen. -- Kapitza, Physik, S.102f. 109: 92,5–7 Fantasie und Witz !…" wieder finden] Siehe Anm. 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘), 9,23 zu L9 (‚Witz‘) und 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘). Vgl. Id8 und 26. -- Neumann, Ideenparadiese, S.541. 110: 92,8f. Der Unterschied der Religion und Moral !…" recht versteht] Siehe Anm. 89,8f. zu Id70 zum Verhältnis von Religion und Moral und vgl. A55 über „die griechische Einteilung aller Dinge in göttliche und menschliche“. Siehe auch Anm. 10,17f. zu L20 über das Verstehen. -- Neumann, Ideenparadiese, S.509. 111: 92,10–12 Dein Ziel ist die Kunst und die Wissenschaft !…" zu erreichen] Siehe Anm. 10,10 zu L16 (‚Künste und Wissenschaften‘), 26,31 zu A50 (‚Liebe‘), 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘) und 84,25–28 zu Id11 über das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft zur Religion. -- Neumann, Ideenparadiese, S.481. 112: 92,14 daß der Verfasser der Reden über die Religion ein Christ sei] Siehe Anm. 84,19 zu Id8 über Schleiermachers Reden Über die Religion und 23,25f. zu A16 (‚Christianismus‘). 113: 92,15 Der Künstler !…" ein unnützer Knecht] Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘). Einen ‚unnützen Knecht‘ nennt das neutestamentliche Gleichnis von den ‚anvertrauten Zentnern‘ (Matth.25,14–30) den Knecht, der das ihm anvertraute Gut seines Herrn vergräbt, statt mit ihm zu wuchern. Vgl. jedoch auch das nachfolgende Fragment. -- Neumann, Ideenparadiese, S.522. 114: 92,16–21 Kein Künstler soll allein und einzig Künstler der Künstler !…" sein !…" Volk von Königen] Vgl. Id113. Siehe auch Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘), 84,34–36 zu Id14 (‚Mitte‘, ‚Mittelpunkt‘, ‚Zentrum‘), 13,21 zu L46 (‚die Römer‘) und 151,17f. zu BL76 (‚Repräsentant‘). -- Mohr, S.247f.; Neumann, Ideenparadiese, S.522. 115: 92,22f. Willst du ins Große wirken, so entzünde und bilde die Jünglinge und die Frauen] Vgl. die Notiz PhL [IV] 1548, die eine Vorstufe zu dieser Idee darstellt, und Schleiermachers „Idee zu einem Katechismus der Vernunft für edle Frauen“ in A364. Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 18,30 zu L106 über die Frauen. 116: 92,25f. Wie beim Manne !…" Gemüt] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘), 32,4 zu A108 (‚schön‘), 182,15 zu FSt609 über die frühromantische Typologie der Geschlechter, 26,31 zu A50 (‚Liebe‘) und 63,28f. zu A339 (‚Gemüt‘). Vgl. zu diesem Proportionalvergleich auch Id19. 117: 92,27–29 Die Philosophie ist eine Ellipse !…" mit der Religion] Siehe Anm. 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘), 34,4 zu A121 (‚Idee‘), 153,19 zu BL89 (‚Berührung‘) und 85,33 zu Id27 über das Verhältnis von Philosophie und Religion.

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118: 92,30 Die Blinden, die von Atheismus reden!] Siehe Anm. 91,34 zu Id105 über Fichtes Atheismusstreit, auf den Schlegel hier anspielt. 118: 92,31 Ist schon irgend ein Menschengeist der Idee der Gottheit Meister?] Siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘) und 47,30 zu A232 (‚Gott‘). 119: 92,32f. Heil den wahren Philologen !…" Gelehrsamkeit] Siehe Anm. 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘), 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘) und 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘) sowie 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft. 119: 92,33f. Kein Gelehrter sollte bloß Handwerker sein] Vgl. zu diesem Gedanken Novalis, BL47. 119: 92,32–34 Heil !…" Handwerker sein] -- Neumann, Ideenparadiese, S.488f. 120: 92,35–41 Der Geist unsrer alten Helden !…" verehren] Vgl. auch Id135. Siehe Anm. 10,10 zu L16 (‚Künste und Wissenschaften‘), 12,16f. zu L38 (‚Deutschheit‘), 40,18 zu A178 (Dürer), 213,16–21 zu ET433 (Kepler) und 94,7f. zu Id135 (Jakob Böhme). -- Neumann, Ideenparadiese, S.490. 121: 93,1–4 Vernehmt mich !…" zu sagen] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚verstehen‘), 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘) und 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘). -Neumann, Ideenparadiese, S.543. 122: 93,5f. Wo die Künstler eine Familie bilden, da sind Urversammlungen der Menschheit] Vgl. Id126, 152, Lucinde (1799; KFSA5, S.57); Novalis, GL32, 40, 60f., 67, Vorarbeiten 80, Hardenberg an Caroline Schlegel, 27.2. 1799 (NO4, S.178); Schleiermacher, GV109 u. ö. zur Familie und siehe Anm. 86,2f. zu Id32 über den Bund der Künstler sowie Anm. 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘). 123: 93,9f. die Kunst !…" noch künstlicher !…" die Historie historischer] Zum Gedanken der Potenzierung siehe Anm. 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘). 123: 93,11f. wenn der einfache Strahl der Religion und Moral ein Chaos des kombinatorischen Witzes berührt] Siehe Anm. 89,8f. zu Id70 über das Verhältnis von Religion und Moral, 89,10f. zu Id71 (‚Chaos‘), 9,23 zu L9 (‚Witz‘) und 153,19 zu BL89 (‚Berührung‘). Vgl. zum ‚kombinatorischen Witz‘ FPL [V] 572, 882, 929, 1039, PhL [II] 206, 976, [V] 375, 729 und [X] 548. 123: 93,12f. Religion und Moral !…" Poesie und Philosophie] Siehe Anm. 84,9–12 zu Id4 über diese vier Grundbegriffe der Fragmentsammlung. 123: 93,13 Da blüht von selbst die höchste Poesie und Philosophie] Zur Pflanzenmetaphorik der Ideen siehe Anm. 84,13–15 zu Id5 und die Erläuterungen zum Titel sowie zum Motto der Sammlung Blüthenstaub (141,1f.). 123: 93,7–13 Die falsche Universalität !…" Poesie und Philosophie] Siehe Anm. 83,15 zu A451 (‚Universalität‘), 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.497. 124: 93,14 Warum äußert sich das Höchste !…" als falsche Tendenz?] Vgl. das folgende Fragment, Id154, FPL [III] 40, PhL [IV] 723, 726 und 760 über ‚das Höchste‘, und siehe Anm. 11,41 zu L37 (‚falsche Tendenz‘).

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124: 93,14–19 Warum !…" was nicht] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚verstehen‘, ‚gebildet‘) und 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘) -- Neumann, Ideenparadiese, S.543. 125: 93,20f. Wer ein Höchstes tief in sich ahndet !…" lese die Reden über die Religion] Vgl. das vorige Fragment und siehe Anm. 93,14 zu Id124 über ‚das Höchste‘ sowie Anm. 84,19 zu Id8 über Schleiermachers Reden Über die Religion. 126: 93,23 Nur um eine liebende Frau her kann sich eine Familie bilden] Vgl. PhL [IV] 1481. Siehe Anm. 93,5f. zu Id122 (‚Familie‘), 26,31 zu A50 (‚Liebe‘) und 18,30 zu L106 über die Frauen. Novalis schrieb hierzu die Randbemerkung: „(Caroline Schlegel.)“ -- Balmes, WTB3, S.578; Neumann, Ideenparadiese, S.531. 127: 93,24 Die Poesie der Dichter bedürfen die Frauen weniger] Vgl. A102. Siehe Anm. 18,30 zu L106 über die Frauen. 128: 93,26 Mysterien sind weiblich; sie verhüllen sich gern] Vgl. Id1 zum Motiv des Verhüllens und Id137, das auf diesen Text zurückgreift. Siehe Anm. 78,42 zu A427 (‚Mysterien‘) und 18,30 zu L106 über die Frauen. 129: 93,28 In der Religion ist immer Morgen] Siehe Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘). Vgl. zu den Motiven des Morgens und der Morgenröte, die sich gegen Ende der Ideen auffallend wiederholen, auch Id92, 133f., 155 und Novalis, ET442. (Siehe auch Anm. 94,3 zu Id133 über die romantische Vorstellung vom Morgenland bzw. Orient.) -- Neumann, Ideenparadiese, S.503. 130: 93,29 Nur wer einig ist mit der Welt kann einig sein mit sich selbst] Vgl. hierzu Id80. 131: 93,37 Alle Künstler sind Dezier] Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘). Die Dezier waren ein römisches Patriziergeschlecht; mehrere Mitglieder dieser Familie opferten ihr Leben für einen Sieg. 131: 93,38 Begeisterung des Vernichtens] D. von Petersdorff, S.194, macht darauf aufmerksam, daß hier, wie auch in Id138 (siehe Anm. 94,26–28 hierzu) gnostisches Gedankengut zugrunde liegt. 131: 93,30–40 Der geheime Sinn !…" Blitz des ewigen Lebens] Siehe Anm. 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘), 13,26 zu L47 (‚unendlich‘), 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘), 10,39f. zu L28 über die Dialektik von ‚Selbstschöpfung‘ und ‚Selbstvernichtung‘ sowie 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘). Vgl. zu diesem Fragment PhL [IV] 1506 und Hardenbergs Randnotiz: „(Dem wahren Gott sollten wir alle geopfert werden, aber ist es nicht schrecklich, daß noch täglich die Blüthe der Welt falschen Götzen geopfert oder ihnen zu Ehren verstümmelt wird.)“ -- Frank, Zeit, S.32; Neumann, Ideenparadiese, S.492f. 132: 93,41–94,2 Trennt die Religion ganz von der Moral !…" am schrecklichsten] Siehe Anm. 89,8f. zu Id70 zum Verhältnis von Religion und Moral. -Neumann, Ideenparadiese, S.494. 133: 94,3 Zunächst rede ich nur mit denen die schon nach dem Orient sehen] Der Orient ist der Ursprung der Religion und des Lichts. Vgl. zum Orient als „Chiffre für eine harmonisch-ganzheitliche Lebensform, in welcher der begeisterte Künstler in innerlich beseelte Beziehung zum Unendlichen treten kann“

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(Brauers, S.202f.), Id156, Schlegels aufschlußreiche Bemerkung in der Rede über die Mythologie: „Im Orient müssen wir das höchste Romantische suchen“ (1800; KFSA2, S.320), seine Besprechung von Schleiermachers Reden Über die Religion (1799; KFSA2, S.279) und Hardenbergs Brief an den Kreisamtmann Just vom November 1800, in dem vom „große!n" Orient in uns“ (NO4, S.341f.) die Rede ist. Siehe auch Anm. 93,28 zu Id129 über die Lichtmetaphorik der Ideen. – Mit ähnlich exklusivem Gestus spricht Schlegel auch in A264. -- Balmes, WTB3, S.578; Brauers, S.202–207. 134: 94,4f. Du vermutest Höheres auch in mir !…" so früh am Tage ist] -Neumann, Ideenparadiese, S.509. 135: 94,6 Nicht Hermann und Wodan sind die Nationalgötter der Deutschen] Der Cheruskerfürst Arminius (oder Hermann) vernichtete 9 n.Chr. ein großes römisches Heer unter Varus. In der Literatur des 17. bis 19. Jahrhunderts wird Hermann/Arminius dadurch zur Symbolfigur für die Befreiung Germaniens von fremder Herrschaft, er verkörpert deutsches Heldentum und vaterländische Gesinnung. Nachdem Ulrich von Hutten bereits 1629 den Arminius-Stoff in einer Dialogdichtung gestaltet hatte, folgten ihm zahlreiche weitere literarische Bearbeitungen; zu ihnen zählen u.a. Daniel Casper von Lohensteins Roman Großmüthiger Feldherr Arminius (1689/90), Johann Elias Schlegels Trauerspiel Hermann (1743), Wielands epische Dichtung Hermann (1751) und Kleists Drama Die Hermannsschlacht (1808). Vielleicht bezieht sich Schlegels Fragment auf Klopstock, der drei vaterländische Weihespiele über die Arminius-Gestalt verfaßte. – Wodan (oder Wotan) ist in der germanischen Mythologie die oberste Gottheit, die u.a. das Kriegsgeschick lenkt. -- Annemarie und Wolfgang van Rinsum, Lexikon literarischer Gestalten Deutschsprachiger Literatur, Stuttgart 1988, S.29f. (‚Arminius (Hermann)‘); Elisabeth Frenzel, Stoffe der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte, Stuttgart 71988, S.59–62 (‚Arminius‘). 135: 94,7f. Kepler, Dürer, Luther, Böhme !…" Lessing, Winckelmann, Goethe, Fichte] Vgl. Id120. Siehe Anm. 213,16–21 zu ET433 (Kepler), 40,18 zu A178 (Dürer), 14,37f. zu L64 (Lessing), 37,9f. zu A149 (Winckelmann), 9,13–15 zu L6 (Goethe) und 36,1 zu A137 (Fichte); vgl. zu Jakob Böhme (1557–1624) u.a. Id120, PhL [V] 555, [VI] 10, [X] 440 und Ritter, RF51. Schlegels Katalog hervorragender Männer des deutschen Geisteslebens seit der Renaissance kommentiert G.Neumann folgendermaßen: „Jeder der aufgeführten Namen erweckt zugleich eine Zentralkategorie des Schlegelschen Erkenntnisentwurfs. Kepler den Begriff der ‚Umkehrung‘, der von ihm präzisierten ‚kopernikanischen Wende‘, Dürer die Dialektik von Fülle und System !…", Luther die religiöse ‚Revolution‘ als eine ‚Anticipation‘ der ‚Begebenheiten im Geist des jetzigen Zeitalters‘ !PhL [V] 557" !…" Böhme die mystische Denkform, Lessing die Kombinatorik und vor allem die Vorstellung der Religion als ‚Aufklärung‘, Winckelmann die Grundlegung der ‚Moralistik‘ als ‚anthropomorpher‘ Erkenntnis, Goethe den Begriff der Poesie, Fichte den der Philosophie“ (Ideenparadiese, S.514). 135: 94,6–12 Nicht Hermann und Wodan !…" der Kunst und der Wissenschaft] Siehe Anm. 85,24 zu Id23 (‚Tugend‘) und 10,10 zu L16 (‚Künste und Wissenschaften‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.514.

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136: 94,13–18 Worauf bin ich stolz !…" als Künstler? !…" Gewinn ist für mich] Siehe Anm. 14,35 zu L63 über den Künstler und 86,40f. zu Id43 über dessen besonderen Status. -- Neumann, Ideenparadiese, S.526f. 137: 94,19f. Die Andacht der Philosophen ist Theorie, reine Anschauung des Göttlichen] Im ursprünglichen Wortsinn bedeutet Theorie ‚Betrachtung‘, ‚Zuschauen‘, ‚Untersuchung‘. Siehe Anm. 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘) und 47,30 zu A232 (‚Gott‘). 137: 94,23f. Mysterien sind, wie schon gesagt, weiblich] Schlegel bezieht sich hier auf Id128. Siehe Anm. 78,42 zu A427 (‚Mysterien‘) und 18,30 zu L106 über das Weibliche. 137: 94,19–25 Die Andacht der Philosophen !…" befruchten] Vgl. den folgenden Text, der sich an den Schlußteil der 137. Idee anschließt. Siehe Anm. 47,40 zu A234 zu Spinoza, 75,3 zu A412 (‚Ideal‘), 17,30f. zu L98 (‚Mitteilung‘), 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘), 38,13 zu A162 (‚Mythologie‘), 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘) und 84,25–28 zu Id11 über das Verhältnis von Poesie, Philosophie und Religion. -- Neumann, Ideenparadiese, S.529f. 138: 94,26 Eben weil das Christentum eine Religion des Todes ist] Siehe Anm. 23,25f. zu A16 (‚Christianismus‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘) und 54,29f. zu A292 über Tod und Sterben. 138: 94,27f. könnte seine Orgien haben so gut wie die alte Religion der Natur und des Lebens] Vgl. hierzu den Schlußteil des vorigen Fragments und siehe Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘). 138: 94,26–28 Eben weil das Christentum !…" des Lebens] Vgl. zum hier zutage tretenden gnostischen Gedankengut Id131, ferner PhL [IV] 1527 und Schlegels Brief an Hardenberg von Anfang März 1799: „Ich stimme Dir bei, daß das Christenthum eine Religion der Zukunft [ist], wie die griechische eine der Vergangenheit, schon bei den Alten selbst. – Aber ist sie nicht noch mehr eine Religion des Todes, wie die classische Rel[igion] des Lebens?“ (KFSA24, S.238.) -- Immerwahr, KFSA24, S.439; Neumann, Ideenparadiese, S.493; Petersdorff, S.194. 139: 94,29 Es gibt keine Selbstkenntnis als die historische] Siehe Anm. 88,3–5 zu Id51 über das Motiv der (Selbst-)Erkenntnis des Menschen und 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). 139: 94,30f. der höchste Genosse des Bundes] Siehe Anm. 86,2f. zu Id32 über die Vorstellung eines Bundes der Künstler. 139: 94,31 der Meister der Meister, der Genius des Zeitalters] Zur potenzierenden Formel ‚Meister der Meister‘ siehe Anm. 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘), ferner 87,37–88,2 zu Id50 (‚Zeitalter‘). 140: 94,32 Eine der wichtigsten Angelegenheiten des Bundes] Siehe Anm. 86,2f. zu Id32 über den Bund der Künstler. 141: 94,38 das Genie sei inkorrekt] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘) und 50,34 zu A253 (‚korrekt‘). Vgl. Schlegels Ausführungen über „Shakespeares Inkorrektheit“ im Studium-Aufsatz (KFSA1, S.250) und FPL [V] 172. 141: 94,35–42 O wie armselig !…" nur Talent] Siehe Anm. 89,12f. zu Id72 (‚Fülle‘), 11,41 zu L37 (‚falsche Tendenz‘), 33,40f. zu A119 (‚Talent‘),

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84,5f. zu Id2 (‚geistlich‘), 83,15 zu A451 (‚Universalität‘) und 151,17f. zu BL76 (‚Repräsentant‘). – Diese Idee ergänzt die Abgrenzung von Genie und Talent, die Schlegel in A119 unternimmt. Vgl. auch PhL [IV] 1357, 1483, 1501, [II] 985 und 996. -- Neumann, Ideenparadiese, S.542. 142: 95,1f. Wie die Kaufleute im Mittelalter so sollten die Künstler jetzt zusammentreten !…" schützen] Vgl. BL67. Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘) und 86,2f. zu Id32 über den Gedanken des Bundes. 143: 95,3 Es gibt keine große Welt als die Welt der Künstler] Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘) und 86,40f. zu Id43 über den besonderen Rang des Künstlers. -- Neumann, Ideenparadiese S.526. 144: 95,6f. vom Denker !…" dem Dichter] Siehe Anm. 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft. 144: 95,8f. Ihr habt, ohne es gewahr zu werden, heiligen Boden betreten; ihr seid unser] Eine Anspielung auf die biblische Geschichte von der Berufung Moses beim brennenden Dornbusch, aus dem die Stimme Gottes spricht: „Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!“ (Exod.3,5.) 144: 95,6–9 Ursprünglichen Sinn !…" seid unser] Siehe Anm. 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘) und 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.481f. 145: 95,11f. So ist es, so war es, und so wird es sein] Vgl. Apoc.1,8. 145: 95,10–12 Alle Menschen !…" wird es sein] Vgl. Novalis, BL58 und 63. Siehe Anm. 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘), 29,3–6 zu A75 (‚grotesk‘) und 14,35 zu L63 (‚Künstler‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.527f. 146: 95,13f. Selbst in den äußerlichen Gebräuchen sollte sich die Lebensart der Künstler !…" unterscheiden] Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘) und 86,40f. zu Id43 über das elitäre Bewußtsein des Künstlers. 146: 95,13–15 Künstler !…" Brahminen] Brahmanen sind Angehörige einer indischen Priesterkaste. Siehe Anm. 140,12f. zu PhL [XI] 195 (‚Indien‘). Zum Gedanken der ursprünglichen Einheit von Künstler- und Priestertum siehe Anm. 149,32–35 zu BL71. 147: 95,17–19 Was der freie Mensch !…" ähnlichen] Siehe Anm. 85,35f. zu Id29 (‚frei‘), 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘) und 47,30 zu A232 (‚Gott‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.482. 148: 95,20 Wer entsiegelt das Zauberbuch der Kunst !…" der verwandte Geist] Dem versiegelten „Zauberbuch der Kunst“ entspricht in Id1 die verschleierte Isis; beide Motive suggerieren ein Geheimnis, das zu ergründen ist. Das Fragment ist aus PhL [IV] 1295 hervorgegangen. -- Neumann, Ideenparadiese, S.545. 149: 95,23 ausschweifend in aller Unzucht und wollüstig bis zur Selbstentmannung] Schlegel scheint hier an die Kulte antiker Naturgottheiten, wie etwa der Kybele (siehe Anm. 43,36f. zu A205) zu denken. 149: 95,22f. Ohne Poesie !…" Selbstentmannung] Vgl. ergänzend Id34. Siehe Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘) und 84,25–28 zu Id11 zum Verhältnis von Poesie, Religion und Philosophie. -- Neumann, Ideenparadiese, S.499. 150: 95,27 in den Reden über die Religion] Siehe Anm. 84,19 zu Id8.

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150: 95,24–27 Das Universum !…" lesen] Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘), 46,39 zu A226 (‚Empirie‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘), 34,4 zu A121 (‚Idee‘), 47,40 zu A234 zu Spinoza und 10,17f. zu L20 (‚verstehen‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.555. 151: 95,28–30 In alle Gestalten von Gefühl kann die Religion ausbrechen !…" Demut] Vgl. Id149 und siehe Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘). – Novalis’ Randbemerkung lautet: „(Wie ich schon oben sagte, Dir ist Religion geistige Sinnlichkeit und geistige Körperwelt überhaupt.)“ -- Neumann, Ideenparadiese, S.477. 152: 95,31–33 Willst du den Menschen vollständig erblicken, so suche eine Familie !…" ganz Poesie] Vgl. PhL [IV] 1481. Siehe Anm. 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘) und 93,5f. zu Id122 (‚Familie‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.524. 153: 95,34–36 Alle Selbständigkeit !…" alle Originalität ist moralisch !…" Ohne sie keine Energie der Vernunft und keine Schönheit des Gemüts] Vgl. Id23 („Tugend ist zu Energie gewordne Vernunft.“). Siehe auch Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 32,4 zu A108 (‚schön‘), 85,18 zu Id21 (‚Mensch(heit)‘) und 63,28f. zu A339 (‚Gemüt‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.511. 154: 95,37f. Zuerst vom Höchsten !…" zum Ziel] Vgl. BL11. Siehe Anm. 93,14 zu Id124 (‚das Höchste‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.557. 155: 96,1–3 Ich habe einige Ideen !…" Standpunkt] Vgl. Gespräch über die Poesie (1800; KFSA2, S.286f.). Siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘), 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘) und 93,28 zu Id129 zum Bild der Morgenröte. -- Brauers, S.299f.; Neumann, Ideenparadiese, S.557f. 156: 96,4 An Novalis] Zusammen mit der Anspielung auf Novalis’ Roman Die Lehrlinge zu Sais in Nr.1 der Ideen umrahmt die abschließende Widmung die gesamte Sammlung. 156: 96,5f. in deinem Geiste haben sich Poesie und Philosophie innig durchdrungen] Siehe Anm. 19,41f. zu L115 über die wechselseitige Annäherung von Poesie und Philosophie. 156: 96,9f. Allen Künstlern gehört jede Lehre vom ewigen Orient] Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘) und 94,3 zu Id133 (‚Orient‘). Novalis richtete seine letzte Anmerkung an die männliche Hauptfigur des Romans Lucinde (1799), die Schlegel teilweise mit autobiographischen Zügen ausgestattet hatte, und überschrieb seine Notiz: „An Julius.“ Sein abschließender Kommentar zu den Ideen stellt ein eindrucksvolles Dokument romantischer ‚Symphilosophie‘ dar: Wenn irgend jemand zum Apostel in unsrer Zeit sich schickt, und geboren ist, so bist du es. Du wirst der Paulus der neuen Religion seyn, die überall anbricht – einer der Erstlinge des neuen Zeitalters – des Religiösen. Mit dieser Religion fängt sich eine neue Weltgeschichte an. Du verstehst die Geheimnisse der Zeit – Auf dich hat die Revolution gewirckt, was sie wircken sollte, oder du bist vielmehr ein unsichtbares Glied der heiligen Revolution, die ein Messias im Pluralis, auf Erden erschienen ist. Ein herrliches Gefühl belebt mich in dem Gedanken, daß du mein Freund bist und an mich diese innersten Worte gerichtet hast. Ich weis, daß wir in vielen Eins sind und glaube, daß wir es durchaus sind, weil Eine Hoffnung, Eine Sehnsucht unser Leben und unser Tod ist.

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In diesem Schlußwort nimmt Novalis die Diskussion um die neue Religion wieder auf. Vgl. zur Lucinde Novalis, FuS237, Schlegel, FPL [VIII] 22–31, 34, 39, 76, [X] 3; Schleiermacher, GIII51 u. ö. – Siehe Anm. 90,36f. zu Id95 (‚Bibel‘). -Balmes, WTB3, S.578, Neumann, Ideenparadiese, S.529.

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Aus den Fragmenten zur Poesie und Literatur

Textgrundlage und Textüberlieferung In Friedrich Schlegels umfangreichem handschriftlichen Nachlaß finden sich zahlreiche Fragmente zu philologischen und literarischen Themen, die die vorliegende Edition in einer Auswahl wiedergibt. Ausgewählt wurden Nr.1–185 aus dem Heft Fragmente zur Litteratur und Poesie (FPL [V] 1–185), das 1279 Aufzeichnungen enthält. Bald nach seiner Ankunft in Berlin im Juli 1797 begann Schlegel mit der Niederschrift. Die Arbeit an diesem Heft erstreckte sich – mit Ausnahme der letzten Aufzeichnungen, die wesentlich später dazugekommen sein dürften, – ungefähr bis in den Juli oder August des folgenden Jahres (Eichner, KFSA16, S.XVIf. und XX). Das Konvolut wurde erst erhebliche Zeit nach dem Tod des Verfassers gedruckt. Hans Eichner veröffentlichte 1957 die Fragmente zur Litteratur und Poesie, wobei allerdings Schlegels Werkpläne ausgeschlossen wurden: Friedrich Schlegel. Literary Notebooks 1797–1801, edited with introduction and commentary by Hans Eichner, London und Toronto 1957, S.19–36. Inzwischen liegt dieses Heft auch in der kritischen Friedrich-Schlegel-Ausgabe vor, deren Wortlaut der Text dieser Edition folgt: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hg. von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner, 16.Bd.: Fragmente zur Poesie und Literatur. Erster Teil, mit Einleitung und Kommentar hg. von Hans Eichner, Paderborn, München, Wien und Zürich (Ferdinand Schöningh) 1981, S.85–100. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags Ferdinand Schöningh.

Entstehung Seit 1796 führte Friedrich Schlegel Notizhefte als ‚Ideenmagazine‘, in denen er sich stichwortartig mit seiner ausgedehnten Lektüre auseinandersetzte, eigene Gedanken notierte und Werkpläne skizzierte, von denen allerdings nur ein kleiner Teil verwirklicht wurde. Rund 150 solcher Hefte legte Schlegel an, von denen weniger als die Hälfte erhalten geblieben ist (Eichner, KFSA16, S.XIf.). Sie enthielten über 16000 Eintragungen zur Philosophie, zur Philologie, zu Literatur und Poesie, Ideen zu Gedichten (KFSA16, S.191–252), eine vergleichbare Anzahl von Notizen zur Theologie, Physik, Geschichte und Politik (Eichner, KFSA16, S.XIf.) und belegen bereits durch ihre Menge und thematische Vielfalt die „übersprudelnde geistige Aktivität“ ihres Verfassers (Frischmann, Transzendental, S.21f.). Parallel zu den Fragmenten zur Litteratur und Poesie arbeitete Schlegel

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an zwei Heften Zur Philologie (KFSA16, S.34–81) und an dem ersten philosophischen Werkstattheft, wobei sich öfter thematische Berührungspunkte und Überschneidungen zwischen den verschiedenen Arbeits- und Interessengebieten ergeben. Eine Veröffentlichung der Hefte in der vorliegenden Form war vom Verfasser mit Sicherheit nicht beabsichtigt. Er betrachtete sie vielmehr als Materialsammlung, die ihm, nach Sachgebieten und Jahrgängen geordnet, für künftige Schriften originelle Gedanken und Anregungen bereitstellen sollte. Einen kleinen Teil dieser Notizen arbeitete Schlegel für seine im ‚Lyceum der schönen Künste‘ und im ‚Athenäum‘ publizierten Fragmentsammlungen um.

Wirkung Von den Fragmenten zur Litteratur und Poesie konnten zunächst nur diejenigen einer größeren Leserschaft bekannt werden, die Friedrich Schlegel für die ‚Lyceums‘- und ‚Athenäums‘-Fragmente bearbeitete und veröffentlichte. Ob die übrigen Aufzeichnungen z.B. durch Mitteilung im Freundeskreis Resonanz fanden, ist nicht belegt.

Struktur und Gehalt Im Unterschied zu den ‚Lyceums‘- und ‚Athenäums‘-Fragmenten, die aus prägnant formulierten und sorgfältig komponierten Texten bestehen, handelt es sich bei den Aufzeichnungen in Schlegels Notizheften, die z.T. das Rohmaterial zu diesen Sammlungen lieferten, um spontane, im ganzen wenig gegliederte Niederschriften von Leseeindrücken und um (auch syntaktisch) ‚unfertige‘ Gedankengänge. Dennoch weisen aber auch hier die Eintragungen der einzelnen Hefte untereinander zahlreiche Bezüge auf und verweisen vielfach auf die Fragmente im ‚Lyceum‘ und im ‚Athenäum‘. Schlegel ergänzte oder berichtigte diese zumeist kurzen Texte später zuweilen durch Randnotizen (z.B. FPL [V] 14, 27, 30, 35f.). Dem vorläufigen und halb privaten Charakter der Aufzeichnungen entsprechend verwendet Schegel für wichtige, häufig wiederkehrende Begriffe griechische Buchstaben als Abkürzungen:  oder  steht für Philosophie,  für Philologie,  für Poesie, für Rhetorik,  für Kritik, kritisch usw. Außerdem entwickelt er eine stark verknappte Formelsprache, die sich mathematischer Zeichen und Schreibweisen bedient. Die Herausgeber der kritischen Friedrich-Schlegel Stud Ausgabe konnten nachweisen, daß Formeln wie — (FPL [V] 181) oder — o o (FPL [V] 173 und siehe Anm. 108,21 hierzu) als „absolute Poesie“ bzw. als „absolutes Studium“ zu lesen sind (Behler, KFSA18, S.XLIf.). In seinen Fragmenten zur Litteratur und Poesie setzt sich Schlegel kontinuierlich mit seiner Lektüre antiker und moderner, englischer, französischer, italienischer, spanischer und deutschsprachiger Autoren auseinander; dabei entwik-

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kelt und erprobt er das begriffliche und methodische Instrumentarium seiner Literaturkritik: Er beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Wissenschaft und Kunst, Philosophie und Poesie, Stoff und Form, Geist und Buchstabe, versucht, die spezifischen Charakteristika der verschiedenen Gattungen, ‚Dichtarten‘, Epochen, Nationalliteraturen oder Dichter zu bestimmen und erörtert nicht zuletzt hermeneutische Fragen, die für die modernen Geisteswissenschaften wegweisend werden. (Hermann Beisler, Friedrich Schlegels kritische Kategorien. In: ‚Scientia Poetica. Jahrbuch für Geschichte der Literatur und der Wissenschaften‘ 7 (2003), S.127–147, hier besonders S.132–143.)

Stellenkommentar 1: 97,4 Was G[oethe]’s Hexametern fehlt] Vgl. L6. 1: 97,6 Der Rigorism entspringt nur aus der Mystik oder aus Kritik] Siehe Anm. 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und vgl. PhL [II] 396. 2: 97,7–10 Nur durch absolute Progressivität !…" Individualität] Vgl. FPL [V] 142. Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 24,16f. zu A22 (‚progressiv‘), 13,26 zu L47 (‚unendlich‘), 11,6 zu L31 (‚sentimental‘), 22,24f. zu A9 (‚Moral‘) und 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). 3: 97,11 Alle nicht classische und nicht progressive [Poesie] ist Naturpoesie] Vgl. zum Begriffspaar ‚klassisch‘ und ‚progressiv‘ FPL [III] 1, 18, 23, 51, 107, [V] 5, 106, 125, 140, 145, 150, 208, 231, 293, 309, 748, 765, 812, PhL [II] 19, 21 und 138. Siehe auch Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). Vgl. zur ‚progressiven Poesie‘ auch FPL [V] 98, 184, 779, PhL [V] 627 und Fragment A116, das die „romantische Poesie“ als „progressive Universalpoesie“ bestimmt. Siehe Anm. 98,26–28 zu FPL [V] 18 über Schlegels apodiktische Sätze der Form ‚alles a ist x‘. -- Behler, Unendliche Perfektibilität – Goldenes Zeitalter, S.145; Härter, S.227–312. 3: 97,12 Shak.[speare] ist d.[er] sentimentale Classiker] Siehe Anm. 20,30f. zu L121 über Shakespeare und 11,6 zu L31 (‚sentimental‘). Als sentimentaler Dichter wird Shakespeare auch in FPL [V] 6, 142, 150, 272, 284, 503, 581, 707, 712, 1007 und 1160 bezeichnet, als naiv und sentimental in FPL [V] 253 und als naiv in FPL [V] 258 und [IX] 530. -- Eichner, KFSA16, S.538. 4: 97,13 Die Meinung der Roman sei kein Gedicht] Siehe Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘) und 10,16 zu L19 (‚Gedicht‘). Vgl. FPL [V] 100. 4: 97,14f. zum Behuf der Progressivität] Siehe Anm. 24,16f. zu A22 (‚progressiv‘). 4: 97,15f. Der Roman ist noch ungleich gemischteres Mischgedicht als Idylle oder Satire] Vgl. zur Vorstellung des Romans als Mischgedicht FPL [V] 20, 55, 65, 69, 162, 185, 274, 586, 781, 797f., 831, 845, [IX] 237, [X] 99, PhL [II] 95 sowie L60, A116 und Gespräch über die Poesie (1800; KFSA2, S.336). Ähnliche Vorstellungen äußert auch August Wilhelm Schlegel in den Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur (hg. von Giovanni Vittorio Amoretti,

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Bonn 1923, Bd.2, S.114) und Herder in den Humanitätsbriefen (1796; HE18, S.109f.). Siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über den Gebrauch chemischer Begriffe wie ‚Mischung‘ in den Fragmenten der Romantiker und 20,6f. zu L117 (‚Satire‘). Vgl. zur Idylle und zum Idyllischen auch L75, A238, FPL [V] 18, 20, 26, 29, 65f., 153, 168, 184, 240, PhL [III] 140, 143 u. ö. -- Eichner, KFSA16, S.538. 5: 97,18–20 Nur die ganz gültig[en] Dichtarten !…" für progress.[ive] [Poesie] gilt] Vgl. FPL [V] 24. Siehe Anm. 14,29 zu L60 über die Dichtarten, zum Epos siehe Anm. 20,31 zu L121, ferner 97,11 zu FPL [V] 3 über das Begriffspaar ‚klassische‘ und ‚progressiv‘ sowie über ‚progressive Poesie‘. 6: 97,21–24 Unterschied der materiellen Sentimentalität !…" übertroffen werden?] Siehe Anm. 11,6 zu L31 (‚sentimental‘), 36,23 zu A142 über Jacobi, 31,33 zu A105 (‚Mystizismus‘), 20,30f. zu L121 über Shakespeare und 97,12 zu FPL [V] 3 über Shakespeare als sentimentalen Dichter. 7: 97,25–27 Die historische Ganzheit !…" zur polit.[ischen] Einheit] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 18,15 zu L103 (‚Ganzheit‘), 20,31 zu L121 (‚Epos‘), 20,20 zu L119 (‚lyrisch‘) und 91,24 zu Id101 (‚Politik‘). Vgl. das folgende Fragment. 8: 97,28–30 Im rhetor.[ischen] Werk ist die Ganzheit ethisch !…" satirisch[e] Schrift[en]?] Siehe Anm. 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘), 18,15 zu L103 (‚Ganzheit‘), 20,6f. zu L117 (‚Satire‘) und 91,24 zu Id101 (‚Politik‘). – Zum Begriff des Ethischen äußert sich Schlegel u.a. in FPL [V] 12f., 17–19, 29, 45, 144, 208f., 216f. und 289. In der Rhetorik bezeichnet ‚ethos‘ die mittlere, ‚sanfte‘ Affektstufe. -- Krause, S.137–149. 9: 97,31 Der Roman muß politisch[e] oder satirisch[e] Totalität haben] Siehe Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘), 91,24 zu Id101 (‚Politik‘), 20,6f. zu L117 (‚Satire‘). Vgl. FPL [V] 7f., 17 und 45. 10: 97,33 Klopstock ist ein grammat.[ischer] Korybant] Vgl. A127 und siehe Anm. 30,35–37 zu A92 (‚Grammatik‘). – Korybanten hießen die Priester der Kybele (siehe Anm. 43,36f. zu A205). 11: 97,34–98,3 Durch die Beimischung !…" Kritisiren und Polemisiren] Siehe Anm. 11,12–15 zu A32 über ‚Mischung‘ und andere chemische Termini in Schlegels Fragmentwerk, 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 16,19 zu L81 (‚Polemik‘). Vgl. die beiden folgenden Texte. 12: 98,4–8 Sollte es nicht rein ethische Schriften geben !…" !!NB Genau.""] Siehe Anm. 97,28–30 zu FPL [V] 8 (‚ethisch‘), 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘), 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 20,6f. zu L117 (‚Satire‘), 91,24 zu Id101 (‚Politik‘). – NB steht für Nota bene: Merke wohl! – Vgl. FPL [V] 11 und 13. 13: 98,9–13 Im [rhetorischen] Styl !…" in [kritischen] Schriften] Siehe Anm. 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘), 18,25 zu L104 (‚Styl‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 97,28–30 zu FPL [V] 8 (‚ethisch‘), 18,15 zu L103 (‚Ganzheit‘) und 20,6f. zu L117 (‚Satire‘). Vgl. die beiden vorausgehenden Aufzeichnungen. 14: 98,14–16 Charakteristik !…" (Plat.[os] Ion)] Siehe Anm. 81,39 zu

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A439 (‚Charakteristik‘), 32,4 zu A108 (‚schön‘), 18,15 zu L103 (‚Ganzheit‘), 56,35 zu A305 (‚Rhapsodie‘) und 15,14f. zu L69 (Plato). 14: 98,16 i.e. Mittheilung des Schönen] Id est: das heißt. – Siehe Anm. 17,30f. zu L98 (‚Mitteilung‘) und 32,4 zu A108 (‚schön‘). 14: 98,18–21 Es giebt also wahre poetische Prosa !…" ist] August Wilhelm Schlegel lehnt diese ‚poetische Prosa‘ in seiner Schrift Etwas über William Shakespeare bei Gelegenheit Wilhelm Meisters (1796) entschieden ab: „poetische Prosa ist nicht nur überhaupt sehr unpoetisch, sondern vollends im höchsten Grade undialogisch. Sie hat die natürliche Leichtigkeit der Prosa verloren, ohne die künstliche der Poesie wieder zu gewinnen.“ (AWS,SW7, S.55; vgl. auch die Briefe über Poesie, Silbenmaß und Sprache (1797), ebd., S.102f.) In Über naive und sentimentalische Dichtung (1795) kritisiert Schiller Geßners poetische Prosa (NA20, S.470f.). Vgl. zu diesem Begriff auch FPL [V] 18 und 40. – Siehe Anm. 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘), 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘) und 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘). -- Eichner, KFSA16, S.539. 15: 98,22 Vom Witz. Ueber das Studium der classisch[en] [Philosophie]] Zum Werkplan „Vom Witz“ vgl. FPL [III] 112 und [V] 130. Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘), 103,3–5 zu FPL [V] 85 (‚Studium‘) und 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). 16: 98,23f. Die satirisch[e] Prosa !…" verschieden] Siehe Anm. 20,6f. zu L117 (‚Satire‘), 11,12–15 zu L32 über ‚Mischung‘ und andere Termini aus dem Bereich der zeitgenössischen Chemie sowie 12,32 zu L42 (‚Urbanität‘). 17: 98,25 Ohne ethisch[e] Ganzheit ist das Rhetorisch[e] sophistisch] Siehe Anm. 97,28–30 zu FPL [V] 8 (‚ethisch‘), 18,15 zu L103 (‚Ganzheit‘), 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘) und 31,3f. zu A96 (‚Sophist‘). Vgl. FPL [V] 8 und 45. 18: 98,26–28 Alle Prosa ist !…" Gattung der Prosa?] Siehe Anm. 98,18–21 zu FPL [V] 14 (‚poetische Prosa‘), 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘), 97,28–30 zu FPL [V] 8 (‚ethisch‘), 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘), 91,24 zu Id101 (‚Politik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘), 20,6f. zu L117 (‚Satire‘), 97,15f. zu FPL [V] 4 (‚Idylle‘), 13,30 zu L49 (‚romantisch‘), 22,8f. zu A4 (‚Gattungen‘) und 46,39 zu A226 (‚Empirie‘). Vgl. ergänzend die Klassifikation in FPL [V] 153. – Weitere apodiktische Formulierungen in der Form ‚alles a ist x‘, ‚alles a soll x werden‘ o.ä. finden sich öfter in Schlegels Fragmenten und Notizheften Zur Litteratur und Poesie, z.B. in L115, FPL [V] 3, 35, 146, 167, 185, 221, 263, 280, 292, 318, 333, 336, 411, 413, 426, 440f., 570, 572, 606, 612, 626, 634, 651, 656f., 671, 682, 687, 703, 721, 742, 745 und 754; vgl. zu diesen von ihr so genannten ‚Allsätzen‘ U.Zeuch, S.40. 18: 98,29 eine Mystische, skeptische, Emp.[irische], Eklekt.[ische] Prosa] Vgl. zur Reihe ‚mystisch – skeptisch – empirisch/eklektisch‘, die z.T. noch durch die Bestimmung ‚kritisch‘ als viertes Glied erweitert wird, u.a. FPL [III] 66. Die Trias mystisch – skeptisch – empirisch findet sich ferner in FPL [III] 108, PhL [II] 145, 150 und [IV] 718; eine Typologie des Eklektikers, Skeptikers und Mystikers entwickeln die frühen Aufzeichnungen in PhL [I], besonders 1, 4–7, 13, 15, 25, 57, 93f., 104, 106f., 109f., [II] 48, Beilage I 4, Beilage II24 und A230. Der Mystiker orientiert sich an einem obersten Prinzip und hält seine rational

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nicht begründbare Position für unwiderleglich; als Vertreter dieses Typus nennt Schlegel u.a. Fichte (PhL [I] 12), F.H.Jacobi (PhL [I] 3), Spinoza (PhL [I] 12), Hemsterhuis (PhL [I] 21, 47) und Winckelmann (PhL [I] 47). Der Skeptiker stellt vermeintlich sichere Annahmen in Frage und spürt inneren Widersprüchen und Inkonsequenzen nach; auch wenn es laut Schlegel noch keinen konsequenten Skeptizismus gebe, dürfte dieser Typus am ehesten seiner eigenen Einstellung entsprechen. Für den Empiriker (oder auch: Eklektiker) haben Mitteilbarkeit und konkrete Anwendbarkeit philosophischer Erkenntnisse Priorität; als exemplarische Empiriker bzw. Eklektiker betrachtet Schlegel z.B. Voltaire (PhL [I] 17 und 72) und Goethe (PhL [I] 92, FPL [V] 232). Alle drei Herangehensweisen an philosophische Probleme und Fragestellungen relativieren einander wechselweise. „Nur der Kritizismus, als Vereinigung aller dreier Momente: des Ausrichtens auf ein Transzendentales (Mystiker), des Ausgangs von dem dem Bewußtsein Gegebenen (Empiriker) und des permanenten Hinterfragens von Erkenntnisansprüchen !…" kann nach Schlegels Meinung sinnvollerweise eine wahrhaft philosophische Methode genannt werden“ (Rehme-Iffert, Skepsis und Enthusiasmus, S.23). – Siehe Anm. 46,39 zu A226 (‚Empirie‘), 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘), 28,15 zu A66 (‚Skeptiker‘), und 16,19 zu L81 (‚Polemik‘). -- Frischmann, Transzendental, S.162–171; Götze, Apologie, S.35–43; ders., Ironie, S.142–156; Naschert, Wechselerweis, S.74–78; Rehme-Iffert, Skepsis und Enthusiasmus, S.20–25; Röttgers, Fichtes Wirkung, S.61–65; Helmut Schanze, Das ‚kleine Buch‘, S.173–175; Schillemeit, S.156. 19: 98,30 Idee eines theologisch[en] und ökonomisch[en] Styls] Siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘), 74,41 zu A410 (‚Ökonomie‘) und 18,25 zu L104 (‚Styl‘). 19: 98,31 nach Abzug alles Hist[orischen]/ [Rhetorischen]] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘) und 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘). 19: 98,32 des ethisch[en] Enthus[iasmus]] Siehe Anm. 97,28–30 zu FPL [V] 8 (‚ethisch‘), 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘). 19: 98,32–34 der rein empirisch[e] Styl !…" der mystische; der eklektische !…" das Romantisch[e]] Siehe Anm. 98,29 zu FPL [V] 18 über die Trias empirisch – mystisch – eklektisch, 13,30 zu L49 (‚romantisch‘) und 18,25 zu L104 (‚Styl‘). 20: 98,35–38 Ist die mimische Prosa nicht noch verschieden von der Idyll[ischen] und Satir[ischen]? !…" rigoristisch sind] Siehe Anm. 13,17 zu L45 (‚Mimus‘), 97,15f. zu FPL [V] 4 (‚Idylle‘), 20,6f. zu L117 (‚Satire‘) und 14,29 zu L60 über die Dichtarten. 20: 98,38f. Die romantische Prosa ist eine Mischung dieser dreien, wie der Roman der 3 Gattung[en]] Siehe Anm. 13,30 zu L49 (‚romantisch‘), 11,12–15 zu L32 über den chemischen Terminus der Mischung, 10,34 zu L26 (‚Roman‘), 22,8f. zu A4 (‚Gattungen‘) und 97,15f. zu FPL [V] 4 über den Roman als Mischgattung. 20: 98,39f. sentimentaler Roman !…" das Progressive] Siehe Anm. 11,6 zu L31 (‚sentimental‘) und 24,16f. zu A22 (‚progressiv‘). 20: 98,35–99,2 Ist die mimische Prosa !…" politische Totalität] Vgl.

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die Klassifikation des Romans in FPL [V] 341 und siehe Anm. 91,24 zu Id101 (‚Politik‘) und 73,17 zu A399 (‚Totalität‘). 21: 99,3–5 Erhabne Eil !…" in nicht skizzirtem Styl zu schreiben] Siehe Anm. 13,21 zu L46 über die Römer, 9,9f. zu L4 (‚Skizze‘) und 18,25 zu L104 (‚Styl‘). 22: 99,6 Spinosa Muster des logisch[en] Styls] Siehe Anm. 47,40 zu A234 über Spinoza, 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘) und 18,25 zu L104 (‚Styl‘). 22: 99,6f. Aristoteles, und Plato in  «] Siehe Anm. 38,11 zu A161 zu Aristoteles und 15,14f. zu L69 über Plato. – In logikois: in der Logik. 22: 99,6f. Spinosa !…" in  «] Vgl. FPL [V] 28 und Die Entwicklung der Philosophie in zwölf Büchern (1804/05; KFSA12, S.267–270). -- Eichner, KFSA16, S.539. 23: 99,8–10 Müßte nicht !…" bei d[en] Römern?] Vgl. A146, das aus dieser Aufzeichnung hervorgegangen ist, sowie FPL [V] 32, 590, 606 und 982. – Siehe Anm. 13,30 zu L49 (‚romantisch‘), 24,16f. zu A22 (‚progressiv‘), 22,8f. zu A4 (‚Gattungen‘), 20,6f. zu L117 (‚Satire‘), 13,21 zu L46 über die Römer, 16,29f. zu L84 über den Gegensatz der ‚Alten‘ und der Modernen -- Eichner, KFSA16, S.539. 24: 99,11f. In einer reinen Poetik !…" Emp.[irisch] und rational] Vgl. FPL [V] 5. Siehe Anm. 14,29 zu L60 über die Dichtarten und 46,39 zu A226 (‚Empirie‘). 25: 99,13–15 Verschiedene Art zu lesen !…" lesen] Siehe Anm. 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘), 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 91,24 zu Id101 (‚Politik‘). Vgl. über das Lesen L27, A391, FPL [IV] 73f., [V] 637, 644, [IX] 669, Georg Forster (1797; KFSA2, S.84), Über Lessing (1797; KFSA2, S.111) und Lessings Gedanken und Meinungen (1804; KFSA3, S.53). 26: 99,16–20 Die Mischung grammatischer Heterogeneitäten !…" in der [rhetorischen]] Siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über ‚Mischung‘ und andere chemische Termini in Schlegels Fragmenten, 30,35–37 zu A92 (‚Grammatik‘), 20,6f. zu L117 (‚Satire‘), 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘), 97,15f. zu FPL [V] 4 (‚Idylle‘), 13,30 zu L49 (‚romantisch‘) und 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘). 27: 99,21–24 Ist das Erotisch[e] !…" romant.[ischen] Anstrich] Vgl. FPL [V] 30. Siehe Anm. 13,30 zu L49 (‚romantisch‘), 22,8f. zu A4 (‚Gattungen‘) und 13,19f. zu L45 (‚Drama‘). 28: 99,25–27 Das Mathem.[atische] im Spinosa äußerst unlogisch !…" dogmatisch sein] Siehe Anm. 30,25–27 zu A89 (‚Mathematik‘), 47,40 zu A234 (Spinoza), 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘), 89,12f. zu Id72 (‚Fülle‘), 9,9f. zu L4 (‚Skizze‘) und 26,22f. zu A46 (‚System‘). 29: 99,28–30 Rein ethische Schriften !…" verbinden] Siehe Anm. 97,28–30 zu FPL [V] 8 (‚ethisch‘), 97,15f. zu FPL [V] 4 (‚Idylle‘), 89,12f. zu Id72 (‚Fülle‘), 20,20 zu L119 (‚lyrisch‘), 32,4 zu A108 (‚schön‘) und 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘). 30: 99,31–35 Die polit.[ische] Correctheit !…" Untreue] Vgl. FPL [V] 27. Siehe Anm. 91,24 zu Id101 (‚Politik‘), 50,34 zu A253 (‚korrekt‘), 13,30 zu

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L49 (‚romantisch‘), 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘), 13,12f. zu L45 über die Franzosen und 11,3–5 zu L30 (‚Tragödie‘). 31: 99,36f. Romant.[ische] Classiker !…" zeigte] Siehe Anm. 13,30 zu L49 (‚romantisch‘), 10,2 zu L13 (‚klassisch‘) und 22,8f. zu A4 (‚Gattungen‘). 32: 99,38f. Drei herrschende Dichtart[en] !…" Modernen] Siehe Anm. 14,29 zu L60 über die Dichtarten, 11,3–5 zu L30 (‚Tragödie‘), 13,21 zu L46 über die Griechen und Römer, 20,6f. zu L117 (‚Satire‘), 10,34 zu L26 (‚Roman‘) und 16,29f. zu L84 über die ‚Alten‘ und die Modernen. Vgl. zu diesem Gedanken A146 und das Gespräch über die Poesie (1800; KFSA2, S.334f.). -Eichner, KFSA16, S.539. 33: 99,40 Für das höchste Schöne !…" Schranke sein] Siehe Anm. 32,4 zu A108 (‚schön‘) und vgl. FPL [V] 50 über das „höchste Schöne“. 34: 99,41 Die Plastik der wilden Nationen !…" Naturplastik] Vgl. FPL [V] 269 und siehe Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘). 35: 100,2 Jede Kunstart soll nothwendig sein !…" classisch] Siehe Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘) und 98,26–28 zu FPL [V] 18 über die Postulate der Form ‚alles a soll x werden‘. 35: 100,4 consequente Gattung] Siehe Anm. 22,8f. zu A4 (‚Gattungen‘). 35: 100,5f. die Vereinigung aller Künste] Vgl. zum Gedanken der Einheit Novalis, Lg16 (Ende), Schelling, AEN4 und Hülsen, H59. 36: 100,7f. Nicht die Kunst, sondern der musikalisch[e] Enthus.[iasmus] macht d[en] Künstler] Siehe Anm. 9,11 zu L5 über die musikalische Metaphorik der frühromantischen Fragmente und 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘). Aus dieser Aufzeichnung ist L63 hervorgegangen. 37: 100,9f. die Eintheil[ung] lyr.[isch] [episch] und  [dramatisch]] Siehe Anm. 20,20 zu L119 (‚lyrisch‘), 20,31 zu L121 (‚Epos‘) und 13,19f. zu L45 (‚Drama‘). 38: 100,11f. Im Episch[en] !…" rhetorisch] Siehe Anm. 20,31 zu L121 (‚Epos‘) und 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘). 39: 100,13f. Das Große und Erhabne in der [Kritik] !…" praktisch[e] Abstraction] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), vgl. A121, FPL [III] 84, [V] 85, 626, PhL [II] 82, 133 und 738 zur ‚praktischen Abstraktion‘. -- Schillemeit, S.148–155. 40: 100,15f. Alle Prosa ist poetisch !…" eigentl[ich] Prosa] Siehe Anm. 98,18–21 zu FPL [V] 14 (‚poetische Prosa‘) und 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘). 41: 100,17 Die Gesetze des prosaisch[en] Numerus] Numerus nennt die Rhetorik die (regelmäßige) Abfolge langer und kurzer Silben (Lausberg, §977). 42: 100,19f. Der romant.[ische] Dichter muß !…" rhetorisch sein] Siehe Anm. 13,30 zu L49 (‚romantisch‘), 10,2 zu L13 (‚klassisch‘) und 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘). Vgl. FPL [V] 311, 336, aber auch A36. 44: 100,23–26 Im antithetische[n] Styl !…" flüssig gemacht werden] Siehe Anm. 18,25 zu L104 (‚Styl‘) und 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). Vgl. FPL [V] 115 (letzter Satz). 45: 100,27 Verwandtschaft der Parisos[e], Paromoios, pp mit d[em]

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Reim] Unter Parisose versteht die Rhetorik die parallele Anordnung zweier oder mehrerer ungefähr gleich langer Teilsätze (Lausberg, §719). Der Paromoios ist eine Sonderform der Parisose, die die größtmögliche Entsprechung der Glieder, auch in der Wortwahl, anstrebt (Lausberg, §732). Vgl. auch Schlegels Nachschrift zum Kunsturteil des Dionysios über den Isokrates (1796; KFSA1, S.197). -- Eichner, KFSA16, S.539. 45: 100,28 die Prosa der Griech[en] !…" Die römisch[e] Prosa] Siehe Anm. 13,21 zu L46 über die Griechen und die Römer. 45: 100,30 polit.[ische] Grandiosität] Siehe Anm. 91,24 zu Id101 (‚Politik‘). 45: 100,31  ] Zubereitung, Anordnung, Aufbau. 45: 100,31 Mangel an ethischer Ganzheit] Siehe Anm. 97,28–30 zu FPL [V] 8 (‚ethisch‘), 18,15 zu L103 (‚Ganzheit‘) und vgl. FPL [V] 8 und 17. 46: 100,33 strebt man nach Ganzheit nicht bloß nach Einheit] Siehe Anm. 18,15 zu L103 (‚Ganzheit‘) und vgl. FPL [V] 7 und 8 zum Gegensatz von Ganzheit und Einheit. 47: 100,34f. Sophokleisch[e] vollständig[e] Schönheit !…" Aeschylus d.[as] Urbild] Siehe Anm. 21,12f. zu L125 (Sophokles), 32,4 zu A108 (‚schön‘), 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘), 18,25 zu L104 (‚Styl‘) und vgl. A105 und FPL [V] 51 zu Aischylos. 48: 100,36–39 Wo Zufall ist !…" Rechtfert[igung] der Oper] Siehe Anm. 13,19f. zu L45 (‚Drama‘) und 20,30f. zu L121 (Shakespeare). Vgl. FPL [V] 56. 49: 100,40 Mimus ist mehr und weniger als Poesie] Siehe Anm. 13,17 zu L45 (‚Mimus‘). 50: 101,1f. Wirkung des höchst[en] Schönen] Siehe Anm. 32,4 zu A108 (‚schön‘) und vgl. FPL [V] 33 zum Begriff des ‚höchsten Schönen‘. 51: 101,3 Ist Sh[akspeare]’s Drama nur der Aeschylus der romant.[ischen] Gattung?] Siehe Anm. 20,30f. zu L121 (Shakespeare), 13,19f. zu L45 (‚Drama‘), 13,30 zu L49 (‚romantisch‘) und 22,8f. zu A4 (‚Gattungen‘). Vgl. A105 und FPL [V] 47 zu Aischylos sowie ferner FPL [V] 271 und 1167. -- Eichner, KFSA16, S.539. 52: 101,4 Wichtiger Unterschied der analytisch[en] und synthet.[ischen] [Poesie]] Siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über den Gebrauch chemischer Termini. 53: 101,5f. Der romant.[ische] Witz ist der höchste !…" die sokrat.[ische] Ironie gehört dazu] Siehe Anm. 13,30 zu L49 (‚romantisch‘), 9,23 zu L9 (‚Witz‘), 20,6f. zu L117 (‚Satire‘) und 12,33 zu L42 über die sokratische Ironie. – Von Nr.53 an folgen die Aufzeichnungen im Manuskript ohne Absätze aufeinander; die Abtrennung der einzelnen Fragmente wurde von den Herausgebern der Kritischen Friedrich-Schlegel-Ausgabe vorgenommen. -- Eichner, KFSA16, S.539. 54: 101,7 Antithesen bei Haller[?]] Unsichere Lesung. Vielleicht Albrecht von Haller (1708–1777), Dichter und Naturforscher. 54: 101,7f. (histor[ische]) oft Ersatz der logisch[en] Bestimmtheit] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘) und 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘).

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55: 101,9f. Die Historie ein [epischer] Mimus. Daher das Histor[ische] des Romans] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 20,31 zu L121 (‚Epos‘), 13,17 zu L45 (‚Mimus‘) und 10,34 zu L26 (‚Roman‘). 55: 101,10f. Roman Mischung aller Dichtarten !…" Kunst[poesie]] Zum Roman als Mischgattung siehe Anm. 97,15f. zu FPL [V] 4, ferner 14,29 zu L60 über die Dichtarten, 22,8f. zu A4 (‚Gattungen‘) und 32,33f. zu A116 über Kunst- und Naturpoesie. 56: 101,12 Shak.[speare] der vollendete Mimus] Siehe Anm. 20,30f. zu L121 (Shakespeare) und 13,17 zu L45 (‚Mimus‘); vgl. FPL [V] 48. 57: 101,15f. höchste Vereinigung des Rigorismus und der Liberalität] Siehe Anm. 10,34f. zu L26 (‚liberal‘). 58: 101,17f. Im Romeo und Petrarcha das Antithetische mehr im Stoff, bei d[en] alt[en] Rednern in d[er] Form] Shakespeare (siehe Anm. 20,30f. zu L121), Romeo und Julia. – Zu Petrarca siehe Anm. 20,18 zu L119, ferner 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘), 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘) sowie 16,29f. zu L84 über den Gegensatz der ‚Alten‘ und der Modernen. 59: 101,20f. Bei Herder ist d.[er] synthet.[ische] Klumpen seines Geistes zu Wasser geworden] Vgl. FPL [V] 133 und L32, das aus dieser Aufzeichnung hervorgegangen ist. Mit Herder beschäftigen sich u.a. FPL [V] 136, 148 und 183. 60: 101,22f. Wunderbar die Kraft im Gozzi !…" Zerstörung alles Gemüths] Siehe Anm. 49,18 zu A244 über Gozzi und 63,28f. zu A339 (‚Gemüt‘). 61: 101,24 Die beid[en] gewöhnl[ichen] Einwürfe geg[en] d.[ie] Caricatur] Siehe Anm. 22,12f. zu A5 (‚Karikatur‘). 62: 101,26 Gozzi’s [Poesie] leicht und grob crayonirt] Siehe Anm. 49,18 zu A244 (Gozzi). – Crayoniert: gezeichnet. 62: 101,28 d[em] Aristoph[anes] am ähnlichsten] Siehe Anm. 10,1f. zu L13 über Aristophanes. 62: 101,28 das magisch Wunderbare] Siehe Anm. 49,27–31 zu A246 (‚Magie‘). 63: 101,30 Petrarcha und Bembo’s franz.[ösische] Grundsätze] Siehe Anm. 20,18 zu L119 über Petrarca. – Pietro Bembo (1470–1547), italienischer Humanist. 64: 101,32f. In d[er] alt[en] Tragödie !…" In der [Komödie] mehr] Siehe Anm. 11,3–5 zu L30 (‚Tragödie‘) und 37,29 zu A154 (‚Komödie‘). 65: 101,34f. Als Vorübung zur Rom[antischen] [Poesie] außer der Sat[irischen], auch Idyll[ische] und die [mimische]] Siehe Anm. 13,30 zu L49 (‚romantisch‘), 20,6f. zu L117 (‚Satire‘), 97,15f. zu FPL [V] 4 (‚Idylle‘) und 13,17 zu L45 (‚Mimus‘). 65: 101,36f. Aeußerung der sittlich[en], wissenschaftl[ichen] !…" Bildung] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 65: 101,37–39 Das arabische, romantische, absolute Wunderbare !…" zu einer progressiven Einheit verknüpft] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 10,34 zu L26 (‚Roman‘), 14,29 zu L60 über die Dichtarten, 97,11 zu FPL [V] 3 (‚klassisch und progressiv‘).

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66: 101,40 Das romantisch[e] [Epos] ist eine Art Idylle] Siehe Anm. 13,30 zu L49 (‚romantisch‘), 20,31 zu L121 (‚Epos‘) und 97,15f. zu FPL [V] 4 (‚Idylle‘). 67: 102,1f. Die Werke des Aristoph.[anes] bildnerisch[e] Kunstwerke !…" Gozzi’s Werke brauchen einen Gesichtspunkt] Die Aufzeichnung wurde die Vorstufe zu A244; siehe auch Anm. 40,3 zu A174 über die ‚synästhetischen‘ Vermischung der Künste. 68: 102,3f. Im Pantalone und Truffaldino doch eine sehr feine Schmeichelei d.[es] Venezianisch[en] Volkes] Figuren der Commedia dell’arte. Truffaldino verkörpert den Typus des älteren, geizigen und mißtrauischen, dabei aber immer verliebten Kaufmanns. Pantalone, der diesen Namen seinen roten oder schwarzen Hosen verdankt, ist ein einfältiger Bauer. Beide sprechen venezianischen Dialekt. 69: 102,5 Stufen des Rom[antischen] !…" bei d[en] Alten !…"  [Drama]] Siehe Anm. 13,30 zu L49 (‚romantisch‘), 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘), 20,31 zu L121 (‚Epos‘) und 13,19f. zu L45 (‚Drama‘). 69: 102,6 Anfang des Mischgedichts in Prosa] Im Manuskript irrtümlich „Umfang“ (KFSA16, S.91). Siehe Anm. 97,15f. zu FPL [V] 4 über den Roman als Mischgedicht. 69: 102,6f. myst.[ische] sentim.[entale] Liebe   ] Erotika. – Siehe Anm. 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘), 11,6 zu L31 (‚sentimental‘), 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). 69: 102,8 Don Quixote] Siehe Anm. 64,21 zu A346. 70: 102,9 Sollte nicht die Tragödie überhaupt einmal antiquirt werden?] Siehe Anm. 11,3–5 zu L30 (‚Tragödie‘). 71: 102,10–13 Alle eigentl.[ichen] aesthet.[ischen] Urtheile !…" sehr gewiß] Vgl. Gespräch über die Poesie (1800; KFSA2, S.349), FPL [V] 125, 666 und A282. 72: 102,14 Welche Fehlgriffe tut nicht der [Kritiker]] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 73: 102,17 Das Publicum existirt nur eben so problematisch wie die Kirche] Vgl. L35, zu dem diese Eintragung eine Vorstufe darstellt. 74: 102,18 Annalen der deutsch[en] Litteratur von 1789] „Die Anregung zu den geplanten Annalen der deutschen Literatur verdankte Schlegel wahrscheinlich Georg Forsters Kritischen Annalen der englischen Literatur !1788–1791". Im Anschluß an die lobenden Bemerkungen über diese schrieb Schlegel in seiner Charakteristik Forsters !KFSA2, S.90", ‚Solche kritische Annalen in großem Stil und Gesichtspunkt, wären eins der dringendsten, aber schwerer zu befriedigenden Bedürfnisse der deutschen Literatur.‘“ (Eichner, KFSA16, S.540.) 74: 102,19 Vom Witz./ Theorie des Romans] Zwei weitere Werkpläne. Vgl. FPL [III] 112 und Gespräch über die Poesie (1800; KFSA2, S.337). Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘), 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘) und 10,34 zu L26 (‚Roman‘). 75: 102,20f. Unter allen gelehrten Wolfianern hatte Sulzer wohl am meist[en] Eigenheit] Siehe Anm. 30,4 zu A82 über Christian Wolff. – Johann

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Georg Sulzer (1720–1779), Schweizer Ästhetiker und Popularphilosoph der Aufklärung. 76: 102,22 Dante’s Komödie ist ein Roman] Vgl. zu diesem Gedanken FPL [V] 854 und [IX] 217. Siehe Anm. 13,15f. zu L45 (Dante), 37,29 zu A154 (‚Komödie‘) und 10,34 zu L26 (‚Roman‘). 77: 102,23–25 Künstler, Kenner, Liebhaber !…" aus reinem höhern Cynismus !…" ergötzen wollen pp] Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘), 14,28 zu L59 (‚cynisch‘) und 15,24–27 zu L70 über das Publikum. 78: 102,26f. Großer Unterschied !…" d[er] technisch[en] Objektivität eines Charakters (Sancho und Achilles)] Siehe Anm. 151,17f. zu BL76 (‚Repräsentant‘). – Vgl. zum Begriff der ‚technischen Objektivität‘ im Studium-Aufsatz (KFSA1, S.291 und 314f.). – Sancho Pansa, Don Quijotes Knappe; siehe Anm. 64,21 zu A346 über Cervantes’ Roman. – Achilles war einer der tapfersten griechischen Krieger, der im Trojanischen Krieg fiel. 79: 102,28–32 Nützlichkeit !…" auszufüllen] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘), 97,15f. zu FPL [V] 4 über den Roman als Mischgedicht, 33,40f. zu A119 (‚Genie‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 80: 102,33f. Jedes Kunstwerk !…" muß die Kunst merken lassen] Die Aufzeichnung präfiguriert den Gedanken der Transzendentalpoesie; vgl. A116. 81: 102,35f. Die Personen im Meister !…" bei einer verständigen Fackelbeleuchtung sehn] Siehe Anm. 9,13–15 zu L6 über Goethe und 20,27–29 zu L120 über Wilhelm Meisters Lehrjahre. – Bei Fackelbeleuchtung, die die plastische Wirkung von Statuen erhöht, betrachtete man im 18. Jahrhundert antike Skulpturen. Vgl. zu dieser Modeerscheinung auch die entsprechenden Ausführungen (von Johann Heinrich Meyer) in Goethes Italiänischer Reise (WA I 32, S.148–151). 82: 102,37 Idee einer aesthetisch[en] Casuistik] Siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘). – In der Philosophie ist die Kasuistik ein Teilbereich der Ethik. Sie stellt für die Praxis Gebote für das rechte Handeln bereit. 82: 102,37f. Mystische Deutung d[er] Höflichkeitsconvenienzen] Siehe Anm. 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘). Konvenienzen sind gesellschaftliche Konventionen, (stillschweigende) Übereinkünfte. 83: 102,39f. Im ächt[en] Künstler !…" über das andre] Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘), 14,35 zu L63 (‚Künstler‘), 10,9 zu L16 (‚Willkür‘) und 33,40f. zu A119 (‚Genie‘). – Superiorität: Überlegenheit. – Vgl. FPL [V] 415, 426, L23, A51 und 305. 84: 103,1 bonum dictum] Guter, treffender Ausspruch. 85: 103,3–5 dass moderne Dichter !…" Studien machen werden, wie die Tragödie[n] des Sophokles oder die  des Homer] Vgl. zum Begriff des Studiums (als Werkform) FPL [III] 23, 25, 99, [V] 91, 173, 233, 263, 275, 280, 282, 294, 370, PhL [II] 643, [IV] 511, 623, 785 u. ö. Siehe Anm. 11,3–5 zu L30 (‚Tragödie‘), 21,12f. zu L125 (Sophokles) und 36,35f. zu A145 (Homer). –  , Epen (siehe Anm. 20,31 zu L121). 85: 103,5 d.[er] dazu erfoderliche Grad von praktischer Abstraction] Siehe Anm. 100,13f. zu FPL [V] 39 (‚praktische Abstraktion‘).

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85: 103,6f. Darstellungsmittel zur class.[ischen] Kunst] Siehe Anm. 184,1–5 zu FSt633 (‚Darstellung‘) und 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). 86: 103,8f. Sh.[akspeare’s] Trauerspiele sind gemischt aus d[er] class.[ischen] Trag[ödie] und d[em] Roman]] Siehe Anm. 20,30f. zu L121 (Shakespeare), 11,12–15 zu L32 über chemische bzw. naturwissenschaftliche Begriffe und Vorstellungen wie ‚mischen‘, ferner 10,2 zu L13 (‚klassisch‘), 11,3–5 zu L30 (‚Tragödie‘) und 10,34 zu L26 (‚Roman‘). Vgl. zum romanhaften Charakter der Shakespeareschen Dramen FPL [V] 359, 507, 707 und Herder, Humanitätsbriefe (1796; HE18, S.107f.). -- Eichner, KFSA16, S.540f. 87: 103,10 Ist die Kunst wie der Staat bloß Mittel?] Dieser Satz ist fast identisch mit FPL [V] 191. 88: 103,11f. Es giebt eine Art von Witz !…" Nicht so der römisch[e]] Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘), 59,30 zu A324 über Voltaire und 13,21 zu L46 über die Römer. Vgl. auch L126 über den römischen Witz. 89: 103,13–15 Compacte Combinazionen !…" Stoff des Witzes ohne die Form desselben] Siehe Anm. 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘), 11,12–15 zu L32 über Schlegels chemische Metaphorik, 12,32 zu L42 (‚Urbanität‘) und 9,23 zu L9 (‚Witz‘). 90: 103,16 Die class.[ischen] Dichter !…" synthetisch und analytisch] Siehe Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘) und 11,12–15 zu L32 über den Gebrauch chemischer Metaphern in den Fragmenten der Frühromantiker. 91: 103,17 Bild eines über-Goethisch[en] Dichters!…" Studium pp] Ein Werkplan. Siehe Anm. 9,13–15 zu L6 über Goethe und 103,3–5 zu FPL [V] 85 (‚Studium‘). 92: 103,18f. So wie es das Ziel der W[issen]sch[aft] ist, K[unst] zu !…" werden] Aus dieser Notiz ist L115 hervorgegangen (siehe Anm. 19,41f. hierzu); vgl. auch FPL [V] 99 und 110. 93: 103,20–24 [Philosophie] lehrte d[en] Künstler !…" kennen lehren] Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘), 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘) und 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘). 94: 103,25–27 Es giebt eine Art analytisch zu empfangen !…" construirt werden] Siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über die Begriffe ‚analytisch‘ und ‚synthetisch‘ sowie 117,30 zu PhL [II] 185 (‚Konstruktion‘). 95: 103,28f. Horatius ist doch kein solcher Geschmacksschreiber, wie Boileau und Addison !…" wollten] Siehe Anm. 20,24f. zu L119 über Horaz. – Nicolas Boileau(-Despréaux) (1636–1711) faßt in seiner Art poétique (1674) die Kunstgesetze des französischen Klassizismus bündig zusammen. – Joseph Addison (1672–1719), englischer Diplomat, Essayist und Dichter. 96: 103,30–33 Die Geschichte der progressiven Poesie !…" folgern] Siehe Anm. 97,11 zu FPL [V] 3 (‚progressive Poesie‘), 34,4 zu A121 (‚Idee‘) und 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). -- Michel, Ästhetische Hermeneutik, S.56f. 97: 103,34–36 Da das Schicksal !…" Komödie] Siehe Anm. 11,6 zu L31 (‚sentimental‘), 11,3–5 zu L30 (‚Tragödie‘), 10,9 zu L16 (‚Willkür‘), 47,30 zu A232 (‚Gott‘), 10,2 zu L13 (‚klassisch‘) und 37,29 zu A154 (‚Komödie‘). Die Aufzeichnung stellt eine Vorstufe zu L30 dar.

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98: 103,37f. Es sind zur Approximazion zur höchst[en] Komödie !…" in der progressiven Poesie] Approximation: Annäherung. – Siehe Anm. 37,29 zu A154 (‚Komödie‘) und 97,11 zu FPL [V] 3 (‚progressive Poesie‘). 98: 103,38 Palingenesie] Wiedergeburt. 99: 103,40f. In d[er] mod[ernen] [Poesie] !…" Wissenschaft zu werden] Vgl. FPL [V] 92 und 110. Siehe Anm. 19,41f. zu L115 über die von den Frühromantikern postulierte wechselseitige Annäherung von Kunst und Wissenschaft. 100: 104,1 Prosa ist d[er]z[ei]t noch nicht Kunst] Schlegels knappe Notiz beleuchtet schlaglichtartig den Paradigmenwechsel, der um 1800 in Dichtung und Dichtungstheorie sichtbar wurde: Die herkömmliche Trias der Dichtarten – (Vers-)Epos, Drama und Lyrik –, in der Prosaformen wie der Roman nicht berücksichtigt wurden, wurde allmählich vom Konzept der literarischen Gattungen abgelöst, das auf der Einteilung in epische, dramatische und lyrische Texte beruht. Vgl. FPL [V] 4 und zur Prosa u.a. auch A395, 436, Novalis, Vorarbeiten 51, 96, FuS360, 364 und siehe Anm. 98,18–21 zu FPL [V] 14 (‚poetische Prosa‘). 101: 104,2f. Pedanterie mit d[em] Buchstaben d[es] Alterthums !…" wenn man auch d[en] Geist hat] Siehe Anm. 15,16 zu L69 (‚Geist und Buchstabe‘) und 13,5f. zu L44 (‚Altertum‘). Vgl. FPL [V] 105. 102: 104,4 Die deutsch[e] [Poesie] moralischer als irgend eine andre] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 103: 104,6 Die meist[en] Romane sind nur Compendien der Individualität] Siehe Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘) und 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). Diesen Satz hat Schlegel zu L78 umgearbeitet. Vgl. auch FPL [V] 576 und Gespräch über die Poesie (1800; KFSA2, S.337). 104: 104,7–9 Warum sollte es denn nicht auch immoralisch[e] Mensch[en] geben !…" tolerirt werden] Aus dieser Notiz ist A272 hervorgegangen. Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘) und 91,24 zu Id101 (‚Politik‘). 105: 104,10f. Klopstock ist !…" lyrischer Dichter; so unepisch als man nur sein kann] Siehe Anm. 35,9 zu A127 (Klopstock), 20,20 zu L119 (‚Lyrik‘) und 20,31 zu L121 (‚Epos‘). 105: 104,11f. Kl.[opstock] hat d[en] Buchstaben des Alterthums mehr als Goethe, d[en] Geist mehr als Voß] Siehe Anm. 15,16 zu L69 (‚Geist und Buchstabe‘), 13,5f. zu L44 (‚Altertum‘), 9,13–15 zu L6 (Goethe) und 19,34 zu L113 (Voß). Vgl. FPL [V] 101. 106: 104,13–15 Sollte es nicht ein Dichtungswerk geben !…" universell und progressiv?] Siehe Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘), 37,29 zu A154 (‚Komödie‘), 38,13 zu A162 (‚Mythologie‘), 15,16 zu L69 (‚Geist und Buchstabe‘), 83,15 zu A451 (‚Universalität‘) und 97,11 zu FPL [V] 3 (‚klassisch und progressiv‘). 107: 104,16f. Wer Fantasie hat !…" einen Roman schreibt] Siehe Anm. 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘) und 10,34 zu L26 (‚Roman‘). Diese Aufzeichnung bildet die Vorstufe zu A250. Vgl. A321 zum Postulat des Künstlertums eines jeden Menschen und siehe dazu Anm. 59,16f. 108: 104,18f. Im Pathos übertrifft Sh.[akspeare] alle Alten !…" Natur[poesie]] Siehe Anm. 20,30f. zu L121 (Shakespeare), 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘), 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘) und 22,9f. zu A4 (‚Naturpoesie‘).

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109: 104,22 Klops.[tocks] Messias] Epische Dichtung in zwanzig Gesängen (1748–1773); siehe Anm. 35,9 zu A127 (Klopstock). 110: 104,27 daß die Kunst Wissenschaft werden soll] Vgl. FPL [V] 92, 99, L115 und siehe Anm. 19,41f. hierzu. 111: 104,29f. Die Alten können !…" in d[em] Classischen selbst übertroffen werden] Siehe Anm. 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘) und 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). Vgl. FPL [V] 243. 112: 104,31 Wie viel mehr ist nicht Sakontala werth als Ossian] Sakuntala oder der entscheidende Ring, Drama des indischen Dichters Kalidasa (5.Jh. n.Chr.; 1791 deutsch von Georg Forster). Siehe Anm. 140,12f. zu PhL [XI] 195 über die Indien-Begeisterung der Romantiker. – Unter dem Namen Ossians, einer irischen Sagengestalt, veröffentlichte der schottische Dichter James Macpherson (1736–1796) ab 1760 seine eigene empfindsame Naturdichtung. 113: 104,33 Klopst[ock] !!zugl[eich]"" ein christl.[icher] Ovid und Statius (Lucanus)] Siehe Anm. 35,9 zu A127 über Klopstock und vgl. FPL [V] 109 zu seinem Messias (1748–1773). – Schlegel denkt hier wohl an Ovids Metamorphosen. – Publius Papinius Statius (ca. 40 – ca. 96 n.Chr.), römischer Epiker. – Der lateinische Dichter Marcus Aennaeus Lucanus (39–65 n.Chr.) verfaßte u.a. ein Epos über den römischen Bürgerkrieg (Pharsalia), eine Dichtung über die Unterwelt (Katachthonion) und Saturnalia. 114: 104,34f. In 10 Jahren müssen Schillers [Philosopheme] !…" Garve’s] Während im ‚Athenäum‘ der Name Schiller und selbst jede Anspielung auf ihn geflissentlich vermieden wurde, (vgl. in der Einleitung zu den ‚Athenäums‘-Fragmenten den Abschnitt „Entstehung“) äußert sich Friedrich Schlegel in seinen Notizheften öfters, zumeist kritisch oder polemisch, über Schiller (z.B. FPL [V] 121, 131, 136, 146, 152, 157, 170, 184, 194, 273, 300, 316, 406 u. ö.). Siehe Anm. 58,39f. zu A317 über Garve. -- Härtl, S.255–259; Günter Oesterle, Friedrich Schiller und die Brüder Schlegel. In: ‚Monatshefte‘ 97 (2003), H.3, S.461–467. 115: 104,36 Goethe’s schlechte Idee vom Roman] Siehe Anm. 9,13–15 zu L6 (Goethe), 34,4 zu A121 (‚Idee‘) und 10,34 zu L26 (‚Roman‘). Im Unterschied zu den publizierten Fragmentsammlungen, die in enthusiastischem Ton von Goethe sprechen, finden sich in Schlegels privaten Aufzeichnungen auch kritische Bemerkungen über ihn (z.B. FPL [V] 123 und PhL [I] 92). – Vgl. FPL [V] 326 über die Intrige im Roman. 115: 104,37f. daß der Held ein Schwachmatikus sein muß, daß der Tom Jones ein guter Roman sein soll] Schlegel bezieht sich hier vermutlich auf eine Passage in Goethes Wilhelm Meister: „Der Romanheld muß leidend, wenigstens nicht im hohen Grade wirkend sein; von dem dramatischen verlangt man Wirkung und That. Grandison, Clarisse, Pamela, der Landpriester von Wakefield, Tom Jones selbst sind, wo nicht leidende, doch retardirende Personen, und alle Begebenheiten werden gewissermaßen nach ihren Gesinnungen gemodelt“ (WA I 22, S.178). – Henry Fielding, Tom Jones, (1749; deutsch 1771). -- Eichner, KFSA16, S.542. 115: 104,38f. Er geht überhaupt bei Aufsuchung des Geistes der Dicht-

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arten empirisch zu Werke] Siehe Anm. 14,29 zu L60 über die Dichtarten und 46,39 zu A226 (‚Empirie‘). Vgl. zu Goethe als Empiriker auch FPL [V] 232. 115: 104,40f. G.[oethe] hat die Ecken aller Dichtarten abgeschliffen] Vgl. FPL [V] 44. 116: 105,1 Verzeichniß negativer Classiker zur Theorie des Häßlichen] Siehe Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘) und 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘). Vgl. zur „Theorie des Häßlichen“ die entsprechende Passage im Studium-Aufsatz (KFSA1, S.311–314). 117: 105,2 Es wird nun einmal recensirt] Siehe Anm. 81,40–42 zu A439 (‚Rezension‘). 118: 105,5 Voß hat einen recht dicken, breiten, empirisch[en] Buchstabendünkel] Siehe Anm. 19,34 zu L113 über Voß und 46,39 zu A226 (‚Empirie‘). 119: 105,6 Es gibt auch einen Naturwitz wie einen Kunstwitz] Siehe Anm. 9,1 zu L1 über das Verhältnis von Natur und Kunst sowie 9,23 zu L9 (‚Witz‘). 120: 105,7 Wenn es Dichtarten geben soll] Siehe Anm. 14,29 zu L60 über die Dichtarten und vgl. L62. 121: 105,9 Schillers Blei halten s.[eine] Freunde für Tiefe] Siehe Anm. 104,34f. zu FPL [V] 114 über Schiller. 122: 105,11 Garve ist nichts ganz] Siehe Anm. 58,39f. zu A317 über Garve. 123: 105,12–15 Nicht aus Goethescher (Heuchler)toleranz !…" bleiben] Siehe Anm. 9,13–15 zu L6 und 104,36 zu FPL [V] 115 über Goethe, 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 124: 105,16f. Das Schöne ist eben so wohl angenehme Erscheinung d[es] Wahren !…" als des Guten] In Anlehnung an (aber auch im Widerspruch zu) Kants Bestimmung des Schönen als „Symbol des Sittlichguten“ in der Kritik der Urteilskraft (21793; KA10, S. B258; vgl. A336 und siehe Anm. 62,21 dazu) faßt Friedrich Schlegel im Studium-Aufsatz das Schöne als die „angenehme Erscheinung des Guten“ (KFSA1, S.288 und 311) auf. Siehe Anm. 32,4 zu A108 (‚schön‘). -- Eichner, KFSA16, S.542. 125: 105,18 Nur das Classische oder Progressive verdient kritisirt zu werden] Siehe Anm. 97,11 zu FPL [V] 3 (‚klassisch und progressiv‘) sowie 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 126: 105,19–23 Die kritisch[e] Gesellschaft !…" Pasquillanten] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 91,24 zu Id101 (‚Politik‘) und 14,28 zu L59 (‚cynisch‘). – Pasquillanten sind Verfasser oder Verbreiter von Schmäh- und Spottschriften. -- Michel, Ästhetische Hermeneutik, S.72. 127: 105,25 Woltmanns Historie ist eine Elfin] Der Jenaer Historiker Karl Ludwig Woltmann (1770–1817) hatte 1796 in Schillers ‚Horen‘ einen Aufsatz über Theoderich, König der Ostgoten veröffentlicht, den Friedrich Schlegel in seiner Rezension dieser Zeitschrift als Plagiat entlarvte. (KFSA2, S.38–41 und ergänzend die Erklärung und Gegenerklärung Woltmanns und Schlegels ebd., S.420–422.) Vgl. FPL [V] 499 und Schlegels Besprechung von Schillers Musenalmanach für das Jahr 1796, in der es über Woltmann heißt: „Übrigens ist er

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seiner alten Vorliebe für die Elfen treu geblieben“ (KFSA2, S.7). – Elfen waren ursprünglich niedere Naturgeister mit dämonischen Zügen. -- Bächtold-Stäubli 2, Sp.758–761 (‚Elben‘); Eichner, KFSA16, S.542. 128: 105,26f. von der französ.[ischen] universellen Flachheit] Siehe Anm. 13,12f. zu L45 über die Franzosen. 129: 105,28f. Mangel an Urtheil !…" Kant, Fichte] Siehe Anm. 10,12 zu L16 über Kant sowie 36,1 zu A137 und 113,32 zu PhL [II] 131 über Fichte. 130: 105,30–33 In der Schrift vom Witz eine Apologie des Cicero !…" Kritischer Allmanach] Siehe Anm. 98,22 zu FPL [V] 15 über diesen Werkplan, ferner 37,1f. zu A146 (Cicero) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). Bei dem hier genannten ‚Kritischen Almanach‘ handelt es sich ebenfalls um ein von Schlegel geplantes Werk. Die Aufzeichnung stellt eine Vorstufe zu A152 dar. 131: 105,34–36 Ein rein polem.[isches] Werk !…" im guten Sinn] Siehe Anm. 16,19 zu L81 (‚Polemik‘), 24,16f. zu A22 (‚progressiv‘), 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘), 15,2 zu L66 (Reinhold) und 104,34f. zu FPL [V] 114 (Schiller). 132: 105,37 »   »«’   ist Garve’s Motto] „Bleibe nüchtern und vergiß nicht, mißtrauisch zu sein“. Eine von antiken Schriftstellern häufig zitierte Lebensweisheit des Epicharmos (540–460 v.Chr.). (Vgl. Leben und Schriften des Koers Epicharmos. Nebst einer Fragmentsammlung, hg. von August Lorenz, Berlin 1864, S.260.) – Siehe Anm. 58,39f. zu A317 über Garve. -Eichner, KFSA16, S.542. 133: 105,38f. Herder schrieb anfangs zäh, voll und klümpricht !…" verderbet] Vgl. FPL [V] 59, L32 über die ‚Auflösung‘ von Autoren und siehe Anm. 11,12–15 dazu. 134: 106,2 Goethe selbst, er ganz] Siehe Anm. 9,13–15 zu L6. 135: 106,5 Manch[e] gutmeinend[e] Kritiker] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 136: 106,7–10 Herder ist d[er] vornehmste aller Volksdichter !…" das Ideal] Die Aufzeichnung bezieht sich wohl auf Herders Sammlung Volkslieder nebst untermischten anderen Stücken (1778/79). Siehe Anm. 101,20f. zu FPL [V] 59 über Herder, 12,16f. zu L38 (‚Deutschheit‘), 22,9f. zu A4 (‚Naturpoesie‘), 35,9 zu A127 über Klopstock, 9,13–15 zu L6 über Goethe, 104,34f. zu FPL [V] 114 über Schiller, 75,3 zu A412 (‚Ideal‘) und 9,1 zu L1 über das Verhältnis zwischen Natur und Kunst. 137: 106,11f. Der Roman tendenzirt zur Parekbase !…" etwas humoristisches hat] Siehe Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘) und 48,10f. zu A237 (‚Humor‘). – Parekbase, „Heraustreten“, heißt in der antiken Komödie eine Unterbrechung der Bühnenhandlung, die dem Chor Gelegenheit für eine satirische Ansprache an das Publikum gibt. Vgl. zu diesem dramatischen Element auch FPL [V] 385, PhL [II] 668 und Schlegels Geschichte der europäischen Literatur (1803/4; KFSA11, S.88). -- Behler, Ironie, S.79f.; Cometa, S.34f.; Eichner, KFSA16, S.542; Härter, S.243f.; Ralf Simon, Romantische Vedopplungen – komische Verwechslungen. Von der romantischen Reflexionsphilosophie über die Verwechslungskomödie zur Posse und zurück. In: Das romantische Drama. Produktive Synthese zwischen Tradition und Innovation, hg. von Uwe Japp,

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Stefan Scherer und Claudia Stockinger, Tübingen 2000, S.259–280, hier S.259–266. 138: 106,13f. Im Humor ist ein Schein von Willkührlichkeit !…" gründen muß] Siehe Anm. 48,10f. zu A237 (‚Humor‘) und 10,9 zu L16 (‚Willkür‘). Vgl. L67, FPL [V] 537 und Novalis, BL29. 139: 106,15 Antiquarische Briefe] Ein Werkplan. 140: 106,16–18 Der Tadel der class.[ischen] [Philosophie] !…" der modernen Poesie] Siehe Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘), 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Poesie und Philosophie sowie 97,11 zu FPL [V] 3 (‚progressive Poesie‘). 141: 106,19–24 An den mimischen Virtuosen !…" darstellen] Siehe Anm. 13,17 zu L45 (‚Mimus, mimisch‘), 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 10,2 zu L13 (‚klassisch‘), 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 14,35 zu L63 (‚Künstler‘). 142: 106,25f. Sentimentalität !…" unendlich interessant] Siehe Anm. 11,6 zu L31 (‚sentimental‘), 13,26 zu L47 (‚unendlich‘) und 20,30f. zu L121 (Shakespeare). Vgl. FPL [V] 150. 143: 106,27f. Bildungsverhältnisse und Stufe[n] !…" Gränzen] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). 144: 106,29–32 Die Kunst geht durch alle Gebiete !…" bleibende Werke bilden] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 97,28–30 zu FPL [V] 8 (‚ethisch‘), 91,24 zu Id101 (‚Politik‘), 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 145: 106,33f. Styl ist !…" Manier bloß individuelle, unhistorische] Siehe Anm. 18,25 zu L104 (‚Styl‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 97,11 zu FPL [V] 3 (‚klassisch und progressiv‘), 9,16f. zu L7 und 16,28 zu L83 (‚Manier‘) sowie 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). Vgl. hierzu Goethes Aufsatz Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil (1789; WA I 47, S.77–83). 146: 106,35f. Alles was auf dem Gegensatz von Schein und Wirklichkeit beruht !…" ist nicht rein poetisch] Siehe Anm. 98,26–28 zu FPL [V] 18 über Schlegels sogenannte Allsätze, 58,33f. zu A315 (‚Elegie‘) und 104,34f. zu FPL [V] 114 über Schiller. In Schillers Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung (1795) beruht das Elegische auf dem Gegensatz von Ideal und Wirklichkeit (NA20, S.448f.) -- Eichner, KFSA16, S.542. 147: 106,37f. Das Fundament der Metrik ist d[er] Imperativ die Poesie möglichst zu musiciren !…" plastisiren] Siehe Anm. 9,11 zu L5 über die musikalische Metaphorik in den Fragmenten der Romantiker und 40,3 zu A174 über die ‚synästhetische‘ Vermischung der Künste; vgl. FPL [V] 231. 148: 106,39f. Das ist sehr bornirt und illiberal von Herder dass er Sulla, Fichte, und die Erbsünde nicht leiden kann!] Siehe Anm. 10,34f. zu L26 (‚liberal‘), 101,20f. zu FPL [V] 59 über Herder und 36,1 zu A137 über Fichte. – Lucius Cornelius Sulla (138–78 v.Chr.), römischer Staatsmann und Feldherr, der mit diktatorischer Vollmacht ausgestattet die schwindende Machtposition des Senats wiederherstellte; Sulla griff dabei zu brutalen Mitteln wie der Proskription seiner Gegner. Über ihn äußert sich Herder in den Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (3. Teil, 1787; HE18, S.269) negativ. Die Verbindung zur Erb-

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sünde stellte Friedrich Schlegel vielleicht aufgrund der Humanitätsbriefe (1796; HE18, S.295) her. Allerdings bezieht Herder die „Hypothese von einer radicalen bösen Grundkraft im menschlichen Gemüth und Willen“, der er „durchaus nichts Gutes abgewinnen“ kann, ausdrücklich nicht auf die Erbsünde. Zu Fichte hatte sich Herder zum Zeitpunkt, als diese Notiz entstand, noch nicht öffentlich geäußert. -- Eichner, KFSA16, S.543. 149: 107,1–3 Die Opera buffa hat vor d[er] alt[en] Komödie !…" wahre Natur [poesie]] Opera buffa heißt die komische Oper italienischer Provenienz, die an das Stegreifspiel und an die typisierten Figuren der Commedia dell’arte anknüpft. – Siehe Anm. 37,29 zu A154 (‚Komödie‘), 22,9f. zu A4 (‚Naturpoesie‘) und 106,11f. zu FPL [V] 137 (‚Parekbase‘). – Die Lesung „k[ün]stl[erische]“ ist unsicher; vielleicht ist auch „d[er]gl[eichen]“ zu lesen. -- Eichner, KFSA16, S.543. 150: 107,4–6 Die class.[ische] [Poesie] hat sich !…" selbst annihilirt !…" die progressive] Siehe Anm. 97,11 zu FPL [V] 3 (‚klassisch und progressiv‘) und 31,21–24 zu A103 (‚annihilieren‘). 150: 107,4f. die sentimentale des Sh.[akspeare]] Siehe Anm. 97,12 zu FPL [V] 3 über Shakespeare als sentimentalen Dichter. 150: 107,5–7 die progressive !…" selbstvernichtet sich wohl oft, aber selbstschafft sich auch gleich wieder] Siehe Anm. 10,39f. zu L28 über ‚Selbstschöpfung‘ und ‚Selbstvernichtung‘. -- Eichner, KFSA16, S.543. 151: 107,8f. Das absolut fantastische !…" zum episch[en] Roman] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘), 20,31 zu L121 (‚Epos‘) und 10,34 zu L26 (‚Roman‘). 152: 107,10–12 Schiller ist ein rhetorischer Sentimentalist voll polemischer Heftigkeit !…" regreßirte] Siehe Anm. 104,34f. zu FPL [V] 114 zu Schiller, 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘), 11,6 zu L31 (‚sentimental‘) und 16,19 zu L81 (‚Polemik‘). Vgl. PhL [II] 364. 153: 107,13–15 Giebts nicht auch eine kritisch[e] !…" Prosa?] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 28,15 zu A66 (‚skeptisch‘), 16,19 zu L81 (‚Polemik‘), 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘), 20,31 zu L121 (‚Epos‘), 20,20 zu L119 (‚lyrisch‘), 13,19f. zu L45 (‚Drama‘), 97,15f. zu FPL [V] 4 (‚Idylle‘) und 20,6f. zu L117 (‚Satire‘). Vgl. auch FPL [V] 18 und 599, in denen Schlegel ebenfalls mit Möglichkeiten einer Klassifizierung der Prosa experimentiert. 154: 107,16 Did.[erot’s] Religieuse] Vgl. zu Diderot L3; sein Briefroman La Religieuse entstand 1760, wurde aber erst 1796 posthum veröffentlicht. 154: 107,16–18 Auch die Darstellung !…" Proleg.[omena] des Romans] Siehe Anm. 184,1–5 zu FSt633 (‚Darstellung‘) und 10,34 zu L26 (‚Roman‘). – Prolegomena sind einleitende Bemerkungen, Vorbemerkungern. Vgl. FPL [V] 277, 389 und A124. 155: 107,19f. Hermann das herzlichste !…" aller Goethesch[en] Gedichte] Siehe Anm. 22,14 zu A6 über Goethes Versepos Hermann und Dorothea. 156: 107,21 Manche Werke sind weniger ganz als Einfälle] Vgl. L103, das aus dieser Notiz hervorgegangen ist. 157: 107,22f. Sulzer !…" Schiller] Siehe Anm. 102,20f. zu FPL [V] 75

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(Sulzer), 37,9f. zu A149 (Winckelmann), 14,37f. zu L64 (Lessing), 35,18 zu A130 (Moritz), 101,20f. zu FPL [V] 59 (Herder), 10,12 zu L16 (Kant) und 104,34f. zu FPL [V] 114 (Schiller). 158: 107,24 Hermann und Dorothea ein romantisirtes Epos !…" idyllisirt] Siehe Anm. 22,14 zu A6 über Goethes Hermann und Dorothea, 35,7 zu A126 (‚romantisieren‘), 20,31 zu L121 (‚Epos‘) und 97,15f. zu FPL [V] 4 (‚Idylle‘). Vgl. Friedrich Schlegels Brief an Hardenberg, 26.8.1797 (KFSA24, S.8f.) und FPL [V] 490. 159: 107,25 Goethe steht !…" zwischen van der Werff und Raphael] Siehe Anm. 9,13–15 zu L6 (Goethe) und 40,17f. zu A178 (Raffael). – Adrian van der Werff (1659–1722), niederländischer Maler. 160: 107,26f. Zweifel ob die Engländer !…" [Kritiker] des Auslandes] Siehe Anm. 13,30f. zu L49 über die Engländer und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). Den Plan einer ‚komischen Auswahl‘ hat Schlegel nicht weiter verfolgt. 161: 107,28f. Ist nicht in d[en] allegorischen Personen !…" die d.[er] vollendete Roman bedarf?] Siehe Anm. 14,1 zu L53 (‚Allegorie‘), 78,42 zu A427 (‚Mysterien‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘) und 10,34 zu L26 (‚Roman‘). 162: 107,30 Der vollkommen[e] Roman muß wohl auch ein Epos sein] Siehe Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘) und 20,31 zu L121 (‚Epos‘). 162: 107,30f. d.h. classisch[e] und universelle Natur[poesie]] Siehe Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘), 83,15 zu A451 (‚Universalität‘) und 22,9f. zu A4 (‚Naturpoesie‘). 162: 107,31 Melos] Lied, Gesang. 162: 107,32 Individualität und Publikum] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 15,24–27 zu L70 über das Publikum. 162: 107,32f. approximiren] Annähern. 163: 107,34 Die Alten stellten !…" das Empirische dar] Siehe Anm. 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘), 184,1–5 zu FSt633 (‚Darstellung‘) und 46,39 zu A226 (‚Empirie‘). 163: 107,34f. keinen Sokrates pp Diotima !…" Sophokles] Siehe Anm. 10,34 zu L26 (Sokrates) und 21,12f. zu L125 (Sophokles). – Diotima, Priesterin in Mantinea. In Platos Symposion (201dff.) berichtet Sokrates, Diotimas Unterweisung habe ihn zum wahren Eros und zur Schau der Ideen geführt. Vgl. Schlegels Aufsatz Über die Diotima (1795; KFSA1, S.70–115). – Vgl. L125, das aus dieser Notiz hervorgegangen ist. -- Wb Antike, S.161. 163: 107,34f. Die Alten !…" Die Modernen] Siehe Anm. 16,29f. zu L84. 163: 107,36f. Die directe Darstellung des Absoluten in der [Poesie]] Siehe Anm. 184,1–5 zu FSt633 (‚Darstellung‘) und 21,4 zu L123 (‚absolut‘). 164: 107,39–41 Die eigentlichen Dramen !…" gleich zu machen] Siehe Anm. 13,19f. zu L45 (‚Drama‘), 10,2 zu L13 (‚klassisch‘), 15,32f. zu L73 (‚übersetzen‘) und 16,29f. zu L84 über den Gegensatz der ‚Alten‘ und der Modernen. Vgl. Geschichte der alten und neuen Literatur (1815; KFSA6, S.288): „Überhaupt kann es im höheren Drama und Trauerspiel, keine für alle Nationen gültige Norm geben !…" Für das Trauerspiel und höhere Drama wenigstens muß, weil es

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so ganz mit dem innern Leben und eigentümlichen Gefühl zusammenhängt, jede Nation sich selbst die Regel geben und ihre Form erfinden.“ -- Eichner, KFSA16, S.544. 165: 108,1 Sh[akspeare], sagt Johnson, schrieb without rules] Z.B. in Johnsons Preface to Shakespeare (1765). Siehe Anm. 20,30f. zu L121 über Shakespeare und 20,38 zu L122 über Johnson. – Without rules: ohne Regeln. -Eichner, KFSA16, S.544. 166: 108,3f. Unterschied zwischen der Unpoesie von Johnson von Fichte und von mir] Siehe Anm. 20,38 zu L 122 (Johnson) und 36,1 zu A 137 (Fichte). 167: 108,5–7 Alles Provinzielle !…" universell sein] Siehe Anm. 10,2 zu L 13 (‚klassisch‘), 83,15 zu A 451 (‚Universalität‘) und 98,26–28 zu FPL [V] 18 über Schlegels ‚Allsätze‘. Vgl. auch PhL [V] 174 über die „modernen Klassiker“. 168: 108,8–11 In der kritisch[en] Prosa !…" Theorie der Prosa] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘), 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘), 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 20,6f. zu L117 (‚Satire‘), 97,15f. zu FPL [V] 4 (‚Idylle‘), 13,17 zu L45 (‚Mimus‘), 10,2 zu L13 (‚klassisch‘), 13,30 zu L49 (‚romantisch‘), 18,25 zu L104 (‚Styl‘) und 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘). 169: 108,12f. Wer seine Sprache weiter bringt, sie wahrhaft bildet !…" veralten] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 10,2 zu L13 (‚klassisch‘); vgl. auch L60. 170: 108,14 Aehnlichkeit zwisch[en] Dryden und Schiller] John Dryden (1631–1700), englischer Dichter. – Siehe Anm. 104,34f. zu FPL [V] 114 über Schiller. 171: 108,15 Läßt sich auch das Schöne befördern?] Siehe Anm. 32,4 zu A108 (‚schön‘). Diese Frage bezieht sich vielleicht auf folgende Stelle im Wilhelm Meister: „Wenn einer nur das Schöne, der andere nur das Nützliche befördert, so machen sie beide zusammen erst einen Menschen aus !…" Das Schöne muß befördert werden, denn wenige stellen’s dar, und viele bedürfen’s“ (WA I 23, S.217). -- Eichner, KFSA16, S.544. 172: 108,20 Shakesp[ear] ist correct] Siehe Anm. 20,30f. zu L121 (Shakespeare) und 50,34 zu A253 (‚korrekt‘); vgl. FPL [V] 176 und 179. Stud 173: 108,21 — [Absolutes Studium] ist das Princip der Kritik] Die – o mathematisch unzulässige – Division durch 0 erscheint in Schlegels Fragmenten 

an Stelle der komplizierteren Schreibweise lim —. Damit greift das romantische nfo n Denken auf die Symbolsprache der Infinitesimalrechnung zurück, deren Operationen Folgen von Größen bestimmen, die gegen unendlich streben. Daß Schlegels Gedankenwelt durch mathematische Strukturen und Verfahren entscheidend geformt wurde, lassen zahlreiche Formeln in seinen Notizheften erkennen; vgl. z.B. FPL [III] 103f., [IV] 202, [V] 181, 199, 248, 251, 370, 952, PhL [II] 138, 159, 167, 173, 188, 203, [IV] 34, 66, 721 u. ö. Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 103,3–5 zu FPL [V] 85 (‚Studium‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). -- Men-

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nemeier, Poesiebegriff, S.56; Schanze, Aufklärung, S.88–90; Ludwig Stockinger, Die Auseinandersetzung der Romantiker mit der Aufklärung. In: RomantikHandbuch, S.79–125, hier S.92. 174: 108,22–26 Die modernen Classiker !…" Modernheit] Siehe Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘), 14,29 zu L60 über die Dichtarten, 13,30 zu L49 (‚romantisch‘) und 83,15 zu A451 (‚Universalität‘). Vgl. zu den ‚modernen Klassikern‘ auch FPL [V] 167. 175: 108,27 Die Franzosen und die Engländer] Siehe Anm. 13,12f. zu L45 über die Franzosen und 13,30f. zu L49 über die Engländer. 176: 108,28 Genies sind incorrect] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘) und 50,34 zu A253 (‚korrekt‘). Vgl. FPL [V] 172 und 179. 176: 108,28f. Correcte Autoren !…" Publikum ist der Partner] Siehe Anm. 15,9 zu L68 (‚Autor‘) und 15,24–27 zu L70 über das Publikum. 176: 108,33 Bildung macht mittelmäßig] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 177: 108,34f. Unsre Correctheit soll aufs Ganze gehn; die d[er] Alt[en] ging aufs Einzelne] Siehe Anm. 50,34 zu A253 (‚korrekt‘), 16,29f. zu L84 über den Gegensatz der ‚Alten‘ und der Modernen; vgl. FPL [V] 7f. über ‚Ganzheit‘ und ‚Einheit‘. 178: 108,36 Tasso’s Jerusalem ein sentimentales Romanzo] Vgl. zu Tassos Gerusalemme liberata L76, FPL [V] 184, 337, 431, Brief über den Roman (1800; KFSA2, S.333) und Geschichte der alten und neuen Literatur (1815; KFSA6, S.267–271). Siehe Anm. 11,6 zu L31 (‚sentimental‘) und 80,16 zu A429 (‚Romanze‘). 179: 108,37 Nur das genialisch[e] Werk kann correct sein] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘) und 50,34 zu A253 (‚korrekt‘). Vgl. FPL [V] 172 und 176. 180: 108,38 Tout est dit] „Alles ist gesagt.“ 180: 108,38 „Nichts ist noch gesagt.“ – !!Tout est dit.""] -- Hamacher, S.195–203. 



181: 108,39f. — [absolute Poesie] oder !…" — [absolute Kritik]] Siehe o o auch Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 108,21 zu FPL [V] 173 über die mathematisch-philosophische Formelsprache in Schlegels Fragmenten. 182: 109,1–4 Die gewöhnl[iche] Meinung !…" in der Kritik] Siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über ‚Synthese‘ und ‚Analyse‘, 33,40f. zu A119 (‚Genie‘), 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘), 85,35f. zu Id29 (‚frei‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘); vgl. A225 zum Begriff der „Lebenskunstlehre“ und siehe Anm. 46,31 dazu. 183: 109,5 Sinn ist Herders dominirende Eigenheit] Siehe Anm. 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘) und 101,20f. zu FPL [V] 59 über Herder. 184: 109,9 Sentimental ist eine Gattung von großem Umfang] Siehe Anm. 11,6 zu L31 (‚sentimental‘) und 22,8f. zu A4 (‚Gattungen‘). 184: 109,9–11 alle progressive [Poesie] !…" selbst annihilirt] Siehe

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Anm. 97,11 zu FPL [V] 3 (‚progressive Poesie‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘) und 31,21–24 zu A103 (‚annihilieren‘). 184: 109,11–14 Wie verschieden ist aber noch die mystische Sentimentalität des Dante !…" Shakespear pp.] Siehe auch Anm. 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘), 13,15f. zu L45 (Dante), 13,30 zu L49 (‚romantisch‘), 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘), 19,16 zu L111 (Rousseau), 104,34f. zu FPL [V] 114 (Schiller), 97,15f. zu FPL [V] 4 (‚Idylle‘), 20,6f. zu L117 (‚Satire‘), 58,33f. zu A315 (‚Elegie‘), 35,9 zu A127 (Klopstock), 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 20,30f. zu L121 (Shakespeare). – Giovanni Battista Guarini (1538–1612), italienischer Dichter, Verfasser der dramatischen Schäferdichtung Il pastor fido (1585). 185: 109,15–17 Alle Bestandtheile !…" alles fassen kann] Siehe Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘), 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘), 10,2 zu L13 (‚klassisch‘), 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘) und 98,26–28 zu FPL [V] 18 über die von Schlegel häufig gebrauchten ‚Allsätze‘. 185: 109,17–20 der kritische Styl die absolute Antithese des romantisch.[en] !…" satirisch] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 18,25 zu L104 (‚Styl‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 13,30 zu L49 (‚romantisch‘) und 20,6f. zu L117 (‚Satire‘).

Philosophische Lehrjahre

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Aus den philosophischen Lehrjahren

Textgrundlage und Textüberlieferung Aus den rund 7500 erhaltenen Fragmenten der Philosophischen Lehrjahre, die Friedrich Schlegel zwischen 1796 und 1806 in zwölf Heften notierte, gibt der vorliegende Band eine Auswahl von drei zusammenhängenden Reihen wieder, die noch vor der Jahrhundertwende entstanden und dem zweiten philosophischen Heft entnommen sind: die 53 Fragmente umfassende Reihe Kant (1796–1797), PhL [II] 1–53, 102 Fragmente über den Geist der Fichteschen Wissenschaftslehre (1797–1798), PhL [II] 126–227, und 9 Notizen mit dem Titel Kritik der Philosophie (1797), PhL [II] 228–236. Nur wenige dieser Aufzeichnungen wurden von dem Theologen Carl Joseph Hieronymus Windischmann (1775–1839) im Anhang seiner Edition der Schlegelschen Vorlesungen gedruckt: Friedrich Schlegels Philosophische Vorlesungen aus den Jahren 1804–1806. Nebst Fragmenten vorzüglich philosophisch-theologischen Inhalts, hg. von C.J.H.Windischmann, Bd.2, Bonn 1837, S.411 und 420–422. Vollständig veröffentlicht sind die genannten Fragmentreihen erstmals von Ernst Behler in folgender Edition: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hg. von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. 18. Bd.: Philosophische Lehrjahre 1796–1806 nebst philosophischen Manuskripten aus den Jahren 1796–1828. Erster Teil, mit Einleitung und Kommentar hg. von Ernst Behler, München, Paderborn, Wien und Zürich (Ferdinand Schöningh) 1964, S.19–23, 31–39 und 40f. Der Text dieses Bandes folgt dem Wortlaut der Kritischen Friedrich-SchlegelAusgabe. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags Ferdinand Schöningh.

Entstehung „Ich habe eine Welt mit Dir zu reden“, schreibt Friedrich Schlegel am 1.12.1796 aus Jena an Friedrich von Hardenberg. „Ich habe mich fast ganz mit spekulativer Philosophie beschäftigt, und muß hier alles in mich verschließen. Ich glaube es würde Dich sehr interessiren“ (KFSA23, S.339f.). Bei den „geschriebnen Packete!n"“ (ebd.), die er dem Freund verspricht, handelt es sich um die Anfänge der Aufzeichnungen, die Schlegel später als seine Philosophischen Lehrjahre bezeichnete, da sie „nur Lehrjahre statt Resultate, die Gesch.[ichte] der Entstehung d[es] Syst.[ems] statt d[es] Syst.[ems] selbst, chaotische Einzelheiten“ böten (PhL [II] 1068). Um die Mitte des folgenden Jahres, kurz vor seinem Besuch bei

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Hardenberg, berichtet Friedrich Schlegel diesem erneut von seinen philosophischen Arbeiten: „Ich habe viel neue Hefte. Ob ich sie Dir geben kann, weiß ich nicht, da ich wahrscheinl.[ich] meine Koffer vorweg schicke und zu Fuß komme !…". Ich habe in der Phil.[osophie] jetzt wieder eben so große Fortschritte gemacht, wie zu Anfang des Winters. Du kannst nicht größer von meinen phil.[osophischen] Entwürfen denken als ich selbst“ (21.6.1797; KFSA23, S.373f.). Friedrich Schlegel erblickte im Fragment die ihm gemäße Form der schriftstellerischen Mitteilung (vgl. PhL [VIII] 106) und hat seine Gedanken zu einem großen Teil in fragmentarischer Gestalt im weiteren Sinn festgehalten: als flüchtige Einfälle, z.T. provokante Gedankenblitze, Ideen, deren Wahrheitsgehalt zu überprüfen ist, als Notizen zur weiteren Ausarbeitung usw. Die Eintragungen in seinen Heften stellen neben dem Gespräch eine wichtige Möglichkeit der Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Philosophie dar. Seine philosophischen Notizhefte begleiteten ihn ständig und geben in ihrer Gesamtheit ein detailliertes Bild von der Entwicklung seines Denkens (Behler, KFSA18, S.XLI). Ähnlich wie in seinen philologischen und literarischen Heften häufte Friedrich Schlegel auch in seinen philosophischen Manuskripten kaum noch überschaubare Materialmengen an, die er bei der Ausarbeitung künftiger Veröffentlichungen verwenden wollte. Die hier vorgestellten Aufzeichnungen zu Kant und Fichte stellen Vorarbeiten zu einer von Schlegel geplanten, aber nicht realisierten „kleine!n" Sammlung philosophischer Aufsätze“ dar, deren Publikation er am 7.4.1797 dem Verleger Johann Friedrich Cotta (1764–1832) vorschlägt (KFSA23, S.355): Die beiden wichtigsten Abhandlungen sind 1. Kants Schreibart. Gegen Klopstock. !…" eine historische Charakteristik des Kantischen Geistes, die auf diesem Wege noch nie versucht ist. 2. Ueber den Geist der Fichte’schen Wissenschaftslehre. Ich würde diesen noch eine Charakteristik der Sokratischen Ironie beifügen, und auch eine Beurtheilung des Woldemar !von F.H.Jacobi". !…" Diese Aufsätze würden keineswegs als bloße Miscellen zu betrachten seyn; sondern dem Geist nach zusammenhängen und ein Ganzes bilden, von dem ich mir versprechen darf, daß es an Popularität alles, was noch über oder in der kritischen Philosophie geschrieben wurde, übertreffen würde. (Ebd., S.356.)

Mehrere Pläne, Teile seiner umfangreichen Aufzeichnungen zu publizieren, blieben unausgeführt. (Behler, KFSA18, S.XLIX-LII; vgl. PhL [II] 1067f.) Schlegel erkannte, daß sein Philosophieren ein prinzipiell unvollendbarer Prozeß war, der sich nicht in eine feste Form bringen ließ. Deshalb entschloß er sich 1804/5, seine philosophischen Manuskripte im ganzen unter dem Titel Philosophische Lehrjahre zu veröffentlichen. Diese Konzeption sollte es ermöglichen, die gedankliche Vielfalt seiner Aufzeichnungen mit all ihren Wandlungen als genetische Einheit zu präsentieren (ebd., S.XI). An August Wilhelm Schlegel schrieb er über dieses große Vorhaben: „Außerdem habe ich schon lange im Sinne unter dem Titel philosophische Lehrjahre, mein Spekulieren, wie ich seit 1796 Tagebuch darüber geführt, genetisch zu schildern, wozu ich alle meine Papiere größtenteils noch in Kölln in die gehörige Verfassung gebracht.“ (18.11.1809; Körner, Krisenjahre 1, S.294.)

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Um seine Manuskripte für die Drucklegung vorzubereiten, fertigte Friedrich Schlegel Abschriften an, in denen er Notate aus unterschiedlichen Epochen thematisch ordnete, kommentierende Nachträge und gliedernde Zwischenüberschriften einfügte. Diese Bearbeitung betrifft Heft 1–5 der Philosophischen Lehrjahre, die nicht mehr im ursprünglichen Wortlaut vorliegen, sondern bereits eine weitere, wenn auch nicht die abschließende Phase der Ausarbeitung darstellen (Behler, KFSA18, S.XLVIIf.). Mit dem Verleger Reimer (1776–1842) verhandelte Schlegel über den Druck der Philosophischen Lehrjahre, die er als Auftakt einer Edition seiner „sämtlichen Werke“ anbot. In einem Brief an Reimer vom 26.8.1807 charakterisiert er die Philosophischen Lehrjahre „als wesentlichste Rechenschaft von und vor mir selbst und andern.“ (Briefe von Friedrich und Dorothea Schlegel, gesammelt und erläutert durch Josef Körner, Berlin 1926, S.97f.) Waren es zunächst äußere Umstände, die verhinderten, daß dieses Unternehmen zustande kam – die Kriegsereignisse ließen es nicht zu, daß ihm die in Köln zurückgebliebenen Manuskripte nach Wien nachgeschickt werden konnten –, so ist es letztlich jedoch Friedrich Schlegels Zögern zuzuschreiben, daß sein Plan nicht ausgeführt wurde. Er kam in den folgenden Jahren zwar noch mehrmals – zuletzt 1828 – auf dieses Projekt zurück, schob den Druck aber immer wieder hinaus und hatte unüberwindliche Bedenken, seine „immer noch im Werden begriffene und nicht vollendete Philosophie“ (zitiert nach Behler, KFSA18, S.LV) in eine endgültige Form zu bringen.

Wirkung Da die Philosophischen Lehrjahre zu Lebzeiten ihres Verfassers nicht veröffentlicht wurden, beschränkten sich ihre Wirkungsmöglichkeiten zunächst auf Schlegels engeren Freundeskreis, dem er mündlich aus seinen Heften mitteilte oder Einblick in seine Papiere gewährte. Dies war z.B. bei Schleiermacher der Fall, der seit Ende 1797 mit Schlegel die Wohnung teilte. Als Schlegel die ‚Athenäums‘Fragmente zusammenstellte, bat er den Freund, seine philosophischen Hefte durchzugehen und zur Veröffentlichung geeignete Fragmente herauszusuchen. (Vgl. Schleiermachers Brief an August Wilhelm Schlegel, 15.1.1798; KFSA24, S.78.). Mit Friedrich von Hardenberg tauschte Schlegel bereits seit 1796 Notizhefte aus. Am 1.1.1797 schickte Novalis Schlegels „Philosophica“ zurück, die er Anfang Dezember von ihm erhalten hatte. „Sie sind mir sehr werth geworden“, heißt es im Begleitschreiben. „Ich habe sie ziemlich im Kopfe und sie haben derbe Nester gemacht. Mein cainitisches Leben stört mich nur, sonst hättest Du einen dikken Stoß Repliken und Additamenta mitgekriegt“ (NO4, S.193). Und am 14.6. desselben Jahres schreibt Hardenberg unter dem Eindruck dieser Lektüre: „Deine Hefte spuken gewaltig in meinem Innern, und so wenig ich mit den einzelnen Gedanken fertig werden kann, so innig vereinige ich mich mit der Ansicht des Ganzen und errathe einen Überfluß des Guten, und Wahren“ (ebd., S.230).

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Friedrich Schlegel bittet Hardenberg, ihm seinerseits Aufzeichnungen zu überlassen, von denen er sich Anregungen und neue Einsichten verspricht (21.6.1797; KFSA23, S.374). Mehrfach werden Manuskriptkonvolute zwischen Jena und Weißenfels oder zwischen Berlin und Freiberg hin- und hergeschickt, die Lektüre wird mündlich oder schriftlich diskutiert und regt zur Produktion weiterer Fragmente oder zur Überarbeitung der älteren an (vgl. z.B. Hardenbergs Brief an Caroline Schlegel, 9.9.1798; NO4, S.261), so daß auch die Philosophischen Lehrjahre der Zusammenarbeit des romantischen Freundeskreises wesentliche Impulse gaben und ihrerseits wiederum ebenfalls von diesem ‚Symphilosophieren‘ geprägt wurden.

Struktur und Gehalt Friedrich Schlegel hat – wohl nicht zu unrecht – die Philosophischen Lehrjahre als sein Hauptwerk betrachtet. Bereits der Titel deutet darauf hin, daß Schlegel seine „autobiographische Bildungsgeschichte“ (Behler, KFSA18, S.XIV) als philosophisches Pendant zu Wilhelm Meisters Lehrjahren auffaßte. Das Grundmotiv der ‚unendlichen Fortschreitung‘, das Schlegels Denken unablässig vorantreibt, verweist auf die platonische Philosophie und auf Fichtes Wissenschaftslehre als weitere prominente Vorbilder. Beide Bereiche, Poesie und Philosophie, gehen in diesem Werk ineinander über gemäß dem romantischen Ideal, daß „Alle Kunst !…" Wissenschaft, und alle Wissenschaft !…" Kunst werden“ soll (L115). In seinem weitgespannten Projekt entwickelte Schlegel ein eigenwilliges Verfahren: Spielerisch nimmt er eine Vielzahl gegensätzlicher Standpunkte ein, so daß sich die verschiedenen Perspektiven wechselseitig relativieren und ‚annihilieren‘. Inhaltlich und formal lassen sich seine Aufzeichnungen als „Ausdruck einer permanenten Bewegung des Denkens“ auffassen, „das keinen bleibenden Fixpunkt hat und ständig die Positionen wechselt“ (Frischmann, Transzendental, S.117). Als ‚work in progress‘ gewähren die Philosophischen Lehrjahre Einblick in die Entwicklung des Schlegelschen Denkens und lassen den Leser an ihren unendlich fortsetzbaren Gedankenexperimenten teilhaben. Die Einflüsse, die Friedrich Schlegel im einzelnen verarbeitet, sind ebenso vielfältig wie die Themen, mit denen er sich beschäftigt. Er setzt sich u.a. mit Kant, Fichte, F.H.Jacobi, Hemsterhuis, Spinoza, Jakob Böhme und Plato auseinander. Die Schwerpunkte seines Interesses wandeln sich allmählich und verschieben sich (Behler, KFSA18, S.XXI–XXXIV). Die drei Fragmentreihen der vorliegenden Auswahl beleuchten punktuell einzelne (frühe) Phasen dieses differenzierten Prozesses. Sie sind vor allem der kritischen Auseinandersetzung mit der Kantischen Philosophie und mit Fichtes Wissenschaftslehre gewidmet. Die Aufzeichnungen der ersten Reihe beschäftigen sich ähnlich wie mehrere der ‚Lyceums‘und ‚Athenäums‘-Fragmente mit Kant und den Kantianern und stellen ‚Geist‘ und ‚Buchstabe‘ der Kantischen Philosophie einander gegenüber. In den Notizen über den Geist der Fichteschen Wissenschaftslehre gewinnen die Kategorien des

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Realen und des Idealen, deren Synthese Schlegel anstrebt, an Bedeutung (Behler, KFSA19, S.379 und 386f.). Sie lassen seine zunehmende Distanzierung von Fichte erkennen; seine Fichte-Lektüre hatte bei Schlegel „eine wissenschaftliche Grundsatzkrise“ ausgelöst, die er schließlich durch die „Abkehr vom Deduktionsanspruch der Wissenschaftslehre“ überwand (Naschert, Klassisch leben, S.173). Schlegel war sich der epochemachenden Leistung beider Philosophen bewußt, kritisierte aber zugleich unnachsichtig und ‚respektlos‘, die von ihm wahrgenommenen Unzulänglichkeiten ihrer philosophischen Konzepte (Frischmann, Transzendental, S.128f.). Die Kritik der Philosophie überschriebenen Aufzeichnungen stehen mit einem umfassenderen Werkplan in Beziehung (siehe Anm. 120,22–25 zu PhL [II] 228); sie verstehen sich als „Philosopheme eines Philologen“ und als Meta-Kritik der kritischen Philosophie nach dem Grundsatz: „Da die [Philosophie] so vieles ja fast alles im Himmel und auf Erden kritisirt hat; so kann sie sichs ja wohl gefallen lassen, daß man sie auch einmal kritisire“ (ebd.). Kant, dessen Werk er, wie er selbst angibt, bereits als Siebzehnjähriger studierte (an J.F.Cotta, 7.4.1797; KFSA23, S.356; vgl. jedoch davon abweichend Behler, KFSA19, S.374), würdigt er als „Stifter d[er] kritischen [Philosophie]“ (PhL [I] 31), stellt aber auch fest, daß er „überall auf halbem Wege stehen geblieben“ sei (PhL [II] 398) und charakterisiert ihn als „genialische!n" Pedant!en"“ (ebd.). Daneben richtet sich Schlegels Kritik in den Philosophischen Lehrjahren wie auch in mehreren ‚Lyceums‘- und ‚Athenäums‘-Fragmenten gegen die Kantianter, die sich teils als „Hyperkritiker !…" nur an Kants Buchstabe halten“ (PhL [II] 4), teils sich als ‚Mystiker‘ bzw. ‚Transzendentalisten‘ anmaßen, „den Geist Kants in Ignoranz des Buchstabens !…" erkennen !zu" können !…" bzw. Kant besser zu verstehen !…" als er sich selbst“ (Rehme-Iffert, Skepsis und Enthusiasmus, S.28–31). Mit Fichtes Schriften beschäftigte sich Schlegel etwa ab Mitte 1795 (Behler, KFSA19, S.370f.) und erkannte in ihm rasch den „größte!n" metaphysische!n" Denker der jetzt lebt“. (An August Wilhelm Schlegel, 17.8.1795; KFSA23, S.248.) Unmittelbar nach seiner Ankunft in Jena im Sommer 1796 suchte er die persönliche Bekanntschaft mit Fichte, mit dessen Philosophie er sich intensiv und kritisch auseinandersetzte. Vermutlich hörte Schlegel im Wintersemester 1796/97 Fichtes Jenaer Vorlesung zur Wissenschaftslehre ‚nova methodo‘; in seiner Rezension der vier ersten Bände von Niethammers ‚Philosophischem Journal‘, die in der ‚Allgemeinen Literaturzeitung‘ 1 (1797) Nr.90–92, 21.–23.3., erschien, erweist er sich als fundierter Kenner der Wissenschaftslehre. „Ich bin gewaltig in die Spekulation gerathen diesen Winter. Ich bin über die Hauptsache so ziemlich aufs Reine; auch über Fichte’s System“, teilte Schlegel schon am 30.1.1797 selbstbewußt Christian Gottfried Körner (1756–1831) in Dresden mit (KFSA23, S.343). „Ich finde immer mehr Geschmack an dem Menschen, seitdem ich mich von dem Wissenschaftslehrer eigentlich entschieden getrennt habe“ (ebd.). Und enthusiastisch schreibt er am 24.5.1797 an Hardenberg: „Ich werde immer mehr Fichte’s Freund. Ich liebe ihn sehr, und ich glaube, es ist gegenseitig. – Könnt ich ihm nur den ganzen Plunder meiner Hefte zeigen! Ach,

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daß man in der Welt so klug seyn muß! – Er würde sie doch nicht verstehn“ (ebd., S.367). Möglicherweise war es die von Schlegel nicht ohne Koketterie erwähnte Weltklugheit, die ihm nicht allein Zurückhaltung gegenüber Fichte riet, wenn es um sein persönliches Urteil über dessen Philosophie ging, sondern ihn auch daran hinderte, die geplante Abhandlung Über den Geist der Fichteschen Wissenschaftslehre auszuarbeiten. (An Cotta, 7.4.1797; KFSA23, S.355f.) In seinen privaten Notizheften, die er allenfalls einem nahen Vertrauten und ähnlich Denkenden wie Hardenberg zur Lektüre anvertraute, formuliert er seine Kritik oft polemisch zugespitzt und mit schonungs-, ja rücksichtsloser Offenheit. Auch „benutzte“ er, wie B.Frischmann erklärt, „die Fichtekritik nicht nur zur Sachdiskussion, sondern auch zur tastenden Erarbeitung eines eigenen Standpunkts, !…" auch zur experimentellen Erprobung unterschiedlicher Formen und Werkzeuge der Kritik. Die auf diese Weise funktionalisierte Kritik ist dabei oft wohl auch unangemessen und wird durch Schlegels Überhöhung seiner KritikerRolle noch zusätzlich verschärft“ (Transzendental, S.191). Darüber hinaus ist Schlegels Verhältnis zu Fichte – und Ähnliches gilt wohl auch für weitere philosophisch ambitionierte Vertreter der Frühromantik – von einer eigentümlichen Ambivalenz gekennzeichnet, die sich einerseits in Verehrung, Bewunderung und Hochachtung, andererseits auch in dezidierter Ablehnung und harscher Kritik äußert. Faszinierend wirkte Fichtes Wissenschaftslehre besonders dadurch, daß sie konsequent vom Ich als Fundament des Philosophierens ausging, wobei sie auf der Freiheit, Selbsttätigkeit und Selbstbestimmtheit des Subjekts beharrte. Als außerordentlich fruchtbarer Ansatzpunkt für die Ästhetik der Frühromantik erwies sich Fichtes Konzept der Einbildungskraft als unabhängigen produktiven Vermögens, das dialektisch vermittelnd „zwischen Endlichem und Unendlichem in der Mitte schwebt“ (Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre; FI1, S.216) und gewissermaßen als Perpetuum mobile die Trennung zwischen den beiden Polen ihres Schwebens ad infinitum zugleich hervorbringt und überspringt. Anziehend war für die jüngere Generation ferner Fichtes dialektisch-reflexive Methode und der prozessuale Charakter seines Philosophierens, der eine Perspektive auf das Unendliche eröffnete (Frischmann, Transzendental, S.12). Widerspruch provozierte dagegen Fichtes Anspruch, Kants Transzendentalphilosophie zu vollenden. Anlaß zu Zweifeln gab insbesondere Fichtes Versuch, die Wissenschaftslehre als streng wissenschaftliches System zu konzipieren, das von einem einzigen unumstößlichen, nicht weiter herleitbaren Grundsatz ausgehend zu deduzieren sein sollte (FI1, S.91f.). Einen weiteren Ansatzpunkt vehementer Kritik stellte die zirkuläre Struktur der Fichteschen Reflexionstheorie dar, der zufolge „das Ich, das durch die Reflexion erfaßt werden soll, zugleich das Ich ist, das diese Reflexion vollzieht“ (Frischmann, Transzendental, S.54). Als Bewußtseins- und Erkenntnistheorie klammert Fichtes Wissenschaftslehre die empirische Welt weitgehend aus und verzichtet auf eine Deutung der Natur. Dies wird ebenso als gravierendes Manko empfunden wie die Nichtberücksichtigung der historischen Dimension, auf deren Fehlen Schlegel Fichte

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im persönlichen Gespräch hingewiesen zu haben scheint. (An C.G.Körner, 30.9.1796; KFSA23, S.333.) Insgesamt war Fichte für den jungen Schlegel „die große philosophische Herausforderung, an der er sich philosophisch schult und ausprobiert, von dem er lernt und sich zugleich distanziert“ (Frischmann, Transzendental, S.116). Ähnliches dürfte für Hardenberg gelten. Durch ihre kritische Auseinandersetzung mit der Wissenschaftslehre und an Fichte sowie weitere Denker anknüpfend erarbeiten sich die Frühromantiker eigenständige philosophische Positionen und entwickeln parallel dazu und im Zusammenhang mit ihrem (Sym-)Philosophieren ein modernes Poesiekonzept. Durch seine produktive Weiterentwicklung des transzendentalen Idealismus Fichtescher Prägung gelangt Schlegel zu einem dynamischen Verständnis von Philosophie, das Raum läßt für eine Vielfalt von Methoden und sich der Historizität und Relativität menschlichen Wissens bewußt ist (ebd., S.25). Dabei führt der systemkritische Akzent seines Denkens zur Forderung der Auflösung der Grenzen zwischen Wissenschaft und Kunst, Philosophie und Poesie, die in seinem fragmentarischen Philosophieren konkrete Gestalt annimmt (ebd., S.43).

Stellenkommentar 110,3 Kant] Siehe Anm. 10,12 zu L16. 1: 110,4f. Man muß es ihnen unmöglich machen !…" !!Amulet d[er] Wahrheit""] Vgl. PhL [II] 4 und A104. Siehe Anm. 10,11 zu L16 über die Kantianer. 2: 110,6 Seine gute Absicht zur Fixation bei d[er] scholast.[ischen] Form] Vgl. PhL [II] 18 zu Kants ‚scholastischer Form‘. 2: 110,7 Das Kleid muß nun weggenommen werden] Vgl. Id1 zum „Schleier der Isis“. 3: 110,8 Eine Freundschaft zwisch[en] Kant und Klopstock wäre natürlich gewesen] Zu Klopstock siehe Anm. 35,9 zu A127. Schlegel erblickt in ihm einen Vertreter der ‚Deutschheit‘. Vgl. PhL [II] 20, 22, 31 und [V] 776. -- Behler, KFSA19, S.380. 4: 110,9f. Regreßive Tendenz d[er] Hyperkritiker d.[ie] sich nur an Kants Buchstabe halten, wie d[ie] Mystiker an Kants Geist] In seinem „Vorbericht über Zweck und Einrichtung“ des ‚Philosophischen Journals‘ gebrauchte Niethammer die Begriffe ‚Hyperkritizismus‘ und ‚Transzendentismus‘ für die beiden Hauptrichtungen der Kant-Deutung, zum einen die „spekulative !…" Überbietungsstrategie, welche den Geist Kants in Ignoranz des Buchstabens zu erkennen können meinte bzw. Kant besser zu verstehen meinte als er sich selbst (Transzendentisten: solche, welche die Erkenntnisgrenzen überschreiten, ohne dafür Rechenschaft ablegen zu können),“ zum andern die „allzu buchstabengetreue !…" Rekantianisierungstendenz (Hyperkritizisten: solche, welche über die Ekenntnisgrenzen hinaus nicht einmal zu fragen wagen)“ (Rehme-Iffert, Skepsis und Enthusiasmus, S.28). Vgl. PhL [II] 288 und Beilage I 6. Siehe Anm. 15,18f. zu L69

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(‚Tendenz‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 15,16 zu L69 (‚Geist und Buchstaben‘) und 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘). -- Rehme-Iffert, Skepsis und Enthusiasmus, S.28–31. 5: 110,11f. Reinhold, der erste unter d[en] Kantisch[en] Sophist[en] !…" Grundsucher] Siehe Anm. 15,2 zu L66 (Reinhold), 31,3f. zu A96 (‚Sophist‘) und 10,17f. zu L20 (‚verstehen‘). Vgl. PhL [I] 44 und zu Schlegels Ablehnung einer Grundsatzphilosophie z.B. L66 („Grundwut“), A95, PhL [II] 170, [V] 1045, 1049, Beilage II16 und 22, Novalis, Lg9, und siehe Anm. 30,8f. zu A84 über den Anfang in der Mitte. -- Frank, Philosophische Grundlagen, S.46; Frischmann, Transzendental, S.148f. 6: 110,13 Kants  [Christentum]] Siehe Anm. 23,25f. zu A16 (‚Christianismus‘). 6: 110,13f. mauvaise plaisanterie] Schlechter Scherz. 6: 110,13f. Viele Gegner !…" nicht begreifen können] Siehe Anm. 91,24 zu Id101 (‚Politik‘) und 14,40 zu L65 (‚republikanisch‘). Die Notiz bezieht sich auf Kants Schriften Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793f.) und Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf (1795f.). -- Behler, KFSA19, S.380 und KFSA7, S.XXVIIff. 7: 110,15–18 Subjektives ist viel in d[er] Ansicht !…" Kants Schreibart] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 85,35f. zu Id29 (‚frei‘). -- Behler, KFSA19, S.380. 8: 110,19–21 Es giebt nur zwei Sprach[en] !…" Klopstock schreibt durchaus poetisch] Siehe Anm. 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘), 35,9 zu A127 (Klopstock), 91,24 zu Id101 (‚Politik‘) und 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘). 9: 110,22–24 Die Mittheilbarkeit ist nur ein Kriterium für den besten Eklektizism !…" echt kritisch] Siehe Anm. 17,30f. zu L98 (‚Mitteilung‘), 11,12–15 zu L32 über ‚Mischung‘ und andere chemische Temini in Schlegels Fragmenten, 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). Vgl. zum Postulat der Mitteilbarkeit und zur Kritik an deren Mißachtung PhL [I] 54, 72, 109f., 113f., Beilage I 39, 95, 98, Beilage II20. -- Frank, Wechselgrundsatz, S.32. 9: 110,24 Eine [Kritik] der [philosophischen] Sprache] „Ein Werkplan, der in den Pariser Vorlesungen über die europäische Literatur !KFSA11, S.12ff." wieder aufgegriffen wurde“ (Behler, KFSA19, S.380). 9: 110,25 in der [Poesie] !…" haben wir Classiker] Siehe Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). 10: 110,26–29 Die Unkentniß d[er] Historie !…" antihistorisch] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘) und 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘). – Die „Kantische Ästhetik“ bezieht sich auf Kants Kritik der Urteilskraft (1790). 11: 110,30 K[ant] hat eine Voltairische Weltansicht] Siehe Anm. 59,30 zu A324 über Voltaire und vgl. PhL [I] 17. 12: 110,31–34 Kant ein Hypermoralist !…" logische Heteronomie veranlaßte] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘). – „Der Vorwurf, Kant sei ein Hypermoralist, ist ein Grundgedanke der Schlegelschen Kantkritik, der sich häufig mit dem andern verbindet, daß Kant ein Legalist sei, der das Wesen des Moralischen ins Politische,

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Juristische oder in eine bloße Pflichtenlehre verlagere“ (Behler, KFSA19, S.380). – Zum Pflichtbegriff bei Kant siehe Anm. 22,27–29 zu A10; über die „logische Heteronomie“ äußern sich auch PhL [II] 849 und KFSA10, S.15 (Philosophie des Lebens (1828)). Vgl. ferner PhL [II] 16, 24, 32, 38, 79, 401 und 430. -Behler, KFSA19, S.380. 13: 110,35f. Kants Relig[ion] !…" angemessen] Siehe Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘), 22,24f. zu A9 (‚Moral‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 14: 111,1 Gesch[ichte] der [Philosophie] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). 15: 111,3  ] Banausen; eigentlich: Handwerker; niedere, gemeine Leute. 15: 111,3f. ein organ[isches]  [System] durch mechanische Behandlung entweihen] Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘) und 68,26f. zu A366 über den Gegensatz von ‚organisch‘ und ‚mechanisch‘; vgl. PhL [II] 36. 16: 111,5f. Kant moralisirt gewaltig !…" politisirt er] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 91,24 zu Id101 (‚Politik‘) und 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). Vgl. PhL [II] 79. 17: 111,7 Unvereinbarkeit d[es] deutsch[en] und französ.[ischen] Nationalcharakters] Siehe Anm. 12,16f. zu L38 (‚Deutschheit‘) und 13,12f. zu L45 über die Franzosen. 18: 111,9f. Subjektivität der K[anti]schen Pflichtenlehre !…" Terminologie] Siehe Anm. 22,27–29 zu A10 über Kants Pflichtbegriff. Vgl. PhL [II] 12 und 28 sowie PhL [II] 2 zur ‚scholastischen Form‘. 19: 111,11 K.[ant] ist classisch und progreßiv in hohem Grade] Siehe Anm. 97,11 zu FPL [V] 3 über das Begriffspaar ‚klassisch‘ und ‚progressiv‘. -Rehme-Iffert, Skepsis und Enthusiasmus, S.28. 20: 111,12f. Klopstock !…" d[er] Reinhold d[er] Deutscherei] Siehe Anm. 35,9 zu L127 (Klopstock), 10,2 zu L13 (‚klassisch‘), 12,16f. zu L38 (‚Deutschheit‘), 13,12f. zu L45 über die Franzosen und 15,2 zu L66 (Reinhold). Vgl. PhL [II] 22 und 31. 21: 111,14f. Eine progreßive Nation !…" wie eine classische] Siehe Anm. 97,11 zu FPL [V] 3 zum Verhältnis von ‚klassisch‘ und ‚progressiv‘ und 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘). 22: 111,16–18 Beide haben eine unkritische ja unhistorische Ansicht !…" Schwebemänner] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 13,12f. zu L45 über die Franzosen. – Friedrich II., der Große, (1712–1786), König von Preußen, beschäftigte sich mit der französischen Aufklärungsphilosophie, insbesondere mit Voltaire, der 1750–1753 an seinem Hof weilte. – Siehe Anm. 12,16f. zu L38 (‚Deutschheit‘) und 35,9 zu A127 über Klopstock. – Die Notiz schließt (wie auch die vorausgehende) an PhL [II] 20 an; vgl. auch PhL [II] 31. 23: 111,19–21 Angewandt wird eine Ws[Wissenschaft] nicht durch Emp[irischen] Stoff !…" Geometr[ie]] Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘), 46,39 zu A226 (‚Empirie‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 30,35–37 zu A92 (‚Grammatik‘).

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24: 111,22–25 Kant hat das ethische Maximum !…" das praktische Maximum] Siehe Anm. 97,28–30 zu FPL [V] 8 (‚ethisch‘), 47,30 zu A232 (‚Gott‘), 91,24 zu Id101 (‚Politik‘) und 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘). 25: 111,26–28 Erfahrung ist !…" Erfahrung muss seyn] „Kants Transzendentalphilosophie problematisiert !…" allererst die Frage, wodurch Erfahrung überhaupt möglich ist, setzt sie also nicht schon als gegeben voraus. Was angenommen wird, sind vielmehr Empfindungen, darauf folgen dann, als erster Synthesis-Schritt durch die Einbildungskraft, Wahrnehmungen; Erfahrungen schließlich stehen immer schon unter Kategorien und sind erst das noch zu rechtfertigende Resultat des Zusammenwirkens mehrerer Vermögen und Verbindungsleistungen des Subjekts“ (Rehme-Iffert, Skepsis und Enthusiasmus, S.30). Vgl. PhL [II] 176 und zur These „Erfahrung IST “ Niethammers einleitenden Aufsatz zum ‚Philosophischen Journal‘ 1 (1795), S.1–45, Von den Ansprüchen des gemeinen Verstandes an die Philosophie sowie dessen Brief an J.B.Erhard vom 27.10.1794 (abgedruckt bei Dieter Henrich, Der Grund im Bewußtsein. Untersuchungen zu Hölderlins Denken (1794–1795), Stuttgart 1992, S.835). Dort heißt es: „Erfahr[un]g ist, sagt Kant, und dies ist, zwar nicht der Grundsaz aber doch der Grund seines Systems !…" Die [Philosoph]ie kann jenen Grund nicht erweisen, sie postulirt ihn blosz.“ -- Frank, Philosophische Grundlagen, S.45–48; Rehme-Iffert, Skepsis und Enthusiasmus, S.30. 25: 111,26f. Nieth[ammer], Reinh.[old], Erh.[ard]] Friedrich Immanuel Niethammer (1766–1848), Dozent für Philosophie und Theologie in Jena, gab seit 1795 zusammen mit Fichte das ‚Philosophische Journal einer Gesellschaft deutscher Gelehrten‘ heraus. – Über Reinhold siehe Anm. 15,2 zu L66. – Johann Benjamin Erhard (1766–1847), Arzt und Philosoph, Anhänger der Kantischen Philosophie. Erhard war Mitarbeiter an den ‚Horen‘, am ‚Teutschen Merkur‘ und an Niethammers ‚Philosophischem Journal‘. 1795 rezensierte er in der ‚Allgemeinen Literaturzeitung‘ (Nr.224) Fichtes Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten und 1796 (ebd. Nr.319) Schellings Schrift Vom Ich als Prinzip der Philosophie. 25: 111,28f. Beck, Schelling und Fichte] Jakob Sigismund Beck (1761–1840), Schüler Kants und Anhänger von dessen kritischer Philosophie, veröffentlichte u.a. einen Erläuternden Auszug aus den kritischen Schriften des Herrn Prof. Kant, auf Anrathen desselben (1793) und einen Grundriß der kritischen Philosophie (1796); mit ihm beschäftigen sich auch die Aufzeichnungen PhL [II] 230f. Siehe Anm. 31,33 zu A105 (Schelling) und 36,1 zu A137 (Fichte). 26: 111,31–33 Ihr seyd berechtigt !…" anzunehmen?] Schlegel knüpft hier an die vorausgehende Aufzeichnung an, die ebenfalls die Frage nach „Ist und Soll“ stellt und nach einer Begründung sucht. Schlegel geht es offenbar um die Rechtfertigung der Postulate (Gott, Freiheit, Unsterblichkeit). 27: 111,34–37 Der Wunsch daß ein Böser !…" bestimmen] Vgl. PhL [II] 28. 28: 111,39f. seine Defin[ition] vom höchsten Gute] Vgl. Kant, Kritik der praktischen Vernunft (1788), KA7, S.A198–203; ferner Id37, PhL [IV] 302, 634, 868, 898, 1032, 1075, 1101, [V] 878, [IX] 210; Novalis, AB656; Schleiermacher, Über das höchste Gut (1789; FDES,KGI/1, S.81–125), GV82, 86, 94 und 102.

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28: 111,38–112,3 So wie Kant aus !…" überschritten werden] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). Vgl. PhL [II] 24, 27 und 32. 29: 112,4f. Man sollte Kant ins Deutsche übersetzen !…" Licht auf] Siehe Anm. 15,32f. zu L73 (‚übersetzen‘). Vgl. den Brief über die Philosophie. An Dorothea (1799; KFSA8, S.57), den Werkplan „Kants Schreibart“ (an Johann Friedrich Cotta, 7.4.1797; KFSA23, S.356) und zu Kants Schreibweise PhL [II] 33, 39, 52 und 395. Siehe Anm. 10,11 zu L16 über die Kantianer. -- Peter Schnyder, Magie der Rhetorik. Poesie, Philosophie und Politik in Friedrich Schlegels Frühwerk, Paderborn u.a. 1999, S.98–101. 31: 112,8 Klopst.[ocks] Deutschheit wie die Attische ] Siehe Anm. 35,9 zu A127 über Klopstock und 12,16f. zu L38 (‚Deutschheit‘). – Autochthonia, Substantiv zu autochthon: eingesessen, eingeboren. – Vgl. PhL [II] 20 und 22. 32: 112,9–11 Die Anbetung d[es] Gesetzes !…" hervorgehn mußte] Vgl. PhL [II] 12, 28, 48 und Novalis, AB182 („Kants Advocaten Geist“). -- Behler, KFSA19, S.381. 33: 112,12 Kant schreibt für einen Logiker viel zu saturirt] Gesättigt, selbstzufrieden. – Siehe Anm. 112,4f. zu PhL [II] 29 über Kants Schreibart und 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘). 34: 112,13 Wenn die Königsb[erger] Post umwirft, so sitzt Jak[obi] auf d[em] Trocknen] Siehe Anm. 36,23 zu A142 über Jacobi. Aus dieser polemischen Bemerkung ist A104 hervorgegangen. – „Die These von der Abhängigkeit Jacobis von Kant und der tiefen Ähnlichkeit zwischen beiden Denkern gründet sich auf Schlegels Überzeugung, daß Kant !…" ebenso wie Jacobi !…" das Wissen dem Glauben aufgeopfert habe !…" Diese These bildet ein zentrales Motif der späteren Jacobi-Rezension“ (1822; KFSA8, S.585–596. Behler, KFSA19, S.381). 35: 112,14 K.[ant] im Grunde höchst unkritisch] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 36: 112,15f. Die Erklärung eines organischen Produkts !…" muß historisch seyn, nicht mechanisch] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘); vgl. PhL [II] 15 und siehe Anm. 68,26f. zu A366 über den Gegensatz von ‚organisch‘ und ‚mechanisch‘. 37: 112,17f. Von d[er] Verwüstung, d.[ie] s.[eine]Größe !…" (Schiller.)] Gemeint ist wieder Kant. Siehe Anm. 104,34f. zu FPL [V] 114 über Schiller. 38: 112,19 Kant !…" NR[Naturrecht]] Kants Rezension von Gottlieb Hufelands (1760–1817) Versuch über den Grundsatz des Naturrechts in der ‚Allgemeinen Literaturzeitung‘ (Nr.92, 18.4.1786, Sp.113–116). -- Behler, KFSA19, S.381. 39: 112,21f. Kant schreibt eigent[lich] zu gut !…" Schnitzer aus Kant] Siehe Anm. 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘) und 112,4f. zu PhL [II] 29 über Kants Stil. 40: 112,23 Jeder nicht politische Practiker !…" Revoluzionär] Siehe Anm. 91,24 zu Id101 (‚Politik‘) und 15,1f. zu L66 (‚revolutionär‘). 41: 112,24 Kants [Philosophie] ist kein System] Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘); vgl. PhL [II] 50.

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42: 112,25f. Lamberts !logische" und !philosophische" Abhandl!ungen" !…" 1782] Die bibliographische Notiz bezieht sich auf folgende Aufsatzsammlung des Mathematikers, Logikers und Philosophen Johann Heinrich Lambert (1728–1777): Johann Heinrich Lamberts logische und philosophische Abhandlungen, hg. von Johann Bernoulli, Bd.1, Berlin und Dessau 1782. 43: 112,27f. Der Jubel !…" auch in Kant] Wohl eine Anspielung auf den Titel von F.I.Niethammers programmatischem Aufsatz zum ‚Philosophischen Journal‘ 1 (1795), S.1–45, Von den Ansprüchen des gemeinen Verstandes an die Philosophie. Schlegel dürfte sich hier auf die Vorrede zu Kants Kritik der reinen Vernunft beziehen, in der sich Kant ausdrücklich von der „Arroganz der Schulen“ distanziert, vielmehr gehe es in seiner Philosophie um grundlegende Interessen der Menschheit (S.BXXXIIf.). -- Rehme-Iffert, Skepsis und Enthusiasmus, S.29. 44: 112,29–33 K.[ant] ein oscillirender Mensch !…" Bildungslehre] Siehe Anm. 47,40 zu A234 zu Spinoza und 36,1 zu A137 (Fichte), 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘), 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘), 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). – Nach „Enthusiasmus“ ist folgende Randbemerkung einzufügen, deren letzte Zeile durchgestrichen ist: „das %%macht&& giebt eben einen %%daß sein&& Anschein von Vielseitigkeit und Größe und das hat viele Verwüstungen in kleinen Geistern (z.B. Schiller) angerichtet. Wenn die Königsberger Post umwirft, so sitzt jeder auf dem Trocknen.“ Vgl. hierzu A104, PhL [II] 34 und 37. -- Behler, KFSA19, S.382. 45: 112,34 Die Ganzheit s.[eines]  [Systems]] Siehe Anm. 18,15 zu L103 (‚Ganzheit‘) und 26,22f. zu A46 (‚System‘). Vgl. PhL [II] 15 und 41. 46: 112,36–39 Ein Rigorist !…" Sophist] Vgl. FPL [III] 117 über den Rigorismus und siehe Anm. 31,3f. zu A96 (‚Sophist‘). 46: 112,39f. Fermenta cognitionis zur [kritischen Philosophie] Vgl. dieselbe Formulierung in A259 und siehe Anm. 51,31 dazu. 47: 113,1f. Gehörte Leibniz !…" zu den Mystikern oder Empirikern?] Siehe Anm. 25,4f. zu A27 (Leibniz), 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘), 46,39 zu A226 (‚Empirie‘) und 98,29 zu FPL [V] 18 (‚mystisch – skeptisch – empirisch‘). 48: 113,3f. Drei Perioden des Kantianismus, die Emp[irische] – [skeptische] – Mystische] Siehe Anm. 98,29 zu FPL [V] 18 über die Trias empirisch – skeptisch – mystisch und vgl. PhL [II] 32 über Kants Anlage zum „skept.[ischen] Mystizism“. 49: 113,6f. Ein [Philologe] müßte kommen !…" (Kant = Wieland.)] Siehe Anm. 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘) und 51,33–36 zu A260 über Wieland. Vgl. PhL [II] 29. 50: 113,8f. Kants practische [Philosophie] !…" so subjektiv als der Woldemar] F.H.Jacobis (siehe Anm. 36,23 zu A142) Roman, den Friedrich Schlegel 1796 in Reinholds Zeitschrift ‚Deutschland‘ rezensierte (KFSA2, S.57–77). Vgl. PhL [II] 41. 51: 113,10 Motto  «     pp Pindar] κ »: „Grades Wegs nur wandeln muß ’  « ²«      ) man, ringen mit verlieh’ner Kraft“ (Pindar, Nemeen I, 37f. (26f.)). Siehe auch Anm. 32,26 zu A115 über Pindar. -- Behler, KFSA19, S.382.

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52: 113,11–14 K.[ant] hat eine große Vorliebe alles zu trennen !…" Sprachfehler] Siehe Anm. 17,30f. zu L98 (‚Mitteilung‘), 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘) und 112,4f. zu PhL [II] 29 über Kants Schreibweise. Den Werkplan einer kritischen Ausgabe Kantischer Schriften – vgl. hierzu auch die folgende Aufzeichnung – hat Friedrich Schlegel nicht ausgeführt. 53: 113,15f. Skeptische Fragm[ente] !…" Widerlegung der Newtonschen [Physik]] Siehe Anm. 28,15 zu A66 (‚Skeptiker‘), 24,14f. zu A22 (‚Fragment‘), 30,25–27 zu A89 (‚Mathematik‘) und 66,5f. zu A358 (‚Physik‘). – Schlegel skizziert in diesem Text einen Werkplan oder konzipiert den Titel der ‚Kritischen Ausgabe‘ Kants, von der in der vorausgegangen Aufzeichnung die Rede ist. -- Behler, KFSA19, S.382. 113,17 Geist der Fichtischen Wissenschaftslehre] Siehe Anm. 36,1 zu A137 über Fichte und 44,30–38 zu A216 über dessen Wissenschaftslehre. 127: 113,21f. Es scheint den Mystikern eigen, etwas absolut Zufälliges neben ihr absolut Nothwendiges zu setzen] Siehe Anm. 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘) und 21,4 zu L123 (‚absolut‘). Vgl. zu Zufall und Notwendigkeit auch PhL [II] 80, 128 und 130. 128: 113,23–25 Giebt es etwas Zufälliges !…" ist nothwendig] Siehe Anm. 113,21f. zu PhL [II] 127 über Zufall und Notwendigkeit. 129: 113,26 Das Deduciren hat nirgends ein Ende] Siehe Anm. 29,24–26 zu A82 (‚Deduktion‘). 130: 113,27–31 Das absolut Zufällige !…" abgeleitet werden] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 113,21f. zu PhL [II] 127 über Zufall und Notwendigkeit. Siehe auch Anm. 29,24–26 zu A82 (‚Deduktion‘), 46,39 zu A226 (‚Empirie‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). – Indeduzibel: nicht ableitbar. 131: 113,32 Fichte’s [Philosophie] ist zugleich Punkt, Cirkel und grade Linie] Wie E.Behler, KFSA19, S.387, ausführt, deutet sich hier, wie auch in PhL [II] 133f., 136–138, 140f., 143, 148, 152, 170, 175 und 194 Schlegels Kritik an Fichtes Inkonsequenz an. 132: 113,33 Ist das Setzen eines absolut Zufälligen !…" Emp[irismus]?] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 46,39 zu A226 (‚Empirie‘). Vgl. PhL [II] 127 und 130. 133: 113,34 Fichte duldet d[en] Witz bloß] Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘). 133: 113,35  [praktische] Abstraction] Siehe Anm. 100,13f. zu FPL [V] 39. 133: 113,35–37 Fichte’s Gang ist !…" noch zu sehr grade aus, nicht absolut progr.[essiv] cyklisch !…" nichts als [Kritik]] Dieser Teil der Notiz ist die Vorstufe zu A43. Vgl. auch PhL [II] 131 und 371. Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 24,16f. zu A22 (‚progressiv‘), 26,16 zu A43 (‚zyklisch‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). -- Bär, S.290f. und 308f. 134: 114,1 F.[ichte] ist ein kritisirter Polemiker] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 16,19 zu L81 (‚Polemik‘).

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134: 114,1–3 absoluter Idealist !…" Realist] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 114,10 zu PhL [II] 137 über das Verhältnis des Idealen und des Realen und 83,15 zu A451 (‚Universalität‘). 134: 114,5 Sein Styl fast nie ganz logisch] Siehe Anm. 18,25 zu L104 (‚Styl‘) und 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘). 134: 114,1–6 F.[ichte] ist ein kritisirter Polemiker !…" Anstrich] Vgl. PhL [II] 140 und siehe Anm. 113,32 zu PhL [II] 131. 135: 114,7 Das Transcendentale Ich] Siehe Anm. 24,19 zu A22 (‚transzendental‘) und 50,18 zu A252 (‚Ich‘). 136: 114,9 Fichte ist nicht bloß Kunst [philosoph] sondern auch Natur [philosoph]] Siehe Anm. 9,1 zu L1 über das Verhältnis von Natur und Kunst und 16,27 zu L82 (‚Naturphilosophie‘). 137: 114,10 Ist Fichte mehr nicht Id[ealist] genug, oder mehr nicht Re[alist] genug?] Diese Frage stellt Friedrich Schlegel auch in seinem Brief an Hardenberg vom 26.9.1797, in dem er über Fichte schreibt: „In seiner Philosophie entdecke ich immer mehr. Jetzt ists mir bisweilen eine ernstliche Frage geworden, ob er mehr zu wenig Idealist, oder zu wenig Realist sey?“ (KFSA24, S.21.) Vgl. Fichtes Definition der Wissenschaftslehre als „Real-Idealismus“ oder „Ideal-Realismus“ (FI1, S.281) sowie Schlegels Gespräch über die Poesie (1800; KFSA2, S.315), PhL [II] 134, 150f., 153, 165, 201, 203, 209, 234, 285, A238, Id96; Novalis, FSt601, T55; Schleiermacher, GIII27, 55, GV63 und Friedrich Schlegels Brief an Schleiermacher, Mitte August 1798 (KFSA24, S.162). „Idealismus ist für Schlegel eine Philosophie des Bewusstseins, Realismus eine Philosophie des Universums. Der Realismus sei nicht in Gestalt eines Systems möglich, sondern nur in der Form der Poesie. !…" Der Idealismus hingegen sei systematisch ausgerichtet und ziele auf die Theorie der Ichheit“ (Frischmann, Transzendental, S.315). -- Frischmann, Transzendental, S.123–127; Zovko, S.49–61. 138: 114,12–14 Fichte ist doch eigent[lich] wie d[er] Besoffne !…" herunter zu fallen] Vgl. zum Vorwurf des ‚Transzendentismus‘ Die Entwicklung der Philosophie in zwölf Büchern (1804/05; KFSA12, S.293f.). -- Frank, Unendliche Annäherung, S.867; ders., Wechselgrundsatz, S.34. 138: 114,15f. Repräsentanten der reinen Unphilosophie] Es handelt sich wohl um eine Anspielung auf Fichtes Streit mit dem Kantianer Carl Christian Erhard Schmid, über den Fichte in seinem Aufsatz Vergleichung des von Herrn Prof. Schmid aufgestellten Systems mit der Wissenschaftslehre (1795) schreibt, daß dessen „Sache auch nicht einmal Wissenschaft“ sei, „sondern es ist mir Nichts, ein Ding ohne Namen“ (FI2, S.456). Vgl. A103 und siehe Anm. 31,21–24 dazu sowie die Anm. 151,17f. zu BL76 (‚Repräsentant‘). -- Frank, Unendliche Annäherung, S.538–540. claß 138: 114,18–20 Er ist — [absolut klassisch] !…" allmählig gebildet] o Siehe Anm. 97,11 zu FPL [V] 3 über das Verhältnis des Klassischen und des Progressiven, 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 50,34 zu A253 (‚korrekt‘), 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘), 103,3–5 zu FPL [V] 85 (‚Studium‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘).

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139: 114,22f. Ahndungen über Aesthetik] In seinem Aufsatz Ueber Geist und Buchstab in der Philosophie (1794) äußert sich Fichte auch zu Fragen der Ästhetik. 140: 114,24f. F[ichte]s Cykliren, das Schwebende s.[einer] Terminologie !…" ist sehr kritisch] Zum Schweben der Einbildungskraft bei Fichte vgl. seine Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (FI1, S.216f.) sowie Novalis, FSt555 (und siehe Anm. 173,12 dazu). Siehe Anm. 26,16 zu A43 (‚zyklisch‘), 33,4–6 zu A116 (‚schweben‘), 50,34 zu A253 (‚korrekt‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 140: 114,26f. An s.[einem] Anstoß bin ich immer angestoßen] Wohl eine Anspielung auf Fichtes Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre (1795; FI1, S.331f.) bzw. auf dessen Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794; FI1, S.212). Vgl. hierzu auch PhL [II] 83, Novalis, FSt563 (und siehe Anm. 174,32f. hierzu) sowie Schleiermacher, GV58. 140: 114,28 Viele solche Demonstr.[ationen]] Siehe Anm. 29,24–26 zu A82 (‚demonstrieren‘). 140: 114,24–30 Fichtes Cykliren !…" wie mans nehmen will] Vgl. PhL [II] 133f., 144 und 174. 141: 114,31–34 Er ist zu [mathematisch] !…" nach d[em] Maule reden] Vgl. PhL [II] 173, 671 und siehe Anm. 30,25–27 zu A89 (‚Mathematik‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘) und 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). -- Frischmann, Transzendental, S.143f. 142: 114,35 X eine F[ichte]sche Manier] Vgl. hierzu die Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794), FI1, S.93–95, 107, 111, 318–320 und Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre in Rücksicht auf das theoretische Vermögen (1795), FI1, S.392–404. 142: 114,35–37 Zu der geschriebnen W[issenschafts]lehre !…" beliebig viele] Siehe Anm. 9,16f. zu L7 und 16,28 zu L83 (‚Manier‘), 13,26 zu L47 (‚unendlich‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘) und 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). 143: 114,38–115,6 Das Charakterisiren meist nur Titulatur !…" beides steht einzeln] Siehe Anm. 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘), 29,24–26 zu A82 (‚Deduktion‘), 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘), 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 97,28–30 zu FPL [V] 8 (‚ethisch‘), 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘), 9,23 zu L9 (‚Witz‘), 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘), 16,5f. zu L78 (‚Enzyklopädie‘), 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘) und 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘). -- Frischmann, Transzendental, S.156f. 144: 115,7 Der Geist d[er] Fichtesch[en] Methode ist thetisch] Thetisch: behauptend, setzend. Vgl. PhL [II] 140. 144: 115,8–12 Die Wl[Wissenschaftslehre] ist grade so [rhetorisch] als Fichte selbst !…" synthetisch] Siehe Anm. 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘), 15,16 zu L69 (‚Geist und Buchstabe‘) und 31,33 zu A105 (Schelling). 145: 115,13–16 Die Eintheilung in [Kritizismus], [Mystizismus], [Skeptizismus], Emp[irismus] !…" Styl, Ton, Manier, Geist d[er] Form] Siehe Anm. 98,29 zu FPL [V] 18 über die hier vorgenommene ‚Einteilung‘, ferner 18,25 zu L104 (‚Styl‘), 9,16f. zu L7 und 16,28 zu L83 (‚Manier‘).

