Form und Grund. Interpretation eines Kapitels der hegelschen Wissenschaft der Logik [2nd ed.] 978-3-7873-2908-3

Vorwort I. Hauptteil. 1. Die Hegelsche Logik als Metaphysik der Form. Form und Ding — die erste Definition von Form — F

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Form und Grund. Interpretation eines Kapitels der hegelschen Wissenschaft der Logik [2nd ed.]
 978-3-7873-2908-3

Table of contents :
CoverI
Inhaltsverzeichnis1
Vorbemerkung zur 3. Auflage3
Vorwort8
I. Hauptteil11
Die Hegelsche Logik als Metaphysik der Form11
Die Dialektik von Sein und Nichts37
Die Reflexion46
Die Realisation der reinen Reflexion62
Der Grund76
Doppelte Negativität und Subjektivität105
II. Haupteil122
A. Der absolute Grund122
a. Form und Wesen122
b. Form und Materie157
c. Form und Inhalt181
B. Der bestimmte Grund195
a. Der formelle Grund195
Die Anmerkung202
b. Der reale Grund205
Die Anmerkung213
c. Der vollständige Grund215
C. Die Bedingung226
a. Das relativ Unbedingte226
b. Das absolute Unbedingte237
c. Hervorgang der Sache in die Existenz247
Abschluß und Ausblick268
Literaturverzeichnis275

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HEGEL-STUDIEN BEIHEFT 6

FORM UND GRUND

VON

PETER ROHS

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HEGEL-STUDIEN/BEIHEFT 6

HEGEL-STUDIEN In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft

herausgegeben von FRIEDHELM NICOLIN und OTTO PÖGGELER

Beiheft 6

BOUVIER VERLAG HERBERT GRUNDMANN

BONN

FORM UND GRUND INTERPRETATION EINES KAPITELS DER HEGELSCHEN WISSENSCHAFT DER LOGIK

VON

PETER ROHS

2., durchges. Auflage

1972

BOUVIER VERLAG HERBERT GRUNDMANN

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ISBN 3 416 00670 0 Alle Rechte Vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, das Heft oder Teile daraus fotomechanisch zu vervielfältigen, © Bouvier Verlag Herbert Grundmann, Bonn 1969. Printed in Germany.

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort .

.

I. Hauptteil

1.

Die Hegelsche Logik als Metaphysik der Form.

11

Form und Ding 11 — die erste Definition von Form 14 — Form und Ich 18 — Form und Tätigkeit 26 — Form und Gott 30 — logische Form und Anschauungsform 36 2.

Die Dialektik von Sein und Nichts.

37

Der Ausdruck „Negativität" 38 — Nichts und Sein am Beginn der Logik 40 — die Paradoxien der Differenz von Form und Sein 41 — das Ding an sich 43 — unmittelbare Einheit 45 3.

Die Reflexion.

46

Reflexion bei Locke 46 — bei Kant 48 — bei Fichte 49 — Schellings System des transzendentalen Idealismus 50 — Reflexion bei Hegel 51 — reine Reflexion 54 — setzende Reflexion 57 — Sein und Schein 59 4.

Die Realisation der reinen Reflexion.

62

Die beiden Wege des Wesens 63 — Hegels Seinsbegriff 64 — der Weg in die Unmittelbarkeit 65 — äußere Reflexion 67 — bestim¬ mende Reflexion 68 — der Weg in den Unterschied 72 — der Ge¬ gensatz 72 — der Widerspruch 74 5.

Der Grund. Kants Streitschrift gegen Eberhard 77 — das Hervorbringen von Differenz 78 — der Grund als Einheit von Bestimmtheit und Nicht¬ bestimmtheit 80 — die hervorbringend-vernichtende Tätigkeit des Grundes 84 — ausschließende Reflexion 86 — Fremd- und Selbstbezüglichkeit der Tätigkeit des Wesens 87 — die Wiederherstellung des Seins 90 — die Bewegung des Nichts zu Nichts 91 — Energeia, Monade und sich gleichbleibende Veränderung 91 — das Scheinen der Form 95 — die Vermittlung von Nichts und Sein 98 — der Grund als Vermittlung von Sein und Form 102 — die Anmerkung 103

198017

76

6.

Doppelte Negativität und Subjektivität.

105

Schellings System des transzendentalen Idealismus 106 — Hegels Entpsychologisierung der Form 110 — das Fürsichsein 112 — die Endlichkeit 114 — die Subjektivität der doppelten Negativität, das Etwas 115 — die doppelte Negativität als absolute Negativität 117 — Selbst- und Gotteserkenntnis 119

II. Haupteil.

122

A. Der absolute Grund.122 a. Form und Wesen.122 b. Form und Materie..

B

c. Form und Inhalt.

1S1

Der bestimmte Grund.

195

a. Der formelle Grund.

195

Die Anmerkung.202 b. Der reale Grund.

205

Die Anmerkung.

213

c. Der vollständige Grund.

215

C. Die

Bedingung.226

a. Das relativ Unbedingte.226 b. Das absolute Unbedingte.

237

c. Hervorgang der Sache in die Existenz.

247

Abschluß und Ausblick.

Literaturverzeichnis .

_ ,Q

279

Vorwort

„Gadamer . . . charakterisierte die allen an der Hegelforschung Interessierten gemeinsame Aufgabe mit der Wendung, daß es darauf ankomme, Hegel buch¬ stabieren zu lernen. Nicht zufällig wurde bisher kein Kommentar geschrieben, der ein systematisches Textstück Satz für Satz überzeugend interpretiert. Wie kaum ein anderes philosophisches Werk sperrt sich dasjenige Hegels gegen ein Verständnis seiner Argumente im Einzelnen. Auf Grund seiner gleichmäßigen Durchbildung und der deutschen Akzentuierung seiner Glieder ist eine Dar¬ stellung des großen Ganzen verhältnismäßig einfach. Aber das durchgängig und mit unerreichtem Geschick geübte Verfahren, Bedeutungen von Begriffen nicht nur vorauszusetzen, sondern auch stringent zu entwickeln, macht jede Inter¬ pretation einzelner Gedankenschritte zum undankbarsten und heikelsten Ge¬ schäft. Indes ist gerade sie eine der elementarsten Forderungen hermeneutischer Redlichkeit, wenn man Hegel nicht nur erneuern, sondern kritisch reflektieren will. Untersuchungen zu Hegel werden daher umso fruchtbarer, je disziplinierter sie mit den unserer Epoche angehörenden Intentionen an sich halten, ohne sie zu vergessen. Angesichts unserer in einzelne Lager zerfallenen Philosophie, deren Epigonen sich im Trümmerfeld unglaubwürdig gewordener Schulen ein¬ richten, sind solche Untersuchungen dringender denn je. Nur vermittelst ihrer lassen sich die

auseinanderlaufenden Sinnlinien unseres kurzsichtigen Zeit¬

bewußtseins in Hegel wie in einem imaginären Brennpunkt versammeln." Diese Sätze — sie sind einem Bericht von H. F. Fulda über die Heidelberger Hegeltage 1962 entnommen — haben wir an den Anfang unserer Arbeit gestellt, weil wir versuchen wollen, was dort gefordert wird: ein systematisches Text¬ stück der Hegelschen Metaphysik Satz für Satz zu interpretieren. Angesichts der großen Gefahren und Schwierigkeiten dieses Geschäftes, das zu den „heikelsten und undankbarsten" gehört, bleibt es ungewiß, ob unsere Interpretation auch „Satz für Satz überzeugend" gelingen wird. Wir dürfen uns allerdings dabei zugute halten, diesen Versuch zuerst gewagt zu haben. Eines der großen Werke Hegels im ganzen Satz für Satz zu interpretieren, wäre ein Unternehmen, das die unserer Arbeit notwendig gesetzten Grenzen bei weitem überschritte. Wir haben uns darum darauf beschränkt, aus dem für die Hegelsche Philosophie in systematischer Hinsicht grundlegenden Werk, der „Wissenschaft der Logik", ein besonderes Kapitel herauszugreifen, — und zwar dasjenige über den „Grund" (L 11,63—100). Dieses Kapitel bildet das letzte Drittel des ersten Teiles der Logik des Wesens. Die systematischen Gründe, die uns gerade dieses Kapitel haben wählen lassen, werden, wie wir hoffen, am

8 Ende unserer Interpretation deutlich werden. Im voraus läßt sich darüber nichts sagen. Die Schwierigkeiten, die das Verständnis der großen Hegelschen Werke be¬ reitet, sind häufig beschrieben worden. Sie gründen einmal in dem, was Hegel selbst als Wesen des Begriffes (und damit des Begreifens) darstellt: dem dialek¬ tischen Verhältnis von Allgemeinem und Einzelnem. Um den Hegelschen Text im Einzelnen zu verstehen, müssen wir bereits das Allgemeine des Hegelschen Denkens kennen, - aber dieses Allgemeine können wir nirgendwoanders ken¬ nenlernen, als aus dem Einzelnen heraus. So scheint sich dem Verstehen kein sicherer Punkt, kein „Unmittelbares" darzubieten, an dem es anfangen könnte,

um getrost seinen Weg fortzugehen. Mit diesen Schwierigkeiten hatten auch wir uns

auseinanderzusetzen. Wir

haben — da sie sich nicht vollständig aus dem Wege räumen lassen — auf folgende Weise sie zu bewältigen versucht: wir haben die beiden ersten Seiten, die unser Kapitel einleiten (L 11,63/64), dazu benutzt, um von möglichst ein¬ fachen und einsehbaren Voraussetzungen aus in die allgemeinen Horizonte des Hegelschen metaphysischen Denkens hineinzuführen. Auch diese beiden Seiten wollen wir Satz für Satz interpretieren, — aber wir werden uns manchmal weit von ihnen entfernen, um die allgemeinen und grundsätzlichen Gedanken zu er¬ läutern.

Unsere Arbeit gliedert sich demgemäß in zwei Elauptteile, — den ersten, der die weit ausholende, langsam aufbauende Interpretation dieser beiden einleiten¬ den Seiten geben soll, — und in den zweiten, in dem wir dann die drei Teile unseres Kapitels, die vom „absoluten Grund", vom „bestimmten Grund" und von der „Bedingung" handeln, so eingehend, wie uns das möglich ist, inter¬ pretieren wollen. Eine weitere Schwierigkeit bietet die Hegelsche Terminologie. Wir glauben, daß es nicht nur ungeschickt wäre, sondern im ganzen auch unmöglich, die Hegelschen Gedanken adäquat darzustellen, ohne sich der Hegelschen Termino¬ logie zu bedienen. Aber dennoch war eine unserer wesentlichsten Aufgaben, den Panzer dieser Terminologie aufzusprengen. Wir haben darum versucht, bei allen Hegelschen Begriffen das mit ihnen Gemeinte auch intuitiv, oder, mit einem Hegelschen Ausdruck, „für die Vorstellung" klar zu machen. Bei unseren Inter¬ pretationen werden wir die Hegelschen Begriffe dann weiterverwenden als eine — hoffentlich! — nicht nur übernommene, sondern angeeignete Terminologie. Ein dritter Punkt betrifft Hegels Verhältnis zur Geschichte der abendländischen Metaphysik. Es ist unmöglich, ein Werk wie die „Wissenschaft der Logik" zu interpretieren, ohne ständig auf diese Geschichte Bezug zu nehmen. Die in Frage kommenden Werke der großen Philosophen stellen aber ihrerseits dem Verständnis vieles entgegen. Auf die Probleme ihrer Auslegung konnten wir wir nicht auch noch eingehen. Meist haben wir uns darum derjenigen Auslegung bedient, die Hegel selbst in seinen Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie gegeben hat. Sofern diese Hegelschen Darstellungen selbst wieder der Inter¬ pretation bedurften, mußten wir sie aus den Hegel vorliegenden Texten erklären

9 und begründen. Dies bedeutet nicht — auch dort nicht, wo wir keine Bedenken geltend machen —, daß wir Hegels Interpretation der Gedanken anderer Philo¬ sophen stets zu unserer eigenen machen. Wir haben allein Hegels Metaphysik zu erläutern. Da sich diese ausgebildet hat in ständiger Beschäftigung mit der gesamten Tradition metaphysischen Denkens, die sie bewußt in sich aufnehmen und integrieren will, so mußte uns diese Geschichte so, wie sie von Hegel gedacht und begriffen worden ist, von Bedeutung sein. Ausgeklammert aus unserer Arbeit haben wir alle Fragen, die die Entwicklung des Hegelschen Denkens betreffen, — also in unserem Falle besonders die Fragen, die sich aus den Beziehungen der Großen Logik zur sogenannten „Je¬ nenser Logik" ergeben. Es steht außer Zweifel, wie bedeutsam diese Fragen sind, — aber wir mußten sie, um den Bogen nicht zu weit zu spannen, beiseite lassen. Auch darin stellen wir uns letztlich auf Hegels Standpunkt, der der „privaten" Entwicklung keinerlei Bedeutung beigemessen hätte im Vergleich zur systematischen und zur geschichtlichen. Die Anregung, dieses Kapitel der „Wissenschaft der Logik"

auszulegen,

verdanke ich meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Walter Bröcker. Ihm verdanke ich wertvolle Hinweise; vor allem aber danke ich ihm das Vorbild, die

großen Werke

abendländischen Denkens

aufzuschließen mit derjenigen

Exaktheit des Denkens, die eine Zeit notwendig macht, in der die unreflektierten und unmittelbaren Bedingungen, solche Werke aufzunehmen, ohne Zweifel immer weniger gegeben sind. Wir leben nicht mehr in einer Welt, in der die Sprache metaphysischen Denkens gleichsam auf natürlichem Wege Eingang findet; — eben darum bedarf es mehr denn je der Strenge des Denkens, mehr denn je der „Reflexion", die das Verschlossene erst öffnet und seinen Reichtum herausstellt. Wir haben uns bemüht, solche Nüchternheit an der schwierigen und dunklen, gefährlichen Materie der Hegelschen „Wissenschaft der Logik" zu bewähren. Die Arbeit hat im Sommersemester 1964 der Philosophischen Fakultät der Universität Kiel als Dissertation Vorgelegen. Für die Drucklegung ist der Text durchgesehen und überarbeitet worden. Dem Land Nordrhein-Westfalen gebührt mein Dank für die großzügige Be¬ reitstellung von Mitteln, durch die der Druck erst möglich wurde.

I. HAUPTTEIL

1. Die Hegelsche Logik als Metaphysik der Form

Das erste, was man von der Interpretation eines Textes idealistischer Meta¬ physik erwarten könnte, wäre vielleicht eine Verständigung über den Ausdruck „Idealismus" selbst. Begriffe wie dieser haben in ihrem gewöhnlichen Gebrauch nur einen vagen und verschwommenen Sinn. Wir werden darum gut daran tun, genauer festzulegen, was wir für unseren Teil unter „Idealismus" verstehen wollen. Freilich gibt es da sogleich manche Bedenken. Es fragt sich, ob wir, ehe wir uns in die Sache selbst versenkt haben, eine solche Definition, falls sie überhaupt möglich sein sollte, schon geben können. In der Philosophie scheint das lang¬ wierige Eindringen in die Sache jeder Definition dieser Sache vorausgehen zu müssen. Aber auch noch anderes steht einer solchen Definition im Wege. Unter einem Begriff wie „Idealismus" wird vieles und oft

ganz Heterogenes zusammen¬

gefaßt. Der unbestimmte Gebrauch solcher Begriffe kommt nicht von ungefähr. Seine weite Offenheit aber müssen auch wir diesem Begriff belassen. Nach Hegels eigenem Zeugnis ist sogar jede Philosophie „wesentlich Idealismus" (L 1,145), — eine Mahnung, eine solche Definition nicht zu sehr einzuschränken und zu eng zu fassen. In dem Wort „Idealismus" finden wir das griechische Wort „15ea" wieder, und dieses griechische Wort wollen wir im Deutschen mit „Form" übersetzen. Die scholastischen Philosophen haben es ebenso mit „forma" wiedergegeben. Unser Versuch, den „Idealismus" zu bestimmen, wird uns also an die Form ver¬ weisen. Seinem Namen nach ist der Idealismus eine solche Philosophie, in der die „Idee", die „Form" eine bedeutende und ausgezeichnete Stelle einnimmt. Um den Grund einer solchen Auszeichnung der Form zu verstehen, wollen wir einen Satz benutzen, der aus der scholastischen Metaphysik stammt, aber auch zu späteren Zeiten vielfach von Bedeutung gewesen ist. Kant z. B. hat sich in den letzen Jahren seines Denkens mit ihm befaßt. Mit Hilfe dieses Satzes wollen wir dann bestimmen, was wir unter „Idealismus" verstehen wollen, indem wir sagen: Idealismus ist eine solche Philosophie, in der eine Auszeich¬ nung der Form gedacht wird, wie sie in diesem Satz zum Ausdruck kommt. Der Satz, den wir meinen, lautet: forma dat esse rei. Bei Thomas von Aquin findet er sich auch in der Formulierung „forma dat esse materiae" (vgl. z. B. „de ente et de essentia" cap 5). Die Form erscheint hier als dasjenige, was das

12 Sein gibt; das Ding (res), die Materie als das, was das Sein empfängt und also nicht aus sich selbst hat. Die Form ist das Aktive und — sogar was das Sein selbst anbelangt — Grundhafte, das Ding dagegen ist das Passive, das ein Sein von woanders her bezieht und unselbständig ist. Damit haben wir ohne Zweifel eine Auszeichnung der Form, wie wir sie für unsere Bestimmung von Idealismus gefordert haben. Die Form, die das Sein gibt, wird in irgendeiner Weise als Grund gedacht, und das Begreifen dieses Grundes ist eine der wesentlichsten Aufgaben für den Idealismus, — ja es dürfte, worauf hier nur beiläufig hingewiesen werden kann, eine der wesentlichsten Aufgaben der Metaphysik überhaupt sein. Auch die Metaphysik, die „erste Philosophie" ist Wissenschaft von den Gründen, und unter diesen Gründen nimmt der Grund der Form einen besonderen Rang ein. Aristoteles z. B. verweist die eigentliche Erörterung der apyj] xaxa. xö elöog aus der Physik in die erste Philosophie und nennt diese Betrachtung im gleichen Zusammenhang das epyov der ersten Philosophie (vgl. Physik 192a34). Diese unscheinbare Bemerkung darf für die Wesensbestimmung der Metaphysik nicht übersehen werden, sie gibt bereits so etwas wie eine Grenzziehung zwischen Physik und Metaphysik, eine philosophische Interpretation des (freilich anders und später entstandenen) „Meta-" der Metaphysik. Und es bedarf keiner Frage: so sehr sich unsere heutige Physik auch von der des Aristoteles unterscheidet, die Frage nach der dpyf) xaxa xö elöog wird ebenfalls (und zwar noch weit radikaler als bei Aristoteles) aus ihr verwiesen. Die Physik ist noch „physikali¬ scher", d. h. unmetaphysischer geworden. Wir benutzten diesen Hinweis von Aristoteles, um zu sagen, was wir unter „Metaphysik" verstehen wollen. Um nicht in endlose Streitigkeiten über das „Wesen der Metaphysik" gezogen zu werden und um andererseits einen festen Sinn mit diesem Wort zu verbinden, treffen wir folgende Festsetzung als Rege¬ lung unseres Sprachgebrauchs: Metaphysik ist Wissenschaft von Form; ins¬ besondere betrachtet sie, inwiefern die Form Grund ist, betrachtet sie die apyr) xaxa xö eiÖog (in der das e!8og das Gründende, nicht das Gegründete ist). Unter „Idealismus" verstehen wir kurz eine solche Metaphysik, die dem Sinne nach den Satz „forma dat esse rei" als wahr annimmt. In der Hegelschen Logik kommt dieser Satz wörtlich nicht vor. Daß sie dennoch in dem von uns be¬ stimmten Sinn Idealismus ist, d. h. die Form als seingebend denkt, wird sich ergeben. Hegels sehr wichtige allgemeine Bestimmung der „Wissenschaft der Logik" lautet wie folgt: Die Logik ist die „Wissenschaft der absoluten Form" (L 11,231). Sie ist also „erste Philosophie

im Sinne der vorhin genannten Aristotelischen

Bestimmung, Betrachtung der dpyf] xaxa xö ei8og. Die Form ist für Hegel da¬ durch ausgezeichnet, daß sie „absolut" ist — dies ist doch gewiß eine Auszeich¬ nung! —, aber auch dadurch, daß sie das eigentliche Objekt der Wissenschaft der Logik ist. Unsere Erklärung des Begriffs „Idealismus" birgt noch viele Rätsel in sich. Das größte ist sicherlich, was unter „Form" zu verstehen ist. Offenbar kann nicht

13 etwa der äußere Umriß der Dinge gemeint sein, denn diesen wird niemand so aus¬ zeichnen wollen. Wenn Kant sagt, daß die Formen der Erscheinungen im Gemüt a priori bereitliegen, so meint er sicherlich ebenfalls nicht, daß die Umrisse aller Dinge, die uns erscheinen, schon im Gemüt vorhanden sein müßten. Form muß hier also etwas anderes sein als der äußere Umriß. Denken wir noch einmal an unseren Satz „forma dat esse rei". Wir können ihm entnehmen, daß die „forma" offenbar etwas anderes sein muß als die „res". Wäre nämlich die forma selbst eine res, so besagte der Satz, daß die eine res einer anderen res das Sein gäbe. Dann aber wäre dieser Satz völlig sinnlos. Gemeint ist ja nicht, daß es zwei Arten von Dingen gibt, nämlich Sein-gebende und Sein-empfangende, sondern daß jedes Ding, oder das Ding als solches sein Sein aus etwas anderem empfängt, und dieses andere darf schlechthin nicht wieder Ding sein. Die Form unterscheidet sich nicht nur von bestimmten Dingen, sie ist ihrem Wesen nach kein Ding. Nur wenn wir dies annehmen, kann der Satz „forma dat esse rei" einen verständlichen Sinn bekommen. Andererseits sagt der Satz aber auch, daß der Form eine gewisse Selbständigkeit gegenüber dem Ding zukommt. Sie selbst steht ja an der Stelle des Grundes, die res da¬ gegen an der Stelle des Begründeten. Und der Grund ist doch wohl selbständi¬ ger als das Begründete. Ja wie soll man sich überhaupt denken, daß dasjenige, was das Sein gibt, irgend wie abhängig wäre von dem, was das Sein erst von ihm selbst empfängt? Abhängig sein kann man doch nur von etwas, was schon ein Sein hat, dies ist aber bei der res nicht der Fall. Wenn die Form abhängig wäre von etwas, — woher hätte dieses andere sein Sein? Es könnte es nur von der Form haben, aber dann kann diese nicht von jenem abhängen. Es scheint also, wenn wir überhaupt an unserm Satz festhalten wollen, kein Weg daran vorbei zu führen, die Form als das Selbständige, aus sich Seiende, die Dinge aber als das Unselbständige, aus einem anderen Seiende anzusehen. Dabei soll außerdem die Form schlechthin kein Ding sein, wie wir vorhin feststellten. Die Schwierigkeit dieser Situation wird besonders deutlich z. B. an der Platoni¬ schen Ideenlehre. Die Selbständigkeit der Idee, also der Form, hat Platon mit aller Kraft festgehalten. Aber darüber haben die Ideen selbst wieder die Gestalt von Dingen angenommen, und der grundsätzliche Unterschied von Form und Ding schrumpft zu einem bloßen und undeutlichen „Jenseits" zusammen. Hier¬ bei zeigt sich eine heimtückische Dialektik des Unterschiedes: gerade um ihres Unterschiedes willen zu allen Dingen sollten die Ideen in das Jenseits, — aber durch diesen Unterschied von den Dingen getrennt werden sie wieder wie Dinge, sie sind wieder dasselbe. Man meinte zu unterscheiden und machte i n Wahrheit

gleich. Das Jenseits trennt nicht, sondern macht gleich, es ist

ein sich selbst vernichtender Unterschied. Die beiden Forderungen, die der Satz „forma dat esse rei" mit sich zu bringen scheint, nämlich daß die forma keine res und dennoch als das Sein-gebende selbständig sein soll, scheinen also nicht ohne Weiteres miteinander vereinbar zu sein. Viele Einwendungen des Aristoteles z. B. gegen die Platonische Ideen¬ lehre beruhen darauf, daß die Ideen wieder als Dinge genommen werden, was

14 ihrem Wesen als Form freilich widerspricht. Aristoteles wirft den Platomkern sogar ausdrücklich vor, daß sie die Ideen zu „ewigen Sinnesdingen" machen (vgl. Met. 997bll), also der wirkliche Unterschied von Form und Ding bei ihnen gar nicht begriffen sei. Hegel hat auf Grund seiner eigenen „Wissenschaft von der Form" freilich wiederholt gegen eine solche Platonsauslegung protestiert. Nach Hegel sollen die Ideen weder „Dinge" noch ein „Jenseits" d. h. sie sollen wahrhaft „Ideen" sein. Von den zahlreichen Äußerungen Hegels zu dieser Frage seien zwei hier angeführt. Es heißt einmal, man solle die Meinung beiseite legen, „als ob die Wahrheit etwas Handgreifliches sein müsse. Solche Hand¬ greiflichkeit wird zum Beispiel selbst noch in die platonischen Ideen, die in dem Denken Gottes sind, hineingetragen, als ob sie gleichsam existierende Dinge, aber in einer anderen Welt oder Region seien, außerhalb welcher die Welt der Wirklichkeit sich befinde" (L 1,31). Und an anderer Stelle sagt Hegel mit dem gleichen Sinne: „Durch die Darstellung seiner Ideen hat Plato die Intellektualwelt eröffnet. Sie ist nicht jenseits der Wirklichkeit, im Himmel, an einem anderen Orte, sondern sie ist wirkliche Welt; wie auch beim Leucipp, das Ideelle ist der Wirklichkeit näher gebracht, nicht metaphysisch. Aber nur das ist das Seiende in der Welt, was das an und für sich Allgemeine ist" (JA 18,199). Freilich kann man nicht leugnen, daß der Wortlaut des Platon-Textes ein solches „handgreifliches" Verständnis, wie Hegel es hier ablehnt, an vielen Stellen durchaus rechtfertigt. — Die vorangehenden Erörterungen haben uns vielleicht ein wenig kritischer gemacht hinsichtlich des Unterschiedes von forma und res, wie er in dem Satz „forma dat esse rei" implizit ausgesprochen ist, — aber was wir meinen, wenn wir von Form reden, wissen wir immer noch nicht. Die Form hat für den Idealis¬ mus eine ausgezeichnete Vorrangstellung, sie ist kein Ding, soll aber dennoch die Selbständigkeit eines solchen haben, das Sein gibt, — dies alles haben wir bisher festgestellt. Was aber ist nun die Form? Es versteht sich, daß man hier nicht mit einem Satz eine klare und hinreichende Definition geben kann. Dennoch müssen wir mit einer ersten und allgemeinen Feststellung in dieser Frage beginnen, um in unsere folgenden Ausführungen über Form Zusammenhang und eine gewisse Festigkeit zu bringen. Die ersten ganz leeren Bestimmungen werden sich dann im Verlaufe unserer Arbeit weiter präzisieren. Wir werden unsere Feststellung natürlich von vornherein so fassen, wie wir sie für unsere Interpretation der Hegelschen Logik gebrauchen können. Aber da Hegel selbst die gesamte Tradition des abendländischen metaphysischen Denkens aufzuheben beabsichtigt, so müssen auch unsere Bestimmungen derart sein, daß sie uns den vergleichenden Zugang zu anderen bedeutenden Denkern nicht gerade versperren. Unsere Schwierigkeit ist also, daß wir einerseits einen Begriff von Form, nämlich den Hegelschen, vor uns haben, andererseits aber immer wieder (wie schon bisher) gezwungen sind, über

di e

Form innerhalb

der abendländischen Metaphysik zu reden. An dieser Schwierigkeit hilft uns nichts vorbei, denn es ist unmöglich, Hegel zu interpretieren, ohne ständig den Blick durch die Geschichte des metaphysischen Denkens gehen zu lassen. Wie

15 mit diesen Schwierigkeiten fertig zu werden ist, kann sich nur auf dem Wege selbst ergeben. Wir dürfen uns hier auf Hegel berufen: Schwimmen lernt nur, wer ins Wasser geht. Eine Bestimmung dessen, was Form ist, wird uns in die Bereiche jener ab¬ strakten Begriffe und Kategorien führen, wie wir sie bei manchen vorsokratischen Denkern, vor allem aber in den spätplatonischen Dialogen finden. Be¬ grenzendes

und

Unbegrenztes,

Selbigkeit

und

Andersheit,

Bewegung

und

Ruhe, — dies sind solche abstrakten Begriffe. Hegel selbst mag uns sagen, für wie wichtig er solche Begriffe erachtet: „Derjenige, der das Spekulative nicht kennt, hält nicht dafür, daß mit einer Bezeichnung solcher einfachen Begriffe das absolute Wesen ausgesprochen sei. Eins, Viele, Gleiches, Ungleiches, Mehr, Minder sind triviale, leere, trockene Momente. Daß in ihren Verhältnissen das absolute Wesen, der Reichtum und die Organisation der natürlichen, wie der geistigen Welt befaßt sei, scheint dem nicht, der an die Vorstellung gewöhnt, aus dem sinnlichen Wesen nicht in den Gedanken zurückgegangen: — daß Gott im spekulativen Sinne damit ausgesprochen ist, das Erhabenste in diesen ge¬ meinen Worten, das Tiefste in diesen bekannten, oben und offen liegenden, das Reichste in der Armut dieser Abstraktionen" (JA 17,269 f.). Dies ist bei Betrachtung der Pythagoräischen Philosophie gesagt — und Aristoteles erklärt, ebenfalls in Auseinandersetzungen mit der Pythagoräischen und Platonischen Philosophie: „Von allem das Schwierigste zu betrachten und für die Erkenntnis der Wahrheit das Notwendigste ist, ob das Seiende und das Eine (to ov xal tö ev)

die Wesen der seienden Dinge sind ..." (Met 1001a4). Die Wichtigkeit

und die Bedeutung solcher abstrakten Untersuchungen scheint also nach dem gemeinsamen Zeugnis von Aristoteles und Hegel außer Zweifel zu sein. Im Bereich derjenigen Begriffe, die Hegel als „triviale, leere, trockene Mo¬ mente" angeführt hatte, haben wir uns umzusehen, wollen wir bestimmen, was Form ist. Unter diesen aber sind schon in der spätplatonischen Philosophie — und dann noch deutlicher bei Plotin — die „Selbigkeit" und die „Andersheit", toutÖtt]c; und etEpörrig die wichtigsten. Früher aber hatten wir bereits gesehen, daß Form auch immer Grund sein soll, — forma ist wesentlich causa formalis. Der Grund wird also neben Selbigkeit und Andersheit treten, und aus dieser Dreiheit wollen wir unsere erste Bestimmung von Form herausziehen. Aber diese drei Momente — Selbigkeit, Andersheit und Grund — können auch nicht beziehungslos nebeneinander stehen bleiben. Die Form soll ja nicht ein unbegreifliches Aggregat, eine „Mischung" dieser Momente sein, sondern eine wirkliche Einheit. Als die erste Definition von Form, die sich erst im weite¬ ren Verlauf unserer Erörterungen erläutern und auch rechtfertigen kann, wollen wir darum nehmen: Form ist Grund von Selbigkeit und Andersheit, Grund von Einheit und Unter¬ schied. Diesen Begriff von Form werden wir zunächst einmal voraussetzen. Daß manches, was man auch Form zu nennen pflegt, so vor allem die „Formen der Anschauung" Raum und Zeit, vielleicht nicht unter diesen Begriff von Form

16 fällt, soll uns sogleich noch beschäftigen. Aber zu unserer Definition ist vorher noch anderes zu sagen. Sie hat nämlich den Sinn, daß Einheit und Unterschied stets etwas Begründe¬ tes sind oder, wie Hegel meist sagt, etwas Vermitteltes. Vermitteltsein hat gerade die Bedeutung von „Hervorgegangensein aus etwas", aus dem Grund. „Die Vermittlung ist ein Hinausgegangensein aus einem Ersten zu einem Zwei¬ ten und Hervorgehen aus Unterschiedenen" (Enz § 86), sagt Hegel einmal, dgl. „Denn Vermittlung ist ein Anfängen und ein Fortgegangensein zu einem Zwei¬ ten, so daß dies Zweite nur ist, insofern zu demselben von einem gegen das¬ selbe Andern gekommen worden ist." (Enz § 12). Einheit und Unterschied wer¬ den als ein solches zweites gefaßt, das nur ist, insofern man von einem Andern zu ihm gekommen ist. Vieles, was uns in unserm gewöhnlichen Leben und Denken völlig selbst¬ verständlich ist, darf für den Philosophen nicht selbstverständlich sein. Die Philosophie hat gerade das gemeinhin Selbstverständlichste in Frage zu stellen. Insofern gehört der umfassende und totale Zweifel durchaus zu ihrem Wesen. Etwas, was nun für jedermann und zu jeder Zeit selbstverständlich scheint, ist dies, daß es Unterschiede gibt. Unterschiede sind da, sind vorhanden, man hat sie. Gerade dies aber darf für den Philosophen am wenigsten selbstverständlich sein. Man kann sogar mit gutem Recht sagen, die Philosophie sei genau in dem Augenblick entstanden, als es aufhörte selbstverständlich zu sein, daß es Unter¬ schiede gibt. Dieser Augenblick war in dem Denken der frühen Griechen ge¬ kommen. Die geschichtliche Größe des parmenideischen Denkens nämlich beruht darin, daß in ihm zuerst es grundsätzlich fragwürdig wurde, wie es sich mit dem Unterschied verhalten möchte. Parmenides als Erster stellte die gewöhnlichste Selbstverständlichkeit in Frage. So wird er den Ehrentitel mit Recht tragen, den Reinhardt ihm gegeben hat: der erste Metaphysiker zu sein. Die Metaphysik ist so durch ihre Entstehung unauflöslich mit der Frage verwoben, wie Unter¬ schied möglich ist. Es ist ihr durch Parmenides gleichsam in die Wiege gelegt, daß für sie in keinem Falle selbstverständlich sein darf, daß es Unterschiede gibt, denn Parmenides stellte fest: es gibt keine. Er hat die Geschichte der Metaphysik mit diesem großen Gedanken sicherlich weitgehend bestimmt; auch der Satz „forma dat esse rei" wäre ohne ihn nicht zu denken gewesen. Wir werden seine Frage, die Frage nach der Möglichkeit von Unterschied überhaupt, darum die „eleatische Frage" nennen. Diese eleatische Frage dürfte immer wieder den metaphysischen Fragen aus¬ drücklich oder unausdrücklich zu Grunde gelegen haben. So möchten wir z. B. auch die Frage Kants nach der „Möglichkeit einer Verbindung überhaupt" (KdrV B § 15, Überschrift) in die Geschichte dieser eleatischen Frage hinein¬ stellen, denn Verbindung und Unterschied stehen, wie man schon aus unserer Definition von Form ersieht und wie sich noch weiterhin erweisen wird, nicht so sehr weit auseinander. Bei dem nachkantischen deutschen Idealismus aber werden wir es bewußt und ausdrücklich formuliert finden: die Metaphysik hat die Differenz zu denken, sie ist an die eleatische Frage geknüpft.

17 Hegel sagt einmal — und zwar bei Gelegenheit seiner Darstellung der „abso¬ luten Substanz" Spinozas —: „Dies ist im Ganzen die spinozistische Idee. Es ist dasselbe, was bei den Eleaten das öv. Es ist die morgenländische Anschauung, die sich mit Spinoza zuerst im Abendlande ausgesprochen hat. Im Allgemeinen ist darüber zu bemerken, daß das Denken sich auf den Standpunkt des Spinozismus gestellt haben muß; das ist der wesentliche Anfang alles Philosophierens. Wenn man anfängt zu philosophieren, so muß man zuerst Spinozist sein. Die Seele muß sich baden in diesem Aether der einen Substanz, in der Alles, was man für wahr gehalten hat, untergegangen ist." (JA 19,376). Wir führen diese Sätze an dieser Stelle an, weil Hegel in ihnen etwas über den „wesentlichen Anfang alles Philosophierens" sagt, und diesen Anfang un¬ mittelbar zwar auf Spinoza, mittelbar aber auch, wie wir das soeben getan haben, auf das eleatische Denken bezieht. Hegel setzt den wesentlichen Gedanken Spinozas mit dem wesentlichen Gedanken der Eleaten gleich. Auch anderswo nennt Hegel diesen Anfang, — so bei seiner Darstellung der „orientalischen Philosophie" (vgl. JA 17,181), aber auch bei der der Eleaten selbst (vgl. JA 17,310; sowie „Mit Parmenides hat das eigentliche Philosophieren angefangen", 312. Vgl. außerdem JA 8,206). Meist aber bezieht sich Hegel für diesen Zu¬ sammenhang auf Spinoza, weil dieser zu seiner Zeit für Dichter und Denker von lebendigster Aktualität war, wogegen Parmenides damals Gegenstand ge¬ lehrter Historie blieb. Heute ziehen wir vor, den „wesentlichen Anfang alles Philosophierens" auf den geschichtlich wesentlichen Anfang der Metaphysik zu beziehen, auf Parmenides. Was Hegel das „Baden im Aether der einen Substanz" nennt, drücken wir also — ein wenig formaler vielleicht, doch dadurch wohl zugänglicher — wie folgt aus: man muß aufhören, den Unterschied vorauszusetzen, ihn als etwas Vor ab¬ setzbares zu betrachten. — Das Vorhandene ist Vorausgesetztes, und umgekehrt, alles Vorausgesetzte ist nichts Wesentlicheres als ein Vorhandenes. Unterschiede aber „sind nicht vorhanden". „Wenn man anfängt zu philosophieren, so muß man zuerst Spinozist sein", sagt Hegel: die Selbstverständlichkeit, daß es Unter¬ schiede gibt, soll uns, wenn wir unseren Weg beginnen, vergangen sein. Wir sollen „nach-parmenideisch" philosophieren. Die Wissenschaft von der Form, von dem Grund von Einheit und Unterschied, ist zugleich auch die Wissenschaft, die sozusagen die Antwort auf die eleatische Frage geben soll. Dieser Grund, der die Vermittlung von Einheit und Unter¬ schied enthält, soll uns zeigen, w i e Unterschied möglich ist, und was es über¬ haupt mit ihm auf sich hat. Darum ist es auch für uns erforderlich, wenn wir der Wissenschaft von der absoluten Form nachfolgen wollen, daß wir durch diese „eleatische Krisis" hindurchgehen. Der Gedanke, der in der Geschichte der abendländischen Metaphysik am Anfang steht, daß es keinen Unterschied „gibt", — dieser Gedanke muß auch bei uns, so gering und unbedeutend unser Weg auch immer sein mag, dennoch ebenso wie bei jenem Weg am Anfang stehen. Auch für uns muß dies das am wenigsten Selbstverständliche sein: es gibt Unterschiede. — Diese Erörterungen erlauben uns auch bereits jetzt, von

18 dem dunklen Satz „forma dat esse rei" schon ein wenig mehr zu verstehen. Diesen Satz haben wir ja bisher nur so hingestellt, ohne nach seinen Gründen zu fragen. Wir wissen gar nicht, was für ihn spricht. Zu diesen Gründen aber finden wir nun bereits einen ersten Zugang. Plotins Schrift über das Gute oder das Eine (Enn. VI,9) beginnt mit dem Satz „Alles Seiende ist durch das Eine ein Seiendes". Das Eine in diesem Gedanken ist dasjenige, was Grund der Einheit ist für alles, was ein Eines ist. Nach unserer Definition also ist es die Form, die Plotin freilich vor allem oder gar ausschlie߬ lich als Grund von Einheit denkt. Die andere Seite der Form, das Grundsein für Differenz, ist hier hinweggefallen. Für Plotin ist demnach dies das am wenigsten Selbstverständliche, daß etwas ein Eines ist. Auch Plotin steht, und zwar in ganz besonderer Weise, in der Tradition der eleatischen Frage. Nun i s t etwas nur, wenn es ein Eines

ist. Denn, so fragt Plotin, was

könnte es sein, wenn es nicht ein Eines ist? Was also dem Etwas seine Einheit gibt, das gibt ihm sein Sein. Die Form ist Grund von Einheit, sie gibt Einheit, folglich: forma dat esse. Wenn es für uns aufhört selbstverständlich zu sein, daß etwas ein Eines ist, wenn wir nach einem Grund der Einheit fragen, dann führen wir sogleich auch das Sein dieses Etwas, dieser res auf das Andere zurück. Mit der Einheit wird das Sein selbst fragwürdig. Für unsere Erörterung ist wichtig der Zusammen¬ hang, der ‘sich auf diese Weise ergibt zwischen dem Satz „forma dat esse rei" und unserer Definition von Form: Form ist Grund von Einheit und Unterschied. Beides spricht von demselben einen Gedanken. Bisher haben wir — da wir Hegels Wissenschaft der Logik als einen Text der idealistischen Metaphysik interpretieren wollen — uns ganz allgemein mit dem Begriff „Idealismus" beschäftigt. Wir haben über den ausgezeichneten Rang der Form in diesem Idealismus gesprochen, wir haben auch die ersten Vorstellungen gewonnen davon, was hier als Form gedacht wird, und wir haben die wesentlichen Fragen nach der Möglichkeit von Einheit und nach der Möglichkeit von Unter¬ schied kennengelernt. Von uns selbst fordern wir ein in metaphysischer Weise „kritisches" Denken: es soll uns nicht mehr selbstverständlich sein, daß es Einheit und Unterschied gibt. Wir haben uns als „nach-parmenideisch" auszu¬ weisen. Aber Hegel gehört nicht nur überhaupt dem Idealismus, er gehört dem neu¬ zeitlichen Idealismus an. Auch hiervon soll noch die Rede sein. Um eine Philosophie überhaupt als Idealismus zu kennzeichnen, haben wir als Kriterium das Verhältnis von Form und Ding benutzt. Für die wichtigste Unterteilung des Idealismus soll nun das Verhältnis von Form und Ich als Kriterium dienen. Wir wollen einen Idealismus „transzendental" nennen, wenn er die Form als subjektiv denkt (dann wird also das Ich zum Grund von Einheit und Unterschied), — jeden anderen Idealismus aber wollen wir „transzendent" nennen (so etwa wird dieser Ausdruck innerhalb des deutschen Idealismus gebraucht). Der transzendentale Idealist behauptet also die Abhängigkeit von Einheit und Unterschied vom Ich, der transzendente Idealist deren Unabhängig-

