Formale und informale Politik: Wandlungen des Legislativ-Exekutiv-Verhältnisses am Beispiel der parlamentarischen Kontrollfunktion im amerikanischen Regierungssystem [1 ed.] 9783428504374, 9783428104376

Legislative und Exekutive im amerikanischen Regierungssystem haben im Zuge der Ausweitung der Staatstätigkeit ein breite

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Formale und informale Politik: Wandlungen des Legislativ-Exekutiv-Verhältnisses am Beispiel der parlamentarischen Kontrollfunktion im amerikanischen Regierungssystem [1 ed.]
 9783428504374, 9783428104376

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MAJID SATTAR

Formale und informale Politik

Ordo Politicus Veröffentlichungen des Arnold-Bergstraesser-Instituts, Freiburg i. Br.

Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h. c. Dieter Oberndörfer Band 36

Formale und informale Politik Wandlungen des Legislativ-Exekutiv-Verhältnisses am Beispiel der parlamentarischen Kontrollfunktion im amerikanischen Regierungssystem

Von

Majid Sattar

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Sattar, Majid: Formale und informale Politik : Wandlungen des LegislativExekutiv-Verhältnisses am Beispiel der parlamentarischen Kontrollfunktion im amerikanischen Regierungssystem I Majid Sattar. - Berlin: Duncker und Humblot, 2001 (Ordo politicus ; Bd. 36) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10437-4

D25 Alle Rechte vorbehalten

© 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübemahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0474-3385 ISBN 3-428-10437-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @

Vorwort Themen, die der Zeitgeist an die Oberfläche spült, müssen für die Wissenschaft keine Relevanz besitzen. Mitunter aber widersprechen sich Relevanz und Aktualität nicht. Dies trifft zu auf das Phänomen informaler Politik und seine verfassungsrechtliche Bearbeitung, die Gegenstand der vorliegenden Studie sind. Zu Beginn des Jahres 2000 veranlaßte die CDU-Spendenaffäre Journalisten und Politikwissenschaftler in Deutschland, die informale Regierungsweise im sogenannten System Kohl unter die Lupe zu nehmen. Zum Jahresende offenbarte der Fall George W. Bush v. Al Gore in den USA eine rechtswissenschaftliche Kontroverse über die Methodik des richterlichen Prüfungsrechtes. Um beide Fälle geht es im folgenden nicht. Um die dahinterliegende Problematik aber durchaus. Der eigentliche Anlaß ist profanerer Natur und geht zurück auf ein Tennismatch im Jahre 1995. "Sagt Ihnen der Name Chadha etwas", fragte mich Wolfgang Welz, seinerzeit Assistent am Seminar für Wissenschaftliche Politik der Universität Freiburg, im Anschluß an die Partie und vielleicht als höfliche Ablenkung von meiner sportlichen Niederlage. Damals sagte mir der Name nichts, doch er sollte mich die nächsten fünf Jahre begleiten. Er steht für einen Fall des Obersten Gerichtshofs der USA, der im Mittelpunkt meiner Magisterarbeit und der Dissertation steht, mit der ich im Sommer 2000 an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg promoviert wurde und die diesem Buch zugrunde liegt. Neben meinem damaligen Tennispartner haben andere zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen: Da waren Britta Domke, die die undankbare Korrekturaufgabe auf sich genommen hat, William Popp und Christoph Haas, auf deren lexikalisches Wissen und analytisches Verständnis ich stets zurückgreifen konnte, und mein Doktorvater, Professor Wolfgang Jäger, der diese Arbeit trotz seiner Tätigkeit als Universitätsrektor betreut hat. Da war zudem meine Mutter, die sich um die Grundlage einer jeden Forschungsarbeit gekümmert hat: das liebe Geld. Schließlich war da Professor Louis Fisher vom Congressional Research Service (CRS) in Washington, von dessen akademischer Hilfsbereitschaft und uneitlem Selbstverständnis ich in hohem Maße profitiert habe. Als Kongreßpraktikant klopfte ich einmal an die Tür seines für hiesige Standards bescheidenen Büros - in der Hoffnung, dem führenden Experten auf diesem Gebiet einige kurze Fragen stellen zu dürfen. Daraus entwickelten sich stundenlange Interviews, die Möglichkeit, sein Privatarchiv zu nutzen, ein späteres Praktikum beim CRS und auch Gespräche über eines seiner vielen Hobbys - Tennis. Manchmal schließen sich Kreise. Frankfurt am Main, im Winter 2000

Majid Sattar

Inhaltsverzeichnis TeilA Theoretischer Rahmen I. Einführung ..... 1. Problem- und Fragestellung . . . . ..... 2. Vorgehensweise und Eingrenzung des Themas .... . 3. Forschungsstand und Literaturlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Form der Politik im Spiegel der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gewaltenteilungsurteile und ihr Entstehungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gewaltenteilungsdoktrin auf dem Prüfstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Literatur- und Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . li. Regierungssystem und Formalisierungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Indikatoren der Formalisierung . . . .. 2. Funktionen formaler und informaler Politik .... a) Abstimmungs- und Aushandlungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konfigurationsfunktion ... c) Ausschließungsfunktion . . d) Koalitionsfunktion III. Begriffsklärung: Kontrolle und Kontrollgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Parlamentarische Kontrolle 2. Exekutive und exekutives Handeln ...... a) Struktur der Exektutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Formales und informales exekutives Handeln IV. Funktionen und Formen parlamentarischer Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ralunenbedingungen parlamentarischer Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Institutionelles Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive....... . ....... b) Parteipolitik als Einflußfaktor im Legislativ-Exekutiv-Verhältnis . . . . . . . . . . . . 2. Funktionen parlamentarischer Kontrolle a) Kontrolle als Konflikt . . ... b) Kontrolle als Kooperation 3. Formen der parlamentarischen Kontrolle . a) Formale Kontrollen ... . . . aa) Legislatives Veto .... bb) Anhörungen und Untersuchungen . . . . . . . . . . . .. . . . .. . .. . .. .. . . . .. . .. .. . . cc) Vorladungen ...... . . . ... .. .... dd) Berichte und Ankündigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Fallarbeit . .... ff) Generalinspekteur ...... gg) Unterstützungsarbeit durch Parlamentsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 00

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Inhaltsverzeichnis hh) Bestätigung des politischen Personals und Amtsenthebung . . . . . . . . . . . . 90 ii) Finanzkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 b) Informale Kontrollen .. .. . .. .. .. .. .. .. . .. .. .. . . .. . .. . .. .. .. . .. .. .. .. .. ... .. .. .. 93 Teil B

Qualitative Untersuchung I. Formaler Kontrollsektor . . .. .. . . . . . . . . . .. . . .. . . .. .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Legislative Vetos in gesetzlicher Form . . . . . .. .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . 2. Redelegation - legislative Gegenmaßnahme mit politischen Kosten . . . . . . . . . . . . . . 3. Allianz gegen die Zentralisierung der regulativen Politik- die Eingrenzung des administrativen Entscheidungsspielraumes ......... . .................... . . . .... . . . 4. Das tine-itern veto-parlamentarische Abdankung oder der zeitweilige Siegeszug der Haushaltskonsolidierer ...................................................... . . 5. Policy-Vorgaben und Ausschußvetos bei Bewilligungsgesetzen ........ . . . ....... 6. Terminierte Rechtsnormen und Autorisierungsgrenzen .. .... ... ... . . . . . . . . .. .. ... 7. Policy-Vorgaben durch Personalbestätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Informaler Kontrollsektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Geschäftsordnungsnormen und deren flexible Handhabung .............. . ...... . 2. Politische Steuerung über Ausschußberichte ....... . . . .................. . . . ....... 3. Legislative Beeinflussung verwaltungsinterner Richtlinien ...................... . 4. Informale schriftliche Vereinbarungen ............. . ......... . .......... . ......... 5. Mündliche Empfehlungen und Absprachen .................... .. ............ ..... 6. Von der Informalisierung zur "lnformellisierung"? Die Folgen des präsidentiellen tine-itern vetound seines Scheiteros ................ .. .... ...... . ...... .... .. .. .... III. Wandlungen der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen ... ... ................... . ........ I. Handlungsänderungen einzelner Akteure .. .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . .. . .. . .. . . . . . a) Kongreß . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Regierung ............. . . . . . .......... . ........................ . . ............. . c) Verwaltung ..... . ........ . ...................... . . .. ........................ ... 2. Informalisierungsvorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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TeilC

Auswirkungen der Informalisierung auf das politische System der USA I. Interorgan-Perspektive ..... . . . . .. . . . . ..... . ............ . . . ... ......... . ....... . ...... . I. Legislative und Exekutive . . . . . . . . .. .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . a) Networking und Micromanagement: Kongreß und Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . b) Redelegation oder Deregulierung: Kongreß und Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Judikative und das Legislativ-Exekutiv-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Intraorgan-Perspektive: die Exekutive ................. . .................... . ..... . . . . I. Erschwerung verwaltungsinterner Kontrolle und Politikabstimmung . . . . . . . . . . . . . 2. Verstärkung des Dualismus zwischen Regierung und Verwaltung . . . ..... . .... . . . III. Gesellschaftliche Konsequenzen: Komplizierung demokratischer Kontrolle und Probleme für das Interessenvermittlungssystem ............ ..... ........................

186 186 186 193 197 207 207 210 215

Inhaltsverzeichnis

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Zusammenfassung und Schlußbetrachtung I. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 li. Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Personelle Ausstattung des Kongresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Tabelle 2: Kontrolltätigkeit der Kongreßausschüsse als Anteil ihrer Gesamtarbeitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Tabelle 3: Vereinte und geteilte Regierungsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Tabelle 4: Einsatz legislativer Vetos bei regulativen Gesetzen (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . .

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Tabelle 5: Häufigkeit legislativer Vetos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Tabelle 6: Beschäftigungszahlen der Parlamentsbehörden 1966- 1995 . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Tabelle 7: Häufigkeit des Einsatzes formaler und informaler Kontrollformen . . . . . . . . . . .

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Tabelle 8: Effektivität der formalen und informalen Kontrollformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Tabelle 9: Wirkung gesetzlicher Formen des legislativen Vetos ....... . ........ . ........ 104 Tabelle 10: Möglichkeiten und Grenzen des line-item veto (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

Abkürzungsverzeichnis AAPSS APA BICA CAA CBO CFO CLO CORA CPSC CQ CR CRS D D.C. DÖV DVBI. DVPW E.O. EOP EPA FDA FDAMA FLPA FTC FY GAC GAO GG GOC GPO GPRA GRHA GRO H. J. Res.

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American Academy of Political and Social Seiences (Federal) Administrative Procerlure Act Budget and Impoundment Control Act Clean Air Act Congressional Budget Office Chief Financial Officer Congressional Liason Office Congressional Office of Regulatory Analysis Consumer Product Safety Commission Congressional Quarterly Congressional Record Congressional Research Service Demokrat District of Columbia Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft Executive Order Executive Office of the President Environmental Protection Agency Food and Drug Administration Food and Drug Administration Modemization Act Federal Land Policy Act Federal Trade Commission Fiscal Year (Senate) Govemmental Affairs Committee General Accounting Office Grundgesetz (House) Govemment Operations Committee Govemment Printing Office Govemment Performance and Results Act Gramm-Rudmann-Hollings Act Committee on Govemment Reform and Oversight House Joint Resolution House of Representatives House Report House Unamerican Activities Committee Housing and Urban Development Immigration and Naturalization Service Joint Committee on the Organization of Congress

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Abkürzungsverzeichnis Lobbying Disdosure Act Library of Congress Legislative Reorganization Act National Administrative Policy Association National Aeronautics and Space Administration New York State Office of Congressional Relations Office of Information and Regulatory Affairs Office of Management and Budget Occupational Safety and Health Administration Public Law Politische Vierteljahresschrift Republikaner Regulatory Impact Analysis Senate Small Business Regulatory Enforcement Fairness Act Senate Joint Resolution Senate Report Toxic Substances Control Act United States of America Veterans Affairs Verwaltungsarchiv White House Office Zeitschrift für Parlamentsfragen

Teil A

Theoretischer Rahmen I. Einführung 1. Problem- und Fragestellung

Die Politikwissenschaft ist immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, ihre Erkenntnisse hätten wenig mit der politischen Wirklichkeit zu tun. Die Anschuldigung zielt nicht auf erkenntnistheoretische Fragen. Es geht schlicht um die Behauptung, die Wissenschaft von der Politik sei abgehoben, abstrakt und mithin praxisfem. Wenngleich der Vorwurf häufig pauschal geäußert wird und zuweilen auch ohne Kenntnisse über die eigentliche Fachdisziplin, bleibt doch selbstkritisch festzustellen, daß sich die Politikwissenschaft in Deutschland, respektive die Teildisziplin der Regierungs- und politischen Systemlehre, zwar mit vielen Aspekten differenziert und tiefgründig beschäftigt. Allein die praktischen Seiten des Regierens spielen dabei oftmals eine untergeordnete Rolle. Gründe für diesen Mangel sind vor allem in der Geschichte der Disziplin zu suchen. Die sogenannte politische Wirklichkeit wurde von seiten der vergleichenden Regierungslehre lange Zeit ausschließlich normativ-institutionell zu erklären versucht. Als das verengte Blickfeld offenbar wurde, da eine reine Institutionenkunde politische und gesellschaftliche Wandlungen nicht zu erklären vermochte, machten sich Pioniere einer sich nunmehr vergleichende politische Systemlehre nennenden Unterdisziplin daran, nach struktural-funktionalen Zusammenhängen zu suchen, um den Fokus des Blickes auszuweiten und die Statik des Denkens zu überwinden. 1 Mit der Modemisierung der Disziplin ging jedoch eine Entwicklung einher, die dem Fach eben den Ruf eingebracht hat, einen Abstraktionsgrad erreicht zu haben, der die praktischen Probleme des Regierens gänzlich außer acht läßt. 2 Hatte die alte Institutionenkunde ihre Disziplin mit zeithistorisch-personalistischen Betrachtungen angereichert, um sie mit Leben zu füllen, so konnte die Sy1 V gl. zur Entwicklung der vergleichenden Regierungslehre exemplarisch Klaus von Beyme, Der Vergleich in der Politikwissenschaft, München/Zürich 1988, S. 50-87. 2 V gl. Göttrik Wewer, Spielregeln, Netzwerke, Entscheidungen- auf der Suche nach der anderen Seite des Regierens; in: Hans-Hermann Hartwich/Göttrik Wewer (Hg.), Regieren in der Bundesrepublik. Formale und informale Komponenten des Regierens in den Bereichen Führung, Entscheidung, Personal und Organisation, Opladen 1991, S. 9 f.

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Teil A: Theoretischer Rahmen

sternlehre konkret erklärende Studien über das Regieren bzw. die Regierenden bedingt durch die systemtheoretische Sichtweise nicht liefern, da dieser Perspektive der Subjektbezug fremd ist. 3 Der Erkenntnisgegenstand war nicht konkret, das Scheinwerferlicht fiel nicht mehr auf den handelnden Akteur und der Einßuß des interindividuellen Handeins auf den politischen Prozeß blieb unberücksichtigt. So sinnvoll und notwendig Abstraktion im Forschungsprozeß ist: Sie blendet zahlreiche Abläufe im Regierungssystem aus, so daß die Analyse des Regierens mangelhaft bleibt. Eine solche ausgeblendete Kategorie ist der breitgefächerte Bereich der informalen Komponenten des Regierungssystems, die vorerst verstanden werden sollen als all jene Organisations- und Verfahrensmodalitäten, die rechtlich nicht geregelt sind.4 Die Ausblendung dieser Perspektive ging jedoch nur teilweise auf das dominierende Paradigma der Disziplin zurück. Der Bereich des Informalen ist wissenschaftlich schwer zu durchdringen, da er nicht durch eine bloße Dokumentenanalyse zu erfassen ist. Informalisierung kann zwar anband von Indikatoren operationalisiert werden, ist jedoch schwerlich empirisch zu messen, da sich menschliche Beziehungen zwischen Akteuren und ihr Einßuß auf den politischen Prozeß unabhängig von ihren Amtsrollen nicht quantifizieren lassen, zumal mit dem Anspruch, Ursache-Wirkung-Beziehungen zu erklären.5 Schließlich schien informale Politik durch ein verengtes Verständnis mit unseriöser Politik oder gar illegalem Handeln gleichzusetzen zu sein. Sollte die Politikwissenschaft am Ende das "Gespräch von Politikern in der Pinkelpause"6 thematisieren oder Sachverhalte ins Blickfeld nehmen, die mit dem "Ruch des Illegalen"7 umgegeben sind? Derart anrüchige Erscheinungsformen des politischen Alltags galten eher als Domäne des Journalismus. Sicher war das Thema auch anrüchig, weil es von Autoren besetzt wurde, deren inhaltliche Nähe die Wissenschaft nicht sucht: Verfasser populärwissenschaftlicher Schnellschüsse oder esoterischer Verschwörungstheorien schütteten nämlich das Kind mit dem Bade aus.8 Formale Politik sei eine bloße Verbrämung dessen, was tatsächlich auf informalem Wege entschieden werde. Obwohl informale Politik gerade dadurch ihre Formalität verliert, daß sie nicht gesetzlich normiert ist, darf sie nicht mit illegaler Politik verwechselt werden. An3 Einen Abriß über die Perspektivenveränderung liefert Kapitel A.l. 3. über den Forschungsstand. 4 Vgl. Helmuth Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat. Aktuelle Betrachtungen des Verfassungslebens der Bundesrepublik Deutschland im Lichte der Verfassungstheorie, Berlin 1984, S. 12. 5 Zu den methodischen Schwierigkeiten auch dieser qualitativen Untersuchung vgl. Kapitel A. I. 2. zur Vorgehensweise. 6 v.Beyme, Informelle Komponenten des Regierens; in: Hartwich/Wewer 1991, S. 37. 7 Ebd. S.3l. 8 Vgl. jüngst: Charles Lewis, The Buying of Congress: How Special Interests Have Stolen Your Right to Life, Liberty, and the Pursuit of Happiness, Washington 1998.

I. Einführung

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sonsten würden konstitutionelle und gesetzliche Spielräume sowie extragesetzliches Handeln nicht wahrgenommen werden können. Gleichermaßen darf informale Politik nicht auf das Informelle reduziert werden. Eine noch folgende definitorische Bestimmung wird hier Klärung schaffen. Informale Politik ist sowohl unvermeidbar als auch nötig. Die Unvermeidbarkeil ergibt sich aus den innerhalb des Regierungssystems agierenden Menschen, deren Natur im allgemeinen und deren spezifische Motivation im besonderen dazu beitragen, innerhalb formaler Strukturen auch informale Handlungs- und Kommunikationskanäle zu etablieren. Während formale Strukturen das Markenzeichen eines liberalen Rechtsstaates sind und für Offenheit und Berechenbarkeil stehen sowie öffentliche Diskussion und Partizipation gewährleisten sollen, ermöglichen informale Strukturen unbürokratisches Vorgehen, Flexibilität und Effektivität. Daraus ergibt sich auch die Notwendigkeit informaler Politik. Die Organisationssoziologie zeigt nämlich, "daß formalisiertes Handeln durch informelles Handeln ergänzt werden muß, um optimal wirksam zu sein."9 Indes ist informale Politik gleichermaßen problematisch. Da es ihr oft an Regelhaftigkeit und Öffentlichkeit mangelt, entzieht sie sich tendenziell der demokratischen Kontrolle. Ziel informaler Politik ist nicht ausschließlich Flexibilität und Effektivität; sie ist zuweilen auch bestimmt durch machtpolitisches Taktieren oder das Verfolgen von Sonderinteressen, das für westliche Demokratien mit ihrem Transparenzgebot nur so lange toleriert werden kann, wie es wahrnehmbar und damit kontrollierbar ist. Diesem Bereich kann sich die Politikwissenschaft nicht verschließen. Zu Recht meint Göttrik Wewer, daß es zur Aufgabe politikwissenschaftlicher Forschung gehört, "die konkrete Mischung beider Komponenten [formaler und informaler Politik, M. S.}erst einmal empirisch festzustellen, um- im Spannungsverhältnis von Effizienz, Transparenz, Partizipation und Legitimation - dann gegebenenfalls Kritik anzumelden." 10 In dieser Arbeit wird das Spannungsverhältnis von formaler und informaler Politik am Beispiel der parlamentarischen Kontrollfunktion im amerikanischen Regierungssystem analysiert. Der Begriff des Spannungsverhältnisses impliziert schon eine Dynamik, die den hier gewählten Erkenntnisgegenstand charakterisiert. Das jeweilige Verhältnis von formaler und informaler Politik im Bereich der parlamentarischen Kontrolle bestimmt das Legislativ-Exekutiv-Verhältnis mit. Wandlungen des Legislativ-Exekutiv-Verhältnisses sind schon in der Verfassung angelegt und daher an sich kein neues Problem: "The balance between President and Congress [has, M. S.] gone through nearly two centuries of ups and downs." 11 Das v.Beyme 1991, S.31. Wewer; in: Hartwich/Wewer 1991, S. 25f. 11 James L. Sundquist, The Decline and Resurgence of Congress, Washington 1981, S. 461.

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Teil A: Theoretischer Rahmen

jeweilige Machtverhältnis zwischen Legislative und Exekutive hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Zu ihnen gehören externe, gesellschaftliche Bestimmungsfaktoren ebenso wie solche, die sich auf die internen Akteure Kongreß und Präsident beziehen. Obschon Gewaltenteilungstheoretiker nach einem Optimum der Machtverteilung, nach einem institutionellen Gleichgewicht suchen, 12 scheint die Dynamik vielmehr funktional zu sein: "Our proper objective is neither a dominant presidency nor an aggressive Congress but, within the strict Iimits of what the constitution mandates, a shift of emphasis according to the needs of the time and the requirements of public policy." 13 Diese Arbeit befaßt sich nicht primär mit dem Machtverhältnis der beiden Gewalten zueinander, sondern mit dem Spannungsverhältnis formaler und informaler Politik zwischen den institutionellen Akteuren sowie mit dessen Konsequenzen, wenngleich dieses Spannungsverhältnis auch durch machtpolitische Erwägungen geprägt ist. Aus dem zuvor Dargestellten ergibt sich, daß immer schon beide Komponenten der Politik- formale und informale- die Beziehungen der Gewalten zueinander geprägt haben. 14 In einer Studie über parlamentarische Finanzkontrolle hat Michael W. Kirst schon 1969 die nicht gesetzlich geregelten Kontrollmechanismen, also die informale parlamentarische Kontrolle im Bereich der Haushaltspolitik, untersucht. 15 In seiner Schlußbetrachtung fragt sich Kirst: "Will nonstatutory controls increase in importance and frequency in the future? Or will their use diminish and the detailed statutory Iimitation and proviso be revived as an oversight technique?" 16 Der Autor beendet seine Studie mit der Behauptung, informale Kontrollmechanismen würden künftig allein deshalb stärker eingesetzt werden, weil die Parlamentsfunktion der Kontrolle im Zuge zunehmender Delegation legislativer Regulierungskompetenzen an die Exekutive insgesamt an Bedeutung gewinnen werde. 17 Die Vermutung Kirsts kann heute, 30 Jahre später, bestätigt werden. Das Legislativ-Exekutiv-Verhältnis hat sich auf einer bestimmten Ebene, nämlich den Beziehungen zwischen Kongreß und Verwaltung, zunehmend informalisiert. Informalisierung beschreibt in unserem Zusammenhang keinen quantifizierbaren Prozeß, sondern einen qualitativen Vorgang. Zwar gibt es Daten über die Frequenz und die eingeschätzte Effektivität informaler Kontrollformen gegenüber formalen Mechanismen, doch die von Joel Aberbach erhobenen Daten für den 95. Kongreß können 12

Vgl. Charles 0 . Iones, Separate but Equal. Congress and the Presidency, Chatham 1995,

s. 20f.

Senator J. William Fulbright zit. nach ebd., S. 20. Sehr anschaulich dargestellt wird das Zusammenspiel beider Komponenten der Politik bei Hugh Heclo, A Govemment of Strangers. Executive Politics in Washington, Washington 1987. Ein Überblick mit vergleichenden Bezügen findet sich bei Klaus König, Formalisierung und Informalisierung im Regierungszentrum; in: Hartwich/Wewer 1991, S. 203-220. 15 Vgl. Michael W. Kirst, Govemment without passing Laws. Congress' Nonstatutory Techniques for Appropriation Control, Chapel Hili 1969. 16 Ebd., S. !61. 17 Ebd., S.163. 13

14

I. Einführung

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keinen quantitativen Zuwachs indizieren, da Zahlen für einen Vergleichszeitraum nicht zur Verfügung stehen. 18 Das Fehlen solcher Daten ist jedoch kein Manko, da etwa der Befund, daß Mitarbeiter des Kongresses im Zeitraum X zehn Prozent öfter als im Zeitraum Y den mündlichen Kontakt zu Verwaltungsbeamten gesucht haben, wenig auszusagen vermag. 19 Zu viele Variablen spielen hier mit hinein, als daß man aus diesem quantitativen Ergebnis qualitative Schlußfolgerungen ziehen könnte. Was heißt dann aber Informalisierung? Gemäß der hier gewählten qualitativen Vorgehensweise soll der Begriff der Informalisierung verstanden werden als ein Vorgang, bei demformale Kommunikations- und Handlungsstrukturen durch informale ersetzt werden- und nicht lediglich ergänzt, also komplementiert werden. Diese Ersetzung formaler Interaktionsregeln durch informale, die nur über eine qualitative Beleuchtung einzelner politischer Prozesse diagnostiziert werden kann, wurde bereits im einzelnen nachgewiesen. 20 Was konkret unter formalen und informalen Kommunikations- und Handlungstrukturen verstanden wird, soll im Kapitel A. IV. 3. erläutert werden. Die Gründe für diesen Vorgang der Informalisierung sind vielschichtig und darüber hinaus teilweise direkte, teilweise indirekte Reaktionen auf veränderte Rahmenbedingungen des Kongresses und der Administration. Gemäß dem Aufruf Wewers sollen hier in einem ersten Schritt die Ursachen für die Informalisierung und damit die Wandlung des Legislativ-Exekutiv-Verhältnisses dargestellt und erklärt werden. Das Spannungsverhältnis von formaler und informaler Politik im Bereich der institutionellen Beziehungen zwischen Legislative und Exekutive ist durch das Selbstbild beider Akteure und das Selbstverständnis ihrer Beziehungen zueinander bestimmt. Anders ausgedrückt hängt das Spannungsverhältnis also vom Verständnis des Gewaltenteilungssystems, der separation of powers- Doktrin, ab. Diese Doktrin erfährt seit Anfang der 80er Jahre eine brisante Umdeutung. Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten hat in zwei wichtigen Urteilen- mit zahlreichen Folgeurteilen der unteren Bundesgerichte - die Gewaltenteilungsdoktrin neu interpretiert. Die Folgen dieser Urteile hatten letztlich großen Einfluß auf das Spannungsverhält18 Vgl. Joe/ Aberbach, Keeping a Watchful Eye. The Politics of Congressional Oversight, Washinton 1990, S.l30-139. 19 Zu den methodischen Problemen vgl. v.Beyme 1991, S.49. 20 Diese Diagnose fußt auf den Ergebnissen meiner Freiburger Magisterarbeit, vgl. Majid Sattar, Parlamentarische Kontrolle der Exekutive. Auswirkungen des Chadha-Urteils auf das Legislativ-Exekutiv-Verhätnis, Magisterarbeit, Freiburg i. Br. 1997 (unveröffentlicht). In der Arbeit wurden die Folgen des Verbots der Kontrollform des legislativen Vetos untersucht, das dem Kongreß bis 1983 im Gesetzesvollzug zur Verfügung gestanden hatte und dann vom Obersten Gerichtshof in einer konkreten Normenkontrolle für verfassungswidrig befunden wurde, da es nach Meinung der Richterschaft gegen das Gewaltenteilungsgebot verstieß. Neben anderen Ergebnissen konnte gezeigt werden, daß der Kongreß die Kontrolle über den Gesetzesvollzug vielfach auf informaler Ebene fortsetzte. Dieses Teilergebnis gab den Anstoß, das Phänomen der Informalisierung in einer eigenen Untersuchung wissenschaftlich zu behandeln.

2 Sattar

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Teil A: Theoretischer Rahmen

nis von formalen und informalen Komponenten der Politik. Da die Urteile unmittelbar und mittelbar die parlamentarische Kontrollfunktion betrafen, soll der Prozeß am Beispiel der Kontrolle des Kongresses über die Administration analysiert werden. In welchem Sinne interpretierte der Oberste Gerichtshof nun das Gewaltungsteilungssystem? Bei Teilen der amerikanischen Verfassungstheoretiker, aber auch bei großen Teilen ausländischer Sozialwissenschafter, die in den oder durch die USA ihre Prägung erfahren haben, gilt das US-Regierungssystem als Prototyp eines gewaltenteilenden Systems. Legislative und Exekutive verblieben in einem dualistischen Verhältnis, das das Prinzip des limited government verwirkliche.21 Dagegen betonen insbesondere jüngere Politikwissenschaftler, daß die absolute Trennung der Gewalten weder der Realität entspreche, noch von den Verfassungsvätern intendiert gewesen sei: 22 "Die Gewaltenteilung kennzeichnet nur die institutionelle Trennung von Kongreß und Präsidentenamt; deren funktionales Verhältnis wird durch die Gewaltenverschränkung bestimmt."23 Heute wird das tatsächliche Verhältnis der Gewalten zueinander in der Politikwissenschaft gemeinhin auf die von Richard E. Neustadt geprägte Formel "separated institutions sharing power" gebracht.24 Diese funktionelle Verschränkung der Gewalten wird u. a. in der Schnittmenge von parlamentarischer Gesetzgebungs- und Kontrollfunktion deutlich. Da der Kongreß aus Mangel an Zeit und Expertise Gesetze nur noch vage formuliert und seine Regulierungskompetenzen an die Exekutive delegiert, wirkt diese bei der Erfüllung legislativer Kompetenzen erheblich mit. Das Parlament versucht den Funktionsverlust in der Gesetzgebung durch eine Verstärkung seiner Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive auszugleichen: Der Eingriff der Exekutive in den Bereich der Gesetzgebung wird kompensiert durch die Intervention des Kongresses in die Domäne des Gesetzesvollzugs. Dieser Ausgleich ermöglicht Kooperation zwischen beiden Regierungsgewalten. Diese Form der Kooperation, insbesondere im formalen Legislativ-ExekutivVerhältnis, wird nunmehr seit etwa anderthalb Jahrzehnten kompliziert bzw. sogar gefährdet. Die Suche nach den Gründen für eine Informalisierung führt - wie bereits erwähnt- zum Obersten Gerichtshof, dem es zukam, anband einer Reihe konkreter Normenkontrollen beginnend mit dem Chadha-Urteil von 1983 eine staats21 V gl. exemplarisch Carl J. Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, Berlin u. a. 1953, S. 203 f.; ders., Limited Govemment. A Comparison, Englewood Cliffs 1974, S. 20ff.; Ferdinand A. Hermens, Verfassungslehre, Frankfurt a. M./Bonn 1964, S. 530f.; Kar/ Loewenstein, Verfassungslehre, Tübingen 1959, S.116f. 22 So betonte schon James Madison:"(... ) these departments be so far connected and blended, as to give to each a constitutional controul over the others." vgl. Federalist No. 48; in: Gary Wills (Hg.), The Federalist Papers by Alexander Hamilton, James Madison and John Jay, N. Y. u. a. 1982, S. 250. 23 Wolfgang Jäger, Der Präsident; in: Wolfgang Jäger/Wolfgang Welz (Hg.), Regierungssystem der USA. Lehr- und Handbuch, München/Wien 1995, S.136. 24 V gl. Richard E. Neustadt, Presidential Power, New York 1980, S. 33.

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rechtliche Kontroverse um die Gewaltenteilungstheorie zugunsten einer puristischen Gewaltentrennungsvorstellung zu entscheiden.25 Die Urteile spiegeln die Kontroverse wider, welche die amerikanische Rechtswissenschaft durchzieht.26 Die Frontenbildung, die auch das neunköpfige Gremium des Obersten Gerichtshofs spaltete, wird insbesondere in den Fällen Chadha von 1983 und Bowsher von 1986 deutlich.27 In seinem jüngsten Gewaltenteilungsurteil, Clinton v. City of New York, vom 25. Juni 1998 erklärte der Oberste Gerichtshof das sogenannte line-item vetofür verfassungswidrig.28 Auch hier sahen die Richter die Gewaltenteilung unterlaufen. In diesem Fall stärkte diese puristische Verfassungsauslegung erstmals die Position des Kongresses, obschon dieser selbst das Weiße Haus mit diesem selektiven Veto gesetzlich ausgestattet hatte. Ironischerweise zeigt sich an diesem Beispiel ein gegenläufiger Trend. Während die vorherigen Gewaltenteilungsurteile eine Tendenz zur Informalisierung bewirkten, bremst das jüngste Urteil eine weitere Forcierung dieser Entwicklung. In diesem Fall hätte eher die Praxis des line-item veto die Informalisierung gefördert. Die Grundargumentation der neuerenUrteile zur Gewaltenteilung ist recht einfach. Ihnen gemein ist eine enge Orientierung am Verfassungstext: Nicht die Effektivität des Zusammenspiels von Legislative und Exekutive stehe im Vordergrund, nicht um institutionelle Kooperation gehe es also, sondern vor allem um die "demands of the Constitution which defines powers and (...) sets out just how those powers aretobe exercised."29 Selbst wenn beide Regierungsgewalten nützliche Instrumente und Verfahren zur Erfüllung ihrer Aufgaben entwickelt hätten, so sei es doch "crystal clear from the records of the Constitution that the Framers ranked other values higher than efficiency."30 Jene anderen Werte, welche die Verfassung als vorrangig bewerte, seien Machtkontrolle und Machtbeschränkung. Das Aufwiegen von Effizienz einerseits und Machtbeschränkung andererseits ist eines der klassischen Themen der amerikanischen Verfassungsgeschichte und reicht 25 Vgl. Louis Fisher, The Administrative World of Chadha and Bowsher; in: Public Administration Review, 47 (1987): 3, S. 213-219. 26 Fisher, Congressional Supervision of the Executive Branch: The Nessecity for Legislative Controls; in: Shlomo Slonim (Hg.), The Constitutional Bases of Political and Social Change in the United States, New York u. a. 1990, S. 43- 61. 27 Im weiteren INS v. Chadha, 462 US 919 (1983); Bowsher v. Synar, 106 US 3187 (1986). Die Urteile und die damit verbundene Gewaltenteilungsdoktrin werden in Kapitel A.l. 3. diskutiert. 28 Vgl. Clinton v. City of New York, 118 S. Ct. 2091 (1998). Dazu: Helen Dewar!Joan Biskupic, Line-ltem Vetostruck down. Hackers Push for Alternative; in: Washington Post, 26.Juni 1998; Majid Sattar, Verfassungsgericht der USA sagt nein zum Veto. Analyse: Gewaltenteilung; in: Heilbronner Stimme, 2.Juli 1998. 29 INS v. Chadha, 462 U. S. 952 (I 983). 30 Ebd. 2*

20

Teil A: Theoretischer Rahmen

letztlich zurück bis zum Verfassungskonvent von 1787. 31 Der Auffassung der Mehrheit des Obersten Gerichts von 1983, für die Warren E. Burger sprach, steht dabei die des Gewaltenteilungsexperten Louis Fisher gegenüber, wonach Sinn und Zweck des Verfassungskonvents von 1787 die Suche nach einer "form of government that would perform more efficiently than that set up by the Articles of Confederation"32 gewesen seien. Die Urteile, die Instrumente und Verfahren institutioneller Kooperation für verfassungswidrig befanden, führten dazu, daß das Legislativ-Exekutiv-Verhältnis kompliziert und die Informalisierung forciert wurde. Denn die Notwendigkeit institutioneller Kooperation auch und v. a. im Bereich der parlamentarischen Kontrolle besteht fort, weil die Notwendigkeit der Delegation legislativer Regulierungskompetenzen an die Exekutive fortbesteht. Wie diese Arbeit zeigen wird, bestätigt sich die Prophezeiung Fishers, "forms will change, but not necessarily power relationships and the need for a quid pro quo."33 Wenn sich aber die Form der Politik zwischen zwei institutionellen Akteuren wandelt, so kann dies Probleme mit sich bringen, die ebenfalls Thema dieser Arbeit sind: "In the end, the Court will not have freed administration from legislative control as it intended. It will only have added to the complexities of an already complex government and to the strain imposed on those who have to make the system work." 34 Dieser Vermutung James L. Sundquists gilt es nachzugehen, um dem zweiten Teil von Wewers AufrufFolge zu leisten und das Spannungsverhältnis zwischen formalen und informalen Komponenten des Regierens kritisch unter die Lupe zu nehmen. Zusammenfassend können folgende Leitfragen dieser Untersuchung festgehalten werden: 1. Wie hat sich der Wandel des Legislativ-Exekutiv-Verhältnisses vollzogen? Welche Faktoren haben zum Vorgang der Informalisierung beigetragen? 2. Welche Auswirkungen hat die zunehmende Informalisierung auf (1) das Verhältnis zwischen Regierung und Verwaltung (2) das Verhältnis zwischen Kongreß und Administration (3) die verwaltungsrechtliche Praxis der Judikative (4) das Interessenvermittlungssystem? 3. Lassen sich aus diesen Erkenntnissen allgemeine Schlußfolgerungen für das Spannungsverhältnis von formaler und informaler Politik ableiten? 31 Gordon S. Wood, The Creation ofthe American Republic, 1776-1787, Chapel Hi!J21993, S.547f. 32 Fisher, Constitutional Conflicts between Congress and the President, Lawrence 3 1991, s. 79. 33 Ebd., S. 181. 34 Sundquist, Congress as Pub1ic Administrator, in: Ra1ph Clark Chand1er (Hg.), A Centennial History of the American Administrative State, N. Y./London 1987, S. 282.

I. Einführung

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2. Vorgehensweise und Eingrenzung des Themas Die Fragestellung dieser Arbeit konzentriert das Erkenntnisinteresse auf ausgewählte Aspekte des Spannungsverhältnisses von formaler und informaler Politik im Bereich der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen. Im folgenden Kapitel werden die Vorgehensweise und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes erläutert. Einführend wird der Forschungsstand dargestellt, um die gewählte Fragestellung für den Leser in der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion zu verorten und grundlegende Aspekte und Argumentationslinien des Themas bei der folgenden Analyse voraussetzen zu können. Dies geschieht in Auseinandersetzung mit Beiträgen aus den Rechts-, Politik- und Verwaltungswissenschaften, die zum Thema Informalisierung Grundlegendes geleistet haben. Das gleiche gilt für den Forschungsstand zum Thema parlamentarische Kontrolle. Darauf folgend wird die Literatur- und Quellenlage dargestellt. Letztere umfaßt nicht nur Dokumente aus der Legislative und Exekutive sowie Gerichtsurteile, sondern auch Expertengespräche mit Angestellten des Kongresses, der Exekutive und Interessengruppen. Als Grundlage für die eigene Untersuchung formaler und informaler parlamentarischer Kontrolle ist anschließend das Begriffsinstrumentarium zu ordnen. Hierbei wird zunächst das Phänomen der Form der Politik im allgemeinen betrachtet, indem die den Formalisierungsgrad bestimmenden Indikatoren erläutert werden. Da eine genaue Abgrenzung formaler und informaler Politik nicht möglich ist, wird aufbauend auf überlieferten Modellen eine Skala für diesen Untersuchungsgegenstand entwickelt, auf dem sich Formalisierungsgrade punktuell angeben lassen. In einem zweiten Schritt werden die Funktionen formaler und informaler Politik diskutiert. Beides geschieht zum Teil losgelöst vom amerikanischen Regierungssystem, um Vergleichsmöglichkeiten zu eröffnen. Die Begriffsklärung wird sodann mit dem komplexen Terminus "parlamentarische Kontrolle" fortgesetzt. Ausgehend von seiner weiten Bedeutung wird er zu Untersuchungszwecken im Sinne einer Arbeitsdefinition auf die Fragestellung zugeschnitten. Das heißt, daß er sowohl Komponenten der formalen als auch der informalen parlamentarischen Kontrolle umfassen muß. Eng damit verbunden ist die Fixierung des Kontrollgegenstandes, also der Exekutive und ihres Handelns. Aus analytischen Gründen muß dabei mit einer Vielzahl von englischen Begriffen operiert werden, da wörtliche Übersetzungen rechtlicher Begriffe oftmals althergebrachte deutsche Konnotationen suggerieren und "spezifisch amerikanische, soziale und rechtliche Vorstellungen"35 vernachlässigen würden. Im folgenden Schritt werden die Rahmenbedingungen sowohl der parlamentarischen Kontrolle als auch des exekutiven Handeins dargestellt. Kontrolle und Kontrollgegenstand können nicht lösgelöst von ihrer Umwelt analysiert werden, da sich weder das Parlament noch die Administration in einem politischen Vakuum befin35

Ernst Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, Köln/Opladen 2 1962, S. 11.

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Teil A: Theoretischer Rahmen

den und die institutionellen und parteipolitischen Rahmenbedingungen beide Elemente in ihrem Handeln beeinflussen. Für die Darstellung der parlamentarischen Kontrolle im amerikanischen Regierungssystem muß danach ihr funktionaler Doppelcharakter beleuchtet werden: Sie ist sowohl Ausdruck des institutionellen Konfliktes als auch der institutionellen Kooperation zwischen Legislative und Exekutive. Beide Seiten bilden ein für präsidentielle Verfassungen typisches Janusgesicht. Denn die praktische Notwendigkeit der Kooperation in solchen Systemen resultiert gerade aus dem verfassungsrechtlich intendierten Konflikt. Dieser grundsätzliche Doppelcharakter übersetzt sich konkret in ein breites Spektrum von Kontrollformen. Diese werden zunächst inventarisiert, um bei der folgenden qualitativen Untersuchung die tatsächliche Ausübung parlamentarischer Kontrolle anband dieses normativen (bezüglich der formalen Kontrollformen) bzw. allgemeinen (bezüglich der informalen Kontrollformen) Instrumentenkatalogs umfassend analysieren zu können. Damit endet der erste Teil der Arbeit, der den theoretischen Rahmen absteckt. Der zweite Teil, die qualitative Untersuchung, dient dann der Beantwortung des ersten Fragekomplexes. Dieser Abschnitt fokussiert die Wandlungen der LegislativExekutiv-Beziehungen. Dieser Teil der Arbeit ist in drei Unterabschnitte gegliedert. In einem ersten Schritt wird der formale Kontrollsektor in seiner tatsächlichen Form analysiert; die Grenzen der formalen Kontrolle führen im zweiten Schritt zum informalen Kontrollsektor. Hier wird sowohl die Wandlung formaler in informale Kontrollmechanismen nachgezeichnet als auch die zunehmende Informalisierung innerhalb des informalen Kontrollsektors dargestellt, das heißt die Ersetzung informaler durch informelle Kontrollformen36. Im dritten Unterabschnitt wird eine erste Bilanz gezogen: Warum kam es zum Vorgang der Informalisierung, und welche Handlungsänderungen der betroffenen Akteure haben diese Entwicklung begünstigt? Hiermit wird die Beantwortung des ersten Fragekomplexes abgeschlossen. Der dritte Hauptteil dieser Untersuchung befaßt sich dann mit den Konsequenzen der zuvor dargestellten Wandlungen der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen durch die zunehmende Informalisierung, um dem zweiten und dritten Fragekomplex nachzugehen. Auch dieser Teil ist dreigegliedert. Zunächst wird die Interorgan-Perspektive gewählt, wobei das Legislativ-Exekutiv-Verhältnis differenziert betrachtet werden muß - nämlich Parlament und Regierung einerseits sowie Parlament und Verwaltung andererseits. Auch der Einfluß der Judikative auf das Legislativ-ExekutivVerhältnis wird hier insbesondere mit Blick auf verwaltungsrechtliche Aspekte analysiert. An diesem Beispiel wird sich ironischerweise zeigen, daß der Oberste Gerichtshof durch seine puristische Gewaltenteilungsvorstellung der Informalisierung zwischen Kongreß und Verwaltung indirekt Vorschub leistete, gleichzeitig aber die36

Zur begrifflichen Unterscheidung, vgl. Kapitel A. II. I.

I. Einführung

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sen Umstand beklagt, da informales Verwaltungshandeln von seiten der Gerichte nicht bzw. nur schwer auf seine gesetzliche Grundlage überprüft werden kann. In einem zweiten Schritt wird dann die Intraorgan-Perspektive gewählt. Hier wird der Vorgang der Informalisierung bezüglich verwaltungsinterner Kontrolle und hinsichtlich der Maßgabe der Einheitlichkeit der Exekutive untersucht. Schließlich werden drittens die gesellschaftlichen Konsequenzen der Wandlung des Legislativ-Exekutiv-Verhältnisses ins Blickfeld genommen. Der weite Begriff der gesellschaftlichen Konsequenzen bedeutet im Untersuchungszusammenhang lediglich, daß der institutionelle Rahmen des Regierungssystems verlassen und dessen soziale Umwelt betrachtet wird. Kurzum: Das politische System im weiten Sinne, also einschließlich der Akteure Bürger, Interessengruppen und Medien, steht nun im Vordergrund. Die lnformalisierung hat nämlich durch ihre Eigenschaft, politische Prozesse zu verdunkeln, durchaus auch negative Auswirkungen auf das Interessenvermittlungssystem sowie auf die demokratische Kontrolle. Wie in der Erläuterung der Quellenlage erklärt wird, werden die gesellschaftlichen Auswirkungen auf das politische System vor allem mit Hilfe von Gerichtsurteilen und deren Begründungen untersucht. Nach der Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse, wird versucht, aus diesen Erkenntnissen allgemeine Überlegungen zum Spannungsverhältnis formaler und informaler Komponenten der Politik abzuleiten. Dazu wird der zuvor entwikkelte Funktionskatalog der informalen Kontrolle herangezogen. Der Untersuchungsgegenstand der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen bleibt hinsichtlich seiner Reichweite auf die Innenpolitik beschränkt. Zwar ist der hier zu analysierende Vorgang der lnformalisierung auch im außenpolitischen Bereich anzutreffen, jedoch sprechen zwei Argumente gegen eine Thematisierung auch dieses Sachverhaltes. Zum einen ist das Verhältnis zwischen Kongreß und Präsident im Bereich der Außenpolitik bedingt durch die internationale Bedeutung der Vereinigten Staaten von seiten der deutschen Politikwissenschaft ausgiebig behandelt worden. 37 Zum anderen unterliegt dem Vorgang der Informalisierung der Beziehungen zwischen Kongreß und Präsident im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik eine andere Problematik. Informale Kontakte beider Gewalten dienen hier dem nationalen Sicherheitsinteresse der USA und sind auch von seiten des Präsidenten erwünscht bzw. sogar initiiert. 38 Die Beziehungen zwischen Legislative und Exekutive in der Innen- und Außenpolitik betreffen zwei gesonderte Politikfelder mit jeweils spezifischen Bestimmungsfaktoren, so daß eine Trennung aus analytischen Gründen zulässig ist. 37 Vgl. exemplarisch Herbert Dittgen, Präsident und Kongreß im außenpolitischen Entscheidungsspielraum; in: Wolfgang Jäger/Wolfgang Welz (Hg.), Regierungssystem der USA. Lehr- und Handbuch, München/Wien 1995, S.420- 440. 38 Vgl. Cecil V. Crabb, Jr.!Pat M. Holt, Invitation to Struggle. Congress, the President, and Foreign Policy, Washington 4 1992, S. 19 ff.

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Teil A: Theoretischer Rahmen

Innerhalb der Innenpolitik wird zudem vor allem die regulative policy arena betrachtet- also die ökonomische und soziale Regulierung, die in den USA vornehmlich durch unabhängige Regulierungsbehörden bestimmt wird. 39 Die Regulierungstätigkeit der Exekutive drückt sich im Vollzug regulativer Gesetze aus, etwa durch Umwelt- oder Verbraucherschutzverordnungen. Da der Vorgang der lnformalisierung gerade zwischen Kongreßausschüssen und unabhängigen Verwaltungsträgem, den Regulierungsbehörden nämlich, stattfindet, bietet sich eine Eingrenzung auf die Regulierungspolitik an. Die parlamentarische Kontrolle in diesem Bereich ist zeitlich betrachtet eine ausführungsbegleitende Tätigkeit. Daher stehen Kontrollformen, die den Vollzug der Gesetze während der Phase der Verordnungsgebung begutachten und gegebenfalls sanktionieren, im Zentrum dieser Untersuchung. Mittelbar kontrolliert der Kongreß den Gesetzesvollzug jedoch auch über den Haushalt, d. h. über die parlamentarische Finanzkontrolle, indem nämlich die Vergabe von Geldem an inhaltliche Vorgaben bei der Umsetzung der Gesetze geknüpft wird. Daher muß auch der komplexe Autorisierungs- und Bewilligungsprozeß untersucht werden. Bei der Analyse der parlamentarischen Kontrolle wird die Wandlung der Form der Politik deutlich, indem zwei Sektoren unterschieden werden: der formale und der informale Kontrollsektor. Es wird der Weg einer qualitativen Untersuchung gewählt, da sich gemäß dem hier zugrunde gelegten Verständnis von Informalisierung nur auf diese Weise die gestellten Fragen beantworten lassen. Quantitative Daten werden freilich - soweit sie zur Verfügung stehen und der Untersuchung dienen - herangezogen. Qualitatives Vorgehen heißt in diesem Zusammenhang, daß beide Sektoren jeweils exemplarisch beleuchtet werden. Dies erlaubt zu zeigen, wie sich der Vorgang der Informalisierung vollzog, inwieweit sich hierbei Muster erkennen lassen und vor allem, welche Konsequenzen diese Entwicklung hat. Zudem können abschließend Möglichkeiten für eine Verallgemeinerung der Erkenntnisse über das Spannungsverhältnis von formalen und informalen Komponenten der Politik aufgezeigt werden.

39 Die Klassifizierung der policy arenas stammt von Theodore J. Lowi. Er unterteilt die staatliche Regelung öffentlicher Angelegenheiten in (1) distributive Politik, also staatliche Verteilungspolitik, etwa durch Subventionsvergabe, die konfliktfrei nach dem Prinzip gegenseitiger Nichteinmischung abläuft und keine allgemeinen Verteilungsregeln umfassen muß, (2) die regulative Politik, die allgemeine Regeln formuliert, daher unterschiedliche, gegensätzliche Interessen(-gruppen) tangiert und insofern konfliktär verläuft sowie (3) schließlich die redistributive Politik, also die Umverteilungspolitik, etwa durch progressive Besteuerung des Volkseinkommens. Hierbei werden ebenso allgemeine Regeln formuliert und unterschiedliche Interessen berücksichtigt. Während sich jedoch bei der regulativen Politik die Interessenkoalitionen ad hoc zusammenfinden, sind sie im redistributiven Bereich äußerst stabil, vgl. Theodore J. Lowi, American Business, Public Policy, Case Studies, and Political Theory; in: World Politics 16 (1963/64), S.690f.

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3. Forschungsstand und Literaturlage Die Darstellung des Forschungsstandes muß sich auf zwei Problemkreise erstrekken. Zum einen wird an dieser Stelle die wissenschaftliche Behandlung der Komponenten der Politik, also der Forschungsstand zum Spannungsverhältnis zwischen formaler und informaler Politik, dargestellt und diskutiert. Da andererseits der Prozeß der Informalisierung am Beispiel der parlamentarischen Kontrollfunktion im amerikanischen Regierungssystem dargestellt wird, muß auch die Kontrolle des Kongresses über die Exekutive sowie die amerikanische Gewaltenteilungsproblematik anhand der vorhandenen Forschungsliteratur besprochen werden. a) Die Form der Politik im Spiegel der Wissenschaft

Wie eingangs erwähnt, hat sich die deutsche Politikwissenschaft bislang nur unzureichend mit den informalen Komponenten der Politik befaßt. Dies muß beim Blick auf die Geschichte der Disziplin verwundern. Die ursprünglich normativ-institutionelle Ausrichtung der Politikwissenschaft wurde nämlich schon früh kritisiert- ebenso wie die von Selbstzweifeln geplagte Nabelschau des Fachbereichs. In den 60er Jahren riefen die Altväter der deutschen Regierungslehre, Wilhelm Hennis, Thomas Ellwein, aber auch Carl Böhret dazu auf, sich nunmehr den praktischen Problemen des Regierens zuzuwenden.40 Wie Göttrik Wewer rückblickend zu Recht feststellt, verhallte dieser Appell weitgehend. Ein wichtiger Grund für diese Entwicklung ist sicher der Einfluß der 68er-Rebellion insbesondere auf diese Disziplin: Politikwissenschaft wurde jetzt politisiert. Der kritischen Wissenschaft ging es um die Suche nach immanenten Systemfehlern- und nicht selten um Konzeptionen einer Systemüberwindung. Praktische Probleme des Regierens ins Augenmerk zu nehmen, konnte da nur oberflächlich und affirmativ erscheinen. Wissenschaftler, die den Weg der Politisierung ihrer Disziplin nicht mitzugehen bereit waren, sahen sich in einer Verteidigungshaltung und mußten zur normativen Wissenschaft zurückkehren, wenn sie die kritische Wissenschaft kritisieren wollten. Nicht zuletzt Hennis selbst konnte seinem eigenen Appell nicht folgen. Ein weiterer Grund dafür, daß die informalen Komponenten des Regierens weiterhin ausgeblendet blieben, wurde bereits eingangs erwähnt. Der Siegeszug der Systemtheorie in der Politikwissenschaft der 70er und 80er Jahre modernisierte zwar die Disziplin, da nunmehr politische Prozesse analysiert werden konnten. Diese Prozesse wurden aber auf abstrakter Ebene zu erklären versucht. Konkrete Aspekte ließen sich mit dem Instrumentarium der Systemtheorie nicht fassen. Empirische Arbeiten brachte die Politikwissenschaft vor allem in zwei Bereichen hervor: in der politischen Soziologie respektive in der Wahlforschung einerseits und 40 Vgl. den programmatischen Aufsatz von Wilhelm Hennis, Aufgaben einer modernen Regierungslehre; in: Politische Vierteljahresschrift, 4 (1965), S.422-437.

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Teil A: Theoretischer Rahmen

in der Policy-Forschung andererseits. Letztere beleuchtete zwar die materielle Staatstätigkeit, aber "die Regierung selbst und das Regieren an sich tauchten auch darin nur am Rande auf."41 Wieder wurden abstrakte Erklärungsmodelle insbesondere hinsichtlich der Politikverflechtung konstruiert, das Spannungsverhältnis zwischen formaler und informaler Politik blieb indes ausgeblendet. Daß es letztlich der Soziologie zu verdanken ist, daß konkrete Studien über die Komponenten Formalität und lnformalität angefertigt wurden, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, entstammt doch gerade die abstrakte Systemtheorie diesem Fach. 42 Hier waren es vor allem Renate Mayntz und Nildas Luhmann, die das Problem aufgriffen.43 Beiden ging es in erster Linie um die Erklärung der Formalisierung innerhalb von Organisationen unter Fortbestand gewisser informaler Elemente. Unter Zuhilfenahme der soziologischen Erkenntnisse beschäftigte sich die Verwaltungswissenschaft ebenfalls mit informalem Handeln im rechtlichen Raum. Auch die Rechtswissenschaft, die das Thema lange nicht beachtet hatte, konnte sich seit den 80er Jahren dem Thema nicht länger verschließen. 44 Sie hatte sich lange auf das formal gesetzte Recht beschränkt und nahm informales Handeln falschlieherweise als ausschließlich abweichendes Handeln wahr. Doch spätestens als in den frühen 80er Jahren empirische Untersuchungen die weitverbreitete Existenz informalen Verwaltungshandeins ans Licht gebracht hatten, mußte die Jurisprudenz, respektive die Verwaltungsrechtswissenschaft, das Thema aufgreifen. Diese Erkenntnis hatte zunächst einen "Schockcharakter" für diejenigen, die die Verwaltung in ihrem Verhalten nur mit der Herrschaft des Rechts (rufe of law) in Verbindung brachten. 45 Diese nur zum Teil neuen Formen des Verwaltungshandeins ließen sich bis dahin nicht rechtsdogmatisch zuordnen: 41 Wewer; in: Hartwich/Wewer 1991, S.9. 42 Helmut Willke, Systemtheorie. Eine Einführung in die Grundprobleme der Theorie sozialer Systeme, Stuttgart/Jena 41993, S. 1-4. 43 Vgl. Niklas Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, Berlin 1964, S. 244 ff.; Renate Mayntz, Soziologie der Organisation, Harnburg 7 1971, S. 86.; Oskar Grün, Informale Organisation; in: Erwin Grochla (Hg.), Handwörterbuch der Organisation, Stuttgart 21980,Sp.882-890. 44 Vgl. Eberhard Bohne, Der informale Rechtsstaat. Eine empirische und rechtliche Untersuchung zum Gesetzesvollzug unter besonderer Berücksichtigung des Immissionsschutzes, Berlin 1981; ders., Informalität, Gleichheit und Bürokratie; in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 9 (1983), S.202-210; Fritz Ossenbühl, Informelles Hoheitshandeln im Gesundheits- und Umweltschutz; in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1987, S. 27 ff.; Hartmut Bauer, Informelles Verwaltungshandeln im öffentlichen Wirtschaftsrecht; in: Verw.Arch. 78 (1987), S.241 ff.; Horst Dreier, Informales Verwaltungshandeln; in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 1993, S. 64 ff.; Winfried Brohm, Rechtstaatliche Vorgaben für informelles Verwaltungshandeln; in: DVBI. 1994, S. 133 ff. 45 Vgl. Thomas Kneissler, Verwaltungen jenseits der Zweckrationalität Ein organisationstheoretisch angeleiteter Vergleich verschiedener Konzepte, Baden-Baden 1996 (Diss.), S. 83.

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"Im Dienste des Umwelt- und Gesundheitsschutzes gewinnt eine neue Form staatlicher Verhaltenssteuerungdurch Empfehlungen, Warnungen und Appelle(...) zunehmend an Bedeutung. Obwohl damit ein verstärktes Problembewußtsein in der Rechtssprechung und Rechtslehre einhergeht, ist die rechtsdogmatische Einordnung(...) und die verfassungsrechtliche Zulässigkeit behördlicher Umwelt- und Gesundheitsberatung ( ... )äußerst umstritten und keineswegs hinreichend geklärt"46,

befindet Martin Schulte noch 1988 für die Umwelt- und Gesundheitspolitik. Heute hat das Thema Informalität seine feste Verankerung im Verwaltungsrecht.47 Nicht nur rechtsdogmatisch, sondern auch rechtstheoretisch wurde das Thema mittlerweile aufgearbeitet. So gibt es erste Versuche einer Klassifizierung unterschiedlicher Formen informalen Verwaltungshandeins etwa bei Winfried Brohm, der zwischen "normvertretenden Absprachen", ,,k:onsensualem informellem Verwaltungshandeln" und "einseitigem Verwaltungshandeln" unterscheidet.48 Daß innerhalb der Rechtswissenschaft insbesondere die Verwaltungsrechtier das Thema aufgriffen, macht deutlich, daß es ihnen hauptsächlich um informales Verwaltungshandeln ging - und zwar nicht im Zusammenhang mit staatlichen Akteuren. Im Vordergrund stand die Verwaltung und ihre nicht-staatliche Umwelt, also vor allem die Partizipation von Interessengruppen beim Verfahren der Verordnungsgebung. Herrschende Lehre unter Verwaltungsrechtlern ist heute, daß informales Verwaltungshandeln die notwendige und sinnvolle Konsequenz der Administration auf veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Ansprüche ist, wie etwa die Forderung nach flexibler Einzelfallentscheidung, und insofern nicht länger als von vornherein rechtlich unzulässig angesehen werden kann: Informale Formen des Verwaltungshandeins bedürfen vielmehr "der weiteren Überprüfung, der Verfeinerung und vielfältiger Ergänzung. Auf diese Weise muß sich allmählich ein sinnvolles System eines rechtsstaatlich geleiteten und kontrollierbaren informellen Verwaltungshandeins entwickeln."49 Das Dilemma beim deutschen Verwaltungshandeln wie bei den institutionellen Beziehungen im amerikanischen Gewaltenteilungssystem läßt sich auf folgende Formel bringen: Flexibilität versus Kontrolle. Oder weitergefaßt: Effizienz gegen Legitimation und Qualität des Verwaltungshandeins gegen Rechtsstaatlichkeit. In der deutschen rechtswissenschaftliehen Diskussion ging es zunächst nicht um informale Politik im weiteren Sinne, sondern allein um die innere Verwaltungsstruktur oder aber die Beziehung der Verwaltung zu privaten Dritten. Ausgeblendet blieb das Verhältnis der Staatsorgane zueinander. Allein ein Autor behandelte auch 46 Martin Schulte, Informales Verwaltungshandeln als Mittel der staatlichen Umwelt- und Gesundheitspflege; in: DVBI. 1988, S. 512ff. 47 Vgl. Stephan Tomerius, Kooperatives Verwaltungshandeln und Demokratieprinzip- Verfassungsrechtliche Strukturvorgaben am Beispiel informeller Absprachen in Genehmigungsverfahren; in: Staatswissenschaften und Staatspraxis, 8 ( 1997): 3, S. 289; und Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, München 101995, S. 395-401. 48 Vgl. Brohm 1994, S.133f. 49 Ebd. S. 139.

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Teil A: Theoretischer Rahmen

informales Handeln zwischen staatlichen Akteuren aus rechtswissenschaftlicher Sicht. Helmuth Schulze-Fielitz hat sich mit seiner wegweisenden Schrift "Der informale Verfassungsstaat"50 verdient gemacht, indem er das Thema erstmals für die Bundesrepublik Deutschland in Gänze skizziert hat. Die wissenschaftliche Rezeption begann jetzt wieder die Politikwissenschaft zu interessieren. 1988 gründete die Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) die Sektion "Regierungssystem und Regieren in der Bundesrepublik Deutschland", die den alten Forschungsaufruf Hennis' wieder aufgriff: "Was sie (die Mitglieder der Sektion, M. S.) alle interessiert und motiviert, ist die Frage nach der anderen Seite des Regierens- jener Seite, die durch ein bloßes Studium der Verfassung, von Beamtengesetzen, Geschäftsordnungen oder Gerichtsurteilen nicht enthüllt werden kann. Diese andere Seite der Medaille ist bunt und schillernd und gerade deshalb relativ schwer in den Griff zu bekommen." 51 Jüngst befaßte sich auch der Arbeitskreis Interkultureller Demokratievergleich der DVPW mit dem Thema. Ihm ging es um die Funktion informaler Institutionen bei der Transformation autoritärer Staaten zu westlichen Demokratien.52 Für die deutsche Politikwissenschaft ist das Thema informale Politik von großer Relevanz, da es im Regierungssystem der Bundesrepulik Deutschland zu einem Spannungsverhältnis zwischen dem formalen parlamentarischen Repräsentativsystem und den informalen Komponenten des Parteienstaates kommt - das Ergebnis wird oft als Parteiendemokratie bezeichnet: "Entstehungsgrund und Zweck des Zusammenspiels von informalen und formalen Regeln in der Regierungspraxis der Bundesrepublik ist(...) die Sicherung der ,gains from exchange' zwischen den Parteien. Eine Mehrheitsregierung erlangt nur dann Stabilität und kann nur dann ihre gemeinsamen politischen Ziele verfolgen, wenn Regeln die ,Vereinbarungstreue' der Parteien sichern. Dabei ist die Aussicht auf eine stabile Kooperationsbeziehung eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, daß politische Zugeständnisse der einen Partei in Erwartung eines intertemporalen Interessenausgleichs gegeben werden können." 53

Wer das deutsche Regierungssystem ausschließlich durch die formale Brille des parlamentarischen Systems betrachtet, muß das empirische Ergebnis - gemessen an den verfassungsrechtlichen Vorgaben - als defizitär betrachten. Der Streit um das Spannungsverhältnis zwischen Art. 38. 2 GG und Art. 21. 1 GG bringt dies symbolisch zum Ausdruck. Wie im Unterkapitel "Funktionen formaler und informaler Politik" noch erläutert wird, läßt sich das deutsche Regierungssystem nicht ohne beide Komponenten der Politik verstehen. Dieses Verstehen ist jedoch Voraussetzung eiso Vgl. Schulze-Fielitz 1984.

Wewer; in: Hartwich/Wewer 1991, S.lO. Vgl. Ulrike LiebertfHans Joachim Lauth, Do Informal Institutions matter? Informelle Institutionen in der interkulturell vergleichenden Partizipations- und Demokratieforschung, S. 11 ff.; in: dies., Im Schatten demokratischer Legitimität. Informelle Institutionen und politische Partizipation im interkulturellen Demokratievergleich, Opladen/Wiesbaden 1999. 53 Philip Manow, Informalisierung und Parteipolitisierung. Zum Wandel exekutiver Entscheidungsprozesse in der Bundesrepublik; in: ZParll (1996), S. 96-107. 51

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ner folgenden Kritik. Auch für Deutschland zielt die Kritik an der Informalisierung auf mögliche negative Konsequenzen für die Öffentlichkeit. 54 Seit Aufgreifen der praktischen Probleme des Regierens ist auf diesem Gebiet wissenschaftlich viel geleistet worden. Insbesondere der tatsächliche Entscheidungsfindungsprozeß jenseits des Prinzips der Richtlinienkompetenz ist gründlich aufgearbeitet worden. 55 Die Konsequenzen informaler Politik sollen am Ende dieser Arbeit allgemein, d. h. losgelöst von einem spezifischen Regierungssystem, diskutiert werden. Das Spannungsverhältnis zwischen formaler und informaler Politik ist auch im amerikanischen Regierungssystem virulent. Die wissenschaftliche Rezeption ist indes eine gänzlich andere, da die Geschichte der amerikanischen Politikwissenschaft nicht mit der der (west-)deutschen Disziplin verglichen werden kann. Das Thema ist in den USA gänzlich anders rezipiert worden. In angelsächsischer Manier wird mit der Existenz informaler Komponenten der Politik recht pragmatisch umgegangen. Dies ist daran zu merken, daß eine theoretische Auseinandersetzung nur in Ansätzen vorhanden ist, die praktische Anwendung hingegen schon früh untersucht wurde. Bereits erwähnt wurde die Dissertation von MichaelKirstaus dem Jahre 1969. Kirst spricht in seiner Arbeit auffälligerweise noch von nicht-gesetzlichen Kontrollformen (non-statutory techniques). 56 In der amerikanischen Politikwissenschaft war es Morris Ogul, der erstmals die begriffliche Unterscheidung von formalen und informalen Kontrollformen des Kongresses eingeführt hat.57 Die Terminologie hat Schule gemacht: In Einführungsbänden zur amerikanischen Regierungslehre ist heute insbesondere im Bereich der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen meist ein Unterkapitel diesem Aspekt gewidmet. 58 Der Gewaltenteilungsexperte Louis Fisher hat sich ebenfalls mit formalen und informalen Komponenten der Politik befaßt. Jedoch ging es ihm in seiner Studie "The Authorization-Appropriation Process in Congress: Formal Rules and Informal Practices"59 nur mittelbar um die parlamentari54 Vgl. Schulze-Fielitz 1984, S. 163. Die Kritik an den Konsequenzen bzw. die Legitimationsfrage derartiger Strukturen wurde in Deutschland vor allem unter dem Stichwort Parteienverdrossenheit diskutiert, vgl. Suzanne S. Schüttemeyer, Bundestag und Bürger im Spiegel der Demoskopie, Opladen 1986, S. 126ff. 55 Vgl. Christian Hanke, Informale Regeln als Substrat des parlamentarischen Verhandlungssystems; in: ZParl25 ( 1994), S. 41 Off.; Waldemar Schreckenberger, Informelle Verfahren der Entscheidungsvorbereitung zwischen der Bundesregierung und den Mehrheitsfraktionen; in: ZParl 3 (1994), S. 329-346. Ders., Veränderungen im parlamentarischen Regierungssystem. Zur Oligarchie der Spitzenpolitiker der Parteien; in: Kar! Dietrich Bracher u. a. (Hg.), Staat und Parteien. Festschrift für RudolfMorsey, Berlin 1992, S.l31- 157. Heinrich Oberreuter, Politische Führung in der parlamentarischen Demokratie; in: ebd., S. 159-174; Wolfgang Rudzio, Informelle Entscheidungsmuster in Bonner Koalitionsregierungen; in: Hartwich/Wewer 1991, S. 125-142. 56 Vgl. Kirst 1969, S.64. 57 Vgl. Morris S. Ogul, Congress Oversees the Bureaucracy, Pittsburgh 1976. 58 Vgl. etwa Walter J. 0/eszek, Congressional Procedures and the Po1icy Process, Washington 1996, S. 308f. David Mckay, American Politics and Society, 2 1991, S. 171 f. 59 Fisher, The Authorization-Appropriation Process in Congress: Formal Ru1es and Informal Practices; in: Catholic University Law Review, 29 (1979), S. 51-105.

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sehe Kontrollfunktion. Im Zentrum seiner Untersuchung stand unmittelbar der Haushaltsprozeß der Legislative. Die Dissertation von Kirst über informale parlamentarische Finanzkontrolle fallt abgesehen von ihrem Pioniercharakter als qualitative Untersuchung dadurch auf, daß ein theoretischer Rahmen für die Einordnung informaler Komponenten des Regierens gar nicht vorhanden ist. 60 Dieser Pragmatismus im Umgang mit dem Spannungsverhältnis von formaler und informaler Politik hängt sicherlich mit der angelsächsischen Rechtskultur zusammen, der ein Rechtspositivismus kontinentaler Prägung fremd ist und in der insofern das Problembewußtsein für die Risiken informaler Komponenten der Politik nicht in gleicher Intensität vorhanden war. Erst mit dem Ausbruch der Debatte um das Gewaltenteilungssystem Mitte der 80er Jahre wurde das Phänomen informaler Politik thematisiert. Die Tatsache, daß heute die informalen Komponenten insbesondere von Rechtswissenschaftlern und obersten Bundesrichtern problematisiert werden, indem die Gültigkeit von informalen Vereinbarungen vom Gericht bestritten wird, spricht dafür, daß eine Verlagerung zugunsten der informalen Komponenten des Regierens stattgefunden hat. Das bedeutet, daß sich die Legislativ-Exekutiv-Beziehungen im Sinne der hier zugrunde gelegten Definition zunehmend informalisiert haben, indem seither formale Kommunikations- und Handlungsformen durch informale ersetzt wurden. 61 In der amerikanischen Literatur zu den jüngsten Entwicklungen im Bereich der parlamentarischen Kontrolltätigkeit wird den informalen Komponenten zwar inzwischen Beachtung geschenkt. Eine systematische Untersuchung bezüglich der Form des Gewaltenteilungsverhältnisses fehlt hingegen weiterhin, von theoretischen Überlegungen ganz zu schweigen: "The systematic study of separation of powers is in its relative infancy. The existing empiricalliterature has confirmed some of our prior understandings of shared policy-making responsibilities while mounting significant challenges to other conventional wisdom. Much more work needs to be done in all areas of presidential-congressional relations, but further research is especially needed in the areas of agenda setting and committee decision making."62

Es gilt also, vor allem den Entscheidungsfindungsprozeß in den Ausschüssen des Kongresses bezüglich der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen zu durchleuchten- für den hier zugrunde gelegten Untersuchungszusammenhang beschränkt auf den Bereich der parlamentarischen Kontrolle. An dieser Stelle muß zunächst die interdisVgl. Kirst 1969. 61 Vgl. Antonin Scalia, The Ru1e of Law as a Law of Rules; in: University of Chicago Law Review 56 ( 1989), S. 1175 ff. 62 I on R. Bond/Richard Fleisher/Glen S. Krutz, An Overview ofthe Empirica1 Findings on Presidential-Congressional Relations; in: James A. Thurber, Rivals for Power. PresidentialCongressional Relations, Washington 1996, S. 134 f. 60

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ziplinäre Diskussion um das Wesen des Legislativ-Exekutiv-Verhältnisses erläutert werden. Von ihr hängt nämlich die der parlamentarischen Kontrolle der Exekutive beigemessene Funktion erheblich ab. Wie eingangs erwähnt, herrscht über das Wesen der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen heute kein Konsens. Vielmehr ist ein regelrechter Streit um das Prinzip der Gewaltenteilung im amerikanischen Regierungssystem im Gange.63 b) Gewaltenteilungsurteile und ihr Entstehungszusammenhang Aufhänger dieses Forschungsstreits ist das Chadha-Urteil von 1983. Gefolgt wurde es vom Bowsher-Urteil. Der jüngste Streit behandelt das Gewaltenteilungsurteil Clinton v. City of New York bezüglich des line-item veto. Die beiden erstgenannten Fälle stellen die Gewaltungsteilungsdoktrin auf neue verfassungsrechtliche Füße. Während sich das Chadha-Urteil unmittelbar auf die parlamentarische Kontrolle bezieht, geht es beim Fall Bowsher und beim jüngsten Fall des line-item veto nur mittelbar um das Kontrollverständnis des Kongresses. Primär handelt es sich in beiden Fällen um Urteile über Gesetze, die eine Reduzierung des amerikanischen Haushaltsdefizits zum Ziel hatten.64 Während im Bowsher- und Chadha-Urteil durch ein formalistisches Gewaltenteilungsverständnis die Richtersprüche zuungunsten des Kongresses ausfielen, konnte gerade die konsequente Weiterverfolgung dieser Gewaltenteilungsdoktrin das lineitem-veto-Gesetz für nichtig erklären. Damit wurde die Position des Kongresses gestärkt und der Informalisierungstrend der politischen Kommunikation zwar nicht gestoppt, aber verlangsamt, wie in dieser Arbeit gezeigt werden soll. 65 Worum geht es aber im einzelnen in den für diese Arbeit zentralen Fällen? Die rechtswissenschaftliche Diskussion um das legislative Veto im Fall Chadha behandelt vor allem das Tauschprinzip zwischen Delegation legislativer Kompetenzen und Kontrolle der exekutiven Regulierungen durch den Kongreß - also verfassungs63 Vgl. Peter E. Quint, Gewaltenteilung und Verfassungsauslegung in den USA; in: DÖV 13 (1987), s. 568-578. 64 Ich konzentriere mich auf die drei genannten Gewaltenteilungsurteile, weil nur sie sich mit der parlamentarischen Kontrolle über den Gesetzes- und auch den Haushaltsvollzug befassen- direkt oder indirekt. Andere Urteile, vor allem Morrison v. 0/son, das bloße Erwähnung findet, spielen im hier behandelten Zusammenhang keine Rolle. 65 Das jüngste Gewaltenteilungsurteil war das erste seit 1988, das die Position des Kongresses maßgeblich stärkte. Seinerzeit bestätigte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten im Fall Morrison v. Olson das Ethics in Government Act, ein Gesetz aus dem Jahr 1978, das es Richtern ermöglicht, einen unabhängigen Ermittler einzusetzen, um eventuelles Fehlverhalten von hohen Exekutivmitgliedern zu untersuchen. Die Kläger meinten, mit dem Gesetz würden exekutive Domänen, etwa der verwaltungsinternen Kontrolle, usurpiert und insofern gegen das Gewaltenteilungsgebot verstoßen. Die Obersten Richter verteidigten in diesem Fall lediglich eine komplementäre judizielle Kompetenz. Nur indirekt wurde hier die Position des Kongresses gestärkt, vgl. Morrison v. 0/son, 487 U. S. 654 (1988).

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Teil A: Theoretischer Rahmen

praktische Angleichungen an die Gewaltenteilung im amerikanischen Regierungssystem.66 Chief Justice Warren E. Burger-und mit ihm die Mehrheit der Verfassungsrichter- argumentiert mit einer engen Verfassungsauslegung, indem er dieLegislative daran bindet, daß ihr externes Handeln, das sich in Rechtsnormen widerspiegelt, beide Kammern zu durchlaufen habe und dem Präsidenten eine Veto-Möglichkeit vorbehalte.67 Wenn sich der Kongreß also selbst aus redlichen Gründen für die Delegation seiner Kompetenzen an die Exekutive entscheide, dann müsse er auch die Konsequenzen, d. h. Machteinbußen, ertragen. Burger spricht der bisherigen Verfassungspraxis des legislativen Vetos Effizienz zu; dies sei aber verfassungsrechtlich irrelevant. Das Ziel, die Regierungsgewalten an dem ihnen zugewiesenen Platz zu halten, genieße gegenüber der Effizienz Priorität. Dieser Auffassung, die bislang mehrfach gerichtlich bestätigt wurde68 , widerspricht Richter Byron R. White in seiner Mindermeinung. Er sieht die Gewaltenteilung durch das legislative Veto nicht in Gefahr, da die Legislative die Exekutive nur in den Fällen sanktionieren darf, in denen zuvor der Kongreß der Verwaltung Kompetenzen übertragen hatte. Demnach sei das Bild eines seine Kompetenzen überschreitenden Kongresses falsch. White befaßt sich auch mit den Konsequenzen des Urteils. "Without the legislative veto, Congress is faced with a Hobson's choice: either to refrain from delegating the necessary authority, leaving itself with a hopeless task of writing laws with a requisite specificity to cover endless special circumstances across the entire policy landscape, or in the alternative, to abdicate its lawmaking function to the Executive Branch and independent agencies."

Beides scheint White nicht erstrebenswert. Das Urteil hält laut White also vermeintlichen Verfassungsprinzipien die Treue, die mit der politischen Wirklichkeit längst nicht mehr korrespondieren. Während White das legislative Veto für ein zentrales Mittel des Kongresses hält, die Verwaltung zu kontrollieren, beschränkt der heutige Chief Justice Williarn H. Rehnquist seine Ablehnung auf einen zweiten Aspekt, dem auch White zustimmt: Ein Gesetz sei von seinen Ausführungsbestimmungen nicht zu trennen. 66 Der Oberste Gerichtshof erklärte im Chadha-Urteil das legislative Veto für verfassungswidrig, weil es dem Prinzip der Gewaltenteilung widerspreche. Mit dem legislativen Veto hatte der Kongreß beziehungsweise eine Kammer oder ein Ausschuß eine Verordnung der Verwaltung im Verwaltungsverfahren stoppen können, wenn das jeweilige Gremium der Meinung war, die an die Verwaltung delegierte Regulierungsbefugnis führe zu einer Gesetzesimplementation, die nicht im Einklang mit der normativen Grundlage sei, vgl./NS v. Chadha, 462 US 919 (1983). 67 Folgende Zitate aus: INS v. Chadha, 462 US 919 (1983). 68 Vgl. Metropoliran Washington Airports Authority v. Citizenfor the Abatement of Aircraft Noise, 50 1 U. S. 252 ( 1991 ), sowie: Emest Gellhom/Ronald M. Levin, Administrative Law and Process, St. Paul 4 1997, S. 44f.

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Werde also die parlamentarische Kontrolle und gegebenenfalls Sanktion, die sich aus den Ausführungsbestimmungen eines Gesetzes ergibt, für verfassungswidrig befunden, so habe auch der materielle Gehalt des Gesetzes keinen Bestand. Die hier implizierte Argumentation lautet, daß der Kongreß seine legislativen Kompetenzen nicht an die Verwaltung delegiert hätte, wenn er sich nicht stets der Möglichkeit zur sanktionierenden Kontrolle sicher gewesen wäre. 69 Mit der Argumentation der Mehrheit des Obersten Gerichtshofs, selbst effektive, von beiden Seiten der Gewalten gewünschte Mechanismen der Gewaltenverschränkung seien verfassungswidrig, ging das Gericht neue verfassungstheoretische Wege. Zuvor hatten die Richter einer pragmatischen Verfassungsrechtssprechung zugeneigt, nachdem die USA mit der New-Deal-Ära den Schritt in den Verwaltungs- und Leistungsstaat nachvollzogen hatten, den andere Länder längst gegangen waren. Nach den Auseinandersetzungen zwischen dem Obersten Gerichtshof und der Administration unter der Präsidentschaft Franktin D. Roosevelts, bei denen es um die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Delegation legislativer Kompetenzen an die Administration ging, hatte das Gericht die funktionalen Verschränkungen beider Gewalten weitestgehend anerkannt. Bislang letztes Beispiel dieser pragmatischen Verfassungsauslegung war das Urteil im Fall Nixon v. Administrator ofGeneral Services. 10 In dem Fall hatte der Kongreß im Zusammenhang mit dem Watergate-Skandal per Gesetz die General Services Administration (GSA) ermächtigt zu entscheiden, welche präsidentiellen Dokumente den Status "privat" und welche den Status "öffentlich" verdient hätten- für welche Dokumente Richard Nixon also sein executive privilege geltend machen und einem eingesetzten Sanderermittler Einsicht in diese Dokumente verweigern könne.71 Nixon- bereits aus dem Amt geschieden und durch seinen Amtsnachfolger Gerald Ford begnadigt- klagte gegen das Vorgehen der GSA mit der Begründung, der Kongreß verstoße mit dem Gesetz gegen das Gewaltenteilungsprinzip. Der Oberste Gerichtshof lehnte diese Argumentation seinerzeit ab. Die Argumente, derer sich das Gremium dabei bediente, stellten eine direkte Verkehrung derjenigen dar, derer sich das gleiche Gericht (in anderer Besetzung) wenige Jahre später bediente: Der Kongreß passe sich mit der Ermächtigung an den Verwaltungsträger an "contemporary realities of our political system"72 an und set69 Die Frage der Trennbarkeit von Gesetzesdelegation und Kontrollrecht in den bestehenden Gesetzen wurde erst durch Folgeurteile niederer Gerichte geklärt. Danach haben nur legislative Vetos beinhaltene Gesetze Bestand, deren Texte auch ohne Vetorecht verabschiedet worden wären, vgl. City of New Haven, Conn. v. United States sowie Alaska Airfines lnc. v. Brack; in: CQ - Weekly Report, 44 (1986), S. 3025 sowie CQ- Weekly Report 45 ( 1987), S. 581. Die Frage, für welche Gesetze dieser Umstand zutrifft, ist freilich höchst umstritten und bedarf im Zweifelsfall richterlicher Klärung. 70 Vgl. Nixon v. Administrator ofGeneral Services, 433 US425 (1977). 71 Vgl. Michael Foley/John E. Owens, Congress and the Presidency. Institutional Politics in a Separated System, Manchester/New York 1996, S. 344. 72 Folgende Zitate aus: Nixon v. Administrator ofGeneral Services, 433 US425 (1977).

3 Sattar

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ze folglich bloß den "pragmatic flexible approach of Madison" um. Das Richtergremium votierte demnach gegen die formalistische Gewaltentrennungsvorstellung und für Flexibilität im Zusammenwirken der beiden Gewalten. Dabei steht dem Kongreß nach Meinung des Obersten Gerichts das Recht zu, per Gesetz Verwaltungsträger zu bestimmten Handlungen zu ermächtigen - unabhängig vom Willen des Präsidenten. Schon im Chadha-Vrteil verkehrt sich dieser Grundsatz der funktionalen Gewaltenverschränkung zugunsten von Kooperation. Noch sichtbarer wird dies aber im Fall des Bowsher-Vrteils, das noch deutlichere Parallelen aufwies. In diesem Fall erklärte der Oberste Gerichtshof nämlich, die Verfassung gestatte dem Kongreß keine aktive Rolle "in the Supervision of officers charged with the execution of the laws it enacts."73 Mit dieser Begründung wäre aber jegliche Form der mitlaufenden parlamentarischen Kontrolle über den Gesetzesvollzug verfassungswidrig. Worum ging es im einzelnen? Das Gremium erklärte eine zentrale Passage des Deficit-Reduction Act of 1985 (Gramm-Rudmann-Hollings-Act I, i. w. GRH I) für verfassungswidrig, da sie gegen das Prinzip der Gewaltenteilung verstoße.74 Das Gesetz (P. L. 99-177) galt der Reduzierung des immensen Haushaltsdefizits, indem für die Jahre 1986-1991 Obergrenzen für das Defizit festgelegt wurden. Die umstrittene Passage sah vor, dem Camptroller General des General Accaunting Office (GAO) das Initiativrecht für automatische Ausgabenkürzungen zu geben. Dem GAO-Vorsitzenden kam danach die Rolle zu, die Höhe der Ausgabenkürzungen zu errechnen und an die entsprechenden Verwaltungsträger zu übermitteln. Mit dieser Methode sollte der Versuch gemacht werden, langfristig einen ausgeglichenen Haushalt herzustellen. Eben diese Passage überstand die verfassungsrichterliche Prüfung nicht, da die Eingriffe des Camptroller General gegen die richterliche Vorstellung der Gewaltenteilung verstießen. Nach dem Scheitern von GRH I folgte 1987 GRH II (P. L. 100-119), das auf die Passage verzichtete.75 Das Gesetz hatte mit der parlamentarischen Kontrolle im Sinne der Finanzkontrolle unmittelbar nichts zu tun. Die richterliche Begründung, warum GRH I verfassungswidrig sei, offenbarte das neue Gewaltenteilungsverständnis: Hier kommt, wie schon in der Chadha-Entscheidung, die Wendung zu einer strikten Gewaltentrennung zum Ausdruck, da die Verfassungswidrigkeit damit begründet wird, daß der Kongreß einer von ihm abhängigen Behörde nicht die Ausführung von Gesetzen übertragen könne.76 Der Kläger Michael L. Synar (D-Oklahoma) erklärte, das GRH "tried to insulate Congress from the hard choices our Founding Fathers gave us and expected us to 73

Foley 1996, S. 347.