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146: 115,17f. Fichte’s Construiren s.[einer] selbst !…" Emp[irisch] wahr] Siehe Anm. 117,30 zu PhL [II] 185 (‚Konstruktion‘) und 46,39 zu A226 (‚Empirie‘). 147: 115,19 Bestandteile der Char[akteristik] oder [kritische] Elemente] Siehe Anm. 81,39 zu A 439 (‚Charakteristik‘) und 10,29–33 zu L 25 (‚Kritik‘). 148: 115,21–23 F[ichte] ist analyt[isch] und synth.[etisch] !…" nur

[Kritiker], !!noch"" nicht Hist[orischer]  [Systematiker]] Siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über ‚analytisch‘, ‚synthetisch‘ und andere Termini aus dem Bereich der Chemie, 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘) und 26,22f. zu A46 (‚System‘). 149: 115,24f. Polemisch ist auch in d[er] Tendenz antithetisch !…" thetisch] Siehe Anm. 16,19 zu L81 (‚Polemik‘), 15,18f. zu L69 (‚Tendenz‘) und 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘). Vgl. zum thetischen Charakter der Fichteschen Philosophie PhL [II] 140 und 144. 150: 115,26f. Die [skeptischen] Emp[irischen] und [mystischen] Methoden sind nur Manieren] Siehe Anm. 98,29 zu FPL [V] 18 über die Begriffsreihe empirisch – skeptisch – mystisch sowie 9,16f. zu L7 und 16,28 zu L83 (‚Manier‘). 150: 115,27 Mat[erialismus] und Spirit[ualismus]] Vgl. PhL [II] 153. 150: 115,27f. Id[ealismus] und Re[alismus] nur Seiten des Systems] Siehe Anm. 114,10 zu PhL [II] 137 über das Verhältnis von Idealismus und Realismus und 26,22f. zu A46 (‚System‘). -- Frischmann, Transzendental, S.125. 150: 115,26–28 Die [skeptischen] Emp[irischen] !…" Ansichten] Vgl. PhL [II] 151 und 153. 151: 115,29 Absoluter Idealismus ohne allen Re[alismus] ist Spiritualismus] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 114,10 zu PhL [II] 137 (‚ideal – real‘). Vgl. die vorige Notiz. 152: 115,30f. F.[ichte] deducirt bloß Abstracta, keine Individuen !…" nicht weit her] Siehe Anm. 29,24–26 zu A82 (‚Deduktion‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 117,30 zu PhL [II] 185 (‚Konstruktion‘). 153: 115,32–35 Id[ealismus] ist !…" bloß K[ritik]] Siehe Anm. 114,10 zu PhL [II] 137 (‚ideal – real‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 34,4 zu A121 (‚Idee‘) und 28,15 zu A66 (‚Skeptiker‘). Vgl. PhL [II] 150f. 154: 115,36 Schellings Übersichten sind übersichtig] Die Aufzeichnung bezieht sich vermutlich auf Schellings Schrift Aus der Allgemeinen Übersicht der neuesten philosophischen Literatur im Philosophischen Journal von den Jahren 1797 und 1798 (1797/98; SSW I 1, S.453–487). Schlegel spielt hier mit den Bedeutungen von ‚Übersicht‘ und ‚übersichtig‘; das Substantiv wurde im zeitgenössischen Sprachgebrauch sowohl im Sinn von ‚Weitsichtigkeit‘ als auch im Sinn von ‚Überblick‘ gebraucht; die semantische Bandbreite des Adjektivs ist noch weiter und reicht von ‚mit einem Augenfehler behaftet‘ über ‚flüchtig, oberflächlich‘, ‚stolz, anmaßend‘ bis zu ‚wunderlich‘ (DWb11.2, Sp.553f. und 554f.). – Vgl. A72, das aus dieser Notiz hervorgegangen ist, und PhL [II] 170.

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155: 115,37 [Philosophie] = [logische] Chemie] Siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über Schlegels Anleihen bei Vorstellungen aus den Naturwissenschaften und vgl. A220 zur ‚logischen Chemie‘. 156: 115,38f. materiale [Logik], praktische Historie, positive Politik] Siehe Anm. 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘) und 91,24 zu Id101 (‚Politik‘). Vgl. A28, PhL [II] 402 und 737. 157: 115,40f. Die Form der K[ritik] !…" Mystik] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 16,19 zu L81 (‚Polemik‘), 10,2 zu L13 (‚klassisch‘), 33,6f. zu A116 (‚potenzieren‘) und 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘). 158: 116,1 Der [Skeptizismus] !…" [rhetorische] Ironie] Siehe Anm. 28,15 zu A66 (‚Skeptiker‘), 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘) und 12,33 zu L42 (‚Ironie‘). 158: 116,2f. [Philosophischer] Orlando furioso. (Eine skeptische Romanze)] Ein Werkplan Schlegels. – Orlando furioso (1516–1532; Der rasende Roland), epische Dichtung von Ludovico Ariosto (1474–1513). – Siehe auch Anm. 80,16 zu A429 (‚Romanze‘). 1 1 [Ethik] o—

[Logik] o— 159: 116,4 Die vollendete [Mystik] = + + o o 1— o [Poesie] ] Wohl zu lesen als: unendliche (bzw. unendlich potenzierte) absoo lute Ethik … Siehe Anm. 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘), 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘) und 108,21 zu FPL [V] 173 über die Verwendung mathematischer Formeln in Schlegels Notizheften. 160: 116,5f. Giebts nicht auch mystische Kunstwerke !…" Fragmente] Siehe Anm. 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘), 16,19 zu L81 (‚Polemik‘), 10,34 zu L26 (‚Roman‘) und 24,14f. zu A22 (‚Fragment‘). 160: 116,6f. Hardenbergs [Philosophie] ist kritisirender Mystizismus. Schlei[ermacher]s [Philosophie] ist mystisierender Kritizismus] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). Vgl. die Charakterisierung von „Schellings Philosophie“ in A105, „die man kritisierten Mystizismus nennen könnte“. und siehe Anm. 31,33 zu diesem ‚Athenäums‘-Fragment. 161: 116,8–10 Nur d[er] Kritiker !…" Natur [philosophie]=k[ritischer] Geist] Siehe Anm. 98,29 zu FPL [V] 18 (‚empirisch – skeptisch – mystisch – kritisch‘), 14,35 zu L63 (‚Künstler‘), 9,1 zu L1 über das Verhältnis von Natur und Kunst. Vgl. ergänzend PhL [II] 163. 163: 116,12f. Die kritische Methode ist zugl[eich] [philosophisch] und [philologisch]] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 30,38f. zu A93 über das Verhältnis von Philosophie und Philologie. 164: 116,14f. F[ichte]s Theorie d[er] Weiblichkeit !…" so die rechten] Eine ‚Theorie der Weiblichkeit‘ mit dem Titel Grundriss des Familienrechts entwickelt Fichte im ersten Anhang seiner Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre (1796; FI3, S.304–368). – Siehe Anm. 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘), 18,30 zu L106 über die Frauen und 22,24f. zu A9 (‚Moral‘).

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165: 116,16–18 Um die Aufgabe, Re[alismus] und Id[ealismus] zu vereinigen !…" beylegen] Siehe Anm. 114,10 zu PhL [II] 137 (‚real – ideal‘), 46,39 zu A226 (‚Empirie‘) und 24,19 zu A22 (‚transzendental‘). -- Frischmann, Transzendental, S.124f. 166: 116,19 „Ich thut a, weil es das thut“] Vgl. PhL [II] 176. 166: 116,20 Willkühr nicht Freyheit] Siehe Anm. 10,9 zu L16 (‚Willkür‘) und 85,35f. zu Id29 (‚frei‘). 166: 116,20–22 die Principien dieser freyen Nothwendigkeit und nothwendigen Freyheit !…" Individualität] Vgl. A227 zum Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit; siehe auch Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). 166: 116,19–22 Das „Ich thut a, weil es das thut“ !…" Individualität] Vgl. PhL [II] 175. -- Frischmann, Transzendental, S.137f. 167: 116,23 Ein [Philosoph] muß alles wissen wollen] Vgl. ergänzend A344. W 167: 116,23f. [Philosophie] = — [absolute Wissenschaft] nach F.[ichte] o W[issenschaft] !…" — ] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 29,12 zu A77  [Grammatik] (‚Wissenschaft‘), 108,21 zu FPL [V] 173 über Schlegels Verwendung mathematischer Formeln und 30,35–37 zu A92 (‚Grammatik‘). 168: 116,25f. Begriff ist !…" (Innre Classification.)] Siehe Anm. 33,6f. zu A116 (‚potenzieren‘), 34,4 zu A121 (‚Idee‘), 13,26 zu L47 (‚unendlich‘) und 27,12 zu A55 (‚Klassifikation‘). 169: 116,28 numerotirt] Numeriert, beziffert. 170: 116,29 Die ganze Wl[Wissenschaftslehre] ist ein Hysteronproteron] „Das Spätere (ist) das Frühere“, Redefigur, bei der das zeitlich Spätere zuerst steht (Lausberg, §891f.). -- A.Barth, S.83, erklärt diesen oxymorischen Satz mit der zirkulären Struktur des Erkenntnisprozesses bei Fichte: Begründe ich !…" (wie dies Fichte tut) die Geltung der Folgesätze nach Maßgabe ihrer kausalen Deszendenz aus dem obersten Grundsatz, dann habe ich vernachlässigt, daß das solcherart präsupponierte Sein der obersten Synthesis qua Synthetizität gar nicht durch sich selbst einleuchten kann, sondern allererst durch die Folgesätze analytisch zu erweisen ist. !…" Das, was die Wissenschaftslehre als ausgemacht voraussetzt, wird in Wahrheit erst später begründet, während doch gilt, daß die abgeleiteten Folgesätze allererst dann ‚wahr‘ heißen dürfen, wenn sie bedingterweise aus der ersten Setzung folgen.

Siehe Anm. 30,8f. zu A84 über die Formel des Anfangens in der Mitte und 110,11f. zu PhL [II] 5 zum grundsatzkritischen Akzent des Schlegelschen Philosophierens. 170: 116,29f. Viele Uebersichten sind nur Umsichten] Vgl. PhL [II] 154. 170: 116,30f. Der Anfang ist [episch], das Ende  [lyrisch], die Mitte dramatisch] Siehe Anm. 20,31 zu L121 (‚Epos‘), 13,19f. zu L45 (‚Drama‘) und 20,20 zu L119 (‚Lyrik, lyrisch‘). 171: 116,32 Die meisten philosophiren immanent, näml[ich] bornirt] Vgl. PhL [II] 174.

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172: 116,33 Vorwissenschaft] Propädeutik. 172: 116,33f. Die Vorwissenschaft sollte [philologisch] und [philosophisch] geschrieben werden] Siehe Anm. 30,38f. zu A93 über das Verhältnis von Philosophie und Philologie. 172: 116,34f. die Grundlehre [kritisch], die materiale [Logik] hist[orisch]  [systematisch]] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘) und 26,22f. zu A46 (‚System‘); vgl. A28 und PhL [II] 156 zum Begriff der ‚materialen Logik‘ sowie den folgenden Text. 173: 116,36 Der wahre Historisch «[systematische] Styl] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘) und 18,25 zu L104 (‚Styl‘) und vgl. die vorige Notiz. 173: 116,37 Jede Anschauung enthält ein 1 [Unendliches]] Siehe 0 Anm. 13,26 zu L47 (‚unendlich‘). 1—

173: 116,38 —o ] „ein bestimmtes Unendliches, oder: ein unendliches Etx was“ (Behler, KFSA19, S.388). Siehe Anm. 108,21 zu FPL [V] 173 über die Verwendung von mathematischen Formeln in Schlegels Aufzeichnungen. 173: 116,36–39 Der wahre !…" fließt auch über] Vgl. PhL [II] 141 und 671. -- Frischmann, Transzendental, S.143f. 174: 117,2f. Je classischer, bornirter ein [Philosoph] ist] Siehe Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘) und vgl. PhL [II] 171. 174: 117,3 «] Epideixis: Demonstration (siehe Anm. 29,24–26 zu A82). 174: 117,3f. Objektiv ist nur die historische, construirende Darstellung] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 117,30 zu PhL [II] 185 (‚Konstruktion‘) und 184,1–5 zu FSt633 (‚Darstellung‘). 174: 117,1–6 Die Demonstrativität !…" bewiesen werden] Vgl. PhL [II] 140, 178. 175: 117,7–9 Die Wl.[Wissenschaftslehre] !…" Mystikers] Vgl. PhL [II] 166. Siehe Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 85,35f. zu Id29 (‚frei‘) und 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘). 176: 117,10f. Das Ich setzt sich nicht weil es sich setzt, sondern weil es sich setzen soll !…" Unterschied] Siehe Anm. 60,31 zu A328 über den ersten Grundsatz der Fichteschen Wissenschaftslehre; vgl. PhL [II] 25, 166, 187 und besonders 193. -- Frank, Wechselgrundsatz, S.35 und 41f. 177: 117,12 Die Form d[es] cyklischen Denkens] Siehe Anm. 26,16 zu A43 (‚zyklisch‘). 177: 117,13f. Was das Ich anhält] Wohl im Sinne des ‚Anstoßes‘, von dem in PhL [II] 140 die Rede ist (siehe auch Anm. 114,26f. dazu). 178: 117,15–17 Man empfängt die Wl[Wissenschaftslehre] durch Sinn und Bildung !…" verständlich werden soll!] Siehe Anm. 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘), 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘ und ‚verstehen‘) und 29,24–26 zu A82 (‚Demonstration‘); vgl. PhL [II] 174. -- Schumacher, S.231. 179: 117,18f. Weil F.[ichte] nur [logische] Polemik hat !…" Unrecht]

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Siehe Anm. 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘), 16,19 zu L81 (‚Polemik‘) und 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 180: 117,20 Kants Lügentheorie] Siehe Anm. 10,12 zu L16 über Kant. In der Metaphysik der Sitten (1797) lehnt Kant selbst die Notlüge als unbedingt verwerflich ab mit der Begründung: „Die Lüge ist Wegwerfung und gleichsam Vernichtung der Menschenwürde“ (KA6, §9, S.565). Ähnlich auch Über ein vermeintliches Recht aus Menschenliebe zu lügen (1797) u. ö. 181: 117,22f. Je populärer !…" je paradoxer in d[er] Erscheinung] Siehe Anm. 13,28f. zu L48 (‚paradox‘). 183: 117,26f. Leibnitzens Lehre von Unvollkommenheit] Siehe Anm. 25,4f. zu A27 über Leibniz, der die Ursachen der Unvollkommenheit mit der naturgegebenen Beschränkung der Geschöpfe erklärt (Theodizee, §20–22). 183: 117,27f. ²[Philosophie der Philosophie]] Siehe Anm. 19,9 zu L108. 184: 117,29 Auch ohne F.[ichte] hätte die Wl.[Wissenschaftslehre] entstehn müssen] Vgl. A387, PhL [II] 645 und 654, die sich entsprechend über Kant äußern. -- Behler, KFSA19, S.388. 185: 117,30 Construction ist weit mehr als Deduction] Vgl. zum Begriff der Konstruktion PhL [II] 187, 224, [III] 252, 307, 322 und [IV] 717. Siehe Anm. 29,24–26 zu A82 (‚Deduktion‘). 186: 117,31f. F[ichte]s ganze [Philosophie] ist sehr politisch !…" juristisch streng] Siehe Anm. 91,24 zu Id101 (‚Politik‘) und 16,19 zu L81 (‚Polemik‘). 187: 117,34 Ich = Ich] Siehe Anm. 50,18 zu A252. 187: 117,33–35 Das Ich soll seyn !…" Tr[anszendental]] Vgl. PhL [II] 25 („Erfahrung IST !…" Erfahrung MUSS SEYN “), Siehe Anm. 29,24–26 und 29,24–26 zu A82 (‚Demonstration‘ und ‚Deduktion‘), 117,30 zu PhL [II] 185 (‚Konstruktion‘) und 24,19 zu A22 (‚transzendental‘). 188: 117,36  [Christentum] = Hist²[Historie in der zweiten Potenz] populär] Siehe Anm. 23,25f. zu A16 (‚Christianismus‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 33,6f. zu A116 (‚potenzieren‘) und vgl. PhL [II] 120. 189: 117,37 F.[ichte] könnte auch einen Diaskeuasten brauchen] Diaskeuasten sind Bearbeiter literarischer Werke, besonders die Redaktoren der Homerischen Epen. „Diaskeuastendienste“ bietet Schlegel seinem Freund Hardenberg im Brief vom 26.9.1797 für (philosophische) Publikationsvorhaben an (KFSA24, S.21f.). Vgl. auch FPL [V] 918 und PhL [X] 375. 190: 117,38 F.[ichtes] Styl ist nichts weniger als schwebend] Siehe Anm. 18,25 zu L104 (‚Styl‘) und 33,4–6 zu A116 (‚schweben‘); vgl. PhL [II] 173 und 207. 191: 118,1f. Niemand kennt wohl eigent[lich] d[en] Geist der K[anti]schen [Philosophie] !…" Geistianer] Siehe Anm. 10,12 und 10,11 zu L16 über Kant und die Kantianer und vgl. A104. -- Frank, Unendliche Annäherung, S.578. 193: 118,4 Das Ich setzt sich selbst und das Ich soll sich setzen] Schlegel zitiert in dieser Notiz fast wörtlich einen Grund-Satz aus Fichtes Wissenschaftslehre: „Das Ich setzt sich selbst schlechthin.“ (Grundlage der gesammten Wissen-

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schaftslehre (1794), FI1, S.277). Vgl. PhL [II] 176 und siehe Anm. 60,31 zu A328. 193: 118,6 Wechselgrundsatz] Im Verlauf seiner Auseinandersetzung mit Fichte und ausgehend von dessen Gedanken der Wechelbestimmung (siehe Anm. 178,34 zu FSt571) setzt Schlegel an die Stelle des einen Grundsatzes, auf dem Fichte sein philosophisches System errichtet, die Konzeption des Wechselerweises, später des Wechselgrundsatzes; d.h., zwei oder mehrere polare, einander relativierende und zueinander komplementäre Größen bewirken einen prinzipiell unabschließbaren dynamisch-dialektischen Approximationsprozeß, der zwischen Realem und Idealem, Endlichem und Unendlichem permanent oszilliert. Vgl. Schlegels Woldemar-Rezension (KFSA2, S.72: ‚Wechselerweis‘), PhL Beilage I 2 (‚Wechselerweis‘), Beilage II16 und 22 (‚Wechselbeweis‘, ‚-begriff‘, ‚-erweis‘), PhL [I] 1 (‚Wechselerzeugung‘, ‚-vernichtung‘,), [I] 36 (‚Wechselgrund‘), [II] 942 (‚Wechselkonstruktion‘), [IV] 1286 und [X] 30 (‚Wechselbestimmung‘); Novalis, FSt234 (‚Wechselbestimmungssatz‘), T14 (‚Wechselreligion‘), GL68 (‚Wechselglieder‘) und Schleiermacher, GIII34 (‚Wechselbegriff‘). Siehe auch Anm. 10,4f. zu L14 über die Gedankenbewegung des ordo inversus. -- Ernst Behler, Friedrich Schlegel’s Theory of an alternating principle prior to his arrival in Jena (6 august 1796). In: ‚Revue internationale de philosophie‘ 197 (1996), S.383–402; Frank, Philosophische Grundlagen, S.111–116; ders., Wechselgrundsatz; Klawitter, S.144f.; Götze, Apologie, S.40–45: Naschert, Wechselerweis; Rehme-Iffert, Skepsis und Enthusiasmus, besonders S.12f., 31–39, 83–85 und 129–133. 194: 118,7f. Die Wl[Wissenschaftslehre] ein rohes Gemisch von Systematik, Polemik, Mystik und Logik] Siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über den Gebrauch chemischer Termini wie ‚Mischung‘, 26,22f. zu A46 (‚System‘), 16,19 zu L81 (‚Polemik‘), 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘) und 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘). 195: 118,9f. Zur [Philosophie] kann man !…" nicht einmal Talent und Genie haben] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 über ‚Talent‘ und ‚Genie‘. 196: 118,11–13 Spinosa’s Gott = Ich !…" Schelling und Consorten] Siehe Anm. 47,40 zu A234 zu Spinoza, 47,30 zu A232 (‚Gott‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘), 85,35f. zu Id29 (‚frei‘) und 31,33 zu A105 (Schelling); vgl. PhL [II] 198f. 197: 118,14 Der Geist einer [Philosophie] ist ihre ²[Philosophie der Philosophie]] Siehe Anm. 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘). 198: 118,15f. Die  [grammatische] Formel Ich für das Absolute ist !…" zu rechtfertigen] Siehe Anm. 30,35–37 zu A92 (‚Grammatik‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 26,24 zu A47 (‚kritische Philosophie‘). Vgl. die folgende Aufzeichnung und PhL [II] 196. 198: 118,18 Spinosa ist im Innern praktischer und idealistischer als er scheint] Siehe Anm. 47,40 zu A234 zu Spinoza. 199: 118,19f. In der Relig[ion] betrachtet man das Absolute als Du !…" nur Gott ein Indiv[iduum]] Siehe Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 47,30 zu A232 (‚Gott‘); vgl. A406, Id6, PhL [II] 196 und 198.

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201: 118,23f. F[ichte]s ²[Philosophie der Philosophie] !…" besser] Siehe Anm. 19,9 zu L108 (‚Philosphie der Philosophie‘); vgl. PhL [II] 197 und A281. 201: 118,24f. Mangel an Gemüth in Leibniz] Siehe Anm. 63,28f. zu A339 (‚Gemüt‘) und 25,4f. zu A27 (Leibniz). 201: 118,25–27 Die Affinität der Logik !…" aufgelößt] Siehe Anm. 30,30– 34 zu A91 (‚Logik‘), 117,30 zu PhL [II] 185 (‚Konstruktion‘) und 11,12–15 zu L32 über die chemische Begrifflichkeit frühromantischer Fragmente. 201: 118,27f. Die Unbegreiflichkeit des Spinosa und des Shake[speare] !…" Id[ealität] und Re[alität]] Siehe Anm. 47,40 zu A234 (Spinoza), 20,30f. zu L121 (Shakespeare) und 114,10 zu PhL [II] 137 über Idealität und Realität. 203: 118,31f. F.[ichte] hat die K[anti]sche [Philosophie] !…" transcendentalisirt] Siehe Anm. 10,12 zu L16 zu Kant und 24,19 zu A22 (‚transzendental‘). Transc 203: 118,32f. Fichte’s Ich = «[systematisirte] — [absolute Trano szendentalität]] Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 108,21 zu FPL [V] 173 über den Gebrauch mathematischer Formeln in Schlegels Notizheften. 203: 118,33 das absolut systematisirte Ideal-Reale] Siehe Anm. 114,10 zu PhL [II] 137 (‚ideal – real‘). 203: 118,34 Schellings Ich] Schellings Schrift Vom Ich als Prinzip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wesen (1795). Siehe Anm. 31,33 zu A105 über Schelling und vgl. PhL Beilage I 66 und 80. 203: 118,34 ens idealissimum] „Das idealste Sein“. Eine (scherzhafte) Analogiebildung zu ‚ens realissimum‘, der Umschreibung für Gott als höchste Wirklichkeit. 203: 118,31–34 F.[ichte] !…" ens idealissimum] Vgl. A281. -- Frischmann, Transzendental, S.118f. und 125. 204: 118,35f. F[ichte] wird besonders dadurch so unverständlich !…" absolut cyklisiren will] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚verstehen‘) und 26,16 zu A43 (‚zyklisch‘); vgl. PhL [II] 133 und 140. 205: 118,37 F.[ichte] hat d[ie] Moral nicht so wohl abgeleitet als ausgeleitet] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 206: 118,38–40 F.[ichte] hat d[en] Ernst d[er] Transc [Transzendentalphilosophie] !…" Systematiker] Siehe Anm. 48,17f. zu A238 (‚Transzendentalphilosophie‘), 9,23 zu L9 (‚Witz‘), 25,4f. zu A27 (Leibniz), 12,33 zu L42 (‚Ironie‘) und 26,22f. zu A46 (‚System‘). Vgl. Id123 zum ‚kombinatorischen Witz‘ und siehe Anm. 93,11f. dazu. 206: 118,40–119,1 vom Transc[endentalen] Standpunkt zu reden – den absoluten hat er gar nicht] Vgl. PhL [II] 80 zum „Transc.[endentalen] Gesichtspunkte]“ und siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 24,19 zu A22 (‚transzendental‘). 206: 118,38–119,2 F.[ichte] hat d[en] Ernst !…" d[en] system[atischen]] In dieser Eintragung deutet sich Schlegels spätere Einteilung der Philosophie

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nach den Kategorien ‚elementar‘, ‚transzendental‘, ‚absolut‘ und ‚systematisch‘ an; vgl. PhL [II] 217 und 343. -- Behler, KFSA19, S.389. 207: 119,3f. Das fließend Schwebende pp. ist Merkmahl der  [systematischen] [Philosophie]] Siehe Anm.33,4–6 zu A116 (‚schweben‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘) und vgl. PhL [II] 173 und 190.  208: 119,5–7 Von d[er] succeßiven —[absoluten Analytik] !…" in d[er] o höchsten Vollkommenheit] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 16,29f. zu L84 über den Gegensatz der ‚Alten‘ und der Modernen. 209: 119,8–15 Bei Kant und größtentheils auch bei Fichte !…" weil er kein absoluter Idealist ist] Siehe Anm. 10,12 zu L16 über Kant, 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 48,17f. zu A238 (‚Transzendentalphilosophie‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 114,10 zu PhL [II] 137 (‚real – ideal‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘) und 29,24–26 zu A82 (‚Deduktion‘). 210: 119,16–18 Reflex[iver] Inhalt d[er] Tr [Transzendentalphilosophie] !…" classisch] Siehe Anm. 48,17f. zu A238 (‚Transzendentalphilosophie‘). – Id est: das ist, das heißt. – Siehe Anm. 33,6f. zu A116 (‚potenzieren‘) und 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). 210: 119,19–21 Das Ich und Nicht-Ich !…" elementarisirte Reflexion] Siehe Anm. 15,37 zu L75 (‚Nicht-Ich‘) und 21,4 zu L123 (‚absolut‘). 210: 119,16–21 Reflex[iver] Inhalt !…" elementarisirte Reflexion] Vgl. PhL [II] 206. 211: 119,22 N.B.] Nota Bene: Merke wohl! 211: 119,22f. Hülsen !…" (Schleiermacher ist Spinosist)] Siehe Anm. 19,8f. zu L108 (Hülsen), 91,15 zu Id97 (Baader) und 47,40 zu A234 (Spinoza). 212: 119,24f. F[ichte]s Polemik !…" ²[Philosophie der Philosophie]] Siehe Anm. 16,19 zu L81 (‚Polemik‘) und 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘). 213: 119,26 F[ichte]s Agilität ist mehr eine mechanische als chemische] Vgl. PhL [III] 282 zu Fichtes Agilität und siehe Anm. 68,26f. zu A366 (‚mechanisch – chemisch – organisch‘). 214: 119,27–29 Da ich überall in [Poesie] und [Philosophie] !…" Historiker] Siehe Anm. 19,8 zu L108 (‚Instinkt‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘), 83,15 zu A451 (‚Universalität‘) und 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). Vgl. PhL [II] 173. 215: 119,31 Bereiter] Jemand, der Pferde zureitet (und ausbildet). 215: 119,30f. Nicht jeder d[er] etwas schreibt, ist oder soll ein Autor seyn !…" ist] Vgl. L68, das aus dieser Aufzeichnung hervorgegangen ist (und siehe Anm. 15,9 dazu), sowie FPL [V] 643. 216: 119,32f. Das Obj[ekt] der F[ichte]schen Polemik !…" ] Skiamachon: Kampf gegen Schatten (Plato, Apologie, 18d). Siehe Anm. 16,19 zu L81 (‚Polemik‘). -- Behler, KFSA19, S.389. 217: 119,34f. F.[ichte] am meist[en] Tr[anszendentalist] !…" Schelling Absol[utist]] Siehe Anm. 24,19 zu A22 (‚transzendental‘), 19,8f. zu L108 (Hülsen), 26,22f. zu A46 (‚System‘), 31,33 zu A105 (Schelling) und 21,4 zu L123 (‚absolut‘). Vgl. PhL [II] 206 und siehe dazu Anm. 118,38–119,2 über die

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Typologie von ‚elementarer‘, ‚transzendentaler‘, ‚absoluter‘ und ‚systematischer Philosophie‘. 219: 119,39 Reinhold und Kant] Siehe Anm. 15,2 zu L66 (Reinhold) und 10,12 zu L16 (Kant). 220: 119,40f. Ohne Sinn für Chaos !…" Werther] Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werthers (1774) hatte bei seinem Erscheinen Begeisterung, auf Seiten der protestantischen Orthodoxie aber auch heftige Ablehnung dieser ‚Verherrlichung des Selbstmords‘ hervorgerufen. – Siehe Anm. 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘) und 89,10f. zu Id71 (‚Chaos‘). – Vgl. PhL [II] 222 und A216 zu Schlegels Beurteilung Fichtes und Goethes als korrespondierender Gestalten des geistigen Leben. -- Götze, Ironie, S.181. 221: 120,1 Geist und Buchstabe ist ein religiöser Unterschied] Siehe Anm. 15,16 zu L69 (‚Geist und Buchstabe‘) und 84,9 zu Id4 (‚Religion‘). 222: 120,2f. Warum wirkt die Wl[Wissenschaftslehre] nicht mehr? !…" warum d[er] Meister nicht mehr wirkt] Siehe Anm. 9,13–15 zu L6 über Goethe, 20,27–29 zu L120 über Wilhelm Meister. Vgl. ferner A216 und PhL [II] 220, in denen Schlegel Goethes dichterische und Fichtes philosophische Leistung als einander ebenbürtig beurteilt. 224: 120,6–8 Jede Einleitung von F[ichte] ist doch nur wieder eine neue Wl.[Wissenschaftslehre] !…" Construction derselben] Fichte veröffentlichte 1797 eine Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre (1797; FI1, S.417–449) und im gleichen Jahr die Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre für Leser, die schon ein philosophisches System haben (ebd., S.451–518). Siehe Anm. 83,15 zu A451 (‚Universalität‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘) und 117,30 zu PhL [II] 185 (‚Konstruktion‘). Vgl. PhL [II] 225. 225: 120,9–11 F[ichte] ist bis zur Religion gekommen !…" beweisen zu wollen] Siehe Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘), 83,15 zu A451 (‚Universalität‘) und vgl. die vorige Notiz. 226: 120,12–14 Die erste Wl[Wissenschaftslehre] !…" viel Kantisches Experimentiren] Über den Begriff der Wissenschaftslehre (1794). – Siehe Anm. 18,25 zu L104 (‚Styl‘), 15,2 zu L66 (Reinhold) und 10,12 zu L16 (Kant). 227: 120,16f. F[ichte]s Moral !…" Revoluzions [philosophie]] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘) und 15,1f. zu L66 (‚revolutionär‘). 120,18 Kritik der Philosophie] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 120,22–25 zu PhL [II] 228 über diesen Werkplan. 120,19f. Geist der F[ichte]schen Wl.[Wissenschaftslehre]. Form der K[anti]schen [Philosophie]] Die Titel der beiden Fragmentreihen PhL [II] 126–227 und 394–471. 120,20f. von d.[er] (Sok[ratischen]) Ironie] Ein verschollener Text. Siehe Anm. 12,33 zu L42 (‚Ironie‘) und 10,34 zu L26 (Sokrates). 228: 120,22 [Philologie] der [Philosophie]] Vgl. FPL [III] 9 (‚Philosophie der Philologie‘ !!") und siehe Anm. 30,38f. zu A93 zum Verhältnis von Philosophie und Philologie.

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228: 120,22–25 [Kritik] der [Philosophie] !…" daß man sie auch einmal kritisire] Ein Werkplan ‚Kritik der Philosophie‘, zu dem Schlegel wohl durch Kants Kritiken angeregt wurde; vgl. z.B. PhL [II] 362, 384, 438, 601, 603, 679, 932, [IV] 462, [X] 375 und A56. -- Behler, KFSA19, S.389. Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). Dieser Teil der Aufzeichnung stellt eine Vorstufe zu A56 dar. 228: 120,26f. Polemisch ist nicht mehr [kritisch] !…" ein [kritisches] Kunstwerk] Siehe Anm. 16,19 zu L81 (‚Polemik‘) und 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). 228: 120,28f. dargestellt wie Caesar die Pompejaner, mit dem satirischen Anstrich] Schlegel denkt hier vermutlich an Cäsars Rechenschaftsbericht über den römischen Bürgerkrieg Commentarii de bello civili (z.B. Buch III,22–24). – Siehe Anm. 184,1–5 zu FSt633 (‚Darstellung‘), 37,1f. zu A146 (Cäsar) und 20,6f. zu L117 (‚Satire‘). 229: 120,30–33 Ohne [Philosophie] !…" ein Hauptbegriff] Siehe Anm. 30,38f. zu A93 über das Verhältnis von Philosophie und Philologie und 97,11 zu FPL [V] 3 (‚klassisch und progressiv‘). 230: 120,34 Beck] Siehe Anm. 111,28f. zu PhL [II] 25. 230: 120,34f. Die Eintheilung in a priori und a posteriori ist durchaus transcendental] Siehe Anm. 39,12 zu A169 (‚a priori‘) und 24,19 zu A22 (‚transzendental‘). 231: 120,36f. intell.[ektuelle] Ans.[chauung] !…" d.[as] ideale Factum] Siehe Anm. 82,16 zu A443 (‚intellektuelle Anschauung‘) und 143,36f. zu BL22 (‚Faktum‘). 231: 120,37 d.[as] ideale Factum !…" Das reale Factum] Siehe Anm. 114,10 zu PhL [II] 137 (‚ideal – real‘). 231: 120,38 Beck] Siehe Anm. 111,28f. zu PhL [II] 25. 231: 120,38 realis abstractissimi] Des abstraktesten Wesentlichen. 232: 121,3f. Ist Schein etwa d.[er] Buchstabe, angesehen vom Standpunkte d[es] Geistes?] Siehe Anm. 15,16 zu L69 (‚Geist und Buchstabe‘). 233: 121,5–7 Alle Arten d[er] Confusion !…" Sein Buchstabe aber ist wohl mehr werth als s.[ein] Geist] Siehe Anm. 10,12 zu L16 (Kant), 112,4f. zu PhL [II] 29 über Kants Schreibart und 15,16 zu L69 (‚Geist und Buchstabe‘). 234: 121,8f. Die Dinge an sich sind erkannt und erkennbar in der [Physik]] Siehe Anm. 66,5f. zu A358 (‚Physik‘). 234: 121,9–12 Berkley sezt d[ie] Idealität alles Empirischen !…" Spinosa sogar die Identität des Idealen und Realen] George Berkeley (1685–1753), irischer Geistlicher und Philosoph, bedeutender Vertreter des Empirismus. – Siehe Anm. 46,39 zu A226 (‚Empirie‘), 10,12 zu L16 (Kant), 25,4f. zu A27 (Leibniz), 47,40 zu A234 (Spinoza) und 114,10 zu PhL [II] 137 (‚ideal – real‘). 234: 121,12–16 Daß der horizontale Realismus !…" rückwärts gegangen] Siehe Anm. 15,16 zu L69 (‚Geist und Buchstabe‘) und 48,17f. zu A238 (‚Transzendentalphilosophie‘).

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235: 121,17f. Transc[endental] ist doch nur ein epitheton ornans !…" ein falsches] Siehe Anm. 24,19 zu A22 (‚transzendental‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). – Epitheton ornans: schmückendes Beiwort. – Vgl. A47. 236: 121,19f. Hülsens Gedankengang ist absolut originell !…" chaotischer] Siehe Anm. 19,8f. zu L108 (Hülsen), 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘), 91,15 zu Id97 (Baader) und 89,10f. zu Id71 (‚Chaos‘).

Fragment-Fragmente

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Fragment-Fragmente

Einleitung Eine größere Anzahl der Schlegelschen Fragmente besitzt gattungspoetologischen Charakter. Im Kapitel „Fragment-Fragmente“ stellt vorliegende Edition eine Auswahl der wichtigsten Aufzeichnungen aus Friedrich Schlegels Notizheften zusammen, in denen er das Fragment oder das Fragmentarische zum Gegenstand seiner Reflexionen macht. Aufgenommen wurden hier nur Texte, die in den vorangegangenen Kapiteln noch nicht berücksichtigt wurden (vgl. außerdem L4, 9, A22, 24, 77, 206, 220, 225, 259, FPL [XI] 281, [XVI] 33, 42, 158f., 213, [XVII] 104, [XVIII] 184, [XX] 30, [XXI] 181, [XXII] 180, [XXIII] 12, [XXIV] (Nachträglicher Zusatz vom ganzen Goethe in der !!jetzigen"" deutschen Litteratur (1823); KFSA17, S.503 und 507), PhL [II] 160 und siehe Anm. 24,14f. zu A22 (‚Fragment‘)). Die vorgestellten ‚Fragment-Fragmente‘ entstanden zwischen 1797 und 1823, keines von ihnen wurden zu Schlegels Lebzeiten veröffentlicht. Als Textgrundlage diente die Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hg. von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. 16. Bd.: Fragmente zur Poesie und Literatur. Erster Teil, mit Einleitung und Kommentar hg. von Hans Eichner, Paderborn, München, Wien und Zürich (Ferdinand Schöningh) 1981, S.36, 39, 79, 114f., 119, 121, 123f., 126, 128f., 135, 152, 154, 163, 165–169, 171, 173f., 213, 232, 237f., 261, 285, 341, 435 (mit folgenden Aufzeichnungen: FPL [III] 19, 53, [IV] 202, [V] 354, 370, 411, 437, 466, 478, 496, 524, 535f., 599, 776, 808, 812, 918, 930, 952f., 960, 988f., 1001, 1011, 1013, 1034, 1037, 1068, 1072, [VII] 112, [VIII] 22, 76, [IX] 87, 393, [X] 3, [XII] 157 (Schluß)). 17. Bd.: Fragmente zur Poesie und Literatur. Zweiter Teil, mit Einleitung und Kommentar hg. von Ernst Behler, Paderborn, München, Wien und Zürich (Ferdinand Schöningh) 1991, S.289, 369, 455, 486 (mit folgenden Aufzeichnungen: FPL [XX] 67, [XXI] 246, [XXII] 229, [XXIII] 105). 18. Bd.: Philosophische Lehrjahre 1796–1806 nebst philosophischen Manuskripten aus den Jahren 1796–1828. Erster Teil, mit Einleitung und Kommentar hg. von Ernst Behler. München, Paderborn, Wien und Zürich (Ferdinand Schöningh) 1964, S.46–49, 69, 72, 90, 92f., 95, 97f., 100–102, 107–109, 114, 118f., 139, 141f., 178, 198–202, 205, 213, 215f., 232f., 235, 242, 258f., 261–266, 279, 305, 331, 333, 337, 347, 353, 356, 360, 367, 371, 390f., 426, 455, 476, 485, 487, 489, 494, 496–498, 528f., 555, 560, 565 (mit folgenden Aufzeichnungen: PhL [II] 285, 298f., 301, 308, 488, 527, 726, 730, 750, 754, 771, 788, 815, 829, 832, 857, 859, 870, 880f., 932, 944, 950, 955, 1029, 1067f. (gekürzt), [III] 204, 224, 239, 622, [IV] 20, 22, 30, 33,

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36, 57, 66, 98, 222, 249, 267, 462, 473, 510, 586, 777, 786, 805f., 810, 815–818, 825, 830, 854, 859, 1015, 1333, [V] 85f., 90, 118, 177, 318f., 390, 416, 478, 555, 609, 836, 846, [VI] 10, 243, [VII] 57, 141, 154, 160, 162, 177, 223f., 241, 255, 259, 266, Beilage IV (gekürzt), Beilage VII 69, 72, Beilage VIII 6, 60). 19. Bd.: Philosophische Lehrjahre 1796–1806 nebst philosophischen Manuskripten aus den Jahren 1796–1828. Zweiter Teil, mit Einleitung und Kommentar hg. von Ernst Behler, München, Paderborn, Wien und Zürich (Ferdinand Schöningh) 1971, S.13, 24, 32, 53, 100, 124f., 131, 134, 148, 173, 177, 201 (mit folgenden Aufzeichnungen: PhL [VIII] 106, 110, 217, 219, 289, [IX] 115, [X] 164, 375f., 418, 422, 440, 548f., 554, [XI] 161, 195, [XII] 8). Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags Ferdinand Schöningh. Schlegels Fragment-Fragmente entsprechen der Forderung, daß romantische Poesie ihre (transzendentalen) Voraussetzungen mitreflektieren und -gestalten muß, und entwerfen eine – im doppelten Wortsinn – fragmentarische Poetik des Fragments (Strack, Romantische Fragmentkonzeption, S.345). Aufgrund ihrer Offenheit und minimalen Reglementierung eignet sich diese Textsorte besonders für gedankliche Experimente, wie Schlegel sie vornimmt, und erlaubt ihm, die Möglichkeiten der Gattung im Entstehungsprozeß der Fragmente zu erkunden. In seinen Notizheften begegnet der Fragmentbegriff öfter in Zusammenhang mit Werkplänen (z.B. FPL [VIII] 22, 76, PhL [II] 932, [IV] 815, [V] 318, [VII] 160, 266) und speziell mit Überlegungen zur stofflich-thematischen Dispositon einer Veröffentlichung der „Fragmente aus d[en] Papieren zur Poesie“ (PhL [X] 554) oder der Philosophischen Lehrjahre (PhL [II] 1067f., [VII] 259, Beilage VIII60, PhL [VIII] 217, [X] 548f., 554). Wiederholt tauchen in Schlegels Überlegungen auch die im ‚Athenäum‘ veröffentlichten Fragmentsammlungen auf (z.B. PhL [VII] 255, Beilage VII69, Beilage VIII6). Schlegel versucht, das Wesen des Fragments und seine Eigenart zu bestimmen, indem er es mit verschiedenen Gattungen, Textsorten, Gedichtformen, mit sprachlichen und geistigen Phänomenen im weitesten Sinn in Beziehung setzt: Epos, Drama und Lyrik, Roman, Novelle, Romanzo, Stanze, Terzine, Kanzone, Madrigal, Aphorismus, Gnome, Spruch, Brief und Gespräch stellen u.a. die wechselnden Bezugspunkte für eine vorläufige Orientierung dar. Mehrfach stellt Schlegel dem Fragment, Begriffe wie Charakteristik (siehe Anm. 127,19–21 zu PhL [II] 488), Projekt (siehe Anm. 24,14f. zu A22) oder System (siehe Anm. 29,9f. zu A77) gegenüber oder versucht, Fragment, Masse, Rhapsodie und System gegeneinander abzugrenzen (siehe Anm. 123,33f. zu FPL [V] 953). An anderer Stelle betrachtet er das Fragment im Zusammenhang mit einer „Idee von litterar[ischen] Formen“, die eine Vielzahl heterogener Elemente umfaßt: „Edition – Compend[ium] – Recension !!Commentar"" Skizze – Studium Uebersetzung – Einleitung  [System] Fr[agment] [Rhapsodie] Masse Essay Brief. Gespräch. Rede“ (PhL [V] 416). In FPL [V] 918 wird das Fragment explizit zu

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den „Schriften“ gestellt, die nicht Werk sind – S TUDIUM . D IASKEUE . Tendenz. Fragment !!Skizze"" E PIDEIXIS . Materialien“, in FPL [V] 411 zu den „unvollkommnen Gedichte!n"“, nämlich „Tendenzen, Skizzen, Studien, Fragmente, Ruinen“ (vgl. auch PhL [V] 177). Auch das Fragmentarische im Werk einzelner Autoren wird gelegentlich beleuchtet, wie etwa bei Aristoteles (PhL [IV] 510), Cicero und Varro (PhL [V] 86), Jakob Böhme (PhL [X] 440), bei Chamfort (PhL [IV] 830), Lessing (FPL [XII] 157, PhL [V] 118), Tieck (PhL [IV] 22), Schleiermacher (FPL [V] 1013) oder bei Schlegel selbst (PhL [II] 788, 815, [VII] 106, [X] 376). Dabei rücken neben dem frühromantischen Fragmentbegriff durchaus auch dessen Vorläufer ins Blickfeld, wenn z.B. Petrarcas Gedichte „class[ische] Fragmente eines Romans“ (FPL [V] 354) genannt werden, die Ballade als aus „Atome!n" einer zerstörten Poesie, in fragmentarischen Volksliedern“ (FPL [XXIII] 105) bestehend charakterisiert wird, oder wenn Schlegel bemerkt, daß Platos Timaios und der unvollendete Kritias „ein Dialog, oder Fragmente eines Dialogs“ seien. „Auch dem Fragment Timaios fehlt die letzte Hand“ (PhL Beilage IV; vgl. u.a. auch FPL [XXII] 229). Als wesentlichen Aspekt des frühromantischen Fragments betont Schlegel dessen „Universalität“ (PhL [V] 478; vgl. auch [IV] 222 und 586), die weit über Literatur, Philosophie (vgl. u.a. PhL [II] 771, 950, 1029) und Einzeldisziplinen wie Philologie, Mathematik (PhL [IV] 66) und Physik (PhL [VIII] 217) hinausreicht und ihn zur Schlußfolgerung veranlaßt: „Die Encycl[opädie] läßt sich schlechterdings nur in Fragmenten darstellen“ (PhL [VII] 141). Stets bleibt das Vorläufige, Experimentelle ein beherrschender Charakterzug der Aufzeichnungen. Die Fragmente bzw. Vorstufen zu Fragmenten relativieren sich gegenseitig oder schließen einander zumindest teilweise aus (vgl. etwa PhL [V] 846 und [V] 478), so daß der Schlegelsche Fragmentbegriff in seiner Vielgestaltigkeit zwar aus unterschiedlichen Blickwinkeln punktuell beleuchtet wird, sich jedoch zu keinem konzisen poetologischen Entwurf zusammenschließt und für den Leser eigentümlich in der Schwebe bleibt.

Stellenkommentar Fragmente zur Poesie und Literatur [III] 19: 122,3–5 philosophisch !…" philologisch] Siehe Anm. 30,38f. zu A93 zum Verhältnis von Philosophie und Philologie. 19: 122,4 skizzirt] Siehe Anm. 9,9f. zu L4 (‚Skizze‘). 19: 122,3–7 Art und Geist !…" Geist des Philologen] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). Die Aufzeichnung setzt die in den vorausgegangenen Notizen begonnenen Überlegungen zu einer geplanten Publikation ‚Zur Philologie‘ fort. 53: 122,9f. Gedanken über Winkelm.[ann], Lessing, Wolf] Siehe Anm. 37,9f. zu A149 (Winckelmann) und 14,37f. zu L64 (Lessing). Friedrich August Wolf (1759–1824) lehrte als Professor der klassischen Philologie in Halle; vgl.

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über ihn und sein Hauptwerk, die Prolegomena ad Homerum, FPL [III] 2, 14, 25f., 28, 43, 48, 54, 72, 75, 104, 108, 122, 157, 174, 196, [IV] 67, 69, 106, 196, PhL [III] 227, [V] 118, 134, [VI] 217, 256 u. ö. 53: 122,10f. Indikazionen] Veranlassungen, Gründe. 53: 122,12f. Ruhnk.[en], Bentley !…" Casaub.[onus], Solmas.[ius]] Philologen des 17. und 18. Jahrhunderts. 53: 122,13 die Batavier] Die holländischen Philologen, über die sich Schlegel auch in FPL [III] 104 und 108 äußert. 53: 122,14 Ernesti] Der Theologe, Philologe und Pädagoge Johann August Ernesti (1707–1781) lehrte ab 1742 an der Universität Leipzig. Fragmente zur Poesie und Literatur [IV] 202: 122,17f. Die encycl.[opädische] Methode ist nicht fragmentar.[isch] sondern rhapsodisch] Siehe Anm. 16,5f. zu L78 (‚Enzyklopädie‘) und 56,35 zu A305 (‚Rhapsodie‘) und vgl. insbesondere FPL [IV] 203: „Die syst.[ematische Tendenz] liegt schon in dem Begriff des Rhapsodischen.“ 1 xo— 202: 122,18 x = ] „Die Formel bedeutet: ‚Die rhapsodische Behando lung eines Themas x ist die Absolutierung und unendliche Potenzierung desselben.‘ Später unterscheidet Schlegel sorgfältig zwischen den Kürzungen (= rhetorisch) und  (= rhapsodisch)“ (Eichner, KFSA16, S.536). Siehe auch Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 33,6f. zu A116 (‚potenzieren‘) und 108,21 zu FPL [V] 173 über Schlegels Gebrauch mathematischer Formeln in seinen Notizheften. Fragmente zur Poesie und Literatur [V] 354: 122,22 Petrarcha’s Gedichte sind class.[ische] Fragmente eines Romans] Siehe Anm. 20,18 zu L119 (Petrarca), 10,2 zu L13 (‚klassisch‘) und 10,34 zu L26 (‚Roman‘). Vgl. August Wilhelm Schlegel, Vorlesungen über schöne Litteratur und Kunst. Gehalten zu Berlin in den Jahren 1801–1804: „Mein ehemaliger Gedanke: Leben des Petrarca mit Einflechtung der Gedichte an den gehörigen Stellen. Dieß könnte niemals gelingen. Die Sammlung von Petrarca’s Gedichten ist schon Roman. Es giebt ja dergleichen in Briefen, warum nicht in Canzonen und Sonetten? !…" Wesen des Romans, das Poetische im Leben überhaupt aufzufassen, also auch einer speciellen Biographie. Wozu die störenden prosaischen Umgebungen?“ (Hg. von Jakob Minor, 3. Teil (1803–1804), Heilbronn 1884, S.203f.) Vgl. FPL [V] 524. -- Eichner, KFSA16, S.547. 

370: 122,23–25 Vieles was man für —[absolutes Poem] hält !…" Skizze, o Studium oder, Fragment] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 103,3–5 zu FPL [V] 85 (‚Studium‘), 33,6f. zu A116 (‚potenzieren‘), 9,9f. zu L4 (‚Skizze‘) und 108,21 zu FPL [V] 173 über die mathematischen Formeln in Schlegels Aufzeichnungen. Vgl. FPL [V] 411, 918 und L4. -- Eichner, KFSA16, S.548. 411: 122,26f. Alle unvollkommnen Gedichte !…" Tendenzen, Skizzen, Studien, Fragmente, Ruinen] Siehe Anm. 10,16 zu L19 (‚Gedicht‘), 15,18f. zu L69

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(‚Tendenz‘), 9,9f. zu L4 (‚Skizze‘), 103,3–5 zu FPL [V] 85 (‚Studium‘) sowie 98,26–28 zu FPL [V] 18 über Schlegels ‚Allsätze‘; vgl. ferner L4, FPL [V] 370 und 960. 437: 122,28f. Jede Stanze !…" die Gleichheit d[er] Sylbenzahl episch] Siehe Anm. 133,27 zu PhL [V] 318 (‚Stanze‘), 97,15f. zu FPL [V] 4 (‚Idylle‘), 58,33f. zu A315 (‚Elegie‘) und 20,31 zu L121 (‚Epos‘). 437: 123,1 Sonnett die vollkommenste Form für ein romant.[isches] Fragment] Vgl. FPL [V] 354, 524 und 1037; siehe Anm. 13,30 zu L49 (‚romantisch‘). 437: 123,1–3 In d.[er] Terzine !…" scholast[ischen] [Philosophie]] Siehe Anm. 133,27 zu PhL [V] 318 (‚Terzine‘). Vgl. zum ‚prophetischen‘ Charakter der Terzine August Wilhelm Schlegel in den Vorlesungen über schöne Litteratur und Kunst (AWS,SW19, S.196f.) und Friedrich Schlegels Brief an seinen Bruder, 19.9.1797, zum „biblischen Geist“ und zum „Geist der scholastischen Philosophie“ (KFSA24, S.18). -- Eichner, KFSA16, S.546. 466: 123,4f. Romanze ein kleines fragmentarisches F[antastisches] R[omanzo] oder S[entimentales] R[omanzo]] Siehe Anm. 80,16 zu A429 (‚Romanze‘), 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘) und 11,6 zu L31 (‚sentimental‘). Ind.  478: 123,6f. zur — [absoluten Individualpoesie]] Siehe Anm. 21,4 zu o L123 (‚absolut‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 108,21 zu FPL [V] 173 zum Gebrauch mathematischer Formeln in Schlegels Notizheften. 496: 123,8 Jedes System wächst nur aus Fragmenten] Siehe Anm. 29,9f. zu A77 (‚System – Fragment‘). 524: 123,9 Lyr.[ische] Gedichte sind romant.[ische] Fragmente] Siehe Anm. 20,20 zu L119 (‚lyrisch‘) und 13,30 zu L49 (‚romantisch‘); vgl. FPL [V] 354. Ind. 535: 123,10 Alle Sat.Mim. — [mimische absolut individuell ethische o Satire?]] Siehe Anm. 98,26–28 zu FPL [V] 18 über Schlegels ‚All-Sätze‘, 13,17 zu L45 (‚Mimus‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘), 97,28–30 zu FPL [V] 8 (‚ethisch‘) und 20,6f. zu L117 (‚Satire‘). 536: 123,12 Studium ist absichtl.[iches] Fragment.] Siehe Anm. 103,3–5 zu FPL [V] 85 (‚Studium‘). 599: 123,14–17 Gattung[en] der Prosa !…" der [rhetorischen]] Siehe Anm. 22,8f. zu A4 (‚Gattungen‘), 13,30 zu L49 (‚romantisch‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘), 9,23 zu L9 (‚Witz‘) und 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘). Vgl. Schlegels Experimentieren mit ähnlichen Klassifikationen in FPL [V] 153. 776: 123,19–23 Es giebt vier Arten des prosaisch[en] Witzes !…" aus d[en] dreyen gemischt] Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘) und 93,11f. zu Id123 über den ‚kombinatorischen‘ Witz, 24,19 zu A22 (‚transzendental‘), 12,33 zu L42 (‚Ironie‘), 78,24f. zu A426 (‚Geselligkeit‘), 12,32 zu L42 (‚Urbanität‘), 13,21 zu L46 über die Römer, 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘) und 11,12–15 zu L32 über chemische Termini wie ‚Mischung‘ u.ä.; vgl. zum Witz der Römer L126.

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808: 123,24f. Alle [poetischen] Fragm.[ente] müssen irgendwo Theile eines Ganzen sein] Siehe Anm. 18,15 zu L103 (‚Ganzheit‘). 812: 123,26f. reine Form der Classicität und Progressivität und Urbanität] Siehe Anm. 97,11 zu FPL [V] 3 (‚klassisch und progressiv‘) und 12,32 zu L42 (‚Urbanität‘). 918: 123,28f. Nota/ Schriften die nicht Werke sind !…" Materialien] Vgl. L4, FPL [V] 370 und 411. – Unter Diaskeue, „Zurüstung“, versteht man die kritische Überarbeitung eines literarischen Werks, die Textvorlagen zusammenstellt und redigiert. Epideixis heißt in der antiken Schulrhetorik der Typus der Prunkrede, den Schlegel im Epitafios des Lysias (1796) als „festliche Beredsamkeit“ (KFSA1, S.162) definiert. Vgl. PhL [II] 189 und [X] 375. 117,37 dazu. – Siehe ferner Anm. 103,3–5 zu FPL [V] 85 (‚Studium‘), 15,18f. zu L69 (‚Tendenz‘) und 9,9f. zu L4 (‚Skizze‘ und ‚Materialien‘). -- Fetscher, Anbrüche, S.71–74. 930: 123,30 Auch das größte System ist doch nur Fragment] Siehe Anm. 29,9f. zu A77 über das Verhältnis ‚System‘ – ‚Fragment‘ und vgl. FPL [V] 952. x

952: 123,31f.  [System] =



[absolutes Drama]. Fr[agment] = o  [reduzirtes Drama]] Siehe Anm. 29,9f. zu A77 über das Verhältnis von 

‚Fragment‘ und ‚System‘, 13,19f. zu L45 (‚Drama‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘). Vgl. FPL [V] 930. 953: 123,33f. Fragmente !…" Massen !…" Rhapsodien !…" Systeme] Vgl. zur Abgrenzung von ‚Fragment‘, ‚Masse‘, ‚Rhapsodie‘ und ‚System‘ FPL [V] 939, 947, 988, 1013, 1072, [VII] 112, PhL [II] 726, 771, 944, 955, 967, [IV] 805f., 808, 810, 817, [V] 416 und Friedrich Schlegels Brief an Caroline Schlegel vom 12.12.1797 (KFSA24, S.60); zum Begriff der Masse ferner L103, A253, 421, 432, FPL [V] 668, 732, 872, 916, 920, 1022, PhL [III] 61 u. ö. Siehe Anm. 29,9f. zu A77 zum Verhältnis von ‚Fragment‘ und ‚System‘ sowie 56,35 zu A305 (‚Rhapsodie‘). -- Schillemeit, S.164. 960: 123,37–124,1 Romant[ische] Studien !…" R[omantischen] [Poesie]] Siehe Anm. 13,30 zu L49 (‚romantisch‘), 103,3–5 zu FPL [V] 85 (‚Studium‘), 218,9 zu AB940 (‚Märchen‘), 11,12–15 zu L32 über chemische Termini wie ‚Mischung‘ und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 960: 124,1f. Die Novelle eine R[omantische] Tendenz, Fragment, Studie, Skizze in Prosa] Siehe Anm. 80,14 zu A429 (‚Novelle‘), 15,18f. zu L69 (‚Tendenz‘) und 9,9f. zu L4 (‚Skizze‘). Vgl. FPL [V] 411. 988: 124,3f. In der Masse muß alles unterstrich[en] sein, wie im Fr[agment], nicht so im hapsodischen]] Siehe Anm. 123,33f. zu FPL [V] 953 zur Abgrenzung von ‚Masse‘, ‚Fragment‘, ‚Rhapsodie‘ und ‚System‘. Vgl. A395. 1001: 124,8–10 Die antike [Poesie] !…" Sat[ire] !! [skeptisch]""] Siehe Anm. 20,31 zu L121 (‚Epos‘), 13,17 zu L45 (‚Mimus‘), 20,20 zu L119 (‚lyrisch‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 13,19f. zu L45 (‚Drama‘), 46,39 zu A226 (‚Empirie‘), 20,6f. zu L117 (‚Satire‘) und 28,15 zu A66 (‚Skeptiker‘, ‚skeptisch‘). 1001: 124,11–14 F[antasie], S[entimentalität], M[imik], P[olitik] !…" romant.[ische] Fragmentenform] Siehe Anm. 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘), 11,6

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zu L31 (‚sentimental‘), 91,24 zu Id101 (‚Politik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘) und 13,30 zu L49 (‚romantisch‘). 1011: 124,16f. In hapsodien] ist Fülle !…" Ironie paßt nicht für Fr[agmente]] Siehe Anm. 56,35 zu A305 (‚Rhapsodie‘), 89,12f. zu Id72 (‚Fülle‘) und 12,33 zu L42 (‚Ironie‘). 1013: 124,18f. Fr[agmentarische] hapsodie] ist die Form d.[er] Polem.[ik] und der Eklekt[ik]] Siehe Anm. 56,35 zu A305 (‚Rhapsodie‘) und 16,19 zu L81 (‚Polemik‘). 1013: 124,19 Schleiermachers Naturform] Am 12.12.1797 schreibt Friedrich Schlegel an seine Schwägerin Caroline Schlegel: „Ich habe immer geglaubt, Ihre Naturform – denn ich glaube, jeder Mensch von Kraft und Geist hat seine eigenthümliche – wäre die Rhapsodie. Es wird Ihnen vielleicht klar, was ich damit meyne, wenn ich hinzusetze, daß ich die gediegene feste klare Masse für Wilhelms eigentliche Naturform, und Fragmente für die meinige halte“ (KFSA24, S.60). 1013: 124,19f. Die Form der [Kritik] und der Syncret.[ik] ist Fr[agmenten-]Masse] Synkretik: Vermischung, Vermengung. Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 19,33 zu L112 über die Komposita mit ‚sym-‘ bzw. ‚syn-‘ und 123,33f. zu FPL [V] 953 (‚Masse‘). 1034: 124,21 Die  [systematische] Form (des R[omans]) eine Kette von Novellen] Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘), 10,34 zu L26 (‚Roman‘) und 80,14 zu A429 (‚Novelle‘). 1034: 124,22 Theorema] Lehrsätze. 1034: 124,22 Aporema] Logische Schwierigkeiten. 1034: 124,22f. Die Fr[agmenten]form eine lanx satura von Novellen] Siehe Anm. 51,30f. zu A259 (‚lanx satura‘). 1037: 124,24f. Terzine ist Rom[antische] hapsodie], Madrigale ist Rom[antisches] Fragment] Siehe Anm. 133,27 zu PhL [V] 318 (‚Terzine‘), 13,30 zu L49 (‚romantisch‘), 56,35 zu A305 (‚Rhapsodie‘) und 125,15 zu FPL [IX] 87 (‚Madrigal‘). Vgl. FPL [V] 437 und [IX] 87. 1068: 124,26 Novellen sind romant[ische] Fr[agmente]] Siehe Anm. 80,14 zu A429 (‚Novelle‘) und 13,30 zu L49 (‚romantisch‘). 1072: 124,28–30 Jeder Periode ist Masse, Fr[agment], hapsodie] oder Syst[em] !…" eigenthümliche Interpunction] Siehe Anm. 123,33f. zu FPL [V] 953 über die Abgrenzung von ‚Masse‘, ‚Fragment‘, ‚Rhapsodie‘ und ‚System‘ sowie 18,25 zu L104 (‚Styl‘). Fragmente zur Poesie und Literatur [VII] 112: 124,34–37 Die Mineralität d[er] Fr[agmente] !…" Bilder und Gedanken] Siehe Anm. 220,8f. zu AB962 (‚mineralisch – vegetabilisch – animalisch‘) und 123,33f. zu FPL [V] 953 (‚Masse – Fragment – Rhapsodie‘). Vgl. PhL [IV] 98.

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Fragmente zur Posie und Literatur [VIII] 22: 125,5f. Jul.[ianes] kindlich[e]   [dialektische] Ironie] Vgl. zur Figur der Juliane aus Schlegels Lucinde (1799) und zur geplanten Fortsetzung des Romans FPL [VIII] 76 und KFSA5, S.LXII. Siehe Anm. 12,33 zu L42 (‚Ironie‘) und 96,9f. zu Id156 (‚Lucinde‘). 76: 125,7 Sidonie soll am meisten Kunstsinn haben – Juliane ist musikheilig] Die Notiz bezieht sich auf die geplante Fortsetzung der Lucinde. Siehe Anm. 96,9f. zu Id156 über Schlegels Roman, 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘) und die vorige Anm. 76: 125,8 Die Gattung der Träume] Siehe Anm. 22,8f. zu A4 (‚Gattung‘) und 54,19 zu A288 (‚träumen‘). Fragmente zur Poesie und Literatur [IX] 87: 125,15 Das romantische Fragment in Miniatur ist d[as] Madrigal] Siehe Anm. 13,30 zu L49 (‚romantisch‘) und vgl. zum Madrigal FPL [V] 437, 1037 und [IX] 393. 393: 125,17 Das Madrigal ist nur ein Fragment von Canzone] Siehe Anm. 125,15 zu FPL [IX] 87 (‚Madrigal‘). Vgl. zur Kanzone FPL [V] 462, 841, 844, 846, [VII] 272 u. ö. Fragmente zur Poesie und Literatur [X] 3: 125,21–25 Durch [Dithyramben] !…" Gegensatz der Fr[agmentarischen]] Siehe Anm. 38,33f. zu A165 (‚dithyrambisch‘), 96,9f. zu Id156 über Schlegels Lucinde, 26,31 zu A50 (‚Liebe‘), 20,20 zu L119 (‚lyrisch‘), 97,15f. zu FPL [V] 4 (‚Idylle‘) und 89,10f. zu Id71 (‚Chaos‘). Fragmente zur Poesie und Literatur [XII] 157: 125,30f. Prosa d.[es] W.[ilhelm] Meisters !…" Lessing zwischen Journal und Fragmenten] Siehe Anm. 20,27–29 zu L120 über Goethes Wilhelm Meister, zu Lessing siehe Anm. 14,37f. zu L64. Fragmente zur Poesie und Literatur [XX] 67: 126,3–5 Zwey wissenschaftl[iche] Formen !…" [kritische] in d[er] Mitte] Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘), 30,25–27 zu A89 (‚Mathematik‘), 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). Fragmente zur Poesie und Literatur [XXI] 246: 126,8f. Von der vorigen Generation deutscher Gelehrten sind Briefe interessanter, wie von der unsrigen Fragmente] Vgl. zur Textsorte ‚Brief‘ PhL [II] 474, 754, [III] 69, [IV] 31, 65, 328, 448, [V] 318, 390, 416, 736, 766, [VII] 222f., [X] 164 und Novalis, BL56.

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Fragmente zur Poesie und Literatur [XXII] 229: 126,12–14 Das Idyllion der Alten !…" Mährchen der romantischen Zeit] Siehe Anm. 97,15f. zu FPL [V] 4 (‚Idylle‘), 16,29f. zu L84 (die ‚Alten‘ und die Modernen), 20,31 zu L121 (‚Epos‘), 13,30 zu L49 (‚romantisch‘) und 218,9 zu AB940 (‚Märchen‘). Fragmente zur Poesie und Literatur [XXIII] 105: 126,17 in dem Aufsatz über die Ballade] Goethes Aufsatz Ballade. Betrachtung und Auslegung (1821; WA I 41.1, S.223–227) erschien in ,Über Kunst und Altertum‘. Im Unterschied zu Goethe, dessen Ausführungen das Fragment zunächst zusammenfaßt, erblickt Friedrich Schlegel in der Ballade eine späte Entwicklungsstufe der Poesie, im Hymnus deren Ursprung. Philosophische Lehrjahre [II] 285: 126,26–29 Die große Ansicht !…" etwas zu thun haben] Siehe Anm. 9,9f. zu L4 (‚Skizze‘), 25,4f. zu A27 (Leibniz), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 10,9 zu L16 (‚Willkür‘) und 48,17f. zu A238 (‚Transzendentalphilosophie‘). 285: 126,29 Princ. Phil. §63. omnia plena] Leibniz, Principia philosophiae (1721), die lat. Ausgabe der Monadologie. – „Alles volle“. 285: 126,30–127,7 Daß jegl.[iches] Individuum eigent[lich] absolut ist !…" der Vater der Transc [endentalphilosophie]] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 34,11f. zu A121 (‚absolute Philosophie‘), 19,8 zu L108 (‚Instinkt‘), 24,14f. zu A22 (‚Projekte und Fragmente‘), 13,26 zu L47 (‚unendlich‘), 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘) und 114,10 zu PhL [II] 137 (‚ideal – real‘). – Vgl. PhL [II] 282. -- Behler, KFSA19, S.392. 298: 127,8f. Auch in Gott trennt er das Id[eale] und Re[ale] – und die Willkühr kommt durch Zufall nach] Siehe Anm. 47,30 zu A232 (‚Gott‘), 114,10 zu PhL [II] 137 (‚ideal – real‘) und 10,9 zu L16 (‚Willkür‘). – Vgl. zu dieser Notiz, die sich auf Leibniz bezieht, PhL [II] 285 und 307. 298: 127,9–11 Ziehe die Wurzel aus s.[einer] [Philosophie] !…" charakterisire sie im Gang der [Philosophie]] Siehe Anm. 33,6f. zu A116 (‚potenzieren‘), 24,16f. zu A22 (‚progressiv‘), 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘) und 9,21f. zu L8 über das Radizieren und Potenzieren. – „Der letzte Teil des Frag1—

1 x —

o o ments ist eine Umschreibung der sonst von Schlegel verwandten Formel ß® “ o— (Behler, KFSA19, S.392). Vgl. z.B. PhL [IV] 1465, [V] 41, 870, [VII] 197 sowie ferner PhL [IV] 34, 999 u. ö. 298: 127,11 ergänze das Fragment, erkläre das Projekt und realisire es] Siehe Anm. 24,14f. zu A22 (‚Projekte und Fragmente‘). Vgl. PhL [II] 308, 880 und zum Ergänzen von Fragmenten auch Hardenbergs Brief an Friedrich Schlegel vom 20.7.1798 (NO4, S.255). 299: 127,12f. Jemanden kritisiren – heißt s.[eine] Fr[agmente] und s.[eine] Proj.[ekte] bestimmen] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 24,14f. zu A22 (‚Projekte und Fragmente‘). Vgl. PhL [II] 308. -- Zovko, S.99f.

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Friedrich Schlegel

301: 127,14f. Die ganze alte [Philosophie] eigent[lich] Ein Fr[agment] und d.[ie] moderne Ein Proj[ekt]] Siehe Anm. 16,29f. zu L84 (‚die Alten – die Modernen‘) und 24,14f. zu A22 (‚Projekte und Fragmente‘). Vgl. PhL [II] 750 und 880. 308: 127,16f. Alle [Kritik] ist divinatorisch !…" ein Fr.[agment] zu ergänzen] Siehe Anm. 46,13 zu A221 (‚divinatorische Kritik‘) und 24,14f. zu A22 (‚Projekte und Fragmente‘). Vgl. PhL [II] 298f. und 880. -- Behler, KFSA19, S.393. 488: 127,19–21 Die Einheit des Fr[agments] !…" jeder Mensch ein Mikrokosmus] Vgl. FPL [V] 478. Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘), 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). – Vgl. zu Mikrokosmos und Makrokosmos bzw. zur Analogie verschiedener Seinsbereiche Id100; T82, ET432, GL4, AB137, 407 („Die Welt ist der Macroandropos“), 799 und Vorarbeiten 483; Ritter, RF5, 67, 83f., 102, 124f., 420, 513, 688. – Vgl. ferner PhL [III] 204 und zum Verhältnis von Charakteristik und Fragment PhL [III] 224, 239, [IV] 222, 267, 510, 777, 825, 854, 1015 und [V] 390. 527: 127,23 Die [poetischen] Fragmente ganz biblisch – Sprüche] Siehe Anm. 90,36f. zu Id95 (‚Bibel‘) und vgl. PhL [IV] 33 und 57. 726: 127,26f. Die [poetische] (künstlerische) Bildung !…" das Genie fragmentarisch] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘), 123,33f. zu FPL [V] 953 (‚Masse – Fragment – Rhapsodie – System‘) und 33,40f. zu A119 (‚Genie‘). Vgl. L9 („fragmentarische Genialität“). 730: 127,28 Witz !…" fragmentarische Mystik] Siehe Anm. 9,23 zu L9 und 10,1f. zu L13 (‚Witz‘), 24,19 zu A22 (‚transzendental‘), 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘) und 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘) -- Ostermann, Ästhetische Idee, S.129f. 750: 127,29f. Der Sinn für Projecte !…" durch die progreßive Richtung verschieden] Siehe Anm. 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘) sowie 24,14f. und 24,16f. zu A22 (‚Projekte und Fragmente‘, ‚progressiv‘) und vgl. besonders PhL [II] 301. 754: 127,31–33 Die Formen der modernen [Philosophie] !…" die   [systematische Philosophie] Spinosa] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘), 126,8f. zu FPL [XXI] 246 (‚Briefe‘), 10,34 zu L26 (‚Roman‘), 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘), 19,16 zu L111 (Rousseau) und 47,40 zu A234 (Spinoza). Vgl. A196 über Autobiographien. 771: 127,34 Die Endigung Ismus kann nie ein  [System] bezeichnen] Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘) und vgl. PhL [II] 747, 773, 912, [IV] 865 zum „Ismus“. -- Behler, KFSA19, S.403. 771: 127,36f. My[stizismus] – Emp[irismus] – Systematism – [Skeptizismus] – [Kr]itizism] Siehe Anm. 98,29 zu FPL [V] 18 (‚empirisch – skeptisch – mystisch – kritisch‘). 771: 127,38–128,2 Die passende Form ist Rhapsodie !…" Masse für R [Realphilosophie]] Siehe Anm. 123,33f. zu FPL [V] 953 (‚Masse – Rhapsodie – Fragment – System‘) und 24,19 zu A22 (‚transzendental‘). -- J.Schillemeit, S.162 und 164, schlägt statt „Realphilosophie“ die Lesung „Romantische Philosophie“ vor. 788: 128,3f. Für Monologe sind meine M[anus]kripte nicht offen !…" Na-

Fragment-Fragmente

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turfragmente] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). Vgl. PhL [II] 859 und zur Textsorte Monolog u.a. FPL [V] 1137, PhL [II] 415, [III] 69, [IV] 65, 328, 448, [V] 923; Novalis, AB218, Monolog (1798/99; NO2, S.672f.) und Schleiermachers Monologen (1800; FDES,KGI/5, S.1–60.). 815: 128,5f. Ich bin ein fragmentarischer Systematiker !…" systematischer Kritiker] Vgl. PhL [II] 857, 829 und 832. Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘), 29,9f. zu A77 (‚System – Fragment‘), 13,30 zu L49 (‚romantisch‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). -- Frischmann, Transzendental, S.145–148; Götze, Ironie, S.190. 829: 128,7f. Memorabilien nur ein subjekt.[ives] System von Fragmenten !…" objektives geben] Aus dieser Notiz ist A 77 hervorgegangen. Siehe Anm. 29,9 und 29,9f. zu A77 (‚Memorabilien‘ und ‚System – Fragment‘). Vgl. zum Werkplan „System von Fragmenten“ PhL [II] 832 und 857. -- Frischmann, Transzendental, S.145f. 832: 128,9f. Ein rechtes  [System] von Fr[agmenten] müßte zugleich subjektiv und objektiv sein] Siehe Anm. 29,9f. zu A77 (‚System – Fragment‘) und 24,11 zu A22 (‚subjektiv – objektiv‘). Vgl. PhL [II] 815, 829 und 857. -Frischmann, Transzendental, S.145–148. 857: 128,11f. Meine [Philosophie] ist ein System von Fragmenten und eine Progreß.[ion] von Projekten] Vgl. PhL [II] 829 und 832. Siehe Anm. 29,9f. zu A77 (‚System – Fragment‘) sowie 24,16f. und 24,14f. zu A22 (‚progressiv‘ und ‚Projekte und Fragmente‘). -- Frischmann, Transzendental, S.145–148; Götze, Ironie, S.191. 859: 128,13 Die Fragmente die eigenthümliche Form der Natur [philosophie]] Vgl. PhL [II] 788 zu den ‚Naturfragmenten‘ und siehe Anm. 16,27 zu L82 (‚Naturphilosophie‘). 880: 128,16f. Projekte zu bilden, und Fragmente zu ergänzen, ist die Sache des Idealismus] Siehe Anm. 24,14f. zu A22 (‚Projekte und Fragmente‘) und vgl. PhL [II] 298. 881: 128,19f. Genie ist Witz +  , das Bildungsvermögen.] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘), 9,23 zu L9 (‚Witz‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). –  : das Machen/Herstellen. 881: 128,20 Witz ist also eigent[lich] fragment.[arische] Genialität] Vgl. zu dieser Definition des Witzes L9 und siehe Anm. 9,23 dazu. 932: 128,21 [Kritik] der [Philosophie]] Zum Werkplan ‚Kritik der Philosophie‘ siehe Anm. 120,22–25 zu PhL [II] 228. 932: 128,25 Brander] Vgl. zu diesem Werkplan u.a. auch PhL [II] 493, 580, 870, [III] 39, [VI] 89, 92, 284. Als Brander wird ein Schiff bezeichnet, das in Brand gesetzt wird, um damit feindliche Segelschiffe anzuzünden. 932: 128,21–26 1) [Kritik] der [Philosophie] !…"   [systematische Philosophie]] Friedrich Schlegel notiert in dieser Aufzeichnung Werkpläne. – Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 34,11f. zu A121 (‚absolute Philosophie‘), 13,5f. zu L44 (‚Altertum‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 48,17f. zu A238 (‚Transzendentalphilosophie‘) und 26,22f. zu A46 (‚System‘).Vgl. zur Elementarphilosophie PhL [II] 863, 940, 950 und [IX] 187.

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Friedrich Schlegel

944: 128,27f. Die Form d[es] Enthus.[iasmus] !…" der Kunst Masse pp] Siehe Anm. 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘), 33,40f. zu A119 (‚Genie‘) und 123,33f. zu FPL [V] 953 (‚Rhapsodie – Fragment – Masse‘). 950: 128,29f. Ein System d[er] Elem[entar] [philosophie] läßt sich gar nicht anders Schreiben als in Fr[agmenten]] Siehe Anm. 29,9f. zu A77 (‚System – Fragment‘) und 128,21–26 zu PhL [II] 932 (‚Elementarphilosophie‘); vgl. PhL [II] 829, 832 und 857. 955: 128,31–33 Auch das Leben ist Fr[agmentarisch] hapsodisch] massiv !…" von Kindern] Siehe Anm. 123,33f. zu FPL [V] 953 (‚Rhapsodie – Fragment – Masse – System‘), 33,40f. zu A119 (‚Genie‘), 29,9f. zu A77 (‚System – Fragment‘) und 154,30 zu BL97 (‚Kind‘). – Prolegomena: Einleitungen. 1029: 128,34 Die eigent[liche] Form d[er] Universal [philosophie] sind Fragmente] Vgl. A220 und besonders A259 zum Begriff der „Universalphilosophie“ sowie PhL [II] 859. 1067: 128,37–129,8 I. Kritik !…" Begeisterung oder des Naturgefühles] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘), 15,32f. zu L73 (‚übersetzen‘), 13,5f. zu L44 (‚Altertum‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 10,12 zu L16 (Kant), 37,9f. zu A149 (Winckelmann), 13,26 zu L47 (‚unendlich‘), 89,12f. zu Id72 (‚Fülle‘), 14,37f. zu L64 (Lessing), 9,23 zu L9 (‚Witz‘), 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘), 26,31 zu A50 (‚Liebe‘) und 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘). – Vgl. die folgende Notiz und PhL [VIII] 217, [X] 548f. und 553f., in denen Schlegel für die geplante Veröffentlichung Möglichkeiten der Anordnung seiner Aufzeichnungen erprobt. 1068: 129,13 Litterar.[ische] Bekenntnisse und Studien] Siehe Anm. 103,3–5 zu FPL [V] 85 (‚Studium‘). 1068: 129,14–17 Die Eintheilung der Fragmente !…" durch Reden commentirt] Siehe Anm. 46,39 zu A226 (‚Empirie‘), 66,5f. zu A358 (‚Physik‘), 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘), 26,31 zu A50 (‚Liebe‘) und 23,25f. zu A16 (‚Christianismus‘). Vgl. die vorige Aufzeichnung und siehe Anm. 128,37–129,8 dazu. 1068: 129,18–20 Mehre Massen in den Fragm.[enten] !…" Id[ealismus]] Siehe Anm. 123,33f. zu FPL [V] 953 (‚Masse‘), 16,19 zu L81 (‚Polemik‘) und 9,23 zu L9 (‚Witz‘). Philosophische Lehrjahre [III] 204: 129,27f. Der Gegenstand des Fragments !…" conceptus] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und vgl. PhL [II] 488. – Conceptus: Begriff, Einfall, geistreiches Wortspiel. 224: 129,30f. Eine Char[akteristik] !…" ein [kritisches] Phänomen, ein geistiges] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 127,19–21 zu PhL [II] 488 über das Verhältnis von Charakteristik und Fragment. 239: 129,33f. Der Witz ist ganz [kritisch] !…" Char[akteristik] und Fr[agment]] Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 127,19–21 zu PhL [II] 488 über das Verhältnis von Charakteristik und Fragment.

Fragment-Fragmente

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622: 130,3–6 die Geschichte d.[es] Menschen in s.[einem] Innern !…" Zeiten] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). -- Michel, Antithetische Synthesis, S.385f. Philosophische Lehrjahre [IV] 20: 130,13f. Sonderbar daß der [poetische] R[Roman] !…" so fragmentarisch ist] Siehe Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘), 29,9f. zu A77 (‚System – Fragment‘), 19,41f. zu L115 (‚Poesie – Philosophie‘) und 108,21 zu FPL [V] 173 über den Gebrauch mathematischer Formeln in Schlegels Notizheften. 22: 130,15f. Tiecks Absichten sind hypostasirte Fragmente d.[es] Instincts, der Individualität] Hypostasieren: verdinglichen, vergegenständlichen. – Siehe Anm. 35,3f. zu A125 (Tieck), 19,8 zu L108 (‚Instinkt‘) und 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). 30: 130,17–19 [chemische] Fr.[agmente] !…" in Fr.[agmenten] behandelt] Siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über den Gebrauch chemischer Termini in den romantischen Fragmenten, 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘) und 83,15 zu A451 (‚Universalität‘). Vgl. A220. 33: 130,20f. Die Fr[agmente] als bibl.[ische] [Philosophie] müssen im Ct[Zentrum] der Encyklopaedie thronen] Siehe Anm. 90,36f. zu Id95 (‚Bibel‘), 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘) und 16,5f. zu L78 (‚Enzyklopädie‘). Vgl. PhL [II] 527, [IV] 36, 57, 555, 609 und [X] 440. 36: 130,22f. Aphorismen sind zusammenhängende Fr[agmente] !…" Dialog (monologischer-)] Vgl. PhL [IV] 267 und 815 zum Aphorismus. Siehe Anm. 29,8 zu A77 (‚Dialog‘). 57: 130,24–27 Fragmente (Sprüche) !…" Beziehung auf Gott] Siehe Anm. 130,20f. zu PhL [II] 33 über die biblische Würde der Fragmente, 90,36f. zu Id95 (‚Bibel‘), 10,2 zu L13 (‚klassisch‘), 12,33 zu L42 (‚Ironie‘) und 47,30 zu A232 (‚Gott‘). Vgl. PhL [IV] 36 über den Spruch. 66: 130,29–33 Alle Sätze der Mathem.[atik] sind indemonstrabel !…"  [systematische] [Philosophie] enthalten] Siehe Anm. 30,25–27 zu A89 (‚Mathematik‘), 29,24–26 zu A82 (‚demonstrieren‘), 24,19 zu A22 (‚transzendental‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 26,22f. zu A46 (‚System‘). 98: 130,34–36 Fr[agmente] haben viel Affinität mit Edelsteinen !…" Körpern] Siehe Anm. 56,35 zu A305 (‚Rhapsodie‘), 220,8f. zu AB962 (‚mineralisch – vegetabilisch – animalisch‘) und 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). Vgl. FPL [III] 112. 222: 131,2–4 Die Uebersetzungen der [kritischen Philosophie] !…" Universum] Siehe Anm. 15,32f. zu L73 (‚übersetzen‘), 26,24 zu A47 (‚kritische Philosophie‘), 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘) und 127,19–21 zu PhL [III] 488 über das Verhältnis von Charakteristik und Fragment. 249: 131,5f. Auch [Ethik] (in d[er] Gesch.[ichte]) muß [kritisch] behandelt werden können] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 249: 131,6 charakterisirend – fragmentirend – diaskeuastisch] Siehe Anm. 127,19–21 zu PhL [II] 488 (‚Charakteristik – Fragment‘) und 123,28f. zu FPL [V] 918 (‚Diaskeue‘).

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Friedrich Schlegel

249: 131,7–9 Die Anordnung kann sein !…" Kraft dazu erfodert] Siehe Anm. 74,41 zu A410 (‚Ökonomie‘), 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘), 14,29 zu L60 (‚Dichtarten‘) und 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘). – Dikanisch heißt das beratende Genus in der antiken Rhetorik. 267: 131,10f. Aphorismen popul[äre] Fr.[agmente] wie Recens.[ionen] populäre Char[akteristiken]] Vgl. PhL [IV] 360 und 815 zum Aphorismus. Siehe Anm. 81,40–42 zu A439 (‚Rezension‘) und 127,19–21 zu PhL [II] 488 über das Verhältnis von Charakteristik und Fragment. 462: 131,13–16 Alles Wz[Witzige] !…" Mythologie] Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘), 30,35–37 zu A92 (‚Grammatik‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘), 11,12–15 zu L32 über Schlegels Gebrauch chemischer Termini, 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘), 66,5f. zu A358 (‚Physik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘) und 38,13 zu A162 (‚Mythologie‘). 462: 131,16–20 Die [Kritik] d[er] [Philosophie] !…" Bildungslehre der [Philosophie]] Siehe Anm. 120,22–25 zu PhL [II] 228 über den Werkplan ‚Kritik der Philosophie‘, 75,3 zu A412 (‚Ideal‘), 123,28f. zu FPL [V] 918 (‚Diaskeue‘), 28,15 zu A66 (‚Skeptiker‘), 20,6f. zu L117 (‚Satire‘), 10,2 zu L13 (‚klassisch‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 473: 131,21f. Die Etymologie wird immer in einer hapsodie] von Fr[agmenten] behandelt] Siehe Anm. 89,22 zu Id78 (‚Etymologie‘) und 56,35 zu A305 (‚Rhapsodie‘). 510: 131,24f. Für Fr[agmente] und Char[akteristiken] !…" Geist und Stoff] Siehe Anm. 127,19–21 zu PhL [II] 488 über das Verhältnis von Charakteristik und Fragment, 38,11 zu A161 (Aristoteles) und 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘). 586: 131,26f. Die Versuche scheinen !…" aufs Universum selbst] Siehe Anm. 103,3–5 zu FPL [V] 85 (‚Studium‘). – Vgl. zur Charakteristik des Universums und des Menschen auch PhL [IV] 188 und 418. Zur Textsorte (oder zum Werkplan?) ‚Versuche‘ vgl. PhL [II] 15, 82, 89, 95, 158, 171, 254, 320, 332, 777, 829, [V] 635, [VI] 8, 5 u. ö. 777: 131,29 Fr[agmente] : Gedanken = Char[akteristik] : Versuch] Siehe Anm. 127,19–21 zu PhL [II] 488 über das Verhältnis von Charakteristik und Fragment sowie die vorige Anm. zum ‚Versuch‘. – Schlegel gibt in dieser Notiz einen Proportionalvergleich in mathematischer Schreibweise wieder. 786: 131,30–32 Die Constitution der Deutschen Litteratur !…" Christ.[liche] Mysterien] Siehe Anm. 28,15 zu A 66 (‚Skeptiker‘), 76,5f. zu A 418 (‚Arabeske‘), 10,29–33 zu L 25 (‚Kritik‘), 34,11f. zu A 121 (‚Mystik‘), 20,6f. zu L 117 (‚Satire‘), 14,32–34 zu L 62 (‚Theorie‘), 9,23 zu L 9 (‚Witz‘), 90,36f. zu Id 95 (‚Bibel‘), 23,25f. zu A 16 (‚Christianismus‘) und 78,42 zu A 427 (‚Mysterien‘). – Auch in dieser Eintragung zählt Schlegel eine Reihe von Werkplänen auf. 805: 131,34–132,2 Ein großes Hist[orisches Werk] !…" eine Masse von Massen] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 184,1–5 zu FSt633 (,Darstellung‘), 56,35 zu A305 (‚Rhapsodie‘), 36,35f. zu A145 (Homer), 29,9f. zu A77 (‚System – Fragment‘), 13,19f. zu L45 (‚Drama‘) und 123,33f. zu FPL [V] 953 (‚Masse‘).

Fragment-Fragmente

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806: 132,3–7 Der Ton in einer Schrift !…" Manieren sind Blumen als Ton] Siehe Anm. 123,33f. zu FPL [V] 953 (‚Masse‘), 18,25 zu L104 (‚Styl‘) sowie 9,16f. zu L7 und 16,28 zu L83 (‚Manier‘). 810: 132,8–11 Wie Hist[orie] !…" keines besonders ist] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 123,33f. zu FPL [V] 953 (‚Masse – Rhapsodie – Fragment – System‘). Ein doppelter Proportionalvergleich in mathematischer Schreibweise. 815: 132,12 Gnomen !…" Aenigmen] Gnomen sind lehrhafte Sinn- und Denksprüche, Änigmen Rätsel. 815: 132,12–14 Das Zeitalter !…" charakterisiren] Siehe Anm. 87,37–88,2 zu Id50 (‚Zeitalter‘), 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘) und 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘). Vgl. PhL [IV] 36 und 267 zum Aphorismus. 815: 132,12–15 Gnomen sind !…" metrisch] Werkpläne. 816: 132,16f. Es ist sehr die Tendenz d[er] Fr[agmente] !…" sehr kritisch] Siehe Anm. 15,18f. zu L69 (‚Tendenz‘), 19,41f. zu L115 (‚Philosophie – Poesie‘), 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 63,39 zu A340 (‚en rapport setzen‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 817: 132,18 Fr[agment] ist Gesetz hapsodie] Gespräch, Masse ist Werk] Siehe Anm. 123,33f. zu FPL [V] 953 (‚Fragment – Rhapsodie – Masse – System‘) und 134,9–20 zu PhL [V] 390 (‚Gespräch‘). 818: 132,19f. Alle Fr[agmente] charakterisiren Classifikationen d[es] Universums, des Zeitalters, der Menschheit] Siehe Anm. 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘), 27,12 zu A55 (‚Klassifikation‘), 87,37–88,2 zu Id50 (‚Zeitalter‘) und 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘). 825: 132,21f. Die deutsche [Philologie] !…" Franz[ösischen]] Siehe Anm. 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘), 30,30f. zu L49 über die Engländer und 13,12f. zu L45 über die Franzosen. 825: 132,22–25 Alle [Philologie] besteht aus Antiquitäten !…" Char[akteristik] und Fr[agment] zugleich] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 89,10f. zu Id71 (‚Chaos‘),13,24 zu L46 (‚Individuum‘), 127,19–21 zu PhL [II] 488 zum Verhältnis von Charakteristik und Fragment und 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘). 825: 132,26–29 Gymnastik d[es] Geistes !…" Jede Novelle ist eine Charakteristik] Siehe Anm. 15,16 zu L69 (‚Geist und Buchstabe‘), 9,11 zu L5 (‚Musik‘), 9,23 zu L9 (‚Witz‘), 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘) und 80,14 zu A429 (‚Novelle‘). 830: 132,30f. Fr.[agmente] sind Studien !…" Lessing und Chamfort] Siehe Anm. 103,3–5 zu FPL [V] 85 (‚Studium‘), 9,9f. zu L4 (‚Materialien‘), 13,12f. zu L45 über die Franzosen, 14,37f. zu L64 (Lessing) und 13,34 zu L50 (Chamfort). 830: 132,32 bona dicta] Gut, treffend Gesagtes, Bonmots. 830: 132,32 ] Gnomen (siehe Anm. 132,12 zu PhL [IV] 815). 830: 132,30–35 Fr.[agmente] sind Studien !…" Werk = System] Vgl. FPL [V] 370, PhL [IV] 854 und 859. 830: 132,32–35 Unter d[en] Alten !…"Werk = System] Siehe Anm. 9,25f.

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zu L11 (‚die Alten‘), 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘), 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘) und 26,22f. zu A46 (‚System‘). 854: 132,36f. Die Prinzipien müssen aus Fr[agmenten] bestehn, deren jedes auch Char[akteristik] ist] Siehe Anm. 127,19–21 zu PhL [II] 488 über das Verhältnis von Charakteristik und Fragment. Vgl. PhL [IV] 830. 859: 132,38–40 Fragmente sind Materialien !…" als K[unst] und als Wss[Wissenschaft] behandelt werden] Siehe Anm. 10,10 zu L16 (‚Künste und Wissenschaften‘); vgl. PhL [IV] 830. 1015: 133,2–4 Form und Zahl der Mo[ral] [philosophie] !…" [Synthese] von diesen] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 15,9 zu L68 (‚Autor‘) und 127,19–21 zu PhL [II] 488 über das Verhältnis von Charakteristik und Fragment. 1333: 133,6–8 Ein Fragm.[ent] ist !…" Selbsterweiterung und Selbstbeschränkung des Denkens] Vgl. A206; siehe Anm. 56,35 zu A305 (‚Rhapsodie‘) und vgl. in L28 die Begriffe ‚Selbstschöpfung‘, ‚Selbstvernichtung‘ und ‚Selbstbeschränkung‘. -- Chaouli, Laboratory, S.33; Härter, S.254. 1333: 133,9 In sich zurückgehn] Vgl. zu dieser Formulierung BL45. Philosophische Lehrjahre [V] 85: 133,13 [Kritische] Symposien sind große Fr.[agmente]] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 86: 133,14 Cicero, Varro, Plinius major und Quinctilianus] Römische Schriftsteller. 86: 133,14f. Autoren von Profession bei d[en] Römern] Siehe Anm. 15,9 zu L68 (‚Autor‘) und 13,21 zu L46 über die Römer. 86: 133,15f. Zur Hist[orie] eben so gut !…" Dionysios] Siehe Anm. 25,1– 3 zu A26 (‚Historie‘) und 13,21 zu L46 über die Griechen. – Dionysios von Halikarnassos war ein Rhetor und Historiograph der 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts v.Chr. 86: 133,16f. Lessing d[er] einzige Autor unter d[en] Deutschen] Siehe Anm. 14,37f. zu L64 zu Lessing. 90: 133,19 Voltaire’s Liebe zu d[en] Chinesen, das Gegenstück zu Rousseau’s Wilden] Siehe Anm. 59,30 zu A324 (Voltaire) und 19,16 zu L111 (Rousseau). 118: 133,21 Wolfs Proleg[omena]] F.A.Wolf (siehe Anm. 122,9f. zu FPL [III] 53) verfaßte Prolegomena ad Homerum (1795), in denen er die Entstehung der Homerischen Epen untersucht. 118: 133,21f. Idee von [kritischem] Experiment. Alles was Lessing geschrieben ein Fr[agment.]] Siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 14,37f. zu L64 (Lessing). Vgl. hierzu Lessings Gedanken und Meinungen (1804; KFSA3, S.79–81). 177: 133,24f. Fragmente, Satiren, Parodien, Novellen viell[eicht] eigne Werke des Witzes] Siehe Anm. 20,6f. zu L117 (‚Satire‘), 80,14 zu A429 (‚Novelle‘) und 9,23 zu L9 (‚Witz‘).

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318: 133,27 Ueber [Philosophie] in Terzinen – über den Roman, in Stanzen] Vgl. über Terzinen FPL [V] 437, 806, 844, 856, 1037, 1277, [VI] 41, 43, 52, 58 und Friedrich Schlegel an August Wilhelm, 18.9.1797 (KFSA24, S.19); zur Stanze vgl. FPL [V] 335, 366, 437, 844, 1037, 1277, [VI] 43, 58, PhL [V] 351 u. ö. Siehe Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘). 318: 133,27–30 Briefe und Gespräche !…" wie d[ie] Romanzen] Siehe Anm. 126,8f. zu FPL [XXI] 246 (‚Brief‘), 134,9–20 zu PhL [V] 390 (‚Gespräch‘), 22,24f. zu A9 (‚Moral‘) und 80,16 zu A429 (‚Romanze‘). 319: 133,31–33  [Drama] !…" Charakteristik] Siehe Anm. 13,19f. zu L45 (‚Drama‘), 76,5f. zu A418 (‚Arabeske‘), 103,3–5 zu FPL [V] 85 (‚Studium‘), 15,32f. zu L73 (‚übersetzen‘) und 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘). 390: 133,34–134,1 Die Formen der chaotischen (umgebenden, einleitenden) Litter[atur] !…" Formen der [Poesie]] Siehe Anm. 89,10f. zu Id71 (‚Chaos‘), 103,3–5 zu FPL [V] 85 (‚Studium‘), 127,19–21 zu PhL [II] 488 (‚Charakteristik – Fragment‘), 56,35 zu A305 (‚Rhapsodie‘) und 15,32f. zu L73 (‚übersetzen‘). 390: 134,1–5 An Mystiker !…" (Compend.[ium] !!Dissert.[ation]"")] Siehe Anm. 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘), 15,1f. zu L66 (‚revolutionär‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 90,36f. zu Id95 (‚Bibel‘) und 81,40–42 zu A439 (‚Rezension‘). 390: 134,5f. Laokoon d[er] [Poesie] !…" d[ie] Erziehung des Menschengeschl.[echtes]] Laokoon (1766), Ernst und Falk (1778) und Die Erziehung des Menschengeschlechtes (1780), Werke von Lessing. Siehe Anm. 33,6f. zu A116 (‚potenzieren‘). 390: 134,7 Brief !!Epistel"" über Rel[igion] und Myst[ik]] Siehe Anm. 126,8f. zu FPL [XXI] 246 (‚Brief‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘) und 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘). 390: 134,9–20 Arabeske !…" Gespräch] Siehe Anm. 76,5f. zu A418 (‚Arabeske‘), 10,34 zu L26 (‚Roman‘), 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘), 218,9 zu AB940 (‚Märchen‘), 58,33f. zu A315 (‚Elegie‘), 20,31 zu L121 (‚Epos‘), 90,36f. zu Id95 (‚Bibel‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘). – Im Anschluß an Aristoteles (Rhetorik I,3) unterscheidet die antike Schulrhetorik drei genera der Rede, die dikanische, symbouleutische und die epideiktische, die beratende, gerichtliche und die Prunkrede. – Vgl. zum Gespräch PhL [III] 62f., [IV] 99, 380, 448, 739, 817, [V] 252, 281, 318, 389f., 416, 611, 616, 635, 736, 766, 787, 846, 977, 1073; Novalis, AB372, 986, 1069 u. ö. Siehe auch Anm. 29,8 zu A77 (‚Dialog‘). 390: 133,34–134,20 Die Formen der chaotischen !…" Gespräch] Vgl. PhL [VII] 57. – „Diese Formüberlegungen hängen mit Werkplänen zusammen“ (Behler, KFSA19, S.452). 416: 134,21–23 Idee von litterar[ischen] Formen !…" Brief. Gespräch. Rede] Siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘), 81,40–42 zu A439 (‚Rezension‘), 9,9f. zu L4 (‚Skizze‘), 103,3–5 zu FPL [V] 85 (‚Studium‘), 15,32f. zu L73 (‚übersetzen‘), 123,33f. zu FPL [V] 953 (‚Fragment – Rhapsodie – Masse – System‘), 126,8f. zu [XXI] 246 (‚Brief‘) und 134,9–20 zu PhL [V] 390 (‚Gespräch‘).

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Friedrich Schlegel

478: 134,24 Fr[agmente] d[er] Geist und d[ie] Form d[er] Universalität] Siehe Anm. 83,15 zu A451 (‚Universalität‘); vgl. PhL [IV] 30, abweichend hiervon jedoch auch PhL [II] 488. 555: 134,26–28 Die Form der Fr.[agmente] !…" nur falsche Tendenz] Siehe Anm. 90,36f. zu Id95 (‚Bibel‘), 94,7f. zu Id135 (Jakob Böhme), 10,2 zu L13 (‚klassisch‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘), 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘), 11,41 zu L37 (‚falsche Tendenz‘) und 130,20f. zu PhL [IV] 33 über die biblische Würde der Fragmente. 609: 134,29f. Das Ct[Zentrum] des bindenden Princips !…" bibl[ischer] Codex] Siehe Anm. 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘), 30,25–27 zu A89 (‚Mathematik‘), 90,36f. zu Id95 (‚Bibel‘), 130,20f. zu PhL [IV] 33 über die biblische Würde der Fragmente, 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 108,21 zu FPL [V] 173 über Schlegels Gebrauch mathematischer Formeln. 836: 134,32 Masse von Fr[agmenten]] Siehe Anm. 123,33f. zu FPL [V] 953 (‚Masse‘). 836: 134,34f. Gelehrte Hierogl[yphen] !…" [Epos], das Alterthum in Terz[inen]] Vgl. zur Hieroglyphe auch A173 und Novalis, FSt6, Vorarbeiten (Poëticismen) 52, Vorarbeiten 104, 214, 264 u. ö. Siehe Anm. 125,17 zu FPL [IX] 393 (‚Kanzone‘), 20,31 zu L121 (‚Epos‘), 13,5f. zu L44 (‚Altertum‘) und 133,27 zu PhL [V] 318 (‚Terzine‘). 846: 134,37–39 Gespräche, um Gebildete !…" nur kleine Essays] Siehe Anm. 134,9–20 zu PhL [V] 390 (‚Gespräch‘), 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 78,24f. zu A426 (‚Geselligkeit‘). Philosophische Lehrjahre [VI] 10: 135,3–6 Italiän[ische] [Physik] !…" Böhme – Dante (?)] Siehe Anm. 66,5f. zu A358 (‚Physik‘), 13,12f. zu L45 über die Franzosen, 91,24 zu Id101 (‚Politik‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 13,15f. zu L45 (Dante), 94,7f. zu Id135 (Böhme), 47,40 zu A234 (Spinoza) und 19,16 zu L111 (Rousseau). – Der griechische Philosoph Plotin begründete den Neuplatonismus. 243: 135,8f. Nebst d.[er] potenzirten Form !…" in d.[en] Fragm[enten]] Siehe Anm. 33,6f. zu A116 (‚potenzieren‘), 18,25 zu L104 (‚Styl‘) und 15,18f. zu L69 (‚Tendenz‘). – Werkpläne. Philosophische Lehrjahre [VII] 57: 135,12–14 Jene formlose Progressivität in 1) !…" (!…" alles unbestimmt.)] Schlegel bezieht sich hier wohl auf die in Notiz Nr.55 genannte erste Gruppe von Fichtes Werken zur Wissenschaftslehre: „Einleitung, Grundlagen Grundriß des Eigenthümlichen“, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794), Erste / Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre (1797) und Grundriß des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre (1795). Siehe Anm. 24,16f. zu A22 (‚progressiv‘) und 89,10f. zu Id71 (‚Chaos‘). Vgl. PhL [V] 318. -- Klawitter, S.143f. 141: 135,15–22 Encyclopaedie !…" werden können] Siehe Anm. 16,5f.

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zu L78 (‚Enzyklopädie‘), 16,19 zu L81 (‚Polemik‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 30,35–37 zu A92 (‚Grammatik‘), 15,32f. zu L73 (‚übersetzen‘), 34,4 zu A121 (‚Idee‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 89,10f. zu Id71 (‚Chaos‘). – Ludwig Tiecks Märchenspiel Prinz Zerbino (1799), auf das sich auch PhL [VII] 154 und 160 beziehen. – Bei dieser Aufzeichnung handelt es sich um Werkpläne. Vgl. PhL [IV] 33 und [VII] 160. 154: 135,23–27 Als Mittelglied des Idealismus !…" Salomo und Dodekamerone] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 66,5f. zu A358 (‚Physik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘), die vorige Anm. zu Tiecks Prinz Zerbino bzw. einem entsprechenden Werkplan von Schlegel und 49,27–31 zu A246 (‚Magie‘). – Analog zu ‚Hexameron‘, ‚Heptameron‘ und zu Boccaccios Dekamerone bezeichnet „Dodekamerone“ eine Novellensammlung, die an zwölf Tagen erzählt wird. – Schlegel notiert in diesem Fragment Überlegungen zu Werkplänen. 160: 135,28–30 Die GrundElementarwerke !…" Studien und Skizzen jeder Art] Siehe Anm. 135,15–22 zu PhL [VII] 141 über Tiecks Prinz Zerbino bzw. einen entsprechenden Werkplan von Schlegel, 89,10f. zu Id71 (‚Chaos‘), 103,3–5 zu FPL [V] 85 (‚Studium‘) und 9,9f. zu L4 (‚Skizze‘); vgl. PhL [VII] 141. 162: 135,31–33 Fragmente !…" finden können] Siehe Anm. 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘). In PhL [VII] 161, auf das sich diese Eintragung bezieht, spricht Schlegel von „Gelegenheitsschriften und Aufsätzen“. In PhL [VII] 162 skizziert er Pläne künftiger Werke. 177: 135,34f. Der Styl d[er] Fragmente !…" gerechtfertigt] Siehe Anm. 18,25 zu L104 (‚Styl‘), 13,30f. zu L49 über die Engländer und 12,16f. zu L38 (‚Deutschheit‘). Auch an dieser Stelle notiert Schlegel Werkpläne. 223: 136,3f. Giebt es objektive Briefe?] Siehe Anm. 126,8f. zu FPL [XXI] 246 (‚Brief‘). 223: 136,4 Sollte jeder Schriftsteller einen Roman schreiben?] Siehe Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘) und vgl. L78 und 89. 223: 136,5–7 Geschichte in allerlei Dimensionen !…" sophistisch und verkehrt machen] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘) und 31,3f. zu A96 (‚Sophist‘). 224: 136,9f. Sind Fragmente aber jemand zu rathen !…" unter gewissen Bedingungen] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘) und 10,34 zu L26 (‚Roman‘). Vgl. L9 zum ‚fragmentarischen Genie‘ 241: 136,11 Polemische Reden vielleicht besser als Polemische Fragmente] Ein Werkplan. – Siehe Anm. 16,19 zu L81 (‚Polemik‘). 255: 136,13f. Die wahre [philosophische] Schreibart !…" in unbestimmter Construction] Siehe Anm. 36,1 zu A137 (Fichte) und 117,30 zu PhL [II] 185 (‚Konstruktion‘). – Mit „Fragmenten“ sind wohl die ‚Athenäums‘-Fragmente gemeint. -- Behler, KFSA19, S.479. 259: 136,15–17 Princ.[ipien] der Mystik !…" Etymologie, Grammatik] Siehe Anm. 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘), 16,5f. zu L78 (‚Enzyklopädie‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘), 89,22 zu Id78 (‚Etymologie‘) und 30,35–37 zu A92 (‚Grammatik‘). – Werkpläne.

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266: 136,18–25 Vielleicht nur indirekt !…" gleichfalls anwendbar] Schlegel hält in dieser Notiz, die an PhL [VII] 263–265 anknüpft, Werkpläne fest. Siehe Anm. 16,5f. zu L78 (‚Enzyklopädie‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 30,35–37 zu A92 (‚Grammatik‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 89,22 zu Id78 (‚Etymologie‘). Philosophische Lehrjahre, Beilage IV 136,31–137,10 Menon !…" Gorgias !…" Kratylos !…" Laches, Charmides, Philebos, Republ[ik] !…" Alkibiades I !…" Politeia !…" Timaios !…" Kritias] Werke Platos (siehe Anm. 15,14f. zu L69 zu Plato), ebenso wie der in der Fußnote genannte Hippias maior. 136,32f. Vernichtung der Sophisten !…" Redner] Siehe Anm. 31,3f. zu A96 (‚Sophist‘), 85,24 zu Id23 (‚Tugend‘) und 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘). 136,34f. Nichts als höchste Ironie !…" Komödie] Siehe Anm. 12,33 zu L42 (‚Ironie‘) und 37,29 zu A154 (‚Komödie‘). 137,1 Pracht in Stil und Abhandlung] Siehe Anm. 18,25 zu L104 (‚Styl‘). 137,3 Polemische Vorarbeiten] Siehe Anm. 16,19 zu L81 (‚Polemik‘). 137,6 Hyperbaton] Sperrung der Satzglieder, Abweichung von der üblichen Wortstellung. 137,12f. Proöm[ium]] Einleitung. 137,18 A ,   ,  «,   ] Tapferkeit, Besonnenheit, Klugheit, Rechtlichkeit. Vgl. zu diesen Haupttugenden der Antike auch Schleiermacher, GIII66 und siehe Anm. 236,26–28 dazu. 137,19f. In Rücksicht der politischen Ideen !…" Sokrates sei in dieser Periode zum Pythagoras erweitert] Siehe Anm. 91,24 zu Id101 (‚Politik‘) und 34,4 zu A121 (‚Idee‘). 137,23 ad unum usum] Zu einem einzigen Gebrauch. 136,29–137,23 Charakter !…" usum] -- Peter D. Krause, Friedrich Schlegel und Plato – Plato und Friedrich Schlegel. In: GRM 52 (2002), N.F., S.343–363, hier besonders S.349–351. Philosophische Lehrjahre, Beilage VII 69: 137,26–29 [Rhetorik] ist unstreitig !…" F[ichte] und Sch[leiermacher]] Siehe Anm. 35,37 und 36,1 zu A137 (‚Rhetorik‘, Fichte) und 34,4 zu A121 (‚Idee‘). – Werkpläne. Die Notiz bezieht sich wohl auf die ‚Athenäums‘Fragmente und auf die Ideen, die ebenfalls im ‚Athenäum‘ erschienen. 72: 137,30f. Fragmente !…" Polem[ik]] Ein Werkplan. – Siehe Anm. 16,19 zu L81 (‚Polemik‘). Philosophische Lehrjahre, Beilage VIII 6: 137,35f. Fragmente, Lessing pp] Die ‚Athenäums‘-Fragmente und Schlegels Aufsatz Über Lessing (1797; KFSA2, S.100–125.). Siehe auch Anm. 14,37f. zu L64 über Lessing.

Fragment-Fragmente

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60: 138,1–6 Philosophische Fragmente !…" Idealismus] Ein Werkplan bzw. Überlegungen für die thematische Anordnung von Fragmenten in einer künftigen Veröffentlichung. Siehe Anm. 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘), 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 9,23 zu L9 und 10,1f. zu L13 (‚Witz‘), 84,9–12 zu Id4 (‚Philosophie – Poesie – Religion – Moral‘), 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘) und 16,19 zu L81 (‚Polemik‘). Philosophische Lehrjahre [VIII] 106: 138,9 Fragmente als eigentl[iche] und beste Form der Mittheilung für mich] Siehe Anm. 17,30f. zu L98 (‚Mitteilung‘). 110: 138,11 Polemische Fragmente !…" Litteratur, Kritik pp] Siehe Anm. 16,19 zu L81 (‚Polemik‘), 16,5f. zu L78 (‚Enzyklopädie‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 217: 138,14–23 Fragmente. Entweder die ältern zusammen !…" Mathematik] Siehe Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘), 13,5f. zu L44 (‚Altertum‘), 13,30 zu L49 (‚romantisch‘), 94,3 zu Id133 (‚Orient‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 66,5f. zu A358 (‚Physik‘), 83,15 zu A451 (‚Universalität‘), 23,25f. zu A16 (‚Christianismus‘), 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘), 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘), 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘), 49,27–31 zu A246 (‚Magie‘), 30,35–37 zu A92 (‚Grammatik‘) und 30,25–27 zu A89 (‚Mathematik‘). – Vgl. Schlegels Notizen zur Disposition der Philosophischen Lehrjahre in PhL [II] 1067f. 219: 138,24 Die Fragmente also vorzügl[ich] für das Esoterische] Esoterisch: nur für Eingeweihte faßbar, zugänglich; vgl. zum Begriff des Esoterischen PhL [III] 397, [IV] 575, 667, 1451, [V] 165, 175, 239, [X] 357, 360, 374, 379, [XII] 401 und siehe Anm. 158,25f. zu GL1 über den esoterischen Charakter des frühromantischen Fragments. 289: 138,25f. Ueber Litter[atur] bloß Materialien !…" Lessing] Der „Commentar zum Lessing“ bezieht sich auf Lessings Gedanken und Meinungen (1804; KFSA3, S.46–102). Siehe Anm. 14,37f. zu L64 zu Lessing. Philosophische Lehrjahre [IX] 115: 138,29–32 Das Resultat der Theorie !…" die Erinnrung sein] Siehe Anm. 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘) und vgl. zur Erinnerung PhL [VI] 1, [IX] 88, 93, 115, 147, 162f., 212, 214, 216, 218, 280, 355, 365 und KFSA12, S.348–355 (Die Entwicklung der Philosophie in zwölf Büchern (1804/5)). Vgl. zum Themenkreis Gedächtnis und Erinnerung bei den Frühromantikern die Monographie von Laurie Ruth Johnson, The Art of Recollection in Jena Romanticism. Memory, History, Fiction, and Fragmentation in Texts by Friedrich Schlegel and Novalis, Tübingen 2002.

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Philosophische Lehrjahre [X] 164: 139,4f. Dramatische oder lyrische ( [rhetorische] [Philosophie]) in Fr[agmenten], Briefen Reden pp] Siehe Anm. 13,19f. zu L45 (‚Drama‘), 20,20 zu L119 (‚lyrisch‘), 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘) und 126,8f. zu FPL [XXI] 246 (‚Brief‘). Vgl. PhL [X] 154 und 166. 375: 139,6–12 Die exoterische [Philosophie] !…" Wiederbelebung aller Idealisten] Siehe Anm. 120,22–25 zu PhL [II] 228 über den Werkplan ‚Kritik der Philosophie‘ und vgl. PhL [X] 374 über die esoterische Philosophie. Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘) und 123,28f. zu FPL [V] 918 (‚Diaskeue‘). 376: 139,13–15 Meine Fragmente sind in Masse !…" [philosophische] Lehrjahre] Siehe Anm. 123,33f. zu FPL [V] 953 (‚Masse‘) und 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘). 418: 139,16–18 Der eigentl[iche] Fehler des Myst[izismus] !…" die älteste nicht ausgenommen] Vgl. PhL [X] 422. Siehe Anm. 31,33 zu A105 (‚Mystizismus‘). 422: 139,19–22 Der My[stizismus] also nur fragmentarisch !…" böse Princip] Siehe Anm. 31,33 zu A105 (‚Mystizismus‘) und 117,30 zu PhL [II] 185 (‚Konstruktion‘). Vgl. PhL [X] 418. 440: 139,24 Im Böhme ist lauter geistige Anschauung ohne alle Logik] Siehe Anm. 94,7f. zu Id135 über J.Böhme, und 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘). 440: 139,25 Nachahmung der Bibel] Siehe Anm. 90,36f. zu Id95 (‚Bibel‘) und 130,20f. zu PhL [IV] 33 über die biblische Würde der Fragmente. 440: 139,26–28 Für die [Philosophie] selbst !…" (in Terzinen)] Siehe Anm. 93,14 zu Id124 (‚das Höchste‘), 117,30 zu PhL [II] 185 (‚Konstruktion‘) und 133,27 zu PhL [V] 318 (‚Terzinen‘). 440: 139,24–28 Im Böhme ist !…" durchaus] -- Gockel, Theorie, S.23. 548: 139,30–37 Die Capitel für die Fragmente !…" (Schluß.) (Poesie?)] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 103,3–5 zu FPL [V] 85 (‚Studium‘), 16,19 zu L81 (‚Polemik‘), 12,33 zu L42 (‚Ironie‘), 16,5f. zu L78 (‚Enzyklopädie‘), 93,11f. zu Id123 (‚kombinatorischer Witz‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘) und 66,5f. zu A358 (‚Physik‘). – Scholien sind erklärende Randbemerkungen (alexandrinischer Philologen) in griechischen und römischen Handschriften. – Es handelt sich hier um Werkpläne. Vgl. auch PhL [II] 1067f. und [X] 554 zur Einteilung der Fragmente. 549: 140,1–4 Besser !…" Idealismus und Real.[ismus]] Siehe Anm. 9,11 zu L5 (‚Musik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 16,19 zu L81 (‚Polemik‘) und 114,10 zu PhL [II] 137 (‚real – ideal‘). – Die Aufzeichnung setzt die vorige fort; es handelt sich hier ebenfalls um Pläne Schlegels zu Veröffentlichungen. Vgl. PhL [II] 1067f. 554: 140,5 Die Fragmente aus d[en] Papieren zur Poesie mehr zu I] Hier sind die in KFSA16 edierten Fragmente gemeint, die Schlegel der ersten in PhL [X] 548 genannten Kategorie zuordnet. -- Behler, KFSA19, S.505. 554: 140,5–7 Die sämtl.[ichen] Bruchstücke zum Alterthum !…" über das Studium der Gr.[iechischen] P.[oesie]] Siehe Anm. 13,5f. zu L44 (‚Altertum‘). –

Fragment-Fragmente

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Schlegels Studium-Aufsatz, der im letzten Satz der Notiz genannt wird, erschien zuerst 1797 (KFSA1, S.217–367). 554: 140,5–7 Die Fragmente aus d[en] Papieren !…" P.[oesie]] Vgl. PhL [II] 1067f. Philosophische Lehrjahre [XI] 161: 140,10f. Am merkwürdigsten wäre der [Skeptizismus] aus der unendlichen Fülle] Siehe Anm. 28,15 zu A66 (‚Skeptiker‘) und 89,12f. zu Id72 (‚Fülle‘). Vgl. PhL [IX] 145. 195: 140,12f. Alle Kritik und Philologie !…" ein so vollkommnes System ist] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘), 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘) und 26,22f. zu A46 (‚System‘). – Vgl. zu Indien und zur indischen Philosophie PhL [III] 730, 733, 746, 775, 780, [IX] 16, 36, 150, Über die Sprache und Weisheit der Indier (1808; KFSA8, S.105–440), FPL [III] 171; Novalis, FD194, VB75, AB245, das erste der Geistlichen Lieder (1799; NO1, S.159–161), die fünfte der Hymnen an die Nacht (1799; NO1, S.146f.), Die Christenheit oder Europa (1799; NO3, S.520). Um die Jahrhundertwende distanziert sich Friedrich Schlegel allmählich von der klassischen Antike und beschäftigt sich stattdessen intensiv mit dem Orient. Indien wird für ihn zunehmend zum Gegenbild des westlichen Rationalismus; dort glaubt er, die ursprüngliche Einheit von Dichter, Philosoph und Priester zu erblicken. Für die Romantiker ist Indien das Land der Poesie schlechthin; genährt wird ihr Interesse für Indien u.a. von Georg Forsters Übersetzung des indischen Dramas Sakuntala oder der entscheidende Ring von Kalidasa. Siehe auch Anm. 94,3 zu Id133 (‚Orient‘). -- Stockinger, WTB3, S.601; Ernst Behler, Das Indienbild der deutschen Romantik. In: GRM 18 N.F. (1968), S.21–37. 195: 140,13f. bei d[en] Griechen] Siehe Anm. 13,21 zu L46. 195: 140,16 religiöse Heiligkeit der Dichter] Siehe Anm. 149,32–35 zu BL71. Philosophische Lehrjahre [XII] 8: 140,19 Breviar.[ium]] Das Gebetbuch katholischer Geistlicher mit dem Stundengebet. 8: 140,19 Missale] Meßbuch. 8: 140,19–21 die zum religiösen Lesen zubereitete Bibel !…" das exegetische Lesen irrelig[iös]] Siehe Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘) und 10,9 zu L16 (‚Willkür‘). 8: 140,21 Brevier : Bibel = Messe : Predigt] Ein Proportionalvergleich in mathematischer Schreibweise. 8: 140,23f. aus Mangel an christl.[icher]  [Lyrik]] Siehe Anm. 23,25f. zu A16 (‚Christianismus‘) und 20,20 zu L119 (‚lyrisch‘). 8: 140,26 essenische Mysterien] Die Essener waren Angehörige einer frühen jüdischen Sekte. – Siehe Anm. 78,42 zu A427 (‚Mysterien‘).

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Blüthenstaub

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3. Friedrich von Hardenberg (Novalis)

Blüthenstaub

Textgrundlage und Textüberlieferung Die Fragmentsammlung Blüthenstaub ist Friedrich von Hardenbergs erste Veröffentlichung außer dem frühen Gedicht Klagen eines Jünglings (NO6.1, S.560– 562), das 1791 in Wielands ‚Teutschem Merkur‘ abgedruckt worden war. Sie erschien unter dem Pseudonym Novalis in der neugegründeten Zeitschrift der Brüder Schlegel: ‚Athenäum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel‘, Ersten Bandes Erstes Stück, Berlin 1798, S.70–106. Der Text dieser Edition folgt der kritischen Novalis-Ausgabe: Novalis Schriften. Die Werke von Friedrich von Hardenberg, hg. von Paul Kluckhohn (†) und Richard Samuel. Zweiter Band: Das philosophische Werk I, hg. von Richard Samuel in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz, revidiert von Richard Samuel und Hans-Joachim Mähl, Stuttgart, Berlin, Köln und Mainz (W.Kohlhammer) 31981, S.412–470. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags W.Kohlhammer.

Entstehung Novalis’ erste Fragmentsammlung ist aus seinen philosophischen und literarischen Studien des Jahres 1797 hervorgegangen. In dieser Zeit versuchte er, die Krise, in die ihn der Tod seiner Braut Sophie von Kühn (geb. 1782) und seines Bruders Erasmus (geb. 1774) gestürzt hatte – beide starben kurz nacheinander im Frühjahr 1797 –, zu überwinden. Hardenberg beschäftigte sich in den folgenden Monaten intensiv mit Fichte, Hemsterhuis, Schelling und Hülsen, setzte seine Kant-Studien fort, vertiefte sich in Shakespeare und in Goethes Wilhelm Meister, und er unterhielt einen lebhaften Briefwechsel mit August Wilhelm und Friedrich Schlegel. Gelegenheit zu einem unmittelbaren mündlichen Gedankenaustausch mit Friedrich Schlegel ergab sich, als dieser den Freund im Sommer für zwei Wochen in Weißenfels besuchte. Dieses Treffen wirkte sich auf Hardenbergs literarische Arbeit günstig aus. Am 5.9. schreibt er an Friedrich Schlegel: „Mein Geist ist jezt

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Friedrich von Hardenberg (Novalis)

fruchtbarer, vielleicht glücklicher, als je. Sobald ich meine Beute ein wenig gemustert, und gesäubert habe, so sollst du Theil an meiner Habe nehmen“ (KFSA24, S.13). R.Samuel nimmt an, daß während des gemeinsamen Aufenthalts in Weißenfels und veranlaßt durch die Gespräche mit Schlegel bei Hardenberg „der Übergang von der ‚Denkübung‘ zum Fragment“ (NO2, S.406) stattgefunden hat. Denn wenige Wochen danach bittet Schlegel den Freund, ihm seine Aufzeichnungen über Wilhelm Meister zu schicken, und bietet ihm für die Veröffentlichung seine „Diaskeuastendienste“ an. „Ich würde dann in Deinem Geist die Chamfortsche Form wählen, auf die uns doch beyde der Instinkt geleitet hat“ (26.9.1797; KFSA24, S.21). Im selben Brief ermuntert Schlegel Hardenberg – wohl bereits mit dem Gedanken an die geplante Zeitschrift –, seine philosophischen Aufzeichnungen zu publizieren: Auf Deine philosophischen Mitteilungen freue ich mich mit Heißhunger – Aber wenn auch Symphilosophie der eigentliche Nahme für unsre Verbindung ist: so sey nicht geizig und beschneide sie nicht ängstlich auf die Gränzen derselben. – Herrlich wär’s wenn ich Dir auch in der Philosophie Diaskeuastendienste leisten könnte. Bescheiden gehe ich gewiß zu Werke, und einen schicklichen Platz will ich Dir dann auch wohl vorschlagen. Ich wäre auch hier für die Chamf.[ortsche] Form, oder lieber für die synthetische. Jede andre wird !!Dir"" noch lange nicht so gelingen, daß die Form der Gedanken würdig ausfiele. Dieser bist Du Meister, sie ist Instinkt bey Dir wie bey mir. Auch ists eine große edle Form. (KFSA24, S.22.)

Zu Weihnachten 1797 verspricht Hardenberg August Wilhelm Schlegel Beiträge für das ‚Athenäum‘: „Ich bin in der That jezt in köstlichen Untersuchungen begriffen – aber nur noch einige Zeit – Ostern soll ihr Bruder manches bekommen. !…" Mystische Fragmente sind das vielleicht, was ich anzubieten habe – Ein Bogen davon wird des Nächsten an Ihren Bruder gelangen“ (NO4, S.239f.). Im Brief, den Hardenberg einen Tag später an Friedrich Schlegel schreibt, wiederholt er seine Zusage: „Euer Journal ist lang von mir erwartet. Mit ihm kann eine neue Periode der Litteratur beginnen. Meine Theilnahme versprech ich euch mit Freuden – Aber noch Geduld bis Ostern. Du sollst dann das von mir in Händen haben, was ich zu machen im Stande bin. Es sind Bruchstücke des fortlaufenden Selbstgesprächs in mir – Senker. Du kannst sie dann behandeln, wie du willst. Revolutionairen Inhalts scheinen sie mir hinlänglich – freylich bin ich noch zu sehr jezt in Vorübungen begriffen, Beweise bleib ich schuldig“ (26.12.1797; NO4, S.241f.). Am 24.2.1798 schickt Hardenberg sein Manuskript August Wilhelm Schlegel. Zu dieser Zeit war er mit chemischen Studien beschäftigt und schrieb darüber: „!…" jedoch hat mich meine alte Neigung zum Absoluten auch diesmal glücklich aus dem Strudel der Empirie gerettet und ich schwebe jezt und vielleicht auf immer in lichtern, eigenthümlichern Sfären. Beykommende Fragmente werden Sie davon überzeugen – die Meisten sind ältern Ursprungs und nur abgekehrt !…" Hätten Sie Lust öffentlichen Gebrauch davon zu machen, so würde ich um die Unterschrift Novalis bitten – welcher Name ein alter Geschlechtsnahme von mir ist, und nicht ganz unpassend“ (NO4, S.251).

Blüthenstaub

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Friedrich von Hardenberg wählte als Pseudonym den seit ca. 1190 überlieferten Namen seiner Familie, die sich nach ihrem Besitz Großenrode (lateinisch: Magna Novalis) de Novali nannte (Samuel, NO4, S.834); „nicht ganz unpassend“ findet Hardenberg diesen Namen, weil er sich bewußt ist, mit seinem Werk literarisches Neuland zu erschließen (Westerhoff, S.336–339). Der Titel Blüthenstaub, unter dem Hardenbergs Sammlung erschien, stammte von Friedrich Schlegel, der das Manuskript seines Freundes auch überarbeitete. Eine ältere Fassung dieses Fragmentwerks mit dem Titel Vermischte Bemerkungen, der wohl auf Herders Vermischte Gedanken (HE1, S.205) anspielt (Strack, Fermenta cognitionis, S.346), fand sich in Hardenbergs handschriftlichem Nachlaß. (Die historisch-kritische Novalis-Ausgabe stellt diese Version im Paralleldruck dem Blüthenstaub gegenüber.) Einen Hinweis auf die Entstehung der Sammlung, die von Mitte Dezember 1797 bis etwa Mitte Januar des folgenden Jahres niedergeschrieben wurde (Samuel, NO2, S.405), gibt der Verfasser, wenn er den Adressaten seines Schreibens darauf hinweist, daß die Mehrzahl der Fragmente „ältern Ursprungs und nur abgekehrt“ seien. Ähnlich wie Friedrich Schlegel konnte Hardenberg auf Studienhefte zurückgreifen. Aus den dort festgehaltenen Gedanken formte er seine Fragmente. Allerdings lassen sich nur noch zu wenigen Blüthenstaub-Fragmenten die Vorstufen in den Hemsterhuis- und Kant-Studien oder in anderen Aufzeichungen nachweisen (BL6–10 und 96; hierzu im einzelnen Samuel, NO2, S.403), die übrigen Vorarbeiten sind verloren. Nachdem Friedrich Schlegel das Manuskript seines Freundes gelesen hatte, schrieb er Mitte März an seinen Bruder und plädierte dafür, die Sammlung geschlossen im ersten Heft des ‚Athenäums‘ erscheinen zu lassen und die Fragmente erst im nächsten Heft zu drucken: „Der köstliche Blüthenstaub darf nicht getrennt werden. Es würde auch wohl Hardenbergen, und uns allen Freude machen, ihn gleich in den beyden ersten Stücken gedruckt zu sehen – Ihn aber so wie er ist, und mit Titel und Motto als Appendix an eine Masse der unsrigen anzuhängen; das scheint mir durchaus nicht anzugehn. – Ich denke also, wir nehmen ihn ins erste Stück, gleich nach Deinen Sprachen, und vor meinen Meister und schließen ihn freundlich in die Mitte. Dann dürfen aber weiter keine Fragmente ins Ite Stück, und unsre ganze Masse muß ins IIte Stück“ (KFSA24, S.102). Ganz „so wie er ist“ durfte Hardenbergs Beitrag zum ersten Stück des ‚Athenäums‘ aber schließlich doch nicht bleiben, wie Schlegel in der Fortsetzung seines Briefs erklärt: „Da nun alles in die große Synfonie mit einstimmt, so muß auch Hardenb.[erg] es thun. !…" Vor der Hand nehme ich aber wenigstens ein halb Dutzend als Transito aus dem Blüthenstaub. Das Ganze wird nicht darunter leiden, es sind manche Dupletten unter s.[einen] Fr.[agmenten] und an die werde ich mich halten. Ich möchte doch gar zu gerne einen esprit de Hardenberg in diesem esprit de l’esprit haben“ (ebd., S.103). Um die romantische Symphilosophie zu befördern, nahm Friedrich Schlegel insgesamt 13 Fragmente aus dem Manuskript seines Freundes (VB5, 11, 12 (teilweise), 16, 21, 22 (teilweise), 24, 29, 30 (teilweise), 31, 49, 55 und 66) und schob sie als Nr.282–294 ziemlich genau in die Mitte der ‚Athenäums‘-Fragmente ein. Dagegen fügte er vier eigene Fragmente, „die Blüthen ge-

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Friedrich von Hardenberg (Novalis)

nug sind, um sie ihm !Novalis" wieder geben zu können“, in Hardenbergs Sammlung ein (BL15, 20, 26 und 31), „damit die fraternale Wechselwirkung recht vollendet wird“. (An August Wilhelm Schlegel, 25.3.1797; KFSA24, S.110.) Einige Fragmente der Vorlage zerteilte Schlegel. Dazu äußerte er sich wiederum brieflich gegenüber seinem Bruder: „Der Versuchung, mehre von seinen Fr.[agmenten] zu dividiren, werde ich wohl nicht widerstehen können. Das Dividiren besteht nämlich hier bloß im Strichmachen. Bey einem !!Fr.[agment]"" hast Du’s auch angemerkt, daß es aus zweyen besteht. Da ist das vom Genie, das sind auch zwey. Das vom Humor sind grade vier Stück. !!Er denkt elementarisch. Seine Sätze sind Atomen"".“ (Mitte März 1798; KFSA24, S.103.) VB4, 12, 22, 26, 30, 32, 36, 59, 75, 100 und 110 wurden von Schlegel auf diese Weise ‚dividiert‘, Teile von VB30 und 36 verband er zu BL29, aus dem Anfang von VB110 und 108 ging BL102 hervor, VB117 und 118 wurden zu BL106, VB123 und 124 zu BL109 zusammengefaßt. Außerdem nahm Schlegel einige sprachliche Änderungen vor. (Vgl. die Briefe an August Wilhelm von Mitte März und vom 25.3.1797; KFSA24, S.103 und 110.) Von den fünfzehn Fragmenten, die Novalis in seiner Handschrift der Vermischten Bemerkungen gestrichen hatte (VB100, 105–107, 111, 114–117 und 119–125), wurde ein Teil (VB100, 111, 115–117, 119 und 121) dennoch in die Sammlung Blüthenstaub aufgenommen (als BL110, 103, 104–106, 108 und 107). Inwieweit diese Änderungen auf Novalis selbst oder auf Schlegel zurückgehen, läßt sich im einzelnen nicht entscheiden, da die Druckvorlage, die der Veröffentlichung im ‚Athenäum‘ zugrunde lag, verschollen ist. Bei den Änderungen, die mit einiger Sicherheit auf Friedrich Schlegel zurückgehen, handelt es sich keineswegs nur um „Kleinigkeiten“, wie Friedrich Schlegel selbst meinte. (Friedrich Schlegel an August Wilhelm, 25.3.1798; KFSA24, S.110.) Tatsächlich griff er stark in Hardenbergs Text ein und formte ihn im Grund zu einer neuen Sammlung um, wobei er dazu tendierte, die Unterschiede im Denken der beiden Freunde zu verwischen, so daß der Blüthenstaub den ursprünglichen Intentionen des Autors nur noch bedingt entspricht. (Hierzu ausführlich: H.Schanze, Dualismus.) Allerdings konnte sich Schlegel darauf berufen, daß Hardenberg ihm ausdrücklich die freie Verfügung über sein Werk zugestanden hatte.

Wirkung Die Sammlung Blüthenstaub ist Teil der romantischen Symphilosophie; sie bezieht sich mehrfach auf Schlegels ‚Lyceums‘-Fragmente und wurde z.T. von diesen angeregt; besonders mit ihren religiösen Fragmenten gab sie Schlegel Anregungen für seine Ideen. Am 28.5.1798 schreibt Schlegel an Novalis über die Wirkung, die der Blüthenstaub bei ihm selbst und im Berliner Freundeskreis erzielt habe: „Besonders die Ausbildung und der Ausdruck haben mich erfreulich überrascht. Ich finde den Sprung von Deinen Heften bis dahin ungeheuer groß. – Der Reichthum an Ideen konnte mich nicht so überraschen, aber erfreut hat er mich in hohem Grade“ (KFSA24, S.132). Novalis habe mit diesem Werk „etwas ganz neues“ in Friedrich Schlegel „angeregt“ (ebd.). Caroline Schlegel dagegen

Blüthenstaub

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„weiß sich noch nicht recht in Deine Religiosität zu finden“, berichtet derselbe Brief (ebd., S.133). Friedrich Schlegel stellt fest, daß die Urteile bei den Lesern gegensätzlich ausfallen. „Wenn ich nach meinem kleinen Kreise urtheilen darf, so sind Dir alle gewiß, die viel Sinn haben; die andern wirst Du ganz abstoßen. Du wirst beynah so viel Versteher als Leser haben. Ich nenne Dir unter meinen hiesigen nur Tieck, der Deine Religion auch sehr poetisch findet“ (ebd.). Außerhalb dieses kleinen, erlesenen Zirkels gleichgestimmter Leser wurde Hardenbergs Erstlingswerk eher skeptisch aufgenommen. Wieland vermutete zunächst, Caroline Schlegel sei die Verfasserin des Blüthenstaubs. Am 13.1.1798 schreibt er ironisch an Luise von Goechhausen (1752–1807): „!…" Nur besorge ich, wenn Sie etwa auf den Einfall kommen sollten, das, was Ihnen aus dem ‚Blüthenstaub‘ (der, wie ich höre, durch die schönen Finger einer Dame auf uns arme Sterbliche herabgesiebt oder -gebeutelt worden ist) das Köstlichste zu seyn schien, fixieren zu wollen, so wird sich finden, daß alles unter der Operation verflogen seyn wird.“ (Otto Fiebiger, Dreizehn Briefe Wielands, zumeist an Luise v. Goechhausen. In: ‚Jahrbuch der Goethe-Gesellschaft‘ 11 (1925), S.263.) Auch in einem Brief vom 28.5.1798 an Karl August Böttiger (1760–1835) äußerte sich Wieland über Novalis’ Fragmente: Sie werden unter diesem Blüthenstaube hier und da wirklich prächtige Dinge finden – aber auch so possierliche Fratzen, Contorsionen und Affensprünge des verschrobensten, poetisch filosofischen Aftergenies, daß man seine Lust daran sieht. Der Fichte’sche Samen fängt an in seltsam neuen Wundergestalten aufzugehen; die Leute sehen Gesichte und reden mit neuen Zungen, und wiewohl nicht Jeder (Parther, Meder, Elamiter) u.s.w. seine Sprache in der Ihrigen hört, so kann doch wenigstens in diese hohlen Formen und leeren Schachteln Jeder hineinthun, was er will. (Karl August Böttiger, Literarische Zustände und Zeitgenossen, hg. von K.W.Böttiger, Leipzig 1838, Bd.2., S.180f.)

Der mit Novalis befreundete Amtmann Just glaubte, sich in dem Philisterporträt (BL77) wiederzuerkennen: Im Blüthenstaub habe ich manches halb, manches nicht und manches ganz verstanden. Die Idee und Absicht des Ganzen haben Sie meines Erachtens im letzten Fragment angegeben. Ich freute mich manchmal, alte Bekannte darin zu finden. !…" Zu manchem Bilde habe ich Ihnen wohl auch gesessen, besonders wenn es auf philistermäßige Ordnung ankam. Mit den Vorstellungen in der Religion geht es Ihnen wie Kant. Beide behalten die Worte aus dem christlichen Religionssystem bei und legen ihnen andere Bedeutung unter. Der ganz gemeine Leser glaubt, man halte es noch ganz mit dem alten System. Der Forschende sieht nun wohl bald das Gegentheil; aber der Eine ist nun auch mit dem modernen Interpreten unzufrieden, während ihn der Andere dennoch achtet und liebt, wenn er schon seine Interpretation nicht gutheißen kann. (An Hardenberg, 17. und 24.11.1798; NO4, S.506.)

Struktur und Gehalt Im Blüthenstaub entwickelt Novalis eigenständige Positionen zu aktuellen religiösen, philosophischen, ästhetischen, naturwissenschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Fragen. Einen Hinweis auf die Intentionen der Sammlung gibt

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sein Brief an August Wilhelm Schlegel vom 24.2.1798: „Künftig treib ich nichts, als Poësie – die Wissenschaften müssen alle poëtisirt werden – von dieser realen wissenschaftlichen Poësie hoffe ich recht viel mit Ihnen zu reden. Ein Hauptgedanke dazu ist, die Idee der Religion in meinen Fragmenten“ (NO4, S.252). Beim Lesen des Blüthenstaubs und der Vermischten Bemerkungen stößt man auf die Terminologie verschiedener Wissenschaften; Novalis bedient sich „eine!r" komplizierte!n" Kombination von Bildern aus disparaten Bereichen, die durch wechselseitige Spiegelung die Welt als unendliches System von Analogien erscheinen lassen“ (Stockinger, WTB3, S.340). Der Leser muß Zusammenhänge suchen und die dunkle Sprache der Fragmente entschlüsseln. Die Texte des Blüthenstaubs geben ihm ‚Denkreize‘, die er weiterverfolgen soll. Novalis versteht seine Fragmente als transitorisch (an C.A.Just, 26.12.1798; NO4, S.270f.), als Vorübungen oder als „litterarische Sämereyen“ (BL114), aus denen sich in einem quasi organischen Wachstumsprozeß selbständige geistige Gebilde entwickeln sollen. Lesen wird dabei zu einem eminent schöpferischen Akt. Es werden Themen, Motive oder Begriffe vielfach variiert wieder aufgenommen, im neuen Kontext nuanciert, haben zusammen einen semantisch uneinheitlichen Sinngehalt und wären vielleicht jeweils, wenn nicht inhaltlich auf Eindeutigkeit abgestimmt, so als spontan manifestierte, markierte Denkpunkte festzuhalten, die aufgrund ihrer gegenseitigen Relativierung eine gewisse Beweglichkeit gewinnen. Freigesetzt wird dabei eine sprachliche Kreativität, eine entäußerte Denk- und Schaffenskraft, die zündet und an das eigene Potential des Lesers rührt: Die stiltechnisch raffinierten Formkompositionen eröffnen ein sprachliches Reizfeld, das keine feste Begrifflichkeit mehr proklamiert, sondern sich über die jeweilige, individuelle Auslegungsperspektive begriffsplastisch erst manifestiert, provisorisch – und also immer neu fragmentarisch – in der Rezeptionsgegenwart des Hier und Jetzt erfüllt. (Lukas, S.19.)

Die Vermischten Bemerkungen wurden von Novalis sorgfältig zu inhaltlich und thematisch zusammengehörigen Gruppen angeordnet; es lassen sich sieben Themenkreise voneinander abgrenzen (Samuel, NO2, S.409f.): VB1–28 entwerfen die Umrisse einer Erkenntnislehre und versuchen die Aufgabe der Bildung zu bestimmen; im Mittelpunkt der zweiten Gruppe (VB29–40) stehen der Schriftsteller und Witz, Ironie, Humor sowie weitere Mittel der literarischen Produktion; VB41–67 kreisen um das Thema Gesellschaft; und nach einer kurzen Überleitung (VB68–71) beschäftigen sich VB72–90 mit dem Thema Religion, ihrer gesellschaftlichen Erscheinung und Auswirkung; anschließend erörtern VB91–103 Fragen der Geschichte und der Geschichtsphilosophie; VB104–120 beleuchten charakteristische Erscheinungen der Literaturkritik und führen zu den Überlegungen über den poetischen Staat (VB121–124); die Sammlung schließt mit einem Text, der das Verhältnis zwischen Leser und Autor thematisiert (VB125). Durch Schlegels Anordnung und Bearbeitung der Fragmente ging zum einen der Kontrast zwischen sehr kurz gefaßten und längeren, diskursiv fortschreitenden Fragmenten verloren, zum andern verwischte er auch teilweise das ursprüngliche Kompositionsprinzip der Sammlung und näherte es der Anordnung seiner eigenen Fragmentsammlungen an, die auf wohlkalkulierten ‚Gedankensprüngen‘ beruht. Umrahmt wird die von Schlegel überarbeitete Sammlung vom Motiv der geistig-

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literarischen „Sämereyen“ (BL114), das die Pflanzenmetaphorik des Titels aufnimmt und für dieses Werk programmatische Bedeutung beanspruchen kann.

Stellenkommentar 141, Titel Blüthenstaub] Der poetische Titel, der allerdings nicht von Novalis, sondern von Friedrich Schlegel stammt, formuliert zugleich das Anliegen der Fragmentsammlung, die auf den Leser ‚befruchtend‘ wirken soll; vgl. auch die Pflanzenmetaphorik, die Novalis in seinen Briefen im Zusammenhang mit diesen Fragmenten gebraucht, BL114 und siehe die folgende Anm. zum Motto der Sammlung. 141,1f. Freunde, der Boden ist arm, wir müßen reichlichen Samen Ausstreun !…" gedeihn] Das Motto spielt auf das neutestamentliche ‚Gleichnis vom Sämann‘ (Matth.13,3–8 und 18–23) an und ergänzt die Selbstdeutung durch den Dichternamen Novalis, d.h. „der Neuland Rodende“. Mit ihrer vegetabilischen Metaphorik knüpft die programmatisch gemeinte Adhortatio an die Bildlichkeit des Titels an; BL114 nimmt am Schluß der Sammlung das Samen- und Saatmotiv wieder auf; (vgl. auch BL15 und 18). In den Ideen bedient sich auch Schlegel mehrfach pflanzlicher Bilder und Metaphern (siehe Anm. 84,13–15 zu Id5); vgl. ferner Forberg, F13. -- Stockinger, WTB3, S.340 und 347; Westerhoff, S.339. 1: 141,4 Wir suchen überall das Unbedingte und finden immer nur Dinge] (= VB1.) Vgl. BL29, FSt76, A283 (= VB22), ferner Matth.7,7f. und Joh.7,34 zum Motiv des Suchens. Das Streben nach dem Unbedingten stellt ein zentrales Thema in der Philosophie Fichtes dar. R.Samuel (NO2, S.742) verweist auf die Anregung durch Schellings Schrift Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen (1795), §§2f.: Unsere Frage: wo das Unbedingte zu suchen sey, klärt sich nun allmählich und von selbst auf !…" nun zeigt es sich, daß es überall nicht in der Sphäre der Objekte !…" zu suchen sey. !–" Die philosophische Bildung der Sprachen !…" ist ein wahrhaftes durch den Mechanismus des menschlichen Geistes gewirktes Wunder. So ist unser bisher unabsichtlich gebrauchtes deutsches Wort Bedingen nebst den abgeleiteten in der That ein vortreffliches Wort, von dem man sagen kann, daß es beinahe den ganzen Schatz philosophischer Wahrheit enthalte. Bedingen heißt die Handlung, wodurch etwas zum Ding wird, bedingt, das was zum Ding gemacht ist, woraus zugleich erhellt, daß nichts durch sich selbst als Ding gesetzt seyn kann, d.h. daß ein unbedingtes Ding ein Widerspruch ist. Unbedingt nämlich ist das, was gar nicht zum Ding gemacht ist, gar nicht zum Ding gemacht werden kann. (Sch6, S.46.)

Vgl. auch Hemsterhuis, Alexis, ou l’âge d’or (1787; Oeuvres 2, S.166); hier vertritt der Verfasser die Meinung, nach dem Verlassen des glücklichen Urzustands beruhe das Elend des Menschen auf der falschen Hoffnung „de trouver dans la quantité de ces objets finis et déterminés, cet infini analogue au grand principe indéterminé qui l’agitoit.“ – AB314 nimmt auf dieses Fragment Bezug: „!…" Jede immer getäuschte und immer erneuerte Erwartung deutet auf ein Capitel in der Zukunftslehre hin, vid. mein erstes Fragment im Blüthenstaub !…".“ -- Dirk

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Fetzer, Identische Trivialität oder Antinomie der Antinomie? Strukturelle Überlegungen zur Frage der Darstellbarkeit des Unbedingten in Frühromantik und Frühidealismus. In: Darstellbarkeit, S.53–70; Mähl, Idee, S.278; Neumann, Ideenparadiese, S.290f.; Schierbaum, S.158–164; Stockinger, WTB3, S.345f.; Strack, Romantische Fragmentkunst, S.342–344; Striedter, S.30 und 34–36; Westerhoff, S.342. 2: 141,5–9 Die Bezeichnung durch Töne und Striche !…" Nazionen] (= VB2.) Weitere Aufzeichnungen zu Hardenbergs Sprach- und Zeichentheorie finden sich u.a. in FSt11, 183, 185, 219, 249f., 637, BL70, GL1–6, HKS23, AB938, 1034; vgl. auch Heinrich von Ofterdingen (NO1, S.287) und siehe Anm. 85,35f. zu Id29 (‚frei‘). -- Link, Abstraktion, S.32f., Menninghaus, Theorie; Neumann, Ideenparadiese, S.291f.; Schierbaum, S.184–190; Stockinger, WTB3, S.346; Westerhoff, S.342. 3: 141,10f. Der Weltstaat ist der Körper !…" nothwendiges Organ] (= VB3.) Vgl. hierzu Kants Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784): Alle Kriege sind demnach so viel Versuche !…", neue Verhältnisse der Staaten zu Stande zu bringen, und durch Zerstörung, wenigstens Zerstückelung aller, neue Körper zu bilden, die sich aber wieder, entweder in sich selbst oder neben einander, nicht erhalten können, und daher neue Revolutionen erleiden müssen, bis endlich einmal, teils durch die bestmögliche Anordnung der bürgerlichen Verfassung innerlich, teils durch eine gemeinschaftliche Verabredung und Gesetzgebung äußerlich, ein Zustand errichtet wird, der einem bürgerlichen gemeinen Wesen ähnlich, so wie ein Automat sich selbst erhalten kann. (KA11, S.A399f.)

Allerdings tritt bei Novalis an die Stelle des mechanistischen Automaten-Modells eine organische Staatsauffassung (z.B. VB122). -- Neumann, Ideenparadiese, S.292; Stockinger, WTB3, S.346f.; Westerhoff, S.342f. 4: 141,12–15 Lehrjahre sind für den poetischen, akademische Jahre für den philosophischen Jünger !…" organisirt] (In VB4, erster Teil.) Vgl. BL5. -Neumann, Ideenparadiese, S.292f.; Schierbaum, S.212f.; Westerhoff, S.343. 5: 141,16 Lehrjahre der Kunst zu leben] Vgl. A225 („Lebenskunstlehre“) und siehe die Anm. 46,31 dazu. 5: 141,16–18 Lehrjahre im vorzüglichen Sinn !…" verfahren] (In VB4, Schluß.) Vgl. BL4. -- Schierbaum, S.212f. 6: 141,19f. Ganz begreifen werden wir uns nie !…" mehr, als begreifen] (= VB6.) Das Fragment ist aus Novalis’ Hemsterhuis-Studien hervorgegangen (HKS22). Vgl. auch Vorarbeiten 151 und Schlegel, L20. Zum Postulat der Selbsterkenntnis siehe Anm. 88,3–5 zu Id51; der zweite, scheinbar paradoxe Teil des Fragments „zielt auf die beschränkte Erkenntnisfähigkeit des puren Begriffs und richtet das Augenmerk auf andere menschliche Vermögen, die das bloß begriffliche Begreifen übertreffen und die über die analytische Tätigkeit des Verstandes hinaus synthetisches Erkennen zustande bringen.“ (Peter Utz, Aphorismus und Gespräch im ‚Athenäum‘. In: ‚Germanica Wratislaviensia‘ 67 (1988), S.7–17, hier S.10.) -- Neumann, Ideenparadiese, S.294f.; Samuel, NO2, S.747; Stockinger, WTB3, S.347; Striedter, S.38f.

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7: 141,21–23 Gewisse Hemmungen gleichen den Griffen !…" scheint] (= VB7.) Hervorgegangen aus Hardenbergs Hemsterhuis-Studien (HKS36). -Neumann, Ideenparadiese, S.295; Samuel, NO2, S.747. 8: 141,24f. Der Unterschied zwischen Wahn und Wahrheit !…" Differenz ihrer Lebensfunkzionen] „‚Lebensfunktion‘ ist bei Röschlaub Begriff für den Lebensvorgang schlechthin als Fluktuation von Reiz und Erregbarkeit. ‚Differenz ihrer Lebensfunctionen‘ heißt daher: Wahrheit ist Gesundheit, Wahn ist Krankheit, also Proportionalität bzw. Disproportionalität von Reiz und Erregbarkeit“ (Stockinger, WTB3, S.347). 8: 141,27f. Schwärmerey und Philisterey] Siehe Anm. 151,23 zu BL77 (‚Philister‘). 8: 142,1–3 eine abnehmende Reihe von Inzitamenten, Zwangsmitteln !…" zunehmende Reihe gewaltsamer Mittel] Novalis beschäftigt sich in seinen Fragmenten intensiv mit dem Phänomen der Krankheit. (Z.B. BL22, VB113f., GL50, Vorarbeiten (Poësie) 42, Vorarbeiten 70, 207 und 223, T2, 13, 62, 101, AB12, 113, 120, 128, 140, 182, 191, 371, 386, 956, 978; Schlegel, PhL [III] 256, 277f, 292 u. ö.) Besonders häufig bezieht er sich in seinen Fragmenten auf die Physiologie des schottischen Arztes John Brown (1735–1788), dessen Reizlehre ihm durch die Schriften Röschlaubs, Eschenmayers und Schellings bekannt war. Brown lehrt in seinen Elements of Medicine (dt. 1798 von C.H.Pfaff unter dem Titel System der Heilkunde), daß Krankheit einerseits durch einen Mangel oder aber durch ein Übermaß an Reizen von außen, andererseits aber auch durch zu geringe oder übermäßige Erregbarkeit des Organismus entstehe. Zur Heilung ist es erforderlich, ausgleichend auf die Erregbarkeit und auf die Reize einzuwirken. Übermäßige Steigerung der Lebensfunktionen bewirkt Schwäche („indirecte Asthenie“, AB386). Sie wird durch „eine abnehmende Reihe von Inzitamenten“ geheilt. Bei einer ‚direkten Asthenie‘ leidet der Kranke unter gesteigerter Erregbarkeit, die „durch eine zunehmende Reihe“ von Reizmitteln zu behandeln ist. – Vgl. zu Brown auch BL18, 48, 77, 84, 94, VB112, GL46, 50–53, T41f., 46, 48, 52, 90, 93f., 102f., ET426, 438, Vorarbeiten 107, 127, 129–131, 171, 180, 187, 211, 219–221, 235, 240, 277, AB43, 72; Schlegel, Id94, PhL [III] 288 u. ö. -Hansen, S.137–140 und 378–389; Lukas, S.37–73; John Neubauer, Dr. John Brown (1735–1788) and Early German Romanticism. In: ‚Journal of the History of Ideas‘ 28 (1967), S.367–382; Karl Eduard Rothschuh, Konzepte der Medizin in Vergangenheit und Gegenwart. Stuttgart 1978, S.342–352; Heinrich Schipperges, Krankwerden und Gesundsein bei Novalis. In: Romantik in Deutschland, S.226–242. 8: 142,3 Revoluzionssymptome] Siehe Anm. 15,1f. zu L66 (‚revolutionär‘). 8: 141,24–142,5 Der Unterschied zwischen Wahn und Wahrheit !…" verändert werden] (= VB8.) Hervorgegangen aus Novalis’ Kant-Studien (HKS47). -Kurzke, Konservatismus, S.157f.; Neumann, Ideenparadiese, S.296–298; Schierbaum, S.194f.; Stockinger, WTB3, S.347f.; Trosiener, S.128. 9: 142,6–8 Unser sämtliches Wahrnehmungsvermögen gleicht dem Auge !…" erscheinen] (= VB9.) Hervorgegangen aus HKS47. Vgl. über das

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Auge Vorarbeiten 101, 112, 226, 234, 243, 249, T86, ET432, 440, FSt613, AB3, 153, 375, 435, 516, 630, 690, 737, 997, 1007, 1064 u. ö. -- Neumann, Ideenparadiese, S.298; Schierbaum, S.193–195. 10: 142,9–13 Die Unzulänglichkeit der bloßen Theorie !…" von den ächten Philosophen !…" bemerkt] Durch das Attribut ‚ächt‘ grenzt Novalis die transzendentale Ebene von der gewöhnlichen ab. Vgl. A289, 291, VB107, T14, 26, 39, 54, 66, 82, ET432, Lg3, 8, 13f., 21f., FD197 u. ö. – Siehe Anm. 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘). -- Kurzke, Novalis, S.14. 10: 142,9–16 Die Erfahrung ist die Probe des Razionalen !…" „!…" um der Theorie willen sey?“] (= VB10.) Hervorgegangen aus Novalis’ Kant-Studien (HKS48). Vgl. auch AB492 und A85 zum Verhältnis von Theorie und Praxis. -Neumann, Ideenparadiese, S.298f.; Samuel, NO2, S.747; Stockinger, WTB3, S.348. 11: 142,17 Das Höchste ist das Verständlichste, das Nächste, das Unentbehrlichste] (In VB12, Mitte.) Vgl. Vorarbeiten 105 und siehe Anm. 93,14 zu Id124 (‚das Höchste‘). – Den ersten Satz von VB12 übernahm Friedrich Schlegel als Nr.293 in die ‚Athenäums‘-Fragmente, den zweiten Satz löste er als eigenes Fragment für die Sammlung Blüthenstaub heraus, der letzte Satz blieb unveröffentlicht. -- Neumann, Ideenparadiese, S.300f.; Stockinger, WTB3, S.348. 12: 142,18–21 Wunder stehn mit naturgesetzlichen Wirkungen in Wechsel !…" umgekehrt] (= VB13.) Die Frage, ob die Naturgesetze Wunder zulassen, wird im 18. Jahrhundert von Philosophen und Theologen diskutiert. (Z.B. in Lessings Nathan der Weise (1793; II187–317). Vgl. ergänzend AB138 und 730. -Neumann, Ideenparadiese, S.301; Stockinger, WTB3, S.348f. 13: 142,22 Die Natur ist Feindin ewiger Besitzungen] Siehe Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘). 13: 142,25 Primogeniturzufalle] Der Zufall der Erstgeburt. 13: 142,26 Ameliorazion und Deteriorazion] In der juristischen Terminologie: Verbesserung und Verschlechterung. 13: 142,30 Fürstenschule] Vom absolutistischen Landesherrn gegründete Internate. 13: 142,22–31 Die Natur !…" nachfolgen] (= VB14.) Hervorgegangen aus FSt652 und HKS28; vgl. auch FSt582 und siehe Anm. 179,20f. dazu. -- Neumann, Ideenparadiese, S.302f.; Peter, Aufklärung, S.98ff.; Schierbaum, S.266f.; Stockinger, WTB3, S.349. 14: 142,33 Scheidung und nähere Selbstverbindung] Als Scheidung und Mischung bzw. Verbindung bezeichnet die zeitgenössische Chemie analytische und synthetische Prozesse. Siehe hierzu Anm. 11,12–15 zu L32. 14: 142,34 Durch den Tod wird die Redukzion vollendet] Läuterung von Erzen. Der Begriff wird aber auch allgemein auf synthetische und analytische Verfahren in der Chemie angewendet. Vgl. Lg15. Siehe Anm. 54,29f. zu A292 über Tod und Sterben. 14: 142,32–34 Leben ist der Anfang !…" vollendet] (= VB 15.) Vgl. A 292 (= VB 11). - - Neumann, Ideenparadiese, S. 303; Stockinger, WTB 3, S. 349.

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15: 142,35f. Auch die Philosophie hat ihre Blüthen !…" witzig nennen soll] Schlegel, der hier einen eigenen Text in die Fragmente seines Freundes einfügt, greift darin die Blütenmetaphorik des Titels auf und charakterisiert zugleich indirekt Hardenbergs philosophische Fragmente. -- Klawitter, S.140. 16: 142,38f. Die Fantasie setzt die künftige Welt !…" in der Metempsychose] Metempsychose: Seelenwanderung. Siehe auch Anm. 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘). 16: 142,39 Wir träumen von Reisen durch das Weltall] Nach dem Vorbild von Fontenelles Entretiens sur la Pluralité des Mondes (1686) nimmt die Literatur des 18. Jahrhunderts das Motiv der Planetenreise auf. Die Vorstellung einer Seelenreise Verstorbener zu fernen Planeten findet sich z.B. in Jean Pauls Das Kampanertal (1797; JP,SW I 4, S.605). Siehe Anm. 54,19 zu A288 (‚träumen‘). 16: 142,39f. ist denn das Weltall nicht in uns?] Die Vorstellung eines ‚inneren Reiches‘ begegnet in der Literatur des 18. Jahrhunderts öfters, z.B. in Goethes Werther (WA I 19, S.16). „Bei Novalis hat der Gedanke zentrale Bedeutung: für ihn ist Selbsterkenntnis zugleich Welterkenntnis und damit der Schlüssel zur Meisterung der Zukunft“ (Schulz, Werke, S.746). Vgl. zum Motiv der ‚Welt in uns‘ auch FSt647 und die Gedichte Kenne dich selbst (1800; NO1, S.403f.) und Letzte Liebe (NO1, S.404), ferner AB942, Vorarbeiten 74: „Zur Welt suchen wir den Entwurf – dieser Entwurf sind wir selbst“ und die verwandte Vorstellung einer Korrespondenz zwischen Geist und Materie in FSt225. -- Hansen, S.272 und 277. 16: 142,40f. Nach Innen geht der geheimnißvolle Weg] Nach R.Samuel (NO2, S.747) ließ sich Novalis hier von Schellings Ausführungen über die intellektuale Anschauung anregen. Vgl. F.W.J.Schelling, Philosophische Briefe über Dogmatismus und Kriticismus (1795): Uns allen nämlich wohnt ein geheimes, wunderbares Vermögen bei, uns aus dem Wechsel der Zeit in unser Innerstes, von allem, was von außenher hinzukam, entkleidetes Selbst zurückzuziehen, und da unter der Form der Unwandelbarkeit das Ewige in uns anzuschauen. Diese Anschauung ist die innerste, eigenste Erfahrung, von welcher allein alles abhängt, was wir von einer übersinnlichen Welt wissen und glauben !…". In diesem Moment der Anschauung schwindet für uns Zeit und Dauer dahin: nicht wir sind in der Zeit, sondern die Zeit – oder vielmehr nicht sie, sondern die reine absolute Ewigkeit ist in uns. (Sch6, S.198f. (8. Brief).)