19 keit vom Ich. Dieser letztere macht sie von einem Grund abhängig, der nicht Ich ist, der jenseits, „transzendent” ist. Platons Ideenlehre mag uns eine Vor¬ stellung geben von einem „transzendenten Idealismus”, insofern die Ideen außerhalb des Subjektes sein sollen. Daß hier wie bei dem vorigen Punkt manche Zwischenlösungen möglich oder notwendig sind, ändert nichts daran, daß solche grundsätzlichen Bestimmungen uns zur Übersicht und Klarheit sehr dienlich sein können — nicht nur zu Zwecken der Sprachregelung. Alles Verwickelte läßt sich leichter lokalisieren, sind einige einfache, umrißhafte Züge vorgegeben. Und an Verwickeltheit wird es uns bei Hegels Logik nicht fehlen. Hegel als neuzeitlicher Idealist steht prinzipiell auf dem Boden der Subjektivi¬ tät. Kant als erster hatte den Gedanken des transzendentalen Idealismus oder der Subjektivität der Form gefaßt, und was diesen einen Gedanken betrifft, so ist keiner der idealistischen Nachfolger Kants von seinem Wege abgewichen. Eine Form unabhängig vom Ich — das wäre für jeden von ihnen ein sinnloser Begriff gewesen. Wenn für den Idealismus überhaupt die Form so sehr in der Mitte der denkerischen Bemühung steht, so wird für den transzendentalen Idealismus, der sich gründet in der Nähe, die Ich und Form zueinander haben, das Ich ebenso sehr in die Mitte rücken. Die Wissenschaft von der Form wird notwendig zur Wissenschaft vom Ich werden, und umgekehrt. Dadurch aber wird das Ich auch in besonderer Weise rätselhaft und fragwürdig, der Satz Wittgensteins „Das Ich, das Ich ist das tief Geheimnisvolle!" (Schriften I, 173) gilt am nachdrücklichsten für den Transzendentalphilosophen. Hegel spricht von dem „absoluten Gebot: erkenne dich selbst”^ (Enz § 377). Auch seine Wissenschaft der Logik gehört unter dieses Gebot. Die Erkenntnis des Ich gibt nach Hegel sogar erst die absolute Grundlage alles philosophischen Erkennens (eben wegen ihres Zusammenhanges mit der Erkenntnis der Form). Hegel rühmt es an Kant, daß er der Philosophie mit seinem Gedanken von der Subjektivität der Form diese absolute Grundlage gegeben habe, aus der alle Wahrheiten über die Form wie über das Ich stammen. Er sagt: „Ebenso ist das hohe Verdienst anzuerkennen, daß die kantische Philosophie Ich als die reine Apperzeption herausgehoben, die Erkenntnis desselben nicht mehr als auf Seelending, auf die metaphysischen Prädikate, ob es materiell sei oder nicht, gestellt hat, sondern auf sein wahrhaftes Wesen, nämlich auf die reine Iden*-;f’f d «■>*■, Selbstbewußtseins mit sich, die Freiheit; damit, daß dieses als das Wesen und die Substanz der sogenannten Seele erfaßt worden ist, ist der absohne Grund für das philosophi¬ sche Erkennen gelegt worden.” (JA 6,45 f.). Das „Erkenne dich selbst” entstand ebenfalls im frühen Griechentum — wenn auch einem völlig anderen Bereich als die eleatische Frage nach der Möglichkeit von Unterschied. Es hat ursprüng¬ liche eine religiöse Bedeutung, nicht jene philosophische, die ihm von Platon an viele Philosophen gegeben haben. Dennoch ist das „Erkenne dich selbst” inzwischen längst in die Philosophie eingebürgert, — gleichsam eine „Erwerbung von Eigentum aus der Bearbeitung”. Daß man Thaies, dem „ersten Philosophen”, diesen Spruch zugeschrieben, hat wohl keine historische, aber um so mehr

20 symbolische Wahrheit. Innerhalb der idealistischen transzendentalen Metaphysik zeigt sich die wesenhafte Zusammengehörigkeit jener beiden griechischen Auf¬ träge „Erkenne dich selbst” und „Erkenne den Unterschied”. Die Transzendental¬ philosophie will zeigen, wie der eine Auftrag nur zu erfüllen ist durch die Erfüllung des anderen, — oder wie, hegelisch gesprochen, jeder an ihm selbst seine Einheit mit dem anderen erweist. Vor Kant gehörte beides nur an sich zusammen, durch Kant ist diese Zusammengehörigkeit auch für das Denken herausgetreten. Darum kann Hegel sagen, die Kantische Transzendentalphilo¬ sophie, die die Möglichkeit von Synthesis vom Wesen des Ich her begreift, habe den absoluten Grund für das philosophische Erkennen gelegt. Auch wir werden uns bei unseren Interpretationen Mühe geben, diese Zusammengehörigkeit immer wieder sichtbar werden zu lassen, — hier am Anfang sei dies nur als eine wichtige Aufgabe vorangestellt. Doch zurück zu unserer Bestimmung dessen, was als transzendentaler Idealis¬ mus gelten soll. Wenn die Art, wie wir ihn von dem transzendenten unter¬ schieden haben, sinnvoll sein soll, so müssen wir offenbar annehmen, daß das Ich sich in grundsätzlich anderer Weise auf Form bezieht als das Ding. Ja eigentlich darf das Ich ebensowenig wie die Form selbst ein Ding sein. Die Form soll kein Ding sein, — das haben wir früher gesagt, und das Ich soll sich eben¬ falls dem Begriff nach vom Ding unterscheiden. Das Ding ist in der Weise auf Form bezogen, daß es von dort her sein Sein empfängt, also passiv. Das Ding ist Geformtes, d. h. Geeintes und Unter¬ schiedenes. Das Ich aber soll sich anders auf die Form beziehen, — und zwar zunächst als Erkennendes. Das Ich erkennt Form, in allem Erkennen verhält es sich ganz wesentlich zur Form. Dieses erkennende Verhalten zur Form kann nun ebenfalls als ein passives gedeutet werden, — ja man betrachtet es sogar aus¬ drücklich in Analogie zu dem Verhältnis von Ding und Form, indem man sich auf Aristotelische Gleichnisse beruft. Man sagt, die Seele nehme die Form auf wie das Wachs einen Eindruck. Hegel aber unterwirft dieses Bild seiner Kritik, er sagt: „In jenem Bilde fehlt dies, woran nicht gedacht wird, daß nämlich das Wachs die Form in der Tat nicht auf nimmt; dieser Eindruck bleibt eine äußer¬ liche Figur, Gestaltung an ihm, aber keine Form seines Wesens. Würde diese Form die Form seines Wesens, so hörte es auf. Wachs zu sein. Hingegen bei der Seele nimmt diese die Form selbst in die Sustanz der Seele auf, assimiliert sie, und so, daß die Seele an ihr selbst gewissermaßen alles Empfundene ist; Die Seele ist die Form, die Form ist das Allgemeine; und das Aufnehmen des¬ selben ist nicht, wie das des Wachses. Das Aufnehmen ist ebensosehr Aktivität der Seele; nachdem das Empfindende gelitten, hebt es die Passivität auf, bleibt zugleich frei davon.” (JA 18,380). Wir führen dies an, um uns klar zu machen, daß sich Seele und Wachs, Ich und Ding in sehr verschiedener Weise auf Form beziehen, — ja man wird, wenn man den Unterschied von Ich und Ding begreif¬ lich machen will, an diesen Unterschied in der Beziehung auf Form anknüpfen müssen. Es gehört zum Wesen des Ich, daß es sich in aktiver und spontaner Weise auf Form bezieht, während das Ding ihr gegenüber passiv bleibt. Den

21 Unterschied der beiden Verhältnisse „Ich - Form" und „Ding - Form" zu begreifen gehört ebenfalls zu den wichtigsten Aufgaben der Form-Metaphysik. Für den transzendentalen Idealismus ist nun erst recht klar, daß sich das Ich in schlechthin anderer Weise auf Form beziehen muß als das Ding. Das Ich wird noch viel grundsätzlicher als aktiv, als spontan begriffen. Fichtes Idealismus der Tat ist hierfür das deutlichste Beispiel. Die Tat ist, wie Faust es fordert, im Anfang. Das Ich ist das Formende, das Ding das Geformte, das Ich das Einende und Unterscheidende, das Ding das Geeinte und Unterschiedene. Dies soll als eines der wesentlichen Kennzeichen für Subjektivität festgehalten werden. Es ist für das Ich keine äußerliche Eigenschaft, daß es zu formen vermag; dies gehört vielmehr zu seinem innersten Kern und Wesen, — ja das Ich ist eigentlich das Formen selbst. Der Begriff „Subjekt" wird durch diese Vorstellungen allerdings sehr er¬ weitert, er wird in gewisser Weise mehrdeutig. Es gehört zu unserer Erörterung des

„transzendentalen

Idealismus",

daß

wir

auf diese Mehrdeutigkeit,

die

genauer eine Doppeldeutigkeit ist, nunmehr eingehen. Das Ich ist dem gewöhnlichen Vorstellen bekannt als das Subjekt des Bewußt¬ seins. Auch das philosophische Denken vor Kant hatte das Ich in dieser Weise aufgefaßt. Kant als erster aber denkt das Ich auch als Subjekt der Form. Das Ich wird also nun unter einem zweifachen Aspekt gesehen: einmal als Subjekt der Form, einmal als Subjekt des Bewußtseins. Für das transzendentalphilosophi¬ sche Denken entsteht damit gerade wegen der Rede von der Subjektivität der Form die Verpflichtung, diese beiden Subjekte sorgfältig zu unterscheiden und auseinander zu halten. Damit ist nicht gemeint, daß es sich hier um zwei verschiedene Iche (wie etwa zwei Personen) handelt. Aber dennoch ist es nicht möglich, beide Subjekte einfach ineinander fallen zu lassen. Für das vorkantische metaphysische Denken war meist Gott das Subjekt der Form gewesen — über diesen „theologischen Aspekt" der Form-Metaphysik werden wir bald sprechen —, während das menschliche Ich nur als Subjekt des Bewußtseins verstanden wurde. Damit war ein einfacher, beinahe greifbarer Unterschied gegeben (wenn auch natürlich Gott seinerseits wieder Subjekt eines Bewußtseins

war).

Dem

transzendentalphilosophischen Denken wird

dieser

Unterschied ungreifbarer, aber er bleibt, und bleibt auch grundsätzlich bedeutsam. Freilich müssen wir sagen, daß diese Unterscheidung zwischen dem Subjekt der Form und dem des Bewußtseins innerhalb der Geschichte des Idealismus selbst erst allmählich herangewachsen ist, und zwar aus einer anderen Unterscheidung innerhalb des Subjektes des Bewußtseins, zwischen dem transzendentalen und dem empirischen Bewußtsein. Bei Fichte ist noch durchgängig von Bewußtsein (wenn auch von „transzendentalem" oder „reinem") die Rede, in Schellings „System des transzendentalen Idealismus" ist die Unterscheidung zum ersten Male deutlich gegeben. Dies ihr geschichtliches Hervorgehen kann hier nicht betrachtet werden, wir müssen uns damit begnügen, die Notwendigkeit dieser Unterscheidung für uns sachlich zu motivieren.

22 Der Grund für diese Notwendigkeit, das Subjekt der Form von dem des Bewußtseins zu unterscheiden, ist zunächst ein sehr einfacher: das Bewußtsein ist selbst etwas Geformtes, es gehört auf die Seite des rcEHegacriiEVOV. Das Subjekt der Form aber soll das Formende sein, es gehört auf die Seite des jtEßag. Wir können diesen Unterschied auch etwas näher an Kantische Vorstellungen aussprechen: Jede Erscheinung ist Produkt von Ich und Ding an sich. Auch das Bewußtsein ist also, insofern es Erscheinung ist, ein Produkt des Ich (ob auch hier etwas dem Ding an sich Entsprechendes mitwirkt, ist für unsere gegen¬ wärtige Überlegung bedeutungslos). Das Bewußtsein als Produkt aber ist von dem produzierenden Ich unterschieden. Wir haben also em produzierendes Ich und ein produziertes Ich, — zwar nicht so, als ob es zwei wirklich verschiedene Iche wären, aber dennoch offenbar unterschieden. Das produzierende und das produzierte sind keinesfalls einfach dasselbe. Dieser Unterschied entspricht dem¬ jenigen, den wir vorhin zwischen dem Ich als Jtepag und dem Ich als jrejtspaopiivov gemacht haben. Denn die Grenze, rtepag, wird hier als tätiges spontanes Begrenzen, als Hervorbringen von Grenze gedacht, unter die, wie es schon in den für

Philolaos

überlieferten

Fragmenten

heißt,

„jrepouvovra"

gezählt.

Das

nemumnuevov auf der anderen Seite entspricht dem Produzierten. In diesem Sinne wollen wir das transzendentale und das empirische Subjekt unterscheiden. Die Empirie ist das (nach Kant durch Ich und Ding an sich) Produzierte, das empiri¬ sche Ich gehört unter das Produzierte. Das transzendentale Ich dagegen soll in unserem Sprachgebrauch das produzierende Ich sein, zugleich das Subjekt der Form. Das Subjekt des Bewußtseins soll von dem Subjekt der Form unterschie¬ den werden, so lange die Frage noch offen steht, in wie weit es produziertes, in wie weit produzierendes ist. Wenn wir beides in eins fallen ließen, würden wir ein wichtiges und schwieriges Problem einfach überspringen. Es sei an dieser Stelle ohne nähere Begründung angeführt, daß sich vom Standpunkt des nachkantischen Idealismus aus die Probleme der eigentlichen Erkenntnistheorie sogar darauf reduzieren, die dialektische Identität des Subjekts der Form und des Subjekts des Bewußtseins begreiflich zu machen. Weder die völlige Trennung beider Subjekte (wie sie der transzendente Idealist behauptet) noch ihre völlige Ineinssetzung würde die Erkenntnis begreiflich machen. Es bleibt also nur die „Vermittlung von Identität und Differenz", das dialektische Denken. Das Moment der Trennung beider Subjekte ist erforderlich, um die Passivität, das Sein-bei-Anderem des Bewußtseins möglich zu machen, und die Identität beider ist erforderlich, damit überhaupt Erkenntnis sein kann. An Hand der Transzendentalphilosophie Fichtes und Schellings ließen sich diese Gedankengänge ausführlicher verfolgen, als dies hier geschehen kann. Dort sieht man, wie sich das Problem ergibt, das Verhältnis von Subjekt der Form und Subjekt des Bewußtseins dialektisch zu begreifen. Gegenwärtig aber suchen wir ja nur nach Gründen, die nahelegen, dem Unterschied dieser beiden Subjekte die nötige Aufmerksamkeit zu schenken.

23

Auch bei den Fragen, die das Ding an sich betreffen, ist der Unterschied eines Subjektes der Form und eines Subjektes des Bewußtseins sehr wichtig. Was z. B. Schelling in seinem „System des transzendentalen Idealismus" über das „Ding an sich" sagt (SW III, 421 ff.), kann man überhaupt nur verstehen, wenn man sich vor Augen hält, daß ein Ding an sich bezüglich des Form-Ich etwas anderes ist als ein Ding an sich bezüglich des Bewußtseins-Ich. Das erstere erkennt Schelling überhaupt nicht mehr an, das letztere benötigt er, um gerade die Differenz zwischen dem Subjekt der Form und dem des Bewußtseins, d. h. um die Endlichkeit und Passivität des Bewußtseins zu erklären. Auch dies sei hier lediglich angeführt in der Absicht, uns selbst zur sorgfältigen Beachtung dieses Unterschiedes von Form und Bewußtsein im Ich zu nötigen. Was schließlich die Hegelsche Logik selbst betrifft, so seien hier nur wenige Stellen angeführt, an denen Hegel über das Verhältnis von Bewußtsein und Logik spricht. Hegel betrachtet die Form in seiner Wissenschaft der Logik, das Bewußtsein aber erst in der Philosophie des Geistes (und zwar im besonderen unter dem Titel „Phänomenologie des Geistes", Enz §§ 413 ff.). Wenn Hegel in der Logik vom Subjekt spricht, so werden wir uns hüten müssen, sogleich das Subjekt des Bewußtseins unterzuschieben. Hören wir Hegel selbst: In der Einleitung zu seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie heißt es: „Die Wissenschaft, wo wir den reinen, allgemeinen Gedanken zum Gegenstand haben, ist die Logik. Gewöhnlich pflegt man zwar nur das subjektive Denken, den Gedanken in der Form des bewußten Denkens in der Logik zu betrachten; der Wert des Gedankens, glaubt man, liege auf der Seite des Subjekts. In der Philosophie aber hat man zwar auch den Gedanken zum Gegenstand, aber nicht bloß als etwas Subjektives, als eine innere Tätigkeit in uns, sondern den Ge¬ danken in dem Sinne, daß er objektiv, allgemein ist, also Gedanke und All¬ gemeines ist eins." (EGPh 224 f.). Und in seiner Logik sagt Hegel: „Für den wirklichen Fortschritt der Philosophie aber war es notwendig, daß das Interesse des Denkens auf die Betrachtung der formellen Seite, des Ich, des Bewußtseins als solchen, d. i. der abstrakten Beziehung eines subjektiven Wissens auf ein Objekt, gezogen, daß die Erkenntnis der unendlichen Form, d. i. des Begriffs, auf diese Weise eingeleitet wurde. Um jedoch diese Erkenntnis zu erreichen, mußte jene endliche Bestimmtheit, in der die Form als Ich, Bewußtsein ist, noch abgestreift werden. Die Form, so in ihre Reinheit herausgedacht, enthält es dann in sich selbst, sich zu bestimmen, d. i. sich Inhalt zu geben, und zwar denselben in seiner Notwendigkeit, — als System der Denkbestimmungen." (L 1,46). Hegel äußert sich noch ein drittes Mal zu unserer Frage an einer Stelle, die wir später in ausführlicherem Zusammenhänge heranziehen wollen, und wo es u. a. heißt: „Ebenso ist hier auch der Begriff nicht als Aktus des selbst¬ bewußten Verstandes, nicht der subjektive Verstand zu betrachten, sondern der Begriff an und für sich, welcher ebensowohl eine Stufe der Natur als des Geistes ausmacht." (L 11,224). Dem zweiten dieser Zitate entnehmen wir, daß die philosophische Untersu¬ chung des Ich, des Bewußtseins nur eine Einleitung war für die Erkenntnis

24 der unendlichen Form. Die Erkenntnis des Bewußtseins ist ein Weg, der wegen der Nähe des Bewußtseins zur Form hinführt zu der Erkenntnis der Form, aber noch nicht Erkenntnis der Form selbst (wie Hegel sogar seinerseits die „Wissen¬ schaft der Erfahrung des Bewußtseins" ursprünglich als Hinführung zur Logik, zur wahren Erkenntnis der Form gedacht hatte). Am Bewußtsein erscheint das, was Form ihrem eigentlichen Wesen nach ist, am adäquatesten, und darum kann eine Untersuchung des Bewußtseins am ehesten zu angemessenen und reinen Begriffen von Form führen. Aber um die Erkenntnis der Form zu er¬ reichen, muß jene endliche Bestimmtheit (das Bewußtsein überhaupt ist jtejtEpaaf-ievov) noch abgestreift werden, die Form muß, wie Hegel sagt, ihre

Reinheit

herausgedacht

in

werden. Dazu aber muß, wie wir

es ausgedrückt haben, das Subjekt der Form von dem Subjekt des Bewußtseins unterschieden werden.

Hegel unterscheidet

das

„Denken als

solches"

vom

„bewußten Denken", aber wir halten unsere Art, diesen Unterschied zu be¬ zeichnen, für etwas deutlicher und weniger schwer verständlich. Worauf alles ankommt, ist der Unterschied von begrenzender Tätigkeit und Bewußtsein, welches beides auch für den Transzendentalphilosophen nicht einfach zusammen¬ fällt. Das „Denken als solches" ist die Macht des Negativen, das Bestimmen — und diese Macht nicht einfach das Bewußtsein. Wenn wir die „Wissenschaft der absoluten Form" interpretieren wollen, so haben wir darauf zu achten, daß wir die Form „in ihre Reinheit herausdenken", denn ohne dies kann uns unser Vorhaben nicht gelingen. Hegels Gedanke läßt sich vorläufig wie folgt zum Ausdruck bringen: Erkennt¬ nistheorie setzt Metaphysik voraus, aber nicht umgekehrt. Einfacher gesagt: Die Erkenntnis von Form ist ihrem Wesen nach ursprünglicher als die Erkenntnis der Erkenntnis. Um über Erkenntnis zu reden, muß ich schon ein Wissen von Form haben, und dies Wissen zu untersuchen und zu prüfen ist eine vorgängige Aufgabe. Zur weiteren Erläuterung dieser Entpsychologisierung der Form sei noch auf eine verwandte Erscheinung in der Metaphysik von Leibniz verwiesen, die Hegel selbst auf diese Weise darstellt: „Die Monade ist also ein Vorstellendes, Perzipierendes, so sagt er, die Monade ist tätig . . . Diese Vorstellungen sind nicht notwendig bewußte Vorstellungen. Bewußtsein ist zwar selbst Perzeption, aber ein höherer Grad

derselben;

Perzeptionen

des

Bewußtseins

nennt

Leibniz

Apperzeptionen . . . Der Ausdruck Vorstellung hat aber allerdings etwas Un¬ geschicktes, da wir gewöhnt sind, ihn nur dem Bewußtsein, und dem Bewußten als solchem zuzuschreiben; Leibniz aber nimmt auch bewußtloses Vorstellen an" (JA 19,459 f.). Hier darf man bemerken, daß Hegels Ausdruck „Denken" in Bezug auf die Logik das gleiche Ungeschickte hat, da wir auch das Denken dem „Bewußten als solchem zuzuschreiben" pflegen. Wir sprechen darum auch lieber von Form oder vom Subjekt der Form (wie nach Leibniz die Monaden „substantielle Formen

sind). Hans Heinz Holz macht zu diesem Begriff der „bewußtlosen

Perzeption

einige Bemerkungen, die auch für uns lehrreich sind, weil sie sehr

25 schön hervorheben, daß das Bewußtseinsmäßige nur von beispielhaftem Charak¬ ter ist für das eigentlich Gedachte, die Form oder die Struktur. Holz schreibt: „Hier, wo Leibniz den Begriff der perception in systematischem Zusammenhang einführt, weist er sofort darauf hin, daß damit nicht etwa ein psychologisch¬ erkenntnistheoretisches Moment gemeint ist, sondern ein das Sein des Seienden betreffender Strukturtitel. . . . Jedoch sind es vorwiegend die höheren Perzep¬ tionen, die des menschlichen Bewußtseins, an denen der allgemeine Sinn der perceptio erläutert wird. Diese Bevorzugung der psychologisch-erkenntnistheore¬ tischen Beispiele bedeutet jedoch nichts anderes, als daß an ihnen die einsichtig¬ sten Analogien zum Wesen jeglichen Seins abgelesen werden können. Die Per¬ zeption des Bewußtseins, also die Apperzeption, ist ein Modellfall für alle Arten Perzeption, ohne daß darum diese anderen Arten ebenfalls Bewußtseinscharakter tragen müßten." (Vgl. H. H. Holz, Leibniz, Stuttgart 1958, S. 33 f.). Wir wollen diese Betrachtungen über den Unterschied eines Form-Ich und eines Bewußtseins-Ich abschließen mit einer kritischen Bemerkung. Die Philo¬ sophie der nachkantischen Idealisten wird sehr häufig — und meist mit ablehnen¬ dem Tone — als „Bewußtseinsmetaphysik" bezeichnet. Wir glauben aber, daß diese Bezeichnung unzutreffend ist und vieles Wesentliche verstellt. Der deutsche Idealismus ist Metaphysik der Form, wie der griechische Metaphysik des eiöog, der scholastische der forma. Daß das Bewußtsein in ganz andere Nähe zur Form gerückt ist als das beim griechischen und scholastischen Denken der Fall gewesen sein mag, ändert nichts an diesem grundsätzlichen Sachverhalt. Es kommt darauf an, das Primäre und Sekundäre zu unterscheiden, — und es macht einen großen Unterschied, ob das Bewußtsein aus der Form, oder die Form aus dem Bewußt¬ sein

gedacht

wird.

Gerade

die

Erneuerung

der

griechischen

Metaphysik

im deutschen Idealismus läßt sich gar nicht verstehen, wenn man diesen als eine „Metaphysik des Bewußtseins" vor Augen hat. Wir wiederholen noch einmal: Gerade der Gedanke der Subjektivität der Form macht es so sehr dringlich. Form und Bewußtsein auseinander zu halten. Und bei Hegel, der wie kein anderer der Idealisten sich auf die gesamte Tradition der Metaphysik, und zumal auf die griechische bezogen hat, wird es doppelt notwendig, die Form „in ihre Rein¬ heit herauszudenken", um die Idee Platons, die evegyeia des Aristoteles in ihr wiederzuerkennen. Die unangemessene Vorstellung von einer „Metaphysik des Bewußtseins" würde uns von vornherein alle Zugänge versperren. Auch eine Metaphysik der subjektiven Form ist keine Metaphysik des Bewußtseins. In diesen ersten und einleitenden Erörterungen der Begriffe „Idealismus" und „transzendentaler Idealismus" haben wir uns mit den Begriffen „Form" und „Subjektivität der Form" beschäftigt, mit deren Hilfe wir jene zu bestimmen versuchten. Als Leitsätze standen über diesen Erörterungen drei Sätze über die Form, nämlich einmal der Satz „die Form gibt dem Ding das Sein", dann unsere erste Definition von Form, die uns jener gewöhnlichen Selbstverständlichkeit be¬ rauben sollte, daß es Einheit und Unterschied einfach gibt: Form ist Grund von Einheit und Unterschied; — als dritten Satz über Form aber könnten wir zusam¬ menfassen: die Form ist Ich. Denn das Ich ist kein Substrat, das die Fähigkeit

26 des Formens als etwas von sich selbst Unterschiedenes an sich hätte, — sondern das Ich selbst ist diese Fähigkeit, ist formende Tätigkeit, und diese Tätigkeit selbst ist seine Substanz und sein Wesen. Sein Ichsein beruht gerade in seinem Formsein. Derart ist das Ich freilich in radikal anderer Weise auf Form bezogen als das Ding (wie wir dies gefordert haben): das Ich hat die Form selbst zu seinem Wesen, das Ding empfängt von ihr als einem Anderen sein Sein. Das Ich hat Form in sich, das Ding außer sich und nur außer sich. Wenn wir später über Hegels Bestimmung der Endlichkeit sprechen, werden wir auf diese Ge¬ danken zurückkommen. Nachdem wir uns mit diesen drei Sätzen in ganz allgemeiner Weise den Horizont geöffnet haben, innerhalb dessen wir die Hegelsche Wissenschaft der Logik zu sehen vermögen, wollen wir uns nun ihrem Text selbst zuwenden. Dabei werden wir freilich zunächst noch weiterhin neben den Einzelheiten auch die allgemeinen Grundlagen der Hegelschen Metaphysik auseinandersetzen müs¬ sen, was an manchen Stellen weite Exkurse mit sich bringen wird.

„Das Wesen bestimmt sich selbst als Grund.”

Hegel beginnt den Abschnitt mit einem Rückblick, einer wiederholenden Erinnerung alles desjenigen, was innerhalb der Logik des Wesens dem Grund vorangegangen war. Das Wesen hatte sich als das Resultat der Entwicklung des Seins, als die „Wahrheit des Seins" (L 11,3) gezeigt, aber sich inzwischen auch seinerseits fortentwickelt.

Das

Resultat dieses

Abschnittes

aus

der logisch¬

dialektischen Geschichte ist der Grund. Ehe nun Hegel mit der Erörterung des Grundes selbst beginnt, wird noch einmal der Weg verfolgt, der von dem Wesen als der Wahrheit des Seins zum Grund geführt hat. Diese Wiederholung werden wir benutzen, um alles für unsere Zwecke Un¬ entbehrliche zu erfahren aus dem Teil der Logik des Wesens, den wir nicht selbst interpretieren. Doch weil wir nicht in der gleichen Lage sind, uns nur an bereits Begriffenes erinnern zu müssen, weil es sich bei uns um die erste Kenntnis¬ nahme handelt, werden wir uns bei dieser Wiederholung auch ausgiebig mit dem Wiederholten selbst beschäftigen müssen. Wir werden im Text der Logik des Wesens ständig zurückblättern müssen, um die Wiederholung des Ver¬ gangenen uns zu vergegenwärtigen. An dem Satz „Das Wesen bestimmt sich selbst als Grund" wäre vor allem dreierlei zu erörtern: was das Wesen ist, was das Bestimmen ist (das sich in diesem besonderen Fall auf das Wesen selbst bezieht), und was drittens der Grund ist. Dies letzte aber sei von vornherein beiseite gestellt, — was der Grund ist, können wir zu späterer Zeit günstiger erfahren. Beginnen wir damit, daß das Wesen etwas Tätiges ist, und daß seine Tätigkeit darin besteht, zu bestimmen. Dies scheint gerade die eigentümliche Tätigkeit der Form zu sein. Die Form ist es, die bestimmt. Demnach wäre das Wesen die Form? Dies wider-

27 spräche nicht unseren früheren Ausführungen über die Form — dasjenige, was das Sein gibt, könnte z. B. mit Recht Wesen genannt werden —, es widerspräche aber auch nicht dem, was wir aus der Geschichte der Metaphysik wissen. Bei Aristoteles ist zwar auch das Andere der Form, die Materie, Wesen, aber nur in sekundärer Weise. Das eigentliche Wesen, das von Natur frühere, wie es etwa Gott zukommt, — dieses Wesen schlechthin ist die Form. Hegels eigene Be¬ stimmungen dessen, was Wesen ist, etwa daß es absolute Reflexion oder Be¬ wegung des Nichts zu Nichts oder dergleichen ist, sagen uns vor der Hand noch nichts, — halten wir also fest, daß hier von einer Tätigkeit der Form die Rede ist, und erläutern wir zunächst einmal diesen Ausdruck. Hegel spricht ja sehr oft von einer Tätigkeit der Form oder gar von einer Bewegung des Begriffs, seine ganze Logik beruht auf dem Gedanken, daß Form etwas Tätiges ist. Zunächst wollen wir einigen geschichtlichen Quellen

für diese Hegelsche

Vorstellung nachgehen, und zwar den beiden wichtigsten: Die eine ist der Idealismus, den Hegel in seiner eigenen Zeit unmittelbar vor sich hatte, vor allem in seiner Fichteschen Gestalt, — die andere ist die Aristotelische Meta¬ physik. Kant hatte die Spontaneität des Ich als „Verbinden" gedacht. Verbinden aber ist eine formale Handlung. Jenes Vermögen, das im systematischen Aufbau der Kantischen Transzendentalphilosophie vielleicht das Wesentlichste ist — und jedenfalls für die weitere Entwicklung des Idealismus das Wesentlichste gewor¬ den ist — nennt Kant „produktive Einbildungskraft". Der Mensch ist in mancher Weise „produktiv" tätig, — aber dieses Produzieren der produktiven Einbildungs¬ kraft ist ursprünglicher als alles andere Produzieren, und es ist wiederum eine formale Tätigkeit: „es ist eine und dieselbe Spontaneität, welche dort, unter dem Namen der Einbildungskraft, hier des Verstandes, Verbindung in das Mannigfaltige der Anschauung hineinbringt." (KdrV B 162). An solche Gedan¬ ken Kants hat die „Tatmetaphysik" Fichtes angeknüpft. Fichte gründet sein ganzes System auf die ursprüngliche erste Tathandlung des Ich: „Also das Setzen des Ich durch sich selbst ist die reine Tätigkeit desselben. — Das

Ich

setzt sich selbst, und es ist, vermöge dieses bloßen Setzens durch sich selbst; und umgekehrt: Das Ich ist, und es setzt sein Sein, vermöge seines bloßen Seins. — Es ist zugleich das Handelnde, und das Produkt der Handlung; das Tätige, und das, was durch die Tätigkeit hervorgebracht wird; Handlung, und Tat sind Eins und ebendasselbe; und daher ist das:

Ich bin Ausdruck

einer Tathandlung; aber auch der einzigen möglichen, wie sich aus der gesamten Wissenschaftslehre ergeben muß." (FW 1,96). Diese Tat ist zwar nicht die Tätigkeit der Form, d. h. das Bestimmen und Begrenzen, — dies vielmehr er¬ scheint bei Fichte erst an späterer Stelle. Die ursprüngliche Tätigkeit ist für Fichte ganz unbestimmt und unterschiedslos. Aber dennoch ist dies dieselbe „ursprüngliche Spontaneität", die auch in allem Formen und Bestimmen des Ich wirksam wird. Das für Hegel wichtige ist, daß hier „das absolute Wesen als reine Tätigkeit bestimmt" worden ist, denn darin liegt es, daß die „absolute Form ergriffen ist" (JA 19,613). Die Tätigkeit des Subjekts bezieht sich auf

28 Form, oder besser, geschieht als Form. Das Tätige in dieser Tätigkeit ist das transzendentale Subjekt, also nach unserer Bestimmung das Subjekt der Form. Wenn Hegel unmittelbar von einer Tätigkeit der Form spricht, nicht von einer Tätigkeit des Ich oder des Bewußtseins bezüglich der Form, so ist dies eine direkte Folge davon, daß die unendliche Form in ihre Reinheit herausgedacht werden soll, — nicht in ihrer endlichen Bestimmtheit als Bewußtsein. Die andere wesentliche Quelle für Hegels Begriff der „Tätigkeit der Form" ist die Aristotelische Metaphysik. Hegel sagt einmal: „Wenn es in neueren Zei¬ ten neu geschienen hat, das absolute Wesen als reine Tätigkeit zu bestimmen: so sehen wir dies aus Unwissenheit des aristotelischen Begriffs. Die Scholastiker haben dies mit Recht für die Definition Gottes angesehen: Gott ist die reine Tätigkeit, ist das, was an und für sich ist; er bedarf keines Materials, — keinen höheren Idealismus gibt es nicht." (JA 18,326). Das Geschehnis aus „neueren Zeiten", an das Hegel hier erinnert, ist eben die Philosophie Fichtes. Aber nach Hegels Meinung irrt Fichte, wenn er seine Gedanken für etwas Neues hält. Er kann so nur denken, weil er die Metaphysik des Aristoteles nicht kennt, aus „Unwissenheit des aristotelischen Begriffs". Denn schon in dieser findet sich nach Hegel der höchste überhaupt mögliche Idealismus: daß das absolute Wesen zugleich reine Form und reine Tätigkeit ist. Das griechische Wort, welches Hegel hier mit „Tätigkeit" übersetzt, lautet „evspyeia". Dies ist einer der Grund¬ begriffe der Aristotelischen Philosophie. Wir können hier die Bedeutung dieses Begriffes nicht darstellen, sondern verweisen auf den „Aristoteles" von W. Bröcker. Dort wird die evegyeia als Bewegtheit und Tätigkeit interpretiert, z. B. heißt es: „Wirklichkeit besagt das Am Werke Sein, Tätigkeit. Das In-einerPhase-Sein des Beweglichen, dies Sein eines Seienden ist also hier als Tätigkeit desselben bestimmt" (aaO. S. 78, vgl. S. 85). Wenn wir später Hegels Begriff der „sichgleichbleibenden Veränderung" darstellen werden, müssen wir noch einmal auf die Aristotelische evepyeia zurückkommen. Auch die evegyeia ist eine „ruhige Tätigkeit", eine Bewegung, die bei sich selbst bleibt. Vorerst wollen wir diese komplizierteren Fragen beiseite lassen und vielmehr allein auf die „Tätigkeit der Form" achten. Hegel stellt die Lehre des Aristoteles von der Substanz (d. h. von der ovala) wie folgt dar: „Der Hauptbegriff der Substanz ist, daß sie nicht nur Materie ist. Alles Seiende enthält Materie, alle Veränderung erfordert ein Substrat (ujtoxei[xevov), an dem sie vorgeht. Die Materie selbst aber ist nur die Potenz, eine

Möglichkeit, sie ist nur övvapei, — nicht die Wirklichkeit, dies ist die Form; daß sie wahrhaft sei, dazu gehört Form, Tätigkeit. . . Erst die Energie, die Form ist die Tätigkeit, das Verwirklichende, die sich auf sich beziehende Negativität/' (JA 18,321). Der Gegensatz von Form und Materie selbst soll uns erst später interessieren, wenn wir an den entsprechenden Abschnitt der Hegelschen Logik gekommen sind. Hier geht es uns allein um das Verhältnis von Form und Tätig¬ keit. Das griechische Wort für das, was Hegel hier „Form" nennt, ist elöog. Nach Aristoteles ist die ouaia und das elöog eveqyeux (vgl. z. B. Met 1050b2). Hegel übersetzt: die Form ist Tätigkeit, das Verwirklichende. Der Satz „forma

29 dat esse rei ; der ja letztlich auf die aristotelische Metaphysik zurückgeht, ent¬ spricht dem sehr genau: das „Geben" ist offenbar eine Tätigkeit, und das „SeinGeben" doch wohl ein Verwirklichen. Hegel selbst führt also seinen Gedanken von der „Tätigkeit der Form" und der „Selbstbewegung des Begriffs" auf diese Aristotelische Bestimmung des £1805

als evepyeia und der

EvegY£ia

Hs

E1805

zurück. Sogar den Gedanken der

Subjektivität sieht er in der Aristotelischen Metaphysik angelegt, wofür hier nur das folgende als Beispiel stehe: „Dies Prinzip der Lebendigkeit, der Sub¬ jektivität, nicht in dem Sinne einer zufälligen, nur besonderen Subjektivität, sondern der reinen Subjektivität, ist Aristoteles eigentümlich." (JA 18,319f) und „Energie ist konkreter Subjektivität, Möglichkeit das Objektive" (ebd. 322). Dies ist zugleich wiederum ein Zeugnis dafür, daß man bei der „reinen Subjek¬ tivität nicht an Bewußtsein denken darf. Die Energie ist Subjektivität im Sinne des Subjekts der Form. Wir haben die Hegelsche Lehre von der Tätigkeit der Form an zwei geschicht¬ lichen Vorbildern zu erläutern versucht: an dem Kantisch-Fichtischen Idealismus, der eine subjektive Spontaneität, eine reine Tathandlung als Grund von Form begreift, — und an der Aristotelischen Metaphysik, die sagt, die Form sei Tätig¬ keit. Und wir haben gehört, daß Hegel selbst den Aristotelischen Gedanken neben das stellt, was in „neueren Zeiten" geschehen ist: das absolute Wesen als reine Tätigkeit zu bestimmen. Hegel selbst sieht also in der metaphysichen Setzung der Tätigkeit eine geschichtlich-dialektische „Selbigkeit", die über die Zeiten reicht und Aristoteles mit Kant und Fichte verbindet. Diese Gedanken gehen in der Tat durch die gesamte Geschichte der Metaphysik hindurch. Die Scholastiker wurden an der angeführten Stelle von Hegel selbst genannt, — vor Kant ist die Metaphysik von Leibniz ein weiteres bedeutendes Beispiel dafür, das Wesen als Form und diese als Tätigkeit zu denken. Hegel ist sich der Tradi¬ tion dieser Gedanken durchaus bewußt, man müßte sie zum Verständnis seiner Logik, seiner Metaphysik der Form eigentlich im ganzen vor Augen haben. Hegels Gedanke, daß die Form Bewegung, ein Tätiges ist, haben wir auf geschichtliche Weise erläutert. Etwas anderes und vielleicht sogar wichtigeres scheint zu sein, diesen Gedanken sachlich und systematisch zu begründen. Dies wäre freilich eine sehr schwierige und weitgehende Erörterung, die außerdem bereits eine gründliche Bekanntschaft mit der Metaphysik der Form voraussetzen würde. Hier kann nur einiges ganz Wesentliche skizziert werden. Stellen wir die Frage einmal so: Warum kann die Form nicht nicht Bewegung sein? Wir argumentieren also indirekt, wir wollen zeigen, daß das Gegenteil zu der zu begründenden Annahme nicht zulangend ist. Den Gedanken, der uns dies zeigen kann, wollen wir vorläufig wie folgt ausdrücken: Das Statische läßt sich als Sonderfall des Dynamischen begreifen, nicht aber umgekehrt das Dynamische als Sonderfall des Statischen, — oder anders: Die Nicht-Bewegung kann wenigstens als Moment der Bewegung gedacht wer¬ den, die Bewegung dagegen nicht als Moment der Nicht-Bewegung. So ist also

30 das Statische etwas Einseitiges gegen das Dynamische, das Dynamische dagegen nichts Einseitiges gegen das Statische. Die Form aber kann — dies ist hier der zweite wichtige Gedanke — nicht Einseitiges sein. Folglich ist Form etwas Dyna¬ misches, nicht etwas Statisches, und dies war es, was gezeigt werden sollte. Wir sehen hier zum erstenmal, daß das Kriterium dafür, ob wir einen wahren Begriff von Form haben, die Nicht-Einseitigkeit ist. Dies Kriterium entscheidet in unserem Fall aus den angedeuteten Gründen dafür, daß die Form Bewegung und nicht Nicht-Bewegung ist. Daß die Nichteinseitigkeit in solcher Weise zum Wahrheitskriterium bezüglich Aussagen über Form wird, ist für die Fiegelsche Philosophie und Form-Metaphysik von der allergrößten Bedeutung. Die Wahr¬ heit ist das Ganze, dieser Satz wäre von hier aus zu begreifen, denn die Totali¬ tät ist das, was nicht einseitig ist. Daß aber die Nicht-Einseitigkeit zum Wahr¬ heitskriterium werden kann, gründet selbst wiederum im Wesen der Form. Wir haben ja die Frage: Warum ist die Form Bewegung?, zurückgeführt auf die Frage: Warum ist die Form etwas Nicht-Einseitiges? Die Beantwortung dieser Frage aber würde uns sogleich in die schwierigsten Fragen bezüglich Form und Wahrheit verwickeln. Hier wollen wir uns zufriedengeben damit, daß die Form nichts Einseitiges sein dürfe und darum Bewegung sein müsse. Inwiefern näm¬ lich die Bewegung auch das Moment der Ruhe in sich enthalten könne (wodurch sie nicht-einseitig wird), werden wir später sehen, dabei wieder auf Aristoteles und seinen Begriff der evepyeia blickend. Die evepyeia wird sich uns als diese nichteinseitige Bewegung im Unterschied zu der einseitigen xivrjaip oder ueraßob) zeigen. Bei Hegel werden wir den entsprechenden Begriff der „sich gleichblei¬ benden Veränderung" finden. Es sei übrigens vermerkt, daß wir Hegels Sprachgebrauch folgen und zwischen „Tätigkeit" und „Bewegung" im allgemeinen nicht unterscheiden werden. Ob Hegel z. B. von der Tätigkeit der Form oder der Bewegung der Form spricht, macht für ihn keinen Unterschied. Wir waren ausgegangen von den Worten „das Wesen bestimmt sich selbst" und hatten die in ihnen sich zeigende Vorstellung von einer Tätigkeit der Form zunächst einmal erläutern wollen. Diese Vorstellung ist eine der allgemeinsten für den gesamten Hegelschen Idealismus und ist darum auch nicht zufälliger¬ weise gleich zu Anfang unserer Interpretation zum erstenmal zur Sprache ge¬ kommen. Aber an das Wort „Wesen" ist eine weitere allgemeine Vorbemerkung an¬ zuknüpfen. Wir haben eben gehört: „wenn es in neueren Zeiten neu geschienen hat, das absolute Wesen als reine Tätigkeit zu bestimmen: so sehen wir dies aus Unwissenheit des aristotelischen Begriffs". Hier ist von dem „absoluten Wesen" die Rede. Dieses absolute Wesen aber ist — wie auch in dem ebenfalls von Hegel genannten Idealismus der Scholastik — Gott. Ähnliches aber finden wir auch in der Logik. So heißt es etwa gleich zu Beginn der Logik des Wesens: „Wenn also das Absolute zuerst als Sein bestimmt war, so ist es jetzt als Wesen bestimmt" (L 11,3). Das absolute Wesen ist der Name, der Gott gebührt. Wir werden auf einen „theologischen Aspekt" der Wissenschaft der Logik geführt.