Vgl. im folgenden Foley 1996, S. 346 f.; Aaron Wildavsky, The New Politics of the Budgetary Process, New York 2 1992,5.257- 259. 15 Vgl. Werner Heun, Das Budgetrecht im Regierungssystem der USA, Baden-Baden 1989, S. 83. 76 Heuen 1989, S.85. 74

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make."77 Der Camptroller General, der durch den Senat abgesetzt werden könne, sei nämlich Vorstand einer legislativen Behörde, die exekutive Tätigkeiten ausübe. Das widerspreche dem Gedanken der Gründerväter von einer "wholly independent executive branch. " 78 Wildavsky ist zuzustimmen, daß der Geist der Verfassung fehlinterpretiert würde, wenn der Oberste Gerichtshof von einer völlig unabhängigen Exekutive spreche- sie sei vielmehr institutionell unabhängig, funktional allerdings an die Legislative gekoppelt. Auch im Bowsher-Urteil gibt es, wie schon bei Chadha, eine 7:2-Entscheidung im Supreme Court. Wieder befindet sich Byron White in der Mindermeinung, diesmal mit Harry Blackmun. Beide wenden sich gegen den "disstressingly formalistic view of separation of powers"79 • Auch hier stehen sich wie im Chadha-Fall zwei Positionen gegenüber, die repräsentativ sind für die staatsrechtliche Kontroverse um das wahre Verständnis der Gewaltenteilung: hier das Primat der Effizienz der Gewaltenverschränkung, dort das Primat der Machtbeschränkung durch Gewaltenteilung. Beide Seiten schöpfen ihre Argumente aus den Quellen der Framers, der Verfassungsväter, die selbst das Spannungsverhältnis zwischen Effizienz und Machtbeschränkung theoretisch konstituierten. Um eben dieses Spannungsverhältnis ging es auch bei der line-item-veto-Entscheidung. Um dies zu zeigen, muß ein Blick auf die Geschichte der Gesetzesentstehung geworfen werden: 80 Der I 04. Kongreß verabschiedete im Rahmen des von Republikanischen Mitgliedern des Repräsentantenhauses geschlossenen Contract with America das lange umstrittene Line-ltem Veto Act. Präsident Bill Clinton unterschrieb das Gesetz (P.L. 104-130) am 9.Aprill996, so daß es zum 1.Januar 1997 in Kraft treten konnte. Die Legislative entschied sich zum einen für ein gesetzliches Vorhaben, da eine verfassungsändernde Mehrheit in beiden Kongreßkammern aussichtslos war. Zum anderen wählten die Parlamentarier trotz der Namensgebung nicht das originäre selektive Veto für den Präsidenten, sondern ein enhanced rescission-Verfahren: Anders als bei der ersten Variante mußte der Präsident seine Streichungsvorschläge nochmals dem Kongreß vorlegen. Dieser befand dann - allerdings nur mit zwei Dritteln beider Kammern, ob diese annehmbar seien oder nicht.81 Schon bei Verabschiedung des Gesetzes wurde deutlich, daß die unterlegenen Parlamentarier eine verfassungsrichterliche Prüfung anstreben würden. Zunächst lehnte der Oberste Gerichtshof eine u. a. von Senator Robert C. Byrd (D-West-Virgina) und Repräsentant David E. Skaggs (D-Colorado) angestrengte Appellationsklage mit der Begründung ab, daß es sich um eine im amerikanischen RegierungsWildavsky 1992, S. 257. Ebd. S. 258. 79 Ebd. 80 Vgl. im folgenden: Congressional Quarterly - Weekly Report, 28.Juni 1997, S.l498f.; CQ-WR, 16. August 1997,5. 1951-1956, CQ-WR, 14. Februar 1998, S. 380f. 81 Zumgenauen Inhalt des Gesetzestextes vgl. Kapitel B. I. 4. 77

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3•

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system nicht zulässige abstrakte Normenkontrolle handele, da das Gesetz bis dahin noch nicht angewandt worden war. Doch in der Sache war damit freilich nichts entschieden. Nach erstmaliger Anwendung des Gesetzes im August 1997 waren nunmehr einer konkreten Normenkontrolle Tür und Tor geöffnet. Es folgte eine Klage der Stadt New York sowie einiger Krankenhaus-Organisationen gegen die Streichung von Steuerentlastungen durch Präsident Clinton zu ihren Ungunsten. Außerdem klagte der Agrarverband Snake River Potato Growers gegen das selektive Veto, das die Abschreibung von Kapitalertragssteuern bei Verkäufen an landwirtschaftliche Genossenschaften wieder aufhob. 82 Am 12. Februar 1998 gab ein US-Bundesgericht der Klage gegen das selektive Veto statt. Das Weiße Haus beschritt den Instanzenweg. Der Oberste Gerichtshof veröffentlichte seine Entscheidung gegen das selektive Veto am 25. Juni 1998.83 Auch wenn sich die verfassungspolitischen Konsequenzen der ersten beiden Urteile und des line-item-veto-Urteils diametral gegenüberstehen, ist die Argumentation die gleiche. Nahezu wortwörtlich wiederholt die 6:3-Mehrheit des Obersten Gerichtshofs in ihrer Begründung die zentrale Aussage des Chadha-Urteils: "(...) the line-item veto law violates a constitutional requirement that legislation be passed by both houses of Congress and presented in its entirety to the president for signature or veto". 84 Danach bleibt dem Präsidenten allein ein Entweder-Oder. Ein Herumstreichen im Gesetzestext sehe die Verfassung nicht vor. 85 Richter Paul Stevens begründete, "this act gives the president the unilateral power to change the text of duly enacted statutes" und sei insofern ein "functional equivalent of partial repeals of acts of Congress"86• Ebensowenig wie ein legislatives Veto sei auch ein tineitern veto nicht in der amerikanischen Verfassung vorgesehen. Handelt es sich also bei dem Urteil sozusagen um ausgleichende Gerechtigkeit hinsichtlich der Machtverteilung zwischen beiden Gewalten? Rechts- und Politikwissenschaftler bedürfen anderer Beurteilungsmaßstäbe als eines schiedsrichterlichen Gerechtigkeitsempfindens. Die Verfassung selbst und deren verfassungsrichterliche Interpretation gibt den Maßstab vor. Diese ist höchst umstritten - in der Rechtswissenschaft und auch im Richtergremium. Drei Richter, unter ihnen Antonin Scalia, wichen von der Mehrheitsmeinung ab: "There is not a dime's worth of difference between Congress 's authorizing the president to cancel a spending item, and Congress's authorizing money tobe spent on a particular item at the president's discretion" 87 , schrieb Scalia, der bislang als strenger Hüter der formalistischen GeDewar/Biskupic 1998. Vgl. Williarn J. Clinton v. City ofNew York; Robert E. Rubin v. Snake River Potato Growers; in: www.citizen.org/litigation/briefs/lineitem.html (10.9.98, 19.22 Uhr). Im weiteren: Clinton v. City of New York. 84 Ebd. 85 Vgl. Sattar 1998. 86 Dewar/Biskupic 1998. 87 Ebd. 82

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waltenteilungsdoktrin, der rechtspolitischen Schule der textualists, in Erscheinung getreten war. Es zeigt sich, daß der Frontenverlauf komplizierter ist, als ursprünglich angenommen. c) Gewaltenteilungsdoktrin auf dem Prüfstand Die dargestellte Kontroverse um die Gewaltenteilungsdoktrin wird durch eine Binnendifferenzierung der Wissenschaftler kompliziert. So sieht der Rechtswissenschaftler Martin H. Redish nicht nur zwei widerstrebende Kräfte am Werk. Es gebe zwei Formen der formalistischen Schule und eine funktionalistische Schule. Abgrenzungskriterium zwischen Funktionalisten und Formalisten sei die Nähe zum Verfassungstext: Wahrend sich die reinen Funktionalisten laut Redish bei der verfassungsrichterlichen Überprüfung weit vom Verfassungstext entfernen und statt dessen die Funktionalität des Handeins zum Maß aller Dinge erheben, verbleiben Formalisten enger am Dokument. Redish, der selbst für den "pragmatischen Formalismus" plädiert, trennt diesen von den "epistemologischen Formalisten": "lt is important (... ) to distinguish ,epistemological' formalism from what might oxymoronically be referred to as ,pragmatic' formalism. The former represents a commitment to a rigidity and Ievel of abstraction that is quite probably not possible and certainly unwise. ,Pragmatic formalism', on the other hand, is a ,streetsmart' mode of interpretation, growing out of recognition of the dangers to which a more ,functional' or ,balancing' analysis in the separation-of-powers context may give rise. ( ... ) The pragmatic nature ofthe formalistic approach advocated here is manifested in two ways. Initially, pragmatic factors Iead to the choice of formalism in the first place: no conceivable alternative adequately guards against the dangers that the system of separation of powers was adopted to avoid. Secondly, pragmatism influences how the differing concepts of branch power are ultimately to be defined."88

In der Konsequenz heißt dies für Redish, daß das Handeln einer Regierungsgewalt daran gemessen werden müsse, ob es unter der Definition dessen subsumiert werden könne, was der Gewalt an Kompetenz zugeschrieben wurde (so weit die Übereinstimmung mit den Epistemologen) oder sich daraus ableiten lasse. Abgeleitete Kompetenzen (derived powers) seien zudem schwierig zu bestimmen. Hier schlägt Redish vor: "In fashioning its definitions of branch power, the Court should Iook to a combination of policy, tradition, precedent, and linguistic analysis. Presumably, within certain linguistic boundaries, the definitions may evolve over time, much as the definitions of other constitutional terms have. "89

Redish' Dreiteilung weist deutliche Schwächen auf. Die Definition der Kompetenzen nach Politikfeld, Tradition und sprachlicher Analyse - eingebettet in den 88 Martin H. Redish, The Constitution as Political Structure, New York/Oxford 1995, S.lOOf. 89 Ebd. S. 101.

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Teil A: Theoretischer Rahmen

zeitlichen Kontext - ist schwammig. Am Ende können sich sowohl reine Formalisten als auch Funktionalisten dieses Prinzip zunutze machen. Der Autor verfolgt wohl rechtspolitische Ambitionen: Die vermeintliche Mittelstellung der sogenannten "pragmatischen Formalisten" soll diese als vermittelnde Instanz anpreisen. Er selbst neigt indes zu einer deutlich formalistischen Gewaltenteilungsposition.90 Funktionalisten würden darüberhinaus von sich weisen, sich vom Verfassungsgehalt entfernt zu haben. Auch sie stützen sich bei ihrer Verfassungsinterpretation auf die Gründerväter. Politikwissenschaftler neigen mehrheitlich zu der sogenannten funktionalistischen Sichtweise. Diese Tendenz wird sicherlich bedingt durch das Erkenntnisinteresse der Disziplin, das anders als bei Verfassungsrechtlern nicht alleine auf die Verfassung, sondern das politische System gerichtet ist. So kommt der Gewaltenteilungsforscher Louis Fisher zu dem Ergebnis: "The result [des Richterspruches von 1983, M. S.] gives the executive branch a one-sided advantage in an accomodation that was meant to be a careful balancing of the executive and the legislative interest."91 Fisher weist außerdem darauf hin, daß etwa das legislative Veto nicht nur im Interesse des Kongresses sei, sondern auch den Wünschen und Anforderungen der Exekutive und hier insbesondere der unabhängigen Verwaltungsträger entspreche. Das gleiche lasse sich über GRH I sagen, das im Zusammenwirken beider Gewalten entstand, um der immensen Staatsverschuldung entgegenzuwirken. Nur durch die funktionale Verschränkung der Gewalten komme es im politischen System der USA nämlich zur Lösung politischer Probleme, da beide Seiten auf ein Geben und Nehmen angewiesen seien. Auch James L. Sundquist verteidigt das Prinzip der funktionalen Verschränkung im allgemeinen - und das Kontrollmittel des legislativen Vetos im besonderen. Es erfülle im amerikanischen Regierungsprozeß genau jenes Prinzip, das der BurgerCourtmit dem Verbot des Vetos schützen wollte- die checks and balances. Das legislative Veto sei eben kein Affront gegen das Gewaltenteilungssystem, sondern "an additional check the Faunding Fathers did not think of."92 Daß die Gründerväter hieran nicht gedacht haben, liegt freilich daran, daß sie es nicht mußten, da das Parlament aufgrund noch überschaubarer Staatsaufgaben die Aufgabe der Regulierung selbst erfüllen konnte. Während die Politikwissenschaft mit ihrem Blickwinkel auf den amerikanischen Regierungsprozeß inhaltlich auf seiten Richter Whites steht, tendiert die Verwaltungswissenschaft dazu, der Argumentation Burgers zuzustimmen. Auch dies hängt m. E. mit dem Erkenntnisgegenstand der Disziplin zusammen. Die Public-Administration-Lehre befaßt sich naturgemäß mit der Verwaltung, d. h. mit den internen Vgl. Kapitel C.I.l. b). Fisher 1991, S.l79. 92 Sundquist 1987, S. 282.

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I. Einführung

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Strukturen und Funktionen eines Segmentes des Regierungsapparates. Das Erkenntnisinteresse der Verwaltungswissenschaft ist also auf das Innenleben der Exekutive konzentriert. Diese exekutiv-zentrierte Sichtweise nimmt das Parlament als externen (Stör-)Faktor wahr. 93 "The public administrator's message to the legislature was simple and direct: get out of administration."94 Legislatives Handeln ende demnach mit der Verabschiedung von Gesetzen. Diese Sichtweise der Verwaltung spiegelt sich in ihrer Wissenschaft oftmals wider. Parlamentarische Kontrolle kann folgerichtig nur darin bestehen, neue Gesetze zu erlassen, die den Vollzug durch die Verwaltung steuern. Mitlaufende Kontrolle über den Gesetzesvollzug ist somit eine Einmischung in interne Angelegenheiten der Exekutive. So beschreibt etwa die National Academy ofPublic Administration eine Idealvorstellung der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen, wenn sie behauptet,"( ...) the Executive Branch is principally responsible for policy initiation, implementation, and program management. (... ) Congress is principally responsible for legislating policy and allocating resources, oversight [hier allein im Sinne nachträglicher Aufsicht, M. S.], and representation." 95 Diese puristische Verfassungsvorstellung geht jedoch, wie gezeigt werden soll, an der politischen Realität und der Notwendigkeit zur institutionellen Kooperation vorbei.96 Die Trennlinie verläuft selten so sauber. d) Literatur- und Quellenlage

Vor diesem Hintergrund kann nun die Literatur- und Quellenlage bezüglich der formalen und informalen parlamentarischen Kontrollfunktion im amerikanischen Regierungssystem dargestellt werden. Anders als in Deutschland hat die amerikanische Politikwissenschaft dem Thema der parlamentarischen Kontrolle spätestens seit den Kongreßreformen der 70er Jahre große Aufmerksamkeit geschenkt. Insbesondere für die methodischen Überlegungen und die Darstellung der parlamentarischen Kontrolle im präsidentiellen Regierungssystem kann auf umfangreiche Sekundärliteratur zurückgegriffen werden. Hervorzuheben sind hierbei die Studien von Foreman, Aberbach und McCubbins/Schwartz.97 Für definitorische Zwecke ist von deutscher Seite Steffanis BeVgl. hierzu ebd. S.264ff. Ebd. S. 265. 95 CRS-Report, Joint Committee on the Organization of Congress, Congressional Reorganization: Options for Change, 9/1992. % Weiterführend zur Forschungskontroverse vgl. Jonathan L. Entin, Congress, the President, and the Separation of Powers: Rethinking the Value of Litigation; in: Administrative Law Review, 43 (1991): 1, S. 31-60; Morton Rosenberg, Congressional Control of Agency Decisions and Decisionmakers: The Unitary Executive Theory and Separation of Powers, CRS-Report 87-838 A; David H. Rosenbloom, Public Administrative Theory and the Separation of Powers; in: Public Administration Review, 43 (1983): 3, S.219-225. 97 Vgl. Christopher H. Foreman, Signals from the Hili: Congressional Oversight and the Challenge of Social Regulation, New Haven 1988; Joel D. Aberbach, Keeping a Watchful 93

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Teil A: Theoretischer Rahmen

griffsklassifizierung anregend, weil sie die Weite des Gegenstandes berücksichtigt und Kontrolle in allihren Facetten subsumiert.98 Ebenfalls hilfreich sind die Diskussionen des Kontrollbegriffs von Krebs und Stadler. 99 Hinsichtlich der Thematisierung von informalen Kontrollformen selbst haben sich zwei Politikwissenschaftler des Congressional Research Service, Fisher und Kaiser, besonders hervorgetan. 100 Fishers Beiträge zur Gewaltenteilung haben die Debatte stark beeinflußt. Er grenzt sich von der formalistischen Sichtweise der Rechtswissenschaft ab. Seine empirischen Untersuchungen über die Auswirkungen der Urteile haben die Fragestellung dieser Arbeit beeinflußt. Ebenso sind Fishers Arbeiten zur historischen Funktion des legislativen Vetos sehr nützlich. Die Dissertation von Craig 101 , die v. a. die Geschichte des legislativen Vetos und dessen Aufstieg in den 70er Jahren thematisiert, verweist auf pluralismustheoretische Probleme des legislativen Vetos, da die Kontrollform konfliktfähige Interessen im Gesetzesvollzug bevorteilen könne. Dieser Argumentationsstrang wird hier nur indirekt aufgegriffen, da Craigs Pluralismuskritik übersieht, daß es sich bei dem von ihr aufgezeigten Phänomen um keine spezifische Folge des legislativen Vetos handelt. Wie sich nämlich zeigen wird, sind informale Ersatzmechanismen gerade hinsichtlich des Interessenvermittlungssystems problematisch. Die Veröffentlichung von Craigs Arbeit fiel zeitlich mit dem Chadha-Urteil zusammen. Die Obersten Richter hätten, wie die Autorin in ihrem Vorwort von 1983 betrübt festzustellen meint, aus einer politikwissenschaftlichen eine primär historische Studie gemacht. Die Geschichte der parlamentarischen Kontrollform seit 1983 revidierte diese Ansicht. Die Dissertation von Korn, das jüngste Werk zu diesem Thema, 102 begrüßt die richterliche Entkräftung des legislativen Vetos, da das Urteil die Parlamentarier dazu gezwungen hätte, ihrer eigentlichen Funktion nachzukommen - der der GeEye. The Politics ofCongressional Oversight, Washington 1990; Mathew D. McCubbins!Thomas Schwartz, Congressional Oversight Overlooked: Police Patrols versus Fire Alarms; in: Mathew D. McCubbins(ferry Sullivan, Congress: Structure and Policy, Cambridge 1987, S.426- 440. 98 Vgl. Winfried Steffani, Formen, Verfahren und Wirkungen der parlamentarischen Kontrolle; in: Hans-Peter Schneider/WolfgangZeh (Hg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch, Berlin/N. Y. 1989, S. 1325-1367. 99 Vgl. Walter Krebs, Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen, Heidelberg 1984; Peter M. Stad/er, Parlamentarische Kontrolle der Bundesregierung, Opladen 1984 (=Beiträge zur sozialwissenschaftliehen Forschung, Bd.63). 100 Vgl. Fisher 1978, S. 241- 254; ders ., Congress and the President in the Administrative Process: The Uneasy Alliance; in: Hugh Heclo/Lester M. Salamon (Hg.), The Illusion of Presidential Govemment, Boulder 1981; ders. 1990, S.43- 61 ; ders. 1991; ders., The Legislative Veto: Invalidated. It Survives; in: Law and Contemporary Problems, 56 (1993), S. 273-292; Frederick Kaiser, Congressional Control of Executive Actions in the Aftermath of the Chadha-Decision; in: Administrative Law Review, 36 (1984): 3, S. 239-275. 101 Vgl. Craig 1983. 102 Vgl. Jessica Korn, The Power of Separation. American Constitutionalism and the Myth ofthe Legislative Veto, Princeton 1996. (Diss.)

I. Einführung

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setzgebung nämlich. Diese Auffassung vernachlässigt freilich die Multifunktionalität der Institution, die - obschon sie Legislative heißt - nicht nur Gesetze verabschiedet. Dieser Ansicht waren auch schon die Verfassungsväter. Bei der vorliegenden Untersuchung der parlamentarischen Praxis seit 1983 wird auf die Parlamentsberichterstattung des CQ- Weekly Report sowie des CQ Almanac zurückgegriffen. Der empirische Teil der Arbeit bezieht sich vor allem auf Quellen. Herangezogen werden Gesetzestexte, Ausschußberichte und -protokolle sowie die Geschäftsordnungen beider Kammern. Als außerordentlich hilfreich erwiesen sich zudem kongreßinterne wissenschaftliche Studien (CRS-Reports und Jssue Briefs) sowie Kongreßberichte des General Accounting Office. Für den Bereich der informalen Kontrolle kann dank der Unterstützung Fishers auf Memoranden und Richtlinien verschiedener Bundesbehörden sowie auf den dienstlichen Schriftwechsel von Regierungspersonal zurückgegriffen werden. Als hilfreich für die Erfassung und Analyse informaler Kommunikations- und Handlungskanäle zwischen Legislative und Exekutive erwiesen sich zudem Gerichtsurteile gegen bestimmtes Verwaltungshandeln. Zahlreiche verwaltungsrechtliche Klagen von Dritten richten sich gegen informale Absprachen im Verfahren der Verordnungsgebung. Die Urteilsbegründungen können hier als Quellen herangezogen werden: Sie stellen den Fall dar, beleuchten informale politische Kommunikation und bewerten ihren Einfluß auf den politischen Prozeß. Die rechtwissenschaftliche Diskussion über dieses Phänomen ist sekundäre und primäre Quelle zugleich: letzteres dadurch, daß der Zeitpunkt ihres Auftretens die Aktualität und Brisanz der Informalisierung indiziert. Tiefere Einsicht in den politischen Prozeß im informalen Kontrollsektor ist zahlreichen Expertengesprächen zu verdanken, die während eines Kongreß-Praktikums im Büro des US-Senators Christopher S. Bond (R-Missouri) im Sommer 1996 und bei einem Forschungsaufenthalt im Congressional Research Service (CRS), dem wissenschaftlichen Dienst des US-Kongresses, im Sommer 1999 geführt wurden. Neben CRS-Mitarbeitern, allen voran den Gewaltenteilungsexperten Louis Fisher, Morton Rosenberg, Walter Oleszek und Frederick Kaiser, wurden Interviews mit Vertretern der drei Ecken der teilweise fortbestehenden iron triangles geführt: persönlichen Referenten von Senatoren und Repräsentanten, Stabpersonal der Ausschüsse beider Kongreßkammern, Mitgliedern unabhängiger Regierungsbehörden sowie Vertretern vonspecialund public interest groups. Die Liste der Experten befindet sich im Literaturapparat Klaus von Beyme beschreibt zu Recht die mühsamen Prozesse, sich mit lnterviewstudien den nicht-formalisierten Seiten des Regierungshandeins zu nähern. 103 Daher sind die Hilfestellungen der persönlichen Mitarbeiter von Senator Bond besonders hervorzuheben. Durch sie wurde die an sich nicht-öffentliche politische Kommunikation zwischen dem Büro des Senators und der Verwaltung mitunter IOJ

Vgl. v.Beyme 1991, S.49.

42

Teil A: Theoretischer Rahmen

transparent. Auch anderswo wurden Informationen preisgegeben -jedoch verbunden mit der Bitte, die Informationsquellen nicht offenzulegen, obwohl es in dieser Arbeit alleine um das Durchleuchten politischer Prozesse geht - und nicht um das Aufdecken politischer Skandale. Off-the-record-Belege werden in der Arbeit freilich als solche kenntlich gemacht.

II. Regierungssystem und Formalisierungsgrad Regierungssysteme in westlichen Demokratien beruhen auf Regelwerken, die - abgesehen von der Möglichkeit der expliziten Gewährung von Grundrechten - staatsorganisatorische Fragen klären, indem auf der Grundlage der Legitimation eines Staates die Partizipation des Staatsvolkes verankert wird und Kompetenzen institutionell zugewiesen und begrenzt werden. 104 Die Verfassung eines Staates beschreibt den Soll-Zustand, an dem der Ist-Zustand gemessen wird. Letzterer wird in der Rechtswissenschaft als Verfassungswirklichkeit bezeichnet. Die Politikwissenschaft stellt dem Verfassungsbegriff statt dessen die Begriffe Regierungssystem im engeren Sinne bzw. politisches System im weiteren Sinne gegenüber. 105 In diese Gegenüberstellung läßt sich das Begriffspaar formale und informale Politik indes nicht direkt einordnen. Während etwa die Gesetzgebungstätigkeit im parlamentarischen Verfahren die Verfassungswirklichkeit betrifft, kann diese in praxi sowohl formal als auch informal geprägt sein. 106 Konkret heißt dies etwa: Die Abstimmung über einen Gesetzesentwurf im Deutschen Bundestag stellt die Verfassungswirklichkeit dar. Übersetzt auf die Form der Politik muß dieser konkrete politische Prozeß differenziert werden. Die mündliche Koalitionsabsprache im Vorfeld der Abstimmung zählt zum Bereich der informalen Politik, wohingegen der eigentliche Urnengang derformalen Politik zuzurechnen ist. Formale und informale Politik hängen unserem vorläufigen Verständnis nach mit der rechtlichen Verbindlichkeit zusammen. Für das angeführte Beispiel heißt dies, daß gegen den Urnengang Rechtsmittel geltend gemacht werden können- die sich auf die Normen der Geschäftsordnung des Parlaments bis hin zum Verfassungsrecht beziehen. Die Koalitionsvereinbarung ist jedoch eine bloße Absprache. Zuwiderhandlungen haben keine rechtlichen, allenfalls politische Konsequenzen. Formale und informale Politik trennt indes keine grundlegende Dichotomie. Es ist mithin nicht möglich, politische Prozesse eindeutig der einen oder anderen Kategorie zuzuordnen. Vielmehr ist von einem Kontinuum zwischen den Extremen 104 Vgl. exemplarisch Manfred G. Schmidt, Demokratietheorien. Eine Einführung, Opladen 1995, S.44ff. ws Vgl. v.Beyme 1988, S. 129ff. 106 V gl. Helmut Schulze-Fielitz, Das Verhältnis von formaler und informaler Verfassung; in: Axel Görlitz/Hans-Peter Burth (Hg.), Informale Verfassung, Baden-Baden 1998, S. 27.

II. Regierungssystem und Formalisierungsgrad

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auszugehen. Es stehen nicht einfach verfassungsrechtlich bzw. gesetzlich geregelte Verfahren solchen diametral gegenüber, denen es an rechtlicher Normierung mangelt. Einerseits endet nämlich die Normenhierarchie nicht bei den Gesetzen, und andererseits ersetzen informale Verfahren keineswegs immer formale. Oftmals komplementieren sie diese lediglich. Informale Komponenten der Politik sind ein beständiges Merkmal politischer Prozesse, die von Menschen bestimmt sind. 107 Informales Handeln ist häufig die notwendige Vorstufe zu formalem Handeln bzw. auch die notwendige Umsetzung formaler Anweisung. Der Bezug beider Komponenten zueinander ist also kein grundsätzlich problematischer Widerspruch, sondern zuvörderst ein fruchtbares Spannungsverhältnis. Jedoch ist die zunehmende Informalisierung im hier verstandenen Sinne problematisch, da das Normalverhältnis beider Komponenten zueinander gestört ist und formale durch informale Handlungsformen ersetzt werden. Woran sich formale und informale Politik bestimmen läßt, soll hier anband von Indikatoren erschlossen werden. Daran anschließend wird ein Funktionskatalog erarbeitet, der sich nicht nur am amerikanischen, sondern auch am deutschen Regierungssystem orientiert. Dies ist notwendig, um am Ende Versuche einer Verallgemeinerung zu machen.

1. Indikatoren der Forrnalisierung Bei der Bestimmung des Vorgangs der lnformalisierung (oder Formalisierung, abhängig von der Denkrichtung) ist es sinnvoll, von einer Kettenmetapher auszugehen. 108 Jeder Politik im Sinne von politics kann ein Formalisierungsgrad zugewiesen werden. Formalisierung muß also operationalisiert werden, um im Einzelfall meßbar zu sein. Dies ist methodologisch möglich- im Gegensatz zu dem Anliegen, losgelöst vom Einzelfall den Einfluß informaler Politik auf politische Outputs zu berechnen. Die Bestimmung der Indikatoren bestimmt den Fokus auf den Erkenntnisgegenstand. Dieser muß dann qualitativ durchleuchtet werden. Mit der rechtlichen Grundlage wurde ein Indikator der Operationalisierung in unserer vorläufigen Definition bereits angeführt. Die normative Grundlage bestimmt die Legitimation des Handelns. Diese stellt sich als Kette dar, deren stärkstes Glied das Verfassungsrecht bildet. Es wird gefolgt vom Gesetzes- und Satzungsrecht sowie dem Verordnungsrecht und reicht bis hin zu schriftlichen und mündlichen Absprachen als schwächstem Glied. Obwohlletztere oftmals als Verträge bezeichnet werden, wie etwa beim Vgl. Thomas Kneissler 1996, S. 83; Arthur Benz 1992, S 40. Der von Wemer Jann vorgeschlagene Begriff wird inzwischen vielfach übernommen, vgl. Lars Kastning, Informelles Regieren- Annäherung an Begriftlichkeit und Bedeutungsgehalt; in: Hartwich/Wewer 1991, S. 69-78. Während das Kontinuum inzwischen weitgehend übernommen wird, herrscht bezüglich der Unterscheidung von informal und informell weiterhin ein Chaos. Hier wird der Auffassung Schulze-Fielitz' entsprochen, wonach informelles Handeln die höchste Stufe des Informalen darstellt. 107 108

Teil A: Theoretischer Rahmen

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Koalitionsvertrag, hat diese Bezeichnung keine juristische, sehr wohl aber eine faktische Relevanz. Die rechtliche Grundlage ist jedoch nicht der einzig bestimmende Indikator der Formalität der Politik. Diese wird nämlich ebenso von der Regelhaftigkeit des Handeins determiniert. Eine hochgradige Regelhaftigkeit von Handlungen zwischen institutionellen Akteuren steht für eine steigende Institutionalisierung und damit eine gewisse Formalisierung des politischen Prozesses. Auch für diesen Sachverhalt läßt sich die Praxis der Koalitionsbildung im parlamentarischen Regierungssystem der Bundesrepublik anführen, die heute ihren festen Ablauf hat: Sondierungsgespräche mit unterschiedlichen Parteien, partei-interne Selektion des Verhandlungspartners, Koalitionsverhandlungen getrennt nach Personal- und Sachpolitik, Koalitionsvertrag und schließlich - abhängig von der jeweiligen Partei - die Bestätigung durch Parteigremien. An den parteienstaatlichen Komponenten des parlamentarischen Regierungssystems der Bundesrepublik läßt sich das Zusammenwirken formaler und informaler Politik anschaulich illustrieren. Hinzu kommt ein letzter Indikator der Informalisierung: die Öffentlichkeit des Handelns. Oftmals ergänzen informale politische Prozesse die formale Politik, um im nicht-öffentlichen Vorfeld von Entscheidungen diese lautlos herbeizuführen. Die Motive, eine nicht-öffentliche Entscheidungstindung einer öffentlichen vorzuziehen, divergieren dabei erheblich. Festzuhalten bleibt, daß der Faktor Öffentlichkeit ebenfalls Formalität anzeigt. Stufen der Formalität IÖ

NIÖ Formal

vu

VI Informal

Informell

(N =normiert; I =institutionalisiert; Ö = öffentlich; V =verdunkelt; U =unregelmäßig)

Formalität wird also durch die rechtliche Grundlage, die Regelhaftigkeit sowie die Transparenz des Handeins bestimmt. Je geringer diese Faktoren ausgeprägt sind, um so informaler ist der politische Prozeß. Am Ende dieser Kette steht mit Helmuth Schulze-Fielitz das Informelle: "Alles ,Informelle' ist definitionsgemäß (...)auch informal - aber das gilt nicht umgekehrt." 109 Diese drei Indikatoren der Formalität der Politik dürfen nicht losgelöst voneinander gesehen werden: Normative Grundlage, Regelhaftigkeit und Transparenz stehen vielmehr in einer lexikalischen Ordnung zueinander. Wo eine rechtliche Basis gegeben ist, herrscht auch Transparenz. Das heißt nicht, daß die Öffentlichkeit im allgemeinen die Möglichkeit besitzt, die politischen Prozesse wahrzunehmen, sondern eine systemische Öffentlichkeit. Parlamentarische Auschüsse etwa, die sich mit 109

Schulze-Fielitz 1984, S.16.

II. Regierungssystem und Formalisierungsgrad

45

Themen der nationalen Sicherheit (Verteidigung oder Geheimdienste) befassen, haben eine rechtliche Legitimation - und sie sind darüber hinaus legitimiert, die Öffentlichkeit auszuschließen. Sie selbst bilden in diesem Zusammenhang die Öffentlichkeit. Der Begriff der Öffentlichkeit wird also nicht absolut, sondern systemisch verstanden, indem politische Prozesse immer dann als transparent gelten, wenn die Öffentlichkeit des jeweiligen Systems an den Entscheidungsfindungsprozessen zwischen mindestens zwei externen Akteuren beteiligt ist. Innerhab der lexikalischen Ordnung hat die rechtliche Grundlage des Handeins also Priorität. Als Arbeitsdefinition kann nun festgehalten werden, daß der Prozeß der Informalisierung der Politik einen Vorgang beschreibt, bei dem ( 1) anstelle von formalen Kommunikations- und Handlungsstrukturen solche treten, die rechtlich geringer abgesichert sind, bei dem (2) die Regelhaftigkeit sich zunehmend auflöst und (3) oftmals auch nicht-öffentliche Orte der Entscheidungstindung gesucht werden. 2. Funktionen formaler und informaler Politik Ausgehend von dieser Arbeitsdefinition soll nun nach den Funktionen formaler und informaler Politik gefragt werden. In bezug auf formale Politik mit ihren Bestimmungsmerkmalen der gesetzlichen Grundlage, der Öffentlichkeit und der Regelmäßigkeit des politischen Handeins kommen die Funktionen denen des liberalen Rechtsstaates gleich. 110 Der gegenwärtige Rechtsstaatsbegriff läßt sich dabei nicht auf die Rechtsgebundenheit des staatlichen Handelns, also auf die Legitimation, beschränken. Neben Rechtssicherheit gehören die Berechenbarkeit der politischen Vorhaben sowie die Gewährung von Partizipations- und Kontrollmöglichkeiten dazu. 111 Schwieriger erscheint es, die Funktionen informaler Politik zu bestimmen, da die einzelnen Ziele der politischen Akteure, die sich informaler politischer Mechanismen bedienen, sehr unterschiedlich sein können und oft als selbstverständlich hingenommen werden, ohne dabei einmal hinterfragt zu werden. Die Vielfalt der Ziele läßt sich jedoch unter vier Funktionen subsumieren: a) Abstimmungs- und Aushandlungsfunktion, b) Konfigurationsfunktion, c) Ausschließungsfunktion, d) Koalitionsfunktion.

110 Vgl. Herifried Münkler, Staat und Regieren- formales Regierungssystem und informelles Regieren in Ideengeschichte und Staatstheorie; in: Hartwich/Wewer 1991, S. 51-67. 111 Vgl. Hermann Avenarius, Die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung, Bonn 1995, S.21 ff.

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Teil A: Theoretischer Rahmen

a) Abstimmungs- und Aushandlungsfunktion Die Abstimmungsfunktion ist die wohl geläufigste Koropenente informaler Politik. Abstimmung beginnt im amerikanischen Regierungssystem etwa beim sogenannten log-rolling, also der Vereinbarung zwischen Kongreßmitgliedern, ihre Gesetzesinitiativen, die die Interessen des Wahlkreises oder Heimatstaates des jeweiligen Kongreßmitgliedes widerspiegeln, gegenseitig zu unterstützen. 112 Diese Form der grassroot politics gehört schon in solch einem Maße zum politischen Prozeß, daß die Legitimation dafür nicht in Frag~gestellt wird. "All politics is local"113 , definierte kurzerhand der ehemalige House-Speaker Tip O'Neill. Abstimmung findet meist in Bereichen statt, die politisch bzw. parteipolitisch nicht strittig sind, die- anders formuliert - zur Konvention gehören bzw. im Begriff sind, Konventionen zu werden. Abstimmung auf informaler Ebene erfolgt im deutschen Regierungssystem beispielsweise bei der Wahl des Präsidiums des Deutschen Bundestags. Während auf formaler Ebene die Wahl des Bundestagspräsidenten und seiner Stellvertreter mit einfacher parlamentarischer Mehrheit erfolgt und somit die Regierungsmehrheit das Präsidium autonom bestimmen könnte, sieht dies in der Realität anders aus: 114 Im Vorfeld der Wahl kommt es zu informalen Absprachen zwischen den Fraktionsführern und den parlamentarischen Geschäftsführern. Das Ergebnis ist eine Verteilung der Posten nach Gesichtspunkten des Proporzes. Antrieb für diese Handhabung ist in diesem Fall nicht eine konkrete politische Zielsetzung, sondern parlamentarische Konvention. Konventionen unterliegen keiner rechtlichen Bestimmung, wohl aber einer Regelmäßigkeit. 115 Auch hier wird die Abstufung der Informalität deutlich: Die informale Abstimmung im Vorfeld der Wahl bedingt durch ihre Regelmäßigkeit eine graduelle Formalisierung. Die Regelmäßigkeit von Konventionen kann in anderen Rechtskulturen sogar Gesetze ersetzen. In Großbritannien gehören Konventionen derart zur politischen Kultur, daß sie nicht mehr als informale Politik wahrgenommen werden. Konventionen konstituieren Verhaltensregeln, "which are considered binding by and upon those who operate the constitution but which are not enforced by the courts or by the presiding officers in the Houses of Parliament." 116 Die Aushandlungsfunktion bezieht sich zwar ebenso auf die politische Entscheidungsfindung. Ihr fehlt jedoch ihr wiederkehrender Charakter in bezug auf eine Vgl. v.Beyme 1991, S.38. Tip 0' Neill, All Politics is Local and other Rules of the Game, Holbrook 1994. 114 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags. Hg. v. der Verwaltung des Deutschen Bundestags, Bonn 1996, S.l5. m Vgl. Schulze-Fielitz 1984, S. 18ff. Hier unterscheidet der Autor zwischen Verfassungskonventionen, politischer Kultur und Verfassungsku1tur. 116 Philip Norton, The Changing Constitution; in: Bill Jones (Hg.), Politics UK, New York u. a. 2 1994, S. 281. 112

113

II. Regierungssystem und Formalisierungsgrad

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Sachfrage. Durch die mangelnde Regelmäßigkeit unterscheidet sie sich in der Folge auch in ihrer Akzeptanz von Konventionen. Diese Form der informalen Politik wird mitunter als "Mauschelei" gebrandmarkt, wobei der Übergang zwischen formaler Politik, in der es "menschelt", und tatsächlicher "Mauschelei" freilich fließend ist. Im parlamentarischen Regierungssystem der Bundesrepublik mit seinen parteienstaatlichen Komponenten kommen informale politische Vereinbarungen im Bereich des Aushandeins etwa bei der Entscheidungsfindung zwischen Bundestag und Bundesrat vor. Da das formale Gesetzgebungsverfahren zwischen beiden Institutionen kompliziert und langwierig ist, werden mitunter Entscheidungen im Vorfeld parlamentarischer Verfahren gesucht, indem sich etwa die zentralen Akteure, Vertreter der Bundesregierung, Fraktionsführer und Ministerpräsidenten einzelner Länder, in informalen Runden treffen. 117 Auch in den USA gibt es derartige informale Aushandlungen von Gremien, die rechtlich nicht verankert sind. 118 Die Ratifizierung des NAFfA-Vertrages, mit dem sich die USA, Kanada und Mexiko zu einer Freihandelszone zusammenschlossen, wurde vor der eigentlichen Abstimmung im US-Senat durch überparteiliche Gespräche im Weißen Haus eingeleitet. 119 Dabei bleibt es dann pure Spekulation, welche politischen Zusagen der Präsident den Kongreßmitgliedem macht, die in seinem Sinne abstimmen. Die Aushandlungsfunktion der informalen Politik gründet sich ebenfalls auf der nicht-öffentlichen Verhandlungsweise. Hier können Interessen artikuliert werden, die im öffentlichen Plenum nicht unverschleiert geäußert werden könnten. Dies bedeutet keineswegs, daß es sich um illegitime Absprachen handeln muß. Meist geht es bei nicht-öffentlichen Vereinbarungen nur darum, sachgerechte Lösungen für ansonsten ideologisch ausgefochtene Streifragen zu finden, ohne den medialen Prestigezwängen ausgesetzt zu sein. 117 Ein Beispiel ist das große Steuerreformvorhaben von 1997. Die Steuerrunde im Kanzleramt, die am Ende scheiterte, sollte vor der Abstimmung im Bundestag und der Behandlung des Gesetzesvorhabens im Bundesrat Kompromisse herbeiführen. Nachdem diese Möglichkeit aufgrund politischer Differenzen gescheitert war, mußte notgedrungen das formale Gesetzgebungsverfahren gewählt werden. Politiker bedauerten diesen "langwierigen Prozeß" des formal-parlamentarischen Weges, vgl. Steuerreform vor dem Aus. Letzte Vermittlungsrunde? in: Heilbronner Stimme, 26. September 1997. 118 Einen allgemeinen Überblick für den außenpolitischen Bereich gibt Cecil V. Crabb, Ir./ Pat M. Holt, Invitation to struggle. Congress, the President, and Foreign Policy, Washington, 1992, S.55f. 119 Der nicht-öffentliche Aushandlungsprozeß wird von dem investigativen Washingtoner Journalisten Bob Woodward beschrieben, vgl. ders., The Agenda, Inside the Clinton White House, New York et al. 2 1995, S. 374 ff. Einblicke aus Sicht eines Kabinettsmitglieds verschafft der frühere Arbeitsminister Clintons, Robert B. Reich, der in diesem Aushandlungsprozeß die opponierenden Gewerkschafter besänftigen mußte, vgl. ders., Locked in the Cabinet, New York 1997, S.l27f.

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Teil A: Theoretischer Rahmen

Oftmals geht es den Initiatoren informaler politischer Prozesse aber auch darum, unpopuläre Entscheidungen zu verschleiern bzw. Entscheidungen zu verhindern, die wichtige Interessen eines Wahlkreises negativ beeinflussen würden. Möchte ein Kongreßmitglied seine Position nicht öffentlich machen, so stehen ihm Instrumente dafür zur Verfügung. Eine institutionalisierte Form informaler Politik mit dem Ziel der Aushandlung stellt das hold im Senat dar: "Nowhere mentioned in Senate rules or precedents, holds are an informal device unique to the upper body." 120 Das Instrument erlaubt einem einzelnen Senator oder einer Gruppe von Senatoren, die Behandlungen von bestimmten Gesetzgebungs- oder Resolutionsverfahren im Plenum zu stoppen- zeitweise oder auch ganz. 121 Dabei wendet sich die betreffende Person je nach Fraktionszugehörigkeit an den Mehrheits- oder Minderheitsführer im Senat mit dem Anliegen, ein bestimmtes Verfahren zu stoppen - ganz gleich, ob das Anliegen, das der Senator mit dem Instrument verfolgt, mit der gestoppten legislativen Tätigkeit zusammenhängt. Der Mehrheitsführer entscheidet dann, wie lange er dem Ansinnen nachkommt. Dabei spielen parteipolitische Erwägungen keine Rolle. Das hold geht auf ein nie verbrieftes gentlemen' s agreement zurück: Jeder Senator hat einmal ein vitales Interesse gegen ein bestimmtes Vorhaben, das er aber nicht öffentlich machen möchte. Daher akzeptiert der Mehrheitsführer dieses Anliegen, wobei Senatoren das Instrument sparsam einsetzen sollten, um ihre Glaubwürdigkeit in der oberen Kammer nicht zu verlieren. Diese kaum bekannte informale Senatsregel mutet vordergründig betrachtet seltsam an. Sie paßt jedoch in die Tradition des Senats, der durch die Prinzipien der ausgiebigen Rede und Blockadeoptionen (extended debate and filibustering) sowie durch das verfahrenstechnische Einstimmigkeitsprinzip (unanimous consent) bestimmt ist. Das hold ist nur ein Mittel, um öffentliche und zeitzehrende filibuster zu vermeiden. Bis 1999 war dieses Instrument nicht öffentlich. Mit Beginn des 106. Kongresses im Januar 1999 vereinbarten Mehrheitsführer Trent Lott (R-Mississippi) und Minderheitsführer Tom Daschle (D-South Dakota) auf Betreiben der Senatoren Charles Grassley (R-Iowa) und Ron Wyden (D-Oregon) eine Änderung der secret hold-Regelung. In einem "Dear Colleague"-Brief, der auch im Parlamentsprotokoll Congressional Record abgedruckt wurde, informierte die Senatsführung darüber, daß: "[A]t the beginning ofthe first session ofthe 106th Congress all members wishing to place a hold on any legislative or executive calendar business shall notify the sponsor of the legislation and the committee of jurisdiction of their concems. Further, written notification should be provided to the respective Leader stating their intentions regarding the bill." 122

Darüber hinaus sollten holds von seiten der Mitarbeiter der Senatoren gänzlich verboten werden, es sei denn der Senator autorisiert seinen Stab dazu schriftlich. Die Initiative ist ein Musterbeispiel für den Versuch, informale politische Prozesse Walter 0/eszek, "Holds'' in the Senate, CRS-Report 98-712 GOV. Vgl. auch im folgenden ebd. 122 CR, 3. März 1999, vgl. ebd. 120 121

II. Regierungssystem und Fonnalisierungsgrad

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zu formalisieren. Die Initiative ist indes auch ein Exempel dafür, daß diese Versuche zum Scheitern verurteilt sind, wenn die Bedingungen, die die informalen Instrumente einst hervorgebracht haben, fortbestehen. Schon im Juni 1999 sollte sich nämlich bei der Bestätigung Richard Holbrookes als neuen UN-Botschafter der USA durch den Senat zeigen, daß die informalen, geheimen holds weiterhin eingesetzt werden.123 Das ohnehin schwierige Bestätigungsverfahren Holbrookes durch das Senate Foreign Affairs Committee, wurde im Sommer 1999 durch einen nicht mit der Person des Diplomaten zusammenhängenden Fall kompliziert. 124 Nachdem der Ausschuß im Juni schließlich dem Senat die Bestätigung Holbrookes empfahl, setzten zwei Senatoren "irresconcilable holds" 125 auf die Nominierung. Mehrheitsführer Lott weigerte sich, die beiden Senatoren zu identifizieren, versicherte aber, daß die Schwierigkeiten nichts mit der Person Holbrookes zu tun hätten, sondern einen anderen Fall beträfen. Das bisherige informale Instrument war wiederhergestellt, weil die Ausschließung der Öffentlichkeit durch das informale Instrument weiter gewünscht wurde.126 b) Konfigurationsfunktion

Die Konfigurationsfunktion ist westlichen Demokratien unabhängig von ihrem konkreten Regierungssystem zu eigen. So müssen parlamentarische Demokratien mit parteienstaatlichen Elementen leben und können insofern die Reinform repräsentativer Regierungsweise nicht aufrechterhalten. Hier werden über informale Komponenten der Politik die parteienstaatlichen Elemente dem System der parlamentarischen Demokratie konfiguriert. Die Beschlüsse von Partei- und Koalitionsgremien in bezug auf das parlamentarische Abstimmungsverhalten, aber auch die bloße Existenz von Koalitionsgremien an sich, sind typische Beispiele dafür. Oft wird der normative Anspruch der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers und dessen tatsächlicher Spielraum hierfür beispielhaft angeführt. 127 Neben das Kabinett Vgl. Washington Post, l.Juli 1999, A5. Ausschußvorsitzender Jesse Helms (R- North Carolina) hatte mit der Mehrheit der Republikanischen Ausschußmitglieder die Bestätigung des recess-appointment lange verzögert, weil Holbrooke als Mitglied der Exekutive unter anderem Gelder für Publikationen von seiten Dritter angenommen hatte. 125 Washington Post, l.Juli 1999, A5. 126 Für CRS-Mitarbeiter Walter Oleszek war das Scheitern der Fonnalisierung vorauszusehen: "This agreementwas phony in the first place. How are you going to enforce it?, Interview in Washington D.C., Juni 1999. 127 Vgl. Wolfgang Jäger, Von der Kanzlerdemokratie zur Koordinationsdemokratie; in: ders., Wer regiert die Deutschen? Zürich 1994, S. 12 ff.; Peter Haungs, Kanzlerdemokratie in der Bundesrepublik Deutschland. Von Adenauer bis Kohl; in: Zeitschrift für Politik 33, 1986, S. 44 ff.; Karl-Heinz Niclauß, Kanzlerdemokratie - Banner Regierungspraxis von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl, in: Hartwich/Wewer (Hg.), Regieren in der Bundesrepublik 1, Opladen 1990, S. 133 ff. 123 124

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Teil A: Theoretischer Rahmen

treten große Kanzlerrunden, Koalitionsarbeitsgruppen und zum Teil gesellschaftliche Gruppen umfassende Bündnisse. 128 Neben Kanzler und Ministern sind immer die Fraktions- und Parteispitzen mit einbezogen. Der Kanzler koordiniert. 129 Diese Gremien und die Beschlüsse dieser Gremien sind, wie an anderer Stelle bereits ausgeführt, Komponenten informaler Politik, denen es an rechtlicher Legitimation, nicht aber an politischer Geltung mangelt. Auch im amerikanischen Regierungssystem kommt es zur Systemkonfiguration über Komponenten informaler Politik. Hier bedingt die Doktrin der Gewaltenteilung eine Angleichung an tatsächliche Erfordernisse der funktionalen Verschränkung. Mit der Ausweitung der Staatstätigkeit, die in den USA erst in den 30er Jahren des vergangeneu Jahrhunderts während des New Deal erfolgte, kamen auf die Exekutive neue Anforderungen zu. 130 Die eigentliche Regulierungstätigkeit ging hier sowohl bezüglich der Initiative als auch hinsichtlich der Umsetzung zunehmend auf die Exekutive über, wohingegen zuvor der US-Kongreß über Einzelfallgesetze der Verwaltung oftmals konkrete administrative Akte auferlegt hatte. Im Bereich der Regulierung wurden vermehrt Gesetze indirekt von seiten des Präsidenten eingebracht, im Bereich der Umsetzung wurden Gesetze zu bloßen Ermächtigungen für exekutive Konkretisierungen. Heute ist der Präsidentchief legislator, ohne daß dies im formalen Sinne vorgesehen wäre. 131 Ein Kongreßmitglied fungiert als Mittelsmann des Präsidenten im Parlament. Dieser bringt die legislativen Wünsche des Präsidenten im Kongreß ein. Die Konfigurationsfunktion sorgt also dafür, daß formale Systeme sich über informale Komponenten wandeln können, ohne daß der äußere Rahmen umstrukturiert werden muß.

c) Ausschließungsfunktion Die dritte Funktion informaler Politik, die Auschließungsfunktion, kommt immer dann zum Tragen, wenn politische Prozesse öffentlich nicht ohne Sanktionen möglich wären. Sanktionen bedeuten in diesem Zusammenhang nicht etwa den Einsatz von Rechtsmitteln gegen politisches Handeln, sondern die Anwendung politischer Druckmittel. Diese politischen Sanktionen können entweder von seiten der breiten 128 Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder, der angekündigt hatte, dem Regieren der Elefantenrunden ein Ende zu bereiten, mußte schnell die Realitäten des Parteienstaates zur Kenntnis nehmen. Auf Drängen seines Koalitionspartners, Bündnis 90/Die Grünen, kommt dem Koalitionsausschuß, der im Koalitionsvertrag noch ausschließlich als Krisengremium Erwähnung findet, eine weitaus gewichtigere Bedeutung zu, vgl. Ralf Henkel, Sehröder greift zum System Kohl. Elefantenrunden sollen künftig Chaos vermeiden; in: Heilbronner Stimme, 3.März 1999. 129 Vgi.Jäger 1994, S.68 130 David McKay, American Politics and Society, Oxford 2 1989, S. 204ff. 131 Jäger, Der Präsident; in: Jäger/Welz 1995, S.l52ff.

II. Regierungssystem und Formalisierungsgrad

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Öffentlichkeit, etwa der Wählerschaft, ausgehen oder von einer engeren Öffentlichkeit, etwa von Mitgliedern der eigenen Partei. Treffen politische Akteure Entscheidungen, die sie für notwendig halten, die jedoch in der engeren oder breiteren Öffentlichkeit unpopulär wären, wird die Ebene der informalen Politik gewählt, um diese Gruppen vom Entscheidungsfindungsprozeß auszuschließen. Damit wird die Einflußnahme dieser Gruppen während des Vorgangs der Entscheidungstindung verhindert. Das Ergebnis dieses Vorgangs muß freilich der Öffentlichkeit übermittelt werden. Nachträgliche Sanktionen verlieren aber oft an Wirkung - nicht zuletzt deshalb, weil die beteiligten Akteure ihr Ergebnis, das oft die Bündelung von partikularen Interessen beinhaltet, als einen aufeinander abgestimmten Kompromiß präsentieren können, gegen den schwer anzugehen ist. Die Ausschließungsfunktion informaler Politik wird etwa bei der parlamentarischen Kontrolle der Exekutive, insbesondere der Verwaltung, im Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland deutlich.132 Hier leistet zwar vornehmlich die parlamentarische Opposition die politische Richtungskontrolle vor allem über die Öffentlichkeit, doch auch die parlamentarische Mehrheit, die Regierungsmehrheit, ist daran interessiert, eine Leistungskontrolle bei der Verwaltung durchzuführen-dies aber fern der Öffentlichkeit. Der Impetus ist neben einer regulativen Gemeinwohlorientiertheit der Abgeordneten durchaus auch das Eigeninteresse: Skandale innerhalb der Verwaltung fallen später auf die parlamentarische Mehrheit zurück. Diese Kontrolle findet fern jeglicher Öffentlichkeit statt, um Versäumnisse möglichst im Vorfeld zu korrigieren. Im amerikanischen Regierungssystem gibt es ebenso Beispiele für die Ausschließungsfunktion in unterschiedlichen Bereichen. Auch hier läßt sich die parlamentarische Kontrollfunktion heranziehen. Zwar spielt hier die partei-politische Zugehörigkeit eine weniger große Rolle. Unzufriedenheit über die Verwaltung wird aber von seitender Kongreßmitglieder, die der Partei des Präsidenten angehören, zumeist auch nicht öffentlich, sondern auf informaler Ebene geäußert, um dem Präsidenten nicht zu schaden. Dabei kommt es zu Kontakten zwischen Mitarbeitern der Abgeordneten und hohen Verwaltungsangestellten, wie in der qualitativen Untersuchung gezeigt wird.

d) Koalitionsfunktion Die Koalitionsfunktion wird im Zusammenhang dieser Untersuchung, wie sich noch zeigen wird, im Mittelpunkt stehen. Dies trifft vor allem auf das LegislativExekutiv-Verhältnis zu. Generell kommt die Koalitionsfunktion informaler Politik zum Tragen, wenn politische Bündnisse formaler Art nicht durchführbar sind- sei 132 Manfred Schwarzmeier, Mitsteuerung durch Kontrolle - zu Theorie und Praxis informaler parlamentarischer Kontrolle im parlamentarischen Regierungssystem am Beispiel des Deutschen Bundestags. (Diss. im Erscheinen)

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Teil A: Theoretischer Rahmen

es aus rechtlichen oder aus parteipolitischen Gründen. Bündnisse werden geschlossen, um gemeinsame Interessen zu verfolgen. Informale Bündnisse verfolgen Interessen, die bestimmte Gruppen nicht wahrnehmen sollen. Auch hier wird eine Öffentlichkeit ausgeschlossen. Doch im Unterschied zur Ausschließungsfunktion geht es der informalen Koalition nicht nur um eine Verdunkelung punktueller Entscheidungsfindungsprozesse, sondern um die dauerhafte BündeJung ihrer Interessen. Im amerikanischen Regierungssystem kommt es insbesondere im Legislativ-Exekutiv-Verhältnis zur Verfolgung dieser Funktion, da die Exekutive, wie noch dargestellt wird, kein monolithischer Block ist, sondern teilweise unterschiedliche Interessen verfolgen kann. Dies liegt vor allem daran, daß die Verwaltung unterhalb der Kernexekutive (EOP) einer doppelten Verantwortung unterliegt. In personeller Hinsicht werden die hohen politischen Verwaltungsposten sowohl vom Präsidenten als auch vom Senat bestimmt, in finanzieller Hinsicht hängen sie hingegen ausschließlich am Tropf des Kongresses. Da der Kongreß, respektive der Senat, eine politische Institution von Dauer ist, die das Prinzip der legislativen Diskontinuität nicht kennt, und in dem sich personell und politisch der Wandel nur sehr langsam vollzieht, der Präsident hingegen zumindest alle acht Jahre wechselt, ist es nicht verwunderlich, daß Verwaltungsträger sich dem Kongreß zuweilen verantwortlicher fühlen als dem Präsidenten. Dies kann dazu führen, daß executive orders des Präsidenten informal unterlaufen werden. Der Impetus von seiten der Verwaltung kann zum einen Eigeninteresse sein, bei dem es dem Verwaltungsträger allein um die Weiterbewilligung seiner Haushaltsgelder geht. Er kann aber durchaus auch politische Übereinstimmung sein. Letzterer Fall wäre dann ein klassisches Beispiel für die Koalitionsfunktion informaler Politik. Sind sich unabhängige Verwaltungsträger und die zuständigen Kongreßausschüsse einig, so ist es für sie ein leichtes, die Politik des Präsidenten zu konterkarieren. Die Mittel der informalen Koalitionsbildung sind dabei vielseitig und reichen von rechtlich nicht verbindlichen, aber schriftlich fixierten Absprachen bis hin zu Vereinbarungen am Telefon. Der Präsident weiß um diese Art von Absprachen, verfügt aber ob der Informalität im Vorfeld über keinerlei Instrumente, diese zu unterbinden. Die Darstellung der unterschiedlichen Funktionen informaler Politik zeigt, wie schwierig eine Abgrenzung ist, da die Übergänge fließend sind. Daß sich in der Praxis diese Funktionen häufig nicht unterscheiden lassen, liegt auch daran, daß der Einsatz informaler Mechanismen multifunktional ist.

III. Begriffsklärung: Kontrolle und Kontrollgegenstand

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111. Begriffsklärung: Kontrolle und Kontrollgegenstand 1. Parlamentarische Kontrolle Schon die Wahl des Begriffes Kontrolle bedarf einer Erläuterung, da die entsprechende Literatur aus den Vereinigten Staaten statt dessen von oversight spricht, von Aufsicht also. 133 Da jedoch im Deutschen der Aufsichtsbegriff mit unterschiedlicher Bedeutung benutzt wird, soll hier der weitaus gängigere Kontrollbegriff gebraucht werden. 134 Der Begriff der Kontrolle ist äußerst komplex und muß auf mehreren Analyseebenen betrachtet werden. Etymologisch stammt Kontrolle von der mittelalterlichen Praxisnamens ,contrarotulus' (Gegenrolle), die den Vorgang der Gegenrechnung als Überprüfung eines Originals umschrieb. 135 Von dort erhielt der Begriff über die Klassiker der Staatsphilosophie Einzug in die heutigen Sozialwissenschaften. Demokratietheoretisch kommt ihm eine zentrale Stellung zu: Demokratische Kontrolle ist die Institutionalisierung des Mißtrauens gegenüber der Machtausübung. 136 Der Begriff der demokratischen Kontrolle wurde von Karl Loewenstein wegweisend typologisiert. 137 Loewenstein unterscheidet vertikale Kontrollen, wie etwa den Föderalismus oder den Pluralismus, und horizontale Kontrollen, d. h. Kontrollen auf derselben Ebene. Die horizontale Kontrolle selbst gliedert er in Intraorgankontrollen, wie etwa die verwaltungsinterne Kontrolle, und die Interorgankontrollen zwischen einzelnen machttragenden Akteuren. Solche Akteure sind die Wählerschaft, die Regierung, das Parlament und die Gerichte. Für die Bestimmung der parlamentarischen Kontrolle war in der deutschen Politikwissenschaft Winfried Steffani bedeutend. Während Loewenstein sein Augenmerk auf die Frage "Wer kontrolliert?" richtet, ist für Steffani die Frage "Wie wird 133 Erst in jüngster Zeit taucht auch in der amerikanischen Literatur der Begriff "control" auf, vgl. Ingeborg Eleonore Schäfer, Bürokratische Macht und demokratische Gesellschaft. Kontrolle der öffentlichen Verwaltungen- ein internationaler Vergleich, Opladen 1994, S. 50 f. 134 So sprechen Ellwein/Hesse von Aufsicht hinsichtlich der verwaltungsinternen Kontrolle des Ministers über sein Ressort, vgl. Thomas Ellwein/Joachim Jens Hesse, Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 6 1987, 377ff. Dagegen verweist Richard Bäumlin auf die sprachliche Unterscheidung von Kontrolle als nachträgliche Überprüfung eines Sachverhalts und Aufsicht als eine in die Zukunft weisende Tätigkeit. Bäumlin selbst lehnt jedoch das Mittel der sprachlichen Deduktion diesbezüglich ab und verwendet beide Begriffe gleichermaßen, vgl. Richard Bäum/in, Die Kontrolle des Parlaments über Regierung und Verwaltung; in: Zeitschrift für Schweizerisches Recht 85 (1966): 2, S. 231 f. Zur Diskussion um das terminologische Definitionsproblem vgl. Stad/er 1984, S. 6 ff. 135 V gl. Burkhard Frey, Parlamentarische Kontrolle und Untersuchungsrecht Dargestellt anhand zweier Beispiele aus der harnburgensehen Untersuchungspraxis, Harnburg 1992, S. 17. 136 Zum demokratietheoretischen Aspekt des Kontrollbegriffs vgl. Jürgen Domes, Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Hg. v. Fachschaft Politikwissenschaft, Universität des Saarlandes, Saarbrücken 1994 (= Vorlesungsskript), S.33ff. 137 Vgl. im folgenden Kar/ Loewenstein, Verfassungslehre. Tübingen 3 1975, S. 167ff.

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Teil A: Theoretischer Rahmen

kontrolliert?" 138 von Interesse. Dabei kristallisieren sich für ihn vier Phasen heraus: "Parlamentarische Kontrolle bezeichnet den parlamentarischen Prozeß des Überprüfens und Bestimmens (bzw. Beeintlussens) der Verhaltensweisen anderer (insbesondere von Regierung und Verwaltung) bei unmittelbarer (Parlamentsmehrheit) und/oder mittelbarer (Opposition) Sanktionsfähigkeit im Wege der vier Phasen Informationsgewinnung, Informationsverarbeitung, Informationsbewertung (Würdigung und Kritik) und abschließender politischer Stellungsnahme bzw. rechtsverbindlicher Entscheidung." 139 Diese weite Definition - parlamentarisches Agieren mit administrativen Folgen- schließt eine Vielzahl von Faktoren ein. Zum einen zeigt sich, daß die Grenzen parlamentarischer Funktionen fließend sind. Zum anderen bietet Steffani eine Definition, die sich nicht auf ein bestimmtes Repräsentativsystem beschränkt. Auch die in den USA gängige Definition für congressional oversight von seiten Morris S. Oguls erfüllt dieses Kriterium: "Legislative oversight is behavior by legislators and their staffs, individually or collectively, which results in an impact, intended or not, on bureaucratic behavior." 140 Parlamentarische Kontrolle beinhaltet nach Steffani vier Kontrollphasen. Die in diesen Phasen stattfindenden Tätigkeiten, die aus analytischen Gründen voneinander zu trennen sind, bilden in der Praxis eine Einheit: 141 1. lnformationsgewinnung: Die Beschaffung von Informationen stellt die Basis jeglicher Kontrolle dar. Dabei bedient sich das Parlament erstens der Exekutive, die ihm gegenüber auskunftsptlichtig ist. Zweitens holt die Legislative, etwa durch Anhörungen, selbst Informationen ein. Und schließlich greift sie auf Dritte, wie z. B. Sachverständige, zurück. 2. Informationsverarbeitung: Die Legislative bedient sich bei der Auswertung der Informationen der Mitarbeiter von Fraktion und Abgeordneten, wissenschaftlicher Dienste und Beratergremien. 3. Informationsbewertung: Hier unterscheidet Steffani in Anlehnung an Theodor Eschenburg zwischen Sach- und Leistungskontrolle (Überprüfung der Effektivität und Effizienz) einerseits und Richtungskontrolle (Überprüfung der politischen Zielsetzung) andererseits. 142 138 Vgl. im folgenden Winfried Steffani, Formen, Verfahren und Wirkungen der parlamentarischen Kontrolle; in: Hans-Peter Schneidertwolfgang Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin/N. Y. 1989, S. l328ff. 139 Ebd. S. 1328. 140 Morris S. Ogul, Legislative Oversight: Theory and Practise; in: Leroy N. Rieselbach (Hg.), The Congressional System: Notesand Readings, Belmont 2 1979, S. 340. 141 Vgl. im folgenden Steffani 1989, S. 1330. 142 Vgl. Theodor Eschenburg, Staat und Gesellschaft in Deutschland, München 1965, S.608f.

III. Begriffsklärung: Kontrolle und Kontrollgegenstand

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4. Stellungnahmen und Entscheidungen: In diesem Stadium fallt das Parlament gegebenenfalls sanktionierende Beschlüsse, die etwa den Entzug bewilligter Gelder oder das Auslaufen eines Programms zur Folge haben können. Dieses Phasenmodell subsumiert eine Vielzahl von Einzeldefinitionen. Vor allem umfaßt das Modell unterschiedliche zeitliche Kontrollintervalle - sowohl die Kontrolle als Überprüfung im nachhinein als auch die Kontrolle als begleitende Tätigkeit der Überwachung. 143 Walter Krebs weist jedoch darauf hin, daß die analytische Trennung zwischen nachgängiger und mitlaufender Kontrolle in der Praxis relativ ist, da staatliche Entscheidungsprozesse zyklisch verlaufen und sich an Planung- Entscheidung- Realisation- Kontrolle (P-E-R-K) wiederum neue Entscheidungen anschließen. 144 Spricht man also von mitlaufender bzw. begleitender Kontrolle, so ist das Kontrollintervall "E-R" von Interesse. Die Definition Steffanis bietet auch die Unterscheidung von Richtungs- und Leistungskontrolle. Diese Trennung läuft zumindest teilweise parallel zur Trennung von Regierungskontrolle und Verwaltungskontrolle. 145 Erstere ist die Kontrolle der grundlegenden politischen Richtung des staatlichen Handeins und der administrativen Leitung derjenigen Verwaltungsträger, die der Regierung zugeordnet sind. Verwaltungskontrolle befaßt sich hingegen mit dem Vollzug öffentlicher Aufgaben, der in den USA neben den Ministerien den unabhängigen Regulierungsbehörden zukommt. 146 Die Kriterien der Verwaltungskontrolle sind breit gefachert: Das exekutive Handeln wird im Rahmen der Interorgankontrolle auf seine Rechtmäßigkeit (durch die Gerichte), auf seine Effektivität (durch das Parlament, aber auch durch die Medien und die Verwaltung selbst), auf seine Effizienz (durch das Parlament, die Verwaltung und Interessengruppen) und schließlich auf seine Übereinstimmung mit der legislativen Absicht (durch das Parlament, die Verwaltung und Interessengruppen) überprüft. 147 Letzteres Kontrollkriterium wird in der Literatur als administrative accountability, als Berechenbarkeit der Verwaltung, bezeichnet. 148 143 Vgl. zum Zeitpunkt der Kontrolle Steffani 1989, S. 1326, sowie Allen Schick, Politics through Law: Congressional Limitations on Executive Discretion; in: Anthony King (Hg.), Both Ends of the Avenue, Washington 1983, S.164. 144 Vgl. Krebs 1984, S.34f. 145 Vgl. Hartmut Klatt, Aspekte der politischen Verwaltungskontrolle; in: Zeitschrift für Beamtenrecht, 3 (1986), S.66 f. 146 Vgl. David Mckay, American Politics and Society, Oxford/Cambrigde, Mass. 2 1991, 202ff. 147 Zu den Kontrollkriterien vgl. u. a., Klatt 1986, S. 66, Bernd Becker/Wolfgang Welz, Verwaltung und Vollzug; in: Jäger/Welz 1995, S. 239. Eine andere Unterteilung nehmen Reichard/ König vor, vgl. Christoph Reichard!Herbert König, Zur Effizienz der öffentlichen Verwaltung; in: Joachim Jens Hesse (Hg.), Politikwissenschaft und Verwaltungswissenschaft, Opladen 1982 (= PVS-Sonderheft Bd. 13), S. 20Sf. 148 Vgl. B. Guy Peters, The Politics of Bureaucracy, N. Y./London 1978, S. 202; sowie Kurt Eichenberger, Die Problematik der parlamentarischen Kontrolle im Verwaltungsstaat; in: Schweizerische Juristen-Zeitung, 18 (1965), S.272.

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Dieses Kriterium steht- eingeengt auf die parlamentarische Kontrolle - im Zentrum dieser Analyse. Das Parlament hat hier die Aufgabe, "die Einhaltung der Normen zu überwachen, ihre Umsetzung zu sichern, ihre Befolgung zu kontrollieren und ihre Verletzung zu sanktionieren." 149 In der Folge der Gesetzesausführung kommt es zur "bürokratischen Verfremdung" 150• Grund dafür ist vor allem der der Verwaltung aus später zu erwähnenden Gründen zugestandene Entscheidungsspielraum bei der Umsetzung der Gesetze. Dem parlamentarischen Bemühen, die Verwaltung bei der Gesetzesausführung daran zu hindern, die legislative Absicht, also den materiellen Gehalt der Gesetze, zu unterlaufen, sind Grenzen gesetzt. Diese hängen insbesondere mit dem Phänomen der Selektivität der parlamentarischen Kontrolle zusammen. 151 Diese Selektivität ist vielschichtig und umfaßt die zeitliche, räumliche (nicht alle Organisationseinheiten), soziale (nicht alle Organisationsmitglieder) und inhaltliche (nicht alle inhaltlichen Maßstäbe des Verwaltungshandelns) Beschränktheit. 152 Der Umstand der unvermeidlichen Selektivität hat in der amerikanischen Öffentlichkeit und seitens der Wissenschaft zu der Beurteilung geführt, parlamentarische Kontrolle sei eine vernachlässigte Parlamentsfunktion.ts3 Als Fazit soll an dieser Stelle zweierlei festgehalten werden: Parlamentarische Kontrolle im allgemeinen Sinne soll fortan verstanden werden als jegliche Einflußnahme der Legislative auf exekutives Handeln. Dieses Verständnis wird zugrunde gelegt, wenn im folgenden Kapitel die Formen der parlamentarischen Kontrolle in ihrem normativen Rahmen dargestellt werden. Die Untersuchung der parlamentarischen Kontrolle der Gesetzesausführung bedarf einer präziseren Definition: Sie wird dann verstanden als legislative Tätigkeit, 149 Horst Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat. Genese, aktuelle Bedeutung und funktionelle Grenzen eines Bauprinzips der Exekutive, Tübingen 1991, S. 130. 150 Zit. nach ebd. 15 1 Gerhard W. Wittkämper, Die politische Kontrollproblematik der öffentlichen Verwaltung; in: Hesse 1982, S.192. 152 Vgl. ebd. 153 Dieser gängigen Ansicht wurde zwischenzeitlich widersprochen: Die Politikwissenschaftler McCubbins und Schwanz führen die Beurteilung, Kontrolle sei eine vernachlässigte Parlamentsfunktion, auf die ihrer Meinung nach irrige Vorstellung zurück, parlamentarische Kontrolle müsse zentralisiert, aktiv (aus eigener Initiative) und mit umfassendem Anspruch durchgeführt werden (police-patrol oversight). Diesem Anspruch werde der amerikanische Kongreß in der Tat nicht gerecht. Der Kongreß übe vielmehr mittels einerfire-alarm oversight selektiv und passiv (auf Alarmschlag etwa vonseitender Medien) diese Parlamentsfunktion aus. Einer so verstandenen Kontrolle werde der Kongreß auch gerecht, vgl. Mathew D. McCubbins/Thomas Schwartz, Congressional Oversight Overlooked: Police Patrols versus Fire Alarms; in: Mathew D. McCubbins{ferry Sullivan (Hg.), Congress: Structure and Policy, Cambridge u. a. 1987, S. 426. Aberbach gibt diesbezüglich zu bedenken, daß der Kongreß seit den internen Reformen mehr als nur auf Alarmschlag reagiere: Heute nähere sich dieser wieder dem alten Anspruch des police-patrol, vgl. Joel D. Aberbach, Keeping a Watchful Eye. The Politics of Congressional Oversight, Washington 1990, S. 194.

III. Begriffsklärung: Kontrolle und Kontrollgegenstand

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die sich (1) dem Kontrollgegenstand des Gesetzesvollzuges widmet, (2) zeitlich an das Kontrollintervall während des exekutiven Handeins gebunden ist und der (3) das Kontrollkriterium der Berechenbarkeif der Verwaltung als Bewertungsmaßstab zugrunde gelegt wird. 2. Exekutive und exekutives Handeln a) Struktur der Exektutive Die Exekutive teilt sich im Regierungssystem der USA in vier Bereiche: den Präsidenten als ChiefExecutive samt seines Executive Office, das Kabinett einschließlich der Ministerien, die selbständigen Verwaltungsträger innerhalb der Ministerialbürokratie (independent executive agencies, die ein vom Präsidenten ernannter Direktor leitet) und die unabhängigen Regulierungsbehörden (independent regulatory agencies, denen eine Kommission vorsteht, die, da die Regulierungsbehörden keine executive agencies darstellen, der starken Kontrolle durch den Präsidenten entzogen ist).I54 Diese rechtliche Gliederung der Exekutive verdeutlicht, daß es schwer fällt, politisch von einer einheitlichen exekutiven Gewalt zu sprechen. Zu Recht fragt Hugh Heclo, ob es sich nur um eine oder nicht vielmehr mehrere exekutive Gewalten handle. 155 Der Grund für die Differenzierung der Exekutive ist nicht konjunkturell, sondern strukturell bedingt: "It is instead embedded in a political constitution that does two things. First, the Constitution binds executive bureaucrats to a powerfullegislature independent of the president. And, second, our constitutional system vests executive branch leadership in a president and department heads whose personaland political fates arenot closely tied together." 156

Auch bei der Organisation der Exekutive ist der Präsident, abgesehen vom Executive Office, nicht unabhängig. Präsident und Kongreß teilen sich auch hier die Kompetenzen. Die doppelte Legitimation zahlreicher Verwaltungsträger führt folgerichtig auch zu einer doppelten Verantwortlichkeit. So sehr der Präsident um eine kohärente Politik bemüht ist, so sehr achtet der Kongreß darauf, daß Gesetze in seinem Sinne durchgeführt werden. Für die Verwaltung gehört dieser Spagat zum Alltag. Die Tätigkeit von leitenden politischen Verwaltungsbeamten kommt einer Gratwanderung gleich, bei der es kurz- und langfristige Sanktionen abzuwägen gilt: Der Präsident kann das Personal entlassen - und zwar ohne die Mitsprache des Kongresses. Der Kongreß hingegen bewilligt alljährlich die Gelder, über die nicht nur die Bundesprogramme, sondern auch das Personal finanziert werden. Vgl. Brugger 1993, S. 171. V gl. H ugh H eclo, One Executive Branch or Many? in: Anthony King (Hg.), Both Ends of the Avenue. The Presidency, the Executive Branch, and Congress in the 1980s, Washington, D. C./London 1983,5.26-58. 156 Ebd. S. 27. 154 155

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Umgekehrt führt diese doppelte Legitimation und Verantwortlichkeit insbesondere der unabhängigen Verwaltungsträger zuweilen zu eben jener Unabhängigkeit, die in dem Namen zum Ausdruck kommen soll. Das Handeln der Verwaltungsträger kann mit politischen Zwängen von seitenbeider Pole der Pennsylvania Avenue gerechtfertigt werden. Am Ende können es verschiedene, gleichermaßen berechtigte politische Ziele sein, die sich in der Summe zuwiderlaufen: hier ein Präsident, der seine politische Agenda umgesetzt sehen will, für die er ein Mandat zu beanspruchen glaubt, dort ein Kongreß, der die Regulierungstätigkeit der Exekutive an der legislativen Absicht mißt, und schließlich - inmitten beider Gewalten - eine Verwaltung, der es dem Selbstanspruch nach um bloße Sachpolitik geht. Die Einheitlichkeit der Exekutive und die Zuweisung von Verantwortlichkeiten kann dabei häufig zu kurz kommen. Immer wieder haben Präsidenten versucht, nach ihrer Amteinführung diesem Mißstand ein Ende zu bereiten. Ein beliebtes Mittel war dabei die Reform des öffentlichen Dienstes der USA. Eine Ende der 70er Jahre umgesetzte Reform des öffentlichen Dienstes der USA, mit der der damalige Präsident Jimmy Carter die Zahl der auszutauschenden politischen Beamten erhöhte, ist dafür ein Beispiel. Das Civil Service Reform Act von 1978 konnte sich ironischerweise sein Amtnachfolger Ronald Reagan erstmals zunutze machen. 157 Derzeit sind es 2000 Posten, die als politische Ernennungen (political appointments) gelten können. Reagan erwies sich nicht zuletzt durch die Auswahl seines Personals im engsten Beraterkreis als managerial president. 158 Der ausdifferenzierte, im ursprünglichen Sinne exzentrische Verwaltungsapparat, der in den 70er Jahren sich selbst und die Regulierungsdichte in den Vereinigten Staaten immens vergrößert hatte, sollte gebremst werden. Die im folgenden darzustellende Verordnungstätigkeit der einzelnen Verwaltungsträger durch ru/es und regulations sollte nach den Vorstellungen Reagans zentralisiert, gefiltert und auf das Wesentliche beschränkt werden. Dazu steht dem Präsidenten das Mittel der executive orders, also präsidentielle Erlässe, zur Verfügung. 159 b) Formales und informales exekutives Handeln Das exekutive Handeln soll hier unterteilt werden in solches, das vom Präsidenten ausgeht (Regierungshandeln), und solches, das von der Bundesverwaltung bestimmt wird, jedoch der legislativen Anordnung untersteht (Verwaltungshandeln). 157 Vgl. Joel D. Aberbach, Dieamerikanische Exekutive im Kontext globaler Veränderungen; in: Herbert Dingen/Michael Minkenberg (Hg.), Dasamerikanische Dilemma. Die Vereinigten Staaten nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes, Paderbom u. a. 1997, S. 62. 158 Vgl. Jäger, Der Präsident; in: Jäger/Wetz 1995, S. 145. 159 Vgl. J. Lieper Freeman, The Political Process: Executive Bureau- Legislative Committee Relations, New York 2 1966, S.18ff.

III. Begriffsklärung: Kontrolle und Kontrollgegenstand

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Regierungshandeln geschieht durch executive orders 160, proclamations und- in der Außenpolitik- durch executive agreements. 161 Verwaltungshandeln besteht neben Verwaltungsakten (adjudication) und der Aufklärung von Sachverhalten (investigation) vor allem aus der Verordnungsgebung (rule making). 162 Die Verordnungsgebung bedarf der legislativen Ermächtigung. In dieser Arbeit wird- der thematischen Einschränkung folgend - das Verwaltungshandeln im Vordergrund stehen. Auf Institutionen bezogen heißt dies, daß sich das Augenmerk auf Ministerien, executive agencies und independent regulatory agencies richten wird. Dem Verfahren der Verordnungsgebung, das im Verwaltungsverfahrensgesetz (Federal Administrative Procedure Act, APA) von 1946 geregelt ist, kommt in der Untersuchung der regulativen policy arena große Bedeutung zu. Im APA wird die Verordnungsgebung definiert als "agency process for formulating, amending, or repealing a rule." 163 Die Verordnung (im Englischen sowohl rule als auch regulation) selbst soll verstanden werden als ein "agency Statement of general or particular applicability and future effect designed to implement, interpret, or prescribe law or policy (...). 164" Die Verordnung i. S. des APA umfaßt- aus deutscher Sicht- sowohl Rechtsverordnungen (Substantive rules) als auch Verwaltungsvorschriften. 165 Der Prozeß der Verordnungsgebung sieht entweder ein "informales" Verfahren vor, das im Vorfeld angekündigt werden muß, so daß Betroffene Stellung nehmen können, oder ein "formales" Verfahren, das den Betroffenen über ein gerichtsähnliches Verfahren Mitwirkungsrechte zugesteht. Beide Verordnungsverfahren enden mit der Veröffentlichung im Federal Register bzw. Code of Federal Regulations. 166 Die Verordnungsgebung in der regulativen policy arena ist in ökonomische und soziale Regulierung zu differenzieren: 167 Erstere umfaßt ordnungspolitische Ein160 Diese Bezeichnung ist eine Interpretation des Definitionsvorschlags Bruggers, vgl. Brugger 1993, S. 192. 161 Das Recht, executive orders zu erlassen, bezieht der Präsident aus der Verfassung, wonach ihm die gewissenhafte Ausführung der Gesetze zukommt. Andere Rechtsgrundlagen sind eigene Gesetze, vgl. Jay M. Shafritz, The Dorsey Dictionary of American Govemment and Politics, Chicago 1988, S. 204. Rechtlich gesehen, besteht zwischen executive ordersund proclamations kein Unterschied, jedoch haben nicht alle Proklamationen Gesetzeskraft. Executive agreements sind internationale Abkommen und bedürfen keiner legislativen Ermächtigung, vgl. Robert U. Goehlert/Fenton S. Martin, The Presidency. A Research Guide, Santa Barbara u.a. o. J., S. 3. 162 Vgl. Brugger 1993, S.192f. 163 APA; in: ebd. S. 236. 164 APA, in: ebd. 165 V gl. ebd. S. 193. Zu der deutschen Unterscheidung zwischen Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschrift, die zwar immer noch der herrschenden Lehre entspricht, jedoch nicht unangefochten ist, vgl. Maurer 1995, S. 600 ff. 166 Vgl. Brugger 1993, S.1994f. 167 Vgl. im folgenden Lester M. Salamon, Federal Regulation: A New Arena for Presidential Power?; in: Hugh Heclo/Lester M. Salamon (Hg.), The Illusion of Presidential Govemrnent, Boulder 1981, S. l50ff.

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griffe des Staates hinsichtlich des Markteintrittes und Bedingungen der Teilnahme am Markt. Hebt ökonomische Regulierung auf verfahrenstechnische Fragen ab, so ist soziale Regulierung zweckorientiert Hierbei geht es um die Etablierung von Regeln, die Einführung und Aufrechterhaltung von Normen, wie etwa im Bereich des Umwelt- oder Arbeitnehmerschutzes sowie bei der Anti-Diskriminierungspolitik gesellschaftlicher Gruppen. Zwar wird der Prozeß der Verordnungsgebung selbst in ein formales und ein informales Verfahren unterteilt. Unsere Differenzierung von formaler und informaler Politik ist davon jedoch nicht betroffen, da es hierbei eher um die Unterscheidung eines ordentlichen von einem beschleunigten Verfahren während der Verordnungsgebung in bezug auf die Anhörungsrechte der Interessenverbände geht. Beide Verfahrensformen sind gesetzlich geregelt, finden in der einen oder anderen Form regelmäßig statt und sind darüber hinaus öffentlich. Unsere Indikatoren sind also hier nicht betroffen. 168 Gleichwohl gibt es ebenso informales Verwaltungshandeln in unserem Sinne - und zwar dann, wenn Verwaltungsträger sowohl mit Interessengruppen als auch mit Mitgliedern oder Mitarbeitern der Legislative persönlichen Kontakt aufnehmen. In unserem Zusammenhang wird vor allem der Kontakt zwischen Verwaltungsbeamten einerseits und Mitgliedern bzw. Mitarbeitern des Kongresses andererseits im Vordergrund stehen. Exekutivstellen haben schon institutionalisierte Kontaktstellen etabliert, sogenannte legislative liasons oder Offices of Congressional Relations (OCR).t69 Die Notwendigkeit der Exekutive insgesamt, mit der Legislative in Kontakt zu stehen, ergibt sich vor allem aus der gewandelten Rolle des Präsidenten in diesem Jahrhundert, der zwar weiterhin kein direktes Gesetzesinitiativrecht besitzt, de facto aber chief legislator ist. Diese Rolle wird vom Kongreß nicht nur akzeptiert, sondern geradezu erwartet. Historisch läßt sich die Entstehung der OCR an den Beginn der 1920er Jahre verorten. Der Präsident bzw. das EOP hat also Kontakt zu Abgeordneten und Senatoren der eigenen Partei. Diese bringen für den Präsidenten Gesetze ins Parlament ein. Um ebenso über die Stimmung in den Plena beider Kammern informiert zu sein, steht das EOP in ständigem Kontakt mit dem Kongreß. 168 Nur am Rande sei erwähnt, daß auch das Verfahren des negotiated rulemaking von dieser Unterscheidung nicht betroffen ist. Diese Form des Kontaktes von Verwaltungsträgern und Interessengruppen ist ein Spezifikum des amerikanischen Arbeitsrechts. Bei der Verordnungsgebung werden Interessengruppen nicht nur angehört, sondern die inhaltliche Ausgestaltung einer neuen Regulierung regelrecht ausgehandelt. Es ist somit eine Form des amerikanischen Korporatismus, vgl. U. S. Department of Labor, Framework for the use of Negotiated Rulemaking in the Department of Labor; in: www.dol.gov/dol/asp/public/programs/negreg/nrbprta. html. (16.10.1998, 15.24 Uhr). 169 Vgl. im folgenden Eric L. Davis, Congressional Liason: The People and the lnstitutions; in: Anthony King (Hg.), Both Ends of the Avenue, Washington D. C. 1983, S. 59- 95; J. Leiper Freeman 1966, a. a. 0., S. 79 ff.; Michael J. Malbin, Uneleeted Representatives. Congressional Staff and the Future of Representative Government, New York 1980, S. 239 ff.