Vgl. ferner Fichtes Forderung in der Ersten Einleitung in die Wissenschaftslehre (1797; FI1, S.422): „Merke auf dich selbst: kehre deinen Blick von allem, was dich umgiebt, ab, und in dein Inneres !…". Es ist von nichts, was ausser dir ist, die Rede, sondern lediglich von dir selbst“. 16: 143,1 sie wirft ihren Schatten in das Lichtreich] Eine Reminiszenz an die neuplatonisch-plotinische Lichtmetaphysik. Siehe Anm. 217,1 zu AB931. -Mähl, Plotin, S.395–400. 16: 142,38–143,4 Die Fantasie !…" entbehrt] (= VB17.) Vgl. BL24, 45, 92, AB124 und Hardenbergs Brief an Christian Friedrich Brachmann, 30.3.1796 (NO4, S.17). Siehe Anm. 10,4f. zu L14 über die Dialektik von ‚innen‘ und ‚außen‘. -- Götze, Ironie, S.262f.; Kuhn, Apokalyptiker, S.80f.; Link, Abstraktion,

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S. 53–55; Neumann, Ideenparadiese, S.304f.; Pikulik, Frühromantik, S.134–137; Schierbaum, S.165–167; Stockinger, WTB3, S.350f. 17: 143,5–8 Darwin macht die Bemerkung !…" ertragen können] (= VB18.) Erasmus Darwin, Zoonomia or The Laws of Organic Life (1794; deutsch 1795: Zoonomie, oder Gesetze des organischen Lebens; übersetzt von J.D.Brandis; zit. nach NO2, S.408): „Haben wir aber viel von sichtbaren Gegenständen geträumt, so ist diese Anhäufung der sensoriellen Kraft in dem Gesichtsorgan vermindert oder verhütet und wir erwachen am Morgen ohne durch das Licht geblendet zu werden, nachdem sich die Pupille hinlänglich zusammen gezogen hat. Dieses ist ein Gegenstand von vorzüglicher Merkwürdigkeit und kann von jedem am Tage versucht werden“. – Vgl. Heinrich von Ofterdingen (1. Teil, 1.Kapitel; NO1, S.196–201). – Dieses Fragment knüpft an BL9 an. Siehe Anm. 54,19 zu A288 (‚Traum‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.307; Samuel, NO2, S.408; Schierbaum, S.166f. 18: 143,9f. Wie kann ein Mensch Sinn für etwas haben, wenn er nicht den Keim davon in sich hat?] Siehe Anm. 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘). Die organische Metapher des Keims schließt sich an das Motiv der Saat und an die BlütenstaubMetapher des Mottos an. 18: 143,11 Inzitament] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8. 18: 143,9–11 Wie kann ein Mensch !…" Organismus] (= VB19.) -- Neumann, Ideenparadiese, S.307f.; Schierbaum, S.167f.; Striedter, S.111. 19: 143,12f. Der Sitz der Seele ist da, wo sich Innenwelt und Außenwelt berühren !…" Durchdringung] (= VB20.) Novalis scheint mit diesem Fragment in die Auseinandersetzung zwischen Kant und dem Mediziner Samuel Thomas Sömmerring (1755–1830) um die Lokalisierung der Seele einzugreifen. Sömmerring hatte in seinem Buch Über das Organ der Seele (1796) die Frage nach dem Sitz der Seele aufgeworfen. Kant verwarf die „lokale Gegenwart“ der Seele zugunsten einer „virtuelle!n" Gegenwart“ (KA11, S.225–259, hier S.A82). Zu diesen Fragen äußert sich auch Fichte im 3. Teil der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794; FI1, S.244f.) und F.K.Forberg in seinem im ‚Philosophischen Journal‘ 1796 (vierten Bandes drittes Heft, S.257–266) erschienenen Aufsatz Ueber die Verbindung der Seele mit dem Körper: Für einen angeblichen Sitz der Seele, und zwar für einen im Gehirn, führt man allerlei Erfahrungen an. Sie beweisen aber gar nicht das, was sie beweisen sollen. Sie machen es wahrscheinlich, daß es einen Anfangs- oder Endpunkt der Bewegungen der Nerven geben, und daß derselbe wohl in dem Gehirn zu suchen sei. Aber daß dieser Anfangsoder Endpunkt die Gränze sei, wo sich Inneres und Aeußeres im Menschen treffen, wo sich Vorstellung und Bewegung, Eindruck und Empfindung einander berühren, davon war in jenen Erfahrungen gar nicht die Rede, und konnte es auch nicht, weil dann die Rede sein müßte von zwei Entgegengesetzten, die sich treffen sollen, obgleich das Eine überhaupt nirgends zu treffen ist. (S.266.)

– Vgl. BL29, über den ‚Sitz der Seele‘ auch AB179 und 194; siehe Anm. 223,26f. zu AB1003 über die Wechselwirkung zwischen Körper und Seele sowie 153,19 zu BL89 (‚Berührung‘). -- Dick, S.263–265; Mähl, NO2, S.331; Luigi Marino, Soemmering, Kant and the Organ of the Soul. In: Romanticism in Science. Science

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in Europe 1790–1840, hg. von Stefano Poggi und Maurizio Bossi. Dordrecht, Boston, London 1994, S.47–74; Neumann, Ideenparadiese, S.308; Schierbaum, S.159–161; Stockinger, WTB3, S.351f.; Strack, Neugier, S.127; ders., Sömmerrings Seelenorgan und die deutschen Dichter. In: „Frankfurt aber ist der Nabel dieser Erde“. Das Schicksal einer Generation der Goethezeit, hg. von Christoph Jamme und Otto Pöggeler, Stuttgart 1983, S.185–205; Striedter, S.49–54. 20: 143,14–18 Wenn man in der Mittheilung !…" Symphilosophie?] Siehe Anm. 17,30f. zu L98 (‚Mitteilung‘), 10,17f. zu L20 (‚verstehen‘) und 19,33 zu L112 (‚Symphilosophie‘). Vgl. zu diesem von Friedrich Schlegel stammenden Fragment auch Lg3: „!…" Ächtes Gesammtphilosophiren ist also ein gemeinschaftlicher Zug nach einer geliebten Welt !…"“. 21: 143,19–24 Genie ist !…" Talent !…" zur Entwickelung kommt] (In VB22.) Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie und Talent‘). L.Stockinger verweist bei diesem Fragment auf „den bei N. zentralen Gedanken der Vergegenwärtigung absoluter Postulate durch die Poesie. Der Satz bezeichnet die intendierte Struktur von ‚Glauben und Liebe‘ und ‚Die Christenheit oder Europa‘“ (WTB3, S.352). – Anfang und Schluß von VB22 faßte Schlegel zu A283 zusammen, den mittleren Teil übernahm er als 21. Fragment in den Blüthenstaub. -- Mähl, Wilhelm-Meister-Studien, S.298–300; Neumann, Ideenparadiese, S.310f.; Striedter, S.85f. 22: 143,25 Das willkührlichste Vorurtheil] Siehe Anm. 10,9 zu L16 (‚Willkür‘). 22: 143,28f. die Besonnenheit, Sichselbstfindung] Siehe Anm. 213,7 zu ET432 (‚Besonnenheit‘) und vgl. L37. 22: 143,36f. Für den Schwachen ist das Faktum dieses Moments ein Glaubensartikel] Novalis gebraucht den Terminus ‚Faktum‘ in Anlehnung an Fichte, der in der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794) damit die Leistung des Ich bezeichnet, durch die Einbildungskraft Ich und Nicht-Ich zu vereinigen. Der Satz: „das Ich setzt sich als bestimmt durch das Nicht-Ich“ (FI1, S.218) ist für Fichte ein „Factum“ im „höheren Sinne des Wortes“ (ebd., S.220). Vgl. zum Begriff des Faktums auch FSt234, 278, 281, 284, 312, 317, 556, Vorarbeiten 212, Lg21, 26, AB76, 114, 173, 198, 324, 474, 808, 1147 sowie Schlegel, A121, FPL [V] 818, Gespräch über die Poesie (1800; KFSA2, S.349) u. ö. -Loheide, Fichte und Novalis, S.281f. 22: 144,3 Einer hat mehr Sinn, der andere mehr Verstand] Vgl. zum Sinn Novalis’ Kant-Studien (HKS46) und Vorarbeiten 112; siehe auch Anm. 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘). 22: 144,5f. Dieses Vermögen ist ebenfalls Krankheitsfähig] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 über die Krankheit. 22: 143,25–144,7 Das willkührlichste Vorurtheil ist !…" bezeichnet] (= VB23.) Dieses Fragment steht in Zusammenhang mit BL21 und 23–25 sowie mit A282 (= VB22) und lehnt sich an die Tagebucheintragungen vom 23.5.–29.6.1797 an (NO4, S.39–48). -- Link, Abstraktion, S.72f.; Mähl, Wilhelm-Meister-Studien; Neumann, Ideenparadiese, S.311f.; Samuel, NO2, S.748; Schierbaum, S.229–233; Stockinger, WTB3, S.352f.; Striedter, S.70–74.

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23: 144,8 Profanazion] Entweihung. 23: 144,8–11 Scham ist wohl ein Gefühl der Profanazion !…" besprochen zu werden] (= VB25.) Friedrich Schlegel scheint sich in FPL [VI] 34 auf dieses Fragment zu beziehen, wenn er schreibt: „Vieles ist zu heilig und zu zart, um je gesagt zu werden, auch d[em] Freunde, ja d[em] Geliebten selbst.“ -- Neumann, Ideenparadiese, S.313. 24: 144,13f. Der erste Schritt wird Blick nach Innen !…" nur halb] Vgl. hierzu Fichtes Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre (1797): „Merke auf dich selbst: kehre deinen Blick von allem, was dich umgiebt ab, und in dein Inneres – ist die erste Forderung, welche die Philosophie an ihren Lehrling thut“ (FI1, S.422). 24: 144,12–16 Selbstentäußerung ist die Quelle aller Erniedrigung !…" Beobachtung der Außenwelt seyn] (= VB26, erster Teil.) Vgl. BL16, 45, AB124 und 851. Zum Motiv des Sich-Entäußerns als Modell allen Erkennens vgl. z.B. Goethes Italiänische Reise. Siehe auch Anm. 10,4f. zu L14 über die Dialektik von „Blick nach Innen“ und „Blick nach Außen“. -- Frank/Kurz, Ordo inversus; Götze, Ironie, S.263; Neumann, Ideenparadiese, S.314; Link, Abstraktion, S.35; Mähl, Wilhelm-Meister-Studien, S.295; Striedter, S.56–60; Wilhelm, S.232–235. 25: 144,21f. der große Styl der Darstellung, den man mit Recht an Goethe so sehr bewundert] Siehe Anm. 18,25 zu L104 (‚Styl‘), 184,1–5 zu FSt633 (‚Darstellung‘) und 9,13–15 zu L6 über Goethe. 25: 144,17–22 Derjenige wird nie !…" bewundert] (= VB26, zweiter Teil.) Novalis greift hier Gedanken aus Schillers Kallias-Briefen (an Körner, 28.2.1793; NA26, S.222–229) auf. -- Mähl, Wilhelm-Meister-Studien, S.295f.; Neumann, Ideenparadiese, S.314; Schierbaum, S.169; Stockinger, WTB3, S.353. 26: 144,23 Liebhaberey fürs Absolute] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘). 26: 144,24f. sich selbst immer zu widersprechen, und entgegengesetzte Extreme zu verbinden] Vgl. Lg13 und siehe Anm. 73,12f. zu A397 über das Motiv des Sich-selbst-Widersprechens. 26: 144,25 Satz des Widerspruchs] Siehe Anm. 30,5 zu A83. 27: 144,29–32 Eine merkwürdige Eigenheit Goethe’s bemerkt man !…" beschäftigen] Vgl. L124 zur motivischen Verknüpfung im Wilhelm Meister und BL66 über Zufälle. Zu Goethe siehe Anm. 9,13–15 zu L6. 27: 144,32f. Auch hier ist der sonderbare Genius der Natur auf die Spur gekommen] Siehe Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘), 33,40f. zu A119 (‚Genie‘), 9,1 zu L1 über das Verhältnis von Natur und Kunst sowie 54,19 zu A288 (‚Traum‘). 27: 144,29–39 Eine merkwürdige Eigenheit !…" Deutungen dieses Spiels] (= VB27.) -- Neumann, Ideenparadiese, S.314f.; Schierbaum, S.169f.; Striedter, S.136–140. 28: 144,40–43 Die höchste Aufgabe der Bildung ist, sich seines transzendentalen Selbst zu bemächtigen !…" verstehn lernen] (= VB28.) Vgl. aber auch FSt3 (zweiter Teil). – Novalis scheint sich hier auf Fichtes Vorlesungen über die

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Bestimmung des Gelehrten (1794; FI6, S.291–447) zu beziehen. Vgl. auch Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795), der sich auf dieselbe Quelle stützt: „Jeder individuelle Mensch, kann man sagen, trägt, der Anlage und Bestimmung nach, einen reinen idealischen Menschen in sich, mit dessen unveränderlicher Einheit in allen seinen Abwechselungen übereinzustimmen, die große Aufgabe seines Daseyns ist“ (NA20, S.316). – Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘), 24,19 zu A22 (‚transzendental‘) und 19,9 zu L108 über den Gebrauch potenzierender Formeln bei den Romantikern (‚Philosophie der Philosophie‘). -Neumann, Ideenparadiese, S.315f.; Samuel, NO2, S.748; Schierbaum, S.220f.; Stockinger, WTB3, S.353f.; Wergin, S.90. 29: 145,1 Humor ist eine willkührlich angenommene Manier] Siehe Anm. 48,10f. zu A237 (‚Humor‘), 10,9 zu L16 (‚Willkür‘) und 9,16f. zu L7 bzw. 16,28 zu L83 (‚Manier‘). 29: 145,2f. Humor ist Resultat einer freyen Vermischung des Bedingten und Unbedingten] Vgl. BL1 über das ‚Unbedingte‘ (und siehe Anm. 141,4 dazu), FSt566 und L108. Bei Schlegel ist es die Ironie, die „ein Gefühl von dem unauflöslichen Widerstreit des Unbedingten und des Bedingten“ „enthält und erregt“. 29: 145,3f. interessant !…" objektiven Werth] Im Studium-Aufsatz sind ‚objektiv‘ und ‚interessant‘ Attribute der ‚klassischen‘ und der modernen Kunst (1795/7; KFSA1, S.252–255). 29: 145,4f. Wo Fantasie und Urtheilskraft sich berühren, entsteht Witz] Vgl. BL20, 69 und AB732. Siehe Anm. 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘), 153,19 zu BL89 (‚Berührung‘) und 9,23 zu L9 (‚Witz‘). 29: 145,1–7 Humor ist eine willkürlich angenommene Manier !…" beschränkter] (= VB30, erster Teil.) 29: 145,7 Was Fr. Schlegel als Ironie karakterisirt] Gemeint sind Schlegels Ausführungen in L108. Siehe Anm. 12,33 zu L42 (‚Ironie‘). 29: 145,10 Mehre Nahmen sind einer Idee vortheilhaft] Siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘). 29: 145,7–10 Was Fr. Schlegel !…" vortheilhaft] (In VB36.) 29: 145,1–10 Humor ist !…" vortheilhaft] -- Götze, Ironie, S.271–273; Mohr, S.304–306; Neumann, Ideenparadiese, S.321; Samuel, NO2, S.748; Schanze, Dualismus, S.316–322; Schierbaum, S.161–163; Stockinger, WTB3, S.354; Striedter, S.120f. 30: 145,11–13 Das Unbedeutende, Gemeine, Rohe !…" der Witz] (In VB30, letzter Teil.) Siehe Anm. 78,24f. zu A426 (‚Geselligkeit‘) und 9,23 zu L9 (‚Witz‘). Vgl. BL31, 40 und 57. 31: 145,14–20 Um das Gemeine !…" liebenswürdig nennen] Vgl. zu diesem von Friedrich Schlegel stammenden Text das vorige Fragment. Siehe Anm. 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘). 32: 145,21 Wir sind auf einer Mißion: zur Bildung der Erde sind wir berufen] (= VB32, erster Satz.) Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). -- Lukas, S.28–30; Mohr, S.307; Neumann, Ideenparadiese, S.319f. 33: 145,24f. Inspirazion ist Erscheinung !…" Zueignung und Mittheilung

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zugleich] ‚Inspiration‘ ist die „Bezeichnung für die christliche Lehre, daß die Texte der Bibel unter Leitung des göttlichen Geistes abgefaßt worden sind“; sie wurden „von der rationalistischen Bibelkritik des 18.Jh.s kritisiert. Im Pietismus gab es Gruppen, die neben der Bibel eine unmittelbare göttliche Inspiration einzelner Gläubiger als besonderer Werkzeuge des Gottesgeistes annahmen“ (Stokkinger, WTB3, S.355). – Vgl. zum Begriff der Zueignung FSt568, FE13, Vorarbeiten 118, T103, ET439 und Vorarbeiten 466. – Siehe Anm. 17,30f. zu L98 (‚Mitteilung‘). 33: 145,22–25 Wenn uns ein Geist erschiene !…" zugleich] (= VB32, zweiter Teil.) -- Neumann, Ideenparadiese, S.319f.; Wilhelm, S.234f. 34: 145,26–30 Der Mensch lebt, wirkt nur in der Idee fort !…" durch den Glauben] (= VB33.) Das Fragment knüpft an BL33 an. Siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘). -- Link, Abstraktion, S.63; Neumann, Ideenparadiese, S.320. 35: 145,34 Freundschaft und Liebe] Siehe Anm. 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). 35: 145,34–36 ein Mensch !…" der mich durch seine Mittheilung gleichsam einladet] Siehe Anm. 17,30f. zu L98 (‚Mitteilung‘). 35: 145,31–36 Interesse ist !…" Theil zu nehmen] (= VB34.) -- Neumann, Ideenparadiese, S.320; Schierbaum, S.222. 36: 145,37–39 Wer den Witz erfunden haben mag? !…" neuentdeckte Welt] (= VB35.) Vgl. BL30; siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.320f. 37: 145,40 Der Geist erscheint immer nur in fremder, luftiger Gestalt] (= VB36, zweiter Satz.) Vgl. BL33 und 38. 38: 145,41f. Jetzt regt sich nur hie und da Geist !…" anfangen?] (= VB37.) Vgl. BL33 und das vorige Fragment. Siehe auch Anm. 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘). 39: 146,1–3 Der Mensch besteht in der Wahrheit !…" Überzeugung] (= VB38.) 40: 146,4 In heitern Seelen giebts keinen Witz] Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘). 40: 146,4f. Witz zeigt ein gestörtes Gleichgewicht an] Die Vorstellung vom gestörten Gleichgewicht dürfte der Krankheitslehre des schottischen Arztes Brown entstammen (siehe Anm. 142,1–3 zu BL8). 40: 146,4–7 In heitern Seelen !…" witzig] (In VB30.) -- Neumann, Ideenparadiese, S.318f. 41: 146,8–10 Von einem liebenswerthen Gegenstande !…" Gegenstand aller Gegenstände wird] (= VB39.) Vgl. BL51, GL4, und siehe Anm. 19,9 zu L108 über die potenzierenden Formeln der Romantiker (‚Philosophie der Philosophie‘). -- Mohr, S.308; Neumann, Ideenparadiese, S.322; Schierbaum, S.267f. 42: 146,11–13 Wir halten einen leblosen Stoff !…" Ähnlichkeit mit ihm hat] (= VB40.) Vgl. BL34. -- Neumann, Ideenparadiese, S.322. 43: 146,14–17 Ein ächter Klub !…" fröhlich] (= VB41.) Vgl. Id32 zum „Bund der Künstler“ und siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.322f.

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44: 146,21 Jeder Mensch ist eine kleine Gesellschaft] Vgl. BL49: „!…" Ein vollkommener Mensch ist ein kleines Volk. !…"“ 44: 146,18–21 Die Gegenstände der gesellschaftlichen Unterhaltung !…" eine kleine Gesellschaft] (= VB42.) Siehe Anm. 78,24f. zu A426 (‚gesellig‘), 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘) und 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.323f.; Schierbaum, S.268f.; Striedter, S.70f. 45: 146,22 In sich zurückgehn] Vgl. dieselbe Formulierung in PhL [II] 1333. 45: 146,24f. aus einer ursprünglichen Reflexion] Vgl. FSt566. 45: 146,30 Herausgehn und Hineingehn] Vgl. BL16, 24, FSt15 („Hin und her Direktion“), AB124 und AB851: „Platos Ideen – Bewohner der Denkkraft – des innern Himmels. (Jede Hineinsteigung – Blick ins Innre – ist zugleich Aufsteigung, Himmelfahrt – Blick nach dem Wahrhaft Äußern. Bezie[hung] auf ein Fragm[ent] im Blüthenstaube.)“ Ferner Schlegels Rede über die Mythologie (1800; KFSA2, S.314) und Die Entwicklung der Philosophie in zwölf Büchern. (1804/5; KFSA12, S.349: „Das Insichzurückgehen, das Ich des Ichs ist das Potenzieren; das Aussichherausgehen das Wurzelausziehen der Mathematik“.) Zur Dialektik des In-sich-Zurückgehens und des Aus-sich-Herausgehens siehe Anm. 10,4f. zu L14. – Diese Notiz entstand bei oder nach der Lektüre von Dietrich Tiedemanns (1748–1803) Geist der spekulativen Philosophie (1791–1794). -Frank/Kurz, Ordo inversus; Link, Abstraktion, S.34; Lohse, S.93; Neumann, Ideenparadiese, S.324f.; Schulz, Werke, S.747; Stockinger, WTB3, S.355; Striedter, S.54–56. 45: 146,22–31 In sich zurückgehn !…" der anfänglichen Gestalt] (= VB43). -- Schierbaum, S.181f. 46: 146,32f. Ob sich nicht etwas für die neuerdings so sehr gemißhandelten Alltagsmenschen sagen ließe?] Vgl. über den „Alltagsmenschen“ VB12 (= A293) und BL77. 46: 146,34 aus dem Popolo] … Volk. 46: 146,32–34 Ob sich nicht !…" aus dem Popolo seyn?] (= VB44.) In seinem Brief von Ende Juli 1798 schrieb Friedrich Schlegel an Hardenberg: „Von Deiner ungewöhnlichen Ansicht des gewöhnlichen Lebens erwarte ich sehr viel“ (KFSA24, S.155). -- Neumann, Ideenparadiese, S.325; Schierbaum, S.214. 47: 146,35 Wo ächter Hang zum Nachdenken] Vgl. Lg3 und HKS35. Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘). -- Dick, S.244–246. 47: 146,36 da ist auch Progreßivität] Friedrich Schlegel änderte den Terminus „Progredibilitaet“ (die Fähigkeit zum Fortschreiten), den Novalis in VB45 gebraucht hatte, zu „Progreßivität“ (Fortschrittlichkeit). Siehe Anm. 24,16f. zu A22 (‚progressiv‘). 47: 146,37f. Sie haben schließen und folgern gelernt, wie ein Schuster das Schuhmachen] In Id119 fordert Schlegel: „Kein Gelehrter sollte bloß Handwerker sein“. 47: 146,41 Fund eines Systems] Vgl. zum ‚Fund‘ FSt568, BL78, FuS199, Heinrich von Ofterdingen (1. Teil, 3., 4. und 9. Kapitel; NO1, S.218–220, 236f.

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und 294f.) sowie Hardenbergs Brief an Friedrich Schlegel vom 11.5.1798 (NO4, S.253f.). Siehe auch Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘). -- Strack, Neugier, S.256–259. 47: 146,40–42 Er wächst und nimmt ab !…" um der Mühe des Nachdenkens ferner überhoben zu seyn] Vgl. hierzu Friedrich Schlegel, A54 und F.K.Forberg, F90f. sowie Fragmente aus meinen Papieren (1796), 3. Teil: Fragmente aus Briefen, mit kritischem Bezug auf Fichte: Kennen Sie einen Philosophen, dessen Philosophie nicht das Ende seines Philosophirens geworden wäre? Finden Sie nicht, daß den Meisten ihr System der Kerker wurde, in dessen Wände sie ihren sonst freyen Geist einzwängten, um nie darüber hinaus zu gehn, und nur selten, und immer schüchtern, darüber hinaus zu sehn? ‚O wenn Sie doch so viel bey Fichte ausrichten könnten‘, schrieb mir vor einigen Monaten einer meiner philosophischen Freunde, ‚daß er noch ferner philosophirte, und nicht ein Kunststück, das man jetzt Philosophie nennt, zu Stande zu bringen suchte, das er zwar sehr schön machen, und davon er großes Lob haben wird, aber das für die wahren Bedürfnisse des menschlichen Geistes gar nichts enthalten kann, sondern nur ein anziehender philosophischer Zeitvertreib ist – ein transcendentales Schachspiel.‘ (S.76.)

47: 146,35–42 Wo ächter Hang zum Nachdenken !…" überhoben zu seyn] (= VB45.) Vgl. Lg3, 12 und HKS35. -- Neumann, Ideenparadiese, S.326; Stokkinger, WTB3, S.355; Trosiener, S.22. 48: 147,1–3 Irrthum und Vorurtheil sind Lasten !…" positiv schwächende Mittel] (= VB46.) Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 über die medizinischen Vorstellungen und Termini, die Novalis der Reiz-Lehre des schottischen Arztes Brown entlehnt. -- Neumann, Ideenparadiese, S.326; Kurzke, Konservatismus, S.158. 49: 147,4 Das Volk ist eine Idee. Wir sollen ein Volk werden] Siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘). 49: 147,4f. Ein vollkommener Mensch ist ein kleines Volk] Vgl. hierzu BL44: „!…" Jeder Mensch ist eine kleine Gesellschaft.“ 49: 147,4f. Das Volk ist eine Idee !…" Ziel des Menschen] (= VB47.) -Neumann, Ideenparadiese, S.326f.; Schierbaum, S.269. 50: 147,6f. Jede Stufe der Bildung fängt mit Kindheit an !…" ähnlich] (= VB48.) „Wie viele seiner Zeitgenossen versuchte auch N. die christliche Vorstellung von der Unschuld und Harmonie des Kindes als messianisches Symbol des Göttlichen zu einer ‚neuen‘ Mythologie des Kindes umzudeuten“ (Balmes, WTB3, S.61). Vgl. zum Motiv des Kindes auch BL97, FD193, Hardenbergs Gedicht An Tieck (NO1, S.411–413) und Wackenroders Aufsatz Über die Kinderfiguren auf den Raffaelschen Bildern. (Wilhelm Wackenroder, Werke und Briefe, hg. von Lambert Schneider, Heidelberg 1967, S.178–180.) -- G.Neumann (Ideenparadiese, S.327) weist darauf hin, „daß Novalis das Kind als ‚sichtbargewordene Liebe‘ versteht: Blüte des Erkenntnisorgans, das von allen anderen Vermögen der Erkenntnis am höchsten steht: ‚Wir selbst sind ein sichtbargewordner Keim der Liebe zwischen Natur und Geist oder Kunst. !AB79"‘ Damit wird ‚Kindheit‘ als ‚Form‘ der Erkenntnis zum Zeichen des Verstehensprozesses der Wechselrepräsentation von Welt und Geist, um den sich die Vermischten Bemerkungen gruppieren.“ -- Hans Heino Ewers, Kindheit als poetische Daseinsform.

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Studien zur Entstehung der romantischen Kindheitsutopie im 18. Jahrhundert. Herder, Jean Paul, Novalis und Tieck, München 1989; Neumann, Ideenparadiese, S.327. 51: 147,8 Jeder geliebte Gegenstand ist der Mittelpunkt eines Paradieses] (= VB50.) Vgl. BL41 und GL4. Siehe Anm. 26,31 zu A50 (‚Liebe‘) und 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.327f.; Schierbaum, S.190f. 52: 147,9f. Das Interessante ist !…" Das Klassische] Im Studium-Aufsatz nennt Friedrich Schlegel „interessante Individualität“ (KFSA1, S.222) als Kennzeichen der modernen Dichtkunst im Unterschied zum Objektiv-Schönen der klassischen (antiken) Kunst. Vgl. zu diesem Begriffspaar auch BL55 und 60. Siehe Anm. 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). 52: 147,9–19 Das Interessante !…" bilden] (= VB51.) Siehe Anm. 75,3 zu A412 (‚Ideal‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). -Neumann, Ideenparadiese, S.328f.; Schierbaum, S.171–174. 53: 147,20–22 Formeln für Kunstindividuen !…" vorbereiten] (= VB52.) In diesem Fragment scheint Novalis an Friedrich Schlegels Tätigkeit als Literatur- und Kunstkritiker zu denken. Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). Vgl. auch L117, in dem Friedrich Schlegel von der Kritik poetische bzw. von der Poesie kritische Qualitäten fordert. -- Neumann, Ideenparadiese, S.329. 54: 147,23–25 die Verworrenen !…" die geordneten Köpfe] Als komplementärer Entwurf zum monokausalen, linear fortschreitenden wissenschaftlichen Denken stellt die von Hardenberg durchaus positiv bewertete ‚Verworrenheit‘ eine Vielzahl von Verknüpfungen zwischen einzelnen Gegenständen her und ist damit in der Lage, auch komplexen Zusammenhängen gerecht zu werden. -Hansen, S.275. 54: 147,25f. wahre Gelehrte, gründliche Encyklopädisten] Siehe Anm. 16,5f. zu L78 (‚Enzyklopädie‘) und vgl. AB233; bei seinem EnzyklopädieProjekt ging es Novalis „um eine Grundlegung aller Wissenschaften, um eine Wissenschaftslehre !…", die das Verbindende zwischen den verschiedenen Zweigen und Sachgebieten der Wissenschaften aufsucht und diese auf ihre tiefere Einheit zurückführt“ (Mähl, NO3, S.238). 54: 147,35 progressiv !…" perfektibel] Der Gedanke unendlicher Perfektibilität gehörte zu den zentralen Kategorien der romantischen Geschichtsphilosophie; siehe Anm. 24,16f. zu A22 (‚progressiv‘); vgl. L20 und A195. 54: 147,36 Philister] Vgl. BL77. 54: 147,39 Das wahre Genie verbindet diese Extreme] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘) und vgl. Id74, BL26 und Lg13. 54: 147,40 Fülle] Siehe Anm. 89,12f. zu Id72. 54: 147,23–40 Je verworrener ein Mensch !…" mit dem ersten] (= VB53.) Vgl. BL90. -- Kohns, S.279–281; Mähl, NO3, S.237–241; Neumann, Ideenparadiese, S.329–331; Schierbaum, S.195f.; Stockinger, WTB3, S.355f. 55: 147,41 Das Individuum interessirt nur, daher ist alles Klassische nicht individuell] (= VB54.) Siehe Anm. 147,9f. zu BL52 (‚klassisch und interes-

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sant‘), ferner 10,2 zu L13 (‚klassisch‘) und 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). -Samuel, NO2, S.748; Neumann, Ideenparadiese, S.331. 56: 147,42 Der wahre Brief ist seiner Natur nach poetisch] (= VB56.) Siehe Anm. 126,8f. zu FPL [XXI] 246 (‚Brief‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.331f. 57: 148,1f. Witz, als Prinzip der Verwandtschaften ist zugleich das menstruum unversale] Menstruum universale ist das allgemeine Auflösungsmittel der Alchimisten. Mit seiner Hilfe soll innerhalb eines sogenannten philosophischen Monats – das sind 40 Tage – die gänzliche Auflösung eines Stoffs möglich sein. Vgl. AB235, 314, 407 und 747. – Siehe ferner Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘). -Kapitza, Mischung, S.128–130; Schulz, Werke, S.747, Stockinger, WTB3, S.356. 57: 148,2 Jude und Kosmopolit] Vielleicht eine Anspielung auf Lessings Nathan der Weise (1793). Vgl. zum Begriff des Kosmopoliten im zeitgenössischen Sprachgebrauch z.B. C.M.Wieland, Das Geheimnis des Kosmopolitenordens (1788; CMW30, S.155–203 (Band10 des Nachdrucks)), ferner Schlegel, A155, 224, 228; Novalis, GL16, 23 AB1001 u. ö. -- Stockinger, WTB3, S.356. 57: 148,3 Tugend und Hetärie] Siehe Anm. 85,24 zu Id23 (‚Tugend‘). Vgl. auch Friedrich Schlegels Aufsatz Über die Diotima (1795; KFSA1, S.70–115). 57: 148,3f. Überfluß und Mangel an Urtheilskraft in der Naivetät und so fort ins Unendliche] Siehe Anm. 26,35 zu A51 (‚naiv‘) und 13,26 zu L47 (‚unendlich‘). 57: 148,1–4 Witz !…" ins Unendliche] (= VB57.) -- Neumann, Ideenparadiese, S.333; Stockinger, WTB3, S.356. 58: 148,5–10 Der Mensch erscheint am würdigsten !…" ein Gesicht schnitte] (= VB58.) Vgl. Id145, BL40 und 63; und siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.333f. 59: 148,11–13 Gesellschaftstrieb ist Organisationstrieb !…" um einen geistvollen Menschen her] (= VB59, erster Teil.) -- Neumann, Ideenparadiese, S.334; Schierbaum, S.223f. 60: 148,14–16 Das Interessante ist die Materie, die sich um die Schönheit bewegt !…" das Beste aller Naturen] (= VB59, zweiter Teil.) Vgl. zum Begriff des Interessanten BL52, und siehe Anm. 32,4 zu A108 (‚schön‘). -- Schierbaum, S.223. 61: 148,17f. Der Deutsche ist lange das Hänschen gewesen !…" der Hans aller Hänse] Vgl. hierzu auch Novalis’ Aufsatz Die Christenheit oder Europa (1799; NO3, S.518f.), und siehe Anm. 12,16f. zu L38 (‚Deutschheit‘) und 19,9 zu L108 über die potenzierenden Formulierungen in den Schriften der Frühromantiker (‚Philosophie der Philosophie‘). 61: 148,17–20 Der Deutsche !…" Herr im Hause ist] (= VB60.) -- Neumann, Ideenparadiese, S.334f., Schierbaum, S.269f. 62: 148,21–23 Das beste an den Wissenschaften ist ihr philosophisches Ingrediens !…" Wasser] (= VB61.) Ingrediens nennt die zeitgenössische Chemie ein Lösungsmittel und Stoffe, die zugesetzt werden, um die Verbindung zweier Stoffe zu ermöglichen. Siehe auch Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘). -- Ka-

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pitza, Mischung, S.126ff.; Neumann, Ideenparadiese, S.335; Stockinger, WTB3, S.357. 63: 148,24 Menschheit ist eine humoristische Rolle] (= VB62.) Vgl. BL58, Vorarbeiten 162, AB420; Schlegel, A421 und Id145. Siehe Anm. 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘) und 48,10f. zu A237 (‚Humor‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.335. 64: 148,25 Unsere alte Nazionalität, war !…" ächt römisch] Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘) und 13,21 zu L46 über die Römer. 64: 148,28f. Das Kapitol ließe sich vielleicht nach dem Gänsegeschrey vor den Galliern bestimmen] 390 v.Chr. sollen beim Angriff der Gallier auf Rom die Gänse auf dem Kapitolinischen Hügel die Wachen auf die drohende Gefahr aufmerksam gemacht und damit die Stadt gerettet haben. Auf das Heilige römische Reich Deutscher Nation bezogen bedeutet diese Sage: „An dem Geschrei über die Gallier, d.h. die Franzosen, nach der Revolution ließe sich der Ort des ‚Kapitols‘, also der religiöse und politische Mittelpunkt Deutschlands bestimmen“ (Schulz, Werke, S.747). 64: 148,29f. Die instinktartige Universalpolitik und Tendenz der Römer] Siehe Anm. 19,8 zu L108 (‚Instinkt‘), 91,24 zu Id101 (‚Politik‘) und 15,18f. zu L69 (‚Tendenz‘). 64: 148,30–32 Das Beste, was die Franzosen in der Revoluzion gewonnen haben, ist eine Porzion Deutschheit] Siehe Anm. 13,12f. zu L45 über die Franzosen, 27,40–28,2 (‚Revolution‘) zu A60 und 12,16f. zu L38 (‚Deutschheit‘). 64: 148,25–32 Unsere alte Nazionalität !…" Deutschheit] (= VB63.) Das Fragment knüpft an BL61 an. Vgl. Hardenbergs Brief an August Wilhelm Schlegel, 30.11.1797 (NO4, S.237). -- Kurzke, Konservatismus, S.95f.; Neumann, Ideenparadiese, S.335f.; Schierbaum, S.271–273. 65: 148,33–35 Gerichtshöfe, Theater !…" sind gleichsam die speciellen, innern Organe des mystischen Staatsindividuums] (= VB64.) ‚Mystisches Staatsindividuum‘ nennt Novalis „analog zum ‚transcendentalen Selbst‘ !BL28" die ‚absolute Idee‘, de!n" ‚Geist‘ des Staats“ (Stockinger, WTB3, S.357). Die metaphorische Bezeichnung der Kirche als corpus Christi mysticum wurde im 13. Jahrhundert auf den weltlichen Staat als den corpus rei publicae mysticum übertragen und danach von den Theoretikern des Naturrechts im 16. Jahrhundert übernommen. Vgl. auch die biologistische Metaphorik, die Novalis im Zusammenhang mit dem Staatswesen z.B. in BL72, 110, GL10 und 48 gebraucht. Ihr stellt Novalis als – zumeist negatives – Gegenbild die ältere Vorstellung vom Staatswesen als Mechanismus oder Maschinerie gegenüber (z.B. in VB122 und GL36). -- Kubiak, S.423; Neumann, Ideenparadiese, S.336; Schierbaum, S.273f.; Stockinger, WTB3, S.357. 66: 148,36–39 Alle Zufälle unsers Lebens !…" Anfang eines unendlichen Romans] (= VB65.) Vgl. L78 und BL27. Siehe Anm. 13,26 zu L47 (‚unendlich‘) und 10,34 zu L26 (‚Roman‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.337f.; Schierbaum, S.259f.; Stockinger, WTB3, S.357. 67: 148,40 Der edle Kaufmannsgeist] Vgl. AB1059 und Id142. 67: 148,41 Die Medicis, die Fugger] Das Florentiner Patriziergeschlecht

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der Medici war ursprünglich eine Familie von Kaufleuten und Bankiers. Das Augsburger Handelshaus Fugger zählte zu den einflußreichsten Unternehmen seiner Zeit; neben seinen Aktivitäten in Handels- und Geldgeschäften unterhielt es zahlreiche Agenturen, Bergwerksunternehmen und Faktoreien. 67: 148,40–149,2 Der edle Kaufmannsgeist !…" nichts als Krämer] (= VB67.) Vgl. auch die Kaufleute im zweiten Kapitel des Heinrich von Ofterdingen (NO1, S.202ff.). -- Neumann, Ideenparadiese, S.339. 68: 149,3f. Eine Übersetzung ist entweder grammatisch, oder verändernd, oder mythisch] Siehe Anm. 15,32f. zu L73 über die Problematik des Übersetzens und 30,35–37 zu A92 (‚Grammatik‘). 68: 149,4 im höchsten Styl] Siehe Anm. 18,25 zu L104 (‚Styl‘). 68: 149,5 den reinen, vollendeten Karakter des individuellen Kunstwerks] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). 68: 149,6 das Ideal desselben] Siehe Anm. 75,3 zu A412 (‚Ideal‘). 68: 149,7f. Im Geist mancher Kritiken und Beschreibungen von Kunstwerken] Novalis dürfte hier auch an die Arbeiten Friedrich Schlegels denken. Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 68: 149,9f. poetischer Geist und philosophischer Geist in ihrer ganzen Fülle durchdrungen] Im Studium-Aufsatz nennt Schlegel diese beiden Eigenschaften als Bedingungen für den Fortschritt in der modernen Kunst (KFSA1, S.219 und 245f.). Siehe Anm. 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Poesie und Philosophie und 89,12f. zu Id72 (‚Fülle‘). 68: 149,10f. Die griechische Mythologie ist zum Theil eine solche Übersetzung einer Nazionalreligion] Siehe Anm. 38,13 zu A162 (‚Mythologie‘) und 84,9 zu Id4 (‚Religion‘). 68: 149,15f. Bürgers Homer in Jamben] Siehe Anm. 34,30–32 zu A122 über G.A.Bürger. Er übersetzte einen Teil der Ilias in diesem Versmaß und veröffentlichte ihn 1771 in der ‚Deutschen Bibliothek der schönen Wissenschaften‘. Siehe Anm. 36,35f, zu A145 über Homer. 68: 149,16 Popens Homer] Alexander Pope (1688–1744) übersetzte beide Epen Homers. Seine Iliad erschien 1715–1720, Iliad and Odyssey 1726. 68: 149,16f. Der wahre Übersetzer !…" muß in der That der Künstler selbst seyn] Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘). 68: 149,17f. die Idee des Ganzen] Siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘) und 18,15 zu L103 (‚Ganzheit‘). 68: 149,18 der Dichter des Dichters] Siehe Anm. 19,9 zu L108 über die potenzierenden Formulierungen (‚Philosophie der Philosophie‘) in den Fragmenten der Frühromantiker. 68: 149,20 der Genius der Menschheit] Siehe Anm. 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘). 68: 149,3–22 Eine Übersetzung !…" übersetzt werden] (= VB68.) -Lohse, S.97–99; Neumann, Ideenparadiese, S.339–341; Schierbaum, S.233–236. 69: 149,23–28 Im höchsten Schmerz !…" Misanthrop und Misotheos] (= VB69.) „ … Menschen- und Gottesfeind“. – Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘). Vgl. BL40. -- Neumann, Ideenparadiese, S.341f.; Schierbaum, S.177f.

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70: 149,29–31 Unsere Sprache ist entweder mechanisch, atomistisch, oder dynamisch !…" zu treffen] (= VB70.) Vgl. Lg10 und T26, Schlegel, PhL [II] 15, 36, [III] 312. Siehe auch Anm. 68,26f. zu A366 (‚mechanisch – chemisch – organisch‘) und 34,4 zu A121 (‚Idee‘). -- Hansen, S.274; Neumann, Ideenparadiese, S.342; Schierbaum, S.192f.; Stockinger, WTB3, S.358f. 71: 149,32–35 Dichter und Priester waren im Anfang Eins !…" herbeyführen?] (In VB75.) Vgl. zu diesem Gedanken BL76; Schlegel, A327, Id146, PhL [II] 493, 510, 518, 536, 585, [IV] 1374, [V] 205, [VII] 271, [XI] 195, Studium-Aufsatz (KFSA1, S.351). – Siehe Anm. 74,31 zu A406 (‚Priester‘) und 86,40f. zu Id43 über das elitäre Selbstverständnis des frühromantischen Künstlers. -- Kuhn, Apokalyptiker, S.107f.; Lindemann, S.61–71 und 91–101. 72: 149,36 Schriften sind die Gedanken des Staats !…" Gedächtniß] (= VB71, letzter Satz.) Siehe Anm. 148,33–35 zu BL65 über Novalis’ organizistische Staatsauffassung. -- Neumann, Ideenparadiese, S.343. 73: 149,37–43 Je mehr sich unsere Sinne !…" Vernunft] (= VB 72.) Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘), 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘), 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘), 33,40f. zu A119 (‚Talent‘) und 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.343–345; Schierbaum, S.199–201. 74: 150,1f. Nichts ist zur wahren Religiosität unentbehrlicher als ein Mittelglied, das uns mit der Gottheit verbindet] Siehe Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘), 47,38f. zu A234 (‚Mittler‘) und 47,30 zu A232 (‚Gott‘). 74: 150,20 ältern Judaism] Vgl. Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts (1780), §34. 74: 150,24 die Juden zur Zeit der Babylonischen Gefangenschaft] 597 und 587 – ca. 520 v.Chr. mußte sich die jüdische Oberschicht nach ihrer Verschleppung durch Nebukadnezar II. in Babylonien aufhalten. 74: 150,24f. ächt religiöse Tendenz] Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘), 90,36f. zu Id95 (‚Bibel‘) und 15,18f. zu L69 (‚Tendenz‘). 74: 150,43 ein Tempel im Sinn der Auguren] Als Auguren wurde im antiken Rom ein Priesterkollegium bezeichnet, dessen Mitglieder aus der Beobachtung des Vogelflugs, aus der Betrachtung von Eingeweiden geopferter Tiere und ähnlichen Zeichen den göttlichen Willen zu deuten suchten. Templa nannte man die Beobachtungsorte, an denen sie ihre priesterliche Aufgabe erfüllten. -Schulz, Werke, S.748. 74: 150,44 der allgegenwärtige Hohepriester, der monotheistische Mittler] Christus als ‚Hoherpriester‘ des Neuen Bundes (Hebräer 4,14f.). – Statt ‚der monotheistische Mittler‘ heißt es in VB 73 ‚der enthëistische Mittler‘, statt „Monotheism“ „Enthëism“. Der Entheismus geht von nur einem religiösen Mittler aus, während unter Monotheismus der Glaube an einen von der Schöpfung strikt getrennten Gott zu verstehen ist (Novalis gebraucht hierfür den Terminus ‚Theismus‘). L.Stockinger schlägt für diese Stelle die Lesung „Hentheismus“ vor, weil Novalis „hier auf die berühmte Formel ‚Hen kai pan‘ anspielt.“ (Novalis und der Katholizismus. In: „Blüthenstaub“. Rezeption und Wirkung, S.99–124, hier S.122.) -- Stockinger, WTB3, S.359f. 74: 150,1–45 Nichts ist !…" mit der Gottheit steht] (= VB73.) G.Neumann

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deutet dieses Fragment als „Versuch, die Religion als ‚Erkenntnisform‘ !…" zu beschreiben“ (Ideenparadiese, S.346). Nach H.Uerlings kann BL74 „neben Schleiermachers Über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799) als zentraler theoretischer Text frühromantischer Religionsphilosophie gelten !…". Die Einheit von Sinnlichkeit und Vernunft wird hier als regulative Idee konzipiert, diese aber soll sinnlich vergegenwärtigt werden können. ‚Wahre Religiosität‘ ist die Fähigkeit, die gesamte Erscheinungswelt zum Mittelglied einer Beziehung zur transzendenten Gottheit zu machen.“ (Das Europa der Romantik. Novalis, Friedrich und August Wilhelm Schlegel, Manzoni. In: Das Europa-Projekt der Romantik und die Moderne. Ansätze zu einer deutsch-italienischen Mentalitätsgeschichte, hg. von Silvio Vietta u.a., Tübingen 2005, S.39–72, hier S.48.) -- Kurzke, Novalis, S.37; Link, Abstraktion, S.29; Neumann, Ideenparadiese, S.345–348; Schierbaum, S.237–246; Ludwig Stockinger, Religiöse Erfahrung zwischen christlicher Tradition und romantischer Dichtung bei Friedrich von Hardenberg (Novalis). In: Religiöse Erfahrung. Historische Modelle christlicher Tadition, hg. von Walter Haug und Dietmar Mieth, München 1992, S.361–394, hier S.377–380. 75: 151,1f. Die Basis aller ewigen Verbindung ist eine absolute Tendenz nach allen Richtungen] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 15,18f. zu L69 (‚Tendenz‘). 75: 151,2 der ächten Maçonnerie] Verbindung der Freimaurer. Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘). 75: 151,3 des unsichtbaren Bundes ächter Denker] Siehe Anm. 86,2f. zu Id32 („Bund der Künstler“) und vgl. BL85 („scientifische Republik“). 75: 151,3–5 die Möglichkeit einer Universalrepublik, welche die Römer !…" zu realisiren begonnen hatten] Siehe Anm. 83,15 zu A451 (‚Universalität‘), 14,40 zu L65 (‚republikanisch‘) und 13,21 zu L46 (‚die Römer‘). 75: 151,5 August] Der erste römische Kaiser, Augustus (63 v.Chr. – 14 n.Chr.). 75: 151,5 Hadrian] Römischer Kaiser (76–138). 75: 151,1–5 Die Basis !…" zerstörte sie ganz] (= VB74.) -- Neumann, Ideenparadiese, S.348; Schierbaum, S.274f. 76: 151,6f. den ersten Beamten des Staats, mit dem Repräsentanten des Genius der Menschheit vermengt] Für die Zeitgenossen verkörperte Friedrich II. von Preußen den Typus des Monarchen, der sich selbst als ‚erster Diener des Staats‘ versteht. – Siehe Anm. 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘). -- Kuhn, Apokalyptiker, S.76; Lindemann, S.99f.; Mähl, Plotin, S.379–382; Striedter, S.54–56. 76: 151,10 im tausendjährigen Reiche] Nach Apoc.20,1–10 geht dem Weltgericht am Ende der Zeit ein tausendjähriges Friedensreich voran. Vgl. FSt623, 648 und 651. -- Mähl, Idee, S.189–202. 76: 151,17f. Ein vollkommner Repräsentant des Genius der Menschheit dürfte leicht der ächte Priester und der Dichter ’  seyn] Kat’exochen: schlechthin, im eigentlichen Sinn. Vgl. BL71 und siehe dazu Anm. 149,32–35 über die ursprüngliche Einheit von Künstler- und Priestertum; zum Gedanken der Repräsentation GL50, 67, Vorarbeiten 118, AB49, 137, 685, 782, 924 u. ö. „‚Repräsentation‘ meint hier nicht Stellvertretung durch ein arbiträres Zeichen,

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sondern die Sichtbarmachung eines Unsichtbaren durch ein Symbol, das dem Symbolisierten durch eine tiefe Ähnlichkeit verbunden ist“ (Matala de Mazza, S.253). 76: 151,6–18 Fast immer !…" seyn] (In VB75.) -- Neumann, Ideenparadiese, S.348–350; Schierbaum, S.275f.; Stockinger, WTB3, S.360f. 77: 151,19f. Unser Alltagsleben besteht aus lauter erhaltenden, immer wiederkehrenden Verrichtungen] Vgl. BL46 über den ‚Alltagsmenschen‘ und A293 (= VB12) zum „Gewöhnlichen“. 77: 151,23 Philister leben nur ein Alltagsleben] Novalis’ kritische Typologie des Philisters wirkt bis in die Werke der jüngeren Romantiker, z.B. Brentano und Eichendorff nach. 77: 151,28 Septanfieber] Fieber, dessen Anfälle sich im Abstand von sieben Tagen wiederholen. 77: 151,31 parties de plaisir] Vergnügungsfahrten. 77: 151,36f. wie ein Opiat: reizend betäubend, Schmerzen aus Schwäche stillend] Novalis greift öfter auf Gedanken und Begrifflichkeit der Brownschen Physiologie zurück. Siehe hierzu Anm. 142,1–3 zu BL8. 77: 151,42 Emporkirchen] Emporen. 77: 152,4 par force] Gewaltsam. 77: 151,19–152,5 Unser Alltagsleben !…" sinnt und sorgt] (= VB76.) -Neumann, Ideenparadiese, S.350f.; Schierbaum, S.214–218; Stockinger, WTB3, S.361f. 78: 152,13f. die gnomischen Massen] Massen von Gnomen, lehrhafter Denksprüche; ursprünglich bezeichnete Gnomon den Zeiger einer Sonnenuhr. 78: 152,6–18 In den ersten Zeiten !…" beschäftigten] (= VB77.) Siehe Anm. 146,41 zu BL47 (‚Fund‘), 33,40f. zu A119 (‚Genie‘), 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.351f.; Schierbaum, S.246f. 79: 152,19–24 Ein Gesetz ist seinem Begriffe nach, wirksam !…" den bloßen Gedanken] (= VB78.) -- Neumann, Ideenparadiese, S.352; Schierbaum, S.248. 80: 152,25–31 Eine allzugroße Dienstfertigkeit der Organe !…" terminirt] (= VB79.) Terminieren: begrenzen. -- Neumann, Ideenparadiese, S.353; Schierbaum, S.247f. 81: 152,32–34 Die Rechtslehre entspricht der Physiologie !…" Physiologie und Psychologie] (= VB80.) Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.353; Schierbaum, S.248f. 82: 152,35 Flucht des Gemeingeistes ist Tod] (= VB81.) Siehe Anm. 148,33–35 zu BL65 über die organische Metaphorik dieser Fragmentsammlung. -- Neumann, Ideenparadiese, S.353f.; Schierbaum, S.249f. 83: 152,36f. In den meisten Religionssystemen werden wir als Glieder der Gottheit betrachtet] Vgl. 1.Kor.6,15, ergänzend auch 1.Kor.12,27. Siehe Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘) und 47,30 zu A232 (‚Gott‘). 83: 152,36–40 In den meisten !…" abgeschnitten werden] (= VB82.) -Neumann, Ideenparadiese, S.354f.; Schierbaum, S.249f.

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84: 152,41 Jede spezifische Inzitazion verräth einen spezifischen Sinn] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 über Hardenbergs Gebrauch von Termini der Brownschen Physiologie, ferner Anm. 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘). 84: 152,41–153,2 Jede spezifische Inzitation !…" u.s.w.] (= VB83.) Siehe Anm. 47,30 zu A232 (‚Gott‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘), 34,4 zu A121 (‚Idee‘) und 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.354f.; Schierbaum, S.249f. 85: 153,3f. Innigste Gemeinschaft aller Kenntnisse, scientifische Republik, ist der hohe Zweck der Gelehrten] (= VB84.) Szientifisch: wissenschaftlich. – Die geforderte „Gemeinschaft aller Kenntnisse“ stellt im Bereich der gesamten Wissenschaften eine Parallele zum romantischen Ideal der ‚Symphilosophie‘ dar. Mit seinem Enzyklopädieprojekt versuchte Novalis eine derartige ‚szientifische Republik‘ zu verwirklichen. Vgl. zum Gedanken der ‚Gelehrtenrepublik‘ Klopstocks gleichnamige Schrift (1774) und BL75. Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘) und 14,40 zu L65 (‚republikanisch‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.355; Stockinger, WTB3, S.362; Westerhoff, S.348f. 86: 153,5–7 Sollte nicht die Distanz einer besondern Wissenschaft !…" desto höher die Wissenschaft] (= VB85.) Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.355. 87: 153,8 Man versteht das Künstliche gewöhnlich besser, als das Natürliche] Siehe Anm. 9,1 zu L1 zum Verhältnis von Natur und Kunst. 87: 153,9 mehr Geist !…" aber weniger Talent] siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Talent‘). 87: 153,8f. Man versteht das Künstliche !…" weniger Talent] (= VB86.) -Neumann, Ideenparadiese, S.356. 88: 153,10 armiren] Ausrüsten. 88: 153,17f. nicht actu, doch potentia] „Nicht tatsächlich, aber der Anlage nach“. 88: 153,10–18 Werkzeuge !…" Schöpfer] (= VB87.) -- Jocelyn Holland, The Poet as Artisan. Novalis’ Werkzeug and the Making of Romanticism. In: ‚Modern Language Notes‘ 121 (2006), S.616–630; Neumann, Ideenparadiese, S.356f. 89: 153,19 In jeder Berührung entsteht eine Substanz] Offensichtlich dachte Novalis hier an das Phänomen des Galvanismus (siehe Anm. 218,36f. zu AB947), bei dem die Berührung zweier gegensätzlicher (metallischer) Substanzen eine qualitativ neue Einheit entstehen läßt; vgl. BL29, FD200, HKS45, AB124, 201, 216, 295, 477, 634, 1102, Lg26 („Selbstberührung“); Schleiermacher, GV47; Ritter, RF466; Schlegel, A93, 116 und Friedrich Schlegel an Hardenberg, Ende Juli 1798: „Sehr klar aber ist mir der Galvanismus des Geistes, und !!auch"" in der Theorie der Zauberey ahnde ich viel, und daß der Weg dahin nur die Geheimnisse der Berührung geht.“ (KFSA24, S.155; vgl. auch Fr. Schlegels Brief an Schleiermacher vom Juli 1798; KFSA24, S.144f.) -- Röttgers, Symphilosophieren, S.107–111. 89: 153,20f. der Grund aller synthetischen Modifikazionen des Individuums] Siehe Anm. 11,12–15 zu L32 zum Gebrauch chemischer Begriffe in

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Schlegels und Hardenbergs Fragmentwerk. Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). -- Specht, S.257–266. 89: 153,19–22 In jeder Berührung !…" Jene begründen diese] (= VB 88.) -Neumann, Ideenparadiese, S.357; Schierbaum, S.251. 90: 153,29 ein unächter Skeptizismus] Vgl. A400. Schlegel ändert hier aus „Skepticismus spurius“ (VB89). Siehe Anm. 28,15 zu A66 (‚Skeptiker‘). 90: 153,29 aus indirekter Schwäche] Ein Begriff der Brownschen Physiologie; siehe Anm. 142,1–3 zu BL8. 90: 153,32 Erfindungsgeist junger Köpfe] Der Terminus ‚Erfindungsgeist‘ taucht bereits in Schillers Räubern auf (1781; NA1, S.18) und bezeichnet Franz Moors perfide Intrige, mit der er Karl um die Erstgeburt betrügen will. Bei Novalis hat das Wort eine radikale semantische Wende erfahren und zielt im modernen Sinne auf die Kombinationskraft der Phantasie. Vgl. BL92 („Erfindungskunst“) und AB988 („Fantastik“). 90: 153,23–33 Je unwissender !…" erklärbar] (= VB89.) Vgl. ergänzend BL54. -- Neumann, Ideenparadiese, S.357f. 91: 153,34f. Welten bauen genügt dem tiefer dringenden Sinn nicht !…" den strebenden Geist] (= VB90.) Zwischen „Welten“ und „Geist“, dem ersten und letzten Wort des Distichons nimmt das ‚liebende Herz‘ die mittlere – vermittelnde – Position ein. Siehe Anm. 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘), 204,2–7 zu T62 (‚Herz‘) und 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.358f.; Strack, Romantische Fragmentkunst, S.348f. 92: 153,36f. Wir stehen in Verhältnissen mit allen Theilen des Universums, so wie mit Zukunft und Vorzeit] Vgl. A80, Id64, BL101 und 109f., in denen ebenfalls der Gedanken einer Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft thematisiert wird, sowie RF76. 92: 153,37f. Aufmerksamkeit] Vgl. zu diesem Begriff Vorarbeiten 78. -Stockinger, WTB3, S.362. 92: 153,36–154,2 Wir stehen !…" unzweifelhaft] (= VB91.) Vgl. BL90 zum Begriff des Erfindungsgeists und siehe dazu Anm. 153,32. -- Neumann, Ideenparadiese, S.359f.; Schierbaum, S.183. 93: 154,3 Der Geschichtschreiber organisirt historische Wesen] Vgl. A80 über die Leistung des Historikers und siehe Anm. 29,19 dazu. 93: 154,8 unwillkührliches Genie] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘). 93: 154,3–8 Der Geschichtschreiber !…" gewaltet hat] (= VB92.) -Neumann, Ideenparadiese, S.360; Stockinger, WTB3, S.362. 94: 154,9f. Beynah alles Genie war bisher einseitig, Resultat einer krankhaften Konstituzion] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘), 142,1–3 zu BL8 über die Krankheit und 168,31f. zu GL51 (‚Konstitution‘). 94: 154,10 zu viel äußern !…" zu viel innern Sinn] Siehe Anm. 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘), 180,4f. zu FSt583 über den innern und äußeren Sinn sowie 10,4f. zu L14 über die Dialektik von innen und außen. 94: 154,14f. Das erste Genie, das sich selbst durchdrang] Vgl. Lg13 (Schluß) zur „Selbstdurchdringung des Geistes“. 94: 154,9–21 Beynah !…" erfüllen] (= VB93.) Siehe Anm. 43,1–3 zu

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A198 (‚Natur‘) und 65,32f. zu A355 über Archimedes. -- Schierbaum, S.276–278; Striedter, S.60–66. 95: 154,24f. Aus einem Haufen ist eine Gesellschaft geworden] Eine Anspielung auf den Anfang von L103; vgl. auch T102. -- Strack, Fermenta cognitionis, S.307. 95: 154,22–25 Vor der Abstrakzion ist alles eins, aber eins wie Chaos !…" verwandelt] (= VB94.) Siehe Anm. 89,10f. zu Id71 (‚Chaos‘). -- Kuhn, Apokalyptiker, S.128; Link, Abstraktion, S.29; Mähl, Idee, S.307; Neumann, Ideenparadiese, S.361; Stockinger, WTB3, S.362f. 96: 154,26f. Wenn die Welt gleichsam ein Niederschlag aus der Menschennatur ist, so ist die Götterwelt eine Sublimazion derselben] Niederschlag nennt die zeitgenössische Chemie einen festen Stoff, der aus einer Lösung destilliert wird; unter Sublimation versteht sie die Verflüchtigung eines festen Stoffs durch Verdampfen. (L.Gmelin, Handbuch der theoretischen Chemie (1817), S.44f.) Vgl. Lg28, dessen Eingang mit diesem Fragment fast wörtlich übereinstimmt, AB942 und siehe Anm. 10,4f. zu L14 über die Gedankenbewegung des ordo inversus sowie Anm. 11,12–15 zu L32 über den Gebrauch chemischer Termini. 96: 154,27 uno actu] „Durch eine einzige Handlung“. 96: 154,27f. Keine Präzipitazion ohne Sublimazion] Keine Ausfällung ohne Verflüchtigung eines festen Stoffs. 96: 154,26–29 Wenn die Welt !…" gewonnen] (= VB95.) -- Neumann, Ideenparadiese, S.361f.; Stockinger, WTB3, S.363. 97: 154,30 Wo Kinder sind, da ist ein goldnes Zeitalter] (= VB96.) Vgl. BL50. Siehe Anm. 49,10 zu A243 über die Vorstellung eines goldenen Zeitalters und vgl. zum Motiv des Kindes Lg21, T97, ET427, 439, Vorarbeiten 167, FD193, AB76, 79, 223, 236, 306, 434, die fünfte der Hymnen an die Nacht (NO1, S.144–147), Die Lehrlinge zu Sais (NO1, S.80f.); Schlegel, L21, PhL [II] 111, 822 u. ö. -- Mähl, Idee, S.362–371; Neumann, Ideenparadiese, S.363. 98: 154,31f. Sicherheit vor sich selbst !…" geistlichen Staaten] (= VB97.) -- Neumann, Ideenparadiese, S.362f. 99: 154,33f. Der Gang der Approximazion ist aus zunehmenden Progressen und Regressen zusammengesetzt] Siehe Anm. 10,4f. zu L14 über die dialektische Gedankenbewegung von Progression und Regression. 99: 154,35 im Roman] Siehe Anm. 10,34 zu L26. 99: 154,33–36 Der Gang der Approximazion !…" am entferntesten zu seyn scheint] (= VB98.) -- Neumann, Ideenparadiese, S.363f. 100: 154,37–40 Ein Verbrecher !…" nicht befremden] (= VB99.) -- Neumann, Ideenparadiese, S.363f.; Westerhoff, S.347f. 101: 154,41f. Die Fabellehre enthält die Geschichte der urbildlichen Welt !…" Zukunft] (In VB100.) Vgl. BL92 und Vorarbeiten 214f. und siehe Anm. 153,36f. zu BL92 über die Trias von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. -- Neumann, Ideenparadiese, S.364. 102: 155,1 Wenn der Geist heiligt, so ist jedes ächte Buch Bibel] Siehe Anm. 90,36f. zu Id95 (‚Bibel‘), 142,9–13 zu BL10 (,ächt‘) und vgl. insbesondere PhL [IV] 393.

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102: 155,3 Ephraimiten] Münzen mit geringem Gehalt an Edelmetallen, wie sie während des Siebenjährigen Krieges in Preußen von den Münzpächtern Ephraim und Itzig geprägt wurden. -- Schulz, Werke, S.749. 102: 155,1–6 Wenn der Geist !…" als Gewichte] (In VB110.) -- Mohr, S.312–314; Neumann, Ideenparadiese, S.368–371. 103: 155,9f. die Herren Heydenreich, Jacob, Abicht und Pölitz] Karl Heinrich Heydenreich (1764–1801) und Ludwig Heinrich Jacob (1759–1827) hatten Professuren für Philosophie, Johann Heinrich Abicht (1762–1816) und Karl Heinrich Ludwig Pölitz (1772–1838) Professuren für Geschichte inne. 103: 155,10 ein Stock] Grundstock, Vorrat. 103: 155,7–11 Manche Bücher !…" vergrößern kann] (= VB111.) 104: 155,12f. Es sind viele antirevoluzionäre Bücher für die Revoluzion geschrieben worden, Burke hat aber !…" geschrieben] (= VB115.) Edmund Burke, Reflections on the Revolution in France (1790; deutsch von Friedrich Gentz 1793: Betrachtungen über die Französische Revolution.). Vgl. BL77 über den ‚revolutionären Philister‘. Siehe Anm. 15,1f. zu L66 (‚revolutionär‘). -Kuhn, Apokalyptiker, S.127–129; Kurzke, Konservatismus, S.85–97; Neumann, Ideenparadiese, S.372f.; Schierbaum, S.204–207. 105: 155,14–20 Die meisten Beobachter der Revoluzion !…" Pubertät sey] (= VB116.) Vgl. ET426. Siehe Anm. 15,1f. zu L66 (‚revolutionär‘). -Kuhn, Apokalyptiker, S.127f.; Kurzke, Konservatismus, S.98–119; Neumann, Ideenparadiese, S.373; Ralph-Rainer Wuthenow, „echte revoluzionäre Affichen“? Zu den Fragmenten von Friedrich von Hardenberg. In: Das Subversive in der Literatur, die Literatur als das Subversive. Internationale Konferenz, veranstaltet von Karol Sauerland, Bachotek 5.–9.10.1996. Tagungsbeiträge, hg. von Karol Sauerland, Torun´ 1997, S.27–38, hier S.34f.; Schierbaum, S.205–210. 106: 155,24 das Kopernikanische System] Siehe Anm. 45,38f. zu A220. 106: 155,26f. Goethe !…" der wahre Statthalter des poetischen Geistes auf Erden] Siehe Anm. 9,13–15 zu L6 über Goethe. Novalis bezieht sich hier wohl auf den Streit um die Xenien (1797). J.Görres spielt in der Vorrede seiner Aphorismen über die Organonomie (1803) auf dieses Fragment an, wenn er mit Bezug auf die Schönheit (rhetorisch) fragt: „wohnt sie in eines Menschen Werk allein, wer wagt es ihren Statthalter auf Erden sich zu nennen?“ (GGS2.1, S.170.) 106: 155,30 Ein interessantes Symptom dieser direkten Schwäche der Seele] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 über Hardenbergs Anleihen bei der Brownschen Reizlehre. 106: 155,30f. die Aufnahme, welche Herrmann und Dorothea im Allgemeinen gefunden hat] Siehe Anm. 51,1–5 zu A254 über die Reaktionen auf Goethes epische Dichtung. Vgl. auch Hardenbergs Brief an August Wilhelm Schlegel, 24.2.1798, in dem er den Wunsch äußert, „den Dichter des armen, verschmäheten Hermanns !zu" besuchen“, und anfragt, „ob Hermann überall so misfallen hat wie hier oben herum !in der Gegend um Freiberg". Noch hab ich ihn von keinem hier loben hören – auch die köstliche Recension !von A.W.Schlegel, ‚Allgemeine Literaturzeitung‘, Dezember 1797" hat keinen Eindruck gemacht“ (NO4, S.252).

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106: 155,21–31 Wie wünschenswerth !…" gefunden hat] (= VB117f.) -Neumann, Ideenparadiese, S.374f.; Samuel, NO2, S.749; Stockinger, WTB3, S.365. 107: 155,32–34 Die Geognosten glauben !…" Goethe als Anthropognost meynt im Meister !…" Nazion] (= VB121.) Analog zum ‚Geognosten‘, der älteren Bezeichnung für den Geologen, bildet Novalis das Wort ‚Anthropognost‘, das also dem Anthropologen entspricht. (Vgl. zu diesem Begriff auch VB112.) – Über Goethes Wilhelm Meister siehe Anm. 20,27–29 zu L120. Novalis bezieht sich hier auf einen Ausspruch Aurelies in den Lehrjahren: „Es ist der Charakter der Deutschen, daß sie über allem schwer werden, daß alles über ihnen schwer wird“ (WA I 22, S.127). -- Neumann, Ideenparadiese, S.375; Samuel, NO2, S.410; Stockinger, WTB3, S.364. 108: 155,35–37 Menschen zu beschreiben !…" beschreiben können] (= VB119.) Vgl. Id51. Siehe Anm. 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘) und 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.375. 109: 155,38f. Nichts ist poetischer, als Erinnerung und Ahndung oder Vorstellung der Zukunft] Vgl. BL92 und 101 und siehe Anm. 153,36f. zu BL92 über die Trias Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft. „Ahndung und Erinnerung sind Bewußtseinsweisen; ihnen obliegen keine Inventarisierungsleistungen von Wissensbeständen. Mit ihrer Aktivierung findet ein Vorstellungswechsel vom Gedächtnisbühnenraum der Memoria zur produktiven Einbildungskraft statt, vom Wissen zur Poesie. !…" Beide sind Bewußtseinsmodi des Abwesenden, der Vergangenheit und der Zukunft. !…" Diese Öffnung des Erinnerungsgeschehens ins Futurische, Unbestimmte, in die Atmosphäre eines raumzeitlichen Intermediums zeitigt weitere Veränderungen.“ (Günter Oesterle, Erinnerung in der Romantik. In: Erinnern und Vergessen in der Europäischen Romantik, hg. von G.Oe. u.a. Würzburg 2001, S.7–24; hier S.8f. 109: 156,1f. Es entsteht Kontiguität, durch Erstarrung Krystallisazion !…" beyde durch Auflösung identifizirt] Kontiguität, „Berührung“ (siehe Anm. 153,19 zu BL89), und 11,12–15 zu L32 über den Gebrauch chemischer Bilder und Termini bei den Frühromantikern. Kapitza, Physik, S.99, erläutert in diesem Zusammenhang; „‚Durch Auflösung identifizieren‘ entspricht dem chemischen Wortgebrauch, wie wir ihn bei Macquer !Chemisches Wörterbuch oder Allgemeine Begriffe der Chemie nach alphabetischer Ordnung, Leipzig 1788–1791" und anderen Autoren als einen speziellen Fall der chemischen Mischung überhaupt vorfinden, und zwar als Benennung jenes Prozesses, der zu einer in sich homogenen, qualitativ neuen Einheit führt.“ -- Kapitza, Mischung, S.117f., 160f. und 171–174; Mähl, Idee, S.315f. 109: 155,38–156,3 Nichts ist poetischer !…" des Dichters] (= VB123, erster Teil, und 124.) -- Mohr, S.310–312; Schierbaum, S.226f. und 252f.; Westerhoff, S.350f. 110: 156,4f. Die Menschenwelt !…" wie uns] (In VB100.) 111: 156,6–10 Schlechthin ruhig !…" Individuum] (= VB101.) Siehe Anm. 32,4 zu A108 (‚schön‘) und L46 (‚Individuum‘). -- Mohr, S.322f.; Neumann, Ideenparadiese, S.364f.

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112: 156,11–13 Jede Menschengestalt !…" absolut belebend] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘), 13,26 zu L47 (‚unendlich‘) und 21,4 zu L123 (‚absolut‘). 112: 156,20 Annahme einer intelligiblen Welt] Die geistige, nur durch die Vernunft erfaßbare Welt im Gegensatz zur sinnlich wahrnehmbaren materiellen Welt. 112: 156,21f. deren Exponent oder Wurzel seine Individualität ist] Vgl. AB593. Siehe Anm. 9,21f. zu L8 über die dialektische Gedankenbewegung von Potenzierung und Radizierung, ferner 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). 112: 156,11–22 Jede Menschengestalt !…" nöthigt] (= VB102.) -- Mohr, S,322f.; Schierbaum, S.198f.; Striedter, S.112–114. 113: 156,23 Je bornirter ein System] Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘). 113: 156,24 die Lehre des Helvetius und auch Locke] Claude Adrien Helvetius (1715–1771) entwickelt eine konsequent materialistische Psychologie, die den Egoismus der Individuen als Grundlage der Gesellschaftsordnung benennt. – Der Philosoph und Gesellschaftstheoretiker John Locke (1776–1810) begründete den englischen Empirismus. 113: 156,25f. So wird Kant jetzt noch immer mehr Anhänger als Fichte finden] Über Kant und die Kantianer siehe Anm. 10,12 bzw. 10,11 zu L16, über Fichte siehe Anm. 36,1 zu A137. 113: 156,23–26 Je bornirter !…" finden] (= VB103.) Vgl. BL47. -Schierbaum, S.196. 114: 156,27–30 Die Kunst Bücher zu schreiben ist noch nicht erfunden !…" wenn nur einiges aufgeht!] (= VB104.) Vgl. FSt633 und siehe Anm. 24,14f. zu A22 (‚Fragment‘). – Das letzte Fragment des Blüthenstaubs nimmt das (auch poetologisch bedeutsame) Motiv des Samens aus dem Motto der Sammlung wieder auf (siehe Anm. 141,1f.). -- Mohr, S.320–322; Neumann, Ideenparadiese, S.367; Schierbaum, S.201f.; Westerhoff, S.340.

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Textgrundlage und Textüberlieferung Friedrich von Hardenbergs zweite Fragmentsammlung Glauben und Liebe oder der König und die Königin erschien – wiederum unter dem Pseudonym Novalis – im Juli-Heft der ‚Jahrbücher der Preußischen Monarchie unter der Regierung von Friedrich Wilhelm III.‘, hg. von F.E.Rembach, Berlin 1798, S.269–286. Bereits in der Juni-Nummer der ‚Jahrbücher‘ (S.184f.) waren unter dem Titel Blumen die acht Gedichte gedruckt worden, die vermutlich ursprünglich im Manuskript von Glauben und Liebe eingestreut waren. Zur Veröffentlichung des dritten Teils der Fragmentsammlung, der als Politische Aphorismen im folgenden Heft derselben Monatsschrift erscheinen sollte, kam es nicht mehr, da die Zensur einschritt. Sie wurden zum ersten Mal 1846 (ohne Titel) im dritten Teil der von Ludwig Tieck und Eduard von Bülow (1803–1853) besorgten Ausgabe von Novalis’ Schriften publiziert. Alle drei Teile der Sammlung veröffentlichte Ernst Heilborn (1867–1942) erstmals 1901. Sie liegen auch in der historisch-kritischen Novalis-Ausgabe vor: Novalis Schriften. Die Werke von Friedrich von Hardenberg, hg. von Paul Kluckhohn (†) und Richard Samuel. Zweiter Band: Das philosophische Werk I, hg. von Richard Samuel in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz, revidiert von Richard Samuel und Hans-Joachim Mähl, Stuttgart, Berlin, Köln und Mainz (W.Kohlhammer) 31981, S.483–503. Der Text der vorliegenden Edition folgt der historisch-kritischen Edition von Novalis’ Werken. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags W.Kohlhammer.

Entstehung Die Sammlung Glauben und Liebe ist offenbar aus dem 122. Fragment der Vermischten Bemerkungen hervorgegangen, in dem Novalis Gedanken über Demokratie, Monarchie und den ‚poetischen Staat‘ als den „wahrhafte!n", vollkommne!n" Staat“ festhielt. Dieser Text ist im Manuskript gestrichen (und wurde auch im Gegensatz zu anderen gestrichenen Passagen nicht in den Blüthenstaub aufgenommen) – vielleicht, weil Novalis bereits während der Arbeit an seiner ersten Fragmentsammlung beabsichtigte, die politische Thematik, die er in VB122 behandelte, gesondert auszuführen. Ende Dezember 1797 berichtet Novalis Friedrich Schlegel, er beschäftige sich seit einiger Zeit mit Poesie, Politik und Physik: „Mancherley ist mir seit 3 Monaten durch den Kopf gegangen. Erst Poësie – dann Politik, dann Physik en Masse. In der Poësie glaub ich festen Fuß gefaßt zu ha-

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ben – denn es scheint mir, als sey ich überall auf Deine Entdeckungen gestoßen. In der Politik glaub ich nicht ohne Grund au fait zu seyn – Allen, denen ich noch davon gesagt – hat die Wahrheit meiner Sätze einzuleuchten geschienen. In der Physik bin ich noch in der Gährung“ (26.12.1797; KFSA24, S.69). Im Brief vom 24.2.1798 an August Wilhelm Schlegel, in dem er mehrere fertige oder weit fortgeschrittene Arbeiten aufzählt, tauchen seine politischen Fragmente noch nicht auf. Sie dürften also erst im Laufe des Frühjahrs 1798 entstanden sein (Samuel, NO2, S.475). Einen äußeren Anlaß für die Niederschrift von Glauben und Liebe gab die Thronbesteigung Friedrich Wilhelms III. von Preußen (1770–1840). An ihn und seiner Frau Luise (1776–1810), die bürgerliche Ideale zu verkörpern schienen, knüpften sich hochgespannte Erwartungen und insbesondere Hoffnungen auf tiefgreifende Reformen in Preußen. Anregungen für sein literarisches Vorhaben dürfte Novalis auch durch die ‚Jahrbücher der Preußischen Monarchie‘ erhalten haben. Diese Monatsschrift informierte über politische und private Ereignisse am Hof und war als Organ der Huldigung für das populäre Königspaar konzipiert. Am 11.5.1798 sandte Novalis sein Manuskript an Friedrich Schlegel mit der Bitte, für die Veröffentlichung zu sorgen: Ich schicke Dir hier etwas, was ich gern bald irgendwo abgedruckt hätte. Am besten schickt es sich in die Jahrbücher der preußischen Monarchie, ihrem Plane nach. In euer Journal paßt es, wie mich dünkt, nicht. Vielleicht schickte es sich auch zum einzelnen Abdruck mit einem Bilde des königlichen Paars – wenn der Buchhändler sein Conto dabey zu finden glaubte. In diesem Falle müßte es nur mit typographischer Eleganz erscheinen. Ich bitte Dich um die Besorgung dieser kleinen Piéce. Mach es mit dem Buchhändler ganz nach Deiner Meynung ab. Dein Urtheil darüber bitt ich mir aus – Dein Bruder und die Schwägerinn haben einzelne Fragmente daraus gehört – und waren damit zufrieden. Ohne Glauben und Liebe ist es nicht zu lesen. Das Andre sagt die Vorrede. (KFSA24, S.129.)

Friedrich Schlegel verhandelte mit dem Verleger Unger und gewann ihn für die Veröffentlichung in den ‚Jahrbüchern‘. Am 28.5. antwortet Schlegel dem Freund: Dein M[anu]script wird in den Jahrbüchern gedruckt. Zu einem Werkchen für sich würden wohl alle Buchhändler mehr Popularität verlangt haben, und da ich einige Worte darüber fallen ließ, sah ich daß es nicht ging. Es wird bald gedruckt, und daran schien Dir zu liegen. Ja ein Theil davon ist schon gedruckt. Das ist ein Umstand der Dir vielleicht nicht gefallen wird; der aber durchaus nicht zu ändern war. Es ist gewöhnlich und gesetzlich in den Jahrbüchern, recht viele Nummern zu haben, und es giebt auch eine ziemliche Anzahl stehende Artikel. Da war nun Dein Aufsatz für auf einmal zu lang und ich habe endlich einwilligen müssen, daß die Gedichte am Schluß des Stücks, was eben gedruckt ward, geordnet sind, und der Glauben und Liebe !!ist"" für den Anfang des nächsten Stücks, und die politischen Aphorismen für das nächstfolgende bestimmt. (KFSA24, S 132.)

Wie Friedrich Schlegel hier erklärt, sollte die Sammlung wegen ihres Umfangs auf drei Hefte der ‚Jahrbücher‘ verteilt werden. Dabei wurden die acht Gedichte, die ursprünglich in Glauben und Liebe verstreut oder dort als geschlossene Gruppe eingeschoben waren (möglicherweise nach Nr.4 oder 6; Samuel, NO2,

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S.476), aus dem Zusammenhang der Sammlung herausgelöst. Ihnen folgte im Juli der Teil Glauben und Liebe oder der König und die Königin, der aus 43Stükken besteht, während die 25 Politischen Aphorismen, die für das August-Heft vorgesehen waren, von der Zensur unterdrückt wurden.

Wirkung Bei Hof rief die Ambivalenz dieser ‚Huldigung‘ Aufregung und Unwillen hervor. Ende Juli berichtet Friedrich Schlegel ausführlich über die Reaktionen des Königs und seiner näheren Umgebung, wobei er längere Passagen aus einem Brief des Verlegers Unger zitiert: „‚Ueber einige Aeußerungen in Glauben und Liebe soll der König etwas verdrießlich gewesen seyn. Er hat gesagt: ‚Von einem König wird mehr verlangt als er zu leisten fähig ist. Immer wird vergessen daß er ein Mensch sey. Man solle nur einem Mann, der dem König seine Pflichten vorhält vom Schreibepult zum Thron bringen und dann wird er erst die Schwierigkeiten sehen die !ihn" umgeben und die nicht möglich zu heben sind.‘ – Er hat durch den Minister Schulenburg den Verfasser wissen wollen. – Im Allgemeinen wird dieser Aufsatz bewundert. Jedermann ist damit zufrieden‘“ (KFSA24, S.154). Nach einer anderen Quelle soll der König besonders die Äußerungen über die Königin „abgeschmackt und unsittlich“ gefunden haben. (Johann Friedrich Abegg in einer Tagebucheintragung vom 23.7.1798; NO4, S.622.) Als „allerliebste Anekdote“ bezeichnet Schlegel die Bemühungen des Hofs, diese Schrift zu verstehen: „Der König hat den Glauben und Liebe gelesen aber nicht verstanden, und daher dem Obristlieutenant Köckeritz Ordre gegeben, ihn zu lesen. Weil dieser ihn aber gleichfalls nicht verstanden, hat er den Consistorialrath Niemeyer zu Rathe !!gezogen"". Dieser hat auch nicht verstanden, worüber er höchlich entrüstet geweßen und gemeynt hat, es müsse gewiß einer von den beyden Schlegeln geschrieben haben. Es ist nämlich für ihn wie für mehrere Philister Axiom: Was man nicht versteht, hat ein Schlegel geschrieben“ (KFSA24, S.154). Das Rätselraten um die Identität des Verfassers ging weiter. Einen Monat nach seinem ersten Bericht über die Aufnahme des Werks bei Hof meldet Friedrich Schlegel, daß Zensurmaßnahmen das Erscheinen der Politischen Aphorismen verhinderten: Unger schreibt mir noch von Berlin: ‚Der kleine Unwille des Königs, den er über Glauben und Liebe geäußert hat, erregte solche Furcht bey der Censur, daß die politischen Aphorismen nicht erlaubt wurden zu drucken. – Woher das allgemeine Gerücht sich verbreitet hat, ein Neveu des Ministers v. Hardenberg sey der Verfasser dieser Aufsätze, weiß ich nicht.‘ – U[nger] widerspricht diesem Gerücht tapfer und behauptet der Verfasser sey in Rußland. – Indessen gilt es allgemein für Wahrheit in Berlin. – Du kannst schon aus Obigem einige Schlüsse auf die Umgebung des Königs machen, und Dir leicht hinzu denken, daß die Berliner Klicke, die auch sehr gegen das Athen.[aeum] schreyt, es ganz besonders gegen Dich hat. !…" Ich setze Dir noch eine Stelle aus U[nger]s Brief her: ‚Ich glaube aber doch, die Herren bey der Censur verkennen den König, wenn sie nun strenger censiren. Es ist gewiß seine Absicht nicht,

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Preßeinschränkungen zu machen; bloß die sclavische Furcht bringt sie hervor. Nun darf gewiß nichts gedruckt werden, worunter der Name Novalis steht, und Ihr Freund muß sich lieber jetzt einer anderen Unterschrift bedienen, damit man keine Vorurtheile gegen ihn fasse.‘ (9.8.1798; KFSA24, S.159.)

Friedrich Schlegel selbst äußerte noch während der Drucklegung in einem Brief an Novalis vorsichtige Zustimmung: „Mit deinen Ideen über Monarchie bin ich im Wesentlichen (denn ich glaube wohl daß auch manches Einzelne Dir wesentlich, worin ich nicht einstimmen kann) d.h. im Ganzen vollkommen Eins. Ich finde sie sehr philosophisch, und zwar von der historischen Philosophie !…" Was die individuelle Tendenz desselben betrifft, so möchte ich mündlich mit Dir darüber sprechen und ich wollte Dir !!hier"" Männer genug zuweisen, mit denen Dich ein Gespräch mehr mit der Eigenthümlichkeit der Preuß.[ischen] Monarchie bekannt machen könnte, als ganze Bücher darüber. Du Sakrament willst alle Welt nach Berlin schicken und selbst nicht kommen! Ich sage Dir: Komm zur Huldigung, den 6ten Juli“ (28.3.1798; KFSA24, S.133). Im März des folgenden Jahres ist von der etwas reservierten Haltung des früheren Briefs nichts mehr zu erkennen, als Schlegel den Freund zu einem neuen Fragmentwerk ansport: „Möchtest Du doch bald wieder einen Glauben und Liebe offenbaren. – Weniges ehre ich so, und weniges hat so auf mich gewirkt“ (KFSA24, S.238). Daß Glauben und Liebe auch im Romantikerkreis nicht uneingeschränkt akzeptiert wurde, zeigt Schlegels Brief an Novalis vom 28.5.1798, in dem er die Reaktionen im Berliner Freundeskreis schildert: „Caroline weiß sich noch nicht recht in Deine Religiosität zu finden, und mag sie vielleicht bisweilen für ein Erbstück der Fantasie halten“, schreibt er dort und fährt fort: Es darf Dich nicht gereuen, Deine Heiligthümer ausgestellt und öffentlich gemacht zu haben. Wenn ich nach meinem kleinen Kreise urtheilen darf, so sind Dir alle gewiß, die viel Sinn haben; die andern wirst Du ganz abstoßen. Du wirst beynah so viel Versteher als Leser haben. Ich nenne Dir unter meinen hiesigen nur Tieck, der Deine Religion auch sehr poetisch findet. Besonders bey einigen Frauen meiner Bekanntschaft bist Du sehr beliebt geworden. Ein sehr interessantes und religieuses Mädchen !Rahel Levin" die den Blüthenstaub ordentlich studierte, meynte von dem Glauben, er sey wie von einem betrunknen Gott. (KFSA24, S.133.)

Aufschlußreich für die Rezeption in der älteren, von der Aufklärung geprägten Generation sind die brieflichen Äußerungen des Kreisamtmanns Just dem Verfasser gegenüber: Wir haben Ihre Blumen, Glauben und Liebe, gelesen. Was meine Frau im Allgemeinen dazu sagt? Wenn Franzosen hereinkämen, möchten Sie Ihren Kopf festhalten! Doch wenn sich nach diesem Aushängeschild ein Monarch in Ihnen einen eingefleischten Monarchisten kaufen wollte, und Sie dann nach dem Kaufe näher besähe, würde er sich trefflich betrogen finden. Wir haben im Allgemeinen schöne Stellen darin gefunden, und wenn ich sie alle bezeichnen sollte, müßte ich den größten Theil dieser Gesänge bezeichnen. !…" Wer Sie nicht so ganz kennt, wird glauben, Sie hätten diese Gesänge mit Rücksichten geschrieben. Wir aber wollen Sie wider diesen Vorwurf, der Ihnen gemacht werden kann, vertheidigen. Denn Sie würden ebenso geschrieben haben, wäre auch Ihr Held der König von Siam gewesen. (NO4, S.505f.)

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Kritische Anmerkungen macht Just vor allem zur Unverständlichkeit der Fragmente, die zwar „im Publicum“, aber nicht „für’s Publicum“, sondern eher „für wenige Eingeweihte“ geschrieben seien (ebd., S.506), und zu Hardenbergs Religionsbegriff, der zwar die christliche Terminologie beibehält, ihr aber einen neuen Sinn unterlege (ebd.). Mit der Sammlung Glauben und Liebe begründet Novalis eine Tradition des politischen Denkens, die bis ins 20. Jahrhundert fortdauert. Zunächst war es Adam Müller (1779–1829), der sich in seiner Schrift Elemente der Staatskunst (1803) auf Novalis berief. In seinen späteren Jahren zeigte sich Friedrich Schlegel ebenso wie Görres, Baader, Eichendorff und Kleist von Novalis’ Gedanken über den Staat beeinflußt. In verflachender und entstellter Form machen sich auch die Bayrischen Könige Ludwig I. und II. und Friedrich Wilhelm IV. von Preußen Hardenbergs Vorstellungen zu eigen. In den 1920er Jahren beriefen sich Vertreter der ‚Konservativen Revolution‘ auf die politische Romantik. In seiner Rede Von deutscher Republik (1922) verteidigte Thomas Mann die Weimarer Republik, wobei er Novalis mehrfach zitierte. Daß jedoch nicht nur die Ideologie des Konservatismus bei Novalis Bestätigung sucht und findet, zeigt z.B. Gustav Landauers (1870–1919) Theorie des Anarchismus, die sich ebenfalls von Hardenbergs Schrift beeinflußt zeigt. (Kurzke, Konservatismus S.36–40 und 181f.; Gerhard Schulz, Der Fremdling und die blaue Blume. Zur Novalis-Rezeption. In: Romantik heute. Friedrich Schlegel, Novalis, E.T.A.Hoffmann, Ludwig Tieck, hg. von Reinhold Grimm, Bonn-Bad Godesberg 1972, S.31–47.)

Struktur und Gehalt In den drei Teilen dieser Fragmentsammlung legt Friedrich von Hardenberg auf jeweils charakteristische Weise seine Auffassung vom Staat dar. Während er sich in den Blumen einer stark verschlüsselten Verssprache bedient, dominiert in der Prosa des zweiten Teils der Ton emphatischer Huldigung, der in den Politischen Aphorismen einer nüchternen, zuweilen schonungslosen Analyse der Gesellschaft und Reflexionen über das Staatswesen weicht. In der „Vorrede“ (Nr.1–6) stellt Novalis dem Werk seine Sprach- und Zeichentheorie (siehe hierzu Anm. 141,5–9 zu BL2) voran. Die nachfolgenden Fragmente erörtern Fragen der Gesellschaft, der Staatsform, gestalten den Grundgedanken der Repräsentation und entwickeln Hardenbergs Konzept des ‚poetischen Staats‘. Die Politischen Aphorismen am Ende der Sammlung bestehen aus zwei eng miteinander verbundenen Teilen, Nr.44–57 und Nr.58–68. In der ersten Gruppe kleidet Novalis seine Gedanken und Forderungen zu Politik und Gesellschaft in das Gewand medizinischer Ratschläge; er erneuert damit die ursprüngliche Funktion der aphorismoi, kurzer medizinischer Lehrsätze und Gesundheitsregeln, die in der Antike unter dem Namen des griechischen Arztes Hippokrates verbreitet wurden (Fricke, S.25); dabei wendet Novalis vor allem die Grundsätze der Brownschen Reizphysiologie an (siehe Anm. 142,1–3 zu BL8). Seine Auffassung von der ‚heilsamen‘ Wirkung der Poesie, auf der die Sammlung Glauben und Liebe basiert, formuliert

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Novalis geradezu programmatisch in einer Notiz der Vorarbeiten zu verschiedenen Fragmentsammlungen aus dem Jahr 1798: „Poësie ist die große Kunst der Construction der transscendentalen Gesundheit. Der Poët ist also der transscendentale Arzt. Die Poësie schaltet und waltet mit Schmerz und Kitzel – mit Lust und Unlust – Irrthum und Wahrheit – Gesundheit und Kranckheit – Sie mischt alles zu ihrem großen Zweck der Zwecke – der Erhebung des Menschen über sich selbst“ (Poësie, Nr.42). Die zweite Gruppe der Politischen Aphorismen ergänzt die Regeln für ein ‚gesundes‘ Staatswesen durch einen Ausschnitt aus dem „jetzige!n" Streit über die Regierungsformen“ (GL58); abwechselnd werden Argumente für und Einwände gegen die republikanische Staatsform vorgebracht und die Vorzüge von Monarchie und Demokratie gegeneinander abgewogen. In beiden Teilen der Politischen Aphorismen fällt die vielfältige logische Verknüpfung der einzelnen Texte auf. Mehrfach beziehen sich Pronomen auf vorausgehende Aphorismen (z.B. in GL53f. und 56f.) oder stellen Konjunktionen den gedanklichen Bezug zu vorher Gesagtem her. (Insbesondere „Aber“ zu Beginn von GL62, 64 und 66.) Die Politischen Aphorismen erscheinen dadurch so dicht verzahnt, daß H.Kurzke vorschlägt, Nr.58–68 als Dialog zu lesen, dessen eine Stimme die Monarchie verteidigt (GL58–61, 63, 65 und 67f.), während die andere gegen sie spricht (GL62, 64 und 66; Konservatismus, S.186f.). Im Zentrum dieser Sammlung steht Hardenbergs Entwurf des ‚poetischen Staats‘, wie er in nuce bereits in VB122 enthalten ist. Dieser poetische Staat stellt eine organische Verbindung von Gegensätzen, eine Synthese von Monarchie und Republik dar, symbolisiert durch das ideale Fürstenpaar. Um die Gestalten des Königs und der Königin (die nicht einfach mit dem historischen Monarchenpaar gleichzusetzen sind, aber doch von ihm angeregt wurden) gruppiert Novalis seine Ideen zur Erneuerung des Staats und der Gesellschaft. (Mähl, Der poetische Staat; Dennis F. Mahoney, Novalis’ ‚Glauben und Liebe‘, oder die Problematik eines ‚poetischen Staats‘. In: Revolution und Autonomie. Deutsche Autonomieästhetik im Zeitalter der Französischen Revolution. Ein Symposium, hg. von Wolfgang Wittkowski, Tübingen 1990, S.192–202.) Er wendet dabei den Grundsatz an, den er in AB603 formuliert: „Supposition des Ideals – des Gesuchten – ist die Methode es zu finden.“ Die Vergegenwärtigung des poetischen Staats im literarischen Werk ist das Mittel zur Verwirklichung dieses Ideals. Im Bewußtsein, an einem krisenhaften Entscheidungsmoment der Geschichte angelangt zu sein, an dem die Zerstörung der tradierten Gesellschaftsordnung droht, legt Novalis seinen Staatsentwurf vor. Schlegel bemerkt hierzu: „Sein Royalismus ist Fam[iliären] Ursprungs“ (NO4, S.621). Das Königspaar erscheint als Modell und überhöhtes Abbild der Bürgerfamilie; die väterliche Fürsorge des Fürsten seinen Untertanen gegenüber entspricht dem Verhältnis von Eltern- und Kindergeneration innerhalb der Familien der Landes-‚Kinder‘. Liebe verbindet sowohl das Elternpaar als auch Eltern und Kinder bzw. Fürst und Untertan (und wohl auch die verschiedenen Stände im Staat untereinander, die sich mit geschwisterlicher Liebe zugetan sein sollen). Novalis selbst gibt in AB 782 eine aufschlußreiche Deutung seines Werks:

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„!…" Der ganze Staat läuft auf Repraesentation hinaus. Die ganze Repraesentation beruht auf einem Gegenwärtig machen – des Nicht Gegenwärtigen und so fort – (Wunderkraft der Fiction.) Mein Glauben und Liebe beruht auf Repraesentativen Glauben. So die Annahme – der ewige Frieden ist schon da – Gott ist unter uns, hier ist Amerika oder Nirgends, das goldne Zeitalter ist hier – wir sind Zauberer – wir sind moralisch und so fort.“ Zur Vergegenwärtigung des Ideals, auf das hin die Wirklichkeit umgestaltet werden soll, bedient sich der Dichter einer „Tropen und Räthselsprache“ (GL 1), die Bilder aus der Medizin, aus Physik, Chemie und aus dem Bergbau vereint. Hinter diesen Bildervariationen soll der Leser Wahrheiten von umfassender, überzeitlicher Geltung entdekken. L.Stockinger charakterisiert knapp die Struktur dieser Sammlung: „In metaphorisch verschlüsselter, gleichwohl apodiktischer Sprache wird hier im Indikativ Präsens der den Sinnen verborgene Zusammenhang des preußischen Königspaars mit dem Ideal menschlicher Gemeinschaft als wirklich vor Augen gestellt, um so die Annäherung an eine tatsächliche Verwirklichung dieses Ideals voranzutreiben. N. führt damit auch eine neue Form der literarischen Utopie unter der Voraussetzung der im Frühidealismus entwickelten neuen Philosophie vor“ (WTB3, S.371). Daß die kritische Energie dieses poetischen Verfahrens dem königlichen Adressaten durchaus bewußt war, zeigt die teilweise entrüstete Reaktion auf Glauben und Liebe bei Hof.

Stellenkommentar 157,1 Glauben und Liebe] Vgl. zum Titel der Sammlung Gal.5,6 und 1.Kor.13,1–13 und zur Deutung dieser Begriffe in der protestantischen Theologie Luthers Kirchenpostille. (Martin Luther, Sämmtliche Werke, Erlangen 1827, Bd.7, S.159 und Bd.8, S.61.) Die Moralphilosophie des ausgehenden 18. Jahrhunderts greift die christliche Vorstellung auf, daß das Handeln aus dem Glauben das Reich Gottes sichtbar zu machen vermag. (Z.B. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793); KA8, S.B180–183, S.A170–173.) – Den Begriff des Glaubens bestimmt GL18 als „freiwillige Annahme“, Vorarbeiten 112 als „Willkühr, Empfindungen hervorzubringen“. Vgl. zum Glauben auch BL22, Vorarbeiten 167, AB779 und 782, und siehe Anm. 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). -- Stockinger, WTB3, S.379–381; Link, Abstraktion, S.62–64; Mähl, Der poetische Staat, S.282–286; Kurzke, Konservatismus, S.192f.; Schierbaum, S.431; Strack, Neugier, S.15. 157,2 Blumen] Siehe Anm. 84,13–15 zu Id5 über die Pflanzenmetaphorik der Ideen und siehe Anm. 141,Titel bzw. 141,1f. zu Titel und Motto der Sammlung Blüthenstaub. -- Kurzke, Konservatismus, S.135; Schierbaum, S.410f. 157,3–5 An den König !…" Herz] Vgl. GL40. Dieser Zweizeiler thematisiert, wie auch die beiden folgenden, das Verhältnis von ‚Krone‘ und ‚Herz‘, Politik und Moral. Siehe Anm. 204,2–7 zu T62 (‚Herz‘). -- Schierbaum, S.411f.

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157,6–8 Die Alpenrose !…" des Bergs] Siehe Anm. 159,35–37 zu GL11 über das Motiv des Bergs als Bild für den Thron. -- Kuhn, Apokalyptiker, S.123f.; Kurzke, Konservatismus, S.134; Schierbaum, S.412. 157,9–11 Der König !…" liebt] Vgl. GL24. -- Kuhn, Apokalyptiker, S.124; Schierbaum, S.412f. 157,12–14 Das irrdische Paradies !…" himmlische Luft] -- Kuhn, Apokalyptiker, S.124; Schierbaum, S.413f. 157,15–21 Es ist an der Zeit !…" glückliche Zeit] Der Titel spielt auf das Losungswort in Goethes Das Mährchen (1795; WA I 18, S.225–273) an; vgl. hierzu auch Friedrich Schlegels Brief an Hardenberg, 2.12.1798 (KFSA24, S.205), Lucinde (1799; KFSA5, S.20) und das Gespräch über die Poesie (1800; KFSA2, S.311f.). Die drei Distichen greifen weitere Motive aus dem Mährchen auf: Brücke, Riesenschatten, Tempel, Götze, Steuermann und die Liebenden. Vgl. hierzu auch Görres’ Schriftproben, S.318 (4),17a–29a. – „Gleichsam als poetisches Ferment schleust Novalis mit Goethes Märchenlosung die Verwandlungsund Poetisierungskraft des Märchens in die Geschichte ein. !…" Die von Goethe in ihrem Werden erzählte glückliche Zeit wird von Novalis in einzelnen festen Bildelementen versetzt in die Bildersprache der Blumen. Hier fungieren sie als poetisches Wahrzeichen, als Wahrnehmungs- und Erkennungsensemble einer geschichtlichen Zeit- und Figurenkonstellation, die das preußische Königspaar nach Novalis in der geschichtlichen Realität einlöst.“ (Ingrid Oesterle, „Es ist an der Zeit!“ Zur kulturellen Konstruktionsveränderung von Zeit gegen 1800. In: Goethe und das Zeitalter der Romantik hg. von Walter Hinderer, Würzburg 2002, S.91–119, hier S.109f.) -- Kuhn, Apokalyptiker, S.125f; Schierbaum, S.414f.; Schulz, Werke, S.615. 157,22–26 Das Ende des Haders !…" in Eins] Der „Talismann ewigen Friedens“ könnte der Stein der Weisen oder das Menstruum universale sein. „Alchimistische Vorstellungen von einem Kampf verschiedener Elemente und von einer künftigen Vereinigung stehen zweifellos im Hintergrund des Gedichts“ (Schulz, Werke, S.614). -- Kuhn, Apokalyptiker, S.126; Schierbaum, S.415; Schulz, Werke, S.615. 157,27 Der sterbende Genius] Genien sind Schutzgötter, die zwischen göttlichem und menschlichem Daseinsbereich vermitteln; sie begegnen öfters in den Feenmärchen des 18. Jahrhunderts. 158,2f. in dem irrdischen Gebilde] Vielleicht die Königin. 158,6 Nach Osten] Siehe Anm. 94,3 zu Id133 (‚Orient‘). 158,9 Der Duft des Schleyers, der mich vor dem umgab] Vgl. zum Motiv des Schleiers Id1, das Ende des Märchens von Hyacinth und Rosenblüthchen (NO1, S.95) und siehe Anm. 84,3f. zu Id1. 157,27–158,12 Der sterbende Genius !…" Fürstinn] Als einziges Gedicht unter den acht Blumen ist Der sterbende Genius in Alkäischen Strophen abgefaßt. Einige Verse erinnern an die Hymnen an die Nacht, in denen ebenfalls „das Lied der Zurückkehr“ gesungen und „Ewige Liebe der schönen Fürstinn“, der „Weltköniginn“ geschworen wird (NO1, S.132f.). Vgl. GL28. -- Kuhn, Apokalyptiker, S.118–120; Schierbaum, S.416–429; Schulz, Werke, S.615f.

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158,13–15 Land !…" wie dort] „Flut, !…" Taube !, …" Ölzweig“ und die „Hoffnung des Landes“ erinnern an die biblische Sintflut-Erzählung (Gen.8,10f.). Vgl. GL41 und den Aufsatz Die Christenheit oder Europa (1799; NO3, S.517) sowie das Friedensbild nach der Untergangsvision im Klingsohr-Märchen des Heinrich von Ofterdingen (NO1, S.300). -- Kuhn, Apokalyptiker, S.124f.; Kurzke, Konservatismus, S.135; Schierbaum, S.429f. 158,19 Der König und die Königin] Vgl. zu Novalis’ „Metaphysik der Geschlechter“ (Stockinger, WTB3, S.381) FSt510, 576–579, ET439 und siehe Anm. 182,15 zu FSt609 über die Typologie des Männlichen und Weiblichen. -Schierbaum, S.431f. 1: 158,25f. eine Tropen und Räthselsprache] ‚Tropus‘ ist in der Rhetorik der Sammelbegriff für unterschiedliche Formen uneigentlichen Redens, wobei „ein Wort genommen und an die Stelle eines im natürlichen Satz- und Sinnzusammenhang stehenden Wortes gesetzt“ (Lausberg, §552) wird, wie Metapher, Metonymie, Synekdoche, Hyperbel, Ironie und Allegorie. Daß die Tropen eine Rätselrede seien, stellt bereits Aristoteles, Rhetorik 3,2 p.1405 b,4 fest (ebd., §556). Sie eignen sich daher besonders dazu – wie z.B. in GL1–3 –, einem Kreis eingeweihter Zuhörer geheime Mitteilungen zu machen. Die Lehre von den Tropen lieferte die Grundlage für die allegorische Schrift- und Weltdeutung des Mittelalters, an die Novalis mit seiner Deutung der Welt als ‚System universaler Analogien‘ (Stockinger, WTB3, S.381) anknüpft. Vgl. zur Tropik auch Vorarbeiten (Poësie) 48, FD197, T15, ET439, AB827, ferner BL23 und GL2 über das Geheimnis sowie Schlegel, A19 und A275 über den esoterischen Charakter frühromantischer Fragmentkunst. 1: 158,22–26 Wenn man mit Wenigen !…" Räthselsprache seyn] -- Kuhn, Apokalyptiker, S.115f.; Schierbaum, S.432–434; Stockinger, WTB3, S.381; Schröder, Fragmentpoetologie, S.332f.; T.Schultz, S.84f. 2: 158,28f. Viele haben gemeynt, man solle von zarten, mißbrauchbaren Gegenständen, eine gelehrte Sprache führen] Die Gegenüberstellung der ‚Profanen‘ und der ‚Eingeweihten‘ verweist auf den Kontext der antiken Mysterienkulte. In der zeitgenössischen Diskussion begegnet diese Begrifflichkeit in der Auseinandersetzung um die Freimaurer (vgl. Lessings Ernst und Falk (1778–1780)) und um den philosophischen ‚Mystizismus‘ (d.h. um die Frage, ob das Übersinnliche der theoretischen Vernunft zugänglich sei). „Kant hatte 1796 !KA6, S.88" noch einmal die Verwischung der Grenzen zwischen Glauben und Wissen scharf kritisiert und dabei polemisch einen Zusammenhang zwischen Freimaurertum und philosophischem ‚Mystizismus‘ hergestellt. !…" Im Lichte dieser Polemik lag es nahe, für diese Art von Philosophie ein Rezeptionsmodell zu entwickeln, das von jedem Verdacht willkürlicher und elitärer Begrenzung des Teilnehmerkreises frei war. Dieser Anforderung entspricht das von N. hier formulierte Modell, das es den Lesern überläßt, ob sie zur Gruppe der ‚Eingeweihten‘ gehören werden“ (Stockinger, WTB3, S.381). 2: 158,28–33 Viele haben gemeynt !…" Eingeweihter] -- Schierbaum, S.434–438; T.Schultz, S.76–78. 3: 158,35–37 Der mystische Ausdruck ist ein Gedankenreiz mehr !…"

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Freude des Wiedererkennens] Eine Anspielung auf die mittelalterliche Auslegungspraxis nach dem vierfachen Schriftsinn, die einen Text nicht nur im Literalsinn (sensus historicus) versteht, sondern ihn auch dreifach allegorisch deuten kann (gemäß dem sensus anagogicus, allegoricus, mysticus). Der Ausdruck „Gedankenreiz“ stammt aus der Brownschen Physiologie; siehe Anm. 142,1–3 zu BL8; vgl. Vorarbeiten 211 und Schlegel, A414. -- Schierbaum, S.438–442; Stokkinger, WTB3, S.382f. 4: 159,2 Was man liebt, findet man überall, und sieht überall Ähnlichkeiten] Siehe Anm. 26,31 zu A50 (‚Liebe‘) und 127,19–21 zu PhL [II] 488 über die Analogie von Mikrokosmos und Makrokosmos. 4: 159,3–5 Meine Geliebte ist die Abbreviatur des Universums, das Universum die Elongatur meiner Geliebten] Siehe Anm. 10,4f. zu L14 über die gegenläufige Gedankenbewegung von „Abbreviatur“ und „Elongatur“, von ‚Abkürzung‘ und ‚Verlängerung‘ und vgl. AB723. 4: 159,5 Dem Freunde der Wissenschaften] Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘) und vgl. FNS (NO3, S.179–182) zum Wissenschaftsbegriff, den Novalis hier zugrundelegt. 4: 159,5 Blumen und Souvenirs] Vgl. den Titel Blumen des ersten Teils der Fragmentsammlung. 4: 159,2–6 Was man liebt !…" Geliebte] Vgl. BL41 und 51. -- Kuhn, Apokalyptiker, S.116f.; Schierbaum, S.442f.; T.Schultz, S.86f.; Stockinger, WTB3, S.383. 5: 159,8 Aber woher die ernsten, mystisch-politischen Philosopheme?] ‚Philosopheme‘ nennen die Romantiker in ihrem Briefwechsel ihre Fragmente (vgl. z.B. Friedrich Schlegel an Hardenberg, 5.5.1797; KFSA23, S.362). 5: 159,8–12 Aber woher !…" Beziehungen?] Siehe Anm. 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘). -- Kuhn, Apokalyptiker, S.117; Schierbaum, S.443–445; T.Schultz, S.87. 6: 159,14 Laßt die Libellen ziehn] G.Schulz (Werke, S.755) deutet die ‚Libellen‘ als Metapher für den Dichter, L.Stockinger (WTB3, S.383) macht in seiner Interpretation dieses Distichons darauf aufmerksam, daß ‚Libellen‘ auch als Pluralform zu ‚Libell‘, Büchlein, zu verstehen ist. 6: 159,14 Fremdlinge] „Fremdlinge auf der Welt sind diejenigen, die die Erinnerung an eine vergangene Zeit der Eintracht in sich tragen und den Glauben an ihre Wiederkehr haben. Die Vorstellung verschmilzt mit der vom romantischen Dichter, dessen Aufgabe es ist, ‚einen Gegenstand fremd zu machen‘ !FuS 668"“ (Schulz, Werke, S. 611). Vgl. auch das Gedicht Der Fremdling (NO 1, S. 399f.). 6: 159,15 Doppelgestirn] Metaphorische Bezeichnung des Sternbilds der Zwillinge, hier wohl als Umschreibung für das Königspaar gebraucht. Der Stern kündigt, analog zum Stern von Bethlehem, dem die Weisen aus dem Morgenland folgten, eine Zeitenwende an. Das „Doppelgestirn“, das seinen Namen von dem unzertrennlichen Zwillingspaar Kastor und Pollux hat, verbürgt überdies die naturgesetzliche Präsenz der Liebe im Universum. 6: 159,14f. Laßt die Libellen !…" hieher] Mit diesem Verspaar endet die

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„Vorrede“ der Sammlung. -- Kuhn, Apokalyptiker, S.120–122; Schierbaum, S.445f.; Schulz, Werke, S.755; Stockinger, WTB3, S.383f. 7: 159,17–20 Ein blühendes Land !…" der König aller Erfinder] Zum Motiv des englischen Gartens bzw. des Parks vgl. A336 und siehe Anm. 204,2–7 zu T62 (‚Herz‘). -- Kuhn, Apokalyptiker, S.129f.; Schierbaum, S.446–448; T.Schultz, S.87f.; Schulz, Werke, S.756; Stockinger, WTB3, S.384. 8: 159,21–26 Der Beste unter den ehemaligen französischen Monarchen !…" geboren zu seyn?] Heinrich IV. (1553–1610) verkörperte für das 18. Jahrhundert den idealen Monarchen. Er soll sich zum Ziel seiner Regierungszeit gesetzt haben, „daß es keinen Bauer in meinem Königreiche gibt, der nicht imstande sei, ein Huhn in seinem Topfe zu haben“ (Schulz, Werke, S.756). -Kuhn, Apokalyptiker, S.134; Stockinger, WTB3, S.384. 9: 159,27f. Wenn ich morgen Fürst würde, so bät ich zuerst den König um einen Eudiometer] Ein Eudiometer ist ein Instrument zur Messung des Sauerstoffgehalts in einem Gasgemenge. Eine ähnliche Vorstellung findet sich bei Wieland, Der Goldene Spiegel (1772; CMW7 (Bd.2 des Nachdrucks), S.85f.). 9: 159,29f. die Lebensluft für meinen Staat mehr aus blühenden Pflanzungen, als aus Salpeter zu ziehen suchen] Sauerstoff, der im zeitgenössischen Sprachgebrauch ‚Lebensluft‘ genannt wurde (vgl. auch Lg28), wird bei der natürlichen Atmung chlorophyllhaltiger Pflanzen freigesetzt, kann aber auch aus Salpeter hergestellt werden. – Während Menschen und Tiere bei der Atmung Sauerstoff in Kohlendioxid verwandeln, vollzieht sich bei der Atmung der Pflanzen der umgekehrte Prozeß, so daß hier ein wechselseitiges Geben und Nehmen stattfindet, das nach L.Stockinger das Grundprinzip der Liebe in der Natur veranschaulicht. Demgegenüber kann Salpeter nicht nur zur Erzeugung von Leben erhaltendem Sauerstoff, sondern auch zur Herstellung von zerstörerischem Schießpulver verwendet werden. 9: 159,27–30 Wenn ich morgen !…" zu ziehen suchen] -- Schulz, Werke, S.756; Stockinger, WTB3, S.384f. 10: 159,31–34 Gold und Silber sind das Blut des Staats !…" nach dem Herzen zurück] Zur Organismus-Metaphorik siehe Anm. 148,33–35 zu BL65. – Nach L.Stockinger, WTB3, S.385, kritisiert Novalis in diesem Fragment die merkantilistische Wirtschaftspolitik, die nach Maximierung der fürstlichen Einnahmen zu Lasten der Untertanen strebt. -- Schierbaum, S.463. 11: 159,35–37 Ein einstürzender Thron !…" lustige Wohnstätte war] Der Vergleich von Thron und Berg, der auch den folgenden Fragmenten GL12–14 zugrunde liegt, nimmt das Zentralmotiv des Blumen-Gedichts Die Alpenrose auf. Der Hinweis auf die Zerstörung, die „ein fallender Berg“ bewirkt, impliziert hier eine generelle Warnung vor den verheerenden Folgen politischen Umsturzes. Zur zeitgenössischen Deutung der Französischen Revolution als Naturkatastrophe siehe Anm. 77,43–78,9 zu A424. -- Kurzke, Konservatismus, S.135. 12: 159,38f. Das Meer ist das Element von Freiheit und Gleichheit] Eine Anspielung auf die Französische Revolution. „Das Meer ist Bild für chaotische Urnatur, in Anspielung an den biblischen Schöpfungsbericht. Die dort geschilderte Trennung von Land und Meer macht die Revolution wieder rückgängig !…"

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Fast unvermeidlich bilden die Revolutionäre neues Land (neue Ungleichheit), indem sie ‚auf Schwefelkies treten‘“ (Kurzke, Konservatismus, S.135). Zur politischen Metapher des Erdbebens siehe Anm. 77,43–78,9 zu A424. 12: 159,39f. Lager von Schwefelkies] Unter bestimmten Bedingungen entzündet sich Schwefelkies (Pyrit) selbst. Im 18. Jahrhundert wurde der Vulkanismus – besonders in der Nähe des Meeres – durch diese Beobachtung erklärt. 12: 159,40f. der Vulkan !…" der Keim eines neuen Continents] Beim Ausbruch eines Vulkans entstehen zuweilen neue Inseln. 12: 159,38–41 Macht nur !…" Continents] -- Striedter, S.91–95; Kuhn, Apokalyptiker, S.150; Stockinger, WTB3, S.385; Kurzke, Konservatismus, S.135f.; ders., Novalis, S.41f. 13: 160,1 Die mephitischen Dünste der moralischen Welt] Erstickende Dämpfe (besonders als Produkt von Verbrennungsprozessen) sinken zu Boden, da sie schwerer als Luft sind. Siehe auch Anm. 159,35–37 zu GL11 über das Motiv der ‚Höhe‘ und des ‚Bergs‘ als Bild für die absolutistischen Throne. 13: 160,6 eine Lilie an der Sonne] Die Königin. Vgl. auch die Blütenmetaphorik im Titel Blumen und das Motiv der Lilie in Goethes Das Mährchen sowie Novalis’ Gedichte Die Alpenrose und Es ist an der Zeit. 13: 160,1–6 Die mephitischen Dünste !…" an der Sonne sehn] -- Stockinger, WTB3, S.385; Kurzke, Konservatismus, S.134f. 14: 160,7f. Es war kein Wunder, wenn die Bergspitzen !…" verwüsteten] Siehe Anm. 159,35–37 zu GL11 zum Bild des Bergs. Vgl. hierzu den Brief des Kreisamtmanns Just an Friedrich von Hardenberg, 17. und 24.11.1798, in dem er zu diesem Fragment kritisch bemerkt: „Eine einzige !Stelle" wünschte ich ganz hinweg, die, wo sie den Höflingen zu schmeicheln scheinen. Ich weiß zwar wohl, daß Sie nur davon reden, daß Diejenigen, die um einen guten Fürsten sind, schon um dieser Nähe willen selbst gut werden müssen. Aber wie sehr widerspricht die Erfahrung dem Ideal, und wie sehr werden Höflinge diese Stelle mißbrauchen, da die meisten doch nur als Wolken zwischen Himmel und Erde schweben und als solche sterben wollen“ (NO4, S.505). 14: 160,7–12 Es war kein Wunder !…" anhänglich scheinenden Wolken] -- Kuhn, Apokalyptiker, S.138; Kurzke, Konservatismus, S.135f.; Stockinger, WTB3, S.385. 15: 160,13f. Ein wahrhaftes Königspaar ist für den ganzen Menschen, was eine Constitution für den bloßen Verstand ist] „Die aufklärerische Staatstheorie seit Montesquieu verbindet damit !mit dem Verfassungsgesetz" auch die Forderung nach Gewaltenteilung, d.h. auch nach einer Beteiligung des Volkes an der Gesetzgebung durch Deputierte“ (Stockinger, WTB3, S.385). Siehe Anm. 168,31f. zu GL51 (‚Konstitution‘). – Das Fragment beginnt mit einem Proportionalvergleich, wie er auch in Schlegels ‚Lyceums‘- und ‚Athenäums‘-Fragmenten öfters begegnet. 15: 160,15–21 einen Buchstaben !…" eines Geistes] Siehe Anm. 15,16 zu L69. 15: 160,18 Bedarf der mystische Souverain nicht, wie jede Idee, eines Symbols] Vgl. BL65, wo vom ‚mystischen Staatsindividuum‘ die Rede ist, und siehe Anm. 34,11f. und 34,4 zu A121 (‚Mystik‘, ‚Idee‘).

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15: 160,21–23 Wer recht viel Geist hat, den hemmen Schranken und Unterschiede nicht; sie reizen ihn vielmehr] Vgl. GL3 zum „Gedankenreiz“. 15: 160,25 Alteration] Aufregung. 15: 160,27 die primitive Wahl] ‚Primitiv‘ bedeutet hier: ursprünglich; gemeint ist in diesem Zusammenhang vielleicht die Erwählung durch das Schicksal. Vgl. BL76 zum Motiv der Wahl. 15: 160,29f. Wer hier mit seinen historischen Erfahrungen angezogen kömmt, weiß gar nicht, wovon ich rede] Der Schlußteil des Fragments knüpft an GL1–3 an, die sich ebenfalls an ein ausgewähltes, ‚eingeweihtes‘ Publikum wenden. 15: 160,13–32 Ein wahrhaftes Königspaar !…" fremd ist] -- Kuhn, Apokalyptiker, S.13; Kurzke, Konservatismus, S.165–170; Schierbaum, S.466–474; T.Schultz, S.91f.; Stockinger, WTB3, S.385; Uerlings, Hardenberg, S.563–565; Wiethölter, S.654. 16: 160,33–40 Meinethalben mag jetzt der Buchstabe an der Zeit seyn !…" der Geist wird die Gespenster !…" verscheuchen] In diesem Fragment stellt Novalis die Gegenwart als naturfernes Zeitalter des bloßen ‚Buchstabens‘ und die künftige (utopische) „Zeit des ewigen Friedens“, in der der ‚Geist‘ zur Herrschaft gelangen soll, einander gegenüber. 16: 160,35f. Wie würden unsre Kosmopoliten erstaunen, wenn ihnen die Zeit des ewigen Friedens erschiene] Vgl. zu den Kosmopoliten bzw. zum Kosmopolitismus BL57 und GL23. Den historischen Hintergrund dieses Fragments bilden die zeitgenössischen Pläne für eine internationale Friedensordnung, wie sie etwa Kant in seiner Schrift Zum ewigen Frieden (1795f.; KA11, S.191–251) anstrebt; als Voraussetzung dauerhaften Friedens fordert er eine ‚republikanische‘ Verfassung (wohl im Sinne einer konstitutionellen Monarchie). 16: 160,37 die höchste gebildetste Menschheit] In seinem Versuch über den Republikanismus (1796; KFSA7, S.11–25), der von Kants Friedensschrift (siehe die vorige Anm.) angeregt wurde, ordnet Friedrich Schlegel die Monarchie einer unausgebildeten Kulturstufe zu. Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘). 16: 160,33–41 Meinethalben !…" zusammen schmelzen] Siehe auch Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘), 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘), 26,31 zu A50 (‚Liebe‘) und 93,5f. zu Id122 (‚Familie‘); vgl. Id122 über die Familie. -- Kuhn, Apokalyptiker, S.146; T.Schultz, S.93; Stockinger, WTB3, S.385f. 17: 160,42f. Der König ist das gediegene Lebensprinzip des Staats !…" was die Sonne im Planetensystem] Vgl. zum Bild des Planetensystems u.a. auch GL18, 68 und ET432–434. 17: 161,1 Lichtatmosphäre] Die zeitgenössische Naturwissenschaft warf die Frage auf, ob die Sonne eine Atmosphäre besitze. 17: 160,42–161,14 Der König !…" monarchische Form hat] -- Kuhn, Apokalyptiker, S.130 und 139; Schierbaum, S.474–478; Stockinger, WTB3, S.386. 18: 161,15 Jeder Staatsbürger ist Staatsbeamter] Die Staatstheorie seit Thomas Hobbes (1588–1679) trennt die eigentliche Staatlichkeit vom privaten

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Leben und wirft damit das Problem auf, wie Staat und Gesellschaft, Moral und Politik zu vermitteln sind. 18: 161,16 Man hat sehr unrecht, den König den ersten Beamten des Staats zu nennen] Friedrichs II. Selbstverständnis als König von Preußen war es, „der erste Diener und der erste Beamte des Staats“ zu sein. (Mémoires de Brandebourg. In: Oeuvres, hg. von J.D.E.Preiß, Bd.1, 1846, S.123.) Vgl. zu diesem Gedanken auch BL76. 18: 161,21f. Die Monarchie ist deswegen ächtes System, weil sie an einen absoluten Mittelpunct geknüpft ist] Vgl. hierzu das Bild des Planetensystems im vorigen Fragment, und siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘), 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘) und 21,4 zu L123 (‚absolut‘). 18: 161,23f. Der König ist ein zum irdischen Fatum erhobener Mensch] Vgl. T14 zum Begriff des Fatums. 18: 161,15–29 Jeder Staatsbürger !…" Abkunft?] Vgl. GL22 und Schlegel, A213f. -- Kuhn, Apokalyptiker, S.137; Kurzke, Konservatismus, S.170–173; Peter, Aufklärung, S.85; Schierbaum, S.478–480 und 525f.; T.Schultz, S.90f.; Stockinger, WTB3, S.387. 19: 161,31 jeder Mensch, als Bürger characterisirt] ‚Charakterisieren‘ bedeutet im damaligen Sprachgebrauch auch ‚mit den Zeichen eines Amts oder eines Rangs versehen‘. 19: 161,30–33 Ein großer Fehler !…" unsrer Natur nicht] -- Kuhn, Apokalyptiker, S.141; Schierbaum, S.486; Stockinger, WTB3, S.387. 20: 161,34–36 Ein Regent kann für die Erhaltung seines Staats !…" zu individualisiren sucht] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). -- Kuhn, Apokalyptiker, S.141. 21: 161,37f. Die alte Hypothese, daß die Cometen die Revolutionsfackeln des Weltsystems wären] H.Kurzke (Konservatismus, S.151) verweist im Zusammenhang mit diesem Fragment auf Johann Samuel Traugott Gehler, Physikalisches Wörterbuch, Bd.2, S.793f.; dort wird dem alten Aberglauben, daß Kometen Unglück brächten oder ankündigten, die „neue Theorie“ gegenübergestellt, daß Kometen die Sonne umkreisten, mit der Erde kollidieren oder sich ihr gefährlich nähern und dadurch Naturkatastrophen verursachen können. Vgl. ET437 und Görres, Schriftproben, S.318 (4),2a und S.326 (12),25b. Siehe Anm. 15,1f. zu L66 (‚revolutionär‘). 21: 162,1 Incitation] Reiz, Reizung; ein Terminus der Brownschen Physiologie. Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8. 21: 162,2f. daß !…" alles in Fluß gebracht wird, um neue nothwendige Mischungen hervorzubringen] Zum Gebrauch chemischer Begriffe wie ‚Mischung‘ und ‚Krystallisation‘ siehe Anm. 11,12–15 zu L32. Nach zeitgenössischer Auffassung ist die Auflösung fester Stoffe erforderlich, um eine neue ‚Mischung‘ oder Verbindung zu synthesieren oder auch um Metalle zu läutern. 21: 162,5 ein Stock] Grundstock. 21: 162,8 Wärmestoff] Eines der ‚imponderablen Fluida‘, die die damalige Naturwissenschaft als Träger von Magnetismus, Elektrizität, Licht, Wärme und ähnlichen Phänomenen annahm. Brennbar ist ein Stoff nach Auffassung der

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älteren, von der Phlogistontheorie dominierten Chemie, wenn er den Wärmestoff enthält. Vgl. auch F.X.von Baader, Vom Wärmestoff (1786). 21: 162,12 Fieberzustand] Vgl. GL46 und 48, und siehe zu Browns Reizlehre Anm. 142,1–3 zu BL8. 21: 161,37–162,14 Die alte Hypothese !…" zweifeln] -- Kuhn, Apokalyptiker, S.127; Kurzke, Konservatismus, S.151–156; Schierbaum, S.528f.; Stokkinger, WTB3, S.387f. 22: 162,16f. daß kein König ohne Republik, und keine Republik ohne König bestehn könne] Vgl. zu diesem Gedanken GL18 und A213f.; Friedrich Schlegel nennt in seiner Republikanismus-Schrift „die größtmögliche Beförderung des Republikanismus“ als Aufgabe der Monarchie und als ihr Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem Despotismus (KFSA7, S.558). Siehe Anm. 14,40 zu L65 (‚republikanisch‘). 22: 162,15–21 Es wird eine Zeit kommen !…" König seyn] -- Link, Abstraktion, S.66; Schierbaum, S.526f.; T.Schultz, S.89f. 23: 162,23 nirgends Heil statuiren, als in der neuen, französischen Manier] Siehe Anm. 13,12f. zu L45 über die Franzosen, 9,16f. zu L7 und 16,28 zu L83 (‚Manier‘). 23: 162,23f. die Republik nur unter der representativen Form erkennen] Novalis knüpft hier an Friedrich Schlegels Republikanismus-Aufsatz (1796; KFSA7, S.11–25) an, der sich mit dem Verhältnis des Republikanismus zur politischen Repräsentation auseinandersetzt. Siehe Anm. 14,40 zu L65 (‚republikanisch‘) und 151,17f. zu BL76 (‚Repräsentant‘). 23: 162,25 Direktorium und Räthe] Zwischen 1795 und 1799 war das fünfköpfige Direktorium, gewählt vom ‚Rat der Fünfhundert‘, oberstes Regierungsgremium im revolutionären Frankreich. Vgl. zum Direktorium auch Lg25. 23: 162,26 Munizipalitäten und Freiheitsbäume] Munizipalitäten hießen in der Französischen Revolution Magistrate in den Gemeinden als Organe der Selbstverwaltung, seit 1794 gab es sie auch in den eroberten linksrheinischen Gebieten Deutschlands. Freiheitsbäume wurden von den Amerikanern im Unabhängigkeitskrieg und von den Jakobinern in der Französischen Revolution gepflanzt. 23: 162,26f. armselige Philister !…" Herzen] Vgl. BL77. Siehe Anm. 204,2–7 zu T62 (‚Herz‘). 23: 162,28f. Maske des Kosmopolitismus] In der zeitgenössischen Diskussion gehören Republikanismus und Kosmopolitismus (vgl. GL16 und BL57) zu den Faktoren, die als Voraussetzung zur Verwirklichung einer internationalen Friedensordnung genannt werden. Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden (1795; KA11, S.BA20–22). 23: 162,29 Obscuranten] ‚Dunkelmänner‘. In der satirischen Schrift Epistolae obscurorum virorum (1515/17) auf die Gegner des Humanismus bezogen. Im späten 18. Jahrhundert wird diese Bezeichnung auf die Feinde der Aufklärung angewandt. 23: 162,30 der Frosch- und Mäusekrieg] Der Froschmäusekrieg (Batrachomyomachia), komisches Heldenepos, Parodie der Ilias. Vgl. auch Georg Rollenhagens (1542–1609) politisch-satirisches Epos Der Froschmäuseler (1595).

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23: 162,22–30 Diejenigen, die in unsern Tagen !…" versinnlicht werde] -Samuel, NO2, S.751; Schulz, Werke, S.757; Stockinger, WTB3, S.389. 24: 162,31f. Wird nicht der König schon durch das innige Gefühl Ihres Werths zum König?] Das Pronomen „Ihres“ bezieht sich auf die Königin. Vgl. in den Blumen das Distichon Der König. -- Kuhn, Apokalyptiker, S.139; Schierbaum, S.480. 25: 162,35 Ephemeren] Eintagsfliegen. 25: 162,37 Interregna] Zwischenregierungen, vorläufige Regierungen. 25: 162,37 das rothe, heilige Wachs] Siegellack. 25: 162,33–38 Was bey andern Fürsten !…" die Befehle sanctionirt] -Schierbaum, S.481; Stockinger, WTB3, S.389. 26: 162,39 Irwische] Irrlichter. 26: 162,39–43 Was sind Orden !…" bekommen] -- Schierbaum, S.481f. 27: 163,8f. Anstalten seiner Corruption] Die Berliner Bordelle. 27: 163,19f. Die glücklichen Ehen werden immer häufiger] Vgl. A34 und siehe Anm. 25,20 dazu. 27: 163,22 Ethometer] Analog zum Eudiometer (GL9) ein Gerät zur Messung der Moralität. 27: 163,25 Distinktion] Auszeichnung. 27: 163,1–27 Die Königin !…" der Sitten] Vgl. zur Huldigung der Königin auch GL26–32 und 42f. -- Kuhn, Apokalyptiker, S.140; Schierbaum, S.482f.; Stockinger, WTB3, S.389f. 28: 163,31f. wo der König und die Intelligenz des Staats nicht mehr identisch sind] Vgl. GL38. 28: 163,36 Sinn für dieses klassische Menschenpaar] Siehe Anm. 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘) und 10,2 zu L13 (‚klassisch‘). 28: 163,37 Wirken diese Genien nichts] Novalis faßt den historischen Augenblick des Regierungsantritts als heilsgeschichtliche Entscheidungssituation auf. „Hier gilt der prophetische Aufruf der preußischen Intelligenz, den geschichtlichen ‚Kairos‘ des Regierungswechsels nicht ungenutzt vorübergehen zu lassen“ (Stockinger, WTB3, S.390). Siehe Anm. 157,27 zu den Genien. 28: 163,28–41 Von der öffentlichen Gesinnung !…" edlern Generationen bevorsteht] -- Link, Abstraktion, S.67; Schierbaum, S.483f.; T.Schultz, S.92. 29: 164,3 Feder] Triebfeder. 29: 164,4 fournirt] Erwirbt. 29: 164,8 eins mit ihrem Herzen] Siehe Anm. 204,2–7 zu T62 (‚Herz‘). 29: 164,14 Maitre des Plaisirs] Leiter und Organisator von höfischen Festen und unterhaltsamen Veranstaltungen. – „Das Prinzip der Repräsentation der Idee des Königtums durch das höfische Fest gehört zu den Wesensmerkmalen der neuzeitlichen Monarchie. N., der mit seinem Repräsentationsbegriff dieser Idee nahesteht, versucht hier, die höfische Repräsentation mit romantischer Ästhetik und Moral zu verbinden“ (Stockinger, WTB3, S.390). 29: 163,42–164,19 Der Hof !…" zu wissen] -- Schierbaum, S.484f. 30: 164,20 Jede gebildete Frau] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 18,30 zu L106 über die Frauen.

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30: 164,22 Urbild] Vgl. Plato, Politeia, 7.Buch, Kap.1–5, wo dieser Begriff im Höhlengleichnis geprägt wird. 30: 164,27 wie sonst die Alten es mit ihren Göttern thaten] Vgl. BL74 und siehe Anm. 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘). 30: 164,27f. ächte Religiosität] Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘) und 84,9 zu Id4 (‚Religion‘). 30: 164,20–30 Jede gebildete Frau !…" ächter Patriotism entstehen] -Schierbaum, S.486; Stockinger, WTB3, S.390. 31: 164,31 Die Gruppe von Schadow] Johann Gottfried Schadow (1764–1850) vollendete 1797 seine Marmorgruppe Kronprinzessin Luise und Prinzessin Friederike von Preußen für das königliche Schloß in Berlin. 31: 164,32 eine Loge der sittlichen Grazie] Vgl. Schillers Abhandlung Über Anmut und Würde (1793; NA20, S.251–308). 31: 164,31–36 Die Gruppe von Schadow !…" ihres Geschlechts] -- Stokkinger, WTB3, S.390. 32: 164,37–42 Sonst mußte man sich vor den Höfen !…" flüchten. !…" Um eine trefliche Frau zu finden, mußte ein behutsamer junger Mann sonst in die entlegenern Provinzen !…" gehn] Hardenberg denkt wohl an seine eigene Werbung um Sophie von Kühn in Grüningen. 33: 165,1f. Dieser König ist der Erste König von Preußen !…" Negotiationen] Negotiationen sind Unterhandlungen oder Verhandlungen; „hier wohl im Sinne der Verschaffung von Legitimation durch Privilegien und Wahlkapitulationen in Wahlmonarchien“ (Stockinger, WTB3, S.390). 36: 165,7f. Kein Staat ist mehr als Fabrik verwaltet worden, als Preußen, seit Friedrich Wilhelm des Ersten Tode] König Friedrich Wilhelm I. von Preußen (1688–1740). Ihm folgten auf dem Thron Friedrich Wilhelm II. (1744–1797), den dieses Fragment kritisiert, und Friedrich Wilhelm III. (1770–1840). 36: 165,8f. maschinistische Administration] Auf das Staatswesen bezogen nimmt die Maschinen-Metapher Ende des 18. Jahrhunderts negative Bedeutung an. Novalis setzt der Auffassung von der Staats-‚Maschinerie‘ die des lebendigen Organismus entgegen. Siehe Anm. 148,33–35 zu BL65. 36: 165,11 Das Prinzip des alten berühmten Systems] Gemeint sind vielleicht die Gesellschaftstheorien des Physiokratismus. Im Egoismus erblicken z.B. John Locke, C.A.Helvétius, Adam Smith und Rousseau das wichtigste Antriebsmoment des Menschen, das es für den Staat in Dienst zu nehmen gilt. -- Kurzke, Konservatismus, S.140–143. 36: 165,16 Quadratur des Zirkels] Siehe Anm. 217,24–26 zu AB935. 36: 165,21 der Keim der Revolution unserer Tage] Siehe Anm. 15,1f. zu L66 (‚revolutionär‘). 36: 165,22–25 Mit wachsender Kultur !…" zurückgeblieben war] Ähnliche Vorstellungen finden sich in Schillers Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795; NA20, S.319–321 (5.Brief)). 36: 165,36 Imbecillität] Schwachsinn mittleren Grades. 36: 165,41f. Uneigennützige Liebe im Herzen] Siehe Anm. 26,31 zu A50 (‚Liebe‘) und 204,2–7 zu T62 (‚Herz‘).

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36: 165,43f. was ist die Staatsverbindung anders, als eine Ehe?] Vgl. hierzu ergänzend GL37, 40, 60f., 67 zur Vorstellung des Staats als Familie und zum Ideal des väterlichen Fürsten. Siehe Anm. 25,20 zu A34 (,Ehe‘). 36: 165,7–44 Kein Staat !…" als eine Ehe?] -- Kuhn, Apokalyptiker, S.134f.; Schierbaum, S.448–456; Stockinger, WTB3, S.391; Kurzke, Konservatismus, S.137–151. 37: 166,1 Ein König muß, wie ein Vater, keine Vorliebe zeigen] Vgl. zum Gedanken der väterlichen Fürsorge des Fürsten GL60–62. 37: 166,7f. Zu Directorialposten kann man sich nirgends so bilden, als im Kabinet] Direktorialposten sind leitende Posten im Staat, das Kabinett ist der engste Kreis von Beratern eines Fürsten. Im aufgeklärten Absolutismus war in den deutschen Staaten das Kabinett von den eigentlichen Verwaltungsbehörden getrennt (in Preußen wurde es seit 1723 ‚Generaldirektorium‘ genannt). Die Entscheidungen des Fürsten wurden durch ‚Kabinettsminister‘ an diese Behörden vermittelt. -- Schierbaum, S.486f.; Stockinger, WTB3, S.391. 37: 166,12f. infalliblen Werth] Unfehlbaren, untrüglichen Wert. 37: 166,1–32 Ein König !…" zu werden] Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘), 14,40 zu L65 (‚republikanisch‘), 153,19 zu BL89 (‚Berührung‘), 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘), 26,31 zu A50 (‚Liebe‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). -Kuhn, Apokalyptiker, S.142. 38: 166,36 diesen höchsten Styl der Menschheit] Siehe Anm. 18,25 zu L104 (‚Styl‘) und 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘). 38: 167,11 inspissirten Stoffs] Inspissiert: konzentriert, komprimiert, verdichtet. Ein Terminus aus dem Bereich der Metallurgie. -- Stockinger, WTB3, S.391. 38: 167,13 divinatorisch] Vorausahnend. 38: 166,33–167,14 Einen König !…" Gesinnung werden!] -- Schierbaum, S.498f. 39: 167,15 Ein wahrhafter Fürst ist der Künstler der Künstler] Siehe Anm. 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘) über die potenzierenden Formeln der Frühromantiker. 39: 167,16f. Jeder Mensch sollte Künstler seyn. Alles kann zur schönen Kunst werden] Zum Postulat des allgemeinen Künstlertums siehe Anm. 59,16f. zu A321, und vgl. T44: „Jedes Geschäft muß künstlerisch behandelt werden“. 39: 167,20 exekutirt] Ausgeführt. 39: 167,15–26 Ein wahrhafter Fürst !…" Saitenspiel stimmt] -- Kuhn, Apokalyptiker, S.143; Schierbaum, S.500f. 40: 167,27f. In unsern Zeiten haben sich wahre Wunder der Transsubstantiation ereignet] Ein zentraler Begriff der katholischen Abendmahlslehre, der zufolge die Worte des Priesters Brot und Wein substantiell in Leib und Blut Christi verwandeln. 40: 167,28 Verwandelt sich nicht ein Hof in eine Familie] Siehe Anm. 93,5f. zu Id122 (‚Familie‘) und vgl. das vorige Fragment zur väterlichen Rolle des Fürsten.

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40: 167,27–29 In unsern Zeiten !…" ewigen Herzensbund?] -- Schierbaum, S.488f.; Stockinger, WTB3, S.391. 41: 167,30 Wenn die Taube, Gesellschafterin und Liebling des Adlers wird] Die Taube ist ein biblisches Sinnbild des Friedens (Gen.8,10); der Adler verkörpert in der antiken Literatur königliche Macht. Bei Lactantius (Epitome Divinarum Institutionum, Kap.72,5; Patrologiae Cursus completus, series latina, hg. v. Jacques-Paul Migne, Paris 1844ff., Bd.6, Sp.1091f.) steht die Gemeinschaft von Taube und AdIer exemplarisch für den Tierfrieden des goldenen Zeitalters oder des tausendjährigen Reichs. -- Mähl, Idee, S.332. 41: 167,30f. die goldne Zeit] Siehe Anm. 49,10 zu A243. 41: 167,30–32 Wenn die Taube !…" allgemein verbreitet] -- Mähl, Idee, S. 331f.; ders., Der poetische Staat, S.297; Stockinger, WTB3, S.391f. 42: 167,33–36 Wer den ewigen Frieden jetzt sehn und lieb gewinnen will !…" fesseln läßt] Vgl. Kants Schrift Zum ewigen Frieden (1795f.; KA11, S.191–251), auf die auch GL16 und Schlegel in Id42 anspielen. -- Mähl, Idee, S.332; Schierbaum, S.489f. 43: 167,39 Nataliens Lehrjahre] Die weibliche Hauptfigur in Wilhelm Meisters Lehrjahre heißt Natalie. Die geforderte Biographie der Königin wäre also wohl als Gegenstück zu Goethes Roman zu denken. Vgl. besonders VIII.Buch, 3. Kapitel, über Natalie: „Ihre Gegenwart hatte den reinsten Einfluß auf junge Mädchen und Frauenzimmer von verschiedenem Alter !…"“ (WA I 23, S.175). Zu Nataliens hervorragendsten Wesenszügen gehörte es, daß sie „überall die Bedürfnisse der Menschen sah, und ein unüberwindliches Verlangen empfand sie auszugleichen“ (ebd., S.176). Vgl. auch Vorarbeiten 145. 43: 167,40f. Ideale müssen sich gleichen] Siehe Anm. 75,3 zu A412 (‚Ideal‘). 43: 167,37–41 Was ich mir !…" gleichen] -- Mähl, Wilhelm-Meister-Studien, S.294; Schierbaum, S.508–510; Stockinger, WTB3, S.392. 168,1 Politische Aphorismen] Ebenso wie Schlegel unterscheidet Novalis sehr klar zwischen Fragment und Aphorismus. Tatsächlich lassen sich zwischen den Politischen Aphorismen und den Fragmenten der Sammlung Glauben und Liebe stilistische und kompositorische Unterschiede feststellen. (Vgl. hierzu in der Einleitung zu diesem Kapitel den Abschnitt „Struktur und Gehalt“.) In den Politischen Aphorismen formuliert Novalis allgemeinere Einsichten und ‚Lehrsätze‘ über den Staat, der Duktus der Huldigung, die einem idealen Königspaar dargebracht wurde, weicht nüchternen, schonungslosen Analysen der Gesellschaft und Reflexionen über den Staat. Im Unterschied zu den vorausgegangenen Fragmenten, die in symbolisch verrätselter Bildsprache das Ideal des Monarchenpaars feiert, können die Äußerungen im dritten Teil der Sammlung kaum mehr als Panegyrik (miß)verstanden werden. - - Matala de Mazza, S. 253f. 45: 168,4f. Genau haben die meisten Revolutionisten gewiß nicht gewußt, was sie wollten] Siehe Anm. 15,1f. zu L66 (‚revolutionär‘). 46: 168,6 Revolutionen beweisen eher gegen die wahre Energie einer Nation] Siehe Anm. 15,1f. zu L66 (‚revolutionär‘).

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46: 168,6f. Es gibt eine Energie aus Kränklichkeit und Schwäche] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 über die Brownsche Reizlehre. -- Kurzke, Konservatismus, S.156f. 48: 168,12 aus der disproportionellen Stärke der Glieder des Staats] Siehe Anm. 148,33–35 zu BL65 über Hardenbergs organische Staatsmetaphorik. 50: 168,18 Was sind Sklaven? Völlig geschwächte, comprimirte Menschen] Komprimiert bedeutet in diesem Zusammenhang ‚niedergedrückt‘. 50: 168,19 Durch heftige Reizungen incitirte Sklaven] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 zum Einfluß des Mediziners John Brown auf Novalis. 50: 168,21 phrenitisch, hirnwüthig] Phrenetisch bedeutet wahnsinnig. 50: 168,23 wie Dionysius und Krösus kurirt wurden] Dionysios II. (396–337 v.Chr.), Tyrann von Syrakus, wurde 357 von Dion gestürzt. Vgl. C.M.Wielands Agathon, Buch10, Kapitel 3. – Krösus (591/90–541 v.Chr.), sprichwörtlich reicher König von Lydien, von Kyros 547 besiegt und gefangengesetzt. 50: 168,25f. Sultane und Sklaven sind das Extrem !…" ächten Cyniker] In seinem Lessing-Aufsatz (1797) nennt Friedrich Schlegel „die Sultanschaft !…" eine recht zynische Profession“ (KFSA2, S.124). Siehe Anm. 14,28 zu L59 (‚cynisch‘). 50: 168,29f. die Repräsentanten der beiden Krankheitsformen einer sehr schwachen Constitution] Siehe Anm. 151,17f. zu BL76 (‚Repräsentant‘) und 168,31f. zu GL51 (‚Konstitution‘). 50: 168,18–30 Was sind Sklaven? !…" Constitution] -- Kuhn, Apokalyptiker, S.138; Kurzke, Konservatismus, S.158f.; Schierbaum, S.457f.; Stockinger, WTB3, S.392. 51: 168,31f. Die gesundeste Constitution unter einem Maximum von Reizen repräsentirt der König] Den Begriff der Konstitution gebraucht Novalis im doppelten, medizinischen und staatsrechtlichen Sinn, vgl. auch BL94, VB114, 122, GL15, 50, 55, Lg25, FD202, Vorarbeiten 220, 235, 240, 242, T46, 50, 103, AB89, 91, 182, 192, 250, 270f. u. ö. – Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 über die Brownsche Reizlehre und 151,17f. zu BL76 (‚Repräsentant‘). 51: 168,32 der ächte Cyniker] Siehe Anm. 142,9–13 (‚ächt‘) und 14,28 zu L59 (‚cynisch‘). 51: 168,31–36 Die gesundeste Constitution !…" ist er König] Vgl. das vorige Fragment, GL53 und 55 sowie Vorarbeiten 235. -- Kuhn, Apokalyptiker, S.123; Kurzke, Konservatismus, S.163f. 52: 168,37 Alle Reize sind relativ] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 über die Brownsche Reizlehre. 53: 168,39–169,2 Die vollkommenste Constitution !…" absolute Liebe] Das Fragment knüpft an GL51 und 52 an; vgl. auch Vorarbeiten 130. Siehe Anm. 168,31f. zu GL51 (‚Konstitution‘), 142,1–3 zu BL8 über die Brownsche Reizlehre, 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). -- Kuhn, Apokalyptiker, S.122. 54: 169,3 Ein Cyniker und ein König ohne sie] Das Fragment knüpft an das vorige an; vgl. auch GL50f. Siehe Anm. 14,28 zu L59 (‚cynisch‘).

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55: 169,4f. Jede Verbesserung unvollkommener Constitutionen läuft daraus hinaus, daß man sie der Liebe fähiger macht] Siehe Anm. 168,31f. zu GL51 (‚Konstitution‘) und 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). 56: 169,6 Der beste Staat besteht aus Indifferentisten dieser Art] Vgl. hierzu den Brief Hardenbergs an Friedrich Schlegel vom 11.5.1798: „Ich habe in beyfolgenden Bogen irgendwo Deinen Begriff vom Cyniker gebraucht – aber das Wort war in der Verbindung anstößig – mit Deiner Erlaubniß – und da hab ich mir die Freyheit genommen, es mit einem Andern zu vertauschen; was freylich nicht so gut ausdrückt, aber nicht so cynisch ist“ (KFSA24, S.130). Das Fragment knüpft an GL53 an und steht auch mit dem nachfolgenden Text in enger Verbindung. 57: 169,7–13 In unvollkommenen Staaten !…" überall willkommen] Vgl. das vorige Fragment zur Rolle des Cynikers im „beste!n" Staat“. -- Kuhn, Apokalyptiker, S.123. 58: 169,15f. Der jetzige Streit über die Regierungsformen !…" der blühenden Jugend] Vgl. GL59f. und 68 zur Zuordnung der Staatsformen zu den Lebensaltern. 59: 169,17 Republik ist das Fluidum deferens der Jugend] Siehe Anm. 14,40 zu L65 (‚republikanisch‘). Der naturwissenschaftliche Terminus Fluidum deferens bezeichnet eine (Elektrizität) leitende Flüssigkeit. 59: 169,17f. Wo junge Leute sind, ist Republik] Vgl. BL97. 59: 169,17f. Republik ist !…" Republik] -- Stockinger, WTB3, S.393. 60: 169,20f. er wünscht, als Familie !…" zu leben] Siehe Anm. 93,5f. zu Id122 (‚Familie‘). Vgl. die beiden folgenden Fragmente und GL37. 60: 169,19–21 Mit der Verheirathung ändert sich das System !…" ächte Monarchie] Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘) und 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘). -- Schierbaum, S.491. 61: 169,22 Ein Fürst ohne Familiengeist ist kein Monarch] Vgl. GL37, 60 und 62. Siehe Anm. 93,5f. zu Id122 (‚Familie‘). 62: 169,23f. Aber wozu !…" ausgesetzt?] -- Kurzke, Konservatismus, S.188. 63: 169,25f. In allen relativen Verhältnissen ist das Individuum !…" der Willkühr ausgesetzt] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 10,9 zu L16 (‚Willkür‘). „Hier wird signalisiert, daß nun nicht mehr vom absoluten Ideal, sondern von der empirischen Wirklichkeit und damit von der Frage gehandelt wird, wie in ihr die Vorzüge und Nachteile von Monarchie und Demokratie abgewogen werden können. Die Monarchie ist in ‚Glauben und Liebe‘ also nicht nur symbolische Repräsentation des Ideals“ (Stockinger, WTB3, S.393). 63: 169,28–30 In der vollkommenen Demokratie steh ich unter sehr vielen, in repräsentativer Demokratie unter Wenigern] ‚Vollkommene Demokratie‘ wäre in diesem Zusammenhang wohl als plebiszitäre Demokratie zu verstehen. Novalis schließt sich Kants Auffassung an, daß Demokratie ohne Gewaltenteilung Despotie sei, denn „Nicht der Allgemeinwille, sondern der Privatwille der Vielen, die die Mehrheit bilden, setzt sich als heteronomer Zwang durch. !…" Es kommt nach dieser Kritik nur mehr darauf an, den Glauben zu erwecken, daß der

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Wille des Monarchen in der Monarchie nicht Privatwille, sondern Approximation an den Allgemeinwillen sei“ (Stockinger, WTB3, S.394). 63: 169,25–30 In allen relativen Verhältnissen !…" Schicksale] -- Stokkinger, WTB3, S.393f. 65: 169,33f. Wenn Solon und Lycurg wahre, allgemeine Gesetze !…" gegeben haben] Solon (um 640 – um 560 v.Chr.) war in Athen, Lykurg dem Mythos zufolge in Sparta Gesetzgeber. 65: 170,4 alle Künste und Wissenschaften] Siehe Anm. 10,10 zu L16. 65: 169,33–170,11 Wenn Solon !…" Virtuosität zu machen] -- Stockinger, WTB3, S.394. 66: 170,12f. Aber die Vortrefflichkeit der repräsentativen Democratie ist doch unläugbar] Das Fragment setzt die in GL63 begonnene Diskussion um repräsentative und plebiszitäre Demokratie fort. 66: 170,14 Die vortrefflichsten Menschen] „Hier referiert N. die schon von J.Locke formulierte These, daß durch die freie öffentliche Diskussion sich Wahrheit und Moralität von selbst durchsetzen werden. !…" Der Verlauf der Französischen Revolution schien für die deutschen Beobachter diese These zu widerlegen“ (Stockinger, WTB3, S.394f.). 66: 170,16 Emanationen] Emanation, Ausfluß, ist ein Terminus der neuplatonischen und gnostischen Lehre und besagt, daß alle Dinge aus dem unveränderlichen, vollkommenen göttlichen Einen hervorgehen. -- Stockinger, WTB3, S.364. 66: 170,12–17 Aber die Vortrefflichkeit !…" realisirt] -- Kurzke, Konservatismus, S.188f. 67: 170,29 Courmacher] Jemand, der einem vornehmen Herrn seine Aufwartung macht. 67: 170,18–44 Zuerst zieh ich !…" Eine Familie!] Siehe Anm. 151,17f. zu BL76 (‚Repräsentant‘) und 93,5f. zu Id122 (‚Familie‘). -- Kurzke, Konservatismus, S.187–190; Schierbaum, S.458f. und 492–494; Stockinger, WTB3, S.394f. 68: 171,1 Demokratie !…" Monarchie] Vgl. A214 und siehe dazu Anm. 44,24f. 68: 171,3f. Das junge Volk steht auf der Seite der erstern, gesetztere Hausväter auf der Seite der zweiten] Vgl. GL58 und Goethes Gespräch mit Eckermann, 15.7.1827: „In der Jugend, wo wir nichts besitzen, oder doch den ruhigen Besitz nicht zu schätzen wissen, sind wir Demokraten. Sind wir aber in einem langen Leben zu Eigentum gekommen, so wünschen wir dieses nicht allein gesichert, sondern wir wünschen auch, daß unsere Kinder und Enkel das Erworbene ruhig genießen mögen. Deshalb sind wir im Alter immer Aristokraten ohne Ausnahme, wenn wir auch in der Jugend zu anderen Gesinnungen hinneigten.“ (FAII12(39), S.257.) 68: 171,9f. von einer friedlicheren Welt angezogen, wo eine Centralsonne den Reigen führt] Vgl. GL17 zum Bild des Sonnensystems und dessen Übertragung auf den Staat. 68: 171,12 incliniren] Zu etwas hinneigen.

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68: 171,16f. politischer Entheism und Pantheism als Wechselglieder !…" verbunden] Siehe Anm. 150,44 zu BL74 über den ‚Entheismus‘ und 118,6 zu PhL [II] 193 (‚Wechselgrundsatz‘). 68: 171,1–7 Jetzt scheint die vollkommene Demokratie !…" verbunden sein werden] -- Schierbaum, S.529f.

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Aus den Fichte-Studien

Textgrundlage und Textüberlieferung In Friedrich von Hardenbergs Nachlaß finden sich mehrere Konvolute mit 667 Aufzeichnungen, die sich mit Fichtes Philosophie auseinandersetzen. Aus den letzten beiden der sechs erhaltenen Handschriftengruppen dieser Fichte-Studien werden im vorliegenden Band die Nummern 553–639 abgedruckt. Sie wurden ausgewählt, weil sie bereits einen relativ selbständigen Umgang mit Fichtes Texten erkennen lassen und die Handschrift K25–28 (Nr.566–568) einen weitreichenden philosophischen Entwurf auf Fichtescher Grundlage enthält. Vollständig veröffentlicht wurden die Fichte-Studien zuerst in der von Paul Kluckhohn und Richard Samuel herausgegebenen Werkausgabe: Novalis Schriften, im Verein mit Richard Samuel hg. von Paul Kluckhohn. Nach den Handschriften ergänzte und neugeordnete Ausgabe, Leipzig 1929, Bd.2, S.103–283. Hans-Joachim Mähl gelang es, in der neuen Edition der Schriften Friedrich von Hardenbergs die wahrscheinlich ursprüngliche Ordnung der Aufzeichnungen wiederherzustellen. Als Textgrundlage der vorliegenden Edition dient der revidierte Text der Fichte-Studien in der historisch-kritischen Ausgabe: Novalis Schriften. Die Werke von Friedrich von Hardenberg, hg. von Paul Kluckhohn (†) und Richard Samuel. Zweiter Band: Das philosophische Werk I, hg. von Richard Samuel in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz, revidiert von Richard Samuel und Hans-Joachim Mähl, Stuttgart, Berlin, Köln und Mainz (W.Kohlhammer) 31981, S.265–284. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags W.Kohlhammer.

Entstehung Vermutlich beschäftigte sich Novalis bereits seit 1794, dem Erscheinungsjahr der Wissenschaftslehre, mit Fichtes Werk. Für diese Annahme spricht nicht nur Friedrich von Hardenbergs Interesse für die zeitgenössische, und insbesondere für die Kantische Philosophie, die er 1792 und 1793 während seines Studiums in Jena und Leipzig kennengelernt hatte, sondern auch die verwandtschaftlichen Beziehungen, die seine Familie mit der Familie von Miltitz, den Förderern Fichtes, verband (Mähl, NO2, S.30f.). Im Mai 1795 trafen sich Fichte, Hölderlin und Hardenberg im Haus des Philosophen und Theologen Friedrich Immanuel Niethammer. Dabei wurde „Viel über Religion gesprochen und über Offenbarung“, und man stimmte darin überein, „daß für die Philosophie hier noch viele Fragen offen bleiben“, notierte Niethammer in seinem Tagebuch (NO4, S.588). Möglicherweise trug diese Begeg-

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nung dazu bei, daß sich Friedrich von Hardenberg seit dem Sommer 1795 eingehend mit Fichte beschäftigte und seine Gedanken über dessen Philosophie aufzeichnete. In dieser Zeit – vom Spätherbst 1794 bis Ende 1795 – versah Hardenberg seinen Dienst als Aktuarius bei dem Kreisamtmann Coelestin August Just (1750–1822) in Tennstedt. Über seinen Aufenthalt in Tennstedt schreibt Hardenberg in seinem Lebenslauf, daß er seine „Nebenstunden alten Lieblingsideen und einer mühsamern Untersuchung der Fichtischen Philosophie widmete“. (An Julius Wilhelm von Oppel, Ende Januar 1800; NO 4, S. 311.) Einen weiteren Hinweis auf seine Fichte-Studien, mit deren Niederschrift er im Herbst 1795 begann, gibt Novalis in einem Brief an seinen Bruder Erasmus von Hardenberg vom 12.11. desselben Jahres: „Ich habe ohngefähr 3 Stunden des Tags frey i[d] e[st] wo ich für mich zu arbeiten wollen kann. Dringende Einleitungsstudien auf mein ganzes künftiges Leben, wesentliche Lücken meiner Erkenntniß und nothwendige Uebungen meiner Denkkräfte überhaupt nehmen mir diese Stunden größestentheils weg“ (NO4, S.159). Als Hardenberg Anfang 1796 als kursächsischer Salinenbeamter nach Weißenfels zurückkehrte, hatte er Gelegenheit, „in einer erträglichen Freyheit – mit hinlänglicher Muße !s"eine inneren Geschäfte fortzutreiben“. (An Friedrich Schlegel, 8.7.1796; NO4, S.187.) Dem Bruder Erasmus gegenüber erwähnt er am 27.2.1796 sein „System der Filosofie“, das jedoch „noch sehr der Feile“ bedürfe (ebd., S.172). Offenbar plante Hardenberg „Anmerkungen“ zu Fichtes Philosophie zu veröffentlichen (an Caroline Just, 10.4.1796; NO4, S.181), wobei ihm die Fichte-Studien als Materialgrundlage dienen sollten; ihr Druck wurde jedoch verschoben, als Fichtes Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre (1796) erschien, und kam schließlich nicht mehr zustande (Mähl, NO2, S.32–35). Im Sommer 1796 nahmen Hardenberg und Friedrich Schlegel nach längerer Unterbrechung wieder Kontakt miteinander auf und begannen, ihre Gedanken über die Fichtesche Philosophie auszutauschen. Sie schickten einander mehrmals Aufzeichnungen zu, und die Gespräche, die sie bei ihren Begegnungen in Weißenfels (29.7.–6.8.1796 und 18.–21.1.1797) und in Jena (Anfang Dezember 1796) führten, nannte Schlegel ihr ‚Fichtisieren‘ (an Hardenberg, 8.6.1797; NO4, S.487), das er in der Entfernung von Novalis schmerzlich entbehre. In der Zeit der erneuten Annäherung an Schlegel, im Sommer und Herbst 1796, entstanden die fünfte und sechste Gruppe der rund 400 Manuskriptseiten umfassenden Fichte-Studien, von denen in der vorliegenden Edition Nr.553–639 vorgestellt werden. Diese Aufzeichnungen verraten die gründliche Kenntnis von Fichtes Schriften, ohne daß sich jedoch im einzelnen immer Textstellen anführen ließen, auf die sich Hardenberg unmittelbar bezieht (Mähl, NO2, S.31). Mit Sicherheit liegt dem letzten Teil der Fichte-Studien die Lektüre folgender Schriften Fichtes zugrunde: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie (1794), Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794/5), Einige Vorlesungen über die Bestimmung der Gelehrten (1794), Grundriß des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre, in Rücksicht auf das theoretische Vermögen (1795), Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprunge der Sprache (1795)

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und die Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre (1796). Hardenberg war sich sehr wohl darüber im klaren, wieviel er Fichte verdankte. „Er ists, der mich weckte, und indirecte zuschürt“, schreibt er am 8.7.1796 an Friedrich Schlegel (NO4, S.188). Auch während der langen Krankheit seiner Braut empfand er seine philosophischen Studien als „eine unerschöpfliche Quelle von Trost und Beruhigung“. (An Erasmus von Hardenberg, 27.2.1796; NO4, S.172.) Und im Brief an Friedrich Schlegel finden sich die oft zitierten Sätze, mit denen Novalis dem Freund seine zweifache Bindung an Sophie (von Kühn) und an die ‚Filosofie‘ mitteilt: „Mein Lieblingsstudium heißt im Grunde, wie meine Braut. Sofie heißt sie – Filosofie ist die Seele meines Lebens und der Schlüssel zu meinem eigensten Selbst. Seit jener Bekanntschaft bin ich auch mit diesem Studio ganz amalgamirt“ (ebd., S.188). Überraschenderweise zeigen die Fichte-Exzerpte zur Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre und zum Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre (NO2, S.345–359) vom Frühjahr 1797 eine weitaus größere Nähe zu Fichtes Schriften als die frühen „Studien“ Hardenbergs, die weitgehend selbständige Meditationen darstellen. „Die Vermutung liegt nahe, daß sich Novalis unter dem Einfluß des Gedankenaustausches mit Friedrich Schlegel einem neuerlichen Studium Fichtes zugewendet hat“ (Mähl, NO2, S.301). Es führt ihn zu einer Vertiefung und Präzisierung seiner eigenen Ansichten (insbesondere der Leistung der Einbildungskraft), die erst in der Folgezeit schärfere Konturen gewinnen. Nach dem Tod Sophie von Kühns tritt Hardenbergs Auseinandersetzung mit Fichte in eine neue Phase. In seinem Brief an Friedrich Schlegel vom 14.6.1797 schließt er sich dessen kritischer Beurteilung der Wissenschaftslehre an und distanziert sich von deren Verfasser: „Fichte ist der Gefährlichste unter allen Denkern, die ich kenne. Er zaubert einen in seinem Kreise fest. Keiner wird, wie er mißverstanden und gehaßt werden !…" Du bist erwählt gegen Fichtes Magie die aufstrebenden Selbstdenker zu schützen. Ich hab es in der Erfahrung, wie sauer dieses Verständniß wird – Manchen Wink, manchen Fingerzeig, um sich in diesem furchtbaren Gewinde von Abstractionen zurechtzufinden, verdank ich lediglich Dir und der mir vorschwebenden Idee Deines freyen, kritischen Geistes“ (NO4, S.230). Während Schlegel allerdings zu dieser Zeit bereits seine „polemische Ansicht“ von Fichtes System relativiert (vgl. Schlegels Brief an Hardenberg vom 8.6.1797, NO4, S.487), rückt Novalis „immer mehr in !dessen" Gesichtspunct !der" W[issenschafts]L[ehre] hinein.“ (An Schlegel, 14.6.1797; NO4, S.230.) Sein Interesse konzentriert sich auf jenes „wunderbare!" Vermögen der productiven Einbildungskraft“ (FI1, S.208), das Novalis im Grund als weltschöpferisches Vermögen begreift.