31 und hierzu müssen wir ebenfalls gleich zu Beginn unserer Ausführungen einiges sagen. Bekanntlich hat Martin Heidegger die „onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik" in einer Schrift herausgestellt, die gerade der Hegelschen Logik gewidmet ist. Hegel selbst bezeugt dieses theologische Moment in den vermut¬ lich berühmtesten Sätzen seiner Logik. Diese Sätze lauten: „Die Logik ist sonach als das System der reinen Vernunft, als das Reich des reinen Gedankens zu fassen. Dieses Reich ist die Wahrheit, wie sie ohne Hülle an und für sich selbst ist. Man kann sich deswegen ausdrücken, daß dieser Inhalt die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen von der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist." (L 1,31). Wir haben also Grund genug, auf diese anspruchsvolle „Theologie" einen Blick zu werfen. Dabei haben wir uns vor allem dessen zu erinnern, daß auf dem Boden der Metaphysik von früh an eine sehr enge „Verwandtschaft" zwischen Gott und Form bestanden hat. Für das metaphysische Denken treten beide Begriffe immer wieder zusammen auf. Auch hier liegt eine ungeheuer inhaltsreiche Überliefe¬ rung vor, die vor Augen haben muß, wer verstehen will, warum Hegel seine Wissenschaft von der Form auch als eine Wissenschaft von Gott bezeichnet. Auch hier ist Hegel Erbe einer langen und großen Vergangenheit. Es macht zunächst noch einen Unterschied aus, ob Gott als Form, oder ob die Form als Gott gedacht wird. Das eine gehört mehr der aristotelischen und scho¬ lastischen, das andere mehr der platonischen Tradition an. Aristoteles denkt Gott als reine Form, für welchen Gedanken wir wieder auf Bröcker (a.a.O. S. 218f.) verweisen müssen. Es ist bekannt, daß diese aristotelische Theologie für das christlich-scholastische

Denken von größter Bedeutsamkeit gewesen ist.

Für

Thomas von Aquin gilt ebenso, daß Gott reine Form ist. In der platonischen Tradition liegen die Dinge ein wenig anders. Dort kann man sagen, daß nicht Gott als Form, sondern die Form als Gott gedacht wird. Zwar ob Platon selbst bereits die „Idee des Guten" bezw. das absolute

„ev"

seiner Spätphilosophie mit Gott gleichgesetzt habe, ist eine Streitfrage unter den Interpreten. Außer Zweifel aber steht, daß in der Geschichte des Platonis¬ mus diese Gleichsetzung vollzogen worden ist. So wird z. B. von dem Platoniker Eudoros (um 25 v. Chr.) berichtet, daß man das ev als oberste Gottheit betrachtet habe. Im Neuplatonismus ist diese Vorstellung bereits geläufig: Das Eine ist Gott. In dem platonischen Dialog „Parmenides" sehen die Neuplatoniker eine Darstellung des Wesens Gottes, — eine Auffassung, die Hegel bekanntlich im allgemeinen geteilt hat (vgl. z. B. JA 18,244). Die reinen abstrakten Momente der Form, das Eine und Viele werden als das innerste Wesen des Göttlichen, als das Absolute gedacht. Auch Hegel sagt: „Der Rhythmus des Göttlichen ist die Entzweiung des Einen wie die Einheit des Entzweiten" (EGPh, 115). An der bereits früher zitierten Stelle JA 17,269f. haben wir gleiches gefunden. Die Form wird als Gott gedacht, — dies ist die Theologie, die auch Hegels Logik gibt. Es ist die Theologie, die für Plotin, Proklos und Hegel im platonischen Parmenides enthalten ist. Wieweit dies von aller gewöhnlichen Gottesvorstellung entfernt ist, mag noch das Folgende bezeugen: Hegels Logik schließt ab mit

32 einem Kapitel über die absolute Idee. Wenn irgendwo, möchte man hier das „Wesen Gottes vor der Erschaffung der Welt" dargestellt finden. Was aber fin¬ det sich in diesem Kapitel? Eine Darstellung der - Methode! Man muß sich klar machen, was darin liegt: eine wahrhafte Apotheose der Methode — einzig¬ artig in der Geschichte der Philosophie. Hegel bringt die ganze große Kraft seiner Sprache zur Anwendung, um diesem Schlußstück seines Werkes auch äußerlich den Glanz und die Macht zu verleihen, die dem dargestellten Gotte zukommen müssen. Aber eben: das Göttliche, Gott ist die Methode. Der Gott, den man allenfalls im platonischen Parmenides finden könnte, scheint noch ein freundliches, zugängliches Wesen zu sein gegenüber der vollkommen fernen, formalen Kälte, die Hegel dem Leser am Ende seines Werkes als Gott mit auf den Weg gibt. Diese Gegenüberstellung des theologischen Anfangs der Logik mit ihrem theologischen Ende ist vielleicht der erschreckendste Anblick, den die Hegelsche Philosophie zu bieten vermag. Aber dieser Anblick enthält, was sowohl darin, daß Gott als Form, wie darin, daß die Form als Gott gedacht wird, seit alters gelegen hat. Der pythagoräisch-platonische Gedanke, die reine Form als Gott zu denken, ist hier in seiner äußersten Schärfe herausgebracht und voll¬ endet. Und wiederum sehen wir, daß Hegel auch hier bewußt sich in diese Tradi¬ tion stellt. Jener Eudoros, der das ev als wiepavco üeog nahm, hatte für sich schon denselben üeog. Auch diese platonische Theologie hat ihre Geschichte gehabt, hat über den Neuplatonismus und Pseudo-Dionysius den Areopagiten in das Christentum hineingewirkt.

Das

gewiß

letzte

große, philosophiegeschichtlich

bedeutsame

Zeugnis für die Form-Theologie, die im ganzen noch auf einer vorkantischen Auffassung von Form beruht, dürfte wohl Herders Schrift „Gott" sein, die 1787, im gleichen Jahr wie die zweite Auflage der KdrV erschienen ist. Dort heißt es — die Szene ist ein Gespräch zwischen Theophron und Philolaos —: „Zwischen jedem Subjekt und Prädikat stehet ein Ist oder Ist nicht und dies Ist, diese Formel der Gleichung und Übereinstimmung verschiedener Begriffe, das bloße Zeichen = ist meine Demonstration von Gott. Denn nochmals gesagt, es gibt eine Vernunft, eine Verknüpfung des Denkbaren in der Welt nach unwandel¬ baren Regeln, folglich muß es einen wesentlichen Grund dieser Verknüpfung geben; gesetzt, daß auch nur ein Einziges denkendes Wesen wäre." (Herder, Werke ed. Suphan, 16,516f.); und ein wenig später: sobald ein Philosoph die Vernunft aber anerkennt — „und sich deutlich macht, was Vernunft sei: so bald ist ihm die Demonstration Gottes d. i. eine wesentliche Notwendigkeit in Ver¬ knüpfung der Wahrheiten im Begriff der Vernunft selbst gegeben. Ich getraue mich zu sagen, daß dies die einzige wesentliche Demonstration von Gott sei (mehrere wesentliche kann es auch nicht geben), die bei allen Beweisen wieder¬ kommen." (a.a.O. 519). Es geht Herder um einen Gottesbeweis. Dasjenige, wor¬ aus bewiesen werden soll, ist das „Ist oder Ist nicht", — sogar das bloße „Zei¬ chen = " soll genügen. Denn schon in ihm liegt „Verknüpfung", und für Ver¬ knüpfung, sagt Herder, muß es einen Grund geben. Ich kann auf einen „wesent¬ lichen Grund dieser Verknüpfung" schließen. Dieser Schluß bringt mir einen

33

Gottesbeweis, ja dieser Gedankengang ist nach Herder sogar die „einzige wesent¬ liche Demonstration von Gott". Erinnern wir uns an den Zusammenhang, um dessentwillen wir diese Herder¬ schen Sätze zitiert haben. Es war der Zusammenhang von Form und Gott, — daß beides, und zwar von beiden Seiten aus, von Gott und von der Form aus, vom Denken zueinander gebracht worden ist. Was sagt dieser Herdersche Gottes¬ beweis für diesen Zusammenhang? — Nun, zunächst wissen wir, daß Ver¬ knüpfung, Synthesis, Einheit zur Form gehört. Für solche Verknüpfungen muß es einen Grund geben (wie ja auch wir schon festgestellt haben), welcher — nach den aus der aristotelischen Philosophie bekannten vier Arten von Gründen — eine causa formalis ist. Als eine solche letzte causa formalis nun wird in der Tradition der platonischen Philosophie Gott gedacht. Auch das

ev

ist Grund von

Einheit, es gibt allem, was ein Eines ist, dieses Eines-Sein. Form ist Grund von Einheit, und diese Form ist Gott. Dies ist es, was wir „Form-Theologie" nennen — Gott ist Form, Form ist Gott, und Gott wird aus dem Form-Wesen der Welt als der Grund dieses Form-Wesens erschlossen. Wir sehen, daß auch Herders Gottesbeweis ein solcher „form-theologischer" Gottesbeweis ist, Herder steht hier in der Nachfolge jener Denker, die das ev als Gott dachten — nicht nur der neuzeitlichen Platoniker, wie Shaftesbury, in dessen „Moralisten" man gleiches findet, sondern mehr noch der antiken Platoniker. Herders formtheologischer Gottesbeweis, der Gott aus dem „Zeichen =" de¬ monstriert, wird durch Kants Kritik der Gottesbeweise unmittelbar nicht ge¬ troffen, weil Kant dort auf die Probleme der Metaphysik der Form nicht eingeht. Herders Gottesbeweis ist, wie wir glauben, weder ontologisch, denn es wird nicht aus dem Begriff Gottes auf das Dasein geschlossen, noch kausal, denn Kausalität ist eine besondere Art der Verknüpfung, hier aber wird Gott aus dem Wesen der Verknüpfung überhaupt erschlossen. Aber diesen Gottesbeweis unter¬ gräbt Kants eigene Metaphysik der Form, d. h. die Transzendentalphilosophie. Denn auch in ihr geht es darum, das „Ist oder Ist nicht" zu erklären. Die Verwandtschaft von Form-Theologie und transzendentalem Idealismus wird an diesem Punkt, an genau diesem „Ist oder Ist nicht" ganz besonders deutlich sichtbar, weswegen wir Herder beigezogen haben. Kant zeigt — nicht in seiner Kritik der Gottesbeweise, sondern in seiner Transzendentalphilosophie —, daß „diese Formel der Gleichung und Übereinstimmung verschiedener Begriffe" kei¬ neswegs eine „Demonstration von Gott" ist. Kant handelt nämlich — wie Her¬ der — von der „Möglichkeit einer Verbindung überhaupt" (KdrV B §15), aber er zeigt, daß Gott weder notwendig ist noch auch dazu hinreicht, dies „Ist oder Ist nicht" zu erklären. Dazu braucht man, so zeigt Kant, ein transzendentales Subjekt, und dieses genügt dann freilich auch. Die „einzige wesentliche De¬ monstration von Gott" erlaubt mir nur, auf mich selbst zu schließen, — freilich nicht auf mich als empirisches Ich, sondern als Subjekt der Form. Kants Tran¬ szendentalphilosophie hebt so die ganze traditionelle Form-Theologie auf und verwandelt sie, indem sie zu einer vertieften Vorstellung führt von dem, was Form ist, wie auch von dem, was das Ich selbst ist. Wir erinnern noch einmal

34 an Hegels Wort, es sei das hohe Verdienst der Kantischen Philosophie anzuer¬ kennen, die das Ich als reine Apperzeption herausgehoben und damit den abso¬ luten Grund für das philosophische Erkennen gelegt habe. Hegels Logik ist Wissenschaft von der Form, — was in ihr an Theologischem steckt, ist Form-Theologie, kommt aus jener Tradition des Platonismus, die den Grund des Form-Wesens der Welt als Gott denkt. Gott ist Grund des „Ist oder Ist nicht", — wenn man will, der Seinsgrund alles Seienden. Aber Hegel steht nicht mehr so wie Herder in dieser Tradition, denn Hegel ist nachkantischer Philosoph, was Herder nicht ist. In Kants philosophischen Aussagen über Form, d. h. in seiner Transzendental¬ philosophie ist wiederum von Gott überhaupt nicht die Rede. Kant redet über Form, — aber so, als hätte es die Verwandtschaft von Gott und Form nie ge¬ geben, als könnte man von einem Grund von Form reden, ohne dabei Gott in Gedanken zu haben. Gegen dieses Kantische Denken bedeutet die Hegelsche Logik eine Restitution des Platonismus: die Wissenschaft von der Form ist, auch wenn sie als Transzendentalphilosophie auftritt, dennoch Theologie. Man kann nicht über einen Grund von Form reden, ohne dabei Gott zu denken. Die Kantische Erklärung des „Ist oder Ist nicht" aus dem transzendentalen Ich besagt gar nichts gegen Herders Gottesbeweis, gar nicht, daß das „bloße Zeichen =" nicht eine Demonstration von Gott sei. Beides widerspricht sich nicht. Aber wie ist das möglich, daß beides miteinander verträglich sein soll? Der eine, Kant, sagt, das Ich sei Formgrund der Verknüpfung innerhalb des Seien¬ den, keine Verbindung liege in den Gegenständen, — der andere, Herder, meint, den „wesentlichen Grund dieser Verknüpfung" könne es nicht außer und ohne Gott geben. Ist das nicht das Unverträglichste, was sich denken läßt? Nun, die Hegelsche Auflösung — und sie ist offenbar die einzig mögliche in dieser Situation — ist bekannt, wenn nicht anders, so wenigstens aus Heinrich Heines „Geständnissen": Ich selbst bin Gott. Aber selbst Heines Witz kommt aus dem Ernst und dem Schmerz, den dieses vollendete Insichgehen, diese absolute Intensität des Sich-in-Sich-Erinnerns nicht eigentlich enthält, sondern selbst ist. Und bei Hegel ist Schmerz und Tod und das Wagnis der Verwüstung, die „absolute Negativität" stets dasjenige, das dem „unendlichen, göttlichen Wert der Subjektivität" (EGPh 246) zugrunde liegt. Die Versöhnung der transzenden¬ talen mit

der

transzendenten

(theologischen)

Form-Metaphysik, Kants

mit

Herder oder mit Platon, geht durch den Schmerz, durch den „spekulativen Kar¬ freitag" hindurch. In dieser Versöhnung aber sieht Hegel das höchste Ziel des philosophischen Denkens überhaupt erreicht: „Es ist eine neue Epoche in der Welt entsprungen. Es scheint, daß es dem Weltgeiste jetzt gelungen ist, alles fremde gegenständliche Wesen sich abzutun, und endlich sich als absoluten Geist zu erfassen, und was ihm gegenständlich wird, aus sich zu erzeugen, und es, mit Ruhe dagegen, in seiner Gewalt zu behalten. Der Kampf des endlichen Selbstbewußtseins mit dem absoluten Selbstbewußtsein, das jenem außer ihm erschien, hört auf. Das endliche Selbstbewußtsein hat auf gehört, endliches zu sein; und dadurch ande-

35 rerseits das absolute Selbstbewußtsein die Wirklichkeit erhalten, der es vorher entbehrte. Es ist die ganze bisherige Weltgeschichte überhaupt und die Geschichte der Philosophie insbesondere, welche nur diesen Kampf darstellt, und da an ihrem Ziele zu sein scheint, wo dies absolute Selbstbewußtsein, dessen Vor¬ stellung sie hat, aufgehört hat, ein Fremdes zu sein, wo also der Geist als Geist wirklich ist." (JA 19,689f.). Und in der Einleitung zur Geschichte der Philo¬ sophie — teilweise mit aristotelischen Wendungen —: „Die Vernunft ist nur eine; es gibt keine zweite, übermenschliche Vernunft. Sie ist das Göttliche im Men¬ schen." (EGPh 123), und: „Der subjektive Geist, der den göttlichen Geist ver¬ nimmt, ist selbst dieser göttliche Geist. Das ist die wahrhafte Grundbestimmung des Verhaltens des Geistes zu sich." (EGPh 177). Das Begreifen dieser Einheit aber muß eigentlich in der Metaphysik der Form, d. h. in der Wissenschaft der Logik geschehen, — und umgekehrt, das Begreifen der Form ist Begreifen Gottes (denn die reine Form ist Gott) und Begreifen des Ich (denn sie ist subjektiv). Die Logik ist Theologie und spekulative Selbsterkenntnis, und beides in ihr ist eines und dasselbe. Freilich müssen wir bemerken, daß nach Hegels Auffassung diese Gedanken über die Nähe von Gott und Mensch nicht erst nach der Kantischen Transzen¬ dentalphilosophie möglich geworden sind, denn schon bei den großen Denkern der Griechen sind sie vorhanden. Bei Platon findet Hegel z. B. das Bewußtsein, „wie nahe und Eins mit Gott die menschliche Vernunft ist" (JA 18,197), und bei Plotin gar ist diese Einheit von Mensch und Gott (die in derselben Zeit in Christus auch als einzelnes wirkliches Individuum vorgestellt wurde) philo¬ sophisch begriffen: „So ist unser Begriff vom absoluten Wesen das Wesen selbst, wenn er Begriff des absoluten Wesens, nicht von irgend etwas Anderem ist. . . . Dies ist es, warum Plotin Schwärmer ist, daß er diesen Gedanken hatte, daß das Wesen Gottes das Denken selbst und gegenwärtig im Denken ist." (JA 19,46; daß hier das Wort „Schwärmer" gebraucht wird, darf nicht zu der Annahme verleiten, Hegel sähe in diesem Gedanken nicht die Wahrheit). Solche Gedanken waren auch vor Kant schon möglich, weil die spekulative Selbsterkenntnis die besondere Nähe des Ich zur Form, zur Idee auch vor Kant schon gedacht hatte. Auch in der platonischen Metaphysik muß die Nähe von Gott und Ich zueinander gründen in der gemeinsamen Nähe beider zur Idee. Zur Verwandtschaft von Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis vergleiche man besonders Plotin, Enn. V,3,7, sowie die Anmerkungen Theilers zu dem Kapitel. Theiler sagt: „Es ist ein älterer Satz, daß Gottes- und Selbsterkenntnis zusammenfällt", und führt dazu die wichtigsten Belege an, die bis zu dem unter Platons Namen gehenden „Größeren Alkibiades" zurückreichen. — Alles, was wir bisher gesagt haben, läßt sich in einige Sätze über Form zusammenfassen: 1.

Die Form gibt dem Ding das Sein;

2.

Die Form ist Grund von Einheit und Unterschied;

3.

Die Form ist Ich;

36 4.

Die Form ist Tätigkeit;

5.

Die Form ist Gott.

Damit besitzen wir die allgemeinsten Vorstellungen, die wir zum Einstieg in die Hegelsche „Wissenschaft der absoluten Form" benötigen. Zu den beiden letzten Sätzen sind wir geführt worden auf Grund des Satzes „Das Wesen bestimmt sich selbst als Grund". Das Sich-selbst-bestimmen des Wesens gab uns Anlaß, nach der Tätigkeit der Form zu fragen, und der Aus¬ druck „Wesen", der uns ebenfalls schon in anderen Zitaten entgegengetreten war, bestimmte uns, den theologischen Aspekt der Hegelschen Form-Metaphysik zu bedenken. Dennoch verstehen wir den Satz, der diesen Betrachtungen zu¬ grunde gelegen hat, nun kaum deutlicher. Denn was das Wesen eigentlich ist, wissen wir trotz der Hinweise auf Gott und auf die Nähe des Wesens zur Form, der ouaia zum el5og immer noch nicht, — noch weniger aber wissen wir von der Natur desjenigen Bestimmens, das zum „Grund" führt. Doch da der Satz selbst uns keinen weiteren Aufschluß geben kann, wollen wir dem Fortgang des Textes folgen, also der wiederholenden Erinnerung desjenigen, was auf dem Wege der Wahrheit des Seins zum absoluten Grunde geschehen ist. Bevor wir jedoch weitergehen, sei noch eine Anmerkung gestattet. Wir haben die spekulative Logik bestimmt als Wissenschaft von der Form, als eine Theorie, in der alles über die Form Sagbare und Sagenswerte gesagt werden soll. Ja die spekulative Logik ist eine Wissenschaft der absoluten Form, — d. h. aber doch auch, eine Darstellung der gesamten Form. Die ganze Form soll in dieser Logik betrachtet werden, nicht nur einige Formen, andere aber nicht. Dagegen aber erhebt sich ein Einwand. Die Hegelsche Logik betrachtet nämlich innerhalb ihres Gebietes Raum und Zeit nicht mehr. Raum und Zeit aber sind nach Kant Formen der Anschauung, also doch auch Form. Die Betrachtung von Raum und Zeit würde also zu einer Wissenschaft der absoluten Form mit hinzu gehören, wenn nämlich diese min¬ destens auch eine Wissenschaft von der ganzen Form sein soll. Wie kann eine Theorie, aus der Raum und Zeit herausfallen, noch als eine Theorie von der absoluten Form behauptet werden? Aber sogleich wird sich die Gegenfrage stellen, ob denn Raum und Zeit als Form betrachtet werden können. In der antiken Metaphysik treten z. B. Raum und Zeit nicht als löea oder etöog auf. Die Frage, ob Raum und Zeit wirklich Formen sind oder vielleicht etwas anderes, scheint also nicht von vornherein von der Hand zu weisen. Auf Hegels Stellung in dieser Frage wollen wir am Ende unserer Arbeit noch einmal zurückkommen, weil die Hegelschen Lehren von Raum und Zeit, im Zusammenhang mit dem Übergang von der Logik in die Realphilosophie dar¬ gestellt, besonders schwer zu begreifen sind. Das Rätsel von Raum und Zeit ist gerade das Rätsel dieses Überganges. An dieser Stelle sei nur eine kurze Be¬ merkung vorangeschickt.

37 Hegel kennzeichnet die Zeit bisweilen als den „daseienden Begriff" (z. B. PhdG 38 u. 558). Dies ist eine Bestimmung, die zweierlei enthält: das Moment des Begriffs und das Moment des Daseins. Der Begriff gehört ohne Zweifel zur Form, — insofern sie Begriff ist, ist die Zeit also auch nach Hegel Form. Aber als Dasein ist die Zeit nicht mehr Form, und insofern gehört sie auch nicht mehr der Logik, sondern der Realphilosophie an. So hat die Zeit — und für den Raum gilt das gleiche — eine gewisse Zwitterstellung inne, sie ist Form und zugleich etwas, was nicht Form ist. Für Hegel liegt darum auch kein Widerspruch darin, daß die Logik von der Gesamtheit der Form handeln soll und dennoch nicht von Raum und Zeit handelt. Man kann auch sagen, die Zeit als Form, nämlich als Begriff, ist Gegenstand der Logik, — aber nicht die Zeit als solche, nämlich als daseiender Begriff. Doch wollen wir gegenwärtig nicht Hegels Lehre von Raum und Zeit und von deren Zwitterwesen zwischen Form und Nicht-Form ausein¬ anderlegen. An dieser Stelle soll nur darauf hingedeutet werden, daß es für Hegel keineswegs einer Wissenschaft der absoluten Form widersprechend ist, die Darstellung von Raum und Zeit außer ihr zu haben. Für unsere folgenden Betrachtungen wird nämlich die Forderung wichtig sein, daß die Logik die Wissenschaft von der Totalität der Form ist. Um dieser Forderung willen aber war eine kurze Bemerkung hinsichtlich Raum und Zeit angebracht. In dem folgenden Abschnitt gehen wir nun zu der Betrachtung des ersten Satzes unseres Textes über.

2. Die Dialektik von Sein und Nichts

„Wie das Nichts zuerst mit dem Sein in einfacher unmittelbarer Einheit, so ist auch hier zuerst die einfache Identität des Wesens mit seiner absoluten Negativität in unmittelbarer Einheit". Es ist nicht zu viel behauptet, daß dieser erste Satz, den wir zu betrachten haben, uns bereits in die innerste Mitte der Hegelschen Logik führt. Inwiefern er dies tut, wird sich bald zeigen. In dem Satz ist von zwei unmittelbaren Einheiten die Rede, einmal von der¬ jenigen von Nichts und Sein, dann von derjenigen einer einfachen Identität des Wesens und einer absoluten Negativität des Wesens. Die Momente dieser Ein¬ heiten entsprechen offenbar einander, und zwar das Nichts aus der einen Einheit der absoluten Negativität aus der anderen, und ebenso das Sein der einfachen Identität. Am Anfang der ganzen Logik wird das dialektische Verhältnis von Sein und Nichts dargestellt, nun kehrt dasselbe Verhältnis, wenn auch in ver¬ wandelter Gestalt, wieder. Umgekehrt ist unser Abschnitt auf diese Weise an den Anfang der ganzen Logik zurückgebunden. Der Unterschied von Sein und Nichts muß besonders ursprünglich sein, wenn anders das Denken über die eleatische Frage nach der Möglichkeit von Unter¬ schied gerade bei ihm anfängt. Der Unterschied von Sein und Nichts muß mit

38 der Möglichkeit von Unterschied überhaupt sehr eng zu tun haben. (Aus dem Denken des Parmenides selbst ließe sich vielleicht dasselbe erschließen). Darum müssen wir uns auf diesen Unterschied noch näher einlassen. Wir erfahren so zugleich auch etwas über den analogen Unterschied von einfacher Identität und absoluter Negativität im Wesen, - und damit über das Wesen selbst. Ehe wir uns aber dem Unterschied von Sein und Nichts zuwenden, wollen wir noch einiges über den Ausdruck „Negativität

in der Hegelschen Logik sagen.

Hegel mißt dem „Satz des Spinoza: Omnis determinatio est negatio" unend¬ liche Wichtigkeit bei (L 1,100). An anderer Stelle heißt es: „Spinoza ist Haupt¬ punkt der modernen Philosophie: entweder Spinozismus oder keine Philosophie. Spinoza hat den großen Satz: Alle Bestimmung ist Negation. Das Bestimmte ist das Endliche: nun kann von allem, auch vom Denken (im Gegensatz zur Aus¬ dehnung) gezeigt werden, daß es ein Bestimmtes ist, also Negation in sich schließt; sein Wesentliches beruht auf Negation." (JA 19,374f.). Man findet diesen „großen unendlich wichtigen" Satz im 50. Brief Spinozas. Es soll gezeigt werden, daß Gestalt (figura) eine Verneinung (negatio) ist. Für diesen Beweis benutzt Spinoza die Prämisse „omnis determinatio est negatio". Wörtlich lautet die Stelle: „Quia ergo figura non aliud, quam determinatio, et determinatio negatio est, non poterit . . . aliud quid quam negatio esse". Negation, Bestim¬ mung aber gehören zur Form: „Negation gehört zur Form" (JA 19,375); „Der Form gehört überhaupt alles Bestimmte an" (L 11,68) oder „Denn jede Bestim¬ mung ist Unterschied" (EGPh 182). Aus allen diesen verschiedenen Äußerungen ergibt sich ein und derselbe Sinn: Jede Form, jede Bestimmung, jeder Unterschied ist Negation. Oft können wir „Negation", „Negativität" usw. einfach als Synonyme für „Form" auf¬ fassen. Wir können uns diesen Sprachgebrauch Hegels erläutern, indem wir ihn von demjenigen der formalen Logik abheben. Auch dort ist von Negation die Rede, aber in einem völlig anderen Sinne. In der formalen Logik ist nämlich die Nega¬ tion eine einzelne Form, ein besonderer „Junktor". Daneben gibt es andere Formen, die keine Negationen sind, z. B. die Konjunktion, das „und". Wir können also den Standpunkt der spekulativen Logik wiedergeben durch den Satz „omnis forma est negatio", den der formalen Logik aber durch „negatio est una forma". In dem Ausdruck „a und b" gibt es für die formale Logik keine Negation. Hegel aber würde etwa sagen, daß „a" und „b" hier zu Momenten einer Beziehung, einer Einheit gemacht werden und als Momente negiert sind. Freilich ist das „und" eine sehr äußerliche und noch keine wahre oder konkrete Einheit, aber dennoch gilt, daß es die Momente seiner Beziehung, d. h. sowohl das a wie das b negiert. In ihrer Beziehung aufeinander sind sie nicht mehr die gleichen wie außer der Beziehung (gerade für die äußerliche Beziehung gilt dies zwar nur wenig, aber immerhin auch für sie. Freilich sind Glieder eines Organis¬ mus in viel höherem Sinne Momente, als hier a und b Momente ihrer und-Einheit sind). Den Grundsatz „omnis forma est negatio" kann man auch so ausdrücken: alles Bezogene ist negiert, d. h. abhängig und unselbständig. Die for-

39 male Logik dagegen verhält sich gleichgültig dem gegenüber, daß die Glieder einer Beziehung durch diese geformt, in ihrer Selbständigkeit aufgehoben und zu Momente herabgesetzt werden, wie Hegel sich ausdrückt. Gerade dies „zum Moment machen" ist eine der wichtigsten Bedeutungen von „Negieren"; das Moment ist stets etwas Negiertes, Unselbständiges und Abhängiges. Dies „zum Moment machen" nennt Hegel oft auch „Setzen", so daß man auch „Setzen" und „Negieren", „Gesetztes" und „Negiertes" vielfach als Synonyme verstehen kann. Bei Hegel sind alle Unterschiedenen, insofern sie Momente einer unter¬ scheidenden Beziehung, alle Geeinten, insofern sie Momente einer einenden Beziehung sind, auch negiert. Das Negieren hat also insbesondere nichts mit „Ausschließen" zu tun. Wir werden vielmehr sehen, daß Hegel das „Ausschlie¬ ßen" als einen ganz besonderen Fall einer Formbeziehung darstellt (L II,40ff.). Das Ausschließen ist der Unterschied Entgegengesetzter. Auch das „Begrenzen", das zwar einen wesentlichen, aber doch nur einen Teilaspekt der ganzen Form in sich enthält, erschöpft nicht die ganze Negation. Das Begrenzende negiert zwar (denn es ist Form), aber nicht alles Negierende begrenzt auch. Stets ist der Grundsatz festzuhalten: omnis forma est negatio. Diese Bedeutung von Negation müssen wir auch im Sinn haben, wenn Hegel von „absoluter Negativität" oder „Nichts" redet. Damit ist zunächst so etwas wie eine Allheit oder ein Inbegriff von Form gemeint, — etwa wie wenn Kant von „Verbindung überhaupt" spricht. Diese „Negation überhaupt" oder „Form überhaupt" ist das Nichts. Auch der Ausdruck „Nichts" wird von Hegel oft in dem gleichen Sinn wie einfach „Form" gebraucht, was sich eben daraus erklärt, daß jede einzelne Form eine Negation ist. Umgekehrt gilt auch vieles, was wir bisher schon über Form gesagt haben, für das Nichts und für die absolute Negativität, — so vor allem, daß sie den Charakter des Grundes haben. Auch das Nichts ist für Hegel Grund, nämlich eben der Negation, d. h. der Bestimmung, Unterscheidung und Synthesis. Auch das Negieren ist eine hervorbringende Tätigkeit, — Hegel spricht sogar von der „absoluten Macht des Negativen". In der heutigen Philosophie ist viel vom Nichts die Rede, besonders in den Fragen des Nihilismus. Dabei hat das Nichts meist einen ganz anderen Sinn als in der Hegelschen Logik. Wir haben darum Vorstellungen aus der modernen Philosophie bei unserer Untersuchung des Nichts streng fernzuhalten. Inwieweit allerdings dennoch das Nichts als absolute Form mit dem Nichts des Nihilis¬ mus zusammengehört (welche Vermutung dem frühesten Nihilismusverdacht, demjenigen Jacobis, zu Grunde liegt), soll hier nicht untersucht werden. Freilich möchte man annehmen, daß hier mehr als eine bloß äußerliche Äquivokation vorliegt. Dieses Nichts der spekulativen Logik ist ebenfalls kein zum Ding gemachter formal-logischer Quantor. Denn erstens handelt es sich nicht um eine einzelne, ganz bestimmte Form wie den verneinten Quantor „Es gibt nicht ein .. .", sondern eben um Form überhaupt, — und zweitens soll uns die Form keineswegs zum Ding werden. Wie wir schon früher bemerkten, ist für jeden Idealismus der Unterschied von Form und Ding besonders wichtig. Eine Synthesis konsti-

40 tuiert ein Objekt oder ein Ding, aber gerade darum ist sie nicht selbst ein Ding. Und das Nichts als absolute Form gehört auf die Seite der Synthesis, nicht der Dinge, - ja jede Synthesis ist ein Moment dieses Nichts, eine einzelne negatio. Nach diesen Ausführungen über die Negation und das Nichts kehren wir zurück zu dem Unterschied von Sein und Nichts. Auch das Nichts, das am Anfang der Logik dem Sein gegenübersteht, ist bereits die Form. An ihm selbst ist das freilich nicht zu sehen, weil es das schlechthin Unbestimmte ist, aber die weitere Entwicklung zeigt, was dieses Nichts ist. So ist schon das Dasein als ein bestimmtes Seiendes eine Einheit von Sein und Nichts (L 1,96), und das Nichts in dieser Einheit ist das Moment der Bestimmtheit. Das Dasein ist bestimmt vermöge des Nichts und seiend vermöge des Seins. Die Bestimmtheit ist also das in der Einheit des Daseins aufgehobene Nichts, — d. h. das Nichts ist das Moment der Form schon beim ersten über¬ haupt geformten und bestimmten. Bereits in der ersten Stufe seiner Entwicklung erweist das reine Nichts seinen Charakter, Form zu sein. Freilich Sein und Nichts sind beide zunächst schlechthin unbestimmt, aber das Sein als Bestimmbares, das Nichts als Bestimmenkönnendes. Das Sein ist noch durch nichts bestimmt, das Nichts ist noch nichts bestimmend. Hegel gesteht allerdings einen solchen Unterschied, durch den Sein und Nichts eine Bestimmt¬ heit gegeneinander erhielten, für den reinen Beginn nicht zu, wir können diesen Unterschied auch nur im Rückblick von späterem her und aus unserem Wissen um die Zukunft des Nichts feststellen. So wird für uns das Sein zum Anderen der Form (freilich als schlechthin Unbestimmtes), das Nichts zur Form selbst (ebenso noch als schlechthin unbestimmt). Allerdings würde uns sogleich der Einwand entgegengehalten werden, daß nun auch beide nicht mehr schlechthin unbestimmt sind: das eine ist ja als Sein, das andere als Form bestimmt, — ein Einwand, der ebenso das Unbestimmte selbst trifft, denn es ist ja als Unbestimm¬ te bestimmt, als Ununterschiedenes vom Unterschiedenen unterschieden. Wir sehen, daß bereits dieser erste Unterschied innerhalb der spekulativen Logik, die wir ja auch als Wissenschaft vom Unterschied fassen können, dialekti¬ sche Verwirrung mit sich bringt. Hegel selbst war das nicht verborgen, er be¬ schreibt die Schwierigkeit wie folgt: „Man meint, das Sein sei vielmehr das schlechthin Andre, als das Nichts ist, und es ist nichts klarer als ihr absoluter Unterschied, und es scheint nichts leichter, als ihn angeben zu können. Es ist aber ebenso leicht, sich zu überzeugen, daß dies unmöglich, daß er unsagbar ist. Die, welche auf dem Unterschiede von Sein und Nichts beharren wollen, mögen sich auffordern, anzugeben, worin er besteht. Hätte Sein und Nichts irgendeine Bestimmtheit, wodurch sie sich unterschieden, so wären sie, wie erinnert worden, bestimmtes Sein und bestimmtes Nichts, nicht das reine Sein und das reine Nichts, wie sie es hier noch sind." (L I,77f.). Ein unsagbarer Unterschied ist auch unbegreiflich, und wo der Unterschied nicht begreiflich ist, da kann die Einheit, die aus ihm entstehen soll, auch nicht begreiflich sein. Dies ist der Grund für die Schwierigkeiten dieses Anfangs. Ähnlich „bodenlos" lautet die folgende Stelle: „Beim Sein und Nichts dagegen ist der Unterschied in seiner Boden-

41 losigkeit, und eben darum ist es keiner, denn beide Bestimmungen sind dieselbe Bodenlosigkeit" (JA 8,209). Was wir zeigen wollten, ist, daß sieb in diesem Beginn bereits das Problem der Dialektik von Form und Sein verbirgt. Dieses dialektische Verhältnis kehrt in der Logik des Wesens wieder und bekommt in ihr allergrößte Bedeutung, und zwar genau in dem Unterschied, der in dem betrachteten Satz dem Unterschied von Nichts und Sein an die Seite gestellt worden war: in dem Unterschied von einfacher Identität und absoluter Negativität des Wesens. Auch hier handelt es sich um die Dialektik von Form und Sein, die, wie sich immer deutlicher ergeben wird, eines der grundsätzlichsten Probleme der Wissenschaft der absoluten Form ist. Wir wollen das Problem, das in diesem dialektischen Verhältnis liegt, nun einmal vom Standpunkt der Metaphysik der Form aus ins Auge fassen. Bei aller philosophischen Betrachtung war stets erfordert. Form wieder von etwas Anderem zu unterscheiden. „Form" ist ein korrelativer Begriff. So kennen wir den Unterschied von Form und Inhalt, von Form und Stoff oder sogar von Form und Wirklichkeit, Aristoteles in seiner Metaphysik unterscheidet die Form, das eiöog, von der Materie, der uLr]. Immer wird die Form von etwas unter¬ schieden, was ihr gegenübersteht, ihr entspricht, mit ihr zusammen erst ein Ganzes ausmacht. Auch für die Transzendentalphilosophie ist ein derartiger Unterschied von grundlegender Bedeutung. Kant sagt einmal: „Materie und Form. Dieses sind zwei Begriffe, welche aller andern Reflexion zum Grunde gelegt werden, so sehr sind sie mit jedem Gebrauch des Verstandes unzertrennlich verbunden" (KdrV B 322). Da nach dem Kantischen Denken die Materie aller Erscheinungen a poste¬ riori gegeben, die Form aber subjektiv ist und im Ich liegt, so ist deswegen die Möglichkeit, Form und Materie zu unterscheiden, offenbar eine sehr wesent¬ liche Voraussetzung für diesen Idealismus. Wir werden uns im folgenden mit solchen Unterschieden zur Form (nicht Unterschieden durch die Form oder in der Form) noch viel zu beschäftigen haben, tragen doch drei der Abschnitte, die wir interpretieren wollen, die Überschriften „Form und Wesen", „Form und Materie", „Form und Inhalt". Aber für Hegel ist _ trotz dieser drei Überschriften — nicht das Wesen, nicht die Materie und nicht der Inhalt das eigentliche Gegenüber zur Form, sondern das Sein. Darin allein liegt die große Bedeutung, die der Begriff „Sein" auch für die Hegelsche Logik, für diese Wissenschaft der absoluten Form hat. Der Unterschied zur Form, wie er in der Gestalt von Wendungen „Form und ..." auftritt, kann ver¬ schiedene Erscheinungsformen haben, — am grundsätzlichsten ist er als „Form und Sein". Die dialektischen Schwierigkeiten eines solchen Unterschiedes zur Form be¬ stehen in folgendem: Wir hatten Form bestimmt als Grund allen Unterschiedes und aller Einheit. Nun muß aber auch das der Form schlechthin Gegenüber¬ stehende ein Eines sein, und zugleich ist es unterschieden (nämlich von der Form selbst). Es erhebt sich also die Frage, wie es mit dieser Einheit der Nicht-Form in sich und diesem Unterschied der Nicht-Form zur Form steht. Sind beide