IV. Funktionen und Formen parlamentarischer Kontrolle

61

Ähnlich wie das EOP fingen alsbald auch Ministerien und unabhängige Verwaltungsträger an, diese Strukturen aufzubauen. Diese machten sie zum einen in gewisser Weise unabhängiger vom Weißen Haus, zum anderen konnte die Politik zwischen den beiden Gewalten schneller und wirksamer abgestimmt werden: "(...) bureau Ieaders do not depend exclusively upon mediation oftheir infiuence through the topmost Ievels of the Administration, or upon calling down specific presidential or departmental blessings upon calling their efforts." 170

Der Kongreß hatte in den OCR und anderen Kontaktstellen zuweilen "feindliche V-Boote von der anderen Seite der Avenue" gesehen. In den Reagan-Jahren wurden die OCR aber für den Kongreß zu Verbündeten gegen einen aktiven Präsidenten. "In this environment of greater cooperation between the two ends of Pennsylvania Avenue, the liason staffers will no Ionger be seen by many members of Congress as agents of a foreign power. This will make the job of OCR lobbyists more pleasant ( ...)." 171

In den 80er Jahren war das Verhältnis zwischen Verwaltung und Kongreß besser als in den Jahren zuvor. Der Grund dafür lag vor allem in dem gemeinsamen Interesse, die massiven Interventionen des Präsidenten und des EOP zu unterbinden. Hier erhielt die informale Komponente des Regierens eine gänzlich neue Funktion.

IV. Funktionen und Formen parlamentarischer Kontrolle 1. Rahmenbedingungen parlamentarischer Kontrolle a) Institutionelles Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive Aufgrund des spezifisch amerikanischen Gewaltenteilungsprinzips, der "separate institutions sharing power", ist der institutionelle Konflikt dem Regierungssystem der USA immanent. Als Folge dieses Konfliktes ist die politische Geschichte der Vereinigten Staaten geprägt durch Machtschwankungen im Legislativ-ExekutivVerhältnis. Auf Phasen legislativer Übermacht folgten Phasen präsidentieller Dominanz. Die jeweilige Überlegenheit der Regierungsgewalt hängt nicht nur von internen Faktoren des Regierungssystems ab. Hinzu kommen Einflüsse der politischen Umwelt, wie etwa die Große Depression, die durch die folgende New-Deal-Politik eine Bedeutungssteigerung der Exekutive zur Folge hatte. Die zeitbedingten Anforderungen der Regelung der öffentlichen Angelegenheiten bestimmen danach das Legislativ-Exekutiv-Verhältnis. Es ist verständlich, daß das allgemeine Zusammenspiel der Regierungsgewalten auch die parlamentarische Kontrolltätigkeit beeinflußt. Ein dominanter Präsident wird darum bemüht sein, die Kontrolltätigkeit der Legislative zu reduzieren, um ungehindert agieren zu können. 110 171

Freemann 1966, S. 76. Ebd.

62

Teil A: Theoretischer Rahmen

Ein aktiver Kongreß wird hingegen versuchen, den Entscheidungsspielraum des Präsidenten und seiner Administration einzuschränken. Letzteres traf auf die frühen 70er Jahre zu. 172 Mitte der 60er Jahre verhielt sich der Kongreß insbesondere hinsichtlich der Vietnam-Politik äußerst passiv - wie erwähnt, wird diese Phase rückblickend als imperial presidency bezeichnet. Eine Änderung vollzog sich unter der Nixon-Administration. Der Kongreß geriet sowohl in der Außenpolitik als auch in der Innenpolitik in Opposition zum Präsidenten. Wurde ihm hier eigenmächtiges Vorgehen vorgeworfen, so beklagte der Kongreß dort die Verhinderung weiterer gesellschaftlicher Reformen. Der Watergate-Skandal tat schließlich ein übriges. Der Kongreß reagierte sowohl durch Gesetze, die zum Ziel hatten, den Präsidenten einzuschränken, als auch durch eine breitangelegte Parlamentsreform, die im folgenden Unterkapitel angesprochen wird. Das Erstarken des Kongresses (congressional resurgence) äußerte sich u. a. im Bereich des Gesetzesvollzugs, wobei dem legislativen Veto die Funktion zukam, parlamentarisches Terrain zurückzuerobern. Ging die legislative Tätigkeit im Bereich der Gesetzgebung zurück, so stieg sie im Bereich der Kontrolle immens an. Dies heißt, daß weniger Gesetze und damit Mandate für exekutives Handeln verabschiedet wurden und gleichzeitig die auf den Weg gebrachten Gesetze strengen Auflagen unterlagen, die den administrativen Entscheidungsspielraum einschränkten. Das Chadha-Urteil beendete die Wiedererstarkung des Kongresses. Für den Untersuchungszeitraum kann nicht von einer Dominanz einer Regierungsgewalt gesprochen werden, vielmehr begann eine Phase des adversarial mixed government, die mit Ausnahme des 103. Kongresses den gesamten Untersuchungszeitraum 1983-99 bestimmte. 173 In dieser Phase verfügen beide Gewalten über gleiche Machtpositionen, wobei das Verhältnis stark konfliktgeprägt ist. Die Dominanz der Exekutive in der Politikgestaltung der 60er Jahre war der Grund für eine umfassende Reform, der sich der Kongreß Anfang der 70er Jahre unterzog. Die bisherigen Parlamentsstrukturen schienen eine effektive Kontrolleistung nur bedingt gewährleisten zu können. 174 Einzelne Aspekte der Kongreßreformen wurden im Verlauf der Arbeit schon angedeutet, so etwa der Zuwachs der Parlamentsbehörden, der die Legislative in die Lage versetzte, die Informationsfülle zu verarbeiten, die Einrichtung von Kontrollausschüssen sowie die Neuregelung der Parlamentsstrukturen hinsichtlich der Unterausschüsse. Im einzelnen führten die 172 Vgl. im folgenden Benjamin Ginsberg/Martin Shefter, After the Reagan Revolution: A Postelectoral Politics? in: Larry Herman (Hg.), Looking Back on the Reagan Presidency, Baltirnore/London 1990, S.245ff.; Schick 1983, S. 166ff.; Jann 1986, S. 227ff. 173 Vgl. Jones 1995, S. 11. 174 Vgl. im folgenden Sundquist 1981, S. 324 ff.; Jann 1986, S. 229 f.; Werner J. Feld/Steven A . Shull, Congressional Reform: Problemsand Opportunities; in: Heinrich Oberreuter (Hg.), Parlarnentsreform. Problerne und Perspektiven in westlichen Demokratien, Passau 1981 (=Schriften der Universität Passau), S. 47- 55; How Congress Works 1991, S. 79- 87.

IV. Funktionen und Formen parlamentarischer Kontrolle

63

Kongreßreformen in bezug auf die parlamentarische Kontrolle zu folgenden Ergebnissen: (1) Mit dem Budget and lmpoundment Control Act (BICA) wurde der Kongreß zum wesentlichen Gestalter des Haushaltsverfahrens. Über die Haushaltsbehörde und den neueingerichteten Haushaltsausschuß konnte der Kongreß das Budget als Einheit behandeln. Außerdem unterband das BICA das präsidentielle Zurückhalten (impoundment) bereits bewilligter Gelder. (2) Das Legislative Reorganization Act (LRA) von 1970 machte die Ausschußsitzungen der Öffentlichkeit zugänglich (sunshine rules) und verlangte vonjedem Ausschuß, sich eine eigene Geschäftsordnung zu geben, die dem beklagten autokratischen Führungsstil der Ausschußvorsitzenden entgegenwirken sollte. Insgesamt blieb diese Reform hinter den Erwartungen der reformwilligen Kräfte- v. a. junge liberale Abgeordnete der Demokraten - zurück: Insbesondere das Senioritätsprinzip, wonach das jeweils dienstälteste Ausschußmitglied gewohnheitsrechtlich den mächtigen Vorsitz übernimmt, wurde nicht angetastet. Eine "Koalition" aus Republikanern und konservativen Südstaaten-Demokraten verhinderte den Angriff auf ihre Bastionen. (3) Innerhalb der Fraktion der Demokraten im Abgeordnetenhaus (House Democrarie Caucus) setzten sich jedoch fraktionsinterne Reformen durch, die später auch von den Republikanern übernommen wurden. Zu diesen Reformen zählt v. a. das Ende des Erbhofes der Ausschußvorsitzenden - die Vorsitzenden werden nun im Abgeordnetenhaus von der Mehrheitsfraktion nominiert und gewählt, wobei die Mehrheitsfraktion je nach Führungskraft des Speaker meist auf dessen Empfehlung hört. Im Senat blieb die Senioritätsregel de facto bestehen. Gleichwohl stieg der Grad der Responsivität der Vorsitzenden gegenüber den Ausschußmitgliedern durch die Reformbemühungen in den 70er Jahren. Die Stellung der Ausschußmitglieder wurde so gestärkt. (4) Außerdem wurde das Ausschußsystem neu strukturiert: Ausschüsse mit mehr als 15 (später dann 20) Mitgliedern wurden angewiesen, mindestens vier Unterausschüsse einzusetzen. Diese konnten fortan ihren Geschäftsbereich autonom regeln und erhielten dazu ein eigenes Budget. Der Vorsitzende des Mutterausschusses muß seither ihm vorliegende Gesetzentwürfe an den entsprechenden Unterausschuß delegieren. Diese Änderung hatte zum Ziel, dem Vorsitzenden ein materielles Prüfungsrecht der Entwürfe zu nehmen. Die Ausschußmitglieder stärkten dadurch ihre Position im Gesetzgebungsverfahren. Die Dezentralisierung des Ausschußwesens diente -dem Selbstanspruch der Reformer nach- der Demokratisierung. Dies wird auch darin deutlich, daß die Unterausschußvorsitzenden nicht mehr von den Ausschußvorsitzenden ernannt, sondern nunmehr von den Mitgliedern gewählt werden. Der Vorsitzende selbst kann seither nur noch einen Unterausschuß leiten. (5) Die Reformen stärkten zudem die Minderheitenrechte im Ausschußwesen. Die parlamentarische Minderheit ist in den Kongreßausschüssen dadurch strukturell ge-

64

Teil A: Theoretischer Rahmen

schwächt, daß es bei der Verteilung der Vorsitze keinen parteipolitischen Proporz gibt, so daß alle Präsidien der Mehrheitsfraktion zukommen. Die Stärkung der Minderheitenrechte bezieht sich v. a. auf die Nutzung der Mitarbeiterstäbe der Ausschüsse, die bis dahin de facto den persönlichen Stab der "Ausschußfürsten" bildeten. (6) Auch die Erhöhung der Mitarbeiterstäbe ist eine Folge der Kongreßreformen der 70er Jahre (vgl. Tab. 1). Die Aufstockung der Mitarbeiterstäbe mußte in den 90er Jahren aufgrund der angespannten Haushaltssituation jedoch teilweise revidiert werden. Tabelle 1

Personelle Ausstattung des Kongresses Repräsentantenhaus

Senat

Jahr

Persönliche Mitarbeiter

Ausschußmitarbeiter

Persönliche Mitarbeiter

Ausschußmitarbeiter

1947

1440

193

590

290

1957

2441

375

1115

558

1967

4055

589

1749

621

1972

5280

783

2426

918

1977

6942

1776

3554

1028

1987

7584

2136

4075

1207

1993

7400

2147

4138

994

Quelle: Nonnan J. Omstein(Thomas E. Mann/Michael J. Malbin, Vital Statistics on Congress, Washington 1996, S.l31.

Als Fazit läßt sich festhalten, daß die Reformen das Legislativ-Exekutiv-Verhältnis unmittelbar und mittelbar betrafen. Der Reformeifer ließ jedoch gegen Ende der 70er Jahre nach- es setzte sogar eine partielle Revidierung der Neuerungen ein. Insbesondere der Ausbau des Unterausschußwesens führte zu einer hochgradigen Fragmentierung des Kongresses. Mußte sich der Speaker vor den Reformen lediglich mit den ,,Ausschußfürsten" absprechen, so stand er nach den Reformen einer Vielzahl einzelner Abgeordneter gegenüber. 175 Dies führte dazu, daß der Kongreß gegenüber der Exekutive weniger als Einheit auftreten konnte. Somit waren die Ret7s

Vgl. Stejfani 1995, S.126.

65

IV. Funktionen und Formen parlamentarischer Kontrolle

formen, die ihren Ursprung in der parlamentarischen Behauptung hatten, teilweise kontraproduktiv. Gleichwohl konnte der Kongreß in anderer Hinsicht sein Ziel errreichen. Die Reformen versetzen nämlich den Kongreß erst in die Lage, das watchdog-Mandat des LRA von 1946 effektiv auszuführen. Die Kontrolltätigkeit des Kongresses wurde seit den Reformen erheblich intensiviert. Dies läßt sich schon alleine quantitativ belegen. Aus Tabelle 2 geht hervor, daß sowohl die Sitzungszeit des Kongresses hinsichtlich der parlamentarischen Kontrolle als auch der Anteil dieser im Vergleich zur gesamten legislativen Tätigkeit erheblich ausgeweitet wurde. Hinzu kommt freilich die Bedeutungssteigerung der Kontrolltätigkeit in qualitativer Hinsicht. Der Kongreß hat sich in den 70er Jahren aus seiner Underdog-Position befreit. Tabelle 2

Kontrolltätigkeit der Kongreßausschüsse als Anteil ihrer Gesamtarbeitsleistung Jahr

Sitzungstage -insgesamt

Kontrollsitzungen

KontrollAnteil in%

1963

1820

159

8,7

1969

1804

217

12,0

1975

2552

459

18,0

1981

2222

434

19,5

1983

2331

587

25,2

Quelle: V.S. Govemment Printing Office, Organization ofCongress. Final Report ofthe Joint Committee on the Organization ofCongress, Washington 1993, S.158.

Der Begriff congressional reforms wird meist für die Reformen der 70er Jahre reserviert. Tatsächlich sind Kongreßreformen jedoch eine dauerhafte Begleiterscheinung amerikanischer Politik. 176 In den 80er Jahren ging es v. a. darum, einige Reformen der 70er Jahre zu korrigieren, da sie sich in der Parlamentspraxis als untauglich herausgestellt hatten. So blieb die Stellung des Speaker im Abgeordnetenhaus zentral, um eine kohärente Politik i. S. von policy zu gewährleisten. 177 Diskutiert wurden ebenso Möglichkeiten, das komplizierte Gesetzgebungsverfahren zu 176 Vgl. Sean Tucker, Congressional Reform and Change: Selected Proposals Introduced in the House of Representatives, 1977-1991, CRS-Report 92-312 GOV. 177 Vgl. Alan Grant, The American Political Process, Aldershot u. a. 5 1994, S. 79.

5 Sattar

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Teil A: Theoretischer Rahmen

straffen, etwa durch die Abschaffung der multiple referrals. 178 Auch das Haushaltsverfahren stand in der Kritik: Das 1992 konstituierte Joint Committee on the Organization of Congress empfahl dem Kongreß, einen zweijährigen Haushalt einzuführen, um der Legislative mehr Zeit etwa für ihre Kontrolltätigkeit zu geben. 179 Letztere Reformen wurden nicht verwirklicht - wohl auch deshalb, weil Parlamentsfunktionen fließend ineinander übergehen. Die Verlängerung der Haushaltsbewilligung würde dem Kongreß ein effektives Kontrollmittel nehmen. 180 Umgesetzt wurde hingegen eine Empfehlung des Ausschusses für Parlamentsreformen, wonach die Anzahl der administrativen Berichte reduziert werden sollte.181 Diese hatten ein Ausmaß erreicht, das von Kongreßmitgliedem und -mitarbeitem nicht mehr zu bearbeiten war. Betrug die Zahl der Berichte 1973 noch ungefahr 1000 Exemplare, so waren es im April 1992 bereits 3627. 182 Wohl wissend, daß Kongreßmitglieder die Berichte nicht mehr umfassend bearbeiten konnten, vernachlässigte die Exekutive ihre Aufgabe der Berichterstattung. Die Qualität der Studien nahm ab. Die im 104. Kongreß durchgesetzte Umwandlung von viertelund halbjährlichen Berichtspflichten in jährliche wird hingegen die Aufmerksamkeit wieder erhöhen, die Kongreßmitglieder diesen Berichten schenken. Mit der sogenannten "konservativen Wende" im amerikanischen Kongreß setzte eine neue Welle parlamentarischer Reformen ein, die die Änderungen der 70er Jahre teilweise revidierten. Der Impetus jener Reformen war jedoch primär, den Bundeshaushalt auszugleichen. In der Folge wurde der Legislative Appropriation Bill 1995 erheblich gekürzt. Mitarbeiterstäbe und Parlamentsbehörden waren von den Einsparungen besonders betroffen. Mit diesen Haushaltskürzungen, die v. a. der Öffentlichkeit suggerieren sollten, der Kongreß spare auch bei sich selbst, verminderte der Kongreß seine Möglichkeit der Informationsbeschaffung, einer Grundvoraussetzung parlamentarischer Kontrolle. Durch die jüngsten Kongreßreformen läuft die Legislative durch ihre Selbstbeschneidung Gefahr, Informationen entweder zu politisieren oder gar nicht zur Verfügung zu haben. Die Abschaffung des Office ofTechnology Assessment (OTA) hat zur Konsequenz, daß eine bislang um Neutralität bemühte Behörde durch ver178 Gesetzentwürfe sollten nur noch einem Ausschuß überwiesen werden, vgl. auch im folgenden ebd. 179 Vgl. Organization of Congress, Final Report of the Joint Committee on the Organization ofCongress, 1993, S.ll7. 180 Ein zweiter wichtiger Grund ist vor dem Hintergrund der Erfahrungen einiger Einzelstaaten zu betrachten: Ist schon die Steuerschätzung für ein Haushaltsjahr für eine volkswirtschaftliche Einheit in der Größenordnung der USA ein kompliziertes Unterfangen, so hielten viele Kongreßmitglieder dies bei einem zweijährigen Zyklus erst recht für unmöglich. 181 Vgl. CRS-Report for Congress, Congressional Reorganization: Options for Change, 9/1992. 182 Vgl. ebd.

IV. Funktionen und Formen parlamentarischer Kontrolle

67

meintlieh unabhängige Institute ersetzt wird: 183 "Without OTA, legislators will increase their reliance on experts with astakein outcomes."184 Ebenso könnte die immer wieder erwogene Widerrufung der permanenten Autorisierung der übrigen Parlamentsbehörden zugunsten einer nunmehr achtjährigen Autorisierungsphase eine Politisierung des Reautorisierungsverfahrens zur Folge haben, welche die parteipolitische Unabhängigkeit von GAO, CRS und CBO gefährden würde. So erklärte Charles A. Bowsher, Camptroller General des GAO, vor dem Committee on Ru/es and Administration des Senats: "This change could subject the agency to partisan political pressure, thus jeopardizing its independence and credibility." 185 Die Unabhängigkeit der Behörden wird nicht nur vonseitendes Kongresses gefährdet, der seine Reautorisierung von wohlwollenden Gutachten abhängig machen kann, sondern auch von seiten der Exekutive, die gegen das Autorisierungsgesetz ein Veto einlegen kann. Die von den Senatoren Pete Dominici (R-New Mexico) und Connie Mack (R-Florida) gegründete Working Group on Congressional Reform hielt indes die Bedenken von seiten der Behörden für unbegründet: Auch Parlamentsbehörden müßten sich kontrollieren lassen. 186 Die jüngsten Kongreßreformen sind auch von dem Bemühen getragen, das komplexe System parlamentarischer Kontrolle zu rationalisieren. Schon der Ausschuß für Parlamentsreform schlug im Dezember 1993 vor, ständige Kongreßausschüsse sollten zu Beginn der Sitzungsperiode dem Speaker bzw. dem Mehrheitsführer Kontrollagenden vorlegen, in denen sie einen Zeitplan für die Überprüfung der Bundesbehörden und laufender Programme vorstellen. 187 Speaker Newt Gingrieb setzte im Februar 1995 eine dahingehende Geschäftsordnungsänderung durch. 188 Das Committee on Government Reform and Oversight (GRO), das vormalige GOC, ist nunmehr verpflichtet, sowohl die Zeitpläne als auch die folgenden Rechenschaftsberichte der Ausschüsse zu veröffentlichen. Die Reform, die quasi eine Kontrolle der parlamentarischen Kontrolle darstellt, zeigte schnell Erfolge: Im März 1995 wurde ein solcher Plan erstmals dem Plenum vorgelegt. 189 Dieser enthält auch eine Bewertung der bisherigen Kontrolleistung des Vgl. Kapitel A.IV.3.a). Bimber 1996, S. 98. Es war kein Zufall, daß das Abgeordnetenhaus just nach der Schließung von OTA seine Verbindung zur Heritage Foundation, einem konservativen think tank, gestärkt hat. 185 Vgl. General Accounting Office, Congressional Reform, GAO{f-CG-94- 4, S. I. 186 Vgl. Organization of Congress, a. a. 0., S. 145. 187 Organization of the Congress. Final Report of the Senate Members of the Joint Committee on the Organization of Congress, 12/1993. 188 V gl. Rules of the House of Representatives. Effective for One Hundred Fourth Congress, Artikel XI, Absatz 2. Prepared by Robin H. Carle, Clerk of the House of Representatives, 1/1995 sowie Legal Times, 20.Februar 1995, S.21. 189 Vgl. im folgenden Oversight Plans for all House Committees with Accompanying Recommendations by the Committee on Govemment Reform and Oversight, House of Representatives, 3/1995. 183

184

5*

68

Teil A: Theoretischer Rahmen

Abgeordnetenhauses. Zwei Gesetze, das Chief Financial Officers Act (CF0) 190 aus dem Jahr 1990 und das Government Performance and Results Act (GPRA) 191 von 1993, werden nach Meinung des GRO-Vorsitzenden William F. Clinger, Jr. (R-Pennsylvania) die parlamentarische Kontrolle langfristig verbessern. CFO verpflichtet Behörden, eine eigene Finanzkontrolle u. a. über einen behördeninternen Finanzkontrolleur zu leisten und die Ergebnisse dem Kongreß vorzulegen. GPRA fordert von den Behörden, die Output-Seite ihrer Programme (performance goals) zu definieren und später mit dem tatsächlichen Resultat zu überprüfen. Auch diese beiden Gesetze sind primär finanzkontrollierender Natur, wobei der Kongreß sich zunächst darauf beschränkt, Mandate für verwaltungsinterne Kontrollen zu verleihen. Jedoch überprüft der Kongreß die Implementierung dieser Mandate. Wegen offensichtlicher Defizite bei der Umsetzung dieser Gesetze forderte Clinger in dem besagten Kontrollbericht die Ausschüsse auf, "to ensure that these Statutes are being aggressively implemented." 192 Hier sieht sich Clinger, freilich im Auftrage Gingriebs, kraft seines GRO-Vorsitzes als Oberkontrolleur, der anderen Ausschußvorsitzenden Leitlinien parlamentarischer Kontrolle an die Hand gibt. Die von Gingrieb initiierten Kongreßreformen, die z. T. eine Re-Zentralisierung des Abgeordnetenhauses zur Folge hatten, bedeuteten also eine Rationalisierung der parlamentarischen Kontrolle- im Positiven wie im Negativen: hier die Einsparung bei der Informationsbeschaffung, dort die Zentralisierung gewonnener Informationen. Die Auswirkungen der jüngsten Kongreßreformen auf die parlamentarische Kontrollform müssen hier also ebenso Berücksichtigung finden, wenngleich in diesem Zusammenhang betont werden muß, daß das institutionelle Verhältnis wiederum nicht losgelöst vom parteipolitischen Verhältnis der beiden Gewalten zueinander betrachtet werden kann. Dies heißt zum einem, daß parlamentarische Kontrolle aus rein parteipolitischen Erwägungen betrieben werden kann. Zum andern aber- und dies nicht nicht minder wichtig- bedeutet Parteipolitik Ideologie: Parlamentarische Kontrolle kann zur Durchsetzung beziehungsweise Verhinderung politischer Agenden instrumentalisiert werden. Festzuhalten bleibt zunächst, daß für den hier zugrundegelegten Untersuchungszeitraum seit 1983 beim institutionellen Verhältnis der beiden Regierungsgewalten zueinander, bezogen auf die Innenpolitik, von einem institutionellen Gleichgewicht ausgegangen werden kann. Dies ist mithin eine Variable, die für die Untersuchung 190 P. L. 101-576, vgl. Virginia A . McMurty, The Chief Financial Officers Act of 1990: An Overview, CRS-Report 91-184 GOV, sowie: Congressional Oversight Manual, CRS-Report for Congress, 25.Juni 1999, S. 80. 191 P. L. 103-62, vgl. Genevieve J. Knezo, Government Performance and Results Act: Revised Status Report, CRS-Report 96-198 SPR; sowie: Frederick M. Kaiser/Virginia A. McMurty, Government Performance and Results Act: Implications for Congressional Oversight, CRSReport 97-382 GOV; Genevieve J. Knezo, Government Performance and Results Act: Implementation and Issues of Possible Concern, 106th Congress, CRS-Report 97-1028 STM. 192 William F. Clinger zit. nach Oversight Plans 1995, S. I.

IV. Funktionen und Formen parlamentarischer Kontrolle

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relativ konstant gesetzt werden kann, ohne daß dies Verzerrungen in der Interpretation zur Folge hat. b) Parteipolitik als Einflußfaktor im Legislativ-Exekutiv-Verhältnis Neben den institutionellen Faktoren wirken auch parteipolitische Konstellationen als Rahmenbedingungen auf die Kontrolltätigkeit des Kongresses. D. h. konkret, daß parallel zum institutionellen Interesse des Parlaments, die Exekutive zu kontrollieren, auch ein parteipolitisches Interesse daran besteht, die Macht des Präsidenten in der Politikgestaltung (policy-making) zu begrenzen - dies besonders in Zeiten einer divided government. 193 Die Parteipolitik während der geteilten Regierungsverantwortung zwischen dem Präsidenten einerseits und einer oder beiden Kammern des Kongresses andererseits scheint den institutionellen Konflikt sogar zu verschärfen.194 Das Phänomen der geteilten Regierungsverantwortung ist keine Neuerscheinung. Seitdem nicht mehr der Kongreß für die Nominierung der Präsidentschaftskandidaten zuständig ist, gehörtdivided government zum politischen Alltag: Zwischen 1832 und 1998 fanden 82 Wahlen statt- 33 endeten divided, 49 unified. Verändert hat sich indes das Gewicht. Bis 1952 gab es 70% unified und nur 30% divided governments; von 1952 bis 2000 gab es 68% divided governments. Die Gründe für den Anstieg, die vielfältig sind und in der Forschung kontrovers diskutiert werden, sind hier nicht von Interesse. Vielmehr geht es darum darzulegen, welche Auswirkungen die unterschiedlichen parteipolitischen Konstellationen auf die parlamentarische Kontrolle haben können. Generell sind hier zwei Positionen voneinander zu unterscheiden: Die eine Seite des Meinungsspektrums teilt die Auffassung, die geteilte Regierungsverantwortung sei der Grund für den politischen Stillstand in den USA, da sich die Gewalten in ihrem Tätigkeitsfeld gegenseitig behinderten. Die andere Seite ist der Ansicht, daß die geteilte Regierungsverantwortung gänzlich funktional sei, da sie Madisons Gewaltenteilungsvorstellung durch eine parteipolitische Spaltung komplementiere. Somit müßte divided government als positiver Verstärker der Kontrolltätigkeit des Kongresses wirken. Der für diese Arbeit relevante Untersuchungszeitraum von 1983 bis 1999 ist geprägt durch eine Dominanz der geteilten Regierungsverantwortung (vgl. Tab. 3). Bis 193 Vgl. im folgendenMorris P. Fiorina, Divided Govemrnent, N. Y. 1992, S. 7-10; Mathew D. McCubbins, Govemment on Lay-Away: Federal Spending and De:licits under Divided Party Control; in: Gary W. Cox/Samuel Kemell, The Politics of Divided Govemrnent, Boulder u. a. 1991, $.116-119; Jones 1995, S. 37ff.; DavidR. Mayhew, Divided We Govem. Party Control, Lawrnaking, and Investigations 1946-1990, New Haven/London 1991, S. 8-33. 194 Vgl. James P. Pfiffner, Divided Govemrnent and the Problern of Govemance; in: James A. Thurber (Hg.), Divided Dernocracy. Cooperation and Conflicts between the President and Congress, Washington 1991, S.42 ff.

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Teil A: Theoretischer Rahmen

auf den 103. Kongreß bestand in dieser Zeit eine parteipolitische Spaltung zwischen Legislative und Exekutive. Zwischen 1980 und 1986 beschränkte sich die parteipolitische Asymmetrie auf das Abgeordnetenhaus, da die Republikaner die Mehrheit im Senat innehatten. Tabelle 3

Vereinte und geteilte Regierungsverantwortung Zeitraum

Präsident

Mehrheitsparteien im Kongreß

Repräsentantenhaus

Senat

Regierungsverantwortung

98. Kongreß (1982-1984)

Reagan (R)

Demokraten

Republikaner

Geteilt

99. Kongreß (1984-1986)

Reagan (R)

Demokraten

Republikaner

Geteilt

100. Kongreß (1986-1988)

Reagan (R)

Demokraten

Demokraten

Geteilt

101 . Kongreß (1988-1990)

Bush (R)

Demokraten

Demokraten

Geteilt

102. Kongreß (1990-1992)

Bush (R)

Demokraten

Demokraten

Geteilt

103. Kongreß (1992-1994)

Clinton (D)

Demokraten

Demokraten

Vereint

104. Kongreß (1994-1996)

Clinton (D)

Republikaner

Republikaner

Geteilt

105. Kongreß (1996-1998)

Clinton (D)

Republikaner

Republikaner

Geteilt

106. Kongreß (1998- 2000)

Clinton (D)

Republikaner

Republikaner

Geteilt

Quelle: Jäger/Wetz (1995)/Sattar.

Es existieren verschiedene empirische Analysen darüber, wie sich die geteilte Regierungsverantwortung auf die parlamentarische Kontrolle auswirkt. Eine empirische Studie von David Mayhew über signifikante Kongreßuntersuchungen für den

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Zeitraum 1946-1990 kommt zu dem Ergebnis: "[O]ne pattem that decisive1y does not come to light( ... ) is a relation between incidence of exposure probes and whether party control was unified or divided." 195 Dieser Studie steht eine Untersuchung Joel Aberbachs gegenüber, bei der Kongreßmitarbeiter befragt wurden. Das Ergebnis suggeriert das genaue Gegenteil: Der Anstieg parlamentarischer Kontrolle in den 70er Jahren sei v. a. durch die Zunahme geteilter Regierungsverantwortung bedingt.l96 Der vermeintliche Widerspruch läßt sich erklären. Beide Untersuchungen nehmen nämlich unterschiedliche Kontrollformen ins Blickfeld. Mayhews Ergebnis sagt lediglich aus, daß die Anzahl der vom Kongreß für signifikant gehaltenen Verfehlungen der Exekutive in Zeiten geteilter Regierungsverantwortung nicht zunimmt; die Legislative bzw. die Kongreßmehrheit verzichtet laut Mayhew darauf, tatsächliche oder vermeintliche Affären verstärkt politisch zu nutzen. 197 Der Kongreß als Institution bzw. der jeweilige Ausschuß tritt hier als Akteur in Erscheinung, nicht aber eine geschlossene Mehrheitsfraktion, die sich dem Präsidenten gegenüberstellt. Aberbach konzentriert sich nicht auf die Kontrolltätigkeit der Untersuchungsausschüsse. Ihm geht es vielmehr um die Arbeit der ständigen Ausschüsse, die mit der kontinuierlichen Überwachung von Bundesbehörden und -programmen betraut sind. Diese Tätigkeit steige unter der Bedingung geteilter Regierungsverantwortung an. Dieser Umstand ist politisch zu erklären. Die Konfliktlinie zwischen staatlicher Regulierung von Wirtschaft und Gesellschaft einerseits und Deregulierung andererseits läuft entlang der Parteiideologien der Liberalen und Konservativen. Dies heißt, daß der Antrieb parlamentarischer Kontrolle für Demokraten und Republikaner gänzlich unterschiedlich ist. Während es ersteren darum geht, "govemment abuse by underregulation" aufzudecken, geht es letzteren um "govemment abuse by overregulation." 198 Wie parlamentarische Kontrolle geradezu politisch definiert werden kann, zeigen die nach 1994 eingerichteten Kontrollagenden: Bill Goodling (R-Pennsylvania), Vorsitzender des House Committee on Economic and Educational Opportunities, machte bei der Aufstellung des Kontrollplanes seine Prioritätensetzung deutlich: "[T]he Committee rnust ensure that the prograrns, laws and regulations we oversee: (I) focus on the appropriate federal mission; (2) work effectively and efficiently; (3) consistently follow congressional intent; (4) establish a framework for policy initiatives that will

Mayhew 1991, S.31. V gl. Aberbach 1990, S. 59 f. 197 Diese Bewertung bezieht sich freilich auf die Zeit vor dem impeachment-Verfahren gegen Präsident Clinton, das diesbezüglich eine neue Qualität darstellt. Der Ausgang des Verfahrens und seine öffentliche Wirkung lassen jedoch vermuten, daß diese Form der parteipolitischen lnstrumentalisierung staatsrechtlicher Kontrollmechanismen keine neuen Standards setzen wird. 198 T. R. Goldmann, A New Day Dawns For House Oversight; in: Legal Times, 20. Februar 1995, S.20, 195

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Teil A: Theoretischer Rahmen

create an environrnent for life-long learning and effective work-place policy; and, (5) provide foraroJe for the federal govemrnent, only where absolutely necessary." 199

Überwachung, Beeinflussung und Sanktionierung der Exekutive werden also als politische Instrumente benutzt, Politikgestaltung zu steuern: "Oversight is a purely political tool. " 200 Parlamentarische Kontrolle als reine Leistungskontrolle in nicht politisierten Bereichen nahm eher ab. 201 Ein Beispiel für einen primär parteipolitischen Impetus parlamentarischer Kontrolle ist das Congressional-Review-Teilgesetz des Contract with America Advancement Act of 1996.202 Mit diesem Gesetz wurde, wie noch ausführlich dargestellt wird, eine 13 Jahre lange Diskussion um die Vereinheitlichung parlamentarischer Kontrolle über den Gesetzesvollzug beendet, wobei es dem Kongreß in erster Linie darum ging, staatliche Regulierungen zu reduzieren- und zu kontrollieren.2o3 Die obige Erkenntnis relativiert das eingangs vorgestellte Kontrollkriterium der Berechenbarkeil der Verwaltung. Wie zuvor definiert, wird darunter die Übereinstimmung von legislativer Absicht und exekutiver Ausführung verstanden. Diese Definition suggeriert allerdings die Unabänderlichkeil der gesetzlichen Absicht. Die Entwicklung legislativer Tätigkeit zu finalen, zweckorientierten Gesetzen sollte dies gewährleisten. Jedoch ist eine Rechtsnorm etwa zur Reinhaltung von Luft und Wasser derart vage formuliert, daß unklar bleibt, in welchem Umfang die beauftragte Environmental Protection Agency (EPA) dieses gesetzliche Ziel über Regulierungen durchsetzen soll. Versteht der 103. Kongreß die legislative Absicht eines Vorgängerkongresses als Mandat für die EPA zugunsten intensiver Regulierung, sprich staatlicher Steuerung, so mag der 104. Kongreß die legislative Absicht wesentlich bescheidener definieren. Die legislative Absicht ist keine objektive Größe, sondern politisch (re-)definierbar. Eventuelle Neudefinitionen werden in Anhörungen, bei denen die betreffenden Behörden zugegen sind, verkündet. Die Exekutive wird an die veränderte Gesetzesauslegung gebunden. Betrifft die Neudefinition der legislativen Absicht bestehende Gesetze, so hat die geteilte Regierungsverantwortung auch Auswirkungen auf die laufende legislative Tätigkeit des Kongresses. Dieser wird sich nun schwerer tun, seine Kompetenzen an die Exekutive zu delegieren, 204 bzw. er wird den mit der Delegation verbundenen Ermessens- und Beurteilungsspielraum zu reduzieren versuchen - und zwar sowohl 199

Oversight Plans 1995, S. 53.

200 Goldmann 1995, S. 20. 201 Vgl. William F. West, Oversight Subcornrnittees in the House of Representatives; in: Con-

gress and the Presidency, 25 (1998): 2, S. l58. 202 P.L. 104-121 vorn 29.März 1996. 203 Vgl. Kapitel B. I. l. 204 Diese Auffassung wird durch eine Studie über die amerikanische Handelspolitik bestätigt, vgl. David Epstein/Sharyn 0' Halloran, Divided Govemrnent and the Design of Administrative Procedures: A Formal Modeland Ernpirical Test; in: The Journal of Politics, 58 (1996): 2, 5.373-397.

IV. Funktionen und Formen parlamentarischer Kontrolle

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durch eine konkretere Gesetzesformulierung als auch durch eine verstärkte mitlaufende Kontrolle. Die institutionellen und parteipolitischen Faktoren stellen das unmittelbare Umfeld parlamentarischer Kontrolle dar. Hinzu kommen andere Faktoren wie etwa die gesellschaftliche Erwartungshaltung an die Kongreßmitglieder sowie die Informationstätigkeit der Medien und Interessengruppen. Wenn im folgenden die Entwicklungen seit 1983 untersucht werden, so müssen diese Variablen analytisch, so weit wie möglich, berücksichtigt werden. Das heißt, daß hinsichtlich des institutionellen Verhältnisses zwischen 1983 und 1999 relativ stabile Rahmenbedingungen gegeben sind, die durch ein gleichgewichtiges Machtverhältnis konfliktärer Prägung bestimmt sind. Parteipolitisch müssen zwei Phasen unterschieden werden: (1) der vornehmlich Demokratische Kongreß 1983 bis 1994 (wenngleich bis 1986

der Senat Republikanisch kontrolliert war) und

(2) der Republikanische Kongreß seit 1994. Diese veränderte Konstellation wirkte, wie gezeigt werden soll, auf die politische Absicht parlamentarischer Kontrolle.

2. Funktionen parlamentarischer Kontrolle a) Kontrolle als Konflikt Um die Funktionen der parlamentarischen Kontrolle zu verstehen, muß diese zunächst in ihrem verfassungsrechtlichen Kontext betrachtet werden. Die Verfassung selbst erwähnt die Kontrollfunktion jedoch nicht explizit. Vielmehr leitet sich die parlamentarische Kontrolle aus anderen Parlamentsfunktionen ab: 205 dem Recht des Kongresses, Gelder zu bewilligen, Gesetze zu verabschieden, Amtsanklage gegen den Präsidenten und hohe Beamte zu erheben, internationale Verträge zu ratifizieren und anderem mehr. Die Verfassung stellt dem Kongreß zusätzlich die Möglichkeit zur Verfügung, alle sonstigen Gesetze zu erlassen, "which shall be necessary and proper for carrying into Execution the foregoing powers" (Verfassung, Art. I, Sekt. 8). Diese sogenannte elastic clause beinhaltet ein solides normatives Fundament für die parlamentarische Kontrolle. Um anderen verfassungsrechtlich normierten Funktionen nachzukommen, bedarf der Kongreß der Möglichkeit der Informationsbeschaffung und -bewertung -also der Möglichkeit der Kontrolle. 206 Die parlamentarische Kontrolle hat einen politisch-philosophischen Hintergrund, der für die Funktionsbestimmung aufschlußreich ist. Das Kontrollrecht der Legislative muß im Zusammenhang mit den beiden konstituierenden Prinzipien der amerikanischen Verfassung- der separation ofpowers und den checks and balances- ge205 Vgl. im folgenden Frederick M. Kaiser, Congressional Oversight of the Presidency; in: Annals, AAPSS, 499 (1988), S. 77. 206 Vgl. Congressional Research Service, Congressional Oversight Manual, 2/1995, S. 5.

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Teil A: Theoretischer Rahmen

sehen werden. Die Verquickung beider Prinzipien führen zum spezifisch amerikanischen Regierungssystem der "separate institutions sharing power." 207 Dieses System der institutionellen Trennung und funktionellen Verschränkung führt dazu, daß Legislative und Exekutive in einem institutionellen Konflikt verbleiben, da die Trennlinie der Regierungsgewalten nicht eindeutig zu bestimmen ist. Dieser "clash of institutional interest"208 soll ein Übergreifen der einen Gewalt in das Terrain der anderen vermeiden. Die Exekutive an dem ihr zugedachten Platz zu halten, heißt konkret: Betrug und Verschwendung aufzudecken und zu verhindern, die Bürgerrechte vor administrativem Mißbrauch zu schützen, die Berechenbarkeit der Verwaltung zu garantieren, Informationen für das Gesetzgebungsverfahren und die Öffentlichkeit zu beschaffen sowie die administrative Leistung zu bewerten. 209 Obwohl der Kongreß schon vorher Kontrollfunktionen ausübte, wurden diese erst 1946 im ,,Legislative Reorganization Act" (LRA) gesetzlich bestimmt.210 Das Gesetz beauftragte die Ausschüsse beider Kammern "continuous watchfulness of the execution by the administrative agencies"211 auszuüben. Dabei kommt den Fachausschüssen die nachträgliche Überprüfung von Bundesprogrammen und -behörden und den Bewilligungsausschüssen die finanzpolitische Kontrolle zu. Ständige Untersuchungsausschüsse, vornehmlich für Korruptions- und Verschwendungsfälle, sind das House Government Operations Committee (GOC, seit 1994 das GRO) und das Senate Governmental Affairs Committee (GAC). 212 1970 wurde in einem weiteren "Legislative Reorganization Act" die Zahl der Ausschußmitarbeiter erhöht. Zudem wurde einigen Ausschüssen empfohlen, Bundesprogramme nur noch auf ein Jahr befristet zu bewilligen sowie alle zwei Jahre Kontrollberichte vorzulegen. 213 Im Laufe der 70er Jahre führten Ausschußreformen zur Einrichtung eigener Kontrollunterausschüsse (oversight subcommittees). Schließlich wurde 1974 das General Accounting Office (GAO) rechtlich gestärkt, indem es seitdem Informationen von Bundesbehörden einfordern kann. 214 Die späte rechtliche Normierung dessen, was parlamentarische Kontrolle im amerikanischen Regierungssystem sein soll, hängt damit zusammen, daß die Exekutive "had only such administrative power as might be delegated by the Congress through 207 Roger H. Davidson, "lnvitation to Struggle": An Overview of Legislative-Executive Relations; in: Annals, AAPSS, 499 (1988), S.14. 20s Foreman 1988, S. 22. 209 Vgl. Kaiser 1988, S. 78. 210 Vgl. How Congress Works, Washington 21991, S. 98. 211 Vgl. ebd. 212 Vgl. Walter J. Oleszek, Congressional Procedures and the Policy Process, Washington 31989, 263f. Seitdem 104. Kongreß heißtdas GOC-nomen est omen: Committee on Government Reform and Oversight (GRO). 213 Vgl. How Congress Works 1991, S.99. 214 Vgl. Oleszek 1989, S.265.

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statutory law." 215 Erst die Zunahme der Staatsfunktionen machte eine Arbeitsteilung zwischen gesetzlicher Ermächtigung und regulativer Ausführung erforderlich. Diese Form der Arbeitsteilung ist Ausdruck der institutionellen Kooperation. b) Kontrolle als Kooperation Der parlamentarischen Kontrolle kommt nicht nur die zuvor dargestellte Funktion des institutionellen Konfliktes zu. Die Kontrolle des Kongresses ist vielmehr auch eine Kompensation für zwei Phänomene: Zum einen soll sie die Delegation ursprünglich legislativer Kompetenzen an die Exekutive aufwiegen, zum andem den zunehmenden Entscheidungsspielraum der Verwaltung durch den ihr zugestandenen Ermessens- und Beurteilungsspielraum einschränken. Dieses Quirl pro quo ist Ausdruck der institutionellen Kooperation. 2 I 6 Die Delegation legislativer Kompetenzen an die Exekutive ist verfassungsrechtlich problematisch: delegata potestas non potest delegari. 217 Die vom Volk an seine Repräsentanten delegierte Macht darf nicht weiterdelegiert werden. Neben der Legitimationsfrage ist die Delegation auch hinsichtlich der Gewaltenteilungsdoktrin fragwürdig. Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten hat sich jedoch im Fall Wayman v. Southard von dieser Dogmatik getrennt und gewährte die Vergabe der gesetzlichen Regelungskompetenz mit dem Hinweis auf die exekutive Konkretisierungkompetenz.218 Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Delegation ist jedoch, so der Oberste Gerichtshof in Panama Refining Co. v. Ryan, ein ermessensgebundener Maßstab für die Exekutive. 219 Die Gründe für die Notwendigkeit der Delegation sind vielfältig: Zum einen wird darauf verwiesen, daß es dem Parlament an Zeit mangelt, um Detailfragen zu lösen, zum anderen wird angeführt, der technische Sachverstand der Repräsentanten entspreche nicht der Komplexität der heutigen Probleme. 220 Darüber hinaus bestehe heute die Notwendigkeit, Normen an eine sich ständig ändernde Umwelt anzupassen- ohne auf ein langwieriges Gesetzgebungsverfahren angewiesen zu sein. Während sich die oben angeführten Argumente ausschließlich auf die Umweltveränderungen beziehen, wird in jüngster Zeit auch diskutiert, inwiefern der Kongreß nicht auch aus eigenem Interesse dazu neige, Entscheidungen in politisch brisanten FraSundquist 1987, S. 264. Vgl. Fisher 1978, S.242. 217 C. Herman Pritchett, Constitutional Law ofthe Federal System, Englewood Cliffs 1984, S.l84. 218 Vgl. Brugger 1993, S.174f. Vgl. zudem Pritchett 1984, S. 184, zum Präzedenzfall von 1825, Wayman v. Southard. 219 In einigen Fällen sah der Oberste Gerichtshof diese Prämisse verletzt, vgl. Brugger 1993, S.177. Vgl. hierzulames Q. Wilson, Bureaucracy. What Govemment Agencies Do and Why They Do It, o.O. 1989, S.335. 220 Vgl. Pritchett 1984, S. 184. 21s

216

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Teil A: Theoretischer Rahmen

gen an die Regierung bzw. die Verwaltung zu überweisen, um vom Wähler nicht zur Verantwortung gezogen zu werden. 221 In der parlamentarischen Praxis heißt Delegation nicht etwa die Selbstausschaltung des Parlaments. Jegliches Verwaltungshandeln unterliegt dem Vorrang und dem Vorbehalt des Gesetzes. Während der Vorrang des Gesetzes die Verwaltung im allgemeinen an die bestehenden Gesetze bindet, verlangt der Vorbehalt des Gesetzes von der Verwaltung für ihr Handeln eigens eine gesetzliche Grundlage.222 Das Phänomen der Delegation hat in den USA zur Ausweitung der Verwaltungsmacht geführt. Die Ausweitung der administrativen Macht hat neben der Delegation noch eine zweite Ursache. Diese ist der zunehmende Ermessens- und Beurteilungsspielraum der Verwaltung im Gesetzesvollzug, der aus der veränderten inhaltlichen Bestimmung der Gesetze resultiert. Gesetze sind zunehmend allgemein und vage formuliert. Politische Problemlösung gründet sich nicht mehr auf Normen in Form konditionaler Handlungsprogramme, die von der Verwaltung lediglich auszuführen bzw. gegebenenfalls zu detaillieren sind.223 Die politische Problemlösung gründet sich zunehmend auf Normen in Form von Zweckprogrammierungen, die ein Ziel formulieren, den Weg dorthin jedoch offen lassen. Dieser Umstand bedingt die Vergrößerung der Entscheidungsspielräume der Verwaltung.224 Gesetze im Sinne von Zweckprogrammierungen präzisieren im rechtswissenschaftliehen Sinne nur einen Teil einer Rechtsnorm. Sie schildern einen Tatbestand, jedoch knüpfen sie an diesen keine eindeutige Rechtsfolge. Diese Gesetze stellen vielmehr der Verwaltung Rechtsfolgen zur Auswahl. 225 In solchen Fällen ist- gemäß der deutschen Teminologie- von Ermessensspielraum zu sprechen. Neben dem Verwaltungsermessen besteht noch ein zweiter Grund dafür, daß Entscheidungsspielräume der Verwaltung vergrößert werden. Während das Ermessen aus der Rechtsfolgenseite resultiert, folgt der Beurteilungsspielraum der Verwaltung aus dem Tatbestand des Gesetzes. Dieser enthält oftmals unbestimmte Rechtsbegriffe.226 Der materielle Bestimmtheitsgrad von Gesetzen ist höchst unterschiedlich. Begriffe wie etwa "öffentliches Interesse" oder "Gemeinwohl" sind vage und bedür221 Letzteres Erklärungsmodell trägt den Namen "Shift the Responsibility", vgl. Morris Fiorina, Legislative Choice of Regulatory Forms: Legal Process or Administrative Process? in: Public Choice 39 (1982), S.47f. 222 Vgl. Maurer 1995, S. 103 f. 223 Vgl. Renate Mayntz, Soziologie der öffentlichen VeiWaltung, Heidelberg/Karlsruhe 1978, S. 74; sowie Fritz Scharpf, Die politischen Kosten des Rechtsstaats. Eine vergleichende Studie der deutschen und amerikanischen VeiWaltungskontrollen, Tübingen 1970 (=Wirtschaft und Gesellschaft Bd. 1), S. 21 f. 224 Vgl. ebd. 22s Vgl. Maurer 1995, S. 120f. 226 Vgl. ebd. S.l28f.

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fen mithin der Definition seitens der Verwaltung. In diesem Kontext wird deutlich, daß die Verwaltung Gesetze nicht bloß konkretisiert sondern auch interpretiert. Die Verwaltung besitzt somit gestaltende Kraft. Dasamerikanische Verwaltungsrecht kennt die Unterscheidung zwischen Tatbestand- und Rechtsfolgenseite nicht. Dementsprechend ist die genaue Differenzierung zwischen Ermessens- und Beurteilungsspielraum nicht geläufig. 227 Im Kontext dieser Untersuchung wird daher oft zusammenfassend vom Entscheidungsspielraum der Verwaltung gesprochen. Wenn aber zu erkennen ist, um welchen Aspekt es sich genauer handelt, so wird- der Klarheit wegen - die deutsche Differenzierung durchaus verwendet. Die Gründe für die Einräumung des Entscheidungsspielraumes durch die Legislative liegen ähnlich wie bei der Delegation. Den Parlamenten mangelt es an Expertise und Folgenabschätzung. Zudem tragen komplexe Parlamentsstrukturen dazu bei, daß ein zeitiges und flexibles Reagieren auf veränderte Umweltbedingungen nicht möglich wäre. Diese Folgen der Ausweitung des Entscheidungsspielraumes lassen sich jedoch nicht generalisieren. Vielmehr zeigt sich, daß die Entscheidungskompetenz der Verwaltung durch Verwaltungsermessen und Beurteilungsspielraum vom jeweiligen Politikfeld abhängt.228 Hierbei gilt es, zwischen (sozial-)technologischen und umweltbedingten Aspekten einzelner Politikfelder zu unterscheiden. Die sozialtechnologischen Instrumente, etwa gesellschaftliche Minderheiten in der öffentlichen Verwaltung zu fördern oder im Falle protektionistischen Verhaltens ausländischer Handelspartner Zölle auf ausländische Güter zu verhängen, unterscheiden sich erheblich. Zum einen müssen im ersten Fall die Instrumente zur Zielerreichung erst entwickelt werden, zum anderen sind die Folgen des Einsatzes jener Instrumente zur Förderung gesellschaftlicher Minderheiten schwerer absehbar als bei der Verhängung von Zöllen. Während es bei den Zöllen schlicht um das Ob bzw. Wann geht, hat die Verwaltung bei der Förderung gesellschaftlicher Minderheiten das Wie zu betrachten. Die Antworten der Verwaltung bestimmen also das Ergebnis des gesetzlichen Vorhabens. Dieser Umstand impliziert das politische Problem, daß das Ergebnis des Verwaltungshandeins nicht notwendig mit dem legislativen Willen übereinstimmt. Auch die politische Umwelt bedingt die Gesetzesausführung der Verwaltung. Umweltfaktoren sind u. a. die Anzahl der vom Gesetz betroffenen Interessengruppen, die Organisations- bzw. Konfliktfähigkeit der betroffenen Verbände, der Konfliktgrad des Politikfeldes und Interdependenz verschiedener Politikfelder wie etwa im Bereich der Sozial- und Finanzpolitik. All diese Faktoren wirken auf die Gesetzesausführung ein, bestimmen schließlich das Ergebnis mit. 229 Vgl. Brugger 1993, S. 216. Vgl. im folgendenJudith E. Gruber, Controlling Bureaucracies. Dilemmas in Democratic Govemance, Berkeley u. a. 1987, S. 121 ff. 229 In diesem Zusammenhang werden in der amerikanischen Literatur auch pluralismustheoretische Fragen diskutiert. Es wird argumentiert, daß die Verlagerung der legislativen Funk227 228

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Die Folgen der legislativen Delegation und der Einräumung von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen wurden bereits erwähnt. Die Verwaltung ist längst nicht mehr bloß ausführende Gewalt. Vor dem Hintergrund der Abnahme des legislativen Steuerungspotentials ist schon von einer "vierten Gewalt" gesprochen worden.230 Mit Mayntz kann nun gefragt werden, wie der Funktionsverlust der legislativen Steuerung ausgeglichen werden kann.231 Im Regierungssystem der USA kompensiert der Kongreß die Abtretung seiner Regulierungskompentenz durch eine intensivierte parlamentarische Kontrolle, also durch die Überprüfung der Übereinstimmung von legislativer Absicht und dem Handeln der Verwaltung. Nur dieses Kontrollrecht macht die Vergabe seiner legislativen Kompetenz für den Kongreß rentabel. Im Rahmen der Kooperation von Regierung und Verwaltung auf der einen und dem Parlament auf der anderen Seite kommt der parlamentarischen Kontrolle die Funktion zu, die Kosten des Verwaltungshandeins zu reduzieren. Kosten sollen hier mit McCubbins und Page verstanden werden als Grad der Abweichung exekutiven Handeins von der legislativen Absicht.232 Um diese Kostenreduzierung zu erreichen, strukturiert der Kongreß seine Beziehungen zur Verwaltung "through a set of structural and management arrangements"233: Structural arrangementssind Regeln und Verfahrensvorschriften, die der Verwaltung ihr Handlungsmandat verleihen und gleichermaßen begrenzen. Diese Arrangements greifen vor dem Erlaß von Verordnungen. Unter diesen gibt es (1) die gesetzliche Definition der Reichweite potentieller Verordnungen, (2) die Definition der einzusetzenden Instrumente wie etwa Verbots- oder Gebotsverordnungen und (3) die Definition des Verfahrens, das die Verordnung vor ihrem Erlaß zu durchlaufen hat wie etwa die Zustimmung einer obersten Bundesbehörde. Management arrangements sind hingegen legislative Kontrollmittel gegenüber einzelnen Verwaltungsträgern, die nach dem Erlaß der Verordnung greifen. Als solche gibt es erstens Belohnungs- und Sanktionsmittel wie die Autorisierung und Bewilligung von Bundesprogrammen, die über Verordnungen umgesetzt werden, sotion vom repräsentativen Gremium des Parlamentes zum iron triangle von Verwaltung, (Unter-) Ausschüssen und Interessengruppen spezifische, besser organisierte Interessengruppen begünstige, da das Machtdreieck nicht mehr repräsentativ sei. Die Regulierungspolitik laufe daher am Gemeinwohl vorbei, vgl. B. Guy Peters, American Public Policy. Promise and Performance, Houndmills u. a. 2 1986, S. 71. Heute gilt das Modell der iron triangles in der Forschung gemeinhin als überholt. Die festen Beziehungsstrukturen seien abgelöst worden durch lose issue networks, die eine vielfältigere Interessenvermittlung gewährleisteten, vgl. Adrienne Heritier, Politische Eliten; in: Jäger/Welz 1995, S. 324. Inwiefern informale Politik eine Renaissance der eisernen Dreiecke bewirken kann, wird am Ende dieser Arbeit diskutiert, vgl. Kapitel C. III. 230 V gl. Fraenkel 1962, S. 208. 23t Vgl. Mayntz 1978, S. 75. 232 Vgl. im folgendenMcCubbins!Page 1987, S.409ff. 233 Ebd. S.409.

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wie die Ernennung politischen Personals durch die Legislative. Als zweites Kontrollmittel besteht die Möglichkeit der Überwachung laufender Programme. 3. Formen der parlamentarischen Kontrolle a) Formale Kontrollen aa) Legislatives Veto Das legislative Veto gibt es seit der Großen Depression der 30er Jahre. 1932 delegierte der Kongreß die Reorganisationsgewalt für die Exekutive an ebendiese. Der Kongreß wollte und konnte keine Detailfragen bei der Neuorganisierung der Exekutive gesetzlich regeln. Die Legislative gewährte der Verwaltung damit zeitliche Flexibilität und politischen Entscheidungsspielraum. Im "Reorganization Act" von 1939 autorisierte der Kongreß den Präsidenten, die Exekutive zu reorganisieren. Die Pläne traten nach 60 Tagen in Kraft, wenn der Kongreß bis dahin keine ablehnende concurrent resolution verabschiedete. Die Regelung wurde 1949 auf eine simple resolution ausgeweitet.234 Bis in die 70er Jahre blieb das legislative Veto weitestgehend beschränkt auf den Bereich der exekutiven Reorganisation. Im Zuge des institutionellen Konfliktes zwischen Kongreß und Präsident wurde der Mechanismus nunmehr aber als legislatives Machtmittel instrumentalisiert. Meilensteine hierbei waren die "War Powers Resolution" (WPR) von 1973 und das "Budget and Impoundment Control Act" (BICA) von 1974, obschon insbesondere erstere Entschließung niemals von einem Präsidenten akzeptiert wurde. Neben diesen herausragenden Bestimmungen nahmen die legislativen Veto-Vorbehalte vor allem in unspektakulären Fällen immens zu. Herausragend war dabei die Regulierungspolitik. Hier wurden in den 70er und frühen 80er Jahren zahlreiche Gesetze, die legislative Vetos enthielten, auf den Weg gebracht. Die in Tabelle 4 dargestellten Gesetze stellen nur eine Auswahl dar. Jedoch zeigt diese schon an, wie breitgefachert der Einsatz des Kontrollmechanismus in der regulativen policy arena war. Zwar gab es vor 1983 trotz einiger Versuche immer noch keine einheitliche gesetzliche Grundlage dafür, alle regulationseinem Veto-Vorbehalt zu unterstellen, jedoch akkumulierten sich einzelne Ausführungsbestimmungen zu einer beachtlichen Kontrolldichte. 235 In den 70er Jahren wurden dreimal soviele Veto-Vorbehalte in die Ausführungsbestimmungen von Gesetzen geschrieben wie in der gesamten Zeit zuvor. Außerdem stieg die Anzahl der legislativen Vetos pro Gesetz immens an (vgl. 234 Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen beiden Regierungsgewalten zwischen 1973-1977 bestand diese Regelung nicht. Auch zu Beginn der Präsidentschaft Reagans, der sich im Wahlkampf gegen das legislative Veto ausgesprochen hatte, gab es diese Möglichkeit für die Exekutive nicht, vgl. Fisher 1991, S. 168. 235 Vgl. ebd. S. 172.

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Tab. 5). Gab es bis in die 60er Jahre annähernd ein Veto pro Gesetz, so verdoppelte sich dieses Verhältnis in den 70er Jahren. Das 1983er Urteil des Obersten Gerichtshofes betraf 207 legislative Vetos in 126 Gesetzen, die im Frühjahr 1983 noch in Kraft waren.236 Tabelle 4

Einsatz legislativer Vetos bei regulativen Gesetzen (Auswahl) Jahr

Gesetz

Art des legislativen Vetos

1974

Education Amendments

concurrent resolution

1978

Airline Deregulation Act

simple resolution

1979

Department of Education Organisation Act

concurrent resolution

1980

Federa1 Trade Commission Improvements Act

concurrent resolution

1980

Farm Credit Act Amendment

simple resolution

1980

Comprehensive Environmental Response, Compensation And Liability Act

concurrent resolution

Quelle: Sattar.

Tabelle 5

Häufigkeit legislativer Vetos Jahrzehnt

Zahl der Gesetze mit Veto-Vorbehalt

Zahl der legislativen Vetos

1932-1939

5

6

1940- 1949

19

20

230

1950-1959

34

36

80

1960-1969

49

70

94

1970- 1980

248

423

507

Quelle: Barbara H. Craig, The Legislative Veto. Boulder 1983, S.27.

Anstieg im Vergleich zum Vorjahrzehnt in Prozent

IV. Funktionen und Formen parlamentarischer Kontrolle

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Die Art der legislativen Vetos läßt sich zum einen danach unterscheiden, wem die sanktionierende Gewalt zukommt, und zum anderen danach, welchem exekutiven Handeln ein Veto-Vorbehalt auferlegt wird. Die sanktionierende Instanz kann ( 1) der Kongreß insgesamt sein, der eine concurrent resolution beschließt, (2) eine einzelne Kammer, die eine simple resolution verabschiedet oder (3) ein Ausschuß, der ein committee veto einlegt. Eine joint resolution, die ebenfalls von beiden Kammern verabschiedet und dem Präsidenten zur Unterschrift vorgelegt werden muß, kann nicht als legislatives Veto im engeren Sinne betrachtet werden. Sie ist vielmehr ein Äquivalent zu einem Gesetz. Alle drei Arten sind zudem danach zu unterscheiden, ob der jeweilige Beschluß eine negative oder positive Sanktion beinhaltet.237 Negative Sanktionen (disapproval) stoppen die laufende Gesetzesausführung, positive Sanktionen (approval) setzen die Pläne der Verwaltung zur Gesetzesausführung überhaupt erst in Gang. bb) Anhörungen und Untersuchungen Parlamentsausschüsse sind die Keimzellen der Gesetzgebung. Im präsidentiellen Regierungssystem der USA werden in den Ausschüssen Gesetzentwürfe z. T. initiiert, vor allem aber beraten und modifiziert, bevor sie ins Plenum gelangen. Obwohl der Schwerpunkt der Arbeit dieser Gremien eindeutig auf der Gesetzgebung liegt, ist dies nicht ihre einzige Tätigkeit. 238 Es sind die Ausschüsse, die 1946 im LRA dazu aufgefordert wurden, die Gesetzesausführung der Exekutive kontinuierlich zu überwachen. Kongreßmitglieder untersuchen in den Ausschüssen, ob sich Regierungs- und Verwaltungshandeln in ihrem Sinne vollzieht. Die watchdog-Funktion der Ausschüsse hängt jedoch von einer Vielzahl von Faktoren ab. Anhörungen haben zum Ziel, über Zeugenaussagen und Zeugenbefragung Informationen darüber zu erhalten, wie Bundesprogramme funktionieren und inwieweit sich das exekutive Personal an legislative Anweisungen hält.239 Dazu werden neben Angehörigen der Exekutive auch Vertreter von Interessengruppen und Sachverständige angehört. Neben der Funktion der Informationsbeschaffung haben Anhörungen zuweilen auch die Aufgabe der Informationsbewertung sowie der abschließenden Entscheidung. Dies ist dann der Fall, wenn Autorisierungsausschüsse terminierte Bundesprogramme reautorisieren müssen. Denn ein Großteil der Bundesprogramme ist gesetzlich befristet und bedarf des Votums eines Fachausschusses, um verlängert zu werden. Ist der Ausschuß mit der Gesetzesausführung unzufrieden, kann er auf die Erneuerung der Autorisierung verzichten oder- was öfter der Fall 236 V gl. James L. Sundquist, Constitutional Reform and Effective Govemment, Washington 1986, S. 217. 237 V gl. Bernard Rosen, Holding Govemment Bureauerneies Accountable, N. Y. 1982, S. 63. 238 Vgl. William J. Keef e!Morris S. Ogu/, The American Legislative Process. Congress and the States, Englewood Cliffs 1993, S. 210. 239 Vgl. 0/eszek 1989, S. 266.

6 Sattar

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ist - den jeweiligen Verwaltungsträger über statute amendments (Gesetzesergänzungen) in seinem Entscheidungsspielraum einschränken. 240 Die Arbeitsüberlastung der Ausschüsse mit Tatigkeiten, die nicht primär der Kontrolle dienen, führte 1966 seitens des Joint Committee on the Organization of Congress (JCOC) zu der Einsicht, daß das Kontrollmandat aus dem Jahre 1946 nur unzureichend erfüllt werde. Obwohl sich das JCOC noch gegen die Einrichtung von eigenen Kontrollunterausschüssen aussprach, forderte das Repräsentantenhaus 1974 seine Ständigen Ausschüsse (mit Ausnahme des Bewilligungs- und Haushaltsausschusses) auf, entweder einen Unterausschuß mit der Kontrolle der Exekutive zu beauftragen oder einen gesonderten Kontrollunterausschuß einzurichten.241 Eine ähnliche Reform vollzog der Senat 1977: Er beauftragte mehrere Fachausschüsse mit "comprehensive policy oversight responsibility. " 242 Die Kontrolleistung der Ausschüsse und Unterausschüsse hängtjedoch davon ab, wie zentralisiert bzw. dezentralisiert der Ausschuß strukturiert ist. Ein zentralisierter Ausschuß mit einem dominierenden Ausschußvorsitzenden wird nur dann seiner Kontrollfunktion gerecht, wenn der Vorsitzende selbst das Gewicht auf diese Tätigkeit legt, da er die Agenda des Gremiums bestimmen kann. Dezentralisierte Ausschüsse mit einem ausdifferenzierten Unterausschußwesen haben durch die Unterausschußvorsitzenden einen größeren Spielraum.243 Ein zweiter Faktor bedingt die Kontrolleistung des Ausschußwesens. Sind lediglich neue Kongreßmitglieder (jreshmen) mit der Kontrollarbeit betraut, so läßt sich die Exekutive nur in geringem Ausmaß einschüchtern, da neue Mandatsträger in der Regel nicht die gleiche mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen können wie alteingesessene Kongreßmitglieder. Neben der Möglichkeit der Anhörung kann der Kongreß auch Untersuchungen durchführen.244 Der Oberste Gerichtshof normierte das Untersuchungsrecht 1927245 mit der Begründung, daß ein Parlament seiner gesetzgebensehen Tatigkeit "in the absence of information respecting the conditions which the legislation is intended to affect or change"246 weder weitsichtig noch effektiv nachkommen könne. De facto gehörte das Untersuchungsrecht des Kongresses von Anbeginn der amerikanischen Demokratie zur Verfassungspraxis. Die bereits erwähnten Ausschüsse für Regierungsangelegenheiten, GOC und GAC, die ineffizientes Regierungs- und Verwaltungshandeln aufdecken sollen, sind diesem Mandat nach Meinung der Forschung Vgl. Aberbach 1990, S. 155-157. Vgl. Ogu/1976, S.188. 242 Vgl. How Congress works 1991, S. 99. 243 Vgl. im folgenden Ogu/1979, S. 343. 244 Vgl. Morton Rosenberg, lnvestigative Oversight: An lntroduction to the Law, Practise and Procedure of Congressional lnquiry, CRS-Report 95- 464 A. 245 Vgl. McGrain v. Daugherty, 273 U. S.135, 177, 181- 182 (1927) sowie Eastland v. United States Servicemen's Fund, 421 U.S.491, 509 (1975). 246 Zit. nach Fisher 1990, S.48. 240

241

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nicht gerecht geworden. Die Kontrollausschüsse "have never realized the potential for effective investigative oversight envisioned for them (... )."247 Hierfür sind die folgenden Gründe anzuführen;248 (1) Die beiden Ausschüsse für Regierungsangelegenheiten haben keine legislative

Kompetenz. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen werden lediglich den Autorisierungsausschüssen überwiesen. Daher ist die Neigung der Verwaltung vorhanden, sich direkt an die Fachausschüsse zu wenden.

(2) Dieser Umstand bedingt, daß die Mitglieder der beiden Ausschüsse über wenig Motivation verfügen.

(3) Außerdem führt der geringe Einfluß dazu, daß es zu Animositäten zwischen den Fachausschüssen und den Ausschüssen für Regierungsangelegenheiten kommt. Aus Sicht der letzteren sind die Mitglieder der Autorisierungsausschüsse "Parteigänger der Verwaltung". (4) Schließlich bestehen zwischen den Mitgliedern der beiden Ausschüsse und der

Exekutive keine informellen Kontakte, wie dies bei den Fachausschüssen der Fall ist. Aufgrund der rein investigativen Tätigkeit der Ausschüsse für Regierungsangelegenheiten hat die Exekutive keinen Antrieb, mit diesen zu kooperieren.

Neben diesen Ständigen Ausschüssen untersuchen ad-hoc-Ausschüsse (select committees), die von der jeweiligen Kammer einzurichten sind, konkrete Einzelfälle. Bekannte Beispiele hierfür sind die Untersuchungen des Senats im Zusammenhang mit der Watergate-Affäre in den Jahren 1973/74 und die Untersuchungen der Iran-Contra-Affäre 1987 durch Ausschüsse beider Kammem.249 Während die meisten Untersuchungsausschüsse nach Erledigung ihrer Aufgaben aufgelöst werden, sind die select committees, die die amerikanischen Nachrichtendienste überwachen, de facto standing committees. 250 Schließlich existiert noch die Form der Joint committees, die per Gesetz bzw. Resolution geschaffen werden. Die Gemeinsamen Ausschüsse überprüfen ebenfalls die Bundesbehörden wie etwa das Government Printing Office (GPO), aber auch eigene Parlamentsbehörden wie die Library of Congress (LoC). cc) Vorladungen Eng verknüpft mit der Praxis der Anhörungen und Untersuchungen ist das Recht des Kongresses, Mitglieder der Exekutive vorzuladen (subpoena power). Nur dieses Recht macht Anhörungen und Untersuchungen zu effektiven Kontrollmechanismen. Mit dieser Begründung hat das Oberste Bundesgericht das Vorladungsrecht für Zit. nach Riley 1987, S. 75. Vgl. im folgenden ebd. S. 75. 249 Vgl. How Congress Works 1991, S. 89. 2so Vgl. ebd. 247 248

6*

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verfassungskonform i. S. der implied-powers-Doktrin befunden. 251 Wird einer Vorladung von seiten der Exekutive nicht entsprochen, d. h. weigert sich etwa ein Minister, dem aufgetragen worden war, der Legislative Dokumente vorzulegen, vor dem Ausschuß in dieser Sache zu sprechen, so kann der Kongreß diese Person wegen Mißachtung des Parlaments verurteilen (contempt power). Hierbei kommt dem Kongreß durchaus eine judizielle Funktion zu: Das Urteil kann eine Gefängnisstrafe für die Dauer der Sitzungszeit des Kongresses zur Folge haben. Längere Strafen bedürfen einer Verurteilung durch die ordentliche Gerichtsbarkeit. 252 Die Androhung dieser Maßnahme reicht oftmals aus, um die gewünschte Person vor den Ausschuß zu zitieren. Gleichwohl gibt es auch Beispiele für eine Verurteilung und die Vollstreckung des Urteils. Am bekanntesten sind wohl die Vorladungen vordasHause UnamericanActivities Committee (HUAC) in den 50er Jahren. Personen, die sich weigerten, zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen der kommunistischen Unterwanderung Stellung zu nehmen, wurden wegen Mißachtung des Parlaments verurteilt und kamen ins Gefängnis.253 Eben jene HUAC-Aktivitäten können jedoch auch herangezogen werden, um die Grenzen dieses Kontrollrechts aufzuzeigen: 1957 erklärte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten im Fall Watkins v. United States, daß der Kongreß niemanden wegen Mißachtung des Parlaments verurteilen könne, "unless the pertinency of questions asked them was unmistakably clear and the inquiry itself was related to a valid legislative purpose ( ... )." 254 Hiermit wurde das Kontrollrecht des Kongresses zum einen an das Gebot der Sachdienlichkeit gebunden, zum anderen wurde ganz im Sinne Madisons klargestellt, daß eine Regierungsgewalt nicht den Machtbereich einer anderen übernehmen dürfe. Der Kongreß sei kein oberstes Gericht: "No inquiry is an end in itself; it must be related to (...) a legitimate task of Congress."255 Das Vorladungsrecht ist nur in Verbindung mit dem Anhörungs- und Untersuchungsrecht des Parlaments zu verstehen. Gemeinsam dienen sie der Informationsbeschaffung des Kongresses - und zwar sowohl nachgängig als auch mitlaufend. Dem legislativen Vorladungsrecht steht das Recht auf Aussageverweigerung (executive privilege) gegenüber, das der Präsident und Teile seine Stabes für sich beanspruchen. Die Rechtsprechung ist bislang zu keinem eindeutigen Urteil gekommen, so daß Verfassungskonflikte im konkreten Einzelfall durch den Obersten Gerichtshof geklärt werden müssen.256 Vgl. Fisher 1990, S. 50. V gl. ebd. S. 50. 253 Vgl. Keefe/Ogu/1993, S. 217. 254 Vgl. ebd. S. 218. 255 Zit. nach Roger H. Davidson/Walter J. Oleszek, Congress and Its Members, Washington 3 1990, S.268. 256 Vgl. Fisher 1991, S. 204ff. 251 252

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dd) Berichte und Ankündigungen Zwei weitere Formen der mitlaufenden Kontrolle des Gesetzesvollzuges sind die Berichts- und Ankündigungspflicht (report and notification requirement) der Exekutive gegenüber der Legislative. Da der Kongreß bis in die 70er Jahre zumeist seine Informationen erst zu einem Zeitpunkt erhielt, als sich gesetzesausführende Bundesprogramme längst in der Umsetzung befanden, empfand das Parlament seine Einflußnahme gegenüber der Exekutive als defizitär. Kontrolle bestand lediglich aus einem nachträglichen Kurieren am administrativen Übel. Dabei gab es zwei Optionen: Entweder das Programm lief aus oder die Verwaltung wurde per legislativem Mandat beauftragt, neue Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten und umzusetzen. Um sein Optionsfeld zu erweitern, griff der Kongreß auf die Berichts- und Ankündigungspflicht zurück. Die Legislative fordert dabei die Exekutive - d. h. sowohl den Präsidenten als auch den mit der Gesetzesausführung betrauten Verwaltungsträger- per Gesetz auf, den Kongreß bzw. den federführenden Fachausschuß über den Stand der Umsetzung zu informieren. 257 Die Berichtspflicht variiert in ihrem Zeitraum. Ankündigungen sind dann erforderlich, wenn auf der Grundlage eines gesetzlichen Mandats entweder ein Verwaltungsakt oder eine Regulierung erlassen wird. Diese Kontrollform ist als Mittel mitlaufender Informationsgewinnung im Fall Sibbach v. Wilson vom Obersten Gerichtshof für verfassungskonform befunden worden.258 Nach dem Chadha-Urteil wurde das report-and-wait-Verfahren nochmals ausdrücklich richterlich bestätigt.259 Berichtspflicht und Ankündigungen zwingen die Exekutive sowohl zur SelbstEvaluation als auch zum Vergleich ihres Handeins mit dem legislativen Soll. Die Berichte geben dem Kongreß die Möglichkeit, Informationen zu gewinnen, auf deren Grundlage informale Anweisungen an die Verwaltung ergehen oder gar neue Gesetze eingeleitet werden können. Wahrend Ankündigungen seitens des Kongresses als effektives Kontrollmittel betrachtet werden, bleibt die Wirksamkeit der Berichte fraglich. In einer Befragung von Kongreßmitgliedern Anfang der 80er Jahre hielten nur zehn Prozent die Berichtspflicht für effektiv, 61 Prozent für relativ effektiv und 29 Prozent für kaum effektiv. 260 ee) Fallarbeit Die bisherige Darstellung der Formen der parlamentarischen Kontrolle ging davon aus, daß sich der Kongreß bei der Kontrolltätigkeit stets auf eigens gewonnene Informationen stützt. Tatsächlich greift das Parlament aber auch auf externe Quellen Vgl. Rosen 1982, S.57. Vgl. Congressional Oversight Manual, CRS, Washington 1995, S. 72. 259 Vgl. City of Alexandria v. United States, 737 F 2d. 1022 (C.A. Fed. 1984). 260 Vgl. Rosen 1982, S.57. 257 258

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wie die Medien zurück, die über administratives Fehlverhalten berichten, oder auf Berichte von Interessengruppen sowie Klagen aus den Wahlkreisen. Die Beschäftigung mit Einzelfällen wird in der amerikanischen Literatur als Fallarbeit (casework) bezeichnet. Die Informationen gelangen an die Abgeordneten während der Phase der Umsetzung. Die Beschwerden aus dem Wahlkreis gehen zumeist an die Mitarbeiter der Kongreßmitglieder und werden dort nach Wichtigkeit selektiert. Die Thematisierung von Bürgerbeschwerden hat also auch bzw. vor allem die Funktion der Wahlkreisarbeit. 261 Der eigentliche Kontrollwert ist eher gering einzuschätzen. Das Kongreßmitglied wird nur dann tätig, wenn durch das umstrittene Verwaltungshandeln die Interessen essentieller Bevölkerungskreise, die seine Wiederwahl begünstigen, tangiert werden. ff) Generalinspekteur

Mit dem lnspectors General Act aus dem Jahre 1978 schuf der Kongreß das Amt des Generalinspekteurs, der die parlamentarische Kontrolltätigkeit unterstützt. In annähernd 62 Bundesbehörden- in allen Ministerien und einigen größeren unabhängigen Verwaltungsträgern - überprüft nun ein lnspector General sowohl die Buchführung als auch das Verhalten der Verwaltung.262 Dieser ist zwar einer Behörde zugeordnet, genießt aber per Gesetz weitgehende Unabhängigkeit, die eine objektive Beurteilung des Verwaltungshandeins gewährleisten soll. Dem Kongreß liefern die Generalinspekteure regelmäßig Berichte. Der Legislative schien das Amt von Bedeutung, weil sie die interne Verwaltungskontrolle, die behördeninterne Mißstände aufdecken und korrigieren soll, als unzureichend empfand. Obwohl das Amt zum Zeitpunkt des Gesetzeserlasses umstritten war, wird es heute nicht mehr in Frage gestellt. Das GAO hat einen Bericht erstellt, in dem die Einrichtung überaus gelobt wird: Das Amt des Generalinspekteurs sei "a key factor in correcting deficiencies and strengthening Federal internal audit and investigative activities." 263 gg) Unterstützungsarbeit durch Parlamentsbehörden Neben der eigenen Informationsbeschaffung und der externen durch Medien und Interessengruppen hat der Kop.greß sich durch den Aufbau einer eigenen Verwaltung in die Lage versetzt, den Informationsvorsprung der Exekutive zumindest teilweise zu kompensieren. Als Parlamentsbehörden sind die folgenden Einrichtungen zu nennen: das General Accounting Office (GAO), der Congressional Research Service (CRS), das Office of Technology Assessment (OTA) und das Congressional Budget Office (CBO). Daß die Bedeutung der Parlamentsbehörden durch die noch Keefe!Ogu/1993, S. 398. Vgl. Frederick M . Kaiser, Statutory Offices of Inspector General, CRS-Report 94-153 GOV, S.l f. 263 Zit. nach Frederick C. Mosher, The GAO: The Quest for Accountability in Americao Govemment, Boulder 1979, S.270. 26 1 262

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anzusprechenden Kongreßreformen der 70er Jahre angestiegen ist, verdeutlicht Tabelle 6. Aufgrund der personellen und funktionalen Bedeutungssteigerung ist hinsichtlich der parlamentarischen Hilfsdienste auch schon von einer Gegenbürokratie zur Exekutive gesprochen worden. 264 Im Zuge der massiven Haushaltskürzungen, die die Republikaner im 104. Kongreß durchsetzten, sank aber die Zahl der Beschäftigten der Parlamentsbehörden. Der Rechnungshof wurde mit dem "Budget and Accounting Act" aus dem Jahre 1921 geschaffen. Ihm steht ein comptroller generat vor, dessen Ernennungsverfahren verständlich macht, warum das GAO- anders als der unabhängige Bundesrechnungshof in der Bundesrepublik Deutschland- tatsächlich eine Parlamentsbehörde ist: Ein überparteilicher Kongreßausschuß legt dem Präsidenten eine Liste mit drei Namen vor. Obwohl der Präsident nicht gebunden ist, den Kandidaten aus diesem Kreis zu rekrutieren, hält er sich an die legislative Empfehlung, da ansonsten die Bestätigung durch den Senat fraglich wäre. 265 Der comptroller generat steht dem GAO für eine einmalige 15jährige Amtsperiode vor. Gleichwohl ist das GAO weniger ein "part of Congress" als ein "agent of Congress". 266 Es verfügt nämlich über einen beachtlichen Grad an Unabhängigkeit sowohl in bezugauf seinen Ermessensspielraum als auch hinsichtlich seiner Autonomie in der inneren Verwaltung der Behörde. Tabelle 6

Beschäftigungszahlen der Parlamentsbehörden 1966-1995 Behörde

1966

1974

1978

1987

1995

GAO

4136

4954

5382

5016

3507

CRS

208

565

791

860

804

202

226

251

136

143

CBO OTA

42

Quelle: Norman J. Omstein!fhomas E. Mann/Michael J. Malbin. Vital Statistics on Congress 1995-19%. Washington D.C. 1996, S. 130. United States GAO, Congressional Suppon Agencies, GAO/f-Opp-93-1.

Ursprünglich war die Funktion des GAO auf die Rechnungsprüfung (audit) von Regierungs- und Verwaltungsbehörden sowie von Bundesprogrammen beschränkt. Der LRA und der BICA weitetenjedoch die parlamentarische Kontrollfunktion aus: Das GAO kann neben der Einnahmen-Ausgaben-Prüfung aus eigener Initiative oder 264 V gl. Werner Jann, Kein Parlament wie jedes andere. Die veränderte Rolle des Kongresses im politischen System der USA; in: ZParl, Heft 16 (1986): 2, S. 231. 265 Vgl. Rosen 1982, S.65. 266 Mosher 1979, S. 259.

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nach Aufforderungen durch Ausschüsse, Unterausschüsse sowie beider Kammern alle Dokumente der Verwaltung einsehen und Angestellte anhören, um seine Evaluationsfunktion auszuüben. Das Verfahren endet meist mit Berichten, die an den Kongreß weitergeleitet werden. Der Umfang der Tätigkeit hat sich im Untersuchungszeitraum mindestens verdoppelt: 267 1985 überwies das GAO 457 Berichte an den Kongreß, 1992 waren es schon 915. Noch stärker ist der Anstieg der Zeugnisabgabe von GAG-Angestellten vor Kongreßausschüssen: Wurden 1985 die Experten 117 mal vorgeladen, so wurden sie 1992 schon 289 mal vor einen Ausschuß gebeten- ein Anstieg von 147 Prozent. Mit der Funktionserweiterung von der bloßen Rechnungsprüfung zur Programmevaluation ging der personelle Ausbau der Behörde einher, da die Effektivitätsprüfung sozialwissenschaftlich geschulter Fachleute bedurfte (vgl. Tab. 6).268 Die 95er Haushaltskürzungen trafen das GAO besonders stark: Wird die 15prozentige Haushaltskürzung für das Finanzjahr 1996 mit einbezogen, wurde der GAO-Etat seit 1990 um 35 Prozent gekürzt. 269 Die Beziehungen zwischen Rechnungshof und Kongreß sind sowohl formaler als auch informaler Art. Allwöchentlich treffen sich leitende Beamte des GAO, um die Agenda der Unterstützungsarbeit für das Parlament festzulegen. Diese Treffen werden von der Abteilung für Parlamentsbeziehungen, Office of Congressional Relations (OCR), vorbereitet.27° Daneben gibt es Kontakte zwischen Mitarbeitern des GAO auf allen Ebenen sowie Kongreßmitgliedern und ihren Stäben. Bezüglich der Kontrollfunktion ist das GAO "sometimes as initiator (...), sometimes as reinforcer of congressional predispositions"27 1 zu betrachten. Der Wert, den das GAO für den Kongreß bei der Kontrolle darstellt, läßt sich an dieser Stelle nicht berechnen, da entsprechende Daten nicht zur Verfügung stehen. Er hängt v. a. von der Tätigkeit des Kongreßmitgliedes ab. Haben Kongreßmitglieder einen Sitz in einem Kontrollausschuß, so neigen diese dazu, ihn hoch einzustufen. Für andere ist das GAO eine zu vernachlässigende Größe, deren Berichte wegen des begrenzten Zeitbudgets der Kongreßmitglieder oftmals gar nicht gelesen werden. Der wissenschaftliche Dienst CRS ist die älteste der vier Parlamentsbehörden- er wurde 1914 als Legislative Reference Service gegründet und in die Library ofCongress eingegliedert.272 Auf Anfrage stellt der CRS Abgeordneten und Ausschüssen Vgl. GAO(f-OPP-93- 1, S. 5. Vgl. Eleanor Chelimsky, Evaluation-Research Credibility and the Congress; in: Dennis J. Palumbo/Stephen B. Fawcett/Paula Wright (Hg.), Evaluating and Optimizing Public Policy, Lexington(foronto 1981, S.181. 269 V gl. Paul Dwyer, Legislative Branch Appropriations for FY 1997, CRS-Report 96-595 GOV, S.21. 210 Vgl. Mosher 1979, S. 278. 271 Ebd. S. 281 . 272 Vgl. Mosher 1979, S.270f. 267 268

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Informationsmaterialien zur Verfügung. Die Berichte des CRS werden nur nach Aufforderung durch den Kongreß veröffentlicht. Der Behörde steht ein Direktor vor, der von der LoC ernannt wird. Die Amtszeit ist nicht begrenzt. Auch hier war es der LRA von 1970, der die Behörde strukturell und funktionell ausbaute. Seither ist der CRS zudem damit beauftragt, objektive Analysen über Policy-Themen zu erstellen. Das Kriterium der Objektivität bringt oft Schwierigkeiten mit sich: Einerseits wird dem CRS vom Kongreß vorgehalten, aufgrund seiner abwägenden und vorsichtigen Vorgehensweise zu akademisch und damit für die Praxis unzureichend relevant zu sein, andererseits lassen sich in den Berichten des CRS subjektive Werturteile in Form von politischen Empfehlungen nicht vermeiden. Der CRS erstellt jährlich eine halbe Million Studien- der Großteil dieser Produkte sind schriftlich verfaßte Kurzberichte, deren Erstellung nur wenige Stunden in Anspruch nimmt. Jedoch erarbeitet der CRS auch Studien von wissenschaftlicher Qualität.273 Den Kongreßmitgliedern und -mitarbeitern gilt der CRS als "Grand Central Station of information"274 • Der Informationsvorsprung der Verwaltung gegenüber dem Parlament ist im Technologiebereich besonders groß. Um so wichtiger war es für den Kongreß, sich eine eigene sachverständige Informationsquelle zu schaffen. Dies geschah 1972 mit dem Technology Assessment Act, der eine Behörde für Technikfolgenabschätzung etablierte. 275 Dem OTA stand ein Direktor für eine sechsjährige Amtszeit vor. Ernannt wurde er vom Congressional Technology Assessment Board, das aus Kongreßmitgliedern beider Parteien besetzt wurde. Das OTA verfügte mit dem Technology Assessment Advisory Council, das v. a. aus Wissenschaftlern bestand, über ein wichtiges Beratergremium. Aufgabe der Behörde war es, zumeist langfristige Folgeabschätzungen über technologische Entwicklungen zu liefern. Da die Berichte höchst komplex waren, erarbeitete das OTA jährlich nicht mehr als 30 Berichte. Aufgrund der begrenzten Kapazität der Behörde arbeitete sie bei der Erstellung ihrer Studien eng mit externen Instituten zusammen. Wie aus Tabelle 6 ersichtlich ist, wurde die Behörde 1996 aufgelöst. "OTA was caught up in the ,Republican Revolution' through the effort to balance the budget, although the terminationwas no more than a footnote [20 million dollars, M. S.] to the budget ( ...)." 276 Der Grund, warum die Haushaltskürzungen gerade das OTA trafen, ist z. T. die Tatsache, daß der Bekanntheitsgrad der Behörde selbst unter Kongreßmitgliedern eher gering war, da die Tätigkeit nur in speziellen, d. h. auch öffentlichkeitsunwirksamen Politikfeldern gebraucht wurde. 273 Vgl. Bruce Bimber, The Politics of Expertise in Congress. The Rise and Fall of the Office ofTechnology Assessment, Albany 1996, S. 79ff. 274 Ebd. S. 80. 275 Vgl. im folgenden Bimber 1996, S.50ff. 276 Ebd. S. 69.