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Wirkung Da Friedrich Schlegel und Hardenberg seit 1796 wieder in freundschaftlicher Verbindung standen und da beide ihr lebhaftes Interesse für philosophische Fragen verband, ist anzunehmen, daß Schlegel wenigstens einen Teil der Fichte-Studien kannte. Daß die Aufzeichnungen darüber hinaus rezipiert wurden, ist nicht zu belegen. Erst durch ihre Veröffentlichung im Jahr 1929 konnten die FichteStudien eine größere Anzahl von Lesern erreichen. Für Novalis selbst stellte die intensive Auseinandersetzung mit Fichte die Voraussetzung für sein ganzes weiteres Werk dar, das eine poetische Umsetzung der erarbeiteten philosophischen Position unternahm (Link, Fichte-Rezeption, S.364).

Struktur und Gehalt Die Fichte-Studien sind das Medium einer schöpferischen Aneignung der Fichteschen Philosophie, durch die Novalis schließlich zu seinem eigenen Denkstil fand. H.J.Balmes nennt diese Aufzeichnungen den „Ausdruck einer Selbstvergewisserung über die Grundlagen der Fichteschen Philosophie, die über die Gedankenfigur des ‚ordo inversus‘ und der Hypothese eines nicht-thetischen Bewußtseins zu einer eigenen Lösung der für Fichte zentralen Frage nach der Begründbarkeit des Selbstbewußtseins gelangt“ (WTB3, S.287). In der Auseinandersetzung mit Fichte entwickelt Hardenberg, ein „‚Schema‘ des Denkens“ (Striedter, S.43). Ein wichtiges Beispiel für die eigenständige Umformung und Weiterführung Fichtescher Ideen stellt die Denkbewegung des „ordo inversus“ dar (FSt36; siehe Anm. 10,4f. zu L14), die er aus Fichtes Reflexionsmodell ableitet (Mähl, NO2, S.92f.). Dabei zeichnen sich Hardenbergs Aufzeichnungen durch ihre Selbständigkeit gegenüber Fichte aus, womit sie dessen Forderung nach „Selbstthätigkeit“ (FSt251) erfüllen. In ihrer Form unterscheiden sich die Fichte-Studien von den Fragmenten im engeren Sinn, die durchweg erst später entstanden. Häufig bestehen die Aufzeichnungen aus Fragen und Antworten, so daß das Denken in einem inneren Selbstgespräch vorangetrieben wird. Als weiteres Merkmal neben dem quasi-dialogischen Charakter fällt in den Fichte-Studien das Moment der Selbstreflexion auf: Die einzelnen Aufzeichnungen kommentieren und prüfen sich selbst, der Schreiber beobachtet sich gewissermaßen selbst beim Denken. Er entspricht damit „Fichtens Foderung des Zugleich Denkens, Handelns und Beobachtens“ als dem „Ideal des Philosophirens“ (AB603). Außerdem steuert er als zweite Stimme seines inneren Dialogs Zwischenrufe in Form von adhortationes und Ermahnungen an sich selbst bei und übt sich so in der „Fertigkeit sich mit sich selbst zu besprechen“ (T87), mit der er sich in den Teplitzer Fragmenten beschäftigt (Mähl, NO2, S.93f.). Trotz gemeinsamer stilistischer Merkmale handelt es sich bei den Fichte-Studien nicht um einheitliche Texte, vielmehr spiegeln sie formal und thematisch die Entwicklung wider, die sich in Hardenbergs Denken zwischen dem Herbst 1795

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und 1796 vollzog. Während die erste Handschriftengruppe aus längeren zusammenhängenden Texten besteht, in denen das Bemühen um eine systematische Entwicklung der Gedanken sichtbar wird, herrschen in der dritten und vierten Gruppe über längere Strecken hinweg knappe, stichwortartige Notizen vor. Ein ähnlicher Wandel läßt sich auch im Hinblick auf die thematischen Schwerpunkte der Fichte-Studien feststellen. In der zweiten und dritten Handschriftengruppe nehmen die Aufzeichnungen über sprachtheoretische und etymologische Fragen relativ breiten Raum ein. Die vierte Gruppe hebt sich von den früheren durch einen neuen, persönlich gefärbten Typ von Notizen mit autobiographischem Inhalt und tagebuchartigem Charakter ab. In der fünften Handschriftengruppe faßt Hardenberg die wesentlichen Positionen seiner bisherigen Beschäftigung mit Fichte zusammen und führt seine Studien zu einem gewissen Abschluß. Die sechste Gruppe von Aufzeichnungen stellt mit einer Vielzahl neuer Themen und mit der bewußten Verwendung der unsystematischen ‚zersplitterten‘ Form einen Neuansatz dar, der eine Vorstufe zu den späteren Fragmentsammlungen darstellt (Mähl, NO2, S.90–103). Die Auseinandersetzung mit Fichte verläuft in mehreren Phasen und auf verschiedenen Ebenen, sie erstreckt sich nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf Sprache und Anordnung der Texte. Die Aufzeichnungen zeigen wachsende Skepsis gegen Fichtes Begrifflichkeit, die Hardenberg zur Klärung komplexer philosophischer Probleme nicht mehr genügt. Der Verfasser gelangt dadurch zu originellen Reflexionen „Über die Natur des Worts“ (FSt590), seine Bedeutungsvielfalt und über die Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache (Mähl, NO2, S.94–96). U.a. berührt die letzte Gruppe von Aufzeichnungen Fragen des (Natur-)Rechts und des Staats (FSt582, 585, 635, 641–643, 649 und 651), Moralität, Tugend und Laster (FSt496f., 649), Unglück und Schmerz (FSt624, 627, 655), der Menschheit schlechthin (FSt590, 651, 667), die Philosophie der Geschlechter (FSt510f., 519, 609), mehrmals begegnet der Gedanke eines tausendjährigen Reiches (FSt623, 648 und 651); breiten Raum nehmen ästhetische Fragen und Probleme der künstlerischen Darstellung ein (FSt587, 614, 619, 622, 633, 649, 664; Mähl, NO2, S.101f.). Besonders in den Nummern 646–652 reiht Novalis eine größere Zahl kurzer ‚Gedankensplitter‘ aneinander, die fortlaufend niedergeschrieben wurden und lediglich durch Schrägstriche getrennt sind. Diese Passagen erwecken in ihrer auffallend unsystematischen Anordnung den Eindruck absichtsvoll zusammengetragener Bruchstücke und nähern sich damit bereits dem Kompositionsprinzip romantischer Fragmentsammlungen an. Das Moment des Fragmentarischen unterstreichen eine Reihe von Notizen, in denen Novalis weitere philosophische ‚Meditationen‘ skizziert, ohne sie jedoch vollständig auszuführen: „Über die Versöhnung !…"“ (FSt574), „Über die verschiedne Art der Unterhaltungen beyder Geschlechter !…"“ (FSt577), „Über die Natur des Worts“ (FSt590; vgl. FSt608, 621f., 630, 649, 659, 664 und 667; Mähl, NO2, S.96). Innerhalb des Manuskriptkonvoluts beziehen sich mehrere Notizen auf Aufzeichnungen derselben oder früherer Abteilungen. Vor allem zur vierten und fünften Handschriftengruppe gibt es mehrfach Berührungspunkte (so knüpfen z.B. FSt576 und 579 an die Überlegungen zur Theorie der Geschlechter in FSt510f.

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und 519 an; FSt574 und 647f. ergänzen die Gedanken über die Religion in FSt489 und 546). In diesen Entsprechungen äußert sich eine Besonderheit der Gedankenführung bei Novalis, der einen Gegenstand aus verschiedenen Perspektiven untersucht und sich in immer neuen Ansätzen mit ihm auseinandersetzt (Mähl, NO2, S.83 und 90).

Stellenkommentar 172,2 Bemerkungen zur Wissenschaftslehre] Die Überschrift zur Handschrift K 44 „Bemerkungen zur Wissenschaftslehre“ gibt zu erkennen, daß Novalis Fichtes Wissenschaftslehre nicht nur exzerpiert und rezipiert, sondern auch kritisch kommentiert und seinem eigenen Denken einverleibt. 553: 172,3 Unterschied zwischen Thatsache und Thathandlung] Novalis bezieht sich hier auf den ersten Teil der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre“ von 1794, auf die „Grundsätze“. In §1, der den „ersten, schlechthin unbedingten Grundsatz“ behandelt, heißt es: „Er soll diejenige Thathandlung ausdrükken, welche unter den empirischen Bestimmungen unseres Bewusstseyns nicht vorkommt, noch vorkommen kann, sondern vielmehr allem Bewusstseyn zum Grunde liegt, und allein es möglich macht“ (FI1, S.91). – Im weiteren führt Fichte aus: „Also das Setzen des Ich durch sich selbst ist die reine Thätigkeit desselben. – Das Ich setzt sich selbst, und es ist, vermöge dieses blossen Setzens durch sich selbst; und umgekehrt: Das Ich ist, und es setzt sein Seyn, vermöge seines blossen Seyns. – Es ist zugleich das Handelnde, und das Product der Handlung; das Thätige, und das, was durch die Thätigkeit hervorgebracht wird; Handlung und That sind Eins und ebendasselbe; und daher ist das: Ich bin, Ausdruck einer Thathandlung“ (FI1, S.96). – „Thatsachen“ hingegen sind die „empirischen Bestimmungen“ des Bewußtseyns (FI1, S.92). 553: 172,5f. Ist involvirt !…" zur logischen Copula] Bei Fichte heißt es (FI1, S.92): „Den Satz: A ist A (soviel als A=A, denn das ist die Bedeutung der logischen Copula) giebt Jeder zu; und zwar ohne sich im geringsten darüber zu bedenken: man erkennt ihn für völlig gewiss und ausgemacht an.“ – Und weiterhin: „Der Satz: A ist A ist gar nicht gleichgeltend dem A ist, oder: es ist ein A. (Seyn, ohne Prädicat gesetzt, drückt etwas ganz anderes aus, als seyn mit einem Prädicate; !…") !…" man setzt: wenn A sey, so sey A. Mithin ist davon, ob überhaupt A sey oder nicht, gar nicht die Frage.“ Nur der „nothwendige Zusammenhang zwischen beiden“ werde „schlechthin, und ohne allen Grund“ im Ich gesetzt (FI1, S.93). Darauf bezieht sich Novalis’ Satz: „Ihre gemeinschaftliche Sfäre !die von A als Subjekt und Prädikat", ihre Szene ist das Ich – das Subject.“ 553: 172,9 Sfäre] Siehe Anm. 179,3f. zu FSt574. 553: 172,17f. Quant[ität] Qualit[ät] Relat[ion] Modalit[ät]] Die vier Urteilsfunktionen des Verstandes, die für die Bildung der Kategorien (siehe Anm. 179,5 zu FSt575) grundlegend sind. 554: 172,24 Thatsache aller Thatsachen] Novalis zielt hier auf jene „Thathandlung als Grundlage alles Bewusstseyns“, die Fichte in §1 der Grund-

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lage der gesammten Wissenschaftslehre entwickelt. Vgl. FI1, S.91ff. Danach ist „das schlechthin gesetzte, und auf sich selbst gegründete – Grund eines gewissen !…" Handelns des menschlichen Geistes, mithin sein reiner Charakter“ (FI1, S.95f.). – Siehe Anm. 19,9 zu L108 über die potenzierenden Formeln der Frühromantiker. 554: 172,25 i.e.] Id est: das ist, das heißt. 554: 172,29 absolute Gewisheit] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘). 555: 172,32 Gesetz des Begriffs und Gesez des Objects müssen Eins seyn] Novalis versucht, sich hier und im Folgenden des Fichteschen Begriffs der „synthetischen Wechselbestimmung“ von Ich und Nicht-Ich zu vergewissern (vgl. FI1, S.131ff.), allerdings in eigenwilliger Terminologie. 555: 172,37–173,4 Das Ich !…" geht aus sich heraus !…" geht in sich hinein] Vgl. BL45 und siehe Anm. 10,4f. zu L14 über die komplementären Begriffspaare in Schlegels und Novalis’ Fragmenten. 555: 173,6f. Alle Erkenntniß soll Moralität bewirken] Der Begriff von „Moralität“ (siehe auch Anm. 22,24f. zu A9) bleibt bei Novalis höchst problematisch; einerseits soll er im Kantischen Sinne die höchsten Forderungen der Sittlichkeit einschließen (vgl. Nr.556 „Die höchste Filosofie ist Ethik“); andererseits ist er fichtisch durch die sog. „freie“ Tätigkeit des Ichs bestimmt, die nicht an den kategorischen Imperativ gebunden ist. Novalis spricht in der Notiz 555 von einem „moralischen Trieb“, den er mit dem „Trieb nach Freyheit“, die „Erkenntniß veranlassen“ soll, identifiziert. – Zur Problematik des Moralbegriffs bei Novalis vgl. weiterhin: NO1, S.90 und 331 sowie FSt556 und 647. Dazu ausführlich: Friedrich Strack, Novalis und Fichte. In: Novalis und die Wissenschaften, S.193–206. 555: 173,8 Frey seyn ist die Tendenz des Ich] Siehe Anm. 85,35f. zu Id29 (‚frei‘) und 15,18f. zu L69 (‚Tendenz‘). 555: 173,8f. productive Imagination – Harmonie] Siehe Anm. 178,33 zu FSt571 (‚produktive Einbildungskraft‘) und 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘). 555: 173,12 Schweben zwischen Extremen] Vgl. Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, FI1, S.216f.: „Die Einbildungskraft ist ein Vermögen, das zwischen Bestimmung und Nicht-Bestimmung, zwischen Endlichem und Unendlichem in der Mitte schwebt !…" Jenes Schweben eben bezeichnet die Einbildungskraft durch ihr Product; sie bringt dasselbe gleichsam während ihres Schwebens, und durch ihr Schweben hervor.“ – Weiterhin heißt es in FI1, S.232f.: „Die Anschauung, als solche, soll fixirt werden, um als Eins und Ebendasselbe aufgefasst werden zu können. Aber das Anschauen als solches ist gar nichts fixirtes, sondern es ist ein Schweben der Einbildungskraft zwischen widerstreitenden Richtungen. Dasselbe soll fixiert werden, heisst: die Einbildungskraft soll nicht länger schweben, wodurch die Anschauung völlig vernichtet und aufgehoben würde. Das aber soll nicht geschehen; mithin muss wenigstens das Product des Zustandes in der Anschauung, die Spur der entgegengesetzten Richtungen, welche keine von beiden, sondern etwas aus beiden zusammengesetztes ist, bleiben.“ – Siehe Anm. 33,4–6 zu A116 (‚Schweben‘). -- Loheide, Fichte und Novalis, S.220f.; Giovanni Panno, Movimento della relazione e Schweben nelle Fichtestudien di Novalis, Padua 2007.

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556: 173,22 Die Moralität muß Kern unsers Daseyns seyn] Vgl. dazu den Stellenkommentar 173,6f. zu Nr.555. 556: 173,23f. Ideal des Seyns !…" unendliche Realisirung des Seyns] Siehe Anm. 114,10 zu PhL [II] 137 (‚ideal – real‘) und 13,26 zu L47 (‚unendlich‘). 556: 173,30 totales Freyseyn] Siehe Anm. 85,35f. zu Id29 (‚frei‘). 556: 173,31f. Thätigkeit d[er] produktiven Imagination] Siehe Anm. 178,33 zu FSt571. 556: 173,36 Schweben] Siehe Anm. 33,4–6 zu A116. 556: 173,41f. Reflexions[ver]mögen] Siehe Anm. 33,4–6 zu A116. 556: 174,5 Die Thatsache, von der hier aber die Rede ist] Es geht erneut um die „Thatsache aller Thatsachen“, von der bereits in Notiz 554 die Rede war. Sie ist identisch mit dem „unendlichen Factum“, das Fichte – im Gegensatz zum „Datum“ (FI1, S.222) – als ursprüngliches „Handeln!" des menschlichen Geistes“ begreift (FI1, S.95f.) und von Novalis als „identisch ewig wirckendes Genie – Ichseyn“ gedeutet wird. 556: 174,7f. Augenblick !…" worinn wir leben, weben und sind] Vgl. Apostelgeschichte17,28 und FSt462. 556: 174,8 unendliches Factum] Siehe Anm. 13,26 zu L47 (‚unendlich‘) und 143,36f. zu BL22 (‚Faktum‘). 557: 174,13 Kategorieen] Siehe Anm. 179,5 zu FSt575. 557: 174,13 Zusammenhang des practischen und theoretischen Ich] Die „Bemerkung“ deutet darauf hin, daß Novalis mit Fichte (aber gegen Kant) ein „für theoretische und praktische Vernunft gemeinsames Prinzip geltend macht, das wohl in der „Freiheit“ fundiert sein soll; denn er unterscheidet wenig später (in Notiz 566) die „practische! " Freyheit“ von der „theoretischen Freyheit“, die beide einem „absoluten Grund“ verpflichtet sind. 559: 174,22 Princip aller Realität !…" Grund des Denkens – Sum] Mit dieser Bemerkung zielt Novalis auf §1 der „Grundlage“, den „ersten, schlechthin unbedingten Grundsatz“: „Ich = Ich“ oder „Ich bin“ (vgl. FI1, S.94ff.). „Es ist !…" Erklärungsgrund aller Thatsachen des empirischen Bewusstseyns, dass vor allem Setzen im Ich vorher das Ich selbst gesetzt sey.“ Eben dieses „S UM “ ist die „höchste Thatsache des empirischen Bewusstseyns !die „Thatsache aller Thatsachen“" und „Ausdruck einer Thathandlung“ (der „einzig-möglichen“; ebd. S.96). – Vgl. weiterhin Balmes, WTB3, S.311. 559: 174,25 Freyheit der Reflexion] Siehe Anm. 85,35f. zu Id29 (‚frei‘) und 33,4–6 zu A116 (‚Reflexion‘). 561: 174,29 Der Mensch ist so gut Nichtich, als Ich] Die Bemerkung läßt erkennen, daß Novalis Fichtes wissenschaftstheoretische Spekulationen anthropologisch umsetzt. Ebendies zeigt seine gesamte terminologische Behandlung der Fichteschen Begrifflichkeit. 563: 174,32f. Der Grund des Naturgesetzes, daß jedes Anstoßes Wirkung ohne Gegenwirkung ewig dauere – wo liegt der im Ich] Der Begriff des „Anstoßes“, den Novalis hier im Sinne von ‚Anregung‘, ‚Impulsübertragung‘ verwendet, ist nicht zu verwechseln mit jenem „Anstoß“, den Fichte im Zusammenhang der Selbstbestimmung des Ich postuliert: „Der (durch das setzende Ich nicht ge-

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setzte) Anstoss geschieht auf das Ich, insofern es thätig ist, und er ist demnach nur insofern ein Anstoss, als es thätig ist; seine Möglichkeit wird durch die Thätigkeit des Ich bedingt: keine Thätigkeit des Ich, kein Anstoss. Hinwiederum wäre die Thätigkeit des Bestimmens des Ich durch sich selbst, bedingt durch den Anstoss: kein Anstoss, keine Selbstbestimmung. – Ferner, keine Selbstbestimmung, kein objectives, u.s.w.“ (FI1, S.212). – An diesem Begriff des ,Anstoßes‘ hat Novalis – wie Friedrich Schlegel – später selbst Anstoß genommen (vgl. PhL [II] 140). Vgl. dazu Mähl, NO2, S.306. 564: 174,34f. Vernichtung des Nichtich] Balmes, WTB3, S.311, vermutet hier eine Nähe zu Kants Schrift vom Ende aller Dinge (1794; KA11, S.175–190). Wahrscheinlicher ist jedoch eine Bezugnahme auf Fichtes praktische Philosophie, die eine unbegrenzte freie und tatkräftige Überwindung des Nichtich fordert, wenngleich ohne das endgültige Ziel eines „goldenen Zeitalters“. Dem entsprechen auch die Notizen Nr.565 und 566. 564: 174,39–175,1 In jedem Augenblick !…" Triumpf des unendlichen Ich über das Endliche] Siehe Anm. 13,26 zu L47 (‚unendlich‘) und 85,35f. zu Id29 (‚frei‘). 565: 175,7 Die Welt wird dem Lebenden immer unendlicher] Siehe Anm. 13,26 zu L47 (‚unendlich‘). 565: 175,10 goldne Zeiten] Siehe Anm. 49,10 zu A243. 565: 175,11 ein schön geordnetes Individuum] Novalis zielt auf den vollkommenen Menschen, der den Regeln der Sinnlichkeit, des Verstandes, der Vernunft und der Einbildungskraft gehorcht. 565: 175,12 Tendenz seiner Natur] Siehe Anm. 15,18f. zu L69 (‚Tendenz‘) und 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘). 566–568: 175,14–178,28 Diese separate Handschrift (K25–28), die Mähl der fünften Gruppe der Fichte-Studien zuweist (vgl. NO2, S.79ff.), stellt einen in sich geschlossenen, philosophisch-systematischen Entwurf dar. Er faßt die Resultate der frühen Fichte-Studien Hardenbergs zusammen und akzentuiert sie im Hinblick auf das Vermittlungsorgan der „Sinne“ sowie der produktiven Einbildungskraft. Eine detaillierte Kommentierung einzelner Stellen ist hier nicht zu leisten. Zu verweisen ist auf Strack, Neugier, S.77–130. 566: 175,17f. Zusammenhang mit dem Ganzen] Siehe Anm. 180,13 zu FSt587 (‚das Ganze‘). 566: 175,20 unendliche Thätigkeit] Siehe Anm. 13,26 zu L47 (‚unendlich‘). 566: 175,21 ewiges Bedürfniß nach einem absoluten Grunde] Siehe Anm. 110,11f. zu PhL [II] 5 zur kritischen Auseinandersetzung der Frühromantiker mit der Suche nach einem philosophischen ‚Grund‘. 566: 175,30f. Quadratur des Zirkels !…" Perpetuum mobile. Stein der Weisen] Siehe Anm. 217,24–26 zu AB935 über die Quadratur des Kreises; zum Perpetuum mobile vgl. AB314, 320, 650 u. ö.; zum Stein der Weisen vgl. u.a. AB314 und 1036. 566: 175,33 Streben nach Freyheit] Siehe Anm. 85,35f. zu Id29 (‚Freiheit‘).

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566: 176,10 Sfäre des Subjectiven] Siehe Anm. 179,3f. zu FSt574 (‚Sphäre‘). 566: 176,12 und so umgekehrt] Siehe Anm. 178,30f. zu FSt570 über die Formel ‚et vice versa‘. 566: 175,14–176,12 Filosofiren muß !…" umgekehrt] -- Loheide, Fichte und Novalis, S.229–233; Waibel, Filosofiren, S.59 und 82–90. 567: 176,14–16 Ich !…" der absolute Grund !…" Grund aller Gründe] Siehe Anm. 110,11f. zu PhL [II] 5 über die frühromantische ‚Grundsatzskepsis‘. Siehe ferner Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 19,9 zu L108 über die potenzierenden Formeln wie ‚Philosophie der Philosophie‘. 567: 176,26f. Individuen !…" Idee der Gattung] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). 568: 177,18 ein Körper und eine Seele] Zu deren Verhältnis siehe Anm. 223,26f. zu AB1003. 568: 177,32–178,18 Der Grund der Sinne !…" Thätigkeit seiner Natur] Vgl. Vorarbeiten 468. Siehe Anm. 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 146,41 zu BL47 (‚Fund‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘), 85,35f. zu Id29 (‚Freiheit‘), 217,1 zu AB931 (‚Licht‘), 16,5f. zu L78 (‚Enzyklopädie‘), 39,12 zu A169 (‚Demonstrieren a priori‘), 179,3f. zu FSt574 (‚Sphäre‘) und 145,24f. zu BL33 (‚Zueignung‘). 568: 178,19 Innres, äußres Organ] Siehe Anm. 180,4f. zu FSt583. 568: 178,22f. Zwey Weisen die Dinge anzusehn – von oben herunter oder von unten hinauf !…" und vice versa] Siehe Anm. 10,4f. zu L14 über die Denkbewegung des ordo inversus und 178,30f. zu FSt570 über die Formel ‚et vice versa‘. 569: 178,29 De Officio judicis] „Von der Pflicht des Richters“; die lateinische Wendung ist wohl in Anlehnung an Ciceros Schrift De officiis formuliert. -Balmes, WTB3, S.312. 570: 178,30 Intelligenz und Sinnenwesen] Vgl. hierzu FSt556, 564, 568 und 647f. 570: 178,30f. et vice versa] „Und umgekehrt“; vgl. zu dieser Formel, die die gegenläufige Gedankenbewegung des ordo inversus aufnimmt, FSt334, 595, 566, 568, 648, 652, 666 und siehe Anm. 10,4f. zu L14. -- Frank/Kurz, Ordo inversus; Striedter, S.24. 571: 178,33 Von der productifen Einbildungskraft] In der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794) spricht Fichte vom „wunderbaren Vermögen der productiven Einbildungskraft“ (FI1, S.208). Vgl. FSt555, 613, AB730, 743, 746, 782, 1023 und Lg13. -- Brylla, S.84–94; Dick, S.71–86; Maatsch, S.161–184; Herbert Uerlings, Einbildungskraft und Poesie bei Novalis. In: Novalis. Poesie und Poetik, S.21–62. 571: 178,34 Begriff der Wechselbestimmung] Nach Fichtes Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794) setzt das Ich Negation in sich, insofern es Realität in das Nicht-Ich setzt, und Realität in sich, insofern es Negation in das Nicht-Ich setzt; es setzt sich demnach sich bestimmend, insofern es bestimmt wird; und bestimmt werdend, insofern es sich be-

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stimmt !…" Durch Bestimmung überhaupt wird bloss Quantität festgesetzt; ununtersucht wie, und auf welche Art: durch unseren eben jetzt aufgestellten synthetischen Begriff wird die Quantität des Einen durch die seines Entgegengesetzten gesetzt; und umgekehrt. Durch die Bestimmung der Realität oder Negation des Ich wird zugleich die Negation oder Realität des Nicht-Ich bestimmt; und umgekehrt. Ich kann ausgehen, von welchem der Entgegengesetzten ich nur will und habe jedesmal durch eine Handlung des Bestimmens zugleich das andere bestimmt. Diese bestimmtere Bestimmung könnte man füglich Wechselbestimmung (nach der Analogie von Wechselwirkung) nennen. Es ist das gleiche, was bei Kant Relation heisst. (FI1, S.130f.)

Vgl. zu dem hier thematisierten „Spiel zweier gleichrangiger, miteinander konkurrierender und nicht zu vereinbarender Sätze“, die sich letztlich „in einen unabsehbaren Begründungsregreß hineintreiben, der die Grenzen des Wissens ständig verschiebt“ (Wiethölter, S.597), auch FSt234f., 284f., 290, 292, 295, 297, 301, 648, 652, Schlegel, PhL [IV] 1286, [X] 30 u. ö.; zu den besonders von Schlegel, aber auch von Novalis und Schleiermacher gebrauchten ‚Wechsel-‘Komposita siehe Anm. 118,6 zu PhL [II] 193 (‚Wechselgrundsatz‘) sowie 10,4f. zu L14 zur Gedankenbewegung des ordo inversus. -- Dick, S.37; Frank, Unendliche Annäherung, S.864–874 und 883–897; Götze, Apologie, S.40–42; Striedter, S.24. 571: 178,37 die Eintheilung des Grundes] Vgl. Fichtes Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794; FI1, S.174f.: ‚Real-‘ und ‚Ideal-Grund‘). 572: 178,38f. Adam und Eva. Was durch die Revolution bewürkt wurde !…" Apfelbiß] Vgl. Kant, Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte (1786; KA11, S.85–102, besonders S.A6–10) und Schillers Etwas über die erste Menschengesellschaft nach dem Leitfaden der mosaischen Urkunde (1790; NA17, S.398–413, besonders den ersten Abschnitt: „Uebergang des Menschen zur Freiheit und Humanität“) und Kleist, Über das Marionettentheater. (1810; Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke und Briefe, hg. von Helmut Sembdner, München 21961, Bd.2, S.342.) -- Drügh, S.131. 573: 178,40f. Accidens !…" Substanz] Vgl. zu diesem Begriffspaar Fichtes Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794; FI1, S.142f.), ferner FSt16, 34, 41, 49, 83, 249, 291f., 310, 582, 584, 593, 641, 644, 648, 652 und 660. In Kants Kategorientafel (siehe Anm. 16,15 zu L80 und 179,5 zu FSt575) sind Substanz und Akzidenz der Urteilsfunktion ‚Relation‘ zugeordnet. 574: 179,3f. Glauben und Sfäre der kristlichen Religion] Vgl. zum Begriff der Sphäre Schellings Vom Ich als Prinzip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen (1795; Sch6, S.29–124.); Novalis und Friedrich Schlegel greifen diesen Terminus mehrfach auf: FSt1–3, 8, 11, 17–19, 22, 53, 152, 190, 232, 248, 251, 256, 278, 280, 283–285, 301, 303, 326f., 450, 461, 465–468, 472–476, 516–518, 553, 566, 602–604, 611, 629, 633, 641, 651, 654, 663, 666; Schlegel, PhL [II] 634, 809, [III] 546, [V] 903, 926. Vgl. ferner FSt489, 546, 647f. 575: 179,5 Kategorieen – Urbeschaffenheit eines Noumenons] Kategorien sind nach Kant (Kritik der reinen Vernunft, 21787, KA3, S. B102–113, §10) dem menschlichen Verstand gegebene Werkzeuge des Wahrnehmens und Urteilens; vgl. FSt12–14, 19, 28f., 31, 38–41, 43, 65, 69, 81, 83, 89, 139, 226, 232, 272,

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280, 293f., 295–299, 450, 470, 474, 516, 575, 584, 592, 597, 643f., 646, 649, 651f., 656; Schlegel, L80, FPL [V] 693, 774, 934, PhL [II] 704, [IV] 842, 999, 1019, 1023, 1027, 1031, 1035, 1248, 1251f. u. ö. – Ein ‚Noumenon‘ ist ein ‚Gedankending‘; Kant versteht darunter ein nur Gedachtes, ein Begriff ohne Gegenstand (Kritik der reinen Vernunft, S.B307). -- Balmes, WTB3, S.312. 576: 179,6–8 Im Manne ist Vernunft, im Weibe Gefühl !…" gegründet] Diese Aufzeichnung, FSt577, 579 und 609 knüpfen an die Notizen zur Theorie der Geschlechter in der vierten Handschriftengruppe (FSt510f. und 519) an; siehe Anm. 182,15 zu FSt609 zur Theorie des Männlichen und des Weiblichen. -Mähl, NO2, S.83. 577: 179,9–12 Über die verschiedne Art der Unterhaltung beyder Geschlechter !…" Hauptwesen der Frau] Siehe die Anm. zur vorigen Aufzeichnung. 579: 179,14f. Männer können Weiber !…" am natürlichsten gut unterhalten] Siehe Anm. 179,6–8 zu FSt576. 582: 179,20f. Alles Recht gründet sich auf Eigenthum] Vgl. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre (1796): „Sonach ist alles rechtliche Verhältniss, zwischen bestimmten Personen überhaupt, durch die gegenseitige Declaration dessen, was sie ausschliessend besitzen wollen, bedingt, und wird lediglich dadurch möglich“ (FI3, S.127); ferner FSt652 und BL13. -- Loheide, Fichte und Novalis, S.216. 582: 179,21 Das allgemeine Ich besizt ipso jure die Accidenzen] Siehe Anm. 178,40f. zu FSt573 (‚Substanz – Akzidenzien‘). – Ipso iure: von Rechts wegen, kraft Gesetzes. 582: 179,22 ex jure identitatis] „Aus dem Recht der Identität“. 582: 179,27f. Das Recht entsteht erst !…" einen absoluten Grund] Vgl. hierzu Fichtes Grundlage des Naturrechts, §9 (FI3, S.111f.): „Von Rechten kann geredet werden nur unter der Bedingung, dass eine Person, als Person, d.h. als Individuum gedacht, demnach auf andere Individuen bezogen werde !…"“. Über das Thema Recht äußern sich FSt585, 596, 642f., 649 und 652. Siehe Anm. 179,3f. zu FSt574 (‚Sphäre‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 21,4 zu L123 (‚absolut‘). 582: 179,40 generischer] Die Gattung betreffend. 582: 179,19–180,3 Recht v[on] Richten !…" individuelle Rechte] -Mähl, NO2, S.82 und 727; Balmes, WTB3, S.312. 583: 180,4f. Doppelte Nerven – des äußern und innern Sinns – !…" kurirt werden] Hardenberg greift in dieser Aufzeichnung auf die von Kant geprägten Begriffe des inneren und äußeren Sinns zurück (Kritik der reinen Vernunft; KA3, S.A19–30, S.B33–45). Kant versteht unter dem äußeren Sinn alle Sinnesorgane, die die Orientierung im Raum ermöglichen, während die zeitliche ‚Orientierung‘ zu den Aufgaben des inneren Sinns gehört. Da bei äußeren Erfahrungen immer räumliche und zeitliche Faktoren ineinandergreifen, ist der innere Sinn nicht nur bei inneren, sondern auch bei äußeren Erfahrungen tätig. Vgl. über den ‚inneren und den äußeren Sinn‘ FSt212, 325, 613 und BL94 sowie FSt568 („Innres, äußres Organ“), FSt637 (‚inneres und äußeres Objekt‘) und FSt653 (‚innere und

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äußere Welt‘). -- Violetta Waibel, „Innres, äußres Organ“. Das Problem der Gemeinschaft von Seele und Körper in den Fichte-Studien Friedrich von Hardenbergs. In: ‚Athenäum. Jahrbuch für Romantik.‘ 10 (2000), S.159–181, besonders S.165–172. 583: 180,5 Zerstörung der ganzen Maschine] Die Auffassung vom menschlichen Körper als einer Maschine stützt sich auf Julien Offroy de La Mettries (1709–1751) Schrift L’homme machine (1748), die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts medizinische Diskussionen auslöste. -- Balmes, WTB3, S.313. 584: 180,10 Die Kantischen Kategorieen sind blos für die accidentielle Substanz] Siehe Anm. 10,12 zu L16 (Kant), 179,5 zu FSt575 (‚Kategorien‘) und 178,40f. zu FSt573 (‚Substanz – Akzidenzien‘). 585: 180,11 deragiren] Hier wohl: außer Kraft setzen. -- Balmes, WTB3, S.313. 585: 180,11 Die Rechte der Gattung !…" Individuen] Vgl. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre (1796), §9 und 11 (FI3, S.111–119). Siehe Anm. 179,20f. zu FSt582 (‚Recht‘) und 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). -- Mähl, NO2, S.82; Balmes, WTB3, S.312. 585: 180,11 et sic porro] Und so weiter. 585: 180,12 Factiz. Natural.] Eventuell aufzulösen als lat.: facticium (künstlich gemacht, nachgemacht) und naturale: natürlich. In der Aufzeichnung scheint es in knappster Form um das Verhältnis von Natur und Kunst zu gehen; siehe Anm. 9,1 zu L1. 587: 180,13 Idee eines Ganzen] Vgl. FSt566, 631, 633 und 636. Siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘) und 18,15 zu L103 (‚Ganzheit‘). -- Hartmann, S.116–119. 587: 180,14 Wieland, Richter] Siehe Anm. 51,33–36 zu A260 über C.M.Wieland und 35,3f. zu A125 über Jean Paul. 587: 180,16 hors d’œuvres] Hier: Nebenbeschäftigungen. 587: 180,18 nicht ästethisch komischen Sinn oder Geist] Siehe Anm. 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘). 588: 180,20 nichts Willkührliches] Siehe Anm. 10,9 zu L16 (‚Willkür‘). 588: 180,21–24 Überall Kunst und Wissenschaft !…" Kenntniß] Vgl. zur Trias Wissenschaft – Kenntnis – Kunst FSt15, 635f. und 638. Siehe Anm. 10,10 zu L16 (‚Künste und Wissenschaften‘). 590: 180,26–29 Über die Natur des Worts !…" gebraucht werden sollte] Siehe Anm. 89,22 zu Id78 über die frühromantische Beschäftigung mit etymologischen Fragen. 592: 180,33 Nähere Untersuchung der Kategorieen] Siehe Anm. 179,5 zu FSt575 (‚Kategorien‘). 593: 180,34f. Accidens eines Objects !…" Subst[anz] eines Obj[ects]] Vgl. FSt594, 610, 641 und 648; siehe Anm. 178,40f. zu FSt573 (‚Substanz – Akzidenz‘) und 24,11 zu A22 (‚subjektiv – objektiv‘). 594: 180,36–38 Das Subject kann objective Accidenzen !…" eben so] Vgl. FSt593, 610, 641 und 648; siehe Anm. 178,40f. zu FSt573 (‚Substanz – Akzidenzien‘) und 24,11 zu A22 (‚subjektiv – objektiv‘).

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595: 181,1 Subj[ect] entsteht nicht aus Obj[ect]] Siehe Anm. 24,11 zu A22 (‚subjektiv – objektiv‘). 595: 181,1 et vice versa] „Und umgekehrt“. Siehe Anm. 178,30f. zu FSt570. 595: 181,1 Theorie des Subjects] Siehe Anm. 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘). 596: 181,2 Rechte der Thierheit – Rechte der Menschheit – Rechte des Ich] Siehe Anm. 179,20f. zu FSt582 (‚Recht‘). 597: 181,3–10 D[ie] Kategorieen !…" Form] Siehe Anm. 179,5 zu FSt575 (‚Kategorie‘). 598: 181,11 Praedicabilie] Aus den Kategorien (siehe Anm. 179,5 zu FSt575) abgeleitete Verstandesbegriffe wie z.B. Kraft, Handlung, Leiden. 600: 181,28 Grundsätze der Algebra angewandt auf Metafysik] FSt612 knüpft an diese Aufzeichnung an. 601: 181,30–32 Widersprechen und widerstreiten !…" Reales Widerstreiten und ideales Widersprechen] Vgl. FSt609, das die Aufzeichnung fortführt. Siehe Anm. 114,10 zu PhL [II] 137 (‚real – ideal‘). 602: 181,33f. Es liegt im Wesen der Bestimmung, daß Sie 2 Sfären ausschließt !…" gibt] Siehe Anm. 178,34 zu FSt571 (‚Wechselbestimmung‘) und 179,3f. zu FSt574 (‚Sphäre‘). 603: 181,35f. die Sfäre der ausgeschlossnen Bestimmbarkeit] Siehe Anm. 179,3f. zu FSt574 (‚Sphäre‘) und 178,34 zu FSt571 (‚Wechselbestimmung‘). 604: 181,37 Unmittelbar, gerade zu läßt sich nichts bestimmen] Siehe Anm. 178,34 zu FSt571 (‚Wechselbestimmung‘). 604: 181,37 i.e.] Id est: das heißt. 604: 181,39f. Gott konnte die Welt nur nach einer Idee !…" Schaffen] Siehe Anm. 47,30 zu A232 (‚Gott‘) und 34,4 zu A121 (‚Idee‘). 604: 182,2f. das universale Sensorium] Das Bewußtsein, das die verschiedenen Vermögen des Menschen koordiniert. Vgl. FSt605 und 646. -- Balmes, WTB3, S.313. 604: 182,3 Die Sfäre der Freyheit !…" die Sfäre des Zwangs] Siehe Anm. 179,3f. zu FSt574 (‚Sphäre‘) und 85,35f. zu Id29 (‚frei‘). 605: 182,6 Gegenstand !…" Zustand] Vgl. zu diesem Begriffspaar FSt295, 297–301, 303–306, 308, 317f., 326f., 329f., 336, 346, 348, 358, 363, 410, 423, 445, 644, FuS331 und Fichtes Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794): „Das Wort Gegenstand bezeichnet vortrefflich, was es bezeichnen soll !…", etwas der Thätigkeit entgegengesetztes, ihr wider- oder gegenstehendes“ (FI1, S.256) sowie ebd., S.264f., über den Begriff des Zustands. -- Dick, S.22–38; Frank, Zeit, S.170f.; Striedter, S.41–48; Waibel, Filosofiren, S.73f. 605: 182,7 zum Sensorio] Siehe Anm. 182,2f. zu FSt604. 606: 182,8 Sezt man das Böse der Tugend entgegen, so thut man ihm zu viel Ehre an] Vgl. FSt607. Siehe Anm. 85,24 zu Id23 (‚Tugend‘). 608: 182,11f. Ueber das Naturgesez: Die Natur thut keinen Sprung] Der Grundsatz ‚Natura non fecit saltus‘, den bereits die antike Naturforschung aufstellte, wurde in der Neuzeit mehrfach aufgegriffen, u.a. von Leibniz, Newton

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und Linné. Vgl zur ‚lex continuitatis‘ auch Dialogen 6 (NO2, S.670) und AB776. Siehe Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘). -- Balmes, WTB3, S.313. 609: 182,13f. Das sich Widersprechende widerstreitet sich nicht !…" in entgegengesezten Sfären wechselt] Vgl. FSt601. 609: 182,15 Mann und Weib] Vgl. FSt576f., 579, die an die Notizen zur Theorie der Geschlechter in der vierten Handschriftengruppe anknüpfen (FSt510f. und 519), ferner ET440, AB1040; Schlegel, A133f., PhL [III] 257; Ritter, RF481–486, 496f., 501 u. ö. 609: 182,13–15 Das sich Widersprechende !…" Mann und Weib] Vgl. FSt601, an das diese Aufzeichnung anschließt. 610: 182,16–20 Subject/Substanz !…" eben so] Vgl. FSt593f., 641 und 648. Siehe Anm. 178,40f. zu FSt573 (‚Substanz – Akzidenzien‘) und 24,11 zu A22 (‚subjektiv – objektiv‘). 611: 182,21 Was ist eigentlich Substanz? was ich bisher Sfäre nannte] Vgl. FSt593 und siehe die Anm. dazu sowie Anm. 178,40f. zu FSt573 (‚Substanz – Akzidenzien‘) und 179,3f. zu FSt574 (‚Sphäre‘). 612: 182,22f. Die metafysischen Worte sind gleichsam nur Buchstaben !…" schematische Substanzen] Diese Aufzeichnung schließt an FSt600 an. 613: 182,25 productive Einbildungskr[aft]] Siehe Anm. 178,33 zu FSt571. 613: 182,25f. innern und äußern Sinn] Siehe Anm. 180,4f. zu FSt583. 613: 182,24–27 Bewußtseyn ist Auge !…" weil es aus lauter Entgegengesezten besteht] Siehe Anm. 142,6–8 zu BL9 über das Auge. 614: 182,28 Chrieen] Chrien sind praktische Lebensweisheiten. Die vorliegende Edition übernimmt hier eine neue Lesung der Handschrift nach WTB2, S.192; vgl. ebd. S.852. 615: 182,30 Kunst Glücklich zu leben] Siehe Anm. 46,31 zu A225 (‚Lebenskunstlehre‘). 616: 182,31 Chursächsische Constitution] Sie bildete die Grundlage für Friedrich von Hardenbergs amtliche Tätigkeit. -- Balmes, WTB3, S.313. 617: 182,32 Es ist kein Universalsystem der Staatswirtschaft etc. möglich] Siehe Anm. 83,15 zu A451 (‚Universalität‘) und 26,22f. zu A46 (‚System‘). 618: 182,33 Es giebt Einen wesentlichen Bestandtheil der Tugend] Siehe Anm. 85,24 zu Id23 (‚Tugend‘). 619: 182,36 Es ist roh und geistlos, sich blos des Inhalts wegen mitzutheilen] Siehe Anm. 17,30f. zu L98 (‚Mitteilung‘). 621: 183,6 Über Strafe] Vgl. FSt377. 622: 183,7–13 Über den Wortkaracter !…" Bestandtheile des Gedankens] Vgl. FSt630. 623: 183,14 Träume der Zukunft – ist ein tausendjähriges Reich möglich] Siehe Anm. 54,19 zu A288 (‚träumen‘) und 151,10 zu BL76 über die Vorstellung eines tausendjährigen Reiches; vgl. auch FSt648 und 651, Schlegels StudiumAufsatz (1795/97; KFSA1, S.262f.) und VB122 zur Utopie des ‚poetischen Staats‘, die Novalis u.a. in Anlehnung an Kants ‚philosophischen Chiliasmus‘ (Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht; 1784; KA11,

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S.A404) entwickelt und in Glauben und Liebe poetisch gestaltet. -- Mähl, Der poetische Staat, S.276–280 und 294. 623: 183,15 exuliren] In der Verbannung leben. 623: 183,14f. Träume der Zukunft !…" vollendet seyn wird] -- Mähl, Idee, S.295. 629: 183,26f. Bestimmte Sfäre der Bestimmung] Siehe Anm. 179,3f. zu FSt574 (‚Sphäre‘) und 178,34 zu FSt571 (‚Wechselbestimmung‘). 630: 183,31 analytisch !…" synthetisch] Siehe Anm. 11,12–15 zu L 32. 630: 183,36 Subject !…" Object] Siehe Anm. 24,11 zu A22 (‚subjektiv – objektiv‘). 630: 183,28–36 Über Gedankenordnung !…" im Object begründet] Die Aufzeichnung knüpft an FSt622 an. 631: 183,37f. daß ich nicht ein Gantzes fassen und festhalten kann] Vgl. FSt587 zur ‚Idee eines Ganzen‘ und siehe dazu Anm. 180,13. 633: 184,1–5 Das Ich muß sich, als darstellend setzen !…" Freyes Darstellen] Vgl. hierzu Fichtes Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre: „Das Ich setzt sich, als bestimmt durch das Nicht-Ich“ (FI1, S.127) und „Das Ich setzt sich selbst schlechthin, und insofern ist seine Thätigkeit in sich selbst zurückgehend“ (FI1, S.273). Im Zusammenhang mit der Aufwertung der Einbildungskraft im 18. Jahrhundert, die nicht länger als bloß mimetisch-reproduktives, sondern als synthetisch-schöpferisches Vermögen betrachtet wurde (siehe Anm. 178,33 zu FSt571 über die ‚produktive Einbildungskraft‘), gewinnen in der Ästhetik zunehmend Fragen der Darstellung und der Darstellbarkeit Aufmerksamkeit; für die Frühromantik bildet das Problem der Darstellung (des Undarstellbaren) das Bindeglied zwischen Philosophie und Poesie; vgl. FSt1f., 25, 159, 290f., 305, 346, 637, BL25, GL43, Lg13, AB30, 49, 89, 234, 283, 612, 633, 862; Schlegel, A116, FPL [V] 163, PhL [V] 517, 759, 813. – Siehe Anm. 60,31 zu A328 (‚setzen‘) und 85,35f. zu Id29 (‚frei‘). -- Götze, Apologie, S.29f.; Maatsch, S.148f.; Uerlings, Darstellen, besonders S.373–382. 633: 184,8–11 Das Ich aber sezt sich auf diese Art bestimmt, weil es sich als ein unendliches Ich sezt !…" darstellendes Ich] Siehe Anm. 178,34 zu FSt571 (‚Wechselbestimmung‘) und 13,26 zu L47 (‚unendlich‘). 633: 184,11–13 Das Obj[ect] !…" das schöne Gantze] Siehe Anm. 180,13 zu FSt587 (‚das Ganze‘) und 32,4 zu A108 (‚schön‘). 633: 184,16 Sfärenwechsel] Siehe Anm. 179,3f. zu FSt574 (‚Sphäre‘). 633: 184,17 Das Sinnliche muß geistig, das Geistige sinnlich dargestellt werden] Vgl. Vorarbeiten 105. 633: 184,18f. Zwischen Musik und Schrift steht Rede. Deklamationswissenschaft a priori] Vgl. FSt434. Siehe Anm. 39,12 zu A169 (‚a priori‘). 633: 184,20f. Wie findet man in Theilen das Ganze, und im Gantzen die Theile?] Eine Fortsetzung dieses Gedankens findet sich in FSt647. Siehe auch Anm. 180,13 zu FSt587 (‚das Ganze‘). 633: 184,25 Wir sind jezt nur im Anfang der SchriftstellerKunst] Vgl. BL114.

Fichte-Studien

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633: 184,26–28 Überall, wo mehrere Einheiten sind !…" Composition] Vgl. hierzu Fichte, Grundlage des Naturrechts, §7 (FI3, S.89f.). -- Mähl, NO2, S.82. 633: 184,1–28 Wir erwecken !…" Composition] -- Hartmann, S.118f.; Loheide, Fichte und Novalis, S.237f. 634: 184,29–31 Stimme – Stimmung !…" und zwei Leydenden] Siehe Anm. 180,13 zu FSt587 über die ‚Idee eines Ganzen‘. 635: 184,32f. Staatswissenschaft – Staatskenntniß – Staatskunst] Siehe Anm. 180,21–24 zu FSt588 über die Trias ‚Wissenschaft – Kenntnis – Kunst‘. -Hartmann, S.120. 636: 184,37–39 Alles Selbstständige, materiale Gantze !…" Wissensch[aft] Kenntn[iß] und Kunst] Siehe Anm. 180,21–24 zu FSt588 (‚Wissenschaft – Kenntnis – Kunst‘) und 180,13 zu FSt587 über die ‚Idee eines Ganzen‘. -Hartmann, S.121. 637: 184,40 Darstellung ist eine Aeußerung des innern Zustandes] Siehe Anm. 184,1–5 zu FSt633 (‚Darstellung‘). 638: 185,5 Kriegswissenschaft – Kriegskenntniß – Kriegskunst] Siehe Anm. 180,21–24 zu FSt588 (‚Wissenschaft – Kenntnis – Kunst‘). 639: 185,6–9 Kunst ist !…" bildet die Kunst aus] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘).

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Logologische Fragmente

Textgrundlage und Textüberlieferung Friedrich von Hardenbergs Logologische Fragmente bestehen aus zwei Handschriftenkonvoluten mit 26 und 4 Fragmenten (Nr.1–26 und 27–30 der Vorarbeiten zu verschiedenen Fragmentsammlungen aus dem Jahr 1798); sie wurden erst nach dem Tod ihres Verfassers veröffentlicht in: Novalis Schriften, kritische Neuausgabe auf Grund des handschriftlichen Nachlasses hg. von Ernst Heilborn, 2 Theile in 3 Bdn., Berlin 1901. Bd.2, S.53–63. Nahezu vollständig (aber nicht ganz zuverlässig) nahm Ernst Heilborn (1867–1942) diese Sammlung in den 1901 erschienenen zweiten Band seiner Novalis-Ausgabe auf. Der Text des vorliegenden Bandes folgt dem Wortlaut der historisch-kritischen Novalis-Edition: Novalis Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, hg. von Paul Kluckhohn (†) und Richard Samuel. Zweiter Band: Das philosophische Werk I, hg. von Richard Samuel in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz, revidiert von Richard Samuel und Hans-Joachim Mähl, Stuttgart, Berlin, Köln und Mainz (W.Kohlhammer) 31981, S.522–532. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags W.Kohlhammer.

Entstehung Als Novalis am 24.2.1798 August Wilhelm Schlegel das Manuskript der Vermischten Bemerkungen übersandte, schrieb er im Begleitbrief: „Steht Ihnen diese Masse an, so kann ich noch mit mehr aufwarten. Ich habe noch einige Bogen logologische Fragmente, Poëticismen und einen Anfang, unter dem Titel, der Lehrling zu Sais – ebenfalls Fragmente – nur alle in Beziehung auf Natur“ (NO4, S.251). Die Logologischen Fragmente entstanden in zeitlicher Nähe zu anderen Fragmentreihen, die Novalis als Vorarbeiten zu weiteren Sammlungen niederschrieb. Die Aufzeichnungen zur Poësie dürften gleichzeitig mit den Logologischen Fragmenten entstanden sein, denn der Anfang des ersten Poësie-Fragments findet sich vor Lg5 und wurde von Novalis wieder gestrichen, um mit diesem Text eine eigene Handschrift mit Fragmenten über die Poesie zu beginnen (Samuel, NO2, S.509). Einen Anhaltspunkt für die Entstehung des zweiten Konvoluts der Logologischen Fragmente gibt das letzte Stück dieser Gruppe, ein Exzerpt aus einer Rezension Fichtescher Schriften der Jahre 1794 und 1795 aus der Feder Karl Leonhard Reinholds, die in der ‚Allgemeinen Literaturzeitung‘ vom 4.1.1798 (Nr.5, Sp.33–39) erschien.

Logologische Fragmente

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In die Logologischen Fragmente übernahm Novalis Aufzeichnungen aus den Hemsterhuis- und Kant-Studien (Lg1 und 3–5) sowie Notizen aus den FichteStudien vom Herbst 1796. Zwar liegen die Logologischen Fragmente nicht als abgeschlossenes Werk vor, doch wurden die Manuskripte ähnlich wie andere Passagen der Vorarbeiten von Novalis im Hinblick auf eine Veröffentlichung überarbeitet. Dabei strich er 18 der 30 Fragmente, die ihm selbst noch zu unfertig erschienen (Nr.1–12, 17f. und 23–26); über die Grundsätze seiner Redaktion äußert sich Novalis in der Aufzeichnung Nr.318 der Vorarbeiten: Was in diesen Blättern durchgestrichen ist – bedürfte selbst in Rücksicht des Entwurfs, noch mancherley Verbesserungen etc. Manches ist ganz falsch – manches unbedeutend – manches schielend. Das Umklammerte ist ganz problematischer Wahrheit – so nicht zu brauchen. Von dem Übrigen ist nur weniges reif zum Drucke – z.B. als Fragment. Das Meiste ist noch roh. Sehr – sehr vieles gehört zu Einer großen höchstwichtigen Idee. Ich glaube nicht, daß etwas Unbedeutendes unter dem Undurchstrichnen ist. Das * Angestrichne wollt ich in eine Sammlung von neuen Fragmenten aufnehmen, und dazu ausarbeiten. Das Andre sollte bis zu einer weitläuftigeren Ausführung warten. Durch Fortschreiten wird so vieles entbehrlich – so manches erscheint in einem andern Lichte – so daß ich vor der Ausführung der großen, alles verändernden Idee, nicht gern etwas Einzelnes ausgearbeitet hätte. Als Fragment erscheint das Unvollkommne noch am Erträglichsten – und also ist diese Form der Mittheilung dem zu empfehlen, der noch nicht im Ganzen fertig ist – und doch einzelne Merckwürdige Ansichten zu geben hat. (NO2, S.595.)

Wirkung Über die Wirkungsgeschichte dieser Sammlung liegen keine Zeugnisse vor.

Struktur und Gehalt Ursprünglich lautete der Titel dieser Sammlung Philosophische Fragmente und wurde von Novalis während der Arbeit am Manuskript in Logologische Fragmente geändert. Dieser Titel weist bereits auf das Programm der Fragmentreihe hin: Der Neologismus ‚logologisch‘ deutet mit seiner Verdoppelung der Stammsilbe eine Potenzierung des ‚Logos‘ (im Griechischen ‚Rede‘, ‚Wort‘, aber auch ‚Denkkraft‘, ‚Vernunft‘) an. Demnach wäre ‚Logologie‘ als Synthese und Steigerung von Philosophie und Poesie aufzufassen. Nähere Auskunft über den Charakter dieser ‚Logologie‘ gibt ein Fragment der Vorarbeiten, Poësie 43, das mit einem prägnanten Proportionalvergleich beginnt: „Wie sich die bisherigen Philosophieen zur Logologie verhalten, so die bisherigen Poësieen zur Poësie, die da kommen soll !…"“. Wie die künftige Poesie weist die ‚Logologie‘ eine transzendentale ‚Richtung‘ und organische Struktur auf, und sie bewirkt eine „Revolution“ der „bisherigen Poësieen“. In seinen Logologischen Fragmenten setzt sich Novalis mit Fichte auseinander und faßt, ausgehend von dessen Theorie des transzendentalen Bewußtseins,

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die Philosophie als unendlichen Antrieb zur Erkenntnis des Absoluten auf, das sich jedoch ebenso unendlich dem (rationalen) Zugriff entzieht (Balmes, WTB3, S.398). Die besondere Leistung der ‚Logologie‘ besteht darin, daß sie die schwebende Bewegung des Lebens zwischen Sein (FSt3) und Nichtsein nachvollzieht; in diesem Reflexionsprozeß „dehnt“ sie „das Bewußtsein durch ein gleichsam ‚elastisches‘ Denken !…" nach und nach ‚zu einem unendlich gestalteten Universo‘ aus (Nr.13), so daß schließlich Leben und Philosophie zu austauschbaren Begriffen werden“ (Balmes, WTB3, S.401).

Stellenkommentar 186, Titel Logologische Fragmente] „N.’ Wortprägung Logologie !…" ist wohl vom Gebrauch der Wendung in der englischen Philosophie des 18.Jh.s. unbeeinflußt. Die potenzierte, von gr. ‚logos‘, ‚Wort‘ gebildete Formel ähnelt den zahlreichen Steigerungsformen der Frühromantik, der Philosophie der Philosophie (Nr.8) z.B. oder etwa Friedrich Schlegels ‚Poesie der Poesie‘ !…". Beides scheint mit Logologie gemeint zu sein, in der Poesie wie Philosophie auf eine höchst vermittelte Art zusammenfallen“ (Balmes, WTB3, S.398). Vgl. auch Vorarbeiten (Poësie) 43. 1: 186,1–3 Die bisherige Geschichte der Philosophie !…" ist die Philosophie] Hervorgegangen aus HKS1. -- Kuhn, Apokalyptiker, S.97. 2: 186,4f. Diese mannichfachen Ansichten aus meinen philosophischen Bildungsjahren] Novalis bezeichnet seine umfangreichen Studien als ‚philosophische Bildungsjahre‘, ganz ähnlich wie Friedrich Schlegel, der die seinen Philosophische Lehrjahre nennt. 3: 186,8f. Der Buchstabe ist nur eine Hülfe der philosophischen Mittheilung !…" besteht] Vgl. FuS124. Siehe Anm. 17,30f. zu L98 (‚Mitteilung‘). -Hartmann, S.166. 3: 186,10f. der Hörende denckt nach – reproducirt. Die Worte sind ein trügliches Medium des Vordenckens] Vgl. BL47. 3: 186,14 Darstellung der Philosophie] Siehe Anm. 184,1–5 zu FSt633 (‚Darstellung‘) 3: 186,17 Direction] Richtung. 3: 186,22f. Ächtes Gesammtphilosophiren ist also ein gemeinschaftlicher Zug nach einer geliebten Welt] Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘) und 19,33 zu L112 zum ‚Symphilosophieren‘. -- Lukas, S.69f. 3: 186,8–25 Der Buchstabe !…" ablößt] Hervorgegangen aus HKS35. -Schierbaum, S.298f. 4: 186,26–28 Ein Problem ist eine feste, synthetische Masse !…" ein Problem] Hervorgegangen aus HKS39. Siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über die Übertragung des Begriffspaars ‚synthetisch‘ und ‚analytisch‘ auf den geistigen Bereich. 5: 186,29–36 Man muß bey jeder Philosophie !…" setzen] Hervorgegangen aus HKS49. Siehe Anm. 16,19 zu L81 (‚Polemik‘) und 178,40f. zu FSt573 (‚Substanz – Akzidens‘).

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6: 186,37 Jedes Wort ist ein Wort der Beschwörung] Vgl. L44, an das dieses Fragment möglicherweise anknüpft. 7: 187,1f. so dünkt uns Philosophie, wie Gott, und Liebe, Alles zu seyn] Siehe Anm. 47,30 zu A232 (‚Gott‘) und 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). 7: 187,2f. eine mystische, höchstwircksame, durchdringende Idee] Siehe Anm. 34,11f. und 34,4 zu A121 (‚Mystik‘, ‚Idee‘). 7: 187,4f. Manumission] Freilassung. 8: 187,6–16 Außer der Philosophie der Philosophie giebt es allerdings noch Philosophieen !…" heraustreten können] Siehe Anm. 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘), 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 11,12–15 zu L32 über den chemischen Terminus ‚Mischung‘. Vgl. A274 und Lg15. -- Schierbaum, S.299f. 9: 187,17 das höchste Paradoxon] Siehe Anm. 13,28f. zu L48 (‚paradox‘). 9: 187,18f. Ein Satz !…" der immer anzöge, und abstieße] Vgl. zur Veranschaulichung gedanklicher Prozesse durch Bilder und Begriffe aus dem naturwissenschaftlichen Bereich z.B. FSt278 und siehe Anm. 11,12–15 zu L32. „Novalis benutzt zur Beschreibung des Schemas der reflektierenden Tätigkeit des Bewußtseins !…" Begriffe, die dem naturwissenschaftlichen Anschauungsbereich entlehnt sind. So wird das Gesetz der unabschließbaren Denkbewegung in den Augen des Philosophen durch einen Vorgang repräsentiert, der auf der logisch-schematischen Vorstellungsebene mit dem physikalischen Prozeß der Elektrizitätserzeugung verglichen werden kann.“ (Bark, Poetik des Galvanismus, S.109.) 9: 187,21f. Nach alten mystischen Sagen ist Gott für die Geister etwas Ähnliches] Siehe Anm. 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘) und 47,30 zu A232 (‚Gott‘). 9: 187,17–21 Sollte das höchste !…" gewohnt zu werden?] Vgl. AB314 und siehe Anm. 110,11f. zu PhL [II] 5 über die grundsatzkritische Haltung der Frühromantiker. M.Frank, Unendliche Annäherung, S.851f., macht auf eine Parallele in Forbergs Fragmenten aus meinen Papieren (1796), S.74f., aufmerksam: Daß Ein höchstes Princip, ‚von dem sich alle Wahrheiten, wie von einem Knäuel abwinden lassen,‘ ein Bedürfnis für die speculative Vernunft sey, daran zweifle ich nicht. Aber ich fürchte, es geht den Philosophen mit ihrem ersten Princip, wie den Alchymisten mit dem Stein der Weisen. Sie werden es unaufhörlich suchen, und niemahls finden. Es ist eine Aufgabe, die die Natur der Vernunft gab, nicht um die Auflösung zu finden, sondern um sie zu suchen. Ich versichere Ihnen, daß mich in manchen Augenblicken der Gedanke zittern macht, nun kann die Vernunft nicht höher steigen! –

9: 187,17–22 Sollte das höchste Prinzip !…" etwas Ähnliches] -- Schierbaum, S.300. 10: 187,23–25 Unser Denken war bisher entweder blos mechanisch !…" gekommen?] Vgl. BL70. -- Neumann, Ideenparadiese, S.291; Kurzke, Konservatismus, S.129f. 11: 187,26 Fichte Erfinder einer ganz neuen Art zu denken] Über Fichte siehe Anm. 36,1 zu A137.

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11: 187,29f. daß es Menschen giebt und geben wird – die weit besser Fichtisiren werden, als Fichte] Im Briefwechsel zwischen Friedrich Schlegel und Novalis begegnet der Neologismus ‚fichtisieren‘ als Ausdruck für das ‚Symphilosophieren‘ der beiden Freunde: „Wie schön wäre es, wenn wir so allein beysammen sitzen könnten ein paar Tage und philosophirten, oder wie wirs immer nannten – fichtisiren!“ (Friedrich Schlegel an Novalis, 5.5.1797; KFSA23, S.363.) -Götze, Ironie, S.267 und 276. 12: 187,32 Im eigentlichsten Sinn ist philosophiren – ein Liebkosen] Vgl. hierzu Vorarbeiten 81 und FD197. 12: 187,33 Liebe zum Nachdenken] Vgl. BL47, Lg3 und HKS35 zum Nachdenken. 13: 187,34 Der rohe, discursive Denker ist der Scholastiker] Vgl. zum Scholastiker u.a. Lg14, AB898 und 905. 13: 187,35 ein mystischer Subtilist] Subtilist: jemand, der sich mit subtilen Dingen beschäftigt; siehe auch Anm. 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘). 13: 187,35 Aus logischen Atomen] Siehe Anm. 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘). 13: 187,34–38 Denker !…" Dichter] Siehe Anm. 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft. 13: 187,38 Macrolog] Jemand, der sich mit großen, groben Dingen beschäftigt. Vgl. Vorarbeiten 310, HKS53, AB707 und A109 („Mikrologie“). 13: 187,38f. Ein wildes, gewaltthätiges Leben herrscht in der Natur] Siehe Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘). 13: 187,40 Willkühr und Wunder] Siehe Anm. 10,9 zu L16 (‚Willkür‘). 13: 188,11 Revers] Kehrseite. 13: 188,13 unendliche Tendenz] Siehe Anm. 13,26 zu L47 (‚unendlich‘) und 15,18f. zu L69 (‚Tendenz‘). 13: 188,13f. Sie gehn beyde vom Absoluten aus] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘). 13: 188,16f. Jene haben das Genie – diese das Talent – Jene die Ideen – diese die Handgriffe] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 über das Verhältnis von Genie und Talent und 34,4 zu A121 (‚Idee‘). 13: 188,19 Die dritte Stufe ersteigt der Künstler] Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘). 13: 188,29–31 die Schwäche der produktiven Imagination !…" schwebend zu erhalten und anzuschauen] Vgl. FSt555 und die Bestimmung der romantischen Poesie in A116. Siehe Anm. 178,33 zu FSt571 (‚produktive Einbildungskraft‘) und 33,4–6 zu A116 (‚schweben‘). 13: 188,32f. ächt geistigen Lebens] Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘). 13: 188,33 kat exochin] Im eigentlichen Sinn, schlechthin. 13: 188,33–37 jene lebendige Reflexion !…" Selbstdurchdringung des Geistes die nie endigt] Vgl. BL94, zweite Hälfte. Siehe Anm. 33,4–6 zu A116 (‚Reflexion‘). 13: 187,34–188,37 Der rohe !…" nie endigt] -- Balmes, WTB3, S.416f.; Götze, Ironie, S.274f.; Hartmann, S.19f.; Schierbaum, S.302–307; Georg Gaf

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von Wallwitz, Über den Begriff des Absoluten bei Novalis. In: DVjs 71 (1997), S.421–436. 14: 188,38 Sofisten sind] Siehe Anm. 31,3f. zu A96 (‚Sophist‘). 14: 188,44–189,1 Die übrigen Skeptiker !…" sind die Vorläufer der dritten Periode] Siehe Anm. 28,15 zu A66 (‚Skeptiker‘). Lg14 knüpft hier an die Stufenfolge kultureller Entwicklung an, die das vorige Fragment entwickelt. 14: 189,2 ächt philosophische Unterscheidungsgabe] Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘). 14: 189,3f. die selbstincitirende Kraft] Selbstinzitierend: sich selbst reizend; siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 über Novalis’ Anleihen bei Browns Reizlehre. 14: 189,4 das Unzulängliche der bisherigen Systeme] Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘). 14: 189,4f. vivificirt] Macht lebendig, belebt. R.Samuel (NO2, S.772) weist darauf hin, daß Novalis hier von Kants Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte (1746) beeinflußt sein dürfte; dort erklärt Kant in §123: „Denjenigen Zustand, da die Kraft des Körpers zwar noch nicht lebendig ist, aber doch dazu fortschreitet, nenne ich die Lebendigwerdung oder Vivifikation derselben“ (KA1, S.BA190, §123). 14: 189,6 Sie müssen polemisch seyn] Siehe Anm. 16,19 zu L81 (‚Polemik‘). 14: 189,8–10 daß die größesten und besten zeitherigen Gelehrten am Ende ihres Lebens am wenigsten zu wissen bekannten] Eine Anspielung auf das Sokratische ‚Scio nescire‘; siehe Anm. 38,26f. zu A164. 14: 188,38–189,10 Sofisten !…" bekannten] -- Balmes, WTB3, S.417. 15: 189,11 Philosophistisiren ist dephlegmatisiren – Vivificiren] Nach der hippokratischen Temperamentenlehre, die bis ins 18. Jahrhundert hinein Gültigkeit besaß, entsteht bei Überwiegen des Phlegmas, eines schleimigen, zähen Körpersafts, der ‚phlegmatische‘, schwerfällige, träge Charaktertypus. ‚Dephlegmatisieren‘ bedeutet also „eine Beschleunigung des Kreislaufs und der Bewegung, eine Freisetzung der gebundenen Kräfte“ (Balmes, WTB3, S.417). Vgl. das vorige Fragment. 15: 189,13 Caput mortuum] ‚Haupt der Toten‘, „der unlösliche und wertlose Rückstand einer chemischen Reaktion im Schmelztiegel“ (Balmes, WTB3, S.417). Siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über den Gebrauch chemischer Termini. 15: 189,14f. Reduktion] Siehe Anm. 142,34 zu BL14. 15: 189,17 die Kunst !…" Philosophieen zu machen] Vgl. Lg8. 15: 189,15–17 Erst in den neuesten Zeiten !…" Philosophien zu machen] Vgl. Lg8. Diese Passage dürfte sich auf Fichtes Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre, für Leser, die schon ein philosophisches System haben (1797; FI1, S.453f.), beziehen. -- Götze, Ironie, S.276. 16: 189,18 Die gewöhnliche Logik] Hier wohl für das linear vom Grund zur Folge fortschreitende Denken, dem ein mechanistisches, vom Gesetz der Kausalität bestimmtes Weltbild entspricht. Siehe Anm. 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘). -- Pikulik, Frühromantik, S.94.

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16: 189,39 Dieses Princip des ewigen Friedens] Vgl. Id42 zu dieser Anspielung auf Kants Schrift Zum ewigen Frieden (1795). 16: 189,40f. bald werde nur Eine Wissenschaft und Ein Geist, wie Ein Prophet und Ein Gott, seyn] Vgl. zur Idee der Einheit Schelling, AEN4, Hülsen, H59 und Schlegel, FPL [V] 35 zur „Vereinigung aller Künste“. Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘), 29,19 zu A80 (‚Prophet‘) und 47,30 zu A232 (‚Gott‘). 17: 189,42 Die vollendete Form der Wissenschaften muß poëtisch seyn] Im Brief an August Wilhelm Schlegel, 24.2.1798, schreibt Novalis: „die Wissenschaften müssen alle poëtisirt werden“ (NO4, S.252). Vgl. zu diesem Gedanken auch seine Kant-Studien (Nr.45): „philosophiren ist soviel, als wissenschaften !…" – die Wissenschaften wissenschaftlich und poëtisch behandeln“ und Vorarbeiten 105. Nach H.-J.Mähl, NO2, S.315f., zeichnet sich in der Beschäftigung mit Hermsterhuis’ Poesie-Konzeption, die er besonders in Alexis, ou de l’âge d’or (1787) entwickelt, eine Wende in Hardenbergs Philosophieren ab, die bereits die Anfänge des Enzyklopädieprojekts erkennen läßt.; siehe Anm. 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft sowie 48,28f. zu A239 (‚poetisieren‘). 17: 189,42–44 Die vollendete Form !…" eines witzigen Einfalls seyn] Siehe Auch Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 9,23 zu L9 (‚Witz‘). -Samuel, NO2, S.772; Neumann, Ideenparadiese, S.279f. 18: 190,1–6 Der erste synthetische Satz ist !…" auszufüllen] Siehe Anm. 13,26 zu L47 (‚unendlich‘). -- Loheide, Fichte und Novalis, S.278; Neumann, Ideenparadiese, S.280. 19: 190,7 Die höchsten Aufgaben beschäftigen den Menschen am Frühsten] Vgl. Id154. 19: 190,7–27 Die höchsten Aufgaben !…" vollkommen gehoben] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘), 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘), 75,3 zu A412 (‚Ideal‘), 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘) und 13,26 zu L47 (‚unendlich‘). -- Hartmann, S.26; Neumann, Ideenparadiese, S.280; Schierbaum, S.335f. 20: 190,28f. Statt Cosmogenieen und Theogenieen beschäftigen sich unsre Philosophen mit Anthropogenieen] „Ausgehend von den Cosmogenieen und Theogenieen – den Lehren von der Erschaffung des Kosmos und der Götter (vgl. Hesiods ‚Theogonia‘) – postuliert N. eine ‚Anthropogenie‘, die hier als Lehre die Entwicklung des Menschen weniger unter anthropologischen Aspekten, als unter dem Akut der Entwicklung seines Bewußtseins begreift“ (Balmes, WTB3, S.417). Vgl. Lg19, 27 und HKS21. 21: 190,30 Es giebt gewisse Dichtungen in uns] Vgl. zur hier gemeinten Auffassung von Dichtung GL18 und Heinrich von Ofterdingen, 1. Teil, Kap.8 (NO1, S.287). -- Balmes, S.417; Kuhn, Apokalyptiker, S.98. 21: 190,39f. Dieses Ich höherer Art verhält sich zum Menschen, wie der Mensch zur Natur, oder wie der Weise zum Kinde] Ein doppelter Proportionalvergleich. Siehe Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘) und 154,30 zu BL97 (‚Kind‘). 21: 190,41 das N[icht]I[ch]] Siehe Anm. 15,37 zu L75.

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21: 190,42 Darthun läßt sich dieses Factum nicht] Siehe Anm. 143,36f. zu BL22 (‚Faktum‘). 21: 191,1f. die höhere W[issenschafts]L[ehre]] Fichtes Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794). 21: 191.2f. Hier ist !…" des practischen Theils] Dieser von Novalis gestrichene Satz bezieht sich auf §4 der Wissenschaftslehre, in dem Fichte über den theoretischen Teil der Philosophie spricht: „Das Ich setzt sich, als bestimmt durch das Nicht-Ich“, und auf §5, der die praktische Philosophie betrifft: „Das Ich setzt sich als bestimmend das Nicht-Ich“ (FI1, S.145 und 246). Novalis kehrt hier also die ursprüngliche Zuordnung um. 21: 191,5 die Merckmale der ächten Mittheilung] Dem ‚Gespräch mit einem höheren Wesen‘, von dem am Anfang des Texts die Rede ist. Siehe Anm. 17,30f. zu L98 (‚Mitteilung‘) und 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘). 21: 191,8 die Erziehung und Bildung des N[icht]I[ch]] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 15,37 zu L75 (‚Nicht-Ich‘). 21: 190,30–191,12 Es giebt gewisse Dichtungen !…" was beyde verknüpft] -- Balmes, WTB3, S.417f.; Götze, Ironie, S.267f.; Link, Fichte-Rezeption, S.357–359; Kuhn, Apokalyptiker, S.98; Lukas, S.33–35; Malinowski, S.247f.; Striedter, S.114f. 22: 191,13 Philosophiren ist eine Selbstbesprechung obiger Art] Das Fragment knüpft an Lg21 an. 22: 191,17 Ohne Philosophie keine ächte Moralität] Novalis legt hier den Moral-Begriff zugrunde, den er in den Hemsterhuis-Studien entwickelt und „der das Motiv für die Umkehrung der beiden Grundsätze der Wissenschaftslehre abgibt“ (Balmes, WTB3, S.418). Siehe auch Anm. 173,6f. zu FSt555 (‚Moralität‘) sowie Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘). 22: 191,13–18 Philosophiren !…" keine Philosophie] -- Lukas, S.33–35; Malinowski, S.247f. 23: 191,19f. Die Verknüpfung des Spinotzism und Hylozoïsm würde die Vereinigung des Materialïsm und Theïsm herbeyführen] Siehe Anm. 47,40 zu A234 (Spinoza). – Der Hylozoismus geht auf die ionische Naturphilosophie zurück. Er lehrt, daß alle Materie beseelt und jede Form des Geists an Materie gebunden ist. Dagegen führt der Materialismus die gesamte Wirklichkeit (einschließlich Geist und Seele) auf die Wirkung der Materie zurück. – Der Theismus erblickt den Ursprung alles Seins im Werk eines personalen, von außen auf die Welt einwirkenden Schöpfergotts. -- Balmes, WTB3, S.418. 24: 191,21f. die Kraft d[er] Kräfte !…" die Seele der Seelen. Gott ist der Geist der Geister] Siehe Anm. 19,9 zu L108 über die potenzierenden Formeln der Romantiker (‚Philosophie der Philosophie‘) und Anm. 47,30 zu A232 (‚Gott‘). 25: 191,23 Baader, Fichte, Schelling, Hülsen und Schlegel] Siehe Anm. 91,15 zu Id97 (Baader), 36,1 zu A137 (Fichte) und 19,8f. zu L108 (Hülsen); mit Schlegel ist hier Friedrich Schlegel gemeint, den Hardenberg auch in der folgenden Aufzeichnung erwähnt. 25: 191,23f. das philosophische Directorium in Deutschland] Zwischen

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1795 und 1799 war das fünfköpfige Direktorium oberstes Regierungsgremium des revolutionären Frankreichs. 25: 191,25 Quinquevirat] Kollegium aus fünf Männern. 25: 191,25f. Gardien de la Constitution] Hüter der Verfassung. 25: 191,23–26 Baader !…" Constitution] Im Brief an Hardenberg vom 1.7.1798 scheint Friedrich Schlegel an diese Textstelle anzuknüpfen, wenn er Baader einen der „fünf Directoren der Philosophie“ nennt (KFSA24, S.139). -Balmes, WTB3, S.418; Schulz, Werke, S.763; Friedrich Strack, Was soll die Schweiz dem Athenäum? Romantische Schönheitsmetaphysik in Hülsens ‚NaturBetrachtungen‘. In: Geschichtlichkeit und Aktualität, S.113–137. 26: 191,27f. Die Möglichkeit aller Philosophie beruht darauf – daß sich die Intelligenz durch Selbstberührung] Vgl. Vorarbeiten 102, AB1032 und FNS (NO3, S.95). Siehe Anm. 153,19 zu BL89 (‚Berührung‘). 26: 191,29 Baaders Theorie der Gliedrung] In Franz X. von Baader, Beiträge zur Elementarphysiologie (1797): „so fasst man auch nur den Schatten jenes grossen Grundsatzes: vis conjuncta fortior, vis separata debilior, wenn man bei Constructionen der äusseren Anschauung stehen bleibt, oder was noch schlimmer ist, wenn man, sie auf den inneren Sinn übertragend, die Natur beider unkenntlich macht. Jene Einung der Kräfte, wovon dieser Satz spricht, kömmt nemlich bloss durch Gliederung, d.h. durch eine systematische Vertheilung der einzelnen Functionen (eine division of labour) zu Stande; wovon, wie ich in der Folge zeigen werde, die Einung der Elementarkräfte in Bildung eines einzelnen Körpers bereits das erste und das nächste Beispiel gibt. !…"“ (Sämmtliche Werke I/3, S.215f). Vgl. hierzu auch Vorarbeiten 70. Siehe Anm. 91,15 zu Id97 über Baader. 26: 191,27–29 Die Möglichkeit !…" Gliedrung] -- Balmes, WTB3, S.418; Kapitza, Mischung, S.88f. 27: 191,33f. Statt Cosmogenieen !…" Anthropogenie] (= Lg20.) 28: 191,35–37 Wenn die Welt gleichsam ein Niederschlag aus der Menschennatur ist !…" ohne geistiges Sublimat] Vgl. BL96, das mit dem Anfang dieser Aufzeichnung fast wörtlich übereinstimmt, und AB942. Siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über chemische Vorstellungen und Termini in den Fragmenten der Frühromantiker. 28: 191,39–192,1 Lebensluft] Sauerstoff; vgl. GL9. 28: 191,35–192,2 Wenn die Welt !…" Geiststoff] -- Balmes, WTB3, S.418f.; Hartmann, S.149. 29: 192,3 Das Poém des Verstandes ist Philosophie] Vgl. AB758 zum ‚poetischen Philosophen‘ und siehe Anm. 19,41f. zu L115 über das Verhältnis von Philosophie und Poesie. 30: 192,35 Aus der Recension !…" statt finde] In der Handschrift bricht das Zitat nach „unmittelbar nichts“ ab und wurde vom Herausgeber der historisch-kritischen Ausgabe nach dem Wortlaut des Texts in der Jenaer ‚Allgemeinen Literaturzeitung‘ vom 4.1.1798 ergänzt. -- Samuel, NO2, S.772. 30: 192,14 Methodischer Profetismus] Mit dieser Bemerkung, die Novalis eigenmächtig in das Zitat hineinschreibt, gibt er seine weit über Fichte hinausführenden Intentionen zu erkennen.

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Fragmente oder Denkaufgaben

Textgrundlage und Textgeschichte Auf einem einzelnen Folioblatt ist die kleine, nur fünfzehn Texte umfassende Sammlung Fragmente oder Denkaufgaben überliefert. Sie erschien zunächst nur auszugsweise in: Novalis Schriften, hg. von Ludwig Tieck und Eduard von Bülow, Dritter Theil, Berlin 1837, S.251f. und 192f. Vollständig, aber fehlerhaft sind die Fragmente oder Denkaufgaben erstmals wiedergegeben in: Novalis Schriften, kritische Neuausgabe auf Grund des handschriftlichen Nachlasses, hg. von Ernst Heilborn, 2 Theile in 3Bdn., Berlin 1901, Bd.2, S.95–100. Der Text folgt der historisch-kritischen Novalis-Ausgabe, die die Aufzeichnungen als Nr.193–203 der Vorarbeiten zu verschiedenen Fragmentsammlungen aus dem Jahr 1798 abdruckt: Novalis Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, hg. von Paul Kluckhohn (†) und Richard Samuel. Zweiter Band: Das philosophische Werk I, hg. von Richard Samuel in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz, revidiert von Richard Samuel und Hans-Joachim Mähl, Stuttgart, Berlin, Köln und Mainz (W.Kohlhammer) 31981, S.564–566. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags W.Kohlhammer.

Entstehung Da die Fragmente oder Denkaufgaben mehrfach Gedankengänge aus den Poëticismen aufgreifen, dürften sie nach diesen, im Mai 1798 in Freiberg niedergeschrieben worden sein. Die näheren Umstände ihrer Entstehung sind jedoch nicht bekannt.

Wirkung Wie die übrigen Vorarbeiten zu weiteren Fragmentsammlungen wurden die Fragmente oder Denkaufgaben erst lange nach dem Tod des Verfassers veröffentlicht und hatten – auch aufgrund ihres geringen Umfangs – keine nennenswerte Wirkung.

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Struktur und Gehalt Die Fragmente oder Denkaufgaben kreisen um die Frage „Was ist der Mensch?“ (FD197) und beleuchten aus verschiedenen Blickwinkeln seine Beziehung zur unsichtbaren, aber geahnten geistigen Welt. Dabei greift Novalis mehrmals auf kurz vorher entstandene Aufzeichnungen seiner Vorarbeiten zurück, die er ebenfalls als Grundlage und Vorstufe zu selbständigen Sammlungen niedergeschrieben hatte. Der Titel der Sammlung erhellt Hardenbergs Auffassung vom Fragment, das er als ‚Denkaufgabe‘ versteht, um deren Lösung sich der Leser bemühen soll.

Stellenkommentar 193, Titel Fragmente oder Denkaufgaben] Im Brief an C.A.Just, 26.12.1798, nennt Hardenberg seine „abgerissenen Gedanken !…" Anfänge interessanter Gedankenfolgen – Texte zum Denken“ (NO4, S.270). -- Balmes, WTB3, S.427. 193: 193,1–3 Der erste Mensch ist der erste Geisterseher !…" die Ahndung des entschiedensten Sehers] Vgl. Vorarbeiten 167 und siehe Anm. 154,30 zu BL97 (‚Kind‘). 194: 193,4–6 Die Sieste des Geisterreichs ist die Blumenwelt. In Indien !…" umschließen] Siehe Anm. 140,12f. zu PhL [XI] 195 (‚Indien‘) und 54,19 zu A288 (‚Traum‘). -- Neumann, Ideenparadiese, S.268–274. 195: 193,7 Selbstberührung] Vgl. Lg26. 195: 193,8f. Träume von jener heymathlichen Welt] Der religiös geprägte Gedanke vom himmlischen Vaterland, der geschichtsphilosophische und eschatologische Aspekte einschließt, findet sich u.a. in Novalis’ Gedicht Der Fremdling (NO1, S.399f.). Siehe Anm. 54,19 zu A288 (‚träumen‘). 195: 193,10 Genien] Siehe Anm. 157,27. 195: 193,7–11 Es liegt nur an der Schwäche unsrer Organe !…" erquikken] Vgl. Vorarbeiten 182. -- Balmes, WTB3, S.427; Schulz, Werke, S.612. 196: 193,12 Plastik, Musik und Poésie verhalten sich wie Epos, Lyra und Drama] Ein Proportionalvergleich. Das Fragment erinnert an A116. Siehe Anm. 20,31 zu L121 (‚Epos‘), 20,20 zu L119 (‚lyrisch‘) und 13,19f. zu L45 (‚Drama‘). 197: 193,15 Was ist der Mensch?] Dieses Zitat aus Hiob 7,17 (15,14) wurde in der geistlichen Literatur seit dem 17. Jahrhundert häufig variiert und – anders als bei Novalis – mit dem Vanitas-Motiv verbunden. 197: 193,15 Ein vollkommner Trope des Geistes] Siehe Anm. 158,25f. zu GL1 (‚Tropen‘); vgl. T30, 82 und AB820. 197: 193,15 der Mensch !…" Trope des Geistes] Vgl. Vorarbeiten 174. 197: 193,16f. sind also nicht Liebkosungen ächte Mittheilungen?] Siehe Anm. 17,30f. zu L98 (‚Mitteilung‘) und 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘); vgl. Lg12 und T5.

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198: 193,18f. Alle Menschen sind Variationen Eines vollständigen Individuums, d.h. einer Ehe] Vgl. T66, erster Satz. Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 25,20 zu A34 (‚Ehe‘). 198: 193,19 Ein Variationen Accord ist eine Familie] Siehe Anm. 9,11 zu L5 über die musikalische Metaphorik in den Fragmenten der Frühromantiker und 93,5f. zu Id122 (‚Familie‘). 198: 193,20f. Natalie und die schöne Seele] Figuren aus Goethes Wilhelm Meister. In Natalie, die ihn verletzt gefunden hat, nachdem er unter Räuber gefallen war, verliebt sich Wilhelm Meister im IV.Buch, Kap.6. In Nataliens Tante, der von pietistischer Frömmigkeit geprägten ‚schönen Seele‘, deren „Bekenntnisse“ das VI.Buch des Romans einnehmen, setzt Goethe seiner mütterlichen Freundin Katharina von Klettenberg ein literarisches Denkmal. Vgl. GL43. 198: 193,18–22 Alle Menschen !…" vernimmt?] Vgl. Vorarbeiten 175. -Schierbaum, S.331; Schulz, Werke, S.765. 199: 193,23–25 Ein Lichtstrahl bricht sich noch in etwas ganz Anderes, als in Farben !…" Wem fällt nicht der Blick der Geliebten ein?] Siehe Anm. 217,1 zu AB931 (‚Licht‘) und vgl. das folgende Fragment. 200: 193,26 Alle geistige Berührung gleicht der Berührung eines Zauberstabs] Siehe Anm. 153,19 zu BL89 (‚Berührung‘) und 64,39f. zu A350 (‚Zauberstab‘). 200: 193,30f. ihren ersten, bedeutenden Blick, wo der Zauberstab der abgebrochne Lichtstrahl ist] Siehe Anm. 217,1 zu AB931 (‚Licht‘); vgl. das vorige Fragment und Vorarbeiten 189. 200: 193,31 an den ersten Kuß, an das erste Wort der Liebe] Siehe Anm. 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). Vgl. Vorarbeiten 74 und 81. 200: 193,26–33 Alle geistige Berührung !…" ewig ist?] -- Schulz, Werke, S.765. 201: 193,34f. Die Menschheit ist der höhere Sinn unsers Planeten !…" was er gen Himmel hebt] Siehe Anm. 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘), 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘) und 127,19–21 zu PhL [II] 488 über die Analogie von Mikro- und Makrokosmos; vgl. Vorarbeiten 186. 202: 193,36–194,1 Der Philosoph lebt von Problemen, wie [der] Mensch von Speisen !…" Nahrungsmittel, so soll alles !…" werden] Vgl. Vorarbeiten 166: „Alles muß Lebensmittel werden“, und siehe Anm. 212,21 zu ET429 über das Motiv der Nahrung(saufnahme). 202: 194,1f. Was die Würze an den Speisen, das ist das Paradoxe an den Problemen] Siehe Anm. 13,28f. zu L48 (‚paradox‘). 203: 194,20 Vellëitaet] Zögerndes Wollen, Wunsch, dem die Kraft zur Tat fehlt. 203: 194,18–21 [Man] weiß und macht eigentlich [nur], was man wissen und machen will !…" entwickelt und abklärt] Vgl. Vorarbeiten 191.

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Teplitzer Fragmente und Ergänzungen zu den Teplitzer Fragmenten

Textgrundlage und Textüberlieferung Die 105 Teplitzer Fragmente und die 18 Ergänzungen zu den Teplitzer Fragmenten wurden erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Ernst Heilborn veröffentlicht: Novalis Schriften. Kritische Neuausgabe auf Grund des handschriftlichen Nachlasses, hg. von Ernst Heilborn, 2 Theile in 3Bdn., Berlin 1901, Bd.2, S.137–158 und 128–136. Die Sammlung liegt in der historisch-kritischen Novalis-Ausgabe vor, wo sie als Nr.320–424 und 425–442 der Vorarbeiten zu verschiedenen Fragmentsammlungen des Jahres 1798 wiedergegeben ist; diese Edition dient als Grundlage für den Text dieses Bandes: Novalis Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, hg. von Paul Kluckhohn (†) und Richard Samuel. Zweiter Band: Das philosophische Werk I, hg. von Richard Samuel in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz, revidiert von Richard Samuel und Hans-Joachim Mähl, Stuttgart, Berlin, Köln und Mainz (W.Kohlhammer) 31981, S.596–615 und 616–622. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags W.Kohlhammer. Das Manuskript der Teplitzer Fragmente ist erhalten und befindet sich im Besitz des Freien Deutschen Hochstifts. Außer den Teplitzer Fragmenten und ihren Ergänzungen enthält die Handschrift Hardenbergs Kritik der Athenaeumsfragmente und seine Titel zu diesen Fragmenten.

Entstehung Von Mitte Juli bis Mitte August 1798 hielt sich Friedrich von Hardenberg in Bad Teplitz auf, um sich nach dem Tod von Jeanette Danscour, der Erzieherin und Vertrauten Sophie von Kühns, von einer Erkrankung zu erholen. Von dort schreibt er am 20.7. an Friedrich Schlegel: Es fehlt an Muße, Büchern und Erlaubniß den Kopf anzustrengen. Indeß bin ich doch nicht ganz müßig und ich hoffe euch manches mitbringen zu können, was euch vielleicht freut. Es sind freylich nur Früchte einzelner Augenblicke – unter andern Titel eurer Fragmente. Es könnten auch noch zu einigen Vorreden hinzukommen – denn man muß sie, als Bücher behandeln und das Fehlende ergänzen. An einer Kritik derselben sammle ich. Sonst sind die Frauen, die xstliche Religion und das gewöhnliche Leben die Centralmonaden meiner Meditationen. Für das lezte versprech ich mir insbesondre Deinen Beyfall – weil ich hier einen ganz neuen Standpunct gewonnen zu haben glaube. (NO4, S.255.)

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Die Entstehung der Teplitzer Fragmente steht in engem Zusammenhang mit Hardenbergs naturwissenschaftlichen Studien in Freiberg. Friedrich Schlegel teilte er seinen ehrgeizigen Gedanken mit, die poetisch-philosophische Behandlung des ‚gewöhnlichen Lebens‘ auf die gesamte Physik auszudehnen: „In meiner Philosophie des täglichen Lebens bin ich auf die Idee einer moralischen / im Hemsterhuisischen Sinn / Astronomie gekommen und habe die interressante Entdeckung der Religion des sichtbaren Weltalls gemacht. Du glaubst nicht, wie weit das greift. Ich denke hier, Schelling weit zu überfliegen. Was denkst Du, ob das nicht der rechte Weg ist, die Physik im allgemeinsten Sinn, schlechterdings Symbolisch zu behandeln? Auf diesem Wege denk ich tiefer, als je, einzudringen und aller Campanen und Oefen entübrigt zu seyn“ (20.7.1798; ebd.). Das Manuskript der Teplitzer Fragmente wurde von Novalis durchgesehen und (vielleicht mehrfach) überarbeitet, so daß die Sammlung zwar unvollendet blieb, insgesamt aber doch in einem recht weit fortgeschrittenen Arbeitsstadium vorliegt. Stilistisch wurden diese Fragmente von den ‚Athenäums‘-Fragmenten beeinflußt, mit denen sich Novalis während der Niederschrift intensiv beschäftigte (Samuel, NO2, S.518).

Wirkung Da die Teplitzer Fragmente erst sehr spät veröffentlicht wurden, konnten sie kaum unmittelbare Resonanz hervorrufen. Möglicherweise trug Hardenberg bei seinem Aufenthalt in Dresden Ende August 1798 den Freunden aus seinem Manuskript vor, doch kann dies nicht sicher nachgewiesen werden. In der Handschrift finden sich Randnotizen – u.a. von Friedrich Schlegel und von Ludwig Tieck –, die vielleicht aber auch erst nach Hardenbergs Tod eingetragen wurden. Neben T86 vermerkte Friedrich Schlegel: „Göttlich!!“ Von demselben Fragment ließ sich Elias Canetti (1905–1994) zum Titel des dritten Bandes seiner Autobiographie inspirieren, den er Augenspiele benannte. (Samuel, NO2, S.516; Balmes, WTB3, S.408f.)

Struktur und Gehalt Auskunft über die Thematik der Teplitzer Fragmente gibt der oben bereits zitierte Brief an Friedrich Schlegel, in dem Hardenberg „die Frauen, die xstliche Religion und das gewöhnliche Leben die Centralmonaden“ seiner gegenwärtigen Gedankenwelt nennt (20.7.1798; NO4, S.255). Die Ergänzungen zu den Teplitzer Fragmenten enthalten eine Reihe von Aufzeichnungen, die mit den Nummern 5, 8 oder 17 überschrieben sind. Diese Zahlen beziehen sich auf die entsprechenden Notate der Teplitzer Fragmente, die sich mit den Frauen (T17), mit der christlichen Religion (T5) und mit dem ‚gewöhnlichen Leben‘ (T8) beschäftigen. Diese drei Themenkreise berühren sich untereinander und gehen ineinander über. Daneben findet sich eine größere Zahl von Fragmenten zu literarischen und phi-

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lologischen Themen (T3, 6, 15, 21–23, 27, 29, 39, 56, 79 und 98). Auffallend häufig greift der Verfasser Gedanken der Brownschen Krankheitslehre auf, die er auf die verschiedensten Lebensbereiche anwendet (T13, 41f., 46, 48, 52, 90, 93, ET438). Eine Reihe von Notizen ist ganz oder teilweise in französischer Sprache geschrieben (T38, 43, 47, 51, 70–72, 74); sie dürften von Novalis selbst formuliert sein, beziehen sich jedoch auf die Mélanges Militaires, Littéraires, et Sentimentaires (34Bde.; 1795–1811) des Fürsten von Ligne (Samuel, NO2, S.517f.). In seinen „Noten zum täglichen Leben“ (T8) geht Novalis von banalen Gegenständen wie Schlafen und Essen aus oder beschäftigt sich mit den Sinneswahrnehmungen, besonders mit dem Sehen (T53, 86, ET432, 438), und gelangt zur „Idee einer moralischen !…" Astronomie“ (an Friedrich Schlegel, 20.7.1798; NO4, S.255; vgl. ET427, 432–438), die Novalis im Großen physikalischen Studienheft (NO3, S.54–68) ausführlich behandelt. Auch die Fragmente „über die Frauen“ (T17) gehen von eher alltäglichen Beobachtungen aus, denen Gedanken über die weibliche Psychologie und über die Beziehung der Geschlechter folgen, bevor Novalis schließlich in ET431 das Märchen von Hyazinth und Rosenblüthchen skizziert. Die Überlegungen zur „christlichen Religion“ (T5) kreisen vorwiegend um die Abendmahlsfeier, deren Wesen Hardenberg mystisch deutet, und münden in die Vorstellung vom Leben als Gottesdienst (T73, 78). „Sorgfältiges Studium des Lebens macht den Romantiker“, stellt eine wenig später als die Teplitzer Fragmentsammlung entstandene Aufzeichnung des Allgemeinen Brouillons (AB1073) fest. Dieses Studium führt Novalis zu seiner Theorie des magischen Idealismus, die er in T56 erstmals skizziert. Mit dem magischen Idealismus setzt Novalis die Entwicklung, die Fichtes transzendentaler Idealismus mit seinem Primat des Geistes vor der Natur vorgezeichnet hatte, konsequent fort. Den transzendentalen Ansatz verbindet Hardenberg mit Gedankengut der mystischen Tradition. Die äußere Welt ist lediglich das Produkt der inneren, geistigen Welt. Entsprechend bestimmt Novalis in Aufzeichnung Nr.109 der Vorarbeiten Magie als „Kunst, die Sinnenwelt willkührlich zu gebrauchen.“ Hardenbergs wenige, zumeist knappen Äußerungen lassen vier verschiedene Erscheinungsformen des magischen Idealismus erkennen (Frank, Magischer Idealismus, S.105–110). In seiner höchsten Ausprägung zielt der magische Idealismus auf die Herrschaft über das Absolute und strebt danach, die Trennung von Natur und Geist, Gott und Mensch (AB320) zu überwinden. Eine zweite und dritte Spielart sind einander komplementär zugeordnet: Die ‚inneren Sinne‘ sollen magische Kraft auf den eigenen Körper ausüben, ihn willkürlich als Werkzeug gebrauchen, ja sogar durch bloße Willensanstrengung den eigenen Tod herbeiführen können (Vorarbeiten Nr.247). Umgekehrt fordert Novalis: „[W]enn ihr die Gedanken nicht zu äußern Dingen machen könnt, so macht die äußern Dinge zu Gedanken“ (AB338). Eine weitere Form des magischen Idealismus bleibt dem Künstler vorbehalten, dessen schöpferische Phantasie eine eigene Welt hervorbringt (Vorarbeiten 471; vgl. hierzu auch Ritter, RF478).

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Stellenkommentar Teplitzer Fragmente 1: 195,3f. Gefühl des Gefühls !…" Empfindung der Empfindung] Siehe Anm. 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘) über die potenzierenden Formeln der Romantiker. 2: 195,7f. Jedes Glied des Körpers ist aller Kranckheiten fähig, denen eins seiner Mitglieder unterworfen ist] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 über Krankheit. 3: 195,11f. Meister ist reiner Roman !…" historische Ansicht Meisters] In seinem Essay Über Goethe schreibt Novalis über Wilhelm Meister: „wie sehr ist er Roman schlechtweg, ohne Beywort – und wie viel ist das in dieser Zeit!“ (NO2, S.642). Siehe Anm. 9,13–15 zu L6 über Goethe und 20,27–29 zu L120 über Wilhelm Meister. -- Samuel, NO2, S.774. 4: 195,14 Noten an den Rand des Lebens] Vgl. T8, 22 und 32. 5: 195,16f. Thetische Bearbeitung des neuen T[estaments] oder der kristlichen Relig[ion]] Der Gedanke einer ‚thetischen‘, also affirmativen „Bearbeitung des neuen T[estaments] oder der kristlichen Relig[ion]“ deutet nach Samuel, NO2, S.517, bereits auf Hardenbergs Schrift Die Christenheit oder Europa (1799) voraus. – Siehe Anm. 90,36f. zu Id95 (‚Bibel‘), 23,25f. zu A16 (‚Christianismus‘) und 84,9 zu Id4 (‚Religion‘). 5: 195,18 Ist die Umarmung nicht etwas dem Abendmahl Ähnliches] Vgl. zur Verbindung religiöser und erotischer Motive FD197 und die siebte von Hardenbergs Hymnen an die Nacht (1798; NO1, S.166–168). 5: 195,16–19 Thetische Bearbeitung !…" Mehr über das Abendmahl] Dieser „Centralmonade“ ordnet Novalis ET425f. zu. 6: 195,22 Kleinjogg] Jakob Gujer (1710–1785), genannt Kleinjogg, bewirtschaftete bei Zürich einen mustergültigen Hof; Popularität erlangte Kleinjogg, der das ländliche Ideal der Aufklärung verkörperte, durch die Schrift des Zürcher Arztes Hans Caspar Hirzel, Die Wirthschaft eines philosophischen Bauers (1761). 6: 195,22 Campe] Der Pädagoge und Kinderbuchautor Joachim Heinrich Campe (1746–1818). 6: 195,23 Asmus] Pseudonym des Dichters Matthias Claudius (1740– 1815). Vgl. T56. 6: 195,23 Plurimi] Die meisten, sehr viele. 7: 195,26 Individueller, selbstgegebner Name jedes Dings] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). 8: 196,2 Noten zum täglichen Leben] Vgl. T4, 22, 32; Ritter, RF470. – Dieser „Centralmonade“ ordnet Novalis ET427, 429, 432–439 und 441f. zu. 8: 196,4 Meublement] Wohnungseinrichtung. 9: 196,7 Überschriften zu den Fragmenten] Vgl. T18 und 95. Bei seinem Aufenthalt in Teplitz verfaßte Novalis Überschriften zu den ‚Athenäums‘-Fragmenten (vgl. hierzu den Kommentar zu den ‚Athenäums‘-Fragmenten), die er Friedrich Schlegel im Brief vom 20.7.1798 ankündigt (NO4, S.255).

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9: 196,8f. ein organisches, individuelles Wort – oder eine genetische Definiton] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 29,27 zu A82 (‚Definition‘). 9: 196,7–10 Überschriften !…" ganz anders] -- Klawitter, S.131–135. 10: 196,12f. Wo ist der Urkeim !…" Natur der Natur etc.?] Siehe Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘) und 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘) über die potenzierenden Formeln der Romantiker. 11: 196,15 Jedes specifische Factum ist Quell einer bes[onderen] Wissenschaft] Siehe Anm. 143,36f. zu BL22 (‚Faktum‘) und 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘). 13: 196,19–21 Was haben mehrere Menschen !…" Kranckheit curiren?] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 über Krankheit und 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). – Indikationen: Veranlassungen, Gründe. 14: 196,23f. Die Foderung die gegenwärtige Welt für die Beste !…" anzunehmen] Vgl. hierzu Leibniz (siehe Anm. 25,4f. zu A27), Essais de Theodicée (1710): „!…" le decret de Dieu consiste uniquement dans la resolution qu’il prend, apres avoir comparé tous les mondes possibles, de choisir celuy qui est le meilleur, et de l’admettre à l’existence par le mot tout-puissant de Fiat, avec tout ce que ce monde contient“. (Gerhardt 6, S.131; vgl. auch ebd., S.424–426.) 14: 196,29f. Das Fatum ist die mystificirte Geschichte] Fatum: Götterspruch, Schicksal. Vgl. über das Fatum auch GL18, T56, 65 und Vorarbeiten 242. 14: 196,32f. Wechselreligion] Siehe Anm. 118,6 zu PhL [II] 193 (‚Wechselgrundsatz‘). 14: 196,23–35 Die Foderung !…" kristliche Liebe] Siehe Anm. 18,30 zu L106 über die Frauen, 25,20 zu A34 (‚Ehe‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 10,9 zu L16 (‚Willkür‘), 26,31 zu A50 (‚Liebe‘), 84,9 zu Id4 (‚Religion‘) und 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘). 15: 197,2f. Begriff von Philologie – Sinn für das Leben und die Individualitaet einer Buchstabenmasse] Siehe Anm. 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘), 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘) und 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). Vgl. T23. 15: 197,3 Letternaugur] Auguren waren im alten Rom ein Priesterkollegium, zu dessen Aufgabe es gehörte, vor staatlichen Handlungen mit Hilfe von Eingeweideschau, Beobachtung des Vogelflugs und anderer Vorzeichen, den Willen der Götter zu erkunden. Ein „Letternaugur“ wäre demnach jemand, der aus Buchstaben weissagt. -- Wb Antike, S.75f. (‚Augures‘). 15: 197,3–6 Seine Wissensch[aft] entlehnt viel von der materialen Tropik !…" aufs Ganze] Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘), 158,25f. zu GL1 (‚Tropen‘), 66,5f. zu A358 (‚Physik‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 14,35 zu L63 (‚Künstler‘), 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘) und 18,15 zu L103 (‚Ganzheit‘). 15: 197,6 et sic porro] „Und so fort.“ 15: 197,6–9 Alles befaßt die Kunst und Wiss[enschaft] !…" Divinationskunst] Siehe Anm. 10,10 zu L16 (‚Künste und Wissenschaften‘), 56,35 zu A305 (‚Rhapsodie‘) und 26,22f. zu A46 (‚System‘). 16: 197,12 Nichts ist dem Geist erreichbarer, als das Unendliche] Siehe Anm. 13,26 zu L47 (‚unendlich‘).

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17: 197,15 Sofie, oder über die Frauen] Sophie von Kühn, Friedrich von Hardenbergs früh verstorbene Verlobte. Aber auch das fünfte Buch von Rousseaus Roman Émile ou de l’éducation (1762) ist überschrieben: „Sophie ou la femme“. – Siehe Anm. 18,30 zu L106 über die Frauen. – Dieser „Centralmonade“ ordnet Novalis ET428, 430f. und 440 zu. 18: 197,18 Vorrede und Motto zu den Fragmenten] Vgl. T9, 95 und den ersten der Dialogen (NO2, S.663). Siehe Anm. 24,14f. zu A22 (‚Fragment‘). -Balmes, WTB3, S.432. 20: 197,25 Sollicitation] „Die Wirkung einer bewegenden Kraft auf einen Körper in einem Augenblicke ist die Sollizitation derselben“ (Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, 1786; KA9, S.119). Vgl. Vorarbeiten 226 und 312. 21: 197,28f. An schlechten und mittelmäßigen Schriftstellern ließe sich noch mancher schöne Kranz verdienen] Vgl. L24 zu den ‚kleinen‘ und mittelmäßigen Schriftstellern und siehe Anm. 10,26 dazu. 22: 197,33 Ein Roman ist ein Leben, als Buch] Vgl. Schlegel, L26 und 78. 22: 197,34f. Jedes Leben hat ein Motto !…" oder kann es haben] Vgl. auch T4. 23: 198,2–10 Philologie im Allg[emeinen] ist die Wissenschaft der Litteratur !…" Historie auch] Siehe Anm. 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘), 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘) und 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). Vgl. T15. 24: 198,12–18 Philosophie des Lebens !…" auch die Historie hat einen phil[osophischen] Theil] Der Begriff ‚Philosophie des Lebens‘ begegnet bereits bei Wieland für eine durch „genügsamen Genuß“ (Samuel, NO1, S.720) geprägte Haltung; vgl. auch ET441 und Novalis’ Jugendgedicht An Filidor (NO6.1, S.339f.). Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘) und 46,31 zu A225 über die „Lebenskunstlehre“. 25: 198,25 In allem Wissen ist Glauben] Vgl. zum Verhältnis von Glauben und Wissen auch FSt2f., HKS27 (NO2, S.367), AB601, 653, 782 und Schlegel, PhL [II] 256, 849, 941, [VI] 123, [XII] 116, 295, Beilage VIII154, Beilage X 84, 125, 281 u. ö. 26: 198,29 Lettern Algéber] Algebraische Formeln, in denen Zahlen durch Buchstaben ersetzt sind. 26: 198,30f. methodischer Name einer ächten genetischen Definition !…" Factum] Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘), 29,27 zu A82 (‚Definition‘) und 143,36f. zu BL22 (‚Faktum‘). 26: 198,33–35 wie sich die Logarythmen auf die geometr[ischen] Progressionen beziehn, kann sich der Mechanism auf den Organism beziehn] Vgl. BL70 zum Verhältnis des Organischen zum Mechanischen und siehe Anm. 149,29–31 dazu. Siehe auch Anm. 24,16f. zu A22 (‚progressiv‘) und 218,7f. zu AB939 (‚Mathematik‘). 27: 198,37f. Auch die Grammatik ist philologisch zum Theil – der andre Theil ist philosophisch] Siehe Anm. 30,35–37 zu A92 (‚Grammatik‘) und 30,38f. zu A93 über das Verhältnis von Philosophie und Philologie.

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28: 199,2–7 Die eingezogene Erziehung der Mädchen !…" verwischt scheinen kann] Siehe Anm. 25,20 zu A34 über die Ehe. 29: 199,10–12 Ächte Kunstpoësie ist bezahlbar !…" bezahlen] Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘), 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘) und 11,6 zu L31 (‚sentimental‘). Vgl. Schlegel, A115. 30: 199,14f. Die Welt ist ein Universaltropus des Geistes – Ein symbolisches Bild desselben] Siehe Anm. 158,25f. zu GL1 (‚Tropen‘). Vgl. T82, FD197 und AB820. 31: 199,17f. Das Epigramm ist die Centralmonade der altfranzösischen Litteratur und Bildung] Vgl. über das Epigramm Vorarbeiten 271. – Vgl. zur „Centralmonade“ Vorarbeiten 86, A55 und siehe Anm. 27,14 hierzu. Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). -- Balmes, WTB3, S.433. 32: 199,20–23 Karactere, wie die Theophrastischen, müssen nicht wahr, aber sie müssen durchaus witzig seyn !…" oder sonst etwas] Der griechische Schriftsteller Theophrast von Eresos (ca. 371–287? v.Chr.) verfaßte eine Sammlung von 30 kurzen, satirisch getönten Charakterschilderungen. Vgl. T33 und siehe Anm. 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘). 33: 199,25–27 Der vollkommenste Karacter würde der durchsichtige !…" durchaus Bekannte !…" elastische seyn] Vgl. T32 und 34. – Elastisch nennt Lavoisier den dritten Aggregatzustand neben fest und flüssig, der kraftvoll nach Expansion strebt; vgl. hierzu FNS (NO3, S.58). -- Balmes, WTB3, S.462. 34: 199,29–31 Das Bekannte !…" absol[ut] Bekannt] Vgl. das vorige Fragment und siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘). 35: 199,33 Symbolische Behandl[ung] der Naturwissenschaften] Vgl. hierzu Hardenbergs Brief an Friedrich Schlegel, 20.7.1798, in dem er vorschlägt, „die Physik im allgemeinsten Sinn, schlechterdings Symbolisch zu behandeln“ (NO4, S.255). 36: 200,2–4 Alle Bezauberung ist ein künstlich erregter Wahnsinn !…" man glaubt] Vgl. FD200. 38: 200,8 Tout est Vanité – ist der empirische Idealism] „Alles ist Eitelkeit“. (Vgl. Prediger Salomo1,2.) – Siehe Anm. 46,39 zu A226 (‚Empirie‘). 38: 200,8–15 C’est la Philosophie des Esprits forts !…" qui a toujours Raison?] „Das ist die Philosophie der Freigeister und Weltmenschen – der Grundsatz eines unbestimmten und höchst abwechslungsreichen Lebens. Alle Alten, vor allem diejenigen, die ihr Leben in vollen Zügen genossen haben, predigen diese Regel. Der junge, kräftige Mann hört dies und wird daraufhin eine fröhliche Eitelkeit einer traurigen Wahrhaftigkeit vorziehen. Eine traurige Wahrhaftigkeit ist auch nur eine Eitelkeit, die ihre frische und bunte Färbung, die rosigen Lippen und ihren leichten Gang verloren hat. Ist die Häßlichkeit des Alters also wirklicher als die Schönheit der Jugend – weil sie zuletzt kommt? Behält also immer das recht, was zuletzt kommt?“ (Übersetzung von H.J.Balmes, WTB3, S.433.) 39: 200,20 Hier ist kein Künstler, sondern der ächte Menschenkenner kompetent] Siehe Anm. 14,35 zu L63 (‚Künstler‘) und 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘). 39: 200,22 arbitrair] Willkürlich. 39: 200,23f. Es giebt so wenig reifen Sinn für universelle Humanitaet !…"

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nicht wundern darf] Siehe Anm. 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘), 83,15 zu A451 (‚Universalität‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 39: 200,27 Harmonieen] Siehe Anm. 82,4 zu A440. 39: 200,27 appreciren] Wertschätzen, würdigen. 39: 200,31 Talent des schriftlichen Ausdrucks] Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Talent‘). 39: 200,17–31 Jedes Buch !…" vernachläßigte] -- Schierbaum, S.339f. 40: 200,33 Fragmente über den Menschen] Hierzu gehören z.B. Vorarbeiten (Poësie) 38, Vorarbeiten 153, 162, 174, 231, T74f., FD193 und 197. Siehe Anm. 21,14f. zu A22 (‚Fragment‘). 41: 200,35–40 Das Schwächungs und AbtödtungsSystem !…" ihre Rollen wechseln] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 über Krankheit und die Brownsche Reizlehre. 42: 201,2 Eine reitzbare Vernunft ist eine Schwächliche – Zärtliche] Begriffe wie ‚Reiz‘ und ‚Schwäche‘ spielen in der Physiologie des schottischen Arztes Brown eine wichtige Rolle; siehe Anm. 142,1–3 zu BL8. 43: 201,5 Les Femmmes] „Die Frauen“, ironisch für die Damen von Welt. Vgl. T51f. und siehe Anm. 18,30 zu L106 über die Frauen. 43: 201,14f. La philosophie du monde] „Die Philosophie der !großen" Welt“. 43: 201,15f. die consommirten, und consumirten Weltleute] „Die vollendeten und verbrauchten Weltleute“. Ein Wortspiel. 43: 201,20 La vraie philosophie] „Die wahre Philosophie“. Gemeint ist wohl die Philosophie der Aufklärung. -- Balmes, WTB3, S.433. 43: 201,21f. kein freyes Produkt unsrer magischen Erfindungskraft] Siehe Anm. 49,27–31 zu A246 (‚Magie‘). 43: 201,23 Auch im Schlimmen giebts eine Progression] Siehe Anm. 24,16f. zu A22 (‚progressiv‘). 44: 201,28 Jedes Geschäft muß künstlerisch behandelt werden] Vgl. hierzu GL39 („Jeder Mensch sollte Künstler seyn. Alles kann zur schönen Kunst werden“), A239 („der große Gedanke !…": daß alles poetisiert werden soll“) und Vorarbeiten 105 („Die Welt muß romantisirt werden“) und siehe Anm. 59,16f. zu A321 über das frühromantische Postulat des allgemeinen Künstlertums. 45: 201,31 Leute wie Ligne, Voltaire, und Boufflers] Charles Joseph Fürst de Ligne (1735–1814), österreichischer Offizier und Diplomat belgischer Herkunft, korrespondierte mit zahlreichen hervorragenden Zeitgenossen, wie Voltaire, Rousseau, Friedrich dem Großen, Goethe und Wieland. Vgl. T47 und 56. – Siehe Anm. 59,30 zu A324 über Voltaire. -- Stanislas Chevalier de Boufflers (1738–1815), französischer Schriftsteller. 45: 201,31 absolute Esprits] Beaux esprits, Schöngeister. Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘). 45: 201,33 Sottisen] Dummheiten. 45: 201,33f. Kreatoren und Annihilanten des Esprit] „Schöpfer und Vernichter des Geists“. Siehe Anm. 31,21–24 zu A103 (‚annihilieren‘).

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46: 201,36–38 Brown ist der Arzt unsrer Zeit !…" ändern muß] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 über Brown und dessen Physiologie. 47: 202,2–4 La Memoire ne se comporte pas bien !…" Prince de Ligne] „Die Erinnerung verträgt sich nicht so gut mit der Empfindlichkeit wie mit dem Urteil, was durch die Tatsache erhellt wird, daß ein großer Schmerz sie schwächt. Vom Fürsten von Ligne.“ (Übersetzung nach H.J.Balmes, WTB3, S.433.) Siehe Anm. 201,31 zu T45 über den Fürsten von Ligne. – Novalis exzerpiert und paraphrasiert in dieser Aufzeichnung eine Stelle aus dem anonym veröffentlichten Werk des Fürsten von Ligne, A mon refuge sur le Leopoldsberg près de Vienne, Dresden 1796: „Il me semble qu’une grande douleur de l’ame ôte la mémoire; cela me feroit croire plutôt qu’elle s’arrange encore moins avec la sensibilité qu’avec le jugement.“ (Mélanges Militaires, Littéraires et Sentimentaires. Bd.12f.: Mes Écarts, ou Ma Tête En Liberté, S.24f.; zitiert nach NO2, S.774.) -Samuel, NO2, S.774 und 518. 48: 202,6 Brownische Psychologie] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8. 50: 202,12 bon Compagnon] Guter Gefährte, guter Gesellschafter. 50: 202,14f. Die Andren werden von ihm gehabt – und haben ihn nicht] Vgl. L88 und A35 zum ‚Haben und Gehabtwerden‘. 50: 202,12–19 Nur der keine Gesellschaft bedarf !…" mich mitzutheilen] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 zu Browns Reizlehre, 10,9 zu L16 (‚Willkür‘), 168,31f. zu GL51 (‚Konstitution‘) und 17,30f. zu L98 (‚Mitteilung‘). 51: 202,21–23 Les Femmes !…" Beauxesprits !…" verwechseln] „Die Frauen“, „Schöngeister“. Vgl. T43, 52 und 45; siehe Anm. 18,30 zu L106 über die Frauen. 52: 202,25f. Les Femmes !…" höchste Asthenieen] Vgl. T43 und 51 und siehe Anm. 18,30 zu L106 über die Frauen. – Asthenie, Schwäche, ist ein Terminus der Brownschen Reizlehre (siehe Anm. 142,1–3 zu BL8). 52: 202,27 Annihilantinnen der Vernunft] Vernichterinnen, Zerstörerinnen. Siehe Anm. 31,21–24 zu A103 (‚annihilieren‘) und vgl. T45, das die ‚Schöngeister‘ als „Annihilanten des Esprit“ bezeichnet. 54: 202,34f. Dürfte es wohl eine Dame geben, die !…" anzöge?] Siehe Anm. 18,30 zu L106 über die Frauen. 55: 203,2–4 Mancher Skepticism ist nichts, als unreifer Idealism !…" der Realism] Siehe Anm. 28,15 zu A66 (‚Skeptiker‘) und 114,10 zu PhL [II] 137 über das Verhältnis von Realismus und Idealismus. Vgl. Lg14 über den Skeptiker. 56: 203,6 Aehnlichkeit und Unähnlichkeit von Asmus und Ligne und Voltaire] Siehe Anm. 195,23 zu T6 über Matthias Claudius (Asmus), 201,31 zu T45 über den Fürsten von Ligne und 59,30 zu A324 über Voltaire. 56: 203,6f. Auch Jacobi gehört zu den Transscendenten Empirikern] Schlegel bezeichnet Jacobi in PhL [I] 3 als ‚empirischen Mystiker‘, in [I] 60 als ‚mystischen Empiriker‘. Siehe Anm. 36,23 zu A142 (Jacobi) und 46,39 zu A226 (‚Empirie‘). 56: 203,8 des Fatums] Siehe Anm. 196,29f. zu T14. 56: 203,12f. dann zu Kant – von da zu Fichte] Siehe Anm. 10,12 zu L16 (Kant) und 36,1 zu A137 (Fichte).

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56: 203,13 zum magischen Idealism] Vgl. AB338, 638, 642 und 826. Siehe Anm. 49,27–31 zu A246 (‚Magie‘) und oben den Abschnitt „Struktur und Gehalt“ der Einleitung zu dieser Fragmentreihe. -- Manfred Engel, Roman der Goethezeit 1, S.444–458; Frank, Magischer Idealismus; Stephan Grätzel und Johannes Ullmaier, Der magische Transzendentalismus von Novalis. In: ‚KantStudien‘ 89 (1998), S.59–67; Hartmann, S.139–146; Henel, S.188–197; Strohschneider-Kohrs, S.101; Uerlings, Hardenberg, S.128f.; Volkmann-Schluck. 56: 203,6–13 Aehnlichkeit und Unähnlichkein !…" zum magischen Idealism] Novalis entwirft in diesem Fragment ein genetisches Modell der Philosophiegeschichte in sieben Stufen, das in seinem Projekt des magischen Idealismus gipfelt. -- Balmes, WTB3, S.434; Ulrich Gaier, Krumme Regel. Novalis’ ‚Konstruktionslehre des schaffenden Geistes‘ und ihre Tradition, Tübingen 1970, S.236. 57: 203,15–21 Die Geschichte der Philosophen gehört zur philologischen Philosophie !…" vorkommt] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 30,38f. zu A93 (‚Philosophie – Philologie‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 58: 203,23–27 Von wie wenig Völkern ist eine Geschichte möglich! !…" vorstellt?] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘), 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘) und 15,24–27 zu L70 (‚Publikum‘). 59: 203,29 Paradoxen beschämen immer] Siehe Anm. 13,28f. zu L48 (‚paradox‘). 60: 203,31–33 Das wäre ihnen die liebste !…" allein wäre] Siehe Anm. 18,30 zu L106 über die Frauen und 85,24 zu Id23 (‚Tugend‘). 61: 203,35 Auch Männern kann man absolut anhänglich seyn – so gut wie Frauen] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 18,30 zu L106 über die Frauen. 62: 204,2 Das Herz ist der Schlüssel der Welt und des Lebens] Dieser Gedanke begegnet öfters bei Novalis, vgl. z.B. Die Christenheit oder Europa (1799; NO3, S.523), die Randbemerkung zu Id8, FuS104, Geistliche Lieder (1802; NO1, S.159–179), das Klingsohr-Märchen (NO1, S.221–229) und Hardenbergs Brief an den Kreisamtmann Just vom 29.3.1797 (NO4, S.215). 62: 204,6 Xstus] Christus. 62: 204,2–7 Das Herz !…" der Welt] Siehe Anm. 26,31 zu A50 (‚Liebe‘) und 142,1–3 zu BL8 (‚Krankheit‘). – Die jüngere Dichtergeneration, die sich um 1800 gegen die rationalistische Vorherrschaft des ‚Kopfes‘ auflehnte, wandte ihre Aufmerksamkeit besonders dem ‚Herzen‘ als dem Sitz von Gefühl und Empfindung zu. Bei Novalis wurde diese Tendenz durch sein persönliches Schicksal verstärkt und in charakteristischer Weise geformt. Während er in seinen frühen Gedichten noch im konventionellen schwärmerischen Ton vom Herzen spricht, erhält die Metapher nach dem Tod Sophie von Kühns geradezu religiöse Bedeutung. „Sofie gab den Herzen den verlohrenen Thron wieder“, schreibt Hardenberg am 29.3.1797 an C.A.Just (NO4, S.215). Vgl. zum Motiv des Herzens das Distichon An den König in Glauben und Liebe, GL10, 23, 29, 36, 38, Vorarbeiten 117, HKS31 und 38 (NO2, S.371 und 376f.), Astralis’ Prolog (zweiter Teil des Heinrich von Ofterdingen, NO1, S.319) sowie Paralipomena zum Heinrich von Ofter-

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dingen (NO1, S.339). -- Balmes, WTB3, S.326 und 434; Schulz, Werke, S.767; Rudolf Unger, Das Wort „Herz“ und seine Begriffssphäre bei Novalis. Umrisse einer Bedeutungsentwicklung. In: Novalis, Werk und Persönlichkeit, S.160–173. 63: 204,9f. Oekonomie im weitesten Sinne !…" oeconomisch] Siehe Anm. 74,41 zu A410 (‚Ökonomie‘) und 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘); vgl. in A225 den Begriff der „Lebenskunstlehre“. 64: 204,12f. Selbstempfinden !…" in seine Gewalt] Vgl. T68. 65: 204,17 was ihn berührt, wird absolut – zum Fato] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 196,29f. zu T14 (‚Fatum‘). 66: 204,19 Ächte Unschuld] Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘). 66: 204,24 Unser Leben ist absolut und abhängig zugleich] Vgl. FD198. Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘). 67: 204,28f. eine Trauung der Freundschaft oder der Liebe] Siehe Anm. 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). 68: 204,31f. Die Hypochondrie bahnt den Weg zur körperlichen Selbstkenntniß – Selbstbeherrschung – Selbstlebung] Vgl. T101 zur Hypochondrie, ferner T64, HKS61, Vorarbeiten 128, AB270, 535 und 956. 70: 205,2–4 On dedaigne la Boue !…" de Nature] „Man verachtet den Schmutz – warum? Sind wir nicht aus dem Schmutz hervorgegangen – Überall Schmutz – nichts als Schmutz – und man ist erstaunt, daß der Schmutz sich nicht verändert hat.“ (Übersetzung von H.J.Balmes, WTB3, S.434.) Dieses Fragment hängt eng mit den beiden folgenden zusammen, die derselben französischen Quelle entstammen dürften. 71: 205,6f. S’il faut, que Dieu nous aime !…" que nous soyons rien] „Wenn Gott uns lieben muß, und wenn er alles ist – dann muß es auch so sein, daß wir nichts sind.“ (Übersetzung nach H.J.Balmes, WTB3, S.434.) Vgl. T70 und 72. Siehe Anm. 47,30 zu A232 (‚Gott‘) und 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). 72: 205,9–12 Une forte quantité d’opinions !…" l’amour de Dieu] „Eine große Anzahl von Meinungen beruht auf dem Grundsatz, daß wir nichts sind. Die besten haben als Beisatz, daß wir dennoch empfänglich sind für eine gewisse Währung von absolutem Wert – indem wir erkennen, daß wir nichts sind, und indem wir an die Liebe Gottes glauben.“ (Übersetzung nach H.J.Balmes, WTB3, S.434.) Vgl. T70f. Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 47,30 zu A232 (‚Gott‘) und 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). 73: 205,14 Das gewöhnliche Leben ist ein Priesterdienst – fast, wie der Vestalische] Im römischen Heiligtum der Göttin Vesta unterhielten sechs Priesterinnen das Tempelfeuer. H.J.Balmes, WTB3, S.434, verweist auf einen ähnlichen Vergleich in F.X.von Baaders Beyträgen zur Elementarphysiologie (1797; Sämtliche Werke I/3, S.212). Vgl. T78. Siehe Anm. 74,31 zu A406 (‚Priester‘). 73: 205,15f. Erhaltung einer heiligen und geheimnißvollen Flamme] Vgl. zum Bild des Feuers und der Flamme Die Lehrlinge zu Sais (NO1, S.105f.), Vorarbeiten 134, Lg4, AB1026; Schlegel, Id4, 72, 106, PhL [III] 331 u. ö. 73: 205,14–21 Das gewöhnliche Leben !…" (Feueranbeter.)] Siehe Anm. 26,31 zu A50 (‚Liebe‘), 93,14 zu Id124 (‚das Höchste‘) und 84,9 zu Id4 (‚Religion‘).

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74: 205,24–26 L’homme en General !…" l’usage du païs] „Der Mensch ist im allgemeinen ein Alkibiades: Mit seiner Liebenswürdigkeit ist er überall das umschmeichelnde Kind der Natur. Aus Gefälligkeit ihr gegenüber ist er Neger oder Eskimo, Europäer oder Tatare, ein Jameo oder Grieche, gemäß dem Brauch seines Landes.“ (Übersetzung nach H.J.Balmes, WTB3, S.434.) – Der athenische Staatsmann und Feldherr Alkibiades wird hier als Prototyp eines gebildeten jungen Mannes genannt. – Jameo: Jamaikaner. – Siehe Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘) und 13,21 zu L46 über die Griechen. -- Balmes, WTB3, S.434. 75: 205,28–30 Man kann immer zugeben, daß der Mensch einen vorwaltenden Hang zum Bösen hat !…" zieht sich an] Vgl. die folgende Aufzeichnung und siehe Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘). 76: 205,32–206,2 Böse Menschen müssen das Böse !…" durch ein Wunder zu heilen ist] Vgl. das vorausgehende Fragment. 77: 206,4 indirecter, vorbereitender Reitz] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 über die Brownsche Reizlehre. 77: 206,6 Der Mangel an mehreren, zugleich gegenwärtigen Ideen] Vgl. Vorarbeiten 140 und siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘). 77: 206,12 Alle Construction ist also indirect] Siehe Anm. 117,30 zu PhL [II] 185 (‚Konstruktion‘). 77: 206,12f. On ne fait pas, mais on fait, qu’il se puisse faire] „Man macht nicht, doch macht man etwas, weil es sich machen läßt.“ (Übersetzung nach H.J.Balmes, WTB3, S.434.) 77: 206,14 tugendhaft und genialisch] Siehe Anm. 85,24 zu Id23 (‚Tugend‘) und 33,40f. zu A119 (‚Genie‘). 78: 206,16 Unser ganzes Leben ist Gottesdienst] Vgl. T73. 79: 206,18 Die meisten Schriftsteller sind zugleich ihre Leser] Siehe Anm. 15,9 zu L68 (‚Autor‘) und 15,24–27 zu L70 (‚Leser‘). 79: 206,19f. kritische Rücksichten] Siehe Anm. 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 79: 206,22 Der Leser sezt den Accent willkührlich] Siehe Anm. 10,9 zu L16 (‚Willkür‘). 79: 206,23f. Schleg[els] Behandl[ung] Meisters] Friedrich Schlegels Aufsatz Über Goethes Meister (1798; KFSA2, S.126–146). 79: 206,25 Ist nicht jeder Leser ein Philolog?] Siehe Anm. 30,38f. zu A93 (‚Philologie‘). Vgl. ergänzend VB125. 79: 206,28 Philolog bis in die unendliche Potenz] Siehe Anm. 13,26 zu L47 (‚unendlich‘) und 33,6f. zu A116 (‚potenzieren‘). 79: 206,18–29 Die meisten Schriftsteller !…" litterairische Unschuld] -Balmes, WTB3, S.434. 80: 206,31f. Elemente des Gliedes, und Elemente des Individuums !…" zugleich seyn] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). Vgl. Lg19. -- Balmes, WTB3, S.434. 82: 206,37f. Eine Idee ist desto gediegener und individueller !…" berühren] Siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 153,19 zu BL89 (‚Berührung‘).

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82: 207,1–4 Wenn ein Werck !…" ächter Ausfluß der Persönlichkeit] Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘) und vgl. L78. 82: 207,7f. Der Mensch ist eine Analogieenquelle für das Weltall] Vgl. BL92 und siehe Anm. 127,19–21 zu PhL [II] 488 über die Korrespondenz von Mikro- und Makrokosmos. 82: 206,37–207,8 Eine Idee !…" für das Weltall] -- Schierbaum, S.340. 83: 207,11 mit einem disjunctiven Urtheil] Ein Urteil, das ein anderes ausschließt, mit dem es dennoch eine Einheit darstellt. 83: 207,12 den Knopf treffen] Ins Schwarze treffen. 84: 207,15–17 Die Unschuld des Königs und d[er] Königinn !…" Fantasie des Königs] Eine Anspielung auf die kurz zuvor erschienene Fragmentsammlung Glauben und Liebe, deren mittlerer Teil den Untertitel Der König und die Königin trägt. – Siehe Anm. 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘). -- Samuel, NO2, S.774f. 85: 207,19–22 Das Postulat des weiblichen Mystizism !…" sezt dies nicht voraus] Siehe Anm. 26,31 zu A50 (‚Liebe‘), 10,39f. zu L28 (‚Selbstschöpfung‘), 18,30 zu L106 über die Frauen und 31,33 zu A105 (‚Mystizismus‘). 86: 207,24–35 Das Augenspiel gestattet einen äußerst mannichfaltigen Ausdruck !…" Lichtconsonanten seyn?] Vgl. Vorarbeiten 101 und T87. Siehe Anm. 142,6–8 zu BL9 (‚Auge‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 217,1 zu AB931 (‚Licht‘) und 18,30 zu L106 über die Frauen. 87: 207,37–208,10 Stimmungen – unbestimmte Empfindungen !…" Sympathie] Vgl. T86; siehe Anm. 217,1 zu AB931 (‚Licht‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 88: 208,12–14 Der größeste Zauberer !…" der Fall seyn] -- Link, Abstraktion, S.64f. 89: 208,16f. Jahrszeiten, Tagszeiten, Leben !…" sind alle !…" durchaus rythmisch – metrisch – tactmäßig] Vgl. zu Rhythmus und Takt als Charakteristika des Lebensprozesses, der Sprache, poetischer und musikalischer Schöpfungen FSt386, 435, 574, AB380, 382, Schlegel FPL [IX] 398, 602 u. ö. 90: 208,25–27 Über die eigentliche Schwächung durch Debauchen !…" Erregbarkeit] Debauchen: Ausschweifungen. Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 über die Brownsche Reizlehre. 91: 208,29–31 Schlaf – Nahrung !…" Kunstthätigkeit] Vgl. T8. 92: 208,33f. Die katholische Religion ist weit sichtbarer !…" als die protestantische] Vgl. Schlegel, A231 und Id66. 92: 208,35 temporisirt] Den Zeitumständen angepaßt. 92: 208,33–36 Mechanischer Gottesdienst !…" nichts davon] -- Lindemann, S.87f. 93: 208,38–209,4 Alle Zerstreuung schwächt !…" zusammenhalten müssen] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 über Browns Theorie der Krankheit. 94: 209,6–8 Medicin und Kur !…" um ihrentwillen] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 (‚Krankheit‘). 95: 209,10 Vorrede und Kritik der Fragmente in Fragmenten] Vgl. T9 und 18. – Mit seiner fragmentarischen Kritik der Athenaeumsfragmente setzt Novalis Schlegels These „Poesie kann nur durch Poesie kritisiert werden !…"“ (L117),

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praktisch um. Siehe Anm. 24,14f. zu A22 (‚Fragment‘), und vgl. zur Autoreflexivität der frühromantischen Fragmente auch Schlegels ‚Fragment-Fragmente‘. 96: 209,12f. Gemüth !…" Ironie = Art und Weise des Gemüths] Siehe Anm. 63,28f. zu A339 (‚Gemüt‘), 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘) und 12,33 zu L42 (‚Ironie‘). 97: 209,15–25 Frauen – Kinder !…" ihre Sache] Siehe Anm. 18,30 zu L106 über die Frauen, 154,30 zu BL97 (‚Kind‘), 85,24 zu Id23 (‚Tugend‘), 34,4 zu A121 (‚Idee‘), 9,23 zu L9 (‚Witz‘) und 32,4 zu A108 (‚schön‘). 98: 209,27 Über den Hanswurst und komische Rollen überhaupt] Während Gottsched in seinem Versuch einer Critischen Dichtkunst (1751; I.Abschnitt, XI.Hauptstück „Von Komödie und Lustspielen“) Harlekin und Hanswurst wegen ihrer burlesken Sprache ablehnte, traten Justus Möser und Lessing für diese komischen Figuren ein. (Vgl. J.Möser, Harlequin, oder Vertheidigung des Grotesk-Komischen (1761); Lessing, Hamburgische Dramaturgie (1767), 18.Stück und Nachspiele mit Hanswurst (Theatralischer Nachlaß, 1784; Göpfert 4, S.807)). -- Balmes, WTB3, S.435. 101: 209,36f. Absolute Hypochondrie !…" Erziehung werden] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘). Siehe Anm. 204,31f. zu T68 über die Hypochondrie. 102: 210,1 ein Haufen] Wohl wie BL95 eine Anspielung auf Schlegels 103. ‚Lyceums‘-Fragment. 102: 210,2f. Mangel an Reitzen des Seelebens] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 zu Browns Reizlehre. 102: 210,3f. Industrie bestes Surrogat der Religion] Industrie, hier noch im älteren Sinn: (Gewerbe-)Fleiß, Betriebsamkeit. – Siehe Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘). 102: 210,6f. Mancher wird erst dann witzig, wenn er sich dick gegessen hat] Vgl. zu diesem Gedanken ET441 und Id121. Siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘). 103: 210,14–16 Dadurch, daß man häufig an reitzende Gegenstände eines Sinns wircksam denckt, wird dieser Sinn geschärft] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 über Browns Reizlehre. 103: 210,19 Methode eine schwächliche Constitution zu verbessern] Siehe Anm. 168,31f. zu GL51 (‚Konstitution‘). 104: 210,21f. Die sog[enannten] falschen Tendenzen sind die besten Mittel vielseitige Bildung zu bekommen] Siehe Anm. 11,41 zu L37 (‚falsche Tendenz‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 105: 210,25–28 Liebe ohne Eifersucht !…" den Gegenstand] Siehe Anm. 26,31 zu A50 (‚Liebe‘) und 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘). Vgl. T14. Ergänzungen zu den Teplitzer Fragmenten 425: 210,37 Xstus] Christus. 425: 210,33–211,3 Es giebt 3 Hauptmenschenmassen !…" Element des Ichs] Zu T5. Siehe Anm. 12,16f. zu L38 (‚Deutschheit‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘), 83,15 zu A451 (‚Universalität‘), 35,7 zu A126 (‚romantisieren‘) und

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13,30 zu L49 (‚romantisch‘). Vgl. zur Vorstellung von nationalen und persönlichen Gottheiten BL74. -- Balmes, WTB3, S.435. 426: 211,9 Medicinische Ansicht der Franz[ösischen] Revol[ution]] Vgl. BL105. 426: 211,6–12 Grundverschiedenheit des alten und neuen Testaments !…" Gesch[ichte] der Menschheit] Zu T5. Siehe Anm. 13,12f. zu L45 über die Franzosen, 15,1f. zu L66 (‚revolutionär‘), 142,1–3 zu BL8 zur Brownschen Medizin, 84,9 zu Id4 (‚Religion‘) und 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘). 427: 211,17 Stamina] Spinnweben, Staubfäden, Schicksalsfäden, Kettfäden auf dem Webstuhl. Vgl. Vorarbeiten 292. 427: 211,17 Jenes – Kinder – dieses Alte] Siehe Anm. 154,30 zu BL97 (‚Kind‘). 427: 211,15–17 Es fehlt !…" Alte] Zu T8. 428: 211,20 Superioritaet] Überlegenheit. 428: 211,21 die Extreme ihrer Bildung] Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 428: 211,26–29 Aehnlichkeit mit dem Unendlichen !…" doch nicht verstanden] Siehe Anm. 13,26 zu L47 (‚unendlich‘), 93,14 zu Id124 (‚das Höchste‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 10,17f. zu L20 (‚verstehen‘). 428: 211,30 kindlich] Siehe Anm. 154,30 zu BL97 (‚Kind‘). 428: 211,34 ihr größeres Sklaven- und ihr größeres Despotentalent] Vgl. GL50. 428: 212,2f. Mit den Frauen ist die Liebe] Siehe Anm. 18,30 zu L106 über die Frauen und 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). 428: 212,9 a leur portée] „In ihrer Reichweite“. 428: 212,10f. wie die vornehmen Roemer, nicht zum Verfertigen, sondern zum Genuß] In der Antike wurde körperliche Arbeit als Sklavendienst betrachtet, der eines freien Mannes nicht würdig ist. Siehe Anm. 13,21 zu L46 über die Römer. 428: 212,12 Chevalerie] Ritterlichkeit. 428: 212,12 Schönheit] Siehe Anm. 32,4 zu A108 (‚schön‘). 428: 212,13 ein liebliches Geheimniß – nur verhüllt] Vgl. hierzu das Schleiermotiv in Id128 und siehe Anm. 84,3f. zu Id1. 428: 212,14 die phil[osophischen] Mysterien. Hetairie] Siehe Anm. 78,42 zu A427 (‚Mysterien‘). – „Mit der Gestalt der ‚Hetäre‘ verband man im antiken Griechenland das Ideal einer Gemeinschaft, die auf politischer oder auch erotischer Verbindung beruht“ (Balmes, WTB3, S.435). Vgl. hierzu Friedrich Schlegels Aufsatz Über die Diotima (1795; KFSA1, S.70–115). 428: 212,15 Der Act der Umarmung] Vgl. T5, Vorarbeiten 213 und AB126. 428: 212,16 Madonna] Raffaels Sixtinische Madonna in der Dresdener Gemäldegalerie. -- Balmes, WTB3, S.438. 428: 211,21–212,18 Sollte nicht !…" nur der Verstand] Zu T17. 429: 212,21 Das Essen ist nur ein accentuirtes Leben] Vgl. über das Essen T8, 91, ET439, 441f., Vorarbeiten 166, FD202, AB949; Schlegel, PhL [III] 275, 282, 286, 289, 295 u. ö. 429: 212,28f. so dürfte die ganze Natur wohl weiblich, Jungfrau und Mut-

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ter zugleich seyn] Siehe Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘). Das Prädikat „Jungfrau und Mutter“ bezieht sich bei Novalis sowohl auf die Göttin Isis (vgl. Die Lehrlinge zu Sais, NO1, S.93) als auch auf Maria (vgl. Hymnen an die Nacht, NO1, S.144f.). Vgl. auch das folgende Fragment -- Balmes, WTB3, S.435. 429: 212,21–29 Das Essen !…" zugleich seyn] Zu T8. 430: 212,31–34 Das schöne Geheimniß der Jungfrau !…" Ebenbild der Zukunft] Zu T17. Vgl. das vorige Fragment und siehe Anm. 212,28f. zu ET429. 431: 212,36–213,5 Ein Günstling des Glücks !…" Auflösung des Geheimnisses] Zu T17. Aus dieser Notiz ist das Märchen von Hyacinth und Rosenblüthchen in Novalis’ Romanfragment Die Lehrlinge zu Sais hervorgegangen (NO1, S.91–95). -- Balmes, WTB3, S.122; Samuel, NO2, S.775. 432: 213,7 Licht ist Symbol der ächten Besonnenheit] Vielleicht liegen in diesem und den nachfolgenden Fragmenten Bruchstücke des „Tractat!s" vom Lichte“ vor, den Hardenberg am 26.12.1797 in seinem Brief an Friedrich Schlegel erwähnt (NO4, S.242). – Über die Besonnenheit schreibt Herder in seiner Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772), sie sei „die vorherrschende Disposition der menschlichen Natur, da sich der Mensch im Unterschied zum Tier durch die Vernunft !…" auf seine Erkenntnisse, sein Begehren und seinen Zustand besinnen kann und so vor aller ausgereiften, erwachsenen Vernünftigkeit zu einem Selbstbewußtsein gelangt“ (HE5, S.31). – Vgl. zur Besonnenheit auch BL22, ET438; Schlegel, L37 und Schleiermacher, GIII68. Siehe Anm. 217,1 zu AB931 (‚Licht‘) und 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘). -- Balmes, WTB3, S.435. 432: 213,14 Religion der Parsen] Der altpersische Parsismus geht auf den Propheten Zarathustra zurück; in dieser Religion ist die Verehrung der Sonne und des Feuers von großer Bedeutung. Vgl. T73. Siehe Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘). 432: 213,7–14 Licht ist Symbol !…" Religion des Weltalls] Zu T8. Mit der Aufzeichnung Nr.432 beginnt eine Gruppe von sieben Fragmenten mit physikalischen und astronomischen Spekulationen über das Wesen des Lichts und über das Sonnensystem; in diesen Gedanken über die „Religion des sichtbaren Weltalls“ (vgl. dazu auch Hardenbergs Brief an Schlegel, 20.7.1798; NO4, S.255) legt Novalis besonderen Nachdruck auf den Gleichklang von Mikrokosmos und Makrokosmos; siehe hierzu auch Anm. 127,19–21 zu PhL [II] 488 und 217,1 zu AB931 (‚Licht‘). -- Balmes, WTB3, S.435f. 433: 213,16–21 Je mehr Gegenstand !…" zu beugen] Zu T8. Siehe Anm. 26,31 zu A50 (‚Liebe‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und vgl. Id120 und 135 zu Kepler. Novalis wendet in diesem Fragment die astronomischen Gesetzmäßigkeiten, die Johannes Kepler (1571–1630) entdeckte, auf den sittlichen Bereich an. Vgl. FNS (NO3, S.101) und siehe Anm. 213,7 zu ET432. -- Balmes, WTB3, S.436. 434: 213,23 Was ist also die Sonne?] Der Sonne des „sichtbaren Weltalls“ (an Friedrich Schlegel, 20.7.1798; NO4, S.255) steht in den Hymnen an die Nacht die „liebliche Sonne der Nacht“ (die „Geliebte“) gegenüber (NO1, S.133). 434: 213,23–25 Was ist also !…" gestimmter Körper] Zu T8. 435: 213,27f. Licht ist Vehikel der Gemeinschaft !…" ebenfalls?] Zu T8. Siehe Anm. 217,1 zu AB931 (‚Licht‘) und vgl. ET432.

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436: 213,30–32 Wie wir, schweben die Sterne !…" gegönnt] Zu T8. Vgl. ET432. 437: 213,34 Die Kometen sind wahrhaft eccentrische Wesen] Vgl. GL21 über die Kometen. 437: 213,35 ein wahres Ginnistan] Das Geister- und Feenreich im arabischen Märchen; als Vermittler kommt u.a. Wielands Sammlung Dschinnistan oder auserlesene Feen- und Geister-Märchen (1786–1789) in Frage. Bei Novalis symbolisiert Ginnistan das paradiesische, aber auch gefährliche Reich der Phantasie; vgl. Die Lehrlinge zu Sais (NO1, S.89) und Heinrich von Ofterdingen (1. Teil, Kap.9, Klingsohr-Märchen; NO1, S.293–315). 437: 213,34–37 Die Kometen !…" verdichten können] Zu T8. 438: 214,2 Indirecte und directe Asthenie] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 über die Brownsche Reizlehre. 438: 214,3 Übermäßiges Licht] Siehe Anm. 217,1 zu AB931 (‚Licht‘) und vgl. ET432. 438: 214,8f. Unbesonnenheit aus Übermaaß nennt man Wahnsinn] Siehe Anm. 213,7 zu ET432 (‚Besonnenheit‘). 438: 214,9 Direction] Richtung. 438: 214,2–10 Die Nacht !…" Wahnsinn] Zu T8. 439: 214,13–16 Das gemeinschaftliche Essen ist eine sinnbildliche Handlung der Vereinigung !…" Totalvereinigung] Siehe Anm. 212,21 zu ET429 über das Essen und vgl. das siebte der Geistlichen Lieder (NO1, S.166–168) sowie Anm. 25,20 zu A34 (‚Ehe‘). 439: 214,16f. Alles Genießen !…" Zueignung] Vgl. über das Genießen Vorarbeiten 288 und FNS (NO3, S.61); zum Begriff der Zueignung siehe Anm. 145,24f. zu BL33. 439: 214,19f. ein ächter Trope] Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘) und 158,25f. zu GL1 (‚Tropen‘). 439: 214,20 Gedächtnißmale] Das (protestantische) Abendmahl. Vgl. T5. 439: 214,24f. körperliche Aneignung] Vgl. FD202. 439: 214,37 den Genius der Natur] „eine Allegorie der Lebenskräfte“ (Balmes, WTB3, S.436). Siehe Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘). 439: 214,40 dem Absolut Lebendigen] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘). 439: 214,40 Den Namenlosen] Gott, dessen Namen auszusprechen nach Exod.2,14f. verboten ist. Vgl. Vorarbeiten Nr.298. 439: 214,41f. wie das Kind !…" Gunst und Liebe] Siehe Anm. 154,30 zu BL97 (‚Kind‘) und 26,31 zu A50 (‚Liebe‘). 439: 214,13–43 Das gemeinschaftliche Essen !…" Bestandtheile einer unaussprechlichen lieben Person sind] Zu T8. -- Balmes, WTB3, S.436; Samuel, NO2, S.775. 440: 215,2f. Die Holzkohle und Der Diamant !…" mit Mann und Weib derselbe Fall seyn] Vgl. Schlegel, PhL [III] 257 und siehe Anm. 182,15 zu FSt609 über die romantische Theorie des Männlichen und Weiblichen. 440: 215,4 Weltaugen] Opale oder dem Opal ähnliche durchsichtige oder durchscheinende Halbedelsteine, denen in der mittelalterlichen Heilkunde magi-

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sche Kraft zugeschrieben wurde; sie sollen vor Giften schützen, die Melancholie vertreiben und die Augen stärken. -- Bächtold-Stäubli 6, Sp.1253f.; DWb7, Sp.1538 (‚Opal‘). 440: 215,4 Sapphyre] Saphir, durchsichtig blauer Edelstein. Ähnlich wie der Opal soll auch er wunderbare Kräfte besitzen. Er gilt als Symbol innerer Reinheit und als Sinnbild der Hoffnung, die zur ewigen Freude zieht; nach Jesaja 46,11 besteht der Grund des himmlischen Jerusalems aus Saphiren. Die Alchimisten identifizierten den Saphir bisweilen mit dem Stein der Weisen. - - BächtoldStäubli 7, Sp.940–942; DWb8, Sp.1795 (‚Saphir‘). 440: 215,2–4 Die Holzkohle !…" bestehn] Zu T17. 441: 215,6 Nur das Trinken verherrlicht die Poësie?] Nach Balmes, WTB3, S.436, spielt Novalis mit dieser (rhetorischen) Frage auf das Genre des anakreontischen Trinklieds an. 441: 215,6f. Wie wenn die Poësie auch eine flüssige Seele wäre?] Vgl. hierzu Hardenbergs Brief an A.W.Schlegel vom 12.1.1798, in dem er von der Poesie schreibt: „Sie ist von Natur Flüssig – allbildsam – und unbeschränkt“ (NO4, S.246). 441: 215,7f. daher Gourmands und dicke Leute so witzig sind] Gourmands: Schlemmer. Vgl. T102 und siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘). 441: 215,11 Witz ist geistige Electricität] Siehe Anm. 10,21–23 zu L22. 441: 215,13 Seelenmagnetism] Siehe Anm. 63,38 zu A340 (‚Magnetismus‘). 441: 215,16 die Philosophie des Lebens] Siehe Anm. 198,12–18 zu T24. 441: 215,19 nach ächter BildungsLehre] Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 441: 215,6–22 Nur das Trinken !…" Schlummer] Zu T8. 442: 215,26 des abs[olut] seyn sollenden Reizes] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 142,1–3 zu BL8 über den Einfluß des Arztes John Brown auf Hardenberg. 442: 215,26 Willkühr] Siehe Anm. 10,9 zu L16. 442: 215,27 Schlaf Analogon des Todes] Vgl. zu diesem antiken Motiv auch die zweite der Hymnen an die Nacht (NO1, S.132–135). 442: 215,31 Das Leben ein Traum] Drama von Pedro Calderón de la Barca (1600–1681). Vgl. zu diesem in der Barockzeit weit verbreiteten Motiv FNS (NO3, S.63) und AB237; siehe auch Anm. 54,19 zu A288 (‚träumen‘). 442: 215,34 Das Leben endigt, wie der Tag] Vgl. Novalis’ Gedicht Der Abend (NO6.1, S.294f.). 442: 215,35f. Der Abend ist sentimental, wie der Morgen naïv ist] Siehe Anm. 11,6 zu L31 (‚naiv – sentimental‘). 442: 215,42 Geheimniß süßer Mysterien] Siehe Anm. 78,42 zu A427 (‚Mysterien‘). 442: 216,3f. Morgendämmerung eine freudige, Erwartungsvolle Stunde] Vgl. Id129. 442: 215,24–216,4 /Schlummer. Aufstehn. Morgen etc./ !…" Erwartungsvolle Stunde] Zu T8. -- Balmes, WTB3, S.436.

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Friedrich von Hardenberg (Novalis)

Aus dem Allgemeinen Brouillon

Textgrundlage und Textüberlieferung Friedrich von Hardenbergs Allgemeines Brouillon ist in einem 356 Oktavseiten starken Manuskript überliefert, das sich heute im Besitz des Freien Deutschen Hochstifts befindet. In den frühen Novalis-Editionen Friedrich Schlegels und Ludwig Tiecks sowie in den Werkausgaben Eduard von Bülows und Ernst Heilborns sind die 1151 Aufzeichnungen des Allgemeinen Brouillons lediglich in Auszügen wiedergegeben. Zum erstenmal vollständig abgedruckt wurde es durch Paul Kluckhohn in: Novalis Schriften, im Verein mit Richard Samuel hg. von Paul Kluckhohn, nach den Handschriften ergänzte und neugeordnete Ausgabe, Leipzig 1929, Bd.3, S.63–273. Nachdem Hans-Joachim Mähl die Handschriften neu ordnen konnte, liegt in der dritten Auflage der historisch-kritischen Novalis-Edition der Text des Allgemeinen Brouillons in seiner mutmaßlich ursprünglichen Gestalt vor. Der vorliegende Band gibt aus der vierten Handschriftengruppe des Allgemeinen Brouillons die Aufzeichnungen AB931–1042 wieder und folgt dabei dem Wortlaut der historisch-kritischen Ausgabe: Novalis Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, hg. von Paul Kluckhohn (†) und Richard Samuel. Dritter Band: Das philosophische Werk II, hg. von Richard Samuel in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz, Stuttgart, Berlin, Köln und Mainz (W.Kohlhammer) 31983, S.242–462, hier S.448–462. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags W.Kohlhammer.

Entstehung Die Aufzeichnungen des Allgemeinen Brouillons entstanden in der Zeit von September 1798 bis März 1799 im Anschluß an die Vorarbeiten zu verschiedenen Fragmentsammlungen und teilweise parallel zu Hardenbergs Freiberger Naturwissenschaftlichen Studien, zu denen sich mehrfach Bezüge ergeben (vgl. z.B. AB134, 465, 475, 529f., 532, 534, 558, 580, 609, 628, 817, 1099, 1118; Mähl, NO3, S.227f.). Die heute gebräuchliche Bezeichnung Allgemeines Brouillon kann sich zwar auf eine Formulierung des Verfassers stützen, wurde von diesem jedoch nicht als Titel verwendet; vielmehr bezeichnete er damit das Notizheft, in dem er während seiner physikalischen und mathematischen Studien Aufzeichnungen zu unterschiedlichen Themen festhielt: „Was mir nebenher einfällt, wird in das allg[emeine] Brouillon mit hineingeschrieben“ (AB231). „Jetzt will ich alle W[issenschaften] speciell durchgehen – und Materialien zur Encyklopaedi-

Das Allgemeine Brouillon

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stik sammeln“, nahm er sich in einer seiner Notizen vor, „Erst die Mathematischen – dann die Übrigen – die Philosophie, Moral etc. zulezt.“ (AB229). „Die W[issenschafts]L[ehre] ist eine wahrhafte, unabhängige, selbstständige Encyklopädik. – W[issenschaft] d[er] W[issenschaften]. / W[issenschafts]L[ehre] ist System des wissenschaftlichen Geistes – die Psychologie, wenn ich so sagen darf – der Wissenschaften im Ganzen“ (AB56). Auf dieser Grundlage entwickelte Hardenberg die Konzeption seines Enzyklopädie-Projekts (siehe Anm. 16,5f. zu L78), das er als „Utopie einer ‚Universalwissenschaft‘“ (Mähl, Der poetische Staat, S.282) und als „Constructionslehre des schaffenden Geistes“ (an Friedrich Schlegel, 7.11.1798; NO4, S.263) auffaßte, die die Umrisse einer ‚morphologischen Wissensordnung‘ erkennen läßt (Maatsch, S.102 und 143–265; vgl. auch Kohns, besonders S. 281–287). Anregungen zu diesem ehrgeizigen Unternehmen erhielt Novalis u.a. durch seine Hemsterhuis-Lektüre, durch Goethes „Behandlung der Wissenschaften“ (AB967) und von seinem Lehrer Abraham Gottlob Werner (1749–1817), der sich um eine systematische Klassifikation der Mineralogie bemühte (Mähl, Friedrich von Hardenberg, S.205) und an der Freiberger Bergakademie Vorlesungen über die ‚Enzyklopädie der Bergkunde‘ hielt. (Mähl, Friedrich von Hardenberg, S.205; Roger Cardinal, Werner, Novalis and the Signature of Stones. In: Deutung und Bedeutung. Studies in German and Comparative Literature, presented to KarlWerner Maurer, ed. Brigitte Schludermann u.a., Mouton, Den Haag, Paris 1973, S.118–133.) Als Grundlage für die Verarbeitung immenser heterogener Massen von Informationen entwickelte Hardenberg eine „enzyklopädische Inventorik“, die sowohl rhetorischen als auch mathematisch-kombinatorischen Verfahrensweisen verpflichtet ist (Helmut Schanze, Transformationen der Rhetorik. Wege der Rhetorikgeschichte um 1800. In: ‚Rhetorik‘ 12 (1993), S.60–72, hier S.66) und sich der „Analogie – als Werckzeug“ (AB431) bedient. Die Schwierigkeiten bei der Durchführung eines so umfassenden Vorhabens schätzte Hardenberg durchaus realistisch ein, wie seine Aufzeichnung AB526 erkennen läßt: „Wenn mein Unternehmen zu groß in der Ausführung werden sollte – so geb ich nur die Methodik des Verfahrens – und Beyspiele – den allgemeinsten Theil und Bruchstücke aus den Besondern Theilen.“ Ende Oktober 1798 begann er mit einer kritischen Sichtung der Notizen, die sich bis dahin angesammelt hatten. Persönliche Bemerkungen und Büchernotizen wurden gestrichen, die übrigen Aufzeichnungen mit Überschriften versehen, die sie einem Wissensgebiet oder einer Wissenschaft zuordnen. Zu einer ähnlichen Überarbeitung der später hinzugekommenen Notizen ist Hardenberg vermutlich wegen des wachsenden Arbeitsaufwandes für sein Studium nicht mehr gekommen. Das Allgemeine Brouillon steht in engem Zusammenhang mit Hardenbergs gleichzeitigen naturwissenschaftlichen Studien an der Bergakademie in Freiberg. Häufig greift er im Brouillon auf die Aufzeichnungen zu Physik, Chemie, Mineralogie und Mathematik zurück, die er z.T. auch wörtlich übernimmt. Auch die älteren Hemsterhuis- und Eschenmayer-Studien haben Spuren im Allgemeinen Brouillon hinterlassen (AB50, 197–203, 1082), und in einigen Aufzeichnungen

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Friedrich von Hardenberg (Novalis)

bezieht sich Novalis auf die Sammlung Blüthenstaub (AB314, 398, 851, 951; Mähl, NO3, S.228). Daneben sind zahlreiche Notizen aus seiner Lektüre philosophischer, naturwissenschaftlicher und literarischer Werke hervorgegangen. Die Herausgeber der historisch-kritischen Novalis-Ausgabe konnten nachweisen, daß es sich dabei teilweise um Exzerpte handelt, die Novalis ohne Quellenangabe notierte, teilweise ließ sich Hardenberg durch seine ungemein vielfältige Lektüre zu weiterführenden Gedanken anregen, die nur noch lose mit dem Werk, das sie veranlaßte, verknüpft sind. Auf diese Weise setzte sich Novalis mit Werken aus verschiedenen Wissenschaften und Wissensbereichen auseinander (Mähl, NO3, S.227–237); dazu zählen u.a. Kurt Sprengel, Versuch einer pragmatischen Geschichte der Arzneikunde (1792–1799; vgl. AB137–140, 142f., 191f.); Andreas Röschlaub, Untersuchungen über Pathogenie oder Einleitung in die medizinische Theorie (1798; vgl. AB446, 504, 594, 622); Christian Gotthold Schocher, Soll die Rede auf immer ein dunkler Gesang bleiben, und können ihre Arten, Gänge und Beugungen nicht anschaulich gemacht, und nach Art der Tanzkunst gezeichnet werden? (1791; vgl. AB244f., 367); Ernst Florens Chladni, Entdeckungen über die Theorie des Klanges (1787; vgl. AB245, 362, 382, 454); Alexander von Humboldt, Aphorismen aus der chemischen Physiologie der Pflanzen (1794; vgl. AB70); Carl Friedrich Hindenburg, Novi Systematis Permutationum Combinationum ac Variationum Primas Lineas et Logisticae Serierum Formulis AnalyticoCombinatoriis !…" (1781; vgl. AB112, 648); Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen (31733; vgl. AB459, 714); Goethe, Ueber Laokoon (1798; vgl. AB745), dessen Zeitschrift ‚Propyläen‘ (1798–1800; AB246); Johannes von Müller, Geschichte der Schweizerischen Eidgenossenschaft (1786–1808; vgl. AB307); d’Alembert, Discours préliminaire zur Encyclopédie Française (vgl. AB327–332, 336); Condorcet, Entwurf eines historischen Gemähldes der Fortschritte des menschlichen Geistes (vgl. AB790, 793, 795f., 798, 805, 807); Wilhelm Gottlieb Tennemann, System der Platonischen Philosophie (1792–1795; AB459), Dietrich Tiedemann, Geist der speculativen Philosophie (1791–1796, besonders Bd.3, welcher von der neuern Akademie bis auf die Araber geht (1793); AB459, 931 u. ö.), das Werk, das Novalis seinen Plotin-Studien zugrunde legte (Mähl, Plotin); ferner u.a.Georg Adolf Sukkow, Anfangsgründe der ökonomischen und technischen Chemie (1798; AB246), Georg Heinrich von Berenhorst, Betrachtungen über die Kriegskunst (1797; AB246), Johann Karl Gottfried Jacobson, Technologisches Wörterbuch (8 Teile, 1781–1795; AB109, 230) und Johann Heinrich Lambert, Neues Organon oder Gedanken über die Erforschung und Bezeichnung des Wahren und dessen Unterscheidung von Irrthum und Schein (1764; AB459; 785). Außerdem bezieht sich Hardenberg auf Schriften Kants (AB782, 1000–1004, 1035, 1038), Fichtes (AB661, 933, 1100), Leibniz’ (AB645, 772f.), Hemsterhuis’ (AB197–203), Franz Xaver von Baaders (AB626, 938, 1036), August Wilhelm Schlegels (AB31–38) und auf seinen Freiberger Lehrer Abraham Gottlob Werner (AB405, 491, 529, 670, 893 u. ö.).