42 selbst in der Form gegründet? Aber dann wäre das Andere, das seine Einheit von der Form hat, nicht selbständig gegen die Form, es wäre nicht eigentlich ein Anderes. Oder sollte hier eine Einheit sein, die nicht durch die Form gegeben ist? Und ebenfalls ein formunabhängiger Unterschied? Aber wie sollte eine Einheit, ein Unterschied nicht formen? Das Andere zur Form soll ungeformt sein, — aber wie ist etwas Ungeformtes denkbar? Hat nicht die Form schlechthin bei allem und jedem von vornherein ihre Macht und ihre Herrschaft bewiesen, indem alles und jedes ein Geformtes, also form-abhängiges ist? Zu denselben Fragen gibt auch der Satz Anlaß, von dem wir bei unseren Betrachtungen über den Idealismus ausgegangen waren: forma dat esse rei. Hierin wird eine Abhängigkeit des Seins von der Form ausgesprochen, — und zwar zunächst nur des Seins der Dinge, aber es fragt sich, ob es überhaupt ein form-unabhängiges, ein nicht durch die Form gegebenes Sein geben könne. Die Frage aber, ob es ein form-unabhängiges Sein geben könne, stehe in der gleichen Dialektik der Form. Es sei daran erinnert, daß in der antiken Metaphysik z. B. Plotin die Materie, die das eigentliche Gegenüber zur Form wäre, als ein övrcog |xr) öv interpretiert und von ihr sagt, emep aga 8si auto elvai, öel auto svepyehy |xf] eivai (Enn. II, 5,5). Diese idealistische Paradoxie, daß der Grund aller Einheit und allen Unter¬ schiedes selbst unterschieden sein und ein in sich Eines außer sich haben soll, daß das Seingebende ein unabhängiges Sein voraussetzen soll, erinnert in ge¬ wisser Weise an die Paradoxien der Mengenlehre (etwa wenn man sich eine „Menge aller Unterschiede" denkt, die selbst wieder unterschieden ist und diesen Unterschied, der sie selbst betrifft, wieder als Element in sich hat). Solche Para¬ doxien sind immer Motiv für dialektisches Denken gewesen. Das ursprünglich Dialektische, durch seine eigene Struktur stets auf Dialektik Führende sind Form und Ich. Auch die Rätselhaftigkeit des Unterschiedes, mit dem der dialektische Weg der Logik beginnt, des Unterschiedes von Sein und Nichts gründet in dieser Paradoxie, denn hier soll ein Unterschied gegeben sein, der keine Bestimmtheit mehr ist, ein form-unabhängiger Unterschied, ein Unterschied zum Nichts, der kein Unterschied durch das Nichts, keine durch die Form gesetzte Negation ist. Dieselbe Erscheinung läßt sich auch noch von einer ein klein wenig anderen Warte aus betrachten. Wir sagten in unserer Einleitung, das metaphysische Denken sei seit Parmenides dergestalt bestimmt, daß es für es aufhören müsse selbstverständlich zu sein, daß es Einheit und Unterschied gibt. An Hand unserer ersten Definition von Form zeigten wir die Forderung, daß jede Synthesis und jeder Unterschied als begründet, als vermittelt zu erweisen sei. Keine Synthesis, kein Unterschied sei an sich, sei einfach so schlechtweg da, fraglos vorhanden und wie mit dem Anfang der Welt gegeben. Hegel, der wie kaum ein anderer Metaphysiker aus der eleatischen Frage denkt, hat seine Logik darum an einer Stelle zu beginnen versucht, an der wirk¬ lich keine Synthesis und kein Unterschied vorhanden und gegeben ist. Diese

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sollten alle als vermittelt begriffen werden, das schlechthin Unmittelbar ist also ihnen allen voraus, vor allem Unterschied und vor aller Synthesis. Hegel sagt: „So muß der Anfang absoluter oder, was hier gleichbedeutend ist, abstrakter Anfang sein; er darf so nichts voraussetzen, muß durch nichts vermittelt sein, noch einen Grund haben; er soll vielmehr selbst Grund der ganzen Wissenschaft sein. Er muß daher schlechthin ein Unmittelbares sein, oder vielmehr nur das Unmittelbare selbst. Wie er nicht gegen ein Anderes eine Bestimmung haben kann, so kann er auch keine in sich, keinen Inhalt enthalten, denn dergleichen wäre Unterscheidung und Beziehung von Verschiedenem aufeinander, somit eine Vermittlung. Der Anfang ist also das reine Sein." (L 1,54). Der wesentliche Zusammenhang von Unterscheidung, Synthesis und Vermittlung wird hier deut¬ lich ausgesprochen, — und zugleich der Gedanke, daß der Anfang einer Meta¬ physik der Form aller Unterscheidung und aller Synthesis voraus im schlechthin Unmittelbaren geschehen muß. Aber wie steht es mit unserem Unterschied von Sein und Nichts? Ist dies ebenfalls ein vermittelter, begründeter Unterschied, oder erfährt hier das Gesetz, daß aller Unterschied vermittelt sein sollte, doch eine bedeutsame Ausnahme? Liegt in diesem Unterschied nicht doch eine wesentliche Voraussetzung vor? Es scheint uns, daß dem wirklich so ist. Der schlechthin unbestimmte, unsagbare Unterschied von Sein und Nichts ist auch unvermittelt. Aber wenn Sein und Nichts nicht unterschieden sind, dann ist schon der Übergang zum Werden unbe¬ greiflich und grundlos. Hegel setzt voraus, daß es im Unbestimmten jene Zweiheit eines unbestimmten Seins und eines unbestimmten Nichts als unterschiedener gibt. Wir sehen auch, daß dies daher kommt, daß hier ein Unterschied zur Form, nicht ein Unterschied in der Form und durch die Form vorliegt. Aller Unterschied in der Form ist vermittelt, denn dann ist die Form selbst sein Grund. Aber dieser Unterschied von Sein und Nichts kann nicht durch die Form begründet sein, — er ist darum für die Metaphysik der Form unvermittelt da. Die Aus¬ nahmestellung

dieses

ausgezeichneten

und

rätselhaften, unsagbaren

Unter¬

schiedes zeigt sich also wiederum: es ist ein Unterschied, den die Beantwortung der eleatischen Frage nach der Möglichkeit von Unterschied schon voraussetzt, — der jedenfalls nicht in der Weise ein vermittelter Unterschied ist, wie sonst in der Metaphysik der Form jeder Unterschied ein vermittelter Unterschied ist. Die Unbestimmtheit und die Unvermitteltheit dieses Unterschiedes haben den¬ selben Grund. Die Schwierigkeiten, die Hegel mit diesem Unterschied von Form und Sein hat, stehen in sehr engem Zusammenhang mit den Schwierigkeiten, die sich in der Kantischen Transzendentalphilosophie bezüglich des Dings an sich ergeben. Und wie die Kritiker der Hegelschen Logik sich seit jeher gegen den Beginn mit dem Sein und dem Nichts gewandt haben und ihn als unzureichend und un¬ stimmig erweisen wollten, so beziehen sich auch die Angriffe, die man seit Jacobis Schrift „David Hume" (1787) gegen die Kritik der reinen Vernunft gerichtet hat, vor allem auf Kants Lehre vom Ding an sich und die Unstimmig¬ keiten in ihr. Wir wollen zeigen, daß es sich in beiden Fällen um die gleichen

44 Paradoxien der Form handelt, die sich stets dann ergeben, wenn über Form überhaupt und als solche philosophiert wird. Auch Kant tut dies, auch Kant macht Aussagen über „Synthesis überhaupt" oder „alle Verbindung". Wir haben uns zu fragen, ob auch bei ihm sich jene Paradoxien des Unterschiedes von Form und Sein zeigen. Die Kantische Transzendentalphilosophie kann unter zweierlei Aspekten ge¬ sehen werden: als Erkenntnistheorie oder als Metaphysik, d. h. als ein System von Aussagen über Erkenntnis oder als ein System von Aussagen über Form und Begründung von Form. Obwohl bei Kant beides in der einen Sache seiner Transzendentalphilosophie zusammengehört, können wir doch für unsere Zwecke diese beiden Aspekte auseinanderhalten. Dabei versteht sich, daß wir, wenn wir zwischen Hegel und Kant hin und her gehen wollen, den zweiten, metaphysi¬ schen Aspekt in den Vordergrund schieben müssen. Im Falle des Dings an sich bedeutet dies, daß wir es nicht so sehr als bewußtseins-transzendentes wie als form-transzendentes verstehen. Form, Verbindung, Synthesis ist subjektiv, wird durch das Ich vollzogen, das Ding an sich aber ist außerhalb der Sphäre der Subjektivität. Jacobi hat seinen Vorwurf dagegen gerichtet, daß das Ding an sich Ursache sein, d. h. als Ursache geformt sein soll, wo doch Kausalität eine subjektive Kategorie sei, die auf das Ding an sich keine Anwendung finden solle. Aber dies ist nur ein Sonderfall des ganzen Problems. Unsere Betrachtung erfordert, es in seiner ganzen Allgemeinheit zu sehen. Die Frage in ihrer Allgemeinheit ist, ob das Ding an sich überhaupt und in irgendeiner Weise geformt sein kann, wobei der Sonderfall, daß es als Ursache geformt sein soll, nur im Hintergrund steht. In dieser Allgemeinheit haben wir wieder das Problem der Form-Tran¬ szendenz, der Differenz von Sein und Nichts. Z. B. kann man die Frage auf¬ werfen, ob das Ding an sich unbestimmt oder bestimmt, — oder, auf die Be¬ wegung der Bestimmtheit bezogen, veränderlich oder unverändertlich ist. Wäre das Ding an sich unbestimmt, so entstünde die Frage, ob das Bestimmte der Erscheinung auf ein unbestimmtes Ding an sich zurückgehen könnte, ob also das unbestimmte Ding an sich Ursache eines bestimmten Inhaltes oder einer bestimmten Materie innerhalb der Erscheinung sein könne, — oder ob die Be¬ stimmung in ihrer Totalität auf die Tätigkeit des Ich zurückgeht. Wäre das Ding an sich bestimmt, so entstünde dagegen die Frage, was eine Bestimmtheit unabhängig von Synthesis, von einer Beziehung eines Verschiedenen bedeuten solle. Bei der Veränderlichkeit liegen die Dinge genau so: Ist das Ding an sich veränderlich, so fragt sich, was eine Veränderung unabhängig von Raum, Zeit und Kausalität für eine Bedeutung haben solle, — ist es unveränderlich, so ent¬ steht wieder die Frage, wie die sich verändernde Erscheinung sich auf das unver¬ änderliche Ding an sich beziehen solle, ob also vielleicht alles an der Erscheinung Veränderliche durch das Ich konstituiert sei. Dererlei Fragen lassen sich viele aufwerfen, — sie gehen aber alle auf eine einzige zurück (bzw. sind von uns daraus hervorgeholt): wie sich die Annahme einer Geformtheit des Dings an sich mit wesentlichen metaphysischen Thesen über die Form vereinbaren lasse, und

45 wie die Annahme einer Ungeformtheit des Dings an sich wieder mit den Funktionen, die es doch haben soll, verträglich sei. Dies sind Schwierigkeiten, die vermutlich sehr wesentlich zu einer Metaphysik der Form gehören, und die bei Kant und bei Hegel, wenn auch in verschiedener Gestalt, so doch durchaus gleichartig sich finden. Und wie diese Schwierigkeiten zu lösen sind, dürfte in weitem Maße darüber entscheiden, auf welche Weise Form zu begreifen ist. Die „Lösung" der eleatischen Frage — wenn man bei diesen Dingen von einer Lösung sprechen darf — hängt ab von dem, was in diesen Bereichen gedacht wird. Man darf darum auch das Aufweisen solcher Paradoxien in den Werken großer Denker nicht als Einwand oder gar als Widerlegung ansehen, denn was so als Unstimmigkeit und Inkonsistenz aussieht, ist nicht eine Eigenart ihrer privaten Gedankengebäude, sondern gehört in die Sache, die sie bedacht haben. Schon Platon wußte, daß die Form, die Idee nicht einfach ist und fest, wie die Dinge (obwohl gerade seine Ideen immer wieder als Dinge verstanden worden sind), sondern dialektisch und einfach nur in der Gebrochenheit. In seinem Dialog „Parmenides", den Hegel so sehr hoch schätzte, hat er bereits verwandte Paradoxien der Form auf gewiesen. Aussagen über die Idee der Einheit führen auf denselben Weg wie Aussagen über alle Einheit. Da die Dialektik von Form und Sein, von Form und Form-Transzendenz uns im folgenden immer wieder beschäftigen wird — sie wird eines unserer Haupt¬ probleme werden —, haben wir es nötig gefunden, den Horizont dieser Dialektik ein wenig ausführlicher darzustellen. Es war gleich der erste Satz unseres Textes, der uns zu diesen wesentlichen Fragen gebracht hat, und wir werden ihnen nunmehr auf Schritt und Tritt wiederbegegnen. Wir werden versuchen, dabei das bisher Gesagte zunehmend zu ergänzen. Kehren wir noch einmal zu dem ersten Satz zurück. In ihm wird gesagt, daß im Wesen die einfache Identität und die absolute Negativität zunächst in un¬ mittelbarer Einheit sind. Darüber, was die Bedeutung dieser beiden Momente ist, haben wir gesprochen. Aber noch eine weitere Bemerkung ist zu dem uns vor¬ liegenden Satz vonnöten. Es heißt, die einfache Identität und die absolute Negativität sind erst „in unmittelbarer Einheit". Worin mag die Unmittelbarkeit dieser Einheit bestehen? Was ist die spezifische Eigenart der hier von Hegel genannten Einheit? Jedenfalls ist offenkundig, daß es sich um eine Einheit handelt, die nur vor¬ läufig ist, noch keine Erfüllung der wahren Einheit, — d. h. die eine einseitige Einheit ist. Diese vorläufige Einheit ist diejenige, die am Beginn der Logik des Wesens Vorgelegen hat, ihre Vorläufigkeit soll sich durch die bisherige dialekti¬ sche Geschichte (seit dem ersten Kapitel über den „Schein", L 11,7ff.) aufgehoben haben. Im Grund soll die vorläufige Einheit, mit der das Wesen begonnen hat, ihre „Wahrheit", ihre Vollendung finden. Dieses Finden ist der Inhalt der ersten beiden Kapitel der Logik des Wesens. Diese erste Einheit ist darum vorläufig, weil sie selbst noch einseitig ist. Wir hätten nun anzugeben, worin diese Einseitigkeit bestanden hat, und wie sie auf dem Weg zum Grunde aufgehoben worden ist. Dies könnte nur in einem Rück-

46 blick auf die beiden ersten Kapitel der Logik des Wesens geschehen. Allein da Hegel in den folgenden Abschnitten der Einleitung in das Kapitel des Grundes uns selbst einen Rückblick gibt, wollen wir uns an diesen halten, und die Ge¬ legenheit benützen, im Text weiter zu gehen.

3. Die Reflexion

„Das Wesen ist nur diese seine Negativität, welche die reine Reflexion ist. Es ist diese reine Negativität als die Rückkehr des Seins in sich; so ist es an sich oder für uns bestimmt, als der Grund, in dem sich das Sein auflöst. Aber diese Bestimmtheit ist nicht durch es selbst gesetzt; oder es ist nicht Grund, eben insofern es diese seine Bestimmtheit nicht selbst gesetzt hat." In diesen Sätzen wird Einseitigkeit des Wesens am Anfang seiner Geschichte näher beschrieben. Das Wesen ist nur diese seine Negativität, welche die reine Reflexion ist. Die Negativität des Wesens wird als „reine Reflexion" beschrieben, d. h. das Wesen ist Negatives, ist Form auf die Weise, daß es „reine Reflexion" ist. Über diesen Ausdruck „reine Reflexion" wollen wir zuerst reden. Es wäre nicht sinnlos zu versuchen, eine Darstellung der Geschichte des deut¬ schen Idealismus als eine „Begriffsgeschichte" des Begriffs „Reflexion" zu geben, so zentral und wesentlich ist dieser Begriff. Die „Reflexion" ist wie ein Schlüssel¬ punkt, in dem das Ganze in der Totalität seiner Verhältnisse widerscheint, und an der geschichtlichen Entwicklung dieses Begriffes ließe sich darum abhandeln, in welcher Weise und mit welchen Gründen das Denken des deutschen Idealis¬ mus fortgeschritten ist. Da gegenwärtig in unserem Text zum ersten Mal von „Reflexion" die Rede ist, müssen wir ein klein wenig bei diesem Begriff ver¬ weilen. Die Geschichte des Begriffs „Reflexion" beginnt im wesentlichen und so weit dies für unsere Zusammenhänge wichtig ist, mit Lockes „An Essay concerning Human Understanding". Mit diesem Werk aber darf man auch die eigentliche neuzeitliche „Philosophie der Subjektivität" beginnen lassen. Bei Descartes fin¬ den sich zwar Anklänge und Vorstufen zu einer solchen, aber die cartesische Metaphysik bleibt im Ganzen theozentrisch. Gott ist der absolute Grund, der selbst jeden einzelnen Erkennens- und Willensakt des menschlichen Subjekts erst ermöglicht. Bei Locke dagegen ist wirklich das Ich für sich selbst in die Mitte gerückt, die Philosophie der Subjektivität hat beide Augen aufgetan. Auch Kant hat seine Fragestellung auf Locke zurückgeführt. So heißt es z. B. in der Streitschrift gegen Eberhard: „Nun ist die Frage, wie Erkenntnis a priori möglich sei, längstens, vornehmlich seit Lockes Zeit, aufgeworfen und behandelt worden" (BA, 111). Und in der KdrV sagt Kant: „Ein solches Nachspüren der ersten Bestrebungen unserer Erkenntniskraft, um von einzelnen Wahrnehmungen zu allgemeineren Begriffen zu steigen, hat ohne Zweifel seinen großen Nutzen, und man hat es dem berühmten Locke zu verdanken, daß er dazu zuerst den

47 Weg eröffnet hat." (KdrV B118 f), um dann allerdings zu zeigen, daß eine De¬ duktion der Kategorien auf dem von Locke eingeschlagenen Wege nicht gelingen oder gar nicht erst versucht werden kann. Wir erwähnen Locke, um aufzuzeigen, daß der Begriff „Reflexion" mit der Metaphysik der Subjektivität von Anfang an verbunden ist.

E r entsteht mit

ihr, und dort, wo am Ende dieser Geschichte vom absoluten Sich-wissen des Geistes die Rede ist, da ist auch von der absoluten Reflexion die Rede. Die Reflexion gehört so unlösbar in die Geschichte der Metaphysik der Subjektivität, sie begleitet den Weg von Locke bis Hegel und entwickelt sich dabei selbst zur „vollendeten" und „absoluten" Reflexion. Dies offenbart, daß Ich und Reflexion sehr nahe zueinander gehören, und daß es nicht zu den unwesentlichsten Merk¬ malen des Ich zu rechnen ist, „reflektieren" zu können. Bei Locke freilich fangen die Dinge einfach an. Für ihn ist die Reflexion neben der äußeren Wahrnehmung die andere Quelle aller Erfahrung, die den Geist mit den Ideen von allen inneren Vorgängen versorgt, — innere Wahr¬ nehmung, die die Handlungen des Geistes selbst zum Objekt hat: „By reflection then, in the following part of this discourse, I would be understood to mean, that notice which the mind takes of its own operations, and the manner of them, by reason whereof there come to be ideas of these operations in the understanding" (aaO. Buch II, cap. 1). Alle ideas stammen also entweder aus der Sensation oder der reflection, eine dritte Quelle gibt es nicht. Die Theorie der inneren Wahrnehmung, an die Locke hier seinen Begriff der reflection anknüpft, geht auf Aristoteles zurück. Aber nur in der Metaphysik der Neuzeit mit ihren ganz spezifischen Eigenarten konnte aus diesen Keimen ein solches Gewächs werden, wie es dann geschah. Reflexion ist die Weise, wie das Ich sich selbst gegeben ist. Jeder Bezug des Ich zu sich selbst gründet in der Reflexion. Da es nun für das Ich keineswegs etwas Nebensächliches ist, daß es sich auf sich selbst zu beziehen vermag, so folgt, daß auch die Reflexion keine äußerliche, für da Subjekt selbst im Prinzip gleichgültige Fähigkeit ist wie z. B. das Sehen. (Ein blinder Mensch ist zwar eingeschränkt, aber nicht in seiner Subjektivität selbst. Er bleibt ein ganzes Ich. Dagegen wo die Möglichkeit zur Selbstbeziehung abgeht, wird die Subjektivität selbst von der Einschränkung betroffen, — ein solches Wesen wäre nicht mehr eigentlich Ich). Diese Wesentlichkeit der Reflexion für das Ich erklärt, warum aus einem solchen relativ unscheinbaren Anfang hernach so anspruchsvolle Theorien entstehen konnten. Die Reflexion wird, wie wir sagen können, immer mehr als wesentlich für das Ich begriffen, — ja am Ende ist sie dasjenige, was eigentlich Subjektivität überhaupt konstituiert, — nicht mehr nur wesentlich für das Ich, sondern das Wesen des Ich. Die eigentliche Bedeutung der Reflexion aber kam erst dann hervor, als die Form als subjektiv begriffen wurde. Denn nun wurde aus der Nähe der Reflexion zum Ich auch eine Nähe der Reflexion zur Form. Diese zweite ist für uns, da es uns ja um den Begriff der Reflexion in der Hegelschen Logik geht, naturgemäß besonders wichtig. Die Reflexion wird nicht nur zum Wesen des Ich, sondern auch zum Wesen der Form. Diese

48 beiden Entwicklungen aber gehören untrennbar zusammen und sind nur mit¬ einander zu begreifen. Die Entwicklung, die der Begriff „Reflexion" von Locke bis Hegel genommen hat, können wir hier unmöglich verfolgen, nur an einiges für uns besonders Wichtige soll erinnert werden. Innerhalb des deutschen Idealismus beginnt die Geschichte des Begriffs „Re¬ flexion" mit einem Abschnitt der Kritik der reinen Vernunft, der überschrieben ist „Amphibolie der Reflexionsbegriffe" (KdrV B316ff). Bei Kant berühren sich wieder Erkenntnistheorie und Metaphysik, d. h. die Lehre von den Bewußt¬ seinshandlungen beim Erkennen und die Theorie von Form. Die Aussagen über die Tätigkeiten des Ich sind zugleich Aussagen über die Konstituierung von Form und die Konstituierung des Seienden durch Form, was im Empirismus nicht der Fall ist. Dies gilt auch von dem, was Kant über die Reflexion sagt. Reflexion ist einmal eine Handlung des erkennenden Bewußtseins — Kant be¬ schreibt sie als „Überlegung" —, zugleich aber auch bereits ein Moment der Form. Es ist merkwürdig, daß schon bei Kant die Reflexion eng mit Vergleichung und Unterscheidung zusammengehört. An der Stelle also, wo zuerst die Reflexion als form-konstituierendes Moment auftritt, ist sie sogleich auf Vergleichung und vor allem Unterscheidung bezogen. Dadurch rückt sie, was für die ganze folgende Entwicklung grundlegend sein wird, von vornherein in eine gewisse Nähe zu der eleatischen Frage nach der Möglichkeit von Unterschied. Wo immer dann diese Frage im deutschen Idealismus explizit gestellt werden wird, rückt auch der Begriff der Reflexion in den Mittelpunkt. Die Keime aber, die eine solche Entwicklung möglich machten, wollen wir in Kants „Amphibolie der Reflexions¬ begriffe" sehen, in der zum ersten Mal die Reflexion auf metaphysischer Ebene gedacht wurde. Nicht das Wort „Reflexion" alleine, sondern der Gedanke soll ja der Geschichte von dieser „Amphibolie der Reflexionbegriffe" hin bis zur „Logik des Wesens" ihre innere Einheit geben. Wir möchten darum auf die Spuren innerhalb des kantischen Reflexionbegriffes aufmerksam machen, die eine solche Entwicklung verständlich machen können. Die Voraussetzungen, die die Reflexion dazu mitbrachte, waren einmal, daß in ihr das Ich sich selbst gegeben wird, und zum anderen die Beziehung auf den Unterschied, die sie in Kants Amphibolie der Reflexionsbegriffe bekommen hat. Kant nennt die Reflexionsbegriffe „Titel aller Vergleichung und Unterschei¬ dung" (KdrV B325) und sagt dazu: „Die transzendentale Topik enthält dagegen nicht mehr, als die angeführten vier Titel aller Vergleichung und Unterschei¬ dung, die sich dadurch von Kategorien unterscheiden, daß durch jene nicht der Gegenstand, nach demjenigen, was seinen Begriff ausmacht (Größe, Realität), sondern nur die Vergleichung der Vorstellungen, welche vor dem Begriffe von Dingen vorhergeht, in aller ihrer Mannigfaltigkeit dargestellt wird. Diese Ver¬ gleichung aber bedarf zuvörderst einer Überlegung, d. i. einer Bestimmung des¬ jenigen Orts, wo die Vorstellungen der Dinge, die verglichen werden, hingehören, ob sie der reine Verstand denkt, oder die Sinnlichkeit in der Erscheinung gibt." (KdrV B325). Diese Überlegung nennt Kant „Reflexion". Da aber die Verglei-

49 chung, für die diese Reflexion angestellt wird, und die ihrer bedarf, „vor dem Begriffe von Dingen vorhergeht" (an anderer Stelle „vor allen objektiven Ur¬ teilen

B317), so kommt bereits im Rahmen der Kantischen Transzendental¬

philosophie der Reflexion eine bedeutende Funktion in der Konstituierung ob¬ jektiver Urteile und Begriffe zu, und zwar eben, was das wichtige ist, in aus¬ drücklicher Beziehung auf den Unterschied. Nach Kant wird die Spannung zwi¬ schen Reflexion und Form ständig intensiver, das eine wird immer ausschlie߬ licher aus dem anderen gedacht, bis schließlich in der Logik des Wesens die Totalität der Form als vollendete Reflexion erscheint. Die Reflexion ist nicht etwa mehr eine Form, neben der es andere Formen gäbe, — sie wird das Ganze, und zwar sowohl des Ich wie der Form. Auf einige für diese Entwick¬ lung wesentliche Punkte wollen wir noch hinweisen. Dem Ich war von Kant eine Spontaneität des Formens zugeschrieben worden, die sich auf verschiedene Erkenntnisvermögen verteilt. Von Fichte aber wird alle Formtätigkeit überhaupt in eine einzige Tätigkeit zusammengefaßt, nämlich in das Begrenzen. Alles Formen ist Begrenzen, alle Geformtheit Begrenztheit. Fichte nimmt hier den vermutlich ältesten Formbegriff der abendländischen Metaphysik wieder auf (Philolaos-Fragmente und Platons Philebos). Die Form¬ tätigkeit des Ich erscheint also — und zwar als eine einzige — begrenzende Tätigkeit, das Affiziertsein durch das Ding an sich (das ja auch nicht formlos gedacht werden kann) als eine Begrenztheit des Ich durch etwas außer ihm, die Erscheinung als etwas für das Ich Begrenztes. Selbstverständlich ist für Fichte die Erscheinung nicht nur für das Ich, sondern auch durch das Ich begrenzt, d. h. geformt, — ohne daß darum auch die begrenzende Tätigkeit selbst für das Ich ist. (Wenn man erkennt, weiß man nichts davon, daß man im Erkennen die Gegenstände auch formt, obwohl man ja gerade die Form erkennt, die man dabei selbst hervorbringt. Hätte man ein unmittelbares Wissen von seiner eigenen Formtätigkeit, so hätte sie Kant nicht erst zu entdecken brauchen). Zum Ich gehört aber auch wesentlich das Sich-selbstgegebensein, die Reflexion. Fichte sagt z. B.: „Aber das Ich, eben darum, weil es ein Ich ist, hat auch eine Kausalität auf sich selbst; die, sich zu setzen, oder die Reflexionsfähigkeit." (FW I 293) und „das Ich hat das Gesetz und die Tendenz, über sich selbst zu reflektieren" (FW I 288). Aus der Einheit dieser beiden Fähigkeiten und Ten¬ denzen — der Fähigkeit zu begrenzen und der Fähigkeit zu reflektieren — be¬ steht nun eigentlich nach Fichte das Ich. Ein Ich ist etwas, das begrenzen und reflektieren kann, — so könnte man definieren.

Das entscheidende Problem wird nun das Verhältnis dieser beiden Tätigkeiten zueinander, denn daran entscheidet sich ja auch, wie sich Reflexion zu Form ver¬ hält. Was das Ich und was die Form ist — dies Geheimnis hat sich nun an diese Stelle verlegt. Wir können hier Fichtes sehr komplizierte Konstruktionen, sein Gewebe der dialektischen Wechselbeziehungen nicht im einzelnen darstellen. Das für uns Wesentliche läßt sich in einem Satz sagen: die Reflexion setzt Begrenztheit voraus, — folglich ist Begrenztheit unabhängig von der Reflexion, die Reflexion

50 ist nicht selbst begrenzend. Fichte sagt dies öfters: „Das Ich kann nicht über sich reflektieren, ohne begrenzt zu sein" (FW 1,288); „nun aber kann das Ich nicht über sich, und überhaupt über nichts reflektieren, wenn dasselbe nicht begrenzt ist" (FW 1,291); „im Ich ist die immer fortdauernde Tendenz, über sich selbst zu reflektieren, sobald die Bedingung aller Reflexion — eine Begren¬ zung — eintritt" (FW 1,302). Fichte wurde zu dieser Trennung von Reflexion und begrenzender Formtätigkeit genötigt, um die oben genannte Unwissenheit des Ich hinsichtlich seiner eigenen Formtätigkeit, wenn es die von ihm selbst hervor¬ gebrachte Form erkennt, theoretisch begreiflich zu machen. Dennoch war diese Trennung es, an der das Darüberhinausgehen des philosophischen Geistes an¬ zusetzen versuchte. Diese Trennung sollte das Einseitige oder „Dualistische" sein, das eine Philosophie unwahr macht und dem völligen Begreifen des Ich und der Form im Wege ist. Schellings „System des transzendentalen Idealismus" zeigt das Bemühen, diese Trennung zu überwinden. Schelling nennt die Tätigkeit des Ich, die die wesentlichen Leistungen vollbringt, die „ideelle Tätigkeit". Dieser einen Tätigkeit werden nun — und das ist der grundsätzliche Unterschied des Schellingschen transzendentalen Idealismus zur Wissenschaftslehre — beide Funktionen zugeschrieben, das Begrenzen und das Reflektieren. Schelling nennt diese ideelle Tätigkeit sehr häufig einfach begrenzende Tätigkeit, manchmal auch, allerdings seltener, reflektierende (z. B. SW 111,398), sehr häufig aber „an¬ schauende Tätigkeit". Dies Anschauen ist stets ein „Sichanschauen", also Re¬ flexion. So heißt es z. B.: „Die auf das Ich zurückgehende Tätigkeit ist nichts anderes, als das Streben, sich in jener Unendlichkeit (d. h. Unbegrenztheit) anzu¬ schauen" (SW III,39lf). Von der Tendenz des ideellen Ich, sich selbst anzu¬ schauen, sich selbst Objekt zu werden, ist sehr häufig die Rede. Beides, das Anschauen und das Begrenzen, ist also eine Leistung derselben Tätigkeit, wie Schelling ausführlich auseinander zu setzen versucht. „Anschauen und Begrenzen ist ursprünglich Eins" (SW 111,403), — dieser eine Satz mag programmatisch jene Gedankengänge repräsentieren. Die Fichtesche Trennung ist damit im Ganzen aufgehoben (wenn auch, was nur eine Einzelanalyse der Wissenschafts¬ lehre und des Systems des transzendentalen Idealismus zeigen könnte, Schelling nicht so ganz vollständig und nicht ganz so, wie er gern wollte, über die Fichte¬ sche Trennung hinausgekommen ist). Die Aufhebung jener Trennung aber war der wichtigste Schritt hin zu jenem Begriff von Reflexion, den wir in der Logik des Wesens von Hegel vorfinden. Denn nun ist die Reflexion selbst das Be¬ grenzende, in Hegels Ausdrucksweise das Negierende — und damit das Ganze, die ganze Form. Die Gründe, die Schelling dazu bewogen haben, jene ursprüngliche Einheit von Anschauen und Begrenzen anzunehmen, können hier noch nicht ausführlich dargestellt werden. Wir werden später auf sie zurückkommen. Das wichtigste, das hier bereits berührt werden soll, hängt mit der Dialektik des Begrenzens zusammen. Nur aus dem Nachsinnen über diese Dialektik des Begrenzens (die also, weil Begrenzen gleich Form, eine Dialektik der Form ist) kann man sich die besondere Schellingsche Transzendentalphilosophie erklären, in dieser Dialek-

51 tik liegt der Herzmuskel, der ihren ganzen Organismus in Bewegung setzt und belebt. Diejenige Tätigkeit, die begrenzt, die also selbst die Grenze spontan und selbsttätig produziert, ist auch jenseits der Grenze. So ist bei Schelling ständig von den beiden Handlungen des Begrenzens und des Hinausgehens über die Grenze die Rede. Beide sind Handlungen derselben ideellen Tätigkeit. In dieser Einheit von Begrenzen und Hinausgehen über die Grenze gründet dann jene Einheit von Begrenzen und Anschauen, und zwar, wie hier nur mit einem Wort gesagt sein soll, darum, weil das Anschauen ein Aufheben der Grenze, ein Vernichten der Grenze, ein Hinausgehen ist. Ipr Anschauen wird der Unterschied zwischen mir und dem Anderen vernichtet, das Andere kommt in mich, ist mei¬ nes, — und das Aufheben dieses Unterschiedes wird von Schelling auf das Hinausgehen über die Grenze zurückgeführt, welches dem Begrenzen von vorn¬ herein notwendig immanent ist. Nur ein Reflektierendes kann begrenzen, weil nur ein über die Grenze Hinausgehendes begrenzen kann — Aufheben der Grenze aber Wiederherstellung der Unbegrenztheit, der Unendlichkeit, und darin der reinen Selbstbeziehung des Ich ist. Das Unendliche ist das Fürsichsein des Ich, und das Anschauen als das Herstellen dieses Fürsichseins das Aufheben der Grenze. Um nun den Schritt zu Hegel zu tun, müssen wir uns klar machen, inwiefern diese dialektische Einheit von Begrenzen und Hinausgehen über die Grenze zu¬ gleich eine dialektische Einheit von Identität und Differenz ist. Im System des transzendentalen Idealismus wie in der Logik des Wesens wird die Reflexion als die ganze Form gedacht, — dies ist die ihnen gemeinsame Grundlage. Dort aber erscheint sie als Einheit von Begrenzen und Hinausgehen über die Grenze, hier als Einheit von Identität und Differenz. Die Grenze entspricht demjenigen, was Hegel als Differenz denkt. Alles voneinander Unterschiedene ist auch gegen¬ einander abgegrenzt, und umgekehrt, alles voneinander Abgegrenzte unter¬ scheidet sich. Dem Begrenzen, dem Hervorbringen von Begrenzung entspricht so das Hervorbringen von Unterschied, und andererseits das Hinausgehen über die Grenze, das Aufheben der Grenze dem Aufheben des Unterschiedes, dem Hervorbringen von Einheit.

(So konnte ja auch da Hinausgehen über die

Grenze das Moment des Anschauens, des Ichsichnehmens sein. Im Anschauen vereinige ich das Objekt mit mir). Der Zusammenhang dessen, was hier „Reflexion" heißt, mit unserer ersten Definition von Form ist so ebenfalls hergestellt: denn die Reflexion ist ja in der Weise Einheit von Identität und Differenz, daß sie das beide Hervorbringende, daß sie Grund von Identität und Differenz ist. So aber lautete unsere erste Definition von Form. Der Weg, der uns von der Reflexion als dem Vermögen der inneren Wahr¬ nehmung, des Selbstgegebenseins des Ich zur Reflexion als dem absoluten form¬ tätigen Grund von Identität und Differenz geführt hat, ist weit, und er ist von uns auch nur skizzenhaft beschrieben worden. Manches wird im Verlaufe unserer Interpretation noch ergänzt werden, ohne daß wir irgendwelche Vollständigkeit

52 erstreben können. Worauf es uns ankommt, ist dies: zu zeigen, wie das Ver¬ mögen, durch das das Ich sich selbst gegeben wird, mit dem Vermögen, wodurch es Form hervorbringt, immer mehr Eines wird. Beides sind die eigentlich Sub¬ jektivität-konstituierenden Vermögen — was sich selbst gegeben ist, und was formen kann, ist ein Ich —, beide sind nicht nur wesentlich für das Ich, sondern rücken immer mehr in die Mitte, in das Wesen selbst, und dadurch sich gegen¬ seitig näher, bis sie als Wesen, als Mitte sogar in Eines fallen. Das Wesen ist für Hegel absolute Reflexion, — und dieses Wesen ist auch das Subjektive. Nur was sich selbst gegeben ist, kann formen, und nur, was formen kann, ist sich selbst gegeben, — so kann die Einheit, die das Ende dieses Weges ist, aus¬ gesprochen werden. An dieser Stelle soll eine Bemerkung eingeschaltet werden, die den Sprach¬ gebrauch betrifft. Gewöhnlich verbindet man das Wort „Reflexion" mit der Präposition „über". Diese Redeweise setzt aber voraus, daß das Objekt der Reflexion, d. h. das, worüber reflektiert werden soll, schon als von der Reflexion selbst Unterschiedenes und auch sonst Bestimmtes und Begrenztes da ist. Dies ist eine Vorstellung von Reflexion, die zunächst auch innerhalb der Philosophie gegolten hat, — selbst für Fichte noch, wie wir gesehen haben. Aber für alles, was mit und nach Schelling mit der Reflexion geschehen ist, verschließen wir uns von vornherein den Blick, wenn wir die Vorstellung von einer „Reflexion über ..." mitbringen. Wenn die Reflexion selbst das Begrenzende, selbst die ganze Form sein soll, dann ist klar, daß sie nicht derart „Reflexion über ..." sein kann, wie man das gewöhnlich vorstellt. Hegel selbst spricht höchst selten von einer „Reflexion über .. .", statt dessen fast immer von einer „Reflexion in ..(in sich oder in anderes oder dgl.). Dies entspricht dem Gedanken von der begrenzenden, von der selbstformenden Reflexion. Da wir uns, wenn wir von Reflexion reden, an Hegels und nicht an den gewöhnlichen Sprachgebrauch halten müssen, soll bei uns von einer „Reflexion über .. ." nie die Rede sein. Man muß diese Vorstellung fernhalten, um den Hegelschen Reflexionsbegriff verstehen zu können. Im Verlaufe unserer Arbeit werden wir immer wieder auf den Begriff der Reflexion zurückkommen müssen, um das in ihm Gedachte genauer zu fassen, als das hier zunächst geschehen kann. Auch von der Dialektik des Begrenzens, die Hegel selbst ja ebenfalls, und zwar im ersten Teil seiner Logik, unter den Titeln „Dasein" und „Fürsichsein" abhandelt, werden wir noch zu sprechen haben. An dieser Stelle seien einige Bemerkungen angeschlossen über die Re¬ flexion als Einheit von Identität und Differenz. Einmal sagt Hegel gleichsam mit einem Satz, was er ais Reflexion denkt: „Der Unterschied ist das Ganze und sein eigenes Moment, wie die Identität ebensosehr ihr Ganzes und ihr Moment ist. Dies ist als die wesentliche Natur der Reflexion und als bestimmter Urgrund aller Tätigkeit und Selbstbewegung zu betrachten." (L 11,33). Der Unterschied ist ein Ganzes, das wiederum den Unterschied als Moment enthält, und als weiteres Moment die Identität. Ebenso ist die Identität ein Ganzes, welches wieder die Identität und die Differenz als

53 Momente enthält. Der Unterschied trennt, „dirimiert" das, was er unterscheidet, aber eben damit bezieht er es aufeinander. Diese Beziehung ist also ein Moment des Unterschiedes, und sie ist Einheit, denn im Beziehen wird das Bezogene zusammengebracht, geeint. Umgekehrt die Identität (Einheit): sie bezieht, aber im Beziehen hält sie das Geeinte auseinander, erweist seine Zweiheit, und so hat die Einheit den Unterschied als Moment in sich. Dieses untrennbare, wech¬ selseitige Verhältnis von Identität und Differenz ist die „wesentliche Natur der Reflexion", es definiert gleichsam, was Reflexion ist. Dies Verhältnis ist darüber hinaus, so sagt Hegel, „als bestimmter Urgrund aller Tätigkeit und Selbstbewegung zu betrachten". Wir werden sehen, daß eines der wesentlichen Momente im Fortgang der Bewegung der Form gerade dies ist, daß sich jeweils die einende Beziehung als unterscheidende, die unterscheidende als einende erweist. Durch diesen Umschlag ändern sich die anliegenden Struk¬ turen. Wenn alle Tätigkeit und Selbstbewegung in diesem Verhältnis von Identität und Differenz ihren Grund hat, dann ist die Spontaneität des Ich selbst eben¬ falls ein Ausdruck, eine Folge dieser Struktur. Man kann sagen, diese Spon¬ taneität, das eigentliche Kennzeichen von Subjektivität, ist gar nichts anderes als eben dieser Umstand, daß Identität und Differenz sich wechselseitig mit sich bringen. Reflexion i s t Spontaneität, sie ist nicht ein einzelner spontaner Akt, sondern auch in dieser Hinsicht selbst das Ganze, das vollständige Ich. — Auch dieser erstaunliche Gedanke, daß alle Tätigkeit des Ich gegründet ist in einem bestimmten Verhältnis von Identität und Differenz, bringt zuletzt nur wieder die Macht der Form zum Ausdruck, die Macht der Negativität, die das Absolute ist. Identität und Differenz sind untrennbar voneinander. Was untrennbar ist, ist auch ungetrennt, in Einheit. Aber ebenso unterscheiden sich beide auch, Identität und Differenz sind zwei. Beide Momente zusammen machen die ganze Beziehung dazwischen aus, — die Reflexion. Man braucht für dieses Verhältnis oft den Ausdruck „Identität von Identität und Differenz", doch ist leicht zu sehen, wie ungenügend dies ist. Mindestens ebenso richtig wäre es, — im Sinne der Hegelschen Vorherrschaft des Negativen in der absoluten Negativität sogar viel richtiger —, von einer „Differenz von Identität und Differenz" zu sprechen. Auch dies wäre eine Beschreibung dessen, was Reflexion ist, genauso wie der andere Ausdruck, — oder richtiger, beide sind keine zureichenden Beschreibungen, denn beide sind einseitig. Wenn man aber beide zusammenfaßt und Reflexion bestimmt als die „Identität der Identi¬ tät von Identität und Differenz und der Differenz von Identität und Differenz", so ergibt sich die gleiche Einseitigkeit auf einer neuen Stufe. Es ist also unmög¬ lich, Reflexion allein aus den Begriffen Identität und Differenz selbst zu be¬ stimmen. Ein solcher Versuch würde vielmehr, wie man sieht, auf einen unend¬ lichen Regress führen. Dasjenige, was eigentlich „zwischen" Identität und Diffe¬ renz ist, bliebe immer ungesagt. Dieses dialektische „Zwischen" ist nicht nur beides, sondern auch keines von beiden, und eben darum nicht durch sie allein