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Ein weiterer Grund wird darin gesehen, daß die Auflösung des üfA ein symbolisches Opfer bei den eigenen Etatkürzungen war, um später auch in sensibleren Politikfeldem den Rotstift ansetzen zu können. So erklärte Ron Packard (R-Kalifornien), Vorsitzender des Bewilligungsunterausschusses für die finanzielle Ausstattung der Legislative im Abgeordnetenhaus: "We think it's important that the Congress sends the message that we're downsizing our agencies and ourselves, and we expect the rest of the govemment to fall in line."277 Das CBO geht zurück auf den bereits erwähnten BICA aus dem Jahre 1974. Die Behörde arbeitet hauptsächlich den Haushaltsausschüssen beider Kongreßkammem zu. Das CBO hat v. a. die Aufgabe des scorekeeping in Autorisierungs- und Bewilligungsfragen.278 Damit soll vermieden werden, daß es im hochgradig dezentralisierten Kongreß zu Informationsverlusten, etwa wegen mangelnder Abstimmung zwischen den Ausschüssen, kommt. Die Behörde wird von einem wirtschaftswissenschaftlich geschulten Direktor für eine Amtszeit von vier Jahren geleitet. Ernannt wird dieser durch den Speaker des Repräsentantenhauses und den President Pro Tempore des Senats. Die Kongreßreformen des I 04. Kongresses betrafen die Haushaltsbehörde im positiven Sinne. Als einzige Parlamentsbehörde wurde ihre Haushaltsstelle gestärkt und die Mitarbeiterzahl erhöht. Für Republikaner ist die CBO "a useful ally in their ,revolution"'- insbesondere im Bemühen, den Haushalt auszugleichen.279 hh) Bestätigung des politischen Personals und Amtsenthebung Das Recht des Senats, mit advice and consent an der exekutiven Personalrekrutierung mitzuwirken, gehört nur mittelbar zu den mitlaufenden Kontrollrechten des Kongresses. Der Senat kann seine Bestätigung einer präsidentiellen Nominierung davon abhängig machen, dem Kandidaten ein Programm nahezulegen, das dieser während seiner Amtszeit ausführen möchte. Das Konfirmationsrecht, das eines Mehrheitsbeschlusses bedarf, umfaßt Bundesrichter, hohe Ministerialbeamte einschließlich des ressortleitenden Ministers280 und Botschafter sowie Kommissare unabhängiger Regulierungsbehörden. Für das Thema der parlamentarischen Kontrolle des Gesetzesvollzugs sind alleine die Ministerialbürokratie und die Kommissionen von Interesse. Die eigentliche Kontrolltätigkeit des Senats beginnt schon im Nominierungsverfahren. Zwar ist der Präsident hier verfassungsrechtlich autonom, jedoch konsultiert Ebd. S. 70. Vgl. Mosher 1979, S.273. 279 Vgl. Bimber 1996, S.88. 280 Der Begriff Minister ist für das amerikanische Regierungssystem problematisch und wird nur der Einfachheit halber benutzt. Da es in der US-Administration kein Kabinettsprinzip gibt, sind die Ressortleiter tatsächlich Staatssekretäre. 277

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dieser schon im Vorfeld das Parlament, um politische Niederlagen zu vermeiden. 281 Diese Praxis darf jedoch- nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs- nicht so verstanden werden, daß der Kongreß aus dem Recht, Behörden zu etablieren und zu reorganisieren, ableiten könnte, auch deren Personal zu ernennen.282 Der Senat wirkt beim Ernennungsverfahren lediglich mit. Hinsichtlich der Bestätigung der Minister hält sich der Senat mit opponierendem Verhalten gewöhnlich zurück, da er das Kabinett als präsidentielle Machtsphäre anerkennt.283 Opponierendes Verhalten des Kongresses ist entweder mit einem wirklichen Fehlgriff des Präsidenten zu erklären, etwa wegen ernstzunehmender Zweifel an der persönlichen Integrität des Kandidaten, oder- in Fällen politischer Opposition- Ausdruck des institutionellen Konfliktes. 284 Die Bestätigung von Kommissaren unabhängiger Regulierungsbehörden galt lange als wenig beachtete Funktion des Senats. Erst offensichtliche Mißstände veranJaßten den Kongreß in der 70er Jahren dazu, dieser Aufgabe gewissenhafter nachzukommen. Seither untersuchen die jeweils betroffenen Ausschüsse die Personen nach folgenden Kriterien: 285 (1) persönlicher und finanzieller Hintergrund, (2) etwaige Interessenkonflikte zwischen vormaligem beruflichen Hintergrund und der Kommissionstätigkeit und (3) die politische Einstellung des Kandidaten zu seiner Tätigkeit. Letzteres Auswahlkriterium kann als Einflußnahme des Kongresses auf die Gesetzesausführung betrachtet werden. Weder der Senat noch der Kongreß insgesamt haben jedoch das Recht, die einmal ausgesprochene personelle Bestätigung nachträglich zu revidieren- also per Mehrheitsbeschluß die Entlassung politischer Beamter zu erzwingen bzw. die Entlassungen des Präsidenten zu bestätigen. Das Recht auf Amtsenthebung (impeachment) bezieht sich nicht auf eine politische Vertrauensbeziehung zwischen Parlament und Regierung. Amtsanklage gegen den Präsidenten und die durch ihn ernannten Angehörigen der Exekutive kann lediglich aufgrundkrimineller Handlungen erhoben werden.286 Dabei leitet die Abgeordnetenkammerper Mehrheitsbeschluß das Verfahren ein, bevor der Senatper Zweidrittel-Votum die betreffende Person ihres Amtes entheben kann. Das impeachment-Verfahren ist im Zusammenhang mit der funktionellen Gewaltenverschränkung zu sehen: Der Senat hat hier eine quasi-judizielle Aufgabe. Aus diesem Grund und wegen des nicht politisch motivierten KontrollmechaVgl. Fisher 1991, S. 35. Vgl. ebd. S. 36. 283 Vgl. McKay 1991, S. 157. 284 So erklärt sich die Opposition des Senates gegen Bushs Kandidaten für das Verteidigungsministerium, John Tower, vor allem damit, daß dem ehemaligen texanischen GOP-Senator Alkoholprobleme nachgesagt wurden, vgl. Oleszek 1996, S. 312. Hingegen hatte die Ablehnung von Reagans konservativem Kandidaten für den Obersten Gerichtshof, Robert Bork, vor allem politische Gründe. Letztere spielen im Konfirmationsverfahren gleichwohl eine untergeordnete Rolle. 285 Vgl. im folgendenFisher 1991 , S. 46. 286 Vgl. Winfried Steffani, Der Kongreß; in: Jäger/Welz 1995, S.115. 281 282

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nismus findet die Amtsenthebung unter den parlamentarischen Kontrollfonneo nur wenig Beachtung. Die Behandlung der sogenannten Lewinsky-Affäre von Präsident Bill Clinton durch das House Judiciary Committee sowie durch das Repräsentantenhaus selbst stellt diesbezüglich eine neue Qualität dar. Erstmals wurde darüber diskutiert, inwieweit der Kongreß, respektive die Republikaner und die um ihre Wiederwahl bangenden Demokraten, dieses rechtliche Verfahren politisch mißbrauchten.287 Während hinsichtlich der Argumentation der Republikaner darüber gestritten wurde, ob die Affäre einen strafrechtlichen Tatbestand erfülle, der das impeachment rechtfertige, erschien Rechtswissenschaftern das Verhalten derjenigen Parteigenossen Clintons, die der Einleitung des Verfahrens zustimmten, in einem anderem Licht: Wenn sie ihr Abstimmungsverhalten von der Frage abhängig machten, ob der Präsident politisch noch haltbar sei, dann würde dies einen Verfassungswandel bewirken, "that would move us very dramatically toward a parliamentary system"288. ii) Finanzkontrolle Das Mittel der Ausgabenbewilligung ist in den USA das wichtigste und effektivste Kontrollinstrument des Kongresses. Das Haushaltsrecht, das sich in der Geschichte des Parlamentarismus die Parlamente den Monarchen in schweren Kämpfen abrangen, verlor in parlamentarischen Regierungssystemen aufgrund des mangelnden Dualismus an entscheidender Bedeutung. In den USA ist die power of the purse jedoch weiterhin das Schwert der Legislative gegenüber der Exekutive. Über das Haushaltsrecht steuert der Kongreß nicht nur die Ausgabenpolitik. Er nimmt über Mitwirkungsvorbehalte auch Einfluß auf die inhaltliche Politikimplementation.289 Bei Nicht-Beachtung ihrer Vorgaben drohen sie mit der Nicht-Weiterbewilligung laufender Ausgaben. 290 Die Ausgaben betreffen entweder einzelne Bundesprogramme oder aber die Finanzierung ganzer Behörden. Aufgrund der Möglichkeit der Gelderkürzung sind die Sanktionsmittel der Bewilligungsausschüsse den Kontrollmechanismen der Autorisierungsausschüsse in ihrer Wtrksarnkeit in der Praxis überlegen. Jedoch stehen die Bewilligungsausschüsse ebenso unter Zugzwang, der mit dem klassischen Begriff der Staatsräson zu erklären ist: "An ,oversight' committee can stop with a press release. We have to get a bill out!"29t 287 Vgl. Hans-Joachim Menge/, Hat der Präsident kein Recht auf Privatheit; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. September 1998. 288 Laurence H. Tribe zit. nach Harvey Berkman, Not enough to impeach; in: National Law Journal, (www.ljx.com/cgi-bin/Fcat/xtra/data/texts/1998092802.html, 9.10.1998, 11.08 Uhr),

S.3.

Vgl. Heun 1989, S. 69ff. Vgl. im folgenden Allen Schick, Legislation, Appropriations, and Budgets: The Development of Spending Decision-Making in Congress, CRS-Report 84- 106 GOV, S. 26-44; Sandy Streeter, The Appropriation Process: An Introduction, CRS-Report 96--106 GOV; Fisher 1979. 291 Zit. nach Foreman 1988, S. 94. 289

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IV. Funktionen und Formen parlamentarischer Kontrolle

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Die Bewilligungsausschüsse beider Kammern verfügen über 13 Unterausschüsse, welche die wichtigsten Fachressorts widerspiegeln. 292 Sie sind die Schaltzentralen des legislativen Haushaltsverfahrens. Vor den Bewilligungsausschüssen erhalten die Autorisierungsausschüsse den exekutiven Bundeshaushaltsentwurf durch das Office of Management and Budget (OMB), das als Querschnittsbehörde die Finanzposten einzelner Verwaltungsträger aggregiert. Die Autorisierungsausschüsse legen die Obergrenzen der Ausgabenprogramme fest. Die Haushaltsausschüsse erarbeiten auf der Grundlage dieser Obergrenzen, des Budgetentwurfes des CBO sowie eigener Anhörungen die sogenannten budget resolutions. Diese Haushaltsvorlagen werden dann in den Bewilligungsausschüssen - zuerst im Abgeordnetenhaus- ressortspezifisch zerlegt und den Unterausschüssen überwiesen, die nach meist nicht-öffentlichen Tagungen und Anhörungen einen Plan über die konkrete finanzielle Ausstattung der Bundesprogramme an den Mutterausschuß zurückverweisen. Die Bewilligungsausschüsse selbst übernehmen meist die 13 Gesetzentwürfe. Erst in den Plena der beiden Kammern kommt es zu Gesetzeszusätzen. Diese Praxis des policy-making über die Bewilligung von Geldem gibt nun dem Kongreß die Möglichkeit, den Ermessensspielraum der Verwaltung über die Vergabe der Mittel einzuschränken, indem die Verwaltung an inhaltliche Vorgaben (riders) gebunden wird. Zu dieser rechtlich-normierten Einschränkung der Exekutive durch Bewilligungsgesetze kommen außerdem nicht-gesetzliche Kontrollen im Bewilligungsverfahren hinzu, die zum informalen Kontrollsektor zählen. "Die unmittelbare, rechtliche Kontroll- und Lenkungswirkung der Appropriations und der diesen zugrundeliegenden Authorizations wird durch das Ineinandergreifen rechtlicher Grobsteuerung und politisch-informeller Feinsteuerung geprägt. Die informellen Steuerungsmechanismen [gemäß der in dieser Arbeit gewählten Terminologie meint Wemer Heun hier sowohl informale als auch informelle Mittel, M. S.] beruhen zugleich auf den weitreichenden Befugnissen und Sanktionsmöglichkeiten des Kongresses." 293

Durch diese Form der Kontrolle wird auch der fließende Übergang zwischen formaler und informaler Politik deutlich. b) Informale Kontrollen Institutionalisierte informale Kontrollen bestehen hauptsächlich aus Ausschußberichten und Anhörungen. Letztere finden, wie zuvor erwähnt, vor allem vor Bewilligungsausschüssen statt, bei denen die Verwaltung die Kongreßmitglieder bittet, bewilligte Gelder von ihrer engen Zweckbindung zu befreien, um sie flexibler ein292 Umfassend zum Haushaltsverfahren vgl. Allen Schick, Manual on the Federal Budget Process, CRS-Report 91-902 GOV; sowie Wolfgang Wetz, Budget und Haushaltsverfahren; in: Jäger/Welz 1995, S.204-207. 293 Heun 1989, S. 77.

94

Teil A: Theoretischer Rahmen

setzen zu können. Die Ausschüsse können hierbei die inhaltliche Ausfüllung der Gesetze kontrollieren und steuern. Informelle Kontrollen zwischen Legislative und Exekutive beinhalten Schreiben von leitenden Verwaltungsangestellten an die ihnen zugeordneten Ausschußmitglieder beider Kammern sowie persönliche Kontakte zwischen Kongreßmitgliedern und ihren Stäben einerseits und Regierungs- und Verwaltungspersonal andererseits. Ausschußberichte besitzen keine rechtliche Bindewirkung, werden aber im Gegensatz zu den genannten Schreiben veröffentlicht. Beide Formen dienen der mitlaufenden Kontrolle des Gesetzesvollzuges. Sind Gesetze vage formulierte Zweckprogrammierungen, so kann der Ermessens- und Beurteilungsspielraum der Verwaltung dadurch überprüft werden, daß der federführende Ausschußper Bericht oder mündlicher Vereinbarung der Verwaltung u. a. ,,nabelegt", "empfiehlt" oder "anrät":294 • • • •

unbestimmte Rechtsbegriffe in einem bestimmten Sinne zu interpretieren, andere Verwaltungsträger zu konsultieren, konfligierendes Recht in einem bestimmten Sinne zu deuten oder bestimmte gesellschaftliche Gruppen zu fördern.

Diese Empfehlungen können in Ausschußberichten, die Gesetzen oder Gesetzesänderungen beigefügt werden, aber auch bei Debatten im Plenum oder in parlamentarischen Konferenzen und nicht zuletzt Ausschußanhörungen geäußert werden. Wie Holbert Carroll schon 1966 feststellen konnte, gehören informale Kontakte zum politischen Alltag. "[There] is a continuing and sometimes almost daily pattern of contacts between the Committee on Appropriations and the executive branch. When Congress is not in session, communication continues by telephone or even, on occasion, by visits to the homes of members of the comrnittee. lf the full story were ever known, the record probably would disclose a complex network of relationships between members of the Committee on Appropriations and its staff and officials, particularly budget officers, in their executive branch." 295

Auch die regelmäßigen Kontakte zwischen Mitarbeitern des Kongresses und Administratoren gehören zur quasi-institutionalisierten Form der Kontrolle. Neben den hier angeführten institutionalisierten informalen Kontrollmechanismen bestehen zahlreiche nicht-institutionalisierte Formen. Diese reichen von formlosen Schreiben bis hin zu fernmündlichen Absprachen zwischen Mitgliedern beider Gewalten. Wie Tabelle 7 zeigt, kommt dieser Kontrollform eine immense Bedeutung zu, wenngleich diese Aussage zunächst beschränkt bleibt auf die Zahl ihres Einsatzes gegenüber formalen Kontrollformen. Die beiden folgenden Tabellen verdeutlichen, welche Bedeutung der informalen Kontrolle seit jeher zukam. Die mündliche und schriftliche Kommunikation zwiVgl. Rosen 1982, S.67. Holbert N. Carroll, The House ofRepresentatives and Foreign Affairs, Boston 1966; zit. nach Oleszek 1996, S. 309. 294

295

IV. Funktionen und Formen parlamentarischer Kontrolle

95

sehen leitenden Kongreßmitarbeitern und Verwaltungspersonal rangiert sowohl bezüglich der Frequenz als auch der Effektivität weit oben. Indes ist auffällig, daß es hinsichtlich der mündlichen Kommunikation zwischen Kongreßmitgliedern und Verwaltungspersonal bei den beiden Bemessungsgrundlagen zu einer signifikanten Diskrepanz kommt: Während sie relativ wenig eingesetzt wird (Rang neun), wird ihr von seiten der Kongreßmitarbeiter eine erstaunlich hohe Effektivität beigemessen (Rang zwei): "Members' direct intervention is clearly a valuable resource for the committee - one used somewhat sparingly but, top staffers believe, to great effect."296 Bis Kongreßmitglieder selbst zum Telefonhörer greifen, um ihrem Anliegen gegenüber der Verwaltung den nötigen Nachdruck zu verleihen, müssen- so kann man schlußfolgern - andere Beeinflussungsquellen ausgeschöpft sein. Wenn sie dann aber den "kurzen Draht" herstellen, kommen Verwaltungsmitarbeiter meist ihrem Anliegen nach, wohl wissend was die Konsequenz einer Verweigerung wäre. Die mündliche Kommunikation kann auch ohne ein konkretes Anliegen erfolgen und der generellen Effektivitätskontrolle dienen. So erklärte der frühere Kongreßabgeordnete Berkley W. Bedell (D-Iowa): "One of the practices I have is to make unannounced visits to the executive branch of the Government. I simply select an agency at random, open a door, walk in, and start asking questions of the people who work in that office."297

Um die hier zugrunde gelegte Arbeitsdefinition von Informalisierung in Erinnerung zu rufen: Mit diesen Werten der Aberbach-Umfrage ist noch nichts ausgesagt über das Ausmaß, geschweige denn über die Folgen der Informalisierung der politischen Prozesse im Bereich der parlamentarischen Kontrolle des Kongresses über den Gesetzesvollzug. Das heißt, es kann keine Zunahme informaler parlamentarischer Kontrolle festgestellt werden, da es sich hier um eine Querschnittsumfrage handelt, die zudem noch vor dem hier gewählten Untersuchungszeitraum liegt. An dieser Stelle kann lediglich die Bedeutung informaler Komponenten der Politik im Bereich der parlamentarischen Kontrollfunktion verdeutlicht werden. Ein weitergehender Erklärungsanspruch liegt an dieser Stelle auch nicht vor. Informalisierung im hier zugrunde gelegten Verständnis kann nur anders diagnostiziert und analysiert werden. Informalisierung im hier verstandenen Sinne ist die Ersetzung formaler Kommunikations- und Handlungsmuster durch informale Vorgänge. Dies zu zeigen, bedarf der qualitativen Untersuchung ausgewählter Einzelfälle. Diese wird nun im folgenden Kapitel unternommen.

2% 29 7

Aberbach 1990, S.135. Congressional Record, June 8, 1983, H3737.

96

Teil A: Theoretischer Rahmen

Tabelle 7

Häufigkeit des Einsatzes formaler und informaler Kontrollformen Kontrollform

Wert

Anzahl der Fälle

Rang

Kommunikation von Kongreßmitarbeitern mit Verwaltungspersonal

1,274

91

Kommunikation von Kongreßmitgliedern mit Verwaltungspersonal

2,802

86

9

Ausschußanhörungen

2,561

89

3

Anhörung zur Reautorisierung von Bundesprogrammen

2,685

73

5

Anhörung zur Änderung laufender Bundesprogramme durch Gesetzesänderung

2,756

70

7

Einzelfallbetrachtung

3,551

87

13

Untersuchungen durch Kongreßmitarbeiter

2,644

90

4

Bewertung eingereichter Verordnungen (ru1es and regulations)

2,800

90

8

Berichterstattung der Verwaltung (schriftlich)

2,813

91

10

Programm-Evaluierung durch Pariamentsbehörden

2,954

87

11

Programm-Evaluierung durch Verwaltungsbehörden

2,954

87

11

Programm-Evaluierung durch Unabhängige (non-government personnel)

3,227

88

12

Programm-Evaluierung durch AusSchußmitarbeiter

2,696

89

6

Legislatives Veto

4,304

82

14

Quelle: Joel Aberbach, Keeping a Watchful Eye, Washington D.C. 1992, S.l32. Datenerhebungsmethode: Leitenden Kongreßmitarbeiter (legislative directors) wurde diese Liste mit 14 unterschiedlichen- formalen und informalen- Kontrollfonnen vorgelegt. Die Referenten mußten diese bezüglich der Frequenz ihres Einsatzes einschätzen. Bemessungszeitraum war der 95. Kongreß- also die Jahre 1975 bis 1977. Auf einer Skala von I bis 5 wurden einzelnen Kontrollformen Werte zugemessen. die von der Häufigkeit ihres Einsatzes abhingen. Schon vor den einschlägigen Gewaltenteilungsurteilen des Obersten Gerichtshofs zeigte sich dabei, daß den informalen Kontrollformen - namentlich der Absprache zwischen Kongreßmitarbeitem und Verwaltungspersonal in schriftlicher oder mündlicher Form- die größte Bedeutung zukam. Die Aussagekraft beschränkt sich hierbei zum einen auf die Frequenz des Einsatzes. Zum anderen sagt die Umfrage nichts darüber aus, inwieweit informale Formen fonnale ersetzten.

97

IV. Funktionen und Formen parlamentarischer Kontrolle Tabelle 8

Effektivität der fonnalen und infonnalen Kontrolltonnen Kontrollform

Wert

Anzahlder Fälle

Rang

Kommunikation von Kongreßmitarbeitern mit Verwaltungspersonal

1,430

86

Kommunikation von Kongreßmitgliedern mit Verwaltungspersonal

1,626

83

2

Kontrollanhörungen

1,714

84

4

Anhörung zur Reautorisierung von Bundesprogrammen

1,688

61

3

Anhörung zur Änderung laufender Bundesprogramme durch Gesetzesänderung

1,750

60

5

Bewertung von Einzelfällen

2,694

72

14

Untersuchung durch Kongreßmitarbeiter

1,780

82

6

Bewertung eingereichter Verordnungen (rules and regu1ations)

2,279

86

10

Verwaltungsberichte

2,534

86

12

Programm-Evaluierung durch Parlamentsbehörden

2,000

88

8

Programm-Evaluierung durch die Verwaltung

2,541

85

11

Programm-Evaluierung durch Unabhängige (non-govemmental personnel)

2,523

84

11

Programm-Evaluierung durch Ausschußmitarbeiter

1,891

83

7

Legislatives Veto

1,891

83

9

Quelle: Joel Aberbach, Keeping a Watchful Eye, Washington D.C. 1992, S. 135. Erhebungsmethode: Die Umfrage unterliegt der gleichen Erhebungsmethode wie die vorherige. Doch die Bemessungsgrundlage bezieht sich auf die Effektivität. Die Frage nach Ursache und Wirkung bedarffreilich neuer Kriterien. Hier ging es um die Selbsteinschätzung der Effektivität. Die Bemessungsgrundlage ist jedoch mitnichten weich. Effektivität in diesem Fall zu objektivieren, wäre nämlich ein schwieriges Unterfangen. Welcher vermeintlich objektive Maßstab könnte wahrlich Aufschluß darüber geben, wieviel Einfluß etwa die Evaluierung eines Bundesprogramms auf die Weiterbewilligung hatte? Derartige Fragen können nur individuell eingeschätzt werden. Fehler in der Selbsteinschätzung werden durch die hohe Zahl der Befragten Kongreßmitarbeiter weitestgehend ausgeglichen. Auch in diesem Fall bestätigt sich die Bedeutung der informalen Kontrollform der Absprache in Form von mündlicher oder schriftlicher Kommunikation. 7 Sattar

Teil B

Qualitative Untersuchung I. Formaler Kontrollsektor Die qualitative Untersuchung des formalen und informalen Kontrollsektors soll den Wandel des Spannungsverhältnisses zwischen formalen und informalen Komponenten der Politik darstellen und erklären. Dazu werden die Zusammenhänge der Auswahl formaler und informaler Kontrollformen dargestellt. Wann bedienen sich Kongreßmitglieder welcher Kontrollform? Und warum? Um die Verlagerung des Spannungsverhältnisses analysieren zu können, müssen die Funktionen der jeweiligen Kontrollmechanismen und die politischen Rahmenbedingungen beachtet werden. Zeitlich setzt die Analyse 1983 ein, dem Zeitpunkt der Verkündung des ChadhaUrteils, des ersten bedeutenden Richterspruches zur neuen Auslegung des Gewaltenteilungsprinzips. Da das Urteil das legislative Veto betraf, beginnt die Untersuchung mit dieser Kontrollform. 1. Legislative Vetos in gesetzlicher Form

Die Verkündung des Chadha-Urteils versetzte das politische Washington, das sich schon auf seine Sommerpause eingerichtet hatte, in helle Aufregung. Pressekonferenzen zahlreicher Kongreßmitglieder, aktuelle Stunden (special orders) in beiden Kammern und kurzfristig einberufene Anhörungen betroffener Ausschüsse- die Reaktionen des Kongresses warenunkoordiniert und die Äußerungen einiger übereifriger Parlamentarier offenbarten gar ein mangelhaftes Verständnis für das eigene Regierungssystem: "When an unelected Supreme Court decides that an unelected bureaucracy has more to say than Congress in determining what Congress means when it passes a law", so der Abgeordnete Andrew Jacobs, Jr. (D-Indiana), "it is time for Congress (...) to clear things up on behalf of the people." 1 Einige Kongreßmitglieder sahen die Notwendigkeit einer besonnenen Herangehensweise. So schlug der Abgeordnete Elliott H. Levitas (D-Georgia) Präsident Reagan vor, eine Konferenz über Machtteilung (power sharing) einzuberufen, an 1 Congress Considers Choices in Legislative Veto Aftermath; in: Congressional Quarterly- Weekly Report, 41 (1983), S. 1328.

I. Formaler Kontrollsektor

99

der Mitglieder beider Regierungsgewalten (die Judikative sollte nicht geladen werden), Mitglieder der akademischen Gemeinschaft sowie Repräsentanten wichtiger gesellschaftlicher Interessen teilnehmen sollten.2 Ziel des Symposiums sollte es sein, nach Kooperationsmöglichkeiten zu suchen, die der Regierungspraxis entsprächen. Die Konferenz kam jedoch nicht zustande. In der oberen Kammer schlug Senator Daniel Patrick Moynihan (D-New York) vor, eine Kommission einzurichten, die Alternativen zum legislativen Veto erarbeiten sollte.3 Die Kommission, die auch aus Mitgliedern beider Regierungsgewalten besetzt werden sollte, wurde ebenfalls nicht eingerichtet. Die Kernexekutive war mit dem Chadha-Urteil zufrieden und sah keinerlei Handlungsbedarf, mit dem Kongreß neue Lösungen zu finden. Der Kongreß ging keinen langfristig vorausplanenden Weg, sondern reagierte sehr angelsächsisch: Anband von Präzedenzfällen sollte schnell deutlich werden, mit welchen unterschiedlichen Methoden die Exekutive künftig kontrolliert werde. Blieb das Weiße Haus nach außen untätig, so reagierte es nach innen umgehend mit exekutiven Anordnungen. In einer Verwaltungsvorschrift des OMB vom Herbst 1983 wurden alle Bundesbehörden dazu aufgefordert, ihr künftiges Verhalten gegenüber dem Kongreß mit dem OMB abzustimmen, "to assure consideration of the precedential impact of individual actions on the Executive branch as a whole." 4 Damit versuchte OMB-Direktor David A. Stockman, im Auftrag Reagans Bundesbehörden davon abzuhalten, individuelle Kontrollformen mit dem Kongreß zu entwickeln. Die Gestaltung der Beziehungen mit dem Kongreß sollte fortan Sache des Executive Office sein: "[A]n agency is not to proceed with the proposed action without affirmative OMB clearance." 5 Das OMB führte, wie noch gezeigt wird, mehrfach Auseinandersetzungen mit dem Kongreß um dessen Rolle im Gesetzesvollzug. In der ersten Phase der Neuorientierung diskutierte der Kongreß die Möglichkeit, die bisherige Parlamentspraxis, die Exekutive durch ein legislatives Veto zu kontrollieren, verfassungsrechtlich zu legitimieren. Nicht die parlamentarische Kontrolle sollte sich dem Richterspruch beugen, sondern eine Verfassungsänderung sollte die Verfassung mit der Kontrollpraxis in Einklang bringen. Ein solcher Vorschlag kam von beiden Kammern des Kongresses. Der Entwurf (H.J. Res. 313) für eine Verfassungsergänzung sollte legislative Vetos einer Kammer für bestimmte Regulierungen verfassungsrechtlich legitimieren.6 Senator Dennis DeConcini (D-Arizona) beab2 BriefE. H. Levitas an Präsident Reagan vom 19. Juli 1983, vgl. Legislative Veto and the "Chadha" Decision. Hearing before the Subcommittee on Administrative Practise and Procedure ofthe Committee on the Judiciary. United States Senate, Washington 7/1983, S.l94. 3 Vgl. Congressional Record- Senate, 12.Juli 1983, 18670f. 4 Executive Office of the President. Office of Management and Budget, Proposed Actions Pursuant to Statutes Containing Legislative Veto Provisions, Bulletin NO. 83-17. 5 Ebd. 6 Vgl. CQ- Weekly Edition, 29.0ktober 1983, S.2237.

7*

100

Teil B: Qualitative Untersuchung

sichtigte mit dem EntwurfS. J. Res. 135, alle an die Exekutive delegierten Kompetenzen einer legislativen Zustimmung einer oder beider Kammern zu unterziehen.? Der Grund für die Einbringung einer Verfassungsänderung lag auf der Hand: Ohne eine Allgleichung der Kontrollpraxis an die Verfassung bzw. an die Verfassungsauslegung der Mehrheit des Obersten Gerichtshofes erwartete den Kongreß eine umfassende Änderung seines legislativen Handelns: "A constitutional amendment proposed in response to Chadha, S. J. Res. 135, would prevent this ,fundamental restructuring of powers' by expressly providing for a legislative veto mechanism in the Constitution."S Nach Meinung der BefürworteT dieser Verfassungsergänzung richtete sich die Modifizierung nicht gegen Text und Absicht der eigentlichen Verfassung, sondern gegen deren Auslegung durch die Richter. "[B]oth by promoting efficient govemment and by increasing Congress 's ability to check abuses of power by administrative agencies, such an amendment would reinforce the separation of powers doctrine incorporated in the Constitution."9 Der Senatsentwurf war im Vergleich zu dem des Abgeordnetenhauses weitreichender, da zum einen alle Regulierungen, die auf legislative Delegation zurückgingen, betroffen gewesen wären. Zum anderen ist die Zustimmungsform des legislativen Vetos im Vergleich zur Ablehnung eine wesentlich stärkere Waffe des Kongresses. Bleibt eine Kammer untätig, kann die vorgestellte Regulierung nicht in Kraft treten. In dem DeConcini-Entwurfheißt es dazu: Regulierungen "may be subject to approval". 10 Diese Formulierung zeigt an, daß es dem Kongreß obliegt, welche Regulierungen er von einer vorhergehenden Zustimmung abhängig macht und welche bloß abgelehnt werden können. Dies würde im jeweiligen Gesetzestext konkretisiert. Beide Entwürfe wurden in den federführenden Ausschüssen erörtert, jedoch erreichte das Ansinnen nie die Plena. Die Gründe hierfür sind grundsätzlicher Natur. Die Verfassung ist in den Vereinigten Staaten im Vergleich zu anderen westlichen Demokratien mit einer geschriebenen Konstitution quasi ein Heiligtum. Verfassungsänderungen werden selten auf den Weg gebracht - noch seltener werden sie beschlossen. Die Mehrheitsbildung im Kongreß, insbesondere im Senat, zugunsten einer Verfassungsänderung ist äußerst schwierig. Unabhängig von jeglicher Parteizugehörigkeit oder Selbsteinstufung im Spektrum "liberal- konservativ" teilen viele Abgeordnete die Ansicht, die Verfassung dürfe nie oder nur im äußersten Notfall geändert werden. Die amerikanische Demokratie, so eine verbreitete Auffassung, verdanke ihre Dauerhaftigkeit und Stabilität gerade der Tatsache, daß der Verfassungstext nicht zur politischen Disposition stehe.11 7 Vgl. Dennis DeConcini!Robert Faucher, The Legislative Veto: A Constitutional Amendment; in: Harvard Journal on Legislation, 21 (1984): 29, S. 30. 8 Ebd. 9 Ebd. 10 S.J. Res. 135, 98th Congress, 1st Session. 11 Louis Fisher. Interview vom August 1996 in Washington D. C.

I. Formaler Kontrollsektor

101

Selbst Kongreßmitgliedern, die das Chadha-Urteil für eine verfassungspolitische Verfehlung seitens der Richter hielten und weitreichende Konsequenzen für das System der separation of powers befürchteten, galt eine Verfassungsänderung als Ultima ratio. Bevor es zu einer derartigen Initiative des Kongresses komme, müßten sich alle anderen Optionen als untauglich erwiesen haben. So äußerte sich Senator Charles E. Grassley (D-Iowa), der als Vorsitzender des Rechtsunterausschusses für Verwaltungspraxis und Verwaltungsverfahren eine Anhörung zum Chadha-Urteil leitete, sehr bedenklich: "I guess I do not consider a constitutional amendment to be a very practical approach to respond to this (... )." 12 Der Kongreß ging bekanntlich nicht den Weg der Verfassungsänderung. Offenbar hielt es das Parlament nicht für nötig, sich der Ultimaratio zu bedienen. Den Grund hierfür vermutet Louis Fisher in der Zuversicht seitens der Parlamentarier, andere Mechanismen auf leichterem Wege zu finden: "They [die Kongreßmitglieder, M. S.] knew they would find working alternative mechanisms without going through a complicated process of amending the constitution."13 Neben dem Bemühen um eine Verfassungsänderung versuchten einige Kongreßmitglieder beider Kammern, Gesetzentwürfe einzubringen, die die künftige parlamentarische Kontrolle über den Gesetzesvollzug in verfassungskonformer Gestalt sichern sollten. Dabei wurden unterschiedliche Varianten diskutiert, die jedoch alle zum Ziel hatten, Regulierungen exekutiver bzw. unabhängiger Behörden einheitlich zu überprüfen und gegebenenfalls zu sanktionieren: 14 (1) Der Abgeordnete Sam B. Hall, Jr. (D-Texas) brachte einen Gesetzentwurf (HR 2327) ein, der dem Kongreß die Möglichkeit gegeben hätte, alle vorgestellten Regulierungen durch eine joint resolution of disapproval abzulehnen. Diejoint resolution erfüllt beide Kriterien, die der Oberste Gerichtshof für legislatives Handeln fordert - nämlich das Durchlaufen beider Kammern sowie die Vorlage vor dem Präsidenten. (2) Der parlamentarische Geschäftsführer der Republikanischen Minderheit im Abgeordnetenhaus, Trent Lott (R-Mississippi), der heutige Mehrheitsführer im Senat, brachte den Entwurf HR 3939 ein. Dieser Gesetzentwurf sah im Vergleich zu dem Hall-Entwurf ein differenzierteres Verfahren vor. Major rules bedürften danach einer joint resolution of approval, bevor sie umgesetzt werden könnten. Minor ru/es könnten ähnlich wie im Hall-Entwurf lediglich durch eine joint resolution of disapproval zu Fall gebracht werden. Die Unterscheidung für signifikante Regulierungen wird hierbei wie folgt definiert: Subcommittee APP, Legislative Veto 1983, S. 170. Louis Fisher. Interview vom August 1996 in Washington D. C. 14 Vgl. soweit nicht anderweitig angemerkt im folgenden CQ- Weekly Report, 29. Oktober 1983, s. 2236f. 12

13

102

Teil B: Qualitative Untersuchung

"The terrn ,major rule' means any rule that the Administrator of the Office of Information and Regulatory Affairs of the Office of Management and Budget finds has resulted in or is likely to result in (a) an annual effect on the economy of $ 100,000,000 or more; (b) a major increase in costs or prices for consumers, individual industries, Federal, State, or local government agencies, or geographic regions; or (c) significant adverse effects on competition, employment, investment, productivity, innovation, or on the ability of United States-based enterprises to compete with foreign-based enterprises in domestic and export markets." 15

(3) Der Levin-Boren-Entwurf (S 1650), benannt nach den Senatoren Carl Levin (D-Michigan) und David L. Boren (D-Oklahoma), sah vor, alle Regulierungen einem report-and-wait-Verfahren zu unterziehen, wonach jede Regulierung 30 Tage vor ihrer Implementierung ruhen solle. Lehne ein zuständiger Ausschuß die Regulierung ab, so hätte die Verordnung für weitere 60 Tage aufgeschoben werden können. Innerhalb dieser Zeitspanne hätte der Kongreß, d. h. beide Kammern, mittels einer joint resolution of disapproval die Regulierung für null und nichtig erklären können. 16 (4) Diskutiert wurde auch eine Form parlamentarischer Kontrolle, die dem Ansinnen des Obersten Gerichtshofes entsprach. Regulierungen sollten eine reportand-wait-Periode durchlaufen, bevor sie in Kraft träten. 17 Habe der Kongreß gegen den vorgesehenen Gesetzesvollzug etwas einzuwenden, so müsse er ein Gesetz verabschieden, das ein derartiges exekutives Handeln unterbinde. Hier spiegelt sich die Auffassung von chief justice Burger wider, der Kongreß könne nur durch Gesetze handeln. Alle Gesetzentwürfe, die eine umfassende Neuregelung der parlamentarischen Kontrolle über exekutive Regulierungen vorsahen, wurden noch vor der Sommerpause des 98. Kongresses in die Ausschüsse überwiesen. Die Ausschüsse selbst setzten nun Anhörungen an, bei denen Rechts- und Politikwissenschaftler geladen wurden, um über Möglichkeiten künftiger Regulierungskontrolle Auskunft zu geben.18 Für und Wider der oben aufgeführten Varianten wurden diskutiert. Insbesondere der Levin-Boren-Entwurf stand zur Diskussion. Senator Howell Heflin (D-AlaH. R. 3939, 98th Congress, 2nd Session. Dieser Entwurf basierte auf den Vorstellungen des Verfassungsrechtiers und heutigen Obersten Richters Stephen Breyer, der in einer Vorlesung am Georgetown University Law Center einen Plan für ein "veto substitute" vorgelegt hatte, vgl. Testimony of Jerry Taylor, Director of Natural Resource Studies of the Cato Institute before the Subcommittee on Commercial and Administrative Law of the Committee on the Judiciary: "The RoJe of Congress in Monitaring Administrative Rulemaking", 12. September 1996, S. 11; in: Cato Testimony: The Delegation Doctrine, www.cato.org/testimoniy/ct-jt091296.html (19.9.98, 19.54 Uhr). 17 Vgl. K. Forbis Jordan!Wayne C. Riddle, The Legislative Veto in Federal Education Legislation: Provisions, Applications, and Alternatives; in: The Legislative Veto After INS v CHADHA, CRS-Review 1983, S. 27. 18 In der kurzen Zeit nach der Urteilsverkündung setzten das Subcommittee on Administrative Practise and Procedure of the Senate Committee on the Judiciary, das House Judiciary Committee sowie das House Committee on Rules die Diskussion über Folgen des Chadha-Urteils auf ihre Tagesordnung. 15

16

I. Formaler Kontrollsektor

103

bama) befürwortete das legislative Vorhaben, wollte jedoch disapproval durch approval ersetzen. Letzteres Kontrollmittel sei in seiner Sanktionsfab.igkeit stärker, da es nicht vom Präsidenten abhänge: "An affirmative act of Congress would be required for rules and regulationstobe effective." 19 Dem hielt Levin, Ko-Verfasser des Entwurfes, entgegen: "[U]se of a joint resolution means merely that it would take two-thirds of the Congress to strike down a proposal for regulations issued by an agency. While that may be technically correct, history has shown that the legislative veto over agency rulemaking is most effective in the delay period, when negotiation and compromise between Congress and the Executive can occur. Rarely does dispute of a rule extend to final disapproval. In fact, over the last five years, Congress has disapproved agency rules in fewer than I 0 instances, and as to the rules of independent agencies and even some executive agencies, it is possible that the President will actually side with Congress in its objection to the rule. "20 Levin argumentierte, daß die Exekutive nicht als Einheit betrachtet werden dürfe. Vielmehr könne es eine Koalition des Kongresses und des Präsidenten gegen Regulierungsvorhaben unabhängiger Regulierungskommissionen geben. Letztere Auffassung wurde von Louis Fisher durch einen weiteren Aspekt unterstrichen. Obwohl der Präsident verfassungsrechtlich ein Vetorechtgegenjoint resolutions habe, würde der ChiefExecutive das Veto beider Kammern aus Respekt vor der Entscheidung des Kongresses in der Praxis nicht durch sein eigenes Veto überstimmen. Der Präsident überlasse der Legislative die Entscheidung in Regulierungsbereichen, die lediglich an die Exekutive delegiert worden seien: "So in a practical manner, it [the joint resolution of disapproval, M. S.] may operate the same as a concurrent resolution of disapproval." Jedoch fügte Fisher dieser Vorstellung folgende Bedingung an: "That would be a matter of comity and accomodation and mutual respect." 21 Einvernehmen zwischen den beiden Regierungsgewalten ist jedoch nicht die Regel. Die unterschiedlichen Entwürfe der Ersetzung des legislativen Vetos durch eine gesetzliche Form, verpackt als Omnibus-Gesetz, versickerten in den Ausschüssen und errreichten die Plena nicht vor Ende des 98. Kongresses im Oktober 1984. Der 99. Kongreß machte sich gar nicht erst die Mühe, die langsamen Mühlen des Gesetzgebungsprozesses erneut in Gang zu setzen. Eine umfassende Reform der parlamentarischen Kontrolle über die Regulierungskompetenz der Exekutive war gescheitert. Der Kongreß machte sich vielmehr umgehend an Stückwerkarbeit Was waren jedoch die Gründe dafür, daß der Kongreß keinen einheitlichen Kontrollmechanismus zustande brachte? Ein naheliegender Grund ist das Parlamentsrecht selbst. Bevor eine einheitliche Kontrollform erarbeitet werden konnte und die einzelnen Schritte des GesetzgeSenator Heflin ; in: GPO, Legislative Veto 1983, S. 5. Senator Levin; in: ebd. S. 7 f. 2 1 Fisher; in: ebd. S. 122. 19

20

104

Teil B: Qualitative Untersuchung

bungsprozesses durchlaufen waren, nahte zum einen das Ende der zweiten Sitzungsperiode des 98. Kongresses. Zudem waren bis dahin in Einzelfallen alte Gesetze dem Urteil angepaßt bzw. neue Gesetze in verfassungskonformer Gestalt verabschiedet worden. Der Kongreß sah mithin nicht die Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung, sondern schätzte die Vorteile einer flexiblen Handhabung der Kontrolle. "Because of the vastly different characteristics and effects of the devices, Congress will probably proceed on a case-by-case basis in replacing defunct legislative vetoes ( ...)."22 Offenbar wollte der Kongreß seine Kontrollform vom jeweiligen Sachverhalt eines Kontrollgegenstandes abhängig machen können. Dies ist einerseits mit unterschiedlichen Umweltbedingungen des Kongresses zu erklären: hier ein sensibles Politikfeld wie Umweltpolitik, dort ein weniger sensibles wie die Angelegenheiten ehemaliger Bundessoldaten. Andererseits ist die vom Kongreß gewünschte Flexibilität mit der Leistungskraft der unterschiedlichen Kontrollformen zu erklären, die im folgenden untersucht werden soll. In Tabelle 9 werden die gesetzlichen Formen parlamentarischer Kontrolle mit dem legislativen Veto in Form einer concurrent resolution hinsichtlich der Kosten der parlamentarischen Mehrheitsbildung, des Zeitund Arbeitsaufwandes für die Evaluation von Regulierungen sowie der Sanktionskraft des Kongresses verglichen. Daraus wird deutlich, daß die drei Kontrollformen verschiedene Kriterien, die der Kongreß allesamt in einer Kosten-Nutzen-Abwägung berücksichtigt, unterschiedlich beeintlußt. Nicht nur die Sanktionskraft kann für die Legislative von Interesse sein, auch der Aufwand an Zeit und Arbeit sowie die parlamentarische Mehrheitsbildung sind Faktoren, die dem Kongreß v. a. wegen seiner begrenzten Ressourcen wichtig sind. Tabelle 9

Wirkung gesetzlicher Formen des legislativen Vetos Kontrollform

Kosten parlamentarischer Mehrheitsbildung

J.Res. of Approval J. Res. of Disapproval

Kosten des Arbeits- und Zeitaufwandes

Sanktionskraft

Unverändert

erhöht

Erhöht

erhöht

Unverändert

Reduziert

Quelle: Vgl. Joseph Cooper. Congressand lhe Legislative Veto: Choices since lhechadha·decision; in: Robert E. Hunter/Wayne L. Berman/John F. Kennedy (Hg.), Making Govemment Work. From White House to Congress, Soulder 1986, S. 55.

22

Kaiser 1984, S. 241.

I. Formaler Kontrollsektor

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Die joint resolution of approval ist die sanktionskräftigste Form parlamentarischer Kontrolle über den Gesetzesvollzug, da es von der Initiative des Kongresses abhängt, ob eine vorgesehene Regulierung in Kraft treten kann. Das Handeln des Kongresses ist erforderlich, nicht um eine Regulierung zu verhindern, sondern um sie im Vorfeld zu genehmigen. Wenn beide Kammern also eine gemeinsame Erklärung der Zustimmung verabschieden müssen, um exekutives Handeln zu genehmigen, dann heißt dies im Umkehrschluß, daß das Nicht-Handeln einer Kammer ausreicht, um eine Regulierung zu verhindern. "The shift to a joint resolution of approval meant that Congress had, in effect, a negative one-house veto. " 23 Warum entschied sich der Kongreß dagegen, bestimmte Regulierungen, wie Lott es vorschlug, generell von affirmativen Resolutionen des Kongresses abhängig zu machen? Dies liegt an den Nachteilen, die die anderen beiden Kriterien mit sich brächten. Zum einen hätte der Kongreß seinen Arbeitsaufwand erhöhen müssen, da er sich über dieses Gesetz selbst in die Pflicht nahm, alle signifikanten Regulierungen vorab zu genehmigen. Die Anzahl signifikanter Regulierungen schätzte Lott auf 50 pro Jahr. 24 Dies bedeutet - angenommen, jede Regulierung wird wegen der multiple referrals von je zwei Ausschüssen pro Kammer bearbeitet- circa 200 zusätzliche Tagesordnungspunkte im Ausschußwesen der Legislative pro Jahr sowie 100 zusätzliche Abstimmungen in den Plena des Parlaments. Diese Rechnung läßt das komplexe amendment-Verfahren noch unberücksichtigt. Die affirmativen Resolutionen als einheitliches Kontrollverfahren über signifikante Regulierungen erschienen den Kongreßmitgliedern als zu aufwendig. Ein zweiter Punkt betrifft die parlamentarische Mehrheitsbildung. Der Begriff parlamentarische Mehrheitsbildung ist hier ungenau, da im Abgeordnetenhaus und im Senat unterschiedliche Geschäftsordnungsregeln bestehen. Der Senat verfügt im Gegensatz zum Abgeordnetenhaus über weitreichende Minderheitenrechte.25 Diese Minderheitenrechte beziehen sich sowohl auf parlamentarische Gruppen, also Fraktionen oder ad-hoc-Koalitionen, als auch auf individuelle Mitglieder. Regel XIX der Geschäftsordnung des Senats garantiert jedem Senator ein zeitlich unbefristetes Rederecht. Dieses kann nach Regel XXII nur über eine qualifizierte Mehrheit (cloture) von drei Fünfteln, also 60 Senatoren, bei Geschäftsordnungsänderungen zwei Dritteln, also 67 Senatoren, beendet werden.26 Dieses Minderheitenrecht kann im Extremfall zur Konsequenz haben, daß für die Abstimmung einer affirmativen Resolution im Senat mindestens 60 Senatoren die Regulierungsinitiative begrüßen müssen, wenn ein einziger sie ablehnt und die Regulierung über die Nutzung seiner Rechte Fisher 1993, S. 286. Vgl. Trent Lott; in: CR-House am 16.11.1983, H. R. 33169. 25 Vgl. im folgenden Stanley Bach, Minority Rights and Senate Procedures, CRS-Report 94-978 s. 26 Vgl. Senate Manual. Containing the Standing Rules, Orders, Laws, and Resolutions Affecting the Business of the United States Senate. Prepared by Lana R. S1ack, Washington 1993, S.22f. 23

24

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Teil B: Qualitative Untersuchung

als Senator zu verhindern sucht. Diese Praxis befürchteten insbesondere die Demokraten. Eine Minderheit von libertär gesinnten Republikanern könnte die parlamentarische Kontrollform mißbrauchen, um ihr Deregulierungsvorhaben umzusetzen. "The reason for that", so Leonard Weiss, Minderheitenstabschef des Govern-mental Affairs Committee, "is the fear of abuse of the Senate minority rules."27 Hinzu kommt noch ein weiteres Argument. Werden Regulierungen durch eine joint resolution gutgeheißen, so sind sie de jure keine Rechtsverordnungen mehr, sondern Gesetze.28 Diese Aufwertung hat zwei Konsequenzen. Es ist strittig, ob diese Praxis nicht dem rulemaking-Verfahren des APA widerspricht, also bestehenden Gesetzen entgegenläuft. Dieser Verfahrensweg würde nämlich Exekutivbehörden zu bloßen Beratungsgremien degradieren, die über legislative Delegation ein Mandat zur Erstellung von Regulierungen erhielten, die dann vor ihrer lmplementation in Gesetze umgewandelt würden. Es wäre am Ende zu hinterfragen, warum der Kongreß nicht gleich ein derartiges Gesetz erarbeitet und schließlich verabschiedet. Eng verbunden damit ist das Argument, daß Kongreßmitglieder, die aufgrunddes Wahlsystems spezifische grassroots-Interessen vertreten, vorzugsweise die Exekutive, die wegen ihrer anderen Legitimationsquelle eher das public interest artikulieren muß, für die Kosten politisch notwendiger Regulierung verantwortlich machen: "Congress or better the individual members often like to play games: even though they know that certain regulations are somewhat necessary they speak against them, saying the Executive is overregulating. This is agame of bureaucracy bashing."29 Einejoint resolution of approval macht nun jedoch aus einer Rechtsverordnung der Exekutive ein Gesetz der Legislative, d. h. die Kongreßmitglieder müssen sich persönlich vor ihrem Wahlkreis und den dortigen spezifischen Interessen verantworten. Daß die Repräsentanten dies nicht für erstrebenswert halten, bestätigt auch Parliamentarian Bob Dove: "Congress does not want to get in fights it does not have to. They rather Iet the blame pass to the President." 30 Um die Verantwortung für unpopuläre Rechtsnormen dem Präsidenten zu überlassen, entscheiden sich Kongreßmitglieder, die joint resolution of disapproval zu wählen. Dabei nimmt die Legislative das politisch schwächere Sanktionsinstrumentarium in Kauf: "So- what they do is, they choose the weaker tool of joint resolutions, which can get overridden by the President. The electorate does not understand that game."3 1 Der Kongreß setzte also das Mittel der affirmativen Resolution nur sehr vereinzelt ein. 1984 ersetzte die Legislative das Ein-Kammer-Veto im Exekutiven-ReorganisaLeonard Weiss. Interview vom August 1996 in Washington D.C. Vgl. Kaiser 1984, S. 252. 29 Louis Fisher. Interview vom August 1996 in Washington D. C. 30 Bob Dove. Interview vom September 1996 in Washington D.C. 31 Louis Fisher. Interview vom August 1996 in Washington D.C. 27

2s

I. Formaler Kontrollsektor

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tionsgesetz durch eine affirmative Resolution. 32 Konnte der Präsidentkraft legislativer Delegation zuvor seine eigene Regierungsgewalt quasi nach Belieben umorganisieren, solange die Legislative nicht dagegen votierte, so mußte Präsident Reagan nunmehr seine Pläne dem Kongreß vorlegen und dessen Zustimmung abwarten. Die Situation des Präsidenten hatte sich im Vergleich zu der Zeit vor dem Chadha-Urteil also verschlechtert. Dies empfand Reagan als derart lästig, daß er sich nach Ablauf der Delegationsdauer nicht um eine Verlängerung bemühte. Die Organisationsgewalt über die Exekutive lag also wieder in den Händen der Legislative. Damit war jedoch auch dem Kongreß nicht gedient, der gerade wegen seiner Arbeitsbelastung diese Aufgabe an die Exekutive delegiert hatte. Affirmative Resolutionen blieben die Ausnahme; negierende Resolutionen wurden hingegen zur Regel. Jointresolutions of disapproval bringen mehrere Vorteile mit sich. Ein Argument wurde schon angedeutet: Die Kongreßmitglieder überlassen das undankbare Geschäft sozialer und ökonomischer Regulierung, bei der immer einige spezifische Interessen tangiert werden, einer anonymen Bürokratie. Nur Fälle, die aus Sicht des Kongresses tatsächlich politisch umstritten sind, werden im jeweils federführenden Ausschuß thematisiert und können schließlich in beiden Kammern zu Fall gebracht werden. Zeit- und Arbeitsaufwand bleiben im Vergleich zum Status quo ante unverändert, solange der Präsident nicht interveniert. Jedoch sind joint resolutions of disapproval in ihrer Sanktionskraft zumindest theoretisch schwächer als concurrent resolutions. Da sie die Wirkung von Gesetzen haben, müssen sie dem Präsidenten zur Unterschrift vorgelegt werden. Über die Verkomplizierung der Mehrheitsbildung - im Falle eines präsidentiellen Vetos benötigt der Kongreß zwei Drittel seiner Stimmen- reduziert sich also die Sanktionskraft des Kongresses über Regulierungskommissionen. Theoretisch sind negative Resolutionen gegenüber affirmativen die deutlich schwächere Option. Jedoch läßt sich dies empirisch nicht bestätigen: "Even though a joint resolution needs a Presidential signature to take effect- I do not recall that the President has actually vetoed a resolution of Congress since the Chadha-decision."33 Die Gründe hierfür sind vielfältig und nur schwer generalisierbar: Fishers Argument des institutionellen Einvernehmens kommt ebenso in Betracht wie das Interesse der Präsidenten Reagan und Bush an Regulierungskontrolle. Letztere ist weniger als Entgegenkommen der Präsidenten gegenüber dem Demokratischen Kongreß zu sehen, als vielmehr als Mittel zur Deregulierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Richtet sich eine joint resolution also gegen eine unabhängige Regulierungskommission, so neigten Präsidenten bislang dazu, den legislativen Willen anzuerkennen, da sich der Kongreß damit nicht direkt gegen das Weiße Haus ausspricht. Die Exekutive kann diesbezüglich demnach nicht als Einheit begriffen werden. Parlamentarische Verwaltungskontrolle wird also von seiten der Regierung nicht zu un32 33

P. L. 98-614, vgl. Fisher 1993, S.286. Leonard Weiss. Interview vom August 1996 in Washinton D. C.

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teelaufen versucht. Diesen Umstand setzten die Kongreßmitglieder voraus, als sie sich nach 1983 zwischen beiden Resolutionsformen zu entscheiden hatten. Die folgenden beiden Beispiele illustrieren dies. Im September 1983 lief die Autorisierungsperiode für die FederalTrade Commission (FfC) aus. Die FfC gehört zu den umstrittensten Regulierungskommissionen, da ihre Verordnungen von hochgradig Organisations- und konfliktfaltigen Interessengruppen kritisch beäugt werden. Wegen des Richterspruches mußte das legislative Veto in Form einer concurrent resolution of disapproval ersetzt werden. 34 Regulierungskritische Republikaner befürworteten mehrheitlich die stärkere Form der affirmativen Resolution, Demokraten sprachen sich für die negative Resolution aus. Letztere setzten sich durch. Die negative Form hatte sich nach Ansicht der Mehrheit der Kongreßmitglieder bewährt - zweimal wurden Regulierungen der FfC vom Kongreß vor 1983 abgelehnt. 35 Hingegen hätte die affirmative Form negative Konsequenzen: Abgeordneter James J. Florio (D-New Jersey), Vorsitzender des Handelsunterausschusses, gab zu bedenken, daß über eine affirmative Resolution die FfC zu "an administrative eunuch" 36 degradiert würde. Zu dem gleichen Ergebnis kam der Kongreß bei der Reautorisierung der Consumer Product Safety Amendments of 1983.37 Hier wurden zwei alternative Gesetzeszusätze vom Abgeordnetenhaus beschlossen. Ersterer verlangte von der Verbraucherschutzorganisation (CPSC) eine affirmative Resolution aller von ihr vorgeschlagenen Regulierungen. Ein zweiter Zusatz sah hingegen lediglich die Möglichkeit einer negativen Resolution vor, die innerhalb einer Periode von 90 Tagen nach Vorstellung der Regulierung hätte verabschiedet werden müssen. Der Entwurf überließ die Entscheidung bewußt dem Vermittlungsausschuß beider Kammern. Dem CPSC-Fall wurde sowohl vonseitender Medien als auch seitens der akademischen Gemeinschaft große Beachtung geschenkt, da man annahm, daß die Reautorisierung von CPSC zum Präzedenzfall avanciere. 38 Mitarbeiter der CPSC warnten auf der Administrative Conference of the United States vor den Konsequenzen einer affirmativen Resolution. "This procedure would involve Congress in a tedious, time-consuming examination of trivial agency matters." 39 Der Vorwurf beinhaltet, daß eine derartige Kontrollform zu micromanagement führe. Dies koste den Kongreß Zeit, die er für wichtigere Angelegenheiten brauche. 34 Vgl. im folgenden Michael Wines, Legislative Veto Debate Threatens To Hogtie FTC Reauthorization Bill; in: National Journal, lO.September 1983, 5.1830- 1833. 35 So brachte der Kongreß 1982 eine Verordnung zu Fall, die einen Kriterienkatalog für Gebrauchwagenhändler aufgestellt hatte, nach dem sie Defekte an ihrer Ware zu veröffentlichen hatten, vgl. ebd. 5.1831. 36 Ebd. S. l830/3l. 37 Vgl. CQ Almanac 1983, S.570. 38 Vgl. hierzu sowie im folgendenJames A. Gazell/Darrell L. Pugh, Voiding the Legislative Veto: Possible Impacts for the Administrative State; in: Glendale Law Review 7 (1985): 1, S. 33. 39 Administrative Conference of the United States, Legislative Veto of Agency Rules After INS v. Chadha, Washington 1984, S.l4.

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Im Senat opponierte Senator Wendeli Ford (D-Kentucky) gegen die Form der affirmativen Resolution, da sie die CPSC in ihrer wichtigsten Funktion, "to recall hazardous products from the marketplace"40, lähme. Das conference committee beider Kammern einigte sich auf die Form der joint resolution ofdisapproval. Diese Form der Kontrolle erfüllte offenbar zwei wichtige Kriterien: zum einen eine effektive Überwachung staatlicher Regulierung, ohne jedoch die Exekutive zu lähmen, und zum anderen ein vergleichsweise geringfügiger Arbeitsaufwand für den Kongreß. Bis 1995 blieb der Kongreß bei seiner Gangart, Regulierungskontrolle von Fall zu Fall auszurichten. Nach der sogenannten ,,konservativen Wende" bei den '94er Kongreßwahlen machten die Republikaner regulatory reform zu einem Programmpunkt ihres Contract with America.41 Unter Regulierungsreform verstehen Republikaner eine umfassende Überholung aller Verordnungsbereiche mit dem Ziel, "the cost and burden offederal regulations"42 zu reduzieren. Der Schwerpunkt des 104. und 105. Kongresses lag deutlich auf sozialer Regulierung, d. h. besonders in den Domänen Umweltschutz, Gesundheitsstandards und Arbeitsplatzsicherheit Zur Diskussion standen mehrere Methoden zur Zielerreichung:43 (1) Verwaltungsträger sollen das mittel- und langfristige Risiko, auf das eine Regulierung abzielt, abschätzen. Damit verbunden ist der Gedanke, daß eine Regulierung nur dann angemessen ist, wenn die Risikominderung durch die Regulierung die Kosten der Verordnung ausgleicht.44

(2) Um dem Kongreß in der Phase mitlaufender Kontrolle die Information zukommen zu lassen, welche abzusehenden Kosten eine Verordnung verursachen wird, sollen Regulierungsbehörden Kosten-Nutzen-Analysen über die Auswirkungen einer Verordnung erstellen. (3) Regulierungen sollen nur noch befristete Laufzeiten haben. Nach Ablauf einer Regulierungsperiode solle die Leistung der Verordnung an ihren ursprünglichen Zielen gemessen werden. Nach einer verwaltungsinternen Begutachtung sowie einer Evaluation des GAO müsse die Regulierung erneut das gesamte Verfahren des Inkrafttretens gemäß des APA und der begleitenden parlamentarischen Kontrolle durchlaufen. (4) Um eine bessere ex-post-Kontrolle gewährleisten zu können, sollen Verwaltungsträger einen Regulierungsetat erstellen. Dieser soll als Budgetplan die Kosten von Regulierungen für Unternehmen, Privatpersonen etc. enthalten. An den eigenen Gazell/Pugh 1985, S. 33. ",Contract with America' Update"; in: CQ Special Report, 6.1.1996, S.52. 42 Rogelio Garcia, Federal Regulatory Reform: An Overview, CRS-Issue Brief IB 95035, S.I. 43 Vgl. im folgenden ebd. S.2-5; sowie: GAO, Regulatory Reform. Information on Costs, Costs-Effectiveness, and Mandated Deadlines for Regulations, GAO/PEMD-95-ISBR, S. 1-7. 44 Vgl. Linda-Jo Schierow, The Role of Risk Analysis and Risk Management in Environment Protection, CRS-Issue Brief IB 94036, S. I. 40

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Teil B: Qualitative Untersuchung

Vorgaben kann eine Regulierung dann vor der Verlängerung ihrer Laufzeit gemessen werden. Die hier erwähnten Methoden stellen nur eine Auswahl dar. All diese Regulierungsreformen sind heute in Kraft.45 Der 105. Kongreß, in dem die Republikaner wieder mit Mehrheiten in beiden Kammern vertreten waren, setzte seine Reformbemühungen fort und mußte, wie sich zeigte, einige Reformen erneut reformieren.46 Im 106. Kongreß machte sich der Kongreß bereits an eine Bestandsaufnahme und Bewertung seiner jüngsten Reformen im Bereich der parlamentarischen Kontrolle der Verwaltungsträger. Wie noch gezeigt wird, erwiesen sich einige Mechanismen der Regulierungskontrolle nicht als effektiv. Das betraf vor allem ein Gesetz, daß Regulierungskontrolle standardisieren sollte. Im Zusammenhang mit der verstärkten Regulierungskontrolle führte der Kongreß erstmals eine einheitliche Form parlamentarischer Kontrolle über den Gesetzesvollzug (Congressional Review of Regulations) ein- zumindest für signifikante Gesetze. Das Teilgesetz Congressional Review Act (CRA) des Small Business Regulatory Enforcement Fairness Act (SBREFA) sieht vor, daß Regulierungen vor ihrem Inkrafttreten dem Kongreß für die Dauer von 60 Tagen vorgelegt werden. Bleibt die Legislative untätig, kann die Verordnung wirksam werden. Verabschiedet der Kongreß hingegen eine joint resolution of disapprova/41 , so ist die Regulierung hinfallig- vorausgesetzt, der Präsident verzichtet auf sein Veto. Bemerkenswert ist, daß in dem Gesetz bestimmt wird, daß die Geschäftsordnung des Senats, wonach 60 Stimmen notwendig sind, um einfilibustering zu stoppen, nicht gelte. In diesem Gesetz, das von Senator Bond, dem Vorsitzenden des Senatsausschusses für mittelständische Unternehmen, initiiert wurde, spiegeln sich die Vorstellungen des Lott- sowie des Levin-Boren-Entwurfes von 1983 teilweise wider. Der Kongreß hatte nach fast 13 Jahren seit dem Chadha-Vrteil endlich ein Omnibus-Gesetz zugunsten parlamentarischer Kontrolle zuwege gebracht. War dies jedoch Ausdruck eines verfassungspolitischen Sieges der Legislative über die Exekutive? Sollte dadurch letztlich sichergestellt werden, daß die Verordnungen die Absicht der legislativen Grundlage konkretisierten? Zumindest was die Initiative des Gesetzesentwurfs betrifft, muß dies eher bezweifelt werden. Zwar be45 Vgl. Unfunded Mandates Reform Act of 1995 (P.L. 104-4), Paperwork Reduction Actof 1995 (P. L. 104- 13) sowie Contract with America Advancement Act of 1996 (P. L. 104-121). 46 Zu den jüngeren Reformvorhaben, die vor allem eine weitergehende Deregulierung, etwa des Telekommunikationsmarktes sowie des Agrarmarktes, anstreben sowie auf Verfahrensvereinfachungen für Unternehmer abzielen, vgl. Angela Antonelli, Regulation. Demanding Accountability and CommonSense, in: Issues '98. The Candidate's Briefing Book; in: www.heritage.org/issues/chap3.html (23.10.1998, 13.51 Uhr), S. 19ff. 47 Die negierende Resolution durchläuft ein beschleunigtes Verfahren in beiden Plena, u. a. besteht die Beschleunigung aus einem begrenzten Rede- und Amendment-Recht, vgl. P. L. 104- 121. Damit sichert sich der Kongreß dagegen ab, daß eine kleine Minderheit, die eine Verordnung befürwortet, die Minderheitenrechte im Senat dazu mißbraucht, die Kontrollperiode von 60 Tagen in ihrem Sinne zu nutzen.

I. Formaler Kontrollsektor

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gründete der Kongreß selbst die Verabschiedung des Gesetzes mit der Notwendigkeit einer Stärkung parlamentarischer Kontrolle im Gefolge des Chadha-Urteils, jedoch konnte der eigentliche Impetus nicht gänzlich verborgen werden: "Congressional review gives the public the opportunity to call the attention of political accountable, elected officials to concerns about proposed rules. If these concerns are su:ffi.ciently serious, Congress can stop the rule before any darnage is done."48

Nicht die Übereinstimmung von gesetzlicher Absicht und regulativem Resultat steht also im Vordergrund, sondern public concerns. Die hier als unbestimmte Größe aufgeführte Öffentlichkeit ist freilich in der Realität sehr spezifisch. Interessengruppen sollen dem Kongreß als Informationsbeschaffer dienen. Sie empfinden staatliche Regulierung der Arenen, in denen sie agieren, in der Regel als lästig und unnötig. "Congressional review is nottobe seen as a respond to Chadha but rather as a political question. It is a tool for deregulation - that is what they really had in mind when passing the law!"49

Der Auffassung, das Gesetz sei lediglich ein parteipolitisches Instrument, widerspricht zunächst, daß der ursprüngliche EntwurfS 219, der durch Senator Don Nickles (R-Oklahoma) eingebracht wurde, im Senat mit 100:0 Stimmen verabschiedet wurde. 50 Eine parteipolitische Spaltung in Regulierungsfreunde und Deregulierungsbefürworter wird demnach nicht sichtbar. Jedoch zeigt die Entstehungsgeschichte des Gesetzes, daß S 219 schon ein Kompromißentwurf von seiten gemäßigter Republikanischer Senatoren war, der gewährleisten sollte, daß überhaupt eine Regulierungsreform auf den Weg gebracht würde. 51 Ein wesentlich regulierungsfeindlicherer Entwurf des Abgeordnetenhauses wäre, so befürchtete Nickles, dem ftlibustering zum Opfer gefallen. 52 So erarbeitete er einen gemäßigteren Entwurf, dem sich der gesamte Senat anschließen konnte. Der Antrieb der Senatoren, dem Entwurf zuzustimmen, war jedoch unterschiedlich. Mag es einigen tatsächlich um die parlamentarische Kontrollform gegangen sein, so ging es Niekies selbst nicht darum, "new life to the ,legislative veto' concept"53 zu bringen. "Whereas the freeze [der Entwurf des Abgeordnetenhauses, M. S.] would be temporary, the review provides Congress with a permanent mechanism to kill regulations."54 Das ursprüngli48 Regulatory Reform Act of 1995. Report of the Committee on Governmental Affairs. United States Senate, Report 104-88, GPO, Washington 1995, S. 54. 49 Leonard Weiss. Interview vom August 1996. 50 "Senate Passes Up ,Freeze' Plan, Substitutes Regulatory Review; in: CQ- Weekly Report, 53 (1995), S. 933. 51 Vgl. Don Nick/es, CR-Senate, 15. März 1996, S 2161. 52 Der Regulierungsreform-Entwurf, HR 450, des Abgeordnetenhauses hätte ein Moratorium vorgesehen, das Regulierungen, die nach dem 20. November 1994 erlassen wurden, bis zum Juli 1996 "eingefroren" hätte, um sie zu überholen, vgl. CQ- Weekly Report, 53 ( 1995), S.610. 53 Ebd. 54 "Senate Passes Up ,Freeze' Plan, Substitutes Regulatory Review", CQ- Weekly Report, 53 (1995), s. 933.

Teil 8: Qualitative Untersuchung

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ehe legislative Veto unterband nur zehn Regulierungen. Die eigentliche Bedeutung dieser Kontrollform lag vielmehr in der Androhung einer Sanktion, um Modi:fizierungen an neuen Regulierungen zu erzielen. Das von Niekies eingebrachte Gesetz zielt hingegen nicht auf die Modifizierung, sondern auf die Verhinderung neuer Regulierungen. Die Vereinheitlichung parlamentarischer Kontrolle über den Gesetzesvollzug mittels der joint resolution ofdisapproval kann mithin nicht alleine als Reaktion auf das Chadha-Vrteil gesehen werden. Sie ist, wie das Kapitel über die Handlungsänderungen der Regierung zeigen wird, zuerst eine Reaktion der Republikaner auf die regulierungsfreundlichere Clinton-Administration.55 Die umfangreiche Deregulierung im Sinne Reagans sollte wiederbelebt werden. Überdies hatte sich bereits gezeigt, daß dort, wo es dem Kongreß wichtig war, das legislative Veto zu ersetzen, dies im Einzelfalllängst geschehen war. Die Formen, derer sich der Kongreß dabei bediente, divergierten zum Teil erheblich. Da die gesetzliche Form - wie dargestellt- zuweilen ein wenn nicht stumpfes Schwert, so doch ein schwer einsetzbares sein konnte, mußten andere Kontrollformen herangezogen werden, die nicht immer im formalen Kontrollsektor zu verorten waren. Der Wille, politische Arenen zu deregulieren, entspricht also der Ideologie der Republikaner- unabhängig von Veränderungen im Legislativ-Exekutiv-Verhältnis respektive im Bereich der parlamentarischen Kontrolle. Darüber hinaus muß aber vor dem Hintergrund dieser heterogenen Koalition für das Gesetz auch beachtet werden, daß in Bereichen, in denen das legislative Veto nicht durch andere Kontrollformen ersetzt werden konnte und eine nunmehr Demokratische Exekutive wieder zu intensiverer Regulierungen überging, Republikaner losgelöst von ihrer generellen Neigung zum schlanken Staat in der Deregulierung auch ein Mittel sahen, exekutive Regulierung zu kontrollieren. Dies gilt vor allem für Bereiche, in denen informale Kontrollen nicht greifen konnten, da sie nicht die relativ unpolitische Verwaltung betrafen, sondern die politisierte Kernexekutive. Somit erfüllt Deregulierung zwei Zwecke: Sie entspricht primär der weit verbreiteten libertären Ideologie, und sie kompensiert die Schwäche der parlamentarischen Kontrolle in Bereichen, in denen sich neue Kontroll- und Kooperationsmechanismen nicht entwickeln konnten. Zusammenfassend läßt sich also festhalten, daß es den Republikanern und auch einigen New Democrats, für die die Abkehr von Lyndon B. Johnsons Great Society mehr als bloß ein modischer Anstrich war, zuvörderst um weniger Regulierung ging. Gleichwohl gehört zum Entstehungskontext des CRA auch, daß das Gesetz dazu instrumentalisiert werden sollte, Verordnungen vor ihrem Erlaß zu modifizieren und derart die Rolle des Kongresses im Verordnungsgebungsprozeß zu stärken bzw. das Defizit an Regulierungskontrolle durch weniger Regulierung zu kompensieren. Das CRA sollte vor allem- aber nicht nur- Verhinderungsinstrument für un55

Vgl. Kapitel B.III.l.b).

I. Formaler Kontrollsektor

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liebsame Regulierungen und somit ein Instrument der Deregulierung schlechthin sein. Nur mit dieser Ambivalenz ist der überwältigende Abstimmungserfolg des SBREFA zu erklären, dem auch traditionell linke, regulierungsfreundliche Kreise der Demokratischen Fraktion um den Minderheitsführer Richard A. Gephardt (D-Missouri) zustimmten. 56 Die Motivation für das CRA und sein Entstehungszusammenhang sind nur die eine Seite, welche die Wandlungen im Legislativ-Exekutiv-Verhältnis widerspiegeln. Sein Einsatz und seine Effektivität sind die andere. Bestätigte das CRA am Ende die Befürchtungen auf seiten der Deregulierer und seitens der Kongreßmitglieder, denen es primär um eine Stärkung ihrer parlamentarischen Kontrollfunktion ging? Bereits zwei Jahre später konnte eine recht ernüchternde Bilanz gezogen werden: "The law does not reduce agency authority in any manner. ( ...) A number of agencies, including the Department of Agriculture, the Department of Transportation, and Health and Human Services have violated the law's requirements." 57

Auch Präsident Clinton, der das Gesetz im März 1996 unterzeichnet hatte, bedauerte seine Unterschrift schon kurze Zeit später. Dies jedoch nur, weil es aus seiner Sicht dem Selbstanspruch nach sinnvolle Verordnungen zwar nicht verhinderte, diese jedoch durch den Gang durch parlamentarische Mühlen immens verzögerte. 58 Diese Befürchtung des Präsidenten verlangt nach einem Blick auf die Praxis der gesetzlichen Form des legislativen Vetos. Zwischen März 1996 und März 1999 wurden nur 186 Verordnungen von insgesamt rund 8000 als signifikant eingestuft, weil sie jährliche Kosten für die Wirtschaft von über 100 Millionen Dollar zur Folge hatten.59 Zuständig für die Bestimmung signifikanter Verordnungen ist freilich die Exekutive. Der Berechnungsspielraum indes ist beliebig. So behauptete etwa die EPA im Juli 1997, ihre Ozon-Verordnung habe keinerlei direkte finanzielle Auswirkungen für die Wirtschaft. Diese entstünden lediglich indirekt dadurch, daß die Bundesstaaten die Verordnungen umsetzen müßten. Nach Ansicht eines gegen die Verordnung vergeblich klagenden mittelständischen Unternehmers gleicht diese Argumentation der Aussage, "[T]hey kicked you out of the window, but it was the concrete that killed you." 60 Die KonseVgl. CQ-WR, 4.Juli 1998, S.1820. l ohn Shanahan, Regulating the Regulators. Regulatory Process Reform in the 104th Congress; in: www.cato.org/pubs/regulation/reg20n1b.html (19.9.1998, 19.35 Uhr), S. 6. 58 Vgl. ebd. 59 Vgl. Morton Rosenberg, Congressional Review of Agency Rulemaking: ABrief Overview and Assessment After Three Years, CRS-Report RL30116, S. 5 f.; sowie: Angela Antonelli, Regulation. Demanding Accountability and Common Sense; in: lssues '98. The Candidate's Briefing Book; in: www.heritage.org/issues/chap3.html (23.10.1998; 13.51 Uhr), S. 20. 60 Susan E. Dudley!Angela Antonelli, Congress and the Clinton OMB. Unwilling Partners in Regulatory Oversight? in: www.cato.org/pubs/regulation/reg20n4a.html (19.9.98, 19.32 Uhr), S.6. 56

57

8 Sattar

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Teil B: Qualitative Untersuchung

quenz ist, daß der Kongreß erst sieben resolutions of disapproval gegen als signifikant eingestufte Regulierungen eingebracht und noch keine einzige verabschiedet hat (Stand: Sommer 1999).61 Der Kongreß scheut insbesondere im Bereich der Umweltregulierung die Konfrontation mit dem Präsidenten, da die Legislative nur schwer eine präsidentielles Veto überstimmen kann. Hinsichtlich der Anwendung des Gesetzes ist das CRA also ein Mißerfolg. Da sich dieses Machtmittel also in der Anwendung als wenig effektiv erwies, reagierte der Kongreß darauf mit unterschiedlichen Maßnahmen. So wurde das CRA etwa instrumentalisiert, ohne daß schließlich eine Anwendung nötig war. "Republicans have found that the resolution is such a blunt political instrument that is more useful, especially when it comes to crafting a carefully worded compromise that can garner broad support." 62

Zwar wurde eine resolution of disapproval auf der Grundlage des CRA noch nie verabschiedet, doch die Androhung einer solchen Resolution durch die Sammlung von Unterschriften beeinflußt die Verwaltung. So sammelte Senator Bond als Vorsitzender des Small Business Committee 52 Unterschriften gegen eine Verordnung der Health Care Financing Administration vom Januar 1998, die private Versicherungsunternehmer finanziell erheblich belastet hätte. Allein die Androhung einer Resolution gegen diese Verordnung brachte die Verwaltung zum Einlenken.63 Ein weiteres Beispiel ist eine OSHA-Verordnung, die den Einsatz von MethylenChlorid bei der Möbelbearbeitung beschränken sollte. Roger Wicker (R-Missouri) sammelte Unterschriften für die spätere Resolution HJ Res. 67, weil er Kleinstbetriebe und mittelständische Unternehmen der Branche vor den Konsequenzen dieser Verordnung schützen wollte. 64 Auch in diesem Fall kam es nicht zur Abstimmung, sondern zu einem Kompromiß im FY 98 Appropriation Act for the Department of Labor, Hea/th and Human Servicesand Education. 65 Diese Beispiele zeigen auch, daß das CRA nicht ausschließlich als ein Instrument zur Verhinderung von Regulierungen betrachtet werden kann. Das Modifizierungspotential- und damit legislative Beeinflussung des Gesetzesvollzuges - wird seitens des Kongresses ebenfalls geschätzt. Hat so gesehen die Existenz des CRA doch Einfluß auf die Verwaltung- unabhängig davon, ob es im Plenum zur Abstimmung kommt oder nicht? Repräsentant Roger Wicker beantwortet die Frage eindeutig - und zwar auf eine Weise, die die Bedeutung informaler Politik herausstellt. 61 Al/an Freedman, GOP's Secret Weapon against Regulation: Finesse; in: CQ-WR, 5.September 1998, S. 2318). Indes wurde in drei Fällen eine Resolution beantragt, ohne daß es zur Abstimmung kam. 62 Vgl. ebd. 63 Vgl. ebd. S.2319f. 64 Ebd. 65 P. L. 105-78, vgl. ebd.

I. Formaler Kontrollsektor

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"(...) if the disapproval resolution had not existed, he [Wicker, M. S.] could just as easily garnered their support on a Ietter to the agency, which would have sent just as powerful a message. As for the congressional review procedure, he said, "it's nice in theory. I don't know if it will ever be used. " 66

Das heißt, daß Wickers und zuvor auch Bonds Drohungen mit der Sammlung von Unterschriften für eine Resolution effektiv waren, der Effekt jedoch ebenso über einen einfachen Brief an die Verwaltung hätte erzielt werden können. Da diese Vorgehensweise mit bislang sieben angestrengten Resolutionen zu den seltenen Ausnahmen gehört, wird deutlich, über welchen Weg der Kongreß die Modifizierung von Verordnungen weit öfter beeinflußt. Daher hätte auch der Gesetzesentwurf (S 981) für einen Regulatory Improvement Act of 1997 der Senatoren Fred Thompson (R-Tennessee) und Carl Levin (D-Michigan) zu keiner wesentlichen Verbesserung der Lage geführt.67 Der Entwurf sah unter anderem vor, "that Congress should review and affirm by vote all new regulations"68. Im Kongreß traf der Entwurf aufüberparteiliche Ablehnung.69 Wenngleich die Gründe für die negative Koalition durchaus heterogen waren,70 so bleibt doch in unserem Kontext festzustellen, daß das strukturelle Problem der gesetzlichen Form des legislativen Vetos bestehen geblieben wäre. Die Intervention des Präsidenten ist nur schwer zu übertrumpfen. Die Drohung, eine Regulierung auf der Grundlage des CRA und bei einem RIA abzulehnen, stößt an Grenzen. Selbst wenn sich Verwaltungsträger als einsichtig erweisen, so läuft der Kongreß immer noch Gefahr, daß die Kernexekutive auf der Verordnung ohne parlamentarische Korrekturen besteht. Im Zweifelsfall muß der Kongreß bei einem präsidentiellen Veto eine ZweidrittelMehrheit mobilisieren. Da erscheinen andere, nicht öffentlich vorgenommene Modifizierungen der Regulierungen durch den Kongreß erfolgversprechender. Der Vorgang der Informalisierung deutet sich hier schon an. Der Kongreß ging neben der Kompensation durch informale Kontrollen noch einen anderen Weg, den Mißerfolg des CRA zu kompensieren, indem er das GAO selbst evaluieren läßt, welche Gesetze tatsächlich als signifikant eingestuft werden müßten. Dies soll eine offensichtliche Manipulierung, wie im genannten Falle der EPA, verhindern. Zudem erwog die Legislative institutionelle Reformen- und zwar nicht hinsichtlich der Organisation der Exekutive, sondern in bezug auf den KonEbd. Vgl. H. Sterling Burnett, Regulating the Regulators: The 1997 Regulatory lmprovement Act; in: National Center for Policy Analysis, ldea House; in: www.ncpa.org/ba/ba258.html. (20.10.1998, 11.49 Uhr), S. 3. 68 Ebd. sowie: Rogelio Garcia, Federal Regulatory Reform: An Overview, CRS-Issue-Brief IB95035, S. 13 (Updated 1999). 69 Vgl. Regulatory ,Reform' Meets Bipartisan Opposition, April 7, 1998; in: www.ombwatch.org/ombw/regs/opposition.html (23.10.1998, 15.12 Uhr). 70 So richtete sich die ablehnende Haltung des Republikanischen Mehrheitsführers im Senat, Trent Lott, vor allem gegen Thompsons Ansicht in Sachen Wah1kampffinanzierung, vgl. Ebd. S.2. 66

67

s•

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Teil 8: Qualitative Untersuchung

greß selbst. Das Repräsentantenhaus leitete mit H. R. 1704 einen Gesetzgebungsprozeß ein, an dessen Ende die Einrichtung eines Congressional Office ofRegulatory Analysis (CORA) stehen soll.7 1 Der Kongreß verspricht sich davon, die Defizite des CRA zu kompensieren, indem eine Parlamentsbehörde unabhängig die Kosten von Regulierungen evaluieren kann. Auf das OMB bzw. auf OIRA will sich die Legislative nicht mehr verlassen. Während der Clinton-Administration haben beide Institutionen diese Aufgabe nicht im Sinne des Kongresses erfüllt. Wer Informationen beschafft, kann den politischen Prozeß nämlich maßgeblich steuern. "The proposed Congressional Office of Regulatory Analysis can provide a non-partisan assessment of the benefits and costs of regulation that can help in improving policy and educating the American public."72 Der Entwurf ist jedoch, wie die Regulierungsreform generell im ersten Jahr des 106. Kongresses "caught in the middle"73 , d. h. die Behandlung des Entwurfs im Ausschußsystem ist vorerst auf Eis gelegt worden, weil der Meinungsbildungsprozeß und die Kommunikation zwischen Interessengruppen und Mitgliedern des Ausschusses noch nicht abgeschlossen ist.74 Strittig ist etwa, ob CORA als Unterabteilung des CBO - parallel zum Verhältnis OIRA und OMB - eingerichtet wird oder eine selbständige Parlamentsbehörde wird. Zudem wird derzeit eine weitere institutionelle Reform diskutiert.75 Der Kongreß berät über die Einrichtung eines ständigen gemeinsamen Ausschusses von Senat und Repräsentantenhaus zur Überprüfung signifikanter Regulierungen, da sich die Behandlung im Plenum als äußerst langwierig herausstellte.76 Diese Zentralisierung der parlamentarischen Kontrolle über den Gesetzesvollzug hätte eine Professionalisierung der Ausschußmitglieder zur Folge und würde deren Position gegenüber der Verwaltung stärken. Allein eine strukturelle Schwäche wäre dadurch nicht beseitigt. Würden die Reformen das CRA effektivieren und derart tatsächlich Resolutionen zu einzelnen Verordnungen verabschiedet, so könnte der Präsident dagegen immer noch sein Veto einlegen. Dieses politische Risiko würde der Präsident, wie zuvor erläutert, im Einzelfall genau abwägen. Doch die potentielle Waffe des Präsidenten würde den Kongreß aller Voraussicht nach weiter dazu veranlassen, andere und, wie gezeigt wird, oftmals informale Wege der legislativen Beeinflussung einzelner Verwaltungen zu beschreiten. 71 Zum Congressional Office of Regulatory Analysis Creation Act, vgl. Robert W. Hahn/Robert E. Litan, A Congressional Office of Regulatory Analysis. Joint Testimony before the Subcommittee on National Economic Growth, Natural Resources and Regulatory Affairs of the House Committee on Government Reform and Oversight, S. 3. 72 Ebd. 73 Congressional Green Sheet Special Report, 30. Oktober 1998, S. 26. 74 Reece Rushing. Interview vom Juni 1999. 75 Vgl. Shanahan 1998, S. 7. 76 V gl. Ange/a Antonelli, Needed: Aggressive Implementation of the Congressional Review Act; in: www.heritage.org/library/categories/regulation/fyll3l.html (14.10.1998; 11.12 Uhr),

S.6.