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Wirkung Da die Aufzeichnungen des Allgemeinen Brouillons relativ spät gedruckt wurden, beginnt ihre Wirkungsgeschichte erst im 20. Jahrhundert.

Struktur und Gehalt Das Allgemeine Brouillon versammelt in bunter Folge eine Vielzahl von Notizen zu den unterschiedlichsten Sachgebieten. Das wissenschaftstheoretische Interesse der Frühromantik dokumentiert sich in Hardenbergs Aufzeichnungen zur Physik, Mathematik, Chemie, Medizin, Physiologie, Psychologie, Naturgeschichte, Geographie, Ökonomie, Anthropologie, Ethnologie, zur Baukunst, Numismatik, Technik und Mechanik, zur Kriegskunst, Politik, Geschichte und Altertumskunde, zur Pädagogik, Musik, Philologie, Grammatik, Dichtkunst und Poetik, zur Kunstlehre, Moral, Religion, Metaphysik, Theologie, Philosophie, zur ‚Lebensgenußlehre‘, ‚Zukunftslehre‘, ‚Geisterlehre‘, Magie, zur Enzyklopädistik und zur Romantik. „Hardenbergs Interesse galt, neben der fachwissenschaftlichen Qualifikation, der Methodologie der Wissenschaften und der Interdisziplinarität. Das Spezifische seiner Beschäftigung mit den Wissenschaften liegt darin, daß er die Grenzen fachwissenschaftlichen Selbstverständnisses methodisch bewußt überschritt. Er tat dies, um den Stand der Wissenschaften in zweierlei Richtung zu erweitern: durch eine universelle Verknüpfung der Disziplinen und durch methodische Selbstreflexion der Einzelwissenschaften“ (Uerlings, Hardenberg, S.152). Wie bei den Fichte-, Hemsterhuis- und Kant-Studien handelt es sich beim Allgemeinen Brouillon um keine projektierte Fragmentsammlung, sondern um eine Sammlung z.T. unbearbeiteter, beiläufiger Aufzeichnungen von heterogenem Charakter, wobei „die Absicht der Vernetzung, der Beziehungsstiftung und die Lust an der Produktivität der Interferenz“ besonders ins Auge fällt (Uerlings, Darstellen, S.381). Teilweise hat Hardenberg lediglich knappe, stichwortartige Bemerkungen notiert, zuweilen hat er einzelne Einfälle festgehalten, zuweilen bestehen die Eintragungen aber auch aus längeren zusammenhängenden Erörterungen zu einem bestimmten Thema. Anders als die Fragmente sind die Aufzeichnungen des Allgemeinen Brouillons in einen Kontext eingebettet. Oft gehen sie von einem Lektüreeindruck aus, dessen Gedanken Novalis aufnimmt und über mehrere Notizen hinweg selbständig weiterentwickelt, bis der ursprüngliche Quellenbezug kaum noch feststellbar ist (Mähl, Friedrich von Hardenberg, S.213). Solche Lektürezusammenhänge strukturieren das Allgemeine Brouillon entscheidend und dokumentieren Hardenbergs Arbeitsweise, für die die produktive Aneignung fremder Gedanken charakteristisch ist (Mähl, NO3, S.235). Gänzlich ungeklärt bleibt die endgültige Gestalt der Enzyklopädistik, zu der das Allgemeine Brouillon die Bausteine liefern sollte.

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Stellenkommentar 931: 217,1 Einheit des Lichts – Einheit der Finsterniß] Die Aufzeichnung knüpft an Novalis’ Plotinstudien an (vgl. AB844, 846, 851, 896, 907, 922f.), die durch Dietrich Tiedemann, Geist der spekulativen Philosophie, angeregt wurden; vgl. besonders Bd.3 (1793), 10. Hauptstück, S.263–433. – Vgl. über das Licht auch BL17, Vorarbeiten 97, FD199, T86f., ET432, 434–436, 438, AB973, 997, 1017, 1110 und die erste der Hymnen an die Nacht (NO1, S.130–133); Schlegel, PhL [III] 250, 267 und 317; Ritter, RF5, 23, 31 u. ö. -- Balmes, WTB3, S.547f.; Mähl, NO3, S.987; ders., Plotin. 932: 217,2 Gegenstand einer besondern Wissenschaft] Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘). 933: 217,4–15 Die Beweise von Gott !…" (!…" genossen werden.)] Vgl. AB587 und Vorarbeiten 86 zum Begriff der Gemütskräfte. Siehe Anm. 47,30 zu A232 (‚Gott‘), 13,26 zu L47 (‚unendlich‘), 30,25–27 zu A89 und 218,7f. zu AB939 (‚Mathematik‘), 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 35,1 zu A137 (Fichte), 15,37 zu L75 (‚Nicht-Ich‘) und zur Veranschaulichung der Idee des Unendlichen durch die Infinitesimal- bzw. Differentialrechnung siehe Anm. 221,13 zu AB981 und 108,21 zu FPL [V] 173 über den Gebrauch mathematischer Verfahren und Formeln. -- Balmes, WTB3, S.556; Karl Barth, Die poetische Theologie im 19. Jahrhundert, Zürich 31960, S.323–327; Dick, S.385–394; Pollak. 934: 217,18 Individualitaet] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). 934: 217,19 Der État de Raison ist ekstatisch] „Nach Tiedemanns Darstellung findet die spekulative Philosophie Plotins in der Ekstase ihr höchstes Erkenntnisprinzip, da diese nicht nur eine Schau Gottes, sondern auch der andern Welt, der intelligiblen Welt der reinen Ideen und Formen eröffnet. Denn die menschliche Denkkraft stammt aus dem ersten Verstande («) und steht daher in Connexion mit dem Vater, dem obersten Wesen Plotins. ‚Unser Verstand demnach, nebst allen Formen, steht mit dem ersten Verstande stets in enger, unzertrennlicher Verbindung‘ (S.425)“ (Mähl, NO3, S.987). Vgl. AB896. 934: 217,21 Möglichkeit des thätigen Empirismus] Vgl. AB865, 924 (‚tätiger Empirismus‘) und Vorarbeiten 443, wo Novalis vom „activen Empirismus“ (NO2, S.641) Goethes spricht. Siehe Anm. 46,39 zu A226 (‚Empirie‘). -Balmes, WTB3, S.556f. 934: 217,21–23 Wir werden erst Physiker werden !…" machen] Vgl. AB936 und FNS, NO3, S.179 über die „logische Physik“. Siehe Anm. 66,5f. zu A358 (‚Physik‘) und zu dem hier geforderten Gedankenexperiment 220,4–10 zu AB962 (‚Experimentation‘). -- Daiber, Experimentalphysik, S.110f.; Götze, Ironie, S.292. 935: 217,25 Calcül] Die Infinitesimal- bzw. Differentialrechnung; siehe hierzu Anm. 221,13 zu AB981. 935: 217,24–26 Alle Vereinigung des Heterogénen !…" Quadr[atur] d[es] Unendl[ichen] etc.] Vgl. zum Begriff des Heterogenen FuS132 und zur ‚Quadratur des Zirkels‘ AB314, 447, 640, 661, 906, FSt566 und GL36. Siehe Anm. 13,26 zu L47 (‚unendlich‘), 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘), 30,25–27 zu A89 und 218,7f.

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zu AB939 (‚Mathematik‘). -- Balmes, WTB3, S.557; Mähl, NO3, S.987f.; Pollack, S.133–136. 936: 217,27–29 Wenn wir Selbsterzeugnisse !…" sich also selbst versteht] Vgl. FNS, NO3, S.179: „Der ächte Beobachter ist Künstler – er ahndet das Bedeutende !…"“. Siehe Anm. 9,1 zu L1 (‚Natur und Kunst‘), 10,17f. zu L20 über die Problematik des Verstehens, 27,10f. zu A54 über die Formel ‚Werden, nicht sein‘ und 88,3–5 zu Id51 über die Forderung der Selbsterkenntnis. -- Balmes, WTB3, S.557; Mähl, NO3, S.988. 937: 217,30–32 Mit Aufklärung und Berichtigung der physischen Theorieen !…" gewinnen] Siehe Anm. 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘), 24,19 zu A22 (‚transzendental‘) und 10,29–33 zu L25 (‚Kritik‘). 937: 217,32f. d[ie] Emanationslehre !…" verbesserte Lichttheorie] Vgl. AB844 und siehe Anm. 170,16 zu GL66 (‚Emanation‘) sowie 217,1 zu AB931 (‚Licht‘). – Zur Verbindung von „Emanationslehre“ und „Lichttheorie“ gelangte Novalis durch seine Plotin-Studien. In Tiedemanns Geist der spekulativen Philosophie finden sich folgende Ausführungen zu Plotins Licht-Theorie, die Tiedemann jedoch im Unterschied zu Novalis als „verderblichen Sprung ins Reich der Sinnlichkeit“ (Bd.3, S.407) bezeichnete: Dennoch behauptet Plotin, der Weltseele Substanz sey Licht, wie die der Materie, Schatten und Finsterniß. Diesem Lichte nemlich eignet er Unkörperlichkeit zu, ohne doch einen Beweis davon aufzustellen !…". Daß das Licht am längsten, und bey den Theosophen noch bis auf diese Stunde, im Besitz der Einfachheit und Geistigkeit sich erhalten hat, ist nicht zu verwundern, weil es unter allen Gegenständen der äussern Sinne, so lange die feinere Chemie, und sorgfältigere Naturlehre in der Wiege sich befanden, mit dem Verstandesbegriffe der Einfachheit an Substanz, am meisten Uebereinkunft hat. (Ebd., S.309–311.)

Vgl. zum Plan einer ‚verbesserten Lichttheorie‘ AB1110, FuS283 und 432. -Balmes, WTB3, S.557; Mähl, NO3, S.388. 938: 217,34 Diameter] Durchmesser. 938: 217,35 Ist wircklich, nach Baader – Kälte und Schwere verwandt?] In der Einleitung zu seiner Schrift Ueber das pythagoräische Quadrat in der Natur oder die vier Weltgegenden (1798) schlägt F.X.von Baader vor, „vor allem andern das Phänomen der Schwere von einer ganz andern Seite !zu" betrachten, als bisher (seit Newton) geschah, und sodann auch die Offenbarung des Dualismus in dem allumfassenden Phänomen der Wärme und Kälte von dem Ueberbleibsel der atomistischen Hypothesen !zu" befreien, um ihm seine originelle Würde, als rein dynamisches Phänomen, zu sichern“ (Sämmtliche Werke I/3, S.259). Über seine Lektüre dieses Werks äußert sich Hardenberg in einem Brief an Friedrich Schlegel vom 20.1.1799 (NO4, S.273). Siehe Anm. 91,15 zu Id97 über Baader. – Vgl. über die Schwere FSt332, AB437, 478, 607, 803, 844, 890, 907, 947, 1020, 1054, 1076, FuS117 und 221. -- Mähl, NO3, S.988. 938: 217,37–218,1 Betracht[ung] über d[en] Jahrmarckt] Vgl. AB 963. 938: 218,3 Sprache der Körperwelt durch Figur] Vgl. AB297. Über Hardenbergs Sprach- und Zeichentheorie siehe Anm. zu 141,5–9 zu BL2.

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938: 218,3f. Übersetzung d[er] Qualit[ät] in Quantität und umgek[ehrt]] Vgl. FuS58. -- Balmes, WTB3, S.557. 939: 218,5 Organ[ische] Masse] Vgl. AB866 und 992. 939: 218,5f. Synth[ese] v[on] Flüssig und Fest] Vgl. AB871. 939: 218,7f. Mystische Geometrie !…" bei den Mathematikern geherrscht] Auf die herausragende Rolle der Mathematik in Novalis’ Konzept seines Enzyklopädie-Projekts weist E.Hansen, S.393–403, hin. Mathematisches Denken erhält hier eine Vorbildfunktion für alle anderen Disziplinen, für die Verfahrensweisen der Mathematik den Schlüssel zur analogen Strukturbildung bereitstellen sollen. Möglicherweise geht diese hohe Einschätzung vom methodischen Wert der Mathematik auf den Einfluß Kants zurück, der in seiner Kritik der reinen Vernunft (21787; KA3, S.BXIf.) das schöpferische – im ursprünglichen Wortsinn ‚poietische‘ – Vermögen der Mathematik über ihre analytischen Qualitäten stellte (Pollak, S.124). – Vgl. zum ‚Triangel‘ und zu seiner Konstruktion HKS44, AB758, 985, 991, 1034 und siehe Anm. 30,25–27 zu A89 und 108,21 zu FPL [V] 173 über die Funktion mathematischer Formeln in den Fragmenten der Frühromantiker. – Siehe ferner Anm. 34,11f. zu A121 (‚Mystik‘), 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘) und 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘). -- Balmes, WTB3, S.557f.; Hansen, S.393–403; John Neubauer, Zwischen Natur und mathematischer Abstraktion: der Potenzbegriff in der Frühromantik. In: Romantik in Deutschland, S.175–186; Mario Piazza, Simmetria e rivelazione. Novalis e la matematica. In: ‚Annali. Sezione Germanica (Istituto Universitario Orientale (Napoli))‘ N.S.3 (1993), H.1/3, S.195–209; Pollak. 940: 218,9 Das Mährchen ist gleichsam der Canon der Poësie] Vgl. über das Märchen AB234, 620, 653, 769, 883, 940, 954, 986, 989, 1011, FD195, Heinrich von Ofterdingen (NO1, S.287), Paralipomena zum Heinrich von Ofterdingen (NO1, S.347), Novalis’ Märchen von Hyazinth und Rosenblüthchen in den Lehrlingen zu Sais (NO1, S.91–95); Schlegel, FPL [V] 392, 961, 971, 1075, 1147, 1179, 1196, 1241, 1244, 1248 u. ö. -- Max Dietz, Novalis und das allegorische Märchen. In: Novalis, Werk und Persönlichkeit, S.131–159; Dick, S.395–422. 940: 218,10 Der Dichter betet den Zufall an] Vgl. FuS141 und 680 über den „Sinn für den Zufall“ sowie AB953 über poetische „Zufallsproduktion“. -Balmes, WTB3, S.558. 941: 218,12 Dreyfachen Durchgang der Blätter] L.Gmelin erklärt diesen Begriff aus dem Bereich der Mineralogie in seinem Handbuch der theoretischen Chemie (1817) folgendermaßen: „Die meisten Krystalle lassen sich mehr oder weniger leicht nach gewissen Richtungen, die unter einander bestimmte Winkel machen, spalten, Blätterdurchgang. Die Körper zeigen Verschiedenheiten je nach der Zahl der Richtungen, nach welchen der Krystall gespalten werden kann, und je nach dem Winkel, den die Spaltungsebenen mit einander machen“ (S.10f.). Vgl. auch FNS, NO3, S.160 und 165 und siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über den Gebrauch chemischer Termini bei den Frühromantikern. -- Mähl, NO3, S.988. 942: 218,13 Die Körper sind in den Raum precipitirte und angeschoßne Gedanken] Vgl. hierzu Schlegel, PhL [III] 383 und Tiedemann, Bd.3, S.323f.:

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„Die Hervorbringung und Formung der Materie läst Plotin durch blosse Betrachtung der Seele bewirkt werden, so daß demnach die ganze Körperwelt in Ideen, Gedanken, der Weltseele übergeht. Er führt sie so redend auf: alles entstehende ist Gegenstand meiner Betrachtung; denn diese Betrachtung erzeugt sich einen Gegenstand, wie die Mathematiker durch Betrachtung eine Figur entwerfen. Mir entstehen Körpergestalten ohne alles Zeichnen, gleichsam als aus mir herausfliessend im Betrachten. !…" Es begreift sich also, daß der Dinge Wesen aus blossem Denken entspringen, und daß Denken der Weltseele alles darstellt und bildet !…".“ Vgl. BL96. Siehe Anm. 154,26f. zu BL96 (‚Präzipitation‘) und 11,12–15 zu L32 über den Gebrauch chemischer Termini. -- Maatsch, S.101f. 942: 218,16–18 Die Zeit ist ein Successiver Wechsel !…" Gang hat] Vgl. Tiedemann, S.288f. -- Mähl, NO3, S.989. 942: 218,19 Wenn in uns die Welt entsteht – so entsteht das Weltkörpersystem zuerst] Diese Notiz bezieht sich nach Mähl, NO3, S.989, vermutlich auf Plotins Hypostasenlehre. Vgl. Tiedemann, S.421f., der von ihrer „Anwendung auf das Planeten- und Weltsystem“ durch Plotins Nachfolger spricht, und BL16. – Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘). 942: 218,20 Das Astralsystem ist das Schema d[er] Physik] Vgl. AB1104, Ritter, RF83: „Alle Chemie ist Astronomie“ und Schlegels Bemerkung im Brief an Schleiermacher von Ende Juli 1798: „Hard.[enberg] ist dran, die Religion und die Physik durch einander zu kneten. Das wird ein interressantes Rührey werden“ (KFSA24, S.156). Siehe Anm. 66,5f. zu A358 (‚Physik‘) und 127,19–21 zu PhL [II] 488 über die Korrespondenz von Mikro- und Makrokosmos. 942: 218,21f. Fossilien – Pflanzen, und Thiere. Der Mensch ist ein Focus des Aethers] Siehe Anm. 220,8f. zu AB962 (‚mineralisch – vegetabilisch – animalisch‘). – Als Äther, „das Glühende“, wurde in der Antike die ‚Himmelsluft‘, die obere feine Luftschicht bezeichnet. Seit dem 17. Jahrhundert gilt der Äther als das hypothetische Medium für die Ausbreitung von Licht und Wärme und für die Vermittlung der Gravitation und anderer ‚Fernwirkungen‘. 943: 218,23f. Die gew[öhnliche] N[atur]L[ehre] ist nothw[endige] Phaenomenologie – Grammatik – Symbolistik] Vgl. AB792 zur Phänomenologie und AB496 über die Phantasie als „phaenomenologische Kraft“. Siehe Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘) und 30,35–37 zu A92 (‚Grammatik‘). 943: 218,25 en perspect[ive]] Perspektivisch. 944: 218,29 Übergangsordnung – der Krystalle] Dieser Teil der Notiz bezieht sich auf Carl Immanuel Löschers (1750–1813) Uibergangsordnung bei der Kristallisation der Fossilien, wie sie aus einander entspringen und in einander übergehen (1796). Vgl. auch AB648 und 1051. -- Balmes, WTB3, S.529 und 558. 944: 218,30f. Mystische Kriegskunst. !…" Der rhetorische Krieg] Vgl. zum Krieg und der Kriegskunst FNS, NO3, S.171, AB276, 958, 982, Heinrich von Ofterdingen, (1.Teil, 8.Kapitel; NO1, S.284) und die Prolegomena zum Heinrich von Ofterdingen (NO1, S.346f.). Siehe auch Anm. 30,25–27 zu A89 sowie 218,7f. zu AB939 (‚Mathematik‘) und 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘). -- Balmes, WTB3, S.558; Mähl, Idee, S.320–322.

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945: 218,32–34 Jedes Stück meines Buchs !…" dedicirt] Vgl. FuS360: „Eigentliche romantische Prosa – höchst abwechselnd – wunderbar – sonderliche Wendungen – rasche Sprünge – durchaus dramatisch. Auch zu kleinen Aufsätzen.“ Siehe Anm. 9,16f. zu L7 und 16,28 zu L 83 (‚Manier‘), 24,14f. zu A22 (‚Fragment‘), 126,8f. zu PhL [XXI] 246 (‚Brief‘) und 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘). 946: 218,35 Turgescenzen] Schwellungen. 947: 218,36 Chymie – Wärmemodificat[ions]Lehre] Vgl. Ritter, RF1 und 17. 947: 218,36f. Ist die Chymie !…" Verbindung mit Electricit[aet] und selbst Galvan[ism] nicht befremdend] 1780 beobachtete der italienische Anatom Luigi Galvani (1737–1798), daß ein Froschschenkel zuckt, wenn sein Nerv zwei verschiedene, miteinander verbundene Metalle berührt, und führte dieses Phänomen auf ‚tierische Elektrizität‘ zurück. Diese Theorie wurde 1794 von Alessandro Volta (1745–1827) widerlegt, der nachwies, daß bei der Berührung zweier Metalle Elektrizität entsteht. Besonders unter dem Eindruck von Ritters Forschungen über den Galvanismus als allgemeine, in allen Bereichen der Natur wirksame Kraft, erblickte Novalis im Galvanismus den „Ausdruck eines ‚geistigen‘ Wirkungsprinzips der Natur“, dessen konstruktive Wirkung sich auf die Produktion und Strukturierung von dichterischen Texten übertragen läßt (Bark, Spur der Empfindung, S.94). Vgl. über den Galvanismus AB52, 165, 359, 509, 513, 653, 673, 890, 980, 994, 1024, 1032, 1114, FuS13, 69, 83, 116, 170, 251, 259, 263, 267, 272, 315, 382, 386f., 450, Vorarbeiten 102, 120, 272, 460; Friedrich Schlegel an Schleiermacher, Juli 1798 (KFSA24, S.144f.); Ritter, RF16, 322–352 u. ö. Siehe Anm. 153,19 zu BL89 (‚Berührung‘) und 63,38 zu A340 (‚Magnetismus‘). -- Bark, Spur der Empfindung; Specht, S.77–90 und 216–308. 947: 218,37f. Magnet[ism] verhält sich zur Schwere – wie Elektr[icitaet] zu Wärme] Ein Proportionalvergleich. Vgl. FNS, NO3, S.57, und zu den sogenannten Imponderabilien Ritter, RF5, 55 und siehe Anm. 300,27 hierzu sowie Anm. 63,38 zu A340 (‚Magnetismus‘) und 217,35 zu AB938 (‚Schwere‘). 948: 218,39f. Die einzelnen Wissenschaften werden qualitatibus, nicht quantitatibus gebildet] „ … Durch Qualitäten, nicht durch Quantitäten … “. Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘) und 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘). 948: 219,2 Migniatur und Colossalwissensch[aft]] Vgl. A109 (‚Mikrologie‘) und Lg13 (‚Makrologie‘). 949: 219,4 Motion] Bewegung. 949: 219,4 Einmal nur essen] Siehe Anm. 212,21 zu ET429 (‚Essen‘). 951: 219,8 Beweisversuche meiner Sätze im Blüthenstaub] Derartige Versuche unternimmt Hardenberg in AB851 und 934 (zu BL16, 22 und 24). -- Balmes, WTB3, S.558. 952: 219,9 Das ächte Dividuum ist auch das ächte Individuum] Wie u.a. auch AB993 und 1012 eine Reminiszenz an Fichtes Wissenschaftslehre. Dividuum (das Teilbare) ist eine Analogiebildung Hardenbergs zu Individuum (das Unteilbare). Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘) und 13,24 zu L46 (‚Individuum‘).

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953: 219,10f. Der Poët braucht die Dinge und Worte, wie Tasten !…" Idéenassociation] Vgl. AB966; seine Gedanken über die „Idéenassociation“ führt Novalis in AB930 und 964 weiter aus. 953: 219,10–12 Der Poët !…" Zufallproduktion] Vgl. über die „ächte Experimentirkunst“ (AB924), die auch die Poesie einschließen soll, AB899, 911 und 914. Vgl. AB940 zur Rolle des Zufalls in der poetischen Produktion. Siehe Anm. 220,4–10 zu AB962 (‚Experimentation‘) -- Balmes, WTB3, S.558; Mähl, NO3, S.989. 953: 219,12 zufällige – freye Catenation] Katenation: Kettenbildung, Verkettung. Der Begriff der Kette spielt im Galvanismus (siehe Anm. 218,36f. zu AB947) eine wichtige Rolle; das galvanische ‚Fluidum‘ wird von dem zu galvanisierenden Objekt durch eine Kette von Körpern hindurch und in dieses zurückgeleitet. Vgl. zum Motiv der Kette AB258, 904, 997, 1025, 1028, 1102, 1114, FuS306, 351, 353, 382, 386, Vorarbeiten 241 und 451; vgl. ferner zur Vorstellung der catena naturalis als Ausdruck des gradualistischen Denkens, das in den Naturwissenschaften des 18. Jahrhunderts fortlebte, FuS140, Die Lehrlinge zu Sais (NO1, S.85) und Hardenberg an Caroline Just, 23.(?)2.1796 (NO4, S.169). – Siehe Anm. 85,35f. zu Id29 (‚frei‘). -- Arthur O. Lovejoy, Die große Kette der Wesen. Geschichte eines Gedankens, dt. von Dieter Turk, Frankfurt am Main 1985; Müller, Feuerwissenschaft, S.267–273; Margit Wyder, Goethes Naturmodell. Die Scala Naturae und ihre Transformationen, Köln, Weimar, Wien 1998. 953: 219,12f. (Casuïstik – Fatum. Casuation.) (Spiel.)] Vgl. zur Kasuistik Schulz, Werke, S.796: „ein Teil der Moralwissenschaft, durch den an Hand von Geboten das rechte Verhalten in allen möglichen Fällen des praktischen Lebens bestimmt wird. Als Gegensatz zu dieser festen Bestimmung (‚Fatum‘) entwirft Novalis den Begriff der Kasuation, der freien Erschaffung von Dingen und Ereignissen, womit er offenbar das Wort Spiel verbindet.“ 953: 219,10–13 Der Poët !…" (Spiel.)] -- Kohns, S.281–287. 954: 219,14 Ein Mährchen sollt ich warlich schreiben] Diesen Plan führte Novalis im Märchen von Hyazinth und Rosenblüthchen in den Lehrlingen zu Sais aus (NO1, S.91–95). Siehe Anm. 218,9 zu AB940 über das Märchen. 955: 219,15f. Über die mystischen Glieder des Menschen !…" Wollust ist] Zur Nähe von Mystik und Wollust vgl. die erste der Hymnen an die Nacht (NO1, S.132f.) und das siebte der Geistlichen Lieder (Hymne, NO1, S.166f.). Vgl. auch AB958 („Spinotzas Idee von einem !…" wollüstigen Wissen (welche allem Mysticism zum Grunde liegt)“). 956: 219,17–19 Wo Colik her entsteht !…" Gicht !…" Kranckheit und Gesundheit] „Die Gicht bezeichnete im 18.Jh. zum Teil ganz verschiedene Krankheiten, zu denen man auch seelische Ursachen annahm“ (Balmes, WTB3, S.563). Vgl. AB271, 544, 917, 997, 1062. Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 (‚Krankheit‘). 957: 219,20f. wie der Philosophie etc. gegangen] In AB933 stellt Novalis fest, die Philosophie sei „Jedem Alles und jedes – das personifizierte x – Fichtes N[icht]I[ch].“ -- Balmes, WTB3, S.558. 958: 219,29f. Spinotzas Idee von einem kategorischen – imperativen – Schönen oder vollkommenen Wissen] Vgl. Spinoza, Ethica V,36 und 27 über die

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‚verstandesmäßige Liebe des Geistes zu Gott‘: sie ist „Gottes Liebe selbst, womit Gott sich selbst liebt, nicht sofern er unendlich ist, sondern sofern er durch die unter der Form der Ewigkeit betrachtete Wesenheit des menschlichen Geistes erklärt werden kann, d.h. die verstandesmässige Liebe des Geistes zu Gott ist ein Theil der unendlichen Liebe, mit der Gott sich selbst liebt. Diese Liebe des Geistes muss zu den Handlungen des Geistes gehören, sie ist daher eine Handlung, durch welche der Geist sich selbst betrachtet, begleitet von der Vorstellung Gottes als Ursache d.h. eine Handlung wodurch Gott, sofern er duch den menschlichen Geist erklärt werden kann, sich selbst betrachtet, begleitet von der Vorstellung von sich. Demnach ist diese Liebe des Geistes ein Theil der unendlichen Liebe, womit Gott sich selbst liebt. Hieraus erkennen wir deutlich, worin unser Heil oder unsere Glückseligkeit oder Freiheit besteht, nämlich in der beständigen und ewigen Liebe zu Gott oder in der Liebe Gottes zu den Menschen.“ Wenn der Mensch „die Dinge nach dieser Art der Erkenntniss erkennt, geht !er" zur höchsten menschlichen Vollkommenheit über und wird folglich mit der höchsten Lust afficirt.“ (Übersetzung von B.Auerbach, zitiert nach WTB3, S.559.) – Vermutlich wurde Novalis durch Tiedemanns Geist der spekulativen Philosophie, Bd.6 (6. Hauptstück, „Benedikt von Spinoza“, S.203–244), zu dieser Aufzeichnung angeregt. – Siehe Anm. 47,40 zu A234 zu Spinoza, 34,4 zu A121 (‚Idee‘), 32,4 zu A108 (‚schön‘). -- Balmes, WTB3, S.558f.; Mähl, NO3, S.989. 958: 219,33f. Euthanasie] Erleichterung des Sterbens, besonders durch Schmerzlinderung mit Narkotika. Novalis denkt offenbar an ein „angenehm!es"“ Sterben durch „wollüstige!s" Wissen“. 958: 219,35f. Ist nicht die Moral !…" ächter Eudaemonismus] Vgl. Friedrich von Hardenbergs Brief an A.W.Schlegel vom 12.1.1798 (NO4, S.245), in dem er vom „Unsinn mit dem sogenannten Eudämonismus“ (ebd.) spricht. Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘) und 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘). 958: 219,37f. Aller Krieg ist wollüstig. (Transcendente Wollust der Schwärmer etc.)] Vgl. AB969 und siehe Anm. 218,30f. zu AB944 (‚Krieg‘). 959: 219,39–41 Der Traum ist oft bedeutend und prophétisch !…" durchaus frey] Siehe Anm. 54,19 zu A288 (‚träumen‘) und 85,35f. zu Id29 (‚frei‘). 961: 220,3 Ächte Experimentalmethode] Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘) und 220,4–10 zu AB962 (‚Experimentation‘). 962: 220,6f. In einem ächt wiss[enschaftlichen] Kopfe] Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘) und 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘). 962: 220,4–7 Behandlung der Wissenschaften !…" UniversalSkale] Vgl. AB569 über das „perfectionniren“ der Wissenschaften durch „Gradirung aller ihrer Glieder“ sowie Ritter, RF78. Siehe Anm. 83,15 zu A451 (‚Universalität‘). 962: 220,8f. Ansicht der Welt durch einen Krystall – durch eine Pflanze – durch einen Menschenkörper etc.] Vgl. zur korrespondierenden Stufenfolge der drei Naturreiche u.a. auch AB942; Schlegel, FPL [VII] 112, PhL [III] 334, 355, 383, [IV] 416, 572, [V] 70, 438, 782 und Ritter, RF79f. 962: 220,4–10 Behandlung der Wissenschaften !…" (!…" Experimentation)] Vgl. zum (Gedanken-)Experiment AB89, 528f., 543, 552, 647f., 657, 863, 886f., 924, 961, 963, 981, 1002, FNS, NO3, S.179; Friedrich Schlegel, A75 u. ö.;

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‚ächte Experimentirkunst‘ !AB924" !…" verlangt vom Experimentator !…" eine Integration nicht-empirischer Elemente in den Versuchsablauf. !…" Es existiert kein Experiment in der äußeren Natur, das nicht zugleich ein inneres Experiment, eine Befragung der menschlichen Natur, miteinbezieht: Keine äußere Naturerkenntnis ohne Integration des Subjekts und seiner inneren Welt in den Gang der Experimentation. !…" es geht also um ein Wechselspiel zwischen innerer und äußerer Kraft, speziell der ‚produktiven Einbildungskraft‘ als der Quelle der Poesie. Diese produktive Imagination des Dichters überbietet im Sinne Hardenbergs die bloße Feststellung experimenteller Data der äußeren Natur dadurch, daß sie den im Rahmen des rein naturwissenschaftlich orientierten Experiments unüberwindbaren Dualismus von beobachtendem Subjet und beobachtetem Objekt in ein reziprokes Vermittlungsverhältnis auflöst. (Daiber, Experimentalphysik, S.110f.)

-- Daiber, Experimentalphysik; ders., Urformel, S.84–94; Henderson, Novalis, Ritter and Experiment; Müller, Feuerwissenschaft, S.262–264; Madleen Podewski, Ästhetik und Chemie. Frühromantische Experimente zwischen Kunst und Naturwissenschaft – eine Problemskizze. In: ‚Internationales Jahrbuch der Bettinavon-Arnim-Gesellschaft‘ 15 (2003), S.13–26. 963: 220,11 Über das Theatralische des Jahrmarckts und des Experimentirens] Vgl. AB938; physikalische (und besonders die Elektrizitätslehre betreffende) Versuche besaßen im ausgehenden 18. Jahrhundert einen dem Jahrmarkt vergleichbaren Unterhaltungswert und wurden auch als Jahrmarktsattraktionen vorgeführt. Siehe Anm. 220,4–10 zu AB962 (‚Experimentation‘). -- Balmes, WTB3, S.559 und 628. 964: 220,13 Cosmopol[itische] Ideenpolitik – Steinpolitik – Pflanzenpolitik] Vgl. AB930. Siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘) und 91,24 zu Id101 (‚Politik‘). 964: 220,14 Sensationen] Empfindungen. 965: 220,15 indirect construïrbare] Vgl. Vorarbeiten 451 und AB488. Siehe Anm. 117,30 zu PhL [II] 185 (‚Konstruktion‘). -- Balmes, WTB3, S.559. 966: 220,16–18 Wolkenspiel – Naturspiel !…" (Ideenassociation.)] Vgl. zur Vorstellung der Wind- oder Äolsharfe AB855, 986 und FuS17, zum Begriff der Ideenassoziation ferner AB325 und 953. Auf die Umdeutung des Resonanzmodells, mit dem die zeitgenössische Naturwissenschaft akustische Wahrnehmungen erklärt, im Rahmen von Hardenbergs Poetik weist Caroline Welsh hin. („Töne sind Tasten höherer Saiten in uns“. Denkfiguren des Übergangs zwischen Körper und Seele. In: Romantische Wissenspoetik, S.73–89, hier S.86–88.) Siehe Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘), 9,11 zu L5 (‚Musik‘) und 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 967: 220,19 Göthische Behandlung der Wissenschaften – mein Project] Vgl. hierzu Vorarbeiten 445 (Über Goethe), AB52 und 1096. Novalis nimmt mehrfach Goethesche Gedanken über die Optik auf; vgl. Die Christenheit oder Europa (1799; NO3, S.516 und 521) und FuS123. Wie E.F.Hansen feststellt, schätzte Hardenberg an Goethes naturwissenschaftlichen Arbeiten besonders das Aufspüren grundlegender Naturverhältnisse im Einzelphänomen (z.E. der Pflanzenblüte, der einzelnen Farbe), die Sichtbarmachung der (Natur-)Totalität im Einzelding, das damit wieder (als Teil) auf ein Ganzes verweist. !…" Dieses (induktive)

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Fortschreiten vom Einzelnen zum Allgemeinen ist Novalis ein methodisches Vorbild, das Anschauung (Objekt) und Begriff (Abstraktion) verbindet und so den beobachtenden Blick des Naturforschers mit dem konstruierenden Blick des Philosophen und dem ‚synthetisierenden‘ Blick des Künstlers vereint. (S.196.)

Demgegenüber ist J.Maatsch der Auffassung, daß Goethes „‚lebendige‘ Zusammenschau der getrennten Einzeldinge in der Morphologie“ von Novalis als vorbildlich und wegweisend betrachtet wurde. „Ganz im Sinne der !…" beschriebenen Ordnung der Übergänge ist das Verfahren der Reihenbildung, das in Goethes Morphologie, aber auch in den Ansätzen zu einer ‚natürlichen‘ Systembildung um 1800 einen entscheidenden ersten Schritt darstellte, auch für Novalis’ Wissensordnung wesentlich“ (S.230f.). Siehe Anm. 9,13–15 zu L6 über Goethe und 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘). -- Balmes, WTB3, S.559; Friedrich Strack, Goethe und Novalis im Widerstreit. In: Ungesellige Geselligkeit. Festschrift für Klaus Manger, hg. von Andrea Heinz u.a., Heidelberg 2005, S.207–222; hier insbesondere Anmerkung 5. 968: 220,20 Das Gedächtniß treibt prophetischen – musicalischen Calcül] Vgl. AB859 über das Gedächtnis und siehe Anm. 9,11 zu L5 über die musikalische Metaphorik im Fragmentwerk der Frühromantiker. -- Balmes, WTB3, S.559. 969: 220,23f. Wollust des Erzeugens !…" Wollust d[er] Synthesis] Vgl. AB958 und siehe Anm. 16,19 zu L81 (‚Polemik‘). 971: 220,27 Betracht[ungen] über eine Geschichte der Philos[ophie]] Vgl. zur Geschichte der Philosophie AB461–463, 886 u. ö. Diese ‚Betrachtungen‘ wurden wahrscheinlich durch die Lektüre des philosophiegeschichtlichen Werks von Tiedemann angeregt. „Für Hardenbergs Entwurf der Enzyklopädistik ist es kennzeichnend, daß auch die Geschichte der Wissenschaften eine bedeutende Rolle darin spielen und daß durch eine solche historische Betrachtung der älteren Philosophie und Naturwissenschaft die Idee v[on] Phil[osophie] als ein Schema d[er] Zukunft erscheinen sollte (Nr.886). Unter diesem Blickpunkt sollten wohl auch die Exzerpte aus Tiedemanns Werk zu Paracelsus, Pordage u.a. !NO3, S.129" unter den Stichworten Magie, Physik etc. ins Brouillon eingeordnet werden“ (Mähl, NO3, S.990). -- Balmes, WTB3, S.550f. und 559. 972: 220,28 Generation] Zeugung. 972: 220,28–30 Zweyte !…" Daseynspotenzen] Vgl. Tiedemann, Bd.3, S.385ff. Siehe Anm. 33,6f. zu A116 (‚potenzieren‘). -- Balmes, WTB3, S.559; Mähl, NO3, S.990. 973: 220,31 Ein Körper verhält sich zum Raume – wie ein Sichtbares zum Lichte] Ein Proportionalvergleich. Siehe Anm. 217,1 zu AB931 (‚Licht‘). 975: 220,33 die Gicht etc.] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 über Krankheit und 219,17–19 zu AB956 über die Gicht. 975: 220,34 Poëtisirung d[es] Körpers] Siehe Anm. 48,28f. zu A239 (‚poetisieren‘). 976: 220,35f. Obj[ect] einer bes[ondern] Wissenschaft] Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘).

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977: 220,38f. Physik und Mathematik] Siehe Anm. 66,5f. zu A358 (‚Physik‘), 30,25–27 zu A89 und 218,7f. zu AB939 (‚Mathematik‘). 977: 220,39 in Einem Fall mit der Phil[osophie] – es sind Proteusse] In der griechischen Mythologie ist Proteus eine Meeresgottheit, die jede beliebige Gestalt annehmen kann. Vgl. AB886 zum „phil[osophischen] Proteus“. 978: 221,1–7 Kranckheit hat Brown schlechterdings nicht erklärt !…" Asthenie (Excess)] Eine kritische Einstellung zu Browns Theorien wird ferner in AB267, 593f., 622, 649, 721, 777 und 1148 sowie ansatzweise in den Vorarbeiten 107 sichtbar. Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 über Browns Krankheitslehre. -- Hansen, S.377–389. 979: 221,9 Turgescirend] Anschwellend. 980: 221,10–12 Sollte der FroschhautHygrométer !…" Galv[anism] !…" seyn] Wenceslaus Johann Gustav Karsten gibt in seinem Kurzen Entwurf des Naturwissenschaft, vornemlich ihres chymisch-mineralogischen Theils, Halle 1785, folgende Beschreibung eines Hauthygrometers, welches im äusserlichen Ansehen alle Aehnlichkeit mit einem gewöhnlichen Quecksilber-Thermometer hat. Eine bis an eine gewisse Stelle mit Quecksilber gefüllte an beyden Enden offene Glasröhre ist in lothrechter Stellung mit dem untern Ende in einer hölzernen Capsel mit Quecksilber luftdicht eingeküttet. Anstatt des Bodens ist die Capsel unten mit einer ausgespannten Froschhaut geschlossen, oder auch mit einer andern ähnlichen gegen feuchte und trockene Luft genug empfindlichen Haut. Bey feuchter Luft wird die Haut schlaffer, das darauf drückende Quecksilber kann sie nun mehr ausdehnen, also fället es in der Röhre herunter, weil der Raum in der Capsel grösser wird: bey trockener Luft wird die Haut stärker gespannt, der Raum in der Capsel wird enger, und das Quecksilber in der Röhre wird dadurch wieder hinauf getrieben. (S.105f.).

– Siehe Anm. 218,36f. zu AB947 (‚Galvanismus‘). 981: 221,13 Der Differentialcalcül] Vgl. zur Differential- und Integralrechnung AB290, 796, 807, 935 und zu deren paradoxem Charakter der „Messung des !…" Unermeßlichen“ AB645. Zur Anlehnung an mathematische Verfahren und Schreibweisen siehe Anm. 218,7f. zu AB939 und 108,21 zu FPL [V] 173. -- Daiber, Experimentalphysik, S.132–139; Pollak, S.126–140. 981: 221,16 logarythmisiren] Vgl. AB239. 982: 221,17–20 Die Kriegskunst !…" Politik etc.] Siehe Anm. 218,30f. zu AB944 über die Kriegskunst, 30,25–27 zu A89 und 218,7f. zu AB939 (‚Mathematik‘), 74,41 zu A410 (‚Ökonomie‘) und 91,24 zu Id101 (‚Politik‘). 983: 221,22 Der W[issenschaft] ist es wie den Menschen gegangen] Vgl. über die „politische Wissenschaftslehre“ der Staaten Die Christenheit oder Europa (1799; NO3, S.522). -- Balmes, WTB3, S.559. 984: 221,26 Repulsion und Attraction] Abstoßung und Anziehung. 985: 221,29 Entstehungsformel eines Triangels] Triangel: Dreieck. Siehe Anm. 218,7f. zu AB939 (‚mystische Geometrie‘). 986: 221,34–36 Ein Mährchen ist eigentlich wie ein Traumbild !…" die Natur selbst] Siehe Anm. 220,16–18 zu AB966 über das Motiv der Äolsharfe. Siehe Anm. 218,9 zu AB940 (‚Märchen‘), 54,19 zu A288 (‚träumen‘), 9,11 zu

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L5 über die Verwendung musikalischer Metaphern in den Fragmenten der Frühromantiker, 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘), 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘) und 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘). -- Mähl, NO3, S.990. 986: 221,39 Redoute] Tanzveranstaltung, Maskenball. 986: 222,1 Der Ton des bloßen M[ärchens] ist abwechselnd] Vgl. FuS360: „Eigentliche romantische Prosa – höchst abwechselnd – wunderbar !…"“. -- Balmes, WTB3, S.560. 987: 222,3 Harmonie ist – Ton der Töne – genialischer Ton] Siehe Anm. 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘), 19,9 zu L108 über die potenzierenden Formeln der Romantiker und 33,40f. zu A119 (‚Genie‘). 988: 222,4f. Hätten wir auch eine Fantastik wie eine Logik, so wäre die Erfindungskunst – erfunden] Vgl. AB767f. Siehe Anm. 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘) und 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘). 989: 222,7f. daß eine abs[olute], wunderbare Synthesis oft die Axe des Märchens !…" ist] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘) und 218,9 zu AB940 (‚Märchen‘). 990: 222,15 figirte Gegenwart] Erdichtete Gegenwart. 990: 222,16f. Ein Raumerfüllungsindivid[uum] !…" Zeit] Vgl. die folgende Aufzeichnung und AB1011; siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘). 991: 222,18 Zeit ist innrer Raum] Vgl. zur Vermengung der Kategorien Raum und Zeit die vorige Notiz, AB809, 1011 und FNS, NO3, S.60 und 66. -Hansen, S.358f. 991: 222,23 Zeittriangel] Siehe Anm. 218,7f. zu AB939 (‚mystische Geometrie‘). 991: 222,23 Zeitstereometrie] Stereometrie ist ein Teilgebiet der Geometrie, das sich mit der Berechnung räumlicher Gebilde beschäftigt. 992: 222,26 die Organische Masse] Siehe Anm. 218,5 zu AB939. 993: 222,28f. Über das Reflexions Phaenomèn – das sich selbst auf die Schultern springen der Reflexirenden Kraft] Eine potenzierte Reflexion, die ‚Reflexion der Reflexion‘ (siehe Anm. 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘) zu dieser Reminiszenz an Fichtes Wissenschaftslehre. Siehe Anm. 33,4–6 zu A116 (‚Reflexion‘). -- Balmes, WTB3, S.291–293. 994: 222,31f. Alles Verdampfende ist zugleich ein ElectricitaetsSammler !…" Galvanism] Siehe Anm. 218,36f. zu AB947 (‚Galvanism‘). 995: 222,33 Giebt es überhaupt einen absoluten Isolator – oder Excitator] Exzitator: Erreger, Anreger. Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘). 995: 222,34f. d[es] Isolandums und Excitandums] „Des zu Isolierenden und des zu Erregenden“. 995: 222,36 Sind nicht alle Wärmeattractionen mit Oxigènanziehung verbunden?] Attraktion: Anziehung; Oxigen: Sauerstoff. 996: 222,37f. Alle Armatur ist am Ende eine Reitzbarkeitserhöhung, wie das Fernrohr eine Sichtbarkeitserhöhung ist] Armatur: Ausrüstung; im naturwissenschaftlichen Zusammenhang bedeutet ‚armieren‘: ein Eisen o.ä. magnetisieren oder die Kraft eines Magneten durch eine eiserne Einfassung verstärken; siehe Anm. 63,38 zu A340 (‚Magnetismus‘). Vgl. AB690, 737, 841 und FNS,

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NO3, S.55 und 97 über das Fernrohr. -- Ulrich Stadler, Hardenbergs ‚poetische Theorie der Fernröhre‘. Der Synkretismus von Philosophie und Poesie, Naturund Geisteswissenschaften und seine Konsequenzen für eine Hermeneutik bei Novalis. In: Die Aktualität der Frühromantik, S.51–62. 997: 222,39 Unser Geist ist eine Associationssubstanz – Aus Harmonie] Siehe Anm. 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘). 997: 222,41 Gicht – ein spielendes Wesen] Siehe Anm. 219,17–19 zu AB956. 997: 223,1 das !…" Concatenirende Princip] „ … Ketten bildend, verkettend …“. Siehe Anm. 219,12 zu AB953 (‚Kette‘). 997: 223,5f. Licht ist die Action des Weltalls – das Auge der vorz[ügliche] Sinn für das Weltall] Novalis knüpft mit dieser Bemerkung an seine Plotin-Studien an, vgl. AB844 und 937. Siehe Anm. 217,1 zu AB931 (‚Licht‘), 142,6–8 zu BL9 (‚Auge‘) und 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘). -- Mähl, NO3, S.990. 998: 223,8–10 Am Ende giebt es auch in der Chymie !…" Metalle – etc.] -- Fabrizio Desideri, Novalis e la chimica come „arte a priori“. In: ‚Annali (Istituto Universitario Orientale, Napoli). Sezione Germanica‘ N.S.3 (1993), N.1/3, S.173–193; Hansen, S.373–377. 998: 223,11 Hydrogene sulfureux] Schwefelwasserstoff. 999: 223,12 Exostosen] Knochenzapfen, die sich von der Oberfläche eines Knochens aus bilden. -- Balmes, WTB3, S.560. 999: 223,15 Seelenkranckheiten] Siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 (‚Krankheit‘). 999: 223,16 unsre Moralitaet – unser Gewissen – unser unabhängiges Ich] Vgl. zur Moralität FSt555f.; siehe Anm. 173,6f. zu FSt555 (Moralität’). Vgl. zum Gewissen AB934. 1000: 223,20 Gegensatz von Schule und Welt] Vgl. Kants Vorrede zur Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798): „Alle Fortschritte in der Kultur, wodurch der Mensch seine Schule macht, haben das Ziel, diese erworbenen Kenntnisse und Geschicklichkeiten zum Gebrauch für die Welt anzuwenden“ (KA12, S.BIII; vgl. ebd., S.BVI). -- Mähl, NO3, S.990. 1000: 223,21 Abs[olut] Machen können wir nichts] Siehe Anm. 21,4 zu L123 (‚absolut‘). 1000: 223,23 die Kategorie d[er] imaginairen Gedanken] Siehe Anm. 179,5 zu FSt575 (‚Kategorien‘). 1001: 223,24 Was eigentlich Weltbürger und weltbürgerlich Interresse ist?] Vgl. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798): „Eine solche Anthropologie, als Weltkenntnis, welche auf die Schule folgen muß, betrachtet, wird eigentlich alsdann noch nicht pragmatisch genannt, wenn sie ein ausgebreitetes Erkenntnis der Sachen in der Welt, z.B. der Thiere, Pflanzen und Mineralien in verschiedenen Ländern und Klimaten, sondern wenn sie die Erkenntnis des Menschen als Weltbürgers enthält“ (KA12, S.BAVI). 1002: 223,25 Kant ist ein netter Beobachter und Experimentator] H.J.Mähl, NO3, S.990, weist darauf hin, daß sich Novalis hier, wie in den beiden vorausgehenden und in den folgenden Aufzeichnungen mit Kants Anthropologie

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in pragmatischer Hinsicht (1798) auseinandersetzt und diese Schrift z.T. wörtlich zitiert. Siehe Anm. 220,4–10 zu AB962 über das Experimentieren. 1003: 223,26 Die Synth[ese] von Seele und Leib heißt Person] Nach H.J.Mähl, NO3, S.991, wurde diese Notiz vermutlich von Kants Anthropologie, §1, angeregt, wo es heißt, „Daß der Mensch in seiner Vorstellung das Ich haben kann, erhebt ihn unendlich über alle andere auf Erden lebende Wesen. Dadurch ist er eine Person und, vermöge der Einheit des Bewußtseyns, bei allen Veränderungen, die ihm zustoßen mögen, eine und dieselbe Person, d.i. ein von Sachen, dergleichen die vernunftlosen Tiere sind, mit denen man nach Belieben schalten und walten kann, durch Rang und Würde ganz unterschiedenes Wesen“ (KA12, S.BA3). 1003: 223,26f. die Person verhält sich zum Geist !…" wie der Körper zur Seele] Ein Proportionalvergleich. Vgl. zum Verhältnis von Körper und Seele als zentralem Problem der zeitgenössischen Anthropologie auch AB1004 und FSt568. 1004: 223,29 Vom Pluralism und Omnilism] ‚Omnilism‘, von lat. omnis, „ganz, alles“, ist eine Analogiebildung zu ‚Pluralism‘. Vgl. hierzu Kants Anthropologie, §2: „Dem Egoism kann nur der Pluralism entgegengesetzt werden, d.i. die Denkungsart: sich nicht als die ganze Welt in seinem Selbst befassend, sondern als einen bloßen Weltbürger zu betrachten und zu verhalten“ (KA12, S.BA8). -- Balmes, WTB3, S.560; Mähl, NO3, S.991. 1004: 223,29 Kants Warnung vor Selbstbeobachtung] Vgl. hierzu die gegen Lavater gerichtete Passage in Kants Anthropologie, §4: Das Bemerken (animadvertere) ist noch nicht ein Beobachten (observare) seiner selbst. Das letztere ist eine methodische Zusammenstellung der an uns selbst gemachten Wahrnehmungen, welche den Stoff zum Tagebuch eines Beobachters seiner selbst abgibt, und leichtlich zu Schwärmerei und Wahnsinn hinführt !…" Was aber die eigentliche Absicht dieses § betrifft, nämlich die obige Warnung, sich mit der Ausspähung und gleichsam studierten Abfassung einer inneren Geschichte des unwillkürlichen Laufs seiner Gedanken und Gefühle durchaus nicht zu befassen, so geschieht sie darum, weil es der gerade Weg ist, in Kopfverwirrung vermeinter höherer Eingebungen, und, ohne unser Zutun, wer weiß woher, auf uns einfließenden Kräfte, in Illuminatism oder Terrorism zu geraten. Denn unvermerkt machen wir hier vermeinte Entdeckungen von dem, was wir selbst in uns hineingetragen haben !…". Wer von inneren Erfahrungen (von der Gnade, von Anfechtungen) viel zu erzählen weiß, mag bey seiner Entdeckungsreise zur Erforschung seiner selbst immer nur in Anticyra vorher anlanden. (KA12, S.BA11 und 13f.)

Siehe Anm. 10,12 zu L16 über Kant. 1004: 223,30 Seine fehlerhafte Erkl[ärung] v[on] Naïvetät] Vgl. Kant, Anthropologie, §4: „Man nennt die Freimütigkeit in der Manier, sich äußerlich zu zeigen, !…" das natürliche Betragen (welches darum doch nicht alle schöne Kunst und Geschmacks-Bildung ausschließt), und es gefällt durch die bloße Wahrhaftigkeit in Äußerungen. Wo aber zugleich Offenherzigkeit aus Einfalt, d.i. aus Mangel einer schon zur Regel gewordenen Verstellungskunst, aus der Sprache hervorblickt, da heißt sie Naivetät“ (KA12, S. B12). Siehe Anm. 26,35 zu A51 (‚naiv‘).

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1004: 223,30f. Seine unrichtige Auslegung des merckwürdigen Plurals in der öffentlichen Sprache] Kant, Anthropologie, §2 („Anmerkung über die Förmlichkeit der egoistischen Sprache“): Die Sprache des Staatsoberhaupts zum Volk ist in unseren Zeiten gewöhnlich pluralistisch (Wir N. von Gottes Gnaden u.s.w.). Es frägt sich, ob der Sinn hiebei: nicht vielmehr egoistisch, d.i. eigene Machtvollkommenheit anzeigend, und eben dasselbe bedeuten solle, was der König von Spanien mit seinem Io el Rey (Ich der König) sagt. Es scheint aber doch: daß jene Förmlichkeit der höchsten Autorität ursprünglich habe Herablassung (Wir, der König und sein Rat, oder die Stände) andeuten sollen. – Wie ist es aber zugegangen daß die wechselseitige Anrede, welche in den alten classischen Sprachen durch Ich und Du, mithin unitarisch, ausgedrückt wurde, von verschiedenen, vornehmlich Germanischen Völkern, pluralistisch, durch Ihr und Sie umgewandelt worden? wozu die letztern noch einen mittleren, zur Mäßigung der Herabsetzung des Angeredeten, ausgedachten Ausdruck, nämlich den des Er (gleich als wenn es gar keine Anrede, sondern Erzählung von einem Abwesenden wäre) erfunden haben, und endlich, zu Vollendung aller Ungereimtheiten der vorgeblichen Demütigung unter dem Angeredeten und Erhebung des anderen über sich, statt der Person, das Abstractum der Qualität des Standes des Angeredeten (Ew. Gnaden, Hochgeb., Hoch- und Wohledl. u.d.g.) in Gebrauch gekommen? – Alles vermutlich durch das Feudalwesen, nach welchem von der königlichen Würde an durch alle Abstufungen bis dahin, wo die Menschenwürde gar aufhört und bloß der Mensch bleibt, d.i. dem Stande des Leibeigenen, der allein von seinem Oberen durch Du angeredet werden, oder eines Kindes, was noch nicht einen eigenen Willen haben darf, – der Grad der Achtung, der dem Vornehmeren gebührt, ja nicht verfehlt werde. (KA12, S.A9f.)

1004: 223,31f. Über das Buhlen der Seele mit dem Körper] Vielleicht mit Bezug auf Kants Anthropologie, §19. (KA12, S.BA52–54). Vgl. zum Verhältnis von Seele und Körper AB1003 und siehe dazu Anm. 223,26f. 1004: 223,29–32 Vom Pluralism !…" mit dem Körper] -- Nicholas Saul, ‚Poëtisirung d[es] Körpers‘. Der Poesiebegriff Friedrich von Hardenbergs (Novalis) und die anthropologische Tradition. In: Novalis. Poesie und Poetik, S.151–169, hier S.161f. 1005: 223,34f. Das ehmalige Logische Disputirspiel] Siehe Anm. 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘). 1006: 223,36–38 Die mathematische Methode !…" wiss[enschaftliche] Methode] Siehe Anm. 30,25–27 zu A89 und 218,7f. zu AB939 (‚Mathematik‘) und 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘). 1006: 223,41–224,4 Axiome und Postulate !…" Spiel der Intellectuellen Kr[äfte]] Novalis bezieht sich in dieser Aufzeichnung auf Friedrich Murhard, System der Elemente der allgemeinen Grössenlehre nach ihrem Zustand am Ende des achtzehnten Jahrhunderts nebst Literatur und Geschichte (1798), S.25f., das eine Bestimmung der Axiome, Postulate und Aufgaben unternimmt; vgl. FNS (NO3, S.122): „Ein synth[etischer] Satz, der nicht demonstrirt werden kann, oder es nicht nöthig hat – h[eißt] wenn er theoret[isch] ist – ein Axiom oder Gr[und]Satz, wenn er practisch ist – ein Postulat. Leztere nennt man in weiterer Bedeutung auch Gr[und]-Sätze. Theorem oder Lehrsatz h[eißt] er, wenn er der Demonstr[ation] bedarf – (Die Best[immung] d[er] Art den Trieb d[er] Aufgabe

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zu befriedigen heißt – Auflösung)“. E.F.Hansen, S.400f., verweist ferner auf die Verbindung zu Kants Kritik der reinen Vernunft (1781, S.A65f.). 1007: 224,5–8 Wie das Auge nur Auge sieht !…" Gott wird nur d[urch] einen Gott erkannt etc.] Vgl. Tiedemann, Bd.3, S.363ff. und 407ff.; vgl. ferner FuS118, AB320 und Ritter, RF31 (Ende). Siehe Anm. 142,6–8 zu BL9 (‚Auge‘) und 47,30 zu A232 (‚Gott‘). -- Mähl, NO3, S.992; Balmes, WTB3, S.561. 1008: 224,9 Auch d[as] Flüssige ist beseelt] Vgl. zu diesem Gedanken Schellings Baader-Zitat in der Schrift Von der Weltseele (1798; Sch6, S.600): „Das Erste, was wir als Funktion des Lebensprincips ansehen müssen, ist der rastlose Umtrieb, in welchem es die thierischen Flüssigkeiten erhält; denn das Flüssige hat die Natur als das eigentliche Element des Lebens jedem Lebendigen als das Innerste zugetheilt, wodurch der Körper, der als starr sonst überall nur Gefäß und Gerüste ist, eigentlich erst zum beseelten wird (Baaders Beyträge zur Elementarphysiologie !1797" S.47).“ -- Balmes, WTB3, S.129 und 561. 1008: 224,10f. Gas entspricht dem Seelenmedium – dem Nervenäther] Siehe Anm. 218,21 zu AB942 (‚Äther‘). 1008: 224,14 und vice versa] „Und umgekehrt“. Siehe Anm. 178,30f. zu FSt570. 1011: 224,20 Der Raum geht in die Zeit, wie der Körper in die Seele über] Ein Proportionalvergleich. Vgl. AB991 zur Vermischung räumlicher und zeitlicher Kategorien. 1011: 224,21 Das Märchen ist ganz musicalisch] Siehe Anm. 218,9 zu A940 (‚Märchen‘) und 9,11 zu L5 (‚Musik‘). 1011: 224,25f. Mit d[em] Auge scheint d[as] Gefühl in bes[ondrem] Verh[ältniß]] Vgl. Vorarbeiten 101. Siehe Anm. 142,6–8 zu BL9 (‚Auge‘). -Balmes, WTB3, S.561. 1011: 224,26 Untersch[ied] v[on] Malern und Musikern] Vgl. A174. 1011: 224,30 Licht] Siehe Anm. 217,1 zu AB931. 1012: 224,32 Sensationen] Empfindungen. 1012: 224,32f. Supplement und Replement] Ergänzung. 1012: 224,36 Ideen] Siehe Anm. 34,4 zu A121. 1012: 224,36f. zu einem bestimmten Nachdenken genöthigt !…" Bild unseres Selbst] Eine Reminiszenz an Fichte, wie auch AB952 und 993. 1012: 224,39 unserer Individuellen Menschheit] Siehe Anm. 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘). 1012: 224,43 in potentia] der Möglichkeit nach. 1013: 225,1 Lithocaracteristik] Charakteristik von Steinen. Siehe Anm. 81,39 zu A439 (‚Charakteristik‘). 1013: 225,1f. Sensation der Sensation] Empfindung der Empfindung; siehe Anm. 19,9 zu L108 (‚Philosophie der Philosophie‘). 1013: 225,2 vid. Harmonie] Vide: siehe. Vielleicht ein Verweis auf AB997. Siehe Anm. 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘). -- Balmes, WTB3, S.561. 1014: 225,4f. Die Synth[etische] Methode !…" Die Analytische] Siehe Anm. 11,12–15 zu L32. 1014: 225,4 mit den Datis] Daten, Gegebenheiten.

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1014: 225,5 anschießende, krystallisirende, figirende] Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft (21793), §58, zur Entstehung von Kristallen „durch ein plötzliches Festwerden, nicht durch einen allmählichen Übergang aus dem flüssigen in den festen Zustand, sondern gleichsam durch einen Sprung, welcher Übergang auch das Kristallisieren genannt wird“ (KA10, S.B250). Vgl. FuS3, 27, GL21. -Balmes, WTB3, S.387f. und 613. 1015: 225,8f. was die Mathem[atik] nicht bew[eist]] Siehe Anm. 30,25–27 zu A89 und 218,7f. zu AB939 (‚Mathematik‘). 1015: 225,10 Applicatur] Anwendung. 1015: 225,10f. Szientificirung] Verwissenschaftlichung. Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘). 1016: 225,12 Alle historische W[issenschaft] strebt mathematisch zu werden] Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘) und 30,25–27 zu A89 und 218,7f. zu AB939 (‚Mathematik‘). 1016: 225,14 animirt] Beseelt. 1016: 225,14f. philosophisch !…" dann poëtisch – endlich moralisch – zulezt religiös] Vgl. Novalis’ Anmerkung zu Id46 und siehe Anm. 84,9–12 zu Id4 über das Verhältnis von Philosophie, Poesie, Moral und Religion. -- Balmes, WTB3, S.561. 1017: 225,16 W[issenschafts]Lehrer der Physik] Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘) und 66,5f. zu A358 (‚Physik‘). 1017: 225,16f. Licht – Luft – Wärme – etc.] Siehe Anm. 217,1 zu AB931 (‚Licht‘). 1017: 225,19f. die phil[osophische] Natur – vielleicht auch die poëtische] Siehe Anm. 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘) und 19,41f. zu L115 zum Verhältnis von Poesie und Philosophie. 1018: 225,21f. Das ächte Maaß] Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘). 1020: 225,27 Auch Cohaesion beruht am Ende auf Schwere] Vgl. AB938 über die Schwere und siehe Anm. 217,35 dazu sowie Anm. 291,7 zu RF2 (‚Kohäsion‘). -- Balmes, WTB3, S.561. 1021: 225,28 Über das Identisiren und Substituiren des Algébraïsten] „… Gleichsetzen und Ersetzen …“. Siehe Anm. 30,25–27 zu A89 und 108,21 zu FPL [V] 173 zum Gebrauch mathematischer Verfahren und Schreibweisen bei den Frühromantikern. 1023: 225,31 Sinn für Qualitäten] Siehe Anm. 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘). 1023: 225,33 der mathematische !…" der physikalische Sinn] Siehe Anm. 30,25–27 zu A89 und 218,7f. zu AB939 (‚Mathematik‘), 66,5f. zu A358 (‚Physik‘) und 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘). 1023: 225,33f. Gedächtnißkategorieen – Vernunftkategorieen] Siehe Anm. 179,5 zu FSt575 (‚Kategorien‘). 1023: 225,34f. prod[uctive] Imagination] Siehe Anm. 178,33 zu FSt571. 1024: 225,38f. Am Ende ist Elektricität trockner Galv[anism] !…" Chymie] Diese, die folgenden Aufzeichnungen und AB1028 lassen den Einfluß von Ritters galvanischen Forschungen und Theorien erkennen und entstanden zur selben Zeit wie die „Medizinisch-naturwissenschaftlichen Studien“ (NO3,

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S.184f.), in denen Novalis bemerkt: „Die Galvanischen Erscheinungen eröffnen eine unermeßliche Aussicht im Gebiete der Physik.“ Siehe Anm. 218,36f. zu AB947 (‚Galvanismus‘). -- Hansen, S.362; Mähl, NO3, S.992. 1025: 226,1f. Wirckung 2–3 heterogèner Flüssigkeiten auf einander !…" Luftketten] „Die Aufzeichnung beschäftigt sich spekulativ mit dem Galvanismus: die ihn auslösenden heterogenen Metalle sind durch ‚Flüssigkeiten‘ ersetzt, als Leiter fungiert statt des Wassers (vgl. Nr.1024) die Luft“ (Balmes, WTB3, S.561). Der Begriff der Kette spielt im Galvanismus (siehe Anm. 218,36f. zu AB947) eine wichtige Rolle; das galvanische ‚Fluidum‘ wird von dem zu galvanisierenden Objekt durch eine Kette von Körpern hindurch und in dieses zurückgeleitet. Siehe Anm. 219,12 zu AB953 (‚Kette‘). 1026: 226,3 Wasser ist eine nasse Flamme] Wasser begegnet im Werk Friedrich von Hardenbergs als „Ursprung der Dinge“ (Die Lehrlinge zu Sais, NO1, S.104), das „Urflüssige“ (ebd.) und als verbindendes Element. Siehe Anm. 205,15f. zu T73 über das Motiv der Flamme und des Feuers. -- Balmes, WTB3, S.128f. und 561. 1026: 226,4 Honigstein] Mellit, ein honiggelbes Mineral. 1026: 226,5 Excitat[ion]] Erregung, Anregung. 1027: 226,6 thätiger Sinne] Siehe Anm. 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘) und vgl. AB1092 über den ‚tätigen Gebrauch der Sinne‘. 1028: 226,7 Electrische Ketten] Siehe Anm. 219,12 zu AB953 (‚Kette‘). 1028: 226,9 Asthenie] Schwäche; siehe Anm. 142,1–3 zu BL8 über die Brownsche Krankheitslehre. 1029: 226,10 Die Theorie des Lebens] Siehe Anm. 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘). 1032: 226,19f. Selbstberührung im Galv[anism] und El[ectricitaet] auch wohl in der Chemie] Vgl. Vorarbeiten 102 und AB1024. Siehe Anm. 191,27f. zu Lg26 (‚Selbstberührung‘) und 153,19 zu BL89 (‚Berührung‘). 1033: 226,21 Der Fantasie Begriff ist die Anschauung] Vgl. AB327; siehe Anm. 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘). 1034: 226,22 Eine Synthese ist ein chronischer Triangel] Siehe Anm. 218,7f. zu AB939 (‚mystische Geometrie‘). -- Mähl, NO3, S.992. 1034: 226,22–25 Die Sprache und die Sprachzeichen !…" Zweck des Grammatikers] Siehe Anm. 39,12 zu A169 (‚a priori‘), 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘), 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘), 30,35–37 zu A92 (‚Grammatik‘) und 141,5–9 zu BL2 über Novalis’ Sprach- und Zeichentheorie. 1035: 226,26–28 Wissenschaftliche Beantwortung der Frage !…" Sensuale Kategorieen?] Die Aufzeichnung knüpft an AB650 an, das sich mit Kants Kritik der reinen Vernunft und deren grundlegender Frage „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“ (KA3, S.B19) auseinandersetzt. Vgl. FSt39, HKS45, FNS, NO3, S.168 und AB457. – Sensationen: Empfindungen. – Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘), 39,12 zu A169 (‚a priori‘) und 179,5 zu FSt575 (‚Kategorien‘). -- Mähl, NO3, S.339f. und 952f. 1035: 226,29 vindicirt] Beansprucht. 1035: 226,30 Fantasie] Siehe Anm. 15,19f. zu L69.

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1036: 226,33f. Sollte es nicht ein Vermögen in uns geben, was dieselbe Rolle hier spielte, wie die Veste außer uns – der Aether] Novalis übernahm den Begriff der Veste aus F.X.von Baaders Beiträgen zur Elementarphysiologie (1797), als Metapher für die ‚belebende, animierende Raumfülle‘, ein „von innen begeisterndes, belebendes Princip, eine Weltseele oder ein Weltgeist !…" Die Alten nannten sie bedeutend die Veste (Himmel als Träger und Emporhalter).“ (Sämmtliche Werke I/3, S.226.) Vgl. AB743, 754, 1095 und Die Lehrlinge zu Sais (NO1, S.90). – Siehe Anm. 218,21 zu AB942 (‚Äther‘). 1036: 226,35 der Stein der Weisen] Vgl. AB314 und FSt566. 1036: 226,35f. Instinkt oder Genie] Siehe Anm. 19,8 zu L108 (‚Instinkt‘) und 33,40f. zu A119 (‚Genie‘). 1036: 226,37f. Vernunft – Fantasie – Verstand und Sinn] Siehe Anm. 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘) und 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘). 1038: 227,1–3 Die Theorie des Falls !…" veranlassen] Novalis bezieht sich in dieser Aufzeichnung auf Kants Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte und Beurtheilung der Beweise, derer sich Herr von Leibnitz und andere Mechaniker in dieser Streitsache bedienet haben, nebst einigen vorhergehenden Betrachtungen, welche die Kraft der Körper überhaupt betreffen (1746; §§121–151, KA1, S.A187–228), wo Kant von der Bewegungslehre der Mechanik ausgehend eine Unterscheidung von ‚toten‘ und ‚lebendigen‘ Kräften vornimmt. Vgl. zum Gedanken der ‚Vivifikation‘ Lg14f. und Hardenbergs Technische Aufzeichnungen und Schriften aus der Berufstätigkeit (NO3, S.718 und 740). – Siehe Anm. 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘). -- Mähl, NO3, S.992f. 1038: 227,4 Pump und Saugwercke – den neuen Hubsatz] Technische Vorrichtungen zum Heben von Wasser, besonders in Bergwerken, auch in Gradierwerken. 1040: 227,6 Mann = Weib] Siehe Anm. 182,15 zu FSt609 über die Theorie des Männlichen und des Weiblichen.

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Textgrundlage und Textüberlieferung In Schleiermachers Nachlaß, der im Zentralen Archiv der Akademie der Wissenschaften in Berlin aufbewahrt wird, sind sechs Manuskripte mit fragmentarischen Aufzeichnungen aus der Zeit zwischen 1796 und 1803 überliefert. Nur das erste von ihnen versah der Verfasser mit einer Überschrift – Vermischte Gedanken und Einfälle; die übrigen wurden von den Herausgebern der kritischen Schleiermacher-Ausgabe als Gedanken II–VI bezeichnet. Im vorliegenden Band wird die Reihe Gedanken III vorgestellt. Sie besteht aus sechs Blättern mit 83 Aufzeichnungen. Das Manuskript wurde von Wilhelm Dilthey (1833–1911) – allerdings mit Auslassungen – im Anhang seiner Schleiermacher-Monographie unter den Denkmalen der inneren Entwicklung Schleiermachers gedruckt: Zweites Tagebuch. In: Leben Schleiermachers, Erster Band, Berlin 1870, S.116–123. Die Gedanken wurden erstmals in der kritischen Gesamtausgabe der Schriften Schleiermachers vollständig ediert. Der Text dieses Bandes folgt dem Wortlaut der kritischen Gesamtausgabe: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Kritische Gesamtausgabe, hg. von Hans-Joachim Birkner u.a. Erste Abteilung, Schriften und Entwürfe, Band2: Schriften aus der Berliner Zeit. 1796–1799, hg. von Günter Meckenstock, Berlin und New York (de Gruyter) 1984, S.117–139. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags de Gruyter.

Entstehung Zwischen 1796 und 1799 – seit 1797 ermuntert und gedrängt von Friedrich Schlegel – notierte Schleiermacher Vermischte Gedanken und Einfälle. Sie dienten ihm als Materialsammlung für seine Beiträge zu den ‚Athenäums‘-Fragmenten und deren geplanter Fortsetzung, aber auch für verschiedene selbständige Publikationsvorhaben. Aus diesem schon vor seiner Bekanntschaft mit Friedrich Schlegel angelegten Heft wählte der Verfasser bereits 1798 eine Reihe von Aufzeichnun-

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gen aus, um sie zu überarbeiten und in ein zweites Gedanken-Manuskript zu übertragen. Im selben Jahr traf er eine weitere Auswahl aus den Vermischten Gedanken und Einfällen. Auch diese Auswahl verbesserte er sprachlich und stilistisch und nahm sie als Nr.1–16 in das Manuskript Gedanken III auf, das er zwischen 1798 und 1801 niederschrieb (Meckenstock, FDES,KG I/2, S.XXX). Bei seiner zweiten Auswahl griff Schleiermacher teilweise dieselben Fagmente heraus, die er bereits in den Gedanken II berücksichtigt hatte, nahm darüber hinaus aber auch einige Aufzeichnungen auf, die er dort übergangen hatte. Mit der erneuten Sichtung und Überarbeitung seiner Gedanken beabsichtigte Schleiermacher, Material für eine Fortsetzung der ‚Athenäums‘-Fragmente zu sammeln. Die weiteren Aufzeichnungen ab GIII17, das „Poesie“ überschrieben ist, entstanden wohl erst zwischen 1799 und 1801. Da die geplante Weiterführung der ‚Athenäums‘Fragmente nicht zustande kam, scheint Schleiermacher seine Sammlung unter veränderten Gesichtspunkten wiederaufgenommen zu haben. Zahlreiche Notizen besonders im zweiten Teil der Gedanken III enthalten Vorarbeiten zu Schleiermachers Monologen (GIII26, 29, 31–33, 36, 38–40) und zu seinen Vertrauten Briefen über Friedrich Schlegels Lucinde (GIII51, 60, 63), die beide im Jahr 1800 erschienen (Meckenstock, FDES,KG I/2, S.XXIXf.). Andere Gedanken halten weitere Werkpläne fest, wie z.B. die Nr.48, zur „Moral“, „Vergleichung der moralischen und psychologischen Sprache mehrerer Völker“ und Nr.7, „Vom Scherz als herrschende Gemüthsstimmung“ als Teil des Werkplans ‚Zur Moral‘ (Nowak, Bruchstücke, S.143). Andere Aufzeichnungen stehen mit Schleiermachers Platound Aristoteles-Studium der Jahre 1800 und 1801 in Verbindung (GIII65, 68, 73–75, 77f., 81–83). Zu einigen Nummern existieren außerdem Parallelen im letzten Gedanken-Heft (Meckenstock, FDES,KG I/2, S.XXIX). Bei der Durchsicht seiner Notizen hat Schleiermacher die Nummern 6f., 10, 12, 26, 46f., 66, 69 schräg durchgestrichen, Nr.1, 29, 31–33, 36f., 39f. durchkreuzt (ebd.).

Wirkung Schleiermachers Gedanken-Hefte wurden erst in den letzten Jahren in der kritischen Gesamtausgabe ohne Kürzungen gedruckt und damit der Forschung zugänglich gemacht. Über die Wirkung der Gedanken vor ihrer Veröffentlichung liegen keine Zeugnisse vor. Möglicherweise hatte Friedrich Schlegel Einblick in diese Aufzeichnungen, doch läßt sich eine unmittelbare Resonanz in seinen Schriften nicht nachweisen.

Struktur und Gehalt Ähnlich wie Friedrich Schlegel scheint auch Schleiermacher seine Notizhefte als ‚Werkstatthefte‘, „als eine Art Gedankenspeicher und Merkbuch“ geführt zu haben, „ohne daß man !…" mit hinlänglicher Sicherheit zu sagen vermag, ob manche Notate als gezielte Vorarbeiten für frühromantische Werke zu verstehen sind“

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(Nowak, Bruchstücke, S.146 und 143). Die Gedanken-Hefte, die ihren Verfasser mehrere Jahre hindurch begleiteten, bieten dem heutigen Leser die Möglichkeit, die Entstehung einzelner Fragmente über mehrere Arbeitsphasen hinweg zu verfolgen. Zahlreiche Gedanken des ersten Hefts wurden vom Verfasser ein- oder zweimal überarbeitet, als er sie in die Auswahl des zweiten und/oder dritten Hefts übertrug. In ähnlicher Weise greift später die Sammlung Gedanken VI auf das fünfte, z.T. auch auf das zweite und dritte Manuskript zurück. Einige Aufzeichnungen der dritten Sammlung versifizierte Schleiermacher und notierte die dabei entstandenen elegischen Distichen am Heftrand oder in anderen Manuskripten. (GIII4, 30, 33f.; Patsch, Alle Menschen sind Künstler, S.91.) Insgesamt läßt sich bei der Lektüre der Gedanken-Hefte verfolgen, wie sich die Konzeption und der Charakter der Aufzeichnungen allmählich wandelte. Die ersten, noch vor der Jahrhundertwende angelegten Hefte zeigen deutlich den Einfluß der Symphilosophie mit Friedrich Schlegel. Wie die beiden ersten Manuskripte entstand auch die Niederschrift des dritten Hefts zunächst in Verbindung mit der geplanten Fortsetzung der ‚Athenäums‘-Fragmente. Stil und Form dieser zumeist knappen Aufzeichnungen weist unübersehbare Parallelen zu den Fragmentsammlungen Friedrich Schlegels auf. Wie dieser in den ‚Lyceums‘- und ‚Athenäums‘-Fragmenten verwendet auch Schleiermacher zuweilen die Definitionsform (GIII12: „Liebenswürdig ist !…"“; GIII13: „Wer existirt ohne um Erlaubniß zu bitten heißt stolz !…"“; GIII61: „Ein Mährchen ist !…"“. Wie Schlegel setzt sich Schleiermacher mit den Schriften der ‚Alten‘ (GIII20, 52, 55, 62f., 65f.), mit der neueren Philosophie (z.B. GIII3, 49), mit der zeitgenössischen Literatur und deren Gattungen, insbesondere mit dem Roman, auseinander (GIII17–21, 23, 51, 60, 64). Selbst die Wortwahl der Gedanken läßt die Nähe zu Schlegels Fragmenten erkennen (vgl. Begriffe wie ‚polemisch‘ (GIII67); ‚Illiberalität‘ (GIII10); ‚ironisch‘ (GIII3)). Bei aller thematischen Vielfalt nehmen Reflexionen über Gegenstände der Ethik und der Moral in Schleiermachers Aufzeichnungen breiten Raum ein. Einen zweiten Schwerpunkt bilden die Gedanken zu literarischen und philologischen Themen: neben der „Poesie“ überschriebenen Gruppe GIII17ff. enthält das dritte Gedanken-Manuskript noch Überlegungen zum Sprachgebrauch antiker Autoren (z.B. GIII65, 73–75, 77f. und 81–83).

Stellenkommentar 1: 229,1–8 Jede Aeußerung eines Menschen ist ein Akkord !…" so lange er lebte] Vgl. die erste Fassung dieses Gedankens in G I 7 und die spätere in den Monologen (1800; FDES,KG I/3, S.51). Siehe Anm. 9,11 zu L5 über die musikalische Metaphorik in den Fragmenten der Frühromantiker, 10,17f. zu L20 (‚verstehen‘), 63,28f. zu A339 (‚Gemüt‘) und 82,4 zu A440 (‚Harmonie‘). 2: 229,9–11 Man muß oft die Bedeutung eines Worts !…" troz der Definition] Vgl. die frühere Fassung G I 11. Siehe Anm 29,27 zu A82 (‚Definition‘). 3: 229,12–14 Bei Fichte ist das Ich stolz !…" noch gar nicht gebracht] Vgl. die früheren Fassungen G I 18 und GII25 sowie Monologen (1800;

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FDES,KG I/3, S.24). Siehe Anm. 36,1 zu A137 (Fichte), 50,18 zu A252 (‚Ich‘), 10,12 zu L16 (Kant), 28,15 zu A66 (‚Skeptiker‘), 12,33 zu L42 (‚Ironie‘), 47,40 zu A234 (Spinoza) und 10,34f. zu L26 (‚liberal‘). 4: 229,15f. So wie Viele sagen: „das verstehe ich nicht !…"“ !…" Was ist wol anmaßender?] Vgl. G I 22, GII21 und GV173. Siehe Anm. 10,17f. zu L20 (‚verstehen‘). Eine versifizierte Fassung des kleinen Dialogs findet sich am Ende des vierten Fragmenthefts (Patsch, Alle Menschen sind Künstler, S.192): Bescheidene Bitte Hört, spricht Kunz wer mich nicht versteht, der tauget wohl wenig. Hinz: was ich nicht versteh, Leute das ist auch nichts werth O, Ihr vortrefflichen Zwei verstehet Euch unter einander Daß doch einiger Werth bleibe der kläglichen Welt.

Das Epigramm trug ursprünglich den Titel „Fichtische Wissenschaftslehre“ und dürfte sich gegen Fichtes Sonnenklarer Bericht an das grössere Publicum, über das eigentliche Wesen der neuesten Philosophie. Ein Versuch, die Leser zum Verstehen zu zwingen (1801; FI2, S.323–420) richten. (Patsch, Alle Menschen sind Künstler, S.115.) 5: 229,17–20 Manche Menschen ziehen aus der Atmosphäre !…" ziehn nur Waßer an] Vgl. G I 29 und siehe Anm. 11,12–15 zu L32 über die chemische Metaphorik in den Fragmenten der Frühromantiker. 6: 229,21–24 Der Unterschied zwischen Enthusiasmus und Leidenschaft !…" macht die Enthusiasten groß] Vgl. G I 30, GII26 und GVI 51. Siehe Anm. 30,23 zu A88 (‚Enthusiasmus‘) und 34,4 zu A121 (‚Idee‘). 7: 230,4f. Warum !…" (!…" Moral)] Am Rand. 7: 229,25–230,5 Der Imperativ der genialischen Narrheit !…" (in der Moral)] Vgl. G I 36 und GVI 52 sowie GIII57 über die Narren. Zum Werkplan über die ‚Moral‘ vgl. GIII48 und siehe die Anm. 234,10 dazu. Siehe Anm. 33,40f. zu A119 (‚Genie‘), 21,4 zu L123 (‚absolut‘), 13,19f. zu L45 (‚Drama‘) und 63,28f. zu A339 (‚Gemüt‘). 8: 230,7 bon sens] Gesunder Menschenverstand. 8: 230,6–8 Diejenigen welche ihr Glück für Talent halten !…" für ein Produkt ihrer Genialität zu halten] Vgl. G I 37 und GII27. Siehe Anm. 33,40f. zu A119 zum Verhältnis von Genie und Talent. 9: 230,9–15 Wenn die Menschen auf dem Meere der Zeit !…" wenn sie todt sind] Vgl. G I 40 und GII 28. 10: 230,16f. Streitigkeiten !…" sind das feinste reagens auf Illiberalität] Vgl. G I 41, GII29 und GVI 53. Siehe Anm. 10,34f. L26 (‚liberal‘). 11: 230,22 Xenien] „Gastgeschenke“. Goethe und Schiller veröffentlichten 1796 im Musenalmanach auf das Jahr 1797 unter diesem Titel 414 epigrammatische Distichen über literarische Gegner (WA I 5.1, S.203–265). 11: 230,18–23 Die kleinen sentimentalen Freuden !…" ein längeres Leben] Vgl. G I 42 und GII30. Siehe Anm. 11,6 zu L31 (‚sentimental‘). 12: 230,24–26 Liebenswürdig ist wer liebt !…" wer beides vereinigt] Die frühere Fassung von A428. Vgl. G I 48 und GVI 54. Siehe Anm. 26,31 zu A50 (‚Liebe‘) und 13,26 zu L47 (‚unendlich‘).

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13: 230,27–31 Wer existirt ohne um Erlaubniß zu bitten !…" heißt artig] Vgl. zu dieser Definitionskette G I 51–55a und GII31–34. Siehe Anm. 10,9 zu L16 (‚Willkür‘), 20,6f. zu L117 (‚Satire‘) und 26,35 zu A51 (‚naiv‘). 14: 230,32f. Auf die lezten Tage des Jahres !…" zulezt verwahren] Vgl. G I 63. Siehe Anm. 154,30 zu BL97 (‚Kind‘). 15: 230,34–36 Ein Brief bedarf allerdings einer gewißen Dosis von Derbheit !…" zu Hülfe kommen] Vgl. G I 67 und die folgende Aufzeichnung, ferner Friedrich Schlegels Brief an Henriette Herz vom 24.8.1798: „Uebrigens befolge ich Schleiermacher’s Maxime, daß unfrankirte Sendungen am sichersten gehn, die eigentlich Eins ist mit meinem Satz, daß ein Brief immer eine gewisse Grobheit haben muß damit er richtig ankommt“ (KFSA24, S.168f.). – Siehe Anm. 126,8f. zu FPL [XXI] 246 (‚Brief‘) und 134,9–20 zu PhL [V] 390 (‚Gespräch‘). 16: 230,37–41 Jemand aus einem Briefe !…" der Styl und die Behandlung] Vgl. G I 68. Siehe Anm. 126,8f. zu FPL [XXI] 246 (‚Brief‘) und 18,25 zu L104 (‚Styl‘). 17: 231,1–5 Ist nicht der Roman die einzige Poesie der Neueren? !…" um es zu verstehen] Vgl. G I 122, ergänzend auch A146, FPL [V] 32 und GIII20. Siehe Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘), 13,19f. zu L45 (‚Drama‘), 80,14 zu A429 (‚Novelle‘), 20,20 zu L119 (‚lyrisch‘) und 10,17f. zu L20 (‚verstehen‘). 18: 231,6f. Diderots Vorschlag Stände zu schildern !…" Drama] Nach G.Meckenstock, FDES,KG I/2, S.123, bezieht sich Schleiermacher hier vermutlich auf Diderots Abhandlung Von der dramatischen Dichtkunst (zuerst 1758 unter dem Titel De la poésie dramatique), die Lessing 1760 in dem Band Das Theater des Herrn Diderot veröffentlichte. Dort heißt es: Das dramatische System, nach seinem ganzen Umfange wäre also dieses: Die lustige Komödie, welche das Laster und das Lächerliche zum Gegenstande hat; die ernsthafte Komödie, welche die Tugend und die Pflichten des Menschen zum Gegenstande hat; das Trauerspiel, das unser häußliches Unglück zum Gegenstande hätte; und die Tragödie, welche zu ihrem Gegenstande das Unglück der Großen und die Unfälle ganzer Staaten hat. Aber wo ist Er, der uns die Pflichten der Menschen mit Nachdruck male? Welches sind die Eigenschaften des Dichters, der sich dieses Werk vornehmen wollte? Er sei Philosoph; er sei in sich selbst herabgestiegen; er habe die menschliche Natur kennen lernen; er sei von den gesellschaftlichen Ständen auf das genaueste unterrichtet; er kenne ihre Beschäftigungen und ihre Wichtigkeit, ihre Vorteile und Unbequemlichkeiten. ‚Aber wie soll man alles, was zu dem Stande eines Menschen gehöret, in die engen Grenzen eines Schauspiels bringen? Wo ist die Verwicklung die diesen ganzen Gegenstand fassen könnte? Man wird in dieser Gattung Stücke machen müssen, die aus lauter episodischen Auftritten bestehen, die unter sich keine Verbindung haben, oder nur aufs höchste vermöge einer kleinen Intrigue, die sich durch sie schlinget, zusammenhangen: aber da wird an keine Einheit, an keine Handlung, an kein Interesse zu denken sein. Jede Scene für sich wird vielleicht die zwei Punkte, die Horaz so sehr empfiehlt, verbinden; aber etwas zusammen werden sie nicht ausmachen, und das Ganze wird ohne Festigkeit und Kraft sein.‘ Wenn uns die Stände der Menschen auch nur Stücke schaffen, so wie die Überlästigen des Moliere sind, so ist es doch schon etwas: ich glaube aber, daß man sie noch weit

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besser nutzen kann. Die Verbindlichkeiten und Ungemächlichkeiten eines Standes, sind nicht alle gleich wichtig. Mich dünkt also, man könne sich bloß an die vornehmsten halten, diese zu der Grundlage des Stückes machen, und die übrigen in die Ausführung versparen. (G.E.Lessing, Werke und Briefe 5/1, S.126f.)

Vgl. auch in der „Dritten Unterredung“ (XVI. Abschnitt) die Forderung, Daß man !…" nicht mehr die Charaktere, sondern die Stände auf die Bühne bringen muß. Bisher ist in der Komödie der Charakter das Hauptwerk gewesen; und der Stand war nur etwas Zufälliges: nun aber muß der Stand das Hauptwerk, und der Charakter das Zufällige werden. Aus dem Charakter zog man die ganze Intrige. !…" Künftig muß der Stand, müssen die Pflichten, die Vorteile, die Unbequemlichkeiten desselben zur Grundlage des Werks dienen. Diese Quelle scheinet mir weit ergiebiger !…" als die Quelle der Charaktere. War der Charakter nur ein wenig übertrieben, so konnte der Zuschauer zu sich selbst sagen: das bin ich nicht. Das aber kann er unmöglich leugnen, daß der Stand, den man spielt, sein Stand ist; seine Pflichten kann er unmöglich verkennen. Er muß das, was er hört, notwendig auf sich anwenden. (Das Theater des Herrn Diderot, hg. und übersetzt von Gotthold Ephraim Lessing, aus dem Französischen neu hg. mit Einleitung und Anmerkungen von Wolfgang Stellmacher, Leipzig 1981, S.157f.)

Siehe Anm. 9,5 zu L3 über die Wertschätzung Diderots bei den Frühromantikern, 80,14 zu A429 (‚Novelle‘) und 13,19f. zu L45 (‚Drama‘). 19: 231,15f. Der Roman !…" hat seine Einheit in der Beharrlichkeit der Gemüthsart] Vgl. GIII23, das als Kennzeichen des Romans die „Darstellung der innern Menschheit“ postuliert. 19: 231,8–17 Ein charakteristischer Unterschied zwischen Drama und Roman !…" unter verschiedenen Umständen] Siehe Anm. 13,19f. zu L45 (‚Drama‘), 10,34 zu L26 (‚Roman‘), 18,15 zu L103 (‚Ganzheit‘), 13,30 zu L49 (‚romantisch‘), 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘) und 63,28f. zu A339 (‚Gemüt‘). 20: 231,18–21 Die gänzliche Unfähigkeit der Alten zum Roman !…" natürliche Tendenz aller Poesie ist] Vgl. ergänzend GIII17, 19, bei Schlegel A146 und FPL [V] 32. Siehe Anm. 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘), 10,34 zu L26 (‚Roman‘) und 15,18f. zu L69 (‚Tendenz‘). 21: 231,22f. Wir sollten eigentlich gar kein Drama machen es werden doch alle romantisch] Vgl. GIII17. Siehe Anm. 13,19f. zu L45 (‚Drama‘) und 13,30 zu L49 (‚romantisch‘). 22: 231,24 Measure for measure ist wol eines der schlechtesten Stüke von Shakespeare] Maß für Maß. Siehe Anm. 20,30f. zu L121 über Shakespeare. 22: 231,25 Novellenform] Vgl. GIII17 zur Affinität des neueren Dramas zur Novelle. 22: 231,25 tout crache] Tout craché: Wie er leibt und lebt. 22: 231,26 Escalus Lucio und Clown] Figuren aus Shakespeares Maß für Maß. 22: 231,24–27 Measure for measure !…" dramatisch ist] Vgl. G I 133. Siehe Anm. 80,14 zu A429 (‚Novelle‘) und 13,19f. zu L45 (‚Drama‘). 23: 231,28–30 Wenn der Roman auf die Darstellung der innern Menschheit geht !…" der äußern Menschheit] Vgl. GIII19. Siehe Anm. 10,34 zu L26

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(‚Roman‘), 184,1–5 zu FSt633 (‚Darstellung‘), 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘) und 80,14 zu A429 (‚Novelle‘). 23: 231,33 der Meister] Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795f.). Siehe Anm. 20,27–29 zu L120. 24: 231,35–42 Im Hamlet denke ich mir den entschiedensten Primat der Reflexion !…" angedeutet ist] Wohl aus Anlaß der Lektüre von Wilhelm Meister verfaßt (vgl. GIII23), wo die Hamlet-Interpretation eine wichtige Rolle spielt. Siehe Anm. 20,30f. zu L121 über Shakespeare und Anm. 33,4–6 zu A116 (‚Reflexion‘). 24: 231,37f. Polonius !…" Ophelia !…" Laertes] Figuren aus Shakespeares Hamlet. 25: 232,1–3 Twelve night !…" Malvoglio] Twelfth Night or What You Will (Was ihr wollt). Mit dieser Komödie Shakespeares beschäftigt sich auch Schlegel in A21 (siehe die Anm. 24,5f. dazu). Vgl. die frühere Fassung der Aufzeichnung in G I 152. Siehe Anm. 20,30f. zu L121 (Shakespeare) und 37,29 zu A154 (‚Komödie‘). 26: 232,4–7 Der Mißmuth des Alters !…" Erwerb der Freiheit] Vgl. G I 134f., 138 und GVI 35, zum ersten Satz außerdem Monologen (1800; FDES,KG I/3, S.28), und GIII30 zum historischen Sinn. Siehe Anm. 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘), 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘) und 85,35f. zu Id29 (‚frei‘). 27: 232,8–10 Philosophie und Religion !…" der Moral und der Poesie] Siehe Anm. 84,9–12 zu Id4 zum Verhältnis von Philosophie, Religion, Moral und Poesie, 114,10 zu PhL [II] 137 (‚ideal – real‘), 43,1–3 zu A198 (‚Natur‘) und 85,18 zu Id21 (‚Menschheit‘). 27: 232,11–13 Eigentlich !…" Religion der Philosophie] Am Rand. 28: 232,14–16 Mechanik und Recht parallelisiren !…" Bewußtsein der Freiheit] Vgl. GVI 56. Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘) und 85,35f. zu Id29 (‚frei‘). 29: 232,17f. Jugend und Alter !…" die Reflexion] Vgl. Monologen (1800; FDES,KG I/3, S.58–60). Siehe Anm. 33,4–6 zu A116 (‚Reflexion‘). 30: 232,20f. Der ächte historische Sinn erhebt sich über die Geschichte] Vgl. GIII26 über den ‚historischen Sinn‘. Siehe Anm. 142,9–13 zu BL10 (‚ächt‘), 25,1–3 zu A26 (‚Historie‘) und 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘). 30: 232,24–27 Wie bei !…" Gestalt] Am Rand. Die Herkunft der Distichen ist nicht ermittelt. 31: 232,28f. Mit Klagen und Wünschen !…" den schlechtesten gleich] Vgl. Monologen (1800; FDES,KG I/3, S.8). 32: 232,30f. Ein kleines Bruchstük von der göttlichen Reflexion !…" Gewißen] Vgl. Monologen (1800; FDES,KG I/3, S.15f.) und die Fortführung des Gedankens in GIII33. Siehe Anm. 47,30 zu A232 (‚Gott‘) und 33,4–6 zu A116 (‚Reflexion‘). 33: 232,32–34 Die Idee Gottes !…" der eignen Thätigkeit] Die Aufzeichnung knüpft an die vorige an. Vgl. Monologen (1800; FDES,KG I/3, S.13f.). Siehe Anm. 34,4 zu A121 (‚Idee‘), 47,30 zu A232 (‚Gott‘), 32,4 zu A108 (‚schön‘) und 14,1 zu L53 (‚Allegorie‘). 33: 232,35f. Wer sich selbst nicht anschaut wird nie das Ganze begreifen

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!…" sich selbst] Am Rand. Die Herkunft des Epigramms ist nicht geklärt. Vgl. zur Selbstanschauung die vorige und die folgende Aufzeichnung; Schlegel, FPL [III] 224, [VII] 21, [IX] 494; Hülsen, H27 und 56. Siehe Anm. 18,15 zu L103 (‚Ganzheit‘). 34: 232,37f. Selbstanschauung und Anschauung des Universums sind Wechselbegriffe !…" unendlich] Vgl. die beiden vorigen Notizen und die folgende Aufzeichnung, die hieran anknüpft. Siehe Anm. 13,26 zu L47 (‚unendlich‘) und 178,34 zu FSt571 (‚Wechselbestimmung‘) sowie 118,6 zu PhL [II] 193 (‚Wechselgrundsatz‘). 35: 232,39–42 Es ist die Beschränktheit der Philosophie !…" ihr inneres abzubilden] Vgl. die vorige Aufzeichnung, an die GIII35 anknüpft. 36: 233,1f. So wie den Menschen !…" kein Concert sein] Vgl. Monologen (1800; FDES,KG I/3, S.9). Siehe Anm. 9,11 zu L5 (‚Musik‘). 38: 233,5–7 Sie suspendiren nicht die Zeit !…" in die Zukunft] Vgl. Monologen (1800; FDES,KG I/3, S.7–14). 39: 233,8f. Die Blüthe ist die wahre Reife !…" angehört] Vgl. Monologen (1800; FDES,KG I/3, S.59). Siehe Anm. 89,10f. zu Id71 (‚Chaos‘). 40: 233,10f. Ich lege nur das unvollkommene !…" lächle die weißen Haare an] Vgl. Monologen (1800; FDES,KG I/3, S.61). 41: 233,12f. das allgemeine Geschrei über den Atheismus] Eine Anspielung auf Fichtes ‚Atheismusstreit‘. Siehe Anm. 91,34 zu Id105. 41: 233,14–16 Herders Christenthum !…" nach seinem Gott !…" starke Nachfrage gewesen ist] Vgl. Herder, Christliche Schriften (1794–1798). Der vierte Band, auf den sich Schleiermacher hier wohl bezieht, trägt den Titel Vom Geist des Christenthums (1798). Siehe Anm. 23,25f. zu A16 (‚Christianismus‘), 47,30 zu A232 (‚Gott‘). 42: 233,17–19 Die dreifache Verbindung zwischen Gesang, Tanz und Gedicht !…" das älteste Metrum der Griechen] Siehe Anm. 13,21 zu L46 über die Griechen. 43: 233,20 prendre und donner] Französisch: ‚nehmen‘ und ‚geben‘. 43: 233,22 j’ai pris la fievre] „Ich habe Fieber bekommen.“ 43: 233,22f. j’ai !…" wird] Am Rand. 43: 233,24 recevoir] Entgegennehmen, empfangen, erhalten, bekommen. 44: 233,25 Esprit] Geist, Gemüt, Verstand. 44: 233,25 Thätigkeit der Fantasie] Siehe Anm. 15,19f. zu L69 (‚Fantasie‘). 44: 233,26 Sentiment] Gefühl, Empfinden. 44: 233,27 Jugement] Meinung, Entscheidung, Urteilskraft. 44: 233,30 delicateße] Takt, Feingefühl, Fingerspitzengefühl. 45: 233,31–42 Elemente einer Tragödie !…" nicht sentimental] Siehe Anm. 11,3–5 zu L30 (‚Tragödie‘), 85,35f. zu Id29 (‚frei‘), 91,24 zu Id101 (‚Politik‘), 15,1f. zu L66 (‚revolutionär‘), 14,35f. zu L63 (‚Sinn‘), 58,33f. zu A315 (‚Elegie‘) und 11,6 zu L31 (‚sentimental‘). 46: 234,1–5 Kunst ist Darstellung eines Ideals !…" das Gebiet des schiklichen für jede Kunst] Vgl. GVI 57 und die folgende Notiz. Siehe Anm. 75,3 zu

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A412 (‚Ideal‘), 34,4 zu A121 (‚Idee‘), 13,24 zu L46 (‚Individuum‘) und 27,12 zu A55 (‚Klassifikation‘). 47: 234,6–9 Woher komt aber bei dieser Ansicht !…" die Musik plastisch zu behandeln] Vgl. GVI 58 und die vorige Aufzeichnung. Siehe Anm. 40,3 zu A174 über die ‚synästhetische‘ Vermischung der Künste. 48: 234,10 Nach der Moral] Vgl. zu diesem Werkplan, den Schleiermacher in seinen Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre (1803) z.T. realisierte, auch GIII7, GV21, 23–26, 35, 56, 68, 70, 82–92, 94, 102, 107, 112, 115, 121f., 132, 136–138, 142, 144f., 149f., 152–155, 159–161, 175, 183f., 193, 195f. und 203–205. Vgl. Friedrich Schlegel an Schleiermacher, 6.8.1798, (KFSA24, S.158) sowie Schleiermachers Briefwechsel mit Friedrich Heinrich Christian Schwarz, hg. von H.Mulert und H.Meisner. In: ‚Zeitschrift für Kirchengeschichte‘ 53 (1934), S.274f. (10.10.1801). 49: 234,12–15 Gute Behandlungen einzelner Gegenstände !…" noch keine geliefert] Siehe Anm. 29,12 zu A77 (‚Wissenschaft‘), 26,22f. zu A46 (‚System‘) und 10,12 bzw. 10,11 zu L16 über Kant und die Kantianer. 51: 234,19 Die Zweideutigkeiten in der Lucinde] Siehe Anm. 96,9f. zu Id156 über Friedrich Schlegels Roman aus dem Jahr 1799 und 235,36–41 zu GIII60 über Schleiermachers Vertraute Briefe über Friedrich Schlegels Lucinde (1800). 51: 234,23 pandemisch] Sich über mehrere Länder und Regionen erstrekkend. – Unsichere Lesung. 52: 234,24 Die Alten brauchen die Poesie niemals als Mittel in der Rhetorik] Siehe Anm. 9,25f. zu L11 (‚die Alten‘) und 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘). 52: 234,25f. Ist der tragische Dialog wie Heindorf meint rhetorisch?] „Schleiermacher bezieht sich wohl auf eine mündliche Äußerung von Ludwig Friedrich Heindorf (1774–1816), mit dem er eng befreundet war und des öfteren Platon-Lektüre betrieb“. (Vgl. Schleiermacher als Mensch. Sein Werden und Wirken. Familien- und Freundesbriefe, hg. von Heinrich Meisner, Bd.1, Gotha 1923, S.201; Meckenstock, FDES,KG I/2, S.130f.) Siehe Anm. 11,3–5 zu L30 (‚Tragödie‘) und 29,8 zu A77 (‚Dialog‘). 53: 234,28f. An der eigentlichen Rhetorik ist wol nichts schöne Kunst als die Wolredenheit] Siehe Anm. 35,37 zu A137 (‚Rhetorik‘) und 32,4 zu A108 (‚schön‘). 54: 234,30f. Aussöhnung mit dem Schiksal, wie Süvern meint giebt es wohl eigentlich nicht] In seiner Schrift Über Schillers Wallenstein in Hinsicht auf griechische Tragödie (1800) schreibt Johann Wilhelm Süvern: „Doch können wir noch weiter gehn, noch einen höhern Gesichtspunct fassen, von wannen wir tiefer ins Innerste der alten Tragödie blicken, und sehn, wie mehr Aussöhnung, als Darstellung der Verwüstungen des Kampfes ihr letztes Ziel, wie Verherrlichung der Freyheit, nicht des Schicksals, ihr höchster Gipfel ist. Dieser ist sichtbar in den Handlungen, welche mehrere mit einander verknüpfte schauderhafte Begebenheiten zuletzt in einem schönern Frieden und fröhlichern Ausgang auflösen.“ (S.220f.; zitiert nach Meckenstock, FDES,KG I/2, S.131.) 55: 234,34f. Der Dialog ist episch: denn in so fern jeder sich selbst sezt !…" da] Vgl. die folgende Aufzeichnung, A328 und siehe die Anm. 60,32 hierzu.

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55: 234,33–36 Die griechische Tragödie !…" wie Realismus und Idealismus] Siehe Anm. 13,21 zu L46 über die Griechen, 11,3–5 zu L30 (‚Tragödie‘), 20,31 zu L121 (‚Epos‘), 20,20 zu L119 (‚lyrisch‘), 29,8 zu A77 (‚Dialog‘) und 114,10 zu PhL [II] 137 (‚ideal – real‘). 56: 234,37f. Der Dialog ist auch der Geschichte nach wirklich aus dem Epischen entstanden] Vgl. die vorige Aufzeichnung und siehe Anm. 29,8 zu A77 (‚Dialog‘) und 20,31 zu L121 (‚Epos‘). 57: 234,39 Die Narren waren Scherzkünstler und Improvisatoren] Vgl. GIII7 über die Narren. 57: 234,40–42 theils subiectiv !…" theils objektiv] Siehe Anm. 24,11 zu A22 (‚subjektiv – objektiv‘). 57: 235,6 nach heutigen Begriffen von der Komödie] Siehe Anm. 37,29 zu A154 (‚Komödie‘). 57: 235,14f. Synthese des Einzelnen mit dem Ganzen] Siehe Anm. 18,15 zu L103 (‚Ganzheit‘). 57: 235,17 viele Buffos sind philosophisch] Siehe Anm. 12,40 zu L42 über den Buffo. 57: 235,22f. Moralität und Illusion] Siehe Anm. 22,24f. zu A9 (‚Moral‘). 58: 235,24 Stil bezieht sich eigentlich wol nicht auf den Ausdruk überhaupt] Siehe Anm. 18,25 zu L104 (‚Styl‘). 58: 235,26 S. meine Theorie] Vgl. Schleiermachers Abhandlung Ueber den Styl (1790/91; FDES,KG I/1, S.365–390). 58: 235,27 Arten des Ausdruks !…" der logische !…" progressive] Siehe Anm. 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘) und 24,16f. zu A22 (‚progressiv‘). 59: 235,29 Casaubonus (de Poes. Satyr. p. 160)] Diese Stelle lautet bei Isaac Casaubonus, De Satyrica Graecorum poesi et Romanorum satira: Quot igitur Athenis Liberalia agitabantur, tot fabulas diuersas à tragicis poëtis doceri solitas legimus: quarum postrema semper Satyrica erat: reliquæ tragœdiæ veræ. atque hoc Græci dicunt,      $  . Liberalia Athenis fuêre trina:     ! «, sive  $  , alio nomine A "  dicta, quia mense Anthesterione qui Martio congruit celebrabantur.     ’ Ν , mense Elaphebolione, qui respondet Aprili.     ’ $ %«, sive !"  , mense Posideone, qui est Ianuarius. multa de his trinis Liberalibus in primo De emendatione temporum disputat Iosephus Scaliger, litterarum µ & Ν  , & quod omnes vno ore fatentur boni, virtute atque eruditione iuxta admirandus: inde petant studiosi quæ ad rem faciunt. Sed præter trina hæc Liberalia fuerunt & aliæ solennitates Baccho simul cum aliis diis ac deabus sacræ velut Panathenæa, sive Quinquatrus: quarum honos non soli Mineruæ proprius, verùm & aliis diis: in quibus fuit Liber pater: quod vel ex eo potest constare, quia etiam fabulæ tragicæ Panathenæis docebantur: nemo autem dubitat, earum solennitatum proprios fuisse ludos scenicos, quæ vel  &«, vel  ’   ad Bacchi honorem referrentur. Diogenes Laertius in Platone: ' « &     κ  κ    (  $ λ«  +«α -  &      , + «, ! «, P   «, X «α /  &  0 1  +   &         . (S.160f.; Faksimile der Ausgabe von 1605, New York 1973.)

59: 235,30f. Diogenes Laertius !…" Tetralogie durch alle 4 Bacchische Feste durchgegangen] Diogenes Laertius verfaßte im 3. Jahrhundert n.Chr. zehn

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Bücher über Leben und Meinungen berühmter Philosophen; dort heißt es unter Berufung auf Thrasyllos über Plato, „er habe seine nach dem Muster der tragischen Tetralogien herausgegeben, so wie man dort mit vier Dramen in den Wettkampf eintrat (an den Dionysien, den Lenäen, den Panathenäen und den Chytren), von denen das vierte ein Satyrdrama war.“ (Platon III,56f.; Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen, übersetzt und erläutert von Otto Apelt. 1.Bd., Leipzig 1921, S.151.) 59: 235,34 alle Satyrien im Anthesterion] Siehe Anm. 20,6f. zu L117 (‚Satire‘). Anthesterion wurde das dreitägige Frühlingsfest in Athen genannt. -Wb Antike, S.38. 59: 235,34f. Es kommt !…" Laertius] Am Rand. 60: 235,36–41 Enthüllung des Systems der Prüderie !…" Theorie der Ehe] Die Aufzeichnung und ihre Ergänzungen GIII60a, b, 63, 67 und 51 beziehen sich auf Schleiermachers Vertraute Briefe über Friedrich Schlegels Lucinde (1800; FDES,KG I/3, S.139–216). Siehe Anm. 26,22f. zu A46 (‚System‘), 96,9f. zu Id156 über die Lucinde, 26,31 zu A50 (‚Liebe‘), 14,32–34 zu L62 (‚Theorie‘) und 25,20 zu A34 (‚Ehe‘). 60a: 235,43 Nuditäten] Schamlosigkeiten, Schlüpfrigkeiten. 61: 236,5–8 Ein Mährchen ist wol eine transitorische Schöpfung einer Mythologie !…" wie die neue?] Siehe Anm. 218,9 zu AB940 (‚Märchen‘), 38,13 zu A162 (‚Mythologie‘) und vgl. A157 zu Ovid und dessen Metamorphosen. 62: 236,9–11 Da im Chor der Alten die Reflexion ruht !…" Dialog mit dem Chor] Siehe Anm. 9,25f. zu A11 (‚die Alten‘), und 29,8 zu A77 (‚Dialog‘). 63: 236,12–15 Die antike Vergötterung der Wollust !…" Plaz zu machen] Siehe Anm. 84,9 zu Id4 (‚Religion‘) und 26,22f. zu A46 (‚System‘). 64: 236,16–18 Ein Roman wo die Weltansicht unter mehrere Menschen vertheilt ist !…" ist lyrisch] Vgl. aber L78. Siehe Anm. 10,34 zu L26 (‚Roman‘), 20,31 zu L121 (‚Epos‘) und 20,20 zu L119 (‚lyrisch‘). 65: 236,19  und  ] ‚Lieben, hochschätzen, an jemandem hängen‘ und ‚(sinnlich) lieben, gern haben, zugetan sein‘. 65: 236,24f. Vielleicht !…" Streben] Am Rand. 65: 236,19–25 Wie braucht Plato !…" das Streben] Vgl. Plato, Lysis 203a–223b (Eigler 1, S.399–451). Schleiermacher übersetzt $ » im Lysis mit ‚anhängen‘ (Eigler 1, S.431) und ‚Anhänglichkeit‘ (ebd., S.429). 66: 236,26–28 Alle Vier Haupttugenden !…" darüber muß noch Aristoteles entscheiden] Als Haupttugenden bezeichnete bereits Plato  , $  ,   ,   , Weisheit, Tapferkeit, Besonnenheit und Gerechtigkeit (Politeia, 4. Buch, 427d-434c; Eigler 4, S.303–327). – Vgl. GVI 60 und Schlegel, PhL Beilage IV. Siehe Anm. 85,24 zu Id23 (‚Tugend‘), 10,17f. zu L20 (‚gebildet‘) und 38,11 zu A161 über Aristoteles. 67: 236,29 ein polemisches Gespräch] Siehe Anm. 16,19 zu L81 (‚Polemik‘) und 134,9–20 zu PhL [V] 390 (‚Gespräch‘). 68: 236,31   ] Verstand, Klugheit, Besonnenheit. 68: 236,31f. Für die    ist der Hauptsiz im Charmides !…" Besonnenheit] Platon, Charmides, 153a–176d (Eigler 1, S.299 u. ö.). Schleier-

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macher übersetzt im Charmides    mit ‚Besonnenheit‘ (Eigler 1, S.299 u. ö.). 69: 236,33–37 Das Anständige als äußerlicher Schein des sittlichen !…" Nachahmung des Unanständigen] Vgl. GIII67 und GVI 61. 70: 236,38f. Kants ganze Philosophie ist wol vielleicht architektonische Polemik !…" unphilosophisch] Siehe Anm. zu 10,12 zu L16 über Kant und 16,19 zu L81 (‚Polemik‘). 71: 236,40f. Wenn ich auch Gott als moralische Fiction !…" Kant ihn als logische Fiction behandelt] Vgl. Kants Kritik der reinen Vernunft (21787; KA4, S.B595–670) und seine Schrift von 1793: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (KA8, S.649–879). Siehe Anm. 47,30 zu A232 (‚Gott‘), 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), 10,12 zu L16 (Kant) und 30,30–34 zu A91 (‚Logik‘). 72: 237,1 In einem Dialog sollte einmal recht persiflirt werden] Siehe Anm. 29,8 zu A77 (‚Dialog‘). 72: 237,2 z.E.] Zum Exempel. 72: 237,2 Kant die reine Vernunft] Vgl. Kritik der reinen Vernunft (21787; KA4, S.B740). Siehe Anm. 10,12 zu L16 über Kant. 72: 237,3 Reinhold] Siehe Anm. 15,2 zu L66 über Reinhold. 72: 237,3 perge] Weiter! Fahre fort! (Im Sinn von: und so weiter). 73: 237,4   «   kommt schon beim Aristoteles Eth. II,3 vor] Gelingen, durchführen. – Aristoteles, Ethica Nicomachea 1104b,33 (Bywater, S.27). Siehe Anm. 38,11 zu A161 (Aristoteles). 74: 237,5f. Im Griechischen unterscheidet Aristoteles   9    und       

] „Den an Unerschrockenheit“ und „den an Kühnheit Unmäßigen“. Siehe Anm. 38,11 zu A161 zu Aristoteles. 74: 237,6 

«] Mangel. 74: 237,5f. Im Griechischen !…" 

«] Aristoteles, Ethica Nicomachea 1107b,1–4 (Bywater, S.34): „in Hinsicht auf die Anwandlungen von Angst und Verwegenheit ist Tapferkeit die Mitte. Mit den Übersteigerungen steht es so: für das extreme Fehlen jeder Furchtempfindung gibt es keinen eigenen Ausdruck !…" Wer maßlos verwegen ist, heißt sinnloser Draufgänger, wer übersteigerte Angst und ein Zuwenig an Mut hat, heißt feige.“ (Aristoteles, Nikomachische Ethik. Übersetzung und Nachwort von Franz Dirlmeier. Anmerkungen von Ernst A. Schmidt, Stuttgart 1969, S.46.) 74: 237,8   ] Übermaß. 75: 237,9–11   !…" wie es in Platos Soph. und Aristoteles Ethc. II,7 gebraucht wird] Das griechische Wort für: Schalk. Vgl. Plato, Sophistes 268a.c (Eigler 6, S.398 und 400); Aristoteles, Ethica Nicomachea 1108a,23 (Bywater, S.36). Siehe Anm. 15,14f. zu L69 (Plato) und 38,11 zu A161 (Aristoteles). 76: 237,12–14 Wenn Gott in der Schöpfungsgeschichte sagt !…" sehr sinnvoller Mythos] Gen.1,26. Siehe Anm. 47,30 zu A232 (‚Gott‘). 77: 237,15–17  « scheint Aristoteles Ethic. 3,10 nur brauchen zu wollen !…" die 4 κ] „Geschmackssinn !…" Tastsinn“. Vgl. Aristoteles, Ethica Nicomachea 1118a,26–32 (Bywater, S.61). Siehe Anm. 38,11 zu A161 zu Aristoteles.

Gedanken III

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78: 237,18f.     !…" Aristoteles Ethic. III 12] Zügellosigkeit, Zuchtlosigkeit, Ungezogenheit. Vgl. Aristoteles, Ethica Nicomachea 1119a,33f. (Bywater, S.64). Siehe Anm. 38,11 zu A161 (Aristoteles). 79: 237,20–22 Hippel ist mit seinem Talent zur Musik Biogr. S.139 !…" innern Sinn für sie] Vgl. Hippel, Biographie, Zum Theil von ihm selbst verfaßt (1801): Ich spielte Clavier und lernte auch Flöte, weil der König Meister auf diesem Instrumente war, und nebenbei spielte ich Instrumente, wie sie mir vorkamen. Ich hatte ein so außerordentliches Genie zur Musik, daß ich Alles, was ich zu singen vermochte, auf allen Instrumenten, sobald die Handgriffe mir bekannt waren, auszudrücken und zu spielen im Stande war. Dieß Naturgeschenk machte, daß ich es nie weit in der Musik gebracht habe; dazu kam, daß ich die Musik für eine, fast allen andern Gegenständen des menschlichen Berufs subordinirte Kunst, und also nie für wichtig genug ansah, um ihr große Zeitopfer zu bringen. (Th.G. v. Hippel’s sämmtliche Werke, 12.Bd., Berlin 1835, S.80.)

Vgl. die folgende Aufzeichnung und siehe Anm. 13,1 zu L43 über Theodor Gottlieb von Hippel sowie 10,38f. zu L28 (‚Sinn für‘). 80: 237,23 Biogr. S.141 sqs. Hippel entschuldigt die Satyre bloß moralisch] Sequentes: folgende. Vgl. S.141–144 von Hippels Biographie, mit der sich auch die vorige Aufzeichnung beschäftigt. Siehe Anm. 13,1 zu L43 über Th.G. von Hippel, 20,6f. zu L117 (‚Satire‘), 22,24f. zu A9 (‚Moral‘), und 24,19 zu A22 (‚transzendental‘). 81: 237,28–30   !…" Aristoteles Eth. Nic. V,2 wo sie ein 

    genannt wird] „Kuppelei !…" unfreiwillige Beziehung“. Vgl. Aristoteles, Ethica Nicomachea 1131a,5–7 (Bywater, S.94). Siehe Anm. 38,11 zu A161 (Aristoteles). 81: 237,30 Bei Plato im Theaitet scheint sie nur ein    zu sein] Eine freiwillige Beziehung. – Vgl. Plato, Theaitetos 150a (Eigler 6, S.26). Siehe Anm. 15,14f. zu L69 (Plato). 82: 237,31f. ²       Aristoteles Eth. Nicom. VII,2] „Wenn Wasser in der Kehle würgt, was soll man nachtrinken?“ (Aristoteles, Nikomachische Ethik, Übersetzung und Nachwort von Franz Dirlmeier, Anmerkungen von Ernst A. Schmidt, Stuttgart 1969, S.181.) Vgl. Aristoteles, Ethica Nicomachea 1146a,35 (Bywater, S.133). 82: 237,32 dasselbe Sprichwort wie das im Neuen Testament vom Salz] Matth.5,13: „Wenn aber das Salz seine Schärfe verliert, womit soll es salzig gemacht werden?“ (Vgl. Markus9,50 und Lukas14,34.) 83: 237,33 Aristoteles Eth. VIII,4.         «] „Denn die Schlechten freuen sich nicht aneinander“. Vgl. Aristoteles, Ethica Nicomachea, 1157a,19 (Bywater, S.161). Siehe Anm. 38,11 zu A161 (Aristoteles). 83: 237,34 wie « für sibi invicem gebraucht wird] Sowohl der griechische als auch der lateinische Ausdruck bedeuten ‚einander‘.

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Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher

!Aus den Fragmenten aus meinen Papieren" (Anthropologische Fragmente)

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5. Friedrich Karl Forberg

Aus den Fragmenten aus meinen Papieren (Anthropologische Fragmente)

Textgrundlage und Textüberlieferung Als Textgrundlage diente der anonyme Erstdruck des Werks von Friedrich Karl Forberg Fragmente aus meinen Papieren, Jena 1796, S.1–48.

Entstehung Über die Entstehung dieser Fragmentsammlung liegen keine Zeugnisse vor. Ihr Titel deutet an, daß der Verfasser Lesefrüchte und eigene Gedanken „aus !s"einen Papieren“ zusammengestellt und veröffentlicht hat.

Wirkung Forbergs Fragmente zählen zu den weniger bekannten Beispielen dieser Gattung. Kurz nach ihrem Erscheinen veröffentlichte ein anonymer Rezensent in den ‚Göttingischen Gelehrten Anzeigen‘ (73.Stück, 1796, S.723–725) eine anerkennende Besprechung dieses Werks, in der es heißt: „Diese kleine Schrift verdient Aufmerksamkeit. Sie ist Beleg zur neuesten Geschichte der Deutschen Philosophie; und kann auf mehr als eine Weise für diejenigen, welche mit eigenen Augen zu sehen entweder nicht vermögen, oder nicht Gelegenheit genug haben, lehrreich werden“ (S.723). Ein weit weniger günstiges Urteil über das Werk und seinen Verfasser äußert Johann Jakob Wagner (1775–1841) in einem Brief an Fichte vom 10.12.1797: „Es liegt mir daran, ein Urtheil über die Menschen zu haben, die meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. So reizte meine Begierde auch ehemals Forberg durch das was ich von ihm reden hörte. Ich las deswegen seine Fragmente, und hatte an seinen Wiznadeln, Sentenzen, u an dem Panegyrikus, den er Ihnen hält, Materialien genug zu einem Urtheil über ihn. Vorzüglich charakteristisch war mir immer das Panegyrisiren.“ (J.G.Fichte-Gesamtausgabe der Baye-

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Friedrich Karl Forberg

rischen Akademie der Wissenschaften, hg. von Reinhard Lauth und Hans Gliwitzky. Abt.III, Bd.3: Briefwechsel 1796–1799, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972, S.94.) Darüber hinaus scheinen Forbergs Fragmente wenig Beachtung gefunden zu haben. Seine Beziehungen zu Friedrich Schlegel und zu Friedrich von Hardenberg, die im Zusammenhang der frühromantischen Fragmentproduktion von erheblicher Bedeutung sein könnten, sind noch weitgehend unerforscht. (Vgl. Frank, Unendliche Annäherung, S.33 und 851f.)

Struktur und Gehalt Forbergs Fragmente aus meinen Papieren bestehen aus drei Teilen, den „Anthropologischen Fragmenten“ (S.1–48), die in der vorliegenden Edition vollständig abgedruckt werden, einer Auswahl „Fragmente aus Briefen“ (S.49–87) und dem „Fragment einer academischen Vorlesung über die Methode des philosophischen Unterrichts“ (S.88–104). Das schmale Bändchen ist dem Lüneburger Theologen, Pädagogen und Schriftsteller Wilhelm Georg Krüger (1774–1835) gewidmet, der mit Forberg in Jena studierte. Wie Schlegel und andere der in dieser Auswahl vorgestellten Autoren, hat auch Forberg seine Fragmente nicht durchnumeriert, sondern hat sie im Erstdruck lediglich als durch Abstände deutlich voneinander getrennte Absätze gekennzeichnet. Die Numerierung der 96 „Anthropologischen Fragmente“ wurde von den Herausgebern nach inhaltlichen und formalen Kriterien vorgenommen. Forberg selbst faßte seine Fragmente – wenn auch weder konsequent noch durchgehend – zu thematischen Gruppen zusammen, die er mit den Zahlen 1–52 überschrieb. Der Umfang der Einzelfragmente schwankt erheblich zwischen 1–2 Zeilen und ungefähr einer halben Druckseite. Ebenso variiert die Größe der Fragmentgruppen, die 2–10 Einzeltexte umfassen können; nicht wenige Fragmente stehen jedoch auch als ‚Einzelstücke‘ in der Sammlung. Der Verfasser sammelt hier in lockerer Form Beobachtungen, Gedanken über die menschliche Natur und Lebensweisheiten, die er teilweise aus eigenen Erfahrungen schöpft und teilweise der Literatur entnimmt. U.a. bezieht er sich auf Bacon (F25), Rousseau (F41 und 70), Kant (F63, 42 und 80f.) und Benjamin Franklin (F63); Bibelzitate und Anklänge an die Sprache der Bibel lassen die theologische Schulung des Autors erkennen (z.B. F13 und 95). Möglicherweise bezog Forberg auch Anregungen von den in aphoristischer Form verfaßten Lehrbüchern Ernst Platners, der Neuen Anthropologie für Aerzte und Weltweise. Mit besonderer Rücksicht auf Physiologie, Pathologie, Moralphilosophie und Aesthetik (2 Teile 1772–1774; 21790), und den Philosophischen Aphorismen (2Bde., 1776–1782; Neubearbeitung 1793–1800), die Affekte, Tugenden und Laster definieren bzw. deren Erscheinungsformen gegeneinander abgrenzen (vgl. hierzu z.B. F31–39, 58, 76, 82f. und 95; Mohr, S.249–269). Thematische Schwerpunkte der Forbergschen Fragmente bilden die menschlichen Schwächen großer Männer, ‚die Weiber‘, Freundschaft und Liebe und moralische Reflexionen über Tugenden und Laster. Häufig finden sich Anspielungen

Fragmente aus meinen Papieren

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auf Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, insbesondere „manche freymüthige Aeußerungen über Kant, seine Philosophie und Nachfolger“, wie der Rezensent in den ‚Göttingischen Gelehrten Anzeigen‘ feststellt (S.724). Forbergs Fragmente, die oft anekdotische und zuweilen satirische Züge annehmen, vermitteln einen Eindruck vom geistigen Leben in Jena um die Jahrhundertwende. Allerdings spart der Verfasser bei seinen kleinen, oft wenig schmeichelhaften Porträts die Namen der Urbilder aus; diese sind heute z.T. nicht mehr zu ermitteln. Forberg zeigt eine ausgesprochene Vorliebe für Bonmots und pointierte Formulierungen; der Rezensent der ‚Göttingischen Gelehrten Anzeigen‘ charakterisiert die Fragmente als „Fast alle paradox, bisweilen anstößig ausgedrückt, oder zu Antithesen zugespitzte Bemerkungen“ (S.723). Der illusionslose Blick dieser Texte erinnert an Chamfort, dessen Maximes, Pensées, Caractères et Anecdotes im gleichen Jahr erschienen. Auch stilistische Eigenarten wie die Dialogform einiger Fragmente (F22, 57 und 96; siehe Anm. 46,9–13 zu A221) und Proportionalvergleiche (F56 und 95), mit denen der Verfasser überraschende Verbindungen zwischen scheinbar unvereinbaren Gegenständen herstellt, rücken Forbergs Fragmente in die Nähe des französischen Moralisten, legen aber auch nahe, eine Verbindung zwischen ihm und Friedrich Schlegel anzunehmen. Da sich beide zur gleichen Zeit in Jena aufhielten, wären persönliche Kontakte zwischen ihnen durchaus denkbar. Wie in Friedrich Schlegels ‚Lyceums‘- und ‚Athenäums‘Fragmenten finden sich in Forbergs Texten häufig Definitionen und Definitionsketten (F31–33, 35f., 67, 69, 79 und 83), verblüffende Vergleiche und paradoxe Wendungen; beiden ist der kritische und zuweilen überlegen-spöttische Blick gemeinsam, und beide setzen sich in ihren Fragmenten mit der zeitgenössischen Philosophie und Kritik auseinander. In Forbergs Texten manifestiert sich die geistige Atmosphäre im Umkreis der Universität Jena, die auch Schlegels Fragmente entscheidend beeinflußte. Selbst wenn sich keine unmittelbare Beziehung zwischen Forberg und Schlegel nachweisen läßt, können Forbergs Fragmente daher vielleicht als Vorläufer der Schlegelschen gelten.

Stellenkommentar 1: 239,3f. Große Männer !…" viel Wind] Vgl. Kant, Prolegomena zu einer !…" künftigen Metaphysik (1783), KA 5, S. 252, Anmerkung. 2: 239,7 Man sagt, daß es für Kammerdiener keine Helden gebe] Vgl. hierzu auch Goethes Die Wahlverwandtschaften (1809; Zweiter Teil, fünftes Kapitel: „Aus Ottiliens Tagebuche“): „Es gibt, sagt man, für den Kammerdiener keinen Helden. Das kommt aber bloß daher, weil der Held nur vom Helden anerkannt werden kann. Der Kammerdiener wird aber wahrscheinlich Seinesgleichen zu schätzen wissen“ (WA I 20, S. 262). Die direkte oder indirekte Quelle dieser verbreiteten Sentenz dürften die Briefe (Paris 1787) der Charlotte E. d’Aïssé sein. (Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe, hg. von Karl Richter u. a., Bd. 9, München 1987, S. 1092.)

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Friedrich Karl Forberg

2: 239,12f. Sind die Philosophen nicht zu Hause gewöhnlich Narren?] Vermutlich eine Anspielung auf Sokrates (siehe Anm. 10,34 zu L26). 8: 240,11f. Nicht der Weg der Unwissenheit, sondern der Weg des Irrthums führt zu dem Tempel der Wahrheit] Vgl. F46 und Novalis, AB601 sowie Goethes Wilhelm Meister. 8: 240,13 Ein gewagtes Urtheil ist daher besser, als gar keins] Vgl. F40. 12: 240,41f. In dem Munde Witte’s war die Behauptung, daß die Pyramiden Producte der Natur !…" wären] Samuel Simon Witte (1738–1802) veröffentlichte 1789 eine Schrift Ueber den Ursprung der Pyramiden in Aegypten und der Ruinen von Persepolis, der 1792 die Vertheidigung seines Versuchs über den Ursprung der Pyramiden in Aegypten und der Ruinen von Persepolis folgte. Er vertrat die Hypothese, daß die ägyptischen Pyramiden vulkanischen Ursprungs seien. 12: 240,42–241,1 daß die hebräischen Propheten italienische Improvisatori’s wären, in dem Munde Eichhorns] Forberg bezieht sich hier wohl auf Johann Gottfried Eichhorns (1752–1827) Hauptwerk, Einleitung in das Alte Testament (1780–1783). Noch in der 3. Auflage dieses Werks (Leipzig 1803) betont der Verfasser die poetische Qualität prophetischer Rede: „Propheten sprachen wie Dichter. Und konnten sie auch im Zustand ihrer Begeisterung anders? !…" Propheten sprachen mit heftiger Gesticulation. Sie war nichts, als unwillkührlicher Ausdruck des Affects !…". Propheten traten als Improvisatori auf. Das Morgenland, wo die Menschheit sich bildete, das also auch das wahre Vaterland der Orakel und Propheten war, hat von je her Impromtü geströmt, und hat noch jetzt seine Improvisatori in Menge. Unvermuthet ward der Prophet gefragt; unvermuthet in Begeisterung gesetzt: mußten nicht die Orakel Bilderreden aus dem Stegreif werden?“ (S.6f.) 13: 241,6f. was sie säen, geht unter, aber was daraus entstehet, geht auf !…" und trägt Früchte ins Unendliche] Eine Anspielung auf das biblische Gleichnis vom Säemann, Matth.13, insbesondere Vers 8 und auf Joh. 12,24. Vgl. hierzu auch die Metaphorik von Saat und Ernte im Widmungsdistichon von Novalis’ Fragmentsammlung Blüthenstaub. 18: 241,35f. Niemand kann ein guter Mensch seyn, ausser wer Kraft und Muth hatte, ein Bösewicht zu werden] Vgl. F33. 22: 242,12–16 Wie hat Ihnen Herrn ****** Vorlesung gefallen? !…" einem Dritten erzählte] Vgl. Forberg’s Briefe über die neueste Philosophie im ‚Philosophischen Journal‘ 1797, VI,5, S.44–88, hier S.66f. Novalis gibt dieselbe Begebenheit in einer seiner Anekdoten wieder: „Platner erzählte, Sonnenfels aus Wien sey auf einer Reise durch Leipzig bey ihm in den Vorlesungen gewesen und habe beym Weggehn aus dem Auditorio zu seinem Begleiter gesagt – Das ist wahr – Platner spricht vortrefflich. Es kam mir vor, als hört ich mich selbst reden – und fügte hinzu – Denken Sie, was dieser eitle Mensch für eine Praesumption von sich selbst hat“ (NO2, S.567). -- Frank, Unendliche Annäherung, S.497–499. 25: 243,2–4 Ob Baco seinen bekannten Ausspruch !…" zurück] Vgl. Francis Bacon (1561–1626), Essays oder praktische und moralische Ratschläge, übersetzt von Elisabeth Schücking, hg. von Levin L. Schücking, Stuttgart 1970,

Fragmente aus meinen Papieren

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Kap.16, „Über den Atheismus“: „Oberflächliches Philosophieren verführt den menschlichen Geist zur Gottesleugnung, allein tiefes Eindringen lenkt ihn zur Religion zurück“ (S.53). Vgl. A220 zu Bacon. Ähnliche Sentenzen sind von Chamfort, Robert Boyle (1626–1691) und Antoine de Rivarol (1753–1801) überliefert. 29: 243,17 Firma] Im 18. Jahrhundert: rechtskräftige Unterschrift unter geschäftliche Vereinbarungen. 31: 243,25f. Der Enthusiasmus !…" die Schwärmerey] Vgl. zur zeitgenössischen Diskussion C.M.Wielands Aufsatz Enthusiasmus und Schwärmerei (1775) und siehe Anm. 30,23 zu A87 (‚Enthusiasmus‘). 33: 244,4–6 Wer nicht Kraft hat, großes Unheil in der Welt anzurichten !…" zu nützen] Vgl. F18. 35: 244,29–33 ein pfiffiger Mensch !…" ein Schurke !…" Muthwille] Vgl. F83. 35–36: 244,24–245,19 Man hört öfters die Klugheit !…" immer Thorheit] Vgl. hierzu Ernst Platners Definitionen in seinen Philosophischen Aphorismen nebst einigen Anleitungen zur philosophischen Geschichte. 2. Teil, Frankfurt und Leipzig 1790, S.449f., §§1059f.: Klugheit ist eine gewisse Geschicklichkeit in Handeln, welche darinnen besteht: daß der Mensch bey allem, was er thut, seinen wahren Vortheil zu bewirken und jeden Nachtheil zu vermeiden sucht. !…" Wenn die Mittel sehr fein und wichtig sind, welche die Klugheit zu ihrem Vortheil anwendet, so wird sie Verschlagenheit genannt. Wenn die Mittel, oder die Endzwecke verborgen und hinter dem Anschein von andern Mitteln und Endzwecken versteckt werden, so ist die Klugheit, Listigkeit. Wenn bey dieser Verheimlichung die Absicht zu schaden, zum Grunde liegt, so ist es Arglistigkeit. Die Verheimlichung von Maaßregeln oder Endzwecken, die nach den allgemeinen Gesetzen der Rechtschaffenheit und Ehrlichkeit nicht verheimlicht werden dürfen, wird Hinterlistigkeit genannt. Die Fähigkeit sich bey einer Arglist, über den Schaden, oder bey einer Hinterlist, über den Betrug andrer heimlich zu freuen, ist Tücke.

37: 245,27f. Regeln des Wohlstandes] Des Anstands, der Wohlanständigkeit. 40: 246,14f. es ist besser, daß ein irriges, als daß gar kein Urtheil über einen Gegenstand im Schwange gehe] Vgl. F8. 40: 246,25 reclamire] Für sich beanspruche. 41: 246,37f. Rousseau hat Recht, wenn er sagt !…" die Männer Genie] Ein Zitat aus Rousseaus Roman Émile ou de l’éducation (1762), 5. Buch: „La femme a plus d’esprit, et l’homme plus de génie“ (Oeuvres complètes, Bd.2, Paris 1817, S.369). Siehe Anm. 19,16 zu L111 über Rousseau und 182,15 zu FSt609 über die Typologie der Geschlechter. 41: 246,39f. der Bürger von Genf] Rousseau. 42: 247,14f. Niemand hat mehr Expositionen, und weniger Definitionen !…" als Kant] Manfred Frank, Grundsatz-Kritik, S.78 und 84, ordnet Forbergs Beharren auf der von Kant festgestellten Unmöglichkeit, philosophische Grundbegriffe zu definieren, in den Kontext der frühen ‚gundsatzkritischen‘ Auseinandersetzung der Jenaer Studenten Hardenberg, Niethammer, Herbert, Forberg und Erhard mit Fichte ein. – Siehe Anm. 29,27 zu A82 (‚Definition‘) sowie 10,12 und 10,11 zu L16 über Kant und die Kantianter.

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Friedrich Karl Forberg

43: 247,28 fodern, daß man es besser mache] Vgl. A66 und siehe Anm. 28,13f. dazu. 46: 248,20f. Eine Wahrheit auf einem falschen Wege gefunden, ist viel schädlicher, als ein Irrthum auf dem rechten.] Vgl. F8. 46: 248,24–26 daß sich ein noch lebender Schriftsteller !…" in Frieden leben zu müssen] Die von Forberg gemeinte Person ist nicht ermittelt. 56: 249,39 Die Weiber verhalten sich zu den Männern, wie Sackuhren zu Pendeluhren] Ein Proportionalvergleich. Siehe Anm. 182,15 zu FSt609 über die Typologie der Geschlechter. 57: 250,2–6 „So wäre es nur die körperliche Stärke !…" brachte.“] Zur Dialogform des Fragments siehe Anm. 46,9–13 zu A221. 62: 250,22 die Klage !…", daß alle Menschen so wenig sich selbst kennen] Siehe Anm. 88,3–5 zu Id51 über die Forderung der Selbsterkenntnis. 62: 250,24f. da das Wirkliche nur ein Theil des Möglichen ist] Vgl. Novalis, FSt644 und dessen Notizen zu Kants Kritik der reinen Vernunft (HKS46; NO2, S.390, letzter Absatz). 63: 250,30–251,2 „Man kann die Beantwortung der Sophisterey !…" Lust hätte.“] Das Zitat stammt aus Kants Kritik der Urteilskraft (21793): „Was das Leben für uns für einen Wert habe, wenn dieser bloß nach dem geschätzt wird, was man genießt !…", ist leicht zu entscheiden. Er sinkt unter Null; denn wer wollte wohl das Leben unter denselben Bedingungen, oder auch nach einem neuen, selbst entworfenen (doch dem Naturlaufe gemäßen) Plane, der aber auch bloß auf Genuß gestellt wäre, aufs neue antreten?“ (KA10, S.B 396, S.A392, Anmerkung.) – Siehe Anm. 10,12 zu L16 über Kant. 63: 251,4–11 „Das Glück blieb bis in mein hohes Alter mein unzertrennlicher Begleiter !…" wieder von forne anzufangen.“] Forberg zitiert hier aus der Autobiographie des amerikanischen Politikers, Schriftstellers und Naturforschers Benjamin Franklin (1706–1790): Benjamin Franklins Jugendjahre. Von ihm selbst erzählt, nach der Übertragung von Gottfried August Bürger !1792", Heidelberg 1964, S.5f. 67: 251,34f. Humanität war es, was Rousseau’n verbot, von seinem Freunde jemals ein Vermächtniß anzunehmen] Von diesem Grundsatz schreibt Rousseau in seinen Confessions (Jean-Jacques Rousseau, Bekenntnisse, aus dem Französischen von Ernst Hardt mit einer Einführung von Werner Krauss, Frankfurt am Main 1985, S.104). 71: 251,37 das Schöne !…" das Erhabene] Vgl. Kants Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764; KA2, S.821–884). 80: 253,34 Buchstaben und Geist] Siehe Anm. 15,16 zu L69. 80: 253,38 Reinhold und Fichte] Siehe Anm. 15,2 zu L66 über Reinhold und 36,1 zu A137 über Fichte. 81: 254,3f. (Kritik der pr. V. S.96.) !…" daß reiner Wille und reine practische Vernunft einerley sind] Vgl. in Kants Kritik der praktischen Vernunft (1788): „Die objektive Realität eines reinen Willens, oder, welches einerlei ist, einer reinen praktischen Vernunft ist im moralischen Gesetze a priori gleichsam durch ein Faktum gegeben; denn so kann man eine Willensbestimmung nennen,

Fragmente aus meinen Papieren

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die unvermeidlich ist, ob sie gleich nicht auf empirischen Prinzipien beruht“ (KA7, S.A96). 82–83: 254,7–15 Ein Betragen !…" heißt eine Intrigue. Falschheit !…" Ehrlichkeit !…" Arglist !…" Büberey] Vgl. F35f. 95: 255,33 Freundschaft und Liebe unterscheiden sich, wie Grundsatz und Neigung] Ein Proportionalvergleich. 95: 256,8 Sottisen] Dummheiten. 95: 256,12f. Das Tichten und Trachten der Gattung ist nichtswürdig vom Anbeginn] Vgl. Genesis 8,21. 96: 256,24–37 „Aber die Zerstörung von Lyon?“ !…" „!…" auf die – Logik erstreckt.“] Vgl. hierzu Forbergs Lebenslauf eines Verschollenen (1740): „So erinnere ich mich, daß der Mediciner Hufeland !…", als ich meinen Grimm über die Zerstörung von Lyon gegen ihn mit einiger Heftigkeit aussprach, mir gleichgültig erwiderte: ‚was thut das? es ist vortrefflich. Große Städte sind die Lazarette der Menschheit‘“ (S.46).

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Friedrich Karl Forberg

Philosophische Fragmente aus Hülsens literarischem Nachlaß

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6. August Ludwig Hülsen

Aus den philosophischen Fragmenten aus Hülsens literarischem Nachlaß

Textgrundlage und Textüberlieferung Im Jahr 1813 veröffentlichte Friedrich Baron de la Motte Fouqué (1777–1843) unter dem Titel Philosophische Fragmente, aus Hülsens literarischem Nachlaß eine Reihe von Fragmenten seines verstorbenen Freundes. Sie erschienen in der ‚Allgemeinen Zeitschrift von Deutschen für Deutsche, herausgegeben von Schelling‘, erster Band, zweites Heft, S.264–302. Die beiden ersten von drei Abschnitten, S.267–288, werden in diesem Band wiedergegeben.

Entstehung Die Entstehungszeit der Fragmente und die näheren Umstände ihrer Niederschrift lassen sich nicht mehr ermitteln. Ch. Jamme (Geselligkeit, S.93 und 105) vermutet, daß die Aufzeichnungen in den 90er Jahren entstanden, und gibt zu bedenken, daß es sich dabei um Exzerpte aus anderen Autoren handeln könnte; Quellen konnten bislang allerdings nicht nachgewiesen werden. Ungeklärt ist auch, ob und in welchem Maß Fouqué die nachgelassenen Texte Hülsens für die Veröffentlichung bearbeitete.

Wirkung Hülsens Fragmente scheinen keine nennenswerte Resonanz hervorgerufen zu haben.

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August Ludwig Hülsen

Struktur und Gehalt Die Fragmentsammlung besteht aus drei Teilen, von denen die beiden ersten in dieser Edition wiedergegeben werden. Nur der erste von ihnen trägt einen Titel. Im Mittelpunkt dieses Abschnitts „Ueber das Wesen und die nothwendige Form der Wissenschaften“ steht der göttliche Ursprung der Weisheit. Die Erkenntnis der Wahrheit ist eine höhere Offenbarung, die Demut und ein kindliches Gemüt erfordert. Für die Gelehrten lehnt Hülsen die Rolle von ‚Meistern‘ und Lehrern des Volks ab und betont demgegenüber „den gemeinschaftlichen Beruf zur Erkenntniß der Wahrheit“ (H11). Bereits im Programm der ‚Gesellschaft der freien Männer‘, der sich Hülsen während seines Studiums in Jena anschloß (vgl. hierzu im Kapitel „Biographische Skizzen“ den Abschnitt über Hülsen), nahm das Motiv der Wahrheitssuche und der Wahrheitsliebe einen zentralen Platz ein; im Protokollbuch der ‚freien Männer‘ heißt es: „Durchdrungen von der innigsten Liebe für alles Gute und Wahre, und der Unzulänglichkeit unsrer Kräfte im einzelnen, bey dem besten, thätigsten Willen, den Zweck der Humanität zu befördern, vereinigen wir uns, um mit vereinten Kräften zur Verbreitung der Wahrheit zu wirken, und ihren Gesezen allgemeine Gültigkeit zu verschaffen – Wahrheit ist unser einziges, unser höchstes Ziel.“ (Zitiert nach Paul Raabe, Das Protokollbuch der Gesellschaft der freien Männer in Jena 1794–1795. In: Festgabe für Eduard Berend zum 75. Geburtstag, Weimar 1959, S.337.) Der zweite Teil der Fragmente kreist um den Gedanken der Einheit des Seins, den Hülsen aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Die idealistische Dichotomie von Geist und Natur, Ich und Nicht-Ich sieht der Verfasser in einer höheren „Einheit des absoluten Seyns“ (H37) aufgehoben. In jedem einzelnen Geschöpf hat die Vielfalt des Lebens teil an der umfassenden Natur. So strebt auch der Mensch „nothwendig nach Einheit mit sich selber, als Einheit in der ewigen Harmonie der Natur“ (H56). Diese Einheit symbolisiert der Mythos vom goldenen Zeitalter, der das göttliche Vorbild der dem Menschen aufgegebenen „neuen Schöpfung“ (H56) darstellt. Im Staat erblickt Hülsen eine natürliche äußere Entsprechung der „innre!n" heilige!n" Einheit“ (H57) der Individuen. Auch in den Wissenschaften findet das „Streben des Menschen nach Einheit mit sich selber“ (H59) Ausdruck durch die Bemühung, jede Wissenschaft als systematisches Ganzes zu konstituieren, und durch die Erinnerung an eine ursprüngliche „Einheit aller Wissenschaften“ (H59), die es künftig wiederherzustellen gilt. Hülsens Fragmente spiegeln seine Auseinandersetzung mit Fichtes Wissenschaftslehre; darüber hinaus trägt sein Denken aber auch mystische und pantheistische Züge (Prantl, NDB 9, S.735). Seine Konzeption einer umfassenden Harmonie (vgl. H37, 40, 44, 57, 59) zeigt eine Abkehr von Fichtes Reflexionsphilosophie und die Hinwendung zu Schellings Identitätsphilosophie (Jamme, Geselligkeit, S.93). Hülsens Fragmente dokumentieren beispielhaft die zeitgenössische Rezeption von Schellings Philosophie, insbesondere von dessen Schrift Vom Ich als Princip der Philosophie (1795), die auch bei anderen Lesern eine bereits vorhandene Neigung zum Spinozismus entfesselte (Jamme, Geselligkeit, S.103). Die Sammlung fällt durch ihr Pathos und durch ihren feierlich-religiösen

Philosophische Fragmente aus Hülsens literarischem Nachlaß

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Ton auf. Häufig finden sich Anklänge an die Sprache der Bibel (H5, 8, 11, 56). Fouqué spricht in seiner Einleitung von einem „göttlichen Element“ (S.265), das sich hier, wie in Hülsens mündlichem Vortrag finden lasse. Sein Denken ist in hohem Grade spekulativ, er lehnt jede Begrenzung durch ein wissenschaftliches System ab. Die Dunkelheit seiner Sprache und ihre kreisförmige, mehrfach in sich zurückkehrende Gedankenbewegung verleiht diesen Fragmenten den Charakter philosophisch-religiöser Meditationen. Anders als bei Friedrich Schlegels Fragmenten handelt es sich hier nicht um selbständige Gedankensplitter, vielmehr sind die einzelnen Passagen durch Demonstrativpronomen und Konjunktionen (z.B. ‚also‘, ‚so‘, ‚hierdurch‘) logisch verknüpft, so daß man sie durchaus als fortlaufenden zusammenhängenden Text lesen könnte. Der pädagogische Impetus der ‚freien Männer‘ tritt in Hülsens Fragmenten zutage, wenn er im ersten Teil erklärt, er wolle mit diesen Aufzeichnungen den Jünglingen, „die so leicht durch gewohnte Lehren der Meister im Symbole befangen bleiben !…" den tiefen Sinn der Zeichen“ (H3) erschließen.

Stellenkommentar 5: 258,11f. die Ehrfurcht vor dem Göttlichen !…" aller Weisheit Anfang] Vgl. Sir. 19,18: „Alle Weisheit besteht in der Furcht Gottes.“ 8: 258,24–26 alle !…" zur Erkenntniß der göttlichen Wahrheit berufen !…" wie von Auserwählten] Eine Anspielung auf Matth.22,14: „Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.“ Vgl. zur kritischen Einstellung zum Gelehrtenstand Hülsens Brief an August Wilhelm Schlegel vom 6.8.1798, der sich nach G.Naschert (Beitrag, S.117) auf Fichte beziehen dürfte: Das Verhältniß der Gelehrten ist immer das am wenigsten natürliche; und die Forderung an uns, daß wir den übrigen Menschen ein Beispiel seyn sollen, kommt mir so zu sagen närrisch vor. Sind wir große und berühmte Männer, so sind wir es lediglich auf Unkosten anderer, welches aber wahrlich keinem Menschen zum Ruhme gereichen sollte. !…" Wir Jünger müssen unsere Meister doch in uns selbst wiederfinden, und jeder sage sich daher auch selbst: Du sollst keine andern Götter haben neben mir (Flitner, S.98; vgl. Arndt/Virmond, FDES,KG V/3, S.LXXXIX).

Zu Hülsens ‚demokratischem‘ Verständnis des ‚Gelehrtseins‘ vgl. Hülsens Prüfung der von der Akademie der Wissenschaften zu Berlin aufgestellten Preisfrage, S.50, Anmerkung: Der Mensch soll Er selbst, er soll ein Ganzes seyn. In diesem liegt auch das Gelehrtseyn. Es ist also gewiß: soll es Menschen geben, so darf es keine Gelehrte geben, sondern dieser Name muß vor dem des Menschen verschwinden. Aber es ist auch gewiß, daß der Mensch, um dem praktischen Begriffe von ihm entsprechen zu können, seine Bestimmung wissen muß. In so fern ist es wahr, daß wenn der Mensch ein Mensch seyn soll, er vor allem die Anlage zum Wissen in sich entwikkeln, und der Gelehrte oder Selbstdenker also der wahre Mensch seyn soll. Dann aber müssen die Gelehrten auch nur allein nach dem Prädicate vernünftig trachten, und vor dem Menschen in ihnen sich schämen, noch etwas anders als das seyn zu wollen. (Zitiert nach Naschert, Beitrag, S.118.)

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August Ludwig Hülsen

9: 258,33 der Bund der Gelehrten] Bei Schlegel findet sich die verwandte Vorstellung vom Bund der Künstler (vgl. Id32). 10: 258,36–259,4 Wir werden vielleicht behaupten !…" unsere gepriesensten Erkenntnisse] Vgl. hierzu Hülsens Brief an Friedrich Schlegel vom 6.8.1798 und siehe Anm. 258,24–26 zu H8. -- Arndt/Virmond, FDES,KG V/3, S.LXXXIX. 11: 259,11f. denn in ihm leben, weben und sind wir] Ein wörtliches Zitat aus Apg. 17,28. 11: 259,11f. zurückkehren !…" zu den Kindern] Vgl. Matth.18,3, wo Jesus warnt: „Wenn ihr nicht umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ 11: 259,17f. in dem wundervoll kindlichen und eben darum nur göttlichen Leben des Sokrates] Siehe Anm. 10,34 zu L26 über Sokrates. 27: 261,10 Selbstanschauung des Geistes] Siehe Anm. 232,35 zu GIII32. 34: 262,8 der alte Widerspruch des Idealen und Realen] Siehe Anm. 114,10 zu PhL [II] 137. 39: 262,31 A = A] Siehe Anm. 172,5f. zu FSt553 über das Gesetz der Identität. 53: 264,15 Formal-Philosophie] Wohl in Anlehnung an Fichtes Begriff der ‚Formular-Philosophie‘ (Grundlage des Naturrechts (1796); FI3, S.5f., Anmerkung): „Der Formular-Philosoph denkt sich dies und jenes, beobachtet sich selbst in diesem Denken, und nun stellt er die ganze Reihe dessen, was er sich denken konnte, als Wahrheit hin, aus dem Grunde, weil er es denken konnte. Das Object seiner Beobachtung ist er selbst !…". Der wahre Philosoph hat die Vernunft in ihrem ursprünglichen und nothwendigen Verfahren !…" zu beobachten. Da er aber dieses ursprünglich handelnde Ich im empirischen Bewusstseyn nicht mehr vorfindet, so stellt er es durch den einzigen Act der Willkür, der ihm erlaubt ist (und welcher der freie Entschluss philosophiren zu wollen selbst ist), in seinen Anfangspunct, und lässt es von demselben aus nach seinen eigenen, dem Philosophen wohlbekannten Gesetzen, unter seinen Augen forthandeln. !…" Das Object seiner Beobachtung ist sonach die nach ihren inneren Gesetzen !…" nothwendig verfahrende Vernunft überhaupt“; „das Letztere allein ist wahre Beobachtung der Vernunft in ihrem Verfahren. Aus dem ersteren entsteht eine leere Formular-Philosophie, die genug gethan zu haben glaubt, wenn sie nachgewiesen, dass man sich irgend etwas denken könne, ohne um das Object !…" besorgt zu seyn. Eine reelle Philosophie stellt Begriff und Object zugleich hin, und behandelt nie eins ohne das andere. Eine solche Philosophie einzuführen, und alles bloss formelle Philosophiren abzuschaffen, war der Zweck der Kantischen Schriften.“ 56: 265,13–16 des kindlichen Zeitalters der Welt !…" Vorbild für ein neues Tagwerk] Siehe Anm. 49,10 zu A243 über das goldene Zeitalter. Vgl. zum Gedanken einer künftig zu verwirklichenden goldenen Zeit FI6, S.342 (Über die Bestimmung des Gelehrten, 1794). 56: 265,21 Selbstanschauung der Natur] Siehe Anm. 232,35 zu GIII32. 56: 265,25f. ob er gleich stirbt – ein seliges, harmonisches und unsterb-

Philosophische Fragmente aus Hülsens literarischem Nachlaß

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liches Leben] Joh. 11,25f.: „Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe !…"“. 59: 266,33 Einheit aller Wissenschaften] Vgl. Schelling, AEN4 und Novalis, Lg16 (Ende) zur Idee der Einheit sowie Schlegel, FPL [V] 35 zur „Vereinigung aller Künste“. 59: 266,40f. Es gehet jeder Geschichte eine Ewigkeit voraus !…" heilige Sage] Auf die Parallele zu platonischem Gedankengut verweist Ch. Jamme, Geselligkeit, S.93.

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Aus den Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie

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7. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

Aus den Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie

Textgrundlage und Textüberlieferung Im September 1805 veröffentlichte Schelling in seiner neu gegründeten Zeitschrift ‚Jahrbücher der Medicin als Wissenschaft‘, Heft1, S.2–88, die 224 Stücke umfassenden Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie. Diese Texte wurden wiederabgedruckt in Friedrich Wilhelm Joseph von Schellings sämmtliche Werke, hg. von Karl Friedrich August Schelling. 1. Abtheilung, Siebenter Band, Stuttgart und Augsburg 1860, S.140–197. Die vorliegende Edition gibt Nr.1–80 dieser Sammlung wieder. Als Textgrundlage dient der unveränderte reprographische Nachdruck von Schellings Sämmtlichen Werken: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Ausgewählte Werke, Bd.9: Schriften von 1806–1813, Darmstadt 1976, S.127–146.

Entstehung Über die Entstehung dieses Werks liegen keine Quellen vor.

Wirkung Bereits am 23.8.1804 schickte Schelling dem befreundeten Arzt und Philosophen Karl Joseph Hieronymus Windischmann (1775–1839) einen Sonderabdruck seiner Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie und bat ihn in einem Begleitschreiben um sein Urteil. Am 29.8.1805 sandte Windischmann folgende ausführliche Beurteilung zusammen mit Auszügen aus Plotins Enneaden, in denen er ähnliche Gedanken wie in Schellings Aphorismen zu finden glaubte:

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Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

Bemerkungen §1–10. In keiner Schrift der neuern Zeit, in denen des Vfs selbst nicht ausgenommen, herrscht solche Klarheit und Tiefe, so ruhige und besonnene Betrachtung, wie in dieser. Diese ersten Sätze stellen den Standpunkt, von dem das Ganze zu schauen, unverlierbar fest. §11. 12. 13. Reine Freude hat mir die hohe Bewährung meiner Ideen verschafft, wie ich sie dieses Jahr hindurch in meinem Collegium vorgetragen habe. Besonders offenbart sich die Unersättlichkeit des Sinnes im kindlichen Gemüt; tiefes, unergründliches Vertrauen ist in der Seele verbreitet, der Sinn lebt in einer göttlichen Welt grenzenlos von außen im Gefühl ewigen Seyns. §14. Gar häufig wird die Philosophie betrachtet im Gegensatz mit Kunst und Religion, und blos als Wissenschaft bezeichnet. Ich denke, man hat den Vf. immer schlecht verstanden, wenn man dies als seine eigentliche Gesinnung angesehen: denn es erklärt sich nun, warum er die Wissenschaft sonst vor allen gehegt. Früher war Michel Angelo als Rafael. Und ein tiefes Gemüth kehrt von selbstgegebener Begrenzung ins herrlichste Leben ein. Ich habe immer jenen Gegensatz als unstatthaft angesehen, und dafür gehalten, der wahre Philosoph zwar könne in Wissenschaft, Kunst und Religion Virtuose seyn; jedes von diesen für sich aber sey nicht die Philosophie selbst, sondern ihre Form, Ausdruk im Gemüth, Einbildung. Die Philosophie selbst aber, die ruhige, klare und ewig gleiche Erkenntniß Gottes ohne Trübung und Differenz endlicher Verhältnisse. So habe ich in den Aphorismen meines Vortrags gesagt: „Die ruhige, klare und gleiche Betrachtung, in welcher Wissenschaft und Kunst in einem lebendigen Quellpunkt, der Philosophie, sich vereinigen, ist allein Weisheit zu nennen, und ihrem Wesen nach durchaus verschieden von der Schwelgerei, welche im Grenzenlosen schwärmt, wie von der Sehnsucht, die in leere Abgründe sich stürzt. Es findet hier gar kein Vergleichungspunkt statt.“ §16. Diesen Weg haben die früheren Schriften des Vfs. genommen, und die jetzigen gelangen immer mehr zur Rafael’schen Darstellung. §17. Formlosigkeit kann nur insofern als Charakter des Unendlichen gelten, als aus dem Begriff des Unendlichen alles Einprägen und Formen von außen fern gehalten werden muß. Das Unendliche ist sich selbst die Form, es trägt und hält sich selbst. §19. Ich fühle dieses tief und innig; darum bin ich auch der festen Überzeugung, daß des Vfs. That eine ewige sey. – Ein neues Evangelium, dem nach manchem Kampf doch die Künste des Teufels weichen müssen. Mein sehnlichstes Verlangen ist, ein würdiger Apostel zu seyn, wenngleich Verfolgung und Marter die zeitliche Vergeltung ist. Das liegt nun einmal so in der Gebrochenheit und trägen Natur alles dessen, was Heil heißt; sie hinkt nur den Ideen nach. §22. Ich freue mich um so mehr dieses Ausspruchs, als dadurch auf bestimmteste der innerste Unterschied wahrhaft religiöser Vertiefung in die Natur und müßiger Selbstbeschauung an Tag gelegt wird; so daß auch dasjenige, was ich hie und da aus innerer Abneigung gegen müßige und eitle Selbstbeschauung äußerte, auf keine Weise mißverstanden werden kann. Diese müßige Selbstbeschauung ist eben das, was ich nach S.386 meiner Ideen an den Indiern auszusetzen hatte. Wie denn dieser Fleck aller orientalischer Philosophie anhängt, daher sie auch nirgend als die reine Idee Gottes besteht, sondern immer mehr oder weniger das Gewand der sich selbst überlassenen Religion trägt, die eben, ohne die gleiche Haltung, welche ihr nur in der Einheit mit Kunst und Wissenschaft werden kann, immer in Superstition übergeht. §24. Auch ich habe mich dieser Sünde etwas theilhaftig gemacht. Aber die überreden wollende Redekunst verliert sich, und ich führe nun reineren Wein. Stets aber war mir’s wahrhaftig nicht um die Rede, sondern um die Sache, die ich jedoch von falschem Geschmack und einseitiger Manier verführt, nicht aufs reinste darstellte. Schon im 2. Band wird besseres Gewächs anzutreffen seyn. In Zukunft aber hoffe ich meinen Wein selbst zu ziehen und wünsche, daß er dem Verfasser anmunden möge, wenns gleich ein von dem seinigen verschiedener Jahrgang ist.