54 zu bestimmen. Jede Bestimmung also, die sich allein auf die Begriffe Identität und Differenz stützt, läßt das eigentliche Zwischen, also gerade das, was gesagt werden soll, ungesagt. Das „Zwischen” zwischen Identität und Differenz muß auf anderem Wege zur Sprache gebracht werden. Neben dem Fremdwort „Reflexion" gibt es in der Sprache des Hegelschen Denkens vor allem zwei Ausdrücke, die dieses Zwischen bezeichnen: Wider¬ spruch und Grund. Die Logik zeigt uns dies schon durch ihre Gliederung: in der Fassung der Enzyklopädie wird der „Grund" als die dritte Stufe (also als die dialektische Synthesis) nach Identität und Differenz dargestellt, in der großen Logik steht an der gleichen Stelle der „Widerspruch", wie bereits ein Blick in ihr Inhaltsverzeichnis lehrt. Aber schon in der Fichteschen Wissenschaftslehre (in ihrem § 3) haben Widerspruch und Grund im ganzen den gleichen Platz inne, — sie sind das Dritte, die Synthesis nach Identität und Differenz. Über beide Begriffe, über Widerspruch und Grund, wollen wir im folgenden noch handeln. Jetzt sei nur noch einmal auf unsere erste Definition von Form ver¬ wiesen: Form als Grund von Identität und Differenz. Der Grund kann darum die Mittelstellung zwischen Identität und Differenz einnehmen, weil die Form Grund von Identität und Differenz ist. Auch die Reflexion hat, wie wir eben sagten, insofern sie die ganze Form ist, den Charakter, Grund zu sein. Bei der ersten Erläuterung des Begriffs „Reflexion" haben wir uns beschäftigt mit dem geschichtlichen Prozeß, der die Reflexion in die Mitte von Ich wie Form rücken läßt, der sie zum Wesen von Ich und Form macht, sowie mit den ver¬ schiedenen Doppelheiten oder Zweieinigkeiten, die den Charakter der Reflexion ausmachen: die Reflexion ist die Einheit und das Zugleich von Selbstgegeben¬ sein und formendem Begrenzen im Ich, dabei ebenso eine Einheit von Begrenzen und Hinausgehen über die Grenze, und so auch drittens eine Einheit von Diffe¬ renz (dem Begrenzen entsprechend) und Identität (dem Hinausgehen über die Grenze entsprechend). In diesen Rahmen müssen unsere folgenden Erörterungen über Reflexion hineingestellt werden. In dem Satz Hegels, von dem wir ausgegangen sind, war aber von der „reinen Reflexion" die Rede. „Das Wesen ist nur diese seine Negativität, welche die reine Reflexion ist." Wir haben nun zu fragen, was der Zusatz „rein" be¬ sagt. Damit kommen wir auf das Problem zurück, inwieweit die Einheit des Wesens zu Beginn der Logik des Wesens noch eine einseitige ist, und auf welche Weise diese Einseitigkeit in der Geschichte des Wesens bis hin zum Grunde auf¬ gehoben worden ist. Denn offenbar bezeichnet auch dieser Zusatz „rein" die¬ selbe Einseitigkeit, der Reflexion und dem Wesen fehlt zu Beginn gleichsam noch das „Unreine", das die Reinheit Aufhebende. Über dieses Reine und Unreine, d. h. über die Einseitigkeit des Beginns und ihre Aufhebung haben wir nun zu sprechen. Das „Unreine", welches Hegel dem Reinen entgegensetzt, ist das „Reale". Eine Seite in unserem Text fortschreitend lesen wir etwa: „Die Reflexion ist die reine Vermittlung überhaupt, der Grund ist die reale Vermittlung des Wesens mit sich" (L 11,64). Es handelt sich um denselben Gegensatz: das Wesen auf

55 der Stufe des Beginns und auf der Stufe des Grundes. Der Gegensatz wird nur unter die Begriffe „rein" und „real" gebracht. Wir beginnen mit einigen Bemerkungen zu dem Begriff „real". Hegel gebraucht den Ausdruck „Realität", der etwas anderes meint als „Sein", meist fast gleichbedeutend mit „Bestimmtheit" oder „Differenz". So heißt es z. B.: „Die Realität ist Qualität, Dasein; damit enthält sie das Moment des Negativen und ist allein dadurch das Bestimmte, das sie ist." (L 1,99), oder: ,, . . . der unbestimmte Ausdruck Realität heißt überhaupt nichts anders als das bestimmte Sein." (L 11,410). — Auch Kant zählt die Kategorie der Realität zu denen der Qualität, aber er stellt sie der Negation als eine andere gegenüber. Die Einheit beider sieht Kant in der Kategorie der „Limitation". Da für Hegel die Realität immer das Moment des Negativen enthält, wie wir soeben gehört haben, so steht sie in gewisser Weise der Kantischen Kategorie der Limitation näher als der Kantischen Realität. Kant sagt, die „Einschränkung sei nichts anders als Realität mit Negation verbunden" (KdrV Bill), und diese Ein¬ schränkung, Begrenzung entspricht mehr demjenigen, was Hegel als Realität denkt. Wir können auch daran erinnern, daß Schelling die Reflexion überhaupt als „begrenzende", d. h. als „limitierende" Tätigkeit gefaßt hat. Für das idea¬ listische Denken sind Realität und Negation nicht mehr zwei verschiedene Kategorien, sondern nach dem Grundsatz „omnis determinatio est negatio" ist jede Qualität auch Negation. Realität ist bestimmtes Sein, d. h. aber für Hegel, unterschiedenes Sein, Seiendes. Wenn Hegel nun „reine Vermittlung" und „reale Vermittlung" unter¬ scheidet, so kann das demnach nur bedeuten, daß die reale Vermittlung einen Unterschied in sich enthält, den die reine Vermittlung noch nicht hat. Die Ent¬ wicklung der reinen Vermittlung zur realen Vermittlung, d. h. von dem Wesen als Beginn zu dem Wesen als Grund besteht also darin, daß ein Unterschied hervorgebracht wird. Genau dasselbe sagt Hegel auch an anderer Stelle. Es heißt: „Das Wesen als die vollkommene Rückkehr des Seins in sich ist so zunächst das unbestimmte Wesen; die Bestimmtheiten des Seins sind in ihm aufgehoben; es enthält sie an sich, aber nicht wie sie an ihm gesetzt sind. Das absolute Wesen in dieser Einfachheit mit sich hat kein Dasein. Aber es muß zum Dasein übergehen; denn es ist An-und-Fürsichsein, d. h. es unterscheidet die Bestimmungen, welche es an sich enthält." (L 11,4). Dieser Satz klingt in einigen Formulierungen an den¬ jenigen an, dem gegenwärtig unsere Bemühungen gelten, und den wir hier noch einmal wiederholen wollen: „Das Wesen ist nur diese seine Negativität, welche die reine Reflexion ist. Es ist diese reine Negativität als die Rückkehr des Seins in sich; so ist es an sich oder für uns bestimmt, als der Grund, in dem sich das Sein auflöst. Aber diese Bestimmtheit ist nicht durch es selbst gesetzt; oder es ist nicht Grund, eben insofern es diese seine Bestimmtheit nicht selbst gesetzt hat." Beide Stellen sagen offenbar — und teilweise sogar mit denselben Worten — dasselbe.

56 Wir haben schon vorhin gehört, daß „Realität" und „Dasein" bei Hegel im allgemeinen dasselbe bedeuten: nämlich Unterschiedenheit, Seiendes als Be¬ stimmtes und Unterschiedenes. „Das absolute Wesen in dieser Einfachheit mit sich hat kein Dasein" — dieser Satz versteht sich danach von selbst. Die Einfach¬ heit ist Fehlen von Unterschied, also von Dasein. „Das Wesen muß zum Dasein übergehen, d. h. es unterscheidet die Bestimmungen, welche es an sich enthält". Das Ubergehen zum Dasein ist Produzieren von Unterschied. „Unterscheiden" ist bei Hegel immer aktiv, spontan zu verstehen, es meint nicht ein Auffassen eines schon vorhandenen Unterschiedes, also nichts Rezeptives, vielmehr ein aktives Grenzen-setzen, Begrenzen im bestimmungslosen Apeiron. Wenn Hegel die Einseitigkeit der Reflexion des Wesens zu Beginn seiner Geschichte auch dadurch ausdrückt, daß er sie eine „unmittelbare Einheit" nennt, so besagt dies dasselbe. Die unmittelbare Einheit ist einseitig darum, weil ihr die andere Seite, also die Vermittlung fehlt. Einheit kann aber offenbar nur vermittelt werden durch das „Andere ihrer selbst". (Dieser etwas seltsame Gebrauch des Genitivs könnte übrigens, beiläufig bemerkt, eine antike Quelle haben: Platon spricht im „Parmenides" ganz ähnlich von „ra aXXa toü evog". Man weiß aber, was der Platonische Parmenides für Hegel bedeutet hat). Das Andere der Einheit ist der Unterschied, d. h. die vermittelte Einheit kann nur durch den Unterschied vermittelt sein. Das Aufheben der Einseitigkeit der un¬ mittelbaren Einheit ist der Weg durch den Unterschied hindurch. Die Ausdrücke „rein" und „real" bedeuten also so viel wie „einfach" und „unterschiedshaltig". Nun hätten wir in konsequentem Fortgang zu fragen, durch

welchen

Unterschied der Weg in den Grund hindurchgehen müsse. Aber das wissen wir bereits Der Unterschied, der nicht nur für unser Kapitel über den Grund, son¬ dern für die ganze Hegelsche Logik konstituierend ist, ist derjenige zwischen der Form und einem „Anderen", einer Nicht-Form, einem An-sich außer der Form, oder wie immer man sagen will. Bei den drei mit „Form und .. ." überschriebenen Abschnitten werden wir ständig über diesen Unterschied zu sprechen haben. Wir benennen diesen Unterschied im allgemeinsten als denjenigen von Form und Sein oder von Reflexion und Unmittelbarkeit. Vorhin wurde er be¬ zeichnet als der von einfacher Identität und absoluter Negativität im Wesen, die beide noch in unmittelbarer Einheit sind. — In den wenigen Zeilen des Textes, die wir bisher gelesen haben, kam bereits dreimal das Wort „Sein" vor. Da in dem gegenwärtig durch Heidegger bestimm¬ ten Denken die „Frage nach dem Sein" eine so bedeutende Rolle spielt, ist es wichtig, hier auf Klarheit der Begriffe und der Problemstellungen zu dringen. Die Frage nach dem Sein, wie sie sich innerhalb der Hegelschen Logik stellt, ist immer die Frage nach dem Anderen der Form, sie spricht immer aus der Dia¬ lektik von Form und Sein, und dieses Gegenüber ist das Entscheidende. Die metaphysische Seinsfrage (in diesem Sinne der Frage nach dem Verhältnis von Form und Sein) gründet ebenfalls im eleatischen Denken, wie ja andererseits wir die Frage nach der Form (nach der Möglichkeit von Unterschied) die eleatische Frage genannt haben. Das Sein ist als das Andere der Form auch das Andere

57 des Unterschiedes, das schlechthin Ununterschiedene. Dies war in der Tat der Gedanke des Parmenides vom Sein. Dieser Begriff des Seins ist auch der ur¬ sprüngliche Hegels. Daß das Sein unmittelbar ist, resultiert aus der Äquivalenz von Vermitteltsein und Unterschiedensein. Da wir in der Hegelschen Logik es ständig mit der Dialektik von Reflexion und Unmittelbarkeit zu tun haben werden, so ist es für uns wichtig, darauf hinzuweisen, wie eng die Fragen nach der Möglichkeit von Unterschied und nach dem Sein als dem Ununterschiedenen zusammengehören. Der Weg des Wesens, der von der reinen Reflexion des Beginns zu der realen Reflexion des Grundes führt, ist das hervorbringende Aufheben eines Unter¬ schiedes, und dieser Unterschied ist derjenige von Form und Sein, von Reflexion und Unmittelbarkeit. Diese beiden Momente stehen also zu Beginn in unmittel¬ barer, d. h. unterschiedsloser Einheit, im Grunde dagegen in „konkreter", d. h. in einer in sich unterschiedenen Einheit. Für die unterschiedslose Einheit von Reflexion und Unmittelbarkeit zu Beginn der Geschichte des Wesens wollen wir nun einige Belegstellen anführen. Wir greifen auf den Abschnitt über die „Reflexion" (L II,13ff), und zwar insbesondere auf seinen ersten Teil über die „setzende Reflexion" (L II,14ff) zurück. Dort heißt es: „Diese sich auf sich beziehende Negativität ist also das Negieren ihrer selbst. Sie ist somit überhaupt so sehr aufgehobene Negativität, als sie Negativität ist. Oder sie ist selbst das Negative und die einfache Gleichheit mit sich oder Unmittelbarkeit. Sie besteht also darin, sie selbst und nicht sie selbst, und zwar in Einer Einheit zu sein." (L 11,14). Die beiden Momente — Reflexion und Unmittelbarkeit — sind jeweils das Nichtsein des Anderen. Die Unmittelbarkeit ist „Nicht-Reflexion", die Reflexion ist „Nicht-Unmittelbarkeit". Die Reflexion, also die Form, wird hier auch einfach „Negativität"

und das „Negative" genannt. Die „aufgehobene Negativität" ist

demnach wieder die Unmittelbarkeit, dasselbe wie die „einfache Gleichheit mit sich". Diese beiden Momente nun — Reflexion und Unmittelbarkeit, oder das Nega¬ tive und die aufgehobene Negativität — sollen in „unmittelbarer Einheit" sein. Jedes der beiden Momente ist unmittelbar selbst das Andere. So heißt es z. B. von der Unmittelbarkeit

die Unmittelbarkeit, die an sich das Negative,

das Negative ihrer selbst ist, dies zu sein, was sie nicht ist." (L 11,15). „Das Negative" und „das Negative der Unmittelbarkeit" sind dasselbe, nämlich die Vermittlung, Form überhaupt. Den angeführten Satz können wir auch so formu¬ lieren : Sein ist das, was es nicht ist, nämlich Form. Umgekehrt heißt es für die Reflexion: „So ist die Reflexion sie selbst und ihr Nichtsein und ist nur sie selbst, indem sie das Negative ihrer ist, denn nur so ist das Aufheben des Negativen zugleich als ein Zusammengehen mit sich" (L 11,16). Das Nichtsein der Reflexion wiederum ist das Unmittelbare. Die Form, das Nichts, ist auch das, was sie nicht ist, nämlich Sein. Zur Erläuterung könnte wiederum auf einen bekannten Satz der scholastischen Metaphysik verwiesen werden: ens et unum convertuntur. Dies ist so gemeint.

58 daß alles Seiende ein Eines ist, alles Eine ein Seiendes, — also gemeint in Be¬ ziehung auf das einzelne Bestimmte. Hegel dagegen will hier nicht das Be¬ stimmte, das Seiende selbst fassen, sondern seine Struktur, das Sein, die Un¬ mittelbarkeit; — man könnte sagen „esse et unio convertuntur": die unio (Beziehung auf sich, als Beziehung, Form ist sie Negativität) „vertauscht sich" mit dem esse (der Unmittelbarkeit), d. h. erweist sich, dies zu sein, und ebenso das Sein, Einssein, Beziehung auf sich, Reflexion zu sein. Die „Konvertierbar¬ keit" von ens und unum ist in diesem dialektischen Verhältnis begründet, ein Ausdruck davon, daß „sich auf sich beziehende Negativität einfache Gleichheit mit sich oder Unmittelbarkeit" ist. Die Reflexion ist sie selbst und ihr Nicht-Sein, und auch die Unmittelbarkeit ist sie selbst nur als das Negative ihrer. Was Hegel mit diesen Formulierungen zu sagen versucht, ist genau das, was er zu Beginn der ganzen Logik als unsag¬ bar bezeichnet hatte. Wir erinnern uns: der Unterschied von Sein und Nichts ist unsagbar — und zwar darum, weil keine Bestimmtheit diese beiden unter¬ scheidet. Wenn wir das Sein als Unterschiedenes denken, denken wir es nicht mehr als Sein, sondern als Seiendes. Denn das Unterschiedene ist durch seine Bestimmt¬ heit, durch sein Negiertsein unterschieden, es ist Reales, Seiendes, Dasein. Aber das Sein soll nicht als Seiendes, sondern als Sein, nicht als Unmittelbares, son¬ dern als Unmittelbarkeit gedacht werden. Aber es soll gedacht werden, insofern es von der Form unterschieden ist, d. h. als das „Nichtsein der Reflexion". Wie ist in diesen Widersprüchen zu vermitteln? Durch welche dialektischen Mittel könnte der unsagbare Unterschied doch gesagt werden? Dieselben Schwierigkeiten bei der Form: Unterschied ist immer Form-Unter¬ schied, er steht unter der Form und gehört als Moment zu ihr. Die Form kann als der Grund aller Unterscheidung ebenso wenig selbst ein Unterschiedenes, ein Seiendes, ein Reales sein. Hegel spricht oft von der „unendlichen Form", weil sie als der Grund aller Endlichkeit selbst nicht endlich ist. Auch hier also die Frage: wie kann die Form selbst ein Unterschiedenes sein? Wie kann dieser unsagbare Unterschied zur Form, nicht i n und unter der Form doch noch gesagt werden? Wie Hegel diese Fragen zu lösen, den unsagbaren Unterschied von Nichts und Sein zu sagen versucht, wollen wir aber noch nicht jetzt an Hand des Textes über die „setzende Reflexion" darzustellen versuchen obwohl dies mög¬ lich wäre. Später nämlich, in dem Teil, der über „Form und Wesen" handelt, kommt Hegel auf dieselben Fragen zurück, und wir wollen bis dahin warten, um dann seine Antwort zu hören. Unsere Darstellung der „unmittelbaren Ein¬ heit der einfachen Identität und der absoluten Negativität des Wesens" wird so zwar vorerst unvollkommen bleiben. Die eigentliche Einheit sogar bleibt undargestellt. Doch müssen wir dies in Kauf nehmen — die Wiederholung der Geschichte des Wesens bis zum Grund hin ist ja auch nur Vorfeld unserer eigentlichen Arbeit.

59 Wir kehren nun noch einmal zu dem Satz zurück, von dem unsere wieder¬ holende und nachholende Betrachtung ausgegangen war. „Das Wesen ist nur diese seine Negativität, welche die reine Reflexion ist. Es ist diese reine Negativi¬ tät als die Rückkehr des Seins in sich, so ist es an sich oder für uns bestimmt, als der Grund, in dem sich das Sein auflöst. Aber diese Bestimmtheit ist nicht durch es selbst gesetzt; oder es ist nicht Grund, eben insofern es diese seine Bestimmtheit nicht selbst gesetzt hat." Geschildert ist die Situation des Wesens, bevor es sich unterscheidet und zum Dasein übergeht, die reine Einheit von Reflexion und Unmittelbarkeit, in der beide Momente ohne den geringsten Ansatz der Selbständigkeit gegeneinander sind. Hegel nennt diese „reine Reflexion" nun auch „reine Negativität". Wir wissen, daß zwischen „Reflexion" und „Negativität" kein Unterschied besteht, insofern beide die ganze Form, Begrenzen überhaupt sind. Diese reine Negativität wird nun auch als „Rückkehr des Seins in sich" be¬ zeichnet. Um diesen Ausdruck, den wir auch schon einmal in dem Zitat von L 11,4 gehört haben, zu erläutern, müssen wir noch einmal auf den Abschnitt über die setzende Reflexion zurückgreifen. Rückkehr bedeutet, wie vorhin das Hinausgehen über die Grenze, das Moment des Hervorbringens von Synthesis, von Einheit. Rückkehr ist Rückkehr aus der Fremde, der Differenz, d. h. Ver¬ nichtung von Differenz und Herstellung von Einheit. Das „Rück-" meint die Bewegung zurück in sich, ins Eigene, Heimische, — dies alles ist Aufhebung der Andersheit. Zweitens aber ist Rückkehr überhaupt Bewegung, also ein Moment der Form. Die Form ist es ja auch, die Einheit hervorbringt, — es gibt keine Einheit außer der Form. Wenn es heißt, die reine Negativität ist Rückkehr, so ist umgekehrt die Rückkehr auch Negativität, d. h. Form. Wenn aber nun drittens das Sein nur Rückkehr in sich ist, so bedeutet dies ein Untergehen des Seins in der Form. Die Form hat (als das Sein-Gebende) kein Sein außer sich, das sie voraussetzt. Forma dat esse, — das Sein stammt aus der Form, ist schlechthin unselbständig gegen sie. Diese Unselbständigkeit liegt in der Logik des Wesens darin, daß sich das Sein zu Schein auflöst, daß vom Sein nur noch Schein übrigbleibt, — und über diesen Prozeß der Zersetzung des Seins in Schein müssen wir noch einiges sagen an Hand des Abschnittes über die setzende Reflexion. Dort lesen wir: „Diese Unmittelbarkeit, die nur als Rückkehr des Negativen in sich ist, — ist jene Unmittelbarkeit, welche die Bestimmtheit des Scheins ausmacht, und von der vorhin die reflektierende Be¬ wegung anzufangen schien. Statt von dieser Unmittelbarkeit anfangen zu kön¬ nen, ist diese vielmehr erst als die Rückkehr oder als die Reflexion selbst. Die Reflexion ist also die Bewegung, die, indem sie Rückkehr ist, erst darin das ist, das anfängt oder das zurückkehrt." (L 11,15). Wir haben wieder auf die beiden Momente Reflexion und Unmittelbarkeit und auf ihr Verhältnis zueinander zu achten. Dies Verhältnis zueinander ist die unmittelbare, ungeschiedene Einheit. Die Unmittelbarkeit ist die Bestimmtheit des Scheins, d. h. sie ist als Schein bestimmt und dadurch allerdings auch ein Bestimmtes, Negiertes, ein Abhängi-

60 ges. „Das Sein ist Schein ... Der Schein ist der ganze Rest, der noch von der Sphäre des Seins übriggeblieben ist" (L 11,9), war vorher gesagt worden. Das Unmittelbare, das Sein ist dadurch, daß es in Einheit mit der Reflexion ist, selbst ein Negiertes. Es hat kein Eigensein mehr, es ist nichts außer diesem Verhältnis, es hat keine Selbständigkeit gegen das Verhältnis. Sein ist je schon immer unterschieden, d. h. aber auch bezogen und Moment der Form. Die Form hat immer schon ihr Recht auf das Sein und ihre Macht über das Sein. Es ist nicht zuerst ein Unmittelbares da, das dann hinterher und außerdem noch in Beziehung auf die Reflexion käme — das Unmittelbare ist nur in dieser Be¬ ziehung. „Vorher schien die reflektierende Bewegung von der Unmittelbarkeit anzufangen", d. h. sie schien sie vorauszusetzen, um

an

ihr

Reflexion zu

sein. Die Form schien ein Ansich vorauszusetzen, an dem und dessen Form sie ist. Aber es war nur ein Schein, daß das Unmittelbare als ein vorher Vorhandenes vorausgesetzt war. „Statt von dieser Unmittelbarkeit anfangen zu können ist diese vielmehr erst als die Rückkehr oder als die Reflexion selbst." Das Un¬ mittelbare ist nichts vorher Vorhandenes, an dem dann die Reflexion, die spon¬ tane Bewegung des Formens und Negierens anfangen könnte, vielmehr ist diese — die Unmittelbarkeit — die Reflexion selbst, das Unmittelbare gehört zu dem, was sein Sein von der Form empfängt, es ist durch sein Geformtsein, — seine Einheit in sich ist die „Rückkehr" der Form, das Aufheben der Grenze. Dies ist wieder der paradoxe Satz, den wir bereits früher als für die unmittel¬ bare Einheit von Reflexion und Unmittelbarkeit kennzeichnend gehört hatten: Sein ist das, was es nicht ist, nämlich Form. — Zuerst war noch der Schein als ein „Rest von Sein" da, aber dieser Rest geht, wie man sagen könnte, „gegen Null". Dieser Rest von Sein ist ja nichts anderes als der Rest von Unterschiedenheit und Selbständigkeit, den das unmittelbare Ansich noch gegen die Form hat. Indem diese Unterschiedenheit verschwindet und zum Moment der Form wird, verschwindet auch der Schein, daß das Sein vor der Form da wäre und daß die Form es voraussetzen müßte, um an ihm anfangen zu können. Die Unterschie¬ denheit selbst ist es, die die Herrschaft der Form, und damit die Nichtunterschiedenheit des Seins, seine absolute Unselbständigkeit oder sein Momentsein dokumentiert. Diese erste und unmittelbare Einheit ist also in Wahrheit eine vollkommene Herrschaft der Form, die Alles ist. Die Form ist ein „eifriger Gott", der nichts mehr außer sich und unabhängig von sich anerkennt, der keine Voraussetzung hat. Die Rückkehr ist ursprünglicher als das Unmittelbare, die Bewegung als das, was in die Bewegung eingeht — „Bewegung" immer ver¬ standen als „Bewegung des Begriffs", als die Spontaneität des Formens, als die Tathandlung des Ich.

Dies alles ist dasselbe, was man gewöhnlicherweise unter der „Vernichtung des Dings an sich" im Idealismus versteht. Die Form ist Alles, es gibt nicht in den Erscheinungen noch ein selbständiges sie konstituierendes Moment, was außer der Form läge, — es gibt kein „formtranszendentes", in die Erscheinung eingehendes Moment (wir müssen hier noch einmal daran erinnern, daß wir das Ding an sich nicht als bewußtseins-, sondern als formtranszendentes Etwas

61 verstehen). Die „Reinheit" der Negativität besteht eben darin, daß sie allein ist, daß sozusagen nichts anderes, kein Ding an sich ihr ins Gehege kommt oder mit ihr konkurriert. Die Reinheit der Negativität ist eine absolute „Einsamkeit" und zugleich Alleinherrschaft der Form. So ist das Wesen „an sich oder für uns bestimmt, als der Grund, in dem sich das Sein auflöst". Hier müssen wir uns daran erinnern, daß der Grund die reale Vermittlung ist, die also den Unterschied schon in sich hat. In der ünmittelbaren Einheit ist der Unterschied ebenfalls schon „an sich" da, und wir haben ja auch gesehen, daß die Momente Reflexion und Unmittelbarkeit, gerade indem ihre Nichtunterschiedenheit behauptet werden soll, dennoch ständig unter¬ schieden werden müssen. Die Einheit soll ja nicht irgendeine beliebige Nicht¬ unterschiedenheit sein, sondern die Nichtunterschiedenheit gerade von Reflexion und Unmittelbarkeit. Diese Momente müssen also zumindest „wir", die wir hier philosophieren, unterscheiden, wenn wir ihre Einheit behaupten wollen. Sie sind „für uns" unterschieden — und das „Bestimmtsein als Grund" ist nur jener Unterschied. Er ist „an sich", indem er nicht durch die Form selbst gesetzt ist, — es ist kein Unterschied, dessen Grund die Form ist, d. h. es ist ein grundloser, äußerlicher Unterschied. Er wird erst seinen Grund finden, nämlich indem sich die reine Vermittlung in die reale Vermittlung entwickelt und als diese reale Vermittlung sein Grund erscheint, der zugleich der Grund ist. An unserer Stelle war von dem Grund die Rede, „in dem sich das Sein auf¬ löst". Über diese letzte Wendung ist noch eine Bemerkung angebracht. Der Grund ist bereits die reale Vermittlung, in der also der Unterschied von Reflexion und Unmittelbarkeit hervorgetreten ist. Das Sein ist also da, und es besitzt sogar eine gewisse Selbständigkeit gegen die Reflexion, anders als bei der setzenden Reflexion. Darin besteht ja gerade die Realität dieser Vermittlung. Demgemäß müssen wir das Wort „Sich-auflösen" verstehen. Es kann nicht ein bloßes Unter¬ gehen und Verschwinden meinen. Vielmehr gebraucht Hegel „auflösen" wie auch das bekanntere „aufheben" dialektisch-doppelsinnig. Einmal bedeutet „auflösen" zwar das Sich-Zersetzen — etwas „löst sich auf" und ist dann nicht mehr da. Ähnlich hat „aufheben" auch die Bedeutung von „vernichten". Daneben aber steht auch eine positive Bedeutung. „Auflösen" bedeutet ja auch etwa: zu einem Resultat finden. Wir lösen eine Aufgaben auf, indem wir ihre Antwort finden, und diese Antwort ist die „Auflösung". Oder ein Schlußakkord ist die Auf¬ lösung einer harmonischen Spannung. In diesen Fällen ist die Auflösung ein positives Resultat, etwas Bleibendes und Bestehendes. Beides muß bei Hegel in dem Wort „auflösen" mitgehört werden. Es bedeutet immer zugleich „Ver¬ nichtung" und „Vollendung". So auch hier: in gewisser Weise wird das Sein im Grund zwar vernichtet, „auf¬ gehoben", „aufgelöst". Aber gerade darin findet es seine Vollendung, es wird „aufgehoben", bewahrt und in die Höhe gehoben, es ist die „Auflösung", das positive Ergebnis des Widerspruchs. Wir werden später sogar von der „Wieder¬ herstellung des Seins" hören.

62 „Aber diese Bestimmtheit ist nicht durch es selbst gesetzt; oder es ist nicht Grund, eben insofern es diese seine Bestimmtheit nicht selbst geetzt hat. Die Bestimmtheit ist wieder der Unterschied von Reflexion und Unmittelbar¬ keit. Daß dieser Unterschied noch nicht durch das Wesen gesetzt, d. h. keine Hervorbringung der Form ist, hörten wir schon, und ebenso, daß das Wesen nur Grund ist als reale Vermittlung, d. h. indem es spontan diesen Unterschied hervorbringt und ihn setzt. Dadurch wird die Einseitigkeit der unmittelbaren Einheit aufgehoben, die reale Vermittlung des Grundes ist vermittelte Einheit. Im folgenden wollen wir nun dieses Aufheben der ersten Einseitigkeit, d. h. das Hervorbringen des Unterschiedes betrachten. Es soll sich zeigen, wie die Reflexion selbst den Unterschied von Reflexion und Unmittelbarkeit setzt. Auch dabei wird es sich weiterhin um ein Nachholen dessen handeln, was in der dialektischen Geschichte geschehen ist, ehe es zum Grunde kommt. Wir haben auf Grund des vorliegenden Satzes gesprochen über den Begriff der Reflexion, über die Reinheit dieser Reflexion in ihrem ersten Erscheinen, über den an sich in dieser setzenden Reflexion gelegenen Unterschied und die Paradoxien desselben. Im folgenden geht es um die Realisation dieses Unter¬ schiedes, in der das Unmittelbare als Bestehen und als Selbständigkeit sich manifestieren wird.

4. Die Realisation der reinen Reflexion

„Seine Reflexion aber besteht darin, sich als das, was es an sich ist, als Negatives zu setzen und sich zu bestimmen. Das Positive und Negative machen die wesenhafte Bestimmung aus, in die es als in seine Negation verloren ist. Diese selbständigen Reflexionsbestimmungen heben sich auf, und die zugrunde ge¬ gangene Bestimmung ist die wahrhafte Bestimmung des Wesens.” Das „aber", mit dem diese Ausführungen beginnen, leitet die Wendung ein, die von der unmittelbaren Einheit und der reinen Negativität in das Reale und in die ausgedrückte Unterschiedenheit führt. Es korrespondiert genau jenem „aber" an der früher gehörten Stelle: „Das absolute Wesen in dieser Einfachheit mit sich hat kein Dasein. Aber es muß zum Dasein übergehen . . ." (L 11,4). Seine Reflexion besteht darin, sich so zu setzen, d. h. dieses Sichsetzen ist die Bewegung, die ihm wesentlich ist, es ist die ihm zukommende Tätigkeit und Spontaneität. Nur in dieser Tätigkeit ist die Reflexion wahrhaft Reflexion und Form. Auch die reine Negativität des Beginns ist eben Negativität, also Form, wie ja alle Negativität Form ist. Aber dennoch gibt Hegel dieser Negativität des Beginns noch nicht den Namen „Form", diesen spart er vielmehr für die reale Vermittlung auf. Zur Form gehört nämlich wesentlich die Beziehung auf Ande¬ res als sie selbst, d. h. aber, Unterschiedenheit und reale Vermittlung. Dieser Unterschied freilich gehört ebenfalls schon zu ihrem eigenen Bestimmen, zu ihrem Grundsein von Unterschied, zu ihrer Tätigkeit. Form ist Reflexion, und

63 diese ihre Reflexion ist eben, nicht bloß Eins zu sein, ein ev und nichts weiter, — sondern die Reflexion besteht darin, sich zu bestimmen, sich als Negatives zu setzen. Nun aber haben wir uns der Frage zuzuwenden, was dieses Wirken zuwege bringt. Nur dadurch können wir eine genauere Vorstellung von der evegyeia der Form bekommen. Hegel gebraucht dafür die beiden gleichbedeutenden Aus¬ drücke „sich als Negatives setzen" und „sich bestimmen". Beide haben in der konkreten dialektischen Situation, in der sie stehen, jeweils einen doppelten Sinn, sie besagen zweierlei. Überhaupt muß man sagen, daß Formeln dieser Art bei Hegel ihren Sinn und ihre Bedeutung immer nur aus dem Zusammenhang bekommen, man kann schlecht allgemein angeben, was sie „an sich" bedeuten. Die Doppelbedeutung, die an der gegenwärtigen Stelle wichtig ist, ist die fol¬ gende: Wir haben schon gesagt, daß das Negative der Reflexion die Unmittel¬ barkeit ist.

Reflexion ist Vermittlung; Unmittelbarkeit ist Un-Vermittlung,

Nicht-Reflexion. Im folgenden etwa wird es heißen: „Dies Unmittelbare ist das durch das Wesen wiederhergestellte Sein, das Nichtsein der Reflexion . . ." (L 11,64). Uns interessiert hier nur, daß das Unmittelbare das Nichtsein oder das Negative der Reflexion ist. Es ist die eine Seite jenes fundamentalen und ausgezeichneten Unterschiedes von Reflexion und Unmittelbarkeit. Wir wollen also festhalten: Die eine Bedeutung, die das „sich als Negatives setzen" und „in seine Negation verloren sein" in unserem Zusammenhänge hat, ist eben diese: auf die Seite der Unmittelbarkeit treten, in die Existenz und in das Be¬ stehen hervorgehen, selbständig werden usw. Die Bewegung führt hiernach von der Negativität und Reflexion in die Unmittelbarkeit. „Sich als Negatives setzen" hat aber noch eine zweite Bedeutung, nämlich die des Hervorbringens des Unterschiedes. Dieser Unterschied wird hier als der¬ jenige von „Positivem" und „Negativem" beschrieben. Hiernach führt der Weg von der Einheit in die Zweiheit. Hegel faßt dies beides freilich als einen und denselben Weg, doch tun wir gut daran, uns im folgenden die beiden Aspekte dieses einen Weges auch in ihrer Unterschiedenheit vor Augen zu halten. Nur so können wir hoffen, das sehr komplizierte Gewebe, das Hegel in dem zweiten Kapitel „Die Wesenheiten oder die Reflexionsbestimmungen" (L 11,23—62) ausbreitet, wenigstens in kurzen Zügen darstellen zu können. Auch diese Untersuchungen gehören noch in den Bereich der erinnernden Wiederholung des Vergangenen. Wir wollen also im folgenden der Einfachheit halber beide Wege — den in die Unmittelbarkeit und den in den Unterschied — einmal gesondert betrachten, obwohl es Hegel natürlich gerade darauf ankommt, die Einheit beider Wege darzustellen. In der Dialektik des „Widerspruchs" z. B. (L II,48ff) sind die eigentlich sich gegenüberstehenden Seiten das Positive und das Negative — beide waren ja auch vorhin als die „wesenhafte Bestimmung" angegeben worden, in die als in seine Negation das Wesen verloren ist. Die Dialektik von Selbständig¬ keit und Unselbständigkeit aber wird nun derart auf die beiden Momente ver¬ teilt, daß sowohl das Positive wie das Negative jedes sowohl ein Selbständiges

64 wie ein Unselbständiges sind. Erst in dieser gesamten Vermittlung beruht nach Hegel das Wesen des Widerspruchs, also erst in der Einheit der Dialektik der Differenz und der Dialektik der Unmittelbarkeit. Wir aber wollen, wie gesagt, beides einmal voneinander trennen. In einem Text, der uns erst im folgenden beschäftigen wird, lesen wir: „Nach diesem Momente der aufgehobenen Reflexion erhält das Gesetzte die Bestim¬ mung der Unmittelbarkeit, eines solchen, das außer der Beziehung oder seinem Scheine identisch mit sich ist. Dies Unmittelbare ist das durch das Wesen wieder¬ hergestellte Sein, das Nichtsein der Reflexion, durch das das Wesen sich ver¬ mittelt." (L 11,64). Dieses Moment der aufgehobenen Reflexion, das Nichtsein der Reflexion ist die Unmittelbarkeit oder das Sein. Die Wendung, daß „das Wesen in seine Negation verloren ist", besagt ebenso wie diejenige, daß das Wesen sich als Negatives setzt, daß das andere der Reflexion nun seine Selb¬ ständigkeit bekommt. Die Form ist nicht mehr reine in sich kreisende Beziehung, sondern Form an etwas. Dadurch aber ist die Reflexion, die Form selbst negiert, und dieses Negieren drittens wieder eine Tätigkeit ihrer selbst. Die Beziehung der Form auf anderes ist selbst nicht formlos, sondern geformt, Moment der Form. Wir wollen nun zuerst über die allgemeinsten Bestimmungen des Unmittel¬ baren reden. Der angeführten Stelle entnehmen wir, daß die Unmittelbarkeit darin besteht, daß das Gesetzte außer der Beziehung oder seinem Scheine iden¬ tisch mit sich ist. Wir können hierbei zwei Bestimmungen unterscheiden: „außer der Beziehung" und „identisch mit sich". Beides zusammen macht die Unmittel¬ barkeit aus. Die reine Reflexion war die unterschiedslose Einheit. Es waren zwar die Momente an ihr — die Reflexion selbst und die Unmittelbarkeit — aber diese Momente waren nicht wirklich unterschieden und darum auch nichts Reales. Das „außer der Beziehung" aber hebt dies auf, die Momente haben ihre Realität. Die Beziehung ist die Reflexion selbst, — jenes Ganze von Einheit und Unter¬ scheidung, das wir früher zu beschreiben versucht haben. Die Beziehung ist sowohl Einheit wie Unterscheidung, die Bezogenen sind in einer Einheit Unter¬ schiedene. „Beziehung" und „Schein" werden hier gleichbedeutend gebraucht, denn beziehen oder scheinen ist die Tätigkeit der Form. „Außer der Beziehung" ist also die aufgehobene Reflexion, das „außer" gerade hebt sie auf. Dies ist das Unmittelbare, — zugleich das Negative, in das das Wesen verloren ist. Das Unmittelbare aber hat selbst in sich noch eine Beziehung: es ist identisch mit sich, oder, wie Hegel wohl auch sagt, sich selbst gleich. Dies ist die einzige Beziehung, die das Unmittelbare noch in sich hat, und sie läßt auch stets das Unmittelbare erkennen: nicht nur das Unmittelbare ist sich selbst gleich, sondern auch das Sich-selbst-gleiche ist unmittelbar. Vermittlung ist Unterscheidung, und Unterscheidung ist Vermittlung. Wenn in dem Sich-selbst-gleichen die Unterscheidung fehlt, so fehlt die Vermittlung, — es ist unmittelbar. Diese beiden Bestimmungen — das Heraustreten aus der Beziehung und die Gleichheit mit sich selbst — kennzeichnen das Unmittelbare. Als Ganzes ist es

65 das Nicht-sein der Reflexion, die Negation der Reflexion und des Wesens, die Aufhebung der Form. Wir wissen, daß das Unmittelbare als das Andere der Vermittlung zugleich auch das Sein ist als das Andere der Form. Die beiden Kennzeichen des Unmittelbaren sind also zugleich auch Kennzeichen des Seins. Auch diese Tatsache müssen wir uns noch einmal überlegen. Hegel sagt so viel wie: Alles was ist, ist identisch mit sich, — und alles, was identisch mit sich ist, ist. Identität mit sich und Sein sind äquivalent. Daran sehen wir als erstes, daß Sein hier nicht soviel wie raum-zeitliches Existieren meinen kann, denn natürlich existiert nicht alles, was identisch mit sich ist, sinnlicherweise in Raum und Zeit. „Sein'" hat bei Hegel vielmehr eine ganz allgemeine und leere Bedeutung. Auch das Mögliche z. B. i s t, — es ist ja nicht schlechthin nichtseiend. Das Mögliche und das Wirkliche unterscheiden sich also nicht wie Nichtseiendes und Seiendes, denn sie beide sind, und dies reine, leere Sein ist in beiden dasselbe. Die Identität mit sich des Möglichen ist die gleiche wie die des Wirklichen, und etwa beim Übergang von Möglichkeit zu Wirklichkeit erhält sich das Sein als das sich Kontinuierende. Was sich bei diesem Übergang ändert, ist etwas anderes als das Sein. Wir sehen also, daß Hegel unter Sein etwas Allgemeineres versteht, als man sich gewöhnlicherweise unter Wirklichkeit und Existenz denkt. Zum anderen sagt Hegel: Sein ist Außer-der-Beziehung-Sein. Hierzu müssen wir uns klarmachen, daß das Sein irgendwie das Positive ist gegen die Form als das Negative. Die Form ist die Beziehung, und wir sagten schon früher, alles Bezogene sei ein Negiertes, ein Nichtiges. Es ist Moment der Form, und dem Moment kommt die Unselbständigkeit und Abhängigkeit zu. Das Sein dagegen ist das, was irgendeinem Selbständigkeit und Aus-sich-sein gibt. Sein ist In-sichBeruhen und Negation des bloßen Momentseins. Was ist, ist insofern nicht Moment. So ist das Sein also Negation der Beziehung auf anderes, d. h. es ist Außer-der-Beziehung-Sein.

Beide Kennzeichen des Seins gehören für Hegel

unmittelbar zusammen, denn die Identität mit sich ist reine Beziehung auf sich und als solche schon Aufhebung der Beziehung auf anderes. Umgekehrt ist die Beziehung auf anderes Aufhebung der Beziehung auf sich, das Momentsein Aufhebung des Seins. Wir verstehen in diesem Zusammenhang, warum Hegel oft die Ausdrücke „Beziehung auf sich" oder „Reflexion in sich" synonym mit Sein verwendet. Gemeint ist stets die mit dem Sein äquivalente Identität mit sich, die Aufhebung der Beziehung auf anderes oder der Reflexion in anderes ist. Auf die Bedeutung, die diese Bestimmungen für die Dialektik von Form und Sein bekommen, werden wir noch zurückkommen. Wir wollen nun den Weg des Wesens in die Unmittelbarkeit hinein verfolgen, auf dem sich also die bloße Beziehung aufhebt und die Momente Selbständigkeit bekommen. In der reinen Reflexion waren die Momente schlechthin nicht unter¬ schieden von ihrer Beziehung aufeinander, es gab keine festen Bezogenen in der Beziehung. Die Form war absolut. Nun soll diese Beziehung selbst negiert wer¬ den.