I. Formaler Kontrollsektor

117

Die Formalisierung und Standardisierung der Regulierungskontrolle, die das Teilgesetz CRA des SBREFA auch zum Ziel hatte, wurde mithin nicht erreicht. SBREFA hat sogar in gewisser Weise nicht-öffentliche politische Prozesse befördert. Das Gesetz sieht nämlich auch vor, daß EPA und OSHA, zwei Behörden die für mittelständische Unternehmen besondere Bedeutung haben, sogenannte Small Business Advocacy Review Panel einrichten.77 Vorgeschlagene Regulierungen werden losgelöst vom formalen Verordnungsgebungsprozeß in dem Gremium, in dem neben der Small Business Administration, EPA oder OSHA- und OIRA-Vertretern keine Repräsentanten sonstiger Interessengruppen sitzen, diskutiert. Aufgabe des Gremium ist es, "to fit the needs of small business owners"78 • Vertreter von Verbraucherinteressengruppen, wie OMB Watch, beklagen die Zusammensetzung des Gremiums: "The panel should be broadly representative. Counter interest groups cannot even attend the meeting. The Statements of the panelwill not be made public until the promulgation of a new regulation. There is no time for us to interfere."79

Dieses Problem, das im einzelnen in Kapitel C. III. erläutert wird, wäre mit dem Levin-Thompson-Gesetz noch verstärkt worden, da die Zahl der Behörden, die derartigepanelseinrichten sollten, erhöht worden wäre.

2. Redelegation - legislative Gegenmaßnahme mit politischen Kosten Auch in die wichtigen Bereiche der Finanzkontrolle wirkte das Urteil von 1983 hinein. 80 Das BICA von 1974 unterschied zwei impoundment-Formen- deferrals und rescissions. 81 Das Gesetz gab dem Präsidenten beim deferral-Recht die Möglichkeit, die Verwendung bewilligter Gelder zurückzustellen, um verwaltungstechnischen Flexibiltätsanforderungen nachkommen zu können. 82 Meist handelte es sich um politisch unstrittige Aktionen des Präsidenten: Wenn beispielsweise in einer Region Kaliforniens ein Bundesforschungsinstitut der NASA errichtet werden sollte, das Gebiet aber gerade von einem Erdbeben beschädigt wurde, so war es dem Präsidenten bzw. der NASA möglich, die Gelder zurückzubehalten, ohne ein eigenes 77 Vgl. Rogelio Garcia, Federal Regulatory Reform: An Overview, CRS-Report IB95035 (Updated 1999); Legislative and Oversight Activities during the I 04th Congress. United States Senate. Committee on Small Business, S. Rpt. 105-63.; OMB Watch, The primary framework for Rulemaking, Internes Papier, S. 7. 78 OMB Watch, S. 7. 79 Reece Rushing. Interview vom Juni 1999 in Washington D.C. 80 Vgl. im folgendenFisher 1993, S. 287; sowie Eider Witt, Some Laws Survive Loss ofthe Legislative Veto; in: CQ- Weekly Report, 45 (1987), S.581. 81 Wahrend rescission die Steichung einzelner Haushaltsposten bezeichnet, handelt es sich beim deferral-Recht um die bloße Zurückstellung von Geldern. 82 Zu den einzelnen Haushaltsgesetzen vgl. Federal Budget, Accounting, and Financial Management Laws: Summaries of Selected Provisions, CRS-Report 96-626 GOV.

118

Teil B: Qualitative Untersuchung

Bewilligungsänderungsgesetz abwarten zu müssen. Dies ist ein verwaltungstechnisches Erfordernis. Jedoch stand diese Kompetenz unter dem Vorbehalt des Ausbleibens einer simple resolution of disapproval. Der Kongreß machte auch hier die Delegation seiner haushaltsrechtlichen Prärogative von einem Zustimmungsvorbehalt abhängig, der schnell und flexibel erfolgen konnte. Meist war die Zustimmung zu einer befristeten Zurückstellung von Geldem bloße Formsache. Mit dem Chadha-Urteil wurde diese Form des legislativen Vetos hinfällig. Jedoch blieb die Verpflichtung der Exekutive bestehen, wonach diese jeden Ausgabenaufschub dem Kongreß mitzuteilen habe. Der Kongreß konnte das Geld nunmehr nur noch über eine joint resolution oder ein Gesetz erneut freigeben, d. h. dem Aufschubwunsch der Exekutive widersprechen. Jedoch konnte der Präsident dagegen wiederum sein Veto einlegen. Der Konflikt zwischen Legislative und Exekutive eskalierte. Im Februar 1986legte Präsident Reagan dem Kongreß einen Haushaltsplan für das Budgetjahr 1987 vor, der auf der Einnahmenseite 23 Milliarden Dollar enthielt, die alleine aus Zurückstellungen des laufenden Haushaltsjahres stammten.83 Der Vorsitzende des Bewilligungsausschusses des Senats, Mark 0. Hatfield (R-Oregon), charakterisierte diese Ausnutzung des deferral-Rechtes als ungesetzliches line-item veto. Dieser Vorgang zwischen Kongreß und Präsident muß im Zusammenhang mit dem Bemühen um eine haushaltspolitische Konsolidierung betrachtet werden- und damit auch mit dem Bowsher-Fall. Reagans Politik, die Steuern zu senken und die innenpolitischen Programme finanziell zurückzufahren (lange Zeit unter Beibehaltung der rüstungspolitischen Ausgaben), wurde durch die Politik des mehrheitlich Demokratischen Kongresses konterkariert. Dieser verteidigte seine innen- und insbesondere sozialpolitischen Ausgaben. Der chronische Haushaltskonflikt endete damit, daß Reagan die haushaltspolitischen Vorgaben des Kongresses durch seine ausgedehnte deferral-Handhabe unterlief. Parallel dazu legte der Kongreß 1985 das mit der Exekutive ausgehandeltete GRH 1-Haushaltsgesetz vor, das über einen Zeitraum von fünf Jahren automatische Kürzungen vorgesehen hätte, um einen ausgeglichenen Haushalt herzustellen. Der Kompromiß sah vor, daß in Bereichen des Haushalts, in denen sich der Gesetzgeber nicht gesetzlich zu Ausgaben verpflichtet hat, wie bei den sogenannten entitlements, beziehungsweise in Fällen, in denen Schuldzins gezahlt werden mußte, Ausgaben jährlich in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes gekürzt werden sollten. Der GRH-Kompromiß war politisch mehr als fragwürdig: Um nämlich innerhalb der gegebenen Frist einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, hätte der Kongreß den Etat um 27 Prozent kürzen müssen. Dies machte 1986 in etwa den Teil des Budgets aus, der nicht zum gesetzlichen Ausgabenbereich zählte.84 83 Vgl. im folgenden Elizabeth Wehr, A Budget Sideshow: Fighting Over Deferrals; in: CQ- Weekly Report, 44 (1986), S. 737. 84 Wildavsky 1992, S. 250.

I. Formaler Kontrollsektor

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Wissenschaftler und politische Kommentatoren waren sich darüber einig, daß dieser Weg unrealistisch sei.85 Die automatischen Kürzungen hätten den finanziellen Spielraum der USA zunichte gemacht. Sehr schnell wäre man von diesem Kompromiß abgerückt beziehungsweise hätte den Zeitraum von fünf Jahren erheblich ausgedehnt. Doch die politische Initiative, einen Kompromiß zu finden, wäre Sache des Kongresses und der Administration gewesen. Mit dem Bowsher-Urteil, das eingangs bereits erklärt wurde, nahm der Oberste Gerichtshof allerdings den institutionellen Akteuren die Initiative. So wenig sinnvoll der Kompromiß auch war, er hätte die mißbräuchliche referral-Handhabe des Präsidenten hinfallig gemacht. Das Geben und Nehmen zwischen beiden Gewalten war zerstört worden. Durch die Bowsher-Entscheidung fiel man auf den Status quo ante zurück, bei dem der Präsident haushaltspolitisch die Oberhand behielt. Und damit wollte der Kongreß erst recht nicht leben. 86 Abhilfe kam durch ein Urteil eines Bundesgerichts. Es entschied 1986 in City of New Haven, Conn. v. United States, mit dem legislativen Veto falle auch das deferral-Recht des Präsidenten. Das Argument des Gerichts war, die Delegation dieser legislativen Kompetenz hätte ohne Hinzufügung des legislativen Vetorechtes nicht stattgefunden, beide Aspekte des Gesetzes seien untrennbar. Der Kongreß modifizierte umgehend das BICA im Sinne der Richter: Das legislative Veto, das bis dahin noch nominell im BICA vorhanden war, wurde nunmehr ersetzt durch eine neue Sektion 1013 (b): "Consistency with Legislative Policy. - Deferrals shall be permissable only(1)

(2) (3)

to provide for contingencies; to achieve savings made possible by or through changes in requirements or greater efficiency of operations; or as specifically provided by law.

No officer or employee of the United States may defer any budget authority for any other purpose." 87

Hierin wird deutlich, daß die Delegation des deferral-Rechtes an die Exekutive derart eingeschränkt wurde, daß de facto von einer Redelegation legislativer Kompetenzen gesprochen werden kann. Damit war dem Kongreß und dem Präsidenten ein Kooperationsinstrument erheblich beschnitten worden. Dies hat die Komplizierung des politischen Prozesses hinsichtlich der Verwendung von Bundesmitteln zur Folge. Nach 1987 ging die Zahl der deferrals rapide zurück: von 70 im Jahr 1987 auf elf 1991 und je 12 in den Jahren 1992, '93, und '94.88 Regierung und Verwaltung waren in ihrem Handlungsspielraum eingeschränkt. Der politische Prozeß war da85

86 87 88

Vgl. ebd., Fisher 1987, S. 213. Vgl. House Votes to Scrub Deferral Power; in: CQ - Weekly Report, 44 ( 1986), S. 1066. Vgl. P. L. 100-119. Vgl. Ornstein u. a. 1996, S. 195.

120

Teil B: Qualitative Untersuchung

durch erheblich kompliziert worden, die formalen Kooperationsstrukturen zwischen beiden Gewalten zunichte gemacht. Die Administration konnte in der Folge kaum bereits bewilligte Gelder zurückstellen. Der Ermessenspielraum war der Administration formal beschränkt worden, um eine Politik der Defizitreduzierung nach den Wünschen eines Republikanischen Präsidenten zu verhindern. Die partielle Redelegation hatte ihren Preis. Für die Fälle, in denen auch deferrals zulässig waren, kleidete der Kongreß das legislative Veto wieder in eine gesetzliche Form.89 Um dem präsidentiellen Veto zu entgehen, ging das Parlament äußerst taktisch vor: Wenn das Parlament Einwände gegen die befristete Aufschiebung von Ausgaben für politische Maßnahmen hat, kehrt es sein legislatives Veto einfach um. Die erneute Freigabe, so wird dann positiv formuliert, ist dann Teil eines regulären Bewilligungsgesetzes bzw. eines supptemental appropriation bill. Der Präsident mußte sich vor 1997, also vor Einführung des sogenannten line-item veto, freilich gut überlegen, ob er dagegen sein Veto einlegen wollte, weil er derart das gesamte Gesetz blockierte.90 Dies hat sich 1997 und 1998 wiederum geändert, wie Kapitel B.l. 4. zeigen wird. Die beschriebene Form, vermeintliche legislative Vetos in Bewilligungsgesetze einzufügen, blieb jedoch die Ausnahme. Insgesamt betrachtet muß diese Entwicklung als problematisch angesehen werden. Zwar war der Versuch gescheitert, das deferral-Recht dazu zu benutzen, bewilligte Gelder für spezifische Bundesprogramme nicht nur aus verwaltungstechnischen Gründen zurückzuhalten, sondern sie aus politischen Gründen zu kassieren. Doch die Verteidigung des Kongresses hatte ihren Preis: Der politische Prozeß wurde erheblich kompliziert, da der Ermessensspielraum der Verwaltung beschränkt wurde.91 Redelegation blieb jedoch lange Zeit die Ausnahmereaktion des Kongresses - beschränkt auf arg konfliktäre Bereiche der Beziehungen zwischen Legislative und Kernexekutive. Als Patentrezept diente sie den Parlamentariern schon deshalb nicht, weil die Bedingungen, die eine Delegation legislativer Kompetenzen einst befördert hatten, unverändert fortbestanden. Der Kongreß sah sich außerstande, die Vorteile einer administrativen Verordnungstätigkeit mit großem Entscheidungsspielraum, Flexibilität, Expertise und Professionalisierung selbst zu erreichen. Die geschwächte Stellung im Bereich der parlamentarischen Kontrolle des Gesetzesvollzugs konnte aus Sicht der mehrheitlich Demokratischen Parlamentarier nicht dadurch erreicht werden, daß der Gegenstand der Kontrolle verkleinert würde. 89 James A. Thurber, The Consequence of Budget Reform for Congressionai-Presidential Relations; in: Annals, AAPSS, 499 (1988): 3, S. 106. 90 Vgl. Heun 1989, S. 75. 91 Vgl. Patrick Horst, Haushaltspolitik und Regierungspraxis in den USA und der Bundesrepublik Deutschland. Ein Vergleich des haushaltspolitischen Entscheidungsprozesses beider Bundesrepubliken zu Zeiten der konservativen Regierungen Reagan/Bush (1981-92) und Kohl (1982-93), Frankfurt a. M. u. a. 1995, S. 210.

I. Formaler Kontrollsektor

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Mit dem Wahlsieg der Republikaner bei den Wahlen zum 104. Kongreß änderte sich dieses Verständnis. Zum einen sollte nunmehr die Kontrollmasse durch eine umfangreiche Deregulierung reduziert werden. Insbesondere die Bereiche, die unter der Reagan-Administration aufgrund des Widerstandes im Demokratisch beherrschten Kongreß nicht dereguliert werden konnten, wollte der Kongreß nun angehen. Und auch das Thema der Redelegation wurde in der Zeit vom 104. bis zum 106. Kongreß zumindest diskutiert. Hintergrund war vor allem die Problematisierung der Nebeneffekte informaler Kontrollformen durch die Gerichte. Diese Problematik wird jedoch erst im Schlußkapitel aufgegriffen. Eng mit dem Thema Redelegation verbunden ist indes eine parlamentarische Reaktion, die weitaus öfter vom Kongreß angewandt wurde: die Eingrenzung des administrativen Entscheidungsspielraumes. 3. Allianz gegen die Zentralisierung der regulativen Politikdie Eingrenzung des administrativen Entscheidungsspielraumes Institutionen, die ihrer Kompetenzen beraubt werden sollen, wehren sich. Dies trifft auch auf den Kongreß zu, der in der Auseinandersetzung mit der Exekutive, namentlich mit der Administration Reagans, dazu überging, den exekutiven Entscheidungsspielraum durch eine parlamentarische Konkretisierung der Gesetzestexte einzuschränken. Dies war vor allem für die Autorisierungsgesetze der Umweltbehörde EPA der Fall. Die Umweltverwaltung schloß am Ende sogar Allianzen mit dem Kongreß gegen den Präsidenten. Einerseits teilte sie eher die politische Auffassung des Kongresses. Andererseits war das Verhalten der EPA auch opportun, da nur auf diesem Wege der Entscheidungsspielraum der Verwaltung gewahrt werden konnte. Die Allianzbildung wird am Beispiel der Umweltpolitik beleuchtet, da der Konflikt zwischen den drei Akteuren Kongreß, Verwaltung und Kernexekutive in diesem Politikfeld besonders deutlich wird. Umweltschutz ist ein besonders sensibles Politikfeld: Auf der Seite der Industrie sind sehr spezifische und daher stark organisations- und konfliktfaltige Interessen berührt. Auf der Gegenseite werden zwar alleine allgemeine Interessen tangiert, jedoch stiegen in den letzten drei Jahrzehnten die Kosten vernachlässigter Umweltpolitik immens an. Politische Stabilität und wirtschaftlicher Wohlstand in den westlichen Demokratien befahigten neue soziale Bewegungen zu politischem Aktivismus, der die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf diese Kosten lenkte. 92 Das Clean Air Act (CAA)93, der abgesehen von Vorläufergesetzen auf das Jahr 1970 zurückgeht und seither mehrmals reautorisiert wurde, gilt wegen seiner Reich92 Vgl. im folgenden Mare K. Landy, The New Politics of Environmental Policy; in: ders./ Martin A. Levin (Hg.), The New Politics of Public Policy, Baltimore/London 1995, S. 207 ff. 93 Martin R. Lee, Summaries ofEnvironmental Laws Administered by the Environment Protection Agency, CRS-Report 95-59 ENR, S. 7-19.

122

Teil B: Qualitative Untersuchung

weite als "the single most important of all environmentallaws"94 • Die Reautorisierung des CAA wurde zu Beginn der 80er Jahre zum Zankapfel zwischen dem um Deregulierung bemühten Präsidenten Reagan und einem in sich gespaltenen Kongreß. Die 1981 anstehende Genehmigung kam nicht zustande- die jährliche Bewilligung der Gelder ging ohne die ansonsten übliche Autorisierung vonstatten.95 Erst unter Präsident George Bush, der in seinem Wahlkampf 1988 unter anderem auch umweltpolitische Reformen versprach, kam es zu dem Clean Air Acts Amendment of 199096• Das Interesse des Kongresses gal~ weniger den Regulierungen der EPA als dem Bemühen der Reagan-Administration, insbesondere des OMB, EPA-Regulierungen verwaltungsintern zu Fall zu bringen. Wie noch an anderer Stelle - im informalen Kontrollsektor- gezeigt werden kann, wurde die parlamentarische Kontrolle in diesem Fall zum Unterstützungsinstrument einer unabhängigen Regulierungskommission, das gegen die Intervention des Executive Office gerichtet war. 97 Präsident Reagan erließ 1981 Executive Order 12291, der von Regulierungskommissionen für jede Verordnung eine Regulatory Impact Analysis (RIA) verlangte, die vom OMB, genauer von deren Unterorganisation, dem Office of Information and Regulatory Affairs (OIRA), überprüft werden mußte.98 In Fällen regulativer Inkonsistenz mit der Politik der Administration wurde die Kommission angewiesen, auf die Regulierung zu verzichten bzw. diese zu modifizieren. Diesen präsidentiellen Erlaß weitete Reagan später noch aus. Executive Order 12498 vom 4. Januar 1985 sah noch größere Eingriffsmöglichkeiten des OMB in die Angelegenheiten der Verwaltungsbehörden vor. Seither mußten einzelne Behördem jeden Schritt ("actions taken to consider whether to initiate rulemaking" 99) des Regulierungsverfahrens mit dem OIRA abstimmen. 100 Präsident Bush schuf zusätzlich ein Council on Competitiveness, dem Vizepräsident Dan Quayle vorsaß. Das Gremium sollte die regulativen Auswirkungen auf die Industrie abschätzen. 101 Es wird deutlich, daß der eigentliche Gegenspieler der EPA Landy 1995, S.209. Vgl. lohn Blodgett, Environmental Reauthorizations and Regulatory Reform: Recent Developments, CRS-Report 95-3 ENR, S. 2f. 96 P.L. 101-549. 97 Vgl. Kapitel B. II.2. 98 Administration of Ronald Reagan, Federal Regulation, Executive Order 12291, 17.2.1981; in: Weekly Compilation ofPresidential Documents, 17 (1981), 5. 124-130. 99 Christopher H. Foreman, Legislators, Regulators, and the OMB: The Congressional Challenge to Presidential Regulatory Relief; in: James A. Thurber, Divided Democracy. Cooperation and Conflict between the President and Congress, Washington D.C. 1991, S.l34. 100 Vgl. ebd. S. 127. 101 Vgl. Jeffrey M. Berry/Kent E. Portney, Centralizing Regulatory Control and Ioterest Group Access: The Quayle Council on Competetiveness; in: Allen J. Cigler/Burdett A. Loomis (Hg.), Ioterest Group Politics, Washington 4 1995, S. 337f. 94 95

I. Formaler Kontrollsektor

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das Executive Office war. Die Konfliktlinie zwischen Industrie- und Umweltpolitik verlief nicht zwischen Exekutive und Legislative, sondern zwischen Regierung und Verwaltung. Der Kongreß nutzte die Wahlkampfversprechen Bushs, um die CAA-Reautorisierung schließlich zu verabschieden. Dabei wurde der Bestimmtheitsgrad des Gesetzes im Vergleich zu seinen Vorgängergesetzen erhöht: "The act takes up 314 pages of the Federal Register and is almost seven times as long as the 1970 version. It has many new and original features, including the use of alternative fuels and a marketable permit system for trading sulfur dioxide (S02) emmissions. It is rife with mandates, deadlines, ,hammers', and timetables, all geared to deprive bureaucrats and emitters of discretion and flexibility." 102

Der CAA von 1990 enthält also weniger unbestimmte Rechtsbegriffe, läßt auf Tatbestände konkrete Rechtsfolgen treffen, verlangt die Einhaltung von Stichtagen bei der Implementierung legislativer Mandate und konkretisiert etwa Emissionsstandards für mobile Energie-Quellen. Wenn demnach der Entscheidungsspielraum der EPA entscheidend eingeschränkt wurde, so bleibt zunächst ungeklärt, ob die EPA das eigentliche Objekt des Gesetzes war. Die Äußerung des Abgeordneten Henry A. Waxman (D-Kalifomien), seinerzeit als Vorsitzender des Hause Subcommittee of Health and Environment wesentlicher Verfasser des CAA von 1990, gibt Aufschluß: "The specificity in the 1990 Amendments reflects the concern that without detailed directives, industry intervention might frustrate efforts to pul pollution control steps in p1ace. This could happeneilher directly, through EPA inaction, or indirectly, through interference with EPA rule making efforts by White House entities such as the OMB or, more recently, the White House Council on Competitiveness. History shows that even where EPA seeks to take strong action, the White House will often intervene at industry's bebesttoblock regulatory action."I03

Die Einschränkung des Entscheidungsspielraumes richtete sich also vor allem gegen die Deregulierungspolitik des Weißen Hauses. Der Kongreß mußte befürchten, daß das OIRA Umweltregulierungen der EPA kassieren würde. Daher handelte er im Interesse (und in Absprache) mit der EPA, als er den Entscheidungsspielraum der Verwaltung einschränkte. 104 Das Beispiel zeigt, daß die EPA als Verwaltungsinstitution eigene politische Ziele unabhängig von der politischen Agenda des Präsidenten zu verfolgen versuchte und sich nicht nur als ausführendes Organ verstand. Dies ermöglichte dem Kongreß freilich Chancen. Die Gesetzeskonkretisierung beinhaltete Formulierungen, die von der Umweltbehörde stammten. Während eine Regulierung vom OMB gestoppt werden kann, steht der Exekutive bei einem Gesetz nur das Veto 102 Landy 1995, S.219. 103 Henry Waxman; zit. nach: ebd. 104 Ebd.

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Teil B: Qualitative Untersuchung

zur Verfügung, das Bush aufgrund seiner politischen Agenda allerdings nicht einsetzen wollte. Die Allianz von Kongreß und Verwaltung ist auch der Grund dafür, daß sich der Kongreß im Fall der Reautorisierung der CAA gegen die parlamentarische Kontrollform der joint resolution of disapproval entschied. Eine gesetzliche Form des legislativen Vetos hätte kaum den erwünschten Effekt haben können, da aus Sicht des Kongresses nicht Über- sondern Unterregulierung das Problem war. Die Legislative hätte eine vom OIRA zensierte EPA-Regulierung zwar ablehnen können, jedoch hätten modifizierte Regulierungen weiterhin das OIRA überstehen müssen. Eine Umweltverordnung im Sinne des Demokratischen Kongresses wäre auf diese Weise nicht zustande gekommen. Da sich der Kongreß gegen den Präsidenten abzusichern versuchte, ging die Legislative den Weg der Einschränkung des Entscheidungsspielraumes. Hier zeigte sich der Vorteil einer fallorientierten Herangehensweise des Kongresses. Die Allianzbildung von Kongreß und Verwaltung gegen die Eingriffe der Kernexekutive hängt freilich von der Interessenkongruenz zwischen beiden institutionellen Akteuren ab, und zwar unabhängig davon, ob- wie hier gezeigt-auf formal-gesetzlichem Wege kooperiert wurde oder auf informalem Wege, wie noch gezeigt wird. Im Falle der Umweltregulierung bestand eine Interessenkongruenz zwischen der EPA und dem Demokratischen Kongreß. Ebenso wurde die informale Kommunikation in den Politikfeldern Soziales und Gesundheit nutzbar gemacht. 105 Die Mehrheitsverhältnisse im 104., 105. und 106. Kongreß veränderten freilich auch die Beziehungen zwischen Kongreß mit der EPA. Die Legislative war nunmehr stärker um Deregulierung bemüht, während der Demokratische Präsident einen dritten Weg zwischen den amerikanischen Polen der politischen Kultur, also zwischen konservativ-libertären und linksliberalen Extremen, gehen wollte. Die Auswirkungen auf die formale und informale parlamentarische Kontrolle wird in Kapitel B. III. 1. erörtert. 4. Das line-item veto - parlamentarische Abdankung oder der zeitweilige Siegeszug der Haushaltskonsolidierer Schon seit dem BICA von 1974 gilt, daß der Präsident die Streichung bereits bewilligter Gelder dem Kongreß zu melden und dessen Zustimmung per affirmativer Resolution innerhalb einer Frist von 45 Tagen abzuwarten hat. Bleibt eine joint resolution of approval aus, müssen die Gelder ihrem ursprünglichem Verwendungszweck zufließen. Diese Kontrollform blieb durch das Chadha-Urteil unberührt. Sie 105 Vgl. Martin Shapiro, Of Interests and Values: The New Politics and the New Political Science; in: Landy/Levin 1995, S. 6.

I. Formaler Kontrollsektor

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wurde 1987 im Balanced Budget and Emergency Deficit Control Reaffirmation Act (im geänderten GRH-Haushaltsgesetz) bestätigt und sogar noch verschärft, da ein präsidentielles "resubmittal of rescission proposals that previously had not been accepted by Congress" 106 nunmehr verboten wurde. Wemer Heun erklärt zu Recht, daß diese schon nach 1974 nicht gebilligt wurden. 107 Dem widerspricht nicht, daß zuweilen die Summe der nachträglich gestrichenen, zuvor bewilligten Haushaltsgelder sogar höher ausfallen kann, als vom Präsidenten beantragt, da auch der Kongreß rescissions initiieren kann -und dies auch tut. 108 Jedoch ist der Kontrollmechanismus 1996 durch die Verabschiedung des Line Item Veto Act109 zeitweise empfindlich geschwächt worden: Aus der affirmativen wurde eine negierende Resolution, die im Falle eines präsidentiellen Vetos einer Zwei-Drittel-Mehrheit bedürfte. Wie eingangs erläutert ist genauer von einer enhanced rescission power als von einem line-item veto zu sprechen: Der Präsident konnte seit 1997 Gelder streichen und damit legislative Mandate entscheidend beeinflussen, da über die Bestimmung darüber, wohin welches Geld fließt, Politik tatsächlich gestaltet wird. Die Verabschiedung des Gesetzes (P. L. 104-130) geht jedoch nicht auf die in diesem Zusammenhang diskutierte Änderung im Gewaltenteilungsverhältnis zurück. Gleichwohl hätte das Gesetz vor dem Urteil des Obersten Gerichtshofs Auswirkungen auf das Legislativ-Exekutiv-Verhältnis und auch auf das Spannungsverhältnis von formalen und informalen Komponenten der Politik haben können, wenn es nicht richterlich verworfen worden wäre. Die Diskussion um das line-item veto ist im politischen System der USA nicht neu. 110 Schon Präsident Ulysses Grant forderte die Kompetenz, sein Veto nicht mehr nur gegen komplette Bewilligungsgesetze einlegen zu können, sondern auch einzelne Passagen aus diesen Haushaltsgesetzen zu streichen. Erst Präsident Clinton erhielt dieses Recht- und zwar nicht aus Gründen parlamentarischer Selbstpreisgabe. Vielmehr verbanden insbesondere Republikaner, aber auch einige Demokraten mit dem Gesetz die Hoffnung auf Haushaltskonsolidierung. An dieser Stelle kann nicht die Haushaltspolitik der Vereinigten Staaten analysiert werden. Doch um die zeit106 Federal Budget, Accounting, and Financial Management Laws: Summaries of Selected Provisions, CRS-Report 96-626 GOV, S. 55. 107 Heun 1989, S. 76. tos Vgl. Ornstein u.a. 1996, S.194. 109 P. L. 104- 134, vgl. hierzu Virgina A. McMurty, Item Veto and Expanded lmpoundment Proposal, CRS-Issue Brief IB 89148; Louis Fisher, Impoundment Reform Proposal: Rescissions and ltem-Veto Authority, CRS-Report 94-814 S. 110 Einen historischen Abriß über die parlamentarischen Bemühungen, das Haushaltsrecht des Präsidenten zu stärken, liefert Virginia A. McMurtry, Presidential Rescission Authority: Efforts to modify the 1974 Framework, CRS-Report RL30223, sowie ein Werk über parlamentarische Abdankung, vgl. Louis Fisher, Congressional Abdication on War and Spending, Austin 2000.

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Teil 8: Qualitative Untersuchung

weiligen Folgen des line-item vetountersuchen zu können, muß das Gesetz in seinen Entstehungszusammenhang eingebettet werden und die derzeitige verfassungsrechtliche Kontroverse um das zeitweise gültige präsidentielle Recht dargP-steilt werden. Nach der Einführung des selektiven Vetos konnte der Präsident, wenn er die Ausgabe von Geldern verhindern wollte, in bestimmten Fällen die betreffenden Passagen des Gesetzes streichen. Diese Streichung trat in Kraft, wenn der Kongreß nicht in beiden Häusern mit einfacher Mehrheit eine Resolution verabschiedete, die das präsidentielle Ansinnen ablehnte. Gegen diese Resolution konnte der Präsident allerdings wiederum sein verfassungsmäßig gewährleistetes Veto einlegen, das schließlich mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Häusern überstimmt werden konnte. So hätte es passieren können, daß bewilligte Gelder gegen den Willen der (einfachen) Mehrheit (disapproval resolution) im Kongreß vom Präsidenten gestrichen werden. Damit hätte der Präsident das Haushaltsrecht des Kongresses deutlich geschwächt. Der Kongreß hat mit seinem Beschluß für dieses Recht das Gleichgewicht der Gewaltenteilung vor der jüngsten verfassungsrichterlichen Entscheidung ins Wanken gebracht. Die Frage, ob die Legislative sich selbst derart beschneiden kann, mußten letztendlich die Verfassungsrichter entscheiden. Der Supreme Court revidierte diese Form der parlamentarischen Abdankung. Eine haushaltspolitische Selbstzähmung der legislativen Ausgabenkompetenz ließ sich nicht durch ein Abwälzen von politischer Verantwortung erreichen.111 Wie Richterin Ruth Ginsburg feststellte: "Failure of political will does not justify unconstitutional remedies. (...) A nation cannot plunder its own treasury without putting the Constitution and its survival in peril."II2 Mit dem Urteil ist haushaltsrechtlich der Status quo ante wieder hergestellt. Für unseren Zusammenhang ist der Zeitraum zwischen Januar 1997 und Juni 1998 dennoch von Interesse, da er entscheidende Auswirkungen auf den Informalisierungsvorgang hätte haben können- auch wenn diesem heute der Boden entzogen wurde. Was geschah in dem Zeitraum? An dieser Stelle muß zunächst das inzwischen hinfällige Gesetz genauer betrachtet werden. In drei Fällen hatte der Präsident das Recht, bewilligte Gelder zu streichen: "(...) lawmakers devised an ,enhanced rescission' authority that will permit the president to ,cancel' spending in any appropriation act, any new entitlement spending or any ,limited tax benefit' that meets certain criteria." 113

Tabelle 10 zeigt verschiedene Formen des parlamentarischen Umgangs mit den präsidentiellen Streichungsvorhaben. Neben der hier nicht aufgeführten Möglich'" Sattar 1998. u2 Dewar/Biskupic 1998. 113 CQ-WR, 13.Aprill996, S.l007f.

127

I. Formaler Kontrollsektor

keit der einfachen Bestätigung machte der Kongreß durchaus Gebrauch davon, die Streichungsvorhaben der Exekutive mittels Resolution abzulehnen. Hier lief der Kongreß jedoch wissentlich Gefahr, nun vom althergebrachten Veto des Präsidenten überstimmt zu werden. Tabelle 10

Möglichkeiten und Grenzen des line-iiem veto (Auswahl) Gesetzentwurf

Präsidentielle Streichungen

Parlamentarische Antwort

Gesetz

H.R. 2016

Bewilligungsgesetz "Verteidigung"

Res. of Disapproval Modifizierung im Ausschuß

P.L. 105-45

H.R. 2107

Bewilligungsgesetz "Inneres''

Modifizierung im Ausschuß

P.L. 105-83

H.R. 2160

Bewilligungsgesetz ,,Agrar"

Modifizierung im Ausschuß

P.L. 86

Quelle: Bill Summary & Status for the 105th Congress; in: htlp:/{Thomas loc.gov./cgi-bin!bdquery, 22. Mai 1998, (19.22 Uhr).

Zu einem ersten Konflikt zwischen Kongreß und Präsident Clinton kam es im Herbst 1997. Der Streitfall war das Military Construction Appropriation Act for FY 1998. Der Gesetzgeber war vor allem empört darüber, daß Clinton 38 Projekte im Wert von 287 Millionen Dollar aus dem Bewilligungsgesetz P. L. 105-45 herausgestrichen hatte, 114 das auch die Haushaltsmittel für militärische Konstruktionen enthielt.115 Der Kongreß überstimmte kurzerhand die Streichungen durch eine resolution of disapproval (P. L. 105-159). Dagegen legte Clinton nun sein präsidentielles Veto ein, das prompt mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit überstimmt wurde. 116 Abgesehen davon, daß das line-item-veto-Gesetz heute nicht mehr besteht, stellte sich für den Zeitraum seiner Gültigkeit die Frage, wie der Kongreß gegen das Instrument vorging bzw. vorgehen würde, wenn er keine Zwei-Drittel-Mehrheit zustande bringen könnte. Die Notwendigkeit eines Quid pro quo im haushaltspolitischen Gegeneinander zwischen Kongreß und Präsident bestand auch nach 1997 fort, so daß die Legislative nach alternativen Kontrolldirektiven hätte schauen müssen, wäre das Vgl. Conference Report 105-247. P. L. 105-45, Military Construction Appropriation Act f or FY 1998, vgl. Andrew Taylor, CourtAppears ReadytoSend Line-ltem Veto Power to the Chopping Block; in: CQ- Weely Edition, 2. Mai 1998, S. 1143. I16 Vgl. ebd. 114 115

128

Teil B: Qualitative Untersuchung

Gesetz nicht für nichtig erklärt worden. Die Alternativen wären im Bereich der informalen Politik zu verorten gewesen. Diese Option lag dem Kongreß nahe, da die Legislativen derjenigen Einzelstaaten, die ihre Exekutiven mit dem selektiven Veto ausgestattet hatten, im informalen Bereich Alternativen gefunden hatten. Es ist im übrigen nur vordergründig ein Widerspruch, daß eine Legislative die Exekutive mit dem selektiven Veto ausstattet, um dann nach Möglichkeiten zu suchen, das neue exekutive Recht zu unterlaufen. Hier ist es das von Staatsräson getragene, langfristige politische Ziel der Haushaltskonsolidierung, dort ist es das Ziel durch Wahlkreisgeschenke (pork) die eigene Wiederwahl zu sichern. So prophezeite Louis Fisher schon vor Anwendung des Gesetzes durch Präsident Clinton: "The game is starting all over again." 117 Hätten Legislative und Verwaltung diesen Weg dauerhaft beschreiten können, so hätten sich die Legislativ-Exekutiv-Beziehungen weiter verändert. Mit dieser Handhabung wäre nämlich an einer Spirale gedreht worden, die eine weitere Informalisierung der Politik zur Folge gehabt hätte: Während das Abwandern der legislativen Vetos aus den Gesetzestexten in die Ausschußberichte eine erste Stufe der Informalisierung darstellte, hätte sich die parlamentarische Opposition gegen einzelne selektive Vetos des Kongresses Kommunikationskanäle zur Verwaltung gesucht, die auf der Skala der Formalität weiter im informalen Kontrollsektor anzusiedeln wären. Dies wird in Kapitel B. II. 6. gezeigt. 5. Policy-Vorgaben und Ausschußvetos bei Bewilligungsgesetzen Auch der Bestimmtheilsgrad der jährlichen Bewilligungsgesetze wurde seit dem Urteil vom Kongreß derart variiert, daß de factoder Exekutive Policy-Vorgaben gemacht werden. Eine Erhöhung jenes Grades verringert den Entscheidungsspielraum von Regierung und Verwaltung und vermag die Exekutive zu steuern. Zudem zeigt sich, daß legislative Vorgaben in Bewilligungsgesetzen vom Kongreß in einer Weise mitlaufend kontrolliert werden, die nach dem Chadha-Vrteil für verfassungswidrig befunden werden muß: Der Kongreß bedient sich nämlich weiterhin des Instrumentes der Ausschußvetos. Die 13 Bewilligungsgesetze sind jeweils vielfach untergliedert- jeder Absatz steht für eigene Haushaltsstellen (accounts). Die innerhalb einer Haushaltsstelle ausgewiesenen Gelder werden nicht nur positiv, sondern auch negativ zweckgebunden. Das bedeutet, daß Exekutiv- bzw. unabhängigen Behörden untersagt wird, die bewilligten Mittel für einen bestimmten Zweck zu benutzen. Da ein solcher Zweck meist über Regulierungen implementiert wird, heißt dies im Umkehrschluß, daß eine entsprechende Regulierung durch den Kongreß vorab verhindert wird. So zeigt zum Beispiel das Bewilligungsteilgesetz für das Justizministerium des Haushaltsjahres 1988, wie einzelne Verwaltungsträger in ihrem Handeln beschränkt 117

Louis Fisher. Interview vorn August 1996 in Washington D. C.

I. Formaler Kontrollsektor

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werden. Die Legal Services Corporation, eine Exekutivbehörde des Ministeriums, wird hierin angewiesen, ihre Gelder nicht für die Implementierung einer ausgewiesenen Bestimmung einer Regulierung einzusetzen: ,,Provided further, that none of the funds appropriated by this Act or prior Acts may be used by an officer, board member, employee or consultant of the Corporation to implement or enforce provisions in the regulation regarding legislative and administrative advocacy and training (Part 1612, 52 FR 28434 [July 29, 1987]) which impose restrictions on private funds received by a recipient for the provision of legal assistance except to the extent that such restrictions are explicitly authorized by sections 1007 (a)(5), (b) (6), (b)(7), and 1010 (c) ofthe LSC Act ( ... )." 118

Diese Gesetzespassage verdeutlicht, wie detailliert Bewilligungsgesetze heute teilweise formuliert werden. Außerdem ist der Zusammenhang zwischen Bewilligung und policy making erkennbar. Da dem Kongreß in diesem Fall ein Aspekt einer im gleichen Jahr verordneten Regulierung mißfiel, der Legislative aber im Verwaltungsverfahren die Hände gebunden waren, beschloß sie, der Exekutivbehörde die Verwendung von Mitteln für diesen Zweck zu untersagen. Damit konnte diese Regulierungsbestimmung nicht umgesetzt werden. Die Sanktionskraft ist diesbezüglich einem legislativen Veto gleich. Jedoch ist der Zeitpunkt des Eingreifens versetzt: Die nicht weiterbewilligte Regulierung war schon in Kraft. In diesem Fall war die Verordnung zwar gerade erst erlassen worden; generell kann eine Regulierung jedoch bereits bis zu zehn Monate bestehen. Dieses Mittel mitlaufender parlamentarischer Kontrolle, das freilich schon vor Chadha eingesetzt wurde, kann eine unterschiedliche Reichweite haben. Im obigen Fall von 1987 beschränkt es sich auf eine einzelne Regulierungsbestimmung. Policy-Vorgaben können jedoch auch so weit gehen, daß auf ganze Regulierungsbereiche eines Verwaltungsträgers Moratorien verhängt werden, d. h., daß für einen befristeten Zeitraum keinerlei neue Regulierungen erlassen werden können. Dies geschah etwa im Herbst 1983, gleich im Anschluß an das Chadha-Vrteil. Das Innenministerium stand zu dieser Zeit wegen seiner Verpachtungspolitik in der Kritik. 119 Auf Drängen der Kohle-Industrie verpachtete die Exekutive kohlehaltiges Bundesland in Montana und Nord-Dakota in großem Ausmaß. Innenminister James G. Watt wollte damit die selbstversorgende Energiegewinnung der Vereinigten Staaten stärken und die Abhängigkeit vom Ausland hinsichtlich der Energieressourcen reduzieren. Die gesetzliche Ermächtigung dafür ist das Federal Land Policy Act (FLPA) von 1976, das diese Kompetenz an die Exekutive delegiert hatte. Der Kongreß kritisierte v. a. die unökonomische Vorgehensweise Watts. Durch die drastische Angebotssteigerung an zur Verfügung stehendem Bundesland erhalte die Bundesregierung keinen gerechten Marktwert. Nach einer GAO-Studie kostete die Politik des Innenministeriums den Fiskus bis dahin 100 Millionen Dollar. Der poliP.L. 100- 202 Vgl. im folgenden Kaiser 1984, S. 256; CQ - Weekly Report,18.Juni 1983, S. 1203, 17. September, S.1948; CQ Almanac 1983, S.327-331; CQ Almanac 1984, S. 342ff. 118 119

9 Sanar

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Teil B: Qualitative Untersuchung

tische Streit zwischen Legislative und Exekutive wurde dadurch verkompliziert, daß die Umweltgruppen National Wildlife Federation und Wilderness Society aus ökologischen Gründen gegen das Vorhaben des Innenministers klagten. Der Bewilligungsunterausschuß für Inneres im Abgeordnetenhaus setzte kurzerhand ein Leasing-Moratorium in den Bewilligungsgesetzentwurffür das Haushaltsjahr 1984 (HR 3363). Diese Bestimmung sollte die Politik des Innenministers für sechs Monate aussetzen, bis eine Kommission das Kohleprogramm untersucht habe. Der Entwurf fand seine Bestätigung im Senat. 120 Der Innenminister, der das Gesetz zunächst ignorierte, hielt diese Gangart des Kongresses im Hinblick auf Chadha für verfassungswidrig. Seine gerichtliche Beschwerde wurde jedoch vom U. S. Distrief Court abgelehnt. Watt, der diesen institutionellen Konflikt also verlor, mußte am Ende gar zurücktreten, nachdem er sich abfallig über die Besetzung der Kommission geäußert hatte. 121 Sein designierter Nachfolger, William P. Clark, mußte die Vorgaben des Kongresses akzeptieren, wollte er seine Bestätigung durch den Senat nicht geflihrden.l22 Im Extremfall kann die Nichtbewilligung nicht nur laufende Programme, sondern auch Exekutivbehörden selbst betreffen. So drohte das Abgeordnetenhaus 1986, dem für verwaltungsinterne Regulierungskontrolle zuständigen Office of Information and Regulatory Affairs (OIRA) im OMB die Gelder zu streichen, da v. a. Demokraten in diesem Amt eine Art Superrevisionsinstanz zur Verhinderung notwendiger sozialer Regulierung sahen.123Das eigentliche Bewilligungsgesetz stellte dann aber einen Kamprarniß mit dem Senat dar. 124 Die Sanktion bestand immerhin in der Vorgabe, die verwaltungsinterne Kontrollfunktion des OIRA auf das Überprüfen der Übereinstimmung exekutiver Regulierungen hinsichtlich ihres Kosten-Nutzen-Verhältnisses zu reduzieren. Das Beispiel zeigt, daß die Sanktionen des Kongresses wirksam sind. Die primäre Funktion des legislativen Vetos, nämlich die Aufhebung von Regulierungen, wird durch die Nicht-Weiterbewilligungalso funktional ersetzt. Jedoch ist die zeitliche Zugriffsmöglichkeit eingeschränkt. Streng genommen kann hier nicht von mitlaufender Kontrolle gesprochen werden. Die Sanktionsform ist eine nachträgliche, auch wenn die Dauer der Wirksamkeit einer Regulierung denkbar gering ist. Jedoch dienen Bewilligungsgesetze auch als mitlaufende KontrollmitteL Die sekundäre Funktion des legislativen Vetos, die Beeinflussung des Verwaltungsverfahrens durch Androhung einer Sanktion, findet ebenso eine Ersatzform. Die hierfür eingeführte Formulierung heißt prior notification bzw. report-and-wait. Der Vgl. P. L. 98-63. Seine Untersuchungskommission zur Leasingpolitik, so spottete Innenminister Watt, erfülle zumindest das Kriterium gesellschaftlicher Vielfalt: "I have a black, I have a woman, two Jews and a cripple. And we have talent" , CQ Almanac 1983, S.467. 122 V gl. Kapitel B. I. 7. 123 Vgl. im folgenden CQ Almanac 1986, S.22. 124 P. L. 99- 591. 120

121

I. Formaler Kontrollsektor

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Kongreß bzw. ein entsprechender Ausschuß verlangt hierbei von einem Verwaltungsträger, über eine zu erlassende Regulierung konsultiert zu werden. Insgesamt läßt sich aus der Ankündigungspflicht der Exekutive und dem Bewilligungsrecht der Legislative ein funktionales Äquivalent zum Veto des Kongresses ableiten. Eine typische Formulierung einer Ankündigungspflicht findet sich zum Beispiel im Bewilligungsgesetz für das Wirtschaftsministerium aus dem Jahr 1987: ,,Providedfurther, that none of the funds appropriated in this paragraph or in this title for the Department of Commerce shall be available to reimburse the fund established by 15. U. S. C. 1421 on account of the perfonnance of a program, project, or activity, nor shall such fund be available for the perfonnance of a program, project, or activity, which bad not been perfonned, as a central service pursuant to 15 U.S.C. 1521 before July 1, 1982, unless the Appropriations Committees of both Houses of Congress are notified fifteen days in advance of such action in accordance with the Committees' reprogramming procedures."125

In dieser Bestimmung des Bewilligungsgesetzes geht es um die öffentliche Förderung privater Unternehmen, die von Mitgliedern gesellschaftlicher Minderheitsgruppen geführt werden. Der Kongreß verlangt hier, vorab über die Implementierung der einzelnen Programme informiert zu werden. Die Ankündigungspflicht des Wirtschaftsministeriums soll das gleiche Verfahren durchlaufen, das beim reprogramming126 seitens des Wirtschaftsausschusses verlangt wird. Die vorgegebene Frist von 15 Tagen ist hierbei vergleichsweise kurz. Solche Ankündigungspflichten haben wie die Berichtspflichten seit dem C hadhaUrteil immens zugenommen- und zwar in einem Ausmaß, das die Legislative selbst überfordert, alle Aktenbestände zu bearbeiten. 127 Während Berichtspflichten inzwischen reduziert wurden, bleiben Ankündigungspflichten ein zentrales Kontrollinstrument.128 Wie die legislativen Mitwirkungsvorbehalte aus parlamentsrechtlicher Sicht in die Bewilligungsgesetze gelangen, die gemäß Geschäftsordnung der Kammern nur sachbezogene, d. h. in diesem Zusammenhang ausschließlich finanzpolitische Sprache enthalten dürfen, wird bei der Untersuchung des informalen Kontrollsektors respektive der Geschäftsordnungen geklärt. Unabhängige Regulierungsbehörden interpretieren das Schlüsselwort noti.fication im Sinne des Kongresses - nämlich als Recht des Parlaments, das regulative Handeln zu bewilligen. Der Anreiz der Verwaltungsträger, sich dem Primat der LeP. L. 100- 202. Reprogramming ist das Umleiten bewilligter Gelder innerhalb einer Haushaltsstelle; werden sie zwischen verschiedenen Etatposten umgeleitet, wird von Transfers gesprochen, vgl. CRS-Report 91-902 GOV, S.207ff. 127 So enthält etwa der Anti-Drug Abuse Act of 1988 alleine 29 unterschiedliche Berichtspflichten, vgl. Suzanne Cavanagh/William F. Woldman, The Anti-Drug Abuse Act of 1988 (P. L. 100-690): Reports and other Executive Branch Actions Required, CRS-Report 89- 406 GOV. 128 Vgl. Ellen C. Collier, Reporting Requirements; in: Congressional Reorganization 1992, a. a. 0., S. 116. 125

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9*

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Teil B: Qualitative Untersuchung

gislative zu beugen, ergibt sich aus der Abhängigkeit vom Kongreß bei der Reautorisierung und finanziellen Weiterbewilligung ihrer Behörden und Programme. "By ignoring committee objections, the executive branch would most likely lose transfer authority the next year." 129 Dies sowie eine andere Option, nämlich durch präziser formulierte Gesetze weniger Entscheidungsspielraum zu besitzen, empfindet die Verwaltung als nachteilig. Neben der Kontrollmöglichkeit der direkten Policy-Vorgaben in Bewilligungsgesetzen bzw. durch indirekte Ankündigungspflichten besteht die alte Form des legislativen Ausschußvetos zudem fort - zumeist ohne daß die Verwaltung es in Frage stellt. Louis Fisher hat in einer mehrfach aktualisierten Studie gezeigt, daß bis Ende 1998 rund 400 neue legislative Vetos in Gesetze plaziert wurden und die Präsidenten diese Rechtsnormen signiert haben.I3o Die fortexistierenden legislativen Vetos haben vor allem die Form von Ausschußvetos in Bewilligungsgesetzen. Von 34 solchen Gesetzen, die bis zum April 1987 verabschiedet wurden und insgesamt 102 legislative Veto-Bestimmungen enthielten, waren alleine 23 Bewilligungsgesetze mit 87 Veto-Vorbehalten. Das Ausschußveto hat hierbei v. a. die Form des affirmativen Beschlusses, seltener die negierende Form. Diese Handhabung unterlag keinem konspirativen Plan des Kongresses, das Urteil des Obersten Gerichtshofes zu unterlaufen, vielmehr ergab es sich aus der Praxis. Zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung enthielten mehrere Bewilligungsgesetzentwürfe schon die üblichen Veto-Vorbehalte. Als sie nach der Sommerpause 1983 dann die Plena beider Kammern erreichten, wurden sie nicht aus den Entwürfen gestrichen. Die Gründe dafür sind ambivalent: Zum einen war sich der Kongreß noch über die Reichweite des. Urteils im unklaren, zum anderen wurde später auch diskutiert, ob die Parlamentarier gar nicht bemerkten, daß sie verfassungswidrige Bestimmungen in ihre Gesetze schrieben. 131 Da in vielen Fällen der Protest der Exekutive, d. h. der einzelnen Verwaltungsträger, ausblieb, setzte der Kongreß diese Gangart fort. Die Schlüsselworte in den Bewilligungsgesetzen heißen prior oder advance approval. Verwaltungsträger akzeptieren generell die verfassungswidrigen Bestimmungen aus dem gleichen Interesse, aus dem sie auch der Ankündigungspflicht nachkommen. Die Alternative hieße zumeist Verringerung des Entscheidungsspielraumes oder gar die Redelegation ihrer Kompetenzen an die Legislative. Die seit dem Chadha-Vrteil amtierenden Präsidenten gingen ebenso einen pragmatischen Weg. Bei Unterzeichnung jener Gesetze, die ein verfassungswidriges Veto beinhalFisher 1993, S. 290. P. L.l04-66 hob einen Großteil der Berichtspflichten auf. Vgl. Louis Fisher, Legislative Vetoes Enacted After Chadha, CRS-Report 87-389 GOV; sowie ders. 1993, S.288 sowie Interview vom Juni 1999. 131 V gl. Kaiser 1984, S. 243. Unbelegt ist hingegen die Annahme, der Kongreß halte Ausschußvetos in Bewilligungsgesetzen für verfassungskonform, da Bewilligungen kein permanentes Recht darstellten, sondern stets auf ein Jahr befristet sind, vgl. Korn 1996, S.40. 129

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I. Formaler Kontrollsektor

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teten, äußerten sie, die entsprechenden Bestimmungen seien für sie rechtlich nicht bindend. Den ihnen nachgeordneten Verwaltungsträgem überlassen sie jedoch mit dieser Verfahrensweise, ob sie sich an die legislativen Bestimmungen halten wollen. So enthält etwa der Treasury-Postal Service and General Government Appropriations Act132 für das Haushaltsjahr 1993 eine Vielzahl von Ausschußvetos. Präsident Bush äußerte bei der Signierung des Bewilligungsgesetzes seine Vorbehalte: ,,A number of provisions in the Act condition the President's authority, and the authority of affected executive branch officials, to use funds otheiWise appropriated by this Act on the approval of various congressional committees. These provisions constitute legislative vetoes similar to those declared unconstitutional by the Supreme Court in INS v. Chadha. Accordingly, I will treat them as having no legal force or effect in this or any other legislation in which they appear." 133

Schon Präsident Reagan hat im Gefolge des Urteils Gesetze derartig kommentiert. Die obige Formulierung ist seit Bush zum Standard für solche Gesetze geworden, die ein Ausschußveto beinhalten. Wenn demnach Präsidenten für sich und ihr Executive Office das legislative Veto für unverbindlich halten, so läßt dies keine Schlußfolgerung für das Verhalten unabhängiger Regulierungsbehörden zu. In vielen Fällen wehren sich Verwaltungsträger nicht, mit der Legislative zu kooperieren: "Agencies cannot risk these types of collisions with the committees that authorize their prograrns and provide funds." 134 Jedoch werden die Ausschußvetos nicht immer akzeptiert. Der dargestellte Konflikt um die Verpachtungspolitik zwischen Innenminister Watt und dem Kongreß ist hierfür ein Beispiel. Das zugrundeliegende Bewilligungsgesetz enthielt eine Bestimmung, die die Umleitung von Geldem des Innenressorts von einem Zustimmungsvotum der beiden Bewilligungsausschüsse abhängig machte. Watt hielt diese Vorgehensweise vor dem Hintergrund des Chadha-Urteils für verfassungswidrig. Zwar unterlag Watt, wie zuvor gezeigt, in der rechtlichen Auseinandersetzung, jedoch bezog sich das Urteil des Bundesgerichts lediglich auf das Moratorium. Über die Rechtmäßigkeit des Ausschußvetos sagten die Richter nichts. Weitreichendere Konsequenzen hatte hingegen ein anderer Fall: Präsident Reagan wollte im Gefolge des Chadha-Urteils wohl ein Exempel statuieren, wie die Exekutive zu verfahren habe, wenn die Legislative nicht im Sinne des Urteils handle. Das Department of Housing and Urban Developement- Independent Agencies Appropriations Act für das Haushaltsjahr 1985 enthielt eine große Zahl von Ausschußvetos. Präsident Reagan kündigte der Öffentlichkeit an, daß weder er noch seine Administration diese legislativen Vetos beachten werde: Vgl. P.L. 102-393. George Bush, Statement on Signing the Treasury, Postal Service, and General Govemment Appropriations Act; in: Weekly Compilation of Presidential Documents, 28 (1992), s. 1874. 134 Fisher 1993, S. 288. 132 133

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Teil 8: Qualitative Untersuchung

"I do believe ( ... ) that the time has come, with more than a year having passed since the Supreme Court's decision in Chadha, to make clear that legislation containing legislative veto devices that comes to me or my approval or disapproval will be implemented in a manner consistent with the Chadha decision. I strongly urge Congress to discontinue the inclusion of such devices in legislation, because doing so serves no constructive purpose after Chadha beyond introducing confusion and ambiguity into the process by which the executive's Obligations are discharged." 135

Mit dieser Formulierung machte Reagan, anders als Bush später, deutlich, daß er auch seiner Administration eine Entsprechung legislativer Forderungen nicht gestatte. Der Kongreß konnte auf gängige Kooperationsformen mit der Exekutive nicht länger zurückgreifen - zumindest nicht auf formalem Wege: "The effect of Chadha was to drive some of the committee vetoes underground, where they only operate on the basis of informal and nonstatutory understandings." 136 Diese Politik wurde auch unter der Präsidentschaft des Demokraten Bill Clinton fortgesetzt. Damit wird schon deutlich, daß es sich bei dem Konflikt zwischen Legislative und Exekutive beziehungsweise zwischen Kongreß und Administration nicht um einen Stellvertreterkonflikt parteipolitischer Natur handelt. Clinton betonte in seiner Äußerung bei der Ausfertigung des Omnibus Consolidated Rescissions and Appropriation Act of 1996 am 26. April 1996, daß er einen gewissen Aspekt eines Bewilligungsgesetzes aufhebe, womit er schon deutlichere Worte fand als seine Amtsvorgänger, die noch von Ignorierung sprachen: "In addition, I note that section 119 (a) of the Department of the Interior and Related Agencies Appropriation Act, 1996, contains a legislative veto, which would be unconstitutional under Ins [sie] v. Chadha (462 U. S. 919) (1983). However, because I arn suspending section 119 (a) pursuant to section 119 (b), the constitutional problern will be avoided." 137

Das Urteil des Obersten Gerichtshofes hat eine partielle lnformalisierung des Legislativ-Exekutiv-Verhältnisses bewirkt. Denn in bestimmten, hier illustrierten Fällen müssen Kongreß und Verwaltung auf die eingespielte Praxis verzichten, bei der parallel zur formalen Kontrolle ebenso informale Kooperationsstrukturen benutzt werden konnten. In noch darzustellenden Fällen zeigt sich, daß informale bislang formale Strukturen nunmehr ersetzen und nicht mehr nur ergänzen. Dieser Sachverhalt entspricht der hier zugrunde gelegten Definition von Informalisierung. Dies wird die Analyse des informalen Sektors zeigen.t3s

135 Ronald Reagan, Statement on Signing the Department of Housing and Urban Development - Independent Agencies Appropriations Act; in: Public Papers of the Presidents, 1984 (II), S. 1056. 136 Fisher 1993, S. 288. 137 Statement of the President: [email protected] (14. September 1997, 13.02 Uhr). 138 Vgl. Kapitel 8.11.

I. Formaler Kontrollsektor

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6. Terminierte Rechtsnormen und Autorisierungsgrenzen Bewilligungsgesetze dienen also dem Kongreß in dreifacher Weise zur parlamentarischen Kontrolle: Zum einen existieren die legislativen Vetos in alter Form fort. Zum anderen existieren zwei Ersatzmechanismen: Die Kontrolle findet erstens- quasi nachträglich- über Policy-Vorgaben in den jährlichen Weiterbewilligungen statt und zweitens -mitlaufend- über Ankündigungspflichten. Die Ersetzung des legislativen Vetos durchläuft also zwei Kontrollintervalle: die nachgängige und die begleitende Phase. Im Zusammenhang mit Autorisierungsgesetzen fand eine Ersetzung des legislativen Vetos vordergründig lediglich im ersten Intervall statt. Die Terminierung, d. h. das Auslaufen von Gesetzen, sowie die befristete Autorisierung ermöglichen es dem Parlament, den Gesetzesvollzug nachträglich zu korrigieren. Da die Exekutive jedoch einen Impetus besitzt, die Reterminierung bzw. Reautorisierung ihrer Handlungsmandate sicherzustellen, ist Responsivität der Exekutive gegenüber der Legislative während des Gesetzesvollzugs gewährleistet. Insofern wirkt diese Kontrollform indirekt auch in das mitlaufende Kontrollintervall hinein. Die Terminierung von Rechtsnormen (sunsetting legislation) ist nicht erst im Zusammenhang mit dem Chadha-Urteil diskutiert worden. Schon in der Phase der congressional resurgence wurde die Einführung von sunset-Gesetzen erwogen. 139 In ihrem Bemühen, parlamentarische Kontrolle zu stärken, griffen die Kongreßmitglieder-wie so oft - auf Erfahrungen in den Einzelstaaten zurück. 1976 führte der Bundesstaat Colorado die Terminierung seiner Behörden und ihrer Programme ein. Das Auslaufen der rechtlichen Grundlage von Behörden und Programmen zwang die Parlamentarier zur nachträglichen Überprüfung der Effektivität. Das Ergebnis einer solchen Überprüfung konnte Modifizierungen in der Behördenorganisation bzw. die Streichung einzelner Regulierungen oder gar die Abschaffung der gesamten Behörde beinhalten. Seither sind 36 andere Staaten Colorado auf diesem Weg gefolgt. Der Kongreß versuchte schon mehrmals vor 1983, ähnliche Verfahren auf Bundesebene einzuführen. Am bekanntesten ist das sogenannte Sunset Act of1979. Sein Verfasser, Senator Edmund S. Muskie (D-Maine), wollte damit alle Bundesprogramme auf eine Laufzeit von zehn Jahren beschränken und den Kongreß bzw. seine Ausschüsse verpflichten, Behörden und ihre Programme zu überprüfen und zu evaluieren. Bleibt der Kongreß nach Ablauf der Terminierungsperiode untätig, d. h. unterläßt er eine Reterminierung, so muß eine Behörde auf das bestimmte Programm verzichten. Der Gesetzentwurf wurde nicht verabschiedet und auch im Gefolge des 139 Vgl. im folgenden Frank/in M. Zweig, Education for Sunset Activities in Congress; in: ders./Keith E. Marvin (Hg.), Educating Policymakers for Evaluation, Beverly Hills/London 1981, S. 37-56; Ronald Lee Hicks, Sunset Legislation; in: Franklin M. Zweig (Hg.), Evaluation in Legislation, Beverly Hills/London 1979, S.17-27; The State Reorganization Commission, State of South Carolina (Hg.), Ten Years Of Sunset. A Survey of States' Experiences, o. 0. 1986.

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Teil B: Qualitative Untersuchung

Chadha-Urteils entschied sich der Kongreß gegen diese Form parlamentarischer Kontrolle. 140 Was waren die Gründe?

Insbesondere Demokratische Kongreßmitglieder zeigten sich gegenüber der Terminierung legislativer Delegationen skeptisch. Sie befürchteten, daß sich sunset review nicht nur als ein "effective oversight tool" sondern auch als "new political foothall" erweise. 141 Schon in den Einzelstaaten hatte sich gezeigt, daß die Terminierung von Gesetzen nicht ausschließlich dem Ziel der Kontrolle einer ausufernden Bürokratie diente, sondern auch politisch motiviert war. So sei sunset z. T. begründet in "increasing interest at the state and federallevel in ,de-regulation' of businesses and professions by government." 142 Terminierung werde also nicht nur dazu benutzt, schlecht funktionierende Behörden abzuschaffen und regulatives Handeln mit der gesetzlichen Absicht in Übereinstimmung zu bringen. Die Kontrollform kann auch instrumentalisiert werden, um ökonomische und soziale Regulierung per se auf ein Minimum zu reduzieren. Hier kommt die bereits erläuterte Konfliktlinie zwischen Regulierung und Deregulierung zum Tragen. Mit Einführung dieser Kontrollform lieferten Regulierungsbefürworter, so fürchteten insbesondere Demokraten, ihren ideologischen Gegenspielern ein immenses MachtmitteL Die eigentliche Gefahr dieses Mittels wird im Zusammenhang mit den Geschäftsordnungsregeln des Senats deutlich. Die Pro-Regulierungskoalition bedarf potentiell einer qualifizierten Mehrheit, um die Laufzeit von Behörden und ihrer Programme zu verlängern. Dies ist dann der Fall, wenn eine Minderheit im Kongreß die Regeln der Geschäftsordnungen dazu mißbraucht, die Reterminierung ausgelaufener Programme nicht aus Gründen der Effizienz, sondern aus parteipolitischen Erwägungen heraus zu verhindern. Dies kann im Senat geschehen, wenn eine qualifizierte Mehrheit von 60 Stimmen verfehlt wird, um das filibustering eines Senators zu beenden. 143 So suchte der Kongreß nach Wegen "to protect [Behörden und ihre Programme, M. S.] against termination by inaction. (...) And so new proposals would ensure that there was a vehicle for reauthorization [gemeint ist: retermination, M. S.], and there would be extensive anti-filibustering provisions to ensure or to come as close as it is possible to garanteeing that ( ...) there would be no filibustering and a vote would occur." 144 Ein breitangelegtes Konzept der Terminierung von Gesetzen erreichte nie das Plenum des Abgeordnetenhauses. 145 140 So scheiterte der Abgeordnete Levitas mit seinem Omnibus Delegated Powers Sunset Act of 1984. Dieser Entwurf sah vor, wegen des Chadha-Urteils alle an die Exekutive delegierten Kompetenzen auslaufen zu lassen. Nur solche Kompetenzen sollten weiterhin der Exekutive überlassen werden, die auch ohne die Kontrollform des legislativen Vetos ursprünglich delegiert worden waren, vgl. CR, 129 (1983), 34789 sowie H. R. 4535. 141 Podiumsdiskussion "Sunset Review- Effective Oversight Tool or New Political Football", moderiert von William T. Lifland; in: Administrative Law Review, 32 (1980): 2, 5.209-226. 142 Ten Years of Sunset 1986, S. 3. 143 Vgl. Kapitel B.l. 1. 144 Sunset Review 1980, S. 214. 14 5 CQ Almanac 1980, S.530f.

I. Formaler Kontrollsektor

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Zwar wurden nach 1983 vereinzelt sunset-Gesetze verabschiedet, 146 jedoch kann hier der Seltenheit wegen nicht von einer ersatzweisen Kontrollform, wie etwa in den Einzelstaaten, gesprochen werden. Zudem dient sunsetting nicht alleine dem Ziel parlamentarischer Kontrolle. Gesetzesterminierungen werden auch im Zusammenhang mit den Bemühungen um einen ausgeglichenen Haushalt diskutiert. Hierbei erhofft sich der Kongreß, daß sunset-Klauseln in entitlement-Programmen zu einem Auslaufen untauglicher wohlfahrtsstaatlicher Maßnahmen führen werden. 147 Auch dieses Vorhaben ist bis heute reine Theorie geblieben. Bei der Suche nach Alternativen zur Gesetzesterminierung konnte der Kongreß auf eine bestehende, jedoch ungenutzte Möglichkeit zurückgreifen: die Befristung von Autorisierungsperioden. Dieses Mittel unterscheidet sich von der Terminierung laufender Programme dadurch, daß nicht-reautorisierte Programme nicht notwendigerweise gleich auslaufen - solange die Bewilligungsausschüsse weiterhin Gelder freigeben. 148 Daher wurde die Befristung von Autorisierungszeiträumen bewußt als Ersatz für das legislative Veto eingesetzt. Die meisten Bundesprogramme hatten vor den Kongreßreformen der 70er Jahre und dem Chadha-Urteil eine unbegrenzte Autorisierungszeit. Heute sind viele von ihnen, insbesondere in sensiblen Politikfeldern, auf ein Jahr begrenzt. Daß ein Zusammenhang zwischen der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes und der Verringerung der Autorisierungsdauer besteht, beweist das Vorgehen des Kongresses im Falle der CPSC im Herbst 1983. Der CPSC-Fall wurde in der vorliegenden Arbeit schon im Zusammenhang mit der Umwandlung bestehender legislativer Vetos in eine gesetzliche Form angesprochen. 149 Wegen des Zeitpunktes seiner Reautorisierung galt CPSC als Test- und Präzedenzfall für die weitere Handhabung parlamentarischer Kontrolle. Neben der Umwandlung des Ein-Kammer-Vetos in eine joint resolution entschied sich der Kongreß für die Reduzierung der bestehenden Autorisierungsdauer. Die Verbraucherschutzbehörde war bis dahin stets für fünf Jahre autorisiert; das 1983 verabschiedete Reautorisierungsgesetz begrenzte die Dauer auf drei Jahre.1so Der CPSC-Fall macht deutlich, daß der Kongreß nicht eine einzelne Ersatzform für das legislative Veto entwickelte und fortan benutzte, sondern eine ganze Vielzahl, die auch durchaus kombiniert eingesetzt werden. Welche Kontrollformen zum 146 V gl. Small Business Innovation Development Act, P. L. 97-219 oder in jüngster Zeit /CC Termination Act of 1995, P. L. I 04-88 sowie School-To-Work Opportunities Act of 1994, P. L. 103- 239. 147 Organization of Congress. Final Report 1993, S. 119 f. 148 Zwar verlangt die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses die der Bewilligung vorangehende Verabschiedung eines Autorisierungsgesetzes, jedoch kann diese Regel im Einzelfallper Geschäftsordnungsantrag aufgehoben werden, vgl. Schick, CRS-Report 84-106 GOV, S.38f. Vgl. auchFisher 1979, S.63. 149 V gl. Kapitel B .I. I. 1so Vgl. Kaiser 1984, S.240f.

138

Teil B: Qualitative Untersuchung

Zuge kommen, wird durch unterschiedliche Faktoren bedingt: die Sensibilität des Politikfeldes, das kooperative Verhältnis zwischen Ausschuß und Behörde, aber auch die Arbeitsbelastung des betreffenden Ausschusses. Das Mittel der Begrenzung legislativer Autorisierungsperioden wurde seitens des Kongresses intensiv genutzt. Dies wird in der Umweltpolitik besonders deutlich. Von 15 Gesetzen, die der Kongreß in diesem Politikfeld verabschiedet hat, ist nur noch ein einziges unbefristet autorisiert: Das Gesetz verpflichtet die EPA, Kommunen über die von ihr geplanten Projekte zu informieren. 151 Alle anderen Gesetze laufen zu unterschiedlichen Zeitpunkten aus bzw. sind bereits ausgelaufen und verdanken ihr Überleben den jährlichen Bewilligungsgesetzen. Der Kongreß verpflichtet sich bei der Reduzierung von Autorisierungsgrenzen wie bei der Terminierung von Gesetzen zur vermehrten Evaluation exekutiven Handelns. Wegen der steigenden Arbeitsbelastung wird dabei in zunehmendem Maße auf die Tätigkeit des GAO zurückgegriffen. Dem GAO kommt in der Praxis- entgegen Steffanis Phasenmodell- neben der Informationsverarbeitung auch die Aufgabe einer Informationsbewertung zu. Der Kongreßausschuß greift erst bei der Entscheidung wieder ins Geschehen ein. 152 Es kommt hier aufgrund der begrenzten Ressourcen im Kongreß zu einer Form der Arbeitsteilung, die das GAO in eine höchst verantwortliche Position versetzt. Über die Reduzierung der Autorisierungsdauer stellt der Kongreß sicher, daß die legislative Absicht durch die Exekutive eingehalten wird. Da bereits gezeigt wurde, daß der Terminus "legislative Absicht" politisch ständig neu definiert wird, bedeutet dies, daß die Verkürzung der Autorisierung neuen Mehrheiten im Kongreß dient, ihre Interpretation der legislativen Absicht konkretisieren zu können. Von der Zusammensetzung des Kongresses hängt eine eventuelle Neudefinition der gesetzlichen Absicht ab. Das GAO, das den Auftrag hat, laufende Programme zu überprüfen, ist also verpflichtet, sich ständig über die aktuelle gesetzliche Absicht zu informieren: ,,Since congressional intent is not a constant factor, but rather political, vague legislation leaves room for changing intentions. So we have to get feed back of Congress about the current congressional intent." 153 Die Bedeutungssteigerung des GAO geht, wie gezeigt wurde, v. a. auf die Reduzierung der Autorisierungsperioden laufender Bundesprogramme zurück. Das Chadha-Vrteil hat keine andere Institution, einschließlich des Kongresses selbst, derart umfassend beeintlußt wie den amerikanischen Rechnungshof.

151 Vgl. im folgenden lohn Blodgett, Environmental Reauthorizations and Regulatory Reform: Recent Developments, CRS-Report 95-3 ENR, S. 2 152 Vgl. Program Evaluation. Improving the Flow of Information to the Congress, GAO/ PEMD-95-1; Program Evaluation lssues, GAO/OCG-93-6TR; sowie GAO Comptroller General, Annual Report 1995. 153 Peter Aleferies. Interview vom August 1996 in Washington D.C.

I. Formaler Kontrollsektor

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7. Policy-Vorgaben durch Personalbestätigung Der Senat hat seit 1983 mehrfach sein Bestätigungsrecht für politisches Personal dazu benutzt, Einfluß auf die Policy-Implementierung der Exekutive zu nehmen. Diese Form kann im Einzelfall sogar eine mitlaufende Kontrolle über den Gesetzesvollzug darstellen. In der schon erwähnten Auseinandersetzung zwischen Legislative und Exekutive um die Landverpachtungspolitik des Innenministeriums im Jahr 1983 wird dies deutlich. Der institutionelle Konflikt zwischen beiden Regierungsgewalten avancierte durch die Äußerung des damaligen Innenministers Watt zum politischen Skandal. Sein Rücktritt gab dem Kongreß bzw. dem Senat die Gelegenheit, über die Bestätigung des designierten Nachfolgers mittelbar den Gesetzesvollzug zu kontrollieren.154 Präsident Reagan, der den Rücktritt Watts widerwillig annahm, nominierte den amtierenden Nationalen Sicherheitsberater William P. Clark, der auch schon als stellvertretender Außenminister fungiert hatte. Die Anhörung Clarks im Oktober 1983, die vor dem relevanten Senatsausschuß für Energie und Ressourcen stattfand, dauerte neun Stunden. Der Ausschuß nutzte die Gelegenheit, neben Clarks persönlichen Qualifikationen auch seine Position in unterschiedlichen Politikfeldern zu erfahren. Clark zeigte sich äußerst bemüht, Entgegenkommen zu zeigen, ohne durch den Kongreß in seiner künftigen Amtsführung allzu sehr eingeschränkt zu werden. Der Ausschuß stimmte der Nominierung mit einem 16:4-Votum zu. Der Senat folgte dem Votum mit einer 71:18-Abstimmung im November; alle Gegenstimmen kamen von seiten der Demokraten. Im Plenum des Senats wurde Clark neben consent auch advice mit auf den Weg gegeben. Auf Initiative von Senator J. Bennett Johnston (D-Louisiana) verabschiedete der Senat eine Resolution, die Clark empfahl, "to ensure that the Interior Department programs henceforth ,conform with the expressed will of Congress"'. 155 Zwar wurde die Resolution als Gesetzeszusatz an das schon fertige Bewilligungsgesetz für das Innenministerium gehängt,156 jedoch war deutlich, daß große Teile des Senats nicht nur die Finanzkontrolle im Auge hatten, sondern ihre Zustimmung zur Nominierung Clarks von bestimmten Policy-Vorgaben abhängig machen würden. Die Resolution enthielt äußerst präzise Ratschläge für den künftigen Innenminister: "(1) an end to efforts to lease for energy development Iands under study possible Congres-

sional designation as wilderness or to eliminate such Iands altogether from the wilderness study program;

154

Vgl. im folgenden CQ Almanac 1983, S.329ff.

tss CR, 17.11.1983, S 16565. 156

P. L. 98-146.

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Teil 8: Qualitative Untersuchung

(2) prohibition within wildlife refuges, of intensified commercial development or other actions ineonsistent with the purposes for which they were established; (3) rejeetions of plans for the sale and disposal of millions of aeres of publie Iands; (4) resumption of urgently needed purchases of Iands within authorized units of the National Park System, the National Wildlife Refuge System, the National Forest System, and the National Wild and Seenie Rivers System, and of funding forstate and loeal aquisition of park and reereationallands; and

(5) establishment of polieies of Ieasing publie mineral resourees under eonditions of eareful environmental protection."l57

Damit waren Clark klare Vorgaben im Gesetzesvollzug gemacht worden. Diese Form der Policy-Vorgaben ist rechtlich für die Exekutive unverbindlich, da der Senat seine einmalige Zustimmung für Innenminister Clark nicht nachträglich wieder entziehen kann. Jedoch fühlen sich Mitglieder der Exekutive de facto an die Vorgaben gebunden- wohl auch, weil sie wissen, daß sich eine Nicht-Beachtung legislativer Vorgaben mittelfristig durch die Sanktionskraft der Bewilligungsgesetze nicht auszahlen würde. Innenminister Clark revidierte umgehend die Politik seines Vorgängers und setzte alle in Kraft getretenen Verpachtungen kurzerhand aus. 158 Als Zeichen der Anerkennung verzichtete der Kongreß auf eine Verlängerung des Moratoriums, das bis zum Mai 1984 alle weiteren Verpachtungsvorhaben des Innenministeriums unterbunden hatte. Der institutionelle Konflikt zwischen Legislative und Exekutive war beendet. Der Kongreß hatte seinen Willen im Gesetzesvollzug durchgesetzt.

II. Informaler Kontrollsektor Der Kongreß fand eine Vielzahl von Kontrollformen, die eine Reaktion auf die Gewaltenteilungsurteile des Obersten Gerichtshof darstellen. Die Formen der Kontrolle erwiesen sich als effektiv. Jedoch bringen sie politische Kosten mit sich, die von der Komplizierung des politischen Prozesses bis hin zur Eingrenzung des Verwaltungsermessens reichen. Diese Kontrollformen gehören ausschließlich dem formalen Kontrollsektor an, da sie die eingangs definierten Kriterien erfüllen: Sie sind gesetzlich geregelt und damit rechtlich verbindlich; sie sind folgerichtig öffentlich und treten regelmäßig in Erscheinung. Das Vorgehen des Kongresses ist vor allem durch das Chadha-Urteil initiiert worden, doch auch der Richterspruch in Sachen Bowsher spielte später - wie gezeigt wurde- in der Verhaltensänderung eine Rolle. Da der Oberste Gerichtshof im Falle des line-item veto entschied, daß das selektive Veto nicht verfassungskonform sei, 157 CR, 17.11.1983, Sl6565. 158 CQ Almanac 1984, S. 342.

II. Informaler Kontrollsektor

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setzte sich dieser Prozeß nicht fort. 159 Die Richter bremsten den Trend der Informalisierung - ironischerweise mit Argumentationshilfe eben jener Gewaltenteilungsdoktrin, die in den anderen Fällen den Vorgang der Informalisierung zuvor indirekt befördert hatte. Im folgenden gilt das Augenmerk Formen der informalen parlamentarischen Kontrolle, die zwar zumeist schon vorher bestanden. Jedoch sprechen die Einschätzungen von Kongreßmitarbeitern dafür, daß diese seither quantitativ gesehen explodierten.160 Diese parlamentarische Selbsteinschätzung kann hier nur wiedergegeben werden. Der quantitative Zuwachs ist jedoch auch nicht von zentraler Bedeutung. Wichtiger ist die qualitative Veränderung: Der informale Kontrollsektor hat sich ganz wesentlich gewandelt. Informale Kontrollen ergänzen seither nicht nur formale Mechanismen, sondern ersetzen diese. Damit trifft der Tatbestand der Informalisierung gemäß der Arbeitsdefinition zu. Dies soll nunmehr mit einzelnen Beispielen belegt werden. 1. Geschäftsordnungsnormen und deren flexible Handhabung

Es könnte zunächst durchaus verwundern, daß Geschäftsordnungnormen dem informalen Kontrollsektor zugeordnet werden. Indes besitzen die Geschäftsordnungen des amerikanischen Kongresses keine Gesetzeskraft, da sich lediglich die jeweilige Kammer eine Satzung gibt, Gesetze hingegen beide Kammern zu durchlaufen haben sowie der Unterschrift des Präsidenten bedürfen. Zwar sind Geschäftsordnungen relativ hochrangige Rechtsnormen, die zudem das Kriterium der Öffentlichkeit erfüllen. Jedoch mangelt es dieser Rechtsnorm zuweilen an Regelhaftigkeit. Der Kongreß, respektive der Senat, handhabt nämlich seine Geschäftsordnung recht flexibel - mitunter sogar beliebig. Gleichwohl bleibt festzustellen, daß Geschäftsordnungen die formalste Form der informalen Politik darstellen. Bei der Darstellung des informalen Kontrollsektors wird das Kontinuum von der Mitte bis zum Extrem gewählt, um an Ende Formen der informellen Politik darzustellen. Im formalen Kontrollsektor wurde bereits die Praxis analysiert, Ausschußvetos als vermeintliche Empfehlungen in Bewilligungsgesetze zu schreiben. Da die politischen Vorgaben am Ende gesetzliche Kraft haben, sind sie dem Bereich der formalen Politik zuzuordnen, wenngleich gezeigt wurde, daß diese Empfehlungen die Sanktionsandrohung des Kongresses bei Zuwiderhandlung verschleiern. In diesem Zusammenhang geht es um die Frage, wie derartige legislative Vorgaben überhaupt in den Gesetzestext gelangen. Grundsätzlich verbieten nämlich die Geschäftsordnungen beider Kammern, Policy-Vorgaben in Bewilligungsgesetze zu schreiben. Diese sollten rein haushaltspolitischer Natur sein, während Autorisie159 Vgl. CQ-WR, 14, Februar 1998, S. 380f. 160 Vgl. Interviews mit Walter Oleszek und Brian Klippenstein vom Juni 1999.

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Teil 8: Qualitative Untersuchung

rungsgesetze die Politikinhalte bestimmen. In der Praxis enthalten sowohl die Gesetzentwürfe aus den Ausschüssen als auch die Gesetzeszusätze unauthorized appropriations bzw. legislation on appropriations. Diese Praxis wird von beiden Geschäftsordnungen eigentlich verboten. 161 Bewilligungsgesetze dürfen de jure ausschließlich limitations, jedoch keine legislation enthalten. Jedoch wissen sich beide Kammern zu helfen: Das Abgeordnetenhaus umgeht diese Regel der Geschäftsordnung durch die Praxis des rule-waiving, indem es eine Sonderregel für das jeweilige Bewilligungsgesetz verabschiedet; im Senat kann ein Mitglied gegen gesetzliche Vorgaben in Finanzgesetzen einen point oforder erzwingen. So ist es in der Senatsgeschäftsordnung Regel XVI, § 4 vorgesehen. 162 Die germaneness regelt, daß nur solche Gesetzeszusätze beantragt werden können, die inhaltlich mit der Absicht des Gesetzes korrespondieren. Die Absicht des Bewilligunggesetzes ist rein haushaltspolitischer Natur. Geht ein Senator dagegen vor, kann ein anderer einen Geschäftsordnungsantrag stellen, der das Anliegen zunichte macht- und zwar mit Mehrheitsabstimmung. Alternativ kann auch der amtierende Vorsitzende zumjeweiligen Gesetzeszusatz die Frage der Zugehörigkeit (defense of germaneness) stellen. Dieser Beschluß stellt fest, daß der beantragte Gesetzeszusatz des Senatorsgermane ist- oder auch nicht. Objektive Gründe, Zusätze für zugehörig oder nicht-zugehörig zu halten, gibt es nicht. Die Kongreßmitglieder können hier beliebig votieren. Den Bereich der parlamentarischen Kontrolle betrifft dieses Vorgehen in Fällen, in denen ein Senator versucht, die Bewilligung von Geldern von bestimmten Ausführungspflichten abhängig zu machen. Verfassungsrechtlich wird diese Handhabung toleriert. In Berk v. Laird befand der Oberste Gerichtshof 1971, daß die Verfassung weitgehend offen lasse, wie das Parlament sich intern organisieren soll. Der Senat kann den Antrag an die Geschäftsordnung- soweit es zu einem kommt- ablehnen, wenn die Mehrheit des Senats dies will. Dies gilt auch, wenn der Zusatz offensichtlich nicht haushaltspolitischer Natur ist. Dann heiligt der Zweck die informalen Mittel. Die beliebige Handhabung der Geschäftsordnungen beider Kammern wird sanktioniert durch das Selbstorganisationsrecht parlamentarischer Gremien. Gemäß der hier zugrundeliegenden Definition stellt diese Geschäftsordnungspraxis bereits eine Form informaler Politik dar. Beispiele für diese Praxis finden sich viele. Jedoch spielen diese für unseren Zusammenhang keine allzu große Rolle, da hierbei für unseren Zeitraum und Zusammenhang keine wesentliche Veränderung festzustellen ist - weder quantitativer Art noch in bezug auf die Definition der Informalisierung. 163 Der Umgang mit der Ge161 Vgl. Regel XXI, Klausel 2 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses und Regel XVI, § 1 des Senats. 162 Vgl. Senate Manual. Containing the Standing Rules, Orders, Laws, and Resolutions Affecting the Business of the United States Senate. Prepared by Lana R. Slack, Washington 1993. 163 So konnte Louis Fisher schon 1979 von diesem Phänomen berichten, vgl. Fisher, The Authorization-Appropriation Process in Congress: Formal Rules and Informal Practices; in: Catholic University Law Review, 29 (1979), S. 92 f.