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§27. Sehr wahr! Äußerst wenige wissen, wie unendlich dieses Werk ist, und tun damit kindisch. Ich kann sagen, die Idee dieses Werkes hat sich meiner Seele ganz bemächtigt, und alle Subjektivität geht darin unter. Oft war mir schon, als müßte mir das Herz zerspringen vor Freude wegen dessen, was dieser Idee gemäß seyn könnte. Ein Blik in dies verruchte Zeitalter wollte mirs aber auch nicht selten zerreißen vor Schmerz. Indessen komme ich und jeder, der’s ernst und redlich meint, darüber immer mehr zur Ruhe; es schwebt mir vor die Blüthe und Frucht, und wie diese auch zeitlich gedeihen müssen. Kindliches Vertrauen auf die göttliche Vorsicht kann allein diese selige Ruhe einflößen. Sie läßt ein gründlich gebildetes Werk niemals vergehen. §28. So habe ich immer Schul und Lehre verstanden, und alle Scholastik gehaßt, deren höchstes Ziel und einzige Freude die Formel ist. Begeisterung muß es seyn, und wer dazu nicht fähig ist, soll unter dem gläubigen Volk, im exoterischen Geschlecht bleiben. Der Vf. möge es mir verzeihen, wenn ich sonst wohl in zeitlicher Stimmung auf Augenblicke glauben konnte, die Formel sei ihm werther als sie ihm wirklich war. §32. Diese Göttlichkeit des Sinnes ist der immer verfehlte Punkt in der neuern Philosophie. So allein kann das echte Heidenthum mit dem echten Christenthum im neuen Evangelium auf[s] innigste verschmolzen und das All in seiner ewigen Fülle und Klarheit erkannt werden; jene von jenem herstammend, diese von diesem. §35–54. Und überhaupt alles folgende ist eine so gediegene Darstellung des All, daß ich damit aus allen Zeiten nichts würdiger vergleichen kann, als die beigefügten Stellen des Plotinos, den ich seinen herrlichsten Stellen nach in einem Auszuge, von mir zu meinem Privatgebrauch verfertigt, besitze, und täglich zu meiner innern Erbauung studiere. §43. 44. Für die genetische Darstellung der Idee in der Zeit war es nothwendig, auch das Ich zur Sprache zu bringen, und bis auf den Grund zu durchforschen. So allein konnte es einem Zeitalter wie das unsrige seiner ganzen Nichtigkeit nach dargelegt werden. S.50. und fol. m. Ideen drang ich ernstlich darauf, wie das Ich nur in der Idee Gottes Bedeutung erhält. §48. Höchst bestimmt und jedem Unbefangenen einleuchtend. §50. Hier verdient besonders eine beigefügte Stelle des Plotinos beachtet zu werden. §51. Ebenso. §53. Ähnliches habe ich in meiner Rezension von Weiller gegen die gottlosen Ansichten dieses und anderer jämmerlicher Menschen gesagt. §54. Dieser Satz allein schon sichert den Werth der ganzen Darstellung des Vfs. und ist ein ächtes Zeichen, daß sie ein ewiges Werk sey. §55. 56. Das ist eben die Erbsünde als Folge des Abfalls vom Zustand der Reinheit und Unschuld. §57–63. Von diesen Sätzen läßt sich erwarten, daß sie bei den Bessern alles und jedes Mißverständniß aufheben werden, in welche[s] sie durch zeitliche Verstrikung gerathen sind. Gerade diesen Weg der deductio ad absurdum aller einseitigen Verstandesansicht habe ich mir nun als den meinigen gewählt, und ihn zwar noch nicht mit völliger Klarheit, im ersten Band meiner Ideen angetreten, strebe aber, ihn mit wachsender Stärke fortzusetzen. Ein kräftiger rücksichtsloser Skeptizismus ist meines Erachtens das einzige Heilmittel der Zeit. Die Gesundheit muß erst hergestellt werden, ehe sie das ewig Gesunde schauen können. Deswegen heißt es auch in der Vorrede: „mein höchstes Ziel ist allgemeiner verbreitete Beseelung für die höhere Bedeutung der Dinge und für die Wahrheit in reinster Gestalt. Darum ist auch diese Schrift weniger für die geschrieben, welche die Philosophie schon länger zum Endzweck ihres Lebens gemacht haben etc.“ §68. Es soll mich freuen, wenn dem Vf. die Reduktion der gesamten Mechanik und Chemie diesem Sinn gemäß im 2ten Band gefallen wird. §71. Hierüber glaube ich S.135 der Ideen meine gleiche Gesinnung mit dem Vf. dargelegt zu haben, wiewohl nicht deutlich genug, was noch geschehen wird.

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§72–80. s. die Beilagen aus Plotinos. §80. Die Stelle aus Leibnitz ist grade hier von der größten Wirksamkeit: Hätte dieser große Mann nicht allerwärts blos angeregt, oft zu nachgiebig gegen das Zeitalter, sondern konsequent durchgeführt seine tiefgefaßten Ideen, wir wären weiter. !…" (FWJS,BD 3, S.241–245.)

Anerkennend äußerte sich auch der Bruder Karl E. Schelling am 1.10.1805 nachdem er das erste Heft der ‚Jahrbücher der Medizin als Wissenschaft‘ gelesen hatte: „Besonders der erste Aufsatz, den ich allein aufmerksam durchlesen konnte, hat mir außerordentlich gefallen. Du fängst wie Hippokrates mit Aphorismen an, schon dieser Umstand wird vielen einleuchten“ (FWJS,BD 3, S.269).

Struktur und Gehalt Obwohl die Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie erst in Schellings Würzburger Zeit entstanden, dokumentieren sie recht anschaulich das philosophische Denken im Umkreis der Jenaer Romantik. Schelling tritt mit diesem Werk in die Diskussion um die Möglichkeit einer Offenbarung ein, die Fichte mit seinem Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792) ausgelöst hatte. Daneben werden auch Parallelen zum Denken Schlegels sichtbar, z.B. wenn Schelling vom allgemeinen „Bündniß der Künste und Wissenschaften“ (AEN2) spricht, die Identität von Poesie und Philosophie anerkennt (AEN23), wenn er die Synthese von Wissenschaft, Religion, Kunst und Philosophie postuliert oder die Idee „einer endlos möglichen Bildung“ (AEN27) darlegt. Die Aphorismen haben ausgesprochen spekulativen Charakter. Schelling erklärt, daß er dem Charakter der ‚Jahrbücher‘ entsprechend die „Grundsätze, die nöthig sind, um der Naturphilosophie im Besondern zu folgen, nicht doctrinal, oder so, daß ich jederzeit nach strenger Art die Beweise führte, sondern mehr historisch“ darlege (AEN30). Nach einigen einleitenden grundsätzlichen Bemerkungen (AEN1–30) entwickelt er seine Gedanken in fünf, jeweils durch Zwischenüberschriften getrennten Abschnitten, die aufeinander aufbauen. Grundlegend ist für Schelling der Gedanke der „Göttlichkeit des All“ (AEN1). Aus dieser höchsten Offenbarung resultiert die „Idee der Einheit“ (AEN4), die auch das „Gesammtleben der Wissenschaft, der Religion und der Kunst“ (AEN8) in seiner Verknüpfung mit der alle drei Bereiche durchdringenden und vereinenden Philosophie einschließt. Im Abschnitt „Von der Ein- und Allheit“ (AEN31–41) untersucht Schelling die vier geistig-seelischen Vermögen Vernunft, Sinn, Verstand und Einbildungskraft im Hinblick auf ihr Verhältnis zu Einheit und Allheit. Dabei wiederholt sich die Struktur, die Schelling bereits in der Einleitung bei der Funktionsbestimmung von Wissenschaft, Religion, Kunst und Philosophie zugrundegelegt hat: Die Wissenschaft erforscht die Gesetze des Allgemeinen, die Religion betrachtet das Besondere, die Kunst ist „die Ineinsbildung des Allgemeinen und Besonderen“ (AEN9), die Philosophie hingegen „gelangt !…" in der wirklichen Durchdringung der Wissenschaft mit der Religion und der Kunst zu der ihrer Idee gemäßen

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Göttlichkeit“ (AEN10). Als Korrelat zur Wissenschaft erkennt der Verstand die Einheit (AEN33), der Sinn, den Schelling der Religion gleichsetzt, erfaßt das Besondere (AEN32), die Einbildungskraft vereint die Fähigkeiten von Sinn und Verstand (AEN34), die Vernunft schließlich umfaßt die drei anderen Funktionen (AEN35–38). Der folgende Abschnitt „Von der Vernunft als Erkenntniß des Absoluten“ (AEN42–54) beschäftigt sich mit der Problematik der Gotteserkenntnis. Da „nur Eines, Gott oder das All, und außerdem nichts“ (AEN43) existiert, ist Gott zugleich „Wissen und !…" Gewußtwerden“ (ebd.). Unter dieser Voraussetzung definiert Schelling die Vernunft als „ein Wissen Gottes, welches selbst in Gott ist“ (AEN47). Den dritten Teil seiner Aphorismen überschreibt Schelling „Von der Untheilbarkeit der Vernunfterkenntniß oder der Unmöglichkeit etwas von der Idee des Absoluten zu abstrahiren oder aus ihr herzuleiten“ (AEN55–80). Zunächst (AEN55–63) unternimmt es der Verfasser, zu beweisen, „daß die Idee des Absoluten jeder Abstraktion widersteht, daß sie schlechthin untheilbar, daß es also unmöglich ist, irgend etwas aus ihr durch Analyse oder Abstraktion zu entwikkeln“ (AEN63). Danach versucht Schelling zu zeigen, „daß der Verstand keinen Theil haben kann an der Idee des Absoluten“ (AEN80). Er folgert daraus, daß sich die Wissenschaft nur auf dem Wege der Spekulation dem Absoluten nähern kann. Die beiden letzten Abschnitte der Aphorismen, „Von der Art, wie die Einheit Allheit und die Allheit Einheit ist, und von dem ewigen Nichtsein des Endlichen“ (AEN81–161) und „Von den Unterschieden der Qualität im Universum“ (AEN162–224), werden im vorliegenden Band nicht wiedergegeben.

Stellenkommentar 2: 269,7f. allgemeines Bündniß der Künste und Wissenschaften] Siehe Anm. 10,10 zu L16 und 19,41f. zu L115 über dieses Zenralmotiv des romantischen Denkens. 4: 269,19 Idee der Einheit] Vgl. Hülsen, H59 zur „Einheit aller Wissenschaften“, Novalis, Lg16 (Ende): „bald werde nur Eine Wissenschaft und Ein Geist !…" seyn“, und Schlegel, FPL [V] 35 über die „Vereinigung aller Künste“. 6: 270,1–3 die Trennungen der Wissenschaften untereinander !…" die der Wissenschaft selbst von der Religion und der Kunst] Vgl. AEN8f. und die Trias Religion – Poesie – Philosophie bei Friedrich Schlegel (siehe Anm. 84,25–28 zu Id11). 8: 270,10 Gesammtleben der Wissenschaft, der Religion und der Kunst] Vgl. AEN6 und siehe die Anm. 270,1–3 dazu. 9: 270,16–20 Religion !…" vermittelt so als ein heiliges Band die Wissenschaften mit der Kunst] Siehe Anm. 270,1–3 zu AEN6 und 84,25–28 zu Id11. 12: 270,36 Superstition] Aberglaube.

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16: 271,17–19 nach Winkelmanns Worten !…" vorangehen mußte] Vgl. J.J.Winckelmann, Geschichte der Kunst des Altertums (1764), 1. Teil, Kap.1. Siehe Anm. 37,9f. zu A149 über Winckelmann. 16: 271,22f. Das Platonische: daß kein in der Geometrie Uneingeweihter hereintrete] So lautete angeblich die Inschrift über der Tür der Platonischen Akademie in Athen. Siehe Anm. 15,14f. zu L69 über Plato. 20: 271,38–40 In kurzen Sätzen !…" dargestellt] Schelling bezieht sich hier auf seine Darstellung meines Systems der Philosophie (1801; Sch7, S.1–108). 20: 272,3 Divination] Ahnung. 23: 272,22 Auch Poesie ist die Philosophie] Vgl. AEN2 und siehe Anm.19,41,f. zu L115 über die wechselseitige Annäherung der Künste und Wissenschaften. 26: 272,36f. wie die übermüthigen Prasser in das Haus des Odysseus] In Odysseus’ Abwesenheit wird seine Gattin Penelope von Freiern bedrängt, die ihn durch aufwendige Gelage um Hab und Gut zu bringen drohen. Für diesen Mißbrauch des Gastrechts und für die Verletzung seiner Ehre rächt sich Odysseus bei seiner Heimkehr, indem er sie während eines Gastmahls in seinem Haus tötet. (Vgl. Odyssee, 17.–22. Gesang.) 26: 272,37–39 freche Bettler !…" Irus !…" zum Faustkampf herausfordern] Im 18. Gesang der Odyssee (Vers1–115) beleidigt und bedroht der Bettler Iros den unerkannt heimgekehrten Odysseus in dessen eigenem Haus. Er wird von Odysseus im Faustkampf besiegt. 28: 273,9 6O «] Homer. Hier in Anspielung auf die um 1800 diskutierte Frage nach der Urheberschaft der Homerischen Epen. 29: 273,12f. vor Gegnern !…" Eisen und Bogen hingestellt, ob sie durchschießen] Im 21. Gesang der Odyssee veranstaltet Penelope einen Wettkampf und verspricht, denjenigen zu heiraten, der mit Odysseus’ Bogen einen Pfeil durch zwölf hintereinander aufgestellte Äxte schießen kann. Nur Odysseus, der als Bettler verkleidet anwesend ist, kann den Bogen spannen und die von Penelope gestellte Aufgabe lösen. Durch seinen Schuß verrät er seine wahre Identität und gibt zugleich das Signal zur Ermordung der Freier. 38: 274,23 Gesetz der Identität (A=A)] Siehe Anm. 172,5f. zu FSt553. 40: 274,32f. und ihr werdet Gott schauen] Vgl. z.B. Psalm 42,3. 43: 275,1f. kein Subjekt und kein Ich !…" kein Objekt und kein Nichtich] Siehe Anm. 50,18 zu A252 (‚Ich‘) und 15,37 zu L75 (‚Nicht-Ich‘). 44: 275,5 Ich denke, Ich bin !…" Cartesius] Der bekannte Satz „Cogito ergo sum“ des Philosophen, Mathematikers und Naturforschers René Descartes (1596–1650). 50: 275,40f. Centrum, nicht im Gegensatz einer Peripherie, sondern als alles in allem] Vgl. hierzu Nicolaus’ von Kues (1401–1464) Schrift De docta ignorantia, die die Welt als eine Kugel bestimmt, deren Mittelpunkt mit ihrem Umfang zusammenfalle (II,11,12). Vgl. ferner AEN71 und siehe Anm. 84,34–36 zu Id14 (‚Zentrum‘). 50: 275,43 Affirmable] Zu Bestätigendes, zu Bekräftigendes.

Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie

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64: 278,21 Der Satz, daß das Absolute keine Prädicate hat] Der Verfasser der in Anmerkung 4 erwähnten Aphorismen über das Absolute, als das alleinige Princip der wahren Philosophie, über die einzig mögliche Art es zu erkennen, wie auch über das Verhältniß aller Dinge in der Welt zu demselben war Gottlob Ernst (Aenesidemus-)Schulze (1761–1833); er veröffentlichte seine Aphorismen anonym im ‚Neuen Museum der Philosophie und Literatur‘ 1, (1803), S.105–148. Der Aufsatz Verhältniß des Skepticismus zur Philosophie, Darstellung seiner verschiedenen Modificationen, und Vergleichung des Neuesten mit dem Alten (1802) stammt von Hegel und setzt sich kritisch mit Schulzens Kritik der theoretischen Philosophie (1801) auseinander. – Vgl. über das Absolute auch die folgenden Aufzeichnungen und siehe Anm. 21,4 zu L123. 67: 279,1f. Absolute Identität !…" Gleichgewicht seyn] Siehe Anm. 21,4 zu A123 (‚absolut‘), 24,11 zu A22 (‚subjektiv – objektiv‘) und 10,17f. zu L20 über die in Anmerkung 5 thematisierte Problematik des Verstehens. 71: 279,34 Kreis, dessen Peripherie mit dem Centrum zusammenfällt] Vgl. AEN50 und siehe dazu Anm. 275,40f. 71: 279,36 Die Einheit ist hier als solche gleich der Allheit] Vgl. AEN81–161 und besonders AEN145. 72: 280,4 Perception] Sinnliche Wahrnehmung (als erste Stufe der Erkenntnis). 72: 280,21 Somnambulisten] Schlafwandler. 80: 281,29f. Die Wissenschaft selbst !…" wie er ist] In Anmerkung 6 verweist Schelling auf seine 1802 erschienene Fernere Darstellung aus dem System der Philosophie, hier §IV „Von der philosophischen Construktion oder von der Art, alle Dinge im Absoluten darzustellen“ (Sch7, S.287–307). 80: 281,35 inhärirt] Innewohnt. 80: 281,37 was Leibniz irgendwo sagt] Das Zitat stammt aus einem Brief an den Mathematiker Pierre Rémond de Montmort (1678–1719) aus dem Jahr 1715 (abgedruckt in Leibniz’ Opera philosophica quae exstant. Latina, gallica, germanica omnia, hg. von Johann Eduard Erdmann, Bd.2, Berlin 1839, S.736f.). Siehe Anm. 25,4f. zu A27 über Leibniz. 80: 281,37–282,6 On a dit !…" la notion de l’éternité] „Man hat gesagt, daß, wenn der Geist eine deutliche und direkte Auffassung des Unendlichen hätte, hätte P.Malebranche nicht so viele Ausführungen gebraucht, um uns daran denken zu lassen. Sondern mit demselben Argument würde man die sehr einfache und sehr natürliche Erkenntnis zurückweisen, die wir von der Gottheit haben. Derartige Einwendungen sind nichts wert, denn man braucht Mühe und Fleiß, um den Menschen die Aufmerksamkeit zu geben, die für die einfachsten Vorstellungen notwendig ist, und es gelingt schließlich kaum, indem man sie an ihre Vergeudung ihrer selbst erinnert. Aus diesem Grund brauchten die Theologen, die von der Ewigkeit sprachen, so viele Abhandlungen, Vergleiche und Beispiele, um sie recht einsichtig zu machen, obwohl es nichts einfacheres gibt als die Vorstellung der Ewigkeit.“

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Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

Grundzüge der philosophischen Naturwissenschaft

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8. Henrich Steffens

Aus den Grundzügen der philosophischen Naturwissenschaft

Textgrundlage und Textüberlieferung 1806 veröffentlichte Henrich Steffens seine naturphilosophischen Aphorismen unter dem Titel Grundzüge der philosophischen Naturwissenschaft, Berlin 1806. Von den neun mit arabischen Ziffern numerierten Abschnitten dieses Werks wird in der vorliegenden Edition der erste vollständig wiedergegeben. Als Textgrundlage dient der Erstdruck, S.1–15.

Entstehung Über die Entstehung der Grundzüge liegen keine Quellenzeugnisse vor. Auf dem Titelblatt vermerkt der Verfasser, daß seine Aufzeichnungen, wie im damaligen Universitätsbetrieb durchaus üblich, „zum Behuf seiner Vorlesungen“ bestimmt waren. Für Steffens hatte diese Publikation wohl eher den Charakter einer vorläufigen Gedankensammlung, denn in der Vorrede erklärt er, daß sein Werk „Themata zu Vorlesungen und zukünftigen Schriften“ (S.IIIf.) enthalte, die er weiter auszuarbeiten beabsichtige; „an der Ausführung mag Manches fehlen“ (S.IV), doch erblickt Steffens darin „einen andern Vortheil !…". In zukünftigen Schriften werde ich die Aphorismen als Ueberschriften benutzen, die das unvermittelte Seyn des Gegenstandes im Ganzen darthun; und ich werde mich dann vorzüglich in dieser Fortsetzung meiner Beiträge zur innern Naturgeschichte der Erde, mit dem Eigenthümlichen des Gegenstandes ganz beschäftigen können“ (ebd.). In seinen Lebenserinnerungen will Steffens dieses Werk „als ein Produkt der Begeisterung, die mich und meine Zuhöhrer damals durchdrang“, verstanden wissen (Was ich erlebte 6, S.33). Steffens weiß seine Grundzüge den Arbeiten zahlreicher Gelehrter auf dem Gebiet der Naturwissenschaft und der Naturphilosophie verpflichtet, ohne deren Einfluß jedoch im einzelnen zu belegen: „Die Einrichtung dieser Grundzüge erlaubte mir nicht, Citate anzubringen; ich habe mir deßhalb aber Nichts andern

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Henrich Steffens

Naturforschern Eigenthümliches zueignen wollen; und dem sorgfältigen Leser wird es von selbst klar werden, wie viel ich Buch, Görres, Humboldt, Kielmayer, Möller, Reil, Ritter, Treviranus, Troxler, Werner, Winterl, durch mündliche Unterredungen Horkel, u.m. verdanke. Vorzüglich wird man mehrere bekannte Ansichten Schellings hier wieder finden“ (Vorrede, S.IVf.).

Wirkung Schelling erwartete Steffens’ Buch mit Spannung und hohen Erwartungen und hatte schon, bevor er das Werk gesehen hatte, eine Rezension für die neue ‚Jenaer Allgemeine Literaturzeitung‘ zugesagt. Am 7.9.1806 schreibt er an Heinrich Karl Eichstädt (1772–1848), den Herausgeber der ‚Neuen Allgemeinen Literaturzeitung‘: „Von Steffens Grundzügen ist hier noch nichts erschollen; noch weniger ist das Buch selbst zu erhalten. Ich werde aber sogleich darum schreiben, u. hiervon werde ich die Recenz. mit Fleiß u. Treue, sobald möglich, liefern: denn daß eine solche Schrift Zeit zur Beurtheilung erfordert, versteht sich von selbst“ (FWJS,BD 1, S.368). Doch schon drei Wochen später, am 29.9. mußte Schelling sein Versprechen zurücknehmen: Wegen Steffens, möchte ich fast sagen, bin ich etwas zu schnell gewesen im Versprechen. Nachdem ich sein Werk gesehen, so finde ich, daß die Beurtheilung des allgemeinen Theils von meiner Seite eine gewisse Unbilligkeit mit sich führen würde, da ich im besondern, welcher in die Tiefe geographischer Kenntnisse eingeht, nicht im Stand wäre, dem Verfasser die volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die ihm gebührt. Könnten Sie von einem hierin bewanderteren Gelehrten eine Beurtheilung dieses Theils erhalten, so wäre es für mich interessant, ein allgemeines Wort über bisherige Bearbeitung der Naturphilosophie u. den Standpunkt den sie durch Steffens gewonnen in einer zweyten Recens. zu sagen. (An Eichstädt; FWJS,BD 1, S.371.)

Auch Schellings Bruder, der Mediziner Karl E. Schelling, zeigte sich wenig erfreut von Steffens’ Grundzügen. Am 11.1.1807 teilt er seinem Bruder seinen ersten, wenig günstigen Eindruck von diesem Werk mit: „Des Steffens Buch habe ich neul. im Buchladen, ein wenig eingesehen, was ich aber davon bemerkt habe, hat mir ebenfalls nicht gefallen. Aber Dein ältester Freund ist in ihm zu ehren, deßwegen will ich, wenn ich ihn recensire, mehr die freundschaftliche als die polemische Brille aufsetzen“ (FWJS,BD 3, S.396). Doch auch diese Rezension kam, ebensowenig wie die des Bruders, zustande. Den konservativen Kreisen, wie sie z.B. an der Universität Würzburg dominierten, galt Steffens’ Schrift als gefährliches Produkt der neuen Philosophie (FWJS,BD 3, S.377f.). Auch bei Goethe fanden die Grundzüge wenig Verständnis. In dem Konzept eines Briefs an den Verfasser vom Herbst 1806 schrieb er über das Buch, das Steffens ihm zugeschickt hatte: Mit Hoffnung und Zutrauen nahm ich es auf; aber ich muß gestehen daß mich das Lesen in einen bösen Humor versetzte. !…" Bekenn’ ich es aufrichtig! Anfangs wars mir ein peinlich Gefühl die ganze tausendfach bewegliche Erdennatur, von deren zwar partiellem, doch freyem Anschaun ich soeben zurückkehrte, an dem Kreuz der vier

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Weltgegenden zappeln zu sehen. Doch ist indessen die Empfindung viel gelinder geworden. Ich habe das Werk in meiner Vorstellung von seinem dogmatischen Ernst einigermaßen entkleidet, und es als einen Halbscherz eines höchst geist- und wißreichen Mannes betrachtet, in welcher Ansicht es dann unschätzbar wird. Nun scheint es sich bey mir auf diesem Wege immer mehr einzuschmeicheln und mich durch die Würde seiner Form, durch den Werth seines Gehaltes zu ernsthafteren Gesinnungen nöthigen zu wollen, und wir wollen abwarten, inwiefern, indem ich mich mit Ihren individuellen Ansichten beschäftige, mein eignes Individuum sich nach und nach dem Ihrigen sich anzubilden !bequemt?" Dieser Conflict kann mir nicht anders als vortheilhaft seyn, und ich werde gern gestehen, wann und wie Ihr Genius den Sieg davon trägt. (WA IV30, S.90f.)

Bereits am 31.8.1806 zählt Goethe in einem Brief an F.A.Wolf die Grundzüge spöttisch zu den „neuen und wunderlichen Büchern“, die ihn in letzter Zeit „heimgesucht“ hätten: unter andern trat, wie ein Sirius unter den kleinen Gestirnen, Herr Steffens hervor und funkelte mit cometenartigen Strahlen. Von seinem Buche habe ich freylich schon früher einige Blätter wehen und rauschen hören, als ich hinter der bewußten Thüre horchend saß. Mag’s aber seyn, daß der Dreyfuß, auf welchem er sich damals niedergelassen hatte, ihm etwas mehr Klarheit einflößte, oder daß man dem persönlichen Individuum seine Individualität eher verzeiht, als wenn sie in ein Buch gekrochen ist, oder daß dergleichen heilige Laute unter der Hand des Setzers gar nicht erstarren sollten; genug das Büchlein hat zwar an seiner Vorrede einen honigsüßen Rand, an seinem Inhalte aber würgen wir andere Laien gewaltig. Gebe nur Gott, daß es hinterdrein wohl bekomme. Vielleicht geht es damit, wie mit den Brunnenkuren, an denen die Nachkur das beste seyn soll, d.h. doch wohl, daß man sich dann erst wieder gesund befindet, wenn man sie völlig aus dem Leibe hat. (WA IV19, S.187.)

Ähnlich ablehnend äußerte er sich am 22.8.1806 gegenüber Wilhelm von Humboldt über das Werk und seinen Autor: Sie kennen diesen trefflichen Kopf von früherer Zeit, und auch dieses Büchlein ist höchst dankenswerth, nur gestehe ich gern, daß ich es nicht ohne Kopfschütteln lesen konnte. Er geht auf dem Wege der Naturphilosophie und das ist auch nach meiner Meynung schön und gut; aber ich weiß nicht, gerade die höchsten Ideen, wenn sie sich unmittelbar verkörpern, machen eine Art von frazzenhafter Erscheinung. Erfreulich ist es auf jenes wünschenswerthe Ziel hingewiesen zu werden, daß aller Zwiespalt aufgehoben, das Getrennte nicht mehr als getrennt betrachtet, sondern alles aus Einem entsprungen und in Einem begriffen, gefaßt werden solle. Wenn es nun aber ans Werk geht und diese Forderung soll erfüllt werden; so kommen mir die Herren vor wie die Christen, die, um uns ein Leben nach dem Tode zu versichern, das Leben vor dem Tode zum Tode machen. Ich bin recht wohl überzeugt, daß durch That, Kunst, Liebe die größten Widersprüche gehoben werden; wie es aber der Wissenschaft gelingen wird, lasse ich dahin gestellt seyn. Indessen versichern uns die Herren mit glatten und eindringlichen Worten, daß der Friede Gottes wirklich bey ihnen eingekehrt, daß vor ihnen weder Tag noch Nacht sey, daß sie Absolutes und Bedingtes, Nothwendigkeit und Freyheit, Vergangenes Gegenwärtiges und Künftiges, Unendliches, Endliches und Ewiges so vereint in sich tragen, daß auch nicht der mindeste Mißklang weiter für sie vernehmlich sey. Weshalb wir sie denn zuletzt wohl seelig, wo nicht heilig preisen können. So viel ich bis jetzt an dem Buche habe gewahr werden können, so sind diejenigen Theile, welche Steffens schon früher behandelt, hier in gedrängter Kürze in erfreulicher Consequenz und Reinlichkeit aufgestellt. Aus diesen Capiteln dringt sich einem

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der Gehalt reichlich entgegen. Weil es aber nun die Grundzüge der ganzen Naturwissenschaft seyn sollen, so scheint ihm hier und da die Erfahrung auszugehn, die Stellen werden dunkel und zweydeutig, öfters unverständlich, und ich müßte mich sehr irren, wenn sie nicht zuletzt hohl befunden würden. Uebrigens tritt er bey solcher Gelegenheit sachte genug auf, und wird künftig wohl nach Prophetenart versichern, daß er alles in seinen Weissagungen schon eingeschlossen habe. (WA IV51, S.198f.)

Mit besonderem Unmut registriert Goethe die Dunkelheit und kühne Bildlichkeit von Steffens’ Sprache: Die allgemeineren Stellen, besonders von vorn herein, sind vortrefflich geschrieben. Ich müßte mich sehr irren, oder ich sehe Schleyermachers Züge darin. Wie es aber weiter in den Text kommt, dann tritt die seltsame Sprache hervor mit der wir dergestalt gestraft sind, daß wir sie fast selbst nicht mehr vermeiden können. Freylich lag es in der Natur der Sache, daß man, um in die Tiefe der Natur mit Worten einzugreifen, sich der Zeichen aus andern Wissenschaften und Menschenbemühungen bemächtigen mußte, welche auch in die Tiefe gegangen waren. Auf diese Weise ist eine Symbolik entstanden, die ich keinesweges tadle, die aber etwas höchst wunderliches und zugleich etwas Gefährliches in sich hat. Die Formeln der Mathematik, der reinen und angewandten, der Astronomie, Cosmologie, Geologie, Physik, Chemie, Naturgeschichte, der Sittlichkeit, Religion und Mystik werden alle durcheinander in die Masse der metaphysischen Sprache eingeknetet, oft mit gutem und großem Sinne genutzt; aber das Ansehn bleibt immer barbarisch. Nun tritt das Gefährliche hervor, das diese Sprache mit jeder andern gemein hat. Ich weiß recht gut, daß man einen Schall an die Stelle einer Sache setzt, und daß man diesen Schall wieder oft als Sache behandelt, und daß man diesem qui-pro-quo nicht immer ausweichen kann. Aber in der complicirten höhern Kunstsprache, von der die Rede war, hat es jetzt schon sehr üble Folgen, daß man das Symbol, das eine Annäherung andeutet, statt der Sache setzt, daß man ein angedeutetes äußres Verhältniß zu einem Innern macht und sich auf diesem Wege aus der Darstellung in Gleichnißreden verliert. So sind Nord und Süd, Ost und West, Oxygen und Hydrogen schon solche Scherwenzels und die Flügelmänner einer wunderlichen Topik, daß man aus dem besten Willen herausgeschreckt wird. Ich sage nochmals, daß ich dem Gebrauch einer solchen Symbolik gar nicht feind bin, vielmehr sie anzuwenden mich oft genöthigt fühle; doch gehen die Herren über meine Ueberzeugung weit hinaus, und es ist unangenehm, gerade diejenigen lassen zu müssen, die man so gern begleitete. (Ebd., S.199–201.)

Steffens selbst stellt rückblickend fest, sein Werk habe durch den Ausbruch der Koalitionskriege nicht die erhoffte und gebührende Resonanz gefunden, ja er selbst sei durch die politischen Ereignisse gehindert worden, den in den Grundzügen begonnenen Weg fortzusetzen: Die Grundzüge erschienen kurz vor dem Ausbruche des unglücklichen Krieges. Sie würden als Grundlage meiner Vorträge für mich selbst eine immer wachsende Bedeutung erhalten haben, aber sie setzten ein fortdauernd lebhaft theilnehmendes Auditorium voraus, und jetzt war dieses verschwunden. So ward mir mein früheres Werk in der Art, wie es entstanden war, und sich ausbilden sollte, fast fremd; und war das mit mir der Fall, so durfte ich mich um so weniger darüber wundern, daß es in der Literatur vollkommen vergessen wurde. Und doch habe ich vielleicht nie später irgend Etwas geschrieben, reicher an fruchtbaren Ideen, als dieses kleine Werk. (Was ich erlebte 6, S.35f.)

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Struktur und Gehalt Die Intentionen seines Werks beschreibt Steffens in seinem Brief an Goethe vom 3.9.1806: Ich habe geglaubt zeigen zu müßen, daß auch das Einzelne und Besondere der Naturwissenschaft, nicht etwa durch zufällige Einfälle, sondern auf eine nothwendige Weise dem Ganzen einverleibt sey, denn, wie im Leben der Zwang, so ist in der Wißenschaft die Willkührlichkeit das verhaßteste. Diesen Schein der Willkühr aber zu vertreiben schien vorzüglich deßhalb nothwendig, weil er in den Bestrebungen der Naturphilosophie fast heimisch zu sein schien, und, wie mir dünkt, der Lehrer diesen am meisten zu vermeiden hat. Nichts ist mehr zu vermeiden, als jenes Schwankende und Schwebende der Ausdrücke, hinter welches sich die Unwißenheit verbirgt, und mit äußerm Übermuth die Feigherzigkeit der Unkunde zu verstecken sucht. Die empörende Leichtigkeit, mit der die unreifste Jugend sich das Heiligste der Wißenschaft bemeistert um ein leichtes Spiel damit zu treiben scheint mir durch diesen unvortheilhaften Schein der Willkührlichkeit vorzüglich hervorgelockt zu sein, da das Bild der ernsten Nothwendigkeit, die sich aufs Mannichfaltigste, aber auch auf das Bestimmteste gestaltet, alles Kindische verdrängt und nur das wahrhaft Gründliche duldet. !…" Nichts schien mir nothwendiger, als eine solche systematische Übersicht der Wißenschaft, die nicht, bloß das Allgemeine genau umfaßend, alles Besondere dem Spiel der Einfälle überließ, und so sind die Grundzüge geworden – Es war mir klar, daß ein jedes System dieser Art nothwendig epigrammatisch sein muß, und daß jeder Satz, in sich begründet, mehr innerlich als äußerlich mit den übrigen verbunden werden müßte. Die Idee einer solchen Darstellung ist mir sehr deutlich, auch möchten vielleicht einzelne Parthien der Grundzüge, in dieser Rücksicht nicht ganz mislungen seyn. Im ganzen fehlt aber der Darstellung gar viel – Aber die erste Arbeit mußte gethan seyn – es war mir zu wichtig. (Goethe und die Romantik. Briefe mit Erläuterungen. 1. Theil, hg. von Carl Schüddekopf und Oskar Walzel, Weimar 1898, S.280f.)

Steffens’ Buch besteht aus neun Abschnitten, von denen sich die ersten beiden mit dem Erkennen als Funktion der Vernunft und mit dem Wesen der Natur, mit Raum und Zeit, Schwere und Licht beschäftigen. Im folgenden Abschnitt sammelt Steffens Gedanken über die ‚Quadruplicität‘, die Vierzahl der Tages- und Jahreszeiten (S.43), der Himmelsrichtungen (S.41, 43) usw. Die weiteren Kapitel thematisieren die Organisation von Pflanzen und Tieren (4.), das Verhältnis von Seele und Materie, Mikro- und Makrokosmos (5.). Die Eigenschaften von Metallen und die Bildung von Mineralien im Verlauf der Erdgeschichte bilden einen Schwerpunkt der 6. Abteilung, während die siebte der „Thätigkeit der Natur“ (S.134), Oszillation, Wärme, Oxydation und Hydrogenation nachgeht. Der achte Abschnitt setzt sich mit astronomischen und physikalischen Erscheinungen auseinander und versucht meteorologische Phänomene durch den Einfluß von Gravitation, Magnetismus und Licht zu erklären (S.154f.). Die letzte Abteilung enthält Aphorismen über die vegetative und animalische Organisation des Lebens sowie über Irritabilität, Sensibilität und Reproduktion als deren Funktion. Von grundlegender Bedeutung ist die Vorstellung der Einheit von Natur und Geist in allen seinen Äußerungen, der Gedanke ihrer organischen Entwicklung und die ihnen zugrundeliegenden Strukturen der Polarität, der Potenzierung und der Analogie. (Dietrich von Engelhardt, Henrik Steffens im Spektrum der Naturwissen-

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schaft und Naturphilosophie in der Epoche der Romantik. In: Henrik Steffens – Vermittler zwischen Natur und Geist, S.89–112.) Steffens lehnt sich in seinen Aphorismen stark an die spekulative Naturphilosophie Schellings an. Der Verfasser selbst betrachtet seine Grundsätze kritisch. Am 9.7.1807 schreibt er an Schelling: „Zuhörern ist bekannt, daß die Aphorismen in den Grundzügen nur ein schwaches Bild dessen sind, was ich jetzt zu leisten vermag“ (FWJS,BD 1, S.382). Einige Wochen später äußert er sich gegenüber Schelling etwas ausführlicher: „Was meine Grundzüge betreffen, nur folgende paar Worte: daß meine Eigenthümlichkeit nicht ganz darin liegt, ist eine Folge der Natur des Buchs. Es sollte allgemein sein. Ich habe es selbst gefühlt und bin mit den ersten 80 Pagina vorzüglich immer unzufrieden. Mit der Oscillationslehre bin ich mehr zufrieden, wenn gleich die Form sie nicht erlaubt stark hervorzutreten. Allenthalben denke ich aber liegen wohl die Keime meiner alten Eigenthümlichkeiten und wenn ich meine alte Form wieder ergreife, wirst Du, hoffe ich, sehen, daß ich mich nicht fürchte. Das Buch war doch nur für die Jungen, kühnes habe ich wohl gesprochen“ (7.9.1807; ebd., S.387).

Stellenkommentar 11: 284,41 intellektuelle Anschauung] Siehe Anm. 82,16 zu A443. 14: 285,22 Eins mit Allem] Vgl. Schelling, AEN145.

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9. Johann Wilhelm Ritter

Aus den Fragmenten aus dem Nachlasse eines jungen Physikers

Textgrundlage und Textüberlieferung In seinem letzten Lebensjahr bereitete Johann Wilhelm Ritter die Publikation einer Fragmentsammlung vor, die noch kurz vor seinem Tod im Jahr 1810 erschien. Sie trägt den Titel Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers. Ein Taschenbuch für Freunde der Natur, herausgegeben von J.W.Ritter, Heidelberg 1810 (Nachdruck Heidelberg 1969). Eine kleine Auswahl von sechzehn Fragmenten war – möglicherweise ohne Ritters Wissen – bereits am 8.4.1807 unter dem Titel Funken im ‚Morgenblatt für gebildete Stände‘ (S.335) abgedruckt worden (Dietzsch, Ritter, S.9f.). Obwohl Ritter lediglich als Herausgeber zeichnet, ist er tatsächlich der Verfasser der 700 Fragmente. Der vorliegende Band stellt einen Teil der ersten (Nr.1–84) und die zehnte (Nr.462–480) von insgesamt fünfzehn Abteilungen vor; er folgt dabei dem Wortlaut des Erstdrucks (Erstes Bändchen, S.5–52, und Zweites Bändchen, S.73–93).

Entstehung Ritters Fragmente stammen aus einem Zeitraum von zwölf Jahren zwischen 1797 und 1809; zusammengestellt wurden sie in den ersten Monaten des Jahres 1809, wie Ritter seinem Freund Oersted am 31.3.1809 schreibt (Harding, S.228). Über die Entstehungsgeschichte seiner Aufzeichnungen legt Ritter in der Einleitung des ‚Herausgebers‘, die ein Kuriosum der Literaturgeschichte darstellt, Rechenschaft ab. In dieser Einleitung erklärt Ritter, er gebe die Fragmente aus den nachgelassenen Papieren eines kürzlich verstorbenen ungenannten Freundes heraus. Diese Mystifikation ermöglicht es Ritter, der seinen Tod wohl schon ahnte, gewissermaßen als sein eigener Nachlaßverwalter, einen Teil seiner Papiere an die Öffentlichkeit zu bringen und sich selbst aus der Distanz eines fiktiven Herausgebers einen Nachruf zu schreiben. Im Brief an Oersted vom 31.3.1809 erklärt Ritter

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diesen Kunstgriff: „Die Vorrede enthält die Biographie des Verstorbenen, seine innere; es ist meine eigene, und ich habe sie mit viel Ehrlichkeit und Rührung geschrieben. Das ganze ist somit eine höchst ernsthafte Posse; den Freunden des Verstorbenen gewidmet“ (Harding, S.229). Hier schildert Ritter auch, wie die Fragmente entstanden und nach welchen Gesichtspunkten er die veröffentlichten Texte ausgewählt und angeordnet hat: „!…" der ganzen Sammlung gegenwärtiger Fragmente sollte auf das Sorgfältigste eine Eigenschaft erhalten werden, die sie von vielen ähnlichen ins Publikum gekommenen unterscheiden wird. Kein Wort derselben war mit Bestimmung für den Druck verfaßt, oder für irgend eine einstige allgemeinere Mittheilung. Alles sind schlechterdings nur Privatstudien und Notate, einzig wie sie dem Verfasser selbst genügten, selbst da noch, wo sie in Briefen vorkommen“ („Der Herausgeber“, S.XCf.). Oersted gegenüber nennt Ritter außerdem seine bislang unveröffentlichten Diarien als weitere Quelle seiner Fragmente (31.3.1809; Harding, S.228). Ritter charakterisiert seine Aufzeichnungen als „bloßes Denken auf dem Papiere“ („Der Herausgeber“, S.XCI) und gesteht, „Er selbst auch hatte häufig nicht einmal den Zweck dabei, sie geschrieben zu haben“, sondern habe vielmehr damit beabsichtigt, „zu größerer Klarheit der Idee, ihrer Förderung und ihrer Durchführung“ zu gelangen. „Oft kam es ihm !Ritter" auch gar nicht auf das Resultat, sondern auf die bloße Uebung in der Methode, es zu erhalten, an, denn nur letztere bereichere wahrhaft, vollends den Physiker“ (ebd.). Dieser spontanen, unreflektierten Niederschrift verdanken Ritters Notizen ihre „Ehrlichkeit, Naivität, u. oft auch Kühnheit“. (An Oersted, 31.3.1809; Harding, S.228.) Der private, bloß vorläufige Charakter dieser Aufzeichnungen ist auch die Ursache dafür, daß Ritter sie ungeordnet niederschrieb: In den Papieren des Verfassers folgten sie sich gewöhnlich in der buntesten Reihe, und zuweilen schien es, als habe er an Einem Tage die ganze Schöpfung bedenken wollen, und keinesweges nach der Ordnung, sondern wie es ihm eben ein-, oder die Gegenstände in der Natur, selbst durcheinander liegend, ihm, menschlicher Weise, eben auffielen; selbst Possen kamen mitunter vor, die indeß blos die Stelle von Punkt und Komma vertreten zu wollen schienen. Manchen Tag muß die Feder ihm gar nicht aus der Hand gekommen seyn, denn vier oder fünf, ja bis sieben Bogen, finde ich zuweilen an Einem geschrieben. („Der Herausgeber“, S.LXXXVII.)

Aus diesem umfangreichen und heterogenen Material stellen die 700 gedruckten Fragmente nur eine kleine Auswahl dar: „Es wird überhaupt blos der fünfzehnte oder auch nur der zwanzigste Theil des gesammten vorgefundenen Vorraths seyn, den ich hier mittheile, und ich muß gestehen, daß ich bey der Auswahl eben nicht sehr strenge war, und manche Fragmente aufnahm, ich weiß selbst nicht, warum“ (ebd., S.LXXXVIIf.). Allergrößten Wert legt Ritter darauf, daß die Authentizität seiner Notizen gewahrt bleibt. Der ‚Herausgeber‘ betont, daß er lediglich viele, die ihm „zu verständlich“ schienen, „oder deren Gegenstände schon zu gemein geworden waren“, übergangen habe, im übrigen aber „schlechterdings kein Wort anders geben wollte, als wie es beym Verfasser geschrieben stand“ (ebd., S.LXXXIXf.). Ähnlich war Ritter schon bei der Veröffentlichung seiner dreibändigen Aufsatz-

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sammlung Physisch-chemische Abhandlungen in chronologischer Folge (1806) verfahren; dort hatte er selbst Irrtümer bewußt wiederabgedruckt, denn „Es soll nicht bloss eine Sammlung meiner Schreibereyen werden; es wird eine Art von literarischer Selbstbiographie !…". Ich corrigire daher nichts, sondern kritisire erst am Ende, auch nicht auf einmal.“ (An Oersted, 2.2.1806; Harding, S.147.) Um die „innere Geschichte“ („Der Herausgeber“, S.XII) des Verfassers nachvollziehbar zu machen, hat Ritter bei einem großen Teil der Fragmente das Jahr, zuweilen auch das genaue Datum, ihrer Entstehung angemerkt (ebd., S.XIf.). In seiner Monographie über Friedrich von Hardenberg, Novalis der Romantiker (1901), vermutet Ernst Heilborn, Ritters nachgelassene Fragmente seien wesentlich von Novalis beeinflußt. Tatsächlich besaß Ritter „eine Menge chemische, physische, physiologische und dichterische Fragmente“ von Novalis, wie er am 5.8.1808 Karl von Hardenberg (1776–1813), dem Bruder des Verstorbenen, mitteilte (Klemm, S.46). Indessen wird es angesichts des vielfältigen Gedankenaustauschs im symphilosophierenden Kreis der Frühromantiker schwer fallen, solche Einflüsse oder auch Einflüsse Ritters auf Hardenberg konkret nachzuweisen. Zu Vieles wurde in den Jahren um die Jahrhundertwende gemeinsam diskutiert oder lag unspezifisch ‚in der Luft‘, als daß es sich dem jeweiligen Urheber peinlich genau zuordnen ließe. Daß die Betroffenen selbst nicht immer darüber erfreut waren, zeigt z.B. eine Passage im Brief Achim von Arnims an Clemens Brentano vom 27.12.1803, in dem er sich rückblickend beklagt: „Ich konnte fast nichts denken in der Physick, !…" was nicht zu gleicher Zeit Ritter Schelling oder andere bekannt machten; ja viele Arbeiten habe ich zerrissen weil sie mir zuvorkamen!“ (Freundschaftsbriefe, S.184). Ritter selbst hatte die Erfahrung gemacht, daß andere Forschungsergebnisse publizierten, die er selbst ihnen zuvor mitgeteilt hatte, und warf insbesondere Schelling vor, „litterarischen Diebstahl“ bei ihm begangen zu haben. (Karoline Herder an Georg Müller, 28.3.1803. In: Karoline Herder, hg. von W.Dobbek, Weimar 1963, S.213.) Andererseits sah sich Ritter aber auch seines „Eignen Besten wegen“ dazu gezwungen, Schellings Schriften nicht mehr zu lesen, um sich seine geistige Unabhängigkeit zu wahren. (An Oersted, 16.8.1805; Harding, S.119.)

Wirkung Es scheint, als habe die Einleitung des ‚Herausgebers‘ größere Resonanz hervorgerufen, als die Fragmente selbst. Die Herausgeber-Fiktion war zumindest für Ritters Umgebung nicht schwer zu durchschauen. Die autobiographische Vorrede weckte daher im Bekanntenkreis des inzwischen Verstorbenen die Erwartung skandalöser Enthüllungen, die sie jedoch nur zum geringsten Teil erfüllen konnte. Achim von Arnim schrieb schon am 29.9.1809 an seine spätere Frau Bettine Brentano: „Von Ritter ist seine Lebensbeschreibung erschienen, ist er aufrichtig, so muß es ein sehr unterhaltender Skandal sein. (Achim von Arnim und die ihm nahestanden, hg. von Reinhold Steig und Hermann Grimm, Stuttgart 1894–1904, Bd.2, S.335.) Walter Benjamin zählte diese autobiographische Skizze zur „be-

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deutendsten Bekenntnisprosa der deutschen Romantik.“ (Deutsche Menschen, Frankfurt am Main 1962, S.51.) Goethe notierte in seinem Tagebuch am 24.2.1810, Ritter habe „sein Tagebuch supplirend verfälscht“ (WA III4, S.98). Eine überwiegend positive Besprechung der Fragmentsammlung veröffentlichte Arnim in den ‚Heidelbergischen Jahrbüchern der Literatur‘ (3.Jahrgang, I.Abt., 2.Bd., Heft 9 (1810), S.116–125), wobei er sich vor allem mit der Persönlichkeit Ritters beschäftigt und die (auto)biographische Einleitung des ‚Herausgebers‘ als „rührende! " Selbstbekenntnisse des frühverstorbenen geistreichsten Physikers unserer Zeit“ (S.116) würdigt. Auf die Fragmente selbst kommt Arnim erst gegen Ende seiner Rezension zu sprechen: !…" zu Betrachtungen geben diese Fragmente besonders in dem Verhältnisse zur allgemeinen Entwickelung der Naturkunde reichliche Veranlassung, welch’ eine Mannigfaltigkeit gegen die Agenda des Saussure, welch’ eine gemeinschaftliche Liebhaberey mit Lichtenberg, das Weltall zu organisiren und mit uns in vertraulichere Bekanntschaft zu bringen, welch’ ein scharfsinniges Benutzen der Philosophie, ohne sich ihr je zu ergeben, frey fügt sich sein Geist in alle Methoden, doch vor allem braucht er die der Ausnahmen, um zu einem neuen Gesetze zu gelangen, wer diese Fragmente gelesen, und noch von Lufttheilchen, Wassermolekülen und Wärmepartikeln spricht, mag sich nur immer für alle heutige Physik aufgeben, in keinem Schriftsteller hat sich die neuere organische Physik so herrlich verkündigt. (Ebd., S.124.)

Arnim weist den Leser besonders auf die zehnte Abteilung der Fragmente hin; dieser Abschnitt „über thierischen Magnetismus ist wohl das herrlichste, was bis jetzt über seine höhern Verbindungen gesagt, und was den Geist des Verf. besonders charakterisirt, er spricht nicht aus eigenthümlich neuen Erfahrungen so neu und herrlich darüber, sondern aus den bekannten Erscheinungen. Der Leser mag ihn hier mit Schubert in dem sonst lesenswerthen Buche über die Nachtseite der Naturwissenschaft vergleichen“ (ebd.). Die Angemessenheit der fragmentarischen Form für den (natur)wissenschaftlichen Gedankenaustausch erkennt der Verfasser einer anonymen Rezension in der Halleschen ‚Allgemeinen Literaturzeitung‘ vom 19.7.1810 (Nr.194, Sp.593–597) ausdrücklich an und verweist für diese Praxis auf renommierte historische Vorbilder: Es war schon früher die Sitte grosser Physiker, einzelne Gedanken, Ansichten, auch wohl nur Einfälle über Gegenstände ihrer Nachforschungen, zu deren Ausführung und Begründung ihnen gerade die nöthige Musse fehlte, oder alle Data noch nicht vorhanden waren, als Fragmente vorzulegen, und in Form von Fragen, Zweifeln u.s.w. neue Bahnen für künftige Nachforschungen anzuzeigen, und in ihnen den Keim niederzulegen, aus welchem sich bey besonnener und sorgsamer Pflege durch echte Geistesverwandte oft neue grosse Entdeckungen entwickelten. Wir erinnern unter den Aeltern an Baco, Neuton, unten den Neuern an Lichtenberg. Wie viel liegt nicht oft in einem einzelnen glücklichen Gedanken, dessen ganze Aernte verloren geht, wenn man ihn so schnell wieder vergehen lässt, wie er sich in glücklichen Augenblicken einer leichtern und vom System entfesselten Combination, schnell dem Geiste darbot. Eine Sammlung solcher Gedanken, Winke, wissenschaftlicher Ahndungen und Voraussehungen – wie sehr sie auch als blosse Fragmente und Miscellaneen erscheinen – möchte leicht einen viel höhern Werth haben können, als eine vollkommen systematische, in allen ihren Gliedern genau zusammenhängende, nach allen Kategorien sorgfältig durchgeführte Darstellung; die übrigens leer an Inhalt, leblos, nur für die Schule gemacht, über

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sie nicht hinaus wirksam wäre. Die vorliegenden Fragmente machen Anspruch auf einen solchen höhern Werth, und sie verdienen unstreitig in der Bibliothek der Wissenschaft eher eine Stelle, als manche Systeme und weitläufige Handbücher. (Sp.593.)

In einer kritischen Würdigung von Ritters Persönlichkeit weist der Rezensent auf den besonderen Status seiner Naturforschung, aber auch auf deren Gefahren hin; Ritter war demnach kein blosser Schüler der Compendien, in den ausgetretenen Fusstapfen sich gefallend; auch kein blosser Experimentenmacher, nach neuem Schein bloss haschend, sondern ein Eingeweihter der Natur, der nach ihrem tiefern Sinn forscht, und dem seine Wissenschaft zugleich Religion ist. Aber sie ist es ihm in gewisser Hinsicht nur zu sehr. Für die Religion gehört der Glaube, in ihrem Gebiete duldet man allenfalls noch Schwärmerey und Mysticismus, das Gebiet der Wissenschaft sollen aber diese nicht verdunkeln. Und doch sind es beide, die den Vf. auf seiner Laufbahn der Wissenschaft vom Anfange an begleiten, und ihn häufig dem sichern festen Grunde der wissenschaftlichen Forschung entrücken, und in die luftigen Regionen der Dichtung und selbst der Phantasterey emporheben. Nicht ein Baco, Galilei und Newton waren seine sichern Führer, sondern ein Novalis und Herder weihten ihn in die wahren Mysterien der Natur-Erkenntniss ein. !…" unstreitig starb R. als Märtyrer der Wissenschaft. (Ebd., Sp.595.)

Dieser Einschätzung entsprechend schwankt auch die Beurteilung von Ritters Fragmenten zwischen der Anerkennung ihrer „geniale!n" Ansicht der Natur, !…" glücklichen und sinnreichen Combinationen, welche theils überraschende Resultate, theils höchst interessante Andeutungen für künftige Untersuchungen gewähren“ und „Spielereyen des Witzes, !…" Verirrungen der Phantasie, !…" Streben nach einem Wissen, das dem menschlichen Geiste unerreichbar ist, !…" Mysticismus“ (ebd., Sp.594). Ähnlich ambivalent urteilt der Rezensent in seiner Übersicht über den Inhalt der fünfzehn Abteilungen der Ritterschen Fragmente: Die 700 Fragmente !…" sind begreiflich von sehr ungleichem Werth, viele ganz abgerissene Sätze, hingeworfene Gedanken; doch manche auch ausführlicher, ihren Gegenstand mehr erschöpfend und in ihrer Aufeinanderfolge ein Ganzes bildend. In vielen liegen treffliche Winke und Andeutungen zu Experimental-Untersuchungen, die noch eine reiche Aernte versprechen, und demjenigen zum Leitfaden dienen können, der nur den allgemeinen Trieb zum Experimentiren hat !…" I.1–177. Ueber die allgemeinen Eigenschaften und Kräfte der Materie, Physik und Chemie im Allgemeinen. Vorzüglich interessant waren uns Fr.29. 40. 41. 44. 49. 55–58. 77. 100–105. 117. 130. 132. 142. 153. 156–163 und 174. Viele Fragmente in diesem Abschnitte sind aber auch blosse Spielereyen, Schwärmereyen, uns unverständlich und oft ganz ohne Sinn. Z.B. Fr.81. !…" Fr.82. !…" Fr.128 !…" Fr.129. !…" II.178–213. Chemischen Inhalts, vorzüglich über Oxydation und Wasserzersetzung, ohne Ausnahme interessant, gehaltvoll, und von den sichern Bahnen der Analogie und Combination sich nicht verirrend. !…" III.216–233. Ueber Wärmeverhältnisse der Körper, durchaus lesenswerth. IV.234–286. Ueber Lichtverhältnisse. Manche glückliche Bemerkung; aber hier wieder viel schwärmerisches !…" V.287–321. Ueber Elektricität. Grösstentheils des Aufbehaltens werth. !…" VI.322–352. Ueber Galvanismus. !…" VII.Fr.353–366. Ueber Schall. !…" Zweytes Bändchen. VIII.367–388. Ueber Magnetismus. Hier viel Schwärmerisches !…" IX.389–461. Ueber Leben und Organisationen. Weniger bedeutend von Fr.389–418. Dann aber nach 1800. voll Schwärmerey, und seltsamer Combinationen. !…" X.462–480. Ueber thierischen Magnetismus, Schlaf, Willen. Für uns grösstentheils unverständlich, und mystisch. XI.481–504. Ueber Liebe, Zeugung, den Unterschied

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von Mann und Weib. Seltsame, dem schlichten Menschenverstand anstössige Gedanken – Ausschweifungen. XII.505–556. Astronomischen Inhalts. Hie und da ein glücklicher Versuch die Astronomie aus der Sphäre des todten Mechanismus in die eines höhern Lebens zu versetzen. XIII.557–598. Ueber Gott, Freyheit, Vernunft. !…" XIV.599–624. Biblische Gegenstände und Mysterien der Religion betreffend. Nach unserm Gefühl wahrhaft aberwitzig, und alle übrigen Verirrungen dieser Schrift weit übersteigend. XV.625–700. Miscellaneen. Mancher sinnvolle Gedanken. Das Fr.645. in welchem der Vf. von den schönsten Gedanken sagt, dass sie oft nichts als Seifenblasen seyen, lässt sich zwar auch auf sehr viele dieser Fragmente anwenden; doch sind auch Seifenblasen Stoff für ernste Betrachtung, und so wird auch das bunte Gedankenspiel des Vfs. zu etwas mehr als einer blossen Unterhaltung dienen können, wenigstens dem, der diese Fragmente nicht bloss einmal in die Hand nimmt, sondern sie, wie der Herausgeber wünscht, als Taschenbuch mit sich führt, oft auf dieses oder jenes Fragment zurück kommt, bis ihm ein glücklicher Augenblick den Sinn der ihm bisher unverständlichen, selbst thöricht scheinenden Sätze aufschließt, da wohl angenommen werden darf, dass sie dem Vf. selbst im Licht der Wahrheit erschienen, doch nur mit Strahlen, die er nicht zur Reflexion zu bringen vermochte. (Sp.595–597.)

Struktur und Gehalt Die Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers erschienen in zwei „Bändchen“; in seinem Geleitwort, das „Der Herausgeber“ überschrieben ist, entwirft Ritter eine autobiographische Skizze. Ein Anhang beschäftigt sich mit akustischen und elektrischen Schwingungen und mündet in Spekulationen über Sprache und Schrift. Einen Eindruck von der thematischen Vielfalt der Fragmente gibt Ritter, wenn er Oersted verspricht, er werde „sie schon höchst reichhaltig finden; es sind fast eben so viele Themata zu grossen Abhandlungen, als es Fragmente sind, u. häufig sind sie selbst von der Art, dass wohl sie niemand noch Thema waren. Indessen sind sie auch nicht blos physikalisch, sondern mehrere separirte Abtheilungen blos dem Scherz u. Wiz gewidmet. Zwischen ihnen befinden sich auch religiöse, u. Gegenstände der Kunst betreffende. Die zum Schall, Ton u. Musik gehörigen werden dich namentlich besonders unterhalten“ (31.3.1809; Harding, S.228f.). Ritter ordnet seine Fragmente thematisch und verteilt sie auf fünfzehn Abschnitte, „aber auch diese Scheidung ist keineswegs scharf,“ bemerkt dazu der ‚Herausgeber‘ in seiner Einleitung, „und war auch so nicht möglich, da Ein Fragment oft in die Gegenstände mehrerer Abtheilungen überschweift, zerrissen aber der Zusammenhang verloren gegangen wäre. Am mindsten scharf sind die Grenzen der vorletzten Abtheilung gehalten, und manchmal kann es wohl kommen, daß man dort manche Nachbarschaft ganz unverständlich findet; man verliert aber damit nicht viel; es kommt im Grunde blos daher, daß ich nicht noch mehr Abtheilungen machen wollte“, erklärt Ritter („Der Herausgeber“, S.LXXXVIII). Im einzelnen beschäftigen sich die Fragmente mit Mechanik (RF1–177), Chemie (RF178–215), mit Wärmelehre, Dynamik, Kräfte- und Bewegungslehre (RF216– 233), mit Optik (RF234–286), statischer Elektrizität (RF287–321) und Galvanismus (RF322–352), mit Akustik (RF353–366), Magnetismus (RF367–388),

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Physiologie (RF389–461), tierischem Magnetismus (RF367–388), mit einer Theorie der Geschlechter (RF481–504), mit Astronomie (RF505–556), Philosophie (RF557–598), Kunst und Religion (RF599–624), die letzte Abteilung (RF599–700) vereint eine bunte Folge von Fragmenten zu heterogenen Themen (Wetzels, Physik, S.59). Innerhalb der einzelnen Kapitel sind die Fragmente chronologisch angeordnet. Ritters besonderes Interesse gilt dem Galvanismus, in dem er die Grundkraft für physikalische, chemische und physiologische Vorgänge erblickt (Specht, S.194–199); ferner beschäftigt er sich mit Magnetismus, mit Licht, Wärme, Schwere und mit Oxydationsprozessen, die durch Lavoisiers Forschungen in den Mittelpunkt des naturwissenschaftlichen Interesses gerückt waren. In zahlreichen Fragmenten spekuliert Ritter über die beiden Urelemente Wasser (z.B. RF18, 37, 40f., 60, 65f., 71, 89, 95, 125, 127, 143, 176, 451) und Eisen (RF4, 51f., 61, 66f., 71, 73, 89, 98, 128, 138, 367, 371–374, 376, 437, 451, 462, 547f., 627). Die Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers sind Ausdruck eines eigentümlichen Denkens in Analogien (z.B. RF67, 83a und 83b). Ritter faßt die gesamte Natur als eine organische Einheit auf, in der „Alles !…" eine große Scale“ (RF78) bildet. Das dynamische Element in dieser vom Organismus-Denken bestimmten Weltsicht stellt das Prinzip der Polarität dar (vgl. hierzu RF26, 88, 176). In seiner Einleitung hält Ritter eine Warnung für angebracht: „manche Fragmente selbst wird man nicht verstehen“ („Der Herausgeber“, S.LXXXVIII). „Nicht, als ob Zusammenhang darin fehlt, sondern, um des Gegenstandes, und der Höhe und Art seiner Ansicht wegen. !…" Aber gleich vor- und nachher standen oft wieder verwandt!e", die vollkommen klar waren, und so dachte ich, müßten es ihm !dem Verfasser" wohl auch jene in der Mitte gewesen seyn, und ich befände mich nur gerade nicht auf der Höhe der Prämissen, und in der sie von selbst herbeybringenden Stimmung des Gemüthes, auf und in welcher der Verfasser war, als er sie schrieb“ (ebd., S.LXXXVIIIf.). Manche der scheinbar unverständlichen Texte erforderten eine seelische Gestimmtheit, die derjenigen des Verfassers gleicht, als er sie niederschrieb: „Mehrere z.B. werden sicher nur, wenn man verliebt ist, andere, wenn man liebt, verstanden, andere bei der höchsten, einfachsten Naturandacht, wieder andere, wenn man eben, wie man spricht, philosophirt, u.s.w.“ (ebd., S.LXXXIX). Ritter will den Leser der Fragmente „in die geheimere Werkstätte des Physikers“ führen. Er präsentiert keine perfekt ausgearbeiteten Gedankensysteme und keine stilistischen Meisterstücke, sondern bewußt Unfertiges, „Dinge !…", die ungemein menschlich sind“ (ebd., S.XCIII). Zu diesen unvollkommenen „Menschlichkeiten“ zählt der ‚Herausgeber‘ auch Fragmente, die einander widersprechen, „falsche Fragmente !…", zu denen gar keine Correctur mehr vorkommt“, und Fragmente, in denen lediglich „etwas recht Ordinäres über den Gegenstand gesagt“ wird (ebd., S.XCVf.), die jedoch den Leser anspornen können, sie durch originellere Gedanken zu überflügeln. Oft stellen Ritters Fragmente Gedankenexperimente dar, die es empirisch zu überprüfen gilt (Henderson, Novalis, Ritter and Experiment). Für solche Gedankenblitze wählt er häufig die Frageform (z.B. RF1, 4f., 7–12, 14–16, 18f., 22, 25, 27 u. ö.).

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Im übrigen „schneide man also heraus, was nicht gefällt oder stößt“, empfiehlt Ritter. „Sonst kann man ziemlich die ganzen Fragmente der letzten Abtheilung etwa ansehen, wie jene kleinen Bilderchen, die die Leute beym Bibellesen gebrauchen, sich die Evangelien und andere schöne Stellen damit zu zeichnen“ („Der Herausgeber“, S.XCVIIIf.). Die Unvollkommenheit seiner Fragmente empfindet Ritter keineswegs als Mangel, er erhebt sie vielmehr zum Programm seines Werks: Nichts weniger, als ein Ganzes, auch nur von niederem Grade, nicht einmal meist erste Anfänge dazu, kann dies Büchelchen Euch gewähren, und soll es, – wie Ihr wohl versteht, – auf keinen Fall auch nicht einmal. Nur wie eine unvollkommene und höchst unvollständige Sammlung der häufig schon halb wieder vertretenen Spuren, die ein nach vielen Richtungen beschäftigtes, und doch ewig dabey gestörtes und seitwärts abgezogenes, Gemüth, auf interessanten, oft ungewöhnlichen, Wegen hinterließ, soll es Euch erscheinen, und öfters werden diese Wege selbst belehrender seyn, als was auf ihnen, als Mark- oder Denkstein gleichsam, niederliegen blieb. !…" Was es aber, daß ich eine völlig treffende Beschreibung gebe, eigentlich ist, was ich Euch hier biete, wüßte ich selbst nicht in der Kürze zu sagen … Was es Euch werden wird, wird es seyn, – und vielleicht darf diese Vorrede auch dazu genommen werden. (Ebd., S.CXIV–CXVI.)

Läßt diese Passage erkennen, daß sich Ritter in seiner Auffassung vom Fragment Hardenberg nähert, so verweist das Motto des Buchs, 1.Kor.13,11–13 (und hier besonders der zwölfte Vers), auf Herders Grundlegung der Gattung aus dem Geist der spirituellen Schrift- und Weltexegese (Zinn, S.166f.). Die Nähe zu Novalis betont Ritter auch in seiner zusammenfassenden Charakterisierung im Brief an Oersted: „Im ganzen halten sie !die Fragmente" ohngefähr die Mitte zwischen denen von Novalis u. Lichtenberg“ (31.3.1809; Harding, S.228).

Stellenkommentar 1: 291,2f. Möchten wohl alle Körper ohne Wärme !…" unter einander haben?] Vgl. RF17 und Novalis, AB947. 2: 291,7 Cohärenz oder Cohäsion] Leopold Gmelin notiert in seinem Handbuch der theoretischen Chemie (1817) zum Stichwort ‚Kohärenz‘: „Diejenige Anziehungskraft, welche nur in unmeßbar kleinen Entfernungen zwischen ungleichartigen Körpern statt findet, und deren Erfolg ist Vereinigung der Körper zu einem ungleichartigen Ganzen, dem Gemenge, oder mechanischen Gemische, welches sich durch mechanische Kraft trennen läßt“ (S.19). ‚Kohäsion‘ erklärt er als „Diejenige Anziehungskraft, welche gleichartige Stoffe bei ihrer unmittelbaren Berührung gegen einander zeigen. Der Erfolg ihrer Wirkung ist die Vereinigung einzelner homogener Körper zu einem Ganzen von derselben Natur“ (S.5). J.W.Ritter veröffentlichte 1800 in L.W.Gilberts ‚Annalen der Physik‘ (Heft 4, S.1–33) Einige Bemerkungen über die Cohäsion, und über den Zusammenhang derselben mit dem Magnetismus. -- Dietzsch, Ritter, S.370. 3: 291,9 Zusammenhang, Cohäsion] Siehe Anm. 291,7 zu RF2 (‚Kohäsion‘).

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3: 291,9f. chemische Verwandtschaft] Der Begriff der Verwandtschaft ist in der Chemie des 18. Jahrhunderts von herausragender Bedeutung; sie gilt als Schlüssel zu den verborgenen Vorgängen der Natur (siehe Anm. 295,15 zu RF27 (‚Wahlverwandtschaft‘)). -- Hansen, S.86–91; Kapitza, Mischung, S.39–68. 3: 291,9–13 Zusammenhang !…" chemische Anziehung] Vgl. die Fortführung dieses Gedankens in RF5. 4: 291,14 Ist Eisen dasjenige Metall, aus dem alle übrigen !…" entstanden sind?] Diesem Fragment liegt möglicherweise die alchemistische Vorstellung vom Reifen der Metalle im Erdinnern zugrunde. Vgl. RF51f. -- Joachim Stieghahn, Magisches Denken in den Fragmenten Friedrichs von Hardenberg (Novalis), Berlin 1964, S.26. 5: 291,18 Licht, Wärme, Electricität, Galvanismus, Magnetismus] Gmelin unterscheidet „4 Classen“ von Stoffen, 1. Unwägbare Materien, wie Licht, Wärme, Electricität, Magnetismus. In ihnen herrscht offenbar die der Anziehungskraft entgegengesetzte Expansivkraft am meisten vor !…" 2. Wägbare elastische Flüssigkeiten, nämlich Luftarten und Dämpfe. In ihnen ist die wägbare Materie durch die Verbindung mit Wärme in einen so elastischen Zustand versetzt, daß !…" alle in ihnen bemerkbaren Eigenschaften ohne Annahme einer in ihnen wirkenden Cohäsion erklärt werden können !…" 3. Tropfbare Flüssigkeiten. Sie sind als Verbindungen wägbarer Materien mit kleineren Mengen Wärme zu betrachten !…" 4. Feste Körper. Bei ihnen zeigt sich die Cohäsion im höchsten Maaße. (Handbuch der theoretischen Chemie (1817), S.9.)

Vgl. über das Licht auch RF83b und siehe Anm. 300,27 zu RF55 über die ‚Imponderabilien‘ sowie 217,1 zu AB931 (‚Licht‘), 218,36f. zu AB947 (‚Galvanismus‘) und 63,38 zu A340 (‚Magnetismus‘). -- Dietzsch, Ritter, S.370. 5: 291,24f. Etwa so wären leuchtende, wärmende etc., Körper alle in Vergleich zu setzen mit dem Weltsystem] Vgl. zum Gedanken der Entsprechung von Mikro- und Makrokosmos RF67, 83f., 102, 124f., 128, 137, 420, 513, 688. Siehe Anm. 127,19–21 zu PhL [II] 488. 5: 292,2f. die Gesetze, die Newton an der allgemeinen Schwere beobachtet hat] Vgl. RF25 und 83. 5: 292,3f. ohne solche partielle Anziehungen würde gewiß wohl keine chemische Verwandtschaft statt finden] Siehe Anm. 291,9f. zu RF3 (‚Verwandtschaft‘). 6: 292,14 Niederschläge] Vgl. das folgende Fragment und siehe Anm. 154,26f. zu BL96 (‚Präzipitation‘). 7: 292,23 Niederschläge] Vgl. RF6. 9: 292,30f. daß die chemischen Verwandtschaftsfälle vor Zeiten anders, als jetzt, gewesen seyn mögen] Vgl. hierzu Novalis, FNS478: „Einfluß der Zeit auf die chémischen Verwandtschaften“; weitere Beispiele für eine historisierende Betrachtungsweise der Natur finden sich in RF4, 81, 95f., 140, 171, 176, 625 u. ö. Siehe Anm. 291,9f. zu RF3 (‚Verwandtschaft‘). 10: 292,37 mechanische Adhäsion] Das „Anhaften“ zweier verschiedener, flüssiger oder fester Stoffe oder Körper aneinander im Unterschied zu Kohäsion (siehe Anm. 291,7 zu RF2). L.Gmelin erklärt den Begriff in seinem Handbuch der theoretischen Chemie (1817) als „Diejenige Anziehungskraft, welche

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nur in unmeßbar kleinen Entfernungen zwischen ungleichen Körpern statt findet, und deren Erfolg Vereinigung der Körper, zu einem ungleichartigen Ganzen ist, welches, zum Gegensatz von Gemisch, Gemeng genannt wird“ (S.12). 12: 293,4–7 kohlensaure Kalkerde !…" reine Kalkerde] Kalziumkarbonat und Kalziumoxid (gebrannter Kalk). 13: 293,9–11 Ein rein dynamisches System !…" Bewegungen?] Bei der hier thematisierten „Überbietung des an die Quantität der Körper gebundenen Bewegungsbegriffs der Mechanik durch den ‚dynamischen‘, aus ihrer Qualität entwickelten der Chemie“ (Müller, Prozeß, S.652) handelt es sich um ein Leitmotiv der Ritterschen Forschungen; vgl. z.B. seinen Beweis, daß ein beständiger Galvanismus den Lebensprocess im Thierreich begleite, Weimar 1798, S.172f. 14: 293,20 afficirte] Reizte, regte an, wirkte ein. 15: 293,22f. Wir sagen: die Kraft der Anziehung sei überall der Quantität der Materie proportional] Newtons erstes Gravitationsgesetz besagt, daß die Kraft, mit der sich zwei Massen anziehen, dem Produkt der Massen direkt und dem Quadrat ihrer Entfernung umgekehrt proportional ist. 16: 293,32f. Vielleicht, daß Electricität eben die Wirkung auf Abänderung der chemischen Verwandtschaftsgrade hat, wie Wärme] Vgl. RF1 und siehe Anm. 291,9f. zu RF3 (‚Verwandtschaft‘). 16: 293,34 Galvanische Versuche] Siehe Anm. 218,36f. zu AB947. 16: 293,38 Wirkt der Magnet verschieden durch Körper] Siehe Anm. 63,38 zu A340 über das zeitgenössische Interesse am Magnetismus. 17: 294,1f. Ein warmer Körper muß für eine ganz andere Materie angesehen werden, als ein kalter desselben Namens] Vgl. RF1. 18: 294,10f. Giebt Wasser von 32° Fahrenheit mehr oder weniger Tropfen, als Wasser von 40° Fahr.?] 40° F entspricht 0° C, 32° F 4,4° C. – Der Physiker Gabriel Daniel Fahrenheit (1686–1736) baute 1714 die ersten Quecksilberthermometer mit eigener Gradeinteilung. 18: 294,12 Weingeist] Reiner Alkohol (Äthanol). 18: 294,12 Auf Veranlassung Lichtenberg’s bei de Luc] Jean André Deluc (1727–1817) forschte u.a. im Bereich der Wärmelehre und der Meteorologie. Ritter arbeitete an einer „Kritik von de Luc’s neuern physikalischen Werken“ (vielleicht die sechsbändigen Lettres physiques et morales sur l’histoire de la terre et de l’homme (1778–1800) und den Traité elémentaire sur le fluide électro-galvanique (1804)), wie er H.C.Oersted am 6.9.1805 mitteilt (Harding, S.127). In seiner Notiz bezieht sich Ritter auf Delucs Idées sur la météorologie, Bd.1, Paris 1787, S.183–187; dort teilt dieser einen Brief Lichtenbergs vom 21.3.1785 mit, der ihn zu einer Untersuchung der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten bei verschiedenen Temperaturen anregte: Comme vous avez tant fait d’Expériences sur les Expansions comparatives des Liquides par la Chaleur, avez-vous jamais pensé à une méthode de mesurer aussi la fluidité? L’autre jour il me passa une idée par la tête, qui dans des mains plus habiles que les miennes pourroit conduire à quelque chose de curieux. Je trouvai, que la même quantité d’Eau chaude donnoit un beaucoup plus grand nombre de gouttes que lorsqu’elle est froide; ce qui est indubitablement dû à une plus gande fluidité. Cela s’apperçoit

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plus encore dans l’Huile. Mais regardant la Chaleur, si-non comme la seule, du moins comme la principale Cause de la fluidité, la Question est de savoir, si cette Chaleur, qui s’emploie à rendre le Liquide plus fluide, ne devient pas latente, ou perdue pour le Thermomètre. (Vgl. auch Georg Christoph Lichtenberg, Briefwechsel, hg. von Ulrich Joost und Albrecht Schöne, Bd.3: 1785–1792, München 1990, S.71f.)

19: 294,13–15 Giebt eine bestimmte Menge Wasser im luftleeren Raum mehr oder weniger Tropfen !…" derselben Temperatur?] Vgl. die vorige Aufzeichnung. 20: 294,16f. Der specifisch leichteste Körper hat die stärkste Verwandschaft zum Sauerstoff !…" (Wasserstoff und Platina.)] Vgl. RF72. Siehe Anm. 291,9f. zu RF3 (‚Verwandtschaft‘). 21: 294,18f. Ist das ganze Phänomen der Cohärenz (Adhäsion) nicht dem partiellen dynamischen Prozeß, dem electrischen, zu verdanken?] Siehe Anm. 291,7 zu RF2 (‚Kohärenz‘) und 292,37 zu RF10 (‚Adhäsion‘). 22: 294,26–28 Wie würde sich wohl die Stärke der Cohärenz !…" in geschlossenen Ketten mit einander cohärirten] Siehe Anm. 291,7 zu RF2 (‚Kohärenz‘) und 219,12 zu AB953 über die galvanische Kette. 23: 294,34f. Thetische Einheit] Behauptend, setzend, dogmatisch. 23: 294,35 Feuer, Licht, die Naturbande, Electricität, u.s.w.] Siehe Anm. 217,1 zu AB931 (‚Licht‘) und 291,24f. zu RF5 über die Analogie zwischen ‚kleiner‘ und ‚großer‘ Welt. 23: 294,38 Totum] Ein Ganzes. 24: 294,41f. Feste Körper !…" tropfbar flüßige !…" elastisch flüßige] Siehe Anm. 291,18 zu RF5. 26: 295,3 Beweis für die absolute Polarität in der Natur] Vgl. RF88. 27: 295,9–11 Wenn der Sauerstoff !…" selbst schon ein Oxyd eines Oxydirbaren ist !…" der Erde selbst?] Lavoisier widerlegte die Phlogiston-Theorie, indem er das Phänomen der Oxydation als Aufnahme von Sauerstoff durch den oxydierten Stoff deutete (siehe Anm. 300,33 zu RF55 (‚Phlogiston‘)). Joseph Priestley, der zu Lavoisiers Entdeckung beigetragen hatte, hielt dagegen an einer modifizierten Phlogiston-Theorie fest und deutete den Sauerstoff als ‚phlogistisierte‘ Luft. -- Dietzsch, Ritter, S.373. 27: 295,15 in jeder Verbrennung doppelte Wahlverwandtschaft] ‚Wahlverwandtschaft‘ ist die Übersetzung des von dem Schweden Torbern O. Bergman (1735–1784) geprägten Ausdrucks attractio electiva, der das Bestreben von Körpern bezeichnet, sich miteinander zu vereinigen, obwohl sie schon mit anderen verbunden sind. Gren erläutert den Begriff in seinem Handbuch der Chemie: „Die Verwandtschaft der Körper dient auch der Zerlegung derselben. Hieher gehört der Fall, wo ein dritter Stoff sich mit einem von zwei verbundenen vereinigt, und den anderen sich abzuscheiden nötigt. Dies nennt man eine Wahlverwandtschaft.“ (Bd.1, S.46f.; zitiert nach Kapitza, Mischung, S.47.) Vgl. auch Gmelin, Handbuch der theoretischen Chemie (1817), S.36–43 und siehe Anm. 291,9f. zu RF3 (‚Verwandtschaft‘). -- Kapitza, Mischung, S.46–53. 28: 295,18 der für uns ponderable Theil] Ponderabel: wägbar. 28: 295,18 Residuum] Rückstand.

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28: 295,19 Ponderabilität] Wägbarkeit. 29: 295,28 Dianenbaum] ‚Diana‘ ist eine alte Bezeichnung für Silber. Vgl. L.Gmelin, Handbuch der theoretischen Chemie (1817): „Metalle, allmälig durch Zersetzung ihrer Auflösung abgeschieden, bilden häufig, unter Mitwirkung der galvanischen Electricität krystallinische baumähnliche Massen, Metallbäume, Metallvegetationen, Bleibaum, Zinnbaum, Dianenbaum“. – In seiner Nachricht von der Fortsetzung seiner Versuche mit Volta’s Galvanischer Batterie (in Johann Heinrich Voigts ‚Magazin für den neuesten Zustand der Naturkunde‘, 4 (1800), S.614f.) berichtet Ritter von einem Versuch mit einer „sehr starken Batterie von 600 Lagen“ in der sich ein Dianenbaum „von 4,6 und mehr Zoll Länge“ entwickelte, und „dessen Äste sich wenig verzweigten, sondern, in gedrängter Consistenz, und dem reinsten Glanze, in ihrer Mitte einen Stamm erhielten, der durch keine Fortsetzung unterbrochen wurde“. Einen ähnlichen Versuch, bei dem sich aus Bleiacetat ein „Bleibaum“ abschied, beschreibt Ritter im ‚Allgemeinen Journal der Chemie‘, hg. von A.N.Scherer (1801; Bd.3, S.561). Vgl. RF31 über ‚Metallbäume‘. – Das zeitgenössische Interesse an derartigen Kristallkonfigurationen hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß man diese ‚metallischen Vegetationen‘ als Übergangsphänomene von der anorganischen Materie zu organischen Strukturen betrachtete. (Margrit Wyder, Goethes Naturmodell. Die Scala Naturae und ihre Transformationen, Köln, Weimar, Wien 1998, S.189–192.) 29: 295,33 dem präcipitirenden Kupfer] Dem ausgefällten Kupfer; vgl. RF31 und 42. Siehe Anm. 154,26f. zu BL96 (‚Präzipitation‘). 29: 295,34 Weingeist] Siehe Anm. 294,12 zu RF18. 29: 295,36 Dendriten] „Auf Kluftflächen von Sand- und Kalkstein durch Ausscheiden von Metalloxiden aus eindringenden mineralischen Lösungen entstandene baum-, strauch- oder moosförmige Zeichnungen. Ritter dehnt die Verwendung dieses Ausdrucks auf die bei galvanischen Experimenten zu beobachtenden baum-, draht- oder haarförmigen Metallabscheidungen aus“ (Dietzsch, Ritter, S.372). 29: 295,39 essigsaures Bley] Bleiacetat. 29: 295,41 Wirkung in die Ferne] Diesen für die zeitgenössische Naturphilosophie bedeutsamen Terminus erläutert Kant in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft (1786): „Die Wirkung einer Materie auf die andere außer der Berührung ist die Wirkung in die Ferne (actio in distans). Diese Wirkung in die Ferne, die auch ohne Vermittelung zwischen inne liegender Materie möglich ist, heißt die unmittelbare Wirkung in die Ferne, oder auch die Wirkung der Materie auf einander durch den leeren Raum.“ (KA9, S.A59.) Vgl. zu diesem Begriff auch Schelling, Von der Weltseele (1798), S.XIIIf. 29: 295,41 Präcipitation] Ausfällung (siehe Anm. 154,26f. zu BL96). 29: 296,1f. Newton’s ‚Apfel‘] Isaac Newton (vgl. RF5) soll 1666 durch einen fallenden Apfel das Gravitationsgesetz entdeckt haben. Vgl. RF83. 29: 295,28–296,3 Schon längst !…" beym chemischen Proceß?] K.Röttgers (Symphilosophieren, S.114–116) arbeitet das die romantische Naturforschung kennzeichnende Verfahren dieses Fragments heraus, dessen Gedanken die beiden folgenden Aufzeichnungen RF30 und 31 fortführen; Ritter

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bringt nämlich ausprobierend den Gedanken der chemischen Fernwirkung bei der Bildung von Metallbäumen nacheinander mit folgenden Sachverhalten in Verbindung: Phänomene der Verteilung von Elektrizität (d.h. diese Fernwirkung wird – genial möchte man sagen – mit der Fernwirkung in Verbindung gebracht, die wir nach der Ablösung des mechanistischen Denkens als ‚Feld‘ bezeichnen). !…" Dann !in RF31" wird der Präzipitationsgedanke auf physiologische Assimilation u.ä. angewendet, auf Aderbildungen im Bergwerk, auf das ‚Anschießen‘ von Wärme beim Durchgang von Licht durch Körper. !…" Wenn Präzipitation auf das Weltall Anwendung findet, dann muß es eine für uns vielleicht nicht sichtbare Stelle geben, an der das Weltall fortwächst wie die Spitze eines Dianenbaums. !…" Auch das seit Locke in der Psychologie erforschte Phänomen der Ideenassoziation wird für Ritter als Präzipitation in der Lösung ‚Gehirn‘ in Form des ‚Anschießens‘ von Ideen darstellbar. Nachdem er nämlich die Ideenassoziation mittels Analogiebildung eine Weile fortgetrieben hat, erkennt Ritter, daß auch sie nichts anderes ist als eine Präzipitation, oder umgekehrt: Silberdendriten sind Formen von Ideenkonfigurationen der Natur selbst.

30: 296,4f. daß nur Electricitätsleiter bey ihren Niederschlagungen Dendriten geben] Siehe Anm. 295,36 zu RF29 (‚Dendriten‘). 30: 296,5f. Braunsteinoxyd] Eine Sammelbezeichnung oxidierter Manganerze. 31: 296,8f. mit meiner Entdeckung über Metallpräcipitationen] Ausfällung eines Metalls. Vgl. RF29f. und 42. Siehe Anm. 154,26f. zu BL96 (‚Präzipitation‘). 31: 296,11f. die Propagation des venerischen Gifts] Propagation: Vermehrung. Die von Johann Georg Krünitz begründete Oekonomische Encyclopädie oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft, 242Bde., Berlin 1773–1858 erläutert in Band 204 (1851) unter dem Stichwort ‚Venerisches Gift‘: „in der Medizin, ein scharfes, fressendes, den Körper zerstörendes Gift, welches in einem unreinen Beischlafe durch Ansteckung erhalten wird;“ und ergänzend hierzu im Artikel ‚Venerisch‘: „es sind mehrere Krankheiten, die ein eigenthümliches Gift bei sich führen, das sich nach Graden steigert, wenn man nicht gleich die dazu dienlichen Mittel anwendet. Diese Krankheiten erzeugen sich an den Geschlechtstheilen !…" beider Geschlechter, sind erst mehr örtlich, nehmen aber bald einen entzündlichen Charakter an, und theilen sich bei einiger Vernachlässigung dem übrigen Körper mit, und da das Gift ein nagendes, fressendes ist, so zerstört es die edelsten Theile unter unsäglichen Schmerzen, besonders in der Nacht“ (zitiert nach Krünitz online). 31: 296,12f. von Marums Oxydation der Metalle in Irrespirabilien] Der niederländische Naturforscher Martin van Marum (1750–1837) untersuchte u.a. Oxydationserscheinungen und verfaßte ein Werk Over de gephlogistiseerde und gedephlogistiseerde Luchten (1781; „Über phlogistisierte und dephlogistisierte Luft“). – Irrespirabilien sind nicht atembare Gase, hier wohl Ammoniak. -Dietzsch, Ritter, S.372f. 31: 296,21 Ramificationen] Verzweigungen. 31: 296,21 Metallbäumen] Siehe Anm. 295,28 zu RF29 (‚Dianenbaum‘). 31: 296,31 Kann man wohl Brennspiegel für Electricität erfinden?] Ähnliche Gedanken formuliert Ritter in RF34, 54 und 251. 31: 296,34f. So ist die ganze Welt sich Auge, überall Retina und Licht-

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strahl] Vgl. AB1007 und siehe Anm. 142,6–8 zu BL9 über das Auge sowie 217,1 zu AB931 (‚Licht‘). 33: 297,4 Wahlzersetzung] Siehe Anm. 295,15 zu RF27 über das chemische Modell der Wahlverwandtschaft. Chemische Verbindungen können wieder gelöst werden, wenn ein neu hinzutretender Stoff zu einem der gebundenen Stoffe eine größere Affinität, einen höheren Grad der Verwandtschaft besitzt. -- Kapitza, Mischung, S.46. 34: 297,14 Bey den Metallkalken] Metalloxide. 37: 297,27 40° Fahrenheit] 4,4° C. 37: 297,28 Kompressibilität] Zusammendrückbarkeit, Verdichtbarkeit. 38: 297,31–35 Man sieht oft bey chemischen Processen !…" bewirkt werden] Zum hier beschriebenen Phänomen der Wahlverwandtschaft siehe Anm. 295,15 zu RF27. 40: 297,40f. Das Oel, ein Mittel, die Wogen des Meeres zu besänftigen, von J.F.W.Otto] Johann Friedrich Wilhelm Otto (1743–1814) macht in seinem Aufsatz Das Oel, ein Mittel die Wogen des Meeres zu besänftigen (‚Allgemeine Geographische Ephemeriden‘, II.Bandes 6.Stück, Dezember 1798, S.516–527) u.a. auf die antiken Wurzeln dieses „Seefahrerbrauchs“ (vgl. Plutarch, Quaest. nat. und Plinius, Historia Naturalis, Buch II, Kap.106) aufmerksam und stellt moderne, wissenschaftlich begründete Erklärungsversuche vor; für „am ungezwungensten, wo nicht ganz befriedigend“ hält er die folgende, die Ritter zu seinen weiterführenden Überlegungen anregte: Die Luft steht mit dem Wasser in einer Verwandtschaft, und beyde vereinigen sich, wenn sie mit einander in Berührung kommen, auf eine mechanische und chemische Weise. Es ist bekannt, dass sich im Wasser jederzeit Luft befindet, dass es unter der Glocke einer Luftpumpe davon befreyt werden kann, und dass, wenn das Wasser dem Zutritte der Luft wieder ausgesetzt wird, jenes davon eben so viel wieder verschluckt. Wenn daher eine Luftmasse auf eine Wasserfläche drückt, so verbindet sie sich mit dieser zum Theil, und treibt sie mit sich fort. Wird nun Oel auf das Wasser gegossen, so ziehen die Theilchen desselben sich einander stärker an, als sie sich mit dem Wasser oder der Luft verbinden. Durch die Lücke, welche das Oel auf der Fläche des Wassers bildet, wird die Berührung der Luft und des Wassers verhindert. Der Wind gleitet über seine Fläche hin, ohne in solche eindringen und sie zu Wellen erheben zu können. Die Verbreitung des Oels auf dem Wasser schreibt Franklin einer zurückstossenden Kraft beyder gegen einander zu. Das Unzulängliche dieser Erklärungsart fällt jedoch sehr bald in die Augen. wenn hier eine solche Kraft wirklich vorhanden wäre; wenn die Oeltheilchen gegen das Wasser eine zurückstossende, gegen sich aber eine anziehende Kraft äusserten; sie würden vielmehr abgesonderte Kügelchen bilden und indem sie das Wasser berühren, gleich zurück weichen, und sich gegen das Ufer, oder sonst einen festen Körper ziehen. So aber muss das Oel auf das Wasser gegossen, da es leichter ist als dieses, schwimmen, und nach hydrostatischen Gesetzen streben, sich in eine horizontale Lage auszudehnen, und es muss bloss wegen des stärkern Zusammenhangs seiner Theile unter einander eine ausserordentlich feine und ununterbrochene Schicht auf dem Wasserspiegel bilden. Diese Verbreitung setzt nun eine horizontale Wasserfläche voraus, daher scheint zu folgen, dass die ganze Kraft des Oels nur darin liege, die Entstehung neuer Wellen an dem Ort zu verhindern, wo es ausgegossen worden ist: dass es aber nicht im Stande seyn könne, diejenigen zu vernichten, welche einmahl ihre Bildung erhalten haben. (S.524–526.)

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40: 297,42 daß nämlich das Wasser zur Luft Verwandtschaft äußere] Siehe Anm. 291,9f. zu RF3 (‚Verwandtschaft‘). 40: 298,4 Stickgas] Zeitgenössische Bezeichnung für Stickstoff. 41: 298,15f. die Stärke der Cohäsion !…" Adhäsion] Siehe Anm. 291,7 zu RF2 (‚Kohäsion‘) und 292,37 zu RF10 (‚Adhäsion‘). 41: 298,16 Weingeist] Siehe Anm. 294,12 zu RF18. 42: 299,1–4 Kann sich wohl die Sphäre !…" bey der Metallpräcipitation zum ganzen Proceß?] Ein Proportionalvergleich in Frageform. Siehe Anm. 154,26f. zu BL96 (‚Präzipitation‘) und vgl. RF31 zur ‚Metallpräzipitation‘. 42: 299,6–8 das Unbekannte, was sich zum Resultat verhält, wie die Kupferstange zum Silberdendrit] Ein Proportionalvergleich. Siehe Anm. 295,36 zu RF29 (‚Dendrit‘). 43: 299,11 Cohäsion] Siehe Anm. 291,7 zu RF2. 44: 299,13 lacrymae batavae] „Als Glastränen oder Batavische Tropfen bezeichnet man in eine lange Spitze auslaufende Glastropfen, die man durch Eintropfen von geschmolzenem Glas in kaltes Wasser erhält. Wenn man die äußerste Spitze abbricht, zerspringt das Gebilde und zerfällt zu Staub“ (Dietzsch, Ritter, S.373). 44: 299,15 die Erscheinung von dem Springen des Gebürges um Ternate bey de Loys] Charles de Loys, Abrégé chronologique pour servir à l’histoire de la physique jusqu’à nos jours (1786–1789). Ritter bezieht sich in seinem Fragment auf die deutsche Ausgabe dieses Werks, Chronologische Geschichte der Naturlehre bis auf unsere Zeiten. Für Forscher und Freunde. Aus dem Französischen, hg. von Karl Gottlob Kühn, 2.Bd., Leipzig 1799: Der Rath in Ternate berichtet an den Rath in Bendam unter dem zwölften August !1673?" zwey Naturerscheinungen. !…" Den zwanzigsten May war ein Theil eines großen und erhabenen Gebürges, welches den Nahmen Gammaknotra führt, und von Ternate dreyzehn Meilen entfernt ist, in die Luft gesprengt worden und hatte eine solche Finsterniß verursacht, daß man kaum die nächsten Gegenstände unterscheiden konnte. Die ganze Gegend in einem Umfange von mehr als hundert Meilen wurde einen Fuß hoch mit Asche bedeckt. !…" Die zweyte Naturerscheinung war ein Erdbeben, welches sich in derselben Insel den Tag vorher, ehe der Brief geschrieben wurde, ereignet. Es war so sehr heftig, daß das in Süden von Ternate gelegene Gebürge von oben nach unten zu zerspaltete. (S.262f.)

45: 299,21 Silberblick] Bei der Gewinnung von Silber wird im Schmelzofen Luft über ein Blei-Silber-Gemisch geleitet. Das Blei oxydiert und wird als flüssige Bleiglätte (PbO) abgeleitet. Zuletzt befindet sich nur noch ein dünnes Häutchen Bleiglätte auf dem geschmolzenen Silber. Der Augenblick, in dem es zerreißt und die glänzende Oberfläche des Silbers sichtbar wird, heißt in der Hüttenkunde ‚Silberblick‘. 46: 299,25 Stochyometrie] Die Stöchiometrie, die Lehre von der mengenmäßigen, d.h. durch die Atom- und Molekulargewichte gegebene Zusammensetzung chemischer Verbindungen und von den Gewichtsverhältnissen, in denen Stoffe miteinander reagieren, begann sich im ausgehenden 18. Jahrhundert als Teildisziplin der Chemie zu etablieren: den Terminus prägte der Chemiker Jeremias Benjamin Richter (1762–1807) mit seinem grundlegenden Werk

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Anfangsgründe der Stöchyometrie oder Meßkunst chemischer Elemente (3 Teile, 1792f.). -- Hansen, S.93–95. 48: 299,29 Expansivkraft !…" Attractivkraft] Diese Kräfte nimmt Kant in seinen Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft (1786) als Prinzipien der Natur an (KA9, S.A52–58). -- Dietzsch, Ritter, S.383. 51: 299,38 Alle Stoffe auf Erden scheinen zerlegtes Eisen zu seyn] Vgl. RF4 und 52. 51: 299,39 ‚der sichtbare Quellgeist der Erde‘ (Jac. Böhme)] Eine Anspielung auf die sieben ‚Quellgeister‘ oder Qualitäten der göttlichen Kraft in Jakob Böhmes Aurora oder Morgenröte im Aufgang (1635; hg. von Gerhard Wehr, Frankfurt am Main 1992); siehe Anm. 94,7f. zu Id135 über Jakob Böhme. -- Erich Worbs, Johann Wilhelm Ritter, der romantische Physiker, und Jakob Böhme. In: ‚Aurora‘ 1971, S.63–76. 52: 300,20f. Conchylien] Weichtiere mit hartem Gehäuse, wie Austern, Muscheln oder Schnecken. 52: 300,21 Schon Buchholz fand im Menschenschädel das wenigste Berlinerblau] Der Arzt Wilhelm Heinrich Sebastian Buchholz (1734–1798) veröffentlichte 1778 und 1779 in den ‚Acta Academiae Moguntinae‘ eine Abhandlung Über das Verhältnis der blauen Farbe aus verschiedenen Knochen. – Berliner Blau ist ein tiefblauer Farbstoff, dessen Bildung zum Nachweis von Eisenionen dient. Diese bilden zusammen mit Blutlaugensalz unlösliche blaue Niederschläge. -- Dietzsch, Ritter, S.374. 53: 300,23 Leidner Flasche] Die ältere Form des Kondensators, ein zylindrisches Glasgefäß mit Stanniolbelag, wurde 1745 gleichzeitig von Ewald Georg von Kleist (1700–1748) und von dem Physiker Pieter Musschenbroek (1692–1761) in Leiden gebaut. -- Dietzsch, Ritter, S.374. 54: 300,25 Werden Hohlspiegel die Ausflüsse riechender Substanzen concentriren?] Vgl. RF31. 55: 300,27 Imponderabilien] Unwägbarkeiten, unwägbare Stoffe. Diese sogenannten Fluida galten bis ins ausgehende 18. Jahrhundert als die Trägersubstanzen von Licht, Wärme, Elektrizität, Magnetismus und Gravitation. L.Gmelin nennt als Merkmale dieser ‚Unwägbaren Stoffe‘: 1. Sie sind ohne Gewicht, wenigstens für unsre jetzigen Wagen. 2. Sie sind höchst expansibel und verbreiten sich daher schnell, meistens nach geraden Richtungen strahlend, durch diejenigen Räume, welche ihnen keinen Widerstand entgegensetzen. 3. Sie durchdringen Körper, welche für sämmtliche wägbare Stoffe undurchdringlich sind. Aus den zwei zuletzt genannten ergiebt sich ihre große Verbreitung und Allgegenwart in den wägbaren Stoffen. 4. Sie offenbaren sich meistens nur wenigen unserer Sinne unmittelbar. (Handbuch der theoretischen Chemie (1817), S.57.)

– Vgl. RF5 und zur zeitgenössischen Diskussion E.F.Hansen, S.96–99. 55: 300,28 Lavoisier’s Weg] Lavoisier widerlegte 1777 die PhlogistonTheorie, indem er Oxydationsprozesse als Vereinigung eines Stoffs mit Sauerstoff deutete; 1785 formulierte er das Gesetz von der Erhaltung der Masse. (Siehe die folgende Anm. über das Phlogiston.)

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55: 300,33 Phlogiston] Bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde die Brennbarkeit von Körpern damit erklärt, daß sie ein brennbares ‚Prinzip‘, das Phlogiston, enthielten. Diese stoffliche, aber imponderable Substanz entweiche beim Verbrennen, während die ‚dephlogistisierte‘ Masse zurückbleibe. Leicht entzündliche Substanzen, wie Kohlenstoff, Phosphor und Schwefel, hielt man für besonders reich an Phlogiston. Lavoisier wies 1777 aufgrund der Gewichtsveränderung bei Verbrennungsprozessen nach, daß bei der Oxydation kein Stoff entweicht, sondern vielmehr Sauerstoff gebunden wird. -- Hansen, S.72–86; Kapitza, Mischung, S.21f.; Elisabeth Ströker, Theorienwandel in der Wissenschaftsgeschichte. Chemie im 18. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1982, S.78–252. 56: 300,35 Pflanzen und Thiere !…" auf Erden] Vgl. RF69. 57: 300,38f. Man sollte das Wasser durchaus für eine Säure ansehen, und von Hydraten sprechen] Den Nachweis, daß Wasser kein Element, sondern eine chemische Verbindung ist, hatte Henry Cavendish (1731–1810) im Jahr 1781 erbracht. In seinem Handbuch der theoretischen Chemie (1817) definiert L.Gmelin Hydrate als „diejenigen proportionirten Verbindungen, welche Säuren und Salzbasen mit der kleinsten Menge von Wasser !…" eingehen“ (S.227). 57: 300,39 Hydrates de potasse, de soude, de chaux] „Hydrate des Kalium, des Natrium, des Kalzium“. Hydrate sind kristallwasserhaltige Salze. 57: 300,39 Hydrites !…" Mittelsalze] Hydride sind wasserstoffhaltige chemische Verbindungen. Gmelin, S.137, erklärt die Entstehung von Mittelsalzen aus einer Reaktion von Erden mit Säuren. 58: 300,41 Das System des Oxydationsprocesses muß das System der Chemie seyn] Vgl. RF599 („Der Wendepunkt der Schöpfung war der des Eintritts der Oxydation. Das Leben ist Cultus, das Leben ist Oxydation, folglich Oxydation = Cultus.“), aber auch RF209, das die Einseitigkeit der antiphlogistischen Chemie kritisiert: „Mit Lavoisier hat sich die Chemie in die Oxydation verloren !…"“, und Hardenbergs kritische Bemerkung über die zeitgenössische Chemie in AB407: „Die Antiphlogistiker machen das Oxigène zum Stein d[er] Weisen“ (NO3, S.317). 60: 301,4 Ist Wasser die ponderable Grundlage aller Erdmaterie] Ponderabel: wägbar. 60: 301,4–7 Ist Wasser !…" desselben] Vgl. RF67 und 138. 67: 302,7f. Jedes Sonnensystem ist ein höheres chemisches System] Vgl. RF83 und siehe Anm. 127,19–21 zu PhL [II] 488 über die Korrespondenz von Mikro- und Makrokosmos. 69: 302,15f. Das Potenzenschema der Erde ist auch das Potenzenschema der Vegetation und Animalisation] Vgl. RF56 und 66f. Siehe Anm. 220,8f. zu AB962 (‚mineralisch – vegetabilisch – animalisch‘). 71: 302,28f. hydrogeneer Art] Wasser erzeugender Art. 71: 302,33 Desoxygenationsproceß] Entzug von Sauerstoff. 71: 302,34f. Das Eisen z.B. konnte einst nicht verbrennlich seyn, sondern wurde es erst nach und nach] Vgl. RF73. 72: 302,40 Oxygen !…" Hydrogen] Sauerstoff … Wasserstoff.

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72: 302,41 par excellence] Schlechterdings, in höchster Vollendung. 73: 302,42 daß das Eisen nach und nach erst verbrennlich wurde] Vgl. RF71. 73: 303,1 Oxygenation] Sättigung mit Sauerstoff. 74: 303,5 Bessere Zeichen !…"

] Vgl. zu diesen Zeichen für polare

Prinzipien, die Ritter aus Herders Ältester Urkunde zur Geschichte der Menschheit (1774; HE6, S.340) übernahm, RF76, 88, 173, 175, 608, Ritters „Anhang“ (Zweites Bändchen, S.230f.) und seine Briefe an H.C.Oersted vom 16./17.8. 1805 (Harding, S.111) und vom 31.3.1809: Ich werde dir schon längst geschrieben haben, wie + (oder ) und sich in den ältesten Alphabeten als Anfangs- u. Endbuchstabe des Alphabets vorfinden. !…" Ich wollte hierauf die Ur- oder Naturschrift auf electrischem Wege wiederfinden, oder doch wiedersuchen, fand aber in der That schon von + bis (Theta, Menschen-, Gottesbuchstabe) in jenen alten Alphabeten mehr dendritische Pflanzen-Figuren, und von bis mehr gerundete, Thier-Figuren. Zugleich sind + u. auch die Extreme der Octave, – die in der Sprache sich als Verhältniss des Selbstlauters zur Consonante ausdrückt. Und da nur beyde zusammen einen Ton geben, so erhält die Chiffre desselben sogar bildliche Bedeutung. Der Hauch wird von zurückgeworfen; ist Selbst-, Mit-lauter; von wird wieder nach dem Centrum oder Ausgangspunct c zurückgeworfen, und sich selbst offenbar. Es gilt hier die völlige Construction des Bewusstseyns, und einst war alles Bewusstseyn Laut oder Ton, wie Herder vornemlich ganz himmlisch zeigte. (Harding, S.225.)

-- Bettine Menke, Töne – Hören. In: Poetologien des Wissens um 1800, hg. von Joseph Vogl, München 1999, S.69–95, hier S.77–80; Specht, S.185f. und 199–207. 75: 303,7f. Adhäsionsverwandschaft] Siehe Anm. 292,37 zu RF10 (‚Adhäsion‘) und 291,9f. zu RF3 (‚Verwandtschaft‘). 76: 303,10f. die entgegengesetzten Figuren !…" ] Siehe Anm. 303,5 zu RF74. 76: 303,12f. Hydrogen ist Zukunft, Oxygen Vergangenheit] Zu Ritters spekulativer Zuordnung der Zeitstufen ‚Zukunft‘ und ‚Vergangenheit‘ zu den Elementen Wasserstoff und Sauerstoff siehe Anm. 153,36f. zu BL92 über den Dreischritt von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. 78: 303,30 Alles bildet eine große Scale] Vgl. AB962 und siehe Anm. 219,12 zu AB953 über die verwandte Vorstellung der ‚Kette der Wesen‘. 79: 303,37 Kommt nicht im Thier auch wieder Pflanze und todte Natur vor?] Siehe Anm. 220,8f. zu AB962 (‚mineralisch – vegetabilisch – animalisch‘). 80: 303,40 Azot] Stickstoff. 80: 304,2f. in der anorgischen, wie in der vegetabilischen, und in der animalischen Natur] Siehe Anm. 220,8f. zu AB962 über die ‚drei Reiche‘ der Natur. 81: 304,10 Metalle = Knochen einer alten Welt?] Vgl. PhL [III] 272. 82: 304,13 Die Erden sind die Ahnen des jetzt Lebenden] Erden sind Metalloxyde. Vgl. RF104.

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83: 304,16 Newton verglich seinen Apfel mit dem Monde] Vgl. RF5 und 29. 83: 304,22 das System chemischer .... Verwandtschaften] Siehe Anm. 291,9f. zu RF3 (‚Verwandtschaft‘). 83: 304,23 Alle Chemie ist Astronomie] Vgl. RF67 und Novalis, AB942 („Das Astralsystem ist das Schema d[er] Physik“). Siehe Anm. 127,19–21 zu PhL [II] 488 über die Entsprechung von Mikrokosmos und Makrokosmos. 83b: 304,30 Jeder Regentropfen ist eine Welt] Vgl. Schelling, AEN198 über dieselbe Vorstellung bei Leibniz. Siehe Anm. 127,19–21 zu PhL [II] 488 über den Zusammenhang zwischen ‚großer‘ und ‚kleiner‘ Welt. 83b: 304,31–33 Alles zieht sich !…" Licht = Selbstwahrnehmung dieses Processes in die Ferne] Siehe Anm. 217,1 zu AB931 (‚Licht‘), 63,38 zu A340 (‚Magnetismus‘) und 295,41 zu RF29 über die ‚Wirkung in die Ferne‘. 83b: 304,37 Monade] Siehe Anm. 27,24 zu A55. 84: 305,14f. Franklin schon sagte !…" Glas bestünde aus weiter nichts, als Electricität] Vgl. Benjamin Franklin, Briefe von der Elektrizität, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Carl Wilcke (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1758), eingeleitet und erläutert von John Heilbron, Braunschweig 1983, Dritter Brief, §27, in dem Franklin Versuche mit der sogenannten Leidner Flasche auswertet: Wenn man nun aus denen §.8. 9. 10. angeführten Ursachen zugiebt, daß in einer Boutellie !sic" nach der Ladung nicht mehr elektrisches Feuer befindlich sey, als schon zuvor darinn enthalten war; wie groß muß nicht die Menge desselben in diesem kleinen Theile des Glases seyn? Es scheint, daß solches die wahre Substanz und Wesen desselben ausmache. Vielleicht würde Glas nicht mehr Glas seyn, wenn diese gehörige Menge des elektrischen Feuers, welches das Glas so hartnäckig zurücke hält, davon könnte getrennet werden. Es verlöre vielleicht seine Durchsichtigkeit, oder Brüchigkeit, oder Elasticität. Man wird vielleicht künftig noch Versuche erdenken können, welche dieses näher entwickeln. (S.46.)

465: 305,27 die nächtlichen Handlungen der Fledermäuße nach Wienholt] Der Arzt und Physiker Arnold Wienhold war Anhänger von Mesmers Theorie des ‚tierischen Magnetismus‘; in seiner Heilkraft des thierischen Magnetismus nach eigenen Beobachtungen, Bd.3: Sieben Vorlesungen über den natürlichen Somnambulismus, hg. von Johann Christian Friedrich Scherf, Lemgo 1805, S.190–192, berichtet er von den Versuchen des italienischen Geistlichen Lazzaro Spallanzani (1729–1799), der mit geblendeten Fledermäusen experimentierte, um ihren Orientierungssinn zu erforschen. (Vgl. dessen Lettere sopra il sospetto di un nuovo senso nei pipistrelli in seinen Opere, Bd.5, Milano 1826, S.207–254.) 469: 306,11–18 Wenn am Tage !…" des Winters; etc.] Vgl. RF475 und siehe die Anm. 307,8–19 dazu. 470: 306,19–21 Die Medicina magnetica (Vergl. z.B. Van Swieten’s Analogie etc. T.II. p.354–367) !…" Maxwell (l.c. p.366.)] Gerard van Swieten (1700–1772) war ein bedeutender Mediziner des 18. Jahrhunderts, gemeint ist jedoch das Werk des Philosophieprofessors Jan Hendrik van Swinden (1746–1823), Recueil de Mémoires sur l’Analogie de l’Électricité et du Magné-

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tisme, Couronnés & publiés par l’Académie de Bavière, traduits du Latin & de l’Allemand, augmentés de Notes & de quelques dissertations nouvelles. Bd.2, La Haye 1784. Dort stellt der Verfasser in seinem Beitrag Réflexions sur le Magnétisme animal, et sur le Système de M. Mesmer (S.334–446) die Lehre des schottischen Arzts William Maxwell (1663–1752) vor, der eine Medicina magnetica (dt.: Magnetische Heilkunde (1679)) geschrieben hatte. Siehe Anm. 63,38 zu A340 (‚Magnetismus‘). -- Dietzsch, Ritter, S.401. 470: 306,27 potentia] Der Möglichkeit nach. 471: 306,29 Clairvoyance] Hellsehen. Auch ein „Sinneszustand, in den die Versuchsperson nach Mesmers Vorschriften versetzt wurde, bei dem zwischen ihr und dem Magnetiseur ein ‚Rapport‘ entsteht und eine Beeinflussung möglich sei“ (Dietzsch, Ritter, S.401). 471: 306,32 Somnambulismus] Schlaf- und Nachtwandeln, auch Bezeichnung für bestimmte hypnotische Erscheinungen. 473: 307,1f. Wohlgefühl des Somnambulismus] Siehe Anm. 306,32 zu RF471. 474: 307,5 Rabdomanten] Wünschelrutengänger. 475: 307,8–19 Im Schlafe sinkt der Mensch in den allgemeinen Organismus zurück !…" Zauberer u.s.w.] Vgl. RF469, Novalis, AB211 und zur Deutung des Taumerlebens als Erfahrung ursprünglicher Einheit mit der Natur das Werk von Ritters Schüler Gotthilf Heinrich Schubert (1780–1860), Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft (1808). -- Ayrault 2, S.130. 476: 307,20 Somnambüle] Siehe Anm. 306,32 zu RF471 über das Phänomen des Somnambulismus. Am 13.12.1807 schreibt Ritter an Oersted: „Ich habe zu St.[uttgart] eine Somnambule vom ersten Range gesehen, u. man muss wirklich so etwas sehen, um die ganze Vorstellung davon zu haben. Sie gab auch alle Campetti’sche Phänomene“ (Harding, S.210). 477: 307,39f. Somnambüle] Siehe die vorige Anm. 477: 307,31 Im thierischen Magnetismus] Siehe Anm. 63,38 zu A340 (‚Magnetismus‘). 477: 308,18f. Clairvoyance] Siehe Anm. 306,29 zu RF471. 478: 308,40 Die Somnambüle] Siehe Anm. 307,20 zu RF476. 478: 309,38 Macht der Phantasie, des Gedankens] Vgl. hierzu die verwandte Vorstellung des „magischen Idealismus“ (T56) bei Novalis und siehe in der Einleitung zu den Teplitzer Fragmenten den Abschnitt „Struktur und Gehalt“. 479: 310,29 Dem Gewissen liegt das Unwillkührliche zum Grunde] Vgl. demgegenüber Novalis, AB934, 999 und den Schluß des Heinrich von Ofterdingen (NO1, S.330–333). 480: 310,40 Willen und Reiz sind gleicher Dignität] Vgl. Novalis’ Bestimmung des ‚freien‘ Willens in FuS611, 678 (‚freyer Wille‘ und „Willkühr“), 692 („Gnade und die Lehre vom freyen Willen“) sowie Kants grundlegende Unterscheidung von freiem Willen und Willkür in der Kritik der praktischen Vernunft (§8, Lehrsatz IV).

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10. Joseph Görres

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Textgrundlage und Textüberlieferung Im Frühjahr 1808 veröffentlichte Joseph Görres unter Pseudonym beim Verlag Mohr und Zimmer in Heidelberg ein 24 Seiten starkes Heft mit dem Titel Schriftproben von Peter Hammer, o.O. 1808. Dem vorliegenden Band liegt der Text folgender Edition zugrunde: Joseph Görres, Gesammelte Schriften, hg. von Wilhelm Schellberg u.a., Bd.3: Geistesgeschichtliche und literarische Schriften I (1803–1808), hg. von Günther Müller, Köln 1926, nach S.336 (Faksimile des Erstdrucks mit dessen Paginierung).

Entstehung Den spärlich fließenden Quellen zur Entstehungsgeschichte der Schriftproben ist zu entnehmen, daß der Heidelberger Buchdrucker Joseph Engelmann (1783–1844) Görres wohl im Winter 1807/08 um Texte für einen typographischen Musterbogen gebeten hatte und damit den Anstoß zur Niederschrift dieses ungewöhnlichen Texts gab. (Zur Entstehung im einzelnen Martin, S.423–425.) Engelmann war 1805 mit dem Frankfurter Buchhändler Johann Georg Zimmer (1777–1853) nach Heidelberg gekommen und leitete zunächst die Druckerei der neu gegründeten Akademischen Buchhandlung von Mohr und Zimmer, bevor er 1806 die Lizenz zur Eröffnung einer eigenen Druckerei erhielt. (Klaus Manger, Bibliothek – Verlag – Buchhandel. Zentren geistigen Aufbruchs. In: Heidelberg im säkularen Umbruch, S.126–153; hier S.136.) In Engelmanns Offizin wurden so bedeutende Werke der Romantiker gedruckt, wie die von Achim von Arnim und Clemens Brentano herausgegebene Sammlung Des Knaben Wunderhorn (1806–1808, ab dem 2. Band) und die ‚Zeitung für Einsiedler‘ (1808). Zwischen Görres und Engelmann scheint ein gutes, ja freundschaftliches Einvernehmen geherrscht zu haben. Görres schloß sich gelegentlich dem gemeinsamen Mittagessen bei Zimmer an, in dessen Räumlichkeiten außer der Familie und Angestellten des Verlagsbuchhändlers

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u. a. auch Arnim beköstigt wurde, der, wie Brentano, mit Zimmer befreundet war. In diesem Kreis, wo es nach Arnims Worten „sehr lustig“ zuging (an Brentano, 18. 2. 1808; Freundschaftsbriefe, S. 503), teilte Görres seinen Text oder Auszüge daraus mündlich mit. Theodor Hilgard (1790–1873), ein Neffe Engelmanns, berichtet in seinen Lebenserinnerungen: „Einmal las er uns ein Machwerk vor, das er auf die Bitte meines Onkels zum Behuf des Druckes von Schriftproben gefertigt, und dem er, ganz passend, den Titel: ‚der tollgewordene Epilog‘ gegeben hatte, – ein Stück Unsinn, wie wohl noch wenige gedruckt worden sind.“ (Meine Erinnerungen, Heidelberg [ca. 1860], S. 155; zitiert nach Martin, S. 424.) Johann Heinrich Voß, der damals schon in einem gespannten Verhältnis zu den Romantikern stand, bekam bereits vor der Drucklegung Kenntnis von diesem Text und habe, wie Arnim am 25.1.1808 Brentano berichtet, „alles auf sich bezogen“ (Freundschaftsbriefe, S.477). Engelmann befürchtete Unannehmlichkeiten und druckte die Schriftproben ohne Angabe seiner Offizin, was den ursprünglich intendierten (Werbe-)Zweck der Publikation zumindest teilweise durchkreuzte. Am 12.2.1808 kündigt Arnim dem Freund in Kassel an: „Görres Schriftproben kommen jetzt unter dem Titel Schriftproben von Peter Hammer !…" bey Zimmer heraus, ich trieb ihn sie in Verlang [lies: Verlag] zu nehmen, weil die Leute den Engelmann kopfscheu gemacht hatten[,] da kam er selbst auf den Titel“ (Freundschaftsbriefe, S.500). Mit der fingierten Verlagsadresse ‚Pierre Marteau, Cologne‘, oder auch in deutscher Übersetzung ‚Peter Hammer, Köln‘, umgingen französische, dann auch deutsche Verleger im ausgehenden 17. Jahrhundert die Zensur. Waren es zunächst vor allem Berichte von höfischen Intrigen, Skandalgeschichten und freizügige Texte, die durch diese geschickte Finte den Weg an die Öffentlichkeit fanden, so erschienen um 1800 europaweit politisch brisante Titel, aber auch literarische Streitschriften mit dem Impressum „Peter Hammer“. (Karl Klaus Walther, Die deutschsprachige Verlagsproduktion von Pierre Marteau / Peter Hammer, Köln. Zur Geschichte eines fingierten Impressums, Leipzig 1983, S.7–54.) Bürgte der Erscheinungsvermerk „bei Peter Hammer“ dem zeitgenössischen Publikum für den streitbaren, kritischen, widerständigen, provokanten, ja subversiven Charakter der damit versehenen Schriften, für ihre aufmüpfige, gegen Autoritäten respektlose Haltung, satirische Tendenz, witzig-phantasievolle Gestaltung, für anstößige, frivole, gesellschaftliche Konventionen in Frage stellende Inhalte, so knüpfen die Schriftproben mit der Wahl des Autoren-Pseudonyms Peter Hammer programmatisch an diese Tradition an und dürften bei ihren prospektiven Lesern entsprechende Erwartungen geweckt haben. Das genaue Erscheinungsdatum der Schriftproben läßt sich nicht mehr ermitteln, da die Quellen widersprüchliche Angaben machen. Im April-Heft der ‚Zeitung für Einsiedler‘ wird das Werk unter den zur „Jubilate-Messe. 1808“, d.h. für Anfang Mai, anzukündigenden Neuerscheinungen genannt (Umschlag, nicht paginiert). Die Rezension Heidelberger Zeitschriften im Cottaschen ‚Morgenblatt für gebildete Stände‘ vom 3.5.1808 (Nr.106, S.422) erwähnt die „nächstens erscheinenden“ Schriftproben und zitiert bereits aus ihnen. Möglicherweise mit

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seinem Brief vom 18.2.1808 – oder aber kurz danach – schickt Arnim Brentano die Schriftproben nach Kassel; ihre Ankunft am Vortag bestätigt dieser in einem um den 24. Februar entstandenen Schreiben (Freundschaftsbriefe, S.505). Und endlich läßt Görres’ Brief an Jean Paul vom 1.2.1808 darauf schließen, daß die Schriftproben damals schon publiziert waren, da sich der Verfasser erbietet, dem Adressaten Die teutschen Volksbücher (1807), „unsern ‚Uhrmacher Bogs‘ !…" meine ‚Schriftproben‘ und was ich sonst zutage gefördert“ zuzuschicken (GWB2, S.101).

Wirkung Auch wenn Görres’ Schriftproben schon während ihrer Entstehung über die Konzeption eines bloßen typographischen Gestaltungsmusters hinauswuchsen, wurden sie durchaus auch als formale Bezugsgröße und Muster für andere Druckwerke genutzt. Kurz nach dem 1. März 1808 gibt Brentano von Kassel aus seinem Freund Arnim in Heidelberg schriftliche Anweisungen für den Satz der Kinderlieder, die als „Anhang zum Wunderhorn“ erschienen. Er instruiert den Freund, daß die beiden ersten Lieder, die unterhalb des gestochenen Titels plaziert werden sollten (Abb. in FBA8, S.239), „mit der kleinsten Schrift“ zu setzen seien, „und zwar aus der kleinsten lateinischen Schrift in den Schriftproben, da mir die Engelmannsche deutsche nonpareille zu groß scheint“ (Freundschaftsbriefe, S.514). Und in der Besprechung der ‚Zeitung für Einsiedler‘ im ‚Morgenblatt‘ vom 3.5.1808 heißt es spöttisch über das Gedicht Der Jäger an den Hirten von Brentano (Nr.5 der ‚Zeitung für Einsiedler‘, 15. April 1808, S.33): Wir rühmen dieses Gedicht als ein treffliches Produkt der Engelmannschen Offizin, welche dasselbe, wie den langen Beginn des Aufsatzes des Hrn. Prof. Görres, durch eine neue Nompareil-Schrift trefflich ausgestattet hat. Weshalb diese augermüdende kleine Schrift gewählt worden, läßt sich nur aus einer Stelle in den nächstens erscheinenden, und in der Zeitung für Einsiedler bereits citirten Schrift-Proben (Heidelberg, bey Mohr und Zimmer) erklären. Die Stelle lautet, wie folgt: ‚Dich zartes, niedliches Nompareille, hab’ ich vor allen gewählt, in dir sollen sie wiedergeboren im Fleische werden: fügt euch zusammen, ihr leicht geschwänzten Gestalten, eine Seele will einkehren in euer Reich!‘ !Schriftproben, Prologus, S.315 (1),7b–11b." (Nr.106, S.422.)

Der Hinweis auf das Görres-Zitat in der ‚Zeitung für Einsiedler‘ bezieht sich auf Arnims „Nachschrift !…" über literarischen Krieg“ (Inhaltsübersicht zum AprilHeft der ‚Zeitung für Einsiedler‘, Umschlag, nicht paginiert) zu den im 3.Stück (Sp.17–21) vom 9. April abgedruckten Denksprüchen aus einer Friedenspredigt an Deutschland von Jean Paul. Der Herausgeber deutet darin die Erlaubnis zum Vorabdruck von Passagen der Friedenspredigt als gutes Omen für die ‚Zeitung für Einsiedler‘: „möge diese Friedenspredigt wie das Oehlblat der Taube ihr auch Frieden bringen vor dem Morgenblatte und andern Blättern, von denen sie angefochten worden, noch ehe ihre Zeit kommen“ (Sp.21). Über Programm und Zielsetzung der ‚Zeitung für Einsiedler‘ schreibt Arnim anschließend:

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wir möchten jedes gesunde Erzeugniß in der literarischen Welt fördern und die Kritik vernichten, die gleich bemüht ist, das Kind der Liebe lebendig zu seziren, um es in Spiritus scheinbar zu erhalten, oder in Wachs für ihre aesthetischen Vorlesungen nachzumachen. Aber wir wollen euch heilige Scheu lehren vor dem Lebendigen, wir wollen euch ein Kindermährchen erzählen, daß euch davor grauen soll, ich meine das von dem Kinde, das vor das Bette des Anatomen alle Nacht trat und ihm vorklagte: Wo hast du mein Herz, wo hast du mein Auge? bis er alles zum Begräbniß herausgegeben. Bey der Leichenpredigt eines solchen literarischen Kindes würden wir die herrlichen Worte eines Freundes zum Text nehmen: „Wie ein Paternosterwerk von blinden Eseln getrieben, so steigts immer herauf und hinunter, was die Liebe in der Tiefe geschöpft, das gießt der Haß emsig obenaus in den Koth. – Schriftproben !S.324 (10),20a–25a". Heidelberg, bey Mohr und Zimmer. S.10. (Ebd.)

Möglicherweise schon vor ihrer Veröffentlichung wurden die Schriftproben im Streit zwischen Voß bzw. seinen Anhängern und den Romantikern instrumentalisiert. Bereits das erste öffentliche Zitat aus Görres’ Text, in dem vermutlich von Vossens Anhänger Samuel Michaelis (1768–1844; vgl. zur Person: Martin, S.436f.) stammenden Schreiben eines Studirenden auf der Universität – an seinen Vater, den Baudirektor R– zu B– im ‚Morgenblatt‘ vom 11. März 1808 (Nr.61, S.241f.; unterzeichnet: „M.T.E.“) gibt – ohne den Verfasser oder sein Werk explizit zu nennen, aber für Eingeweihte und Betroffene leicht durchschaubar – in polemischer Absicht eine Formulierung aus den Schriftproben wieder, wenn er unter dem Eindruck einer jüngst gehörten Ästhetik-Vorlesung über das mitreißende Feuer des Dozenten schreibt: „die pontinischen Sümpfe Deutschlands werden bald verwandelt seyn in Blumengärten für lustwandelnde Dichter und Frauen; denn ‚es beginnt ein anderes Geschrille von Deutschheit und deutscher Nation Art und Kunst und Geschick!!!‘ !Schriftproben II.i, S.330 (16),5a–8a"“ (‚Morgenblatt‘, S.241.) Görres’ anonym erschienene Correspondenznachrichten von Bädern und Brunnenorten im Mai-Heft der ‚Zeitung für Einsiedler‘ (Umschlag, nicht paginiert) setzen, ebenfalls mit einem Zitat aus den Schriftproben, den Streit fort. Der polemische Beitrag, den ein Kupfer ergänzt, persifliert zeitgenössische Presseberichte – auch solche des ‚Morgenblatts‘ –, die ihre Leser mit dem neusten Klatsch aus Kurorten unterhielten, und karikiert die damaligen Heidelberger Verhältnisse, wobei Voß wenig schmeichelhaft als „Hundefreund“ porträtiert wird und seine Anhänger als Hundemeute diffamiert werden. Außer dem Zitat aus dem zweiten Teil der Schriftproben (vii; S.333 (19),22a–23a): „Willst du die Gans nit lassen räuberischer Fuchs! – Schriftproben –“, greifen die Correspondenznachrichten auch das Stichwort „Nonpareille“ und das Motiv der Hunde auf, das Görres im „Epilogus“ ausführt: „o ihr Utremifasollaischen Hunde, laßt in Teufels Nahmen das Wedeln, tanzt nicht gegen euere Natur auf zwey Beinen: verwendet der Treiber nur ein Auge, klaps! lassen sie sich auf Alle Viere nieder, gleich aber sind sie auch wieder in Positur, wie er hinsieht, darüber muß ich lachen“ (II.x; S.337 (23),8a–13a). Nicht weniger lächerlich als die dressierten Hunde der Schriftproben, die doch ihre Hundenatur nicht verleugnen können, erscheinen in der ‚Zeitung für Einsiedler‘ die Heidelberger Schoßhündchen, Dachshunde, Möpse, Metzgerhunde, Spitze und Bullenbeißer: „mit einer Butterbemme könnte man sie

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zahm machen und wedelnd, !…" man könnte sie einfangen und ihnen bunte Röckchen anziehen und sie abrichten zu Tanz und Kunststücken jeder Art, daß sie sich unter einander todtschießen, auf dem Kopf stehen und dergleichen.“ Gegen die Romantiker wendet der Heidelberger Professor für Ästhetik und ‚Vossianer‘ Aloys Schreiber (1761–1841) das Motiv von Fuchs und Gans; in seiner ebenfalls anonym publizierten Satire Comoedia Divina mit drei Vorreden von Peter Hammer, Jean Paul und dem Herausgeber (1808) verwandelt Jupiter den romantischen Dichter Novalis Octavianus Hornwunder in eine Gans und den Buchhändler in einen Fuchs, der sie raubt. Die „Erste Vorrede von Peter Hammer Alias Goerres“ (S.8f.) besteht aus Zitaten aus den Schriftproben: „Sind die Leute denn besessen geworden? !…" transpirir dann im Schweise davon“ (I.ii (Tarantultanz); S. 323 (9),12b–324 (10),4a); „Hat der alte Wahnsinn junge närrische Brut !…" klug und gescheit“ (I.iii (Weltgeschichte); S.324 (10),26a–29a); „Gehts doch jetzt etwas liederlich zu !…" ernsthaft Gesicht gemacht“ (II.viiii (Gespenster); S. 335 (21),22b–24b); hierzu merkt der Herausgeber bzw. der Verfasser in einer Fußnote an: „Zielt vermuthlich auf einige unsrer neuesten frommen Dichter und einige unsrer berühmten lebenden Weiber, die den Muth hatten, das verächtliche prosaische Leben in das Gebiet der Romantik hinüber zu retten. Den nähern Aufschluß wird uns der Nekrolog des neunzehnten Jahrhunderts künftig geben“; und schließlich: „Alle Tollhäuser sollten aufgeschlossen werden !…" verständig werden und klug“ (II.x (Tollgewordner Epilogus); S.338 (24),11a–14a). In der letzten Juni-Ausgabe ihrer Zeitung nehmen die ‚Einsiedler‘ in der Sonnettenschlacht bei Eichstädt und Der Einsiedler und das Klingding, nach der Schlacht bei Eichstädt (Nr.26, vom 29.6.1808; Sp.201–203 und Sp.203–208) erneut Motive aus den Schriftproben auf; so erscheint in der Sonnettenschlacht wie zuvor in den Schriftproben „der Comet“ (Sp.201; vgl. Schriftproben, S.326 (12),25b) als Unglücksbote, und das Hinschlachten der Sonette durch das Riesenheer des Mohrenkönigs Tamerlan wird mit dem „bethlehemitischen Kindermord“ (Sp.202) verglichen, dessen Erneuerung Görres in den Schriftproben spöttisch in Aussicht stellte, falls die „Teufels Brut“ (S.316 (2),14b), die er ins Publikum entläßt, ihre Nachkommenschaft düpierten Ehemännern unterzuschieben gedenke (S.316 (2),36b). Und das skurrile Kompositum „Froschleichleichenbein“ in Vers15 des (Pseudo-)Sonnets, das der Einsiedler nach der Schlacht bei Eichstädt anstimmt (Sp.204), verdankt seine Existenz offenkundig dem „Froschlaich“ (S.315 (1),10a) im Prolog der Schriftproben. (Vgl. zur Verfasserfrage und zur Deutung im einzelnen: Friedrich Strack, Clemens Brentano und das „Klingding“. Bemerkungen zur ‚Sonnettenschlacht bei Eichstädt‘ in der ‚Zeitung für Einsiedler‘. In: JbFDH 2009, S.253–287.) Die „Satanisken“ (S.316 (2),1a–2a) der Schriftproben und die ‚Klingdinger‘ der Sonnettenschlacht scheint eine gewisse ‚Familienähnlichkeit‘ zu verbinden: beide treten massenhaft auf, die „Satanisken“ als „Ungeziefer“ (S.316 (2),33b), die Seelen der ‚Klingdinger‘ werden mit den „Mückenwolken“ der „ägyptschen Plagen“ (erstes „Sonnet“, Vers2 und 1) verglichen; beide sind klein, aber kriegerisch; die „Satanisken“ wehren sich mit einem giftigen „Stachel“ (S.316 (2),1b) gegen jeden, der ihnen nach dem Leben trachten sollte, und „sind nicht zu tödten“ (S.316 (2),12b), die „Klingdinger Seel-

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chen“ (erstes „Sonnet“, Vers1) rächen sich an ihrem Mörder, „zwicken ihn von tausend Gänsekielen“ (ebd., Vers 6) und erwerben sich als „winzige!" Martyrkronenringer“ (zweites „Sonnet“, Vers 8) ewiges Leben. Görres’ „Huffdinger“ (S.336 (22),16a) scheinen sich in Brentanos „Klingdinger“ verwandelt zu haben. Ein zentrales Motiv ihrer frühsten Wirkungsgeschichte im Umfeld der Heidelberger Romantiker und ihrer Gegner stellt die Frage dar, inwiefern sich einzelne Passagen der Schriftproben gegen Voß richten und ob er sich im einzelnen zu Recht oder zu Unrecht getroffen fühlte. Görres schreibt im Januar 1808 an seine Schwiegermutter Christine von Lassaulx in Koblenz, Voß sei nun „vollends toll geworden“ und habe „im Morgenblatt gegen die Romantiker losgeschossen, und jedermänniglich hat geglaubt, nun werde die Welt ihren jüngsten Tag sehen. Indessen ist doch alles fest stehen geblieben. Arnim, der von Zeit zu Zeit Voß besucht !…" hat denn auch neulich vernommen, daß er die Schriftproben auf sich bezieht und nun meint, der tolle Epilog !II.x" und die Tintenfische !I.iv" und die Tarantel !I.ii" und alles wäre auf ihn gesagt“ (GWB2, S.100). Dieser Verdacht wird von Vossens nächster Umgebung geteilt: „Der ‚Brutus im Schlafrock‘ !Schriftproben II.x (Tollgewordner Epilogus); S.336 (22),22a–23a" ist mein Vater“, entrüstet sich der jüngere Voß in einem Schreiben an Goethe vom 19.6.1808. (Briefe an Goethe. Gesamtausgabe in Regestform, Bd.5: 1805–1810, hg. von Karl-Heinz Hahn, Weimar 1992, S.328.) Daß das Verhältnis zu Voß zunehmend abkühlte, führt Görres darauf zurück, daß sein „Glaubensbekenntnis in bezug auf die Romantiker !…" nicht nach !Vossens" Wunsch ausfiel.“ (An Charles François de Villers, 1.8.1808; GWB2, S.108.) „Später schrieb ich mit Brentanto in einem Anfalle von Mutwillen den Uhrmacher Bogs, den er auf sich zog. Noch später schrieb ich die Schriftproben, voriges Jahr in bitterm Unwillen auf die Zeit und die allgemeine Hohlheit. Das nahm er wieder in der allerlächerlichsten Verblendung auf sich, und nun ward der Teufel von der Kette losgelassen“ (ebd., S.108f.). Es sei dahingestellt, inwiefern Görres seine Rolle in der Anfangsphase des Streits mit Voß beschönigte. Immerhin glaubte auch Brentano, der der einseitigen Parteinahme für Voß unverdächtig ist, im Epilog Anspielungen zu entdecken: „wie er !…" so fein auf den alten Voß anspielt, und auf mich und auf den Schelling und wieder auf den Epilogus, na es ist einstig (sagt der Herr Exter)“. (An Arnim, um den 24. Februar 1808; Freundschaftsbriefe, S.505.) Die Zitate und Anspielungen in den polemischen Beiträgen des ‚Morgenblatts‘ und in der ‚Zeitung für Einsiedler‘ lassen darauf schließen, daß markante Motive aus den Schriftproben sowohl von seiten der Romantiker als auch von Voß und seiner ‚Partei‘ gezielt eingesetzt wurden, um die Gegner zu reizen, zu karikieren und lächerlich zu machen. Die aus einem ursprünglich privaten Zwist erwachsene Streitigkeit entwickelte ihre Eigendynamik, wurde öffentlich und mit wachsender Aggressivität ausgetragen. Bis zu Görres’ Abschied von Heidelberg im Sommer 1808 war die Fehde zum ‚offenen Krieg‘ eskaliert; von Voß berichtete Görres: Er schämte sich nicht, hier bei den Leuten, denen er Einfluß zutraute, herumzugehen und gegen mich als Verführer der Jugend mit Schwärmereien u.dgl. zu reden, und die Leute zu bereden, mich von der Universität zu entfernen. Er wurde natürlich ausge-

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lacht und darüber um so mehr erbittert. Darauf ging der Streit im Morgenblatte los. Seine Feldzüge gegen die Romantiker sollen hauptsächlich mir gelten, was wieder so unendlich lächerlich ist, weil ich kein Dichter bin. Er hat all den Troß von gemeinem Pack auf mich gehetzt, das in Journalen und Büchern gegen mich auszieht. Mit der allerboshaftesten Kaltblütigkeit aber führe ich den Krieg, da sie mich dazu genotzüchtigt haben, daß sie zum Gespötte der Kinder werden. In der Zeitung für Einsiedler können Sie sich nach der Hetze umsehen, wenn Sie dergleichen interessiert. (Ebd., S.109; vgl. auch Görres, Achim von Arnim (1831); GGS15, S.302.)

Mit einer förmlichen Kampfansage an Voß aus dem Mund der Dramenfigur Peter Hammer als Epilogsprecher beschließt Görres seine „dramatische Idylle“ Des Dichters Krönung (Beilage zur ‚Zeitung für Einsiedler‘, 30.8.1808, Sp.33–40), in der „Hundechöre“ (Sp.34) einen Großteil des dramatischen Dialogs mit Zitaten aus Vossens Dichtungen bestreiten: Peter Hammer als Epilog. Das waren Püffe lieben Freunde, !…" es war ein kleines Pröbchen nur, steht glaub ich noch mehr zu Diensten. Ja so ist Dieser von Natur beschaffen, ruhig, bescheiden, freundlich, keinem Kinde übel thuend, läßt man ihn ungeirrt auf seinen Wegen gehen! nimmer seit ich ihn kenne, hat er Streit gesucht. Wollen sie aber mit Gewalt den Krieg, wohl, er kann ihn geben, sie mögen sich versichert halten, daß er gute scharfe Schneide führt, zu Wehr und Ausfall gleich geschickt; er ist zerreißend und erbarmungslos, wenn ihn frecher Angriff reitzt. Will das Alter, daß mans ehre, so seys auch wie sichs dem Alter ziemt, ernst und würdig und vor allem liebreich, mild; wills aber die schlaffen Sehnen unbesonnen noch zum Kampfe gürten, hohneckts raschere Jugend unverständig, dann nehm’s auch was abfällt ruhig hin. Drum werdet künftig klug, ihr pflegtet sonst doch billig, und besonnen noch zu seyn, und jetzo tappt ihr willig, in Albernheit hinein, man wird achten wieder dann an euch, was achtbar ist, jetzt belacht man was belachbar. (Ebd, Sp.40.)

Mit diesem fulminanten Epilog war zugleich das Schlußwort der ‚Zeitung für Einsiedler‘ gesprochen, die Ende August 1808 ihr Erscheinen einstellte. Neben der Fehde zwischen den Heidelberger Romantikern und Voß, mit der die Rezeptionsgeschichte der Schriftproben eng verbunden ist, sind es besonders drei Momente, durch die Görres’ Publikation bei zeitgenössischen Lesern Aufmerksamkeit oder auch Anstoß erregte: das Motiv der Tollheit, das an verschiedenen Stellen des Texts begegnet und dem letzten Abschnitt (II.x) mit der Überschrift „Tollgewordner Epilogus“ programmatisch voransteht, die offenkundige und von verschiedener Seite bemerkte Nähe zu Jean Paul und die fragmentarische Form des Werks. So bedankt sich Brentano Ende Februar 1808 bei Arnim für die Übersendung der Schriftproben, in denen er vieles für „unendlich vortreflich“ hielt: das sind entsezlich schöne Sachen, !…" des Epilogus Tollheit ist als in sich beschränckter sehr wohl thätig und recht schön auf das andre Unwesen, und man mögte daraus beweisen das die Tollheit, als Naturform auch eine Kunstform hat, und daß es leicht möglich ist, daß viele Leute eigentlich nur solide und Vernünftig und Verständlich werden, wenn sie toll werden, der Epilogus ist das klarste und schönste von Görres waß ich kenne (um den 24. Februar 1808; Freundschaftsbriefe, S.505).

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Arnim charakterisiert den „Epilogus“ als „in Fragmentenart“ geschrieben, „nur mehr zu einzelnen Mythen zusammengezogen“ (an Brentano, 25.1.1808; Freundschaftsbriefe, S.477). Voß nennt es eine verfehlte Nachahmung von Jean Paul, das finde ich nicht, aber ich finde es stammt aus derselben Richtung, warum auch Jean Pauls meiste Arbeiten verfehlt sind, es fehlt darin an dem poetischen Ernste ohne welchen auch der schönste Muthwille zum Erfrieren langweilig wird, diesen Mangel an eigentlichem grossen Sinne kann kein Witz ersetzen, denn dieser begreift nie, warum es andern keinen Spas macht, wenn er zu seinem Spas den König seiner Gedanken unter die Bank und den Hund auf den Thron schiebt, weil er es nur ausser sich nicht in sich darstellen kann. Görres hatte indessen eine Entschuldigung in der Politick, die eigentlich am besten und in recht schön gefallenem Schleier sich darstellt, er durfte wirklich manches nicht sagen, als gerade so. (Ebd., S.477f.)

Im ‚Morgenblatt für gebildete Stände‘ erschien am 4. und 5.7.1808 (Nr.159f., S.633f. und 639f.) eine wohl von Samuel Michaelis stammende anonyme Rezension der Schriftproben. Unter Berufung auf Jean Paul, dessen Vorschule der Ästhetik er eingangs zitiert (3. Abteilung, II. oder Jubilate-Vorlesung, Erste Kautel; JP,SW I 5, S.400), warnt der Beiträger des ‚Morgenblatts‘ vor dem „Wahnsinn unserer Zeit“ (S.633) und empfiehlt die besprochene Publikation ironisch „als eine der reichhaltigsten Quellen, als eine unentbehrliche Materialien-Sammlung der Mienen, Geberden, Kreuz- und Quersprüngen, und insonderheit des Gesichter-Schneidens und des konvulsivischen Zappelns des ungenannten wahnsinnsvollen Repräsentanten dem wahnsinnbeseligten Theile unsrer Zeitgenossen“ (ebd.). Vor allem die aus der Orientierung an der pragmatischen Textsorte der Buchdruckerschriftproben resultierende „Buntscheckigkeit“ erscheint dem Rezensenten als Symptom des Wahnsinns: So wie jeder Kaufmann Muster-Karten von seinen Waaren hat, um solche den Kauflustigen vorzuzeigen, so bedarf jeder Buchdrucker Schriftproben, damit die Drucklustigen !…" nach Belieben wählen können. Indessen ist es doch noch niemand eingefallen, sich aus den Lappen der Muster-Karten ein Kleid verfertigen lassen zu wollen – wahrscheinlicher Weise deshalb nicht, weil der Ausführung ein ziemlich allgemeines Vorurtheil entgegensteht. Sogenannte gescheite Leute haben von jeher eine Art Widerwillen gegen die bunte Jacke gehabt. Auf der Höhe des Wahnsinnes aber, !…" da ist die Buntscheckigkeit die eigentliche Farbe, in welcher die Wesen erscheinen – und somit hat das gemeine Bedürfniß eines Buchdruckers sich auf’s trefflichste vereinigen lassen mit dem höhern Drange des wahnsinnvollen Heiligen. (S.633f.)

Außer ihrer Heterogenität, Zusammenhanglosigkeit und Verworrenheit rügt der Rezensent die stellenweise derbe oder drastische Ausdrucksweise der Schriftproben, deren Verfasser – sein Name wird in einer Fußnote genannt (S.634) – wie der Beiträger des ‚Morgenblatts‘ süffisant bemerkt, „auf einer berühmten Universität Deutschlandes – Aesthetik –!“ lehrt (S.634). Damit geht der Verfasser vom ästhetischen Urteil zum Argumentum ad personam über und schließt mit einem kulturund bildungspolitischen Appell. Als Kenner der Verhältnisse an der namentlich nicht genannten Universität sei der Rezensent „Augenzeuge des heillosen Unwesens und des Nachtheils !…", den dergleichen quersinnige Mißgeburten auf die

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Bildung junger Studirenden üben.“ In künstlerischer Hinsicht seien die Schriftproben „ein literarisches Mond-Kalb“ (S.640), d.h. als monströse Mißgeburt völlig mißlungen und keiner weiteren Erwähnung wert; schwerer wiege demgegenüber die Gefahr für die Gesellschaft, die von der zugrunde liegenden Geisteshaltung ausgehe. Dem Verfasser sei es daher ein Anliegen, die Aufmerksamkeit aller gebildeten Deutschen, für die das Morgenblatt erscheint, auf diese Verkehrtheit in dem Bildungsgeschäfte zu richten, und sie zu überzeugen, daß, !…" wenn solches Zeug auch vom Katheder herunter vorgetragen wird, das bloße Verlachen der Erscheinungen dieser Art in der Literatur wol nicht mehr hinlänglich seyn dürfte dem Unwesen zu steuern. !…" Wem es !…" Ernst ist um Bildung, wer die Literatur ehrt, und ihren Einfluß auf die Nation zu würdigen weiß, – der wird Anzeigen wie diese nicht für überflüßig halten !…". (S.640.)

Mit unverhohlener Skepsis gegenüber ihrem antiklassizistischen Grundzug äußert sich auch Goethe, dem Achim von Arnim am 29.9.1808 die Schriftproben zusammen mit Görres’ Buch über Die teutschen Volksbücher, dem zweiten Teil von Des Knaben Wunderhorn, der ‚Zeitung für Einsiedler‘, Aloys Schreibers Romantiker-Satire Comedia Divina und einer Erläuterung der Heidelberger Streitigkeiten zugeschickt hatte. (Goethe und die Romantik. Briefe mit Erläuterungen, 2. Teil, hg. von Carl Schüddekopf und Oskar Walzel, Weimar 1899, S.130–136.) Am 30.10.1808 teilt Goethe seine Beobachtungen zur jüngsten Entwicklung der „Kunstwelt“ mit, die seiner Einschätzung nach „sehr im Argen“ liegt (WA IV20, S.191). Insbesondere „ein halb Dutzend jüngere poetische Talente (ebd., S.192), zu denen er auch Arnim und Brentano zählt, brächten ihn „zur Verzweiflung“; es sei abzusehen, daß sie „bei außerordentlichen Naturanlagen schwerlich viel machen werden was mich erfreuen kann. !…" alles geht durchaus ins form- und charakterlose.“ Sehr schlimm ist es dabey, daß das humoristische, weil es keinen Halt und kein Gesetz in sich selbst hat, doch zuletzt früher oder später in Trübsinn und üble Laune ausartet, wie wir davon die schrecklichsten Beyspiele an Jean Paul (Siehe dessen letzte Production im Damenkalender !Der Traum des Wahnsinnigen in Cottas ‚Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1809‘") und an Görres (Siehe dessen Schriftproben) erleben müssen. Übrigens giebt es noch immer Menschen genug die dergleichen Dinge anstaunen und verehren, weil das Publicum es jedem Dank weiß, der ihm den Kopf verrücken will. (Ebd.)

Struktur und Gehalt Über seine zeitkritischen und polemischen Intentionen äußert sich Görres rückblickend im Jahr 1831: „In den Schriftproben von Peter Hammer hatte ich !…" meinem Zorn über die damalige politische Niederträchtigkeit der Zeit Luft gemacht, und der Sarcasm gab sich nur wenig Mühe zu verbergen, was er im Auge habe“ (Achim von Arnim; GGS15, S.302). ‚Im Auge‘ hatte der Verfasser die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse während der Zeit der napoleonischen Herrschaft nach dem Ende des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation.

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Nach der einleitenden Ankündigung: „Ich will orgeln ein Lied von Liebe, von teutscher Kraft, von Sehnsucht und Biedersinn“ (S.315 (1),5a–7a), veranschaulicht der „Prologus“ im folgenden das Erlebnis poetischer Inspiration mit einer verwirrend heterogenen Bilderfolge vom Fallen der Sternschnuppen am Firmament (S.315 (1),9a–10a) bis zum Gewimmel von „Samenthierchen“ (S.315 (1),21a) im Mikrokosmos eines Wassertropfens. Der geistige Schöpfungsprozeß wird als ‚Wiedergeburt‘ eines Gedankens „im Fleische“ (S.315 (1),8b–9b) gedeutet; beim Versuch, aus den Gestirnen die Zukunft der „Werdenden“ (S.315 (1),14b), die demnächst das Licht der Welt erblicken sollen, vorherzusagen, verkehrt sich das mit dichterischer Begeisterung angestimmte „Lied von Liebe“ und „teutscher Kraft“ (S.315 (1),6a) in eine bedrückende Zeitklage: Die geistige ‚Zeugung‘ wie auch die ‚Geburt‘, die sich als ‚Inkarnation‘ ins gedruckte Wort vollzieht, stehen unter einem Unglück verheißenden Stern. Die geschichtliche Gegenwart ist, wie der wiederholte Ausruf „Böse Zeit, schlimme Zeit!“ (S.315 (1),16b) andeutet, eine Zeit des Unheils und unseliger Verstrickungen: „Es buhlt der Teufel mit der Welt, allnächtlich wohnt er alten Metzen bey“ (S.315 (1),23b–24b). Nachdem das Ich (also Görres) die unselige Zeit mit ihren Teufelsgeburten beschworen hat, spricht es / er von sich, der seinerseits den „finstern Constellationen“ (S.315 (1),27b–28b) nicht entfliehen konnte und vom Teufel infiziert wurde, auch wenn er „nicht buhlen !wollte" mit dem Bösen“ (S.315 (1),30b). Das „Verhängniss“ (S.315 (1),31b) der Zeit hat auch ihn überschattet. Seine Produkte (d.h. die im weiteren produzierten Fragmente) sind die „Satanisken“ (S.316 (2),1a–2a), seine „ungerathene!n" Kinder“ (S.316 (2),15a), ein „leichtfertig Gesindel“ (S.316 (2),1a), das er aber zurechtstutzen will, um es in die Welt zu schikken. Sie sollen die „Allerliebsten“ (S.316 (2),22a) (die Leser) anstacheln und pieksen, sie sind „scharf“ und „gesalzen“ (S.316 (2),8b) (wie die Schlegelschen Fragmente), wollen aber nicht ernstlich verletzen. Man dürfe ihm (dem Autor) deshalb keine Vorwürfe machen, er „liebe Correctheit, und stille bürgerliche Tugend“ (S.316 (2),22b–23b). Er entschuldigt sich am Ende des Prologs für seine ‚teuflischen‘ Attacken, die ihm gleichsam von der „Böse!n" Zeit“ (S.315 (1),16b) aufgenötigt worden sind. Als Medium seiner zutiefst pessimistischen Bestandsaufnahme und umfassender Kritik dient Görres eine Textsorte, deren Funktion sich gemeinhin darin erschöpft, Autoren und Verlegern Muster für die typographische Gestaltung von Publikationen an die Hand zu geben. Der Umstand, daß sich die praktische Verwendung dieses Texttyps ausschließlich auf seine Form erstreckt, während die ‚nebenbei‘ transportierten Inhalte ohne Belang sind, öffnet dem Autor nahezu unbegrenzte Freiräume der Kritik und der literarischen Gestaltung. Wie D.Martin in der bislang einzigen eingehenden Untersuchung der Schriftproben herausgearbeitet hat, löst Görres den Typus der Buchdruckerschriftproben aus seiner funktionalen Bindung an die Herstellung von Druck-Erzeugnissen verschiedenster Art; er poetisiert einen typographischen Gebrauchstext, der damit zum eigenständigen, (ästhetisch) provozierenden literarischen Werk avanciert (Martin, S.423f. und 437f.). Abzulesen ist dieser Prozeß der Entpragmatisierung

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und Ästhetisierung u.a. daran, daß die Schriftproben unter einem Verfassernamen – vertrackterweise dem Namen des fiktiven Verlegers Peter Hammer –, aber ohne Druckvermerk erschienen, während Buchdruckerschriftproben keinem für den Inhalt verantwortlichen Autor zugeordnet werden, aber die herstellende Druckerei namentlich nennen (ebd., S.427f. und 424). Ein weiteres Indiz für den veränderten Charakter der Schriftproben gegenüber ihren Vorbildern stellt ihre Ankündigung als literarische Neuerscheinung in der ‚Zeitung für Einsiedler‘ dar (ebd., S.424f.). Und schließlich läßt sich bei der weitgehenden Orientierung an den formalen Vorgaben der Textsorte eine quantitative Ausdehnung über das für eine bloße Mustersammlung praktisch notwendige Maß sowie die (inhaltliche) Verselbständigung im Sinne einer Poetisierung feststellen. Herkömmliche Schriftproben geben eine Übersicht über die in einer Offizin aktuell verfügbaren Schriftarten. Sie bieten, unterteilt in Fraktur- und Antiquaschriften und jeweils von der größten zur kleinsten Schrift – oder auch in umgekehrter Reihenfolge – fortschreitend jeweils die Bezeichnung der Schrift mit einer in den entsprechenden Lettern gedruckten kurzen Textprobe. (Beispiele bei Martin, Abb. 2–7, S.418–423.) Görres folgt diesem Schema insofern, als seine Schriftproben aus zwei Teilen bestehen, die zeitgenössischem Sprachgebrauch folgend die Antiqua- und Frakturschriften als ‚Französische‘ und ‚Deutsche Schriften‘ bezeichnen. Das erste Buch zeigt, jeweils recte und kursiv, Proben folgender Antiquaschriften: Nompareille, Petit texte, Petit romain, Cicero, St. Augustin, Gros texte und Gros parangon. Das zweite Buch exemplifiziert nacheinander die Frakturschriften Mittel, Text, Tertia, Grobe Cicero, Kleine Cicero, Garmond, Borgis, Petit und Nompareille. Während Buchdruckerschriftproben im allgemeinen aus zwei parallelen Reihen von Texten oder Textausschnitten in skalierender Anordnung der Schriftgrößen bestehen, fällt in Görres Schriftproben der symmetrische Aufbau auf: Die Schriftgröße nimmt bis zum Ende des ersten Buches zu, im zweiten Buch kehrt sich die Anordnung um. (Daß die Frakturschriften tatsächlich nicht mit der größten verfügbaren Letterngröße beginnen und statt der erwartbaren Reihenfolge Text (II.ii), Tertia (II.iii), Mittel (II.i) … mit einem Abschnitt in Mittel anfangen, ist möglicherweise auf einen Fehler bei der Herstellung zurückzuführen.) Gleichzeitig ist mit zunehmender Letterngröße eine Verknappung der Texte festzustellen; die in den größten Schriften gedruckten Passagen umfassen nur wenige Zeilen, die in Nompareille gesetzten Rahmentexte beanspruchen je 2–3 engbedruckte Seiten. Neben der offensichtlichen Orientierung an der formalen Gestaltung von Buchdruckerschriftproben macht sich Görres – wenngleich weniger offenkundig – auch deren Tendenz zur Autoreferentialität (Martin, S.422) und ihre Neigung zur „ethnozentrischen Anverwandlung“ (ebd., S.423) für seine literarischpublizistischen Zwecke zunutze. Nach D.Martins Untersuchungen wurde in dieser Textsorte häufig die Geschichte des Buchdrucks thematisiert, mit dem Erwachen des Nationalbewußtseins um 1800 wurden die entsprechenden Texte häufig patriotisch akzentuiert; in der Ablösung der Termini ‚Antiqua‘ und ‚Fraktur‘ durch ‚Französische‘ bzw. ‚Deutsche Schrift‘ deutet sich diese Entwicklung an.