66 Zunächst betrachten wir die „bestimmende Reflexion". „Die bestimmende Reflexion ist überhaupt die Einheit der setzenden und der äußeren Reflexion. Dies ist näher zu betrachten. — Die äußere Reflexion fängt vom unmittelbaren Sein an, die setzende vom Nichts. Die äußere Reflexion, die bestimmend wird, setzt ein Anderes, aber das Wesen, an die Stelle des aufgehobenen Seins; das Setzen setzt seine Bestimmung nicht an die Stelle eines Andern; es hat keine Voraussetzung. Aber deswegen ist es nicht die vollendete, bestimmende Re¬ flexion; die Bestimmung, die es setzt, ist daher nur ein Gesetztes; es ist Un¬ mittelbares, aber nicht als sich selbst gleich, sondern als sich negierend; es hat absolute Beziehung auf die Rückkehr in sich; es ist nur in der Reflexion in sich, aber es ist nicht diese Reflexion selbst." (L 11,20). Setzende und äußere Reflexion unterscheiden sich dadurch voneinander, daß die erste mit dem Nichts, die andere mit dem Sein anfängt. Wir sehen, daß auch der Unterschied dieser beiden Arten der Reflexion gedacht ist aus jenem unsagbaren Unterschied von Nichts und Sein, von Form und Unmittelbarkeit. Die setzende Reflexion hatten wir vorhin herangezogen, um die reine Reflexion oder die ununterschiedene Einheit der Momente darzustellen. Wir hatten schon damals gesehen, daß diese reine Reflexion eine „Alleinherrschaft der Form" darstellt in dem Sinne, daß es kein Äußeres, Selbständiges gibt, an dem die Form und dessen Form sie wäre. Es gibt kein Ding an sich, nur das Ich, welches Subjekt der Form und reines Aus-sich-Bestimmen ist. So fängt die setzende Reflexion mit dem Nichts an, — dem Nichts als der reinen Negativität, der Form. Sie enthält überhaupt nichts anderes als dieses Nichts in sich. Nun wird gesagt, das Setzen habe keine Voraussetzung — auch dies heißt dasselbe. Die Voraussetzung wäre das Unmittelbare, das die Vermittlung als etwas vor ihr Vorhandenes voraussetzen müßte, und

an

dem

sie zu vermitteln anfangen

könnte. Wir haben die Formulierungen gehört, mit denen Hegel dieses „An¬ fängen mit einem Andern" für die setzende Reflexion negiert. Hier heißt es, daß das von der setzenden Reflexion Gesetzte zwar ein Unmittelbares ist, „aber nicht als sich selbst gleich, sondern als sich negierend". Wir haben eben gesagt, Sich-selbst-Gleichheit sei eine der die Unmittelbarkeit kennzeichnenden Be¬ stimmungen. Hier fehlt sie, das Unmittelbare ist darum als „sich-negierend", in der reinen Form untergehend. Weiter wird gesagt, es habe „die absolute Beziehung auf die Rückkehr in sich". Dies negiert die andere Bestimmung der Unmittelbarkeit: es ist auch nicht „außer der Beziehung". Die Wendung „es hat die absolute Beziehung" bedeutet ja, daß in dieser Beziehung kein gegen die Beziehung selbst unabhängiges Substrat, kein Ansich zu denken ist. So ist das Unmittelbare nur in

der Reflexion in sich, es ist diese Reflexion nicht

selbst. Das „nur in" besagt wiederum dasselbe wie das „nicht außer", nämlich das absolute Verschwundensein des Dings an sich als eines unmittelbaren Subtrates für die Form, wie man es dem deutschen Idealismus zuzuschreiben pflegt. Aber diese Einseitigkeit wird hier auch noch anders ausgedrückt: das Unmittel¬ bare ist nicht diese Reflexion selbst. Daraus ergibt sich, wie sich diese Einseitig¬ keit aufzuheben hätte: auch das Unmittelbare müßte Reflexion in sich sein.

67 Doch fragen wir erst einmal nach der anderen Art der Reflexion, der äußeren. — Hegel macht oft dem von ihm

so genannten „Verstandesdenken" den

Vorwurf, daß es ein äußerliches Reflektieren sei und sich nur in gewöhnlichen Vorstellungen bewege. So werden wir in dieser äußeren Reflexion auch die gewöhnliche Vorstellung von dem, was Form ist, ausgedrückt finden. In einer Anmerkung zu dieser äußeren Reflexion schreibt Hegel: „In der Tat geht auch die denkende Reflexion, insofern sie sich als äußerliche verhält, schlechthin von einem gegebenen, ihr fremden Unmittelbaren aus und betrachtet sich als ein bloß formelles Tun, das Inhalt und Stoff von außen empfange und für sich nur die durch ihn bedingte Bewegung sei." (L 11,19). — Inhalt und Stoff von außen — das ist das Charakteristische jener Formvorstellung, die Hegel mit der „äußeren Reflexion" beschreiben will. Die Form ist keineswegs Alles, sie hat keine Alleinherrschaft, sondern sie „empfängt", und außer ihr ist ein Unmittel¬ bares da, von dem sie empfängt. „Mit der Unmittelbarkeit anfangend" oder „das Sein voraussetzend" sind nur andere, mehr spekulativ klingende Wendungen, mit denen Hegel immer dasselbe gewöhnliche Verständnis von Form beschreiben will. Hegel gebraucht an dieser Stelle wie stets den Ausdruck „formell" in dem Sinne, daß er gerade diese nur äußerlich verstandene Form meint. Gerade darum also, daß die Form nicht Alles ist, sondern das Wesentliche von Außen empfängt, ist sie „formell", und dieses von Hegel stets abwertend gebrauchte Wort be¬ zeichnet gleichsam nicht ein Zuviel, sondern ein Zuwenig an Form. Der Aus¬ druck „nur Form" ist also zweideutig: die „absolute Form", die allen Inhalt aus sich selbst bestimmt, ist ja ebenfalls in gewisser Weise „nur Form", aber keines¬ wegs formell. Bei der äußerlich verstandenen Form aber fehlt uns das Wesent¬ liche, wenn wir „nur die Form" haben. Und nur in diesem Sinne ist die „nur Form" das Formelle. Wenn Hegel den Ausdruck „formell" so abwertend ge¬ braucht, so bedeutet das insgesamt also gerade keine Abwertung der Form. Gerade die Form ist ja für Hegel das Wesen. Das in der äußerlichen Reflexion befangene Denken verfehlt auch die der Metaphysik angemessene kritische Haltung. Die äußerliche Reflexion geht näm¬ lich, wie wir zugespitzt sagen können, von d,er irrigen Voraussetzung aus, daß es Unterschiede gibt. Sie nimmt das Formale, das unter das Nichts gehört, als Voraussetzbares, als einfach und an sich Daseiendes, und steht demnach in jener naiven Beziehung zur Form, die dem unkritischen Denken eigen ist. Sie will, was dem Nichts gehört, dem Sein geben. Die äußerliche Reflexion ist ebenso nicht auf die das Ding konstituierende Einheit als etwas von dem Ding selbst als Vorhandenem Verschiedenes aufmerksam geworden. Sie steht also in jeder Weise vor der der Metaphysik eigentümlichen Wendung auf das Eigensein der Form. Wir sehen diese „metaphysische Wendung" ja stets darin am ursprüng¬ lichsten gegeben, daß es aufhört selbstverständlich zu sein, daß es Verbindung und Unterschied gibt. Der äußerlichen Reflexion aber ist dies noch selbstver¬ ständlich, sie denkt nicht „nachparmenideisch". Der Verlust dieser gewöhnlichsten Naivität wird zur Entdeckung der Intellektualwelt und ebenso zur eigentlichen „Reflexion", nämlich zu dem wahrhaften Verhalten des Ich zu sich selbst.

68 Wir haben also zwei Arten von Reflexion: die setzende Reflexion und die äußere Reflexion. Sie zeigten sich uns als zwei Weisen, wie Form verstanden werden kann. Die setzende Reflexion fängt mit dem Nichts an — dies ist die reine Form, die alles aus sich selbst bestimmt, die nichts, kein Ding an sich voraussetzt und die in keiner Weise Form an etwas anderem, gegen sie Selb¬ ständigem ist. Sie fängt mit dem Nichts an, d. h. sie fängt mit sich selbst an. Wenn wir für Form „Ich" sagen, so ist das Ich allein mit sich beschäftigt und schafft aus sich heraus alle Endlichkeit, Bestimmtheit und Mannigfaltigkeit. Das Ich ist die gesamte begrenzende und negierende Tätigkeit, und es gibt keine Grenze, die nicht von seiner Tätigkeit herstammt. In Schellings „System des transzendentalen Idealismus" ist die Vernichtung des Dings an sich in diesem Sinne wohl am weitesten fortgetrieben. Daneben aber setzt Hegel die äußere Reflexion, die mit dem Sein anfängt. Sie gibt das gewöhnliche Verständnis von Form wieder, daß nämlich die Form keineswegs Alles ist, sondern daß vielmehr gerade das Wichtige und Bedeutende etwas anderes ist, der Gehalt. Wenn man z. B. gegen Kants „formale Ethik" eine „materiale Wertethik" zu setzen versucht, so zeigt sich darin das Bedürfnis nach etwas mehr als bloßer Form, nach etwas „Gehaltvollem" oder „Substantiellem". Das gewöhnliche Verständnis von Form hat auch diese Gewohnheit, mit der Form allein nie zufrieden zu sein. Von der Kunst wünscht man ebenso, daß es ihr nicht nur um „bloße Form", sondern um den „Menschen" oder um etwas anderes „Wahres" als einen Gehalt gehe. Diese Auffassung von Form wider¬ spricht freilich dem Satz, den wir als Prinzip des Idealismus angegeben haben: forma dat esse rei, — sie ist unidealistisch. Denn wenn die Form das Sein gibt, so gibt es keinen Gehalt und keine Wahrheit außer der Form. Wenn Hegel nun die „bestimmende Reflexion" als die Einheit der setzenden und der äußeren Reflexion darstellt, so will er offenbar dieser äußeren Reflexion durchaus ihr Recht geben. Was sich in ihr ausspricht, ist keineswegs nur etwas Falsches, und man kann es nicht einfach beiseite lassen. Vielmehr kommt es gerade darauf an, die beiden Momente dialektisch zu vermitteln, so daß beide ihr Einseitiges verlieren und das Ganze das Wahre ist. Es hieß, die setzende Reflexion sei nicht die „vollendete, bestimmende Reflexion". Also erst diese Einheit ist vollendete

Reflexion — oder anders gesagt, ein wahres Ver¬

ständnis von Form hat erst, wer beides, das Anfängen mit dem Nichts und das Anfängen mit dem Sein, in seiner Einheit sieht. Die gewöhnliche Auffassung, daß außer der Form — wenn nicht das Wesen, so doch auch noch sehr Wesent¬ liches liege, sieht also durchaus ebenfalls etwas Wahres. Man kann das Ding an sich nicht vollständig abschaffen, um sich mit Form allein zu begnügen. Von dieser Stelle aus können wir sagen, es sei die wesentliche Aufgabe der Hegelschen Wissenschaft der absoluten Form, diese beiden Weisen der Reflexion, die setzende und die äußere Reflexion, in ihrer wahren Einheit, und in dieser Einheit die „vollendete Reflexion" zu denken. Dieser Ausdruck „vollendete Reflexion" ist sehr wichtig, wir müssen ihn festhalten, weil er später in wie¬ derum höchst bedeutsamem Zusammenhang erneut erscheinen wird (vgl. L 11,68).

69 Das Problem dieser Vermittlung aber ist kein anderes als dasjenige, was wir früher genannt haben: den unsagbaren Unterschied von Sein und Nichts zu sagen. Erinnern wir uns noch einmal an den Weg, der uns hierhin geführt hat: In der Einleitung in das Kapitel über den Grund lesen wir, daß das Wesen sich als Negatives setzt oder sich in seine Negation verliert, und dieses Sich-Verlieren wollten wir darstellen. Es zeigte sich, daß dieser dialektische Vorgang von Hegel als die bestimmende Reflexion beschrieben wird, — diese Reflexion aber als Einheit einer setzenden und äußeren Reflexion. In diesen beiden Arten von Reflexion fanden wir zwei grundsätzliche Möglichkeiten der Vorstellung von Form, um deren Vermittlung Hegel es zu tun ist. Wir hatten ebenfalls bereits gezeigt, daß die Fragen dieser Vermittlung vor allem das Unmittelbare betreffen: es kommt darauf an, das Unmittelbare zureichend zu denken. Das Unmittelbare soll nämlich, wie wir hörten, nicht nur in der Reflexion in sich, sondern auch diese selbst sein. Es soll nicht nur in der Beziehung auf anderes aufgehen, sondern auch seine Identität mit sich haben. Nur so kann sich die ganze Härte und Schärfe der Differenz in der Form entwickeln. Die Selbständigkeit des Un¬ mittelbaren beruht darin, daß es außer der Beziehung seine Gleichheit mit sich hat, und diese Gleichheit ist auch selbst eine Reflexion in sich. Diese Gleichheit des Unmittelbaren mit sich ist nach Hegel sogar nur dann gegeben, wenn es auch selbst Reflexion in sich ist — denn, so hatten wir gelesen, in der setzenden Re¬ flexion ist das Unmittelbare „nicht als sich selbst gleich, sondern als sich negie¬ rend". Diese Gleichheit mit sich bekommt das Unmittelbare erst in der bestim¬ menden Reflexion, denn da in ihr setzende und äußere Reflexion vereint sind, so ist nach dieser zweiten Seite das Unmittelbare nicht gesetzt, sondern voraus¬ gesetzt, es ist nicht in reiner Abhängigkeit von der Form, sondern hat ein Mo¬ ment der Unabhängigkeit. „Aber das Setzen ist nun in Einheit mit der äußeren Reflexion; diese ist in dieser Einheit absolutes Voraussetzen, d. h. das Abstoßen der Reflexion von sich selbst oder Setzen der Bestimmtheit als ihrer selbst." (L 11,21). Das „Abstoßen der Reflexion von sich selbst" meint dasselbe wie der Ausdruck, daß das Wesen in seine Negation verloren ist. Das Andere der Reflexion, die Unmittelbarkeit, bekommt in seiner Selbständigkeit zugleich selbst eine Reflexion in sich, eine Gleichheit mit sich, d. h. Eigen-Form. Insofern die Reflexion also nun auf der Seite sich findet, die eigentlich die andere ihrer selbst ist, hat sie sich von sich abgestoßen. Wir finden hier einen Gedanken, der für Hegels Versuch einer Vermittlung von Form und Sein sehr wesentlich ist: diese Vermittlung geschieht offenbar in so etwas wie einer „Form des Seins", und diese Form des Seins selbst ver¬ mittelt Form und Sein. Diese Form des Seins aber ist die Gleichheit mit sich: das Sein ist „es selbst" und so geformt. Dieses Es-selbst-Sein des Seins geht immer damit zusammen, daß es außer der Beziehung ist — man erinnert sich, daß wir dies als die beiden Kennzeichen des Unmittelbaren dargestellt haben. Etwas ist sich selbst gleich, wenn es nicht vollständig in einer Beziehung auf

70 anderes aufgeht, so daß es allein in und durch diese Beziehung wäre. Nur was sein Eigensein gegen eine Beziehung überhaupt hat, ist es selbst. Auch Heidegger schreibt einmal vom Sein: „Doch das Sein — was ist das Sein? Es ist Es-selbst. Dies zu erfahren und zu sagen, muß das künftige Denken lernen." (Platons Lehre von der Wahrheit. Mit einem Brief über den „Humanis¬ mus", Bern 1947, S. 76). Es sieht leicht so aus, daß dies sehr wenig sei, und man fragt sich, was das Denken zu lernen habe, um dies Wenige zu sagen. Kommt diese Bestimmung, Es-selbst zu sein, nicht einem jeglichen zu? Kann sich, wer so fragt, nicht sogar auf Hegel berufen, der das Sein ja selbst einmal die „allerärmste Bestimmung" nennt (und dies gerade darum, weil es „esselbst" ist, vgl. Enz § 51)? Was Heidegger dem Denken zu lernen aufgeben will, haben wir an dieser Stelle nicht zu fragen. Wie aber steht es bei Hegel mit dem Satz, das Sein sei es selbst? — Man muß sich klarmachen, daß dieses Es-selbst-Sein bei allem Endlichen, d. h. Unterschiedenen und Geformten, von grundsätzlich anderem Sinne ist als bei dem Sein, das kein Geformtes, sondern absolute Formtranszen¬ denz ist. Auch in der Kantischen Transzendentalphilosophie gilt, daß das Esselbst-Sein des Dings an sich etwas anderes ist als das Es-selbst-Sein des Erscheinungsobjektes, weil das Ding an sich kein mjv&etov und weil sein Sein nicht das der Modalkategorien sein soll. Auch dies kommt daher, daß die Form subjektiv und also das Geformte Erscheinung sein soll. Das Es-selbst-Sein der Formtranszendenz ist also darum so wichtig, weil sich an ihm überhaupt die Möglichkeit eines solchen Ansich entscheidet, was nicht nur außer dem Bewußtsein, sondern mehr noch außer der Form ist. Darin aber entscheidet sich die Macht der Form und die Vollendung dieser Macht. Das Es-selbst-Sein ist keine Form, weil es das ist, was das Sein ist, — und ist auf der anderen Seite dennoch wieder Form, weil die Identität ein Moment der Form selbst ist. In der Einheit von setzender und äußerer Reflexion bekommt das durch die Reflexion Gesetzte und Bestimmte nun auch seine Eigenständigkeit und sein Es-selbst-Sein. Die bloße Relativität der setzenden Reflexion ist darin aufge¬ hoben durch die verstandesmäßige Festigkeit der äußeren Reflexion, die an etwas anfängt. Durch sein Vorausgesetztsein nämlich hat das Unmittelbare den Charakter, außer der Beziehung sich selbst gleich zu sein. „Das Gesetztsein fixiert sich zur Bestimmung eben darum, weil die Reflexion die Gleichheit mit sich selbst in ihrem Negiertsein ist; ihr Negiertsein ist daher selbst Reflexion in sich" (L 11,21). Das Negiertsein oder das Nichtsein der Reflexion ist das Unmittelbare. Dieses ist es selbst gegen die Reflexion, indem es sich selbst gleich ist, und darin ist es selbst Reflexion. Auch das Sein des Dings an sich also (im Gegensatz zum Sein der Erscheinung) wird von Hegel als Reflexion in sich dargestellt. Er nennt das Ding an sich zwar erst bei Namen, wenn das, was hier als Bestehen ist, zur Existenz geworden ist (vgl. L 11,106), doch macht dies für die Sache gar nichts. Die Existenz ist ebenfalls Negiertsein der Reflexion wie

71 hier das von der äußeren Reflexion vorausgesetzte Sein. Und die formalen Vermittlungen, die Hegel gibt, sind ebenfalls in beiden Fällen dieselben. Wir müssen von dem Gesagten also festhalten jene Zweiheit von Möglich¬ keiten, Form zu verstehen, die sich in der Zweiheit von setzender und äußerer Reflexion zeigt, sowie die Bedeutung gerade dieser äußeren Reflexion für die Vermittlung von Form und Sein. Die äußere Reflexion fängt mit dem Sein an, sie hat ein Unmittelbares sich selbst voraus. Nur dadurch, daß sie in die voll¬ endete, d. h. bestimmende Reflexion eingeht, ist es, wie wir gesehen haben, möglich, daß das Sein es selbst ist als Nicht-Form und Nicht-Geformtes, daß also die Vermittlung von Form und Sein jene Einseitigkeit verliert, in der die eine oder die andere Seite das Vorherrschende wäre. Wir werden später, wenn wir die Vollendung der Reflexion im „absoluten Grund" betrachten, auf diese Fragen zurückkommen. Die bestimmende Reflexion ist eigentlich nur vorläufig die vollendete Reflexion, in Wahrheit bereitet sie nur die Vollendung der Re¬ flexion im absoluten Grund vor. Und auch für uns, die wir das Kapitel über den Grund interpretieren wollen, kann die Betrachtung der bestimmenden Reflexion nur Vorbereitung sein. Um es zusammenzufassen: Das Sichverlieren des Wesens in die Negation ge¬ schieht, soweit es die Unmittelbarkeit betrifft, in der Einigung von setzender und voraussetzender Reflexion, und zwar durch die letztere. „Das Gesetztsein ist daher als solches Negation; aber als vorausgesetztes ist sie als in sich reflek¬ tierte." (L 11,21). Das Gesetztsein ist die Bestimmung innerhalb des Wesens überhaupt, das Geformte als abhängig von der Form. Das Unmittelbare ist als bloßer Schein, d. h. als der Rest des Seins selbst in vollkommener Abhängigkeit von der Form, so ist es Gesetztes. Die Abhängigkeit des Seins ist Gesetztsein. Nach der Seite der äußeren Reflexion aber ist die Form ihrerseits abhängig von dem Unmittelbaren, dieses ist vorausgesetzt und nur als dieses so vorausgesetzte sich selbst gleich. Kehren wir nun noch einmal zu dem Satz zurück, von dem wir ausgegangen waren. „Seine Reflexion aber besteht darin, sich als das, was es an sich ist, als Negatives zu setzen und sich zu bestimmen. Das Positive und Negative machen die wesenhafte Bestimmung aus, in die es als in seine Negation verloren ist. Diese selbständigen Reflexionsbestimmungen heben sich auf, und die zugrunde¬ gegangene Bestimmung ist die wahrhafte Bestimmung des Wesens." Wir haben über den zweifachen Sinn gesprochen, der in dem „sich als Nega¬ tives setzen" liegt. Dieselbe Doppelheit gehört auch zu dem „Bestimmen". Dieses Wort hat einmal die ganz allgemeine und leere Bedeutung, die durch das Prinzip „omnis determinatio est negatio" angegeben wird. Demnach ist Be¬ stimmung gleichbedeutend mit Negation. Auch Hegel gebraucht das Wort meist in diesem allgemeinsten Sinne. Daneben findet sich das Wort aber auch auf andere, betonte Weise verwendet. Wenn wir etwa von der „Bestimmung des Menschen" reden, so meinen wir ja nicht irgend eine beliebige Bestimmtheit des Menschen, auch keine spezifisch kennzeichnende (Hegel nennt einmal das „Ohr¬ läppchen", L 11,455), sondern wir meinen eine Bestimmung, die das Wesen des

72 Menschen angeht. Das Wort „Bestimmung

hat hier eine tiefere Bedeutung, die

sich von seiner gewöhnlichen unterscheidet. Schon in der Logik des Seins hatte Hegel die „Bestimmung" in genauerer Bedeutung von der Bestimmtheit über¬ haupt unterschieden (vgl. L 1,110). An unserer Stelle kommt die Doppeldeutig¬ keit des Bestimmens daher, daß es einmal in der für Hegel gewöhnlichen Be¬ deutung des Unterscheidens genommen wird, einmal aber als das Sichnegieren der Reflexion und als das Hervortretenlassen der Unmittelbarkeit. Diese zweite Bedeutung ist nun die wesentliche, — deswegen nämlich wesentlich, weil in ihr etwas über das Anfängen der Form mit dem Sein gesagt wird. In dem Wort „bestimmende Reflexion" müssen wir beide Bedeutungen vereint mithören. Diese bestimmende Reflexion wird darum vollendete Reflexion genannt, weil sie nicht nur hervorbringend-aufhebender Grund von Verbindung und Unter¬ scheidung ist, sondern außerdem noch als Voraussetzen auf Sein bezogen. Nur in der Einigung dieses beiden liegt die Vollendung der Reflexion. Die be¬ stimmende Reflexion ist also „bestimmend" nach den beiden Bedeutungen dieses Wortes. Uns bleibt nun noch übrig, über das „Positive und Negative" sowie über das Zugrundegehen der Bestimmungen zu reden. Dies sind diejenigen Gedanken des vorliegenden Textes, über die wir noch gar nicht gesprochen haben. Hegel hat darstellen wollen, wie das Sichbestimmen des Wesens das Hervor¬ bringen des Unterschiedes ist, — also nicht das Hervorbringen eines Unter¬ schiedes, sondern des Unterschiedes, gleichsam des platonischen ü&teqov, der Idee des Unterschiedes, die in gewisser Weise aller Unterschied ist. Dieser Unterschied ist die Antithesis zur Identität, — auch dies im platonischen Denken vorgebildet. Innerhalb des Unterschiedes aber entwickelt Hegel wieder eine zunehmende Steigerung der Unterscheidung. Das Verhältnis der Unterschiede¬ nen zueinander bildet sich von dem leeren „A und Nicht-A" über Verschieden¬ heit und Vergleichung fort bis zu dem Gegensatz von Positivem und Negativem, und dieser nimmt den äußersten Punkt in dieser Steigerung der Unterscheidung ein. Aus diesem Grunde wird er von Hegel als „wesenhafte Bestimmung" innerhalb des Nicht-Seins der Reflexion angegeben. So heißt der erste Satz des Abschnittes über den Gegensatz: „Im Gegensatz ist die bestimmte Reflexion, der Unterschied vollendet" (L 11,40). Diese Vollendung des Unterschiedes ist es, die den Gegensatz als die wesenhafte Bestimmung auszeichnet. Hegel begründet diese Vollendung wie folgt: „Er ist die Einheit der Identität und der Ver¬ schiedenheit; seine Momente sind in Einer Identität verschiedene; so sind sie entgegengesetzte." (L 11,40). Wir sehen, daß diese Begründung auf das hinzielt, was überhaupt die Vollendung der Form und der Reflexion ist: auf jenes „Zwischen", das Identität und Differenz zugleich zusammen und auseinander hält. Darum ist der Gegensatz auch schon „an sich" der Grund, denn der Grund wird ja gerade diese Einheit, dieses „Zwischen" sein. Das Zugrundegehen des Widerspruchs bereitet sich im Gegensatz vor. Die im Gegensatz Unterschiedenen beziehen sich nicht wie die bloß Verschie¬ denen oder Verglichenen nur in einem Anderen aufeinander, so daß sie selbst

73

nichts mit dieser Beziehung zu tun hätten, vielmehr beziehen sie sich an sich selbst aufeinander. Die Verschiedenen sind im voraus in ihrem Wesen fertig, — die äußere Relation, durch welche sie Verschiedene sind, wird nur nachträglich ihrem Wesen angeheftet, ohne es zu ändern oder selbst mitzugestalten. Anders die Entgegengesetzten: die äußere Relation ist nicht das Unwesentliche gegen das ohne sie fertige Wesen, sie konstituiert vielmehr selbst das Wesen, und am Ende ist das Wesen nichts weiter als ein Inbegriff äußerer Relationen. Diejenigen nun, bei denen die Unterscheidung als äußere Relation selbst wesenskonstituierend ist, nennt Hegel hier „entgegengesetzt", und darin, daß die Beziehung auf Anderes das Eigensein der Momente erst zuwege bringt, liegt zugleich die Verbindung von Identität und Differenz. So wundert es uns nicht, wenn auch gerade im Gegen¬ satz die Unmittelbarkeit als das Andere des Wesens hervortritt — und zwar als Selbständigkeit. Mehrmals ist von dem „selbständigen Sein" sowohl des Positi¬ ven wie des Negativen die Rede, und dieses Sein ist die Negation des Wesens, in welche dieses sich verliert. Am Ende des Abschnittes über den Gegensatz heißt es: „Allein das ansichseiende Positive oder Negative heißt wesentlich, daß entgegengesetzt zu sein nicht bloß Moment sei, noch der Vergleichung angehöre, sondern die eigene Bestimmung der Seiten des Gegensatzes ist. An sich positiv oder negativ sind sie also nicht außer der Beziehung auf anderes, sondern daß diese Beziehung, und zwar als ausschließende, die Bestimmung oder das Ansichsein derselben ausmacht; hierin sind sie es also zugleich anundfürsich." (L 11,44). In diesen Sätzen kommt noch einmal der Grundgedanke des ganzen Abschnittes zum Ausdruck: die Beziehung auf anderes selbst ist das „Wesen", hier die Bestim¬ mung oder das Ansichsein der Bezogenen; — oder die Bezogenen haben kein Ansich außer der Beziehung auf anderes. Das Etwas ist verstanden als Inbegriff seiner Relationen. Da ist keine ovcrta, der die Relationen nur xara (mißeßrixog zukämen. Die Beziehung auf anderes heißt hier „ausschließend", weil dieses Andere, wie wir sagten, selbständiges Sein ist und so die negierende Beziehung auf es „ausschließend", d. h. zugleich ein Bestehenlassen ist. Sich ausschließen können nur Selbständige. Wir können nun also sagen, warum „das Positive und das Negative die wesenhafte Bestimmung ausmachen, in die das Wesen als in seine Negation verloren ist": nämlich sie sind die Vollendung des Unterschiedes, und diese wiederum sind sie, indem ihr Ansichsein die Beziehung auf Anderes selbst ist.. Sie sind als Unterschiedene nicht von ihrer Unterscheidung verschieden. Dies mag über das Positive und Negative genügen. Im Anschluß hieran wäre über das Zugrundegehen der Reflexionsbestimmun¬ gen zu reden, das ebenfalls noch in dem uns vorliegenden Satz erwähnt wird. „Diese selbständigen Reflexionsbestimmungen heben sich auf, und die zu¬ grundegegangene Bestimmung ist die wahrhafte Bestimmung des Wesens", so hatte es geheißen. Dieses Sichaufheben stellt Hegel im Widerspruch und als

74 Widerspruch dar (L II,48ff). Auch von diesem Abschnitt können wir hier nur einige Hauptgedanken hervorheben. Wir haben schon einmal darauf hingewiesen, daß die Bedeutung des Wider¬ spruchs für den deutschen Idealismus darin besteht, daß er nach der dialekti¬ schen Thesis der Identität und der Antithesis des Unterschiedes die Synthesis und als solche die ganze Form ist. So kann Hegel sagen, „Der Unterschied überhaupt ist schon der Widerspruch an sich; denn er ist die Einheit von solchen, die nur sind, insofern sie nicht eins sind, — und die Trennung solcher, die nur sind als in derselben Beziehung getrennte." (L 11,49). Schon der Unterschied überhaupt ist an sich dieses beides: Einheit und Trennung, und darum schon an sich der Widerspruch. Wir aber wollen hier nicht den Widerspruch selbst, sondern nur sein Zu¬ grundegehen betrachten, denn nur dies gehört unmittelbar zu unserem Geschäft. Das Zugrundegehen des Widerspruchs ist das Zugrundegehen der selbständigen Reflexionsbestimmungen, d. h. aber vor allem der Selbständigkeit dieser Re¬ flexionsbestimmungen. Die Selbständigkeit der Momente hebt sich auf, und zwar, wie Hegel ausführlich entwickelt, dadurch, daß diese Selbständigkeit be¬ dingt ist durch die ausschließende Reflexion. Jedes der Momente ist

nur

selbständig, insofern es das andere ausschließt. Dies Bedingtsein der Selbständig¬ keit ist aber gerade jene „Negation", durch die sie zugrundegeht. „Sie richten sich zugrunde, indem sie sich bestimmen als das mit sich Identische, aber darin viel mehr als das Negative, als ein mit sich Identisches, das Beziehung auf an¬ deres ist." (L 11,51). Etwas, was nur durch seine Beziehung auf anderes selb¬ ständig ist, ist „in Wahrheit" gar nicht selbständig, — seine Selbständigkeit ist nur ein Schein, der sich auch als solcher enthüllt. Wir müssen uns daran er¬ innern, daß die Beziehung auf anderes die Identität mit sich aufhebt, das Mo¬ mentsein das Sein. Als derart Bezogene sind die scheinbar mit sich Identischen in Wahrheit nur Negative. Der Widerspruch (zugleich die Einheit von Identität und Differenz) beruht darin, daß das mit sich Identische in Beziehung auf ande¬ res ist, und das Zugrundegehen des Widerspruchs ist zunächst das Verschwinden dieser Identität mit sich, die Enthüllung der nur scheinhaften Selbständigkeit der Momente.

Dies Verschwinden der Selbständigkeit ist aber nur die negative Seite, die das Zugrundegehen des Widerspruchs hat. Nach der anderen, der positiven Seite geht der Widerspruch nicht zugrunde, sondern in den Grund zurück. Nämlich indem jener Schein von Selbständigkeit verschwindet, verschwindet nicht die Selbständigkeit, sondern nur ihr Schein, und indem dieser Schein ver¬ schwindet, erscheint gerade die wahre Selbständigkeit. Das Zugrundegehen des Widerspruchs nach der negativen Seite aufgefaßt bedeutet: auch der Schein der Selbständigkeit hebt sich auf. Nach der positiven Seite aufgefaßt be¬ deutet dasselbe: der Schein der Selbständigkeit hebt sich auf. Der Grund ist die wahre Selbständigkeit, die kein Schein mehr ist. „Der Grund aber ist die vollendete Selbständigkeit" (L 11,53), heißt es demgemäß. Man sieht, daß dies Zugrundegehen des Widerspruchs vor allem die Dialektik der Unmittelbarkeit

75 betrifft,

in dieser Selbständigkeit gebt es um das „Sein", wie es von der

spekulativen Logik gedacht wird. Der Widerspruch ist nicht nur Synthesis von Identität und Differenz, sondern darin auch wesenhaft auf Sein (als Selb¬ ständigkeit) bezogen. Dasjenige aber, was im Zugrundegehen des Widerspruchs seine Selbständig¬ keit verliert, sind seine Momente, das Positive und das Negative. „Die aus¬ schließende Reflexion des selbständigen Gegensatzes macht ihn zu einem Nega¬ tiven, zum Gesetzten; sie setzt dadurch ihre zunächst selbständigen Bestimmun¬ gen, das Positive und Negative, zu solchen herab, welche nur Bestimmungen sind; und indem so das Gesetztsein zum Gesetztsein gemacht wird, ist es über¬ haupt in seine Einheit mit sich zurückgekehrt; es ist das einfache Wesen, aber das Wesen als Grund." (L 11,52). Die Selbständigkeit der Momente war darum nur eine scheinbare, weil sie bedingt war durch ihr gegenseitiges Sich-Ausschließen. Diese ausschließende Reflexion setzt sie darum zu Bestimmungen her¬ ab, sie hebt sie sozusagen von ihrer Selbständigkeit herunter. Die Momente sind nur Momente, nur Bestimmungen, und dieses „nur" drückt das Herab¬ gesetztsein aus. Dadurch, daß die Momente ihre Selbständigkeit verlieren und nur Momente sind, kehren sie in die Einheit ihrer Beziehung zurück. Sie sind als einander aus schließende nicht außer dieser Beziehung, dieses „außer" ist dasjenige, was eigentlich aufgehoben wird. So kehrt die Einheit zurück, sie ist das Resultat und dasjenige, was sich am Ende durchsetzt. Die Einfachheit des Wesens ist so wiederhergestellt. Diese wiederhergestellte Einfachheit ist zugleich nun die wahre Identität mit sich, d. h. die wahre Selbständigkeit. Die Beziehung erweist nicht nur die Unselbständigkeit der Bezogenen, sondern darin ebenso sich selbst als das eigentlich und wahrhaft Selbständige, die Beziehung stellt sich auf sich selbst, sie ist das Ganze, und ihr Anderes nur Moment. Diese neue Einfachheit in der Beziehung ist auch nicht mehr die reine Re¬ flexion des Beginns, sondern nun die reale Vermittlung und darum Grund. Sie ist nicht eine Einheit vor dem Unterschied, sondern eine Einheit nach ihm, die ihn als aufgehoben in sich enthält. Diese reale Einheit bestimmt Hegel als Grund. Wir sehen also, daß in dieser Bestimmung mehreres zusammenkommt: einmal die doppelte, hervorbringend aufhebende Beziehung auf Identität und Differenz, und dann jene Vermittlung von Reflexion und Unmittelbarkeit, die nun als die „wahre" oder „vollendete" Selbständigkeit dieses real-einfachen Wesens

vorhanden

ist.

Wir

müssen

stets

jene

grundsätzliche

idealistische

Doppelseitigkeit vor Augen haben: die Frage nach der Möglichkeit von Sym thesis und Differenz überhaupt läßt sich nur denken innerhalb des Horizontes einer Vermittlung von Form und Sein, — für den deutschen Idealismus aber gilt, als eines seiner spezifischen Kennzeichen, auch die Umkehrung: wir können die Vermittlung von Form und Sein nur denken, indem der Grund von Synthesis und Differenz überhaupt gedacht wird. Was wir als die beiden Wege getrennt haben, ist in Wahrheit nur Eines: die ineinander verschlungene Dialektik von Identität und Differenz wie von Reflexion und Unmittelbarkeit.

76 Wir wollen uns nun befassen mit der „wahrhaften Bestimmung des Wesens", die in diesem Zugrundgehen des Widerspruchs entsteht. Diese wahrhafte Be¬ stimmung ist der Grund, - eine für die Hegelsche Philosophie höchst wesent¬ liche Kategorie.