II. Informaler Kontrollsektor

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schäftsordnung hat sich nicht verändert. Die Geschäftsordnungsregel, die nichtsachbezogene Mitwirkungsvorbehalte in Bewilligungsgesetzen als parlamentarisches Kontrollmittel zuläßt, stellt eher eine bestehende informale Kontrollform dar, die ohnehin das formalste Mittel des informalen Sektors ist. Obwohl es der Kongreß bei der bestehenden Regelung beließ und diese gelegentlich benutzte, diskutierte er auch andere Formen der Manipulation der Geschäftsordnung, um im informalen Sektor gutzumachen, was im formalen Kontrollbereich verloren ging. So berichtete bereits am 27.Dezember 1983, also fünf Monate nach dem Chadha-Urteilsspruch, der CRS-Mitarbeiter Frederick M. Kaiser dem Kongreß über Alternativen zum legislativen Veto. Unter anderem riet er dem Parlament folgende Geschäftsordnungsänderung: "Other House and Senate rules affecting standing committee powers might be amended to preclude appropriating funds for a specific executive action unless and until the authorizing committee has expressly approved the planned action itself or a specific related contingency. The prior approval requirement could be an expedited procedure. Despile having the evident impact of a legislative veto, this change would directly affect only the intemal Chamber mIes and, arguably, would be immune fromjudicial scrutiny." 164

Was Kaiser in dem internen CRS-Bericht dem Kongreß ans Herz legt, ist das Zunutzemachen der relativen Informalität der Geschäftsordnungen beider Kammern des Kongresses. Das legislative Veto solle von einem Autorisierungsausschuß ausgesprochen werden. Danach würden Gelder erst dann bewilligt, wenn der Ausschuß einer konkreten exekutiven Handlung seine ausdrückliche Zustimmung erteilt habe. Grundlage hierfür sei die Geschäftsordnung, da sie als interne Satzung einer Parlamentskammer nicht dem richterlichen Prüfungsrecht unterliege. Der Kongreß änderte jedoch seine Geschäftsordnungen nicht gemäß dem Kaiser-Vorschlag. Offenbar reichten ihm andere Mechanismen aus. 2. Politische Steuerung über Ausschußberichte Wie bei vielen anderen Ersatzformen des legislativen Vetos bestand auch schon vor 1983 die parlamentarische Praxis, einen gesetzesbegleitenden Ausschußbericht zu verabschieden. Die Berichte werden allein vom federführenden Ausschuß verfaßt und gelangen nicht ins Plenum der jeweiligen Kammer; sie werden lediglich ans Gesetz angehängt, ohne selbst gesetzliche Kraft zu besitzen. Diese Möglichkeit der informalen Bindung der Exekutive an legislative Vorgaben wurde nach dem Chadha-Urteil vermehrt genutzt. Durch die Annullierung des legislativen Vetos im formalen Kontrollsektor bzw. durch die Erklärung eines Präsidenten, legislative Vetos zu ignorieren, wanderte das funktionale Äquivalent in den informalen Bereich. Dort werden sie von seiten der Verwaltungsträger beachtet, da sie sich nicht leisten 164 Frederick M. Kaiser, Congressional Control ofExecutive Actions: Alternatives to the Legislative Veto; in: CRS-Report 83-227 GOV, S. 58.

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Teil B: Qualitative Untersuchung

können, dem Kongreß die Kooperation zu verweigern: "Chadha does not affect these non-statutory legislative vetoes. They are not legal in effect. They are, however, in effect legal."165 Die Ausschußberichte beinhalten sowohl Policy-Vorgaben als auch jene Ankündigungspflichten, die schon im formalen Kontrollsektor in Erscheinung traten und de facto legislative Veto-Bestimmungen darstellen. Die Policy-Vorgaben werden oftmals unverbindlich formuliert, indem von Empfehlungen und nicht von Anweisungen gesprochen wird. Die meisten Ausschußberichte werden zu Bewilligungsgesetzen geschrieben. Eine typische Form findet sich im Ausschußbericht zum Agriculture, Rural Development, Food and Drug Administration, and related Agencies Appropriation Bill, 1996: "The Committee provides $ 10,000,000 to the Office of the Secretary for InfoShare, to remain available until expended. This is $ 2,500,000 more than the House recommended Ievel. The Committee notes that, in response to concems raised by the Department's inspector generaland the General Accounting Office [GAO], the program is undergoing a reevaluation. All projects, including the common access manager [CAM], have been put on hold, and the program is being refocused on business process reengineering as a prerequisite to largescale acquisitions of new technology. The Committee expects the Department to defer new technology acquisitions until business process reengineering is complete and other concems raised about this project are satisfied." 166

In dem hier zitierten Bericht geht es dem Agrarausschuß des Senats darum, sicherzustellen, daß das InfoShare, das Referat für Informationspolitik im Landwirtschaftsministerium, die ihm bewilligten Gelder bis zum Vorliegen einer Evaluationsstudie über das Referatsprojekt unangetastet läßt. Hintergrund dieser Haushaltssperre ist, daß InfoShare sowohl vom Generalinspekteur als auch vom GAO wegen mangelhafter Projektplanung und fehlerhafter Umsetzung kritisiert wurde. InfoShare war eingerichtet worden, um den Informationsfluß zwischen Ministerium und Landwirtschaftsbetrieben im Interesse der Verbraucher zu verbessern. Die Haushaltssperre ist nicht gesetzlich verankert- wohl auch, um ihre Aufhebung flexibler handhaben zu können. Der hier dargestellte Fall gehört zur parlamentarischen Routine; er spiegelt Kooperationsstrukturen zwischen einer Exekutivbehörde und dem entsprechenden Ausschuß wider, die vom Präsidenten gar nicht wahrgenommen werden und daher unstrittig sind. Der Einsatz der Ausschußberichte ist jedoch nicht immer unstrittig. In sensiblen Politikfeldern, die von seiten des Weißen Hauses mit Interesse verfolgt werden, kann die Koalition zwischen Verwaltung und Kongreß durch den Präsidenten bzw. sein Executive Office zuweilen gestört werden. Einmal mehr bietet die Umweltpolitik und die EPA hierfür ein gutes Beispiel. 165 Louis Fisher, Judicial Misjudgments About the Lawmaking Process: The Legislative Veto Case; in: Public Administration Review, 45 (1985), S. 708. 166 S Rept. 104-142.

II. Informaler Kontrollsektor

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Nach Bekanntwerden der Krebsgefahr des als Brandschutzmittel benutzten Stoffes Asbest mußten in den späten 70er Jahren zahlreiche Gebäude auf allen Ebenen des öffentlichen und privaten Sektors renoviert werden. Die Bauarbeiten an etlichen Verwaltungsgebäuden, aber auch in privaten Industrie- und Dienstleistungsbetrieben verschlangen große Summen. Außerdem mußte die Frage des Imports und der eigenen Herstellung von Asbest geklärt werden. Das Vorhaben bedurfte der Regulierung von seiten der EPA, um eine einheitliche Richtschnur zu gewährleisten. 167 Gesetzliche Grundlage der EPA-Regulierungen bezüglich der Benutzung von Asbest ist das Toxic Substances Control Act of 1976. Die Umweltbehörde kam seit 1981 dem regulativen Mandat nach. Der Grund für die Unzufriedenheit des Kongresses mit dem EPA-Ergebnis war die OMB-Politik, die auf der Grundlage des schon erwähnten E. 0. 12291 mehrere EPA-Verordnungen in ihrer Implementierung verzögerte bzw. sogar verhinderte. Der Kongreß bezichtigte das OMB obstruktiver Aktivitäten. 168 So konstatierte der Abgeordnete John Dingell (D-Wisconsin), Vorsitzender des Kontrollunterausschusses: "[C]ongress entrusted the Agency with the administration of numerous statutes designed to protect the public health and the environment. ( ... ) However, OMB has acted in blatant disregard oftbis statutory scheme. ( ...) Hopefully, this report will spur efforts to assure an open regulatory process in which the OMB does not gain a specific preference." 169

Reiche dieser Bericht nicht aus, um die obstruktive Einmischung des OMB in das Verwaltungsverfahren der EPA zu unterbinden, so drohte Dingell weiter, werde der Kongreß ein neues Gesetz verabschieden. Mit dem Ausschußbericht wurde also deutlich, daß der Exekutive bei Unterlaufen der legislativen Absicht im Gesetzesvollzug das regulative Mandat entzogen werde. Bemerkenswert ist, daß in diesem Fall die EPA trotz ihres kooperativen Verhaltens unter der Deregulierungspolitik des Weißen Hauses gelitten hätte. Im einzelnen ging es um zwei Verordnungen, die von seiten der EPA erlassen werden sollten: Erstere sah vor, bestimmte Asbest-Klassen gänzlich vom Markt zu nehmen, die zweite sollte die Asbest-Produktion langsam auslaufen lassen. 1984, fünf Jahre nach Beginn des Verwaltungsverfahrens, wurden beide Regulierungen dem OMB zugestellt. Anfang 1985 erklärte A. James Barnes, kommissarischer Leiter der Umweltbehörde, beide Regulierungen würden noch vor ihrem lnkrafttreten zurückgezogen. Zudem trete die EPA diesen Regulierungsbereich an OSHA und CPSC ab. 167 Vgl. Daniel J. Fiorino, Regulatory Negotiation as a Policy Process; in: Public Administration Review, 48 (1988), S. 767 ff. 168 Vgl. im folgenden EPA's Asbestos Regulations. Report on a Case Study on OMB Interference in Agency Rulemaking by the Subcomminee on Oversight and Investigations of the Committee on Energy and Commerce, U. S. House of Representatives, Washington, 10/1985. 169 l ohn D. Dingel/, Brief an die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses des Abgeordnetenhauses, ebd., S. III-V.

10 Sattar

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Teil B: Qualitative Untersuchung

Der Wirtschaftskontrollausschuß, der die exekutiv-interne Entscheidungstindung nicht durchschauen konnte, begann umgehend ein Untersuchungsverfahren, das v. a. aus Anhörungen bestand. Als Ergebnis dieser Untersuchung konnte festgehalten werden, daß das EPA im Verwaltungsverfahren gegenüber dem OMB kapituliert hatte. Der Ausschuß bewertete das Vorgehen der Haushaltsbehörde des Weißen Hauses als Gesetzesbruch: "OMB 's interference in EPA's asbestos rulemakings pursuant to Executive Order 12291 is an unlawful abuse ofpower." 17 Kritisiert wurde zudem, daß es sich bei dem Vorgehen der OMB um geheime Absprachen gehandelt habe.

°

Der Umweltbehörde wurden schließlich gesetzeskonkretisierende Policy-Vorgaben gemacht: "(1) reverse its February 1, 1985, decision to refer the regulation ofmajor asbestos risks to the Occupational Safety and Health Administration and the Consumer Product Safety Commission. (2) immediatly publish in the Federal Register for public notice and comment proposed regulations under the Taxie Substances Contra! Act to protect against risks of cancer and other diseases ( ...). (3) comply with the requirements ofTSCA which mandate the Agency to proceed to regulate unreasonable chemical risks under section6 ofTSCA unless the EPA Administratorfirst determines that another Federal agency or agencies may adequately prevent or reduce such risks (... ). (4) reject OMB 's theory of discounting of human Jives over the latency period of diseases caused by chronic hazards (...). (5) reject formal cost-benefit analysis as a determinative factor in decisionmaking on health, safety, and environmenta\ matters ( ...)." 17 1

Der Bericht revidierte nicht nur die beiden Einzelfall-Entscheidungen des OMB, sondern gab der EPA auch für künftige Verwaltungsverfahren Anweisungen mit auf den Weg, die die Behörde vor der Politik des Weißen Hauses schützen sollten. Der Asbest-Fall endete mit der Erlassung beider Umweltverordnungen im Federal Register.172 Der Kongreß setzte sich also mit dem rechtlich nicht verbindlichen Bericht durch. Die Drohung, Gesetze zu verabschieden, die den Ermessensspielraum von Regierung und Verwaltung einschränken würden, zeigte offenbar ihre Wirkung. Das OMB setzte seine Opposition gegen die seiner Meinung nach verfassungswidrige Intervention des Kongresses in den Gesetzesvollzug jedoch fort. OMB-Direktor James C. Miller III. stellte 1988 die Praxis der Ausschußberichte generell in Frage, was von Senator James A.McClure (R-Idaho) als Kriegserklärung bezeichEbd. S. 7. Ebd. S. 10. 172 Vgl. EPA's Asbestos Regulations- Appendix, 1985.

170 171

II. Informaler Kontrollsektor

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net wurde. 173 Miller hatte im März 1988 ein Rundschreiben an sämtliche Bundesbehörden geschickt, aus dem hervorging, daß "appropriation report language was not legally binding." 174 Die in den Berichten vorgegebene Bindung bewilligter Gelder an bestimmte Projekte solle als null und nichtig betrachtet werden.175 Senator McClure antwortete auf dieses administrative Vorgehen, indem er drohte, den Inhalt der Berichte als Gesetzeszusätze an Bewilligungsgesetze zu heften. Diese Drohung stieß indes auf parlamentarische Opposition. Senator Johnston sprach für diese Seite des Meinungsspektrums: "We've got to allow some flexibility. We don't want to enact a telephone book."l76 Noch während der Kongreß sein weiteres Vorgehen gegen Millers Politik diskutierte, lenkte dieser reumütig ein: In einem Memorandum an die Bundesbehörden revidierte er seine Anweisung für das laufende Haushaltsjahr, indem er die Kooperation seitens der Exekutive als " ,a matter of comity' between the branches of government"177 betrachtete. Der Grund für das Einlenken Millers konnte nicht allein die Konfrontation mit dem Kongreß gewesen sein, da sich die Legislative ihrer eigenen Stellung unsicher war. Wesentlich wichtiger war offenbar, daß Miller verwaltungsintern auf Widerstände stieß. So ließ ihn der Chef der Veterans Administration (VA), Thomas K. Turnage, wissen, daßertrotz des ersten Schreibens des OMB-Direktors seine Behörde angewiesen habe, den Ausschußbericht zum VA-HUD-Bewilligungsgesetz als bindend anzuerkennen. "My obligation", so Turnage, "to this agency and to this nation's veterans preclude me from taking action which, in the long term, will only negatively impact on them." 178 Der VA-Chef stand also zu den Kooperationsstrukturen zwischen seiner Behörde und den entsprechenden Ausschüssen beider Kammern- wohl wissend, daß der Kongreß letztendlich am längeren Hebel sitzt. "The VA would have to deal with Congress in the years to come, long after Miller and the rest of the Reagan administration have departed from the White House." 179 Miller wurde also von zwei Seiten attackiert, was ihn schließlich dazu veranlaßte, auf sein administratives Vorhaben zu verzichten. Ähnlich wie im Fall der EPA macht dieses Beispiel deutlich, daß die LegislativExekutiv-Beziehungen auf zwei Ebenen stattfinden - und zwar mit jeweils eigenen Bestimmungsmerkmalen. Während das Verhältnis zwischen einer Bundesbehörde und den entsprechenden Ausschüssen von Kooperation und Pragmatismus geprägt ist, gestaltet sich das Verhältnis zwischen Kongreß und Weißem Haus problematischer. Es ist konfliktreicher und ideologischer in seiner Natur. Nicht selten kommt es CQ- Weekly Report, 46 ( 1988), S. 1752. Ebd. m Vgl. im folgenden ebd. S.l752f. sowie CQ- Weekly Report, 46 (1988), S.l928. 176 CQ- Weekly Report, 46 ( 1988), S. 1753. m Ebd., S.l928. 178 Ebd. 179 Ebd.

173

174

10*

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Teil 8: Qualitative Untersuchung

also zu einer Koalition aus Kongreß und Verwaltung, die sich gegen Eingriffe in ihre internen Beziehungen durch die Regierung wehrt. Hierbei machen sich die individuellen Akteure innerhalb der Institutionen die Koalitionsfunktion informaler Politik zunutze. Bislang wurde gezeigt, wie Ausschußberichte dazu genutzt werden, der Exekutive Policy-Vorgaben zu machen. Dies ist eine Form parlamentarischer Kontrolle über den Gesetzesvollzug, die als Reaktion auf das Chadha-Vrteil in ihrer Bedeutung zugenommen hat. 18° Die Ausschußberichte beinhalten oftmals eine zweite Form der mitlaufenden Kontrolle. Durch die Annullierung des legislativen Vetos im formalen Kontrollsektor bzw. durch die Anweisung der Präsidenten, fortbestehende Vetos nicht anzuerkennen, sichert sich die Legislative über die Nutzung informaler Vetos in Ausschußberichten ab. Damit wandert das Kontrollinstrumentarium aus dem formalen in den informalen Bereich. Diese informale Variante des legislativen Vetos tritt ebenso v. a. in Bewilligungsgesetzen in Erscheinung. Die in einzelnen Haushaltsstellen bewilligten Gelder können nicht immer wie anfänglich bemessen tatsächlich eingesetzt werden. Wenn etwa das Transportministerium einerseits ein Straßenbauprojekt wegen widriger Umstände, wie etwa schlechtem Wetter, nicht ausführen kann, an anderer Stelle aber dringend Gelder über das bewilligte Ausmaß hinaus benötigt, so braucht die Behörde genügend Flexibilität, um innerhalb einzelner oder zwischen einzelnen Haushaltsposten Gelder umzuleiten. Der Kongreß ist daran interessiert, der Exekutive dieses reprogramming- und transf er-Recht zuzugestehen. Die Legislative möchte allerdings ebenso über jene administrativen Entscheidungen informiert werden und behält sich ein Zustimmungsrecht vor. Da dies in formalen Gesetzen ein verfassungswidriges legislatives Veto wäre, das vom Präsident demnach abgelehnt werden könnte, schreibt der Kongreß diese Kompromißformel regelmäßig in die Ausschußberichte. So heißt es beispielweise im Bericht zum Treasury, Postal Service, and General Government Appropriation Bill of 1996 im AbschnittReprogramming and Transfer Requirements: "The Committee expects the justifications for proposed reprogramming requests tobe clear and strongly documented. Furthermore, except in extraordinary circumstances, reprogramming proposals will not be approved by the committee 45 days prior to the end of fiscal year, nor will they be approved if the proposed actions would effectively reverse previous congressional directives."181

Hierin wird das Fortbestehen des Quid pro quo zwischen Legislative und Exekutive deutlich, wenngleich die Kompromißformel nunmehr eine informale ist. Die Verwaltung kommt den Wünschen des Kongresses nach, da sie ansonsten auf administrativen Entscheidungsspielraum verzichten müßte. Diese informalen Koopera180 Interviews mit Louis Fisher und Leonard Weiss vom Juni 1996 in Washington D. C. 181 S Rept. 104- 121.

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tionsstrukturen zwischen Ausschüssen und Bundesbehörden konnten bislang von seiten der Regierung-trotz der dargestellten Versuche des OMB - nicht unterbunden werden. 3. Legislative Beeinflussung verwaltungsinterner Richtlinien Bislang bestanden reprogramming-Anforderungen parallel zu einigen Gesetzen und Ausschußberichten auch in den Geschäftsordnungen (agency manuals oder guidelines) bzw. Verwaltungsvorschriften (orders, memoranda, policy statements, bulletins oder circulars) der Ministerien, Exekutivbehörden und unabhängigen Regulierungskommissionen. Sie dienten den Behördenleitern zur administrativen Umsetzung legislativer Vorgaben. Da jede Abteilung und jedes Referat einer Behörde eigene Budgetposten verwaltet, sahen Behördenleiter die Notwendigkeit der Information ihrer Mitarbeiter über die Kooperation mit dem Kongreß. Die Behördenleiter weisen ihre Mitarbeiter darauf hin, daß die Direktiven keine formale Verbindlichkeit besitzen, jedoch gleichwohl für die Behörde als bindend gelten sollen. Die Kooperation der Behördenleitung mit dem Kongreß beruht auf der Einsicht, daß bei Nichtbefolgung legislativer Vorgaben der Handlungsspielraum der Verwaltung erheblich eingeschränkt würde. Im Zusammenhang mit der Umleitung bewilligter Gelder hieße dies, daß die Verwaltung bis zum nächsten Bewilligungsgesetz warten müßte, um Mittel von ihrem Verwendungszweck zu befreien. Dies würde die Effizienz der Verwaltung erheblich mindern. Ein Beispiel für die informale Kontrolle des Kongresses über die Verwendung von Geldern bietet das Energieministerium. So heißt es in der entsprechenden Verwaltungsvorschrift: "There may be changes in program execution or unforseen events encountered that, although they do not require formal notification procedures, may affect areas of known Congressional interests or concems. In these cases, the Department may elect to notify the appropriate committees, through less formal procedures, with the intent of keeping them fully informed of adjustrnents in program activities."182

In der Formulierung des Energieministeriums wird der Begriff to notify benutzt, der ein Kodewort für das legislative Veto ist. Die Verwaltung weiß mit dem Begriff entsprechend umzugehen. Teilweise wird auf diese Verklausulierung gänzlich verzichtet und die eigentliche Absicht explizit erwähnt. So befindet sich in einem Memorandum des Arbeitsministeriums folgende Formulierung: "The base tobe used when determining FY 1989 reprogramming is the FY 1989 column of the 1989 Congressional Justification materia\s unless subsequent changes were approved by Congress such as in the form of the actual appropriation, supplementals, amendments, etc. 182

U. S. Department ofEnergy: ORDER, DOE 5160.18, 18.5.1992.

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Teil B: Qualitative Untersuchung

and budget authority by activity displays were provided to Congress showing these changes." 183

Ebenso deutlich wie hier enthalten auch die Verwaltungsrichtlinien des Department of Veterans Affairs, des Department of Commerce, des Department of Health and Human Services, des Department of Transportalion und des Treasury Department legislative Veto-Bestimmungen. 184 Andere Behörden nehmen Ausschnitte ehemaliger oder bestehender Ausschußberichte in ihre Verwaltungsrichtlinien auf bzw. zitieren die entsprechenden Passagen ihrer Geschäftsordnungen. Der Bewilligungsausschuß des Senats ließ sich wegen der Vielzahl der von ihm erforderten unterschiedlichen reprogramming-Anforderungen einen Katalog erstellen, der für alle Bundesbehörden die jeweiligen Bestimmungen auflistet. 185 Diese Liste spiegelt die Vielfliltigkeit der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen wider. Unter der Rubrik reprogramming-Anforderungen tauchen sechs verschiedene Formen der Kooperation zwischen Ausschuß und Behörde auf: 186 (1) Schriftliche Richtlinien des Unterausschusses, (2) verwaltungsinterne Richtlinien, (3) Ausschußberichte, (4) Gesetze, (5) Ausschußbriefe und (6) sogenannte informelle Regelungen. Hiermit sind mündliche Absprachen zwischen dem Ausschußvorsitzenden und dem jeweiligen Behördenchef bezüglich der reprogramming-Anforderungen gemeint, deren Praxis im übernächsten Kapitel dargestellt wird. Es Jassen sich innerhalb der informalen Beziehungen also Abstufungen feststellen. Ein Ausschußbericht erscheint verbindlicher als bloße policy statements oder Verwaltungsbulletins darüber, wie ein Verwaltungsträger die Umleitung von Geldem beim Kongreß zu beantragen habe, da er öffentlich wahrnehmbar ist. Die Instrumentalisierung dieser unterschiedlichen informalen Kontrollformen richtet sich vor allem nach dem Verhalten des Präsidenten. Da Ausschußberichte für das Weiße Haus wahrnehmbar sind, kann es, wenn das Executive Office den politischen Willen besitzt, versuchen, Interventionen des Kongresses im Gesetzesvollzug zu unterbinden. Ohnehin ist der Präsident in der Lage, formale Kontrollformen in Gesetzesbestimmungen wie etwa eine committee-approval-KJausel für unverbindlich zu erklären. Zwischenzeitlich konnte er von 1997 an zudem für anderthalb Jahre, also bis zum Urteil C/inton v. City of New York, Direktiven aus Ausschußberichten streichen. Das Weiße Haus, respektive das OMB bzw. OIRA, war für diese Zeit auch in der Lage, Verordnungen, welche die Kemexekuti183 U. S. Department ofLabor. Office ofthe Assistant Secretary for Administration and Management: Memorandum For Agency Administrative Officers, 27.4.1989. 184 Vgl. U.S. Department ofVeterans Affairs: Memorandum, 15.0ktober 1992; U.S. Department of Commerce: Budget and Program Analysis Handbook, Mai 1988; U. S. Departrnent of Health and Human Services: Memorandum, BPM 84-9, 21.5.1984; U.S. Department of Transportation: Memorandum, 13.4.1992; U.S. Secretary of the Treasury: Memorandum, 9.3.1977. 185 Committee on Appropriations. United States Senate: Reprogramming Practices, 4/1981. 186 Vgl. im folgenden ebd.

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ve nicht befürwortete, da sie durch den Kongreß beeinflußte Inhalte beinhalteten, zu kassieren. Doch spätestens hier endet der Einfluß des EOP- seit dem jüngsten Urteil sogar wieder früher. Und genau das wissen Kongreß und Verwaltungsträger bei der Suche nach Kooperationsformen zu nutzen. Der Präsident hat keinen Zugriff auf verwaltungsinterne Richtlinien. Also werden diese Dokumente, die ursprünglich nicht für inhaltliche Aspekte, sondern allein für die verfahrenstechnische Umsetzung durch die Verwaltung geschaffen wurden, mit regulierendem Gehalt gefüllt. In der Literatur werden diese als nonlegislative rules 1B7 bezeichnet: "May the agencies make the public adhere to ,rules' setforthin guidance or memoranda or interpretations or manuals or buHetins or press releases or policy Statements or Dear Colleague letters or enforcement guidelines or models or questions-and-anwers or action Ievel or staff instructions or advisory opinions or other such informal documents?" 188

Nach Ansicht des Rechtswissenschaftlers Robert Anthony verstößt diese Vorgehensweise der informalen Regulierung gegen das Verwaltungsverfahren des APA - und damit gegen ein vom Kongreß verabschiedetes Gesetz: ,,Since they are not issued through legislative rulemaking procedures, interpretative rules cannot have legal binding effect." 189 Der Autor beklagt das Unterlaufen legislativer Kompetenzen. Er übersieht dabei aber, daß in vielen Fällen Regulierung über Verwaltungsrichtlinien eine direkte Folge legislativer Beeinflussung ist. Sein Urteil fußt wohl auf der Beobachtung der konfrontativen Haltung des 104. Kongresses gegenüber der Verwaltung. Der Kongreß trat an, die verwaltungsstaatliche Wucherung zu unterbinden. In unserem Zusammenhang geht es aber nicht um die Problematik autonomer Verwaltungsregulierung durch informale Richtlinien, sondern um die dargestellten Formen des durch den Kongreß bewußt herbeigeführten Abtauchens parlamentarischer Kontrollvermerke in Verwaltungsrichtlinien sowie um legislative Beeinflussung von de facto-Regulierungen in sogenannten nonlegislative rules, die in unserem Zusammenhang besser informale Regulierungen genannt werden sollten. Informale Regulierungen sind quasi die Folge informaler parlamentarischer Kontrolle über den Gesetzesvollzug. Diese informalen Regulierungen wurden vor dem Hintergrund der Gewaltenteilungsurteile durch das Verhalten der Kernexekutive gefördert, indem Kongreßmitglieder und Verwaltung auf ihrer Suche nach neuen Kooperationsformen weiter in die Nicht-Öffentlichkeit informaler Sphären getrieben wurden. Beide Akteure mußten unter den informalen Kontrollformen zunehmend auf informelle zurückgreifen, da diese für den Präsidenten nicht wahrnehmbar sind. Durch die Informalisierung des politischen Prozesses zwischen Legislative und Exekutive werden die Bezie187 Vgl. Robert A. Anthony, Unlegislated Compulsion. How Federal Agency Guidelines Threaten Your Liberty; in: www.cato.org/pubs/pas/pa-312.html. (19.9.1998, 20.15 Uhr), S.4. 188 Ebd. 189 Ebd. S. 7.

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Teil B: Qualitative Untersuchung

hungen zwischen den institutionellen Akteuren zunehmend bestimmt durch das Verhältnis individueller Akteure, die für die Öffentlichkeit nicht zu kontrollieren sind. Die kurzzeitige Existenz des line item-veto verstärkte diese Entwicklung, wie das übernächste Kapitel zeigt.

4. Informale schriftliche Vereinbarungen Eine höhere Stufe der Informalisierung als informale Regulierungen stellen bloße schriftliche Vereinbarungen zwischen beiden Akteuren dar. Auch diese Formen des Legislativ-Exekutiv-Verhältnisses sind älter als das Chadha-Urteil. Allerdings kann seit 1983 - gemäß der hier zugrunde gelegten Definition des Informalisierungsvorganges - eine zunehmende Ersetzung formaler durch informale Instrumente beobachtet werden. 190 Darüber hinaus wird hier gezeigt, daß diese informalen Strukturen zum Teil in direktem Verhältnis zu dem Urteil des Obersten Gerichtshofs stehen. Ein bereits erwähnter Fall unter der Präsidentschaft Reagans zeigt, daß zwischen der Haltung des Weißen Hauses und dem Grad der Informalisierung der Beziehungen von Kongreß und Verwaltung ein Zusammenhang besteht. 191 Präsident Reagan hatte sich 1984 von seinem Attorney General Edwin Meese III beraten lassen, das Chadha-Urtei1 genauestens umzusetzen. 192 Reagan erklärte daraufhin die Ausschußvetos im Bewilligungsgesetz für das Ministerium für Wohnungsbau und Städteplanung sowie für unabhängige Regulierungkommissionen nicht nur für rechtlich unverbindlich. Er forderte den Kongreß auch dazu auf, künftig auf derartige Bestimmungen zu verzichten und das Chadha-Urtei1 konstruktiv zu befolgen. 193 Schließlich verdeutlichte der Präsident, daß er seine Verwaltung anweisen werde, Gesetze im Sinne von Chadha zu implementieren. D. h. konkret, daß Reagan seine Verwaltung anwies, die Veto-Bestimmungen des Kongresses zu ignorieren. Damit waren auch solche Verwaltungsträger in die Pflicht genommen, die bisher einvernehmlich mit dem Kongreß kooperiert hatten. Der Kongreß reagierte umgehend auf diese Herausforderung. Der Bewilligungsausschuß des Abgeordnetenhauses statuierte an der National Aeronautics and Space Administration (NASA) ein Exempel. 194 In den Jahren 1980 bis 1984 hatte der KonVgl. Louis Fisher. Interview vom 14.August 1996 in Washington D.C. Vgl. Kapitel 8.11. 2. 192 Justizminister Meese stand ganz auf der Seite des Obersten Richters Burger: Legislative Delegation "should be properly understood as power granted to the Executive", Louis Fisher, The Administrative World of Chadha and Bowsher; in: Public Administration Review, 47 (1987): 3, s. 216. 193 Vgl. im folgenden Ronald Reagan, Statement on Signing the Department of Housing and Urban Development-lndependent Agencies Appropriation Act, 1985, S.l056. 194 Vgl. Fisher 1993, S.289. 190 191

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greß der NASA gesetzlich gestattet, Ausgabengrenzen in einem laufenden Haushaltsjahr zu überschreiten, wenn die Behörde den Bewilligungsunterausschuß vorab informiere und dessen vorherige Zustimmung abwarte. Da nach der Äußerung Reagans der Kongreß davon ausgehen mußte, daß die NASA nunmehr auch ohne vorherige Zustimmung des Kongresses über den bewilligten Rahmen hinaus Gelder verwenden werde, sollte nach Ansicht des Abgeordnetenhauses der Behörde diese Kompetenz entzogen werden. Die Botschaft des Kongresses war eindeutig: Büßt die Legislative ihre Kontrollrechte ein, werden Kompetenzen der Exekutive an die Legislative zurückdelegiert Diese Praxis stellte die direkte Befolgung des Urteils dar. Präsident Reagan schien seinen Willen durchgesetzt zu haben. Präsident und Kongreß hätten mit dieser Praxis leben können. Leidtragend wäre indes die NASA-Behörde gewesen. Diese hätte nämlich den in ihrem Tatigkeitsbereich erforderlichen Entscheidungsspielraum verloren. Flexibilität und damit auch Effizienz wären reduziert worden. In dieser Situation ergriff NASA-Chef James M. Beggs die Initiative. In einem Brief an den Abgeordneten Edward P. Boland, Vorsitzender des Bewilligungsunterausschussesfür HUD-Independent Agencies, sprach sich Beggs für einen Kompromiß aus. Weil die vom Abgeordnetenhaus angedrohte Praxis ernsthafte Auswirkungen für die NASA haben könnte, da die Behörde danach nicht weiter im Stande wäre, auf unvorhersehbare Probleme und technische Veränderungen zeitgerecht reagieren zu können, müsse eine neue Kooperationsformel für das Verhältnis zwischen NASA und Bewilligungsunterausschuß gefunden werden. In dem folgenden Brief bot Beggs deshalb dem Kongreß an, die bisherige Praxis auf informaler Ebene weiterzuführen: "We believe that the present legislative procedure could be converted by this Ietter into an informal agreement by NASA not to exceed amounts for Committee designated programs without the approval of the Committees on Appropriations. This agreement would assume that both the statutory funding ceilings and the Committee approval mechanism would be deleted from the FY 1985 legislation, and that it would not be the normal practise to include either mechanism in future appropriations bills. Further, the agreement would assume that future program ceiling amounts would be identified by the Conunittees in the Conference Report accompanying NASA's annual Operating plan. NASA would not expend any funds over the ceilings identified in the Conference Report for these programs without the prior approval ofthe Committees. We appreciate the support NASA has received from the Committees of both the House and the Senate, and wish to assure the Committees that NASA will comply with any ceilings imposed by the Committees without the need for legislative ceilings which cause serious darnage to NASA's ongoing programs."195

195 Brief James M. Beggs an Edward P. Boland vom 9. August 1984. Das Schreiben wurde mir dankenswerterweise von Louis Fisher zur Verfügung gestellt.

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Teil 8: Qualitative Untersuchung

In dem Brief des NASA-Chefs wird dem Kongreß angeboten, die bisherige gesetzliche Praxis auf Vertrauensbasis weiterzuführen. Das Schreiben aus dem Jahre 1984 ist seither Grundlage der Beziehungen zwischen den beiden Bewilligungsausschüssen und der NASA. Ausgabengrenzen stehen im gemeinsamen Konferenzausschußbericht der Bewilligungsausschüsse beider Kammern. Die Zusage der NASA, Ausgabenüberschreitungen von der vorhergehenden Zustimmung der Ausschüsse abhängig zu machen, ist ausschließlich in dem zitierten Brief aufgeführt. Die abschließende Zusage Beggs, das Informationsbedürfnis des Kongresses zu befriedigen, stellt ein informales Unterlaufen der präsidentiellen Absicht dar, die Intervention der Legislative im Gesetzesvollzug zu verhindern. Hierin wird die tatsächliche Kooperation zwischen Kongreß und Verwaltung deutlich. Beide Seiten wehren sich gegen die Verkomplizierung ihrer Beziehungen durch die Handhabung der Kernexekutive. Dieser Fall zeigt einen direkten Zusammenhang zwischen dem Chadha-Urteil und der Informalisierung. Insgesamt läßt sich nach Meinung Mark Stevens, des Senior Counsel for Oversight im Office of Congressional and Intergovernmental Affairs der EPA, einer der am schärfsten kontrollierten Regulierungenbehörden, "a growing amount of informal oversight since the Chadha-ruling" feststellen- "especially there has been an increase of informal oversight of the implementation of existing regulations by letters, phone calls and e-mails."196 Nach einer internen Liste des CLO gab es alleine von Januar bis Juni 1999 50 Fälle von Kongreß-Anfragen über bestehende EPA-Verordnungen. 197 Diese Fälle beinhalten nicht reine Informationsfragen von Kongreßmitarbeitern, sondern ausschließlich Implementierungswünsche des Kongresses. Es gibt freilich Beispiele sowohl für informale Kooperation als auch für informale Konflikte. Im September 1998 hatte die EPA eine Verordnung zur Luftverbesserung auf der Grundlage des Clean Air Acts erlassen. In der Regulierung wurden 22 Bundesstaaten angewiesen, Maßnahmen zu unternehmen, ihre StickstoffmonoxidEmmisionen jährlich insgesamt um 1, 1 Millionen Tonnen oder um 28 Prozent zu verringern. 198 Die Folge-Verordnungen hätte die Betreiber von Kraftwerken und Hochöfen in den Bundesstaaten getroffen. Ein Mitarbeiter des Hause Commerce Committee beschreibt seine Tätigkeit während dieser Tage im September 1998: "We wrote tons of letters to Administrator Browner [EPA-Verwaltungschefin Carol M. Browner, M. S.] and ask her to get rid of the restrictive provisions in the regulation. But she didn't listen." 199 Das Beispiel zeigt, daß informale parlamentarische Kontrolle nicht immer der Allianz zwischen Kongreß und Verwaltung dient und auch nicht immer zum Ziel führt. Es ist zudem Mark Stevens. Interview vom Juni 1999 in Washington D. C. Vgl. ebd. 198 Vgl. Tom Kenworthy, EPA Sets Scaled-back Plan to lmprove Eastem States air quality; in: Washington Post vom 15.Juni 1999; 199 Off-the-record-Interview vom Juni 1999 in Washington D.C. 196 197

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ein typisches Beispiel für den politischen Prozeß zwischen EPA und dem Republikanischen Kongreß nach 1994: "Things between Congress and EPA have become more complicated."200 Der Fall endete im übrigen damit, daß der Oberste Gerichtshof die Regulierung zu Fall brachte. Die EPA-Verordnung habe ihr gesetzliches Mandat überschritten, hieß es.201 Doch auch nach 1994 gab es Fälle von informaler Kooperation im Bereich der parlamentarischen Kontrolle. Eine gutes Beispielliefert die Umsetzung des Government PerforrruJnce and Results Act (GPRA), das bereits erwähnt wurde.202 Das Gesetz hatte offen gelassen, in welcher Form die Behörden dem Kongreß über die Ergebnisse ihrer Arbeit Bericht zu erstatten hätten. Das OMB hatte im November 1996 ein erstes Memorandum an die Behörden geschickt, in dem die Art der Berichterstattung standardisiert wurde. Bemerkenswert war eine Klausel, welche die Behörden beauftragte, vor Konsultierung des Kongresses das OMB darüber in Kenntnis zu setzen, welche Informationen dem Kongreß übermittelt würden: "To make Congressional consultations as useful as possible, departments and agencies should coordinate with their OMB Resource Management Office (RMO) before consultations take place to develop the most effective presentations, and to incorporate any lessons and examples learned from the experience of other agencies."203

Der Kongreß, das heißt die seinerzeitige parlamentarische Führung, SenatsMehrheitsführer Trent Lott und Sprecher des Repräsentantenhauses Newt Gingrich, wollten sicherstellen, daß die Ministerien und Behörden zwar eine einheitliche Form der Berichterstattung finden, die das OMB zu koordinieren habe, aber ohne daß das OMB als eine Art Zensurbehörde darüber befindet, welche Fakten die Behörden den Parlamentariern zukommen lassen. Für die Gesetzeskonkretisierung wählten sie ein einfaches Schreiben, das an den damaligen OMB-Direktor Franklin D. Raines gerichtet war. Darin betonten sie: "Because the act does not completely specify what constitutes consultations, we strongly encourage that OMB, in issuing further Results Act guidance to agencies, ensure that agencies are clear on what Congress expects during the coming year by way of these consultations. (... ) We hope that you will make it clear to agencies that OMB does not intend to establish a strict ,clearance' process for any draft strategic plans meant tobe used for discussions."204

In dem Brieffolgt eine Liste mit 21 Punkten, die dem OMB im Detail bedeuten, wie sich der Kongreß die Umsetzung vorstellt. Raines Antwortschreiben an die Kongreßführung war kooperativ in Form und Inhalt: 200 Mark Stevens. Interview vom Juni 1999 in Washington D. C. 201 Vgl. Kenworthy 1999. 2o2 Vgl. Kapitel A. IV. l.a). 203 OMB-Memorandum for the Heads of Executive Departments and Agencies, M-97- 03, November 12, 1996. 204 Congress of the United States. Brief an OMB-Direktor Franklin D. Raines vom 25. Februar 1997. Den Brief konnte ich im CRS einsehen.

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Teil B: Qualitative Untersuchung

"1 would like to clarify OMB 's clearance process regarding this consultation. Confusion over the matter of clearance may have stemmed from a misunderstanding of OMB's guidance on the preparation and submission of completed Strategie plans. This guidance specifies that the agencies should submit these plans to OMB for interagency clearance at least 45 days before transmittal to Congress, which is to occur no later than September30. This interagency clearance process does not apply to draft plans and related discussions with Congress and other interested parties. (...)I am sending copy of this Ietter to the agency heads together with a copy of your Ietter to me."2os

Einen Monat später schickte Raines den Behördenleitern das angekündigte Schreiben mit den genannten Kopien. Das Schreiben an die Behörden hatte den Charakter eines Memorandums, also einer inter-administrativen Richtlinie. Das Schreiben von Lott und Gingrieb ist dem Memorandum beigelegt- mit folgendem Vermerk: "Additional Information on Congressional Consultation: (...) GPRA requires agencies to consult with Congress when developing their Strategie plans. OMB Memorandum 97-03 (November 12, 1996) provided guidance on conducting this consultation. In a February25, 1997, Ietter to OMB, the majority leadership in the Senate and in the House of Representatives conveyed theirviews on the consultation process (see attachmentl). (... ) This supplement provides your agency with a copy of this correspondence." 206

Mit dieser Ergänzung der verwaltungsinternen Direktive durch Raines erhielt das informale Schreiben von Lott und Gingrieb selbst den Rang einer Verwaltungsrichtlinie. Wurde diese Form der parlamentarischen Kontrolle zuvor schon in bezug auf Ausschußberichte festgestellt, so kann an dieser Stelle eine noch wesentlich informalere Form ausgemacht werden.

5. Mündliche Empfehlungen und Absprachen Neben der Möglichkeit der legislativen Einflußnahme auf informal-schriftlichem Wege versuchen Kongreßmitglieder auch vielfach über Äußerungen in den Plena, die im Plenarprotokoll festgehalten werden und als solche der Verwaltung zukommen, sowie in Ausschuß-Anhörungen die Unbestimmtheit gesetzlicher Regelungen in ihrem Sinne zu konkretisieren. Diese Form der parlamentarischen Kontrolle ist rechtlich nicht verbindlich, solange der Äußerung des einen oder anderen Politikers vor den hohen Häusern des Kongresses keine Resolutionen folgen. Jedoch symbolisiert diese Form Macht, da die Worte im Zentrum der Macht, in den Plena auf dem Capitol Hili, gesprochen werden. Auch mündliche Vereinbarungen, die nicht auf parlamentarischem Boden gesprochen werden, ersetzen teilweise die formal-juristisch geregelten Beziehungen zwischen Legislative und Exekutive. Leitende Ver205 Executive Office ofthe President. Office ofManagement and Budget. Schreiben Franklin D. Raines an Newt Gingrieb vom 17. März 1997. Den Brief konnte ich im CRS einsehen. 206 OMB-Memorandum for the Heads of Executive Departments and Agencies. M-97-03, Supplement No.1, April 14, 1997.

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waltungsangestellte sind ständige Ansprechpartner von Ausschußmitgliedern. So erklärte etwa Senator William Hathaway (D-Maine): "Informal meetings with administrative offleials that would not be on the record were the most valuable sessions we bad, because both sides could openly say what was wrong with the existing legislation without being scared by the public response. " 200

Sind Mitglieder der Exekutive unsicher, ob ihr Handeln noch auf der Grundlage der legislativen Ermächtigung bzw. des aktuellen legislativen Willens beruht, so wenden sie sich im Zweifelsfall an ein zuständiges Kongreßmitglied. Informale mündliche Vereinbarungen stellen die höchste Stufe der Informalität dar. Umgekehrt beeinflussen Kongreßmitglieder über diese Kanäle den Gesetzesvollzug, d. h. das Verwaltungsverfahren. Nachweise dafür bieten entweder direkte Kontakte zu Ministerialen und Parlamentariern bzw. deren Mitarbeiter oder aber Beobachter des Capitol Hili. CRS-Mitarbeiter Frederick Kaiser berichtet etwa über Absprachen zwischen Senatoren des GAC mit dem Office of Personal Management (OPM) im August 1983 (also Wochen nach dem Chadha-Urteilsspruch), um die OPM-Regulierung über staatliche Bezüge, Beförderungs- und Pensionsrichtlinien zu modifizieren. 208 Die Ausschußmitglieder, die nach dem Urteil nicht mehr die Möglichkeit hatten, die Verordnung über ein legislatives Veto zu stoppen, drohten während der Beratung über das Bewilligungsgesetz für die OPM-Behörde im FY 1984 im Kongreß mit einem Moratorium, das die Regulierung kurzfristig aufgeschoben hätte.209 Hier hätte nach dem Willen der Akteure der Einblick der Öffentlichkeit in den speziellen politischen Prozeß geendet. Der politische Prozeß indes endete nicht. Kaiser zitiert die Washington Post, die ihre Leser über die informellen Kontakte zwischen OPM und Senatoren informierte. Es gilt freilich an dieser Stelle zu betonen: Hier ging es sich nicht um einen großen politischen Skandal. Es ging schlicht um die politische Einflußnahme des Kongresses auf die Verwaltung- genauer: um die parlamentarische Kontrolle der finanziellen Selbstversorgung der Exekutive. Die Regulierungskompetenz hatte der Kongreß an das OPM delegiert. Jetzt ging es der Legislative darum, die legislative Absicht sicherzustellen. Dies ging aber nur noch auf informellem Wege. Informelle Kontakte zwischen Mitgliedern der Legislative und Exekutive dieser Art hat es, so wurde schon anfangs betont, zu jeder Zeit im amerikanischen Regierungssystem gegeben. Diese sind also teilweise unabhängig von der richterlichen Umdeutung der Gewaltenteilungsdoktrin zu sehen. Sie dienen den unterschiedlich207 William Hathaway; in: Former Members' View on Oversight, CRS-2/84/50111. Politikwissenschaftlich interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Erinnerungen des früheren Arbeitsministers Clintons, vgl. Robert B. Reich, Locked in the Cabinet, N. Y. 2 1998, S.57 f. 208 Frederick M . Kaiser, Congressional Control of Executive Actions: Alternatives to the Legislative Veto, CRS-Report 83-227 GOV, S. 31 u. 50. 209 Vgl. Congressional Record, Daily Edition, Vol. 129, 3. August 1983, S 11431-S11436.

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Teil B: Qualitative Untersuchung

sten Zwecken und sie gehören zum politischen Alltag. Wie Brian Klippenstein, legislative assistant von Senator Bond, erklärt, suche er täglich den Kontakt mit der anderen Seite: "Besides formal interaction in hearings there are several ways of informal communication: meetings, letters, e-mails, and phone calls. Sometimes I just need information about a certain issue, sometimes I oversee what they are doing, sometimes the Senator wants me to teil them that he is dissatisfied with a certain regulation. But of course, contacts are not necessarily adversarial. Sometimes we have allies in a certain agency against intervention of the

OMB."2to

Ein unspektakulärer Fall soll am Beispiel des Büros von Senator Bond geschildert werden. Dieser macht die Alltäglichkeit dieser Kontrollform deutlich, aber auch die Grenzen zwischen parlamentarischer Kontrolle und anderen Parlamentsfunktionen. Senator Bond brachte im 103. Kongreß einen Gesetzentwurf mit dem Namen Vegetable Ink Printing Act of 1994 in den Senat ein. 211 Das Gesetz, das am 10. Juni 1994 von Präsident Clinton unterzeichnet wurde, bestimmte, daß das Government Printing Office (GPO), die amerikanische Bundesdruckerei also, sowie andere Regierungsbehörden auf Soja-Basis hergestellte Tinte für öffentliche Druckaufträge benutzen müssen. In Bonds Heimatstaat Missouri spielt die Soja-Landwirtschaft neben der Baumwollindustrie eine dominante Rolle. Mit dem Gesetz vertrat der Republikaner also spezifische Interessen seines Staates. Daher beobachtete sein Büro die Umsetzung des Gesetzes auch ungeduldig. Laut Andrew Sherman, Direktor des Congressional Liason Office des GPO, veröffentlichte die GPO eine gesetzesvollziehende Richtlinie am 25. Juli 1995, also gut ein Jahr später. Laut Sherman habe die GPO nichts gegen das Gesetz einzuwenden gehabt: "GPO has had no problems with the Act, and testified in favor of it during congressional hearings in 1993 and 1994."212 Senator Bond dauerte das Verfahren allerdings zu lange: "The implementation was kind of slow. So the Senator picked up the phone to speed things up."213 Diese Form der parlamentarischen Kontrolle, die eindeutig der Vertretung von Wahlkreisinteressen gilt, gab es zu jeder Zeit in den USA. Für Senator Bond gehören solche Fälle zur politischen Routine. 2 14 Brian Klippenstein. Interview vom Juni 1999 in Washington D.C. Vgl. P.L. 103-348. 212 Andrew Sherman. E-mail vom 24. Juni 1999 in Washington D. C. 213 Die Informationen beruhen auf off-the-record-lnterviews mit ehemaligen und gegenwärtigen Mitarbeitern von Senator Bond. 214 Bond zeigte etwa ein ähnliches Engagement, als es darum ging, die Umweltbehörde EPA zu bewegen, ein neues Pestizid zu testen, das von einem Pharmazeuten aus Missouri hergestellt wurde und im Baumwoll-Anbau eingesetzt werden sollte. In diesem Fall schrieb er zunächst einen Brief an die EPA, in dem er betonte, daß das Pestizid " wichtig für die Bauern in Missouri" sei. Als der Brief keine Wirkung zeigte, holte er beide Konfliktparteien an einen Tisch in sein Büro. Nach Darstellung eines seiner Mitarbeiter begrüßte er den EPA-Vertreter und den Repräsentanten der pharmazeutischen Firma mit den Worten: "I am only the mediator, you have work things out. I would like you to find a solution." 210

2u

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Fälle wie der geschilderte gelten als Beispiele für legitime parlamentarische Kontrolle und Repräsentation. Dies wurde durch Gerichtsurteile mehrmals bestätigt, wie im folgenden noch erläutert wird. "Congressional infiuence is not only legal. It is legitimate, too. This is just the way our Govemment works." 215 Doch wo verläuft die Grenze zwischen parlamentarischer Beeinflussung des Gesetzesvollzugs und bevorzugter Behandlung bestimmter Interessengruppen. "Nothing against national interest", diese Definition Brian Klippensteins ist die goldene Regel auf dem Capitol Hili. Doch wer definiert das nationale Interesse? Wann laufen Sonderinteressen der regulativen Idee des Gemeinwohls zuwider? Aufschlußreich ist hier die Äußerung Paul Kims, eines Mitarbeiters des Repräsentanten Henry Waxman (D-Kalifornien): "You have to ask yourself, if you want your Congressman with that decision on the front page of the New York Times. " 216 Informale Orte der Entscheidungsfindung werden aber gerade auch deshalb gesucht, um politische Prozesse abseits der Öffentlichkeit stattfinden zu lassen. Diese Form der parlamentarischen Kontrolle hat seit dem Chadha-Urteil zugenommen, weil sich die Rahmenbedingungen verändert haben. Und hier setzt die Kritik von Politikwissenschaftlern und Interessengruppen ein. Nicht die Intervention des Kongresses in den Gesetzesvollzug ist problematisch, so CRS-Mitarbeiter Frederick Kaiser, dies sei Teil des power sharing. Problematisch sei, daß dies nicht-öffentlich stattfinde: "There is a problem. Congress acts now, after Chadha, many times under cover. This makes it more difficult for certain interest groups to get an insight of what is going on in their policy arena."217 Die Problematik soll am Beispiel des Gesetzesvollzug des Food and Drug Administration Modernization Act of 1997 (FDAMA) verdeutlicht werden. 218 Das Gesetz, das der FDA nach 30 Jahren eine neue gesetzliche Grundlage gab, die FDARegulierungen entrümpeln und den Verordnungsgebungsprozeß rationalisieren sollte, trat am 21.November 1997 in Kraft. Es löst denFedera/ Food, Drug and Cosmetic Act und den Public Health Service Act ab. Obschon der gesetzgebensehe Impetus der Republikanischen Deregulierungspolitik entsprang, wurde das Gesetz in beiden Häusern mit überparteilicher Mehrheit gebilligt.219 Weniger als ein Jahr nach Verabschiedung des Gesetzes fanden im Hause Subcommittee on Full Committee on Commerce unter dem Vorsitz des Repräsentanten Tom Bliley (R-Virgina) die ersten oversight hearingsüber den Vollzug des Gesetzes statt.220 Michael Friedman berichtete als kommissarischer Chef der FDA über den Stand der lmplementation: Morton Rosenberg. Interview vom Juni 1999 in Washington D. C. Paul Kim. Interview vom Juni 1999 in Washington D. C. 217 Frederick Kaiser. Interview vom Juni 1999 in Washington D. C. 218 P.L. 105-115, vgl. im foJgendenRichardRowberg!B. Randall, Donna Porter et al., Food and Drug Administration Modemization Act of 1997. The Provisions, CRS-Report 98-263 STM. 219 V gl. Donna Cassata, Overhaul of FDA Approval Process Gets Bipartisan Support on Panel; in: CQ-WR, 2l.Juni 1997, S.1452f.; sowie: CR-S9771, 23.September 1997, CR-S12616, 13.November 1997, CR-H8978, 22.0ktober 1997. 215

216

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Teil B: Qualitative Untersuchung

"We are proud not only of the number of tasks that we have completed to implement FDAMA, but also of the timelineness with which we have completed these tasks. Since November 21, 1997, to implement FDAMA, FDA has issued a total of 9 final rules, 2 proposed rules, 28 guidance documents (25 final and 3 draft), 10 notices and 1 report"221

Besonderes Interesse gilt in unserem Zusammenhang Friedmans Ausführungen zu Section401 des FDAMA (Dissemination of Information on New Uses). Der Abschnitt befaßt sich mit der Verbreitung von werbender und wissenschaftlicher Information über alternative Anwendungsgebiete von Medikamenten, welche die FDA-Zulassung nur für bestimmte Indikationen erhielt. FDAMA ersetzte das vorherige Verbot der Verbreitung dieser Informationen durch eine komplizierte Passage, die nunmehr erlaubt, daß die pharmazeutische Industrie ihren Produkten wissenschaftliche Artikel beilegt, die Informationen darüber erteilen, welche Wirkung das Produkt außer seiner primären hat. Zudem muß die Firma innerhalb einer bestimmten Zeit, die Zulassung des Präparats auch für sekundäre Indikationen anstreben.222 Das Interesse der Industrie ist offenkundig: Sie sucht für ihre Produkte möglichst viele Anwendungsgebiete, um den Absatzmarkt auszuweiten. Wollte die PharmaIndustrie etwa ein Schmerzmittel auch als blutdrucksenkendes Präparat anpreisen, so mußte bislang das bereits zugelassene Schmerzmittel von der FDA auch als Blutdruck-Mittel eigens lizensiert werden. Das war nicht im Interesse der Industrie, da derartige Verfahren lange dauern können. Die Republikaner beabsichtigten ursprünglich, die Verbotsklausel gänzlich aus dem Gesetz streichen, doch Demokraten und Verbraucherschutzgruppen drängten auf eine restriktivere Handhabung, um zu verhindern, daß das FDA-Zulassungsverfahren unterlaufen wird. Das Ergebnis war der genannte Kompromiß. Friedmann konnte nun am 10.Juli 1998 berichten, daß am 8. Juni mit der Veröffentlichung eines Verordnungsentwurfs im Federal Register der formale Verordnungsprozeß eröffnet worden war. 223 Tom Bliley war indes mit der vorgeschlagenen Verordnung, insbesondere mit dem Zeitrahmen, nicht zufrieden. Seiner Äußerung in der Anhörung ist zu entnehmen, daß die wesentliche parlamentarische Einflußnahme schon im Vorfeld des formalen Anhörungsprozesses stattgefunden hatte: "I want to mention a few matters that I consider to be significant, where I am concemed that FDA's approach may differ from congressional intent. The first is the FDA proposed rule on 220 Vgl. im folgenden: http://com-notes.house.gov/cchear/Hearing, 22. Juni 1999 (15.50 Uhr). 221 Statement of Dr. Michael Friedman, Acting Commissioner of Food and Drugs before the Subcommittee on Full Committee on Commerce, Implementation of the Food and Drug Administration Modemization Act of 1997, vgl. ebd. 222 Vgl. P. L. 105-115 sowie FDA Backgrounder, The FDA Modemization Act of 1997; in: http://www.fda.gov/opacom/backgrounders/modact.htm, 30.Juni 1999 (15.35 Uhr). 223 Vgl. Department of Health and Human Services. Food and Drug Administration, Dissemination of Information on Unapproved/New Uses for Marketed Drugs, Biologics, and Devices, 21 CFR Parts 16 and 99; in: Federa1 Register, 63 (1998): 109, 31143.

II. Informaler Kontrollsektor

161

disseminiation of information regarding off-labe! use of approved products. This has been a controversial proposal, and I am pleased that it is undergoing revision."224

Die Regulierung wurde im Sinne Blileys verändert. Die Verbraucherschutzgruppe Public Citizen Congress Watch beklagte sich über das Verfahren: "FDA withdrew certain provisions of the regulation - and there was no way for us to articulate our point of view while the Committee informally influenced the agency. The problern is not that Bliley had contact with the pharmaceutical industry and FDA, but that he did not make it public to give us a chance to get into the game."225 Mit seiner Bemerkung räumte Bliley diese Kontakte indirekt ein. Ein Mitarbeiter bestätigte: "Yes. There were meetings. We were making sure that the regulation was consistent with congressional intent. So we took influence. But it wasn't a backroom meeting."226 Ein zweiter Mitarbeiter bestätigte: "There was some critique from public interest groups and patient organizations saying that they could not articulate their interest. The problern was not that the doors were closed but whose doors were closed. The majority did not communicate with them."227 Der geschilderte Fall ist ein typisches Beispiel für informale parlamentarische Kontrolle über den Gesetzesvollzug und für die Probleme, die sie bewirken kann. Die Auswirkungen dieser Probleme werden in Kapitel C. III. diskutiert. Mündliche Kontakte zwischen Kongreßmitgliedern und Verwaltungspersonal mit dem Ziel der Beeinflussung des Gesetzesvollzugs sind mehrfach von seiten der Gerichte für verfassungskonform befunden worden, obwohl ihre Wirkung der des legislativen Vetos gleichkommt. Im Fall Sierra Club v. Costle strebten die Kläger an, eine EPA-Verordnung für ungültig erklären zu lassen, weil es off-the-record-Treffen zwischen der Umweltbehörde und einem Senator gekommen sei. 228 In dem Fall aus dem Jahre 1981 -also vor dem hier betrachteten Zeitraum- beschuldigte der Sierra Club die Umweltbehörde EPA, nach Beendigung des informalen Verordnungsverfahrens und der Anhörung ihre vorherige Unterstützung für einen "more stringent emission standard"229 zurückgezogen zu haben - und zwar nach einer informellen Absprache mit dem seinerzeitigen Mehrheitsführer des Kong~esses, dem Republikaner Howard Baker. Der Sierra Club vermutete politischen Druck seitens gut organisierter Interessengruppen und befand das Verfahren für "unlawful and prejudicial"230. Das Gericht wies die Klage ab. Neben der genauen Überprüfung des Falles 224 Statement of the Honorable Tom Bliley. Subcommittee on Full Committee on Commerce Hearing on Implementation of the Food and Drug Administration Modemization Act of 1997, IO.Ju1i 1998; in: http://www.com.notes.house.gov/cchear/Hearing, 22.Juni 1999 (15.30 Uhr). 225 Maura Kealey. Interview vom Juni 1999 in Washington D. C. 226 Off-the-record-Interview mit einem Mitarbeiter des Ausschußstabes des Commerce Committee vom Juni 1999 in Washington D.C. 227 Off-the-record-Interview mit einem persönlichen Mitarbeiter eines Mitglieds des Commerce Committee vom Juni 1999 in Washington D. C. 228 Vgl. Sierra Club v. Costle 657 F. 2d 298 (D.C. Cir. 1981). 229 Vgl. ebd. 2Jo Ebd.

II Sattar

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Teil B: Qualitative Untersuchung

äußerten sich die Richter auch demokratietheoretisch zu dem Kern der Klage- nämlich den informalen Kontakten zwischen den beiden Gewalten: "Under our system of government, the very legitimacy of general policymaking performed by unelected administrators depends in no small part upon the openness, accessibility, and the amenability of these offleials to the needs and ideas of the public from whom their ultimate authority derives and whom their commands must fall. ( ...) Informal contacts may enable the agency to win needed support for its program, reduce future enforcement requirements by helping those regulated to anticipate and shape their plans for the future, and spur the provision of information which the agency needs."231

Mit Bezug auf die konkrete Klage kam der Distrief of Columbia Circuit zu einem Ergebnis, das die Basis auch für den in dieser Arbeit zugrunde gelegten Zeitraum- bezogen auf das Spannungsverhältnis von formalen und informalen Komponenten der Politik- darstellt. Wie diese Arbeit nämlich zeigt, führen veränderte verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen zu einer lnformalisierung und damit zu einer Verstärkung der hier dargestellten Entwicklung. Die Richter befanden: "The meetings did underscore [the Senator's, Einf. im Original] deep concerns for EPA, but there is no evidence he attempted actively to use ,extraneous' pressures to further his position. Americans rightly expect their elected representatives to voice their grievances and preferences concerning administration of our laws. We believe it entirely proper for Congressional representatives vigorously to represent the interest of their constituents before administrative agencies engaged in informal general policy rulemaking, so long as individual Congressmen do not frustrate the intent of Congress as a whole as expressed in statute, nor undermine applicable rules ofprocedure (... )."232

Doch diese Sichtweise schränkte das Gericht ein: Grund dafür war, daß die gesetzliche Grundlage dieser Verordnung ausdrücklich den Verwaltungsträger aufforderte, den Verordnungsgebungsprozeß schriftlich festzuhalten, um spätere verwaltungsrechtliche Prüfungen zu erleichern. Die mündlichen Absprachen, also- gemäß der hier zugrunde gelegten Definition- Formen der informellen Politik, die "of central relevance to the rulemaking"233 seien, müßten schriftlich in die Verordnungsbegründung aufgenommen werden. D. h., die Verwaltung muß offenlegen, warum sie zu welcher Entscheidung gekommen ist. Dieser Aspekt ist von zentraler Bedeutung, weil er die Problematik informeller Politik erklärt: Nur was öffentlich zugänglich ist, kann von der Öffentlichkeit wahrgenommen, nachvollzogen und letztlich auch kontrolliert werden. Welche Erwägungen, d. h. welche Einflußfaktoren, indes von zentraler Bedeutung für das Zustandekommen von Verordnungen sind, ist freilich alles andere als eindeutig. Die Problematik dieser Entwicklung wird an anderer Stelle, nämlich bei der Untersuchung der gesellschaftlichen Konzequenzen des Vorganges der lnformalisierung, nochmals aufgegriffen. 231 Ebd. 232 Ebd. 233 Ebd.

II. Informaler Kontrollsektor

163

An dieser Stelle ist das Urteil im engeren Sinne von Bedeutung. Informale Kontakte zwischen Legislative und Exekutive werden rechtlich nicht nur toleriert, sondern auch für notwendig erachtet- und dies nicht allein vor der U mdeutung der Gewaltenteilungsdoktrin durch den Obersten Gerichtshof. 1984, also ein Jahr nach dem Chadha-Urteil, wurde die Judikative noch deutlicher. Im Fall City of Alexandria v. V nited States heißt es gar, daß die Legislative über informelle Kontakte einen erheblichen Einfluß auf den Gesetzesvollzug haben dürfe: Kongreßmitglied und Ausschußvorsitzende hätten ein ganz natürliches Interesse daran, die von ihnen verabschiedeten Bundesprogramme in ihrer Umsetzung durch die Verwaltung zu beobachten. Die Verwaltung solle dies "into account" nehmen und die Legislative informieren, "respond to their inquiries, and it may be, flatter and please them when necessary". An dieser Praxis sei nichts Verfassungswidriges: "(...) indeed, our separation of powers makes such informal cooperation much more necessary than it would be in a pure system of parliamentary government." 234 Doch was ist damit gesagt? Gegen informale- im Fall von Sierra Club v. Costle sogar informelle - Kontakte zwischen beiden Regierungsgewalten im Rahmen des Verordnungsgebungsprozesses ist rechtlich zunächst nichts einzuwenden, solange die Absprachen sachbezogen sind - so die Einschränkung der Gerichte. Wahrend rechtlich betrachtet keine Einwände bestehen, so gibt es doch Komplikationen für den politischen Prozeß: Die mündliche Einflußnahme ergänzte nicht nur formale Regelungen, sie ersetzte sie, wie das Gericht sogar ausdrücklich betonte. Zwei Probleme ergeben sich aus dieser Entwicklung: (1) Zum einen kann der Umstand der informalen Beeinflussung des Verordnungs-

verfahrens verwaltungsrechtliche Komplikationen mit sich bringen. Wenn die Frage, welche legislativen Einflußfaktoren von zentraler Relevanz sind, nicht eindeutig zu bestimmen ist, wenn demnach wichtige Aspekte der legislativen Absicht entweder in rechtlich nicht verbindlichen Texten fixiert werden oder gar nur auf mündlicher Absprache beruhen, woran soll die Judikative dann das verwaltungsrechtliche Vorgehen der Behörden messen? Richter haben beim judicial-review- Verfahren darüber zu befinden, ob sich der Ermessensspielraum des Verwaltungshandeins noch im Rahmen der legislativen Ermächtigungsnorm befindet. Ist diese aber nicht beziehungsweise nur in mündlicher Form vorhanden, fehlt den Richtern ein rechtlicher Maßstab.

(2) Die Einschränkung, informaler politischer Einfluß von seiten der Legislative auf die Exekutive sei zudem nur dann legal, wenn er sachbezogen sei, ist ebenso problematisch. Die Sachbezogenheit soll sicherstellen, daß sich Kongreßmitglieder nicht zu Lobbyisten von Sonderinteressen machen, sondern lediglich die legislative Absicht sicherstellen und stetig aktualisieren. Wenn dieser Prozeß aller234 City ofAlexandria v. United States, 737 F.2d 1022; zit nach: Louis Fis her, TheSeparation Doctrine in the Twentieth Century; in: Roger H. Davidson/Richrad C. Sachs, Understanding Congress: Research Perspectives, House Document 101-241.

II*

164

Teil B: Qualitative Untersuchung

dings nicht öffentlich stattfindet, ist die Sachbezogenheit der Kooperation zwischen einzelnen Mitgliedern der Legislative und der Verwaltung nur schwer zu klären. Es muß freilich festgestellt werden, daß diese rechtlichen Komplikationen, die sich für die Judikative ergeben, sozusagen hausgemacht sind. Der Vorgang der Informalisierung wurde erst durch die jüngeren Gewaltenteilungsurteile bewirkt.

6. Von der Informalisierung zur "lnformellisierung"? Die Folgen des präsidentiellen line-item veto und seines Scheiteros Im Bereich des formalen Kontrollsektors wurden Änderungen des präsidentiellen rescission-Rechtes dargestellt, die schließlich beginnend mit dem Jahr 1997 im sogenannten line-item-veto-Recht mündeten. Der Oberste Gerichtshof brachte dieses Recht eineinhalb Jahre nach seiner gesetzlichen Einführung wieder zu Fall- mit der Begründung, daß es nicht in Einklang mit der Gewaltenteilungsvorstellung der Verfassung stehe. Anders formuliert: Die amerikanische Verfassung müsse geändert werden, solle der Präsident das Recht erhalten, einzelne Haushaltsposten aus einem Gesetzestext zu streichen. Die Option einer Verfassungsergänzung ist aufgrund des komplizierten Prozesses im amerikanischen Regierungssystem äußerst unwahrscheinlich. Außerdem änderten sich die finanzpolitischen Rahmendaten: Für 1999 konnte Präsident Bill Clinton aufgrund der mit dem Kongreß ausgehandelten "Politik des ausgeglichenen Haushalts" erstmals wieder einen Bundeshaushalt mit einem Überschuß vorlegen. Auch dies wird den Kongreß eher dazu veranlassen, nicht mehr nach Alternativen zu einem line-item veto zu suchen.235 Obschon das Instrument durch das Urteil des Obersten Gerichtshofs inzwischen obsolet ist, muß in diesem Kontext die Praxis des line-item veto dargestellt werden, da sie langfristig Auswirkungen auf den Prozeß der Informalisierung gehabt hätte. Eine Mehrheit beider Kammern hatte aus finanzpolitischen Gründen das parlamentarische Haushaltsrecht zugunsten des Weißen Hauses beschnitten. Dies hinderte unterschiedliche parlamentarische Mehrheiten nicht, im Einzelfall über das Mittel des log-rolling, gegen die präsidenlieHe Intervention vorzugehen. Den Kongreßmitgliedern standen dabei unterschiedliche Instrumente zur Verfügung, um das selektive Veto des Präsidenten zu unterlaufen. Diese waren sowohl formaler als auch informaler Natur. Zu den formalen gehörte das Überstimmen der präsidentiellen Streichung mittels einer Zweidrittelmehrheit. Präsident Clinton strich aus elf Gesetzen insgesamt 82 Punkte mit einem Gesamtwert von 355 Millio235 Vgl. Andrew Taylor, Few in Congress Grieve as Justices Give Line-Item Veto the Ax; in: CQ-WR, 27. Juni 1998,8.1747.

Il. Informaler Kontrollsektor

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nen Dollar. Allein in 38 Fällen konnte der Kongreß das Veto verfassungsgemäß wieder außer Kraft setzen. 236 Der Einsatz informaler Instrumente ist komplizierter, da er nur in Verbindung mit formalen funktioniert. Dies widerspricht nicht der Arbeitsdefinition des Informalisierungsvorganges, da die formalen Instrumente nur den Weg für informale Politik bereiten. Im Ergebnis verdunkelt sich der politische Prozeß. Da die Instrumente gemessen an dem eingangs entwickelten Kontinuum der Informalisierung zunehmend aus dem informalen Extrem stammen, drohte dem amerikanischen Regierungssystem zeitweise eine "Informellisierung" bestimmter Aspekte der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen. Das line-item veto war nicht lange genug in Kraft, um diese Entwicklung zu bestätigen. Parallele Vorgänge in den Einzelstaaten legen allerdings einen solchen Schluß nahe. Ein mögliches Szenario dafür bot der 105. Kongreß. Waren es in den 80er Jahren vor allem Republikaner, die für die Einführung eines line-item-veto-Rechtes des meist Republikanischen Präsidenten gegenüber dem zumeist mehrheitlich Demokratischen Kongreß standen, so änderten viele Republikaner nach Einführung des Rechtes ihre Meinung, als Präsident Bill Clinton im Sommer 1997 damit anfing, das selektive Veto auch gegen die Ausgabenpolitik des nunmehr mehrheitlich Republikanischen Kongresses einzusetzen. Präsident Clinton legte beispielsweise sein selektives Veto gegen Steuervergünstigungen für einzelne Gruppen im Taxpayer ReliefAct of 1997 ein.237 Der Republikaner Bill Areher, Vorsitzender des Committee on Ways and Means des Repräsentantenhauses, sah sich durch die Streichung verschiedener Provisionen aus dem Steuerentlastungsgesetz, einem Änderungsgesetz des Interna/ Revenue Code of 1986, veranlaßt, Gegenmaßnahmen in die Wege zu leiten - und zwar zunächst formal-gesetzlicher Art. Er brachte Gesetzentwurf H. R. 2513 ein, mit dem er das von Clinton gekürzte Gesetz von 1997 derart ergänzen wollte, daß die vom Präsidenten gestrichenen Haushaltsposten in modifizierter Form wiedereingeführt worden wären. June E. O'Neill, Direktorin des CBO, erklärte in ihrem Bericht an Areher das Ziel des Vorhabens: "The Congressional Budget Office has reviewed H. R. 2513, which would amend the Interna! Revenue Code of 1986 to restore in a modified form two provisions in the Taxpayer Act of 1997 that were canceled by the President pursuant to the Line ltem Veto Act. The provision would exempt active financing income from foreign personal holding company income and provide for the nonrecognition of gain on the sale of stock in agricultural processors to certain fanners' cooperatives." 238

Gegen diese gesetzliche Maßnahme hätte der Präsident wiederum sein präsidentielles Veto einlegen können. Das Ziel wäre verfehlt worden. Handlungsalternative 236 Vgl. Reuters, US-Präsident verliert seine Veto-Waffe. Oberstes Gericht hält ,,Line-ItemVeto" für verfassungswidrig. Mit dem Einspruchsrecht konnten kostenintensive Teile von Gesetzen blockiert werden; in: Süddeutsche Zeitung, 27./28. Juni 1998. 237 Vgl. H.R. Rept. 105- 318. 238 Ebd.

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Teil B: Qualitative Untersuchung

für den Kongreß wäre eine Praxis gewesen, die sich schon in den Einzelstaaten als äußerst tauglich erwiesen hatte. Der Kongreß hätte den Bestimmtheitsgrad des Gesetzes erheblich reduzieren können, um für den Präsidenten die genaue Verwendung der Mittel nicht nachvollziehbar zu machen. Informal wären die Gesetze dann zwischen Kongreßmitgliedem und der Verwaltung konkretisiert worden. In dem genannten Fall des Steuerentlastungsgesetzes gab es nach Auskunft Louis Fishers derartige Überlegungen im Kongreß, die nur durch das spätere Urteil hinfällig wurden.239 Doch wie hätte diese Praxis konkret ausgesehen? "To circumscribe presidential power, Congress could decide to itemize programs in other sources, such as Congressional Record or on plain paper, with the understanding that agencies will comply with nonstatutory control or risk sanctions imposed in subsequent legislation." 240

Diese Optionen können noch durch mündliche Absprachen ergänzt werden. Rechtlich ist dagegen nichts einzuwenden. Diese Praxis ist in den Einzelstaaten gang und gäbe. Der Oberste Gerichtshof von Floridahatim Jahre 1989 festgestellt, daß "the govemor could not veto items contained in the summary statement of intent ( ... ) and the legislative working papers that accompanied the generat appropriation bill."241 Als Ultimaratio läßt sich feststellen: Wenn keine öffentlichen Dokumente vorliegen, die die parlamentarische Absicht feststellen, kann auch kein Veto dagegen eingelegt werden. Hätte sich am Ende nichts geändert? Am Ergebnis der Effektivität der haushaltsrechtlichen Kontrolle nicht. Doch die Form der Politik hätte sich gravierend gewandelt. Formale Politik würde durch informale ersetzt - und informale Politik durch informelle. "The Congress will choose, in certain circumstances, to preempt the president's item veto power entirely. Aside from packaging, Congress could simply decide to write legislation in ways that prevent the item veto from being applied to specific items that it regards as vital. This would likely occur only in cases where the congressional majority had strong views about protecting its priorities, such as where a !arge amount of money is involved. For example, if the president were likely to eliminate funds for a major defense weapons system that had strong congressional support, Congress might write language into the defense appropriation bill that prohibited the president from exercising the item veto on that section of the bill." 242

Philip G. Joyce und Robert D. Reisehauer spielen hier auf zwei Möglichkeiten an, das präsidentielle Recht zu unterlaufen. Das letztere ist schlicht der gesetzliche AusLouis Fisher. Interview vom Juni 1999 in Washington D. C. Vgl. Louis Fisher, Line ltem Veto Act 1996: Heads-up from the States; in: Public Budgeting & Finance, (Summer) 1997, S.5. 24t Ebd. 242 Philip G. Joyce/Robert D . Reischauer, The Federal Line-Item-Veto: What Is It and What Will It Do? in: Public Administration Review, 57 (1997): 2, S. 101. 239

240

II. Informaler Kontrollsektor

167

schluß bestimmter Haushaltsgelder von der Streichungsmöglichkeit. Da das lineitem veto selbst nur gesetzlich gewährt wird, kann es auch gesetzlich wieder beschränkt werden. Anders als in vielen Einzelstaaten ist dieses Recht nicht in der Verfassung verankert, somit liegt auch keine Normhierarchie vor. Die Folgen der ersten Option, die Joyce/Reischauer packaging nennen, beinhalten eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Louis Fisher hat diese Optionen systematisiert, nachdem er die Handhabe des line-item-veto-Rechtes in mehreren Einzelstaaten empirisch untersucht hatte. Er unterscheidet zumindest zwei Formen: die unbestimmte Gelderbewilligung (leveling itemization) und das Bündeln (bundling). Während bei der ersten Option Geldbeträge ohne Spezifizierung an eine Verwaltung überwiesen werden, werden bei der zweiten Option spezifizierte Gelder unter allgemeinen Posten gebündelt. Die Möglichkeit des Präsidenten, bestimmte Haushaltsposten zu kassieren, hängt von der Zuschneidung der Haushaltsposten ab. Hierbei gilt: Je unbestimmter diese sind, um so schwerer fällt es dem Präsidenten, die bewilligten Gelder zu kassieren. Die Verfassung der Vereinigten Staaten läßt sich nicht darüber aus, ob und wie der Kongreß Gelder ihrem Zweck zuschreiben muß: "There are no requirements in the U.S. Constitution for itemizing appropriation bills. Whether to identify the item in a bill or in some part of the legislative history, such as in the conference report, is a matter of Congress. Much of the impetus behind the item veto at the state Ievel was the desire to give govemors greater control over legislative ,log-rolling' and ,pork barre!' spending. But legislators could frustrate item-veto authority by providing appropriations in lump sumsrather than in items."243

Diese Handhabe widerstrebt dem Präsidenten, der jetzt seiner Möglichkeit beraubt ist, die Gelder zu streichen. Hatte er etwa ursprünglich vor, die Mittel der Umweltbehörde EPA für ein neues Wasserschutzprojekt in Kalifomien zu streichen, so müßte er nunmehr die gesamten Gelder für den Bereich "Wasserschutz" streichen. Das gleiche gilt für das Bündeln einzelner Haushaltsposten, wie die Praxis aus den Einzelstaaten beweist: "Legislators sometimes lump two items together, providing a single sum for a program the govemor wants with one the govemor has objected to. Bundling can force the govemor to make a painful decision: either agree to the combined amount (swallowing funds that were never requested) or exercise a veto and lose funds for a favored program." 244

Die Gangart widerstrebt zwar dem Präsidenten, kommt aber der Verwaltung entgegen, da die unspezifizierten Haushaltsposten ihnen Ermessensspielraum und Flexibilität in der Gesetzesimplernation gewährten. Die Konkretisierung der bewilligten Geldbeträge findet dann zwischen Kongreß und Verwaltung parallel zur Gesetzgebung und auch während der Phase der Gesetzesausführung statt- und zwar über eine Vielzahl von Kommunikationskanälen. Ein heute typischer Abstimmungskanal 243

244

Fisher 1997, S.5. Ebd. S. 8.

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Teil B: Qualitative Untersuchung

ist der Ausschußbericht, der schon parallel zur Gesetzgebung formuliert wird und zur sogenannten legislative historygezählt wird. Auch die Möglichkeit der transfers, also der Umbuchung einzelner Gelder aus einem Haushaltsposten in eine andere Stelle im laufenden Haushaltsjahr, kann dazu dienen, das präsidentielle Kassierungsrecht zu unterlaufen. Auf diese Weise kann der Kongreß in Voraussehung präsidentieller Opposition gegen bestimmte Ausgaben die Mittel in eine andere (unstrittige) Haushaltsstelle setzen, um sie später für das eigentliche Programm umzubuchen und umzusetzen. Die Frage, ob die Exekutive gegen diese Handhabe wieder ein Veto einlegen kann, ist rechtlich umstritten. In den Einzelstaaten gibt es dazu unterschiedliche Urteile der Obersten Gerichtshöfe. Der Oberste Gerichthof von Arizona etwa gestattete dem Gouverneur diese Möglichkeit in seinem Urteil von 1992 ausdrücklich, da eine solche Möglichkeit "would eviscerate the line-item vetopower which the Constitution intended the Governor to have"245 • Die kurze Dauer der tatsächlichen Praxis erlaubt nicht zu zeigen, daß dieser Prozeß von der Informalisierung zur "Informellisierung" bereits über erste Tendenzen hinaus eingetreten war. Seit dem Sommer 1998 ist eine mögliche Entwicklung zu einer weitergehenden Informalisierung durch den Urteilsspruch der Obersten Richter ohnehin gebremst worden. Ob die Entwicklung gänzlich gestoppt wurde, muß indes bezweifelt werden, da auch ohne das line-item veto Tendenzen einer "Informellisierung" sichtbar wurden, wie das Beispiel NASA zeigte. Eine Ironie der Geschichte bleibt: Der Supreme Court machte sich in seiner Entscheidung, die ebenfalls auf einem formalistischen Gewaltenteilungsverständnis fußte, keine Gedanken über die Informalisierung. Beweggrund der Obersten Richterschaft war alleine, ein Kooperationsinstrument zwischen Kongreß und Präsident zu verhindern, das nach Meinung des Gremiums nicht mit der Gewaltenteilungsdoktrin in Einklang stand. Ironischerweise kann an dieser Stelle schon festgestellt werden, daß während die ersten beiden Urteile unbeabsicht den Vorgang der Informalisierung beförderten, das letzte Urteil nun eine gegenteilige Wirkung hatte, obwohl es auf der gleichen formalistischen Grundlage basierte. Die Tendenz einer "Informellisierung" hätte die Problematik der Informalisierung noch deutlicher vor Augen geführt: "There is a problem: The work of government is going underground. Formal politics become informal to a !arger extent. The consequence isthat the public suffers."246 Konkret heißt dies bei Fisher: "In responding to this shift of power, legislators will be given an incentive to complicate the bill-writing and report-writing stages, perhaps by driving the process underground and Operating less through public documents. To that extent, public accountability, far from improving, will erode. Tothis mix be added the activity of federal judges, who will be asked to 245

246

Ebd. S. 10. Louis Fisher. Interview vom August 1996 in Washington D.C.

III. Wandlungen der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen

169

decide complex fiscal and procedural issues that have largely eluded the skills and competence of state judges."247

In dem Maße, in dem sich der Vorgang der Informalisierung der Politik fortsetzt und letztlich sogar in der "Informellisierung" mündet, entziehen sich politische Prozesse der öffentlichen Wahrnehmung und damit der öffentlichen Kontrolle. Verwaltungsrechtliche Klagen gegen das Verwaltungshandeln, welches das Ergebnis der informalen Vereinbarungen zwischen Kongreß und Verwaltung ist, müssen dann von Richtern entschieden werden. Diese greifen damit zunehmend in den politischen Prozeß ein. Dabei wird nun von bestimmten Richtern in Zweifel gezogen, daß informale Vereinbarungen in schriftlicher oder mündlicher Form bei der verwaltungsrechtlichen Überprüfung der Verwaltungspraxis als Bemessungsgrundlage herangezogen werden dürfen. Wird dies abgelehnt, läuft das Gleichgewicht der Gewalten in letzter Konsequenz tatsächlich Gefahr, sich zuungunsten der Legislative zu verlagern.

111. Wandlungen der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen I. Handlungsänderungen einzelner Akteure

Die engere Fragestellung dieser Arbeit zielte darauf, wie sich der Wandel der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen charakterisieren läßt und welche Faktoren zum Vorgang der Informalisierung beigetragen haben. Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung war das Jahr 1983. Zu diesem Zeitpunkt erklärte der Oberste Gerichtshof im Chadha-Urteil das legislative Veto für verfassungswidrig. Dies war für den Kongreß der Impetus für die Suche nach funktionalen Äquivalenten für diese Kontrollform. Bald aber wurde durch die folgenden Gewaltenteilungsurteile, vor allem durch das Bowsher-Vrteil auf der Ebene des Obersten Gerichtshofs, deutlich, daß das Verhältnis der beiden Regierungsgewalten im Bereich der parlamentarischen Kontrolle insgesamt umgedeutet werden sollte. Die zentralen Akteure in der politischen Arena der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen - zuvörderst der Kongreß, dann die Verwaltung und als Reaktion darauf auch die Kernexekutive - reagierten auf diese Herausforderung, wie die qualitative Untersuchung gezeigt hat. Durch die Handlungsänderungen der Akteure kam es zu Wandlungen der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen. Die zuvor an Einzelfällen aufgezeigten Wandlungen sollen hier systematisch beleuchtet und diskutiert werden - und zwar nach den Kriterien Akteur und Form des politischen Prozesses.

247

Fisher 1997, S. 16.