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Bei Görres verkehrt sich jedoch das vaterländische Lob nationaler kultureller Errungenschaften in bittere Zeitkritik und Hohn über geistlose Deutschtümelei in einer Zeit allgemeinen Niedergangs. Als autoreferentiell erweisen sich Görres Schriftproben nicht allein dadurch, daß sie als literarischer Text eine Vielzahl anderer Texte zitieren oder auf sie anspielen – was im Stellenkommentar im einzelnen zu belegen sein wird –, sondern auch dadurch, daß sie im „Prologus“ ihre eigene Entstehung in einem „biologisch-typographischen Schöpfungsmythos“ (Martin, S.429) literarisch reflektieren; die nachfolgenden Passagen führen mit ihren zuerst größer, dann kleiner werdenden Schriftgrößen einen quasi organischen Prozeß von Wachstum und Niedergang vor Augen, bis sich schließlich im „Tollgewordne!n" Epilogus“ der Geist in Wahn und Schlaf flüchtet. Die Schriftproben führen so in einer weit gespannten bogenförmigen Bewegung „Vom vorbewußten Chaos in den nachbewußten Schlummer, der alle Kontraste auflöst und die taghell-bedrängende Zeitdiagnose suspendiert“ (Martin, S.429). Prolog und Epilog rahmen den von ihnen eingeschlossenen Text und betonen die Geschlossenheit seiner Komposition, bezeichnen mit ihrer winzigen Schriftgröße die „Übergänge in die Lesbarkeit und aus ihr heraus“ (ebd., S.431) und öffnen damit zugleich den Text nach außen. Ein scherzhaft-spielerisches Pendant zur Rahmung durch Prolog und Epilog stellt die Einführung des fiktiven VerlegerAutors Peter Hammer und die „ganz prosaisch!e"“ Schlußbemerkung des Setzers dar, der – ein Novum für Buchdruckerschriftproben – „mit Erlaubniß des H.Verf., der ihn bisher gar nicht zu Worte kommen ließ“ (S.338 (24),36f.), das Schlußwort ergreift und damit gewissermaßen als Verkörperung handfesten Alltagsverstands in die Druckerwerkstatt und damit (vorgeblich) auf den Boden der nicht-literarischen Tatsachen zurückkehrt. Ähnlich wie in den Märchendramen Ludwig Tiecks die mehrfach ineinander verschachtelten Ebenen der Fiktion eine schwindelerregende Dynamik entwickeln, die den Leser schließlich an der Verläßlichkeit der Realität zweifeln läßt, inszeniert Görres ein hintersinnig-witziges Spiel mit verschiedenen Textebenen, mit der Ästhetisierung eines Gebrauchstexts und seiner vorgeblichen ‚Repragmatisierung‘ durch das abschließende eigenmächtige Eingreifen (der literarischen Figur) des Setzers. Görres legt mit seinen Schriftproben einen originellen, vielschichtigen und hochartifiziellen literarischen Text vor, der mehrere fiktionale und nichtfiktionale Textebenen miteinander verklammert oder auch fast unmerklich ineinanderschiebt, und in dem sich verschiedene Gestaltungsprinzipien überlagern. Mit dem formalen typographischen Schema der Buchdruckerschriftproben verbindet sich das ‚organizistische‘ Modell geistiger Schöpfung, das die bogenförmig auf- und absteigende Bewegung biologischer Entwicklung von der Empfängnis und Geburt bis zum Verfall und zur Auflösung nachzeichnet. Ein weiteres Gestaltungsprinzip läßt sich in Anlehnung an Arnims Charakterisierung (25.1.1808; Freundschaftsbriefe, S.477) als ‚mythisch-fragmentarischer‘ Habitus der Schriftproben beschreiben. Görres überschreibt die meisten seiner Textproben mit gliedernden Zwischentiteln, die folgende Übersicht über die behandelten Themen ergeben:

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Erstes Buch: Prologus I. Zigeunersprüche II. Tarantultanz III. Weltgeschichte IV. Tintenfische V. Allraunen VI. Schlaraffenland VII. Kurzer Process VIII. Caryatiden VIIII. Europa auf dem Heiligen Berg VIIII. !recte: X.?" !–" Zweytes Buch: I. Synonime II. !–" III. !–" IV. Mysticism V. Die Gegensätze VI. Die Wiedergeburt VII. Die Luftfahrt VII!I". Das Orpheusische Ey VIIII. Gespenster X. Tollgewordner Epilogus

Daß zu Beginn des zweiten Buchs (II.i-iii, ähnlich auch am Ende des ersten Buchs) bei den Zwischenüberschriften ebenso wie in der Anordnung der Schriftgrößen Unregelmäßigkeiten festzustellen sind – die Abschnitte II.ii und iii sind nicht betitelt – läßt vermuten, daß hier kurz vor der Drucklegung Partien eingeschoben oder umgestellt worden sind. Die thematische Vielfalt der Texte erweckt in der Tat den Eindruck der ‚Buntscheckigkeit‘ und lädt den Leser dazu ein, nach versteckten Bezügen zwischen den einzelnen Textproben zu suchen. Als Textkollage erinnern die Schriftproben auf den ersten Blick an das in einer Offizin anfallende zufällige Sammelsurium von Probeabzügen und Makulaturblättern aus verschiedensten Druckwerken. Die meisten Abschnitte entwickeln ihre Themen nicht in einer konzisen Gedankenfolge, sondern sprunghaft und nur assoziativ verknüpft. Die einzelnen Textproben beginnen abrupt – z.B. mit einem Personalpronomen –, enden offen und scheinen aus einem größeren Kontext herausgelöst (z.B. II.ii und iii) oder sind nachweislich als Fremdtexte eingeschoben, wie das lateinische Livius-Zitat in Abschnitt I.viiii. Görres rezipiert eine Vielzahl von Quellen und Anregungen. U.a. greift er Märchenmotive auf wie das des Schlaraffenlands und der Alraune; er verarbeitet Anekdoten und Parabeln und bedient sich gleichnishafter Einkleidung, wie z.B. in den Abschnitten „Kurzer Process“ und „Tintenfische“, um gegen staatliche und gesellschaftliche Zeiterscheinungen, gegen Adel, Fürsten und Klerus, gegen Journale-Schreiber oder philiströse Gelehrte zu polemisieren. Mit zunehmender Länge der Abschnitte (und mit abnehmender Schriftgröße) kommt der fragmentarische Charakter der Schriftproben verstärkt zum Tragen. Sie ‚zerfallen‘, z.T. auch optisch, in viele kurze, oft nur aus einem oder zwei Sätzen bestehende Absätze. Dies gilt insbesondere für Prolog und Epilog, aber auch

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für die dem Prolog unmittelbar folgenden „Zigeunersprüche“ (I.i) und für den dem Epilog vorangehenden Abschnitt „Gespenster“ (II.viiii), die beide thematisch auf die Sphäre des Dämonischen verweisen und ähnlich wie Prolog und Epilog eine rahmende Funktion erfüllen. Hier folgen einzelne unverbundene Einfälle, Bilder oder Visionen, emphatische Ausrufe, Fragen und feierliche Apostrophen in rascher Folge aufeinander; beschreibende Passagen wechseln mit monologischen oder (mutmaßlich) dialogischen, wobei Sprecher und Angesprochene schemenhaft bleiben. Unvermittelte Brüche und Neueinsätze, Gedankensprünge, Kürze und Vieldeutigkeit der Aussagen werden von Görres als wohlkalkulierte Momente der Irritation und Provokation eingesetzt. Dieses Verfahren kulminiert im „Tollgewordne!n"“ Epilogus“, der abgerissene Sätze und Bilder als fortlaufend gedruckten, nur durch Gedankenstriche gegliederten Text aneinanderreiht und sich damit gleichsam ante verbo als Stream of consciousness des sich selbst reflektierenden Epilogs präsentiert. Insgesamt überwiegt in den Schriftproben eine feierlich-pathetische Diktion, die oft archaisierend an die Sprache der Bibel anklingt. Damit kontrastieren kolloquiale Redewendungen („o ihr !…" Hunde!“ (S.337 (23),8a), „ja Katzenköpfe!“ (S.337 (23),14a–15a)), dialektal gefärbte Ausdrücke (‚Ahnichherrchen‘ (S.337 (23),21a), ‚Angelbeiz‘ (S.337 (23),15b), ‚Peternell‘ (S.337 (23),32b)) und das vom Rezensenten im ‚Morgenblatt‘ als anstößig beanstandete Vokabular aus dem sexuellen Bereich („beschlafen“ (S.316 (2),34b)). Gelegentlich werden Verse oder (fremdsprachige) Prosatexte zitiert; häufiger finden sich Anklänge an und Anspielungen auf literarische Werke, aber auch auf historische Quellen, volkstümliche Überlieferungen, Weltwissen, u.a. aus den Bereichen Handel, Gewerbe und Technik; darüber hinaus liefern Medizin, Pharmazie, Naturgeschichte und Astronomie ebenso Anknüpfungspunkte wie Geschichte und Philosophie, so daß sich in einer überwiegend düster grundierten Bilderfolge Momentaufnahmen der abendländischen Literatur- und Kulturgeschichte aneinanderreihen. Deutlich greifbare Einflüsse und Anregungen gingen u.a. vom Alten und Neuen Testament, von der antiken und von der nordischen Mythologie, von Vergils Eklogen, Livius’ Geschichtswerk Ab urbe condita, Guarinis Il pastor fido, Shakespeares Dramen, von Hans Sachs’ Fastnachtsspielen, Volksbüchern, Märchen und von Volksliedern aus, mit denen sich der Freundeskreis in Heidelberg besonders intensiv beschäftigte. Unter den zeitgenössischen Autoren bezieht sich Görres u.a. auf Wieland, Herder, Lessing, Goethe, Jean Paul, auf die Jenaer und die Heidelberger Romantiker. Ihren inneren Zusammenhang verdanken die Schriftproben nicht zuletzt einem dichten Netz motivischer Verknüpfungen. Zentrale Motive, die Prolog und Epilog verklammern, aber auch an verschiedenen anderen Textstellen wiederkehren, sind das Motiv der Teufelsbuhlschaft und Zauberei, das der Tollheit bzw. des Wahns, der Themenkreis Sünde, Schuld, Strafe und (Jüngstes) Gericht, die Vorstellung von der Zeit als unbarmherzig tötender Instanz oder als gefühllosem Räderwerk; auffallend oft verwendet Görres ferner Bilder zerstörender Naturkräfte wie Erdbeben, Vulkane und Lawinen, Bilder der Gewalt von Schlachtfeldern, Schlachthäusern, Richtplätzen sowie das Motiv des zerstückelten Leibs. Als Trä-

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ger geheimnisvoller Botschaften und als Unheil verkündende kosmische Zeichen fungieren Gestirne und besonders Kometen (vielleicht wurde Görres hier speziell vom Erscheinen des Großen Kometen im Jahr 1807 angeregt); als zumeist bedrohliche Kräfte begegnen die Motive Feuer und Eis. Als wichtige Quelle für die Motive der Teufelsbuhlschaft und der Hexerei dient Görres ein Werk von Benedikt Carpzov (1595–1666), der im 17. Jahrhundert ein häufig aufgelegtes Standardwerk des Strafrechts mit dem Titel Practica nova Imperialis Saxonicae rerum criminalium (1635; 6.Aufl. 1670 u. ö.) verfaßte. Darin gab der sächsische Jurist Protokolle von Verhören der Hexerei Angeklagter ausführlich wieder. Diese Berichte wurden in der zeitgenössischen dämonologischen Literatur häufig – auch auszugsweise – wiedergegeben. Ein Indiz für ihre Verbreitung ergibt sich daraus, daß Goethe bei der Materialsammlung für die Walpurgisnacht-Szene des Faust I die einschlägigen Passagen aus Carpzov – eventuell vermittelt durch einen oder mehrere andere Autoren – exzerpierte (WA I 14, S.296–300). Die von Görres in seinen Schriftproben (S.315 (1),23b–35b; S.335 (21),1b–6b; S.336 (22),15a–18a) verwendeten Abschnitte aus Carpzovs Werk sind u.a. in zwei Publikationen des Polyhistors Johannes Praetorius (1630–1680) abgedruckt, die in der 1853 versteigerten Brentanoschen Bibliothek nachgewiesen sind und möglicherweise von Görres in Heidelberg konsultiert wurden. (Vgl. Clemens und Christian Brentanos Bibliotheken. Die Versteigerungskataloge von 1819 und 1853, hg. von Bernhard Gajek, Heidelberg 1974, S.328(186), Nr.3287 und 3290.) Dabei handelt es sich um den Anthropodemus plutonicus. Das ist Eine Neue Welt-beschreibung Von allerley wunderbaren Menschen, als Alpmännergen, Schröteln, chymischen Menschen, Drachenkinder, Elben !…", 2Bde., Magdeburg 1666–1667, hier Bd.1, S.207–209, und um die Blockes-Berges Verrichtung Oder Ausführlicher Geographischer Bericht von den hohen trefflich alt- und berühmten Blockes-Berge: ingleichen von der Hexenfahrt und Zauber-Sabbathe so auf solchen Berge die Unholden aus gantz Teutschland Jährlich den I. Maij in Sanct-Walpurgis Nachte anstellen sollen, Leipzig 1669, hier S.362–364. In den Schriftproben verknüpft Görres die in der Neuzeit weiterlebenden Vorstellungen und Stereotype mittelalterlichen Hexen- und Teufelsglaubens mit antiken und biblischen Motiven wie dem Sagenkreis um die zauberkundige Kolcherin Medea (S.315 (1),20b–22b und S.332(18),23a–21b) und mit der alttestamentarischen Erzählung von der Hexe von Endor (S.337 (23),19a–21a), so daß in der historischen Gegenwart mythische Grundmuster zum Vorschein kommen und die kunstvolle Textkollage in einer quasi zeitlos-mythischen Gegenwart lokalisiert scheint. Die überwiegend düster-pessimistisch grundierte Bildlichkeit, deren Bezüge nicht restlos aufzulösen sind, schafft eine unheilvolle Atmosphäre diffuser Bedrohung. Ähnlich kombiniert Görres Vorstellungen von Wiedergeburt und Auferstehung heterogener Provenienz zu einer vernichtenden Bestandsaufnahme nicht eingehaltener Heilsversprechen und enttäuschter Hoffnungen. Der Abschnitt „Die Wiedergeburt“ (II.vi) beginnt mit einer Anspielung auf Vergils vierte Ekloge, die in panegyrischer Absicht im Zusammenhang mit der Geburt eines

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Knaben die Wiederkehr des goldenen Zeitalters prophezeit (S.332 (18),21a–22a). Statt auf die verheißene Wiedergeburt näher einzugehen, erinnert Görres im Folgenden an zwei mißglückte bzw. per se prekäre Verjüngungsversuche: Medea verleitet die Töchter des Pelias dazu, ihren greisen Vater förmlich zu schlachten, um ihn anschließend zu verjüngen, vereitelt seine ‚Wiedergeburt‘ aber dadurch, daß sie listig einen wirkungslosen Kräutersud zubereitet (S.332 (18),23a–22b). Skeptisch beurteilt Görres auch die Realisierbarkeit des pseudo-paracelsischen Verjüngungsrezepts (S.332 (18),23b–333 (19),9a), das ebenfalls die Zerstückelung des Patienten oder vielmehr Opfers voraussetzt; allerdings äußert er keine grundsätzlichen Zweifel an der Wirksamkeit der beschriebenen Praktiken, sondern führt das absehbare Scheitern der Prozedur darauf zurück, daß es an einem verläßlichen Hüter für „das heilige Feuer“ (S.333 (19),11a–12a) fehle, da „Unsere Gelehrten“ (S.333 (19),1b) sich gegen ihr Versprechen nur um die eigenen Belange kümmern. So bleibt nur der sarkastische Vorschlag, sich „in ein altes hetrurisches Grabesgewölbe“ (S.333 (19),7b–8b) zu verkriechen, um dort lebendig begraben, aber gut konserviert, den Jüngsten Tag und die Auferstehung der Toten abzuwarten.

Stellenkommentar Erstes Buch Prologus 315 (1),12a Introite, sunt hic etiam Dii!] Introite, nam et heic dii sunt. – („Tretet ein, denn auch hier sind Götter“), lautet das Motto von Lessings Nathan der Weise (1779) nach einer griechischen Sentenz des Heraklit. 315 (1),13a befroren] Gefroren (DWb1, Sp.1273). Vgl. zum Motiv des Frosts auch S.318 (4),17a; S.319 (5),2a; S.326 (12),23b–24b; S.337 (23),29a– 35a und S.338 (24),34a–5b. 315 (1),16a Monaden] Siehe Anm. 27,14 zu A55. 315 (1),16a Witzgefunkel] Vgl. unten S.316 (2),3a und siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘). 315 (1),21a–23a wundervolle Natur! ein Firmament hat sie in den Menschen geworfen] Vgl. zur Vorstellung von der Welt im Menschen u.a. Novalis, BL16. 315 (1),23a närrisch] Vgl. zum Motiv Tollheit / Narrheit / Wahn S.316 (2),14b–16b; S.322 (8),30b; S.323 (9),12b–14b und 27b; S.324 (10),26a–29a; S.336 (22),28a–29a und 8b–9b; S.337 (23),43a–46a und S.338 (24),11a–14a. 315 (1),31a Menschenfischer] Eine Anspielung auf Matth.4,16. Vgl. zum Motiv des Fischens auch S.321 (7),1a und S.336 (22),29a–33a. 315 (1),8b–9b wiedergebohren im Fleische] Vgl. zum Motiv der Wiedergeburt Abschnitt II.vi. 315 (1),13b–14b Nativität !…" Aspecten] Die Konstellation der Gestirne bei der Geburtsstunde und ihre Stellung zur Erde zu einem bestimmten Zeitpunkt.

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315 (1),16b–17b Böse Zeit, schlimme Zeit!] Vgl. S.315 (1),23b. 315 (1),16b–18b Es droht das neue Gestirn mit der Keule den teutschen Auerochsen zu erschlagen] Eine Keule trägt im griechischen Mythos Herkules, nach dem ein Sternbild des nördlichen Himmels benannt ist. Eine der zwölf Aufgaben, die Herkules im Dienst des Königs Eurystheus vollbrachte, bestand darin, den Kretischen Stier zu zähmen, eine andere darin, die Rinder des Riesen Geryon zu rauben, was Herkules gelang, indem er deren Hirten Eurytion und dessen Hund Orthos mit seiner Keule erschlug. (Vgl. Ovid, Metamorphosen, Buch IX, Vers182–203.) Nach W.Schellberg, GWB2, S.672, wohl „im Geiste der alten Kalenderpraktiken“ auf Napoleon zu beziehen. 315 (1),18b die Meduse schaut starr zur Erde hernieder] Der Stern Algol im Sternbild Perseus wurde als Auge der von Perseus erschlagenen Meduse gedeutet. 315 (1),19b die nordischen Bären] Die Sternbilder Großer und Kleiner Bär der nördlichen Hemisphäre. 315 (1),19b–20b der Löwe flieht den Hahnenschrey] Das Tierkreiszeichen Löwe. Der Hahnenschrei bezeichnet den beginnenden Tag und steht hier wohl zugleich mit Bezug auf das historische Sternbild Hahn der südlichen Hemisphäre. Daß das Krähen des Hahns dem Löwen unerträglich sei, erwähnt Lukrez in De rerum natura IV,712–715 („Ja, den Hahn, der die Nacht mit schlagenden Flügeln verscheuchet / Und uns täglich den Morgen mit schmetternder Stimme herbeiruft, / Können die grimmigen Löwen nicht anschaun oder entgegen / Sich ihm stellen. Sie suchen vielmehr ihm rasch zu entrinnen.“ (Lukrez, Von der Natur, lateinisch – deutsch, hg. und übersetzt von Hermann Diels, mit einer Einführung von Ernst Günther Schmidt, München 1993, S. 348f.) Vgl. auch BächtoldStäubli 3, Sp. 1340 und zum Motiv des Hahns S. 317 (3),17a–18a und S. 322 (8),14b. 315 (1),20b die Hunde wedeln] Die historischen Sternbilder Kleiner und Großer Hund und/oder Jagdhunde. Vgl. zum Motiv des Hunds auch S.317 (3),25b; S.327 (13),9b; S.336 (22),37b–38b und S.337 (23),1a–28a. 315 (1),20b–22b weine nicht Medea, dort fliegt das Schiff mit deinem Schatze dahin] Medea, die zauberkundige Prinzessin von Kolchis, wurde von ihrem Gatten Iason, dem Erbauer des Schiffes Argo nach der Flucht aus ihrer Heimat verstoßen (Ovid, Metamorphosen, BuchVII, Vers1–397); vgl. auch S.332 (18),23a. Schiff Argo heißt ein Sternbild der südlichen Hemisphäre. 315 (1),16b–22b Es droht das neue Gestirn !…" dahin] Vgl. zur bildhaften Ausdeutung der Sternbilder auch S.333 (19),16a–23a. 315 (1),23b Böse Zeit, viel übel Zeit!] Vgl. S.315 (1),16b–17b. 315 (1),23b–26b Es buhlt der Teufel mit der Welt !…" viel bös Gezücht wird dort gezeugt] Vgl. im Epilog S.335 (21),2b–6b und S.336 (22),15a–18a, wo Görres ebenfalls frei aus Benedikt Carpzovs Practica nova imperialis Saxonica rerum criminalium (1635 u. ö.), hier speziell Pars I, quaestio 50, Nr.66, sententia XXI–XXXV, zitiert. Die von Carpzov gesammelten Verhörprotokolle aus zeitgenössischen sogenannten Hexenprozessen wurden häufig von anderen Autoren (auszugsweise) wiedergegeben. Die von Görres verwendeten Passagen finden

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sich z.B. auch bei Johannes Praetorius, Blockes-Berges Verrichtung (1669), S.362–362, nach dem im folgenden zitiert wird. Als Anregung für den „Prologus“ könnte sententia XXXI und XXXV gedient haben, wo eine Angeklagte über ihren sexuellen Verkehr mit dem Teufel angibt: „es were wann sie sich mit ihm vermischt / das Thun gar kalt gewesen !…" und habe von ihme nach vier Wochen fünff paar böse Dinger gezeuget, und gebohren“ (S.364). 316 (2),1a–2a Satanisken] Vgl. A379 und siehe Anm. 70,22 dazu. 316 (2),3a Witz] Vgl. S.315 (1),16 und siehe Anm. 9,23 zu L9 (‚Witz‘) 316 (2),13a Mehlthau des Himmels] Vom Mehltau und vom Honigtau wurde früher angenommen, daß sie vom Himmel fielen (DWb4.2, Sp.1793 und DWb6, Sp.1870). 316 (2),14a von der Flamme gesengt, von der Sonne gebraunt] Vielleicht eine Anspielung auf das Hohelied 1,5f. 316 (2),16a Wasser- und Feuertaufe] Eine Anspielung auf Matth.3,11 und Lukas 3,16. 316 (2),7b–8b Lasst euch nicht !…" gelüsten] Eine Anspielung auf den Dekalog; vgl. Exod. 20,17 und Deut. 5,18(21). 316 (2),8b corrosiv] Fressend, beißen, ätzend. 316 (2),9b–10b Canthariden] Spanische Fliege, Art der Blasenkäfer (Lytta vesicatoria). Giftiges Insekt, das Blasen und Geschwüre hervorruft und als Aphrodisiakum sowie zu medizinischen Zwecken verwendet wurde. 316 (2),13b hecken] Nisten, brüten, sich vermehren (DWb4.2, Sp.745– 747). 316 (2),15b–16b Narrenneste !…" Hans Sachsens Narrenschneider] Eine Anspielung auf das Fastnachtsspiel Das Narrenschneiden von Hans Sachs (1494–1576), wo der Arzt dem von ihm untersuchten Patienten folgende Diagnose stellt und ihn einer Roßkur unterzieht: Sei guter Ding und laß mich sorgen! In dir steckt noch das Narrennest! !…" Ich will das Nest auch von dir schneiden. !…" Schnitt’ man das Nest dir nit heraus, so brütest du jung Narren aus. (Hans Sachs, Werke in zwei Bänden. 2.Bd.: Dramatische Dichtungen, Prosadialoge, hg. von Karl Martin Schiller, Berlin und Weimar, 21966, S.371.)

316 (2),19b flamsen] Wohl wie ‚flämmsen‘ im Sinn von sengen (vgl. Rheinisches Wb2, Sp.548). 316 (2),21b des Norden Spuck und Fratzengebilde] Vgl. hierzu Goethe, Faust I, Vers 2495–2498, wo Mephistopheles seine zeitgemäße äußere Erscheinung erklärt:

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Auch die Cultur, die alle Welt beleckt, Hat auf den Teufel sich erstreckt; Das nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen; Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen? (WA I 14, S.122.)

316 (2),22b fraudiren] Betrügen, ein betrügerisches Wesen treiben. 316 (2),29a–30a O malvagio Destino! Dove m’hai tu condotto?] „O, niederträchtiges Schicksal, wohin hast du mich geführt?“ Ein Zitat aus Battista Guarinis (1538–1612) Schäferspiel Il pastor fido (1584), V5. 316 (2),33a der Rattenfænger von Hameln] Vgl. das Lied mit demselben Titel in Des Knaben Wunderhorn (FBA6, S.41f.), Grimm, Deutsche Sagen, S.281–284 (Die Kinder zu Hameln und Der Rattenfänger) und Praetorius, S.372f. 316 (2),34a Schweislœchern] Poren. 316 (2),35a Schubsæcken] (Weite) Taschen in Kleidungsstücken (DWb9, Sp.1822). 316 (2),36a Canaillen] Pack. 316 (2),41a wie die Mæuse den Bischoff Hatto gefressen] Hatto II., Erzbischof von Mainz (gest. 970) ließ nach der Legende den Mäuseturm zu Bingen als Getreidespeicher erbauen. Als er während einer Hungersnot den Armen seine Getreidevorräte vorenthielt und sie verhöhnte, wurde er zur Strafe bei lebendigem Leib von Mäusen aufgefressen. 316 (2),43a–29b Gegen den Blocksberg !…" die Kanzel] Wohl die sogenannte Teufelskanzel, ein sagenumwobener Sandsteinfelsen am Brocken in der Nähe der Burgruine Hanstein, den Görres auch in einem Beitrag zum ‚Rheinischen Merkur‘ erwähnt. (Aus der Übersicht der neuesten Zeitereignisse im April 1814; GWB1, S.529.) Vgl. auch Die Teufelscanzel in den von den Brüdern Grimm herausgegebenen Deutschen Sagen (S.237). 316 (2),30b Thüren des Vaterhauses] Der Hölle (vgl. S.316 (2),3a: „unser Vaterhaus ist die Hölle“). 316 (2),36b Bethlehemitischen Kindermord] Eine Anspielung auf Matthäus2,13ff. I. Zigeunersprüche 317 (3),1 Zigeunersprüche] Görres verarbeitet in diesem Abschnitt Motive aus dem Lied Das Feuerbesprechen, das Arnim und Brentano in Des Knaben Wunderhorn veröffentlichten (FBA6, S.18–20): Zigeuner sieben von Reitern gebracht, Gerichtet verurtheilt in einer Nacht, Sie klagen um ihre Unschuld laut, Ein Jud hätt ihnen den Kelch vertraut. Die Rathsherrn sprechen das Leben leicht ab Sie brachen dem sechsten schon den Stab, Der siebent ihr König sprach da mit Ruh: „Ich hör’ wohl in Lüften den Vögeln zu!

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Ihr sollt mir nicht sengen ein Härlein vom Kleid, Bald krähet der rothe Hahn so weit!“ Da bricht die Flamme wohl über wohl aus, Aus allen vier Ecken der Stadt so kraus. !…"“ !…"

317 (3),17a–18a Lasst krähen dreymal den rothen Hahn] Vgl. Das Feuerbesprechen, Vers10 (FBA6, S.19). 317 (3),20a Basiliskenblicke] Dem Basilisken, einem Fabelwesen von teils Hahnen-, teils Drachengestalt, das auch in Jesaja 11,8 erwähnt wird, wurden seit der Antike tödliche Blicke und giftiger Atem zugeschrieben. 317 (3),29a die goldne Tinctur] Vielleicht ein aus Goldsalzen hergestelltes Allheilmittel ähnlich dem Aurum potabile der Alchimisten. Vgl. Pierer 12 (1842), S.341. 317 (3),31a Lineamente] Handlinien. 317 (3),35a Etzel] Name des Hunnenkönigs Attila (5. Jahrhundert) in der germanischen Heldendichtung, im Nibelungenlied der zweite Gemahl Kriemhilds. 317 (3),39a die Palme] Als Siegeszeichen. 317 (3),4b–5b David, David wo ist die Schleuder?] Eine Anspielung auf 1.Samuel17, wo der Hirtenjunge David, der künftige König Israels, den riesenhaften Philister Goliath, der die Gefolgsleute Sauls verhöhnt, um sie zum Kampf zu provozieren, mit einer Steinschleuder tötet. 317 (3),7b Feiste] Fett(sein), fette Beschaffenheit (DWb3, Sp.2471). 317 (3),20b–22b Säet ihr Sünden !…" Verderben wird euch aus der Saat erwachsen] Wohl im Anklang an biblische Formulierungen wie Hosea 8,7 und Sprüche 22,8. 317 (3),24b–25b wer rein ist, der mag den ersten Stein gegen sie heben] Eine Anspielung auf Joh. 8,7. 317 (3),38b–39b Den Zahn aus dem Munde des Sultans von Babel zu brechen] Ein Motiv aus C.M.Wielands Versepos Oberon (1780), Erster Gesang, Stanzen 66–68: Der junge Ritter Hüon ist bei Kaiser Karl in Ungnade gefallen und darf unter Androhung der Todesstrafe erst dann wieder an dessen Hof erscheinen, wenn er eine Reihe von – nach menschlichem Ermessen – unlösbaren Aufgaben erfüllt hat: ‚!…" Zeuch hin nach Babylon, und in der festlichen Stunde, Wenn der Kalif, im Staat, an seiner Tafelrunde, Mit seinen Emirn sich beim hohen Mahl vergnügt, Tritt hin, und schlage dem, der ihm zur Linken liegt, Den Kopf ab, daß sein Blut die Tafel überspritze. Ist dieß gethan, so nahe züchtig dich Der Erbin seines Throns, zunächst an seinem Sitze, Und küss’ als deine Braut sie dreymahl öffentlich. Und wenn dann der Kalif, der einer solchen Scene In seiner eignen Gegenwart Sich nicht versah, vor deiner Kühnheit starrt, So wirf dich, an der goldnen Lehne Von seinem Stuhle, hin, nach Morgenländer-Art,

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Und, zum Geschenk für mich, das unsre Freundschaft kröne, Erbitte dir von ihm vier seiner Backenzähne Und eine Handvoll Haar aus seinem grauen Bart. Geh hin, und, wie gesagt, eh’ du aufs Haar vollzogen Was ich dir hier von Wort zu Wort gebot, Ist deine Wiederkunft unmittelbarer Tod! Wir bleiben übrigens in Gnaden dir gewogen. Der Kaiser sprach’s und schwieg. Allein wie uns dabey Zu Muthe war, ist notlos zu beschreiben. Ein jeder sah, dass so gewogen bleiben Nichts besser als ein Todesurtheil sey. (CMW22 (Bd.7 des Nachdrucks), S.40–42.)

317 (3),39b–318 (4),2a eine Hand voll Haare aus dem Barte des vorübereilenden Cometen] Die Benennung Komet bedeutet Haarstern, und Kometen wurden auch als Bartsterne bezeichnet (DWb1, Sp.1146); vgl. zum Motiv des Kometen auch S.326 (12),25b und siehe Anm. 213,34 zu ET437. 318 (4),5a–7a Ueber Phaetons Fall weinten die Najaden schon einmal crystallene Thränen !…" Bernsteinfang] In Ovids Version des Phaeton-Mythos (Metamorphosen, Buch II, Vers 305–366) beweinen die Heliaden den verunglückten Lenker des Sonnenwagens, bis sie sich in Bäume verwandeln, aus deren Harz-Tränen der Bernstein entsteht. 318 (4),10a–11a Geht hin, euere Sünden habt ihr abgebüsst] Wohl ein Anklang an (eine) Formel(n) der christlichen Liturgie. 318 (4),17a–18a Ist der Eisriese über die goldene Brücke nach Hause gezogen?] Vielleicht, wie in Novalis’ Distichon Es ist an der Zeit in Glauben und Liebe eine Anspielung auf Goethe, Das Mährchen (WA I 18, S.225–273), an dessen zentrale Motive die Erzählung von Riese, Brücke, Schlange und Prinzessin anzuknüpfen scheint. 318 (4),31a–33a von neuem wird in Fluthen der sündige Welttheil ersäuft] Eine Anspielung auf die Sintflut (Gen.7–8). 318 (4),3b–4b über den eigenen Bart sich nicht gespien] Redensartlich im Sinn von: schwach sein (vgl. Wander 1, Sp.238f., Nr.35 und 78f.) 318 (4),6b Cid] Der spanische Nationalheld des 11. Jahrhunderts, Rodrigo Diaz mit dem maurischen Beinamen el Cid ist Held mehrerer Ritterepen, Romanzen und Dramen. 318 (4),16b Blume] Im Sinn von: der beste Bestandteil von etwas (vgl. Rheinisches Wb1, Sp.802). 318 (4),19b–22b Hat der alte Thor !…" den Hammer verloren, hat Odin alle fünfhundert Thore an Walhalla geschlossen !…"?] Donar (Thor) und Odin (Wodan) sind die obersten Gottheiten der nordischen Mythologie. Als Kriegsund Totengott herrscht Odin über Walhalla, den Aufenthaltsort gefallener Krieger, dessen 540 Tore er allabendlich schließt. Donar war u.a. der Gott des Ackerbaus; sein Attribut, der Hammer, wurde in der Edda von Riesen gestohlen und mußte von ihm mit List wieder in seinen Besitz gebracht werden. Vgl. auch dasselbe Bild in dem späteren Beitrag zum ‚Rheinischen Merkur‘ Auf Rat weil, zur Tat eil (GWB1, S.614).

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319 (5),6a–9a viel heimliche Sünden haben wohl die Väter verschuldet !…" bis in’s fünfzigste Glied so gewüthet] Eine Anspielung auf Exodus 20,5 u.a. Stellen des Alten Testaments. 319 (5),10a–11a den Spiegel!…", damit sie die Zukunft drin lesen] Vgl. zur magischen Bedeutung des Spiegels Bächtold-Stäubli 9, Sp.547–565. 319 (5),23a Gemeinhuth] Gemeindeeigenes Weideland (DWb4.1.2, Sp.3257). 319 (5),37a Palästra] Ringerschule der Antike. 319 (5),14b der kategorische Imperativ] Siehe Anm. 10,12 zu L16. 319 (5),25b Oxhöfft] Oxhoft, altes, besonders für Wein gebrauchtes Hohlmaß (ca. 200–250 Liter). 319 (5),28b–29b haben auf helfenbeinernen Stühlen mit falschen Bärten gesessen] Gegenstand der Anspielung nicht ermittelt. 319 (5),39b–40b Geschmuck] Intensivum von Schmuck: Zierde, Pracht (DWb4.1,2, Sp.3946–3948). 320 (6),20a Erdbeben] Vgl. S.327 (13),20b, Novalis, GL11–14 zum Motiv des Erdbebens in der zeitgenössischen politischen Metaphorik und siehe Anm. 77,43–78,9 zu A424 über die Deutung der Revolution als Naturkatastrophe. 320 (6),25a lösen] Befreien (DWb6, Sp.1190). 320 (6),31a–38a Darum hat die Zeit der alten Gewächse so Viele gewendet !…" durchschleichen] Vgl. zum Motiv der Verkehrung S.338 (24),27b–31b. 320 (6),2b–5b glaubt !…" wie Christophorus, dem Stärksten anzugehören !…" bey einem Crucifix vorbey] In der Legenda aurea des Jacobus de Voragine (um 1230–1298) will der hünenhafte Offerus – der spätere Heilige Christophorus – nur dem mächtigsten aller Könige dienen; da der König, in dessen Dienst er zuerst tritt, sich aus Furcht bekreuzigt, als er den Namen des Teufels hört, erkennt Offerus, daß der Teufel mächtiger sein muß und verläßt seinen Herrn, um dem Teufel zu dienen. Er findet ihn in einer Einöde in Gestalt eines schwarzen Ritters und tritt in seinen Dienst. Als der Teufel und sein Gefolge einen großen Umweg machen, um einem Kruzifix am Weg auszuweichen, erkennt Offerus, daß Christus noch mächtiger sein muß als der Teufel, und beschließt, diesem zu dienen. 320 (6),6b–14b O ihr Armen, wie haben sie am Spalier euch veredelt !…" chinesische Mauer !…" die Tartaren hausen] Vgl. Jean Paul, Dämmerungen für Deutschland (1809), Kap. VIII, JP,SW I 5, S.1022, zweite Fußnote: „wenn der freie Deutsche alle Mauern floh: so bezeichnet die chinesische Mauer, als die Spaliermauer von 333 Millionen Menschen, deutlich das Menschen-Gewächs, welches daran reift und kriecht.“ 320 (6),17b verschnitten] Kastriert. 320 (6),25b Exspectanzen] Anwartschaft auf ein Amt, eine Pfründe o.ä. 320 (6),25b–26b sind !…" erledigt] Sind frei, stehen offen, stehen zur Verfügung. 320 (6),31b–32b Honigthau] Vgl. oben S.316 (2),13a. 320 (6),34b–37b Ist der Herr Fleisch in ihnen geworden !…" der Pfahl im Fleische] Reminiszenzen an Joh. 1,14 und 2.Kor.12,7.

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320 (6),39b–40b der Geist !…", der über die Apostel gekommen] Eine Anspielung auf das Pfingstwunder nach Apostelgeschichte 2,4. 321 (7),1a Fischer] Vgl. S.315 (1),31 und S.336 (22),29a–33a. 321 (7),2a–10a Lässt !…" der Teufel sich blicken !…" Er soll aber kommen, und den Stein aus dem Dome wieder an seine alte Stelle versetzen !…" steht ja wieder ein Hurenhaus da] Um den Bau der mittelalterlichen Dome ranken sich häufig Legenden, die von einer Beteiligung des Teufels an den monumentalen frommen Unternehmen berichten; oft wird auch ein Teufelsstein o.ä. genannter Stein im oder an den Sakralbauten damit in Verbindung gebracht. Vgl. hierzu Der Lügenstein in den Deutschen Sagen der Brüder Grimm: Auf dem Domplatz zu Halberstadt liegt ein runder Fels von ziemlichem Umfang, den das Volk nennet den Lügenstein. Der Vater der Lügen hatte, als der tiefe Grund zu der Domkirche gelegt wurde, große Felsen hinzugetragen, weil er hoffte, hier ein Haus für sein Reich entstehen zu sehen. Aber als das Gebäude aufstieg und er merkte, daß es eine christliche Kirche werden würde, da beschloß er, es wieder zu zerstören. Mit einem ungeheuern Felsstein schwebte er herab, Gerüst und Mauer zu zerschmettern. Allein man besänftigte ihn schnell durch das Versprechen, ein Weinhaus dicht neben die Kirche zu bauen. Da wendete er den Stein, so daß er neben dem Dom auf dem geebneten Platz niederfiel. Noch sieht man daran die Höhle, die der glühende Daumen seiner Hand beim Tragen eindrückte. (S.241.)

321 (7),17a–18a mit ledernen Glocken drin läuten] Ein Motiv aus dem Typus des Lügenmärchens; so schildert z.B. Daz Wahtelmære aus dem 14. Jahrhundert das Land „Kurrel murre“, eine Art Schlaraffenland, in dem lederne Glocken die Gläubigen zur Kirche „locken“ (Vers 74f.; Denkmæler deutscher Sprache und Literatur aus Handschriften des 8ten bis 16ten Jahrhunderts, hg. von H.F.Maßmann, 1.Heft, München u.a. 1828, hier S.108.). Auch ins Sprichwort hat das paradoxe Bild von den ledernen Glocken Eingang gefunden; vgl. Wander 1, Sp.1728, Nr.80: „Wo die Glocke von Leder ist vnd der Klöppel ein Fuchsschwantz, da hört man den Klang nicht ferr. !…" Von alles vertuschenden und nichts verbessernden Leisetretern und Schmeichlern.“ 321 (7),21a–25a ein unermesslich Werk !…" der Engel Gesang] Der Turmbau zu Babel, vgl. Gen.11,1–9. 321 (7),27a das heimliche Gemach] Die Latrine. 321 (7),30b–31b O mächtiger Brama, lass dir das Lallen, der Unschuld gefallen] Eine Arie aus der tragisch-komischen Oper Axur, Re d’Ormus (1788) von Antonio Salieri (Libretto von Lorenzo da Ponte nach einem Text von Beaumarchais); eine deutsche Fassung dieser beliebten Befreiungsoper wurde 1790 uraufgeführt (Axur, König von Ormus. Eine Oper in 4 Aufzügen nach dem Italienischen von Beaumarchais’ Tarare von D[oktor]. Schmieder). 321 (7),32b–34b Die ihr des unermesslichen Weltalls Schöpfer ehrt !…" Tien ihn oder] Mozarts Freimaurerkantate aus dem Jahr 1791 (KV619) nach dem Text von Franz Heinrich Ziegenhagen („Die ihr des unermeßlichen Weltalls Schöpfer ehrt, | Jehova nennt ihn, oder Gott nennt Fu ihn, oder Brahma !…"“). 321 (7),35b Ich bin der Schneider Cacadu etc.] Das Lied des Schneiderge-

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sellen Crispin („Ich bin der Schneider Wetz !…"“) aus dem Singspiel Die Schwestern von Prag (1794) von Wenzel Müller (Text: Joachim Perinet) verselbständigte sich zum populären Gassenhauer, dem bis in die 1820er Jahre hinein verschiedene aktuelle und satirische Texte unterlegt wurden: Ich bin der Schneider Kakadu Gereist durch alle Welt Und bin vom Kopfe bis zum Schuh Ein Bügeleisenheld Jüngst kam ich g’rade nach Paris Als Orleans die Welt verlies!!" Da wurd’ ich schleunig ausgespürt’ Und zum Convente hingeführt Dort fragt ein Krippenbeißer mich Bist du Aristokrat? Mit nichten, Freund, erwidert’ ich, Und auch kein Demokrat. Ich bin ein Mensch, der ißt und trinkt Gelassen seine Nadel schwingt. Kurzum, du alter Esel du Ich bin der Schneider Kadadu Da rissen alle, Mann für Mann Die Riesenmäuler auf. Und riefen: legt ihm Fesseln an Sonst hebt der Wind ihn auf Vergebens wand und sträubt ich mich Ein Helfershelfer packte mich Und um den Hals ein Eisenband Ward Kakadu ins Feld gesandt Dort ward ich stündlich exerziert Und richtig, Tag für Tag, Mit fünfzig Prügel!!" regaliert Ich schrie da Weh und Ach Doch endlich ward mein Rücken froh Denn Monsieur Kakadu entfloh Und mit dem Bündel in der Hand Reist er in’s deutsche Vaterland (Zitiert nach www.volksliedarchiv.de; Zugriff am 20.2.2011)

321 (7),39b–41b Edgarn !…" als wolle der böse Feind in einer Nachtigall Gestalt uns verfolgen] Eine Anspielung auf Shakespeares King Lear, III6, wo Edgar vorgibt, wahnsinnig zu sein und sich vom Teufel verfolgt zu fühlen. 322 (8),12a zieht denn hin euere Strasse in Frieden] Eine Reminiszenz an (liturgische) Segensformeln. 322 (8),13a–15a sprecht doch !…" nicht immer so teutsch mit hellenischen Buchstaben] W.Schellberg, GWB2, S.673, vermutet hier eine Spitze gegen den Altphilologen Voß. 322 (8),19a Schurzfell] Lederne Schürze, die besonders von Handwerkern, wie Grobschmieden und Schustern, getragen wurde.

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322 (8),20a Vestale] Im alten Rom eine jungfräuliche Priesterin der Göttin Vesta. 322 (8),14b es krähet der Hahn] Vgl. S.315 (1),20b und S.317 (3),18a. 322 (8),16b der schwarze Ritter] In Ludwig Uhlands gleichnamiger Ballade aus dem Jahr 1806 tritt der schwarze Ritter als Verkörperung des Todes auf; vgl. Ludwig Uhland, Werke, Bd.1: Sämtliche Gedichte, hg. von Hartmut Fröschle u.a., München !1980", S.128f. II. Tarantultanz 323 (9),1 Tarantultanz] Das durch den Biß einer Tarantel in den Körper gelangte Gift soll, wie man früher glaubte, durch heftiges schweißtreibendes Tanzen unschädlich gemacht werden; vgl. Pierer 30 (1845), S.395. 323 (9),8a Tarantul, auch Malmignatto genannt] Bei der Tarantel (Lycosa tarentula) und der Malmignatte (von lat. malus; Latrodectus tredecimguttatus), Mediterrane Schwarze Witwe, handelt es sich um zwei verschiedene Spinnenarten. 323 (9),30a Theriac] Ein aus zahlreichen Ingredienzien (u.a. Opium und Schlangenfleisch) hergestelltes, seit der Antike gebräuchliches Universalheilmittel. III. Weltgeschichte 324 (10),12a–17a Es wurde der Erste gebohren !…" begonnen] Eine geraffte Darstellung der frühen Menschheitsgeschichte von Adam bis zum Totschlag, den Kain an seinem Bruder Abel verübte (Genesis 2–4), als pessimistisches Modell der Weltgeschichte. 324 (10),20a Paternosterwerk] Nach Pierers Universal-Lexikon (Bd.22 (1844), S.201) eine „Maschine zu Hebung des Wassers; besteht aus einer Röhre, welche im Wasser steht, oben u. unten an der Röhre befindet sich ein Trilling, über welchen u. zugleich durch die Röhre eine Kette od. ein Seil läuft, an welcher in kleinen Zwischenräumen Büschel !lederne oder mit Leder bezogene Kugeln" befestigt sind, die das Innere der Röhre ganz ausfüllen. Wird der obere Trilling gedreht, so steigen die Büschel in der Röhre in die Höhe u. heben zugleich das von unten in die Röhre tretende Wasser bis zum obern Ende, wo ein Ausguß befindlich ist, der das Wasser ableitet. !…" Der obere Trilling kann von Menschen mittelst einer Kurbel od. eines Tretrades, od. durch eine Roß- od. Wassermühle in Bewegung gesetzt werden.“ 324 (10),15b–18b dass die Menschheit nur ist ein Bandwurm in den Eingeweiden eines höheren Cherubs] Gegenstand der Anspielung nicht ermittelt. 324 (10),31b Caldaunen] Eingeweide.

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IV. Tintenfische 325 (11),26a Iulepp] Julep, alkoholisches Mischgetränk. 325 (11),22b zusammenziehendem Stoffe] Adstringens, hier wohl Alaun, das neben Galläpfeln und Eisenvitriol zur Herstellung von Tinte verwendet wurde. 325 (11),8–28b Tintenfische !…" Saft] Nach W.Schellberg, GWB2, S.673, auf „Kirche und Staat“ bezogen. -- Martin, S.428f. V. Allraunen 326 (12),1 Allraunen] Wurzel der Mandragora. Achim von Arnim gestaltet das Alraunen-Thema in Isabella von Ägypten, Kaiser Karls des Fünften erste Jugendliebe (1812). Vgl. auch Bächtold-Stäubli 1, Sp.312–324, und Grimm, Deutsche Sagen, S.135 (Der Alraun). 326 (12),5b der justificirten Sünder] Hier: Hingerichteter. 326 (12),10b–11b ist !…" die Krone erledigt] … hat keinen (rechtmäßigen) Besitzer, Inhaber, Träger, steht zur Disposition. VI. Schlaraffenland 326 (12),18–26b Schlaraffenland] Eine versifizierte Schilderung dieses Wunschorts gibt Brentano in Geschichte des ersten Bärnhäuters in der ‚Zeitung für Einsiedler‘ (Nr.22, 15. Juni 1808, Sp.174f., und u.a. auch Hans Sachsens Gedicht Das Schlauraffenland (Werke in zwei Bänden. 1.Bd.: Gedichte, hg. von Karl Martin Schiller, Berlin und Weimar, 21966, S.297–300). 326 (12),25b–26b seit der Comet so derb an die Erde gestossen] Vgl. S.318 (4),2a, ferner Novalis, GL21 und siehe Anm. 161,37f. dazu. VII. Kurzer Prozess 327 (13),4a á sond perdu] D.Martin, S.433, Anmerkung 23, bemerkt hierzu: „In der Reproduktion in Görres’ Gesammelten Schriften !…" liest man ‚sond perdu‘ (mit langem Antiqua-s); das Freiburger Exemplar des Originaldrucks dagegen lautet eindeutig und richtig ‚fond‘.“ – À fonds perdu: auf Verlustkonto, nicht rückzahlbar; vielleicht auch auf die Formel ‚à fond‘ (ganz und gar) anspielend. 327 (13),8b–9b Wollt ihr denn ewig leben, ihr Hunde?] Ein Friedrich II. von Preußen zugeschriebener Satz, den er in der Schlacht bei Kollin, am 18.6.1757, flüchtenden Soldaten zugerufen haben soll. Wiedergegeben ist diese Anekdote u.a. in dem anonym publizierten Lexikon aller Anstössigkeiten und Prahlereyen, welche in denen zu Berlin in fünfzehn Bänden erschienenen sogenannten Schriften Friedrichs des Zweyten vorkommen, Leipzig 1789, S.12. -Martin, S.433.

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VIII. Caryatiden 327 (13),10 Caryatiden] Karyatide, als weibliche Figur gestaltetes architektonisches Element, das an Stelle einer Säule oder eines Pfeilers ein Gebäudeteil trägt. 327 (13),15b–16b Atlantiden] Die sieben auch Plejaden genannten Töchter des Atlas und der Pleione, die von Orion verfolgt und von Jupiter gerettet wurden, indem er sie als Sternbild an den Himmel versetzte; vgl. S.333 (19),27a. 327 (13),20b Erdbeben] Vgl. S.320 (6),20a und siehe Anm. 77,43–78,9 zu A424. 328 (14),8a–2b wie Pholaden sich einbohren in den eilenden Kiel der Geschichte] J.S.T.Gehler, Physicalisches Wörterbuch, Bd.2 (1789), S.879, beschreibt die Pholaden als „eine Art von Muscheln, welche sich in die kalkartigen Felsen, Korallen, Schiffe u.s.w. einbohren“. VIIII. Europa auf dem Heiligen Berg 328 (14),9 auf dem Heiligen Berg] Zu Beginn der Ständekämpfe zwischen Plebs und Patriziat zogen die weitgehend rechtlosen, von Armut und Schuldknechtschaft gedrückten Plebejer im Jahr 495 v.Chr. auf den drei Meilen von Rom entfernten, jenseits des Flusses Anio gelegenen Mons sacer, um dort eine eigene Stadt zu gründen (Livius, Ab urbe condita, Buch II, Kap.32,2). Da die Patrizier im Krieg gegen die Volsker auf die Unterstützung der niederen Schichten nicht verzichten konnten, wurden diesen materielle Zugeständnisse und eine Verbesserung ihres rechtlichen Status in Aussicht gestellt, woraufhin die Plebejer zur Teilnahme an den bevorstehenden militärischen Aktionen bereit waren; da die Patrizier ihr Versprechen nicht einlösten, verweigerten die Plebejer im nächsten Jahr erneut den Kriegsdienst und erkämpften sich schließlich in einem langen und zähen Ringen mit dem Adel ein Mitspracherecht im Staat. 328 (14),11a–329 (15),9b Placuit igitur oratorem ad plebem mitti Menenium Agrippam !…" flexisse mentes Hominum] Eine Passage aus Livius, Ab urbe condita, Buch II, Kap.32,8–12, die berühmte politische Fabel vom Streit des Magens mit den übrigen Körperteilen, mit der die Patrizier die aufgebrachten Plebejer beschwichtigten: Daher beschlossen sie !die römischen Patrizier", Menenius Agrippa als Unterhändler zu den Plebejern zu schicken, einen beredten Mann, der auch den Plebejern lieb war, weil seine Ahnen Plebejer gewesen waren. Er wurde ins Lager geschickt und soll dort in der damaligen altertümlichen und schlichten Art zu reden nichts anderes getan haben, als daß er folgende Geschichte erzählte: Zu der Zeit als im Menschen nicht wie jetzt alles im Einklang miteinander war, sondern von den einzelnen Gliedern jedes für sich überlegte und für sich redete, hätten sich die übrigen Körperteile darüber geärgert, daß durch ihre Fürsorge, durch ihre Mühe und Dienstleistung alles für den Bauch getan werde, daß der Bauch aber in der Mitte ruhig bleibe und nichts anderes tue, als sich der dargebotenen Genüsse zu erfreuen. Sie hätten sich daher verschworen, die Hände sollten keine Speise mehr zum Munde führen, der Mund solle, was ihm dargeboten werde, nicht mehr aufnehmen und die Zähne sollten nicht mehr kauen. Indem sie in diesem Zorn den Bauch durch Hunger zähmen wollten, habe zugleich die Glieder selbst und den ganzen Körper schlimmste Entkräftung befallen. Da sei dann klar ge-

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worden, daß auch der Bauch eifrig seinen Dienst tue und daß er nicht mehr ernährt werde als daß er ernähre, indem er das Blut, von dem wir leben und stark sind, gleichmäßig auf die Adern verteilt, in alle Teile des Körpers zurückströmen lasse, nachdem es durch die Verdauung der Nahrung seine Kraft erhalten habe. Indem Agrippa dann einen Vergleich anstellte, wie ähnlich der innere Aufruhr des Körpers dem Zorn der Plebs gegen die Patrizier sei, habe er die Menschen umgestimmt. (Titus Livius, Römische Geschichte, Buch I–III, lateinisch und deutsch hg. von Hans Jürgen Hillen, Darmstadt 1987, S.232–235.)

329 (15),11a–14b Hat die Natur zu Knechten sie geboren !…" hat die Zeit sehr wohl daran gethan!] Diese Passage dürfte an den vorigen Abschnitt anknüpfen. Zweytes Buch I. Synonime 330 (16),5a–8a ein ander Geschrille von Teutschheit und teutscher Nation Art und Kunst und Geschick] Görres knüpft hier ironisch an das im Prolog, S.315 (1),6f. verheißene „Lied !…" von teutscher Kraft, von Sehnsucht und Biedersinn“ sowie an den Titel der von Herder herausgegebenen Sammlung Von deutscher Art und Kunst (1773) an. 330 (16),10b Signatur] Die Gestalt oder einzelne äußere Merkmale als Hinweis auf das Wesen ihres Trägers. II. Text 331 (17),2a–3a Klingende Schellen] Vielleicht eine Anspielung auf 1.Kor.13,1. III. Tertia 331 (17),7b Coridon! Coridon!] Vgl. Vergil, 2. Ekloge, Vers 65 und 7. Ekloge, Vers 70. 331 (17),8b Haberrohr] Hirtenpfeife, Schalmei (DWb4.2, Sp.86). IV. Mysticism 331 (17),13 Mysticism] Der Vorwurf des Mystizismus (siehe Anm. 31,33 zu A105) stellt ein Stereotyp rationalistischer Romantik-Kritik dar. 331 (17),15a–17a Es wird diese Zeit Religion und Kunst und Wissenschaft und Liebe und Alles verschmelzen] Mit der programmatischen Vereinigung von Kunst, Wissenschaft und Religion, der Sakralisierung des Ästhetischen und mit (dem Vorwurf) der Unverständlichkeit spricht Görres Grundpositionen der Frühromantik an (siehe Anm. 19,41f. zu L115, 84,25–28 zu Id11 und 10,17f. zu L20); er kritisiert aber zugleich den Schwulst eines Isidorus Orientalis (Otto Heinrich Graf von Loeben, 1786–1825) in dessen Roman Guido (1808). 331 (17),18a–20a Demant !…" wird der Messias wahrhaft erstehen] Allegorische Bezüge zwischen Christus und dem „erglühenden“ Stein des Karfun-

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kels – nicht des Diamanten („Demant“) – gibt es seit dem Mittelalter. Vgl. Theodore Ziolkowski, Der Karfunkelstein. In: Euph 55 (1961), S.297–326. 331 (17),21a–17b In spanischen Dörfern, sagt man, wird ein schöner Handel mit böhmischen Steinen getrieben] DWb10.1, Sp.1888, verzeichnet die Fügung ‚spanisches Dorf‘ neben ‚böhmisches Dorf‘ als bildhafte Umschreibung dafür, daß man etwas nicht versteht. In Jean Pauls bereits 1806 begonnenem, aber erst 1822 erschienenem Werk Der Komet entdeckt der Apotheker Marggraf das Geheimnis der Diamantenherstellung; in einem kleinen Exkurs über „Luftschlösser“ im vierten Kapitel bemerkt der Verfasser: „nur den Fürsten sollten spanische Schlösser und böhmische Dörfer bleiben“ (JP,SW I 6, S.745). 332 (18),3a–2b Bocksblut !…" man sagt, es erweiche den härtesten Brillant] Seit der antike und bis ins Mittelalter war der Glaube verbreitet, daß Diamanten ausschließlich durch frisches, noch warmes Bocksblut erweicht werden können (Bächtold-Stäubli 2, Sp.194). Vgl. hierzu auch Jean Paul, Der Komet, sechstes und letztes Vorkapitel, wo es im Hinblick auf eine Bildungsreise von einem Diamanten heißt, daß er durch den jungen Nikolaus und seinen Begleiter „so glücklich verflüchtigt und geschmolzen worden“ sei, „als wäre der eine ein Brennspiegel, der andere Bockblut“ (JP,SW I 6, S.655); in einer Fußnote merkt Jean Paul dazu an: „Nur Bockblut löset, wie Lessing in seinen antiquarischen Briefen aus Plinius bemerkt, den harten Stein auf“ (ebd.). 332 (18),4b Bijou] Schmuckstück. V. Die Gegensätze 332 (18),5–18b Die Gegensätze !…" Achtung und Hohn] Der Text steht im Kontrast zu dem vorausgehenden Abschnitt „Mysticism“, nach dem „Alles verschmelzen !soll" in einen hell erglühenden Demant“ (der dem romantischen Karfunkel entspricht). – Vielleicht eine Anspielung auf Fichtes Wissenschaftslehre, nach der die „Gegensätze“ von Ich und Nicht-Ich in einem absoluten Ich vermittelt werden. VI. Die Wiedergeburt 332 (18),21a–22a Wiedergebohren werden die Zeiten nun bald] Wohl eine Anspielung auf Vergils 4.Ekloge, Vers 5, in der die Wiederkehr des paradiesischen goldenen Zeitalters prophezeit wird. 332 (18),22a–22b sollt uns nicht Medea warnen, daß wir nicht die alten Väter zerstückten, ehe wir auch gehörig den Zauber gelernt?] Medea verjüngte Aeson, den greisen Vater des Iason, indem sie ihm die Kehle durchschnitt und ihm einen Sud aus Zauberkräutern und anderen magischen Ingredienzien einflößte. Zur Rache für das von Pelias an Iason begangene Unrecht überredete sie anschließend dessen Töchter, den alten Vater mit dem Schwert zu töten. Statt ihn, wie versprochen, ebenfalls zu verjüngen, kochte sie den zerstückelten Leichnam in einem Kessel. (Ovid, Metamorphosen, BuchVII, Vers159–349.) Vgl. zu Medea auch S.315 (1),20b–22b. 332 (18),23b–333 (19),1a hat Paracelsus ein gutes Recept dafür uns gege-

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ben] Es handelt sich um eine – hier Paracelsus zugeschriebene – „Wandersage einer mißglückten Verjüngung, die wohl zuerst im Sagenkreis vom Zauberer Virgilius überliefert, aber früh auch auf andere ‚Zauberer‘ !…" übergegangen ist“ (Martin, S.434). 333 (19),11a die Lampe zu hüten] Nicht ermittelt. 333 (19),3b–4b Lucubrationen] Nachtarbeit(en). VII. Die Luftfahrt 333 (19),14 Luftfahrt] Spätestens seit den ersten erfolgreichen Versuchen der Brüder Montgolfier mit Heißluftballons stellt die Möglichkeit der Fahrt durch die Luft ein Thema dar, das sich großer öffentlicher Aufmerksamkeit erfreuen konnte. Görres stellt Bezüge her zu dem in der dämonologischen Literatur häufig und breit behandelten Thema der „HexenReisefahrt“ durch die Lüfte (vgl. z.B. Praetorius, S.201–248). Anregungen zu diesem Abschnitt könnte Görres auch von Jean Pauls Komischem Anhang (1800–1801) zum Titan, Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch, erhalten haben. 333 (19),18a Bootes] Das Sternbild Bärenhüter des Nordhimmels. 333 (19),19a Geringel der herculischen Schlange] Hydra oder Wasserschlange, ein Sternbild der südlichen Hemisphäre. 333 (19),21a Lyra] Das Sternbild Leier der nördlichen Hemisphäre. 333 (19),22a–23a willst du die Gans denn nicht lassen, räuberischer Fuchs] Der Fuchs mit der Gans ist ein historisches Sternbild am nördlichen Himmel. 333 (19),27a Pleyaden] Vgl. S.327 (13),15b–16b. 333 (19),28a Adler] Historisches Sternbild am nördlichen Himmel. 333 (19),16a–29a Recht hoch !…" nehmen] Vgl. zur Ausdeutung der Sternbilder S.315 (1),16b–22b. 333 (19),19b einen Hammel in der Parachute] Parachute: Fallschirm. Beim zweiten Flug der Montgolfière am 19. September 1783 in Versailles waren ein Hahn, eine Ente und ein Hammel an Bord. 333 (19),28b Küchlein] Küken. 334 (20),3a–4a Alle gute Geister loben Gott den Herrn!] Der Bannspruch gegen böse Geister wurde von Arnim und Brentano als Motto der ‚Zeitung für Einsiedler‘ deren erster Nummer (1.4.1808; S.2) beigegeben. VII!I". Das Orpheusische Ey 334 (20),14–19a Das Orpheusische Ey !…" Zur Rechten den Tag, zur Linken die Nacht !…" auch wir] Vgl. hierzu die Erläuterung bei Pierer 21 (1844), S.444: „Als orphische Physik wird ausgegeben: Wasser war im Anfang; aus diesem wurde Schlamm; aus beiden wurde eine Schlange mit den Köpfen eines Stiers u. Löwen, zwischen denen das Gesicht eines Gottes war. Die Schlange hieß Herakles u. Chronos. Dieser gebar ein ungeheures Ei; dieses brach in 2 Hälften, aus deren oberer der Himmel, aus der untern die Erde wurde“. 334 (20),21a Homunculos] Mit alchemistischen Verfahren künstlich erzeug-

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tes ‚Menschlein‘; vgl. auch J.Praetorius, Anthropodemus plutonicus, Bd.1, S.155– 166, „Von Chymischen Menschen“ und Goethes Gestaltung des Motivs in Faust II. 334 (20),25b Styxwasser] Styx heißt in der antiken Mythologie einer der Flüsse der Unterwelt. 335 (21),2b–6b böse Dinger, Elben genannt, mit schwarzem Kopfe und spitzigem Schnabel, gleich Raupen gestreift !…" im Wasser der Vergessenheit sie ersäufen] Vgl. hierzu S.315 (1),23b–26b und S.336 (22),15a–18a. Görres lehnt sich hier deutlich an eine Passage aus Carpzovs Practica nova, pars I, quaestio 50, Nr.66, sententia XXI und XXIV an: „Wann sie mit ihrem Buhlen zuschaffen gehabt / hatte sie weisse Elben und derselben allezeit Zehen bekommen / so gelebet / spitzige Schnäbel / und schwartze Köpffe gehabt / und wie die jungen Raupen hin und wieder gekrochen / welche sie zu zaubern gebraucht !…" Sie hette mit ihrem Buhlen böse Dinger oder Elben erzeuget / die sie in ein Töpfflein gesetzet / und ihnen Brod zu essen gegeben / theils auch ins Wasser geworffen / wann sie aber solche einem Menschen zugebracht oder abgetrieben / hette sie gesagt: Hin in aller hundert Teuffel Namen.“ (Zitiert nach Praetorius, S.362f.; vgl. ebd. auch sententia XXIII.) VIIII. Gespenster 335 (21),17a–18a wirft sich wie ein Salamander in’s Feuer] Wegen seiner an Flammen erinnernden Färbung glaubte man seit der Antike, daß der Salamander eine enge Verbindung zum Feuer habe und daß dies sein Lebenselement sei (Bächtold-Stäubli 6, Sp.456); vgl. hierzu auch J.Praetorius, Anthropodemus plutonicus, Bd.1, S.302–305, „Von Feuermännlein“. 335 (21),18b Kielkröpfe] Wechselbälge, Teufelskinder; vgl. J.Praetorius, Anthropodemus plutonicus, Bd.1, S.414–457, „Von Kiel-Kröpffen / Wechselbalgen / außgetauschten Kindern“ und Bächtold-Stäubli 9, Sp.835–864. 335 (21),19b Währwolf] Im Volksglauben ein sich zeitweilig in einen Wolf verwandelnder Mensch; vgl. etwa Grimm, Deutsche Sagen, S.253. 335 (21),28b–32b Schwefelflämmchen !…" den Schatz drunter zu heben] Vgl. zu den Anzeichen für einen verborgenen Schatz im Volksglauben und für die bei seiner Bergung zu beachtenden Modalitäten Bächtold-Stäubli 7, Sp.1003–1011. X. Tollgewordner Epilogus 336 (22),15a–18a Im Thume steht die Rosenblume !…" in des Teufels Nam] Thum: Dom (DWb 2, Sp. 1233). Ein Zitat aus Carpzov, Practica nova, pars I, quaestio 50, Nr. 66, sententia XXXV: „und habe von ihme nach vier Wochen fünff paar böse Dinger gezeuget / und gebohren / weren wie weisse Würme gewesen / und hetten schwartze Köpff gehabt / und habe sie der Hirtischen Margarethen in das lincke Bein gebracht / und gezaubert / durch nachfolgenden Spruch: Im Thume stehet die Rosen-Blume / sie ist weder braun noch fahl / so müssen die Huffdinger zersteuben und zerfahren / und kommen der Hirtischen Margarethen in deß Teuffels Nahmen an.“ (Zitiert nach Praetorius, S. 364.)

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336 (22),22a–23a Junius Brutus im zitzernen Nachtrock] Lucius Junius Brutus (6. Jahrhundert v. Chr.), der Begründer der römischen Republik, wurde im 18. Jahrhundert als Vorbild republikanischer Ideale verehrt; Marcus Junius Brutus (85–42 v. Chr.) versuchte durch den Mord an Caesar die römische Republik zu retten. – Zitz ist ein feiner, buntbedruckter Baumwollstoff in Kattunqualität. 336 (22),26a Flüsse] Katharr, Rheuma (DWb3, Sp.1856). 336 (22),27a Bruchschneider] Nach dem Deutschen Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm nicht nur ein „Hosenschneider“, sondern (unter Verweis auf Paracelsus) „qui secando herniis medetur“ (DWb2, Sp.413), offenbar ein Heilkundiger, der Eingeweide- bzw. Leistenbrüche behandelt. „Sehr selten hebt sich die Einklemmung von selbst oder es gelingt, den B!ruch" rechtzeitig zu reponieren. Geschieht dies nicht, so ist die Bruchoperation (Bruchschnitt, Hermotomie) geboten. Diese besteht in Durchschneidung der Haut, Bloßlegung des Bruchsackes und Eröffung desselben, Spaltung des einklemmenden Ringes und Zurückbringung der Eingeweide“ (Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6.Aufl., Bd.3, Leipzig und Wien 1905, S.473). Derartige Operationen „wurden von den Wundärzten“ vorgenommen, „oft auch von eignen herumziehenden Bruchschneidern, die in Deutschland von den Medizinalpolizeien unterdrückt sind“ (Pierer 5 (1841), S.371). Anscheinend denkt Görres an einen solchen „Bruchschneider“, der das „Kälbchen !…" curiren“ soll (S.336 (22),25a–29a). 336 (22),29a–33a Ich will fischen !…" gebraten, herauf] Vgl. zum Motiv des Fischens S.315 (1),31a und S.321 (7),1a. 336 (22),41a Gericht !…" in Josaphat] Das wilde, schauerliche Tal in Palästina bezeichnet der Prophet Joel als (eschatologischen) Ort des Gerichts über die Heiden. Möglicherweise spielt Achim von Arnim auf diese Textstelle an, wenn er am 18. 2. 1808 an Clemens Brentano über Görres schreibt: „wie durchaus ungerecht ist er z. B. gegen das Thal Josaphat“ (Freundschaftsbriefe, S. 504). 336 (22),15b Truhtin] Wohl: Drude, Zauberin. 336 (22),17b den Drommedaren den krummen Rücken gegeben] Anspielung nicht ermittelt. 336 (22),19b Girrgeya] Girri ist ein lautmalender, auch mit Verdoppelung oder mehrgliedrig gebrauchter Lockruf für Geflügel (DWb4.1.5, Sp.7559). 336 (22),23b Fallhut] Gepolsterte Kopfbedeckung für Kleinkinder zum Schutz vor Verletzungen bei Stürzen. 337 (23),1a–2a Los Hidalgos] Span.: Die Edelleute. 337 (23),13a–14a o Rößlein, Rößlein, Rößlein roth, Rößlein auf der Heide] Vgl. den Refrain von Goethes Heidenröslein (WA I 1, S.16), das zuerst 1773 in Herders Von deutscher Art und Kunst erschienen war. 337 (23),15a Katzenköpfe] Hier als Interjektion. 337 (23),16a Zeitlosen] Herbstzeitlosen. 337 (23),19a–21a sie muß kommen und !…" mir vorhexen, sie soll mir den Saulum zitieren] In der biblischen Erzählung von der sogenannten Hexe von Endor, 1.Samuel 28, läßt sich Saul angesichts seiner aussichtslosen Lage im Krieg

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gegen die Philister von einer Wahrsagerin den Geist Samuels beschwören und erfährt dabei von dem für ihn tödlichen Ausgang der bevorstehenden Schlacht. 337 (23),21a Anichherrchen] Ahnichherrchen: Urgroßvater, Ahnherr (Rheinisches Wb1, Sp.82). 337 (23),49a–50a Hat der Vesuvius die Pantoffeln des verspeisten Philosophen wieder von sich gebrochen] Gemeint ist Empedokles (um 495–435 v.Chr.). 337 (23),4b Macaluba’s] Macaluba, Schlammvulkan bei Girgenti auf Sizilien. 337 (23),4b Pflegmatici] Phlegmatiker. 337 (23),12b Tralirum larum Löffelstiel] Nach dem Anfang des Kinderlieds Wenn die Kinder ihre heiße Suppe rühren in Des Knaben Wunderhorn (FBA8, S.274). 337 (23),13b Angelbeizen] Angelbeiz, Angelbitz: Engerling (Rheinisches Wb1, Sp.190). 337 (23),17b Pestessig] Eine Mischung aus flüssigen Duftstoffen und/oder Kräuterauszügen, die bei grassierenden Infektionskrankheiten die Ansteckungsgefahr bannen sollten; vgl. Pierer 10 (1842), S.116. 337 (23),17b–18b O grausamlicher Sündenbock] Hier als Schimpfwort; vgl. DWb10.4, Sp.1143. 337 (23),26b Eselskinnbacken] Nach Richter 15,15–19 die Waffe Samsons, mit der er „tausend“ Philister erschlug. 337 (23),32b Peternell] Regionale Bezeichnung für Flieder oder, hier wohl wahrscheinlicher, für die Traubenhyazinthe; vgl. Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen, hg. von Heinrich Marzell u.a., 5 Bde., Leipzig und Stuttgart 1943–1977, hier Bd.4, Sp.557 und Bd.3, Sp.233. 337 (23),36b schürz dich Gretchen] Titel bzw. Anfangsworte eines Lieds in Des Knaben Wunderhorn (FBA6, S.43f.). 337 (23),37b–38b aus Regenbogenschüsseln essen] Regenbogenschüsselchen oder -pfennige sind kleine keltische (Gold-)Münzen, von denen der Volksglaube annahm, daß sie die Enden eines Regenbogens bezeichnen (Pierer 24 (1844), S.362). 337 (23),39b Hasenbrod] Hasenbrot, Himmelsbrot ist die volkstümliche Bezeichnung verschiedener Pflanzen, besonders der Feld-Hainsimse (Luzula campestris) aus der Familie der Binsengewächse (vgl. auch DWb4.2, Sp.536). Eine andere Erklärung des Kompositums gibt Lutz Röhrich in seinem Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, 2.Aufl., Freiburg, Basel, Wien 1995: „Hasenbrod wird allg. ein Butterbrod genannt, das man unberührt von einer Reise oder vom Gang zur Arbeit wieder mit nach Hause bringt, wo man es den Kindern mit den Worten gibt, man habe es einem Hasen abgenommen. Meist fügt man hinzu, man habe vorher dem Hasen Salz auf den Schwanz gestreut, wodurch er nicht mehr habe fliehen können“ (Bd.2, S.670). 337 (23),40b–41b Drachenzähne !…" säen] Kadmus, der sagenhafte Gründer Thebens, säte die Zähne des von ihm getöteten Drachens in die frisch gepflügte Erde, der daraufhin gewaffnete Männer entwuchsen. (Ovid, Metamorphosen, Buch III, Vers 95–137.) Auch Iason erlegt einen Drachen, sät dessen Zähne

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und muß mit den daraus hervorgewachsenen Kriegern kämpfen, bevor er mit Medea, deren Zauberkünsten er den glücklichen Ausgang seiner Abenteuer verdankt, in die griechische Heimat fliehen kann. (Ovid, Metamorphosen, BuchVII, Vers100–158.) 337 (23),43b Fuchtel] Schlagdegen mit breiter Klinge (DWb4.1.1, Sp.358). 337 (23),47b Heyducken] Ungarischer Volksstamm, dessen Angehörige häufig am ungarischen oder polnischen Hof Kriegsdienst leisteten; auch für einen (in entsprechende Tracht gekleideten) Bedienten. 338 (24),4a–6a kommen wir nicht zu rechter Zeit zu Tische !…" wir müssen sechs Kreuzer bezahlen] In seinen Erinnerungen (ca. 1860) berichtet Theodor Hilgard von der Tischgesellschaft bei Mohr und Zimmer, an der auch Görres teilnahm: „Da einige unserer Tischgenossen die Stunde der Mahlzeit nicht pünktlich einhielten, so wurde das Gesetz gegeben, daß Jeder, der um mehr als zehn Minuten zu spät komme, eine Strafe von sechs Kreuzern entrichten müsse. Dieses Geld wurde in eine irdene Büchse gelegt, die auf dem Tische stand und die nur oben eine schmale Öffnung hatte, so daß man wohl eine Münze hineinthun, aber nicht herausnehmen konnte. Später, wenn die Büchse eine namhafte Summe enthalten würde, sollte ein Topfschlagen gehalten und das Geld zu einem Punsche verwendet werden“ (S.156). 338 (24),26a Mause] Mauser. 338 (24),29a Wurmsamen] Nach DWb14.2, Sp.2285, „Same, der Närrisches, Absonderliches hervorbringt; zu Wurm V4b ‚Schrulle, Marotte‘“, auch als Titel eines satirisch-parodistischen Heldengedichts (1751) von D.W.Triller nachgewiesen. 338 (24),34a Athanasius] Kirchenvater mit dem Beinamen der Große oder Vater der Orthodoxie; geb. um 298; Diakon des Bischofs Alexander von Alexandria, als hier der arianische Streit ausbrach; 325 auf dem Konzil von Nicäa Verteidiger der Wesensgleichheit Christi mit dem Vater; seit 328 Patriarch von Alexandria; mehrfach verbannt, aber immer wieder rehabilitiert; gest. 373. Mit seiner Schrift Athanasius griff Görres 1838 in den Streit um die Verhaftung des Kölner Erzbischofs Clemens August Droste zu Vischering (1773–1845) ein, um die Freiheit der Religion vor den Eingriffen des Staates zu verteidigen. 338 (24),8b–9b wie die Elephanten so schön auf dem Seile tanzen] Vgl. Jean Paul, Der Komet, Drittes Vorkapitel (JP,SW I 6, S.613), wo es von den alten Römern heißt, daß sie die Kunst beherrschten, Elefanten das Seiltanzen zu lehren. 338 (24),13b Evolutionen] Schwenkungen, Bewegungen einer militärischen Formation. 338 (24),15b Armada] Bewaffnetes Heer. 338 (24),27b–31b daß alles verkehrt gienge !…" Haushaltung] Vgl. zum Motiv der Verkehrung S.320 (6),31a–38a. 338 (24),33b–34b ich wollt es wär’ Schlafenszeit und Alles wär’ vorbey] Nach Shakespeare, King Henry the Fourth, V1, wo Falstaff wünscht: „I would it were bedtime, !…" and all well.“

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11. Biographische Skizzen

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Friedrich Schlegel stammte aus einer Familie von Pastoren, Juristen, Historikern, Dichtern und Literaturkritikern. Der Onkel Johann Elias Schlegel (1719–1749) erwarb sich als Dramatiker und Kritiker einen Namen. Der Vater Johann Adolf Schlegel (1721–1793) machte als protestantischer Geistlicher Karriere, übertrug und kommentierte Batteux’ Les beaux arts reduits à un même principe, gab eine Zeitlang die ‚Bremer Beiträge‘ heraus, publizierte Gedichte und Kirchenlieder. (Edgar Lohner, August Wilhelm Schlegel. In: Deutsche Dichter der Romantik. Ihr Leben und Werk, hg. von Benno von Wiese, Berlin 1971, S.135–162, hier S.139f.) Johann Adolf und Johanna Christiane Erdmuthe Schlegel hatten sieben Kinder. Die beiden ältesten Söhne folgten der Familientradition und stiegen in der kirchlichen Ämterhierarchie zum Superintendenten und zum Konsistorialrat auf. Ein dritter Bruder, Carl August (1761–1789) ergriff die militärische Laufbahn und starb nach einem kurzen, aber abenteuerlichen Leben als Vermessungsingenieur und Kartograph in englischen Diensten erst 28jährig in Ostindien. Der vierte Sohn, August Wilhelm (1767–1848), zeigte schon als Gymnasiast seiner Heimatstadt Hannover außerordentliches sprachliches Talent und weckte hohe Erwartungen. Dagegen war der jüngste Sohn, Friedrich (1772–1829), ein von den Eltern als problematisch empfundenes Kind, mit dessen Erziehung sie sich überfordert fühlten, so daß sie ihren jüngsten Sohn zeitweise zu einem Onkel und zu seinem älteren Bruder in Pflege gaben. Von den beiden Töchtern der Familie Schlegel, die das Brüderpaar Ernst aus einem Antwerpener Patriziergeschlecht heirateten, war vor allem Charlotte (gest. 1826) ihren beiden jüngeren Brüdern eine verständnisvolle und hilfreiche, keineswegs unkritische Vertraute. Während August Wilhelm 1786 in Göttingen das Studium der Theologie aufnahm, die er schon bald gegen die Philologie vertauschte, sollte der 15jährige Friedrich bei dem Leipziger Bankier Schlemm eine kaufmännische Lehre absolvieren. Er fühlte sich in dem ihm bestimmten Metier jedoch zutiefst unglücklich und wurde auf seine inständigen Bitten hin ins Elternhaus zurückgeholt. Dort äußerte er den Wunsch, wie der vier Jahre ältere Bruder, der ihm von nun an zum Vorbild, Mentor und Freund wurde, in Göttingen zu studieren. Innerhalb kurzer Zeit eignete er sich als Autodidakt erstaunliche Kenntnisse in den humanistischen

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Biographische Skizzen

Fächern an; besonders intensiv beschäftigte er sich mit der griechischen Literatur und Philosophie, vor allem mit Plato (Behler, Friedrich Schlegel, S.21f.). 1790 begann Friedrich Schlegel sein Jurastudium in Göttingen, begleitet von Studien und ausgedehnter Lektüre im Bereich der Naturwissenschaften, der Philosophie, Ästhetik und Altphilologie. Im Frühjahr 1791 schloß August Wilhelm, der sich bereits als Student durch Übersetzungen aus dem Italienischen, Spanischen und Englischen, mit kritischen Veröffentlichungen und eigenen dichterischen Produktionen hervorgetan hatte, seine Universitätsstudien ab und nahm für vier Jahre eine gut dotierte Stelle als Hauslehrer bei dem Amsterdamer Kaufmann Hendrik Muilman (1743–1812) an. Sein Bruder wechselte an die Universität Leipzig, wo er das Jurastudium zugunsten der Geisteswissenschaften aufgab. Mit unersättlichem Lesehunger rezipierte er antike und zeitgenössische Autoren wie „Kant, Klopstock, Göthe, Hemsterhuys, Spinosa, Schiller; andrer von weniger Bedeutung nicht zu erwähnen, Herder, Platner pp.“ (an August Wilhelm, 2.6.1793; KFSA23, S.101), beschäftigte sich mit Philosophie, Politik, Mathematik und Geschichte, wie er im gleichen Zusammenhang bemerkte. Er entschloß sich, als kritischer Schriftsteller an die Öffentlichkeit zu treten, „nicht sowohl aus Liebe zum Werke als aus einem Triebe, der mich von früh an schon beseßen, dem verzehrenden Triebe nach Thätigkeit, oder wie ich ihn noch lieber nennen möchte die Sehnsucht nach dem unendlichen“ (an August Wilhelm, 4.10.1791; KFSA23, S.24). In Leipzig lernte er Anfang 1792 Friedrich von Hardenberg kennen, mit dem er rasch Freundschaft schloß. Eine weitere bedeutsame Begegnung für ihn war die mit Caroline Böhmer (1763–1809), der Tochter des Göttinger Orientalisten Johann David Michaelis (1717–1791). August Wilhelm hatte die ebenso schöne wie geistreiche junge Witwe des Arztes Johann Franz Wilhelm Böhmer (1754–1788) in Göttingen vergeblich umworben und hielt von Amsterdam aus einen freundschaftlichen Briefwechsel mit ihr aufrecht. Sie lebte seit 1792 in Mainz im Haus Georg Forsters (1754–1794) und dessen Frau Therese geb. Heyne (1764–1829; seit 1794 verh. Huber), einer Jugendfreundin von Caroline, unter deren Einfluß sie sich für die Ideen der Französischen Revolution begeisterte. Als Mainz, das seit Oktober 1792 unter französischer Herrschaft stand, im folgenden Frühjahr von deutschen Truppen zurückerobert wurde, wurde Caroline Böhmer wegen ihrer republikanischen Gesinnung von der kurfürstlich Mainzer Regierung zusammen mit ihrer achtjährigen Tochter Auguste monatelang auf der Festung Königstein im Taunus gefangengesetzt; ihre Lage war um so prekärer, als sie ein Kind von einem französischen Offizier erwartete und ihre Schwangerschaft verheimlichen mußte. August Wilhelm, den sie in ihrer verzweifelten Situation um Hilfe bat, sorgte dafür, daß sie nach ihrer Freilassung unter falschem Namen in dem Dorf Lucka bei Leipzig Unterkunft fand. Die Sorge für Sicherheit und Wohlergehen der polizeilich Gesuchten übernahm Friedrich Schlegel, der sie häufig in Lucka besuchte, Botschaften zwischen ihr und August Wilhelm übermittelte und die Patenschaft für ihren 1793 geborenen und noch als Kleinkind verstorbenen Sohn übernahm. Im Sommer 1795 gab der ältere Schlegel seine Amsterdamer Stelle auf und heiratete ein Jahr später Caroline Böhmer.

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Nach einer wenig erfreulichen Liebesaffäre, durch die sich Friedrich Schlegel verschuldet hatte und auf finanzielle Hilfe seines Bruders angewiesen war, verließ er Jena Anfang 1794, um in Dresden einen Neuanfang zu wagen. Unterkunft gewährten ihm seine Schwester Charlotte und sein Schwager, der sächsische Hofmarschall Ludwig Emanuel Ernst. Aus seinem intensiven Studium griechischer Autoren gingen zahlreiche Werkpläne und die Abhandlung Von den Schulen der griechischen Poesie (1794) hervor. 1796 folgte August Wilhelm einer Einladung Schillers, als Mitarbeiter an dessen ‚Horen‘ und an der ‚Allgemeinen Literaturzeitung‘ nach Jena zu kommen. Friedrich Schlegel ergriff die Gelegenheit, nach den Jahren der Trennung dem Bruder wieder nahe zu sein und ließ sich ebenfalls in Jena nieder. Er erneuerte die Freundschaft mit Hardenberg im nahen Weißenfels und lernte Fichte und Goethe persönlich kennen. 1797 erschien die Sammlung Die Griechen und Römer, die den Aufsatz Über das Studium der griechischen Poesie enthielt. Er lieferte Beiträge zu Johann Friedrich Reichardts Zeitschrift ‚Deutschland‘, schrieb für Fichtes und Niethammers ‚Philosophisches Journal‘ Abhandlungen und Rezensionen, literaturkritische Aufsätze und bekannte sich, u.a. in Über den Begriff des Republikanismus zur demokratischen Staatsform nach antikem Vorbild. Henrich Steffens, der die Brüder in Jena kennenlernte, charakterisiert den jüngeren in seinen Lebenserinnerungen als „in jeder Rücksicht merkwürdige!n" Mann“ (Was ich erlebte 4, S.302). Er war !…" schlank gebaut, seine Gesichtszüge regelmäßig schön, und in höchstem Grade geistreich. Er hatte in seinem Aeußeren etwas Ruhiges, fast Phlegmatisches. Wenn er tief sinnend in seinem Stuhle saß, und einen Gedanken ausspann, pflegte er mit dem Daumen und Zeigefinger die Stirne zu umfassen, bewegte diese beiden Finger langsam gegeneinander, bis zwischen die Augen, dann eben so langsam über die schöne zierlich geformte Nase, endlich je tiefer er in die Entwickelung des Gedankens fortschritt, die genannten Finger, jetzt vereinigt, über die Nasenspitze heraus, in einer langen geraden Linie in der Luft. Er sprach dabei langsam und bedächtig, und konnte mich manchmal zur Verzweiflung bringen. Wenn ich nun mit Lebhaftigkeit auf und nieder schreitend seinen Gedanken-Gang unterbrach, so blieb er ruhig sitzen. !…" Friedrich Schlegel lebte ganz in der Geschichte. Die Natur war ihm völlig fremd, selbst der Sinn für schöne Gegenden schien den beiden Brüdern zu fehlen !…" Es gab nicht leicht einen Menschen, der so anregend durch seine Persönlichkeit zu wirken vermochte, wie Fr. Schlegel. Er faßte einen jeden Gegenstand, der ihm mitgeteilt wurde, auf eine tiefe und bedeutende Weise auf. (Ebd., S.302–304.)

Das anfangs gute Verhältnis zu Schiller, den er bereits 1792 in Dresden kennengelernt hatte, trübte sich bald durch Klatsch, Empfindlichkeiten Schillers und eine Rezension des ‚Horen‘-Jahrgangs 1796 von Friedrich Schlegels spitzer Feder in Johann Friedrich Reichardts Zeitschrift ‚Deutschland‘. Schiller kündigte daraufhin August Wilhelm die Mitarbeit bei seiner Zeitschrift auf. Nach einem Jahr, in dem Friedrich Schlegel wesentliche Positionen des frühromantischen Literaturprogramms entwickelt hatte, verließ er, wohl auf Anraten Goethes, Jena (Behler, Friedrich Schlegel, S.56) und ging Ende Juli 1797 als Mitarbeiter von Reichardts neuer Zeitschrift ‚Lyceum‘ nach Berlin. Die wiederholten

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Auseinandersetzungen mit den Herausgebern der Zeitschriften, für die sie arbeiteten, veranlaßten die Brüder Schlegel, eine eigene Zeitschrift zu gründen, die auf Friedrichs Initiative hin als Forum frühromantischen Denkens konzipiert war und Beiträgen aus allen Künsten und Wissenschaften offenstehen sollte. Zwischen Mai 1798 und August 1800 erschienen sechs Hefte des ‚Athenäums‘. In Berlin fand Friedrich Schlegel rasch Anschluß an die literarisch interessierte Mittwochsgesellschaft und verkehrte im Haus von Henriette und Marcus Herz, zu deren häufigen Gästen auch Schleiermacher, Ludwig Tieck und Dorothea (eigentlich Brendel) Veit geb. Mendelssohn (1764–1839) gehörten. Dorothea Veit war nach jüdischem Herkommen als Neunzehnjährige von ihrem Vater Moses Mendelssohn (1729–1786) mit dem Bankier Simon Veit (1754–1819) verheiratet worden. Auf die Möglichkeit, ihrer unglücklichen Ehe durch Scheidung zu entgehen, verzichtete sie zunächst, da sie die beiden Söhne Jonas (1790–1854; seit 1810: Johannes) und Philipp (1793–1877) bei deren Vater hätte zurücklassen müssen. Unter dem Eindruck der Begegnung mit Friedrich Schlegel entschloß sie sich schließlich doch zur Trennung von ihrem Mann. Die Scheidung wurde 1799 ausgesprochen. Der jüngere, damals sechsjährige Sohn Philipp blieb bis auf weiteres, unter der Bedingung, daß sich Dorothea weder vom jüdischen Glauben lossagte noch sich wiederverheiratete, in mütterlicher Obhut. Die Verbindung zwischen Friedrich Schlegel und der acht Jahre älteren, von ihrem Ehemann getrennt lebenden Jüdin erregte Aufsehen; daß die Titelfigur von Schlegels Roman Lucinde (1799) Dorotheas Züge trug, wurde allgemein als skandalös empfunden. Ende 1797 nahm Schleiermacher Friedrich Schlegel in seine Wohnung auf. In Briefen an seine Schwester schildert er anschaulich dessen Persönlichkeit und die glückliche Ergänzung beider Freunde in ihrer Berliner Wohn- und Arbeitsgemeinschaft: Er ist ein junger Mann von 25 Jahren, von so ausgebreiteten Kenntnißen, daß man nicht begreifen kann, wie es möglich ist bei solcher Jugend soviel zu wißen, von einem originellen Geist, der hier wo es doch viel Geist und Talente giebt alles sehr weit überragt, und in seinen Sitten von einer Natürlichkeit, Offenheit und kindlichen Jugendlichkeit, deren Vereinigung mit jenem allem vielleicht bei weitem das wunderbarste ist. Er ist überall wo er hinkommt wegen seines Wizes sowol als wegen seiner Unbefangenheit der angenehmste Gesellschafter. Mir aber ist er mehr als das, er ist mir von sehr großem wesentlichen Nuzen. Ich bin zwar hier nie ohne gelehrten Umgang gewesen, und für jede einzelne Wissenschaft die mich interessirt hatte ich einen Mann mit dem ich darüber reden konnte; aber doch fehlt es mir gänzlich an einem, dem ich meine philosophischen Ideen so recht mittheilen konnte und der in die tiefsten Abstraktionen mit mir hineinging. Diese große Lüke füllt er nun aufs herrlichste aus; !…" durch den unversiegbaren Strom neuer Ansichten und Ideen der ihm unaufhörlich zufließt wird auch in mir manches in Bewegung gesezt was geschlummert hatte. Kurz für mein Daseyn in der philosophischen und litterarischen Welt geht seit meiner nähern Bekanntschaft mit ihm gleichsam eine neue Periode an. !…" Er hat keine sogenannte Brodtwissenschaft studirt, will auch kein Amt bekleiden, sondern so lange es geht spärlich aber unabhängig von dem Ertrag seiner Schriftstellerei leben, die lauter wichtige Gegenstände umfaßt und sich nicht so weit erniedrigt um des Brodtes willen etwas mittelmäßiges zu Markte zu bringen. An mir rupft er beständig ich müßte auch schreiben, es gäbe tausend Dinge die gesagt werden müßten und die grade ich sagen könnte. (An Charlotte Schleiermacher, 22.10.1797; FDES,KG V/2, S.177f.)

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In einem Brief zum Jahreswechsel ergänzt Schleiermacher aus der nunmehr vertieften Kenntnis die Beschreibung Friedrich Schlegels und ihres scherzhaft als ‚Ehe‘ bezeichneten Zusammenlebens (an Charlotte Schleiermacher, 31.12.1797; FDES,KG V/2, S.219): „Eine herrliche Veränderung in meiner Existenz macht Schlegels wohnen bei mir“ (ebd., S.217). Wahrscheinlich aber wirst Du auch wissen wollen wie ich nun bei dieser nächsten aller Bekanntschaften den Mann selbst finde? !…" Was seinen Geist anbetrift so ist er mir so durchaus superieur, daß ich nur mit vieler Ehrfurcht davon sprechen kann: wie schnell und tief er eindringt in den Geist jeder Wissenschaft, jedes Systems, jedes Schriftstellers, mit welcher hohen unpartheiischen Kritik er jedem seine Stelle anweist, wie seine Kenntniße alle in einem herrlichen System geordnet da stehn und alle seine Arbeiten nicht von ohngefähr sondern nach einem großen Plan aufeinander folgen, mit welcher Beharrlichkeit er alles verfolgt was er einmal angefangen hat – das weiß ich alles erst seit dieser kurzen Zeit völlig zu schäzen, da ich seine Ideen gleichsam entstehen und wachsen sehe. Aber nach seinem Gemüth wirst Du unstreitig mehr fragen als nach seinem Geist und Genie. Es ist äußerst kindlich, das ist gewiß der Hauptzug darin; offen und froh, naiv in allen seinen Aeußerungen, etwas leichtfertig, ein tödtlicher Feind aller Formen und Plakereien, heftig in seinen Wünschen und Neigungen, allgemein wolwollend aber auch, wie Kinder oft zu seyn pflegen, etwas argwöhnisch und voll mancherlei Antipathien. Sein Charakter ist noch nicht so fest und seine Meinungen über Menschen und Verhältniße noch nicht so bestimmt daß er nicht leicht sollte zu regieren seyn wenn er einmal Jemand sein Vertrauen geschenkt hat. Was ich aber doch vermisse ist das zarte Gefühl und der feine Sinn für die lieblichen Kleinigkeiten des Lebens und für die feinen Aeußerungen schöner Gesinnungen !…"; das bloß sanfte und schöne fesselt ihn nicht sehr, weil er zu sehr nach der Analogie seines eignen Gemüths alles für schwach hält, was nicht feurig und stark erscheint. !…" Er wird immer mehr seyn als ich, aber ich werde ihn vollständiger faßen und kennen lernen, als er mich. Sein Aeußeres ist mehr Aufmerksamkeit erregend als schön. Eine nicht eben zierlich und voll, aber doch stark und gesund gebaute Figur, ein sehr charakteristischer Kopf, ein blaßes Gesicht, sehr dunkles rund um den Kopf ganz kurz abgeschnittnes ungepudertes und ungekräuseltes Haar und ein ziemlich uneleganter aber doch feiner und gentlemansmäßiger Anzug – das giebt die äußere Erscheinung meiner dermaligen Ehehälfte. (Ebd., S.219f.)

Den Sommer 1798 verbrachten die Schlegels in Dresden, wohin auch Hardenberg, Fichte und Schelling kamen; man besuchte u.a. die berühmte Gemäldegalerie und erörterte Fragen der Naturphilosophie, die in den gleichzeitig entstehenden Arbeiten eine bedeutende Rolle spielte. In diesen Wochen kam der Gedanke auf, sich gemeinsam in Jena niederzulassen, der im Herbst des folgenden Jahres verwirklicht wurde. Friedrich Schlegel verließ Berlin und bezog ein Zimmer im Haus am Löbdergraben, wo sein Bruder und seine Schwägerin das obere Stockwerk bewohnten. Dorothea folgte nach, Schelling, Ludwig und Amalia Tieck fanden sich zeitweilig ein, Friedrich von Hardenberg lebte nicht weit entfernt in Weißenfels. Schleiermacher, den seine beruflichen Pflichten in Berlin zurückhielten, betreute die Drucklegung des dritten Jahrgangs des ‚Athenäums‘. Im Sommer 1800 habilitierte sich Friedrich Schlegel an der philosophischen Fakultät der Universität Jena und hielt im Herbst als Privatdozent ein Kolleg über Transzendentalphilosophie; nicht zuletzt durch die Konkurrenz Schellings blieben die Hörerzahlen und damit auch die Einnahmen kleiner als erwartet, so daß

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Schlegel den Plan einer akademischen Lehrtätigkeit in Jena aufgab. Sein Bruder verfaßte in den Jenaer Jahren 1796–1800 zahlreiche Aufsätze und Rezensionen, hielt seit 1798 als außerordentlicher Professor Vorlesungen über Literatur, Ästhetik und Altertumswissenschaften und übersetzte in Zusammenarbeit mit Caroline, die auch an der Entstehung von Abhandlungen und Rezensionen ihres Mannes wesentlich beteiligt war, Dramen Shakespeares. Ähnlich eng gestaltete sich auch die Zusammenarbeit zwischen Friedrich und Dorothea. Dorotheas Bildungsroman Florentin (1801) erschien anonym, herausgegeben von Friedrich Schlegel; ebenso wurden ihre Übertragungen und Bearbeitungen älterer französischer Texte von Friedrich herausgegeben. Ihre Übersetzung von Frau von Staëls Roman Corinne erschien – durchaus in Übereinstimmung mit den Gepflogenheiten zeitgenössischer Schriftstellerehepaare – 1807/8 unter dem Namen ihres Mannes. Nach nur etwa einem Jahr löste sich der Jenaer Romantikerkreis bereits wieder auf. Die Gründe dafür lagen sowohl in persönlichen Differenzen zwischen einzelnen Mitgliedern als auch darin, daß sich die Interessen und beruflichen Perspektiven der Romantiker in unterschiedliche Richtungen entwickelten. 1800 starb plötzlich Carolines erst fünfzehnjährige Tochter Auguste Böhmer auf einer Reise mit ihrer Mutter und Schelling in Bad Boklet, was Anlaß zu Spekulationen über eine falsche medizinische Behandlung des Mädchens durch Schelling gab. August Wilhelm und Caroline Schlegels Ehe scheiterte, die Brüder Schlegel entfremdeten sich zeitweilig. Nach ihrer Scheidung von August Wilhelm heiratete Caroline 1803 Schelling und zog mit ihm nach Würzburg, wo er eine Professur angenommen hatte, im Jahr darauf nach München. August Wilhelm Schlegel ließ sich 1801 in Berlin nieder, wo er in den Salons von Rahel Varnhagen und Henriette Herz eine glänzende Rolle spielte. Er führte seine Shakespeare-Übersetzungen fort, veröffentlichte Arbeiten zur romanischen Literaur und hielt auch im Ausland vielbeachtete Vorlesungen Über schöne Literatur und Kunst (1801–04) sowie Zur Encyclopädie aller Wissenschaften (1803). Goethe vermittelte im Frühjahr 1804 die Bekanntschaft mit Frau von Staël, die vorübergehend in Weimar weilte. Sie gewann August Wilhelm als literarischen Berater und Erzieher ihrer Kinder, und der ältere Schlegel verbrachte die Jahre bis zum Tod der Frau von Staël 1817 auf deren Landsitz zu Coppet oder auf Reisen als ihr Begleiter. Friedrich Schlegel verließ Jena kurz nach dem Tod seines Freundes Hardenberg am 25.3.1801 und lebte vorübergehend wieder in Berlin. Als der Versuch, dort als Schriftsteller Fuß zu fassen, fehlschlug, entschloß er sich, mit Dorothea und deren Sohn nach Paris zu gehen. Die Reise führte Anfang 1802 über Dresden, Leipzig und Weimar, wo Schlegels Trauerspiel Alarcos aufgeführt wurde, nach Frankreich, dessen Hauptstadt man erst im Juli erreichte. Hier beschäftigte sich Friedrich Schlegel mit spanischer und portugiesischer Literatur, studierte die provenzalischen Manuskripte der Nationalbibliothek, erlernte Sanskrit bei dem Schotten Alexander Hamilton (1762–1824), Persisch bei Antoine Léon de Chézy (1773–1832) und hielt für die drei jungen Kölner Sulpiz (1783–1854) und Melchior Boisserée (1786–1851) sowie Johann Baptist Bertram (1776–1841), die auf

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ihrer Bildungsreise zwischen November 1803 und April 1804 als Pensionsgäste im Hause Schlegel weilten, eine Privatvorlesung über die deutsche Literatur und Philosophie. Zwischen 1803 und 1805 gab Schlegel die Zeitschrift ‚Europa‘ heraus, die dem Gedanken der Einheit Europas gewidmet war (Behler, Friedrich Schlegel, S.87–89). Da sich in Paris keine Aussicht auf eine sichere berufliche Existenz ergab, nahm Schlegel die Anregung der Brüder Boisserée auf, sich in Köln um einen Lehrstuhl an der neuzugründenden Universität zu bemühen und folgte den Kölner Freunden im Frühjahr 1804 in ihre Heimat. Im selben Jahr ließen sich Friedrich Schlegel und Dorothea nach deren Taufe durch einen protestantischen Pfarrer trauen. In Köln setzte Schlegel seine in Frankreich begonnenen kunstgeschichtlichen Studien fort und hielt Privatvorlesungen über Universalgeschichte, Philosophie, deutsche Sprache und Literatur. 1808 vollendete er sein grundlegendes Werk Über die Sprache und Weisheit der Indier, das die vergleichende Sprachwissenschaft sowie die Indologie in Deutschland begründete. Am 18.4.1808 konvertierte er zusammen mit Dorothea zum Katholizismus. Auch in Köln blieb Friedrich Schlegels beruflichen Plänen der Erfolg versagt. Dank der Fürsprache seines Bruders, der in Wien Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur (1808) hielt, wurde dem jüngeren Schlegel im Frühjahr 1809 die Stelle eines österreichischen Hofsekretärs angeboten. Als bald darauf der Krieg zwischen Österreich und Frankreich ausbrach, übernahm er publizistische Aufgaben im Stab des Erzherzogs Karl, dessen Feldzug er bis Ungarn begleitete; er begründete und redigierte den ersten Jahrgang der ‚Österreichischen Zeitung‘, die als ‚Österreichischer Beobachter‘ (seit 1810) zum offiziellen Presseorgan der Ära Metternich avancierte. Im Frühjahr 1810 hielt Friedrich Schlegel in Wien Vorlesungen Über die neuere Geschichte; wie diese war auch seine 1812–1813 erscheinende Zeitschrift ‚Deutsches Museum‘ von der patriotischen Gesinnung geprägt, die der Kampf gegen Napoleon hervorbrachte. Auch der liberaler eingestellte August Wilhelm Schlegel wurde von der nationalen Begeisterung der Befreiungskriege ergriffen. 1811 hatte er beim drohenden Einmarsch französischer Truppen mit Frau von Staël Coppet verlassen müssen. Ihre Flucht führte nach Wien, Kiew, Moskau und St. Petersburg. Während Frau von Staël in London das Ende der Napoleonischen Herrschaft erwartete, nahm August Wilhelm Schlegel in Stockholm die Stelle eines Privatsekretärs des Kronprinzen Jean Baptiste Jules Bernadotte (1763–1844; später Karl XIV. Johann, König von Schweden) an, trat mit politisch-patriotischen Schriften an die Öffentlichkeit und erlangte schließlich den Rang eines schwedischen Regierungsrats. Friedrich Schlegel arbeitete in diesen ereignisreichen Jahren an seinem wichtigsten literaturwissenschaftlichen Werk, der Geschichte der alten und neueren Literatur (1814). Während des Wiener Kongresses beauftragte ihn Metternich u.a. mit der Ausarbeitung von politischen Denkschriften und von Verfassungsentwürfen für den Deutschen Bund. 1815 wurde er zum Frankfurter Bundestag entsandt und für seine Verdienste um den Katholizismus vom Papst mit dem Christusorden ausgezeichnet. 1818 erhielt er die Ernennung zum Legationsrat der österreichischen Gesandtschaft in Frankfurt. Doch trotz des Geschicks, mit dem

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er publizistische und andere schriftstellerische Aufgaben erledigte, erwies sich Schlegel u.a. durch sein unstetes, oft schwieriges Wesen, durch religiösen Übereifer und wohl auch durch seine unrealistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten für eine weitere diplomatische Laufbahn als ungeeignet; seine Vorgesetzten ersuchten Metternich um seine Abberufung aus Frankfurt. 1819 durfte Schlegel als Kunstsachverständiger das Kaiserpaar nach Italien begleiten, wo sich Dorothea seit dem Vorjahr bei ihren Söhnen aufhielt, die beide als Maler in Rom lebten. Die Hoffnung auf ein neues Amt erfüllte sich nicht mehr, lediglich eine bescheidene Pension wurde ihm vom österreichischen Hof gewährt. Zwischen 1820 und 1823 gab Friedrich Schlegel die spätromantische politisch konservative Zeitschrift ‚Concordia‘ heraus, bereitete den Druck seiner Sämmtlichen Werke (10Bde., 1822–1825) vor und arbeitete an einem umfassenden philosophischen System, dessen erste Teile er in den Vorlesungsreihen Philosophie der Geschichte (1827), Philosophie des Lebens (1828) und Philosophie der Sprache und des Worts (1829) ausarbeitete. Persönlich neigte er in seinen letzten Lebensjahren einer stark mystisch-esoterisch getönten Frömmigkeit zu, die auch in seiner näheren Umgebung als befremdlich empfunden wurde. 1827 führten religiöse Divergenzen zum endgültigen Bruch zwischen Friedrich und August Wilhelm Schlegel. Dieser hatte nach antiquarischen, kunstgeschichtlichen und Sprachstudien in Italien und Frankreich seit 1818 an der Universität Bonn einen Lehrstuhl für Literatur und Kunstgeschichte inne. Nachdem er in der französischen Zeitschrift ‚Le Catholique‘ als „à moitié catholique“ charakterisiert worden war, verwahrte sich August Wilhelm in der aufsehenerregenden öffentlichen Stellungnahme Beseitigung einiger Mißdeutungen gegen diese Behauptung und distanzierte sich explizit vom Katholizismus seines Buders. Auf einer Vortragsreise in Dresden starb Friedrich Schlegel überraschend am 12. Januar 1829 an einem Herzanfall. Seine Witwe verließ Wien im Jahr darauf und zog zur Familie ihres jüngeren Sohns, der 1830 die Stelle des Direktors am Städelschen Institut in Frankfurt angenommen hatte. August Wilhelm Schlegel überlebte seinen jüngeren Bruder um fast fünfzehn Jahre. Seine Leistungen der Bonner Zeit liegen vor allem im wissenschaftlichphilologischen Bereich: er gilt als einer der Begründer der Romanistik und machte sich als Herausgeber des Zeitschrift ‚Indische Bibliothek‘ (1823–1830) sowie durch Editionen indischer Poesie um die Indologie verdient.

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Friedrich von Hardenberg (Novalis)

Georg Philipp Friedrich von Hardenberg wurde am 2. Mai 1772 auf Schloß Oberwiederstedt am östlichen Harz geboren; er war das zweite von elf Geschwistern, von denen nur eines die Eltern überlebte. Der Vater, Freiherr Ulrich Erasmus von Hardenberg (1738–1816), ein Verwaltungsfachmann mit einer Ausbildung im Bergwesen, entstammte einem alten niedersächsischen Adelsgeschlecht; der frühe Tod seiner ersten Frau führte ihn zu einem pietistischen Erweckungserlebnis, das sein künftiges Leben bestimmte. Seine zweite Frau, Auguste Bernhardine von Bölzig (1749–1818), war eine junge verarmte Adlige, die Hardenbergs Mutter in ihren Haushalt aufgenommen hatte. Während der Vater als streng und unnahbar empfunden wurde, war offenkundig die Mutter besonders ihrem ältesten Sohn, dessen schwache Gesundheit und zögerliche Entwicklung in den ersten Lebensjahren Grund zur Besorgnis gab, liebevoll zugetan. Nach einer schweren Krankheit des Achtjährigen, von der er sich nur langsam erholte, „schien sein Geist auf einmal zu erwachen“ (NO4, S.531), wie sein Bruder Karl den intellektuellen Entwicklungssprung des Kindes rückblickend beschreibt; von nun an überflügelte er die Geschwister beim Unterricht, der zu Hause stattfand. Als die Mutter 1783 nach der Geburt ihres siebten Kindes schwer erkrankte, lebte der Elfjährige eine Zeitlang bei seinem Patenonkel, dem Landkomtur des Deutschritterordens Gottlob Friedrich Wilhelm von Hardenberg (1728–1800) auf Schloß Lucklum bei Braunschweig, wo er mit der untergehenden höfischen Kultur des Rokoko in Berührung kam. Da die Bewirtschaftung des Familienguts für den Unterhalt einer großen Familie nicht genug eintrug, nahm der Vater die Stelle des kursächsischen Direktors der Salinen zu Artern, Kösen und Dürrenberg an; die Familie zog 1785 nach Weißenfels, einer verkehrsgünstig an der Saale zwischen Jena und Leipzig gelegenen Kleinstadt. 1790 besuchte der junge Hardenberg für einige Monate das Gymnasium zu Eisleben, um sich auf sein Studium vorzubereiten. Schon seit 1788 hatte er erste dichterische Versuche unternommen, bei denen es sich im wesentlichen um Nachahmungen zeitgenössischer und antiker Muster handelt. Vom Herbst 1790 bis zum Herbst des folgenden Jahres studierte Hardenberg Rechtswissenschaften an der Universität Jena; Schiller, der hier als außerordentlicher Professor Geschichte und Philosophie lehrte, bewunderte der 19jährige Student mit jugendlichem Enthusiasmus. Zwischen Oktober 1791 und April 1793 führte er seine Studien in Leipzig fort, wo er mit dem gleichaltrigen Friedrich Schlegel Freundschaft schloß, sich heftig in ein bürgerliches Mädchen verliebte, kurze Zeit den Wunsch hegte, „Soldat zu werden“ (an den Vater, 9.2.1793; NO4, S.104), um den gegenwärtigen Verstrickungen zu entgehen, und schließlich nach einem Wechsel an die kleine Universität Wittenberg im Juni 1794 sein Examen ablegte. Im November begann er eine einjährige Ausbildung zum Verwaltungsfachmann bei dem Kreisamtmann Coelestin August Just in Tennstedt. Bei einem Auf-

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enthalt im nahe gelegenen Grüningen in dienstlichen Angelegenheiten begegnete er im Haus ihres Stiefvaters Johann Rudolf von Rockenthien (1755–1820) seiner späteren Braut, der damals zwölfjährigen Sophie von Kühn und verliebte sich wohl augenblicklich; am 15.3.1795 verlobten sich beide inoffiziell. Nach einer Begegnung mit Fichte im Haus des Jenaer Professors Friedrich Immanuel Niethammer begann Hardenberg, sich neben seiner beruflichen Tätigkeit in die Fichtesche Philosophie einzuarbeiten. Im November dieses Jahres erkrankte Sophie schwer. Zum Jahreswechsel ernannte ihn die kursächsische Regierung zum Akzessisten seines Vaters. Als Vorbereitung auf seinen Dienst in den Salinen absolvierte er im Januar 1796 bei Johann Christian Wiegleb (1732–1800) in Langensalza einen Kurs in praktischer Chemie. Zahlreiche dienstliche Reisen und Besuche in Grüningen und Jena bestimmten Hardenbergs erstes Berufsjahr. Im Sommer verschlimmerte sich Sophies Krankheit so sehr, daß sie von Hofrat Johann Christian Stark (1753–1811) in Jena operiert werden mußte. Alle Behandlungsversuche blieben ohne Erfolg, Sophie von Kühn starb am 19.3.1797 wohl an einer tuberkulösen Erkrankung. Nur wenige Wochen später verstarb auch Hardenbergs Bruder Erasmus. In den Monaten nach diesen Schicksalsschlägen versuchte Friedrich von Hardenberg im Studium der Philosophie, besonders Fichtes, Schellings und Hemsterhuis’, und der Naturwissenschaften sein inneres Gleichgewicht wiederzufinden. In einem regen Briefwechsel mit Friedrich Schlegel und bei Besuchen in Jena bzw. Weißenfels versuchten beide, ihren geistigen Standpunkt zu klären; Anfang Dezember lernte Hardenberg in Leipzig auch Schelling persönlich kennen. Ende des Jahres begann er ein anderthalbjähriges Studium an der Bergakademie Freiberg, ca. 40 km südwestlich von Dresden. Zu deren Lehrern gehörte der renommierte Geologe Abraham Gottlob Werner (1740–1817), der dort seit 1775 Mineralogie und Bergbaukunde lehrte und u.a. durch seine mineralogische Systematik Hardenbergs Denken bedeutsame Anregungen gab. Eine weitere wichtige Persönlichkeit, die Hardenberg in Freiberg kennenlernte, war der Mathematiker und Berghauptmann Johann Friedrich Wilhelm von Charpentier (1728–1805), in dessen Familie Hardenberg freundschaftlich verkehrte. In dieser Zeit vollzog sich parallel zu seiner theoretischen Ausbildung in Chemie, Physik, Mathematik, Geologie, Mineralogie und Bergbaukunde und zu seiner praktischen Arbeit in den Gruben des Erzgebirges Hardenbergs Entwicklung zum romantischen Dichter, der seine philosophisch-poetischen Werke unter dem Pseudonym Novalis veröffentlichte. Im April 1798 erschien in der Zeitschrift ‚Athenäum‘ der Brüder Schlegel die Fragmentsammlung Blüthenstaub, der unvollendet Prosatext Die Lehrlinge zu Sais wurde niedergeschrieben, eine zweite Fragmentsammlung Glauben und Liebe konnte bereits im Sommer desselben Jahres gedruckt werden. Und es entstanden ferner eine Vielzahl von Aufzeichnungen – angeregt durch eigene Lektüre, das Freiberger Studium und den (brieflichen) Dialog mit Friedrich Schlegel –, die als Vorarbeiten zu weiteren Fragmenten oder zu anderen Werken dienen sollten. Nach einer Erkrankung verbrachte Hardenberg einige Wochen des Sommers 1798 in dem böhmischen Badeort Teplitz. Im Anschluß an diesen Kuraufenthalt

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traf er mit den Brüdern Schlegel, August Wilhelms Frau Caroline Schlegel und mit Schelling in Dresden zusammen. Im Herbst begann er die Aufzeichnungen des Allgemeinen Brouillons, das von weiteren Notizen und Materialsammlungen begleitet wurde. Im Dezember verlobte er sich mit Julie von Charpentier (1776–1811), der jüngsten Tochter seines Freiberger Lehrers. Mitte Mai 1799 kehrte Hardenberg nach Abschluß seines Studiums nach Weißenfels zurück. Er begleitete seinen Vorgesetzten, den kursächsischen Finanzrat Julius Wilhelm von Oppel (1768–1832) auf seiner Inspektionsreise zu den staatlichen Bergwerken und Salinen; aufgrund von Oppels Empfehlung wurde Hardenberg im Dezember 1799 als Salinenassessor mit einem bescheidenen Jahresgehalt von 400 Talern angestellt. Ebenfalls 1799 entstanden Hardenbergs Geistliche Lieder, der Aufsatz Die Christenheit oder Europa und die Hymnen an die Nacht. Vom 11. bis zum 14. November besuchte er in Jena die Brüder Schlegel, Tieck, mit dem er sich im Sommer angefreundet hatte, Schelling und Johann Wilhelm Ritter und las aus seinen jüngsten Werken. Im Spätherbst begann er in Artern mit der Niederschrift des Romans Heinrich von Ofterdingen, dessen erster Teil 1802 posthum von Tieck herausgegeben wurde. Im Frühjahr und Frühsommer 1800 war Hardenberg an der Vorbereitung und Durchführung der von A.G.Werner geleiteten ‚geognostischen Landes-Untersuchung‘ beteiligt, die als Vorarbeit für die geologische Kartierung Sachsens durchgeführt wurde und mit deren Hilfe man Bodenschätze, besonders fossile Brennstoffe zu erschließen hoffte. Zusammen mit Friedrich Traugott Michael Haupt (1776–1852) bereiste Hardenberg in der ersten Junihälfte die Gegend zwischen Zeitz, Gera, Borna und Leipzig, sammelte Gesteinsproben und befragte Ortskundige; an dem abschließenden Bericht, in dem die Ergebnisse der Exkursion zusammengefaßt werden sollten, konnte Hardenberg aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr mitwirken. Im Laufe des Sommers und Herbst scheinen die Symptome einer Tuberkulose immer deutlicher zutage getreten zu sein. Im Oktober reiste er zu einem längeren Aufenthalt nach Dresden. Die Nachricht vom Suizid seines dreizehnjährigen Bruders Bernhard in der Saale löste einen schweren Blutsturz aus, von dem er sich nicht wieder erholte. Im Dezember erhielt er, bereits als Todkranker, die Ernennung zum Amtshauptmann des Thüringischen Kreises. Im Januar holte die besorgte Familie den Kranken nach Weißenfels zurück, wo er am 25.3.1801 starb.

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Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher

Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (ursprünglich: Schleyermacher) wurde am 21. November 1768 in Breslau geboren. Beide Eltern stammten aus Theologenfamilien. Als preußischer Stabsfeldprediger wurde der Vater Gottlieb Adolf Schleyermacher (1727–1794) im Gefolge des Bayerischen Erbfolgekriegs 1778 nach Pleß in Oberschlesien, ein Jahr später ins nahe gelegene Anhalt versetzt, wo er neben den umliegenden Garnisonen auch die reformierte Gemeinde betreute. Hatte Friedrich vom sechsten bis zum zehnten Lebensjahr einen eher kümmerlichen und unsystematischen Unterricht an der Breslauer Friedrichs-Schule erhalten, so unterrichtete ihn hier aus Mangel an anderen Bildungsmöglichkeiten der Vater überwiegend selbst. Nach einer Reise nach Herrnhut, Niesky und Gnadenfrei wandte sich das Ehepaar Schleyermacher der pietistischen Frömmigkeit zu und beschloß, seine Kinder auf den nach zeitgenössischen Maßstäben vorbildlichen Schulen der Herrnhuter Brüdergemeine erziehen zu lassen. Während die ältere Schwester Friederike Charlotte (1765–1831) 1783 in Gnadenfrei aufgenommen wurde, wo sie die nächsten drei Jahrzehnte lebte, besuchte Friedrich Daniel zusammen mit dem drei Jahre jüngeren Bruder Johann Carl das Pädagogium von Niesky bei Görlitz. Der Tod der Mutter Elisabeth Maria Katharina (geb. 1736) noch im selben Jahr verstärkte die Bindung des Heranwachsenden an die Brüdergemeine. Der Unterricht im Pädagogium erstreckte sich auf alte und neue Sprachen, Geschichte, Naturkunde, Mathematik, Zeichnen und Musik, wobei Gottesdienst und Andacht einen bedeutenden Platz einnahmen (Nowak, Leben, S.24f.). Im Herbst 1785 begann Friedrich das Studium im Theologicum zu Barby nördlich von Halle, während sein Bruder ab dem folgenden Frühjahr den Beruf des Apothekers erlernte. Der strikte Disziplin fordernde Seminarbetrieb, der den Studierenden weltliche Zerstreuungen untersagte und sie mit einem wissenschaftlich veralteten Lehrprogramm vor den Einfllüssen des zeitgenössischen Geisteslebens abzuschirmen suchte, rief rasch den Widerstand der jungen Leute hervor. Religiöse Zweifel, die er vor Lehrern und Seelsorgern geheimhalten mußte, stürzten Schleiermacher in eine persönliche Krise. 1787 führte er den Bruch mit den Herrnhutern herbei (ebd., S.26–31). Vom Vater, der die wachsende Entfernung des Sohnes von der Brüdergemeine mit Sorge beobachtet hatte, erbat und erhielt er die Erlaubnis, das Studium der Theologie in Halle fortzusetzen. Über sein Ausscheiden aus der Gemeine hinaus blieb Schleiermachers Religiosität von der gefühlsbetonten Frömmigkeit der Herrnhuter beeinflußt; einige der hier begründeten Freundschaften, wie die mit Johann Baptist von Albertini (1769–1831) und mit dem Schweden Carl Gustav von Brin(c)kmann (1764–1847) hielten ein Leben lang (ebd., S.32). In Halle nahm Schleiermachers Onkel Ernst Stubenrauch (1738–1807), Gymnasialprofessor für Kirchengeschichte und heilige Altertümer, den Neffen in

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seinen Haushalt auf. Zusammen mit Brinkmann, den er hier wiedertraf, hegte er erste schriftstellerische Pläne. Nach drei Semestern, in denen er sich außer mit Theologie besonders mit Philosophie – angeleitet durch Johann August Eberhard (1739–1809) – und mit dem Griechischen – angeregt von Friedrich August Wolf – beschäftigte, folgte er im Frühjahr 1789 seinem Onkel nach Drossen, wo Stubenrauch eine Pfarrstelle übernommen hatte. In Drossen, einer Kleinstadt zwischen Küstrin und Frankfurt an der Oder, bereitete sich Schleiermacher auf das erste theologische Examen vor, das er im Mai des folgenden Jahres in Berlin ablegte. Durch Vermittlung des Hofpredigers Friedrich Samuel Gottfried Sack (1738–1817) erhielt Schleiermacher eine Hauslehrerstelle bei dem Grafen Friedrich Alexander zu Dohna (1741–1810) im westpreußischen Schlobitten. Politische und pädagogische Divergenzen führten 1793 zur Trennung. Da noch immer keine Aussicht bestand, eine der raren Predigerstellen zu erhalten, bewarb sich Schleiermacher mit Erfolg am renommierten ‚Seminarium für gelehrte Schulen‘ des Reformpädagogen Friedrich Gedike (1754–1803), der ersten Lehrerbildungsanstalt in Preußen. Neben dem Unterricht, den er im Rahmen seiner Ausbildung am Friedrichwerderschen Gymnasium erteilte, übernahm er weitere Lektionen am Cöllnischen Gymnasium und Religionsunterricht am Kornmesserschen Waisenhaus, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. In der knapp bemessenen Zeit, die er für eigene Studien zur Verfügung hatte, beschäftigte er sich im Winter 1793/94 mit Spinoza und verfaßte eine Kurze Darstellung des Spinozistischen Systems (ebd., S.59–67). Im Frühjahr 1794 wurde Schleiermacher als Predigeradjunkt zur Entlastung des betagten Johann Lorenz Schumann (1719–1795) nach Landsberg an der Warthe berufen. Das hierfür erforderliche zweite Examen legte er am 31.3.1794 ab. Wenige Monate nach Antritt seiner Hilfspredigerstelle verstarb der Vater; er hatte nach dem Tod seiner ersten Frau erneut geheiratet und hinterließ in Pleß seine Witwe Christiane Caroline geb. Kühn (gest. 1828) und drei minderjährige Töchter. In Landsberg übersetzte Schleiermacher zusammen mit F.S.G.Sack Predigten des Schotten Hugh Blair (1718–1800). Seine eigenen, vorwiegend Fragen der Ethik aufgreifenden Predigten fanden in Landsberg so großen Anklang, daß sich die Gemeinde nach dem Tod ihres Geistlichen im Frühsommer 1795 den jungen Hilfsprediger als dessen Nachfolger wünschte. Die Kirchenleitung lehnte dies ab und berief Schleiermachers Onkel Stubenrauch nach Landsberg, seinen Neffen als Kanken- und Armenhausprediger an die Charité in Berlin. Die Predigerstelle an der Charité war bescheiden dotiert, die schwierigen allgemeinen Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie insbesondere die Dienstwohnung, die Schleiermacher im September 1796 bezog, gaben wiederholt Anlaß zu Beschwerden bei und Auseinandersetzungen mit dem Armendirektorium als der vorgesetzten Behörde. Den zahlreichen Ärgernissen und Widrigkeiten im dienstlichen Bereich stand gegenüber, daß der junge Theologe – vermittelt durch den jungen Grafen Friedrich Ferdinand Alexander zu Dohna (1771–1831) Zugang zum Haus von Henriette (1764–1847) und Marcus (1747–1803) Herz und damit Anschluß an die gebildete und literarisch interessierte Berliner Gesellschaft fand. Im Salon von Henriette Herz lernte er im Spätsommer/Herbst 1797 Friedrich

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Schlegel kennen, mit dem er rasch Freundschaft schloß. Seine hohe Wertschätzung für Schleiermacher bringt Friedrich Schlegel in einem Brief an seinen Bruder vom 28.11.1797 zum Ausdruck: „Sch.[leyermacher] ist ein Mensch, in dem der Mensch gebildet ist, und darum gehört er freylich für mich in eine höhere Kaste. !…" Er ist nur drey Jahre älter wie ich, aber an moralischem Verstand übertrifft er mich unendlich weit. Ich hoffe noch viel von ihm zu lernen. – Sein ganzes Wesen ist moralisch, und eigentlich überwiegt unter allen ausgezeichneten Menschen, die ich kenne, bey ihm !…" die Moralität allem andren“ (KFSA24, S.45f.). Umgekehrt ermutigte und drängte Friedrich Schlegel Schleiermacher beständig zu eigenen literarischen Produktionen und gewann ihn als Autor von Fragmenten und philosophischen Rezensionen für das ‚Athenäum‘. Wegen Bauarbeiten in der Charité hatte Schleiermacher im Frühjahr 1797 vorübergehend eine komfortablere Wohnung vor dem Oranienburger Tor bezogen. Am 21. Dezember nahm er Schlegel bei sich auf; die für beide förderliche Wohn- und Arbeitsgemeinschaft bestand bis zum August 1799. Gemeinsam planten sie eine polemische Schrift gegen Leibniz, die zwar nicht ausgeführt wurde, deren Vorarbeiten jedoch teilweise zu Fragmenten umgearbeitet wurden. Als gemeinschaftliches Projekt hatten die Freunde ursprünglich auch die Übersetzung der Werke Platos konzipiert, die Schleiermacher, nachdem sich sein Mitstreiter aus dem Projekt zurückgezogen hatte, zwischen 1804 und 1828 allein realisierte. 1799 nahm er in der Flugschrift Briefe bei Gelegenheit der politisch theologischen Aufgabe und des Sendschreibens jüdischer Hausväter zur aktuellen Frage der Judenemanzipation Stellung. Im gleichen Jahr erschien die Schrift Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, eine Bestimmung der Religion im Geist der Romantik, die dem Prediger die Rolle eines ‚Virtuosen der Religion‘ zuweist und eine Neubestimmung der Kirche als (private) Gemeinschaft derer, die Religion haben, unternimmt (Kantzenbach, S.50 und 69). Zum Jahreswechsel folgten die Monologen, eine selbstreflexive Betrachtung, die eine um den Begriff der Freiheit des Individuums zentrierte Sittenlehre entwirft (ebd., S.71). Ebenfalls 1800 verteidigte Schleiermacher in den anonym erschienenen Vertrauten Briefen über Friedrich Schlegels Lucinde den Roman seines Freundes gegen den Vorwurf der Immoralität. Mutig, ja wagemutig war dieses Eintreten für das vielfach als skandalös empfundene Werk nicht nur, weil er Rücksicht auf seine Stellung als Geistlicher zu nehmen hatte, sondern auch weil er die Frau eines lutherischen Amtsbruders liebte, die er vergeblich zur Scheidung zu bewegen suchte und deren Vorname Eleonore er unmaskiert in den Briefen verwendet. Einige Gedichte entstanden ebenfalls in der Zeit der Zusammenarbeit und des nahen Gedankenaustauschs mit Schlegel. Pläne zu einem Roman, zu Novellen und zu einer Tragödie wurden nicht verwirklicht. Inzwischen hatte die liberale Gesinnung Schleiermachers bei seinen kirchlichen Vorgesetzten Anstoß erregt. Man versuchte zunächst, ihn aus Berlin zu entfernen, indem man ihm die finanziell lukrative Stelle eines Hofpredigers in Schwedt anbot. Schleiermacher lehnte ab und zog sich damit verstärkt den Unmut der Kirchenbehörde zu. F.S.G.Sack tadelte in einer Aussprache den „jüdischen Umgang“ des jungen Theologen. (An Charlotte Schleiermacher, 4.8.1798;

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FDES,KG V/2, S.371.) In einem privaten Brief von Ende 1800/Anfang 1801 äußerte er kaum verhüllt sein Mißfallen an der Freundschaft mit Friedrich Schlegel: Sie wissen, mein theuerster Herr Schleiermacher, wie hoch ich Sie von Anfang unserer Bekanntschaft an geschätzt habe, und ich darf nicht daran zweifeln, daß Sie mich unter Ihre aufrichtigsten Freunde gezählt haben. Die Talente, die Ihnen Gott verliehen, die schönen Kenntnisse, die Sie sich erworben, und der rechtschaffene Sinn, den ich an Ihnen wahrnahm, erwarben Ihnen meine Hochachtung und mein Herz; !…" Es gab nur Eine Seite in Ihrer Denkungsweise und in Ihrer Lebensart, die meinen Begriffen und meinem Gefühl von Schicklichkeit entgegen war. Den Geschmack, den Sie an vertrauteren Verbindungen mit Personen von verdächtigen Grundsätzen und Sitten zu finden schienen, konnte ich mit meinen Vorstellungen von dem, was ein Prediger sich und seinen Verhältnissen schuldig ist, nicht vereinen. (FDES,KG V/5, S.3.)

In demselben Brief charakterisierte er – auch in seiner Funktion als Zensor – Schleiermachers Reden Über die Religion als mit dem Amt eines christlichen Predigers unvereinbare Apologie des Spinozismus und unterstellte dem Verfasser „Heuchelei“ (ebd., S.5) und Geltungssucht: Ich kann das Buch, nachdem ich es bedachtsam durchgelesen habe, leider für nichts weiter erkennen, als für eine geistvolle Apologie des Pantheismus, für eine rednerische Darstellung des Spinosistischen Systems. Da gestehe ich Ihnen nun ganz freimüthig, daß dieses System mit allem dem, was mir bisher Religion geheißen hat, und gewesen ist, ein Ende zu machen scheint, und ich die dabei zum Grunde liegende Theorie für die trostloseste sowohl als verderblichste halte, und sie auf keine Art und Weise weder mit dem gesunden Vestande noch mit den Bedürfnissen der moralischen Natur des Menschen in irgend eine Art von Vereinigung zu bringen weiß. Eben so wenig begreife ich, wie ein Mann, der einem solchen Systeme anhängt, ein redlicher Lehrer des Christenthums sein könne; !…" Meiner Ansicht der Sache nach hat Sie, mein theuerster Herr Prediger, das Verlangen, sich einen neuen Weg zu bahnen, und die Scheu vor dem, was gemein ist, verbunden mit spekulativem Scharfsinn und blühender Einbildungskraft !…" auf einen unglücklichen Abweg verleitet. (Ebd., S.4f.)

In einer leidenschaftlichen Verurteilung ‚revolutionärer‘ Tendenzen in Philosophie und Sprache tritt der Generationenkonflikt zwischen dem Vertreter des orthodoxen, institutionalisierten Protestantismus und der jungen ‚romantischen Schule‘ unverhüllt zutage: Ich verachte und verdamme die gleißende Toleranz, die der Abgötterei, der Schwärmerei, der Lasterhaftigkeit das Thor zum Tempel der Religion nicht minder freundlich aufmacht, als den Weisen und Guten, die nach Wahrheit und Tugend streben. Aeußerst empörend und verderblich erscheint mir die revolutionäre Schule, die mit frevelhafter Hand alles umstürzt und niederreißt, die aus dem schönsten fruchstbarsten !sic" Felde des menschlichen Denkens und Glaubens eine traurige öde Wüste macht !…". Eben so empörend ist mir die revolutionäre neue Sprache, die, der ersten Regel alles vernünftigen Redens und Belehrens (der Verständlichkeit) zum Trotz, immer mit falscher Münze zahlt, sich in räthselhaftes Dunkel hüllt. (Ebd., S.6; vgl. auch Schleiermacher an seine Schwester Charlotte, 1.7.1801; ebd., S.152 und sein Antwortschreiben an F.S.G.Sack, Mitte Mai/Anfang Juni 1801, ebd., S. 129–134.)

Anfang 1802 sah sich Schleiermacher genötigt, eine Stelle als Hofprediger im hinterpommerschen Stolp anzunehmen; eine weitere Ablehnung wäre unmöglich

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gewesen. In der Isolation der Kleinstadt Stolp, unter dem rauhen, ihm unzuträglichen Klima ebenso leidend wie unter dem langen Zögern Eleonore Grunows (1770–1834), die sich erst 1805 endgültig gegen eine Scheidung entschied, schrieb Schleiermacher mit beachtlicher Disziplin die umfangreichen Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre (1803) und trieb die Plato-Übersetzung voran, die beide bei dem befreundeten Berliner Verleger Georg Andreas Reimer (1776–1842) erschienen. Brieflichen Kontakt hielt er in Berlin u.a. mit Henriette Herz, C.G. von Brinkmann und dem gegen Ende seiner Berliner Zeit gewonnenen Freund Johann Ehrenfried Theodor von Willich (1773–1807), der inzwischen als Militärgeistlicher in Stralsund lebte. Angesichts der Zersplitterung des Protestantismus in seinem ländlichen Wirkungskreis – bei Überwiegen der Lutheraner bestanden viele kleine, z.T. weit voneinander entfernte reformierte Gemeinden, deren seelsorgerische Betreuung von den Geistlichen einen großen zusätzlichen Arbeitsaufwand und weite Wege in entlegene Filialgemeinden erforderte – meldete sich Schleiermacher in aktuellen Fragen der Kirchenpolitik zu Wort. In den anonym veröffentlichten Zwei unvorgreiflichen Gutachten in Sachen des protestantischen Kirchenwesens zunächst in Beziehung auf den preußischen Staat (1804) sprach er sich für die Union von Lutheranern und Reformierten aus und schlug praktische Reformen vor (Nowak, Leben, S.140–142). Die Chancen, das ungeliebte Stolp verlassen zu können, waren sehr gering, wie Schleiermacher wußte. Um so überraschender kam für ihn ein Brief des Orientalisten Heinrich Eberhard Gottlob Paulus (1761–1851), der ihn für einen Lehrstuhl der Theologie an der Reformuniversität Würzburg zu gewinnen suchte. Als Schleiermacher, um dem Ruf ins bayrische Ausland zu folgen, Friedrich Wilhelm III. um seine Demission ersuchte, bot ihm die preußische Regierung eine Professur, verbunden mit der Stelle eines akademischen Predigers in Halle an. Im Oktober 1804 begann Schleiermacher seine Lehrtätigkeit in Halle. Seine Halbschwester Nanny (Anne Maria Louise, 1786–1869) begleitete ihn, um ihm den Haushalt zu führen. Innerhalb von nur zwei Jahren hielt er Vorlesungen über ‚Enzyklopädie‘, Methodologie, Dogmatik, Ethik, Exegese des Neuen Testaments und Kirchengeschichte. Neben weiteren Bänden der Platon-Übersetzung, theologischen Arbeiten und Rezensionen in der Jenaischen ‚Allgemeinen Literaturzeitung‘ veröffentlichte er die Novelle Die Weihnachtsfeier (1806). In Halle war er dem Naturphilosophen Henrich Steffens freundschaftlich verbunden und genoß das gesellige Leben der Universitätsstadt. Anschaulich beschreibt Steffens in seinen Erinnerungen Schleiermachers äußere Erscheinung und die Wirkung seiner Persönlichkeit: Schleiermacher war !…" klein von Wuchs, etwas verwachsen, doch so, daß es ihn kaum entstellte. In allen seinen Bewegungen war er lebhaft, seine Gesichtszüge höchst bedeutend. Etwas Scharfes in seinem Blick mochte vielleicht zurückstoßend wirken. Er schien in der That einen Jeden zu durchschauen. Er war einige Jahre älter als ich. Sein Gesicht war länglich, alle Gesichtszüge scharf bezeichnet, die Lippen streng geschlossen, das Kinn hervortretend, das Auge lebhaft und feurig, der Blick fortdauernd ernsthaft, zusammengefaßt und besonnen. Ich sah ihn in den mannigfaltigsten wechselnden Verhältnissen des Lebens, tief nachsinnend und spielend, scherzhaft, mild und

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erzürnt, von Freude wie durch Schmerz bewegt: fortdauernd schien eine unveränderliche Ruhe, größer, mächtiger als die vorübergehende Bewegung, sein Gemüth zu beherrschen. Und dennoch war nichts Starres in dieser Ruhe. Eine leise Ironie spielte in seinen Zügen, eine innige Theilnahme bewegte ihn innerlich, und eine fast kindliche Güte drang durch die sichtbare Ruhe hindurch. Die herrschende Besonnenheit hatte seine Sinne auf eine bewundernswürdige Weise verstärkt. Während er im lebhaftesten Gespräch begriffen war, entging ihm Nichts. (Was ich erlebte 5, S.141f.)

Diese produktive Phase in Schleiermachers Leben wurde im Herbst 1806 durch den Einmarsch französischer Truppen in Halle nach dem Sieg bei Jena und Auerstedt jäh beendet. Die Universität Halle wurde auf Befehl Napoleons geschlossen, die Studenten nach Hause geschickt, die Gehaltszahlungen der Professoren blieben aus; nach dem Frieden von Tilsit 1807 zwischen Frankreich und Preußen war Halle Teil des Königreichs Westfalen unter Napoleons Bruder Jérôme Bonaparte (1784–1860). Schleiermacher verließ schweren Herzens Halle, wo er keine Zukunftsperspektive sehen konnte, ja nicht einmal sein Auskommen für den Augenblick hatte, und ging nach Berlin, wo sich die preußische Reformbewegung sammelte und die Gründung einer Universität als Ersatz für die verlorenen akademischen Lehrstätten geplant war. Mit den Gelegentlichen Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn. Nebst einem Anhang über eine neu zu errichtende (1808) legte Schleiermacher seine Vorschläge zur Reform des Bildungswesens vor. In Berlin bestritt er seinen Lebensunterhalt durch öffentliche Vorlesungen vor zahlendem Publikum über Geschichte der Philosophie, christliche Glaubenslehre, Ethik und Hermeneutik (Nowak, Leben, S.188 und 196). Nach dem Tod seines Freundes Ehrenfried von Willich, der 1807 im französisch besetzten Stralsund einer Epidemie zum Opfer fiel, hatte Schleiermacher der jungen Witwe und ihren beiden kleinen Kindern als väterlicher Freund aus der Ferne beigestanden. Bei einem Besuch auf Rügen, wo Henriette von Willich (1788–1840) bei Verwandten und Freunden wohnte, verlobten sie sich. Im Sommer 1808 reiste Schleiermacher in geheimer und für ihn nicht ungefährlicher Mission nach Königsberg, wohin der Hof vorübergehend ausgewichen war; seine Aufgabe war es, den Kontakt zwischen geheimen patriotischen Verbindungen in Berlin und dem Königsberger ‚Tugendbund‘, der antifranzösische Propaganda und Aktivitäten steuerte, aufrechtzuerhalten. Während seines Königsberger Aufenthalts wurde er vom Kronprinzen und von der Königin empfangen. Immer mehr nahm Schleiermacher Aufgaben im Bereich der Bildungs- und Wissenschaftspolitik wahr; u.a. arbeitete er 1809 im Auftrag des Freiherrn vom Stein (1757–1831) einen Entwurf zur kirchlichen Verfassungsreform aus (Nowak, Leben, S.194). Mit seiner Berufung auf die Predigerstelle an der Berliner Dreifaltigkeitskirche im Mai 1809 verfügte Schleiermacher über eine materiell einigermaßen abgesicherte Position, die ihm die Eheschließung im gleichen Jahr erlaubte. Zu seinen vielfältigen Aufgaben als Seelsorger gehörten Armenpflege und Schulaufsicht in seinem Pfarrbezirk (ebd., S.213f.). 1810–1811 war er Direktor der ‚Wissenschaftlichen Deputation‘, der Examinationsbehörde für den höheren Schuldienst, die einen Lehrplan für gelehrte Schulen, den Typus des humanistischen Gymnasiums, entwarf (ebd., S.219). Ebenfalls 1810 wurde Schleier-

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macher zum Staatsrat in der Unterrichtsabteilung im preußischen Ministerium des Inneren ernannt. In dieser Funktion arbeitete er in der Einrichtungskommission der Universität mit, die im Herbst 1810 mit Verzögerung den akademischen Lehrbetrieb aufnahm. Schleiermacher wurde zum ersten Dekan der Theologischen Fakultät gewählt. Durch seine Ernennung zum Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften war er formal berechtigt, auch an der philosophischen Fakultät zu lehren. Er hielt Kollegien und Vorlesungen über Dialektik, Ethik, Psychologie, zur Staatslehre, Pädagogik und Ästhetik (ebd., S.283–337). Dem Ehepaar Schleiermacher wurde zwischen 1810 und 1817 drei Töchter geboren, der 1820 geborene Sohn starb schon als Neunjähriger an Scharlach. Den großen Haushalt führten Henriette und Nanny Schleiermacher gemeinsam, bis Nanny 1817 Ernst Moritz Arndt (1769–1860) heiratete. Zeitweilig lebte auch Charlotte Schleiermacher bei der Familie ihres Bruders und der Schwägerin. Während der Freiheitskriege 1813/14 unterstützte Schleiermacher die preußische Erhebung als Prediger von der Kanzel herab, aber auch publizistisch als Redaktor des ‚Preußischen Correspondenten‘ und bot General Scharnhorst seine Dienste als Feldprediger und im administrativen Bereich an; wie andere Berliner Professoren bewaffnete er sich und exerzierte mit dem Landsturm. Die Familie wurde beim Näherrücken der Kampfhandlungen zeitweilig bei Carl Schleiermacher im schlesischen Schmiedeberg untergebracht. Seit 1817 spielte Schleiermacher eine führende Rolle bei der Vorbereitung der kirchlichen Union, die 1822 mit dem Unionsstatut des Konsistoriums praktisch umgesetzt werden konnte (ebd., S.368–371). Dagegen scheiterten seine Pläne einer Kirchenreform auf der Grundlage einer Synodalvertretung. In den Jahren zwischen 1808 und 1833 veröffentlichte er sieben Predigtbände, dazu zahlreiche Separatdrucke von Predigten zu besonderen Gelegenheiten wie dem Tod der Königin Luise von Preußen 1810 oder dem antinapoleonischen Befreiungskampf von 1813. 1821/22 erschien sein umfangreiches theologisches Hauptwerk, Der christliche Glaube nach den Grundsäzen der evangelischen Kirche im Zusammenhang dargestellt (ebd., S.267–281). Neben der übergroßen Arbeitsbelastung hatte Schleiermacher jahrelang auch unter den sogenannten Demagogenverfolgungen der Restaurationszeit, unter Zensur, Intrigen und Bespitzelung zu leiden. Der Theologe war als Sympathisant der Burschenschaften und der Turnerbewegung bekannt, seine freimütig geäußerte Kritik an der reaktionären preußischen Politik zogen ihm erhebliche Schwierigkeiten und Repressionen zu. Beschlagnahmte Privatbriefe an seinen Schwager Arndt hätten beinahe zu einer Anklage wegen Majestätsbeleidigung geführt. Wiederholt wurde er im Januar 1823 in dieser Angelegenheit zum Verhör ins Polizeipräsidium am Molkenmarkt vorgeladen. Der drohenden Entlassung aus seinen kirchlichen und universitären Ämtern entging er wohl nicht zuletzt durch seine Popularität (ebd., S.378–385). Auch kirchenpolitische Auseinandersetzungen und Streitigkeiten um seine Glaubenslehre u.a. mit Hegel und mit Vertretern der Erweckungsbewegung beanspruchten den Theologen im letzten Jahrzehnt seines Lebens. Doch wurden ihm auch Anerkennung und zahlreiche Ehrungen zuteil. Als der König ihm 1831

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den Roten Adlerorden verlieh, gab er ihm damit ein Zeichen des erneuten Wohlwollens. Auf einer großen Skandinavienreise im Sommer und Frühherbst 1833 wurde er besonders in Kopenhagen ehrenvoll empfangen. Im folgenden Winter wurde er überraschend aus seinen seelsorgerlichen, wissenschaftlichen und politischen Aktivitäten gerissen. Er starb am 5. Februar 1834 an einer Lungenentzündung und wurde unter großer öffentlicher Anteilnahme auf dem Halleschen Friedhof beigesetzt.

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Biographische Skizzen

Friedrich Karl Forberg

In die Philosophiegeschichte ging Friedrich Karl Forberg durch den sogenannten Atheismusstreit der Jahre 1798/99 ein (siehe auch Anm. 91,34 zu Id105), in den er zusammen mit Fichte verwickelt war. Von dieser Episode abgesehen scheint sein Leben im übrigen wenig spektakulär verlaufen zu sein. Unsere Kenntnisse seiner Biographie verdanken wir fast ausschließlich seinen im Jahr 1840 anonym veröffentlichten Erinnerungen, die er bezeichnenderweise Lebenslauf eines Verschollenen nannte. Friedrich Karl Forberg wurde am 30.8.1770 in Meuselwitz bei Altenburg geboren. Wie August Wilhelm und Friedrich Schlegel, Schleiermacher, Schelling, Hülsen und Ritter war er der Sohn eines Pfarrers. Den Vater schildert Forberg rückblickend als orthodoxen, aber keineswegs bigotten Geistlichen mit vielseitigen Interessen (Lebenslauf, S.8). Seine beiden Söhne ließ er anfangs von einem Privatlehrer unterrichten, übernahm diese Aufgabe aber schon bald selbst. Der Unterricht erstreckte sich im wesentlichen auf Latein, Religion, Geschichte, Geographie, Mythologie, Griechisch und Hebräisch; hinzu kam ein wenig Französisch, Rechnen, Naturkunde und Musik (ebd., S.11–21). Die „Anfangsgründe des Syrischen, Arabischen und Englischen“ lernte der junge Forberg von einem befreundeten Geistlichen aus der Umgebung (ebd., S.9). In seiner Autobiographie erinnert sich Forberg, daß ihm die biblischen Wunder und Weissagungen schon früh „bedenklich“ erschienen waren (S.17). Die Lektüre von Johann Gottfried Eichhorns Einleitung in das Alte Testament (1780–1783) habe ihn bereits im dreizehnten Lebensjahr in seinen religiösen Zweifeln bestärkt und seinem „philologischen und kritischen Sinn ein unermeßliches Feld“ eröffnet (Lebenslauf, S.16f.). So gab ich den Glauben an die Bibel als Offenbarung auf, fuhr aber nichts desto weniger fort, sie unablässig zu studiren. Mochten noch so viele Irrthümer, noch so viele Fabeln, noch so viele Widersprüche sich da und dort finden, mochte in denkenden Lesern noch so sehr der Wunsch erwachen, daß statt der jetzigen Verfasser Männer wie Thucydides die Geschichte der Israeliten, wie Tacitus das Leben Jesu, wie Cicero die epistolaccias (mit Bembus zu reden) der Apostel geschrieben haben möchten, die Bibel blieb dennoch eine höchst merkwürdige Bibliothek alter Schriften, zum Theil aus den Zeiten der Wiege des Menschengeschlechts, sie blieb dennoch der Urquell unzähliger Nachrichten und Ideen, dessen Verlust durch nichts in der Welt zu ersetzen wäre, freilich kein Buch für’s Volk, aber ein köstlicher Schatz für den Gebildeten, den es interessirt, die Geschichte der Entwickelung menschlicher Schicksale und Ideen so weit als möglich zu verfolgen. Mit dem Glauben an die Bibel als Offenbarung verschwand mir indessen noch nicht sogleich der Glaube an eine Offenbarung in der Bibel, wie damalige Theologen z.E. Döderlein, Griesbach, Marus zu unterscheiden liebten. Aber bald sollte die Sonne der Philosophie auch diesen letzten schwachen Rest der Altgläubigkeit aus meiner Seele vertilgen. (Ebd., S.17f.)

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„Von Jeher zur Theologie bestimmt“ (ebd., S.23), bezog Forberg im Frühjahr 1786 als Sechzehnjähriger die Universität Leipzig, wo er u.a. bei dem Philosophen und Mediziner E.Platner (1744–1818) und bei dem Altphilologen F.A.Wolf studierte (ebd., S.25f.). Im Herbst 1788 wechselte er an die Universität Jena. Hier hörte er u.a. Vorlesungen bei Reinhold, der ihn mit der Kantischen Philosophie bekannt machte; auch Schiller muß er in dieser Zeit kennengelernt haben (ebd., S.27–35), und vermutlich schloß er damals Freundschaft mit Friedrich von Hardenberg, denn dieser erwähnt am 8.7.1796 in einem Brief an Friedrich Schlegel „Forberg in Jena, der, eben nach sehr langer Unterbrechung unsrer Freundschaft mir ein Herz voll Zärtlichkeit für mich zeigt.“ (NO4, S.187; vgl. zur Beziehung zwischen Forberg und Hardenberg Manfred Frank, Friedrich Karl Forberg. Porträt eines vergessenen Kommilitonen des Novalis. In: ‚Athenäum. Jahrbuch für Romantik‘ 6 (1996), S.9–46.) Am 23.3.1791 schloß Forberg sein Studium mit der Magisterpromotion ab. Danach begleitete er den demokratisch gesonnenen Reinhold-Schüler Franz Freiherr von Herbert (1759–1811), mit dem er sich während seines Studiums angefreundet hatte, in dessen Heimatstadt Klagenfurt (Lebenslauf, S.35f.). Nach seiner Rückkehr begann Forberg im Herbst 1791 an der Universität Jena als Privatdozent Vorlesungen zu halten. Im folgenden Jahr habilitierte er sich mit einer Disputation De aesthetica transcendentali und lehrte ab 1793 als Adjunkt der philosophischen Fakultät Moralphilosophie, theoretische Philosophie und Anthropologie (ebd., S.44). In diesen Jahren veröffentlichte er mehrere Aufsätze und selbständige Schriften, u.a. eine Arbeit Über die Gründe und Gesetze freier Handlungen (1795), die sich kritisch mit Andreas Leonhard Creuzer (1768–1844) auseinandersetzt, Fragmente aus meinen Papieren (1796) und zwei anonyme Beiträge in Carl Christian Erhard Schmids ‚Psychologischem Magazin‘ (1.Bd.), Über die Perfectibilität der Menschengattung und Prüfung des Materialismus. Diese Schriften beurteilt der Siebzigjährige rückblickend allerdings recht streng: „Es ist alles und mit Recht vergessen“ (ebd., S.45). Mit Reinhold und Schmid stand Forberg in regem Gedankenaustausch, Jens Baggesen, Ch.W.Hufeland und Lavater zählten zu seinem Bekanntenkreis, in dem die revolutionären Ereignisse in Frankreich diskutiert wurden (ebd., S.45). Als Fichte 1794 als Reinholds Nachfolger nach Jena kam, entwickelte sich zwischen ihm und Forberg rasch ein freundschaftliches, wenn auch nicht gänzlich unproblematisches Verhältnis. (Vgl. hierzu im einzelnen Hans-Helmut Lawatsch, Friedrich Carl Forberg: Philosophischer Bohemien der klassischen Zeit. In: ‚Jahrbuch der Coburger Landesstiftung‘ 35 (1990), S.139–154, hier, S.144–150 und Peter Struck, Zwei Briefe Friedrich Carl Forbergs aus dem Jahr 1794. In: ‚Jahrbuch der Coburger Landesstiftung‘ 39 (1994), S.45–60, hier S.47–50.) Forberg stand in geschäftlicher Verbindung mit dem Buchhändler und Verleger Gabler und vermittelte zwischen diesem und Fichte, der seine Hauptwerke der Jenaer Zeit und seit 1795 das zusammen mit Niethammer herausgegebene ‚Philosophische Journal‘ in Gablers Verlag veröffentlichte (Lebenslauf, S.47f.). Dieses zumindest vordergründig gute Einvernehmen hinderte Forberg nicht daran, Fichte vorzuwerfen, daß er seine Anhänger und Schüler wie ein Taschenspieler durch

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(be)trügerische Vorspiegelungen täusche (Fragmente, S.74), und in Fichtes Zeitschrift eine förmliche Kriegserklärung gegen diesen auszusprechen. (‚Philosophisches Journal‘ 6 (1796), S.44f., Briefe über die neueste Philosophie; Lawatsch, a.a.O. S.145.) Umgekehrt bescheinigte Fichte Forberg Unstetigkeit und Oberflächlichkeit. In einem Brief an Johann Jakob Wagner vom 2.1.1798 schreibt er über ihn: „Forberg ist ein witziger, thätiger Kopf: aber es fehlt ihm bis jtzt gänzlich an Festigkeit, u. Fleiß. Ich glaube, daß dieser Mangel so tief liegt, als er liegen kann; daß es ihm ganz u. gar an Charakter fehlt.“ (J.G.Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. von Reinhard Lauth und Hans Gliwitzky. Abt. III, Bd.3: Briefwechsel 1796–1799, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972, S.111.) Zwischen beiden Philosophen ergab sich bei ihrer Lehrtätigkeit eine Konkurrenzsituation, der sich Forberg auf Dauer nicht gewachsen fühlte, zumal er einen Teil seiner Hörer an Fichte verlor und damit auch Kollegiengelder einbüßte, auf die er angewiesen war. Forberg beschreibt im Rückblick seine damalige Lage: die totale Neuheit und Originalität der Fichtischen Speculationen, sein tiefsinniger, die Begriffe auf mannigfache und überraschende Weise zergliedernder Vortrag, der Strom seiner Beredsamkeit, sein Enthusiasmus für republikanische Freiheit bezauberte jetzt die gesammte leicht erregbare academische Jugend Jena’s. Diesem transcendentalen Heroen vermochte ich mit dem Minimum von philosophischen Talent das mir etwa die Natur beschieden, keineswegs die Wage zu halten. Ich fühlte täglich mehr, daß ich in Jena überflüssig geworden. Es verdroß mich, daß die jungen Leute in meinem philosophischen Conversatorium von nichts als von Ich und Nicht-Ich und andern Fichtischen Dogmen sprachen, die ich weder allenthalben recht verstand, noch in mein Gedankensystem gehörig zu verweben wußte. Bei aller Freundschaft mit Fichte wurde mir doch der Aufenthalt als philosophischer Docent neben ihm unerträglich. (Ebd., S.48f.)

Forberg verbrachte den Winter 1796 bei seinem Vater in Meuselwitz und plante, einige Zeit bei Pestalozzi in der Schweiz zu verbringen, um anschließend in den linksrheinischen französischen Gebieten ein Erziehungsinstitut einzurichten. Seine Schweizerreise im Frühjahr 1797 endete jedoch bereits in Saalfeld, wo gerade die Stelle eines Konrektors am Lyzeum zu besetzen war. Den Ausschlag für Forbergs Bewerbung gab nicht die eher kärgliche Besoldung von knapp 200 Talern, sondern die sechzehnjährige Tochter des Bürgermeisters, „die eben am Tische stand und bügelte, als ich meine Visite machte“ und die er im folgenden Jahr heiratete (ebd., S.51). Inzwischen war in Saalfeld auch die Stelle des Rektors am Lyzeum vakant geworden, und Forberg wurde vom Stadtrat in dieses Amt gewählt. Seit 1795 hatte Forberg einige Aufsätze in Fichtes und Niethammers ‚Philosophischem Journal‘ veröffentlicht (Über den Ursprung der Sprache (1795), Über die Verbindung der Seele mit dem Körper (1796), Briefe über die neueste Philosophie (1796f.), Über den Geist des Lutheranismus (1797) und Versuch einer Deduktion der Kategorien (1797?)). Im Jahr 1798 erschien in dieser Zeitschrift Forbergs Beitrag Entwickelung des Begriffs der Religion, der den sogenannten Atheismusstreit auslöste (Röhr, S.23–63). Die Intention dieses Aufsatzes erklärt Forberg in seiner Autobiographie folgendermaßen: „In meiner Entwicke-

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lung des Begriffs der Religion war mein Zweck eigentlich dem mir schon geraume Zeit nicht mehr genügenden practischen Glauben Kant’s einen statthaftern Sinn unterzulegen, falls man Bedenken trug, ihn bloß für Spiel und Mystification zu erklären. Doch der Versuch erregte ungewöhnlichen Lärm“ (Lebenslauf, S.53). Fichte selbst schildert die Ereignisse, die zum Atheismusstreit und zum Verlust seines Jenaer Lehrstuhls führten, seinem Amtsvorgänger Reinhold: Ich wollte den Forbergischen Aufsatz nicht aufnehmen; und widerriet ihm als Freund dessen Bekanntmachung. F. ließ sich nicht raten. Als Herausgeber und insofern Zensor die Aufnahme pro auctoritate zu verweigern ist gegen meine Grundsätze; die so fest sind, daß, ohnerachtet dieses Ausgangs der Sache, ich doch ähnlichen Aufsätzen die Aufnahme nie verweigern würde. Ich wollte den Aufsatz mit Noten unter F.gs Text versehen. Fg. verbat sich dies; und in diesem einzigen Stücke war ich vielleicht nicht vorsichtig genug. Ich faßte, was ich in den Noten sagen wollte, in einem eigenen Aufsatz zusammen: und dieser Aufsatz hatte diesen Erfolg. (J.G.Fichte, Briefe, hg. von Manfred Buhr, Leipzig 1986, S.231.)

Fichte hatte vorausgesehen, daß Forbergs Abhandlung Anlaß zu Mißverständnissen geben oder auch einigen „Lärm“ verursachen würde, und ließ seinen erläuternden Aufsatz Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung (FI5, S.175–189) zusammen mit Forbergs Text im 8. Band des ‚Philosophischen Journals‘ drucken. Forberg bemerkt dazu: „Die Fichtische und meine Abhandlung hätte man vielleicht passiren lassen, denn beide enthielten neben bedenklichen auch manche unbedenkliche selbst fromm lautende Aeußerungen, und mußten überhaupt erst durchgelesen werden, um das Gift zu entdecken; aber die in jugendlichem Muthwillen von mir angehängten ‚verfänglichen Fragen‘, deren Sinn sich gleich auf den ersten Blick dem flüchtigen Leser aufdrang, allarmirten, zumal die erste: ‚Ist ein Gott? Antwort: es ist und bleibt ungewiß‘“ (Lebenslauf, S.53f.). Auf Antrag des Dresdener Oberkonsistoriums wurde das betreffende Heft des ‚Philosophischen Journals‘ konfisziert, mehrere Höfe schlossen sich diesem Verbot an, und die Herausgeber der Zeitschrift mußten sich ebenso wie Forberg vor Gericht verantworten. Fichte wandte sich 1799 mit seiner Appelation an das Publicum über die durch ein Kurfürstlich Sächsisches Konfiskationsreskript ihm beigemessenen atheistischen Äußerungen (FI5, S.191–238; Röhr, S.84–126) an die Öffentlichkeit. Im gleichen Jahr ließen Fichte und Niethammer ihre ‚Verantwortungsschriften‘ und Forberg die Apologie seines angeblichen Atheismus drucken (Röhr, S.182–358). Vierzig Jahre nach diesen Ereignissen, die heftige Diskussionen um die Freiheit wissenschaftlicher Äußerungen auslösten, nimmt Forberg nochmals zu den Jenaer ‚Religionshändeln‘ Stellung: Wenn man wie gewöhnlich unter Gott sich ein ausserweltliches, substanzielles, persönliches Wesen vorstellt, das durch Verstand und Willen die Welt geschaffen hat und regiert, so war unsere Lehre allerdings atheistisch, und unsere Ankläger hatten vollkommen Recht. Wir konnten uns gegen die Anklage nur dadurch rechtfertigen, daß wir den Begriff von Gott in einem ganz andern, dem großen Publicum unbegreiflichen Sinn nahmen und in diesem Sinn einen Gott gelten ließen, was wir denn auch thaten, freilich aber niemand von unserer Unschuld überzeugten, wie wir auch, sobald einmal von Anklage die Rede war, gar nicht erwarten durften. Es wurde mir ein Verweis zuerkannt, den ich, die Sache aus dem Standpunct der Gegner betrachtend, nicht unbillig

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fand und mir daher leicht gefallen ließ, um so mehr, als mein gütiger Ephorus, der ihn mir ertheilen sollte, sich seines Auftrags bloß dadurch entledigte, daß er mir das Consistorialrescript zu lesen gab, ohne ein Wort hinzuzusetzen. Fichte aber wollte sich keinen Verweis gefallen lassen, und bot auf den Fall eines Verweises schon im voraus seine Dimission an. Dies nahm man in Weimar übel, und gab ihm mit dem Verweis zugleich seine Dimission. Warum haben Sie das gethan? fragte ich ihn, als ich ihn bald darauf in Jena sprach; Sie konnten so ruhig auf Ihrem Posten bleiben, wie ich auf dem meinigen. Wenn ich Parmenio wäre, antwortete er, so hätte ichs gethan; da ich aber Alexander bin, so konnte ich nicht. Sie haben recht, sagte ich, und im Grunde freue ich mich darüber; Deutschland wird Sie nicht vergessen. – Seitdem sah ich ihn niemals wieder. (Lebenslauf, S.54f.)

Wegen des ‚Atheismusstreits‘ wurde Forberg erst Ende 1800 offiziell in seinem Amt als Schulrektor bestätigt, Fichte hingegen verlor seine Professur. In Saalfeld fühlte sich Forberg isoliert und mußte angesichts sinkender Schülerzahlen befürchten, durch den Ruf eines Atheisten, der ihm anhaftete, seinem Lyzeum zu schaden. Die Rettung kam im folgenden Jahr in Gestalt des Coburgischen Ministers von Kretschmann, der Forberg in die „Schulorganisations-Commission“ nach Coburg berief (ebd., S.56–58). 1802 wurde er zum Geheimen Sekretär beim herzoglichen Landesministerium ernannt, seit 1806 war er als Geheimer Kanzleirat für Aufgaben im kirchlichen und schulischen Bereich zuständig. Später wurde Forberg mit der Leitung der herzoglichen Bibliothek, der Kupferstich- und Münzsammlungen beauftragt (ebd., S.58). Veranlaßt durch den Fund eines seltenen Manuskripts, gab er 1824 den Hermaphroditus, eine Sammlung erotischer und obszöner Gedichte des Antonio degli Beccadelli, genannt Antonio Panormita (1394–1471) heraus, ergänzt durch einen umfangreichen Anhang antiker Texte und einen Kommentar, der „eine wissenschaftliche Erotologie des Altertums“ darstellt. (Antonio Panormitae Hermaphroditus mit Apophoreta von Friedrich Carl Forberg, kommentiert von Wolfram Körner und Steffen Dietzsch, Neudruck (der Ausgabe Leipzig 1908) Hanau 1986, S.429.) Nachdem Gotha durch Erbfall an das Herzogtum Sachsen-Meiningen gefallen war, wurde Forberg in den Dienst der herzoglichen Landesregierung zu Hildburghausen übernommen. Dort lebte er bis zu seinem Tod im Jahr 1848. Aus der Philosophie hatte er sich nach 1800 gänzlich zurückgezogen.