5. Der Grund

In den bisherigen Teilen unserer Interpretation haben wir bereits sehr häufig über den Grund gesprochen. Zum erstenmal kam er zur Sprache, als wir nach einer Definition von Form suchten. Wir sagten. Form sei Grund von Einheit und Differenz. Mit dieser Definition ist aber auch über den Grund bereits ein zweifaches entschieden. Einmal ist damit gesagt, daß der Grund in besonders naher und enger Be¬ ziehung zur Form steht. Wenn die Form überhaupt als Grund gedacht wird, so kann der Grund nicht nur eine der vielen einzelnen Formen sein, wie sie im Verlauf der ganzen Wissenschaft der Logik vorkommt. Der Grund ist vielmehr eine so wesentliche Kategorie, daß die Form als Ganzes von Hegel als Grund begriffen werden kann. Diese Nähe von Grund und Form wird später noch deutlicher werden, wenn Hegel unter dem Titel „Der absolute Grund" in drei Abschnitten auch ausdrücklich über die Form selbst handelt. Für das Begreifen des Grundes ist es das wichtigste, diese gegenseitige Nähe von Grund und Form einzusehen, die die Form als Ganzes grundhaft, den Grund zur ganzen Form macht. Aber durch unsere erste Definition von Form ist auch bereits etwas zweites über den Grund ausgemacht: nämlich daß er ebenfalls in bedeutender Nähe zu Identität und Differenz steht. Auch hierüber haben wir bereits gesprochen. Die Gliederung etwa der Enzyklopädie zeigt uns, daß der Grund das Dritte ist nach Identität und Differenz, also die dialektische Synthesis. Diese Nähe des Grundes zu Identität und Differenz gibt zugleich, wie ebenfalls schon aus früheren Er¬ örterungen deutlich wird, den Grund für die Nähe des Grundes zur Form: eben darum, weil der Grund die Synthesis von Identität und Differenz ist, kann er die ganze Form, und kann die ganze Form Grund sein. Dasjenige, was den Grund als Form auszeichnet, ist die Art seiner Beziehung auf Identität und Differenz. Früher haben wir darüber gesprochen, daß Hegel die Form als Tätigkeit be¬ greift. Dies gilt ebenso für den Grund. Auch der Grund ist Tätigkeit, gründende Bewegung. Und zwar ist seine Tätigkeit, wie wir bald sehen werden, eine dop¬ pelte: der Grund bringt hervor und er hebt auf, vernichtet. Der Grund ist hervorbringend-vernichtende Tätigkeit. Die hervorbringende Tätigkeit des Grundes geht auf Synthesis und Differenz. An dieser Stelle wollen wir noch einmal auf die Transzendentalphilosophie Kants blicken. Auch diese kennt ja ein Produzieren von Synthesis. Es wäre zu

77 fragen, inwiefern auch Kant dieses Produzieren zuweilen als „Gründen” denkt. Er sagt z. B.: „Die Synthesis überhaupt ist, wie wir künftig sehen werden, eine bloße Wirkung der Einbildungskraft" (KdrV B103). Hier ist von einer „Wirkung

die Rede, was auf die Kategorie der Kausalität hirideuten könnte,

so als sei die Einbildungskraft die Ursache für eine Wirkung, die Synthesis. Freilich im Sinne des Hegelschen Idealismus kommt für dieses Verhältnis nicht die engere Kategorie der Kausalität in Frage, sondern nur die weitere oder ur¬ sprünglichere des Grundes. Die Einbildungskraft ist nicht Ursache, sondern Grund, denn sie ist causa formalis. Das „Verrichten" von Synthesis ist Gründen. Wenn wir, wie das immer wieder nötig sein wird, die Hegelsche Logik mit der Kantischen Transzendentalphilosophie vergleichen wollen, so müssen wir uns durch dieses leiten lassen, um die rechte Möglichkeit eines Vergleichs zu be¬ kommen: dem „Grund" aus dem Hegelschen Denken entspricht bei Kant das¬ jenige, was Synthesis hervorbringt. Dieses beides müssen wir gleichsam aufeinanderhalten, um das Gemeinsame und Unterschiedliche sowie den geschicht¬ lichen Weitergang des Denkens zu ermitteln. Kant selbst hat in seiner Streitschrift gegen Eberhard „Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich ge¬ macht werden soll" sich am eingehendsten über die Probleme des Satzes vom Grunde geäußert. Für unseren Zusammenhang das wichtigste aus dieser Schrift ist, daß Kant hier den Leibniz'schen Satz vom zureichenden Grund mit dem Prinzip aller synthetischen Urteile aus seiner eigenen Transzendentalphilosophie förmlich gleichsetzt. Leibniz hatte den Satz vom zureichenden Grunde als den zweiten ursprünglichen und selbständigen Grundsatz der Metaphysik neben den sogenannten Satz des Widerspruchs stellen wollen. Kant äußert sich dazu: „Denn was heißt das: über den Satz des Widerspruchs müssen noch andere Grundsätze hinzukommen? Es heißt so viel, als: nach dem Satze des Wider¬ spruchs kann nur das, was schon in den Begriffen des Objekts liegt, erkannt werden; soll nun noch etwas mehr von diesem gesagt werden, so muß etwas über diesen Begriff hinzukommen, und wie dieses hinzukommen könne, dazu muß noch ein besonderes vom Satze des Widerspruchs unterschiedenes Prinzip gesucht werden, d. i. sie müssen ihren besonderen Grund haben. Da nun die letztere Art Sätze (jetzt wenigstens) synthetisch heißen, so wollte Leibniz nichts weiter sagen, als: es muß über den Satz des Widerspruchs (als das Prinzip ana¬ lytischer Urteile) noch ein anderes Prinzip, nämlich das der synthetischen Urteile, hinzukommen." (BA 120). Doch ist damit nur scheinbar eine Brücke zu der Hegelschen Metaphysik des Grundes geschlagen, denn Kant denkt nun als Grund nicht (wie oben angegeben) dasjenige, was die Synthesis hervorbringt, also die Einbildungskraft, sondern dasjenige, was Grund der Möglichkeit dafür ist, daß objektive Synthesis hervorgebracht werden kann. Dies aber ist die An¬ schauung, wie zwei andere Stellen der gleichen Schrift klarstellen: „Nun sieht man aus dem, was ich nur eben, als das kurzgefaßte Resultat des analytischen Teils der Kritik des Verstandes, angeführt habe, daß diese das Prinzip syntheti¬ scher Urteile überhaupt, welches notwendig aus ihrer Definition folgt, mit aller

78 erforderlichen Ausführlichkeit darlege, nämlich: daß sie nicht anders möglich sind, als unter der Bedingung einer dem Begriffe ihres Subjekts untergelegten Anschauung, welche, wenn sie Erfahrungsurteile sind, empirisch, sind es synthe¬ tische Urteile a priori, reine Anschauung a priori ist." (B 106) und: „Die Kritik aber zeigt diesen Grund der Möglichkeit deutlich an, nämlich: daß es die reine, dem Begriff des Subjekts untergelegte Anschauung sein müsse, an der es möglich, ja allein möglich ist, ein synthetisches Prädikat a priori mit einem Begriffe zu verbinden." (BA 108). Die Unterschiede sind also deutlich: nicht die Anschauung bringt die Synthesis hervor, dennoch ist sie dasjenige, was hier Grund genannt wird. Bei Hegel dagegen wird als Grund das verstanden, was die Synthesis selbst hervorbringt. Es versteht sich, daß der Satz vom zureichenden Grunde auf diese Weise selbst in dem einen Falle eine ganz andere Bedeutung hat als in dem anderen. Bei Hegel hat er den einfachen Sinn: Jede Synthesis ist hervor gebracht (oder vermittelt, wie Hegel sagt), es gibt keine Synthesis, die irgendwie an sich da ist, es gibt keine grundlose, unmittelbare, schlechthin vorhandene Synthesis. An dieser Stelle müssen wir anmerken, um den Unterschied zu Kant weiter¬ hin zu verdeutlichen, daß Hegel unter dem Grund gar nicht den Grund eines Urteils versteht, wie Kant an den angeführten Stellen. Der Grund eines syntheti¬ schen Urteiles und der Grund einer Synthesis (selbst in einem synthetischen Urteil) sind etwas Verschiedenes. Die Einbildungskraft kann, wie wir gehört haben, als Grund aller Synthesis betrachtet werden, aber sie ist nicht der Grund eines synthetischen Urteils, der Grund eines Satzes. Bei Hegel haben wir zunächst stets an den Grund einer Synthesis, nicht an den Grund eines synthetischen Urteils zu denken. Die Lehre vom Urteilen wie vom Erkennen im Urteilen han¬ delt Hegel in dem dritten Teil seiner Logik ab. Auch der „reale Grund", den wir später kennenlernen werden, ist nicht Grund von synthetischen Urteilen. Unterscheiden sich hierin Kant und Hegel also bereits sehr wesentlich von¬ einander, so ist dieser Unterschied in einer anderen Frage noch größer und ver¬ mutlich auch für die Philosophie wichtiger. Wir hatten gesagt, für Hegel gehe die hervorbringende Tätigkeit des Grundes auf Einheit und Differenz. Bei Kant hieß es, die Synthesis sei eine bloße Wir¬ kung der Einbildungskraft. Bei einer Gegenüberstellung dieser beiden Äußerun¬ gen erhebt sich die Frage, wie es sich mit dem Hervorbringen von Differenz bei Kant verhalte. Nimmt Kant den Unterschied (im Gegensatz zur Synthesis) als an sich vorhanden, als nicht hervor gebracht an, oder könnte er, wie er sagt, daß Verbindung nicht in den Gegenständen liegt (KdrV B134), auch sagen, Unter¬ schied liege ebenfalls nicht in den Gegenständen? Kant sagt, daß „unter allen Vorstellungen die Verbindung die einzige ist, die nicht durch Objekte gegeben, sondern nur vom Subjekte selbst verrichtet werden kann, weil sie ein Actus seiner Selbsttätigkeit ist". (KdrV B130). Daß von Hegels Denken aus anfecht¬ barste Worte dieses Satzes ist das „einzige", weil es einen Vorrang der Ver¬ bindung ausdrückt, den Hegel nicht akzeptiert. Wie für Hegel an der Tätigkeit der Form das Hervorbringen von Unterschied das wichtigste Moment ist, die eigent¬ liche negative Arbeit, die eigentliche „Energie", — so ist für ihn auch an der

79 Vorstellung das wichtigste, wie sich das Ich auf den Unterschied in ihr bezieht (Das Ich als In-seinem-Andern-bei-sich-selbst-Sein ist letztlich nur Sein zum Unterschied. Ich ist die Tätigkeit und die Fähigkeit, Unterschied in sich zu haben, sich in sich zu unterscheiden). Die Frage ist also, ob der Unterschied unter das gehört, was gegeben ist, oder unter das, was nicht vom Objekte gegeben werden kann, wie Kant von der Synthesis sagt. Daß diese Frage für das formmetaphysi¬ sche Denken sehr wichtig ist, ergibt sich vor allem aus dem, was wir über die Zusammengehörigkeit

der

eleatischen

Frage

mit

dem

yvcbth aaurov gesagt

haben. Hegel macht es Kant häufig zum Vorwurf, er habe sich in seine Meta¬ physik der Form zu ausschließlich an die Verbindung gehalten und habe nicht gesehen, daß der Unterschied so wenig wie die Verbindung einfach an sich und unvermittelt da sei und also so wenig wie sie gegeben sein könne. Z. B. sagt Hegel: „Schon der Ausdruck: Synthesis leitet leicht wieder zur Vorstellung einer äußerlichen Einheit und bloßen Verbindung von solchen, die an und für sich getrennt sind." (L 11,227). Daß die Trennung an und für sich, d. h. hier, un¬ vermittelt und nicht hervorgebracht ist, — das ist es, wogegen Hegel sich wen¬ det. Es geht dabei zugleich um die Interpretation dessen, was Synthesis eigent¬ lich ist. Die Synthesis soll nicht zur „äußerlichen Reflexion" werden, die den Unterschied voraussetzt, d. h. gegen Parmenides so tut, als gäbe es Unterschied. Hegel nennt jene Synthesis, für die das Unterschiedensein nichts Voraus¬ gesetztes und nichts Gegebenes mehr ist, sondern in der die Differenz in der Spontaneität der Form selbst erst entsteht, „immanente Synthesis" (L 1,82). Diese Synthesis ist der durch sie konstituierten Sache darum immanent (Hegel redet auch von „immanenter Form", z. B. L 11,373), weil jede Bestimmtheit, jede Unterschiedenheit der Sache abhängig ist von dieser Synthesis. Die Sache ist schlechthin nichts außer ihrer Form. Für unsere erste Betrachtung des Grundes am wichtigsten aber ist, daß der Unterschied als solcher abhängig ist von einem hervorbringenden Grund, wie nach Kant die Synthesis eine Wirkung der Ein¬ bildungskraft ist. Die Nähe des Grundes zur Form, die den Grund zum „absolu¬ ten Grund" macht, gründet eben darin, daß der Grund sich in der gleichen Weise auf Differenz bezieht wie auf Synthesis. In Hegelscher Ausdrucksweise ist der Grund sowohl das sich selbst Negierende wie das in sich Zurückkehrende.

Der Grund ist daher selbst eine der Reflexionsbestimmungen des Wesens, aber die letzte, vielmehr nur die Bestimmung, daß sie aufgehobene Bestimmung ist. Die Reflexionsbestimmung, indem sie zu Grunde geht, erhält ihre wahrhafte Bedeutung, der absolute Gegenstoß ihrer in sich selbst zu sein, nämlich, daß das' Gesetztsein, das dem Wesen zukommt, nur als aufgehobenes Gesetztsein ist, und umgekehrt, daß nur das sich aufhebende Gesetztsein das Gesetztsein des Wesens ist. Das Wesen, indem es sich als Grund bestimmt, bestimmt sich als das Nichtbestimmte, und nur das Aufheben seines Bestimmtseins ist sein Be¬ stimmen." Mit diesen Sätzen beginnt Hegel die eigentliche Erörterung des Grundes. Die Wiederholung und Vergegenwärtigung des zurückliegenden Weges ist zu Ende,

80 und nun soll über das Ziel dieses Weges, die „wahrhafte Bestimmung des Wesens" gesprochen werden. Freilich beginnt diese Erörterung nur langsam, das Wesentliche kommt erst nach und nach, und noch nicht in diesen ersten Sätzen zur Sprache. In ihnen findet sich vielmehr nur ein Gedanke, der in verschiedenen Wendungen von gleichem Sinn wiederholt und auseinandergelegt wird. Dieser eine Gedanke ist, daß die Bestimmtheit des wahrhaften Wesens gerade darin besteht, daß in ihm Bestimmtheit und Nichtbestimmtheit zusammenfallen. Das Wesen bestimmt sich als das Nichtbestimmte, — es ist so zugleich bestimmt und nichtbestimmt, und diese Einheit ist seine Bestimmung. Aber die Nichtbestimmtheit, von der hier die Rede ist, ist nicht die anfängliche der reinen Reflexion. Auch die reine Reflexion war nicht-bestimmt, sie sollte ja erst in die Bestimmung übergehen. Die Nichtbestimmtheit des Grundes ist aufgehobene Bestimmtheit, Nichtbe¬ stimmtheit nach der Bestimmtheit und aus der Bestimmtheit. Aber dieses „Nicht" ist auch selbst Bestimmung, denn Spinozas Grundsatz läßt Hegel auch umgekehrt gelten: omnis negatio est determinatio. Anders ge¬ sagt: Die Nichtbestimmung ist nicht nur zugrundegegangene, sondern darin auch „gegangene", d. h. resultierende Bestimmung, sie ist Einheit als Ergebnis einer Vermittlung. Die Bestimmtheit, von der dabei die Rede ist, ist die Negation, in die das Wesen sich entäußert hatte. Wir hatten gesehen, daß diese Bestimmtheit eine doppelte war: die Differenz und die Unmittelbarkeit, — entsprechend den beiden Wegen des Wesens. So ist der Grund als Einheit von Bestimmtheit und Nicht¬ bestimmtheit ebenfalls selbst eine doppelte Einheit: von Identität und Differenz wie von Reflexion und Unmittelbarkeit. Beide Wege des Wesens gehen in den Grund zurück. Wir werden beide Einheiten nacheinander darstellen, wie das in unserm Text auch Hegel selbst tut, und beginnen, wie Hegel, damit, die Be¬ stimmtheit als Differenz, den Grund also als Einheit von Identität und Differenz zu betrachten. Das Verhältnis von Nichtbestimmtheit und Bestimmtheit bezeichnet Hegel als „absoluten Gegenstoß der Reflexionsbestimmung in sich selbst". Dieser Gegenstoß ist die in sich gegenläufige Bewegung, die von der Nichtbestimmtheit in die Bestimmtheit und von der Bestimmtheit in die Nichtbestimmtheit führt. Form überhaupt wird hier, wie immer bei Hegel, nicht als statisch und ruhend, sondern als dynamisch verstanden, nicht als Verbindung und Unterscheidung, sondern als Verbinden und Unterscheiden, was beides Bewegungen sind. Das Unterscheiden verbindet, denn die Unterschiedenen werden durch den Unter¬ schied auch zusammengehalten, und die Verbindung unterscheidet, denn die Zusammengehaltenen erweisen sich eben und nur in ihrem Zusammengehalten¬ sein als zwei. Diese in sich-einige Bewegung ist der Gegenstoß, in dem Verbin¬ den und Unterscheiden, Bestimmen und Aufheben der Bestimmung gegenein¬ ander stoßen. Bestimmen, so allgemein als Negation überhaupt gefaßt, ist das Unterscheiden; — und das Aufheben, ebenfalls eine Negation, das Verbinden. Dieser Gegenstoß als die Einheit von Bestimmung und Nichtbestimmung ist

81 auch die Einheit von Identität und Differenz, — also genau das, was wir früher als „Reflexion" definiert hatten. Der Grund als Ganzes ist wiederum Reflexion, Gegenstoß in sich selbst, das „Zwischen" von Identität und Differenz. Der Grund ist darum Gegenstoß zwischen Identität und Differenz, weil er als ein und derselbe Grund Grund von Identität und Differenz ist. Es ist nicht so, daß da ein Grund wäre, der Synthesis, und ein anderer, der Differenz her¬ vorbringt, sondern beides „verrichtet" derselbe Grund, und zwar in demselben Gründen. Dies ist auch mit dem Ausdruck „immanente Synthesis" gemeint: die Synthesis, die hervorgebracht wird, enthält die Differenz, die zugleich hervor¬ gebracht wird, im Hervorgebrachtwerden in sich. Das Gesetztsein, das dem Wesen zukommt, ist dasselbe wie das Bestimmtsein (beide Worte bedeuten das Gleiche), also hier der Unterschied, der in seiner Vollendung der Gegensatz ist. (Das Verhältnis von Selbständigkeit und Ver¬ mitteltsein betrachten wir später). Der Unterschied ist im Wesen nur als auf¬ gehobener, — und umgekehrt, der aufgehobene Unterschied ist der Unterschied im Wesen. An einer früheren Stelle sagte Hegel das Gleiche mit folgenden Worten: „Zunächst geht also der selbständige Gegensatz durch seinen Wider¬ spruch in den Grund zurück; jener ist das Erste, Unmittelbare, von dem ange¬ fangen wird, und der aufgehobene Gegensatz oder das aufgehobene Gesetztsein ist selbst ein Gesetztsein. Somit ist das Wesen als Grund ein Gesetztsein, ein gewordenes. Aber umgekehrt hat sich nur dies gesetzt, daß der Gegensatz oder das Gesetztsein ein aufgehobenes, nur als Gesetztsein ist." (L II,52f). Der Gegensatz ist das Gesetztsein, das sich im Grund selbst als Gesetztes, d. h. in der Einheit Aufgehobenes und durch sie Bedingtes herausgestellt hat. Der Grund ist diese Bewegung, in der die Einheit nur durch den Unterschied, der Unter¬ schied nur durch die Einheit ist, — oder mit anderen Worten, das Gesetztsein (der Unterschied) ist nur als aufgehobenes Gesetztsein (Einheit), und nur das sich aufhebende Gesetztsein (die den Unterschied negierende Einheit) ist das Gesetzt¬ sein des Wesens (der Unterschied im Wesen). Diese Dialektik von Identität und Differenz hat ihr Vorbild in der SubjektObjekt-Relation. Das Objekt ist außer dem Bewußtsein (Differenz) und zugleich in ihm (Einheit). Das Subjekt ist eben diese Fähigkeit, sich derart dialektisch zu seinem Äußeren zu verhalten, in seinem Anderen, wie Hegel sagt, bei sich selbst zu sein. In meinem Bewußtsein ist nichts als Ich, — das Objekt in mir ist in mich selbst, in Ich verwandelt, und ich bin in ihm bei mir selbst. Zugleich ist es außer meinem Bewußtsein, nicht bloß Vorstellung, und insofern ist es das Andere des Ich. Für Hegel ist wie für die Idealisten vor ihm das Verhältnis von Subjekt und Objekt der Ursprung und Urgrund aller Form, — die „ursprüngliche Synthesis", die auch Ursprung aller Synthesis und hervorbringende Tätigkeit ist. Deshalb ist es durchaus erlaubt, dieses Verhältnis zur Erläuterung des absoluten Grundes heranzuziehen. — Es sei noch einmal daran erinnert, daß nach Hegel Kant dadurch den absoluten Grund des philosophischen Erkennens gelegt hat, daß er das Ich als reine Apperzeption, d. h. als ursprüngliche Synthesis gefaßt hat.

82 Sich selbst begreifen heißt, das Eigensein der Form und sich als Ursprung der Form zu begreifen. Das Ich ist kein Seelending, sondern Ursprung der Form, und Form umgekehrt ist nichts Vorhandenes, sondern nur die Tat des Ich. „In diesem Bestimmtsein als dem sich seihst aufhebenden ist es nicht aus anderem herkommendes, sondern in seiner Negativität mit sich

identisches

Wesen." Das Bestimmtsein ist das Andere des Wesens. Indem sich diese Andersheit aufhebt, scheint das Wesen aus diesem Anderen herzukommen. Diese „Her¬ kommen", dasselbe wie die „Rückkehr", die wir früher kennengelernt haben, meint wiederum das Aufheben des Unterschiedes, Verbinden als Rückbeziehen auf sich. Es ist das Wiederherstellen der Einheit, das aus dem Unterschied von Positivem und Negativem in den in sich einheitlichen Grund zurückführt. Der Grund ist die Einheit von Positivem und Negativem, die sich im Widerspruch zeigt. „Aus anderem herkommend" heißt durch anderes gesetzt, anderes voraus¬ setzend. Dieses Andere wäre die Bestimmtheit des Wesens, die wir hier als Differenz fassen (die freilich, wie wir wissen, auch das Moment der Unmittel¬ barkeit in sich enthält). Aber weil das Bestimmtsein sich aufhebt, setzt das Wesen es auch nicht voraus. Das Aufheben dieser Bestimmtheit ist gerade das Aufheben des Voraus¬ setzens. Das Wesen ist nicht durch sein Bestimmtsein, weil dieses kein wirklich anderes gegen es ist. Das Wesen ist nur Wesen in der Beziehung auf das andere seiner selbst, im Sein-in-der-Getrenntheit, — aber dennoch ist es in dieser Beziehung kein Un¬ selbständiges, es hat an dem Anderen keine Voraussetzung, weil dieses Andere nur anderes ist als aufgehobenes Anderes. Wieder diene das Ich als erläuterndes Beispiel: Dem Ich ist nur das ein Anderes, das für es ein Anderes ist, dessen Andersheit also auch aufgehoben ist. Ein an sich Anderes ist gar kein Anderes. Auch die tägliche Erfahrung lehrt dies: wirklich fremd kann für das Ich nur ein anderes Ich sein, das es gut kennt. Bei einem völlig unbekannten und gleich¬ gültigem Anderen kann es nie das Erlebnis der eigentlichen Fremdheit haben. In solchen Fällen wird die Andersheit in eins mit der Aufhebung der Andersheit erst konstituiert. Eine solche Andersheit aber ist die dem Wesen gemäße Anders¬ heit im Unterschied zu einer bloß gleichgültigen äußerlichen Andersheit. Das Wesen ist in seiner Negativität mit sich identisch, die Andersheit seines Anderen ist aufgehoben, das Wesen ist voraussetzungslos. Gerade darin aber konstituiert sich die Andersheit, die als solche nur in der Einheit ist. Daß das Wesen in seiner Negativität mit sich identisch ist, darf also nicht so verstanden werden, als ob damit die Negativität ihre Kraft verlöre. Entscheidend ist vielmehr, daß sie nur in ihrer Aufhebung ihre Kraft und ihre Schärfe bekommt. Nicht für den schlafenden Säugling, sondern für die denkende Vernunft ist die Welt das Fremde, weil nur diese die Tätigkeit ist, die Einheit hervorzubringen, in der die Welt als Anderes wird. Auch die Differenz zur Welt wird nur durch die Tätig¬ keit, die in ihr bei sich selbst ist.

83 ,,Insofern von

der Bestimmung aus als dem Ersten, Unmittelbaren zum

Grunde fortgegangen wird (durch die Natur der Bestimmung selbst, die durch sich zu Grunde geht), so ist der Grund zunächst ein durch jenes Erste Bestimm¬ tes." Die Dialektik von Identität und Differenz im Grund wird nun fortlaufend weiter entfaltet. Wir werden sehen, daß in diesem dialektischen Verhältnis noch andere dialektische Verhältnisse, die den Grund charakterisieren, unmittelbar angelegt sind. Zunächst hören wir nur von einer Seite des zweifachen Wesens des Grundes: der Grund ist bestimmt, d. h. negiert dadurch, daß er jenes Andere, Erste vor¬ aussetzt. Er ist so selbst das Abhängige und darum Nichtige. Zugleich steht er so jenem als ein Anderes gegenüber, er bleibt Moment des EJnterschiedes. Hegel sagt, es sei die Natur der Bestimmung, durch sich selbst zugrunde zu gehen. „Natur" meint hier das Ansichsein. Jede Bestimmung ist also an sich das Gegenteil ihrer selbst. Denkt man sich die Bestimmung als Unterschied, so ist sie an sich Einheit, denkt man sie sich als Grenze, so ist sie an sich Auf¬ heben der Grenze, Hinausgehen. Bei alle diesem muß man stets die Vorstellung im Auge haben, daß Form Tätigkeit und Bewegung ist. Einheit und Unterschied sind niemals vorhanden, einfach gegeben und fertig Daseiendes, sondern sie sind stets als einende und unterscheidende Bewegung, als Tätigkeit, als evEQyeia. Wenn man den Satz „es gibt keine Unterschiede" eben so versteht, daß Unter¬ schiede nichts an sich Vorhandenes und Gegenständliches, sondern nur Akte einer spontanen Tätigkeit sind, so ist er allerdings der Grundsatz der Dialektik. Unterschied ist nur innerhalb der Bewegung der Form, welche Bewegung nach dem Hegelschen Idealismus auch Subjektivität konstituiert. Insofern nun der Grund Resultat dieses Zugrundegehens der Bestimmung (d. h. des Widerspruches) ist, ist er durch jenes bestimmt. Das Zugrundegehen ist selbst ein Negieren, welches nicht nur das Zugrundegehende, sondern auch den Grund negiert. Das Negieren gilt nach rückwärts wie nach vorwärts, denn der Grund ist nur durch jenes Zugrundegehen, und durch diese seine Bedingung ist er gesetzt. Sein Bedingtsein ist sein Bestimmtsein. Deutlicher wird dies noch, wenn wir uns daran erinnern, daß der Grund als reale Vermittlung bestimmt ist. Die Realität der Vermittlung aber hängt ab davon, daß das Wesen sich in seine Negation verliert oder sich in die Reflexions¬ bestimmung entäußert. Diese Entäußerung bedingt den Grund, und bleibt zu¬ gleich als Moment im Grund erhalten und aufgehoben. „Allein dieses Bestimmen ist einesteils als Aufheben des Bestimmens die nur wiederhergestellte, gereinigte oder geoffenbarte Identität des Wesens, welche die Reflexionsbestimmung an sich ist;



andernteils ist diese negierende Be¬

wegung als Bestimmen erst das Setzen jener Reflexionsbestimmtheit, welche als die unmittelbare erschien, die aber nur von der sich selbst ausschließenden Re¬ flexion des Grundes gesetzt und hierin als nur Gesetztes oder Aufgehobenes gesetzt ist."

84 Dieser Satz ist in zwei Teile gegliedert, die durch „einesteils

und „andern-

teils" unterschieden sind. Was in dem ersten Teil gesagt wird, ist wiederum nur das bereits Gehörte: das Wesen bestimmt sich nur insofern, als es sich als Nichtbestimmtes bestimmt. Die Bestimmung ist die Unterscheidung, das Auf¬ heben der Unterscheidung ist so Wiederherstellen der Identität. Die Reflexions¬ bestimmung ist diese Identität an sich: nämlich gerade darin, daß sie ihr Gegen¬ teil ist. Sie ist ja hier als Unterschied gefaßt, und der Sinn ist also: der Unter¬ schied ist an sich die Einheit der Bezogenen. Der Unterschied ist, wie wir früher hörten, „die Einheit von solchen, die nur sind, insofern sie nicht eines sind, — und die Trennung solcher, die nur sind als in derselben Beziehung Getrennte." (L 11,49). Die Identität ist im Unterschied darin, aber nur an sich, noch nicht gereinigt und noch nicht geoffenbart. Diese Reinigung und Offenbarung ge¬ schieht im Aufheben des Unterschiedes, das zugleich das Zugrundegehen des Widerspruches ist. Der Grund ist Einheit, und zwar eben diejenige Einheit, die im Unterschied an sich war. Andernteils ist diese negierende Bewegung als Bestimmen erst das Setzen jener Reflexionsbestimmtheit. Bisher haben wir gehört, daß die Reflexionsbestimmtheit im Grunde zugrunde¬ geht, ja, daß der Grund gar nichts anderes ist als dieses Zugrundegehen der Reflexionsbestimmung. Nun erfahren wir aber auch, daß der Grund jene Re¬ flexionsbestimmtheit erst setzt. Und „Setzen" bedeutet hier Hervorbringen. Da¬ mit stoßen wir offenbar erst auf die eigentliche Problematik des Grundes. Wir sind von Anfang an von einer Vorstellung von Grund ausgegangen, die mit dem, was wir bisher über den Grund gehört haben, nicht recht in Einklang stand. Für uns war der Grund stets Grund von Einheit und Differenz als das¬ jenige, was beide hervorbringt. Bis jetzt aber haben wir in unserem Text nur gehört, daß der Grund Einheit und Differenz in sich aufhebt, d. h. sie gerade vernichtet. Unsere Vorstellung von Grund war zweifellos die gewöhnlichere und näherliegende, denn als Grund pflegt man sich etwas Hervorbringendes und nicht etwas Vernichtendes zu denken. Der Grund vernichtet nicht das, dessen Grund er ist. Aber in Hegels Denken steht es anders. Bei ihm ist der Grund zunächst das Zugrunderichtende, und erst als zweites erfahren wir, daß der Grund ebenso hervorbringt. Dies ist die Eigentümlichkeit dessen, was Hegel als Grund denkt. Wir wissen, daß wir unter dem Grund die causa formalis, die öqxü xaxd tö elöog zu verstehen haben. Die Tätigkeit der Form ist das Gründen. Die Tätigkeit der Form aber ist, wie wir ebenfalls bereits wissen, das Negieren. So ist also das Gründen zuerst und zunächst ein Negieren. Und nur darum kann der Grund dasjenige sein, was vernichtet, indem es hervorbringt. Nach Hegel ist also der Grund immer zugleich und in einem hervorbringende und vernichtende Tätigkeit. Dieser merkwürdige Begriff vom Grund ist die Folge davon, daß das Negative als Grund gedacht ist. Gewöhnlich denken wir uns ein Positives als Grund eines anderen Positiven, vielleicht ein Ding als Grund eines anderes Dinges. Die Form aber hat jenen seltsamen anderen, mit

85

keinem Vorhandenen vergleichbaren Charakter, sie ist völlig anders Grund, als je ein Ding, ein Positives Grund sein kann. Die Form ist die absolute Macht des Negativen, des Nichts, — und das Nichts ist nur Grund in jener Zweiheit von Hervorbringen und Vernichten, von Gründen und Zugrunderichten. Die Aufgabe des metaphysischen Denkens ist hier wieder. Form (und das heißt das Ich) nicht nach Maßgabe unserer gewöhnlichen Ding-Vorstellungen zu denken. Der Unterschied von Ding und Form überträgt sich in den Grund: Die Form ist anders Grund als ein Ding. Die Form gründet nur als vernichtende. In der vorkantischen metaphysischen Theologie ist Gott als reine Form ge¬ dacht worden. So kommt es, daß dem Gründen Gottes, der Schöpfertat Gottes stets einige Eigenschaften beigelegt worden sind, die dem Gründen der Form zukommen. So vor allem diejenige, daß alles Gegründete, alles Geschaffene ein Nichtiges ist. Das ens creatum ist an sich nichtig. „Denn alles, was entsteht, ist wert, daß es zugrundegeht", sagt Mephistopheles: nicht darum, weil nur Schlechtes und Mangelhaftes entstünde, sondern weil Entstandensein selbst immer schon Nichtigkeit ist. Das Entstehen ist an sich bereits Zugrundegehen, denn es ist Grund jener Nichtigkeit, deren Werk das Zugrundegehen ist. Ent¬ stehen und Vergehen haben nicht verschiedene Gründe, sondern im Entstehen entsteht die Nichtigkeit des Vergehens. Diese traditionellen Vorstellungen mögen als Erläuterung dienen für das, was Hegel dann freilich in seiner eigenen Weise als Grundsein des Negativen denkt. Forma dat esse rei: was sein Sein aus der Form empfängt, empfängt es aus der Nichtigkeit, aus dem, wodurch es negiert wird. Der Grund ist also die Einheit einer hervorbringenden und vernichtenden Tätigkeit. Vorher aber hatten wir ihn als die Einheit von Identität und Differenz bestimmt. Auf den Zusammenhang zwischen diesen beiden Bestimmungen soll noch kurz hingewiesen werden. Einheit und Unterschied, die beide nur als Bewegungen sind, sind untrennbar voneinander. Wegen dieser Untrennbarkeit ist die Beziehung des Grundes auf beide nur eine einzige Beziehung. So ist die Beziehung auf die Differenz zugleich Beziehung auf das, was die Differenz vernichtet, die Einheit. Hervorbringen von Differenz ist zugleich Hervorbringen von Einheit, d. h. Vernichten von Differenz, und umgekehrt. Weil der Grund sich nie allein auf Einheit oder auf Differenz bezieht, sondern stets nur auf beide zumal, darum ist er auch nie allein Hervorbringen oder Vernichten. In der Dialektik des Begrenzens, in der das Begrenzen nur ist in Vermittlung mit dem Hinausgehen über die Grenze, liegt das gleiche. Weil der Grund für ein zweifaches Grund ist, darum ist er auch auf zweifache Weise Grund, als hervorbringendes Vernichten. Wir haben schon erwähnt, daß Schelling der ideellen Tätigkeit des Ich beide Funktionen zuschreibt, das Begrenzen wie das Hinausgehen. Auch das Produzieren dieser ideellen Tätigkeit ist darum in der gleichen Weise Grund: zugleich Hervorbringen wie Vernichten. Dieses Produ¬ zieren produziert immer auch das Nichtsein des Produzierten. Die negierende Bewegung, d. h. die Formspontaneität, die jene Bestimmungen

86 hervorbringt, wird nun die „sich selbst ausschließende Reflexion des Grundes" genannt. Dies geschieht darum, weil im Gegensatz die Beziehung der beiden einander entgegengesetzten Seiten aufeinander, also des

Positiven und des

Negativen, als „Ausschlüßen" bestimmt worden war. Einmal schließt das Posi¬ tive das Negative aus, zum anderen das Negative das Positive. Diese beiden Ausschließen sind aber nur scheinbar voneinander verschieden, es ist äußerlich, sie durch ein „einmal" und „zum anderen" voneinander zu trennen. Hegel will gerade zeigen, daß sowohl das Positive wie das Negative nur sind in ihrer Be¬ ziehung aufeinander, oder daß diese Beziehung das Ansichsein beider ist. Das Positive ist nur seine Beziehung auf das Negative, und umgekehrt. So ist es dieselbe Beziehung, die beide hervorbringt. Es ist nicht so, daß erst die eine Beziehung des Positiven auf das Negative das Positive konstituierte, und dann die andere Beziehung das Negative hervorbrächte. Dies würde ja bedeuten, daß sie beide eine Seite hätten, nach der sie unabhängig voneinander wären. Aber dieselbe Beziehung konstituiert beide, d. h. das Ausschließen des Negativen und das Ausschließen des Positiven ist

ein

Ausschließen, und dieses Aus¬

schließen die Einheit beider Momente. Im Gegensatz ist diese Einheit nur an sich da, der Grund erst ist sie als Realisierte. Hegel benutzt nun diesen Namen „ausschließende Beziehung" oder „ausschließende Reflexion" für die Beziehung der Einheit auf die Momente nicht nur im Gegensatz, sondern auch im Grund. Das Ausschließen hat sich als Name für die an sich seiende Einheit innerhalb des Gegensatzes ergeben, die Einheit hat sich nun, wie wir eben gehört haben, als „gereinigte und geoffenbarte wiederhergestellt", — so kann der Name ihr bleiben. Die ausschließende Reflexion ist eigentlich nichts anderes als die Re¬ flexion überhaupt, die ganze Form, — d. h. eben die hervorbringend-aufhebende Beziehung der Einheit auf die unterschiedenen Momente. Das Ausschließen bringt erst das Positive und das Negative hervor, zugleich aber hebt es diese beiden als Momente in seiner Einheit auf. Sowohl das Positive wie das Negative sind nur Momente in der sie beide wechselseitig voneinander ausschließenden Beziehung. Wir können also auch sagen, das Ausschließen sei schon an sich der Grund. Darum nennt Hegel die Einheit des Grundes in dieser Beziehung die „sich selbst ausschließende Reflexion des Grundes". Sich selbst schließt sie aus, indem sie Einheit ist, sie aber Differenz hervorbringt. Ebenso die Differenz: sie ist gesetzt in dem doppelten Sinn, daß sie hervorgebracht und aufgehoben ist. Wenn Hegel zum Schluß sagt, daß die Reflexionsbestimmtheit „nur als Ge¬ setztes oder Aufgehobenes gesetzt ist", so finden wir ein Beispiel einer dialekti¬ schen Überbeanspruchung der Sprache, wie sie in der Hegelschen Logik bis¬ weilen anzutreffen ist. Denn das gleiche Wort „gesetzt" muß in diesem Satz nach seinen beiden Möglichkeiten verstanden werden, das erstemal als „auf¬ gehoben", das zweitemal als „hervorgebracht". Aber der Sinn des Satzes kommt eben nur darin zum Ausdruck, daß beide Male dasselbe Wort steht. Denn das Hervorbringen und Aufheben soll nur eine negierende Bewegung sein. Das Gesetztsein des Wesens ist nur als aufgehobenes Gesetztsein, und umgekehrt, nur das sich aufhebende Gesetztsein ist das Gesetztsein des Wesens.

87 ,,So kommt das Wesen, indem es sich als Grund bestimmt, nur aus sich her. Als Grund also setzt es sich als Wesen, und daß es sich als Wesen setzt, darin besteht sein Bestimmen. Dies Setzen ist die Reflexion des Wesens, die in ihrem Bestimmen sich selbst aufhebt, nach jener Seite Setzen, nach dieser Setzen des Wesens, somit beides in einem Tun ist.” Das Wesen kommt, indem es sich als Grund bestimmt, nur aus sich her. Das¬ jenige, was da kommt, d. h. was überhaupt sich bewegt, ist die Bestimmung selber. Bewegung in der Logik ist ja immer „negierende Bewegung", Tun der Form. Die Bestimmung kommt aus dem Wesen her, und zwar „nur", — es gibt keinen anderen Anfang außer dem Wesen für die Bestimmung. Dies gilt nach diesem Satz sogar für die Bestimmung des Grundes selbst, denn gerade in dieser Bestimmung soll das Wesen aus sich selbst kommen. Das We¬ sen bestimmt sich als Grund. Diese Bestimmung besteht in der Realisierung der reinen Reflexion. Das Wesen muß zum Dasein übergehen, und dieses Übergehen ist das Sichalsgrundbestimmen. Das Übergehen des Wesens ins Dasein ist Hervorbringen des Unterschiedes, — dies aber gerade ist die Tätigkeit des Grundes. Er ist ja nur Grund darum, weil er den Unterschied hervorbringt. So gründet dieses Übergehen des Wesens in das Dasein im Grund, und nicht umge¬ kehrt der Grund in diesem Übergehen. Es ist dasselbe, was wir eben gehört haben: zunächst scheint der Grund durch jenes Erste bedingt und bestimmt zu sein, aber er selbst ist dieses Bestimmen (und zwar als Aufheben und Hervor¬ bringen). Oder die Einheit im Unterschied schien zuerst ein Zusammenfassen zu sein, was hinterher kommt. Aber als ausschließende Reflexion erwies sich dieses Zusammenfassen, vielmehr selbst erst den Unterschied hervorzubringen. Es kommt nicht nach dem Unterschied, sondern geht ihm vorweg. Das Zusammen¬ fassen selbst ist das Entzweien. Die nachträgliche Einheit zeigt sich als das Vorhergehende. Und in dieser Umkehrung, daß die Einheit des Grundes nicht nur das Auf¬ heben, sondern ebenso das Hervorbringen des Unterschiedes ist, liegt auch die Rückkehrung, daß das Wesen nicht aus einem andern, sondern nur aus sich selbst hervorgeht, indem es sich als Grund bestimmt. Beides ist das gleiche Auf¬ heben des Voraussetzens und des Vorausgesetzten. Als Grund setzt sich das Wesen a 1 s Wesen. Dies hat wiederum einen dop¬ pelten Sinn: Es hebt sich selbst auf und verwirklicht sich selbst. Wir haben eben gesehen, daß der Grund darum sich selbst ausschließende Reflexion ist, weil er sich selbst aufhebt, indem er Differenz hervorbringt. Aber nur, indem er Diffe¬ renz hervorbringt, ist er a 1 s Grund, d. h. ist er reale Vermittlung. Wir können auch sagen, wie jede Form, so sei auch die „als-Struktur" eine Negation. Denn das „als" drückt ebenfalls eine Formbeziehung aus. Indem das Wesen sich als . . . setzt, negiert es sich. Aber es setzt sich als W e s e n, d. h. es verwirklicht sich. Dieses Sich-selbst-Verwirklichen fällt mit dem Sich-negieren zusammen, — es ist „sich selbst ausschließende Reflexion". Die realisierte Einheit ist die Einheit, in der der Unterschied realisiert ist, und die Einheit kann sich nur da¬ durch selbst realisieren, indem sie ihr Gegenteil, den Unterschied realisiert. Da-

88 durch aber gerade hebt sie sich auf. Der Grund ist also nicht nur in Beziehung auf anderes eine Einheit von Aufheben und Hervorbringen, sondern ebenso in Beziehung auf sich selbst. Oder er selbst ist sich das Andere, das er zugleich auf¬ hebt und hervorbringt. Der Grund ist selbst die Einheit, als deren Aufheben er Grund ist, — er ist Einheit, aber Grund nur als Hervorbringen von Differenz, d. h. als Aufheben von Einheit. Es heißt dann: „ . . . und daß es sich als Wesen setzt, darin besteht sein Be¬ stimmen". Nun werden die beiden Seiten auch ausdrücklich auseinandergenom¬ men. Denn das Bestimmen hat hier wieder den allgemeinen Sinn von Hervor¬ bringen des Unterschiedes überhaupt, — gerade dies aber ist das Sich-selbstaufheben. Um das dialektische Verhältnis zu vervollständigen, muß im ersten Teil das Sich-als-Wesen-Setzen eben das Sich-realisieren meinen. Ebenso im folgenden: „Dies Setzen ist die Reflexion des Wesens, die in ihrem Bestimmen sich

selbst

aufhebt".

Die

Reflexion ist

einheitliches

Bei-sich-selbst-Bleiben,

Hervorbringen der Einheit und Aufheben des Unterschiedes, — aber gerade dies heißt, sich selbst aufheben, sich selbst bestimmen. Die Einheit von Hervorbringen und Aufheben bezieht sich auf sich selbst und auf anderes: indem sie sich selbst hervorbringt, hebt sie sich auf, und sie hebt ebenso das Andere auf, indem sie es hervorbringt; und ebenso, indem sie sich selbst hervorbringt, hebt sie das Andere auf, und indem sie dieses hervorbringt, hebt sie sich selbst auf. „Dies Setzen ist die Reflexion des Wesens, die in ihrem Bestimmen sich selbst aufhebt, nach jener Seite Setzen, nach dieser das Setzen des Wesens", — damit wird es schwierig, über den Sinn der Worte noch genau zu entscheiden. Gemeint ist mit „jener Seite" das Bestimmen, mit „dieser Seite" das Sichselbstaufheben. Demnach wäre das Setzen das allgemeine Negieren überhaupt, die reine Form¬ spontaneität — das Setzen des Wesens dagegen das Negieren des Wesens. Das Erste wäre die negierende Beziehung auf Anderes (Objektives), das Zweite die damit zusammenfallende Beziehung der Formspontaneität auf sich selbst, die ein sich selbst Negieren oder ein sich selbst Aufheben ist. Da der Ausdruck „Setzen" zweideutig ist und schon selber so viel wie „Aufheben" und „Hervor¬ bringen" heißen kann, sind diese Sätze bis ins einzelne Wort hinein dialektisch beladen. Wir wollen aus diesen Erörterungen festhalten, daß die Tätigkeit der Form die doppelte Gestalt hat, sich auf sich selbst und auf anderes zu beziehen. Dies ist allerdings im ganzen nur ein anderer Aspekt der Dialektik von Identität und Differenz, weil die Beziehung auf sich selbst der Identität, die Beziehung auf anderes der Differenz entspricht. Wir haben unter Ausdrücken wie „Rückkehr" und anderen ja bisher auch stets die Aufhebung der Differenz verstanden. Inso¬ fern das Objekt im Bewußtsein ist, kehrt das Ich in ihm in sich zurück. Am Beispiel des Bewußtseins zeigt sich wiederum wohl am deutlichsten, daß eine auf das Fremde gerichtete Tätigkeit stets zusammengeht mit einer „Reflexion", einer in sich zurückgehenden Tätigkeit. Darin, daß dem Ich ein Objekt gegeben ist, ist es stets auch sich selbst gegeben, und nur einem solchen, das sich selbst gegeben ist, kann ein Objekt gegeben sein.