170

Teil B: Qualitative Untersuchung

a) Kongreß Rückblickend betrachtet, löste das Chadha-Urteil den Wandlungsprozeß der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen aus. Es war für den Kongreß allerdings 1983 nicht vorauszusehen, daß vor allem informale politische Kommunikation die Stellung der Legislative im Bereich des Gesetzesvollzugs sichern könnte, obschon es seit jeher informale Kontakte zwischen beiden Gewalten gegeben hatte. Von dem Urteil aufgeschreckt, widmete sich der Kongreß freilich zunächst allein der Suche nach funktionalen Äquivalenten des legislativen Vetos. Konkrete Problemlösung in veränderten Rahmenbedingungen war jetzt gefordert. Diese Reaktionen werden an dieser Stelle zusammengefaßt und bewertet. Die Reaktionen beinhalten Kontrollformen aus dem formalen und dem informalen Sektor. Beide müssen hier dargestellt werden, um den Wandel zu verdeutlichen. Ein einzelnes Äquivalent, welches das legislative Veto direkt ersetzt, existiert nicht. Der Kongreß arbeitete hingegen seit 1983 mit einem breitgefacherten Repertoire an Kontrollformen im Gesetzesvollzug. Teilweise konnte er auf bestehende Formen zurückgreifen bzw. diese verstärkt instrumentalisieren, teilweise wurden aber auch neue informale Formen der Kontrolle entwickelt. In angelsächsischer Manier entscheidet der Einzelfall darüber, welcher Form sich die Legislative bedient. Die Kontrollformen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Effektivität. Zum einen besitzen sie alleine teilweise keinerlei Sanktionskraft gegenüber der Exekutive, sondern nur in kombinierter Form. Zum anderen ist die Kontrolle der Verwaltung oftmals informaler Natur, die in der Praxis aber meist gleichermaßen effektiv ist, da einzelne Verwaltungsträger aus Angst vor Sanktionen mit dem Kongreß kooperieren. Wahrend das Verhältnis zur Verwaltung also weiterhin kooperativ (wenngleich zunehmend informal) gestaltet war, wurden die Beziehungen zur Regierung oftmals konfliktär. Hinsichtlich des Verhältnisses Kongreß-Regierung hat das Chadha-Urteil teilweise zu einer Komplizierung des politischen Prozesses geführt. Wie an zahlreichen Beispielen illustriert wurde, arbeitet der Kongreß hauptsächlich mit fünf formalen Kontrollformen. I . Die Legislative kleidete zunächst viele legislative Vetos in eine gesetzliche Form und stellte somit Verfassungskonformität her. In der Mehrzahl bedienten sich die Parlamentarier der Form der Jointresolution ofdisapproval, um regulatives Handeln kontrollieren zu können. Zwar ist die Form der Joint resolution of approval sanktionskräftiger, da ohne die vorherige Zustimmung beider Kammern des Kongresses die Exekutive eine geplante Regulierung fallen lassen müßte, jedoch sprachen drei Gründe für die schwächere Resolutionsform, die notfalls vom Präsidenten abgelehnt werden kann: (1) befürchtete der Kongreß die immense Arbeitsbelastung, die auf ihn zukäme, wenn er sämtliche Regulierungen begutachten müßte.

111. Wandlungen der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen

171

(2) hätte sich die Legislative der Gefahr ausgesetzt, auf mehrheitlich erwünschte Regulierungen durch eine Blockadehaltung einer parlamentarischen Minderheit aufgrund der ausgiebigen Minoritätenrechte im Senat verzichten zu müssen. (3) ist es für den Kongreß nicht notwendigerweise erstrebenswert, sich der approval-Form zu bedienen, da eine solche Resolution eine Verordnung in ein Gesetz umwandelt. Somit müssen sich die Kongreßmitglieder für diese Rechtsnorm in ihren Wahlkreisen verantworten. Die disapproval-Form hat hingegen den Vorteil, das unpopuläre Geschäft, gesellschaftlich notwendige Regulierungen, die für spezifische Interessengruppen nachteilig sein können, einer anonymen Bürokratie zu überlassen. Die Entscheidung zugunsten des rechtlich sanktionsschwächeren Kontrollmittels hatte faktisch bislang keine negativen Auswirkungen auf die Effektivität der Kontrolle. Die Form kam kaum zum Einsatz. Meist reicht die Androhung einer Resolution aus, um Einfluß auf den Verordnungsgebungsprozeß zu gewinnen - und zwar auf informalem Wege. Wurden Resolutionen im Einzelfall verabschiedet, so haben die Präsidenten meist darauf verzichtet, ihr Veto gegen solche parlamentarischen Resolutionen geltend zu machen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Unter anderem sind Präsidenten ebenfalls darum bemüht, die Regulierungstätigkeit ihrer Verwaltung zu begrenzen. Außerdem mag das Verhalten der Präsidenten durch die Ansicht geprägt sein, daß die Exekutive eine parlamentarische Resolution zu respektieren habe. Dieses einvernehmliche Verhältnis zwischen Kongreß und Präsident stößt jedoch dort an seine Grenzen, wo nicht die Regulierungstätigkeit einer unabhängigen Regulierungskommission auf dem Prüfstand steht, sondern der Kernbereich der Exekutive - die Politik des Executive Office nämlich. In diesen Fällen mußte sich der Kongreß einer sanktionsstärkeren Kontrollform bedienen. Eine wesentliche Veränderung im Verhalten des Kongresses gegenüber der Exekutive ist seit dem Wahlerfolg der Republikaner in beiden Kammern des Kongresses 1994 festzustellen. Die politischen Machtverhältnisse hatten sich freilich bereits 1992 auch in der Exekutive verkehrt. Nach 1994 stand ein Republikanischer Kongreß einem Demokratischen Präsidenten gegenüber. Dies verkehrte auch die Verhältnisse in der regulativen Politikarena: hier eine um Deregulierung bemühte Legislative, dort ein relativ regulierungsfreundlicher Präsident. Der Weg der Allianzbildung über informale politische Kommunikation zwischen Kongreß und Verwaltung hatte sich insofern überholt, als die Interessenkongruenz zwischen Kongreß und Verwaltung zugunsten bestimmter wirtschaftlicher und sozialer Regulierungen nicht mehr bestand. Der Kongreß entschied sich nun, über den CRA von 1996 eine einheitliche Form der legislativen Vetos in der gesetzlichen Gestalt der joint resolution of disapproval für signifikante Verordnungen zu etablieren. Die Ineffektivität des CRA- keine einzige Resolution wurde verabschiedet - veranlaßte den Kongreß zum einen zum Rückgriff auf bewährte informale Kontrollinstrumente und zum anderen zu neuen

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Teil B: Qualitative Untersuchung

Reformschritten institutioneller Art. Eine eigene Parlamentsbehörde zur Bewertung signifikanter Regulierungen und ein gemeinsamer Ausschuß zur Überprüfung dieser sind heute in der Diskussion. 2. In Fällen, in denen der Kongreß eine derartig einvernehmliche Haltung des Präsidenten nicht voraussetzen konnte, bediente sich die Legislative des Mittels der Redelegation. Kompetenzen, die vor 1983 an die Exekutive übertragen worden waren, wurden nunmehr per Gesetz in den eigenen Regulierungsbereich zurückbestellt Dies geschah am deutlichsten beim deferral-Recht, das 1987 wieder extrem eingeschränkt wurde. Da eine Regierung fortan einer speziellen gesetzlichen Ermächtigung bedurfte, um die Verwendung von Geldem zurückzustellen, kann von einer Komplizierung des politischen Prozesses zwischen beiden Regierungsgewalten gesprochen werden. Neben der Redelegation wurde in sensiblen Politikfeldem, wie etwa im Umweltschutz, auch der Entscheidungsspielraum der Verwaltung eingeschränkt, indem der Kongreß den Bestimmtheitsgrad in Autorisierungsgesetzen erhöhte. Dieses Vorgehen richtete sich weniger gegen einzelne Verwaltungsträger als gegen das OMB, das in den 80er Jahren vergeblich versuchte, das Verwaltungsverfahren zu zentralisieren, um seine Deregulierungspolitik zu forcieren. In diesem Kontext wurde der Zusammenhang zwischen parlamentarischer Kontrolle und Parteipolitik deutlich. Zu einer - vordergründig betrachtet - paradoxen Entwicklung kam es im Bereich des rescission-Rechtes des Präsidenten. Diese Entwicklung hing jedoch nicht primär mit dem Gewaltenteilungsverständnis der politischen Entscheidungsträger zusammen. Vielmehr ging es um Haushaltspolitik bzw. -konsolidierung. Doch die Entwicklung, also die zeitweilige Einführung des präsidentiellen line-item veto, die der vermeintliche Schlußpunkt auf der Suche nach Haushaltskonsolidierung war, wirkte auf das Verhältnis der beiden Gewalten zueinander. Nicht zuletzt das Scheitern des GRH I, das durch das Bowsher-Urteil zu Fall gebracht wurde, führte zur Einführung des selektiven Vetos. Wäre das Line ltem Veto Act heute noch in Kraft, so wäre es, wie gezeigt wurde, zu einer weiteren Komplizierung und Informalisierung des politischen Prozesses gekommen, da der Kongreß die finanzpolitische Streichungspolitik des Präsidenten durch eine informale Kontenführung zu unterlaufen versucht hätte. Diese Entwicklung fand in den Einzelstaaten statt, die Erfahrung mit dem selektiven Veto haben. Informale Haushaltspolitik hätte der Abstimmungs- und Aushandlungsfunktion zwischen Kongreß und Verwaltung gedient. Notwendige Voraussetzung für die Funktionserfüllung wäre aber eine weitere Funktion informaler Politik gewesen, nämlich die Ausschließung des Präsidenten. Eine mögliche weitergehende "lnformellisierung" wurde durch das bislang letzte Gewaltenteilungsurteil gebremst. 3. In Bewilligungsgesetzen benutzt der Kongreß drei verschiedene Kontrollformen. Zum einen besteht hier das legislative Veto in der Form der prior committee approval in verfassungswidriger Weise fort, ohne daß die Verwaltung dies beklagt.

III. Wandlungen der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen

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Neben dem offiziellen Ausschußveto existiert zudem ein Kodewort (prior notiftcation), das de facto die gleiche Wirkung besitzt. In beiden Fällen müssen Verwaltungsträger die vorherige Zustimmung eines Ausschusses abwarten, bevor Gelder für bestimmte Programme ausgegeben werden können. Die Verwaltung beugt sich dieser mitlaufenden Kontrolle über den Gesetzesvollzug, da sie über diese Kooperationsform ihren Entscheidungsspielraum behält. Schließlich macht der Kongreß auch in Bewilligungsgesetzen Policy-Vorgaben, die den künftigen Gesetzesvollzug bestimmen sollen. Jene a-priori-Kontrollen können zwar nur nachträglich kontrolliert werden, jedoch beachtet die Verwaltung in der Regel diese Vorgaben, da sie auf die Weiterbewilligung der Gelder angewiesen ist. 4. Der Kongreß ist seit 1983 dazu übergegangen, Autorisierungsgesetze zeitlich enger zu befristen, um die Responsivität der Exekutive gegenüber der Legislative zu erhöhen. Auf die Terminierung von Gesetzen (sunsetting legislation) wurde aus ähnlichen Beweggründen wie bei den zustimmenden Resolutionen verzichtet. Als Alternative bediente sich der Kongreß der Reduzierung von Autorisierungsperioden, die zwar ebenfalls eine Überprüfung laufender Bundesprogramme ermöglicht, aber nicht der Gefahr ausgesetzt ist, von parlamentarischen Minderheiten für die Geltendmachung spezifischer Interessen instrumentalisiert zu werden. Autorisierungsgesetze können nämlich nach ihrem Auslaufen im Gegensatz zu terminierten Gesetzen noch über Bewilligungsgesetze fortbestehen. Zwar handelt es sich hierbei ebenso um eine nachträgliche Kontrolle, jedoch erhöht diese Kontrollform die Responsivität im Gesetzesvollzug. 5. Vereinzelt nutzte der Senat auch sein Recht auf Personalbestätigung, um die Exekutive an Policy-Vorgaben zu binden. Dabei legt das obere Haus die Formulierung advice and consent in seinem Sinne aus, indem es daraus ein Recht auf die inhaltliche Beeinflussung nominierter Amtsinhaber ableitet. Diese Sanktionsform ist jedoch nur in Kombination mit anderen sanktionskräftig, da der Senat seine Zustimmung zu einer präsidentiellen Personalentscheidung nicht nachträglich wieder entziehen kann. Die oben aufgeführten Kontrollformen, mit denen der Kongreß seinen Einfluß auf den Gesetzesvollzug sichern wollte, richteten sich in erster Linie nicht gegen die Verwaltung, also etwa gegen unabhängige Regulierungsbehörden, sondern gegen die Bestrebungen des Executive Office, insbesondere des OMB, die Legislative aus dem Bereich der Implementation ihrer Gesetze zu verbannen. Da die Regierung gegen einzelne Kontrollformen des formalen Sektors anging, entwickelten der Kongreß und die um Entscheidungsspielraum bemühten Verwaltungsträger neue Kooperationsstrukturen im informalen Kontrollsektor. Da sich der Kongreß nach 1983 vielfach gezwungen sah, Gesetze im Sinne des Chadha-Urteils zu formulieren, verlagerte er sowohl Gesetzeskonkretisierungen als auch verfassungswidrige Kontrollformen wie die prior-approval-Klausel in rechtlich-unverbindliche, also informale Ausschußberichte. Hier wird deutlich, welche

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Teil B: Qualitative Untersuchung

Funktion informale Politik in diesem Kontext hatte. Das Quid pro quo erfüllte die Konfigurationsfunktion: Über die prior-approval-Kiausel wurde die verfassungsrichterlich nicht erwünschte funktionale Gewaltenverschränkung an das gewaltentrennende System in verfassungskonformer Form angepaßt. Diejenigen Aspekte des Quidproquo, die die Verfassungsrichter für verfassungswidrig befunden hatten, bestanden nunmehr informal fort. So brauchte das legislative Veto nicht formal über eine Verfassungsänderung eingeführt werden - zumal dieser Prozeß ohnehin schwierig ist. Dies war der erste Schritt der Informalisierung. Zwar bestand diese informale Kommunikationsform schon früher zwischen beiden Regierungsgewalten. Jetzt wurde sie in ihrer Instrumentalisierung aber erheblich ausgeweitet. Doch wichtiger als die Häufigkeit- zumal der quantitative Indikator nichts über die qualitative Wirkung dieser Mechanismen auszusagen vermag - ist, daß informale Kommunikationsformen nunmehr ausschließliche Basis der Beziehungen zwischen Parlament und Verwaltung sein konnten. Dadurch, daß informale Handlungs- und Kommunikationsstrukturen die formalen ersetzen, läßt sich gemäß der hier zugrunde gelegten Definition von einem Informalisierungsvorgang sprechen. Neben den Ausschußberichten setzte der Kongreß auch andere informale Kontrollformen ein, die allesamt auch vor dem Beginn der Neudefinition der LegislativExekutiv-Beziehungen bestanden, jedoch komplementär zu formalen Kontrollformen existierten, diese also nur bestärkten. Nunmehr aber wurden sie zur Grundlage des Verhältnisses. In einzelnen Fällen konnte gezeigt werden, daß Kooperationsstrukturen zwischen Kongreß und Verwaltung auf der Basis einfacher schriftlicher Vereinbarungen bestehen oder ausschließlich auf mündlichen Absprachen in Form von öffentlichen Anhörungen, öffentlichen Äußerungen im Plenum und nicht-öffentlichen Kontakten zwischen Mandatsträgern bzw. deren Mitarbeitern und der Verwaltung beruhen. Damit ist ein Grad der Informalisierung der Politik erreicht, der die Beziehungen zwischen institutionellen Akteuren zunehmend durch individuelle Akteure bestimmen läßt.

b) Regierung Die Handlungsänderung der Regierung, also der Kernexekutive, kann für unseren Untersuchungszeitraum nur in einem größeren zeitlichen Zusammenhang verständlich gemacht werden, da sie nicht agierender, sondern reagierender Akteur in diesem Kontext war. Drei große Entwicklungen haben als Rahmenbedingungen dieLegislativ-Exekutiv-Beziehungen im 20. Jahrhundert entscheidend verändert. (1) Innerhalb des Kongresses hat sich eine Dezentralisierung der politischen Entscheidungsstrukturen vollzogen. Wie schon dargestellt, entstand ein ausdifferenziertes Ausschußsystem mit Vorsitzenden, die die Policy-Entscheidungen ihres

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Politikfeldes gemeinsam mit der zuständigen Bürokratie und.den bestimmenden gesellschaftlichen Gruppen weitestgehend steuern konnten. 248 (2) Daran schloß sich eine Stärkung der politischen Macht des Präsidenten an, die zeitlich gesehen in den 60er Jahren ihren Höhepunkt hatte. Beide Entwicklungslinien widersprechen sich keineswegs, zumal die Rolle des Präsidenten zuvörderst in der Außenpolitik gewichtiger wurde, während der Kongreß insbesondere in der Innenpolitik bestimmend war. (3) Der Verwaltungsstaat entstand als Folge des Anspruchs der amerikanischen Demokratie, ihren Bürgern auch als Leistungsstaat zur Verfügung zu stehen. Wegen des immensen organisatorischen Umfangs der Bürokratie auf Bundesebene und der begrenzten Unabhängigkeit der regulatory commissions machte in der Politikwissenschaft bald der Begriff der vierten Gewalt die Runde. Die Kritik an den Auswüchsen dieser Entwicklungen in Richtung iron triangles, imperial presidency und administrative state führten mittels der umfangreichen Kongreßreformen der 70er Jahre zu einer partiellen Umkehr dieser Tendenzen. Wie dargestellt, spielten dabei der Ausbau und die Effektivierung der parlamentarischen Kontrolle der Exekutive eine wichtige Rolle. In den 80er Jahren, unter der Präsidentschaft Ronald Reagans, kam es jedoch zu einer Re-Revision der Tendenz, die Rolle der Exekutive einzuschränken. Das wichtigste Instrument der Exekutive zur Erreichung dieses Ziels war Executive Order 12291. "The Reagan administration's efforts to gain control over regulatory rulemaking reflect a keen awareness of the limitations of earlier oversight devices. Executive Order 12291, issued in February 1981 [also wenige Tage nach Amtsantritt des neuen Präsidenten, M. S.] requires that agencies justify major rules on the basis of ,regulatory impact analyses' (RIA), a rigorous and comprehensive cost-benefit analysis that requires a detailed appraisal of the incidence and magnitude of a rule's negative and positive effects, as weil as a similar examination of alternative courses of action. ( ...) The Reagan program also provides substantial opportunities for the executive to review and to delay, alter, or block agency regulations."249

Diese Form der Zentralisierung der Verordnungstätigkeit der Verwaltung durch das zum OMB gehörende OIRA hatte mehrere Stoßrichtungen. Vordergründig betrachtet, war sie gegen die Macht der Bürokratie gerichtet, indem die de-facto-autonome Verordnungstätigkeit der Verwaltungsträger einer zentralen Policy-Steuerung unterzogen wurde. Die Regulierungen sollten so auf ihren Einklang mit der politischen Agenda des Präsidenten überprüft werden - und zwar sowohl ideologisch als auch finanziell. Ideologisch ging es dem Republikaner Reagan freilich um Deregulierung, finanziell um eine Minderung kostenintensiver Staatstätigkeiten. Beide Aspekte gehören zusammen. 248 Vgl. im folgenden William F West/Joseph Cooper, The Rise of Administrative Clearance; in: George C. Edwards III/Steven A. Shull/Norman C. Thomas, The Presidency and Public Policy Making, Pittsburgh 1985, S. l93ff. 249 Ebd. S. 195 f.

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Teil B: Qualitative Untersuchung

Doch nicht nur die vorherigen Schwächen der verwaltungsinternen Kontrolle sollten durch dieses Instrument kompensiert werden. Da die Verwaltung seit jeher in Abstimmung nicht nur über das Verwaltungsverfahrensgesetz mit den betroffenen Interessengruppen kooperierte, sondern auch die parlamentarische Einflußnahme durch die mitlaufende Kontrolle des Kongresses tolerierte, richtete sich der präsidentielle Erlaß auch gegen die Legislative. Diesbezüglich ist eher von einer Handlungsfortsetzung der Exekutive als von einer Handlungsänderung zu sprechen. Die Stoßrichtung war also schon vor der Störung der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen durch die einschlägigen Gewaltenteilungsurteile gegeben. Danach ging es vor allem um das legislative Veto. Nach dem Chadha-Urteil von 1983 endete indes die legislative Beeinflussung der Regulierungstätigkeit nicht. Wie im Rahmen der qualitativen Untersuchung gezeigt wurde, setzte sich diese auf informalem Wege fort. E. 0. 12291 sollte die Waffe im Kampf der Kernexekutive gegen die Koalition aus Kongreß und Verwaltung sein. Der präsidentielle Erlaß wurde- wie dargestellt- mit E. 0. 12498 noch ausgeweitet. Danach ist noch eine wesentlich größere Eingriffsmöglichkeit des OMB in die Angelegenheiten der Verwaltungsbehörden vorgesehen, da seither jeder Schritt im Regulierungsverfahren mit dem OIRA abgestimmt werden muß. Mit dem OIRA betrat ein zusätzlicher Akteur die Bühne des politischen Prozesses der Verordnungstätigkeit Die Kommunikation zwischen Verwaltungsbehörden und der OMB-Unterorganisation verlief nicht grundsätzlich konfliktär. Die Verwaltung versuchte bemerkenswerterweise im Vorfeld der Ankündigung (und nicht erst nach Veröffentlichung) einer Verordnung auf informalem Wege die Zustimmung des OIRA einzuholen. Oftmals mit Erfolg. Doch die vorherige Analyse zeigte eine Vielzahl von Fällen auf, in denen diese Vorab-Abstimmungen nicht funktionierten. Massive Konflikte waren die Folge. Ursache für die Konflikte waren zum einen abweichende Policy-Ziele der Verwaltung, wie sie vor allem für das EPA aufgezeigt wurden. Hier trat die Konfliktlinie zwischen umweltpolitischer Steuerung durch staatliche Regulierung und wirtschaftspolitischem Liberalismus zutage. Zum anderen entstanden die Konflikte aufgrund gesetzlicher Vorgaben des Kongresses bzw. durch informale Einflußnahme des Parlaments auf die Verwaltung: "Statutory mandates and congressional prodding can serve as especially powerful inducements for agency heads to resist OMB 's Opposition. Some statutes declare deadlines for issuing rules, for instance, and proponents of regulation may use (or threaten to use) these to secure court orders forcing agencies to act. Some statutes also require agencies to further particular objectives, apparently to the exclusion of other considerations, thus precluding a comprehensive assessment of social costs and benefits." 250

Die Initiative für E. 0. 12291 geht zwar nicht auf das erste bedeutende Gewaltenteilungsurteil der jüngeren Zeit zurück. Gleichwohl setzte es Reagan nach 1983 ein, 250

Ebd. S. 200f.

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um die Allianz zwischen Legislative und Administrative zu verhindern. Der Ausbau und die Intensivierung der verwaltungsinternen Kontrolle durch den Präsidenten sollten also nach dem Chadha-Urteil auch die informale Einflußnahme auf die Regulierungstätigkeit unterbinden. Bei E. 0. 12498 ist die direkte Stoßrichtung gegen die Allianz noch deutlicher. Da die Abstimmung zwischen beiden Akteuren, Kongreß und Verwaltung, parallel zum Verwaltungsverfahren läuft, schaltet sich die Kernexekutive schon frühzeitig in den Prozeß ein. Nicht mehr die fertige Verordnung wird dem OIRA vorgelegt, sondern jeder Einzelschritt bedarf der Absegnung. Eindeutig ist die Absicht der Exekutive im Fall des zitierten Exekutiv-Bulletins von 1983, in dem die Kernexekutive einzelne Verwaltungsträger anweist, mit dem OMB abzustimmen, inwiefern sie sich vom Kongreß in den Gesetzesvollzug hineinreden lassen. OMB-Direktor Stockman versuchte derart, formale Kontrolläquivalente zum legislativen Veto zu verhindern, und trieb damit Kongreß und Verwaltung auf den Weg der Informalisierung. Administrative Kontrolle sollte als Mittel gegen parlamentarische Kontrolle dienen. Die Effektivität dieses exekutiven Instrumentes ist quantitativ schwer zu messen. Zwar läßt sich zeitweise ein deutlicher Rückgang der Anzahl der Regulierungen ausmachen.251 Doch direkte Rückschlüsse daraus zu ziehen, wäre kurzsichtig. Zu beobachten ist, daß die Zahl der Seiten im Federal Register, im amerikanischen Bundesverordnungsblatt, 1984 mit ca. 51000 Seiten gegenüber 57700 Seiten im Vorjahr deutlich sank und nach 53440 Seiten 1985 in den Folgejahren mit rund 47400 und 49654 wieder merklich fiel. Von 1988 bis 1990 stagnierte dann der Seitenumfang bei etwa 53500. So gesehen ist ein Abwärtstrend und mithin eine Mäßigung in der staatlichen Regulierungstätigkeit festzustellen - zumal gegenüber dem Rekordjahr 1980 unter Präsident Carter mit 87000 Seiten. Doch welche Ursachen und Aussagekraft dieser Rückgang hat - diese Frage bedarf einer differenzierten Betrachtung. Denn noch unter Präsident Bush stieg der Umfang wieder auf 67700 Seiten im Jahr 1991. Die widersprüchlichen, nichtlinearen Tendenzen haben unterschiedliche Ursachen. In dem Rückgang spiegelt sich sicher der Wille der Exekutive zur Deregulierung wider. Dieser wurde aber teilweise durch die Verwaltung und den Kongreß geteilt. Der zahlenmäßige Rückgang spricht also nicht unbedingt dafür, daß sich der Präsident durchgesetzt hätte. In Konfliktfallen wurde im Rahmen der qualitativen Analyse gezeigt, daß der Kongreß sich durchaus zu helfen wußte- nicht zuletzt über eine weitergehende Informalisierung seiner Beziehungen zur Verwaltung. Am Beispiel der EPA wurde dies deutlich. Eindeutige Gewinner oder Verlierer in dem Machtkonflikt gibt es indes nicht. Die Konsequenzen sind komplexer. Allenfalls in Fällen, in denen die Koalitionsfunktion informaler Politik zwischen Kongreßmitgliedern und Verwaltungsträgern aufgrund widerstrebender politischer Interessen nicht greifen 251 Vgl. für die folgenden Zahlen: The Heritage Foundation (Hg.), lssues '98: The Candidate's Briefing Book, Washington 1998.

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konnte, ließe sich schlußfolgern, daß die Steuerungsbestrebungen der Kernexekutive im Bereich der regulativen Politikarena erfolgreich waren. Das Verhalten der Regierung stellt insgesamt also den Versuch dar, den Verwaltungsapparat zu zentralisieren- unter Inkaufnahme von Konflikten mit der Verwaltung und dem Parlament. Teilweise hatte sie damit Erfolg, teilweise förderte sie die Informalisierung. Des weiteren nahm der Präsident auch die Einschränkung der Entscheidungsspielräume in Form von Beurteilungsspielraum und Ermessensfreiheit in Kauf- etwa in Fällen, in denen der Kongreß nicht über informale Mechanismen seinen Einfluß wahren konnte. Die Redelegation legislativer Regulierungskompentenzen komplizierte jedoch das Agieren des Präsidenten. Der Einzug des Demokraten Bill Clinton ins Weiße Haus hat die Politik der Zentralisierung der regulativen Politik verändert, wenngleich bei weitem nicht von einer Revision gesprochen werden kann. Zwar sind Demokraten traditionell regulierungsfreundlicher als die Republikaner. Doch Clinton verstand sich alsNew Democrat, der ebenfalls den Staat verschlanken wollte.252 Diese Wandlung wird vor allem in der Person Al Gores deutlich, der während der Änderung des exekutiven Verordnungsverfahrens unter Reagan Demokratischer Kongreßabgeordneter, später dann Senator für den Staat Tennessee war und unter Clinton Vize-Präsident der Vereinigten Staaten wurde. Als Kongreßmitglied bezog Gore Position für die Verwaltungsträger und deren regulative Autonomie. 253 Daß es ihm dabei auch um die Einflußmöglichkeit des Kongresses, namentlich die parlamentarische Kontrolle, ging, dürfte außer Frage stehen. Nach dem Wechsel von einer Seite der Pennsylvania Avenue zur anderen, vom Capitol Hili zum Weißen Haus, änderte Gore nämlich seine Sichtweise. Zwar wurden Reagans Regulatory-Review-Mechanismen weiterhin kritisiert, doch Gore ging es jetzt dem Selbstanspruch nach darum, die Strukturen zu effektivieren- und nicht die Rolle des Kongresses bei der Kontrolle des Gesetzesvollzugs zu stärken. Was der allgemeine Anspruch der Effektivierung wirklich bedeutete, konkretisierte Sally Katzen, die im Juni 1993 zur OIRA-Direktorin ernannt wurde. Deregulierung stand demnach nicht im Mittelpunkt: Ziel sei "[M]aking good regulatory decisions not proregulation or antiregulation, but smart regulation."254 Schon ein Jahr später räumte sie jedoch ein, daß sie die Frage, ob nunmehr umsichtigere Regulierungen erlassen würden, nicht beantworten könne. Es fehle nämlich ein geeigneter Maßstab. 255 Was aber sollte der Maßstab einer Administration sein, die einerseits die neoliberale Politik der Republikaner korrigieren sollte, die in den 80er Jahren eine Politik der Deregulierung betrieben hatten, andererseits aber nicht an der überlieferten staatsinterventionistischen Schraube der alten Demokraten drehen sollte? Als New 252 Vgl. lohn M. Broder, Deregulation Shifts from Crusade to Compromise; in: New York Times, 3l.Januar 1997. 25 3 Heritage Foundation 1998, S. l29. 254 William A. Niskanen, Clinton 's Regulatory Record. Policies, Process, and Outcomes; in: www.cato.org/pubs/regulation/reg 19n3a.html, S. 2. 255 Vgl. ebd. S.3.

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Democrat übertrug Clinton Gore die Aufgabe, ein Grundsatzprogramm einer grundlegenden Regierungsreform zu entwerfen. Ergebnis war der Report on Reinventing Government, dessen Ziel eindeutig war: "Creating a govemment that works better and costs Iess."256 In dem Bericht heißt es: "(...) President Reagan required the Office of Management and Budget- specifically, The Office of Information and Regulatory Affairs (OIRA)- to review all regulations proposed by executive agencies. With a limited staff, many of whom arealso involved with paperwork reduction issues, the review process for proposed regulations can be lengthy. And while a lengthy review process may be appropriate for significant rules, it is a waste of time for others. (...) We endorse ( ...) the President's executive order. (... ) The orderwill enhance the planning process and encourage agencies to consult with the public early in that process. In addition, in an effort to coordinate the regulatory actions of all executive agencies, the Vice President will meet annually with agency heads, and the Administrator of OIRA will hold quarterly meetings with representatives of executive agencies and the administration."

Der präsidentielle Erlaß, auf den sich Gore in diesem Zusammenhang bezieht, ist der E. 0. 12866 aus dem Jahr 1993, der den Namen "Regulatory Planning and Review" trägt. 257 Scheinbar steht dieser Erlaß in der Tradition seiner Vorgänger, die er ersetzte. Die Überprüfung der administrativen Regulierungen auf Notwendigkeit und Kosten durch eine zentrale Regierungsstelle sollte den modernen Kräften der Demokraten verdeutlichen, daß Clinton nicht zum Regulierungsstaat der 70er zurückkehren wolle. Bezeichnenderweise behält aber die Exekutive die Kompetenz, dies zu gewährleisten. Vom Kongreß ist in dem präsidentiellen Erlaß nicht die Rede - und zwar obwohl Clinton als erster Präsident seit langer Zeit den Vorzug der vereinten Regierungsverantwortung, also einen mehrheitlich Demokratischen Kongreß, hatte. Gore, der inzwischen nicht mehr Mitglied des Kongresses war,258 sah sich hinsichtlich der regulativen Politik nicht zu einer Korrektur der Machtverlagerung zugunsten des Kongresses veranlaßt Offenbar bestätigt sich auch hier die alte Weisheit, daß das Amt die Person macht. Die Mittel, die zudem dem OIRA zur Verfügung gestellt wurden, machten aber sehr schnell deutlich, was die Clinton-Administration unter New Democrarie Policy versteht. Hinter dem Anstrich einer regulativen Politik der New Democrats verbarg sich eher die Rückkehr zum Status quo ante: "For the most part, the executive order released in September 1993 is very similar to the two Reagans orders that it replaced. The exceptions however are important: OIRA's review powers would be limited to ,significant regulatory actions' ."259 256 Al Gore, Creating a Government That Works Betterand Costs Less. Report of the National Perfomance Review, Washington 1993. 257 Vgl. William A. Niskanen, Clinton's Regulatory Record. Policies, Process, and Outcomes; in: The Cato Review of Business & Government,www.cato.org./pubs/regulation/ reg19n3a.html (19.9.98, 19.38 Uhr). 258 Hierbei wird freilich davon abgesehen, daß der Vize-Präsident stimmberechtigter Vorsitzender des Senates ist. 259 Niskanen 1998, S. 3.

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Die Rolle des OIRA gegenüber den Verwaltungsträgem wandelte sich von einer eher konfrontativen zu einer eher konsensualen. Das OIRA sollte Regulierungen nicht einfach kassieren, sondern zwischen den beteiligten Akteuren der Verordnungsgebung vermitteln. Die betroffene Verwaltung und die gegenläufigen Interessengruppen der regulativen Arena sollten, um im deutschen Kontext zu sprechen, an einen runden Tisch geholt werden. Das Modell der New Democrats, den sogenannten Dritten Sektor der bürgergesellschaftlichen Eigenverantwortung durch Oeregulierung zu stärken, wurde in der Praxis eher zur Renaissance des alten Korporatismus.260 Dies betrifft den Bereich der Politik im Sinne von politics. Hinsichtlich der policies äußert sich die Beschränkung des präsidentiellen Erlasses auf signifikante Regulierungen (wiederum gemessen an ihren ökonomischen Kosten) im Umfang der Seiten im Federal Register, der in den Jahren 1993 bis 1996 pro Jahr zwischen 68000 und rund 70000 Seiten schwankte.261 Parallel dazu sank die Zahl der Regulierungen, die einer entsprechenden Kontrolle des OIRA unterzogen wurden- und zwar von 829 im Jahr 1994 auf 614 im Jahr 1995 und nur noch 505 im Folgejahr.262 Die Anzahl der Verordnungen, die aufgrund der Analyse tatsächlich modifiziert wurden, sank von 380 im Jahr 1994 auf 250 im Jahr 1996.263 Der Kongreß, der sich diese Daten jährlich vom OMB vorlegen läßt, war mit dem Resultat alles andere als zufrieden-zumal seit 1994 erstmals eine Republikanische Mehrheit in beiden Kammern herrschte, die mit dem entschiedenen Willen antrat, die Reagansche Deregulierungspolitik wieder aufzugreifen. Diese Bemühungen mündeten im Congressional Review Act (CRA) als Teil des Small Business Regulatory Enforcement Fairness Act (SBREFA), dessen Wirksamkeit bereits analysiert wurde. Ein weiterer Punkt des E. 0. 12866 bedarf einer genaueren Betrachtung. Bereits erklärt wurde, daß die Clinton-Administration keine Stärkung der parlamentarischen Kontrolle anstrebte. Im Gegenteil: Offenbar sah sich die neue Administration veranlaßt, bestimmte Dysfunktionalitäten des Systems der Verordnungsgebung, die sich im Laufe der 80er Jahre herauskristallisiert hatten, zu korrigieren. Der präsidentielle Erlaß fordert die Verwaltung hinsichtlich ihrer politischen Kommunikation mit Dritten, also den Interessengruppen und dem Kongreß, zu Offenheit und Bere260 V gl. ebd. S. 4. Zum sogenannten Dritten Sektor, vgl. einführend Christoph Reichard, Der Dritte Sektor. Entstehung, Funktion und Problematik von "Nonprofit"-Organisationen aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht; in: DÖV, 9 (1988), S. 363. 261 Vgl. The Heritage Foundation (Hg.), lssues ' 98: The Candidate's Briefing Book, Washington 1998. 262 OIRA Reviews Fewer Rules as Result of Executive Order; in: www.ombwatch.org/regs/ oira. html (14.10.1998, 11.24 Uhr). 263 Susan E. Dud/ey/Ange/a Antonelli, Congress and the Clinton OMB. Unwilling Partners in Regulatory Oversight?; in: www.cato.org/pubs/regulation/reg20n4a.htm1 (19.9.98, 19:32 Uhr), S. 3.

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chenbarkeit im Zusammenspiel mit dem OIRA auf: "OIRA is to disclose communications with agencies and private citizens regarding rules submitted for review. " 264 Die Administration wußte aus eigener Erfahrung in den 80er Jahren um die Probleme des OIRA unter einem Republikanischen Präsidenten. Der seinerzeit Demokratische Kongreß hatte, wie gezeigt, auf informalem Wege mit einzelnen Verwaltungsträgern koaliert und sich damit gegen das OIRA zur Wehr gesetzt. Das Ziel der Clinton-Administration war es nunmehr, die politische Kommunikation bei der Verordnungsgebung wieder transparenter zu gestalten - und zwar nicht nur zugunsten der eigenen Einflußmöglichkeiten, sondern auch um zu verhindern, daß bestimmte Interessengruppen einen besseren Zugang zu Informationen, und damit zur Basis der eigenen Einflußnahme haben. Informale Absprachen nach dem Ende des formalen Verordnungsgebungsprozesses führten zu Verzerrungen des Interessenvermittlungssystems. Die Ineffizienz von Clintons Erlaß und die geringe Anzahl der tatsächlich kontrollierten Regulierungen sprechen dafür, daß dieses Problem nicht kleiner geworden ist. Dieses Problemfeld wird im Rahmen der Betrachtung der gesellschaftlichen Konsequenzen der Informalisierung genauer analysiert. c) Verwaltung

Die Frage, wie die Verwaltung sich in dem hier zugrunde gelegten Zeitraum verhalten hat, ist nur schwer systematisch zu beantworten, da dieser Bereich der Exekutive extrem differenziert und heterogen ist. Gleichwohllassen sich Gemeinsamkeiten im Umgang mit dem Kongreß erkennen - und zwar immer in den Politikbereichen, in denen sich einzelne Verwaltungsträger in ihrer Beziehung zur Legislative nicht voneinander unterscheiden. Ein gutes Beispiel dafür sind Fälle, in denen sie Bittsteller in finanziellen Angelegenheiten sind. Das heißt immer wenn der Kongreß mit finanziellen Kürzungen des Haushalts der Behörde drohte, machte er diese gefügig. Mehr als das: In den meisten Fällen brauchte die Legislative nicht zu drohen, die Antizipation einer solchen Handlung reichte - wie am Beispiel gezeigt - aus, um den parlamentarischen Auflagen bei der Gesetzesausführung nachzukommen. Dies wurde auf unterschiedliche Weise deutlich: In den Fällen, in denen das legislative Veto durch ein report-and-wait-Verfahren ersetzt wurde, legten die Verwaltungsträger Bericht ab und warteten auf parlamentarische Zustimmung- oftmals in mündlicher Form bei Ausschußanhörungen. Wie gezeigt wurde, blieben einige legislative Vetos verfassungswidrigerweise in den Gesetzen bestehen - und auch in Kraft, da kein Kläger auf die Bühne trat. Verwaltungsträger hätten sich hierbei in einzelnen Normenkontrollverfahren an Bundesgerichte wenden können. Sie taten es nicht- und zwar nicht nur, weil sie mit finanziellen Sanktionen rechneten. Sie lebten 264

Garcia 1999, S.ll ; sowie vgl. Niskanen 1998, S.3.

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gut mit dem Status quo des Tauschgeschäfts von Ermessensspielraum gegen Vollzugskontrolle. Stellen diese Verhaltensweisen von seiten der Verwaltung eher eine Handlungsfortsetzung als eine Handlungsänderung dar, so kam es anderswo tatsächlich zu weitreichenden Änderungen. Der Rückgriff auf informale Handlungs- und Kommunikationsstrukturen zwischen Kongreß und Verwaltung ist zwar als solcher keine substantielle Änderung, jedoch kommt hier zum Tragen, was eingangs als Informalisierungsvorgang definiert wurde: Die informalen Beziehungen ergänzten nicht mehr länger die formalen, sondern sie ersetzten diese. In den Fällen, in denen das parlamentarische Eingriffsrecht in den Gesetzesvollzug aus den Gesetzen gestrichen wurde beziehungsweise nicht in zu verabschiedende Gesetze aufgenommen wurde, verabredeten sich Kongreß und Verwaltung über ihr Austauschgeschäft auf anderem Wege. Verwaltungsträger nahmen nunmehr im Gesetzesvollzug Ausschußberichte des Kongresses sozusagen als Leitfaden zur Hand. Hierin äußerte der Kongreß sehr detailliert, wann die Verwaltung nochmals die parlamentarische Zustimmung in Einzelfallen einzuholen habe. In Fällen, in denen Verwaltungsangestellte selbst über die aktuelle legislative Absicht bei der Ausführung eines bestimmten Bundesprogramms unsicher waren, wurden sie vor dem Ausschuß vorstellig oder schlossen sich schlicht mit dem Ausschußvorsitzenden kurz. Diese Kommunikation lief freilich auch in umgekehrte Richtung. Das angeführte Beispiel von Senator Bond illustrierte dies. Die Verwaltung handelte sogar in vorauseilendem Gehorsam, indem einzelne Verwaltungsträger die legislativen Präferenzen in ihre verwaltungsinternen Richtlinien übernahmen. Derartige Kontrollformen bestehen vor allem in administrativen Geschäftsordnungen und Verwaltungsvorschriften im Bereich der reprogrammingBestimmungen. Hier wurde im Rahmen der qualitativen Untersuchung gezeigt, daß ganze Passagen aus Ausschußberichten wortwörtlich in die Verwaltungsvorschrift aufgenommen wurden. Am Beispiel der Umweltbehörde EPA wurde deutlich, daß nicht nur tatsächliche beziehungsweise drohende Sanktionen des Kongresses und der Anreiz der Verwaltung, auf diesem Weg die erwünschte Ermessensfreiheit zu erhalten, die informale Kooperation beförderten. Zum Teil ist das Handlungsmotiv auch die Interessenkongruenz. Der Asbest-Fall machte deutlich, daß der seinerzeit Demokratische Kongreß und die EPA ihre beiderseitigen umweltpolitischen Regulierungsmaßnahmen gegen einen auf Deregulierung setzenden Republikanischen Präsidenten durchsetzten. Hier zeigte sich die Koalitionsfunktion informaler Politik. Allianzen, die formal in bestimmten politischen Konstellationen undenkbar erscheinen- etwa wegen der Opposition des Präsidenten - sind auf informalem Wege durchaus wahrscheinlich. Schließlich wurde am Beispiel der NASA gezeigt, wie deren Leiter James M. Beggs die Intervention der Kernexekutive gegen die Kooperation zwischen sei-

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ner Behörde und den beiden Kongreßausschüssen informal zu unterlaufen versuchte. Die Initiative, die Handlungs- und Kommunikationsstrukturen zwischen Verwaltung und Kongreß zu informalisieren, ging in diesem Fall sogar von der Behörde aus. Hierbei bestimmte nunmehr ein einfaches Schreiben des Behördenleiters an den Vorsitzenden des betreffenden Kongreßausschusses die künftigen Beziehungen zwischen beiden Akteuren. Das letzte Beispiel hebt die Relevanz der Ausschließungsfunktion informaler Politik hervor. 2. lnformalisierungsvorgang Die zusammenfassende Darstellung der Handlungsänderung der einzelnen Akteure zeigte das Bemühen des Kongresses, seine Kontrollrechte zu wahren. Dabei bediente er sich zunehmend informaler Kontrollformen in ausschließlicher Form. Die Intervention der Kernexekutive gegen die partielle Allianz aus Kongreß und Verwaltung förderte diesen Prozeß zudem. Dieser Prozeß der Informalisierung birgt jedoch eine Gefahr in sich. Rechtlichverbindliche Verfahrensvorschriften, die das Verhältnis zweier Akteure regeln, bringen eine Nachvollziehbarkeit des politischen Prozesses mit sich, da dieser öffentlich stattfindet. Informale Verfahrensvereinbarungen sind hingegen nur dann für die Öffentlichkeit nachvollziehbar, wenn sie institutionalisiert sind wie etwa die Ausschußberichte. Da die Regierung schon mehrfach gegen jene Berichte vorgegangen ist, wurden Kongreß und Verwaltung bei ihrem Bemühen um Kooperation zeitweise in eine hochgradigere Informalisierung getrieben. Informale Politik lief Gefahr, am Ende informell zu werden. Das heißt, die Verfahrensvereinbarungen zwischen beiden Akteuren wurden schließlich, wie im Einzelfall gezeigt wurde, von bloßen mündlichen Absprachen bestimmt. Im Zusammenhang mit dem tine-itern veto ist von einer "Informellisie- · rung" gesprochen worden. Während der Vorgang der Informalisierung hier die Ersetzung formaler durch informale Politik darstellt, bedeutet der Begriff der "Informellisierung", wie eingangs definiert, die Steigerung der drei Indikatoren der Informalität zum Extrem -letztlich gibt es also keine rechtliche Grundlage, keine Regelmäßigkeit und keine Öffentlichkeit. Erklärt wurde dieses Phänomen durch die stärkeren Zugriffsmöglichkeiten des Präsidenten im Bereich des Haushaltsrechts. Je weiter das Verhältnis zwischen Kongreß und Verwaltung in eine Informalisierung getrieben wird, desto mehr entzieht es sich der Öffentlichkeit. Obschon der amerikanische Kongreß hinsichtlich seiner internen Strukturen weitaus öffentlicher als andere Parlamente in westlichen Demokratien arbeitet,265 haben die ersten beiden Gewaltenteilungsurteile zu einer Verdunkelung des Kongresses hinsichtlich seiner 265 V gl. Wolfgang Jäger, Für einen Parlarnentskanal; in: Die Politische Meinung, 37 (1992): 270, S.60.

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Teil B: Qualitative Untersuchung

externen Beziehungen beigetragen. Das jüngste Urteil, Clinton v. City of New York, hat diese Entwicklung nur abgebremst. Eine lnformalisierung droht, wie auch in anderen Regierungssystemen schon nachgewiesen wurde, "zweifelhafte Entscheidungen einer ausreichenden öffentlichen Kontrolle kompetenzgerechter Amtsausübung zu entziehen."266 Öffentliche Kontrolle findet durch unterschiedliche Akteure statt: die Kernexekutive im Bereich verwaltungsinterner Kontrolle, die Medien, die politische Prozesse beleuchten beziehungsweise zu deren Ergebnissen Stellung beziehen, und Bürger und Interessengruppen, die versuchen, politische Prozesse in ihrem Sinne zu beeinflussen. Öffentliche Kontrolle hängt aber von Öffentlichkeit ab. Hier beginnen die Probleme. Darüber hinaus sind andere Szenarien denkbar: Die partielle Allianzbildung zwischen Kongreß und Verwaltung fördert den Dualismus zwischen Regierung und Verwaltung innerhalb der Exekutive, was wiederum Probleme für das praktische Regieren verursachen kann. Inwiefern diese möglichen Konsequenzen für das amerikanische Regierungssystem zum Tragen kamen und kommen, wird im dritten Hauptteil dieser Arbeit untersucht.

266

Schulze-Fielitz 1984, S. 163.

Teile Auswirkungen der lnformalisierung auf das politische System der USA Der hier dargestellte Infonnalisierungsvorgang ist Ausdruck einer Zusammenarbeit zwischen Kongreß und Verwaltung. Kooperation zwischen zwei Regierungsgewalten beziehungsweise zwischen Teilen dieser könnte- nonnativ betrachtet- zunächst positiv bewertet werden. Unabhängig von der parteipolitischen Zusammensetzung von Legislative und Exekutive arbeiten beide Akteure zusammen, sind um sachgerechte Politik bemüht und messen die Politikimplementation immer wieder an den ursprünglichen legislativen Zielen. Indes kann diese Entwicklung problematische Konsequenzen in sich bergen, da die Verlagerung des Spannungsverhältnisses beider Komponenten der Politik zugunsten der informalen Sphäre die Tendenz hat, die Öffentlichkeit aus dem politischen Prozeß auszuschließen. Anders formuliert: Bei fortdauernder Transparenz käme es nicht zu der Kooperation zwischen Kongreß und Verwaltung, da ein ambitionierter Präsident verhindem würde, daß ihm in den Vollzug der Gesetze hineinregiert wird. Die Öffentlichkeit der Politik ist jedoch ein Spezifikum westlicher Demokratien: Die liberale Demokratie bedarf der Öffentlichkeit als Medium, um Legitimität herzustellen- zumal in Repräsentativsystemen. Für John Stuart Mill ist es nämlich geradezu die Funktion eines Parlaments, "die Öffentlichkeit aller Regierungshandlungen herzustellen" 1• Das Gebot der Öffentlichkeit erfüllt freilich keinen Selbstzweck. Ziel der Herstellung von Öffentlichkeit ist es vielmehr, demokratische Kontrolle überhaupt erst zu ermöglichen. Demokratische Kontrolle ist hier im eingangs definierten, weiten Sinn seines Bedeutungsspektrums gemeint - nämlich als Möglichkeit zur Beeinflussung politischer Prozesse. Diese Zweckbestimmung kann durch den Prozeß der Infonnalisierung gestört werden. Obschon also die Infonnalisierung zwischen Kongreß und Verwaltung durchaus funktional sein kann, da sie das Tauschgeschäft Flexibilität gegen Kontrolle ermöglicht, wirft sie gleichermaßen demokratietheoretische und 1 lohn Stuart Mill, Betrachtungen über die repräsentative Demokratie, Paderbom 1971 (Originalausgabe 1861), S. 101. Zur ideengeschichtlichen Entdeckung der symbiotischen Beziehung von Publizität und Demokratie, vgl. Rene Marcic, Die Öffentlichkeit als Prinzip der Demokratie; in: Horst Ehrnke/Carlo Schmid/Hans Scharoun (Hg.), Festschrift für Adolf Amdt, Frankfurt a. M. 1969, S. 267- 292.

186

Teil C: Auswirkungen der Informalisierung auf das politische System der USA

staatsrechtliche Probleme vielfaltiger Art auf. Die Untersuchung der Auswirkungen arbeitet sich von den eigentlichen Akteuren weiter nach außen vor. Daher wird am Ende auch die Ebene des institutionellen Regierungssystems verlassen und das politische System ins Blickfeld genommen.

I. Interorgan-Perspektive 1. Legislative und Exekutive

Die unterschiedlichen Auswirkungen des Vorgangs der Informalisierung der Beziehungen zwischen Legislative und Exekutive hängen von der Perspektive ab. Das zeigte bereits die Reaktion auf die Gewaltenteilungsurteile. Richtet sich das Blickfeld auf das Verhältnis zwischen Kongreß und Regierung, so konnte eine Komplizierung festgestellt sowie eine Steigerung der Konfliktanfälligkeit ausgemacht werden. Hinsichtlich der parlamentarischen Beziehungen zur Verwaltung indes wurde eine neue Form der Kooperation deutlich - und zwar auf der informalen Ebene. Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf die institutionellen Beziehungen, beziehungsweise welche Handlungsalternativen stellen sich den Akteuren zur Verfügung? a) Networking und Micromanagement: Kongreß und Verwaltung

Die Informalisierung der politischen Kommunikation zwischen Kongreßmitgliedem und leitenden Verwaltungsangestellten hat zumindest zwei Konsequenzen mit sich gebracht, die- normativ betrachtet- problematisch erscheinen: (1) Die Informalisierung kann zum einen eine Renaissance starrer Netzwerke im

Entscheidungsfindungsprozeß zur Folge haben, nachdem sich der Interessenvermittlungsprozeß vorher erst geöffnet hatte.

(2) Während der erste Aspekt noch vorsichtig als Kann-Zustand formuliert werden muß, läßt sich eine andere Auswirkung schon als Ist-Zustand beschreiben: Die Informalisierung steigert das parlamentarische micromanagement. Zu (1): Um zu beurteilen, ob sich die Strukturen der politischen Entscheidungstindung wieder verfestigen und für schwächere Interessengruppen undurchlässiger beziehungsweise undurchsichtiger werden, muß freilich ein Bewertungs- bzw. Vergleichsmaßstab herangezogen und begründet werden. Dafür wird ein Blick auf die alte Diskussion um iron triangles geworfen und die neue Diskussion um issue networks betrachtet.2 2 Vgl. Hugh Heclo, Issue Networks and the Executive Establishment; in: Anthony King (Hg.), The American Political System, Washington D. C. 1986, 87-134, sowie: Mark A. Peterson, Congress in the 1990s: From lron Triangles to Policy Networks; in: James A. Morone/Gary S. Belkin, The Politics of Health Care Reform, Durham/London 1994, S. 103- 147.

I. Interorgan-Perspektive

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Die Strukturen politischer Entscheidungstindung in den 50erund 60er Jahren wurden rückblickend als policy subgovernments beziehungsweise als iron triangles bezeichnet. 3 Diese eisernen Dreiecke beinhalteten die Akteure Verwaltung, Kongreßausschüsse und Interessengruppen. Elitentheoretisch rekrutierte sich die große Mehrheit lange Zeit aus der weißen, angelsächsisch-protestantischen Bevölkerungsschicht. Sozio-ökonomisch betrachtet vertraten sie relativ homogene Interessen. Hinzu kam der Aspekt, daß nicht nur das Personal der Interessengruppen, sondern auch Verwaltungsangestellte und Kongreßmitglieder neben ihrer Amtsrolle natürlicherweise noch weitere soziale Rollen einnahmen. Das politisch-administrative Personal besaß, so wurde argumentiert, eine subgovernment-Loyalität, so daß der Grad seiner Interessenheterogenität sehr gering war und in der Folge neue Interessen im Entscheidungstindungsprozeß deutlich unterrepräsentiert wurden. Sogar für den Präsidenten war es schwer, in diese (innenpolitischen) Machtdreiecke hineinzuregieren.4 Unterschiedliche Faktoren wie etwa das Aufbegehren der Bürgerrechtsbewegung und die Kongreßreformen der 70er Jahre haben diese starren Eliten- und Machtstrukturen aufgebrochen. Je nach Sachverhalt organisierten sich zunehmend eine Vielzahl von Interessengruppen, zuweilen sogar single-issue Gruppen. Sie artikulierten ihre Interessen im Willensbildungsprozeß und wirkten so auf die Entscheidungstindung ein. Wichtiger noch als diese akteursbezogenen Handlungsänderungen auf der Mikroebene sind veränderte Konstellationen auf der Mesoebene: Politikfelder sind zunehmend miteinander vernetzt, subgovernments können sich nicht länger abschotten, heterogene Interessen wirken auf verflochtene Politikfelder ein und verflechten derart die Arenen der politischen Willensbildung ebenso wie die Koordinationsgremien der Implementation: "Issue networks (... ) comprise a large number of participants with quite variable degrees of mutual commitment or of dependence on others in their environment."5 Unabhängig von der Frage der unterschiedlichen Organisations- und Konfliktfähigkeit einzelner Interessengruppen droht die Informalisierung der Beziehungen zwischen Kongreß und Verwaltung insbesondere im Gesetzesvollzug die Grundvoraussetzung, die bislang allen Interessengruppen gleichermaßen zur Verfügung stand, zu nehmen: die Öffentlichkeit der politischen Kommunikation zwischen Kongreß und Verwaltung und damit auch die Offenheit der lmplementationsarena. Diese These fußt nicht alleine auf theoretischen Folgenabschätzungen. Eine Studie des ehemaligen Kongreßmitgliedes Thomas B. Curtis und des Politikwissenschaftlers Donald L. Westemeld kam 1992 zu dem Ergebnis, daß im Bereich der Gesetzgebung "invisible handshakes"6 von Kongreßmitgliedern, Verwal3 Vgl. zur Einführung Adrienne Heritier, Politische Eliten; in: Jäger/Welz: 1995, S.315-329. 4 Vgl. Karen O'Connor!Larry J. Sabato, American Govemment. Roots and Reform, New York{foronto 1993, S. 292. 5 Heclo 1986, S.l02. 6 Thomas B. Curtis!Donald L. Westerfield, Congressional lntent, Washington 1992, S. 9.

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Teil C: Auswirkungen der Inforrnalisierung auf das politische System der USA

tungspersonal und Vertretern gut organisierter Interessengruppen das Parlament als "public presentation of facts and fair argument in a forum open to all"7 gefahrde. Diese auf die Legislativfunktion des amerikanischen Kongresses bezogene Diagnose deutet sich auch für die Kontrollfunktion im Bereich des Gesetzesvollzugs an. Dies wird vor allem durch die Politik des OMB bzw. des OIRA belegt. In der Reagan- und Rush-Administration diente das regulatory clearing hause nicht nur der formalen verwaltungsinternen Kontrolle. Wie bereits beschrieben, sollte das OIRA auch als Regulierungsverhinderungsbehörde fungieren. Wie die qualitative Untersuchung zeigte, hatte das OMB respektive das OIRA damit wenig Erfolg, wenn sie gegen Regulierungen intervenierte, die von den zuständigen Kongreßausschüssen ausdrücklich gewünscht wurden. In diesen Fällen kam es zu Machtkämpfen, in denen sich der Kongreß durchsetzte. Doch in Fällen, in denen Verwaltungsträger Verordnungsgebungsprozesse in Gang setzten, deren Zielsetzung zwar auf dem Boden des gesetzlichen Mandats fußten, jedoch nicht dem aktuellen Willen des Kongresses und der um Deregulierung bemühten Kernexekutive entsprachen, änderte sich der politische Prozeß. Die Verwaltungsträger hatten das Nachsehen, der Regulierungsentwurf versandete im OIRA. "Reagan's executive order contained no strict Iimit on reviews; some reviews went on for years without resolution."8 Nun ist- die Gewaltentelungsvorstellung des sharing power zugrunde gelegt - kein normatives Problem darin zu sehen, daß Kongreß und Regierung verhindem wollen, daß ein Regulierungsentwurf zur Regulierung wird. Die Probleme ergeben sich erst aus der Form der Politik: "OMB (...) had become under heavy criticism during the Reagan and Bush administrations for being a largely unaccountable body that was permitted to operate in secret."9 Bis Clinton E. 0. 12866 erließ, war das OMB nicht angehalten, die Kontake, die es außerhalb der Exekutive beim Verfahren der Regulierungskontrolle unterhielt, offenzulegen. "Under Reagan and Bush, OMB did not have to say, what interest groups they spoke to, what Senator intluenced them and what Congressman contacted them, when they killed a regulation." 10 Nach Clintons Erlaß änderte sich dies. Der von Gores reinventing-governmentIdee geleitete Erlaß E. 0. 12866 beschränkte die Zeit für die Regulierungskontrolle der OMB auf 90 Tage und verpflichtete die Behörde, alle Kontake offenzulegen. 11 Jedoch wurde derart der informale politische Prozeß zwischen Verwaltung, Kongreß und Interessengruppen nicht gänzlich gestoppt: "Still, the nature of the political process is inevitably closed."12 7

Ebd.

8

OMB Watch, The primary Framework for Rulemaking, Internes Papier 1999, S.4. Reece Rushing. Interview vom Juni 1999 in Washington D.C.

9

10 II

12

Ebd.

OMB Watch 1999, S.4. Reece Rushing. Interview vom Juni 199 in Washington D.C.

I. Interorgan-Perspektive

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Die Verbrauchergruppe Congress Watch befürchtete zeitweise, daß das bereits erwähnte Regulatory Improvement Act, so es verabschiedet worden wäre, einen Rückfall in alte Strukturen mit sich gebracht hätte: "S. 746 would also enable the Office of Management and Budget (OMB) togoback to the practises used to stall or weaken health, safety and environmental protections in the Reagan-Bush years. OMB would no Ionger have to put in writing why it did not approve an agency rule." 13

Dies hätte nach Ansicht der Congress-Watch-Gruppe die Position des "Bermuda Triangles OMB" 14 gestärkt. Die Auswirkungen dieser Tendenzen unter Reagan und Bush einerseits und Clinton andererseits auf den Interessenvermittlungsprozeß werden im einzelnen noch aufgezeigt. An dieser Stelle geht es primär um die Auswirkungen auf Kongreß und Verwaltung. Deren politische Kommunikation im Gesetzesvollzug wird gezwungenermaßen auf eine informale Ebene verlagert, um den Konflikt mit dem Präsidenten zu vermeiden. Auf diese Weise entstehen allerdings Netzwerke, die für die Öffentlichkeit nicht mehr nachzuvollziehen sind. An ein formales Verfahren im Verordnungsgebungsprozeß, das transparent ist, schließt sich ein informales Procedere an. Der Zutritt hierzu ist exklusiv. Welche gesellschaftlichen Gruppen am networking teilhaben, entscheiden Kongreßmitglieder und Verwaltung. Die Öffnung des Entscheidungsfindungsprozesses läuft so Gefahr, wieder durch starre Strukturen ersetzt zu werden. Den weniger konfliktfähigen Interessengruppen, die keine materiellen Sanktionspotentiale besitzen, wird mit der Öffentlichkeit nicht nur das Medium der Artikulation genommen, sondern auch das Medium der Sanktion. Interessengruppen, die sich derart benachteiligt fühlen, bleibt eine Alternative: Sie wenden sich an eine andere Öffentlichkeit- die der dritten Gewalt, indem sie gegen das Verwaltungshandeln, das Ergebnis des networking, klagen. Ein Beispiel dafür wird in Kapitel C. III. diskutiert. Zu 2. Die lnformalisierung kann außerdem zum micromagement führen, also zum Hineinregieren des Parlaments in immer weitere Detailaspekte des Gesetzesvollzugs. Dies soll nicht der bisherigen Argumentation widersprechen, wonach das amerikanische Regierungssystem trotz seiner institutionellen Trennung funktional betrachtet durchaus verschränkt ist. Denn hier geht es nicht darum, ob der Kongreß rechtliche Möglichkeiten besitzt zu kontrollieren, ob seine delegierten legislativen Kompetenzen in seinem Sinne umgesetzt werden. Auch ist es mittlerweile in akademischen Kreisen, die sich von der formalistischen Gewaltenteilungsdoktrin distanzieren, herrschende Lehre, micromanagement des Kongresses als Pendant zum Präsidenten als chief legislator zu betrachten und als neue Form der Gewaltenbalan13 Congress Watch, Unintended Consequences ofthe S. 746 Regulatory Obstade Course for Nursing Horne Safety, Disability Rights, Factory Farm Poluution Control, Youth Smoking Prevention and Food Safety, 5/1999, S. 3. 14 Vgl. ebd.

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Teil C: Auswirkungen der Informalisierung auf das politische System der USA

ce zu begrüßen. 15 Gleichwohl ist diese Tendenz zum micromangement auch problematisch. Der ursprüngliche Impetus zur Delegation legislativer Kompetenzen an die Exekutive war, wie eingangs erwähnt, gerade das Bemühen, Detailregelungen den Experten zu überlassen. Als Quidproquo wurde die Arbeitsteilung beschrieben: Delegation gegen Kontrolle. Die höchstrichterlichen Verbote gewisser Kontrollformen mit der Begründung, der Kongreß mische sich hier in Angelegenheiten der Exekutive ein, haben indes nicht dazu geführt, den Einfluß des Kongresses zu unterbinden. Jedoch hat sich die Form der Einflußnahme verändert- zumindest teilweise. Vor Einsetzen dieser Entwicklungen, also zu Zeiten des legislativen Vetos, verfügte der Kongreß über ein einfaches Mittel, Gesetzesimplementationsentwürfe der Verwaltung, sprich Verordnungsvorschläge, abzulehnen beziehungsweise auf Modifikation zu drängen. Er konnte die Implementationsentwürfe am Maßstab der legislativen Absicht bewerten. Wie in der qualitativen Untersuchung - etwa am Beispiel der Umweltbehörde EPA- gezeigt wurde, hat sich diese Form der legislativen Einflußnahme verändert. Der Fall der Asbest-Verordnung verdeutlichte, daß der Kongreß heute im Zweifelsfall über informale Wege micromanagement betreibt. 16 Die EPA-Regulierung war vom OMB in wesentlichen Punkten gestutzt und entschärft worden. Der Kongreß sah darin einen Verstoß gegen die legislative Absicht und wies die EPA über einen detaillierten Ausschußbericht an, wie im einzelnen mit Asbest in öffentlichen Gebäuden zu verfahren sei. Der Ausschußbericht als informales Kontrollinstrument liest sich selbst wie eine Verordnung. Darüber hinaus nahm die Behörde einzelne Passagen aus diesem informalen Dokument in ihre Verordnung auf. Der Kongreß delegierte seine Kompetenz an die Umweltbehörde, die über die Faktoren Zeit, Expertise und Flexibilität verfügt, um dieser dann aufgrund der Intervention der Kernexekutive detailliert vorzuschreiben, wie im einzelnen zu verfahren sei. Der Zustand des partiellen micromanagement wird heute allgemein beklagt: 17 "Congressional distrust of agencies affects legislation in a variety of ways. In the past decade, Congress was motivated to write overly prescriptive legislation because it feared that an administration that disagreed with congressional policies and goals would substitute administration policy for congressional policy when statutes were ambiguous or flexible. Congressional concems about agencies' inabilities to issue regulations in a timely fashion, exacerbated by the perception that the Office of Management and Budget (OMB) was holding up agency rules, resulted in Congress imposing statutory deadlines with ,,hammers" (lilre that for the food labeling rule) that would impose rigid statutory obligations on private parties if the deadlines were not met." 18 15 V gl. etwa jüngst Foley/Oxen 1996, S. 398; sowie Louis Fisher, Congress as Micromanager ofthe Executive Branch; in: James P. Pfiffner (Hg.), TheManagerial Presidency, Pacific Grove 1991, s. 229. t6 Vgl. Kapitel B.ll.2. 17 David S. Broder, Hill's Micromanagement of cabinet Blurs Separation of Powers", Washington Post, 25.Juli 1993.

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Welche Auswirkungen hat diese aktive Rolle des Kongresses auf den Gesetzesvollzug im Regierungssystem der USA? Zunächst ist Foley und Owens in ihrer Beurteilung zuzustimmen: "( ... ) Congress' right to intervene in the administration fulfills an important requirement of republican govemment in America that policy decisions are based on accommodations among different majorities represented in separate institutions, elected at different times and by different means. An active roJe for Congress in the administration of policy seems a vital means by which the institutional balance of power may be sustained." 19

Die aktive Rolle des Kongresses im Gesetzesvollzug wird von beiden Autoren mit Recht unterstrichen. Sie lehnen die formalistische Gewaltenteilungsvorstellung der Obersten Richter ab. Auch sie sehen in der legislativen Intervention in den Implementationsprozeß eine neue Form der Gewaltenbalance, da dem parlamentarischen Eingriff eine Delegation der Kompetenzen des Kongresses vorausgegangen ist, die der Exekutive erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten übertragen hat. Gleichwohl ist die Beurteilung von Foley und Owens undifferenziert. Beide äußern sich nämlich nicht zur Qualität der parlamentarischen Interventionen, unterscheiden nicht zwischen formalen und informalen Eingriffen und ebensowenig zwischen bloßen Beurteilungen der Implementationsentwürfe und quasi-legislativen Verordnungen. Eine aktive Rolle für den Kongreß im Verwaltungsprozeß einzuklagen, ist aufgrund der Veränderungen im Bereich der Regulierungskompetenz berechtigt. Allerdings sollte die Art seiner aktiven Rolle kritisch überprüft werden, da sich sonst die Katze in den Schwanz beißt. Wenn am Ende des Verwaltungsverfahrens nämlich quasi-legislative Verordnungen stehen, macht die ursprüngliche Delegation legislativer Kompetenzen an die Exekutive keinen Sinn. Zu Recht spricht Joel Aberbach davon, daß "[C}ongress may become caught up in the minutiae of detail at the expense of the wider picture"20 • Wird der Kongreß dazu gezwungen, seine parlamentarische Kontrolle zu informalisieren und darüber hinaus in einer Form, welche die einstige Begutachtung von Implementationsentwürfen nunmehr durch eigene, detaillierte Formulierungen ersetzt, so ist die Legislative damit mittelfristig überfordert. Zwar hat der amerikanische Kongreß eine ausdifferenzierte parlamentarische Verwaltung, doch eine Parallel-Administration ist weder vorhanden noch - gemessen an den ursprünglichen Aufgaben des Kongresses - erstrebenswert. Der Kongreß und seine Verwaltung müssen gemäß ihrem normativen Anspruch den Gesetzesvollzug kontrollieren- und nicht übernehmen. Dazu fehlte dem Parlament die Kompetenz- und zwar im doppelten Sinne. Erstens gehört dieser Bereich nicht zu den Machtbefugnissen des Kongresses und zweitens mangelt es ihm an Fähigkeit. Diese Entwicklung würde darüber hinaus zu 18 lmproving Regulatory Systems. Recommendations and Actions; in: http://www.npr.gov/ library/reports/reg09.html, (30. Juni 1999, 16 Uhr). 19 Foley/Owens 1996, S. 398. 2o Aberbach 1990, S.197.

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Teil C: Auswirkungen der Infonnalisierung auf das politische System der USA

Lasten anderer Parlamentsfunktionen gehen. Zudem würde die Detailregulierung die Kongreßmitglieder davon abhalten, Wegschneisen zu schlagen und große Richtungsentscheidungen zu treffen. Der Vorgang der Informlilisierung hat die Tendenz zum micromanagement befördert. Micromanagement, verstanden als Mitwirkung des Kongressesam Gesetzesvollzug, ist eine funktionale Antwort des Parlaments auf veränderte politische Rahmenbedingungen. Micromanagement, verstanden als legislativer Gesetzesvollzug, steht nicht im Einklang mit der verfassungsmäßigen Zuteilung der Kompetenzen. Schließlich kann diese Entwicklung nicht im Interesse des Kongresses sein, da sie ihm den Raum für seine anderen Aufgaben nimmt. Die Entwicklung des informalen micromanagement wurde in der qualitativen Untersuchung beispielhaft beschrieben und analysiert. Sie ist noch kein allgemeiner Zustand. Gleichwohl bleibt festzustellen, daß das Ziel der Obersten Richter, die parlamentarische Intervention in den Gesetzesvollzug zu unterbinden, verfehlt wurde. In der Konsequenz hat die Anwendung der formalistischen Gewaltenteilungsdoktrin den Zustand, der aus Sicht der Judikative von Übel war, eher noch gefördert. Networking und micromanagement als Konsequenzen der Informalisierung der Beziehungen zwischen Kongreß und Verwaltung sind der Legislative als Problem durchaus bekannt. In dem CRS-Bericht "Congressional Reorganization: Options for Change" für das Joint Committee on the Organization ofCongress heißt es: "[T]hat agencies and administering offices have been known to welcome micromanagement from committees when it is to an agency's and office's advantage in dealing with OMB or in other intra-executive branch skinnishes. Cases are reported where senior civil servants have more contact with Members of Congress than with department heads. The dassie ,iron triangle' of bureau, congressional panel, and interest group is vintage micromanagement."21

Das Problembewußtsein ist vorhanden. Doch an effektiven Problemlösungen mangelt es. Die "proposals for change", die der Congressional Research Service dem gemeinsamen Ausschuß für Parlamentsreformen vorschlug, beinhalteten die Anregung, nach dem Vorbild des Verteidigungsministeriums (DOD) und der Ausschüsse für Verteidigungspolitik ein gemeinsames Gremium für "broad agenda consultations"22 zu schaffen- sowohl für Kongreßmitglieder und leitende Verwaltungsangestellte als auch für Kongreßmitarbeiter und Mitglieder der legislative IiaisonAbteilungen. Ziel der Gremien sei es, Brücken zu schlagen. Doch tatsächlich sollte informale Politikabstimmung reformalisiert werden- durch eine relative Institutionalisierung. Diese Entwicklung wäre indes aus Sicht der Akteure kontraproduktiv, da sie doch gerade informale Arenen der Politikabstimmung suchen, um die Intervention des Präsidenten zu umgehen. 21 CRS-Report, Congressional Reorganization: Options for Change. AReport Prepared by the Congressional Research Service for the Use ofthe Joint Committee on the Organization of Congress, 9/1992, S.ll2f. 22 Ebd.

I. Interorgan-Perspektive

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b) Redelegation oder Deregulierung: Kongreß und Regierung

Die kurz- und mittelfristigen Auswirkungen der Wandlungen der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen wurden bereits dargestellt. Der politische Prozeß zwischen beiden Akteuren komplizierte sich und war fortan konfliktgeprägter. Welche Auswirkungen langfristiger Art hat diese Entwicklung auf das Regierungssystem der Vereinigten Staaten? Neben einer derzeit nicht wahrscheinlichen Rückkehr zu formalen Mechanismen der Kooperation zwischen Kongreß und Verwaltung, also einer Reformalisierung, einerseits und einem wahrscheinlichen Fortbestand informalisierter politischer Prozesse andererseits wäre eine dritte Variante theoretisch denkbar. Wenn die formalistische Auslegung des Verfassungstextes dazu führte, daß die Legislative einseitig Macht einbüßen müßte, weil etwa informale Absprachen zwischen Kongreß und Verwaltung verwaltungsrechtlich keinen Bestand haben,23 dann könnte die Reaktion des Kongresses auf dem Fuße folgen. In einzelnen Fällen kam es, wie dargestellt, schon zur Redelegation legislativer Kompetenzen an den Kongreß. Wird die Kontrolle über die administrative Implementation ursprünglich legislativer Kompetenzen beschnitten, so könnte die Delegationsdoktrin auch insgesamt überdacht werden. Eine inzwischen losgetretene rechtswissenschaftliche Debatte über eine Abkehr von der Delegationsdoktrin und zahlreiche parlamentarische Initiativen in dieser Sache unterstützen diese Ansicht. 24 Warum hat die non-delegation-doctrine aus der Zeit vor dem New Deal wieder eine größere Anziehungskraft? An dieser Vorstellung finden vor allem jene Kongreßmitglieder Gefallen, die ohnehin den Verwaltungsstaat verschlanken wollen -und zwar aus wirtschafts- und finanzpolitischen Gründen. Redelegation reduziere staatliche Regulierung, da Regulierungskompetenzen im Kongreß blieben und dieser die Regulierungstätigkeit nicht mehr erst während des Gesetzesvollzugs kontrollieren müßte - zumal heute unter erschwerten Bedingungen. Der Rechtswissenschaftler Martin H. Redish vertritt diesen Standpunkt exemplarisch: "Under adoption of the political commitment principle advocated here as the guided principle for a newly invigorated nondelegation doctrine, administrative agencies would continue to exercise substantial political authority in the implementation of congressional statutory directives. (...) Reinvigoration ofthe nondelegation doctrine by use ofthe political commitment principle would give rise to neither the hopeless problems of interpretation nor the required proliferation of detailed legislative codes feared by statutes over which reasonable people may differ. "25 Vgl. Kapitel C. I. 2. Vgl. die zusammenfassende Darstellung: The Cato Institute, The Delegation of Legislative Powers; in: Handbook for Congress; in: www.cato.org/pubs/handbook/hb105-4.html (19.9.1998, 20.10 Uhr), S.5. 25 Redish 1995, S.l60f. 23 24

I 3 Sattar

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Teil C: Auswirkungen der Informalisierung auf das politische System der USA

Redish äußert diese Überlegungen nicht mit Blick auf den Obersten Gerichtshof. Obliegt es diesem nicht, verfassungsrechtliche Auslegungsdoktrinen zu etablieren, so wie das Richtergremium dies einst bei der Abkehr von der non-delegation doctrine getan hat? Dazu müßte das Gremium einen eingeschlagenen Weg der Verfassungsinterpretation revidieren, Verfassungswandel quasi zurückleiten und eventuell sogar den Weg der letzten 60 Jahre für nicht verfassungskonform erklären. Redish hält dies weder für wahrscheinlich noch für notwendig: "It should be noted that reinvigorated judicial enforcement of the structural dictates established by the Constitution would not require areturn to jurisprudence of the pre-New Deal period. (...) The Constitution's text and structure leave sufficient room for the courts to take into account modern social and economic realities without requiring abandonment of its directives. " 26

Der Ansicht, die Verfassung respektive der Verfassungstext lasse ausreichend Spielraum, um den neuen sozialen und ökonomischen Erfordernissen gerecht zu werden, ist uneingeschränkt zuzustimmen. Die Kommentierung des Verfassungstextes durch den Föderalisten benennt die funktionale Verschränkung wörtlich, wenn er von "blended departments" spricht und auf die evolutionäre Kraft verweist, die die Verfassung als Rahmenordnung in sich birgt. Genau damit läßt sich aber die Verfassungsmäßigkeit der Delegationsdoktrin, des legislativen Vetos, des GRH et cetera erklären. Wenn Redish aber einen richterlichen Doktrinwechsel nicht für nötig hält, welche Option befürwortet er dann? Handlungsbedarf sieht er beim Kongreß selbst. Anstöße in dieser Richtung gab es bereits vornehmlich von konservativ-libertärer Seite. "No regulation without representation"27, lautet die leicht verfremdete Revolutionsparole der konservativen Revolutionäre im 104. und 105. Kongreß. Mehrere Gesetzentwürfe hatten einen entsprechenden Tenor. H. R. 47, H. R. 2727 und H. R. 2990, die allesamt eine Redelegation vorgesehen hätten, wurden von bis zu 100 Abgeordneten im Repräsentantenhaus unterstützt.28 Obschon dies einen nicht zu vernachlässigenden politischen Willen ausdrückt, ist vor der vorschnellen Schlußfolgerung zu warnen, diese nunmehr wieder diskutierte politische Option werde alsbald auch umgesetzt. Gemäßigt konservative Kräfte im Senat, der als Oberhaus ohnehin die traditionelle Aufgabe hat, die politischen Initiativen der jungen Rebellen im Repräsentantenhaus zu filtern und deren politische Entscheidungen zu veredeln, wissen um die Gefahren, die diese Option in sich birgt. 29 Die Komplexität der ökonomischen, sozialen und ökologischen Systeme bedarf wenn nicht der Regulierung, so doch zumindest der Überwachung. Modeme PariaEbd. S. 165. The Cato Institute 1998, S. 5. 28 Vgl. ebd. 29 So mäßigte der spätere Präsidentschaftskandidat Robert Dole noch in seiner Rolle als Mehrheitsführer im Senat mehrere Initiativen von Kongreßabgeordneten in Sachen Deregulierung, vgl. Rosemary O'Leary!Paul Weiland, Regulatory Reform in the 104th Congress: Revolution or Evolution? in: Publius. The Journal of Federalism 26 (1996): 3, S. 38. 26

27

I. Interorgan-Perspektive

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mente sind damit jedoch zeitlich und fachlich überfordert. Selbst wenn der Kongreß nach der Redelegation der Regulierungskompetenz insgesamt seine Regulierungstätigkeit in politischer Absicht drosselte und Recherche, Entwurf und fachliche Beurteilung der parlamentarischen Bürokratie übertrüge, die dann freilich ausgebaut werden müßte, so würde sich der Kongreß zum Sklaven seiner Kongreßmitarbeiter machen, die als Experten mit der notwendigen Gestaltungsfreiheit Entscheidungen präjudizieren würden. Am Ende bestünde Bedarf dafür, die legislativen Behörden parlamentarisch zu kontrollieren. Die Absurdität ist offensichtlich, die Arbeitsteilung zwischen den Gewalten wäre unterlaufen und die Exekutive am Ende wieder nur ausführende Gewalt. Wenngleich konservative Kreise um Reagans einstigen Kandidaten für den Obersten Gerichtshof, Robert Bork, die antiquierte non-delegation-doctrine in der öffentlichen Debatte wieder als politisches Patentrezept für die Lösung neuer Probleme anpreisen, 30 ist die Option als politisches Programm nicht wahrscheinlich. Zum einen wissen selbst konservative Politiker, daß sie mit der Reduzierung des Verwaltungsstaates die Last der Regulierungsarbeit selbst zu tragen hätten. Die Übernahme großer Teile der staatlichen Regulierungspolitik streben sie nicht an: Sie wissen um die mangelnde Expertise der legislativen Generalisten. Und sie wissen um die fehlende Flexibilität des mitunter schwerfälligen Gesetzgebungsprozesses. Hinzu kommt freilich, daß der Regulierer politische Outputs zu verantworten hat. Wie gezeigt wurde, nutzt der Kongreß nur zu gerne die Verwaltung als Sündenbock für eine Politik, die die Legislative über Ermächtigungsnormen eigens einleitete und für notwendig hielt. Die unpopuläre Umsetzung dieser Gesetze wird dabei gerne den Verwaltungsträgem überlassen: "One of the main reasons Congress delegates is to manipulate voter perceptions. Delegation allows legislators to represent themselves to some constituents as supporting an action and to others as opposing it. Legislators, for example, can write different letters about the same issue to different groups of constituents, with each Ietter crafted to make the legislator appear to sympathize with that group's position. ( ... ) As former EPA administrator Lee Thomas described delegation under the Clean Air Act, ,Everybody' is accountable and nobody is accountable under the way Congress is setting it up, but the legislators have got a designated whipping boy."3t

Dieses Abwälzen politischer Verantwortung wäre bei einer extensiven Anwendung der non-delegation-doctrine nicht länger möglich. Würde derart zum einen die bequeme Verlagerung von politischer Verantwortung unmöglich gemacht, so droht zum anderen als Folge daraus eine Stärkung des Einflusses der Interessengruppen. 30 Vgl. The Cato-lnstitute 1998, S.6; sowie: Administrative Rulemaking. Testimony ofDavid Schoenbrod before the Subcommittee on Commercial and Administrative Law of the Judiary Committee; in: www.cato.org/testimony/ct-ds091296.htrnl (19. 9.1998, 19.57 Uhr), S. 3. 31 Jerry Taylor, Director of Natural Resource Studies of the Cato Institute, The RoJe of Congress in Monitoring Administrative Rulemaking, before the Subcommittee on Commercial and Administrative Law of the House Committee on the Judiciary; in: www.cato.org/testimony/ ct-jt091296.html (19.9.1998, 19.54 Uhr), S. 10. 13*

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Teil C: Auswirkungen der Informalisierung auf das politische System der USA

Selbst das libertäre Cato-Institute, das eine Redelegation grundsätzlich begrüßt, weist darauf hin, daß "[F]orcing Congress to take full and direct responsibility for the law would not prove a panacea. The legislature, after all, has shown itself to be fully capable of violating individual rights, subsidizing special interest, writing complex and virtually indecipherable law, and generally making a hash of things. "32

Wahrscheinlicher sind daher andere Optionen: nämlich der Fortbestand der informalisierten Kommunikations- und Handlungskanäle zwischen Kongreß und Verwaltung sowie eine weitergehende Deregulierungspolitik- also die gesetzliche Einschränkung administrativer Verordnungstätigkeit zugunsten des Marktes. Auf letztere Weise nimmt der Kongreß der Exekutive die Regulierungskompetenz zwar wieder ab, bürdet sich selbst aber die Last der staatlichen Regulierung nicht auf. Hier kommt freilich die politische Konjunktur dem staatsrechtlichen Problem entgegen. Deregulierung wird nunmehr gleichermaßen von Republikanern und von New Democrats, geläuterten Demokraten um Bill Clinton und Al Gore, die- zumindest ihrer politischen Agenda nach - ebenso die sozialstaatliche Regulierungstätigkeit drosseln wollen, gefordert. Deregulierung ist das herrschende Paradigma einer globalisierten Welt. Dies kann gesagt werden, obwohl unter der Clinton-Administration die Regulierungsdichte, wie dargestellt, wieder anstieg. Die Dichte keynesianischer Wirtschaftspolitik der 70er Jahre erreichte sie nämlich nicht wieder. Wenn aber der Staat große Bereiche des sozio-ökonomischen Systems tendenziell weniger reguliert, wird folglich auch Regulierungskontrolle durch das Parlament zunehmend überflüssig - nicht in Gänze, aber in Teilen. Diese Entwicklung tritt losgelöst vom Vorgang der Informalisierung in Erscheinung. Daher kann sie nicht zu den direkten Auswirkungen des Informalisierungsprozesses gezählt werden. Die umgekehrte Denkrichtung liegt dieser Überlegung zugrunde: Wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, hat dies auch Auswirkungen auf die informalen Komponenten der Politik. Gleichwohl stößt die Tendenz der Deregulierung an Grenzen. Wenn staatliche Regulierung in begrenzter Form bestehen bleibt, wird auch die informale Kontrolle staatlicher Regulierung weiterhin existent sein. In einigen Politikfeldern wie etwa der Umweltpolitik blieb Deregulierung für Clinton ein bloßes Schlagwort.33 Die erste Option, also der Fortbestand des Status quo und somit einer andauernden Informalisierung wichtiger Bereiche der Beziehungen zwischen Regierung und Verwaltung, hängt allerdings vom Verhalten der dritten Gewalt ab. Die Judikative ist zunehmend mit dem Phänomen informaler Politik befaßt. Die Gerichte treten als Akteure im Bereich informaler Politik dadurch in Erscheinung, daß außenstehende Dritte gegen Verwaltungshandeln klagen. Zum einen The Cato Institute 1998, S. 4. Vgl. Allan Freedman, Law Sparks Another Round in Pesticides Battle; in: CQ-WR, 2.Mai 1998, S.l117. 32 33

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kommt es zu dem Problem, daß die Gerichte das Verwaltungshandeln an der Ermächtigungsnorm messen müssen und aufgrund fehlender Konkretisierung in den Gesetzestexten auf informale Dokumente als Maßstab angewiesen sind. Dieses Problem wird im folgenden Kapitel C.l. 2. behandelt. Zum anderen klagen Dritte zuweilen gegen bestimmtes Verwaltungshandeln mit der Begründung, aufgrund nachträglicher informaler Absprachen im Interessenvermittlungsprozeß benachteiligt gewesen zu sein. Dieses Problemfeld wird in Kapitel C. III. analysiert, das sich mit den gesellschaftlichen Auswirkungen der Informalisierung befaßt. 2. Die Judikative und das Legislativ-Exekutiv-Verhältnis Der Oberste Gerichtshof löste als organisatorische Spitze der dritten Gewalt, wie gezeigt wurde, durch seine formalistische Verfassungsauslegung den Vorgang der lnformalisierung der Beziehungen zwischen Kongreß und Verwaltung aus. Er steht damit am Anfang der Entwicklung, die hier untersucht wird. Er ist Initiator. Der Informalisierungsprozeß, den er beginnend mit dem Jahre 1983 anstieß, hat jedoch einen Rückkopplungseffekt ausgelöst. Die Gewaltenteilungsurteile wirkten und wirken zurück auf die Judikative. Im Umgang mit diesem Rückkopplungseffekt tut sich das höchstrichterliche Gremium äußerst schwer. Der Bereich, den diese Entwicklung betrifft, ist das Verwaltungsrecht, also die rechtstaatliche Bindung des staatlichen Eingriffsrechts mit Hilfe der Rechtsinstrumente des Gesetzesvorbehalts und der Gesetzmäßigkeit, um die einschlägigen Begriffe der deutschen Jurisprudenz zu benutzen, die in diesem Zusammenhang auf die USA durchaus übertragbar sind. Nicht übertragbar ist hingegen der organisatorische beziehungsweise institutionelle Aspekt: Eine eigene Verwaltungsgerichtsbarkeit ist den USA fremd, die ordentliche Gerichtsbarkeit überwacht hier also auch Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit des administrativen Handelns. Bemessungsgrundlage für das Verwaltungshandeln ist die Ermächtigungsnorm des Delegierers, mithin des Kongresses. Normative Grundlage für die gerichtliche Kontrolle des Verwaltungshandeins ist das APA, das in § 706 Satz 1 vorgibt: "To the extent necessary to decision and when presented, the reviewing court shall decide all relevant questions of law, interpret constitutional and statutory provisions, and determine the meaning or applicability of the terms of an agency action. " 34

In der amerikanischen Praxis ist jedoch nicht zuletzt aufgrund der fehlenden rechtspositivistischen Tradition seit jeher nicht nur die ermächtigende Norm (organic act) als Bemessungsgrundlage herangezogen worden, wenn nach der legislative beziehungsweise der congressional intent gesucht wurde, sondern die gesamte legislative history.35 Der Terminus umfaßt alle gesetzeskonkretisierenden Äußerun34 35

APA, vgl. Brugger 1993, S. 243. Vgl. Oleszek 1996, S. 309.