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In den Fragmenten im ‚Lyceum‘ und im ‚Athenäum‘ (L108, A295 und Id107) macht Friedrich Schlegel seine Leser auf den Philosophen August Ludwig Hülsen aufmerksam, den er persönlich sehr schätzte, der heute jedoch weitgehend vergessen ist. Hülsen wurde am 2.3.1765 in dem märkischen Dorf Aken an der Elbe geboren und verbrachte seine Kindheit in Premnitz bei Rathenow. Er stammte aus einer Pfarrerfamilie und sollte wie Vater und Brüder Geistlicher werden. Hülsen begann 1785 in Halle ein Theologiestudium, besuchte aber vorwiegend philosophische Vorlesungen und ließ sich von dem Altphilologen F.A.Wolf für Homer begeistern. Im Frühjahr 1786 verließ er Halle vermutlich ohne Abschluß und war danach in Lentzke bei Fehrbellin als Hauslehrer bei der Familie Fouqué beschäftigt. Daß sich sein Zögling Friedrich de la Motte Fouqué für eine militärische statt für eine wissenschaftliche Laufbahn entschied, traf Hülsen tief, doch blieben beide einander freundschaftlich verbunden. Da er sich mit der Position der Kirche immer weniger identifizieren konnte, bemühte sich Hülsen nicht um eine Pfarrstelle, sondern versuchte, sich eine möglichst unabhängige Existenz zu bewahren. Er setzte seine Studien in Halle fort und beschäftigte sich vorwiegend mit Philosophie und mit den alten Sprachen. Dem Drängen und Drohungen seiner Familie, die ihn in einem kirchlichen Amt zu sehen wünschte, entzog er sich schließlich, indem er 1794 Preußen verließ und unter dem Namen Franz Jakob Hegekern nach Kiel reiste. Hier bestritt er seinen Unterhalt durch Privatunterricht und kleinere literarische Arbeiten; damit verkörperte er das Schlegelsche Ideal des äußerlich bedürfnislosen, aber innerlich freien ‚Cynikers‘. In Kiel studierte Hülsen bei Karl Leonhard Reinhold, dem damals bedeutendsten Kantianer. Von Fichtes Schriften war Hülsen so fasziniert, daß er im Sommer 1795, mit dreißig Jahren, als Fichtes Schüler nach Jena zog. Dort schloß er sich der ‚Litterärischen Gesellschaft der freien Männer in Jena‘ an, einem von den Ideen der Französischen Revolution ergriffenen, literarisch, philosophisch und politisch interessierten Kreis von Fichte-Schülern, der ein Gegengewicht zu den studentischen Verbindungen darstellte; besondere Bedeutung maßen seine Mitglieder Fragen der Pädagogik bei, da sie hier die Grundlage einer gesellschaftlichen Erneuerung erblickten. (Flitner, S.1–17; Felicitas Marwinski, „Wahrlich, das Unternehmen ist kühn …“ Aus der Geschichte der Literarischen Gesellschaft der freien Männer von 1794/99 zu Jena, Jena und Erlangen 1992.) Zu diesem Kreis gehörten u.a. Johann Erich von Berger (1772–1833), Johann Georg Rist (1775–1847) und Johann Friedrich Herbart (1776–1841), mit denen Hülsen eine engere Freundschaft verband. In seinen Lebenserinnerungen (hg. von Gustav Poel, 1. Teil, Gotha 1880, S.122) schildert Rist den älteren Freund: „Kant und Plato lebten in ihm durch die höchste Einfalt und in der lebendigsten Freiheit verbunden; als die Kantianer und Fichtianer noch lange nach schulgerechten Con-

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structionen und allgemein gültigen Sätzen suchten, fühlte er schon, daß man auf diesem Wege sich dem ewigen Lichte nicht nähere“; als besonderer Charakterzug fiel Hülsens geistige Unabhängigkeit und sein unbedingter Freiheitsdrang auf, der „ganz unabhängig von vorangegangenen und nachfolgenden Mustern, die leitenden Ideen eines geistvollen Pantheismus, jener Vergötterung oder vielmehr Vergeistigung der Natur in ihm ausgebildet“ (ebd., S.122f.). Seine Beantwortung der Preisfrage, die die Berliner Akademie der Wissenschaften 1796 gestellt hatte: „Was hat die Metaphysik seit Leibniz und Wolff für Progressen gemacht?“ machte Fichte und Friedrich Schlegel auf Hülsen aufmerksam. Schlegel schätzte Hülsen sehr: „Wenn mich meine Rechnung nicht trügt, so ist keiner !!von den neuesten"" so gemacht, mich ganz zu verstehen, zu überschauen und zu beurtheilen wie dieser Hülsen, von dem ich weit mehr halte als von Schelling“, schreibt er am 25.3.1798 an August Wilhelm (KFSA24, S.113). In einem seiner Fragmente charakterisiert Schlegel „Hülsens Gedankengang“ als „absolut originell, religiös, beinah eigensinnig“ (PhL [II] 236). Selbst im Freundeskreis galten Hülsens Schriften als „schwerfällig“ (Hardenberg an Friedrich Schlegel, 14.6.1797; NO4, S.230), „schwer und dunkel“. (Friedrich Schlegel an Schleiermacher, März 1799; KFSA24, S.248. Vgl. auch Friedrich Schlegel an August Wilhelm, 29.9.1798; KFSA24, S.174.) Dagegen ist die beeindruckende Wirkung seines mündlichen Vortrags mehrfach bezeugt. Schelling beschreibt in seinem Nachwort zu Hülsens Fragmenten den Eindruck, den er bei seiner einzigen Begegnung mit deren Verfasser im Jahr 1797 von ihm gewonnen hatte: Ein starker, hochgebildeter Körper, herzeinnehmende Milde der Rede und der Gebärde mit Kraft und gediegener Männlichkeit vereinend !…". Wer Hülsen auch nur einmal gesehen hatte, mußte erkennen, daß, was er oft thun, sagen oder schreiben möchte, schwerlich seine Persönlichkeit aufwiegen werde !…" man konnte wohl sehen, daß, wenn er dazu kommen sollte, sich in seiner Ganzheit auszusprechen, dieß kaum in der räsonnirenden wissenschaftlichen Form (welche auch in den mitgetheilten Fragmenten noch vorwaltet), sondern nur in einer freyeren, aus dem Leben selbst hergenommenen und mit lebendigen Verhältnissen ausgestatteten Form geschehen könnte. (‚Allgemeine Zeitschrift von Deutschen für Deutsche‘, 1.Bd., 1.Heft, 1813, S.199.)

Fouqué äußert sich im Vorwort zu dieser Fragmentsammlung ähnlich über seinen Freund und ehemaligen Lehrer: „Hülsen lehrte weit mehr, als er schrieb, und was er schrieb, richtete er wieder viel öfter an einen oder den andern gleichgestimmten Freund, als an das gesammte Publikum“ (ebd., S.265). Und er vergleicht ihn darin mit Sokrates, daß die Lehre von Mund zu Mund in Gesprächsform, nicht in den Hörsälen, sondern vielmehr in den Laubengängen einer Akademie, am göttlichsten von seinem Munde quoll. Wer ihn jemals über die Pendelschwingungen und ihre tiefe Bedeutung hat sprechen hören, wird sich nicht ohne begeistertes Entzücken des Lichtes erinnern, das dabei seinem mildglühenden Auge entglänzte, während die Worte, wie von dem Weltgeiste eingehaucht, klar und lieblich über seine Lippen strömten. Auch ganz unwissenschaftliche und unvorbereitete Menschen horchten in stiller freudiger Andacht auf, und eine tiefe Ahnung seiner hohen Ansicht zog durch ihre erweiterte Brust. (Ebd., S.265.)

Nachdem Hülsen 1796 sein Studium beendet hatte, reiste er zusammen mit Berger in die Schweiz. Mehrere Mitglieder des Jenaer Freundeskreises schlossen sich

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ihnen zeitweise an; gemeinsam besuchte man Pestalozzi und plante, in der Schweiz ein ideales Gemeinwesen zu errichten. In den Aufsätzen, die Hülsen in den folgenden Jahren veröffentlichte, unternahm er die Umbildung der Fichteschen zur eigentlich romantischen Philosophie mit mystischen und pantheistischen Zügen. (Vgl. hierzu z.B. H62, 64–66 und 77. Jamme, Geselligkeit.) 1797 erschien in Fichtes und Niethammers ‚Philosophischem Journal‘ sein Beitrag Philosophische Briefe an Hrn. von Briest in Nennhausen. Erster Brief. Ueber Popularität in der Philosophie, ein Jahr später in derselben Zeitschrift die Abhandlung Über den Bildungstrieb. Die Brüder Schlegel forderten ihn zur Mitarbeit am ‚Athenäum‘ auf (Friedrich Schlegel an Schleiermacher, Ende Juli 1798; KFSA24, S.156) und veröffentlichten zwei Texte Hülsens: Über die natürliche Gleichheit der Menschen (1799) und Naturbetrachtungen auf einer Reise durch die Schweiz (1800). Obwohl ihn Friedrich Schlegel auch weiterhin zum Schreiben ermunterte, hat Hülsen danach keine weiteren Arbeiten mehr veröffentlicht. Schlegel bedauerte auch später noch den „Verlust für die Philosophie, wenn solche Männer sich von der Literatur zurückziehen“ (Literatur; 1800; KFSA3, S.8). Im Herbst 1797 war Hülsen wieder in Jena eingetroffen. Das Angebot Fichtes, ihm bei der Suche nach einem akademischen Amt behilflich zu sein, lehnte er aus unüberwindlicher Abneigung gegen eine Anstellung im Staatsdienst und gegen die institutionalisierte Gelehrsamkeit des Universitätsbetriebs ab. Stattdessen kehrte er in seine Heimat zurück, um dort ein einfaches, naturnahes Leben zu führen. Im Frühjahr 1799 heiratete er Dorothea von Posern, eine Cousine Fouqués, und ließ sich mit ihr in dem Dorf Lentzke nieder. Dort stellte ihm Fouqué ein kleines Anwesen zur Verfügung, auf dem er Landwirtschaft trieb und „ein Erziehungsinstitut in Form einer Sokratischen Schule“ einrichtete, das er nach romantisch-rousseauschen Grundsätzen leitete. (Hülsen an August Wilhelm Schlegel, 15.11.1798; Flitner, S.99.) Er versuchte dabei, die Ideale von Republikanismus und Humanität, die er sich durch das Studium der Antike zu eigen gemacht hatte, in die pädagogische Praxis umzusetzen und die „noch unverbildeten Knaben“ zur „Selbstbildung“ anzuleiten. (Hülsen an August Wilhelm Schlegel, 8.7.1799; Flitner, S.103.) „Ich bleibe frey und unabhängig und brauche für das Semestrum kein andres Lehrbuch, als das der Natur und des lebendigen Menschen. Das äußere Geräusch soll meine Schule nicht empfehlen; aber wohl die Wahrheit, die sich auf Einsicht in die Natur des Menschen gründet. Mögen die Gelehrten sich zanken und streiten. Ich weiß etwas beßres zu thun, und hoffe eben auf die Weise ein freundlich stilles Licht des Lebens zu verbreiten, durch welches sich einmal die Verwirrung doch lösen muß.“ (Hülsen an August Wilhelm Schlegel, 15.11.1798; Flitner, S.100.) Während der folgenden Jahre wurden Hülsens Versuche, eine philosophische Idylle zu errichten, durch mehrere Schicksalsschläge zunichte gemacht. Nach dem frühen Tod seiner Frau im Jahr 1800 gab Hülsen sein pädagogisches Projekt wieder auf und nahm zeitweilig wieder eine Hauslehrerstelle in Nennhausen an. August Wilhelm Schlegel unterstützte Hülsens Bemühungen um eine Anstellung in Berlin. Dieser Plan zerschlug sich, da sich für Hülsen 1803 die Möglich-

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keit ergab, wieder auf dem Land zu leben und ein Gut zu bewirtschaften. Berger und einige weitere Mitglieder der ‚freien Männer‘ hatten sich in den vergangenen Jahren in Holstein niedergelassen und verschafften Hülsen ein kleines Landgut in dem benachbarten Dorf Wagersrott. Hier lebte er als „gelehrter Bauer“ (Flitner, S.56), widmete sich dem Ackerbau, beschäftigte sich mit Philosophie, Philologie und Mathematik und gründete eine Familie. Doch starben auch kurz nacheinander die zweite Frau und das einzige Kind. In späteren Jahren hat er noch ein drittes Mal geheiratet. Am 24.9.1809 starb Hülsen überraschend bei einem Besuch in seiner brandenburgischen Heimat.

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Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling wurde am 27.1.1775 in Leonberg bei Stuttgart geboren. Er stammte aus einer württembergischen Pfarrerfamilie, die von pietistischer Frömmigkeit im Gefolge Johann Albrecht Bengels (1687–1752) und Christoph Friedrich Oetingers (1702–1782) geprägt war. Hier, insbesondere im Denken des Theosophen Oetinger, der die böhmesche Naturmystik mit der neuzeitlichen Naturforschung zu verbinden suchte, sind wichtige Motive von Schellings Naturphilosophie bereits vorgebildet (Frank, Einführung, S.9). Der Vater, Joseph Friedrich Schelling (1737–1812), war zunächst Pfarrer und Diakon in Leonberg, ab 1777 Professor am Höheren Seminar des Klosters zu Bebenhausem bei Tübingen. Dort besuchte sein Sohn die Schule, wo er durch seine außergewöhnliche Sprachbegabung auffiel. Schon mit acht Jahren lernte Schelling, der als Wunderkind galt, Griechisch und Latein, bald darauf auch Hebräisch und Arabisch, in späteren Jahren außerdem noch Englisch, Spanisch und Italienisch. Mit zehn Jahren wechselte er an die Lateinschule in Nürtingen. Da deren Bildungsangebot ebenfalls bald erschöpft war, holte ihn der Vater zurück nach Bebenhausen, wo er ihn teils an Seminaren wesentlich älterer Schüler teilnehmen ließ, teils ihn selbst unterrichtete (FWJS,BD 1, S.5). Im Herbst 1790 wurde Schelling aufgrund einer Ausnahmegenehmigung des Konsistoriums bereits als Fünfzehnjähriger zum Theologiestudium in Tübingen zugelassen. Im Stift bewohnte er zusammen mit Hegel und Hölderlin dasselbe Zimmer. Das Tübinger Stift, bei der Nachwelt berühmt für die große Zahl bedeutender Männer, die aus ihm hervorgegangen sind, war bei den Zöglingen selbst berüchtigt wegen des strengen Regiments, das Herzog Karl Eugen (1728–1793) im Geist des aufgeklärten Absolutismus seinen Stipendiaten auferlegte. (FWJS,BD 1, S.14f.; Sandkühler, S.63.) Für begabte Söhne aus ärmeren Familien stellte die Aufnahme ins Stift nahezu die einzige Möglichkeit dar, Zugang zu einer akademischen Ausbildung zu erhalten. Aus ihren Reihen zog sich Karl Eugen (1728–1793) eine zuverlässige Beamtenschaft, loyale Lehrer und Geistliche heran. Diesem Ziel entsprechend vermittelte die damals noch recht kleine Tübinger Universität keine überragenden wissenschaftlichen Qualifikationen, sondern bereitete hauptsächlich auf die praktischen Aufgaben des Staats- oder Kirchendienstes vor (Frank, Einführung, S.12). Zwei Ereignisse sorgten im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts in der ohnehin gespannten Atmosphäre des Stifts für Zündstoff: die Französische Revolution und das Erscheinen der Kantischen Kritiken, die die Vernunft aus der Bindung der Theologie befreiten (Sandkühler, S.64). Heimlich lasen die Studenten Rousseau, Spinoza, Schillers Räuber und Schubarts Gedichte, gründeten politische Klubs und sangen die Marseillaise (Frank, Einführung, S.17f.). Daraufhin stattete Karl Eugen dem Stift einen persönlichen Besuch ab, bei dem er auch Schelling zur Rede stellte. Dieser zeigte sich von dem Auftritt seines Landesva-

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ters nur mäßig beeindruckt und soll dem Herzog auf die Frage, ob er seine ‚Sünden‘ bereue, geantwortet haben: „Durchlaucht, wir fehlen alle mannigfaltig“ (FWJS,BD 2, S.44). Das Theologiestudium in Tübingen dauerte im Normalfall fünf Jahre: Ein zweijähriger Kursus umfaßte Philosophie, Geschichte, Exegese und Physik. Für die Magisterprüfung, die sich daran anschloß, war es üblich, die Schrift eines akademischen Lehrers zu verteidigen. Schelling verfaßte eine eigene Arbeit Antiquissimi de prima malorum humanorum origine philosophematis Genes. III explicandi tentamen criticum et philosophicum. Nun folgte ein dreijähriger theologischer Kursus, den Schelling mit wachsender Abneigung gegen sein Fach absolvierte und 1795 mit einer Dissertation De Marcione Paullinarum epistolarum emendatore abschloß (FWJS,BD 1, S.21). Schon ein Jahr zuvor hatte er nach der Lektüre von Fichtes Begriff der Wissenschaftslehre (1794) einen Aufsatz Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie geschrieben. Fichte übersandte ihm daraufhin die ersten Bogen seiner Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794), die Schelling zu seiner Schrift Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen (1795) anregten. Diese Arbeit brachte dem begeisterten Anhänger Fichtes die erste öffentliche Anerkennung ein. F.I.Niethammer forderte den gerade Zwanzigjährigen zur Mitarbeit am ‚Philosophischen Journal‘ auf (ebd., S.27f.). Nach dem Abschluß seines Theologiestudiums mußte Schelling, wie der überwiegende Teil der bürgerlichen Intelligenz seiner Zeit, sein Auskommen als Hofmeister suchen. Nach einem kürzeren Aufenthalt bei seiner Familie in Schorndorf, wo er seinen Vater im Pfarrdienst unterstützte, trat er 1795 eine Hauslehrerstelle bei den Baronen von Riedesel aus Darmstadt an. Im Frühjahr 1796 begleitete er die beiden jungen Adligen zum Studium nach Leipzig und konnte diesen Aufenthalt dazu benutzen, sich in den Naturwissenschaften – Mathematik, Physik, Chemie und Medizin – gründliche Kenntnisse anzueignen. Aus diesen Studien sind erste naturphilosophische Arbeiten hervorgegangen. 1797 erschien die Allgemeine Übersicht über die neueste philosophische Literatur, im gleichen Jahr die Ideen zu einer Philosophie der Natur, die sich bereits durch den Titel als Gegenentwurf zu Herders Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784–1791) zu erkennen geben, 1798 folgte die Schrift Von der Weltseele, eine Hypothese der höheren Physik zur Erläuterung des allgemeinen Organismus. In Leipzig begegnete Schelling Ende 1797 zum ersten Mal Fichte, lernte Friedrich von Hardenberg und im folgenden Frühjahr August Wilhelm Schlegel kennen. Nach seiner ersten Bekanntschaft mit Schelling schreibt Hardenberg am 26.12.1797 an Friedrich Schlegel: „Schelling hab ich kennen gelernt. Freymüthig hab ich ihm unser Misfallen an seinen Ideen erklärt – Er war sehr damit einverstanden und glaubt im 2ten Theile einen höhern Flug begonnen zu haben. Wir sind schnell Freunde geworden. Er hat mich zum Briefwechsel eingeladen. Diese Tage über werd ich auch an ihn schreiben. Er hat mir sehr gefallen – ächte Universaltendenz in ihm – wahre Strahlenkraft – von Einem Punct in die Unendlichkeit hinaus. Er scheint viel poëtischen Sinn zu haben“ (NO4, S.242).

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Auch Goethe wurde auf die Schriften des vielversprechenden jungen Philosophen aufmerksam. Dank seiner Fürsprache wurde Schelling – mit einigen Hindernissen allerdings – 1798 mit erst 23 Jahren als außerordentlicher (und damit unbesoldeter) Professor der Philosophie nach Jena berufen. Im Brief an den Minister Christian Gottlob Voigt (1743–1819) beruhigt Goethe diesen über Schellings politische Unbedenklichkeit: „Wir waren beiderseits immer geneigt, den Doctor Schelling als Professor hierher zu ziehen; er ist gegenwärtig zum Besuche hier und hat mir in der Unterhaltung sehr wohl gefallen. Es ist ein sehr klarer, energischer und nach der neusten Mode organisirter Kopf; dabei habe ich keine Spur einer Sansculotten-Tournure an ihm bemerken können, vielmehr scheint er in jedem Sinne mäßig und gebildet. Ich bin überzeugt, daß er uns Ehre machen und der Akademie nützlich sein würde“ (29.5.1798; WA IV13, S.168). Schellings Aufenthalt in Jena ist durch eine einmalige geistesgeschichtliche Konstellation gekennzeichnet. Schon auf der Reise dorthin traf er in Dresden mit dem Romantikerkreis um Friedrich Schlegel zusammen. Vom Herbst 1798 bis Anfang 1803 lehrte Schelling in Jena, das damals neben Berlin das Zentrum der frühromantischen Bewegung darstellte. Fichte, Niethammer und Schiller hatten Professuren in Jena inne (Fichte verließ die Universität jedoch bereits 1799 wegen des ‚Atheismusstreits‘). August Wilhelm Schlegel wurde gleichzeitig mit Schelling auf einen Lehrstuhl berufen, im Herbst 1799 trafen Friedrich Schlegel, Dorothea Veit und Ludwig Tieck dort ein, Friedrich von Hardenberg besuchte die Freunde bei Gelegenheit, Henrich Steffens, der sich eng an Schelling anschloß und ihn Zeit seines Lebens verehrte, hielt sich seit 1798 in Jena auf. Zu Goethe und Schiller unterhielt Schelling gute Beziehungen, mit dem Physiker Johann Wilhelm Ritter hatte er gelegentlich Kontakt. (Sandkühler, S.68; FWJS,BD 1, S.155–160.) Die Wirkung, die Schelling bei seinen Vorlesungen auf die Hörer ausübte, schildert Henrich Steffens, der bei der Probevorlesung anwesend war, recht anschaulich: Schelling betrat das Katheder, er hatte ein jugendliches Ansehen, er war zwei Jahre jünger als ich, und nun der Erste von den bedeutenden Männern, deren Bekanntschaft ich sehnsuchtsvoll zu machen suchte; er hatte in der Art, wie er erschien, etwas Bestimmtes, ja Trotziges, breite Backenknochen, die Schläfe traten stark auseinander, die Stirn war hoch, das Gesicht energisch zusammengefaßt, die Nase etwas aufwärts geworfen, in den großen klaren Augen lag eine geistig gebietende Macht. Als er zu sprechen anfing, schien er nur wenige Augenblicke befangen. Der Gegenstand seiner Rede war derjenige, der damals seine ganze Seele erfüllte. Er sprach von der Idee einer Naturphilosophie, von der Nothwendigkeit, die Natur aus ihrer Einheit zu fassen, von dem Licht, welches sich über alle Gegenstände werfen würde, wenn man sie aus dem Standpunkte der Einheit der Vernunft zu betrachten wagte. Er riß mich ganz hin, und ich eilte den Tag darauf, ihn zu besuchen. (Was ich erlebte 4, S.75f.)

In Jena entwickelte Schelling an seine eigenen naturphilosophischen Arbeiten anknüpfend und in Auseinandersetzung mit Fichtes Transzendentalphilosophie die Grundzüge seiner Identitätsphilosophie. 1799 erschien der Erste Entwurf zu einem System der Naturphilosophie, 1800 das System des transzendentalen Idea-

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lismus; er gründete die ‚Zeitschrift für spekulative Physik‘ (1800/01), in der er 1801 die Darstellung meines Systems der Philosophie veröffentlichte, und hatte Teil an der romantischen Symphilosophie und Sympoesie. Doch war dieser fruchtbare Gedankenaustausch nur von kurzer Dauer. Im Kreis der Romantiker traf Schelling Caroline Schlegel. Ihre Liebesbeziehung trug zur Auflösung des romantischen Freundeskreises bei (FWJS,BD 1, S.160–162). Im Mai 1800 verließen Caroline Schlegel und Schelling Jena. Er ließ sich für das Sommersemester beurlauben, um in Bamberg medizinische Studien zu treiben und naturphilosophische Vorlesungen zu halten. Dabei schloß er sich den Medizinern Andreas Röschlaub (1768–1835) und Adalbert Friedrich Marcus (1753–1816) an. Caroline Schlegel wollte unterdessen in Begleitung ihrer Tochter Auguste Böhmer eine Badereise nach Bad Boklet machen. Dort starb die Fünfzehnjährige überraschend. Schelling wurde vorgeworfen, durch unsachgemäße Behandlung den Tod des jungen Mädchens mitverschuldet zu haben. Diese Beschuldigungen vergifteten die Atmosphäre in Jena. Hinzu kam ein Streit mit der ‚Allgemeinen Literaturzeitung‘, der mit persönlichen Angriffen und Verleumdungen geführt wurde. (Paul, Naturphilosophie, S.131–137; FWJS,BD 1, S.178–182.) Ein neuer Abschnitt seines Wirkens in Jena begann für Schelling 1801 mit der Ankunft Hegels; beide arbeiteten in den folgenden Jahren eng zusammen und gaben gemeinsam das ‚Kritische Journal der Philosophie‘ heraus (1802/03). Von Fichte entfernte sich Schelling demgegenüber zunehmend. An Schiller und besonders an Goethe schloß er sich nun in dem Maße enger an, wie sich seine Beziehung zu den Romantikern schwieriger gestaltete (Zeltner, S.32f.). 1802 erschien seine Philosophie der Kunst und das von den Platonischen Dialogen und Gedanken Giordano Brunos beeinflußte Gespräch Bruno oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge; daneben hielt er Vorlesungen Zur Methode des akademischen Studiums. Im selben Jahr wurde ihm von der medizinischen Fakultät der Universität Landshut die Ehrendoktorwürde verliehen. 1803 wurde die Ehe von August Wilhelm und Caroline Schlegel geschieden, die im selben Jahr Schelling heiratete und ihm nach Würzburg folgte, an dessen Universität er berufen wurde. Würzburg war durch den Reichsdeputationshauptschluß an Bayern gefallen. Die bayrische Regierung unter dem leitenden Minister Graf Montgelas beabsichtigte, Würzburg zur Landesuniversität auszubauen, und berief zu diesem Zweck vorwiegend protestantische Gelehrte, wie den Juristen Hufeland oder die Theologen Paulus und Niethammer (FWJS,BD 1, S.280f.). In Würzburg gründete Schelling zusammen mit dem Arzt A.F.Marcus die ‚Jahrbücher der Medizin als Wissenschaft‘, in denen Naturforscher und Mediziner wie Röschlaub, Eschenmayer (beide Anhänger des schottischen Arztes John Brown), Windischmann, Steffens, Gotthilf Heinrich Schubert, Lorenz Oken und I.P.V.Troxler publizierten (Sandkühler, S.71). In dieser Zeitschrift erschienen 1806 Schellings Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie. Außerdem veröffentlichte er in seiner Würzburger Zeit Aphorismen über die Naturphilosophie (1806), die Philosophie der Religion (1804), das System der gesamten Philosophie und der Naturphilosophie insbesondere (1804) sowie die Darlegung des

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wahren Verhältnisses der Naturphilosophie zur verbesserten Fichteschen Lehre (1806). Allerdings entstanden für Schelling auch in Würzburg bald Probleme. Er war als Vertreter einer modernen, fortschrittlichen Philosophie an die Universität berufen worden. Seine Hinwendung zu spirituellen Themen und zur Religionsphilosophie enttäuschte die Erwartungen der bayrischen Regierung gründlich, rief aber zugleich auch die katholische Orthodoxie, die Schelling des Pantheismus verdächtigte, auf den Plan, so daß dieser von beiden Seiten angegriffen wurde, in zahlreiche Fehden verstrickt war und sich einer „fanatische!n", neuerdings beyspiellose!n" Verfolgungswuth“ (An das Publicum (1804), im Intelligenzblatt der ‚Allgemeinen Literaturzeitung‘, 6.5.1805, Nr.48; zitiert nach FWJS,BD 1, S.324) ausgesetzt sah (Zeltner, S.37f.). Der Bischof von Würzburg verbot sogar den Katholiken bei Strafe der Exkommunikation, Schellings Vorlesungen zu besuchen (FWJS,BD 1, S.293f.). Ende 1805 fiel Würzburg im Frieden von Preßburg an den Herzog von Toskana. Schelling weigerte sich, den Eid auf die neue Regierung abzulegen, und verlor deshalb seinen Lehrstuhl. Eine Berufung nach Landshut, auf die Aussichten bestanden hatten, kam nicht zustande; stattdessen wurde er in München als Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften aufgenommen und unterbrach bis zum Jahr 1820 seine akademische Lehrtätigkeit. Am 7.9.1809 starb überraschend Caroline während eines Besuchs bei ihren Schwiegereltern in Maulbronn. 1812 schloß Schelling eine zweite Ehe mit Pauline Gotter (1786–1854). Während seiner Münchner Zeit entstanden die Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809), und er begann die Arbeit an der unvollendet gebliebenen Philosophie der Weltalter, in der seine Wendung zur Mythologie und zur Religionsgeschichte zutage tritt. Von 1820 bis 1827 lehrte Schelling an der Universität Erlangen als Honorarprofessor; dann erhielt er einen Ruf an die neugegründete Universität München. Zwischen 1835 und 1840 unterrichtete er den Bayrischen Kronprinzen. 1841 wurde Schelling an die Universität Berlin berufen. Ein Jahr später wurde er Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften. An der Berliner Universität war Schelling isoliert und Anfeindungen ausgesetzt; mit Hegel, der gleichzeitig dort lehrte, hatte er sich bereits 1807 entzweit. 1846 stellte er seine Vorlesungstätigkeit ein, blieb aber mit Akademievorträgen bis 1852 im geistigen Leben Berlins präsent. 1854 starb Schelling während eines Kuraufenthalts in der Schweiz in Bad Ragaz.

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Biographische Skizzen

Henrich Steffens

Henrich Steffens (1773–1845) wurde in Stavanger in Norwegen geboren. Sein Vater Hinrich Steffens (1744–1797) stammte aus Holstein und stand als Regimentschirurgus in dänischen Diensten. Der Beruf des Vaters brachte häufige Ortswechsel mit sich; 1776 siedelte die – schließlich achtköpfige – Familie nach Trondheim über, in den folgenden Jahren ins dänische Helsingör (1779), danach nach Roskilde (1785) und 1787 nach Kopenhagen. Da die schulischen Bildungsmöglichkeiten dem aufgeweckten Jungen, der bereits „in [s]einem vierten Jahre“ lesen konnte, nicht genügten (Was ich erlebte 1, S.28), las er auf eigene Faust naturgeschichtliche, botanische, physikalische und mathematische Schriften aus der Büchersammlung seines Vaters (ebd., S.99–101 und 229–242), aber auch dichterische Werke, wie Klopstock, Hagedorn, Gellert, Haller, Richardson, Fielding, später auch Goethe (ebd., S.215–217 und 292–295), wie er in seiner zwischen 1840 und 1845 in zehn Bänden publizierten Autobiographie Was ich erlebte berichtet. Die Mutter, Susanna Steffens geb. Bang, die bereits 1787 starb, bemühte sich vor allem um die religiöse Erziehung ihres Sohnes, der ihrem Wunsch gemäß Geistlicher werden sollte (ebd., S.135–149 und 255–262). 1790 begann Steffens zusammen mit seinem jüngeren Bruder in Kopenhagen zu studieren – allerdings nicht Theologie, sondern Naturwissenschaften. Finanziell unterstützte ihn ein Onkel, der Medizinprofessor F.L.Bang. Dessen Stiefsöhne, O.H. und J.P.Mynster führten Steffens in den Kreis um den Kritiker und Literaturtheoretiker Knud Lyne Rahbek (1760–1830) ein (Paul, Naturphilosophie, S.49–54). Außerdem war Steffens Mitglied der von O.H.Mynster gegründeten naturwissenschaftlichen Disputier-Gesellschaft und arbeitete als Redakteur für deren 1794 gegründete Zeitschrift ‚Physicalsk, oeconomisk og medico-chirurgisk Bibliothek for Danmark og Norge‘, in der er auch verschiedene Beiträge veröffentlichte. Entscheidenden Einfluß auf Steffens’ geistige Entwicklung in seinen Studienjahren hatten besonders drei Autoren: der dänische Philosoph Tyge Rothe (1731–1795), der als Vorläufer der romantischen Naturphilosophie gelten kann (Was ich erlebte 2, S.223–228), der Mineraloge und Professor an der Freiberger Bergakademie Abraham Gottlob Werner (ebd., S.192) und der französische Chemiker Lavoisier (1743–1794), dessen damals geradezu revolutionäre antiphlogistische Lehre Steffens in Aufsätzen und Vorträgen propagierte (ebd., S.211–214). Wie er in seinen Lebenserinnerungen ausführt, beruhte seine frühe Faszination durch die Mineralogie auf dem intuitiv wahrgenommenen Gesetz der Kontinuität in allen Bereichen der Natur, während Lavoisiers Entdeckung des Sauerstoffs schon frühzeitig seine Aufmerksamkeit auf ein in der Natur wirksames einheitliches Prinzip lenkte. Nachdem er 1794 sein Examen in den Fächern Zoologie, Botanik und Mineralogie mit ausgezeichnetem Ergebnis abgelegt hatte, gewährte ihm die natur-

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historische Gesellschaft ein Reisestipendium für mineralogische und zoologische Untersuchungen, die er im Frühjahr und Sommer dieses Jahres an der Nordwestküste Norwegens durchführte. Dabei mußte er allerdings erkennen, daß seine Vorbildung für eine systematische wissenschaftliche Auswertung der Befunde nicht ausreichte (ebd., S.111–118). Er brach daraufhin seine Untersuchungen ab und verließ Norwegen auf einem Schiff in Richtung Hamburg, das unterwegs unglücklicherweise Schiffbruch erlitt, so daß Steffens seine Aufzeichnungen und die von ihm gesammelten Mineralien und tierischen Präparate verlor. Unter diesen Umständen erschien es ihm unmöglich, nach Kopenhagen zurückzukehren. Zudem verbrannten seine Bücher und seine naturwissenschaftliche Sammlung, deren Verkauf er beabsichtigte, bei einem Brand, der 1795 einen großen Teil Kopenhagens verwüstete. Steffens hielt sich zunächst nahezu mittellos in Hamburg auf und zog dann für ein Jahr zu seinem Vater ins holsteinische Rendsburg (ebd., S.139–186). Ein Empfehlungsschreiben des Kopenhagener Botanik-Professors Martin Vahl (1749–1804) führte Steffens Anfang 1796 in Kiel bei dem Zoologen Johann Christian Fabricius (1745–1803) ein. Während dieser einige längere Forschungsreisen unternahm, wurde Steffens als sein Vertreter an die Kieler Universität berufen. Gleichzeitig hatte er Gelegenheit, neben der Tätigkeit als Privatdozent seine botanischen und physikalischen Studien fortzusetzen (ebd., S.186). Steffens beschäftigte sich in dieser Zeit mit Kant und freundete sich mit dem FichteSchüler Johann Georg Rist an, durch den er die Philosophie des Idealismus näher kennenlernte. Rist schildert Steffens als rastlos Suchenden: „die Lebhaftigkeit eines herrlich begabten Geistes, ein brennender Ehrgeiz, ein unruhiger Durst nach Wissen trieb ihn, er wußte nicht wohin, und die dunklen Tiefen der Natur zogen ihn nach sich in die unterirdischen Geheimnisse der Erde, ohne ihn zu befriedigen, während mancher verfehlte Versuch, manche Kränkung und drückende Verhältnisse sein reizbares Temperament in Kriegszustand mit Allem, was über der Erde bestand, gesetzt hatte.“ (Lebenserinnerungen, 1. Theil, hg. von Gustav Poel, Gotha 1880, S.80.) Im Frühjahr 1797 promovierte Steffens mit einer Arbeit Über Mineralogie und das mineralogische Studium. Jacobis polemische Schrift Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (1789) lenkte seine Aufmerksamkeit auf den Spinozismus, von dem er die entscheidenden Anregungen zu systematischem spekulativen Denken erhielt. Ebenso starken oder vielleicht sogar noch stärkeren Einfluß übten Schellings philosophische Schriften auf Steffens aus. Der Wunsch, Schelling persönlich kennenzulernen, erfüllte sich. Steffens’ Freund Rist, inzwischen als Privatsekretär des Finanzministers Ernst Heinrich Graf von Schimmelmann (1747–1831) tätig, machte diesen auf den jungen Gelehrten aufmerksam. Schimmelmann rief Steffens nach Kopenhagen zurück und verschaffte ihm ein zweijähriges Reisestipendium. Im Juni 1798 konnte Steffens die Reise nach Deutschland antreten, die ihn über Kiel und Hamburg nach Jena führte (Was ich erlebte 4, S.1–20). Den Sommer über durchwanderte er den Thüringer Wald und führte geognostische Untersuchungen durch. Im Herbst lernte er dann zahlreiche Persönlichkeiten des geistigen Lebens in Jena kennen. Diese Begegnungen schildert Steffens ausführlich in

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seinen Lebenserinnerungen. Er wurde mit Goethe, August Wilhelm und Friedrich Schlegel, Frommann und Ritter bekannt, hörte Schellings und Fichtes Vorlesungen und arbeitete mit Schelling zusammen, dessen spekulatives Philosophieren Steffens durch sein naturwissenschaftliches Fachwissen glücklich ergänzte (ebd., S.65–166). Wiederholt äußert sich Steffens in seiner Autobiographie über seine Beziehung zu diesem: Schelling stand mir unter allen am nächsten, und eben die entgegengesetzte Richtung unserer Bildung mußte die wechselseitige Anziehung verstärken. Er war von der Philosophie zur Natur fortgeschritten; !…" Es gab Augenblicke, in welchen ich über die Macht seiner Gegenwart erschrak; denn ich war durch Neigung und äußere Verhältnisse früh nach der Natur hingezogen; ich war durch Gegenstände genährt, und der geistige Assimilations-Prozeß verbarg sich in der stillen Entwickelung und äußerte sich lange mir in Träumen und Ahnungen, von dem Bewußtsein abgewandt. Durch Spinoza ward ich aus dem Schlafe gerüttelt, aber durch Schelling zuerst in Thätigkeit gesetzt. (Ebd., S.85f.)

Und doch sieht sich Steffens nicht als Schüler Schellings, vielmehr sei er sich im Dialog mit ihm seines bis dahin nur vage geahnten Standpunkts bewußt geworden: Wenn ich nun sagen soll, was ich Schelling verdankte, und zwar so, daß es nicht ein Geliehenes war, sondern ein Ursprüngliches aus meiner eigensten Natur Entsprungenes genannt werden mußte, so glaube ich diese mir verliehene Gabe am deutlichsten zu bezeichnen, wenn ich sie als ein anschauendes Erkennen des ganzen Daseins, als eine Organisation auffasse. So wie in einer jeden organischen Gestalt ein jedes, selbst das geringste Gebilde, nur in seiner Einheit mit dem Ganzen begriffen werden kann, so war mir das Universum, selbst geschichtlich aufgefaßt, eine organische Entwickelung geworden, aber eine solche, die erst durch das höchste Gebilde, durch den Menschen, ihre Vollendung erhielt. (Was ich erlebte 6, S.38f.)

Und umgekehrt profitierte auch Schelling von Steffens’ Anregungen, so daß „die Naturphilosophie fast als ein gemeinschaftliches Werk unserer Verbindung erschien“ (Was ich erlebte 5, S.138). Auf Drängen seiner Kopenhagener Förderer reiste Steffens im Sommer 1799 nach Freiberg, um sein Studium an der Bergakademie aufzunehmen, was der eigentliche Zweck seines Stipendiums sein sollte. Nach Freiberg gelangte er auf einem Umweg über Leipzig, Halle, wo er die Bekanntschaft des Komponisten J.F.Reichardt machte, und Berlin, wo er Ludwig Tieck kennenlernte (Was ich erlebte 4, S.168–202). In Freiberg studierte Steffens zwei Jahre lang bei A.G.Werner und bei J.F.W. von Charpentier und sammelte praktische Erfahrungen in den Gruben der Umgebung. Den Sommer 1801 verbrachte er in Tharand bei Dresden. Daneben beschäftigte er sich weiterhin mit Naturphilosophie und veröffentlichte in Schellings ‚Zeitschrift für spekulative Physik‘ eine längere Besprechung von dessen naturphilosophischen Schriften, die zugleich einen selbständigen Beitrag zur Naturphilosophie darstellt. Außerdem erschienen in dieser Zeit die Abhandlung Über den Oxydations- und Desoxydations-Process der Erde (1800) und seine Beyträge zur innern Naturgeschichte der Erde (1801), die bei Physikern und Philosophen gleichermaßen Beachtung fanden. Bereits in dieser Schrift

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spricht sich das „Grundthema !s"eines ganzen Lebens“ aus: der Gedanke der „Einheit des Daseins in allen seinen Richtungen“ und „die Hoffnung, !…" die Elemente der Physik selber für eine höhere geistige Bedeutung zu gewinnen“ (ebd., S.286). Mir ward es immer klarer, daß die Natur-Wissenschaft selbst, wie sie ein durchaus neues Element in die Geschichte hineingebracht hatte, !…" die Grundlage der ganzen geistigen Zukunft des Geschlechts werden müßte. Die Geschichte selbst mußte ganz Natur werden, wenn sie mit der Natur, d.h. in allen Richtungen ihres Daseins sich als Geschichte behaupten wollte. !…" Die Erfahrungen der Natur-Wissenschaft selbst !…" sollten ihren höheren Sinn, die geistige Bedeutung, die in ihnen schlummerte, wenn man sie unter dem Gesichtspunkte der Einheit zusammenzufassen wagte, theils aussprechen, theils für die Zukunft andeuten. Diese Methode, nicht bloß einzelne Erscheinungen in der Einheit particulärer Hypothesen, sondern alle Erscheinungen des Lebens in der Einheit der Natur und Geschichte zu verbinden, und aus diesem Standpunkte der Einheit beider, die Spuren einer göttlichen Absichtlichkeit in der großartigen Entwickelung des Alls zu verfolgen, war die offenbare Absicht dieser Schrift. (Ebd., S.288f.)

Im Sommer 1802 kehrte Steffens wieder nach Dänemark zurück. Er hoffte, dort eine Professur zu erhalten; doch da er im Ruf stand, ein ‚Revolutionär‘ zu sein, durchkreuzte der Herzog von Augustenburg in seiner Funktion als Unterrichtsminister diesen Plan und versperrte Steffens den Zugang zum Staatsdienst gänzlich. Dieser hielt nun private Vorlesungen über Philosophie, Geschichte, Kunst, Naturwissenschaften und Religion, die geradezu sensationelles Aufsehen erregten (Paul, Naturphilosophie, S.165f.). Sichtlich zufrieden berichtet Steffens in seiner Autobiographie vom außerordentlichen Erfolg dieser Vorträge: Vorlesungen der Art waren auf der Kopenhagener Universität neu, was ich aussprach, allen Zuhörern völlig fremd. Die Theilnahme an meinen Vorträgen steigerte sich immer mehr !…" Die Begeisterung, die sie erregten, konnte man eine gewaltsame nennen. Daß alle Gegenstände des Denkens, daß jede Form aller Wissenschaften und der Kunst sich in lebendige Gestalten so verwandeln sollten !…" erschien den bewegten Gemüthern so wunderbar, so hoffnungsvoll !…" Es waren nicht bloß Studirende, die meinen Vorträgen beiwohnten. Professoren, Gelehrte aller Art, Beamte in der höchsten Stellung, Greise !…" scheuten sich nicht, fast ganze Stunden früher zu kommen, um gute Plätze zu erhalten !…" Eine solche tiefe Bewegung, unter den bedeutendsten Geistern meines Vaterlandes hervorgebracht, die das Alter wie die Jugend fast gewaltsam anregte, mußte die eigene Begeisterung lebendig erhalten, ja steigern. (Was ich erlebte 5, S.56f.)

Ein zeitgenössischer Beobachter schildert Steffens’ Wirkung auf seine Hörer folgendermaßen: Er deklamiert stark gegen die Aufklärung, die er Kulturbarbarei nennt. Viele Studenten haben den Kopf voller Grillen bekommen. Zwei haben den Verstand verloren !…", einer !…" der Steffens für den Messias hielt, und ein anderer !…", der glaubt, daß Steffens eine neue Religion auf der Grundlage des Katholizismus stiften will !…". Dr. Steffens verachtet alle Menschen außer Oehlenschläger, den er auch halb verrückt gemacht hat. Der letztere soll ein Gedicht über Christus und seine Apostel gemacht haben und gesagt haben, daß Christus Steffens, Johannes der Täufer er selbst (Oehlenschläger) sei, ein Leutnant Steffens (Bruder von Dr. Steffens) sei St. Peter, ein Student Bull Simon etc. (Zitiert nach Paul, Naturphilosophie, S.190.)

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Im Sommer 1802 hatte Steffens den jungen Dichter Adam Oehlenschläger (1779–1850) kennengelernt und ihn in einem sechzehnstündigen Literaturgespräch mit der neuen Philosophie und Ästhetik bekanntgemacht. Mit diesem Gespräch begann die dänische Romantik, bei deren Vermittlung Steffens die zentrale Rolle spielte (Was ich erlebte 5, S.24–29 und 95f.). Im folgenden Jahr beauftragte ihn Graf Schimmelmann mit geologischen Untersuchungen in Dänemark und im nördlichen Deutschland; die Ergebnisse dieser Arbeit wurden jedoch kaum beachtet (Paul, Naturphilosophie, S.193). Während seines Aufenthalts in Norddeutschland heiratete Steffens in Giebichenstein bei Halle Johanna Reichardt, eine Tochter des Komponisten. Da Steffens keine Aussicht auf eine angemessene Anstellung in Dänemark hatte und unter Anfeindungen seiner Gegner zu leiden hatte, war ihm ein Ruf nach Halle, wo er Mineralogie und Naturphilosophie lehren sollte, sehr willkommen (Was ich erlebte 5, S.102f.). Im Herbst 1804 begann er seine Tätigkeit in Halle, wo auch Schleiermacher lehrte. Hier entstanden seine Grundzüge der philosophischen Naturwissenschaft (1806). Durch seinen mitreißenden Vortrag gewann Steffens zahlreiche Hörer. Auch Goethe fand sich zuweilen in Halle ein und verfolgte hinter einem Vorhang verborgen Steffens’ naturphilosophische Vorlesungen (Was ich erlebte 6, S.49). Dieser vielversprechenden Tätigkeit setzte die preußische Niederlage im vierten Koalitionskrieg ein jähes Ende. Am 16.10.1806 marschierten französische Truppen in Halle ein, die Universität wurde aufgehoben. Der vollständige Ausfall ihrer Einkünfte zwang die Dozenten, sich andernorts um Erwerbsmöglichkeiten zu bemühen. Bis zu Schleiermachers Umzug nach Berlin führte Steffens’ Familie, um Kosten zu sparen, ihren Haushalt gemeinsam mit Schleiermacher und dessen Schwester. Steffens ließ sich beurlauben und trat im Dezember eine Reise nach Dänemark an, um dort Möglichkeiten für eine Anstellung zu erkunden. Die Jahreszeit und das Kriegsgeschehen hielten ihn mit seiner Familie bis zum Frühjahr in Hamburg fest, wo er Kontakt zu geheimen Vereinigungen knüpfte, in denen sich der Widerstand gegen die Napoleonische Herrschaft zu sammeln begann (Was ich erlebte 5, S.232–234). Im März 1807 wurde Steffens im damals dänischen Kiel eine Audienz bei Kronprinz Frederik (1768–1839, dem späteren Friedrich VI.) gewährt. Dieser stellte ihm unter der Bedingung ein Amt in Aussicht, daß er von seinem mit der Promotion erworbenen Recht, Vorlesungen zu halten, keinen Gebrauch machen werde. Steffens lehnte brüsk ab, zog den Unwillen des Thronfolgers auf sich und hatte sich damit die Chance auf ein Amt im dänischen Staatsdienst verwirkt (ebd., S.243–249). Den Sommer 1807 verbrachte Steffens mit seiner Familie auf den Gütern seiner Freunde von Berger, Hülsen und von Thaden in Holstein (ebd., S.271–285), im Winter folgte er einer Einladung Karl Friedrich Ludwig Felix von Rumohrs (1785–1843) auf sein Schloß bei Lübeck. Im Frühjahr 1808 nahm Steffens an der wiedereröffneten, aber personell und finanziell stark reduzierten Universität Halle seine Vorlesungstätigkeit wieder auf. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen waren

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kläglich; die beiden jüngsten Kinder der Familie starben (ebd., S.1–100 und 125–127). In Halle setzte Steffens seine antinapoleonischen Aktivitäten fort. Daß ihm 1811 ein Ruf an die neugegründete Universität Breslau ermöglichte, das Königreich Westfalen und damit den unmittelbaren französischen Machtbereich zu verlassen, empfand er als befreiend. Bei der Abreise von Halle entging er nur knapp der Verhaftung durch die französischen Behörden, die durch Spitzel von seiner illegalen politischen Tätigkeit Kenntnis erhalten hatten. In Preußen, das 1812 ein Bündnis mit Frankreich geschlossen hatte, erstarkte die patriotische Bewegung unter Führung von Persönlichkeiten wie General Scharnhorst (1755–1813) und Staatskanzler Karl August von Hardenberg (1750–1822) und drängte die Regierung zum Bündnis mit Rußland und zum Kriegseintritt gegen Frankreich. Der Breslauer Professor Steffens, der mit Scharnhorst und Hardenberg in Kontakt stand, scheint durch seine bekannte mitreißende Beredsamkeit seinen Teil zu diesem politischen Umschwung beigetragen zu haben. Als der preußische König Friedrich Wilhelm III. Anfang Februar 1813 Breslau besuchte, wurde bekannt, daß er die Bevölkerung zur freiwilligen Bewaffnung aufzurufen beabsichtigte. Noch bevor er wußte, ob sich die preußischen Kriegsvorbereitungen gegen Frankreich oder gegen Rußland richteten, appellierte Steffens in leidenschaftlichen Ansprachen an die männliche preußische Jugend, sich als Freiwillige zu den Waffen zu melden und ihre Heimat von der französischen Herrschaft zu befreien (Was ich erlebte 7, S.71–80). Der 40jährige Gelehrte tat als Secondeleutnant in einem Jägerbataillon Dienst und begleitete den Feldzug bis zum Einmarsch der Truppen in Paris im Frühjahr 1814. Danach nahm er seine gewohnte wissenschaftliche Arbeit wieder auf. In den Jahren der Restauration wandte sich Steffens verstärkt geschichtlichen und gesellschaftlichen Fragen zu. 1817 erschien Die gegenwärtige Zeit und wie sie geworden, mit besonderer Rücksicht auf Deutschland, 1819/21 Caricaturen des Heiligsten, eine kritische Auseinandersetzung mit Zeiterscheinung wie der Zensur, den Mängeln des Schulwesens und mit dem von Friedrich Ludwig Jahn (1778–1852) initiierten Turnwesen, gegen dessen z.T. platte Deutschtümelei er in Schriften wie dem Turnziel (1818) polemisierte. Trotz seiner vehementen Ablehnung der Turnbewegung, die letztlich zum Verbot der Turnvereine mit beigetragen haben dürfte, reagierte er mit Bestürzung und der Beteuerung seiner Unwissenheit, als ihn Ende 1818 Fürst Hardenberg nach Berlin rufen ließ, um ihn über mögliche geheime, gegen den Staat und die Regierung gerichtete Aktivitäten innerhalb der Turnvereine zu befragen (Was ich erlebte 9, S.32–43). Dennoch wurde sein Besuch in der Staatskanzlei von seinen liberal gesonnenen Freunden als Verrat an den gemeinsamen freiheitlich-patriotischen Zielen aufgefaßt. Noch stärker brachte ihn in Mißkredit, daß er als Rektor der Universität Breslau (1821/22 und 1829/30) für die Entdeckung und für das Verbot geheimer politischer Vereinigungen zu sorgen hatte (ebd., S.81–92). Nach seiner politischen Neuorientierung in den vorausgegangenen Jahren setzte Steffens sich während der sogenannten Demagogenverfolgungen nachdrücklich für die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der akademischen

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Freiheit ein (Über Deutschlands protestantische Universitäten, 1820). Neben der Arbeit an seinem Vollständigen Handbuch der Oryktognosie, das 1824 abgeschlossen war, gab er außerdem seine in Breslau zur Anthropologie gehaltenen Vorträge heraus (1822). Veranlaßt durch eine persönliche religiöse Krise und unter dem Einfluß des Theologieprofessors Johann Gottfried Scheibel (1783–1843) schloß sich Steffens den Breslauer Altlutheranern an (Was ich erlebte 8, S.420–423 und 9, S.137–198). Diese weigerten sich, u.a. wegen Differenzen in der Abendmahlsfrage, der preußischen Kirchenunion zwischen Lutheranern und Reformierten beizutreten und waren daher erheblichen Repressionen ausgesetzt. Steffens’ Widerstand gegen die preußische Kirchenpolitik äußerte sich besonders in den beiden polemischen Veröffentlichungen Von der falschen Theologie und dem wahren Glauben (1823) und in der bekenntnishaften Schrift Wie ich wieder Lutheraner wurde und was mir das Luthertum ist (1831). In den Sommermonaten des Jahres 1824 unternahm Steffens eine Reise nach Schweden, Norwegen, das er nach dreißig Jahren zum ersten Mal wieder betrat, und nach Dänemark. Er erneuerte alte Verbindungen zu den Vertretern der skandinavischen Romantik, knüpfte neue Kontakte und wurde vielfach hoch geehrt; in Christiania wurde er vom norwegischen Kronprinzen Oskar (1799–1859), in Kopenhagen von König Friedrich VI. (1768–1839) empfangen (Was ich erlebte 9, S.119–269). Den folgenden Winter verbrachte Steffens mit seiner Frau und der Tochter Klara in Berlin, wo er Vorträge hielt und den Thronfolger kennenlernte. Nach der Rückkehr nach Breslau im Frühjahr 1825 begann sich Steffens als Verfasser von populären Romanen und Novellen zu betätigen (u.a. Die Familien Walseth und Leith, 1826f., Die vier Norweger, 1827f., Malkolm, 1831). 1832 erhielt er den längst erhofften Ruf an die Universität Berlin, doch mußte er feststellen, daß er dort als Repräsentant der – sowohl in der historischen Entwicklung der Naturwissenschaften als auch der Philosophie überholten – romantischen Naturphilosophie unter Vertretern einer neuen Generation von Gelehrten in die Isolation geriet. 1839 erschien Steffens’ umfangreiche Arbeit über die Christliche Religionsphilosophie. 1840 reiste er auf Einladung des dänischen Königs Christian VIII. (1786–1848) zu dessen Krönungsfeierlichkeiten und nahm die Gelegenheit wahr, sich im Anschluß daran mit namhaften skandinavischen Naturforschern wie Oersted und Berzelius zu treffen. In den folgenden Jahren arbeitete er an seiner zehnbändigen Autobiographie (1840–1844). Im Februar 1845 erlitt er überraschend einen Blutsturz, an dem er wenige Tage später starb.

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„Ritter ist Ritter und wir sind nur Knappen.“ (An Caroline Schlegel, 20.1.1799; NO4, S.275.) Mit diesem Bonmot erweist Friedrich von Hardenberg einem der bedeutendsten zeitgenössischen Physiker seine Reverenz. Tatsächlich wurden Johann Wilhelm Ritters Leistungen, die zu seinen Lebzeiten nur in einem kleinen Kreis von Fachleuten und interessierten Laien Beachtung fanden, erst über hundert Jahre nach seinem Tod allmählich anerkannt. Am 16. Dezember 1776 wurde Johann Wilhem Ritter in dem schlesischen Dorf Samitz als ältestes von sieben Kindern der dortigen Pfarrersfamilie geboren. Da sein Vater die Kosten für den Besuch der Lateinschule in Haynau nicht mehr aufbringen konnte, gab er den Sohn im Frühjahr 1791 als Lehrling in die Stadtund Hofapotheke in Liegnitz, wo er nach dem Ende seiner Lehrzeit als Provisor tätig war. Doch genügte seinem Wissensdurst dieser Wirkungskreis schon bald nicht mehr. Er gab seinen Beruf auf und immatrikulierte sich im April 1796 an der Universität Jena, um Naturwissenschaften zu studieren. Ritter, der sich bei seiner Tätigkeit als Apotheker ein fundiertes chemisches Wissen angeeignet hatte und über praktisch-experimentelle Erfahrung verfügte, führte bereits zu Beginn seines Studiums selbständig (bio)chemische und physikalische Versuche durch und bereitete die Veröffentlichung seiner Ergebnisse vor. Durch den Physiker Johann Heinrich Voigt (1751–1832) wurde Ritters Aufmerksamkeit auf galvanische Phänomene gelenkt, die ein zentraler Gegenstand seiner weiteren Forschungsarbeit werden sollten. Der Botaniker August Johann Georg Carl Batsch (1761–1802) machte Alexander von Humboldt auf den begabten jungen Mann aufmerksam. Humboldt, dessen Versuche über die gereizte Muskelund Nervenfaser nebst Vermuthungen über den chemischen Process des Lebens in der Thier- und Pflanzenwelt (1797) gerade erschienen waren, forderte Ritter auf, dieses Werk kritisch durchzusehen. Einen Teil seiner Bemerkungen zu diesem Werk druckte Humboldt im zweiten Band seiner Publikation. Im Oktober 1797 hielt Ritter vor der Naturforschenden Gesellschaft in Jena einen Vortrag Über den Galvanismus, einige Resultate aus den bisherigen Untersuchungen darüber und als endliches: die Entdeckung eines in der ganzen lebenden und todten Natur sehr thätigen Princips. Diesen Vortrag arbeitete der Verfasser zu einer selbständigen Veröffentlichung aus, dem Beweis, daß ein beständiger Galvanismus den Lebensproceß im Thierreich begleite. Nebst Versuchen und Bemerkungen über den Galvanismus (1798). Zeitlebens beschäftigte sich Ritter mit Erscheinungformen und Wirkungsweisen des Galvanismus in der organischen und anorganischen Natur. Im Galvanismus erblickte er das „Centralphänomen“ (Beyträge zur näheren Kenntnis des Galvanismus und der Resultate seiner Untersuchungen (1800) 1, S.279), das die Einheit der Natur verbürgt und als lebendige Kraft auch in scheinbar unbelebten Gegenständen wirkt (Wetzels, Physik, S.28). Ritters Erstlingswerk wurde mit In-

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teresse, z.T. auch mit Begeisterung aufgenommen. Goethe und Schiller lasen und diskutierten das Werk (Goethe an Schiller, 25.7.1798; WA IV13, S.226), Friedrich von Hardenberg besaß zwei Exemplare der Arbeit (Wetzels, Physik, S.19), und Friedrich Schlegel wartete gespannt auf diese Lektüre (an Hardenberg, 9.8.1798; KFSA24, S.160). Vom Sommer 1798 an konnte Ritter im Laboratorium des Weimarer Chemikers Alexander Nikolaus Scherer (1771–1824) arbeiten; seine Beteiligung an der Herausgebertätigkeit zu dessen ‚Allgemeinem Journal der Chemie‘ gewährte ihm regelmäßige, wenn auch bescheidene Einkünfte. Doch endete diese Zusammenarbeit bereits im Winter 1799/1800, als Scherer Weimar verließ. Zu diesem Zeitpunkt trat Ritter in näheren Kontakt zum Kreis der Romantiker. Mit Friedrich von Hardenberg verband ihn herzliche Freundschaft. Im Vorwort seiner Fragmentsammlung, für deren Publikation Ritter selbst die Rolle des Herausgebers übernimmt, heißt es: Oftmals hat er !Ritter" sich an Novalis’s ersten Besuch bey ihm mit sichtbarer Rührung erinnert. Er lebte damals in der größten Zurückgezogenheit in einer abgelegenen Gasse, in einem kümmerlich ausgestatteten Zimmer, und welches er oft vier Wochen lang nicht verließ; im Grunde, weil er nicht wußte, warum, und zu wem es übrigens auch der Mühe werth sey, zu gehen. Seine ganze Gesellschaft waren lange Zeit seine wenigen, aber guten, Bücher, dann sein alter wunderbarer Hauswirth, und er selbst, gewesen. In solcher Einsamkeit, und wo unser Freund gewiß nicht glaubte, daß jemand Ursache finden könne, sich um ihn zu kümmern, war es, daß einst ein Mann in sein Zimmer trat, der äußerlich äußerst unbedeutend aussehen konnte, aber kaum noch zu sprechen anfangen durfte, um jedem gleich wie ein uralter Bekannter, der Alles um einen wüßte, und mit dem man im geringsten nicht Umstände nöthig habe, zu erscheinen. Novalis und unser Freund verstanden sich den Augenblick, fürs erste lag auch nicht die geringste Merkwürdigkeit in ihrem Zusammenkommen; letzterem war schlechterdings nur eben, als wenn er einmal laut mit sich selber sprechen könnte. („Der Herausgeber“, S.XVIIf.)

Hardenberg unterstützte den Freund und ermutigte ihn bei seiner Arbeit (ebd., S.XIX). Seine Bewunderung für Ritters außergewöhnliches Talent kommt in mehreren Aufzeichnungen zum Ausdruck (vgl. FuS135, 399, 409, 584 und 598). In einem Brief an Dietrich von Miltitz (1769–1853), dem er ein Schreiben Ritters beilegt, charakterisiert Hardenberg seinen Freund als „von Geist und Herz der herrlichste Mensch von der Welt !…" einen der edelsten Menschen, einen Menschen, dessen Studien unendliche Ausbeute versprechen.“ Ritters Bittbrief unterstützt er nach Kräften: „Vor meine Brüder würd ich nicht mit derselben Innigkeit bitten, weil ich nicht mit der Zuversicht einer wahrhaft guten Anwendung bitten könnte. Ein Mensch aber, der 3 Jahre mit 200 rthl. auskommt, sich Maschinen und Bücher anschafft und die wichtigsten Entdeckungen macht, dabei den kindlichsten, unverdorbensten Charakter hat, der verdient gewiß jede Vorbitte, jede Aufmerksamkeit und Unterstützung“ (31.1.1800; NO4, S.319f.). Mit Be- und Verwunderung erinnert sich Steffens an Ritters außergewöhnliche Persönlichkeit. In seinen Lebenserinnerungen nennt er ihn einen in der That bedeutenden und seltsamen Menschen !…", dessen wunderbar verworrener Geist, in welchem Dunkelheit und scharfsinnige Klarheit dicht neben einander lagen, mich viel beschäftigte und anzog. !…" Ein unruhiger wissenschaftlicher Trieb

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zog ihn nach Jena hin, wo er in großer Armuth lebte. !…" Auch ihn hatte die geistige Aufregung der Zeit ergriffen, er war ein junger Mann von großem Talent, in der Chemie, auch in der Geschichte derselben wohl bewandert, und Kenntnisse, die ihm etwa noch fehlten, erwarb er sich mit Leichtigkeit. !…" Ritter lebte mit sich selbst in einem inneren Zwiespalt, in einer geistigen Verwirrung, die immer mehr überhand nahm und für seine bürgerliche, wie für seine wissenschaftliche Stellung die unglücklichsten Folgen hatte. Diese verbitterte sein Dasein, isolirte ihn immer mehr; er verlor sich in Träume, die seine Untersuchungen unsicher machten, daher er sich selbst nie aus der Dunkelheit herauszuarbeiten vermochte. (Was ich erlebte 4, S.87f. und 93.)

Ritters Forscherdrang trug geradezu obsessive Züge. Wenn er mit Experimenten beschäftigt war, mied er wochenlang jede Gesellschaft, arbeitete mehrere Tage und Nächte lang ohne Unterbrechung und schreckte selbst vor riskanten Selbstversuchen nicht zurück. Aufwendige Geräte und Materialien, die er für seine Versuche benötigte, verschlangen die bescheidenen Einkünfte, die Ritter mit seinen Publikationen erzielte. Außerdem besaß er in ökonomischen Angelegenheiten offenbar keine glückliche Hand, so daß er stets von Geldsorgen geplagt war. In seinen Briefen an Freunde und potentielle Gönner wechseln Skizzen der jüngsten Versuchsanordnungen, Forschungsergebnisse oder Überlegungen zu geplanten Experimenten mit dringlichen Bitten um finanzielle Unterstützung ab. Clemens Brentano schreibt die anhaltende Misere Ritters der ‚Maßlosigkeit‘ des Genies zu: „In einem Jahre hat er rtl. 1900 zu Novalis zeiten so zusammengebracht, verzehrt, und sie sind ihm sämtlich geschenckt worden. Dabei hat er es bis zu einem Hemde gebracht, daß er gewöhnlich 6 Wochen trägt und dann keins, biß es gewaschen ist, und seine Lüderlichkeit geht so weit, daß er nun beinah alle Zähne verloren hat. !…" O Savigny über das Genie“ (24.6.1803; FBA31, S.120). Trotz aller Schwierigkeiten, die er zu überwinden hatte, gelangen Ritter innerhalb weniger Jahre mehrere beachtliche Entdeckungen auf dem Gebiet der Physik. Er gilt als eigentlicher Begründer der Elektrochemie und entdeckte etwa gleichzeitig mit Volta das Prinzip der Voltaischen Säule, die mit Hilfe chemischer Prozesse Elektrizität erzeugt, wobei durch Hintereinanderschalten mehrerer Elemente in Form eines Akkumulators die Summierung der Einzelspannungen erreicht wird. Ritter war vermutlich der erste, der bei der Elektrolyse von Wasser Sauerstoff und Wasserstoff getrennt auffing, er prägte den Begriff des geschlossenen Stromkreises und wurde schon früh auf den thermoelektrischen Effekt aufmerksam. Von Herschels Entdeckung des infraroten Lichts angeregt wies er 1801 die Existenz ultravioletter Strahlen aufgrund ihrer chemischen Wirkung nach. Überdies arbeitete er auf dem Gebiet der Reiz- und Sinnesphysiologie und experimentierte im Bereich des Phytogalvanismus. (Hüffmeier, S.230f.; Poppe, Fragmente, S.92; Specht, S.120f.; Wetzels, Physik, S.32.) Aus seinen Versuchen zog Ritter kühne, teilweise äußerst hellsichtige Schlüsse. Seine Hinweise führten den befreundeten Naturforscher Hans Christian Oersted (1777–1851) im Jahr 1820 zur Entdeckung des Elektromagnetismus. Bereits 1803 teilte ihm Ritter seine zukunftsweisende Auffassung mit, daß die Sinneswahrnehmungen auf Schwingungen beruhten: „Aller Sinnenempfindung liegt Oscillation zum Grunde. Licht ist der sichtbare Ton, Ton das hörbare Licht,

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Geruch der gerochene Ton, Geschmack der geschmeckte Geruch. Auch dem Gefühl entspricht Oscillation !…"“ (22.5.1803; Harding, S.40). Schon früh gelangte er zu der Überzeugung, daß das gesamte Naturgeschehen im physikalischen, chemischen und biochemischen Bereich, von der Bewegung der Planeten bis zur Muskelzuckung der Frösche, mit denen er experimentierte, durch ‚magnetische‘ bzw. ‚elektrische‘, Kräfte erklärbar sei und generalisierte die dem Galvanismus zugrundeliegende Polarität (Berg/Richter, S.26 und 37). „Die alle Materie durchströmende Elektrizität war für ihn die Lebenskraft überhaupt“ (ebd., S.39). In der vom Universalgesetz des Galvanismus durchdrungenen und strukturierten, insgesamt als dynamischem Organismus aufgefaßten Natur herrscht Ritters Auffassung zufolge das Prinzip der Analogie und der Kontinuität (vgl. z.B. RF3, 6, 9, 14, 21, 31, 35, 56, 69, 78f. und 81. Daiber, Urformel, S.84–88; Müller, Feuerwissenschaft, S.273; Specht, S.125–134 und 187f.; Stein.) So weit es der Stand der damaligen Naturwissenschaft zuließ, ging Ritter zwar von empirischen Befunden aus – er arbeitete u.a. mit selbstgebauten Voltaischen Säulen, die aus mehreren Hunderten von Metallplatten bestanden –, doch spielte das intuitive und spekulative Moment bei seiner Forschungsarbeit eine große Rolle. Er übertrug die Beobachtungen, die er an der ‚kleinen Welt‘ gemacht hatte, auf kosmische und geistige Zusammenhänge, Selbst- und Naturerkenntnis sind für den romantischen Naturforscher untrennbar miteinander verbunden. (Müller, Feuerwissenschaft, S.262f.) So schreibt er z.B. in einem Brief an Oersted vom 20.4.1807, „dass diese neml. Kraft, die Muskeln bewegt, u. Sensationen erleidet, dieselbe ist, die Körper zu Planeten macht, Planeten rotirend u. nutirend um die Sonne führt !…" Wir – werden gerade zu!r" Sonne selbst, unsere Glieder zu unsern Planeten u. Trabanten. Es ist herrlich, endlich ein Phänomen gefunden zu haben, in dem sich das Grosse klein wiederzeigt!“ (Harding, S.205.) Friedrich von Hardenberg charakterisiert in seinen Fragmenten und Studien 1799–1800 Selbstverständnis und Zielsetzung von Ritters Naturforschung und betont dabei die Nähe zu seinen eigenen Anschauungen: Ritter sucht durchaus die eigentliche Weltseele der Natur auf. Er will die sichtbaren und ponderablen Lettern lesen lernen, und das Setzen der höhern geistigen Kräfte erklären. Alle äußre Processe sollen als Symbole und lezte Wirkungen innerer Processe begreiflich werden. Die Unvollständigkeit jener soll das Organ für diese und die Nothwendigkeit einer Annahme des Personellen, als lezten Motivs, Resultat jedes Experiments werden. (Nr.583; NO3, S.655.)

Zwischen den unterschiedlichen naturwissenschaftlichen Disziplinen versuchte Ritter Kontakte und eine übergreifende ‚enzyklopädische‘ Einheit herzustellen, indem er Ergebnisse aus einem Bereich auf einen anderen übertrug und beispielsweise Überlegungen anstellte, wie Töne in Licht und Farben zu transformieren seien (Wetzels, Physik, S.103). Im Laufe der Jahre gewann der spekulative Anteil in Ritters Forschungen immer mehr an Raum. In seinem Buch Das elektrische System der Körper (1805) unternimmt er es, die Entsprechung von Mikrokosmos und Makrokosmos zu be-

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legen, indem er aus astronomischen Zahlenreihen die Periodizität von Gewittern, Erdbeben und selbst historischer Ereignisse zu berechnen versucht. (An Oersted, 26.12.1803; Harding, S.47 und 49.) An Oersted schreibt er bereits am 14.9.1802 von diesem Gedanken, der ihn nicht mehr losläßt: „Ich habe die ganzen irdischen Perioden des Lebens u. im Leben aus den astronomischen abgeleitet, dass es eine Freude ist. Das Alter; die der Schwangerschaft, Kindheit etc.; Somm. u. Wint.; Tag u. Nacht; Blutumlauf; Pulsschlag“ (Harding, S.25). Mit seinen Veröffentlichungen in verschiedenen Zeitschriften und mit seiner eigenen Aufsatzsammlung Beyträge zur näheren Kenntnis des Galvanismus und der Resultate seiner Untersuchungen (1800–1805) machte sich Ritter einen Namen als Naturforscher. Goethe interessierte sich für seine optischen Versuche und nannte ihn nach einer persönlichen Begegnung „eine Erscheinung zum Erstaunen, ein!en" wahre!n" Wissenshimmel auf Erden.“ (An Schiller, 28.9.1800; WA IV15, S.123.) In den Tag- und Jahresheften 1801 schreibt Goethe: „Ritter besuchte mich öfters, und ob ich gleich in seine Behandlungsweise mich nicht ganz finden konnte, so nahm ich doch gern von ihm auf, was er von Erfahrungen überlieferte und was er nach seinen Bestrebungen sich in’s Ganze auszubilden, getrieben war !sic"“ (WA I 35, S.92). Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha (1745–1804) lud Ritter ein, im Januar und Februar 1802 an seinem Hof physikalische Experimente durchzuführen und Vorträge über den Galvanismus zu halten (Wetzels, Physik, S.36). Er verkehrte im Haus des Buchhändlers Carl Friedrich Ernst Frommann (1765–1837), der ihn förderte und wiederholt finanziell unterstützte, und fand nach Friedrich von Hardenbergs Tod in Herder einen väterlichen Freund. Im Jahr 1803 wurde Ritter, der sein Studium formal nicht abgeschlossen hatte und als Privatglehrter ohne gesichertes Einkommen sein Dasein fristete, von Studenten der Universität Jena gebeten, Vorlesungen über seine galvanischen Forschungen zu halten. Die Fakultät erteilte ihm auf Goethes Fürsprache hin für ein halbes Jahr eine Sondergenehmigung. Da Ritter es jedoch – nicht zuletzt wegen der damit verbundenen Kosten – ablehnte, einen akademischen Grad zu erwerben, konnte er seine Vorlesungstätigkeit nicht fortsetzen (Wetzels, Physik, S.39f.). Durch die Vermittlung F.X. von Baaders wurde Ritter 1804 als Mitglied der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften nach München berufen. Er heiratete seine Lebensgefährtin Dorothea Catharina Münchgesang (1785–1823) und siedelte im Sommer 1805 mit seiner Familie nach München über. Anläßlich der Wiedereröffnung der Akademie im darauffolgenden Jahr hielt Ritter eine Festrede Physik als Kunst. Ein Versuch, die Tendenz der Physik aus ihrer Geschichte zu deuten, in der er die Grundzüge seiner Wissenschaft erstmals zusammenfaßte (Wetzels, Physik, S.45–48) und „ein naturphilosophisches Glaubensbekenntnis als romantischer Physiker“ (Richter, Physiker, S.136) ablegte. In München beschäftigte sich Ritter ausgiebig mit den Grenzgebieten der Physik. 1807 machte er mit dem italienischen Wünschelrutengänger Francesco Campetti (geb. 1785) Versuche, experimentierte mit Pendeln und bezog verstärkt okkulte Phänomene wie Somnambulismus und Hellsehen in seine Untersuchungen ein. Das Interesse an derartigen Erscheinungen, in denen man in Anknüpfung

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an neuplatonisches Gedankengut ein Phänomen umfassender kosmischer Sympathie erblickte, war um die Jahrhundertwende weit verbreitet. Baader und Schelling nahmen zeitweilig an Ritters Experimenten teil, Schellings Bruder, der Mediziner K.E.Schelling und C.J.H.Windischmann führten selbst Versuche durch, und Goethe griff in den Wahlverwandtschaften (2. Teil, Kap.11) Motive aus diesem Bereich auf. (Jeremy Adler, „Eine fast magische Anziehungskraft“. Goethes ‚Wahlverwandtschaften‘ und die Chemie seiner Zeit, München 1987, S.40–43 und 182–187.) Für Ritter, der die Verwandtschaft optischer, akustischer, chemischer und elektrischer Phänomene betonte, war es nur ein konsequenter Schritt, auch den ‚magischen Galvanismus‘ in seinen verschiedenen Erscheinungsformen in diesen großen Zusammenhang der Natur einzuordnen. Zur Publikation seiner Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet gründete er die Zeitschrift ‚Der Siderismus‘, von der allerdings nur eine Nummer erschien. Von Fachgelehrten wurden Ritters siderische Spekulationen heftig angegriffen, seine Experimente drohten einen Skandal heraufzubeschwören und mußten eingestellt werden (Wetzels, Physik, S.115). Durch seine siderische Episode war Ritter innerhalb der Wissenschaft weitgehend isoliert. Er wandte sich nun wieder konventionelleren Themenkreisen zu und bemühte sich um die Erforschung akustischer Phänomene, um ihren Zusammenhang mit elektrischen Schwingungen nachzuweisen, und legte 1809 seine Abhandlung über Elektrische Versuche an der Mimosa pudica L. in Parallele mit gleichen Versuchen an Fröschen vor. Dabei handelt es sich um die erste größere Arbeit zur Elektrophysiologie der Pflanzen, die in Deutschland veröffentlicht wurde (Wetzels, Physik, S.54). Daneben bereitete er den Druck seiner Fragmente vor, die noch kurz vor seinem Tod erschienen. Inzwischen geriet Ritter immer mehr in finanzielle Nöte, da die Akademie während der französischen Besetzung Bayerns nach dem Preßburger Frieden zeitweise nicht in der Lage war, die Gehälter der Bediensteten auszuzahlen. Im Sommer 1809 schickte er seine Familie nach Nürnberg, wo sie auf die Versorgung durch Freunde und Verwandte angewiesen war. Ritter selbst war erkrankt und blieb in München zurück. Zu den wenigen Personen, zu denen er noch Kontakt hatte, gehörte der Chemiker A.F.Gehlen, der ihm bis zu seinem Tod nahestand. Am 23.1.1810 starb Ritter, erst 33 Jahre alt, vermutlich an Tuberkulose.

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Joseph Görres wurde am 25. Januar 1776 in Koblenz geboren. Er war das älteste von acht Kindern des Holzhändlers Moritz Görres (1745–1807) und seiner italienischstämmigen Frau Helena Theresia geb. Mazza (1750–1819). Von 1784 bis 1793 besuchte der junge Görres in seiner Heimatstadt das damals noch von Jesuiten geleitete Gymnasium, zu dessen Schülern seit 1788 auch Clemens Brentano zählte. Wie Friedrich Schlegel begeisterte sich Görres früh für die Ideale der Französischen Revolution. Mit dem Einmarsch französischer Truppen ins Rheinland wurde Koblenz im Herbst 1794 Teil der französischen Republik, später des französischen Kaiserreichs. Seinen Plan, in Bonn Medizin zu studieren, mußte Görres angesichts der unruhigen und unstabilen äußeren Umstände aufgeben; er bildete sich autodidaktisch und betätigte sich in den folgenden Jahren politisch und publizistisch. Seine erste selbständige Veröffentlichung Der allgemeine Frieden, ein Ideal (1798) läßt bereits im Titel die Nähe zu Kants Friedensidee erkennen und setzt die Hoffnung auf Verwirklichung dieses Ideals in die Orientierung am politischen Vorbild Frankreichs. Als Sprachrohr seiner republikanischen und jakobinischen Gesinnung gründete Görres die Zeitschriften ‚Das rothe Blatt‘ (1798) und ‚Der Rübezahl‘ (1798/99), in denen er das Gedankengut der Aufklärung zu verbreiten suchte und „allen großen und kleinen, mächtigen und ohnmächtigen Despoten, Aussaugern, Blutigeln, Egoisten, Bösewichtern, Usurpatoren, Schwachköpfen und Dunsen den Krieg ankündig!t"e“ (GGS1, S.128). Im 1797 gegründeten patriotischen Klub in Koblenz spielte er eine führende Rolle. Als in den Rheinprovinzen beschlossen wurde, die Regierung in Paris auf Mißstände der französischen Administration aufmerksam zu machen, war der 23jährige Görres einer von zwei Deputierten, die im November 1797 nach Paris reisten. Dort hatte inzwischen Napoleon das Direktorium gestürzt und sich als Erster Konsul zum Alleinherrscher erhoben. Ernüchtert und von der politischen Entwicklung in Frankreich zutiefst enttäuscht zog sich Görres nach seiner Rückkehr aus Paris aus der Politik zurück. Er unterrichtete in den nächsten Jahren als Lehrer für Physik und Naturgeschichte am Gymnasium zu Koblenz. 1801 heiratete er Katharina von Lassaulx (1779– 1855), die Tochter des Amtmanns Peter Ernst von Lassaulx (1757–1809) und Schwester seines Verlegers Franz von Lassaulx (1781–1818). Görres beschäftigte sich mit ästhetischen, philosophischen, naturphilosophischen und naturwissenschaftlichen Themen und veröffentlichte als Resultate seiner Studien u.a. Aphorismen über die Kunst als Einleitung zu Aphorismen über Organonomie, Physik, Psychologie und Anthropologie (1802), Aphorismen über die Organonomie (1803) und eine Exposition der Physiologie (1805). Über die Aphorismen zur Organonomie urteilte Goethe: „in de!n"selben zeigt sich ein sehr guter Kopf, ob man gleich öfters in Versuchung kommt den Titel in Organomanie umzuändern. Ich bin auf seinen Gang neugierig; es ist eine Natur, die man nicht aus dem Ge-

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sicht lassen muß“ (an Eichstädt, 21.4.1804; WA IV17, S.126f.). Darüber hinaus publizierte er in der Zeitschrift ‚Aurora‘ des Münchner Oberhofbibliothekars Johann Christoph von Aretin (1772–1824) kulturgeschichtliche, literarhistorische und -kritische Aufsätze, darunter auch einen über Mystik und Novalis (1805; GGS3, S.120–123). Im Zuge der Reorganisation der Universität Heidelberg war dem Landesfürsten Karl Friedrich von Baden (1728–1811) daran gelegen, frei werdende Lehrstühle mit ausgezeichneten Gelehrten zu besetzen. Er zog u.a. den Theologen Carl Daub (1765–1836), den Juristen Anton Friedrich Justus Thibaut (1772–1840) und den Altphilologen Friedrich Creuzer (1771–1858) an den Nekkar. Auf Fürsprache des badischen Oberbaudirektors Friedrich Weinbrenner wurde Johann Heinrich Voß 1805 als Berater für philologische Fragen ohne Lehrverpflichtungen berufen. Sein ältester Sohn hatte seit 1807 einen außerordentlichen Lehrstuhl für Altphilologie inne. Auch Görres’ Bewerbung wurde positiv aufgenommen, so daß er ab dem Wintersemester 1806/07 als Privatdozent in Heidelberg Vorlesungen halten konnte, wobei er Lehrveranstaltungen über „Organopöie, Physiologie, Psychologie, Philosophie, Ästhetik, spekulative Physik, Himmelskunde und Hygieine“ sowie über „altdeutsche Literatur“ anbot (GWB 1, S.LIV). Seine Vorlesungen, die er frei hielt, zogen zahlreiche Hörer an – darunter auch den jungen Joseph von Eichendorff (1788–1857), der zusammen mit seinem Bruder in Heidelberg studierte. Johann Heinrich Voß d.J. (1779–1822) charakterisiert in einem Brief vom 12.2.1807 den jungen Dozenten: Görres ist seit einem halben Jahr hier und liest mit Beifall; er ist ein wunderbarer Mensch, kalt von Herzen, aber mit glühender Phantasie, mehr originell als klar, mehr witzig als wahrhaft: denn einem Einfalle zu Liebe giebt er Deutlichkeit und Bestimmtheit preis. Wenn man ihn reden hört, so glaubt man, der innere Mensch sei ganz vom äussern getrennt; er sitzt wie eine Sprechmaschine, keine Miene, keine Bewegung des Körpers, selbst sein Aug nicht entspricht dem was er sagt. Auch spricht er nie unaufgefordert, sondern sitzt stumm und unbeweglich in der Gesellschaft. Seinen Zuhörern gefällt, was er sagt, aber keiner !…" kann wiedererzählen, wovon die Rede gewesen sei. Man fühlt sich amüsiert durch ein ewiges Bildergegaukel. (Wilhelm Herbst, Johann Heinrich Voß, Bd.2.2, Leipzig 1876 (Nachdruck Bern 1970), S.127.)

In Heidelberg wohnte bereits seit dem Sommer 1804 Clemens Brentano. Achim von Arnim traf im Frühsommer 1805 dort ein, um gemeinsam mit Brentano die Veröffentlichung der Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn vorzubereiten. Mit beiden wie auch mit dem Philologen Creuzer war Görres befreundet. In den beiden Jahren, in denen Görres in Heidelberg wirkte, verfaßte er Beiträge für die neu gegründeten ‚Heidelbergischen Jahrbücher der Literatur‘ und zu der von Arnim und Brentano herausgegebenen ‚Zeitung für Einsiedler‘. Brentanos reichhaltige Bibliothek stellte einen Großteil der historischen Quellen zur Verfügung, die Görres in seiner wohl wichtigsten Publikation der Heidelberger Zeit auswertete: Die teutschen Volksbücher. Nähere Würdigung der schönen Historien-, Wetterund Arzneibüchlein, welche teils innerer Wert, teils Zufall, Jahrhunderte hindurch bis auf unsere Zeit erhalten hat (1807). Auf seinen Studien der Heidelberger Zeit basierte auch die 1810 veröffentlichte Mythengeschichte der asiatischen Welt.

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Zwischen dem älteren Voß als Vertreter des Rationalismus und den jüngeren Romantikern bzw. ihnen nahestehenden Dozenten bestanden zunächst freundliche Beziehungen. Doch schon bald traten persönliche und sachliche Differenzen zutage. (Vgl. zu den Heidelberger Auseinandersetzungen im einzelnen: Franz Schneider, Beiträge zur Geschichte der Heidelberger Romantik. In: ‚Neue Heidelberger Jahrbücher‘ 18 (1914), S.48–102; Heinz Rölleke, Die Auseinandersetzung Brentanos mit Voß über ‚Des Knaben Wunderhorn‘. In: JbFDH 1968, S.283–328; Günter Häntzschel, Johann Heinrich Voß in Heidelberg. Kontroversen und Mißverständnisse. In: Heidelberg im säkularen Umbruch, S.301–321; Heribert Raab, Görres und Voß. Zum Kampf zwischen „Romantik“ und „Rationalismus“ im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. In: Heidelberg im säkularen Umbruch, S.322–336; Ulfert Ricklefs, Polemische Textproduktion. Bemerkungen zum Literaturstreit der Gruppe um Voss mit den Romantikern. In: 200 Jahre Heidelberger Romanik, S.343–367.) Im Sommer 1806 hatte Brentano Voß durch einen boshaften Streich verärgert: Voß beabsichtigte, das alte Anatomiegebäude zu kaufen, um es als Wohnhaus zu nutzen; als Brentano – vermutlich von Voß selbst – von diesem Plan erfuhr, überbot er Voß beim zuständigen Kuratelamt um 400 Gulden. Auch wenn Voß nach Protesten und Eingaben durch höchstfürstliche Entscheidung letztlich der Kauf ermöglicht wurde, hegte er von nun an „grimmigen Zorn“ gegen Brentano. (Arnim an Brentano, 25.1.1808; Freundschaftsbriefe S.476.) Ende 1806 zog Creuzer mit seinem neuen philologischen Studienplan Vossens Unmut und vehemente Kritik auf sich, da dieser bei der Ausarbeitung übergangen worden war. Aus Vossens Sicht stellten der Uhrmacher BOGS (1807), der als Gemeinschaftsarbeit von Brentano und Görres entstanden war, und Görres’ unter Pseudonym erschienene Schriftproben von Peter Hammer (1808) weitere gezielte Attacken gegen seine Person dar. Im Laufe des Jahres 1808 spitzte sich der Konflikt zu, weitete sich aus und wurde zunehmend öffentlich ausgetragen, wobei beide Seiten auch die persönliche Diffamierung des Gegners nicht verschmähten. In der Jenaischen ‚Allgemeinen Literaturzeitung‘ und im Cottaschen ‚Morgenblatt für gebildete Stände‘ verspotteten Voß und seine Anhänger die von den Romantikern wiederentdeckte Sonettform als modische Spielerei. Den Herausgebern des Wunderhorns warf Voß Verfälschung ihrer Quellen vor, wogegen sich diese in öffentlichen Erklärungen verwahrten. Umgekehrt sparten auch Arnim, Brentano und Görres in der Anfang 1808 gegründeten ‚Zeitung für Einsiedler‘ nicht mit Polemik, Satire und Häme gegen ihre Kritiker aus dem Lager der Spätaufklärer. Görres war darüber hinaus wegen seines unkonventionellen Vorlesungsstils und wegen seiner offen bekundeten Verachtung der ‚Brotwissenschaften‘ persönlichen Angriffen ausgesetzt. Die erhoffte dauerhafte Anstellung in Heidelberg kam nicht zustande. Görres kehrte im Herbst 1808 nach Koblenz zurück und nahm seine Tätigkeit als Gymnasiallehrer wieder auf. Auch Brentano und Arnim verließen Heidelberg endgültig.

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Wie bei vielen anderen seiner Zeitgenossen führte auch bei Görres das Ende des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation und die Niederlagen Preußens und Österreichs gegen die französische Armee zu einer patriotischen Neubesinnung. Görres beschäftigte sich mit der Literatur und Geschichte des Mittelalters und veröffentlichte 1810 in Friedrich Perthes’ ‚Vaterländischem Museum‘ einen Aufsatz Über den Fall Teutschlands und die Bedingungen seiner Wiedergeburt, in dem er innere Zerrissenheit und Uneinigkeit als Ursache der militärischen Niederlage benannte. Nach dem Sieg über Napoleon wurde Görres 1814 von der preußischen Regierung zum Direktor des öffentlichen Unterrichts am Mittelrhein ernannt. Er gründete den ‚Rheinischen Merkur‘, der bald zum wortgewaltigen, teils begeisternden, teils gefürchteten Organ nationaler Sammlung und Besinnung avancierte. Görres forderte staatliche Erneuerung, soziale Reformen und eine moderne Verfassung, prangerte Mißstände an und reagierte empört auf die restaurativen Tendenzen des Wiener Kongresses. Seine liberale Gesinnung wurde von den deutschen Regierungen zunehmend als gefährlich eingeschätzt. Nachdem bereits im Sommer 1814 Bayern, Baden und Württemberg Verbote gegen den ‚Rheinischen Merkur‘ ausgesprochen hatten, stellte Preußen 1816 das Blatt ganz ein. Görres wurde mit dem Hinweis auf seine jakobinische Vergangenheit aus dem Schuldienst entlassen. Er blieb weiterhin publizistisch tätig und engagierte sich sozial, u.a. indem er den ‚Koblenzer Hilfsverein‘ gründete. Nachdem 1818 seine Schrift Teutschland und die Revolution erschienen war, drohte ihm wegen ihrer kritischen Tendenz die Verhaftung im Zuge der sogenannten Demagogenverfolgungen, der er sich durch die Flucht nach Straßburg entziehen konnte. Knapp zwei Jahre lang lebte er mit seiner Familie in Aarau in der Schweiz. 1821 kehrte er nach Straßburg zurück und begann nach einer religiösen Wende, ab 1824 Beiträge für die strikt kirchliche Zeitschrift ‚Der Katholik‘ zu schreiben. 1827 wurde Görres nach acht Jahren im Exil als ordentlicher Professor für ‚Allgemeine und Litterärgeschichte‘ an die Universität München berufen. Neben seiner Lehrtätigkeit arbeitete er an seinem umfassenden Werk über Die Christliche Mystik (4Bde., 1836–1842) und griff 1837/38 nach der Verhaftung des Kölner Erzbischofs durch die preußische Exekutive mit einem Plädoyer für Religionsfreiheit und Freiheit der Kirche von staatlichen Eingriffen in den Kölner Kirchenstreit ein. Als prominente Persönlichkeit des politischen Katholizismus veröffentlichte er Beiträge in der katholischen Zeitschrift ‚Historisch-politische Blätter‘, zu deren Mitherausgeber sein Sohn Guido (1805–1852) gehörte. Zu Beginn des Revolutionsjahrs 1848 starb Görres in München.

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Siglen und Abkürzungen A AB AEN ÄGB AWS,SW BL CMW DVjs DWb EG ET Euph F FA FBA FD FDES,KG FDES,L FE FI FNS FPL

Friedrich Schlegel, Fragmente (‚Athenäums‘-Fragmente). Novalis, Das Allgemeine Brouillon. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie. Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, hg. von Karlheinz Barck u.a., Stuttgart und Weimar 2000–2005. August Wilhelm Schlegel, Sämtliche Werke, hg. von Eduard Böcking, 16Bde., Leipzig 1846. Novalis, Blüthenstaub. Christoph Martin Wieland, Sämmtliche Werke (1794–1811). ‚Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte‘. Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, bearbeitet von Ludwig Sütterlin und den Arbeitsstellen des Deutschen Wörterbuchs in Berlin und Göttingen, Leipzig 1854–1954. ‚Etudes Germaniques‘. Novalis, Ergänzungen zu den Teplitzer Fragmenten. ‚Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte‘. Friedrich Karl Forberg, Fragmente aus meinen Papieren (1796). Goethe, Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche, hg. von Friedmar Apel u.a., 39Bde. in 43 Teilen, Frankfurt am Main 1987–1999. Clemens Brentano, Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe, veranstaltet vom Freien Deutschen Hochstift, hg. von Jürgen Behrens u.a., Stuttgart, Berlin und Köln 1975ff. Novalis, Fragmente oder Denkaufgaben. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Kritische Gesamtausgabe, hg. von HansJoachim Birkner u.a., Berlin 1984ff. Aus Schleiermachers Leben. In Briefen, hg. von Ludwig Jonas und Wilhelm Dilthey, 4Bde., Berlin 1860. Novalis, Fichte-Exzerpte. Johann Gottlieb Fichte, Sämmtliche Werke, hg. von I.H.Fichte, Berlin 1965 (Nachdruck der Ausgabe 1845). Novalis, Freiberger Naturwissenschaftliche Studien. Friedrich Schlegel, Fragmente zur Poesie und Literatur.

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Novalis, Fichte-Studien. Novalis, Fragmente und Studien (1799–1800). Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Briefe und Dokumente, hg. von Horst Fuhrmans, 3Bde., Bonn 1962–1975. G Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Gedanken. GGS Joseph von Görres, Gesammelte Schriften, hg. im Auftrage der Görres-Gesellschaft von Wilhelm Schellberg und Adolf Dyroff, fortgeführt von Leo Just und Heribert Raab, Köln 1926ff. GL Novalis, Glauben und Liebe. GRM ‚Germanisch-romanische Monatsschrift‘ GWB Josef von Görres’ Ausgewählte Werke und Briefe, hg., mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Wilhelm Schellberg, 2Bde., Kempten und München 1911. H Philosophische Fragmente, aus Hülsens literarischem Nachlaß. HA Hamann, Johann Georg, Sämtliche Werke in sechs Bänden, hg. von Josef Nadler, Wien 1949–1957. HAB Hamann, Johann Georg, Briefwechsel, hg. von Walther Ziesemer und Arthur Henkel, 7Bde., Wiesbaden 1955–1979. HE Johann Gottfried Herder, Sämtliche Werke, hg. von Bernhard Suphan, 33 Teile, Berlin 1877–1913. HKS Novalis, Hemsterhuis- und Kant-Studien. Id Friedrich Schlegel, Ideen. JbFDH ,Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts‘. JP,SW Jean Paul, Sämtliche Werke, hg. von Norbert Miller und Wilhelm Schmidt-Biggemann, 13 Teile, Darmstadt 2000. KA Immanuel Kant, Werkausgabe, hg. von Wilhelm Weischedel, 12Bde., Frankfurt am Main 1977. KFSA Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hg. von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett, Hans Eichner u.a., Paderborn 1958ff. L Friedrich Schlegel, Kritische Fragmente (‚Lyceums‘-Fragmente). Lg Novalis, Logologische Fragmente. LThK Lexikon für Theologie und Kirche, begr. von Michael Buchberger, hg. von Josef Höfer und Karl Rahner, 10Bde., Freiburg im Breisgau 21957ff. NA Schillers Werke. Nationalausgabe, Weimar 1943ff. NDB Neue Deutsche Biographie, hg. von der historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschafen, Berlin 1953ff. NO Novalis, Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, hg. von Richard Samuel in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz, 6Bde., Stuttgart 31977ff. PhL Friedrich Schlegel, Philosophische Lehrjahre. RE Paulys Real-Encyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft, Neue Bearbeitung, begr. von Georg Wissowa, fortgeführt von Wilhelm Kroll und K.Mittelhaus, 75Bde. und Suppl., Stuttgart 1893–1978. RF Johann Wilhelm Ritter, Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers (1810). Rheinisches Rheinisches Wörterbuch, auf Grund der von J.Franck begonnenen, von allen KreiWb sen des rheinischen Volkes unterstützten Sammlung bearb. von Josef Müller, Karl Meisen u.a., 9Bde. Bonn (1.Bd.) und Berlin (ab Bd.2) 1928–1971. RL Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, begr. von Paul Merker und Wolfgang Stammler, neu bearbeitet von Werner Kohlschmidt und Wolfgang Mohr, 4Bde., Berlin 1958–1979. RS Rudolf Haym, Die romantische Schule. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Geistes, Berlin 1906. Sch Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Ausgewählte Werke, hg. von Karl Friedrich August Schelling, Darmstadt 1976. (Repr. mit abweichender Bandeinteilung aus: SSW) SSW Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Sämmtliche Werke, hg. von Karl Friedrich August Schelling, Stuttgart und Augsburg 1856–1861.

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StG T VB WA

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Register

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13. Register Erstellt von Martina Eicheldinger (Textteil) und Christine Henschel (Kommentarteil). Abicht, Johann Heinrich I 155; II 287 Achilles I 102; II 197 Adam I 178 Addison, Joseph I 103; II 198 Agamemnon I 22; II 53 Aischylos I 31, 100f.; II 194 – Der gefesselte Prometheus I 31; II 74 Aïssé, Charlotte Élisabeth d’ II 399 Albertini, Johann Baptist von II 490 Alkibiades I 205; II 353 Apollo I 42, 59; II 41, 100 Archilochos I 37; II 89 Archimedes II 136, 286 Aretin, Johann Christoph von II 526 Ariosto, Ludovico I 42 – Orlando furioso / Der rasende Roland I 116; II 225 Aristides I 21; II 43 Aristophanes I 37, 48, 49, 101f.; II 12, 88f., 113f., 195 Aristoteles I 38f., 41, 99, 131, 236f.; II 90–92, 96f., 192, 237, 251, 384 – Ethica Nicomachea I 237; II 394f. – Rhetorik II 298 Arminius (Hermann) I 94; II 181 Arndt, Anne Maria Luise (genannt Nanny), geb. Schleiermacher II 494, 496, 516 Arndt, Ernst Moritz II 496 Arnim, Achim von II 427f., 446–448, 450, 452f., 456, 474, 476, 526f. – Isabella von Ägypten II 470 – Des Knaben Wunderhorn II 445, 453, 463, 477, 526f. Arnim, Bettine von, geb. Brentano II 427 Asmus; siehe: Claudius, Matthias Athanasius (genannt der Große; Kirchenvater) I 338; II 478 Athene I 37; II 89 Athenodoros II 28 Attila (Etzel) I 317; II 464 Augusti, Christian Wilhelm II 50 – Der Engel Gabriel und die Gebrüder Schlegel II 50 Augustus I 151; II 282 Ausonius, Decimus Magnus I 38; II 89 – Mosella I 38; II 89 Baader, Franz Xaver Benedikt I 91, 119, 121, 141, 191, 217; II 118, 176, 231, 234, 294, 337f., 352, 362, 378, 523f. – Beiträge zur

Elementarphysiologie II 161, 338, 352, 381 – Fermenta cognitionis II 118, 176 – Über das pythagoräische Quadrat in der Natur II 365 – Vom Wärmestoff II 304 Bacon, Francis I 45, 243; II 106, 398, 400f. – Essays oder praktische und moralische Ratschläge II 400 Baggesen, Jens II 499 Bang, Frederik Ludvik II 512 Batsch, August Johann Georg Carl II 519 Batteux, Charles – Les beaux arts réduits à un même principe II 479 Baumgarten, Alexander Gottlieb II 75, 117 Bayle, Pierre I 53; II 121 – Dictionnaire historique et critique II 121 Beaumarchais, Pierre Augustin Caron de – Axur, Re d’Ormus II 467 Beccadelli, Antonio degli (genannt Antonio Panormita) – Hermaphroditus II 502 Beck, Jakob Sigismund I 111, 120; II 218, 233 Bembo, Pietro I 101; II 195, 498 Bengel, Johann Albrecht II 507 Benjamin, Walter II 427f. Bentley, Richard I 122; II 238 Berenhorst, Georg Heinrich – Betrachtungen über die Kriegskunst II 362 Berger, Johann Erich von II 503, 506, 516 Bergman, Torbern Olof II 435 Berkeley, George I 121; II 233 Bernadotte, Jean Baptiste Jules II 485 Bernoulli, Johann I 112 Bertram, Johann Baptist II 484 Blair, Hugh II 491 Blanckenburg, Friedrich von – Versuch über den Roman II 32 Bodmer, Johann Jakob I 10; II 12 Boeckh, August II 146 – Encyklopädie und Methodologie der philologischen Wissenschaften II 146 Böhme, Jakob I 92, 94, 134f., 139, 168, 176, 299; II 164, 173, 179, 181, 212, 237, 252, 256 – Aurora oder Morgenröte im Aufgang II 440 Böhmer, Auguste II 46, 484, 510 Böhmer, Johann Franz Wilhelm II 480

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Register

Bölzig, Augustine Bernhardine von; siehe: Hardenberg, Augustine Bernhardine von Böttiger, Karl August II 263 Boileau, Nicolas I 103; II 198 – Art poétique II 198 Boisserée, Melchior II 484f. Boisserée, Sulpiz II 484f. Bonaparte, Napoléon I 77; II 151, 485, 495, 516, 528 Bonaparte, Jérôme II 495 Boufflers, Stanislas Chevalier de I 201; II 349 Boyle, Robert II 401 Brachmann, Christian Friedrich II 269 Brentano, Clemens II 50, 283, 427, 446f., 450–452, 459, 474, 476, 521, 525–527 – Geschichte des ersten Bärnhäuters II 470 – Gustav Wasa II 50 – Der Jäger an den Hirten II 447 – Des Knaben Wunderhorn II 445, 453, 463, 477, 526f. Brin(c)kmann, Carl Gustav II 105, 490f., 494 Brown, John I 200–202, 208, 221; II 174f., 267, 276, 283–285, 287, 294, 299, 303f., 309, 335, 344, 350, 355f., 373, 510 – Elements of Medicine II 267 Bruno, Giordano II 510 Brutus; Lucius Junius Brutus oder Marcus Junius Brutus I 336; II 476 Buch, Leopold von II 420 Buchholz, Wilhelm Heinrich Sebastian I 300; II 440 – Über das Verhältnis der blauen Farbe aus verschiedenen thierischen Knochen II 440 Bülow, Eduard von II 290, 360 Bürger, Gottfried August I 34, 55, 149; II 125, 280 – Gedanken über die Beschaffenheit einer deutschen Übersetzung des Homer, nebst einigen Probefragmenten I 149 – Gedichte I 55 – Die Weiber von Weinsberg II 125 Burke, Edmund I 155; II 287 – Reflections on the Revolution in France II 287 Caesar, Gaius Julius I 37, 45, 60, 73, 120; II 31, 86f., 104, 130, 143, 233 – De bello civili II 86, 233 – De bello Gallico II 86 Calderón de la Barca, Pedro II 359 – Das Leben ein Traum II 359 Campe, Joachim Heinrich I 195; II 345 Campetti, Francesco II 523 Canetti, Elias II 343 Carpzov, Benedikt – Practica nova Imperialis Saxonicae rerum criminalium II 459, 461, 475 Carracci, Annibale I 58; II 128 Casaubonus, Isaac I 122, 235; II 238, 392 – De satyrica Graecorum poesi et Romanorum satira I 235; II 392

Cato; eigentlich: Marcus Porcius Cato (d.J.) I 37; II 31, 87 Catull; eigentlich: Gaius Valerius Catullus I 38; II 89 Cavendish, Henry II 441 Cellini, Benvenuto I 42; II 99 – Vita di Benvenuto Cellini orifice e scultore fiorentino II 99 Cervantes Saavedra, Miguel de II 135, 159 – Don Quixote I 102; II 13, 21, 42, 135, 159, 196f. Chamfort, Nicolas I 13f., 19, 26, 29, 78, 132; II 4–5, 13, 25f., 38, 53, 58–60, 68, 70, 107, 131, 143, 152, 237, 249, 260, 399, 401 – Maximes, Pensées, Caractères et Anecdotes II 4, 24, 36, 38, 55, 399 Charpentier, Johann Friedrich Wilhelm von II 488f., 514 Charpentier, Julie von II 489 Chézy, Antoine León de II 484 Chézy, Helmina von II, 49 – Unvergessenes II 49 Chladni, Ernst Florens – Entdeckungen über die Theorie des Klanges II 362 Christian VIII., König von Dänemark II 518 Christophorus I 320; II 466 Christus; siehe: Jesus Christus Cicero, Marcus Tullius I 37, 39, 105, 133; II 86, 88, 92, 202, 237, 250, 498 – De officiis II 322 Cid; siehe: Diaz, Rodrigo Claudius, Matthias (Pseudonym: Asmus) I 195, 203; II 345, 350 Condorcet, Marie Jean Antoine Nicolas Caritat, Marquis de I 42, 47; II 14, 99, 109 – Esquisse d’un tableau historique des progrès de l’esprit humain I 42; II 99, 362 Cook, James II 156 Correggio; eigentlich: Antonio Allegri da Correggio I 69 Cotta, Johann Friedrich II 210, 213f., 219 Creuzer, Friedrich II 526f. Cusanus, Nicolaus – De docta ignorantia II 416 Cybele; siehe: Kybele D’Alembert, Jean Baptiste le Rond – Encyclopédie Française II 362 Danscour, Jeanette II 342 Dante Alighieri I 13, 42, 49, 102, 109, 135; II 22f., 98f., 114, 208, 252 – Divina commedia / Göttliche Komödie I 13, 102; II 22f., 114, 197 Darwin, Erasmus I 143; II 270 – Zoonomia or The Laws of Organic Life II 270 Daub, Carl II 526

Register David I 140, 317 Deluc, Jean-André I 294; II 434 – Idées sur la météorologie II 434 – Lettres physiques et morales II 434 – Traité elémentaire sur le fluide électro-galvanique II 434 Descartes, René II 416 Dezier, die I 93; II 180 Diaz, Rodrigo (genannt el Cid) I 318; II 465 Diderot, Denis I 9f., 40f., 43, 107, 231; II 8, 21, 94f., 97, 100, 204, 388 – Essai sur la peinture / Versuch über die Malerei I 41, 43; II 97 – Jacques le Fataliste et son Maître I 9f., 43; II 8, 65, 100 – La Religieuse I 107; II 204 – Von der dramatischen Dichtkunst II 387 Dilthey, Wilhelm II 146, 161, 383 Diodor II 64 – Bibliotheca historica II 64 Diogenes Laertius I 235; II 40, 153, 392f. Diogenes von Sinope II 40f., 83 Dionysios I., Tyrann von Syrakus I 27; II 64 Dionysios II., Tyrann von Syrakus I 168; II 309 Dionysios von Halikarnassos I 133; II 250 Dionysos II 91 Diotima I 107; II 205 Döderlein, Johann Christoph II 498 Dohna-Schlobitten, Friedrich Alexander Burggraf und Graf zu II 491 Dohna-Schlobitten, Friedrich Ferdinand Alexander Burggraf und Graf zu II 491 Dolce, Lodovico II 23 Donar; siehe: Thor Droste zu Vischering, Clemens August II 478 Dryden, John I 108; II 206 Duclos, Charles Pinot I 23; II 55 Dürer, Albrecht I 40, 92, 94; II 94, 181 Eberhard, Johann August II 491 Eckermann, Johann Peter II 311 Eco, Umberto II 123 – Das Foucaultsche Pendel II 123 Eichendorff, Joseph von II 283, 294, 526 Eichhorn, Johann Gottfried I 241; II 400 – Einleitung in das Alte Testament II 400, 498 Eichstädt, Heinrich Karl II 420 Engelmann, Joseph II 445–447 Epicharmos II 202 Epikur I 83; II 157 Erhard, Johann Benjamin I 111; II 218, 401 Ernesti, Johann August I 122; II 238 Ernst II., Herzog von Sachsen-Gotha II 523 Ernst, Charlotte, geb. Schlegel II 479, 481 Ernst, Ludwig Emanuel II 481 Eschen, Friedrich August II 39 Eschenmayer, Carl August von II 267, 510 Etzel; siehe: Attila

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Euripides I 37; II 89 Eva I 178 Fabricius, Johann Christian II 513 Fichte, Johann Gottlieb I 36, 44, 53, 55, 58, 66, 91, 94, 105f., 108, 111–120, 136f., 156, 172, 176, 185, 187, 191f., 203, 217, 229, 253; II 10, 12, 19, 31, 37, 60, 65f., 70, 73f., 84, 92, 103f., 106, 115, 121f., 128f., 131, 136f., 155, 175–177, 181, 191, 203f., 206, 210, 212–215, 218, 221–223, 226–232, 252, 259, 263, 265, 270f., 313–331, 333f., 337f., 344, 350, 362, 378, 385f., 390, 397, 401f., 406–408, 414, 481, 483, 488, 499–505, 508–510, 513f. – Appellation an das Publikum II 501 – Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre II 129, 232, 252, 269, 272 – Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre II 56, 93, 103, 122, 131, 214, 223f., 226, 228f., 252, 270f., 314f., 318f., 322f., 326, 328, 337, 368, 374, 406, 508 – Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre II 225, 314f., 324f., 329 – Grundriß des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre II 223, 252, 314f. – Sonnenklarer Bericht an das grössere Publikum, über das eigentliche Wesen der neuesten Philosophie II 386 – Über den Begriff der Wissenschaftslehre II 115, 136, 314, 508 – Über die Bestimmung des Gelehrten II 145, 272f., 314 – Über Geist und Buchstab in der Philosophie II 30, 223 – Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung II 177, 501 – Versuch einer Kritik aller Offenbarung II 414 – Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre II 129, 212 – Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprunge der Sprache II 314 – Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre II 129, 155, 232, 252, 335 Fielding, Henry II 512 – Tom Jones I 104; II 200 Fontenelle, Bernard le Bovier de I 55; II 124 – Discours sur la nature de l’Eglogue II 124 – Réflexions sur la Poétique II 124 Forberg, Karl Friedrich II 29, 35, 65, 107, 265, 270, 276, 397–403, 498–502 – Anthropologische Fragmente II 397–403 – Briefe über die neueste Philosophie II 500 – De aesthetica transcendentali II 499 – Entwickelung des Begriffs der Religion II 177, 500 – Fragmente aus meinen Papieren II 333, 499 – Lebenslauf eines Verschollenen II 403, 498 –

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Register

Prüfung des Materialismus II 499 – Über den Geist des Lutheranismus II 500 – Über die Gründe und Gesetze freier Handlungen II 499 – Über die Perfectibilität der Menschengattung II 499 – Über den Ursprung der Sprache II 500 – Ueber die Verbindung der Seele mit dem Körper II 270, 500 – Versuch einer Deduktion der Kategorien II 500 Forster, Johann Georg I 83; II 38, 156, 257, 480 – A voyage round the world II 156 – Kritische Annalen der englischen Literatur II 196 Forster, Therese, geb. Heyne, wiederverh. Huber II 480 Fouqué, Friedrich de la Motte II 405, 407, 503f. Franklin, Benjamin I 251, 305; II 398, 402, 438, 443 – Benjamin Franklins Jugendjahre II 402 – Briefe von der Elektrizität II 443 Friedrich II., König von Preußen (genannt der Große) I 111; II 217, 282, 303, 349, 470 – Mémoires de Brandebourg II 303 Friedrich III., König von Preußen II 291f. Friedrich VI., König von Dänemark II 516, 518 Friedrich Wilhelm I., König von Preußen I 165; II 306 Friedrich Wilhelm II., König von Preußen II 306 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen II 306, 494, 517 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen II 294 Frommann, Carl Friedrich Ernst II 514, 523 Fugger, die I 148; II 280 Gabler, Christian Ernst II 499 Gabriel (Erzengel) I 15; II 31 Galilei, Galileo II 429 Garve, Christian I 58, 104f.; II 65, 129, 200–202 Gedike, Friedrich II 491 Gehlen, Adolph Ferdinand II 524 Gehler, Johann Samuel Traugott II 132, 303 – Physikalisches Wörterbuch II 132, 303 Gellert, Christian Fürchtegott II 512 Geßner, Salomo I 22; II 190 – Idyllen I 22; II 53 – Neue Idyllen I 22; II 53 Gibbon, Edward I 45; II 99, 105 – History of the Decline and Fall of the Roman Empire II 105 – Memoirs of the Life and Writings of Edward Gibbon II 105 Gilbert, Ludwig Wilhelm II 432 Gmelin, Leopold – Handbuch der theoretischen Chemie II 432f., 436, 440f.

Goechhausen, Luise von II 263 Görres, Guido II 528 Görres, Helena Theresia, geb. Mazza II 525 Görres, Joseph II 104, 287, 294, 420, 445–478, 525–528 – Der allgemeine Frieden, ein Ideal II 525 – Aphorismen über die Kunst II 525 – Aphorismen über die Organonomie II 287, 525 – Die Christliche Mystik II 528 – Exposition der Physiologie II 104, 525 – Mystik und Novalis II 526 – Mythengeschichte der asiatischen Welt II 526 – Schriftproben von Peter Hammer II 151, 162, 297, 303, 445–478, 527 – Die teutschen Volksbücher II 453, 526 – Teutschland und die Revolution II 528 – Über den Fall Teutschlands II 528 Görres, Katharina, geb. von Lassaulx II 525 Görres, Moritz II 525 Goethe, Johann Wolfgang I 9, 20, 44, 42, 48f., 80, 94, 97, 103–107, 126, 144, 155, 220; II 9, 13, 21, 48f., 52, 65, 99, 103f., 114, 122, 141, 165, 181, 188, 191, 197–202, 205, 232, 287f., 308, 311, 341, 349, 364, 371f., 386, 420–423, 428, 450, 453, 458f., 480f., 484, 509f., 512, 514, 520, 523 – Ballade. Betrachtung und Auslegung I 126; II 243 – Die Braut von Korinth I 80; II 153 – Claudine von Villabella I 51; II 118 – Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil II 203 – Faust I II 459, 462 – Faust II II 475 – Hermann und Dorothea I 22, 51, 107, 155; II 9, 52, 116, 204f. – Italiänische Reise II 197, 272 – Die Leiden des jungen Werthers I 119; II 232 – Das Mährchen II 41, 161, 170, 178, 297, 301, 465 – Über Laokoon II 127, 362 – Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten I 71 – Die Wahlverwandtschaften II 399, 524 – Wilhelm Meisters Lehrjahre I 20, 44, 71, 102, 120, 125, 155, 195, 206, 231; II 8f., 41f., 79, 103, 138, 141, 197, 200, 206, 212, 232, 242, 259f., 272, 288, 308, 341, 345, 389, 400 – Xenien I 230; II 287 – Zahme Xenien II 163 Goldoni, Carlo – Le bourru bienfaisant II 74 Gotter, Pauline; siehe: Schelling, Pauline Gottsched, Johann Christoph II 8, 355 – Versuch einer Critischen Dichtkunst II 355 Gozzi, Carlo Graf I 49, 101f.; II 113f., 195f. Gren, Friedrich Albert Carl – Handbuch der Chemie II 435 Griesbach, Johann Jakob II 498 Grimm, Friedrich Melchior II 94 Grimm, Jacob – Deutsche Sagen II 463, 467 – Deutsches Wörterbuch II 476

Register Grimm, Wilhelm – Deutsche Sagen II 463, 467 – Deutsches Wörterbuch II 476 Grunow, Eleonore II 494 Guarini, Giovanni Battista I 109; II 208 – Il pastor fido II 458, 463 Gujer, Jakob (genannt Kleinjogg) I 195; II 345 Hadrian; eigentlich: Publius Aelius Hadrianus I 151; II 282 Hagedorn, Friedrich von II 512 Hagesandros II 28 Haller, Albrecht von I 101; II 194, 512 Hamilton, Alexander II 484 Hardenberg, Augustine Bernhardine, geb. von Bölzig II 487 Hardenberg, Bernhard von II 489 Hardenberg, Erasmus von II 259, 314f., 488 Hardenberg, Friedrich von (Novalis) I 53f., 96, 114, 116, 119, 129, 139; II 4–6, 8–11, 13–15, 17–19, 21–24, 26–29, 31–34, 36–48, 51–76, 78–103, 105f., 108f., 113–120, 122f., 129, 132–139, 141–145, 147f., 150–153, 155, 157–171, 173–182, 184f., 193, 199, 203, 205, 209–212, 214–216, 218f., 222, 225, 243, 245, 257, 259–381, 398, 400f., 409, 415, 427, 429, 432f., 444, 460, 480f., 483f., 487–489, 499, 508f., 519–523 – Das Allgemeine Brouillon II 344, 360–381, 489 – Die Alpenrose II 300f. – An Filidor II 347 – An Tieck II 276 – Blüthenstaub I 219; II 162, 259–290, 296, 362, 400, 488 – Die Christenheit oder Europa II 174, 257, 271, 278, 298, 345, 351, 371, 489 – Es ist an der Zeit II 41, 161, 178, 301, 465 – Fichte-Exzerpte II 315 – FichteStudien II 313–329, 331, 363 – Fragmente oder Denkaufgaben II 339–341 – Freiberger Naturwissenschaftliche Studien II 360 – Der Fremdling II 340 – Geistliche Lieder II 257, 351, 369, 489 – Glauben und Liebe II 41, 64, 161, 165, 170, 177f., 271, 290–312, 351, 354, 465, 488 – Großes physikalisches Studienheft II 344 – Heinrich von Ofterdingen II 13, 37, 105, 113, 123, 139, 165, 174, 266, 270, 275, 280, 298, 336, 351f., 358, 366f., 489 – Hemsterhuis-Studien II 266f., 331, 337, 361 – Hemsterhuisund Kant-Studien II 261, 361, 363 – Hymnen an die Nacht II 257, 286, 345, 364, 489 – Kant- und EschenmayerStudien II 267f., 271, 336, 361 – Kenne dich selbst II 269 – Klagen eines Jünglings II 259 – Kritik der Athenaeumsfragmente II 57, 62, 119, 144, 147, 153 –

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Die Lehrlinge zu Sais II 160f., 184, 286, 353, 357f., 366, 369, 488 – Letzte Liebe II 269 – Logologische Fragmente II 330–338 – Poëticismen II 339 – Politische Aphorismen II 294f., 308 – Der sterbende Genius II 297 – Technische Aufzeichnungen und Schriften aus der Berufstätigkeit II 381 – Teplitzer Fragmente II 342–359, 444 – Über Goethe II 345, 371 – Vermischte Bemerkungen II 44, 262, 264, 290 – Vorarbeiten zu verschiedenen Fragmentsammlungen II 295, 330f., 344, 360 Hardenberg, Gottlob Friedrich Wilhelm von II 487 Hardenberg, Karl von II 427, 487 Hardenberg, Karl August von II 517 Hardenberg, Ulrich Erasmus von II 487 Harris, James I 72; II 142 Hatto II., Erzbischof von Mainz I 314; II 463 Haupt, Friedrich Traugott Michael II 489 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich II 6, 417, 496, 507, 510f. – Verhältniß des Skepticismus zur Philosophie, Darstellung seiner verschiedenen Modificationen I 278; II 417 Heilborn, Ernst II 290, 360 Heindorf, Ludwig Friedrich I 234; II 391 Heinrich IV., König von Frankreich II 300 Helvetius, Claude Adrian I 156; II 289, 306 Hemsterhuis, Frans I 19, 36, 39, 52; II 37, 85, 93, 120, 159, 191, 212, 259, 265, 336, 343, 362, 480, 488 – Alexis, ou l’âge d’or II 265, 336 Heraklit I 58, 136f.; II 129 Herbart, Johann Friedrich II 503 Herbert, Franz Freiherr von II 401, 499 Herder, Johann Gottfried I 101, 105–107, 109; II 18, 95, 108, 110, 127, 195, 202–204, 207, 390, 429, 432, 458, 480, 523 – Abhandlung über den Ursprung der Sprache II 357 – Älteste Urkunde zur Geschichte der Menschheit II 442 – Humanitätsbriefe II 34, 189, 198, 204 – Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit II 203, 508 – Kritische Wälder II 127 – Über den Einfluß der schönen in die höheren Wissenschaften II 108 – Vermischte Gedanken II 261 – Volkslieder nebst untermischten anderen Schriften II 202 – Vom Geist des Christentums II 390 – Von deutscher Art und Kunst II 472 Herder, Karoline, geb. Flachsland II 427 Herkules I 41; II 461, 474 Hermann; siehe: Arminius Herodot I 47; II 110

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Register

Herschel, Friedrich Wilhelm I 39; II 92, 521 Herz, Henriette II 387, 482, 484, 491, 494 Herz, Marcus II 482, 491 Hesiod I 38; II 91 – Theogonie II 91, 171, 336 Heydenreich, Karl Heinrich I 155; II 287 Hilgard, Theodor II 446, 478 – Meine Erinnerungen II 446, 478 Hindenburg, Carl Friedrich – Novi systematis permutationum combinationum ac variationum primas lineas II 362 Hippel, Theodor Gottlieb von I 13, 237; II 22, 395 – Biographie, zum Theil von ihm selbst verfaßt I 237 Hippokrates II 294, 414 Hirt, Aloys II 126f. – Laokoon II 126f. Hirzel, Hans Caspar – Die Wirthschaft eines philosophischen Bauers II 345 Hobbes, Thomas II 302 Hölderlin, Friedrich II 218, 313, 507 Hogarth, William I 40; II 95f. Holbein, Hans I 40; II 94 Home, Henry Lord Kames I 72; II 142 Homer I 19, 27, 36–38, 47, 86, 103, 116f., 132, 149, 273; II 12, 39, 53f., 62f., 89, 91, 109, 197, 248, 250, 280, 416, 503 – Ilias II 53, 280 – Odyssee II 416 Horaz; eigenlich: Quintus Horatius Flaccus I 20, 37, 51, 103; II 39, 41, 70, 85, 87, 92, 94, 117f., 198, 387 – Ars poetica II 70, 94, 128 – Carmina II 92 Horkel, Johann II 420 Hülsen, August Ludwig I 19, 54f., 91, 119, 121, 191; II 16, 37, 124, 136, 176f., 193, 231, 234, 259, 336f., 390, 405–409, 415, 498, 503–506, 516 – Philosophische Briefe an Hrn. von Briest II 505 – Philosophische Fragmente II 405–409 – Prüfung der Preisfrage, welche Progressen hat die Metaphysik seit Leibniz und Wolf gemacht II 37, 124, 407 – Über den Bildungstrieb II 505 Hülsen, Dorothea, geb. von Posern II 505 Hufeland, Christoph Wilhelm II 403, 499 Hufeland, Gottlieb II 219, 510 – Versuch über den Grundsatz des Naturrechts II 219 Humboldt, Alexander von II 420, 519 – Aphorismen aus der chemischen Physiologie der Pflanzen II 362 – Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser II 519 Humboldt, Wilhelm von II 9, 65, 421 Hutten, Ulrich von II 181 Iaia; siehe: Lala Irene I 58 Iros I 272 Isis I 84, 212

Jacob, Ludwig Heinrich I 155; II 287 Jacobi, Friedrich Heinrich I 36, 64, 83, 97, 112, 203; II 85, 134f., 156, 189, 191, 210, 212, 219f., 350 – Über die Lehre des Spinoza II 134, 513 – Woldemar I 113; II 85, 135, 210, 229 Jacobson, Johann Karl Gottfried – Technologisches Wörterbuch II 362 Jacobus de Voragine – Legenda aurea II 466 Jean Paul; siehe: Richter, Johann Paul Friedrich Jesus Christus I 43, 47, 77, 204, 210, 336; II 84, 110, 123, 126, 281, 307, 408, 466, 472, 498 Johnson, Samuel I 20, 72, 108; II 11, 42, 142, 206 – Biographie und kritische Nachrichten II 42 – Preface to Shakespeare II 206 Jung-Stilling, Johann Heinrich I 62; II 99, 132f. – Heinrich Stillings Jugend II 133 – Heinrich Stillings Alter II 133 Junius Brutus; siehe: Brutus Jupiter I 41; II 449 Just, Caroline II 314, 369 Just, Coelestin August II 263, 293f., 301, 314, 340, 351, 487 Kästner, Abraham Gotthelf II 49 Kalidasa – Sakuntala oder der entscheidende Ring I 104; II 200, 257 Kant, Immanuel I 13, 16, 22, 24, 26, 28, 31f., 43, 45, 53, 55, 59, 71, 105, 107, 110–113, 117–121, 129, 156, 180, 203, 223, 229, 236f., 247, 251, 253f.; II 14, 22, 33, 52f., 55, 57, 60f., 64–66, 69, 73–75, 100, 106, 121f., 125, 129, 137, 155, 167, 201f., 205, 210, 212–221, 228, 230–233, 246, 259, 270, 289, 298, 310, 313, 319f., 323–325, 327, 350, 362, 366, 375–377, 386, 391, 394, 398f., 401, 480, 499, 501, 503, 513, 525 – Anthropologie in pragmatischer Hinsicht II 375–377 – Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen II 402 – Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte II 335, 381 – Grundlegung zur Metaphysik der Sitten II 14, 102, 228 – Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht II 266 – Kritik der praktischen Vernunft I 254; II 233, 402, 444, 507 – Kritik der reinen Vernunft I 66, 119, 237; II 129, 137, 145, 155, 220, 233, 323, 380, 394, 402, 507 – Kritik der Urteilskraft II 75, 80, 132, 161, 201, 233, 379, 402, 507 – Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft II 436, 440 – Metaphysische

Register Anfangsgründe der Tugendlehre II 140 – Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte II 323 – Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik II 399 – Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft II 216, 296, 394 – Zum ewigen Frieden II 168, 216, 302, 304, 308, 336 Kapaneius II 53 Karl, Erzherzog von Österreich und Herzog von Teschen II 485 Karl Eugen, Herzog von Württemberg II 507 Karl Friedrich, Markgraf (später Großherzog) von Baden II 526 Karl XVI. Johann, König von Schweden II 485 Kauffmann, Angelika I 58; II 128 Kepler, Johannes I 92, 94, 213; II 181, 357 Kielmeyer, Carl Friedrich II 420 Kierkegaard, Søren II 6 Kleinjogg; siehe: Gujer, Jakob Kleist, Ewald Georg von II 440 Kleist, Heinrich von II 294 – Die Hermannsschlacht II 181 – Über das Marionettentheater II 323 Klettenberg, Susanne Katharina von II 341 Klopstock, Friedrich Gottlieb I 35, 44, 97, 104, 106, 109–112; II 76, 82f., 102, 181, 189, 199f., 202, 208, 210, 215–217, 219, 480, 512 – Die deutsche Gelehrtenrepublik II 284 – Grammatische Gespräche II 82 – Hermann und Thusnelda II 76 – Mein Vaterland II 76 – Messias I 104; II 200 Körner, Christian Gottfried II 213, 215 Kopernikus, Nikolaus I 45, 81, 155; II 106, 153, 287 Kotzebue, August von I 27, 74; II 50, 64, 100, 147 – Der hyperboräische Esel oder Die heutige Bildung II 50 Kraus, Karl II 6 Krösus I 168; II 309 Krüger, Wilhelm Georg II 398 Krünitz, Johann Georg – Oekonomische Encyclopädie II 437 Kühn, Sophie von I 197; II 259, 315, 342, 347, 351, 488 Kybele I 43; II 101, 183 Lactantius II 308 – Epitome Divinarum Institutionem II 308 Laer, Pieter Bodding van I 41; II 96 Laertius, Diogenes I 235; II 392 Lala (auch: Laia, Iaia) I 58 Lambert, Johann Heinrich I 112; II 106, 220 – Logische und philosophische Abhand-

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lungen I 112; II 220 – Neues Organon II 362 La Mettrie, Julien Offroy de II 325 – L’homme machine II 325 Landauer, Gustav II 294 Laokoon I 57f.; II 28, 127 Lassaulx, Christine von II 450 Lassaulx, Franz von II 525 Lassaulx, Katharina von; siehe: Görres, Katharina Lassaulx, Peter Ernst von II 525 Laura I 67 Lavater, Johann Caspar II 499 Lavoisier, Antoine Laurent de I 300; II 348, 431, 435, 440f., 512 Leberecht, Peter; siehe: Tieck, Ludwig Leibniz, Gottfried Wilhelm I 25, 30, 45, 52f., 61, 64, 66, 113, 117f., 121, 126f., 281; II 58, 63, 65, 69, 106, 120f., 124, 132, 135, 137f., 140, 220, 228, 230, 233, 243, 326, 362, 414, 417, 443, 492, 504 – Monadologie II 63, 80 – Opera philosophica quae exstant II 417 – Principes de la Nature II 137 – Principia Philosophiae I 126; II 243 – Specimen Dynamicum II 132 – Theodizee / Essais de Théodicée I 53; II 58, 63, 121, 132, 346 Lessing, Gotthold Ephraim I 19, 51, 57, 59, 65f., 90, 94, 107, 122, 125, 129, 132f., 138; II 4, 10, 28, 35, 37f., 117, 126, 137, 174, 181, 205, 237, 242, 246, 249f., 254, 355, 388, 458, 473 – Ernst und Falk. Gespräche für Freimäurer I 134; II 251, 298 – Die Erziehung des Menschengeschlechts I 134; II 137, 159, 174, 251, 281 – Hamburgische Dramaturgie II 355 – Laokoon, oder über die Grenzen der Malerei und Poesie I 14, 134; II 28, 127, 130, 251 – Nathan der Weise I 16, 31; II 22, 32, 72, 278, 460 – Das Theater des Herrn Diderot II 387f. Levin, Rahel; siehe: Varnhagen von Ense, Rahel Lichtenberg, Georg Christoph I 294; II 428, 434 Ligne, Karl Joseph Fürst von I 201–203; II 344, 349f. – A mon refuge sur le Leopoldsberg près de Vienne II 350 – Mélanges militaires, littéraires et sentimentaires II 344 Linné, Carl von I 64; II 134, 327 – Systema naturae II 134 Livius, Titus – Ab urbe condita II 458, 471 Locke, John I 156; II 289, 306 Loeben, Otto Heinrich Graf von II 472 – Guido II 472

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Register

Löscher, Carl Immanuel – Uibergangsordnung bei der Kristallisation der Fossilien II 367 Lohenstein, Daniel Casper von – Großmüthiger Feldherr Arminius II 181 Louvet de Couvray, Jean-Baptiste I 77; II 150 – Les Amours du Chevalier de Faublas I 12; II 20, 150 Loys, Charles de I 299 – Abrégé chronologique pour servir à l’histoire de la physique jusqu’à nos jours / Chronologische Geschichte der Naturlehre bis auf unsere Zeiten I 299; II 439 Luc, de; siehe: Deluc Lucanus, Marcus Annaeus I 104; II 200 – Katachthonion II 200 – Pharsalia II 200 – Saturnalia II 200 Lucilius, Gaius I 51; II 117f. Ludwig I., König von Bayern II 294 Ludwig II., König von Bayern II 294 Luise, Königin von Preußen I 157; II 291 Lukrez; eigentlich: Titus Lucretius Carus – Von der Natur II 461 Luther, Martin I 92, 94; II 138, 174, 181, 296 – Kirchenpostille II 296 – Kleiner Katechismus II 138 Lykurg I 169; II 311 Macpherson, James II 143, 200 – The Poems of Ossian and Related Works I 104; II 143, 200 Malebranche, Nicolas I 281; II 417 Mann, Thomas II 6, 294 – Von deutscher Republik II 294 Marcus, Adalbert Friedrich II 510 Maria I 77 Martial; eigentlich: Marcus Valerius Martialis I 38; II 86, 89 Marum, Martin van I 296; II 437 – Over de gephlogistiseerde und gedephlogistiseerde Luchten II 437 Marus II 498 Maxwell, William I 306; II 444 – Medicina magnetica II 444 Medea I 315, 332; II 460f., 473 Medici, die I 148; II 280 Medusa I 315 Mendelssohn, Moses II 482 Menenius Agrippa I 328; II 471 Mengs, Anton Raphael I 40, 57; II 94, 127 Mereau, Sophie, geb. Schubert, wiederverh. Brentanto II 128 Mesmer, Franz Anton II 443 Michaelis, Johann David II 480 Michaelis, Samuel II 448, 452 – Schreiben eines Studirenden !…" an seinen Vater II 448

Michelangelo Buonarotti I 42, 69; II 99, 140, 412 – Das Jüngste Gericht II 99 Miltitz, Dietrich von II 520 Minor, Jacob II 44 Mirabeau, Honoré Gabriel de Riqueti, Marquis de I 19, 77f.; II 38, 151f. Möller II 420 Möser, Justus II 355 – Harlequin II 355 Mohammed II 174 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat II 58, 301 – Mes Pensées II 58 Montgelas, Maximilian Carl Joseph Graf von II 510 Montmort, Pierre Rémond de II 417 Moritz, Karl Philipp I 35, 43, 107; II 83, 101, 205 – ANOU A oder Roms Alterthümer I 43 – Götterlehre oder Mythologische Dichtungen der Alten I 43 Mose II 183 Mozart, Wolfgang Amadeus I 9 – Die ihr des unermesslichen Weltalls Schöpfer ehrt II 467 Müller, Adam II 6, 294 – Elemente der Staatskunst II 294 Müller, Georg II 427 Müller, Johannes von I 39, 42, 46, 83; II 99, 108, 156 – Fragmente aus den Briefen eines jungen Gelehrten II 93 – Die Geschichte der Schweizer Eidgenossenschaft I 39, 46; II 93, 108, 362 Müller, Wenzel – Die Schwestern von Prag II 468 Muilman, Hendrik II 480 Mummius, Lucius I 41; II 97 Murhard, Friedrich – System der Elemente II 377 Musil, Robert II 6 Musschenbroek, Pieter II 440 Mylius, Wilhelm Christhelf Sigmund II 8 Mynster, Jacob Peter II 512 Mynster, Ole Hieronymus II 512 Najaden I 316 Narkissos II 83 Nero II 97 Newton, Sir Isaac I 113, 292, 296, 304; II 221, 326, 365, 428f., 433, 436, 443 Nicolai, Friedrich II 30, 50, 81, 116 – Vertraute Briefe von Adelheid B*** II 50 Nicolaus von Kues; siehe: Cusanus, Nicolaus Niethammer, Friedrich Immanuel I 111; II 213, 215, 218, 220, 313, 401, 481, 488, 499–501, 505, 508–510 Novalis; siehe: Hardenberg, Friedrich von Odin; siehe: Wodan Odysseus I 272; II 416

Register Oehlenschläger, Adam II 516 Oersted, Hans Christian II 425–427, 430, 434, 521–523 Oetinger, Christoph Friedrich II 507 Oken, Lorenz II 510 Oppel, Julius Wilhelm von II 314, 489 Orpheus I 334 Ossian I 104; II 200 Otto, Johann Friedrich Wilhelm I 297; II 438 – Das Öl, ein Mittel, die Wogen des Meeres zu besänftigen I 297; II 438 Ovid; eigentlich: Publius Ovidius Naso I 37, 104, 236; II 83; 85, 89, 200, 465 – Metamorphosen II 23, 200, 393, 465, 473, 477f. Paracelsus I 332; II 460, 473f. Parmenides von Elea I 136f. Paulus II 184 Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob II 494, 510 Perinet, Joachim – Die Schwestern von Prag II 468 Perthes, Friedrich II 528 Pestalozzi, Johann Heinrich II 500, 505 Petrarca, Francesco I 20, 101, 109, 122; II 40, 138, 195, 237f. – Canzoniere II 138 Petronius, Titus (genannt Arbiter) II 86 Pfaff, Christoph Heinrich II 267 Phaeton I 318; II 465 Philoxenos von Kythera II 64 Phryne I 20; II 40 Pindar I 32, 42, 48, 113; II 76, 98 Platner, Ernst II 400, 480, 499 – Neue Anthropologie für Aerzte und Weltweise II 398 – Philosophische Aphorismen II 398, 401 Platon I 15, 26, 36, 38, 50, 56, 59, 81, 83, 85, 98f., 136, 236f., 271; II 29, 61, 82, 85, 90f., 125, 129, 153f., 156, 190, 192, 212, 254, 275, 384, 391–394, 416, 480, 492, 494, 503, 510 – Alkibiades I I 137; II 254 – Apologia II 91, 231 – Charmides I 136f., 236; II 254, 393 – Gorgias I 136; II 254 – Hippias major I 136; II 254 – Ion I 98; II 129, 189 – Kratylos I 136; II 254 – Kritias I 137; II 237, 254 – Laches I 136f.; II 254 – Lysis I 236; II 393 – Menon I 136; II 254 – Phaidon II 156 – Philebos I 136f.; II 254 – Politeia / De re publica / Der Staat I 136f.; II 82, 254, 306, 393 – Sophistes I 237; II 394 – Symposion II 29, 81, 171, 205 – Theaitet I 237; II 395 – Timaios I 137; II 237, 254 Plinius; eigentlich: Gaius Plinius Secundus (d.Ä.) I 58, 133; II 128, 250, 438, 473

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Plotin I 135; II 252, 362, 364f., 367, 411, 413f. – Enneaden II 411 Plutarch II 130 – De gloria Atheniensium II 130, 438 – Vitae parallelae II 31 Pölitz, Karl Heinrich Ludwig I 155; II 287 Polydoros II 28 Ponte, Lorenzo da – Axur, Re d’Ormus II 467 Pope, Alexander I 149; II 280 – Iliad I 149; II 280 – Iliad and Odyssey I 149; II 280 – PEI BAOY oder Die Kunst in der Dichtkunst zu sinken II 35 Praetorius, Johannes II 459, 463, 474 – Anthropodemus plutonicus II 475 – Blockes-Berges Verrichtung II 462 Priestley, Joseph II 435 Properz; eigentlich: Sextus Aurelius Propertius I 42; II 86, 98 Pythagoras I 137; II 254 Quintilian; eigentlich: Marcus Fabius Quintilianus I 133; II 250 – Institutio oratoria II 21 Raffael; eigentlich: Raffaelo Santi I 40, 69, 107; II 95, 140, 205, 412 – Sixtinische Madonna II 356 Rahbek, Knud Lyne II 512 Reichardt, Johann Friedrich II 3f., 6, 39, 45, 118, 481, 514 Reichardt, Johanna; siehe: Steffens, Johanna Reil, Johann Christian II 420 Reimer, Georg Andreas II 211, 494 Reinhold, Karl Leonhard I 15, 105, 110f., 119, 237, 253; II 29, 65, 69, 202, 216–218, 220, 232, 330, 394, 402, 499, 501, 503 Rembrandt Harmenszoon van Rijn I 41, 77; II 96, 150 Richardson, Samuel II 512 – The History of Sir Charles Grandison I 48; II 111 Richelieu, Armand-Jean du Plessis, duc de I 77; II 151 Richter, Jeremias Benjamin II 439f. – Anfangsgründe der Stöchyometrie II 440 Richter, Johann Paul Friedrich (Pseudonym: Jean Paul) I 35, 76, 180; II 81f., 150, 159, 325, 447, 451f., 458, 473 – Blumen, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F.S.Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel I 77; II 150 – Dämmerungen für Deutschland II 466 – Denksprüche aus einer Friedenspredigt II 447 – Das Kampanertal II 269 – Der Komet II 473, 478 – Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch II 474 – Titan II 474 – Der Traum des Wahnsinnigen II 453 – Vorschule der Ästhetik II 452

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Register

Rist, Johann Georg II 503, 513 – Lebenserinnerungen II 503 Ritter, Dorothea Catharina, geb. Münchgesang II 523 Ritter, Johann Wilhelm II 66, 129, 133f., 141, 164, 284, 345, 379, 420, 425–444, 489, 498, 509, 514, 519–524 – Beweis, daß ein beständiger Galvanismus den Lebensproceß begleite II 519 – Beyträge zur näheren Kenntnis des Galvanismus II 523 – Das elektrische System der Körper II 522 – Elektrische Versuche an der Mimosa pudica II 524 – Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers II 425–444 – Funken II 425 – Nachricht von der Fortsetzung seiner Versuche II 436 – Physisch-chemische Abhandlungen in chronologischer Folge II 427 – Physik als Kunst II 523 – Über den Galvanismus II 519 Rivarol, Antoine de II 401 Robespierre, Maximilian de I 77; II 151 Rochefoucauld, François de La II 58 Rockenthien, Johann Rudolf von II 488 Röschlaub, Andreas II 267, 510 – Untersuchungen über Pathogenie II 362 Rollenhagen, Georg – Der Froschmäuseler II 304 Rosa, Salvator I 41; II 97 Rothe, Tyge II 512 Rouget de Lisle, Claude Joseph I 44; II 102 – Marseillaise / Chant de guerre pour l’armée du Rhin I 44; II 102 Rousseau, Jean-Jacques I 19, 36, 42, 76, 83, 109, 127, 133, 135, 246, 251; II 19, 38, 84, 99, 102, 150, 156f., 208, 244, 250, 252, 306, 349, 398, 401, 507 – Confessions II 99, 402 – Diskurs über die Ungleichheit II 145 – Du Contrat social II 102 – Émile ou de l’éducation II 347, 401 – Julie ou La nouvelle Héloise II 150 Rubens, Peter Paul I 40; II 95 Ruhnken, David I 122; II 238 Rumohr, Karl Friedrich Ludwig Felix von II 516 Sachs, Hans I 92, 316; II 458, 462 – Das Narrenschneiden II 462 – Das Schlauraffenland II 470 Sack, Friedrich Samuel Gottfried II 491–493 Salieri, Antonio – Axur, Re d’Ormus II 467 Sallust; eigentlich: Gaius Sallustius Crispus I 37; II 86f. – De Catilinae coniuratione II 87 Salmasius, Claudius (Claude de Saumaise) I 122; II 238

Sappho I 20; II 40f. Saulus I 335 Schadow, Johann Gottfried I 164; II 306 – Kronprinzessin Luise und Prinzessin Friederike von Preußen II 306 Scharnhorst, Gerhard von II 517 Scheibel, Johann Gottfried II 518 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph I 31, 56, 111, 115, 118f., 191, 286; II 66, 73f., 126, 163f., 176, 193, 218, 223–225, 229–231, 259, 267, 336, 343, 378, 406, 409, 411–417, 420, 424, 427, 436, 483f., 488f., 498, 504, 507–511, 513f., 524 – Allgemeine Übersicht der neuesten philosophischen Literatur II 224, 508 – Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie II 411–417, 510 – Aphorismen über die Naturphilosophie II 510 – Bruno oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge II 510 – Darlegung des wahren Verhältnisses der Naturphilosophie zur verbesserten Fichteschen Lehre II 510f. – Darstellung meines Systems der Philosophie II 510 – De Marcione Paullinarum epistolarum emendatore II 508 – Erster Entwurf zu einem System der Naturphilosophie II 509 – Fernere Darstellung aus dem System der Philosophie II 417 – Ideen zu einer Philosophie der Natur II 508 – Philosophie der Kunst II 510 – Philosophie der Religion II 510 – Philosophie der Weltalter II 511 – Philosophische Briefe über Dogmatismus und Kritizismus II 66, 269 – Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit II 511 – System der gesamten Philosophie und der Naturphilosophie insbesondere II 510 – System des transzendentalen Idealismus II 509f. – Über das höchste Gut II 28 – Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie II 508 – Vom Ich als Prinzip der Philosophie II 218, 230, 265, 323, 406, 508 – Von der Weltseele II 378, 508 – Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums I 276; II 510 Schelling, Joseph Friedrich II 507 Schelling, Karl E. II 414, 420, 524 Schelling, Pauline, geb. Gotter II 511 Scherer, Alexander Nikolaus II 520 Schiller, Charlotte von, geb. von Lengefeld II 49 Schiller, Friedrich von I 104–109, 112; II 4, 9, 15, 19, 48f., 62, 65, 111f., 126, 134, 165, 167, 200–206, 208, 219f., 386, 480f., 487, 499, 509f., 520, 523 – Etwas über

Register die erste Menschengesellschaft II 323 – Kallias-Briefe II 272 – Die Räuber II 285, 507 – Über die ästhetische Erziehung des Menschen II 273, 306 – Über Anmuth und Würde II 167, 306 – Über naive und sentimentalische Dichtung II 17, 19, 62, 111f., 190, 203 – Der Verbrecher aus verlorener Ehre II 134 – Das verschleierte Bild zu Sais II 161 – Xenien I 230 Schimmelmann, Ernst Heinrich Graf von II 513, 516 Schlegel, August Wilhelm I 22–24, 26–28, 31f., 34–36, 39–44, 46, 48f., 51f., 57f., 71, 74; II 4–6, 17, 24, 27, 30–34, 39, 44, 46–55, 60, 63–65, 67, 69, 75, 77, 81–85, 87f., 92–102, 105, 107f., 111–113, 116, 118–120, 126–128, 135, 138–141, 144, 158–160, 188, 190, 210f., 213, 238f., 250, 259–262, 264, 279, 287, 291, 330, 336, 359, 362, 370, 407, 479–486, 489, 498, 504f., 508–510, 514 – Beseitigung einiger Mißdeutungen II 486 – Briefe über Poesie, Silbenmaß und Sprache II 190 – Ehrenpforte und Triumphbogen für den Theater-Präsidenten von Kotzebue II 50 – Etwas über William Shakespeare bei Gelegenheit Wilhelm Meisters II 190 – Über schöne Literatur und Kunst II 484 – Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur II 188, 485 – Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst II 238f. Schlegel, Carl August II 479 Schlegel, Charlotte; siehe: Ernst, Charlotte Schlegel, Dorothea Friederike, geb. Brendel Mendelssohn, verh. Veit II 5, 20, 133, 141, 158, 177, 482–486, 509 – Florentin II 484 Schlegel, Friedrich I 142–145, 191, 206; II 4–257, 259–266, 268f., 271–273, 275–278, 280f., 284–286, 290–294, 297f., 302–304, 308, 310, 314–316, 321, 323f., 327, 332, 334, 336–338, 342–345, 347f., 354–358, 360f., 365, 367f., 370, 383–385, 387, 391, 393, 398f., 407–409, 414f., 479–489, 491–493, 498f., 503–505, 508f., 514, 520, 525 – Alarcos II 484 – ‚Athenäums‘-Fragmente I 136f., 196f., 209; II 3, 6–7, 44–157, 163, 187, 212f., 253f., 268, 345, 383–385, 399, 503 – Brief über den Roman II 8, 16, 105, 112, 150 – Caesar und Alexander II 143 – Charakteristiken und Kritiken II 3 – Eisenfeile II 3, 44 – Epitafios des Lysias II 240 – Etwas das Lessing gesagt hat II 174 – Fragmente zur Litte-

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ratur und Poesie II 186f. – FragmentFragmente II 235–257, 355 – Geist der Fichteschen Wissenschaftslehre II 209, 214 – Georg Forster II 192, 212 – Geschichte der alten und neueren Literatur II 485 – Gespräch über die Poesie II 17, 23, 135, 222, 271, 297 – Die Griechen und die Römer II 481 – Ideen II 158–185, 254, 262, 265, 296 – Jacobis Woldemar II 79 – Kant II 209 – Kritik der Philosophie II 209, 213 – Lessings Gedanken und Meinungen II 15f., 33, 143, 154, 192, 250, 255 – Lucinde I 125, 234–236; II 41, 50, 59, 67, 141, 145, 179, 184f., 242, 297, 384, 462 – ‚Lyceums‘Fragmente II 3–44, 46, 50f., 162f., 187, 212f., 262, 356, 385, 399, 503 – Philosophie der Geschichte II 486 – Philosophie des Lebens II 486 – Philosophie der Sprache und des Worts II 486 – Philosophische Lehrjahre II 209–234, 255, 332 – Rede über die Mythologie II 171, 275 – Über die Diotima II 278, 356 – Über Goethes Meister II 17, 22, 40f., 78, 93, 145, 153, 260, 353 – Über Lessing I 137; II 3–5, 19, 22, 27f., 133, 192, 254, 309 – Über die neuere Geschichte II 485 – Über die Philosophie. An Dorothea II 107 – Über den Republikanismus II 28, 304, 481 – Über die Sprache und Weisheit der Indier II 257, 485 – Über das Studium der griechischen Poesie I 9, 139; II 8, 10, 20, 34, 277, 327, 481 – Über die Unverständlichkeit II 6, 103, 151 – Von den Schulen der griechischen Poesie II 59, 112, 481 – Vom ästhetischen Werte der griechischen Komödie II 12 – Von der Schönheit in der Dichtkunst II 117 Schlegel, Johann Adolf II 75, 479 Schlegel, Johann Elias II 32, 479 – Hermann II 181 Schlegel, Johanna Christiane Erdmuthe II 479 Schlegel-Schelling, Caroline, geb. Michaelis, verw. Böhmer II 5, 20, 41, 46, 48f., 93, 95, 99, 118, 123, 127, 179f., 212, 240f., 262f., 293, 480, 484, 489, 510f., 519 Schleiermacher, Anne Maria Luise (genannt Nanny) siehe: Arndt, Anne Maria Luise Schleiermacher, Charlotte II 482f., 490, 492f., 496 Schleiermacher, Christiane Caroline, geb. Kühn II 491 Schleiermacher, Elisabeth Maria Katharina II 490 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst I 25f., 30, 53, 60f., 63–70, 74, 80, 116, 119,

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Register

124, 134, 137; II 5, 9, 11f., 14–16, 19–24, 26f., 29, 34–36, 40, 42, 44–47, 51, 53, 55, 58–63, 67f., 70f., 73, 79–81, 90, 94, 98, 100, 102, 110, 119, 121, 131–134, 136–141, 144–148, 153, 158f., 162–164, 178f., 185, 211, 222, 229, 231, 237, 241, 254, 323, 367f., 383–395, 422, 482, 490–498, 505, 516 – Briefe bei Gelegenheit der politisch theologischen Aufgabe II 492 – Briefwechsel mit Friedrich Christian Heinrich Schwarz II 391 – Der christliche Glaube II 148, 496 – Immoralität der Moral II 140 – Gedanken II II 383f. – Gedanken III II 383–395 – Gedanken IV II 383 – Gedanken V II 383 – Gedanken VI II 383, 385 – Gelegentliche Gedanken über Universitäten II 495 – Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre II 391, 494 – Kurze Darstellung des Spinozistischen Systems II 491 – Leibniz I II 27, 121, 131f., 137f. – Monologen II 384f., 492 – Ueber den Begriff der Hermeneutik II 69 – Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern I 84, 92f., 95; II 159f., 163, 178, 181, 282, 492f. – Ueber den Styl II 392 – Vermischte Gedanken und Einfälle II 383f. – Versuch einer Theorie des geselligen Betragens II 152 – Vertraute Briefe über Friedrich Schlegels Lucinde II 384, 391, 393, 492 – Die Weihnachtsfeier II 494 – Zwei unvorgreifliche Gutachten in Sachen des protestantischen Kirchenwesens II 494 Schleiermacher, Gottlieb Adolf II 490 Schleiermacher, Henriette, verw. von Willich II 495f. Schleiermacher, Johann Carl II 490, 496 Schmid, Carl Christian Erhard II 73, 131, 222, 499 Schocher, Christian Gotthold – Soll die Rede auf immer ein dunkler Gesang bleiben? II 362 Schreiber, Aloys II 449 – Comoedia Divina mit drei Vorreden II 449, 453 Schubart, Christian Friedrich Daniel II 507 Schubert, Gotthilf Heinrich II 444, 510 Schulze, Gottlob Ernst II 417 – Aphorismen über das Absolute, als das alleinige Princip der wahren Philosophie I 278; II 417 – Kritik der theoretischen Philosophie II 417 Schumann, Johann Lorenz II 491 Seneca, Lucius Annaeus II 86 Shaftesbury, Anthony Ashley-Cooper, 3rd Earl of I 14

Shakespeare, William I 13, 20f., 24, 43, 49f., 55, 71, 97, 100f., 103f., 106–109, 118, 231f., 309; II 8, 13, 21, 23, 41f., 55, 114–116, 125, 182, 188, 194f., 198f., 204, 206, 208, 259, 388f., 458, 484 – Hamlet I 231; II 126, 389 – King Henry the Fourth II 478 – King Lear II 468 – Measure for Measure / Maß für Maß I 231; II 388 – A Midsummer Night’s Dream / Ein Sommernachtstraum I 100; II 23 – Romeo and Juliet / Romeo und Julia I 101; II 195 – Twelfth Night or What you will / Was ihr wollt I 24, 232; II 55, 63, 68, 100, 389 Simonides von Keos I 59; II 130 Simson I 44; II 102 Smith, Adam II 306 Sömmerring, Samuel Thomas II 270 – Über das Organ der Seele II 270 Sofie; siehe: Kühn, Sophie von Sokrates I 10, 18, 21, 31, 38, 54f., 107, 120, 137, 259; II 15, 21, 37f., 42, 73, 90f., 119, 124, 205, 232, 400, 504 Solger, Karl Wilhelm Friedrich II 6 Solmasius; siehe: Salmasius Solon I 21, 169; II 42, 311 Sonnenfels, Joseph Freiherr von II 400 Sophokles I 21, 58, 100, 103, 107, II 42, 128, 194, 197 Spallanzani, Lazzaro II 443 Spinoza, Baruch de I 47, 52, 55, 64, 83, 94f., 99, 112, 118, 121, 127, 135, 219, 229; II 110, 120, 125, 135, 157, 159, 182, 184, 191f., 212, 220, 229–231, 233, 244, 252, 337, 369f., 386, 480, 491, 493, 507, 513 – Ethica II 369 Sprengel, Kurt – Versuch einer pragmatischen Geschichte der Arzneikunde II 362 Staël, Anne Louise Germaine de, geb. Necker II 484f. – Corinne II 484 Stark, Johann Christian (d.Ä.) II 488 Statius, Publius Papinius I 104; II 200 Steen, Jan I 41; II 97 Steffens, Henrich II 419–424, 481, 494, 509f., 512–518, 520 – Anthropologie II 517 – Beyträge zur innern Naturgeschichte der Erde II 514 – Caricaturen des Heiligsten II 517 – Christliche Religionsphilosophie II 518 – Die Familien Walseth und Leith II 518 – Die vier Norweger II 518 – Die gegenwärtige Zeit II 517 – Grundzüge der philosophischen Naturwissenschaft II 419–424, 516 – Malkolm II 518 – Turnziel II 517 – Über Deutschlands protestanische Universitäten II 517 – Über Mineralogie II 513 – Über den Oxydations- und Des-

Register oxydations-Process der Erde II 514 – Vollständiges Handbuch der Oryktognosie II 517 – Von der falschen Theologie II 518 – Was ich erlebte II 512f. – Wie ich wieder Lutheraner wurde II 518 Steffens, Hinrich II 512 Steffens, Johanna, geb. Reichardt II 516, 518 Steffens, Klara II 518 Steffens, Susanna, geb. Bang II 512 Sthenelos I 22; II 53 Stilling; siehe: Jung-Stilling Stock, Johanna Dorothea II 49 Stolberg, Friedrich Leopold II 76 – Lied eines deutschen Knaben II 76 – Mein Vaterland, an Klopstock II 76 Strabo – Geographica II 96 Stubenrauch, Ernst II 490f. Suckow, Georg Adolf – Anfangsgründe der ökonomischen und technischen Chemie II 362 Sueton; eigentlich: Gaius Tranquillus Suetonius I 37f.; II 86f., 92, 143 – De viribus illustribus II 87 – De vita Caesarum II 87, 97, 130, 143 Süvern, Johann Wilhelm I 234; II 391 – Über Schillers Wallenstein II 391 Sulla, Lucius Cornelius I 106; II 203 Sulzer, Johann Georg I 102, 107; II 196f., 205 Swieten, Gerard van I 306; II 443 Swinden, Jan Hendrik van – Recueil de Mémoire sur l’Analogie de l’Électricité et du Magnétisme I 306; II 443f. Tacitus, Publius Cornelius I 37f., 45, 47; II 86, 88, 92, 104f., 110, 498 – Agricola I 37; II 88 Tasso, Torquato I 15, 108f. – La Gerusalemme Liberata / Das befreite Jerusalem I 108; II 31, 82, 207 Tennemann, Wilhelm Gottlieb – System der Platonischen Philosophie II 362 Thaden, Nicolaus von II 516 Theophrast von Eresos I 199; II 348 Thibaut, Anton Friedrich Justus II 526 Thierist, Paul Emil II 49 Thomasius, Christian I 11; II 17 Thor (Donar) I 318; II 465 Thrasyllos II 393 Thucydides I 45; II 104, 498 Thümmel, Wilhelmine von II 136 Tibull; eigentlich: Albius Tibullus II 86, 98 Tieck, Amalie II 483 Tieck, Ludwig (Pseudonym: Peter Leberecht) I 35, 56, 76, 130; II 6, 21, 81f., 126, 237, 247, 263, 293, 343, 360, 456, 482f., 489, 509, 514 – Der gestiefelte Kater I 56; II 81, 126, 290 – Franz

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Sternbalds Wanderungen I 76; II 149 – Die Geschichte des Herrn William Lovell I 75f.; II 148f. – Prinz Zerbino oder die Reise nach dem guten Geschmack I 135; II 253 – Ritter Blaubart II 81 – Volksmärchen II 81 Tiedemann, Dietrich II 366f., 372, 378 – Geist der spekulativen Philosophie II 275, 362, 364f., 370 Timarete I 58 Tizian; eigentlich: Tiziano Vecellio I 69 Treviranus, Gottfried Reinhold II 420 Troxler, Ignaz Paul Vitalis II 420, 510 Uhland, Ludwig – Der schwarze Ritter II 469 Vahl, Martin II 513 Varnhagen von Ense, Rahel, geb. Levin II 293, 484 Varro, Marcus Terentius I 133; II 237, 250 Varus, Publius Quinctilius II 181 Veit, Jonas (Johannes) II 482, 486 Veit, Philipp II 482 Veit, Simon II 482 Vergil; eigentlich: Publius Vergilius Maro – Aeneis II 28, 39, 85 – Eklogen II 458–460, 472 Vogler, Georg Joseph („Abbé“) I 40; II 94 Voigt, Christian Gottlob II 509 Voigt, Johann Heinrich II 519 Volta, Alessandro I 305; II 368, 521 Voltaire; eigentlich: François-Marie Arouet I 59, 69, 103, 110, 133, 201, 203; II 130, 140, 191, 198, 216f., 250, 349f. – Candide ou l’optimisme / Candide oder der Optimismus I 69; II 140 Voß, Johann Heinrich (d.Ä.) I 19, 51, 104f.; II 6, 9, 20, 39, 53, 146, 199, 201, 446, 448, 450–452, 468, 526f. – Ilias und Odyssee I 19; II 39 – Luise. Ein ländliches Gedicht in drei Idyllen I 19, 51; II 39, 116 – Odüßee I 19 Voß, Johann Heinrich (d.J.) II 450, 526 Wackenroder, Wilhelm Heinrich II 149 – Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders I 76; II 149 – Über die Kinderfiguren auf den Raffaelschen Bildern II 276 Wagner, Johann Jakob II 397, 500 Weinbrenner, Friedrich II 526 Werff, Adrian van der I 107; II 205 Werner, Abraham Gottlob II 361f., 420, 488f., 512, 514 Wiegleb, Johann Christian II 488 Wieland, Christoph Martin I 51, 113, 180; II 54, 113, 118, 154, 220, 263, 325, 347,

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Register

349, 458 – Agathon II 309 – Dschinnistan oder auserlesene Feen- und Geistermärchen II 358 – Enthusiasmus und Schwärmerei II 401 – Das Geheimnis des Kosmopolitenordens II 278 – Der Goldene Spiegel oder die Könige von Scheschian II 53, 154, 300 – Hermann II 181 – Musarion II 40 – Oberon II 464 Wienhold, Arnold I 305; II 443 Willich, Henriette von; siehe Schleiermacher, Henriette Willich, Johann Ehrenfried Theodor von II 494f. Winckelmann, Johann Joachim I 37, 52, 57f., 91, 94, 107, 122, 129, 271; II 87f., 110, 120, 126f., 175, 177, 181, 191, 205, 237, 246, 416 – Gedanken über die Nachahmung griechischer Werke II 40, 127, 188 – Sendschreiben über die Gedanken von der Nachahmung II 96 Windischmann, Carl Joseph Hieronymus II 209, 411, 510, 524

Winterl, Johann Jakob II 420 Witte, Samuel Simon I 240; II 400 – Ueber den Ursprung der Pyramiden II 400 Wodan (Odin) I 94, 318; II 181, 465 Wolf, Friedrich August I 122, 133; II 237f., 250, 420, 491, 499, 503 – Prolegomena ad Homerum I 133; II 238, 250 Wolff, Christian I 30; II 69, 196, 504 – Vernünfftige Gedancken von Gott II 362 Woltmann, Karl Ludwig I 105; II 201 – Theoderich, König der Ostgoten II 201 Wolzogen, Caroline von, geb. von Lengefeld II 139 – Agnes von Lilien II 48 Xenokrates II 153 Xenophon I 38; II 90 – Anabasis I 38; II 90 – Memorabilia I 38; II 90 Zarathustra II 357 Zimmer, Johann Georg II 445