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Teil C: Auswirkungen der Informalisierung auf das politische System der USA

gen mündlicher und schriftlicher Art von seiten der Kongreßmitglieder während des Gesetzgebungsprozesses, d. h. neben dem eigentlichen Gesetzestext Ausschußanhörungen, Ausschußberichte sowie Reden im Plenum. Eine Frage drängt sich auf: Was ist mit informalen Schreiben oder gar informellen Absprachen, die ebenfalls die legislative Absicht konkretisieren? Denn - wie schon vorher illustriert wurde- ist diese keine Konstante, sondern zeitlich und ideologisch durchaus änderbar. Müssen Wandlungen der legislativen Absicht in Form von neuenGesetzen bzw. Gesetzesänderungen normiert werden? In der Praxis wird die legislative Absicht über verschiedene formale und informale Äußerungen der Kongreßmitglieder modifiziert. Auch diese gehören dann zum legislativen Kontext. Sie konstituieren nicht de jure, aber de facto die subsequent legislative history, die aktuelle Gesetzesintention des Kongresses. Über die Frage, ob diese Formen der Modifikation des legislativen Willens auf informaler Ebene von den Verwaltungsgerichten herangezogen werden müssen, herrscht Uneinigkeit. Um Licht ins Dunkel zu bringen, muß ein Blick auf die verwaltungsrechtliche Praxis geworfen werden. Verwaltungsentscheidungen stützen sich in der Verordnungsgebung und bei Verwaltungsakten auf Gesetzesinterpretation und -konkretisierung aufgrund der vorhergehenden Analyse der Verwaltungsumwelt Dabei kommt Entscheidungsspielraum in erheblichem Maße zum Tragen. 36 Wie eingangs erwähnt, wird bei der administrativen Normsetzung (rulemaking) das formelle vom informellen Verfahren unterschieden. In beiden Fällen haben Verwaltungsträger aber ihre Regelsetzung zu begründen. Dabei müssen sie auch auf die Ermächtigungsnormen verweisen, die Grundlage ihres Handeins sind, wenngleich beim informellen Verfahren die Begründungsptlicht schwächer formuliert ist: "After consideration of the relevant matter presented, the agency shall incorporate in the rules adopted a concise general Statement of their basis and purpose."37 Die Delegation legislativer Kompetenzen an die Administration eröffnet dieser also Entscheidungsspielraum. Die gerichtliche Untersuchung besteht nun in der Überprüfung des behördlichen Ermessens anband der ermächtigenden Norm und des Verwaltungsverfahrens. "Normally, an agency rule would be arbitrary and capricious ifthe agency has relied on factors which Congress has not intented it to consider, entirely failed to consider an important aspect of the problem, offered an explanation for its decision that runs counter to the evidence before the agency, or is so implausible that it could not be ascribed to a difference in view or the product of agency expertise."38

Der Oberste Gerichtshof betont dabei: "lf the intent of Congress is clear, that is the end of the matter; for the court, as weil as the agency, must give effect to the Vgl. Brugger 1993, S. 210. APA §553 (c); in: Brugger 1993, S.238. 38 Motor Vehicle Manufactures Ass'n v. State Farm Mutual Automobile Ins. Co., 463 36

37

U.S.29,43 (1983).

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unambiguously expressed intent of Congress."39 Doch wann ist die congressional intent klar? Und welche Grundlagen dürfen zur Klärung des legislativen Willens herangezogen werden: der organic act oder auch die legislative history? Darüber hinaus beschränkt sich der Begriff der Gesetzesentstehungsgeschichte auf Dokumente beziehungsweise Äußerungen vor der Verabschiedung der Gesetze. Nicht betroffen davon sind scheinbar die Modifikationen des legislativen Willens nach Verabschiedung der Gesetze, also die subsequent legislative history.40 In dieser Sache zeigt sich der Oberste Gerichtshof in seiner Kompetenz dem Anschein nach bescheiden, indem er die verfassungsrechtliche political-question-doctrine auf das Verwaltungsrecht überträgt. Sei der legislative Wille nicht eindeutig festzustellen, so müsse das Gericht der Verwaltung ihr Ermessen zugute halten: "Politics- not law- prevails."41 Die richterliche Zurückhaltung sei insbesondere dann angebracht, wenn der Kongreß sich bewußt vage geäußert habe. Dann dürften nicht die Richter der Verwaltung den Spielraum nehmen, den der Gesetzgeber dieser ursprünglich zugedacht hatte. Diese Auffassung wurde im Fall Chevron v. Natural Resources Defense Council aus dem Jahr 1984 etabliert: "If Congress has explicitly left a gap for the agency to fill, there is an expressed delegation of authority to the agency to elucidate a specific provision of the statute by regulation. Sometimes the legislative delegation to an agency on a particular question is implicit rather than explicit. In such a case, a court may not substitute its own construction of a statutory provision for a reasonable interpretation made by the administrators of an agency. " 42

Wenn der legislative Wille nicht klar ist, darf ein Gericht das Verwaltungshandeln nur daraufhin überprüfen, ob die Verwaltung die anerkannten Auslegungsmethoden angewandt hat. 43 Zur Begründung heißt es im gleichen Urteil des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahre 1984: "By contrast, agencies are part of the executive branch of the government, which appropriately makes policy choices- resolving the competing interests which Congress itself either inadvertently did not resolve, or intentionally left tobe resolved by the agency charged with the administration of statute in light of every days realities."44

Die Begründung zeugt zunächst von der Einsicht des Obersten Gerichthofs, daß sich die Judikative aus originär politischen Sachfragen herauszuhalten habe. Bei der Überprüfung des Verwaltungshandeins auf der Grundlage etwa unbestimmter 39 Merrick B. Garland, Deregulation and Judicial Review; in: Havard Law Review 98 (1985), s. 512. 40 Vgl. Statutory Interpretation and the Uses ofLegislative History. Hearing before the Subcommittee on Courts, Interlectuell Property, and the Administration of Justice of the Committee on the Judiciary. House of Representatives. IOlst Congress, 2nd Session, April 19th, 1990. 41 Philip J. Harter, Executive Oversight of Rulemaking: The President is No Stranger; in: The American University Law Review 36 (1987), S.562. 42 Chevron USA Inc. v. NRDC, 467 U. S. (1984). 43 Vgl. Pünder 1995, S.l77. 44 Chevron USA Inc. v. NRDC, 467 U.S. (1984).

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Teil C: Auswirkungen der Informalisierung auf das politische System der USA

Rechtsbegriffe habe sich das Gericht auf die formale Prüfung des Verfahrens zu beschränken. Materielle Entscheidungen seien bewußt von seiten der Legislative an die Exekutive delegiert worden. Diese Auffassung bedeutet eine Stärkung der Exekutive: In einer im Jahr 1993 herausgegebenen Studie über Verbesserungsmöglichkeiten im Entscheidungsprozeß des Gesetzesvollzugs, welche die überparteiliche Carnegie Commission an Science, Technology, and Government verfaßte, heißt es zur Chevron-Doktrin: "In the past, when statutory and regulatory language did not present clear answers to controversial questions, interpretation of congressional intent was often left largely to the judicial branch. In such cases, judges frequently looked to legislative histmies to determine the intent of legislature. However, the Supreme Court's 1984 decision in Chevron v. Natural Resources Defense Council has to some degree redefined the judicial roJe in such circumstances. In cases where statutory language is ambiguious, Chevron established a standard of review that counsels deference to the agency interpretation of the law, rather than legislative histories or other accounts of congressional intent ( ... )."45

1985 erhob der Oberste Gerichtshof in M ountain States Telephone and Telegraph Co. v. Pueblo of Santa Ana die Chevron-Doktrin zum "elementary canon"46 • Und auch das Department of Justice erklärte per Memorandum, daß post enactment legislative historynicht berücksichtigt werden sollte.47 Gleichwohl ist der richterliche Umgang mit dem legislativen Kontext weiterhin umstritten.48 Denn die Richter selbst haben ihre verwaltungsrechtliche Praxis von einem unbestimmten Rechtsbegriff abhängig gemacht. Wann ist das Verhalten der Verwaltung auf der Grundlage einer Ermächtigungsnonn "reasonable"? Im Ergebnis handelt es sich bei der Chevron-Doktrin nur partiell um eine Stärkung der Exekutive im Verordnungsgebungsprozeß. Im Zweifelsfall bestimmen die Richter selbst über die Zulässigkeil des Verwaltungshandelns als Folge legislativer Delegation. Das Problem bleibt somit bestehen.49 "Although it [Chevron, M. S.] shifted a degree of decision-making authority from the Judiciary to the Executive, Chevron has hardly eliminated the Judiciary's roJe in reviewing agency rulemakings. " 50 45 Carnegie Commission on Science, Technology, and Government, Risk and the Environment. Improving Regulatory Decision Making, Juni 1993; in: www.camegie.org/science_tech/ reg.txt (14.1 0.1998, 11.37 Uhr), S. 59 f. 4f>

472 U.S.237 (1985).

Vgl. Morton Rosenberg, Congressional Review of Agency Rulemaking. ABrief Overview and Assessment after three years, CRS-Report RL 30116, S.17. 48 Der lapidaren Bemerkung Mikvas von 1986, die meisten Gerichte kümmerten sich nicht allzu sehr um Aktualisierungsbemühungen der legislativen Absicht, muß daher widersprochen werden, vgl. Abner Mikva, Kongreß und Dritte Gewalt; in: Uwe Thaysen/Roger H. Davidson/ Robert G. Livingstone (Hg.), US-Kongreß und Deutscher Bundestag. Bestandaufnahmen im Vergleich, Opladen 1986, S.205. Wie gezeigt wird, entwickelte sich diese Frage zum bis dato ungeklärten rechtspolitischen Zankapfel. 49 Ernest Gellhorn/Ronald M. Levin, Administrative Law and Process, St. Paul 4 1997, S. 89. 50 Ebd. 47

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Der Rechtswissenschaftler und Gewaltenteilungsexperte Martin Shapiro warnt daher zu Recht vor Dramatisierung: "Chevron does not mark the end of the Supreme Court's maintenance of two lines of precedents ( ... ). If we put all these cases and the various interpretations that have been made of them together, what we get is a rather open field. There is plenty of Supreme Court language that can be used as a basis for challenging prevailing theories of adjudicatory synopticism in rule making. ( ...) There is also plenty of Supreme Court language to support the continued vitality of the adjudicatory and synoptic models of agency rule making and the development of statutory duty approaches."51

Nicht wenige Wissenschaftler sehen darin einen Machtverlust für den Kongreß und einen Machtgewinn für Exekutive und Judikative: "The question of legislative history is not just a technical exercise. lt has institutional consequences."52 Unabhängig davon bleibt zudem festzustellen, daß die widersprüchlichen Lesarten des Obersten Gerichtshofes problematisch sind, da sie die Rechtssicherheit insbesondere für gesellschaftliche Gruppen in verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten, wie noch gezeigt wird, unterminieren können. Die erwähnten Einzelfallentscheidungen, die in bezugauf die Chevron-Doktrin unterschiedlich ausfallen, sind Ausdruck des rechtspolitischen Streits um die Gewaltenteilungsdoktrin. Hauptverantwortlich dafür sind die Auffassungen des einflußreichen, konservativen Verfassungsrichters Antonin Scalia und anderer textualists im Obersten Gerichtshof.53 Scalia gilt als energischer Verfechter der These: Gesetz ist, was im Gesetzestext geschrieben steht.54 "1 belong to a school, a small but hardy school, called ,textualists' or ,originalists' that used to be called ,constitutional orthodoxy' in the United States", erklärt er selbst. Er fühle sich als Verfassungsrichter "bound not by the intent of our legislators, but by the laws which they enacted."55 Dem steht die Auffassung gegenüber, daß Gesetzen - zumal wenn sie in delegatorischer Absicht bewußt vage formuliert werden - eine Zielvorgabe immanent ist, die sich aus Äußerungen und Niederlegungen von Politikern in dem Entstehungszusammenhang ergibt (legislative history) und über Ausschußanhörungen ständig aktualisierbar ist (subsequent legislative history ). Diese Auffassung wird durch Scalias Kollegen im Obersten Gerichtshof, Stephen G.Breyer, vertreten: 56 51 Martin Shapiro, Who Guards the Guardians? Judicial Control of Administration, Athens/ London 5 1992,S.167. 52 Louis Fisher. Interview vom Juni 1999 in Washington D. C. 53 Vgl. CRS-Report 9/1992, Congressional Reorganization: Options for Change. Areport prepared by the Congressional Research Service for the use of the Joint Committee on the Organization of Congress, S. 125. 54 Vgl. Rodney A. Smolla, Antonin Scalia; in: Melvin J. Urofsky (Hg.), The Supreme Court Justices. A Biographkai Dictionary, N. Y./London 1994, S. 398. 55 Antonin Scalia in seiner Rede "A Theory of Constitutional Interpretation" vor der Catholic University of America; in: www.courttv.com/library/rights/scalia.html. (19.9.1998, 19.46 Uhr), S. 1. 56 Vgl. Oleszek 1996, S. 309.

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"Traditionally, the Supreme Court has been willing to examine the legislative history of the law, including such things as reports prepared by congressional committees leading up to the passage of the bill or remarks by members of Congress during ftoor debates, to shed light on what the law means. ( ...)Most members of the Supreme Court are willing to examine the legislative history of the law to deterrnine the legislature's intent in passing it ( ••• )."57

Bei der Bestimmung der gesetzlichen Absicht sind demnach traditionell informale Dokumente bzw. mündliche Spezifizierungen des legislativen Ziels herangezogen worden. Was hat sich also geändert? Anlaß für Scalias Klage muß eine Zunahme von Elementen des legislativen Kontextes, also einen Anstieg informaler Komponenten der Politik im Gesetzesvollzug, sein, der in dieser Untersuchung erklärt wurde. Die Frage, warum es zu einem solchen kommen konnte, läßt Scalia gänzlich außer acht. Daß veränderte politischen Rahmenbedingungen dazu führten, daß der Kongreß in der Bestimmung dessen, was seine legislative Absicht ist, zunehmend auf informale Komponenten angewiesen ist, da der Oberste Gerichtshof formale Mechanismen, wie etwa das legislative Veto, für verfassungswidrig erklärt hat, ist für Scalia nicht von Relevanz. 58 Die Notwendigkeit einer parlamentarischen Kontrolle über den Gesetzesvollzug aufgrund der weitgehenden Delegation legislativer Kompetenzen an die Exekutive ist für Scalia schlicht nicht gegeben. Der Kongreß übe seine Kontrolle über seine Gesetzgebungskompetenz aus: "[C]ongress can formally control executive action only by law."59 Im Fall Green v. Bock Laundry Machine Co.60 von 1989 erklärte er seinen Standpunkt: "(...) the meaning ofterrns on the statute-books ought tobe deterrnined (...) on the basis of which meaning is (1) most in accord with context and ordinary usage, and thus most likely to have been understood by the whole Congress which voted on the words ofthe statutes (not to mention the citizens subject to it), and (2) most compatible with the surrounding body of law into which the provision must be integrated- a compatibility which, by a benign fiction, we assume Congress always has in mind."6J

Zwei Aspekte stehen also für Scalia und die textualists im Vordergrund: Gesetze sind vom Kongreß als Ganzem - und damit repräsentativ - verabschiedet worden. Die Aktualisierung der congressional intent über den legislativen Kontext hingegen sei im besten Falle Sache eines Ausschusses -meist jedoch alleine Sache der Kongreßmitarbeiter, der sogenannten unelected representatives, die über keinerlei Mandat verfügten. Zum anderen müßten einzelne Gesetzespassagen am Gesetzeswerk Ebd. S. 399f. Vgl. Antonin Scalia, Two Wrongdoings Make a Right - The Judicalization of Standardless Rulemaking; in: Regulation 21 ( 1997): 4, S. 42. Eine umfassende Darstellung seiner Theorie der Interpretation von Verfassungs- und Gesetzestext in: Antonin Scalia, A Matter of Interpretation. Federal Courtsand the Law, New Haven 1997. 59 Vgl. Antonin Scalia, The Rule ofLaw as the Law ofRules; in: University ofChicago Law Review, 56 (1989), S.l183. 60 Vgl. Green v. Bock Laundry Machine Co., 490 U.S.504, 527-28 (1989) . 61 Ebd. 57 58

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als Ganzem gemessen werden. Dies zu bestimmen, ist freilich Angelegenheit der Judikative. "To put it bluntly, Scalia believes that legislative history is hokum."62 Für den Obersten Richter droht mit der Modifizierung beziehungsweise Aktualisierung der legislativen Absicht die Instabilierung der Regulierungskompetenz: "Scalia takes the view that in the light of all this political reality, it is simply wrong for judges to Iook into legislative history at all, because it is entirely unreliable. In bis view, the only thing that the legislative body actually enacts as a whole is the final language of the law itself, and the Court should confine itself to that language when construing it. Using ,objective' tools for disceming the meaning of language and traditional canons of interpretation, the judge should focus on what a law says, not what others claim it meant to say."63

Scalia kommt vor allem aus zwei Gründen zu diesem Schluß: Zum einen weiß er aus seiner eigenen Tatigkeit und der amerikanischen Richterschaft im Bereich des Verwaltungsrechts insgesamt, daß die Beurteilung der congressional intent eine äußerst komplizierte und zum Teil willkürliche Angelegenheit ist. In vielen Fällen zeigte sich nämlich, daß die Richter am Ende selbst abwägen mußten, welche Dokumente bzw. Äußerungen heranzuziehen seien und welche wiederum ausschlaggebend seien, wenn es widersprüchliche Äußerungen gab. Dies hat zur Folge, daß sich in Urteilsbegründungen Formulierungen wie die folgende aus einem Berufungsurteil befinden: "The Conference Committee Report accompanying the EAJA states that the fees available under EAJA (...) include ,reasonable attomey or agent fees' . (...) This Statement does not accurately reflect the plain language of the statute (...). As with other portions of the Report, this statement appears simply to import, essentially verbatim, comments made with respect to fee-shifting for agency proceedings. Therefore it provides no basis for concluding that Congress clearly intended and authorized recovery of ,agent fees' in court proceedings."64

Das Zitat offenbart eine zweifache Problematik. Einerseits werden die Schwierigkeiten der Richter sichtbar, mit widersprüchlichen Äußerungen zur legislativen Absicht umzugehen. Zum anderen richtet sich der Richter in diesem Fall nach Scalias Empfehlung, indem er die widersprüchlichen Äußerungen im Ausschußbericht bei seinem Urteil außen vor läßt und sich einfach auf den bloßen Gesetzestext bezieht. Damit wird aber die Position des Kongresses geschwächt. Die Judikatur verweist zwar zu Recht auf die Problematik informaler legislativer Absichtserklärungen, jedoch behandeln die Gerichte derart nur die Symptome und nicht die Ursachen. 62 Smolla 1994, S. 400. 63 Ebd. 64 James R. Cook v. ]esse Brown, Secretary ofVeterans Affairs (VA). Der Kläger verklagte VA auf eine Entschädigungszahlung mit Bezug auf die normative Grundlage des Equal Access to Justice Act (EAJA). Die Klage wurde durch das Berufungsgericht mit obiger Begründung abgelehnt; in: www.IIgeorgetown.edu/Fed-CtTCircuit/fed/opinions/94-7073 .html, 22.9.98 (13.37 Uhr), S.4.

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Teil C: Auswirkungen der Informalisierung auf das politische System der USA

Neben dem Aspekt der gesteigerten Komplexität verwaltungsrechtlicher Verfahren und der schwierigen Beurteilung widersprüchlicher Äußerungen seitens des Kongresses gibt es für Richter Scalia noch eine zweite Problematik. Er sieht in der legislative history und mehr noch in der subsequent legislative history die Gefahr des einseitigen Einzugs von Sonderinteressen gesellschaftlicher Gruppen. Wie noch gezeigt werden wird, ist dieser Vorwurf nicht unberechtigt. Über informale politische Kommunikation im Verordnungsgebungsprozeß droht tatsächlich der Einfluß bestimmter Interessen für deren Gegeninteressen nicht mehr transparent zu sein. Doch dieses Problem läßt sich zum einen nicht auf die informalen Komponenten des legislativen Kontextes beschränken. Einflußfaktoren formalerer Natur wie dem legislativen Veto wurde seinerzeit ein ähnlicher Vorwurf gemacht. 65 In der Argumentation, über diese Kontrollform würden gut mobilisierbare Sonderinteressen einen übergewichtigen Einfluß auf den Gesetzesvollzug haben, spiegeln sich pluralismustheoretische Probleme des Interessenvermittlungssystems insgesamt wider. Das Problem hängt weder originär mit dem legislativen Veto noch mit seinen informalen Äquivalenten zusammen, wie bereits im Kapitel über den Forschungsstand dieser Arbeit argumentiert wurde. Das Problem ist nicht der bloße Einfluß bestimmter Interessen auf das Verfahren des Gesetzesvollzugs. Es besteht vielmehr darin, daß die Arena, in der Gesetze durch Verordnungen implementiert werden, nicht mehr transparent ist. Das Prinzip der Öffentlichkeit und nicht das illusorische Versprechen, daß alle Interessengruppen ihre Sonderinteressen neutralisieren, ist allerdings die Grundvoraussetzung eines demokratischen Interessenvermittlungsprozesses. Scalia spricht sich gegen die zunehmend informaler werdenden Elemente der legislative history aus, differenziert jedoch nicht. Nicht der Einfluß der legislative history auf die legislative Absicht ist von Übel. Gesetze sind ebenso dynamische Normen wie eine Verfassung, die sich wandelt. Sterile Normen, die unabhängig von Zeit und Raum in ihrer Konkretisierung Gültigkeit haben, sind nicht real. Die Konkretisierung der Normen durch eine subsequent legislative history ist unerläßlich. Dazu muß nicht immer das Gesetz als solches verändert werden. Die Unbestimmtheit heutiger Gesetze läßt genügend Spielraum für die Konkretisierung über flexible Mechanismen, wie dem legislative Veto, bei dem die eigentliche Verordnungsinitiative bei der Verwaltung und die Sanktionskraft beim Kongreß lag. Nach Scalias Standpunkt gibt es zwei Auswege: Hier die Redelegation legislativer Kompetenzen zurück ans Parlament, was hohe politische Kosten mit sich bringen würde, und dort der Verzicht auf informale Dokumente, die vage Gesetzestexte konkretisieren. Letztere Option hieße freilich, die Kompetenzen der Judikative zu stärken, der es nunmehr zukäme, die legislative Absicht zu ermitteln: "Opponents of textualism assert that the refusal to consult legislative history in interpreting laws will inevitably Iead to the Substitution of judicial preferences and speculation for congressional intent. "66 65

66

V gl. Craig 1983, S. 68 f. Congressional Reorganization, CRS-Report 9/1992, S. 125.

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Heute kann es also durchaus passieren, daß ein und derselbe Oberste Gerichtshof mit den legislative-history-Dokumenten unterschiedlich verfährt: "[T]he outcome of rulings of the Court may hinge on whether an opinion is written by a textualist or by a Justice who believes that it is appropriate to examine the legislative history in constructing a statute, at least where the provision is ambiguous. " 67

Je nachdem, ob Scalia oder Breyer die Mehrheit der Richterschaft hinter sich vereint, wird im Einzelfall entschieden. Dies verdeutlicht, daß die Leugnung des legislativen Kontextes problematisch ist. Dies soll nicht heißen, daß seine Anerkermung nicht problembehaftet ist. Jedoch führt die legislative history und die subsequent legislative history erst über die zunehmende Informalisierung zu Problemen, da die Bestimmung der legislativen Absicht im nicht-öffentlichen Raum nachträglich schwer zu ermitteln ist. Die Informalisierung indes hat der Oberste Gerichtshof selbst bewirkt, als er formalere Kontrollmechanismen verbot. Werden künftig, falls Scalias Ansicht an Mehrheit gewirmt, Elemente des legislativen Kontextes nicht mehr zur Bestimmung der legislativen Absicht zu Rate gezogen, so droht eine Machtverlagerung bei der Regulierungskompetenz zugunsten der Exekutive oder aber der Judikative, da die Legislative, die ihre an die Exekutive delegierte Regulierungskompetenz nach dem Verbot des legislativen Vetos durch informale Kontrollformen ausbalanciert hat, vor Gericht mit leeren Händen dastünde, werm es um die Bestimmung der legislativen Absicht ginge. Die negativen Auswirkungen der Informalisierung lassen sich nicht leugnen. Auf diese verweist Richter Scalia zu Recht. Sie werden im folgenden noch genauer diskutiert. Doch eine Lösung der daraus entstandenen Probleme läßt sich nicht durch eine verwaltungsrechtliche Ignorierung informaler Elemente des legislativen Kontextes bewerkstelligen. Das wäre schlichte Symptombehandlung, die wiederum negative Auswirkungen auf die Legislativ-Exekutiv-Beziehungen hätte. Auch Rechtswissenschaftler müssen die Ursächlichkeit des Phänomens untersuchen. Wie diese Arbeit zeigt, begirmt das Problem mit der Deutung der Gewaltenteilungsdoktrin in formalistischer Form. Sie findet ihren ersten Ausdruck im Chadha-Urteil von 1983. Bis heute gibt es keine einheitliche Rechtsprechung zu diesem Thema, wenngleich derzeit unter den "currently governing theories of statutory interpretation" die Gerichte dem legislativen Kontext tendenziell keine Beachtung schenken.68 Eine ganze Reihe von Urteilen bezieht sich auf die Chevron-Doktrin: Sierra Club v. Public Service Company ofColorado,69 Colorado Republican Federal Campaign Committee v. FEC,1°Coit lndependence JointVenture v. FSL/0 1 undAmerican Airlines, 67

Ebd. S. 127.

Peter L. Strauss, Testimony before the Subcommittee on Commercial and Administrative Law, March 6, 1997; in: www.house.gov/judiciary/519.htm (13.10.1998, 16.04 Uhr), 8.6. 69 894 F. Supp. 1455 D. Colo. (1995). 70 59 F. 3d 1015 (10th Cir. 1995). 7 1 489 U.S.561 (1989). 68

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Teil C: Auswirkungen der Infonnalisierung auf das politische System der USA

lnc. v. Wolens72 sind Beispiele für die Anwendung der Chevron-Doktrin. In all diesen Fällen wurden Elemente des legislativen Kontextes als Bemessensgrundlage der gesetzgebensehen Absicht abgelehnt. Damit einher geht ein heute noch nicht abschließend zu bewertender Machtverlust des Kongresses. In den Fällen Brotherhood ofLocomotive Engineers v. Atchison, Topeka & Santa Fe RR. Co.,13 Lechmere, lnc. v. NLRB, 14 Mais/in lndustries, U.S. , lnc. v. Primary Steel, lnc. 15 wurde die ChevronDoktrin hingegen nicht angewendet. Diese beliebige Liste ließe sich für beide Seiten fortsetzen.76

Es ist ein Zustand uneinheitlicher Rechtsdeutung, der letztlich die Rechtssicherheit gesellschaftlicher Gruppen in verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten tangiert, der die einzelnen Verwaltungsträger verunsichert, inwieweit sie im Verordnungsgebungsprozeß die Meinung des Kongresses zu beachten haben, der die Legislative selbst bezüglich ihrer Position im Gesetzesvollzug vor Fragen stellt und schließlich auch der Judikative eine größere Gestaltungsfreiheit zu kommen läßt. So meint Walter Oleszek: "This situation gives judges more discretion- which is what they want."77 Und auch Frederick Kaiser meint, "there is a proplem that the Supreme Court does not have a consistent view on how to deal with legislative history: The courts decisions seem arbitrary. In effect, of course, the latitude of the courts enhances - the judicial branch becomes more important."78 Der Kongreß hat noch nicht klärend auf diese Veränderung reagiert. CRS-Mitarbeiter Jay R. Shampansky hat unterdessen bereits 1992 dem Joint Committee on the Organization ofCongress vorgeschlagen, der Kongreß solle ein Gesetz verabschieden, in dem er die Richtlinien der "statutory construction" regele. 79Dies käme einem Gesetz gleich, das die Richtlinien der Gesetzgebung insofern bestimme, als es klären würde, welche außergesetzlichen Dokumente bzw. mündlichen Äußerungen, die etwa in Kongreßanhörungen geäußert werden, zur legislative historybeziehungsweise zu deren aktualisierter Form, zur subsequent legislative history, gehören. Es liegt auf der Hand, daß ein solches Gesetz über Gesetze quasi Verfassungsrang bekäme und insofern sicher umgehend (nach einer wahrscheinlichen Klage) in einem konkreten Normenkontrollverfahren durch den Obersten Gerichtshof überpriift würde. Würde das Gremium ein solches Gesetz, das der legislative history und subsequent legislative history Gesetzeskraft zuspräche, mit der Begrundung ablehnen, der 115 s. Ct. 817 (1995). 116 S. Ct. 595 (1996). 74 502 U.S. 527 (1992). 1s 497 U.S. ll6 (1990). 76 Vgl. William Funk, Supreme Court News; in: Administrative & Regulatory Law News, 21 (1996): 3, S. 1-4; In: www.abanet.org/adminlaw/news/vol21no3/supctnew.html (20.10.1998, 16.12 Uhr), S.3. 77 Walter Oleszek. Interview vom Juni 1999 in Washington D. C. 78 Frederick Kaiser. Interview vom Juni 1999 in Washington D.C. 79 Ebd. 72

73

Il. Intraorgan-Perspektive: die Exekutive

207

Kongreß handle ausschließlich über Gesetze und diese hätten das formale Verfahren zu durchlaufen, bliebe dem Kongreß nur die Option der Verfassungsänderung. Der Kongreß indes blieb bis heute untätig. Ein Gesetz zur Bestimmung der Reichweite dessen, was Gesetzeskraft besitzen soll, ist bloße Theorie. Es ist zu vermuten, daß die Legislative ein ablehnendes Urteil des Obersten Gerichtshofes befürchtet. Eine verfassungsändernde Mehrheit in dieser Angelegenheit zu mobilisieren, ist derzeit unwahrscheinlich. Zu groß sind die Kräfte im Kongreß, die jegliches Handanlegen an die Verfassung ablehnen. 80

II. Intraorgan-Perspektive: die Exekutive 1. Erschwerung verwaltungsinterner Kontrolle und Politikabstimmung Innerhalb der Exekutive findet auch eine Binnenkontrolle statt. Der Präsident verfügt über eine Vielzahl von Institutionen und Verfahren, seine Verwaltung zu kontrollieren. Vor allem zwei Aspekte veranlassen ihn, dies zu tun. Er wird erstens daran gemessen, ob und wie es ihm gelingt, seine politische Agenda mit dem Kongreß auszuhandeln und dann über die Verwaltung umsetzen. Wird in der Öffentlichkeit nicht deutlich, daß der Präsident dies tut, wirkt die mangelnde politische Durchsetzungsfahigkeit auf ihn zurück. Zweitens wird ein Präsident darum bemüht sein, abweichendes Verhalten innerhalb der Exekutive zu verhindern, da jedes von der Norm abweichende Verhalten von ihm als Spitze der Exekutive zu verantworten ist. Für diese verwaltungsinterne Kontrollfunktion steht dem Präsidenten und der Kernexekutive ein Repertoire an Instrumenten zur Verfügung. Der Präsident hat etwa die Personalhoheit, da er über das Nominierungsrecht verfügt. Er initiiert Verwaltungsreformenüber die Struktur der Administration bis hin zur finanziellen Ausstattung, und er dirigiert die einzelnen Verwaltungsträger über Erlasse. Darüber hinaus überprüft er das Verwaltungshandeln über zentrale Politikabstimmungsorgane wie etwa das OMB bzw. das OIRA. All diese Einrichtungen und Verfahren bedürfen jedoch einer essentiellen Grundlage: Ihr Erkenntnisgegenstand, also das Verwaltungshandeln, muß öffentlich sein. Die Zunahme der Bedeutung informaler Handlungs- und Kommunikationskanäle zwischen Kongreßmitgliedern und leitenden Verwaltungsangestellten und Interessengruppen raubt dieser Voraussetzung den Boden. Präsident Clinton wollte diesen Mißstand beheben. Wie bereits dargestellt, griff auch der Demokratische Präsident mittels Erlaß in den Prozeß der Verordnungsgebung ein. E. 0. 12866 modifizierte einige verwaltungsinterne Vorkehrungen. In diesem Zusammenhang von Bedeutung ist die Tatsache, daß Vizepräsident Al Gore als Beauftragter für die Reinventing-Government-Initiative die Notwendigkeit von Offenheit und Berechenbarkeit betont: 80

Vgl. Louis Fisher. Interview vom Juni 1999 in Washington D.C.

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Teil C: Auswirkungen der Infonnalisierung auf das politische System der USA

"The objective of this Order were to ( ... ) reaffinn the primacy of Federal agencies in the regulatory decision-making process; restore the integrity and legitimacy of regulatory review and oversight, and make the process more accessible and open to the public."81

Das Ziel der Clinton-Administration war es, der Öffentlichkeit einen besseren Einblick in das regulative Machtgeflecht zwischen Verwaltung, Kongreß und Interessengruppen zu verschaffen: Während der Reagan- und Bush-Administration hatten informale Absprachen von seiten der Verwaltungsträger oftmals die Absichten der Zentrale zur Regulierungssteuerung unterlaufen bzw. Interessengruppen konnten Kongreßmitglieder und das OIRA beeinflussen, bestimmte Regulierungen im review-Verfahren "sterben" zu lassen. Da das OIRA seine mündlichen Kontakte zu Außenstehenden nicht veröffentlichen mußte, war dieser Prozeß nicht wahrnehmbar: "The process created by the new orderwill end ,back door' special interest access to the review process. The order makes clear that the President's and Vice President's roles in the review process is limited to (1) providing leadership, (2) assisting in planning, and (3) resolving disputes. They will not act on behalf of, or be the conduit for, special interest or any private parties." 82

Präsident Clinton beauftrage seinen Vize-Präsidenten damit, die eisernen Dreiekke im Regulierungsprozeß aufzubrechen. Heraus kam der oben zitierte präsidentielle Erlaß. E. 0. 12866 sieht im einzelnen vor: "(... )Except otherwise provided by law or required by a Court, in order to ensure greater openness, accessibility, and accountability in the regulatory review process, OIRA shall be governed by the follwing disclosure requirements: A. Only the Administrator of OIRA shall receive oral communication initiated by persons not employed by the executive branch of the Federal Govemment regarding the substance of the regulatory action under OIRA review; B. All Substantive communications between OIRA personell and persons not employed by the executive branch of the Federal Govennent regarding a regulatory action under review shall be govemed by the follwing guidelines: i. A representative from the issuing agency shall be invited to any meeting between OIRA personell and such person(s); (... ) iii. OIRA shall publicly disclose relevant infonnation about such communication(s), as set forth below in subsection ( ... )"83

Mit Erlaß von E. 0 . 12866 hat sich der politische Prozeß in der regulativen Arena zwar partiell geöffnet. Die Kräfte der Beharrung sind aber stark. So bleibt die poli81 Al Gore, Statement by the Vice President; in: www.cobar.cs.umass.edu/ciirdemo/ua/ agenda1096/vp-intro.html (14.10.1998, 11.21 Uhr). 82 Improving Regulatory Systems. Recommendations and Actions; in: http://www.npr.gov/ library/reports/regeo.html (16.6.1999, 12.04 Uhr). 83 E.O. 12866 (1993).

II. Intraorgan-Perspektive: die Exekutive

209

tische Kommunikation mündlicher Art zwischen OIRA, Kongreß und Interessengruppen teilweise im Dunkeln: "lt is still hard for us to figure out who is trying to influence Congressmen, Senators and OIRA personell."84 Die Verwaltung findet Wege, ihre Kommunikation unter Verschluß zu halten. Ähnliches gilt im übrigen auch für den Kongreß: Bei der Diskussion über die Nutzung des Internet für die Öffentlichkeitsarbeit des Kongresses stieß die Legislative auf das Problem informaler Dokumente. "The business of the Congress, like any other business, involves informal discussions surrounding documents that are amended and changed many times before official approval by a Committee, Subcommittee, or the House. Careful analysis is needed of the ramification of the release of draft and unofficial documents"85

Der Kongreß ist ganz offenbar nicht erpicht darauf, seine informale Einflußnahme auf die Verordnungsgebung öffentlich werden zu lassen. Diese Regulierungen hätte die Legislative dann nämlich politisch direkter zu verantworten. Die Verwaltung will die infomalen Kontakte gleichermaßen wenig publik machen, weil ansonsten das OIRA ihre Pläne durchkreuzen könnte. Beide Beispiele belegen den Antrieb von Kongreß und Verwaltung, nicht-öffentliche Orte der Entscheidungsfindung zu suchen. Kongreß und Verwaltung wählen gerade informale Kanäle, um am Präsidenten und dessen Sanktionsorganen vorbei ihre Kooperationsstrukturen aufrechterhalten zu können. Bislang wurde dieses Verhalten der beiden Akteure - unabhängig von einer normativen Beurteilung - als Reaktion auf die Umdeutung der Gewaltenteilungsdoktrin analytisch nachvollzogen. Die Vernetzung der Gewalten, so wurde argumentiert, ist im Einklang mit der Verfassung und den Vorstellungen der Verfassungsväter. Doch die Auswirkungen der informalen Vernetzung als Ersatz für formale Kooperationsstrukturen sind problematisch, da die Öffentlichkeit - eine Grundkomponente westlicher Demokratien - darunter leidet. Wie das Kapitel über die gesellschaftlichen Konsequenzen der Informalisierung zeigen wird, droht damit der lnteressenvermittlungsprozeß zu verzerren, da die politischen Beziehungen weniger kontrollierbar sind- weder für Gerichte hinsichtlich des (verwaltungs-)richterlichen Prüfungsrechts noch für die Exekutive während ihrer Tätigkeit der verwaltungsinternen Kontrolle. Auch nach Erlaß von E. 0. 12866 werden es nicht ins Machtdreieck einbezogene Interessengruppen schwer haben, in den informalen Entscheidungsprozeß hineinzuschauen. Dies ist am Ende durchaus ein Problem der verwaltungsinternen Kontrolle: Die Mittel des Präsidenten bzw. der Kernexekutive dem entgegenzuwirken, sind begrenzt. Dies wirkt sich letztlich auf die politische Verantwortung aus. 86 Reece Rushing. Interview vom Juni 1999 in Washington D. C. Committee on House Oversight, Public Dissemination of Congressional Documents; in: www.house.gov/cho/achvmnts.htm (12.9.98, 18.26 Uhr), S. 2. 86 Statement of John Cannon, General Counsel, U. S. Environmental Protection Agency before the Subcommittee on Commercial and Administrative Law of the Committee on the Ju84 85

14 Sattar

210

Teil C: Auswirkungen der Inforrnalisierung auf das politische System der USA

Wenn der Präsident nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat zu gewährleisten, daß die Gesetze gewissenhaft ausgeführt werden, dann gilt dies auch für die Motivation seines Verwaltungspersonals. Erliegt eine Verwaltung der Beeinflussung eines Kongreßabgeordneten auf informalen Wege, so hat dies wenig mit dem Vorbehalt des Gesetzgebers zu tun. Vielmehr handelt es sich oftmals um eine Form der Einflußnahme, die der Kongreß bzw. einzelne Mitglieder in dieser Form öffentlich nicht unternommen hätten. Reagiert Verwaltungspersonal auf diesen Einfluß, so fällt dies auch in den Verantwortungsbereich des Präsidenten. Egal wem der Präsident die Aufgabe des Gesetzesvollzugs überträgt, die Verantwortung für das Ergebnis bleibt- normativ betrachtet- beim Delegierer: "And the ,take care' clause says only that the President ,shall take care that the laws be faithfully executed', regardless of who executes them."87 Die normative Sichtweise wird freilich in der Regierungspraxis konterkariert, indem der Präsident darauf verweist, daß andere Stellen für das Ergebnis der Gesetzesimplementation zuständig waren. Das Prinzip der Verantwortung wird durch die Informalisierung zunehmend unterlaufen. Die Bedingung dafür sind, wie gezeigt, günstiger geworden. 2. Verstärkung des Dualismus zwischen Regierung und Verwaltung Eng mit der Problematik der verwaltungsinternen Kontrolle verbunden ist eine weitere Auswirkung dieser Form der lnformalisierung der Beziehungen zwischen Kongreß und Verwaltung: die Verstärkung des Dualismus zwischen Regierung und Verwaltung. Während es zuvor um die Verantwortung des Präsidenten für das Handeln seines Verwaltungspersonals im rechtlichen Sinne ging, geht es in diesem Zusammenhang um programmatische Probleme. Es handelt sich um die sogenannte "unitary executive theory"88 • Bezogen auf den Gesetzesvollzug geht es um die Frage, ob und wie weit der Präsident in das Verordnungsgebungsverfahren intervenieren darf. Dies passiert regelmäßig und wurde in dieser Untersuchung an den Beispielen der Erlasse der Reagan-Administration gezeigt. Diese Praxis ist jedoch umstritten und konnte sogar richterlich nie eindeutig definiert werden: "There have been few court decisions on these issues thus far. None have reached the question of the constitutionality of the President's claim of power to interdict the rulemaking process."B9 Das Problem wird vor allem bei den sogenannten independent regulatory commissions deutlich. Staatsrechtlich gesehen, handelt es sich um eine begrenzte Unabhängigkeit. Die Grenze setzt die Exekutive, indem der Präsident das Nominierungsdiciary, US. House ofRepresentatives, March 6, 1997; in: www.house.gov/judiciary/517.htm (13.10.1998, 16.03 Uhr), S. 2. 87 Vgl. Morton Rosenberg, Congressional Control of Agency Decisions and Decisionmakers: The Unitary Executive Theory and Separation of Powers, CRS-Report 87- 838 A. 88 Ebd. 89 Ebd. S. 25.

II. Intraorgan-Perspektive: die Exekutive

211

recht für die Direktorenposition innehat. Das Chadha-Vrteil ordnete implizit diese Verwaltungsträger der Exekutive zu, indem es den Einfluß des Kongresses auf die Verwaltungsträger unterbinden wollte. Auch in Bowsher v. Synar war dies der Fall: Der Camptroller General wurde als Teil der Legislative betrachtet, dem es daher nicht erlaubt sei, exekutive Entscheidungen zu treffen. Mit den Gewaltenteilungsurteilen im Chadha-Fall, aber auch in umgekehrter Stoßrichtung beiBowsher v. Synar, wollte der Oberste Gerichtshof gerade zu einer Festigung der Theorie der Einheitlichkeit der Exekutive beitragen: "In this light, then, recent judicial rulings respecting congressional attemps to insulate a variety of decisions and decisionmakers from presidential control in varying degrees may be seen as consistent applications oftbis understanding ofthe theory and application ofthe separation doctrine. "90

Die formalistische Auslegung der Gewaltenteilungstheorie hatte indes die gegenteilige Wirkung. Ein neuer Dualismus innerhalb der Exekutive, zwischen Regierung und Verwaltung, konnte an einzelnen Beispielen ausgemacht werden. Vor allem die Auseinandersetzung zwischen OMB, also der Policy-Steuerungszentrale der Kernexekutive, und der Umweltbehörde EPA offenbarte den inner-exekutiven Dualismus und die Allianzbildung zwischen Kongreß und Verwaltung. Ein Streitpunkt war etwa die Verordnung zum weiteren Vorgehen mit den mit Asbest belasteten öffentlichen Gebäuden. Kongreßausschüsse und EPA wehrten sich in diesem Zusammenhang gegen die Eingriffe des Präsidenten- und zwar auf informalem Wege über die Ausschußberichte. OMB-Direktor Miller versuchte nämlich einzelne Passagen der EPA-Regulierung zu kassieren, die der Kongreß aber zuvor mit der Umweltbehörde abgestimmt hatte. Am Ende stimmte das OMB, und mit ihm der Präsident, der Verordnung in ihrer ursprünglichen Form zu, die dann von der EPA verkündet wurde. Dieses Beispiel ist kein Einzelfall, wie der Befund Leroy Riesetbachs aus dem Jahre 1995 zeigt: "These executive units work for what they want in a variety of ways: through lobbying the legislators, attempting to persuade members of the wisdom of their aims, and using liason activities, formal and informal contacts, and the mobilization of dientele pressures. If agency desires coincide with the president's preferences, representatives and senators may face a united executive and be hard pressed to resist. Often, however, agencies arenot satisfied with what the president proposes for them, and they struggle against his program, using their lobbying resources and calling on their subgovemment or interest network partners to persuade Congress to heed their advice, not that of the chief executive." 91

Am Beispiel der EPA zeigte sich, daß Abstimmungs-, Koalitions- und Ausschließungsfunktion informaler Politik letztlich zusammenfließen. Der Fall offenbarte, welche Auswirkungen das formalistische Gewaltenteilungsverständnis tatsächlich hat:

90 91

14*

Ebd. S. 35. Leroy Riese/bach, The Evolution of Congressional Politics, Washington 1995, S. 217.

212

Teil C: Auswirkungen der Inforrnalisierung auf das politische System der USA

"Arguably, the unitary executive theory receives its severest test in this situation since it involves presidential-agency relations at perhaps their most intimate point. Thus, if the Executive cannot sustain its claim of ultimate power here, it is difficult to see where it can be successful."92

Obschon das formalistische Gewaltenteilungsverständis aus Sicht der Obersten Richter eigentlich das Ziel hatte, die Exekutive in ihren Abwehrmöglichkeiten gegen die (aus Sicht des Richtergremiums unzulässigen) parlamentarischen Interventionen in den Gesetzesvollzug zu stärken, ist Gegenteiliges der Fall. Kommt es in bestimmten Politikfeldern zu ideologischen Übereinstimmungen zwischen einzelnen Verwaltungsträgern und dem Kongreß, so kann über eine informale Allianzoder Koalitionsbildung zwischen ihnen die Exekutive geteilt werden. Der Oberste Gerichtshof erzielt damit das Gegenteil von dem, was er erreichen wollte. Der Kongreß verteidigt seine Kompetenz, in Einzelfallen in Kooperation mit der Verwaltung, den Gesetzesvollzug zu kontrollieren. Dies geschieht zunehmend auf informaler Ebene und hat seinen Preis. Die Einheitlichkeit der Exekutive wird dadurch unterlaufen. Mit formalen politischen Instrumenten wie etwa dem einstigen legislativen Veto würde es diese Konsequenzen nicht geben. Hätte das OMB einzelne Passagen aus der EPA-Verordnung herausgestrichen, so hätte der Kongreß die Option gehabt, gegen die Verordnung ein Veto einzulegen. Er hätte womöglich in der Folge ein präziseres Gesetz verabschiedet, das den Ermessensspielraum der Verwaltung weiter eingeschränkt hätte. So wäre dem OMB die Interventionsmöglichkeit genommen worden und die Regulierung wäre auch auf diesem Weg in Kraft getreten. Doch trotzpolitischer Differenzen zwischen Kernexekutive und EPA wäre es nicht zu einem Dualismus gekommen. Dieser neue Dualismus innerhalb der Exekutive gefährdet das Prinzip politischer Verantwortung. Der Präsident ist verantwortlich für den Vollzug der Gesetze. Dies bleibt ungeachtet der separate-institutions-sharing-power-Theorie eine Tatsache. An dem vorgetragenenen Beispiel wird aber deutlich, daß es zur Verantwortungsdiffusion kommen kann. Unabhängig von einer normativen Bewertung der Verordnungen etwa der EPA wird es einem Präsidenten schwer fallen, für eine zwischen Kongreß und Verwaltung ausgehandelte Regulierung die Verantwortung zu übernehmen, wenn die Entscheidungsträger bei der Willensbildung bewußt das Weiße Haus informal umgangen haben. Die Obersten Richter, die meinten, die Kompetenzen des Präsidenten zu verteidigen, sahen die politischen Konsequenzen ihres Richterspruchs nicht voraus. Wenn heute demnach der politische Prozeß zwischen Kongreß und Verwaltung zumindest im Ergebnis oftmals dem Status quo ante entspricht, die nunmehr informal ablaufende parlamentarische Kontrolle allerdings die aufgezeigten Probleme zur Folge hat, so stellt sich die Frage einer Reformalisierung. 92

Rosenberg 1987, S. 43.

II. lntraorgan-Perspektive: die Exekutive

213

Die Möglichkeit der Reformalisierung der parlamentarischen Kontrolle, also einer Wiederkehr öffentlicher, institutionalisierter und normierter Kontrollmechanismen über den Gesetzesvollzug im Sinne eines legislativen Vetos in der alten Form ist jedoch nicht möglich. Dieser Option stünde das Chadha-Vrteil im Weg. Ein Richterspruch, der einen erneuten Doktrin-Wechsel hinsichtlich der Gewaltenteilung etablieren würde, ist heute aufgrund der Zusammensetzung des Richtergremiums unwahrscheinlich. In gewisser Weise hat aber bereits eine Reformalisierung der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen stattgefunden. Der CRA sieht ein formales Verfahren für die parlamentarische Regulierungskontrolle vor. Der CRA etablierte ein legislatives Veto in gesetzlicher Form. Jedoch wurde gezeigt, daß diese auf signifikante Regulierungen beschränkte Kontrollform in der Praxis kaum eine Rolle spielt. Unterdessen hat die Carnegie Commission on Science, Technology, and Government in ihrer Studie Risk and the Environment: lmproving Regulatory Decision Making vom Juni 1993 einen Vorschlag unterbreitet, der die institutionellen Interessen der einzelnen Akteure aufgreift und der einen Ausgleich sucht: 1. "Mechanism should be devised to promote informal communication among the branches of govemment with respect to environrnental and risk-related issues."93 2. ,,A forum should be created in which Members of Congress, executive branch officials, and judges can meet informally to discuss broad issues raised by the interaction of science and policy in environmental and risk -related regulation. A forum of this kind would help the branches develop realistic expectations about each others capabilities and help build understanding on complex issues related to environrnental and risk related decision making." 94

Zwei verschiedene Foren des Austausches für Mitglieder der drei Gewalten sollen eingerichtet werden: das erste sozusagen zur tagespolitischen Abstimmung in konkreten Fragen des Gesetzesvollzugs, das zweite für den eher grundsätzlichen Gedankenaustausch. Die Autoren der Studie setzen dabei auf den vernunftgeleiteten Amtsträger. Zwei Dinge werden dabei übersehen, deren Problematik sicher auch dazu beigetragen hat, daß die Vorschläge von politischer Seite nicht aufgegriffen wurden: (I) wird suggeriert, es handle sich bei den Konflikten zwischen Legislative und Exekutive bzw. zwischen Kongreß und oftmals der Verwaltung einerseits und der Kernexekutive andererseits im Bereich der parlamentarischen Kontrolle über den Gesetzesvollzug um Mißverständnisse, die durch Deliberation sozusagen aus der Welt zu schaffen seien. Tatsächlich wissen die Akteure sehr wohl um die Position der anderen Seite: Der Kongreß kennt die politische Agenda des Präsi93 Carnegie Commission on Science, Technology, and Government, Risk and the Environment: Improving Regulatory Decision Making, Juni 1993; in: www.carnegie.org/science_tech/ reg.txt (14.10.1998, 11.37 Uhr), S. 63. 94 Ebd., S. 67.

214

Teil C: Auswirkungen der Inforrnalisierung auf das politische System der USA

denten. Der Präsident wiederum kennt die Ermächtigungsnorm und auch die aktuelle congressional intent. Um einen Informationsmangel geht es also wahrlich nicht, sondern um politische Macht. Doch könnte der Konflikt um politische Macht nicht besser in dem vorgeschlagenen Forum ausgetragen werden? (2) Die Carnegie Commission übersieht dabei, daß ein Forum für informale Kommunikation zumindest tendenziell ein Widerspruch in sich ist: Es bedürfte einer gesetzlichen Grundlage, die eine Institutionalisierung zur Folge hätte. Zwar bliebe die Öffentlichkeit im weiteren Sinne von diesem Forum ausgeschlossen, doch würde die systemische Öffentlichkeit, nämlich die Kernexekutive, politische Aushandlungsprozesse mitverfolgen. Dies widerspräche den Zielen von Kongreß und Verwaltung in Fällen, in denen beide Institutuionen eine Interessenkongruenz gegen das Executive Office besitzen. In Fällen, in denen informale Politik keine Koalitionsfunktion ausübt, da keine institutionelle Interessenkongruenz besteht, könnte ein solches Forum der Politikabstimmung hilfreich sein. In der Untersuchung wurde gezeigt, daß insbesondere in den Jahren 1983 bis 1992 die Voraussetzungen für eine Allianz aus Kongreß und Verwaltung gegen die Kernexekutive gegeben waren, da ein Demokratischer Kongreß weit mehr etwa die umwelt-, sozial- und gesundheitspolitischen Vorstellungen der jeweiligen Behörden teilte, während die Republikanischen Präsidenten Reagan und Bush samt ihrer Kernexekutive für Deregulierung standen. Diese Voraussetzung hat sich allerdings seither verkehrt: Von 1992 bis 1994 gab es seit langer Zeit wieder einmal eine vereinte Regierungsverantwortung der Demokraten, und seit 1994 besitzen die Republikaner die Mehrheit in beiden Häusern. Diese teilen nicht die politischen Interessen der Verwaltungsträger, so daß diesbezüglich die Koalitionsfunktion informaler Politik zumindest in den Politikfeldern Gesundheit, Soziales und Umwelt entfiel.95 Statt dessen entschied sich die Republikanische Mehrheit eher für die Redelegation, indem der Bestimmtheitsgrad der gesetzlichen Grundlagen erhöht wurde, oder für die Deregulierung.96 Demnach wäre ein solches Forum nur in solchen Fällen funktional, in denen die Beziehungen zwischen den Gewalten ohnehin noch ihren formalen Charakter bewahrt haben bzw. informale Kommunikation von seitender Kernexekutive toleriert wird wie etwa die prior-approval-Klauseln in etlichen Ausschußberichten. In solchen Fällen ist aber ein zusätzliches Forum nicht vonnöten, da die bestehende politische Arena, etwa das Ausschußwesen, seine Funktionalität bewahren konnte. Anders als im politischen System Deutschlands führt die Existenz informaler Politik in den USA nicht zum Aufbau eines informalen Institutionengefüges, das Systeme sozusagen konfiguriert. Dieser Gedanke wird in den Schlußbetrachtungen nochmals aufgegriffen. Festzuhalten bleibt, daß die Probleme informaler Politik im 95 Vgl. Martin Shapiro, Of Interests and Values: The New Politics and the New Political Science; in: Landy/Levin 1995, S. 6. 96

Ebd.

III. Gesellschaftliche Konsequenzen

215

Regierungssystem der USA bestehen bleiben und darüber hinaus Konsequenzen für das politische System im weiteren Sinne haben.

111. Gesellschaftliche Konsequenzen: Komplizierung demokratischer Kontrolle und Probleme für das Interessenvermittlungssystem Die Öffentlichkeit des politischen Prozesses erfüllt in westlichen Demokratien vor allem zwei Funktionen: Sie soll die Möglichkeit der demokratischen Kontrolle eröffnen und gesellschaftlichen Interessen die Artikulation und den Versuch ihrer Geltendmachung ermöglichen. Sind die Kanäle der Entscheidungstindung indes für die betroffenen Interessengruppen nicht länger transparent, so können sowohl die Kontrolle als auch die Möglichkeit der Teilnahme am pluralistischen Willensbildungsprozeß unterlaufen werden. Beide Konsequenzen sind eng miteinander verbunden. · Diese allgemeinen Auswirkungen bedeuten in bezug auf das politische System der USA, daß die amerikanische Verwaltungsverfahrenspraxis, die über Anhörungen gesellschaftlichen Gruppen geöffnet ist, empfindlich gestört werden kann, da am Ende des formalen Verordnungsgebungsprozesses Entscheidungen durch mündliche Absprachen zwischen Administratoren und Ausschußmitgliedern revidiert oder modifiziert werden können, ohne daß dieses Verwaltungshandeln für Interessengruppen vorhersehbar oder berechenbar ist. Darüber hinaus können derart leichter spezifische Interessen quasi nachträglich Berücksichtigung finden, ohne daß deren Gegeninteressengruppen die Möglichkeit zur Einflußnahme hätten. Diese Argumentation bedarf freilich eines Belegs. Ein Beispiel für diese Entwicklung bot der bereits dargestellte Fall Sierra Club v. Costle. 97 Zwar liegt der 1981 entschiedene Rechtsstreit vor unserem Untersuchungszeitraum, der Geist dieser Rechtssprechung wirkt allerdings bis heute fort. Zudem zeigt der Fall die möglichen Probleme auf, deren Auftreten seit 1983 durch die Wandlungen im Legislativ-Exekutiv-Verhältnis zugenommen hat. Dies belegen, wie noch gezeigt wird, Klagen von seiten der Richterschaft, die mit verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten befaßt ist. Im Fall Sierra Club v. Costle klagte der Umweltverband Sierra Club gegen informelle Absprachen im Verordnungsprozeß. Implizit wurde von seiten des Sierra Club vermutet, Interessengruppen hätten politischen Druck auf den Mehrheitsführer des Senates ausgeübt, der wiederum die Verwaltung beeintlußt habe. Das Gericht, so wurde schon erwähnt, wies die Klage ab. Es klärte nicht die Frage, ob oder inwieweit sich ein Kongreßmitglied zum Sprachrohr eines Sonderinteresses gemacht habe. Es befaßte sich lediglich mit formalen Aspekten. Diese betrafen die Frage, ob 97

Vgl. Kapitel B.Il.5.

216

Teil C: Auswirkungen der Informalisierung auf das politische System der USA

die Verwaltung entgegen ihrer gesetzlichen Grundlage gehandelt habe: Diese sah vor, alle relevanten Einflußfaktoren des Verwaltungsverfahrens in die Verordnungsbegründung mit aufzunehmen. Die Richter bestätigten zwar diesen Grundsatz, sahen aber dabei keinen Verstoß. Zudem ging es um die Frage, ob parlamentarischer Einfluß auf eine Verordnung überhaupt unangemessen sein könne. Die Beeinflussung des Verordnungsgebungsprozesses durch einzelne Kongreßmitglieder wird in dem Urteil grundsätzlich als legitime Repräsentation von Interessen gerechtfertigt. Einschränkung erfährt diese Doktrin lediglich durch die Absicht des Gesetzestextes und durch den formalen Rahmen der Verordnungsgebung. Da die Gesetzesabsicht bekanntlich oft vage formuliert ist, handelt es sich um eine sehr unbestimmte Einschränkung. Die Richter lassen im übrigen gänzlich außer acht, daß informale Beeinflussung einen immanenten Öffentlichkeitsmangel in sich birgt. Unabhängig von der Frage, welche Interessen seinerzeit den Mehrheitsführer des Senats zu den informellen Absprachen mit dem EPA-Direktor veranlaßt haben, zeigt der Fall die Problematik informaler Politik für die Öffentlichkeit auf. Ob der Mehrheitsführer in diesem konkreten Fall als Advokat für Sonderinteressen gehandelt hat, ist eine rein rechtliche Frage. Sie steht in einer politikwissenschaftlichen Arbeit nicht zur Diskussion. Statt dessen ist politikwissenschaftlich zum einen interessant, welche Möglichkeiten die Judikative besitzt, um diese Frage zu klären. An dieser Stelle kann festgehalten werden, daß die Informalisierung des politischen Prozesses im Verwaltungsverfahren die Möglichkeiten des richterlichen Prüfungsrechtes reduziert hat. Diese Problematik wurde bereits erörtert.98 Zum anderen ist es von politikwissenschaftlichem Interesse, welchen Einfluß diese Entwicklung auf die Artikulationsmöglichkeiten von Interessengruppen hat, um den Interessenvermittlungsprozeß im Verwaltungsverfahren zu beeinflussen. Das gleiche gilt für andere Akteure auf dem gesellschaftlichen Feld der demokratischen Kontrolle wie etwa die Medien. Die Einflußmöglichkeiten können durch den Prozeß der Informalisierung zunehmend unterlaufen werden. Der Sierra Club beklagte - unabhängig von der Frage der Motivation des Senators - zu Recht, daß ein formal abgeschlossenes Verwaltungsverfahren informal modifiziert, d. h. in diesem Fall inhaltlich abgeschwächt wurde. Es geht in diesem Zusammenhang freilich nicht um eine normative Bewertung der EPA-Regulierung, sondern allein um die Tatsache, daß die Eingriffsmöglichkeiten von Interessengruppen aufgrund fehlender Öffentlichkeit beschränkt wurden. Die Interessengruppen wurden darauf reduziert, Rechtsmittel gegen das Verwaltungshandeln einzulegen - wohl wissend, daß das richterliche Prüfungsrecht ebenfalls durch den Öffentlichkeitsmangel beschränkt ist. Konkret heißt dies, daß dem Sierra Club somit die Möglichkeit genommen wurde, seine Positionen während des Verordnungsgebungsprozesses öffentlich zu vertreten, 98

Vgl. Kapitel C. I.2.

III. Gesellschaftliche Konsequenzen

217

sich über die Medien zu artikulieren und ein Gegengewicht einzubringen. "The danger of informal politics isthat especially public interest groups can be neglected."99 Diese Entwicklung gefahrdet die verfahrensmäßige Chancengleichheit im Interessenvermittlungsprozeß und untergräbt die Möglichkeit der Medien, politische Prozesse kritisch zu begleiten. Zwei maßgeblichen gesellschaftlichen Akteuren im politischen Prozeß, den Interessengruppen und den Medien, wird mit der Transparenz desselbigen auch ihre politische Arena genommen. Das Vorbeilaufen politischer Einflüsse einzelner Kongreßmitglieder und der dahinterstehenden Sonderinteressen an der Öffentlichkeit ist auch nicht im Interesse der Institution des Kongresses. Somit wird hier auch nicht der einschlägigen Pluralismuskritik das Wort geredet, die davon ausgeht, daß gut organisierte, stark konfliktfähige Interessen das ohnehin nicht zu erreichende Gleichgewicht der gesellschaftlichen Interessen in eine Schieflage gebracht haben, die demokratietheoretisch problematisch ist. Der Kongreß hat nämlich seine politische Arena nicht aktiv verdunkelt. Vielmehr handelt es sich um einen negativen Nebeneffekt einer Entwicklung, die ursprünglich von der Judikative bewirkt wurde.

Sierra Club v. Costle ist jedoch ein Fall aus dem Jahre 1981. Was sagt er über den Zeitraum von 1983 bis heute aus? Er zeigt das Problem der Interessenkollision einzelner Abgeordneter und deren Einflußnahme auf das Verwaltungshandeln auf. Diese Problematik ist allen westlichen Repräsentativsystemen immanent. Doch - so wird in dieser Untersuchung gezeigt- die Rahmenbedingungen für das Entstehen dieser Problematik haben sich in diesem Zeitraum in den USA verbessert. Zudem ist die Sierra Club-Doktrin, die seinerzeit einen Bruch mit der bisherigen Auffassung darstellte, seit 1981 immer wieder bestätigt worden. 100 Die Informalisierung, also die Ersetzung formaler Verfahrensmodalitäten durch informale Mittel, ist ein geeigneter Nährboden für die Entfaltung von illegitimem Einfluß von Sonderinteressen im Verordnungsprozeß. Dies läßt sich nicht quantativ messen. Selbst wenn im Zeitraum 1983 bis heute politische Skandale durch unerlaubte Einflußnahme von Parlamentariern auf leitende Verwaltungsangestellte zugenommen hätten, wäre das kein Indikator, der einen Kausalnexus zum Informalisierungsvorgang anzeigte. Um den Zusammenhang allerdings offenzulegen, wird abermals eine qualitative Vorgehensweise gewählt, indem die rechtswissenschaftliehe Diskussion bezüglich der Informalisierung betrachtet wird und beteiligte politische Akteure befragt werden. So analysiert Brett G. Kappel 1989 unerlaubten Einfluß von Kongreßmitgliedem auf die Verwaltung. Der Autor beklagt die Zunahme dieses Vergehens. Grund dafür ist nach Ansicht des Verfassers, daßlol Frederick Kaiser. Interview vom Juni 1999 in Washington D. C. Vgl. ATX, Inc. v. U.S. Dept. ofTransp., 41 F. 3d 1522 (D. C. Cir. 1994); State ofCal. v. F.E.R. C., 966F. 2d 1541 (9th Cir. 1992); DCPFarrns v. Yeutter, 957 F. 2d 1183 (5th Cir. 1992). 99

100

218

Teil C: Auswirkungen der Informalisierung auf das politische System der USA

"(... ) members of Congress can intervene in ongoing agency proceedings by contacting either the close personal aides or the immediate superiors of the ultimate decisionmaker, convey their judgements on how those questions should be decided and avoid judicial review of their actions while knowing full weil that their message will find its way to the relevant agency officials." 102

Das Problem, das der Autor sieht, wurde hier schon angesprochen: Den Gerichten ist es kaum möglich, ihrem richterlichen Prüfungsrecht nachzukommen - und wenn doch, dann hält der Oberste Gerichtshof gemäß der Sierra Club-Doktrin die informale Einflußnahme für legitime parlamentarische Kontrolle. Dies hat nun gesellschaftliche Konsequenzen, also Auswirkungen auf das politische System der USA: Interessengruppen oder Privatpersonen wird nicht nur die Partizipation am Interessenvermittlungsprozeß erschwert, auch die verwaltungsrichterliche Überprüfung des Verwaltungshandeins ist unter diesen Bedingungen schwer möglich, wie auch Frederick Kaiser befand. Die Schlußfolgerung Kappeis ist die Verteidigung der Pillsbury-Doktrin, also einer Rechtsauslegung, die- im Gegensatz zu Fällen Wie Sierra Club oder City of Alexandria - die informale Politik verurteilt. Diese Rechtsauslegung stammt aus dem Jahre 1966, als das Urteil im Fall Pillsbury Company v. FederalTrade Commission gesprochen wurde. 103 In der Entscheidung erklärte das Gericht einen Erlaß der FfC für nichtig - und zwar nicht etwa aufgrund inhaltlicher Gründe, sondern allein wegen "impermissible congressional influence" 104. Die Firma Pillsbury hatte einen Fusionsantrag gestellt, über den die amerikanische Kartellkommission zu befinden hatte. Der sogenannte parlamentarische Einfluß auf informalem Wege fand in diesem Fall in einer Anhörung des FfC-Präsidenten vor dem Senatsausschuß statt, welcher sich mehrheitlich gegen den Antrag aussprach. Die Entscheidung der FfC fiel gegen die Fusion. Die Richter sahen aufgrund fehlender Unparteilichkeit der Verwaltung wegen des Drucks des Senats das quasi-judizielle Verfahren der Verwaltungskommission gestört. Der Grundsatz der Unbefangenheit der Verwaltung hinsichtlich parlamentarischer Einflüsse prägte die Rechtsauslegung für einige Zeit, wurde jedoch dann von den erwähnten Urteilen in Sachen Sierra Club von 1981 und City ofAlexandria von 1984 verdrängt. Für den Verfassungsrechtier Morton Rosenberg ist die Sachlage eindeutig: "Today, Pillsbury is dead."tos Von dieser älteren Rechtsauslegung erhofft sich Kappe!, daß der "appearance of impartiality"-Standard des Urteils als "useful tool for controlling congressional 101 Vgl. Brett G. Kappe/, Judicial Restrietions on Improper Congressional Inßuence in Administrative Decision-Making: A Defense ofthe Pillsbury Doctrine; in: Journal ofLaw & Politics 6 ( 1989), S. 135-164. 102 Ebd. S. 136. 103 Vgl. Pillsbury Company v. FederalTrade Commission 354 F. 2d 952 (5th Cir. 1966). 104 Vgl. ebd. 105 Morton Rosenberg. Interview vom Juni 1999 in Washington D. C.

III. Gesellschaftliche Konsequenzen

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abuse of the informal oversight mechanisms which are likely to see wider use in the post-Chadha era" 106 wieder Einzug erhält als Beurteilungsmaßstab für das Verhalten von Kongreßmitgliedem gegenüber der Verwaltung. Diese Ansicht bestätigt zweierlei: Zum einen wird das Problem der unerlaubten Einflußnahme im Zusammenhang mit den informalen Komponenten der Politik gesehen. Zum anderen wird von einer Zunahme dieser Einflußnahme seit dem Chadha-Vrteil gesprochen. In Kapitel C. I. 2. wurde schon analysiert, daß die Gerichte, respektive der Oberste Gerichtshof, zuletzt informale Absprachen zwischen Kongreß und Verwaltung nicht länger als Bemessungsgrundlage für ihre verwaltungsrichterliche Praxis toleriert haben. Primär ging es dabei um die eindeutige, d. h. formale Bestimmung der legislativen Absicht. Hinzu kommt eine zweite Problematik: Richter können kaum unerlaubte, informale Einflußnahmen von erlaubten, informalen unterscheiden. Beide Phänomene sind nur vordergründig betrachtet für die Judikative nachteilig. Es sind die Gerichte, die nunmehr sowohl darüber entscheiden können, welche legislative history-Dokumente sie berücksichtigen als auch, wo die Grenze zwischen legitimer parlamentarischer Kontrolle und Bevorzugung von Sonderinteressen verläuft. Beides ist freilich im Interesse der Judikative, weil es ihren Ermessensspielraum vergrößert.IO? Schon in Kapitel C. II. 1. wurde dargestellt, wie Clinton mittels präsidentiellen Erlasses mehr Licht in das Verfahren der Verordnungsgebung bringen wollte. Der Grund für diese Maßnahme spiegelt die hier behandelte Problematik wider: "The emphasis on openness and accountability was designed to protect the review process against charges of backdoor deals with favored interest." 108

Doch E. 0. 12866 ist bezüglich des Transparenz-Defizits bloße Symptombehandlung. Es wird nicht nach den Ursachen gefragt, warum Kongreß, Verwaltungsträger und Interessengruppen mitunter zur informalen Politikabstimmung neigen. Die Konsequenzen dieses Problems trägt die Gesellschaft. Der Nährboden für Verzerrungen im Interessenvermittlungssystem durch ein Verschwimmen der Grenzen von informaler Kontrolle und bevorzugender Behandlung von Sonderinteressen ist damit bereitet. David Vladeck, der als Director der Public Citizen Litigation Group Verbraucherinteressen in verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten vor Gericht vertritt, bestätigt die Zunahme des problematischen Phänomens: "There has been a drive to informality in the aftermath of Chadha when dealing with the agencies. The problern is not riders in appropriation bills- even if they are at ten o' clock at night. That is the way our political system functions. And it is perfectly fine since it is public.

Kappe/1989, S.136f. Frederick Kaiser. Interview vom Juni 1999 in Washington D.C. 108 Niskanen 1998, S. 3.

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Teil C: Auswirkungen der Inforrnalisierung auf das politische System der USA

The problern is informal pressure by members of Congress, when they are threatning the agencies behind the closed doors, because it is invisible. And we as public interest do not have a chance to interfere. They would deny contacts, if you ask them in public. I consider it tobe illigitimate in a plural society." 109

Die Auffassung VIadecks ist im übrigen nicht verzerrt durch seine Rolle im politischen Prozeß. Sie wird nämlich auch von Mitgliedern der Legislative bestätigt. A. Mario Castillo, der von 1981 bis 1988 staff director des Agraranschusses des Repräsentantenhauses unter dem Vorsitz von Kika de Ia Garza (D-Texas) war, berichtet offen darüber, welche Mittel er einsetzte, um mißliebige Regulierungen zu verhindem oder zu mildem.uo In einer ersten Stufe werde der Verwaltung klar gemacht, was eine Verordnung für Kosten mit sich bringe. In der zweiten Stufe würde mit der Kürzung von Bewilligungsgeldem gedroht. Und auch eine dritte Stufe der informalen Beeinflussung sei gängige Praxis: "You find out about personal weaknesses about the member of the agency and mention them. This is what I call the politics of intimidation." 1ll All dies ist freilich nicht vonnöten, wenn Kongreß und das OMB sich einig darüber sind, daß ein Verordnungsentwurf eines Verwaltungsträgers von Übel ist. Nach Clintons E. 0. 12866 ist das OMB zwar gehalten, informale Kontakte zu Interessengruppen offenzulegen. Nicht betroffen von diesem Transparenz-Erlaß sind indes die Kontakte zwischen Kongreßmitgliedem und dem OMB. 112 Die Reaktion der Interessengruppen liegt auf der Hand: Sie suchen um so mehr den Kontakt zum Kongreß, der wiederum das OMB in der nicht öffentlichen politischen Arena konsultieren kann. 113 Nebulös bleibt Castillo bei der Frage, wo er die Grenzen zwischen legitimer parlamentarischer Kontrolle und Wahlkreis-Responsivität einerseits und der Bevorzugung von Sonderinteressen andererseits zieht: "You have to make sure that the committee philosophy is not questioned- there are parameters of operation that are set by philosophical roots."ll 4 Die ethische Verpflichtung scheint in der Tat eine nicht zu unterschätzende Grundregel im politischen Prozeß zu sein. Ihre Schwäche ist freilich ihre mangelnde Sanktionsfähigkeit Alternativen dazu sind kaum realistisch. Kappe! selbst schlägt etwa mit der Renaissance der Pillsbury-Doktrin einen Weg vor, der die Ursächlichkeil der Probleme gänzlich außer acht läßt. Er hält nämlich David Vladeck. Interview vom Juni 1999 in Washington D. C. A. Mario Castillo. Interview vom Juni 1999 in Washington D. C. 111 Ebd. 11 2 Nach den Vorstellung der Verfasser des Entwurfes für den Regulatory Improvement Act of 1999 würde auch diese Vorgabe wieder gestrichen. "OMB authority brings back the ,Bermuda triangle' . S. 746 would allow togoback to the practises used to stall or weaken health, safety and environmental protections in the Reagan-Bush years: OMB would no Ionger have to put in writing why it did not approve an agency rule and would on1y have to log ,significance' - as opposed to ,Substantive' - meetings and calls with non-governmental entities regarding rules under review"; in: Lobbyisten-Rundschreiben an den U.S.-Senat, 18. Mai 1999. 113 Reece Rushing. Interview vom Juni 1999 in Washington D. C. 114 A. Mario Castillo. Interview vom Juni 1999 in Washington D.C. 109

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informale Kontakte zwischen Kongreß und Verwaltung im Rahmen der Gesetzesimplementation für eine gesetzeswidrige Umschiffung des Chadha-Urteils von 1983. "lf Congress determines through the use of oversight mechanism that an agency has misinterpreted a statute, the appropriate response is to take the formal step of amending the law, not to use informal means to alter the agency's interpretation."115

Damit reduziert Kappel die Legislative in ihrem Tätigkeitsfeld auf das Verabschieden von Gesetzen. Darüber hinaus spricht er zwar von einem Kausalnexus zwischen dem Chadha-Urteil von 1983 und dem Vorgang der Informalisierung, jedoch reflektiert er diesen Befund nicht. Wenn nämlich erst der Oberste Gerichtshof mit seiner formalistischen Gewaltenteilungsvorstellung diesen Prozeß indirekt und ungewollt bewirkt hat, so sind eher hier die Alternativen zu suchen. So stimmt zwar Morton Rosenberg dem Befund Kappeis zu. Er kommt jedoch zu einer anderen Schlußfolgerung. Der Kongreß könne nicht auf seine Basis- und Kernfunktion beschränkt werden; der Einfluß auf die Verwaltung sei schon alleine deshalb legitim, weil das Verwaltungshandeln seine Legitimität erst vom Parlament erhalte: "Congress' power to influence executive and other governmental conduct is not confined to its utilization of its lawmaking authority. ( ... ) The ruling of the Courts of Appeals for the Federal Circuit in City of Alexandria v. United States is particularly pertinent for present purposes for its strong affirmation that Chadha decision did not cast doubt on the validity of informal arrangements controlling agency action which stop short of formal committee veto power such as was proscribed in Chadha." 116

Rosenberg sagt zu Recht, daß grundsätzlich auch die informale Kontaktaufnahme zwischen beiden Regierungsgewalten zulässig ist. Jedoch unterscheidet er nicht zwischen informalen politischen Prozessen, die formale komplementieren und solchen, die sie ersetzen. Wie gezeigt, haben sich die politischen Rahmenbedingungen zugunsten letzterer Form verändert. Damit sind Bereiche des politischen Prozesses in den Untergrund abgewandert, wodurch wiederum die Möglichkeiten zur Kontrolle dieses Prozesses begrenzt wurden. Diese Untersuchung erlaubt nicht zu zeigen- es ist auch nicht ihre Absicht- , daß sich die politische Hygiene zwischen Kongreß und Verwaltung verschlechtert hat. Die Arbeit fördert lediglich zutage, daß die Bedingungen dafür günstiger geworden sind. Der Kongreß beschäftigte sich mit der Problematik. Das Ergebnis sind verschiedene Verfahren der ethischen Selbstkontrolle. 117 An dieser Stelle geht es nicht um strafrechtliche Tatbestände. Diese werden freilich auch unter der Sierra-Club-Doktrin von den Gerichten geahndet- so sie öffentlich sind. Es geht also nicht um erwiesene Vergehen, wie etwa Bestechung, worunter auch die unzulässige Beeinflusm Kappe/1989, S. 159. Morton Rosenberg, Congressional Intervention in the Administrative Process: Legaland Ethical Considerations, CRS-Report 90-440 A, S. 31. 117 Vgl. im folgenden Rosenberg 1990, S. 38ff. 116

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Teil C: Auswirkungen der Inforrnalisierung auf das politische System der USA

sung von Verwaltungspersonal-etwa durch Bereitstellung von Geldern der Interessengruppen - zählt. In Fällen der direkten Annahme solcher Gelder als Gegenleistung für gefällige Dienste handelt es sich um einen Interessenkonflikt - soweit ein direkter Zusammenhang nachgewiesen werden kann. Der Kongreß bemüht sich als Institution die nicht strafrechtlich relevante Beeinflußung einzelner Kongreßmitglieder durch Interessengruppen beschränkt offenzulegen. In diesem Zusammenhang ist das Lobbying Disdosure Act of 1995 (LDA) zu sehen. Das Gesetz sieht u. a. vor, daß sich Interessengruppen registrieren lassen und im halbjährlichen Abstand Tätigkeitberichte vorlegen müssen, die ihre Kontakte ihrer Auftraggeber und den Auftrag selbst beinhalten. Zudem muß erwähnt werden, mit welchen Legislativ- und Exekutiv-Mitgliedern die Lobbyisten kommunizierten.us Dieses Gesetz richtet sich an die Interessengruppen, während die Geschäftsordnung einen ehtischen Kodex für Kongreßmitglieder forrnuliert. 119 Sowohl Selbstkontrollorgane als auch das LDA sind jedoch oft nur Papiertiger, da es den Instrumenten an Umsetzungsmöglichkeiten mangelt. Das im Repräsentantenhaus angesiedelte Committee on Standards of Official Conduct etwa untersucht eifrig, verurteilt indes selten. Für Aufsehen sorgte etwa ein Fall aus dem Jahre 1987. 120 Der Ausschuß prüfte, ob der Demokratische Abgeordnete Fernand J. St. Gerrnain in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Bankenausschusses die Federal Horne Loan Bank Board zu seinen persönlichen Gunsten beeinflußt hatte, indem er Machtmittel seiner Amtsrolle einsetzte. Obwohl dem Parlamentarier Verfehlungen nachgewiesen wurden, stimmte das Gremium quasi nach parteipolitischer Besetzung gegen eine Verurteilung des Abgeordneten. Neben der Problematik der Sanktionsschwäche ethischer Regeln sorgt noch ein weiterer Aspekt dafür, daß eine effektive Kontrolle dieser Sachverhalte schwierig ist, zumal in Fällen, in denen es nicht um die Aufdeckung unehtischen Verhaltens, sondern allein um die Nachvollziehbarkeil politischer Entscheidungsfindung geht. Da informale Kontakte zumeist nicht-öffentlich sind, läßt sich auch schwerlich kontrollieren, ob die halbjährlichen Kongreßberichte vollständig sind. Die beispielhaft beleuchteten Fälle zeigen die langfristigen politischen und gesellschaftlichen Probleme der lnforrnalisierung auf. Das Problem besteht fort: Parlamentarische Kontrolle verbleibt oft in der nicht-öffentlichen politischen Arena. Damit alleine wird sie mitnichten illegitim. Jedoch wird ein Grundprinzip verantwortlichen Regierens unterrnininiert: Die Nachvollziehbarheil von Interessen und Einflußnahme. Vor übertriebenen Schreckensszenarien in der Bewertung dieser Problematik ist indes zu warnen. Die gesellschaftlichen Konsequenzen des Inforrnali11 8 Vgl. Richard C. Sachs, The Lobbying Disdosure Act of 1995: Abrief description, CRSReport-96-29 GOV, S. 3. 119 Vgl. Jack Maske II, Legaland Congressional Ethics Standards of Relevance to those who Iobby Congress, CRS-Report-96-210 A, S. 7f. 12o Vgl. im folgenden Rosenberg 1990, S.64f.

III. Gesellschaftliche Konsequenzen

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sierungsvorganges bedrohen heute (noch) nicht die Legitimität des politischen Systems insgesamt. Aber die Auswirkungen der lnformalisierung können in Einzelfallen gesellschaftlichen Gruppen und Privatpersonen den Glauben an den fairen Wettbewerb der Interessen in der politischen Arena rauben.

TeilD Zusammenfassung und Schlußbetrachtung I. Zusammenfassung Am Ende dieser Arbeit sollen die Leitfragen nochmals zusammenfassend beantwortet werden. 1. Die anfängliche Frage nach den Charakteristika des Wandlungsprozesses der Legislativ-Exekutiv-Beziehungen wurde bereits am Ende der qualitativen Untersuchung beantwortet. Der Informalisierungsvorgang, der hauptsächlich von seiten des Kongresses (in Einzelfällen aber auch von der Verwaltung) angestoßen wurde, war von dem Bemühen getragen, die parlamentarischen Kontrollrechte, die Kongreß und Verwaltung durch die formalistischen Gewaltenteilungsurteile des Obersten Gerichtshof als Kooperationsinstrumente nicht mehr zur Verfügung standen, durch informale politische Kommunikation zu ersetzen. Während Kongreß und Verwaltung durch ihre Handlungsänderungen weiterhin im Sinne eines power sharing zusammenarbeiten konnten, gestaltete sich das Verhältnis zwischen Legislative und Kernexekutive insbesondere im Bereich der Finanzkontrolle konfliktärer als in dem Zeitraum vor dem Chadha-Urteil. 2. Der Informalisierungsvorgang hat neben den kurzfristigen Handlungsänderungen der Akteure aber auch langfristige Folgen - und zwar sowohl in bezug auf das Zusammenspiel der Gewalten als auch auf das politische System im weiteren Sinne. Im einzelnen kam die Untersuchung zu folgendem Ergebnis: (1) Der Vorgang der Informalisierung hat hinsichtlich der Beziehung von Regierung und Verwaltung vor allem zwei Konsequenzen. Zum einen wird über die informale politische Kommunikation von Verwaltungsträgern mit dem Kongreß während der Phase des Gesetzesvollzugs die verwaltungsinterne Kontrolle des Präsidenten bzw. der Kernexekutive über die Administration erschwert. Der Präsident läuft so Gefahr, abweichendes Verhalten seiner Verwaltungen etwa im Verordnungsverfahren nicht mehr kontrollieren zu können. Darüber hinaus wird es schwieriger für ihn, eine einheitliche politische Agenda-Umsetzung zu betreiben. Verantwortungsdiffusion ist die Folge. Diese wird zum anderen verstärkt durch einen neuen Dualismus zwischen Regierung und Verwaltung, der sich aus der Koalitionsbildung zwischen Kongreß und Verwaltung in bestimmten Politikfeldern ergibt. Dies wurde insbesondere in der Umweltpolitik illustriert. Die fehlende Transparenz im Gesetzesvollzug verselbständigt die Verwaltung innerhalb der Exekutive.

I. Zusammenfassung

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(2) Die Informalisierung der Beziehungen zwischen Kongreß und Verwaltung birgt die Gefahr einer Renaissance der iron triangles, also eines Rückfalls in Entscheidungsfindungsstrukturen vor Einsetzen der Kongreßreformen der 70er Jahre. Hierfür ist ursächlich, daß die Fortsetzung der politischen Kommunikation zwischen Kongreß und Verwaltung während der Phase des Gesetzesvollzugs eine informale, also nicht-öffentliche politische Arena schafft, deren Zutritt exklusiv ist. Kontrollierende Kongreßmitglieder und die mit der lmplementation betrauten Verwaltungsangestellten können entscheiden, welche gesellschaftlichen Gruppen nach dem formalen Verordnungsgebungsverfahren am networking teilhaben. Informale parlamentarische Kontrolle schafft tendenziell wieder starre Netzwerke. Während dies als mögliche Folge bezeichnet werden muß, ist eine weitere Konsequenz der Informalisierung in bezugauf das Verhältnis von Kongreß und Verwaltung bereits Faktum: Micromanagement, also das Mitregieren des Parlaments im Gesetzesvollzug der Verwaltung, benutzt der Kongreß als Kompensation für das Einbüßen von Kontrollrechten. Da der Legislative das legislative Veto gegen unliebsame Verordnungen fehlt, formuliert diese in Einzelf