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Dieses in der Tätigkeit der Form enthaltene Moment der Selbtbezüglichkeit rechtfertigt auch am meisten den Namen „Reflexion" für die Totalität der Form. Ursprünglich, z. B. bei Locke, war dies ja ein Name für das Vermögen des Ich, sich selbst gegeben zu sein. Ebenso wesentlich, wie dieses Vermögen für das Ich ist, ist das Moment der Selbstbeziehung für die Tätigkeit der Form. Die nach innen gerichtete Beziehung des Sichselbstgegebenseins und die nach außen gerichtete Tätigkeit des Formens gehören notwendig und untrennbar zusammen, sie sind nur verschiedene Aspekte derselben einen Tätigkeit, — dies ist das we¬ sentliche Resultat dieser Erörterung der Reflexion. Der Weg nach innen und der Weg nach außen sind derselbe Weg, ließe sich nach Heraklit sagen. Die Richtung nach innen und die Richtung nach außen sind für das spekulative Denken beides Differenz, — und beide Differenzen entstehen in ein und derselben Bewegung des Grundes. Beide sind eigentlich nur eine Differenz, denn das Ich ist bei anderem, indem es in sich selbst hinabsteigt, und es ist bei sich und sich selbst gegeben in seiner nach außen gerichteten Tätigkeit des Begreifens, des spon¬ tanen Formens. Die so komplexe Spontaneität der Form ist aber insgesamt nur eine Tätig¬ keit. Die Einheit dieser negierenden Bewegung, der ivegyeia des eiÖog oder der Tathandlung des Ich ist eine einheitliche Bewegung in der ganzen Vielzahl der Momente. Wir fassen noch einmal zusammen: Die Form ist reines Tun, Bewegung oder Spontaneität, und zwar immer ein Negieren. Aber diese eine Spontaneität ist in sich in mehrfacher Weise dialektisch ge¬ teilt, sie ist: a) Beziehung auf sich selbst und auf Anderes; b) Beziehung auf Einheit und auf Differenz; c) Hervorbringende Beziehung und aufhebende Beziehung. Diese Momente sind nun noch auf vielfache Weise miteinander verknüpft, so daß das entstehende Gewebe den Anschein großer Kompliziertheit bietet. Es lichtet sich aber, wenn man sich diese wenigen grundsätzlichen Beziehungen gesondert vor Augen hält. Die Sonderung ist freilich der Sache nicht ganz an¬ gemessen, denn diese soll ja gerade auch ihre Einheit sein. Doch orientiert sich das Verständnis leichter an dem, was unterschieden ist. Wir können also an dieser Stelle die folgende erweiterte Definition von abso¬ luter Negativität, von absoluter Form oder von absoluter Reflexion geben: die Form ist negierender fremd-selbstbezüglicher, hervorbringend-aufhebender Grund von Einheit und Unterschied überhaupt. Früher ist gezeigt worden, daß das Sich-negieren des Wesens in der Reflexions¬ bestimmung zwei Seiten hat: das Realisieren des Unterschiedes und die Ent¬ äußerung in die Unmittelbarkeit. Nun haben wir den Grund dargestellt als das Ergebnis dieses Weges, als seinen Anfang und als sein Ende. Bis jetzt jedoch war nur von Einheit und Unterscheidung die Rede, — wie sich das andere, die Entäußerung in die Un-

90 mittelbarkeit, in diesem Ergebnis erhalten hat, ist noch gar nicht wieder zur Sprache gekommen. Gerade dies aber war doch, als der ausgezeichnete Unter¬ schied von Form und Sein, dasjenige, was uns von Anfang an am meisten inter¬ essiert hat. In diesem Kreis liegt desgleichen die spekulative Frage nach dem¬ jenigen Ding an sich, dessen Ansich die Formunabhängigkeit meint. Im folgenden Abschnitt geht Hegel nun auf diese Fragen über. Bisher hat er den Grund dargestellt aus dem Blickwinkel der Dialektik von Identität und Differenz, und so kam auch nur diese eine Seite der Negation zur Sprache. Nun aber wird der Grund dargestellt aus der — darf man sagen, übergeordneten? — Dialektik von Reflexion überhaupt und Unmittelbarkeit, von Form und Sein. Die bisherige Betrachtung galt sozusagen einer rein form-immanenten Dialektik, denn Einheit und Unterschied sind die beiden Momente der Form. Das Folgende dagegen gilt einer Dialektik, die die Form transzendiert und über sie hinausgeht. „Die Reflexion ist die reine Vermittlung überhaupt, der Grund ist die reale Vermittlung des Wesens mit sich." Die Erörterung beginnt damit, daß der Unterschied zwischen der „reinen, setzenden Reflexion" zu Beginn der Geschichte des Wesens und der realen Reflexion des Grundes erneut genannt wird. Wir haben diesen Satz bereits früher herangezogen, um die Reinheit und die Realität der Reflexion voneinander zu unterscheiden, und wir wollen uns darum gegenwärtig an dieser Stelle nicht weiter aufhalten. Wir möchten lediglich die Gelegenheit dazu benützen, um die Doppelbedeutung, die das Wort „real" nunmehr gewonnen hat, herauszustellen: die Realisierung der Vermittlung war der Weg des Wesens durch seine Negativi¬ tät hindurch. Dieser Weg aber war ein zweifacher: der Weg durch die Bestim¬ mung und Unterscheidung, und der Weg durch die Unmittelbarkeit der be¬ stehenden Selbständigkeit. Die Realität, die das Ziel dieses Weges ist, ist nun notwendigerweise eine ebenso zweifache: Realität als Bestimmtheit (Qualität) und Realität als Sein, Bestehen, Selbständigkeit. Diese Zweideutigkeit ist be¬ merkenswert darum, weil sie in gewisser Weise dem geschichtlichen Wandel ent¬ spricht, den der Begriff „Realität" durchgemacht hat. Noch in der KdrV ist Realität eine der Kategorien der Qualität, und auch Flegel gebraucht das Wort meist auf diese Weise. Unsere gegenwärtige Sprache kennt das Wort aber kaum mehr in dieser Bedeutung, sondern versteht darunter soviel wie „Wirklichkeit". Heidegger z. B. zeigt in „Sein und Zeit", wie die Seinsauslegung des „verfal¬ lenden Verstehens" dem Sein den Sinn von Realität gibt. „So erhält denn das Sein überhaupt den Sinn von Realität" (aaO. S. 201). Bei Hegel schwebt der Begriff zwischen diesen beiden Bedeutungen, die geschichtlich aufeinander zu folgen scheinen: das Reale ist sowohl das Bestimmte wie das Seiende, das Unterschiedene wie das Unmittelbare. „Jene, die Bewegung des Nichts durch nichts zu sich selbst zurück, ist das Scheinen seiner in einem Andern; aber weil der Gegensatz in dieser Reflexion noch keine Selbständigkeit hat, so ist weder jenes Erste, das Scheinende, ein Positives, noch das Andere, in dem es scheint, ein Negatives. Beide sind Sub-

91 strafe, eigentlich nur der Einbildungskraft; sie sind noch nicht sich auf sich selbst Beziehende. Die reine Vermittlung ist nur reine Beziehung, ohne Bezogene." Mit diesen Worten stellt Hegel noch einmal die reine Reflexion dar, mit der die ganze Logik des Wesens beginnt. Wir haben schon früher den Satz gehört „das Wesen ist nur diese seine Negativität, welche die reine Reflexion ist", der sich auf das gleiche bezogen hatte. Zunächst heißt es nun, die reine Reflexion sei die „Bewegung des Nichts durch nichts zu sich selbst zurück". Diese Formulierung ist sehr bedeutsam für Hegel, wir finden sie mehrfach. Auf den Seiten 13/14 (also bei der eigentlichen Dar¬ stellung der reinen Reflexion) kommt sie gleich dreimal vor, und auch später trifft man sie noch (z. B. L 11,123/124). Was hat es mit dieser Bewegung des Nichts durch Nichts zu sich selbst zurück auf sich? Diesen Satz verständlich zu machen heißt viererlei erörtern: 1) warum Hegel die Form als Nichts denkt; 2) warum er die Form als Bewegung denkt (somit als sich bewegendes Nichts); 3) warum es in dieser Bewegung zu einer Verdoppelung des Nichts kommt; 4) warum die Bewegung der Form in den doppelten Nichts zu sich zurück¬ kehrt. Was die beiden ersten Fragen betrifft, so dürfen wir auf früher Gesagtes verweisen. Die Form ist Nichts als Inbegriff aller Negation und Bewegung als evegyeia und Spontaneität. An dieser Stelle wollen wir über die Besonderheit

der Bewegung der Form sprechen, die sie vor anderen Bewegungen auszeichnet. Wir haben früher auf die beiden wesentlichsten Quellen für Hegels Gedanken von der Bewegung der Form hingewiesen: Die Aristotelische Konzeption des eiöog als evegyeia und den Fichteschen Begriff der Form als einer Tathandlung. Daran wollen wir anknüpfen und die Besonderheit der Bewegung der Form gegenüber beliebigen

anderen Bewegungen

uns

zu verdeutlichen versuchen

durch einen erneuten Blick auf die Aristotelische Metaphysik. Wenn Aristoteles die Bewegung des elSog als evegyeia interpretiert, so ist er genötigt, diese Bewegung von anderen Formen der Bewegung (xlvrjcug oder petaßoLf)) zu unter¬ scheiden. Dies Unternehmen entspricht offenbar dem Hegelschen, die Form als Bewegung darzustellen und die Bewegung der Form gegenüber anderen Be¬ wegungen auszuzeichnen. Der Einfachheit halber halten wir uns an die Interpretation, die Hegel selbst von der Aristotelischen Unterscheidung von e\egyeia und xlvriaig (oder petctßolf]) in seinen Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie gegeben hat. Es heißt: „Tätigkeit ist auch Veränderung, aber Veränderung als identisch mit sich blei¬ bend, — ist Veränderung, aber innerhalb des Allgemeinen gesetzt als die sich selbst gleiche Veränderung: ist ein Bestimmen, welches ist Sichselbstbestimmen. In der bloßen Veränderung ist dagegen das Erhalten seiner in der Veränderung noch nicht enthalten. Das Allgemeine ist tätig, bestimmt sich; und der Zweck ist das Sichselbstbestimmen, was sich realisiert. Dies ist die Hauptbestimmung, auf die es bei Aristoteles ankommt." (JA 18,320).

92 Es geht Hegel in diesen Sätzen um die „Hauptbestimmung" der Aristoteli¬ schen Philosophie, d. h. um den Begriff der evegyeia, in dem sich Aristoteles' Denken von Form ausspricht. „Tätigkeit" benutzt Hegel (wie früher gesagt) als Übersetzung von EVEQYeia. Diese ist auch Veränderung. „Veränderung" ist für Hegel hier der Obertitel, der sowohl eveeveux wie xmpng umfaßt. (Bei Aristoteles selbst ist ein solcher Obertitel nicht terminologisch festgelegt). Die Veränderung, die nicht ev£QYeia ist, wird von Hegel als „bloße Veränderung' bezeichnet. Die bloße Veränderung ist also selbst die eine Unterart der Ver¬ änderung, sie entspricht bei Aristoteles der xivricrig oder der pETaßoXr|. Die bloße Veränderung ist dadurch bestimmt, daß in ihr das „Erhalten seiner in der Veränderung" noch nicht enthalten ist. Die evepYe1« ist demgegenüber „Ver¬ änderung als identisch mit sich bleibend" oder „sich selbst gleiche Verände¬ rung". Das Denken ist nach Aristoteles eine solche sich gleichbleibende Veränderung:

„voeI %al vsvoiqxEv" (Met. 1048b24) lautet eine berühmt gewordene Formel. Für eine eindringlichere Interpretation des Aristotelischen Gedankens müssen wir wiederum auf W. Brückers Aristoteles verweisen, aus dem das folgende Zitat angeführt sei: „Wir sehen also, daß die Energie im Gegensatz zur Be¬ wegung sich bestimmt als Ruhe, u. z. nicht als Aufenthalt auf dem Wege zu einem Ende, sondern als Ruhe im Ziel und Ende einer Bewegung: Entelechie. Da aber, wie wir sahen, das In-einer-Phase-Sein Tätigkeit des in ihr Seienden ist, so ist dieses sich in der Ruhe des Zieles Halten ruhige Tätigkeit" (aaO. S. 85 f). Wir kommen nun in die Nähe des Hegelschen Gedankens, daß die Form Be¬ wegung (wir können jetzt auch sagen: Veränderung) des Nichts durch Nichts und zu sich selbst zurück ist. Denn die Form ist Veränderung, aber nicht „bloße Veränderung", nämlich von dem einen zu dem anderen, sondern sich gleich bleibende Veränderung. Das Tätige ist die Form selbst, das Nichts. In dieser Tätigkeit verändert sich das Nichts, denn „Tätigkeit ist auch Veränderung". In dieser Veränderung aber wird das Nichts nichts anderes, denn seine Veränderung ist „sich selbst gleiche Veränderung". Das Nichts ist zugleich das Ziel dieser Tätigkeit, ihr TEÄog. Das Nichts ist das „Erhalten seiner in der Veränderung". Indem das Nichts sich verändert, erhält es sich und bleibt, was es war, nämlich Nichts. Die EVEQyeia des elöog ist, daß das tätige Nichts sich zu Nichts ver¬ ändert. Diese Veränderung ist ein Übergehen, aber nicht zu einem Anderen, sondern zu sich selbst. Das Übergehen ist kein Weggehen, sondern ein Zurück¬ kehren, oder, wie Hegel auch sagt, ein „mit sich Zusammengehen". Das el8og wird in der Bewegung seiner eveqyemx nicht immer etwas anderes, sondern es bleibt sich selbst gleich, es geht mit sich zusammen. Das Heraklitische „peraßdAAov ctvaxcauETOü" könnte Hegel in Erinnerung bringen. Dies ist die ausge¬ zeichnete Bewegung der Form, die nur ihr zukommt. Und andererseits: Form kann nur zureichend gedacht werden, indem sie in dieser Weise als bewegte und sich bewegende Form gedacht wird.

93 Auf das weitere, was Hegel an der angeführten Stelle zur Aristotelischen eveQYeta sagt, brauchen wir nicht einzugehen. Das elöog, die Form ist das Allgemeine, — und die Tätigkeit der Form ist nach Hegel stets das Bestimmen, und zwar als reine bei sich bleibende Veränderung Sichselbstbestimmen. Darum heißt es: „Das Allgemeine ist tätig, bestimmt sich; und der Zweck ist das Sichselbst-bestimmen, was sich realisiert." Hier wird das £1805 außerdem noch als Zweck, als reXog gedacht. Die Tätigkeit des eLÖoc; ist insofern auch evte^exei,«. Diese Gedanken würden sehr wichtig sein für eine Interpretation der Hegelschen Teleologie, gegenwärtig aber können wir sie auf sich beruhen lassen. — Der Sprachgebrauch von „sich realisieren" in dem angeführten Satz ist uns schon bekannt. Zurück zu dem Satz, die reine Reflexion sei eine Bewegung des Nichts durch nichts zu sich selbst zurück. Wir haben ihn zu erläutern versucht durch einen Hinweis auf die Aristotelische £vepYeia des eiöog, die Hegel als eine ebensolche sich gleichbleibende Veränderung und Tätigkeit der Form versteht. Auch in der Hegelschen Darstellung der „Reflexion" und der „setzenden Reflexion" (L 11,13—16) geht es allein um diese sich gleich bleibende Veränderung der Form. Die Ähnlichkeit dieser Ausführungen mit dem, was Hegel über die Aristotelische evegyeia sagt, springt in die Augen. Z. B. heißt es: „Das Wesen ist Reflexion,

die Bewegung des Werdens und Übergehens, das in sich selbst bleibt." (L 11,13), was Hegel wörtlich von der Veränderung als eveqyeio des Eiöog gesagt haben könnte. Aber nicht nur die Aristotelische EVEQYeia war für Hegel Beispiel einer sol¬ chen sich in ihrer Veränderung gleichbleibenden Tätigkeit der Form. Auch Leibniz muß in diesem Zusammenhang wenigstens genannt werden: Die Monaden sind nämlich einmal Form — Leibniz nennt sie „substantielle Formen", ein Aus¬ druck, der Hegels Lob findet (vgl. JA 19,455), — die Monaden sind aber außer¬ dem auch tätig. Die Tätigkeit der Monade ist also eine Tätigkeit der Form, und zwar eine — nicht unbedingt bewußte — Perzeption. Diese Tätigkeit stellt Hegel fast ebenso dar wie die Aristotelische evegyeia oder die Tätigkeit der Form in seiner eigenen Metaphysik. Hegel sagt nämlich: „Die Monade ist also ein Vor¬ stehendes, Perzipierendes; so sagt er (d. h. Leibniz), die Monade ist tätig. Denn Tätigkeit ist Unterschiedensein in Einem; das ist der wahrhafte Unterschied. Die Monade ist nicht nur vorstehend, sondern es ist Veränderung darin; sie verändert sich in sich selbst, und bleibt doch absolut, was sie ist." (JA 19,459). Wieder haben wir wie bei Aristoteles die sich gleichbleibende Veränderung, und das Bedeutsamste dabei: sie selbst ist der wahrhafte Unterschied. Die meta¬ physische Frage ist die eleatische Frage, die Frage nach dem wahrhaften Unter¬ schied. Erst in einem Denken, das die Form als Tätigkeit und sich gleichbleibende Veränderung begreift, kann auch die Möglichkeit des Unterschiedes wahrhaft begriffen werden. Hegels Ausführungen über Leibniz ist darum für die Inter¬ pretation der Hegelschen Form-Metaphysik selbst so kostbar, weil sie den nahen Zusammenhang herstellt zwischen Unterschied und Bewegung. Die wahre Be¬ wegung ist der wahre Unterschied, und dem „Zwischen" von Identität und

94 Differenz entspricht das „Zwischen" von Veränderung und Sichgleichbleiben. Und einen wahren Begriff von Form haben, heißt einen wahren Begriff von Unterschied und von Bewegung haben. Als dieses in sich unterschiedene, sich in sich bewegende Nichts ist die Form ein doppeltes Nichts. Selbst in der Aristotelischen evepY£ia hat Hegel bereits die doppelte Negation sehen wollen: „Erst die Energie, die Form ist die Tätigkeit, das Verwirklichende, die sich auf sich beziehende Negativität" (JA 18,321). Wir verweisen wiederum auf W. Bröcker, der ebenfalls das „Negative" in der Aristotelischen „Bewegung

inter¬

pretiert hat. Sie wird von ihm als der „Grund der Nichtigkeit des nichtigen Seienden" und als das „Sein des Nichtseienden" (aaO. S. 49) dargestellt. Hegel versteht diese Negativität als ein aktives Unterscheiden, als Entzweien und Auf¬ heben der Einheit. Dies ist für ihn das entscheidende Moment an der Form. Seine Kant-Kritik beruht, wie wir ausführten, nicht zuletzt darin, daß Kant die Form vor allem und zu einseitig allein als Verbinden, nicht als Entzweien gedacht habe. Aristoteles sieht Hegel dagegen anders. Er sagt: „Was als Wirklichkeit, Energie ausgedrückt ist, ist eben diese Negativität, Tätigkeit, tätige Wirksamkeit: sich selbst, dieses Fürsichsein entzweien, die Einheit aufheben, und die Ent¬ zweiung setzen, — nicht mehr Für-sich-sein, sondern Sein-für-Anderes, also Negativität gegen die Einheit. ... so ist bei Aristoteles das Moment der Negativi¬ tät, aber nicht als Veränderung, auch nicht als Nichts, sondern als Unterscheiden, Bestimmen hinzugekommen und von ihm herausgehoben." (JA 18,322). Die Tätigkeit der Form, die exeqyeicl des eföog ist also nach dieser Hegelschen Interpretation, die für das Verständnis von Hegels eigenem Denken äußerst wichtig ist, ein Entzweien und Unterscheiden, ein Begründen von Andersheit. Nicht das Begründen von Einheit, sondern gerade das Aufheben von Einheit ist es, was die EXEQyEia. eigentlich tut. Auch Bröcker geht ein auf diesen Problem¬ kreis der Begründung von Andersheit — allerdings dabei „über Aristoteles hin¬ ausgehend" (aaO. S. 67). Kehren wir wieder zu Hegel zurück. Die Form darf nichts Unbewegtes, Ru¬ hendes, Festes und irgendwie Statisches sein, und darum muß es jene Verdoppe¬ lung der Negation, jene Entzweiung der „Nichtse" geben. Die Form als reines einfaches Nichts wäre tot. Sie ist aber lebendig und bewegt, ohne aufzuhören. Nichts zu sein, — darum ist sie sich bewegendes, sich in seiner Bewegung ver¬ doppelndes und darin sich gleichbleibendes Nichts, — Bewegung des Nichts durch Nichts zu sich selbst zurück. Auch die Subjektivität der Form gehört in diesen Zusammenhang, denn das Ich ist eigentlich dieses gleiche tätige Nichts. Denn nach Hegel muß die Form darum als subjektiv gedacht werden, weil sie als bewegt gedacht werden muß, und umgekehrt, sie kann nur als bewegt gedacht werden, indem sie als sub¬ jektiv gedacht wird. Nicht nur die Leibniz'sche perzipierende, vorstellende Mo¬ nade faßt Hegel als Subjektivität, auch bei der Aristotelischen eveQY£|-a macht er dies. So sagt er z. B.: „Das Platonische ist im Allgemeinen das Objektive, aber das Prinzip der Lebendigkeit, das Prinzip der Subjektivität, fehlt darin; und dies Prinzip der Lebendigkeit, der Subjektivität, nicht in dem Sinne einer

95 zufälligen, nur besonderen Subjektivität, sondern der reinen Subjektivität, ist Aristoteles eigentümlich." (JA 18,319f). Subjektivität ist einfach jene sich gleich¬ bleibende Formtätigkeit, die sich selbst bewegende Mischung aus 'öaxeQOv.

xauxov

und

Dies, und nicht Bewußtsein, konstituiert Subjektivität. Nach Hegels

Auffassung fehlt diese Energie, diese entzweiende Bewegung in der Platoni¬ schen Form-Metaphysik, sie ist erst Aristoteles eigentümlich. Die Gründe für die Notwendigkeit einer „Verdoppelung der Nichtse" in der Tätigkeit der Form können sich nur nach und nach erhellen, an dieser Stelle wollen wir noch einmal zurückverweisen auf die mehrfachen Doppelbeziehungen, die wir als Reflexion dargestellt hatten. Die Form ist: a) Beziehung auf sich selbst und auf Anderes; b) Beziehung auf Einheit und auf Differenz; c) hervorbringende Beziehung und aufhebende Beziehung. Weil die Form in diesen Weisen als Doppelbeziehung zu denken ist, wird es notwendig, sie als doppelte Negation zu denken, und darum wieder wird es notwendig, sie als Bewegtheit zu denken. Die großen, immer wieder wechsel¬ seitig auf sich selbst zurückführenden Problemkreise sind: a) Form als das Zwischen von Identität und Differenz; b) Form als Tätigkeit (evepyeux); c) Form als Subjektivität. Der Gedanke des einen führt notwendig auf den Gedanken des anderen, und dieses Hinüber- und Herüberführen darf man als die innerste Bewegung der Dialektik fassen. Was hier ursprünglicher ist als das andere, ist nicht mehr zu sagen, denn alles verschränkt sich ineinander. Und nicht nur bei Hegel, wie wir gesehen haben, gehört dieses drei zusammen, sondern ebenso bei Leibniz, dessen Monade als Vorstellendes (d. h. Subjektives) wahrer Unterschied wie wahre Tätigkeit ist, und bei Aristoteles, wenn wir den Hegelschen Interpretationen vertrauen dürfen. Genannt werden muß aber wenigstens auch Platon, der in seinem Timaios die Seele (das Subjektive) als Einheit von Identität und Diffe¬ renz, und im Phaidros die Seele als das Sichselbstbewegende und als Ursprung der Bewegung denkt. Der Satz, über den wir bisher gesprochen haben, heißt vollständig: „Jene (die reine Reflexion), die Bewegung des Nichts durch nichts zu sich selbst zurück, ist das Scheinen seiner in einem Anderen." Zu dem letzten Teil des Satzes sind noch einige Anmerkungen notwendig. Das „Scheinen" meint die gleiche evegyaa oder Tätigkeit der Form. Darum heißt es, die Bewegung ist das Scheinen. Das Scheinen ist also die sich gleich¬ bleibende Veränderung, die im Anderen sie selbst ist, oder ein Unterschied, der eigentlich gar nichts unterscheidet, der nichtig ist. Hegel sagt zwar, „seiner in einem Anderen", — aber der Unterschied, der darin angedeutet scheint, ist eben bloßer Schein. Das Andere ist gar kein Anderes, sondern wieder dasselbe. Nichts. Wir müssen betonen: seiner in einem Anderen.

96 Dasjenige, was scheint, das Scheinende ist das Wesen selbst (das Subjektive), der Schein aber ist das Andere des Scheinenden, das Objektive. Der Schein ist jedoch, wie wir früher dargestellt haben, „nichts außer seiner Beziehung , er hat keine Selbständigkeit gegenüber seiner Beziehung auf das Wesen, oder, wie Hegel auch sagen könnte, diese Beziehung ist nicht am Schein, sondern das Ansich des Scheins. „Der Schein ist das Wesen selbst in der Bestimmtheit des Seins. Das, wodurch das Wesen einen Schein hat, ist, daß es bestimmt in sich und dadurch von seiner absoluten Einheit unterschieden ist. Aber diese Bestimmt¬ heit ist ebenso schlechthin an ihr selbst aufgehoben" (L 11,11), d. h. die reine Reflexion ist die Einheit, die nicht wirklich aufgehoben und gestört ist, und der gegenüber der Unterschied keine Existenz hat. Wir haben diese „unmittelbare Einheit" schon kennengelernt. In unserem Text heißt es weiter: „aber weil der Gegensatz in dieser Reflexion noch keine Selbständigkeit hat, so ist weder jenes Erste, das Scheinende, ein Positives, noch das Andere, in dem es scheint, ein Negatives. Beide sind Sub¬ strate, eigentlich nur der Einbildungskraft; sie sind noch nicht sich auf sich selbst Beziehende." Hiermit wird der zuletzt ausgesprochene Gedanke ausgeführt: der Gegensatz hat noch keine Selbständigkeit. Der Gegensatz ist, wie wir gesehen haben, der vollendete Unterschied, — er erscheint hier für den Unterschied überhaupt. Dieser ist es, der in der reinen Reflexion noch keine Selbständigkeit hat. Die Seite des Wesens selbst wird das Positive, die andere Seite des Scheins (des Objektiven) das Negative genannt. Das Negative ist das Unselbständige, Unwesentliche und Abhängige und zugleich die dem Wesen selbst gegenüberstehende Negation, in die das Wesen in seiner Entäußerung sich verliert. Aber sowohl das Positive wie das Negative sind nur, wenn ihr Unterschied verwirklicht ist. Die Selb¬ ständigkeit ihres Seins fällt zusammen mit der Realität ihres Unterschiedenseins voneinander. Der Unterschied gibt ihnen Sein, er ist ihre seingebende Form, und umgekehrt, indem ihr Sein sich verwirklicht, unterscheiden sie sich voneinander. Als Nichtunterschiedene und Nichtverwirklichte sind die Momente der reinen Reflexion nur Substrate unserer Einbildungskraft. Wir stellen es uns so vor, daß da

erst

Momente wären, an denen

hernach

auch noch Beziehung

wäre. Und wir stellen uns die Momente irgendwie als Unterschiedene vor, wenn wir ihre Nichtunterschiedenheit behaupten wollen. Denn eine reine Beziehung ohne Bezogene können wir in unserer Vorstellung nicht fassen, wir sind genötigt und gewohnt, immer erst mit Bezogenen anzufangen, ehe wir die Beziehung denken, wir pflegen die Beziehung immer auf Bezogene zu beziehen. Aber damit verunreinigen wir das Wesen der reinen Beziehung, wir legen in sie hinein, was gar nicht in ihr ist. Wir verfälschen diese reine ivegyEia, indem wir ihre reine Bewegtheit in unserer Einbildungskraft als eine Bewegung von dem Einen zu dem Anderen auslegen und so einen Unterschied hineinbringen, der nicht in sie gehört. Die reine Beziehung, die reine Reflexion ist schlechthin unterschiedslose Beziehung von schlechthin abhängigen Momenten.

97 „Die bestimmende Reflexion setzt zwar solche, die identisch mit sich, aber zugleich nur bestimmte Beziehungen sind.” Nachdem Hegel neuerdings die reine Reflexion wiederholt hatte, wiederholt er ebenfalls zum zweitenmal die Bestimmung des Wesens. Die Reflexion des Wesens „besteht darin, sich als das, was es an sich ist, als Negatives zu setzen und sich zu bestimmen". Wir haben über dieses Sich-negieren des Wesens schon geprochen und wollen uns darum nun kürzer fassen. In der bestimmenden Reflexion werden solche gesetzt, die identisch mit sich sind, d. h. ihre Unmittelbarkeit und Selbständigkeit haben. Das Sich-negieren des Wesens ist ein Weg in die Unmittelbarkeit. Aber die in der Reflexionsbestimmung erscheinende Selbständigkeit ist noch nicht die wahre Selbständigkeit. Wir haben bei der Betrachtung des Zugrunde¬ gehens des Widerspruchs gesehen, daß die Selbständigkeit der Momente des Unterschiedes nur eine scheinbare war. Das Zugrundegehen des Widerspruchs war gerade das Hervorgehen der wahren Selbständigkeit. „Im Gegensatz ist die Bestimmung zur Selbständigkeit gediehen; der Grund aber ist diese voll¬ endete Selbständigkeit" (L 11,53). Die Selbständigkeit im Gegensätze aber ist darum nur eine scheinbare, weil sie durch das Ausschließen bedingt und gesetzt ist — auch davon haben wir gesprochen. Das Ausschließen ist die Beziehung im Gegensatz, sie ist dasjenige, was die entgegengesetzten Momente unterscheidet und zugleich ihre Einheit ist. Sie hebt die unmittelbare Selbständigkeit der Momente auf und macht sie zu „bestimmten Beziehungen", d. h. zu solchen, deren Ansich die Beziehung auf das Gegenteil ist. Die Momente als bestimmte Beziehungen haben nur eine scheinbare Selbständigkeit, denn in dieser Beziehung sind sie unselbständig. Der Sinn des Satzes ist demnach: „Die bestimmende Reflexion setzt zwar solche, die identisch mit sich —im Gegensatz ist die Bestimmung zur Selb¬ ständigkeit gediehen, ist die freie Unmittelbarkeit hervor getreten; — „aber zugleich nur bestimmte Beziehungen sind" —: aber die Selbständigkeit im Gegen¬ satz ist nur eine scheinbare. Hegel hat nun erneut wiederholt, was in der Geschichte des Wesens dem Grund vorangegangen war. Er hat noch einmal die reine Reflexion als „Bewe¬ gung des Nichts durch nichts zu sich selbst zurück" und noch einmal die Selbst¬ entäußerung des Wesens in der bestimmenden Reflexion dargestellt. Erst da¬ nach schreitet er zu dem fort, was das Entscheidende für den absoluten Grund ist: zur Vermittlung von Reflexion und Unmittelbarkeit, von Nichts und Sein. „Der Grund dagegen ist die reale Vermittlung, weil er die Reflexion als aufr gehobene Reflexion enthält; er ist das durch sein Nichtsein in sich zurückkeh¬ rende und sich setzende Wesen. Nach diesem Momente der aufgehobenen Reflexion erhält das Gesetzte die Bestimmung der Unmittelbarkeit, eines solchen, das außer der Beziehung oder seinem Scheine identisch mit sich ist. Dies Un¬ mittelbare ist das durch das Wesen wiederhergestellte Sein, das Nichtsein der Reflexion, durch das das Wesen sich vermittelt.”

98 Nun wird also — nach den erneuten wiederholenden Vorbereitungen — die Vermittlung des Grundes selbst dargestellt, und zwar nicht, wie im Abschnitt vorher, nach der Seite der Dialektik von Identität und Differenz, — sondern nach der Seite der Dialektik von Reflexion und Unmittelbarkeit. Der Unterschied von Sein und Nichts, mit dem die Logik beginnt, und der sie in jedem Teil und in jedem Abschnitt durchwaltet, — dieser ausgezeichnete Unterschied kommt nun erneut zur Sprache. Zugleich wird damit das Thema der folgenden Abschnitte vorgegeben: Die drei mit „Form und . . überschriebenen Kapitel werden von diesem Unterschied handeln. Denn was Form ist, läßt sich nur bestimmen in einer Ausfüllung jener Leerstelle nach dem „und". Die Ausfüllung dieser Leerstelle aber handelt, wenn die Form das Subjektive sein soll, auch vom Ding an sich. Das „Form und . . ." ist auch ein „Ich und . . . (Ding an sich)", der Unterschied von Ich und Ding an sich tritt neben den von Form und Sein. Darum sei noch einmal kurz über das Ding an sich gesprochen. Früher haben wir darüber gesprochen, daß das eigentliche Problem der Kantischen Lehre vom Ding an sich sich in der Frage zeigt, ob das Ding an sich selbst wieder geformt oder ungeformt ist. Es versteht sich, daß dies für eine Metaphysik der Form eine höchst wichtige Frage ist. Vor allem ist sie darum wichtig, weil das Verhältnis des Ich zur Form in dem einen Falle ein sehr ande¬ res ist als in dem anderen. Und da für den metaphysischen Idealismus das Wesen des Ich gerade in seiner Beziehung auf die Form, die Idee liegt, so ist unsere Frage auch für die metaphysische Erkenntnis des Ich von Bedeutung. Nur aus diesen Gründen konnte der Streit um das Ding an sich in der nachkantischen Entwicklung des Idealismus so wichtig werden. Schon Jacobi hatte 1787 — also einige Jahre vor Fichte — gefordert: „Der transzendentale Idealist muß also den Mut haben, den kräftigsten Idealismus, der je gelehrt worden ist, zu behaupten, und selbst vor dem Vorwurfe des spekulativen Egoismus sich nicht zu fürchten . . ." (WW 11,310). Diese Forde¬ rung können wir wie folgt interpretieren: Der Gedanke von der Subjektivität der Form muß so ausgelegt und verstanden werden, daß das Ding an sich un¬ geformt ist. Hinter dieser Forderung steht also die Behauptung, es sei sinnlos, sowohl eine Subjektivität der Form wie eine Geformtheit des Dings an sich anzunehmen. Die Aufhebung der Geformtheit des Dings an sich aber würde zu dem kräftigsten Idealismus führen, der je gelehrt worden ist. Dennoch aber besteht immer noch das Problem, wie es mit demjenigen außer der Form ist, also das Problem, das in dem „Form und ..." angezeigt ist. Wir werden diesem Problem später noch auf verschiedenen Stufen begeg¬ nen. Vor allem müssen wir verweisen auf den Abschnitt über die „Bedingung" (L II,91ff), weil Hegel in diesem Abschnitt die „Mannigfaltigkeit" analysiert. Bei dieser Analyse aber wird das Problem der Formtranszendenz in seiner eigenartigsten Weise zur Sprache kommen. Die Funktion der Mannigfaltigkeit innerhalb der Dialektik von Form und Sein (oder von Ich und Ding an sich) wird uns dann erneut zwingen, das Hegelsche Denken dem Kantischen Denken gegenüberzustellen.

99 Eine der interessantesten und vielleicht auch wichtigsten Äußerungen Kants über das Ding an sich ist die folgende: „Der Verstand begrenzt demnach die Sinnlichkeit, ohne darum sein eigenes Feld zu erweitern, und, indem er jene warnet, daß sie sich nicht anmaße, auf Dinge an sich selbst zu gehen, sondern lediglich auf Erscheinungen, so denkt er sich einen Gegenstand an sich selbst, aber nur als transzendentales Objekt, das die Ursache der Erscheinung (mit¬ hin selbst nicht Erscheinung) ist, und weder als Größe, noch als Realität, noch als Substanz etc. gedacht werden kann (weil diese Begriffe immer sinnliche Formen erfordern, in denen sie einen Gegenstand bestimmen); wovon also völ¬ lig unbekannt ist, ob es in uns, oder auch außer uns anzutreffen sei, ob es mit der Sinnlichkeit zugleich aufgehoben werden, oder, wenn wir jene weg¬ nehmen, noch übrigbleiben würde." (KdrV A288, B344). Für unsere gegen¬ wärtige Untersuchung das Interessante an diesem Satz (und zugleich der Grund, warum wir ihn angeführt haben) ist, daß Kant hier offen läßt bzw. als unbe¬ kannt bezeichnet, ob das Ding an sich außer uns oder in uns ist. Ersetzen wir die beiden an räumlichen Vorstellungen orientierten Präpositionen „außer" und „in" nach der uns nun schon bekannten Art Hegels durch „Differenz" und „Identität", so finden wir das Verhältnis von Ich und Ding an sich auch bei Kant schon zumindest

an

sich

als ein dialektisches ausgesprochen. Denn

darin, daß Kant offen läßt, welche von beiden Möglichkeiten gegeben sei, darf man schon eine dialektische Vermittlung beider, die die Einseitigkeiten jeder von beiden vermeidet, wenigstens angelegt finden. Insofern aber rückt der Kantische Gedanke ganz in die Nähe dessen, was Hegel über die Dialektik von Form und Sein sagt. Bei Hegel ist die Frage, ob die Bewegung des Nichts durch Nichts zu sich selbst zurück ein Unmittelbares außer sich voraussetzt oder nicht. Es liegt uns daran klarzumachen, wie in den scheinbar völlig anders¬ artigen Formulierungen doch das gleiche Problem wiederkehrt.

Bemerkenswert an dem Kantischen Satz ist die Unsicherheit Kants bezüglich des Formcharakters des Ding an sich. Es steht unmittelbar nebeneinander, daß das Ding an sich Ursache der Erscheinung ist, aber nicht als Größe, Realität, Substanz etc. gedacht werden kann. Das Nächstfolgende aus den „cetera" wäre wohl die Kausalität, was dann hieße, daß das Ding an sich auch als Ur¬ sache nicht gedacht werden könne, so wenig wie als Substanz. Wäre die Auf¬ zählung noch einen Schritt weiter gegangen, wäre der Widerspruch offenbar geworden, — der Widerspruch, daß das Ding an sich in Konsequenz der Theo¬ rie zugleich als bestimmt und als unbestimmt zu denken ist. Auch hier ist die Dialektik des Verhältnisses in der KdrV gleichsam negativ angelegt, doch fa'st schon auf dem Sprunge, positiv hervorzutreten. Warum hat Kant die Aufzäh¬ lung vor der entscheidenden Stelle abgebrochen? — Von unserem nun erreichten Standpunkt aus enthüllt sich die reine, absolute Reflexion, mit der die Logik des Wesens beginnt, als eine einseitige Auflösung einer von Kant aufgestellten Alternative. Das Ansich erschöpft sich darin, le¬ diglich Moment in der reinen reflektierenden Bewegung zu sein, es ist nur i n ihr und nicht außer ihr, wie die entscheidenden Präpositionen bei

100 Kant lauten. Hören wir noch einmal Hegel: „Das Sein hat sich im Wesen er¬ halten, insofern dieses an seiner unendlichen Negativität diese Gleichheit mit sich selbst hat; hiedurch ist das Wesen selbst Sein. Die Unmittelbarkeit, welche die Bestimmtheit am Scheine gegen das Wesen hat, ist daher nichts anderes als die eigene Unmittelbarkeit des Wesens, aber nicht die seiende Unmittel¬ barkeit, sondern die schlechthin vermittelte oder reflektierte Unmittelbarkeit, welche der Schein ist, — das Sein nicht als Sein, sondern nur als die Be¬ stimmtheit des Seins, gegen die Vermittlung: das Sein als Moment." (L 11,11). Das Sein nur als Moment der reinen Reflexion, das Ansich nicht außer uns, die wir die kviQyeia und Spontaneität der Form sind: in dieser Weise ist die reine Reflexion selbst die eine Seite jener Kantischen Alternative. Sein als Mo¬ ment heißt: Ding an sich nur in uns. Die Form bleibt absolut in sich selbst. Das Geformte ist Erscheinung, das schlechthin keine Seite der Unabhängig¬ keit gegen die Form hat. Dagegen steht nun die reale Vermittlung des absoluten Grundes: In ihr wird, wie wir gehört haben, das „Sein wiederhergestellt", nämlich gegenüber dem Sein, das nicht „Sein als Sein", sondern nur „Sein als Moment" war. Das Unmittelbare soll außer der Beziehung oder seinem Scheine identisch mit sich sein, — d. h. die andere der beiden Präpositionen, die die Kantische Alternative bestimmen, soll ebenfalls ihr Recht erhalten. Das Sein als Sein ist das eigent¬ liche und wirkliche Unmittelbare, vermittels dessen die Erscheinung nicht nur Erscheinung, sondern auch Ansich ist. Es entspricht also dem Moment der äußeren Reflexion, der voraussetzenden Form. Später wird uns dieses Unmittelbare entgegentreten als dasjenige,

a n dem

die Form ist, als das Bestehen der Form. Es gehört zum Wesen der Form, Form an

etwas

zu sein, — dies ist das Moment ihres Voraussetzens, durch das

sie erst Form als Form ist. Dem Ding an sich in aller Erscheinung entspräche demnach zunächst das reine bestimmungslose Bestehen. Es darf hier auch Fichte zitiert werden: „Das Ich ist demnach abhängig seinem Dasein nach; aber es ist schlechthin unabhängig in den Bestimmungen dieses seines Daseins." (FW 1,279). Auch hier wird die Bestimmung, d. h. die Form, ausschließlich auf das Ich zurückgeführt, — das reine Dasein aber auf ein „erstes Bewegendes außer dem

Ich". Über die einzelnen Begriffe, die in dem uns vorliegenden Text Vorkommen, haben wir größtenteils schon früher gesprochen: Über die reale Vermittlung, über Reflexion und aufgehobene Reflexion, über die beiden Kennzeichen des Unmittelbaren, über das Sein als Nichtsein der Reflexion und dergleichen. Lediglich über den Ausdruck „Wiederherstellen" soll noch einiges gesagt wer¬ den. Wiederherstellen ist eine Tätigkeit, und die Logik kennt Tätigkeit nur als die der Form. Das Wiederherstellen des Seins ist also eine Tätigkeit der Form. Gerade die Selbständigkeit des Seins, das Sein als Sein geht also doch wieder auf eine Tätigkeit der Form zurück. Auch darin, daß das Sein es selbst ist.

101 zeigt sich die Herrschaft der Form. Darin, daß das Sein sich selbst eigen ist, ist es der Form eigen. Für Hegel ergibt sich dies daraus, daß der Unterschied zwischen der Re¬ flexion und dem Sein als dem Nichtsein der Reflexion selbst eine Leistung der Reflexion ist (wie aller Unterschied). Auch dieser Unterschied steht unter dem Gesetz des Unterschiedes, durch die Form vermittelt zu sein. Die Form unter¬ scheidet sich von dem Sein, sie ist das Tätige in dieser Unterscheidung. Auch der Unterschied zur Form ist Unterschied durch die Form. Wir sehen also, daß die Selbständigkeit des Seins gegen die Form für He¬ gel sehr zwiespältig-dialektisch bleibt: Das Sein ist unabhängig gegen die Form nur vermittels seiner Abhängigkeit gegen sie. Ein absolut Unmittelbares gibt es nicht, denn die Vermittlung hat an jeder Unmittelbarkeit ihren Teil. Auch für diesen Sachverhalt ließe sich in der Kantischen Transzendental¬ philosophie die Parallele finden. Wir wissen, wie wir vorzugehen hätten: es gilt, die Formbeziehung zwischen Ich und Ding an sich ausfindig zu machen. Kant denkt diese als Affizieren. In einem Affizieren aber steckt sicherlich auch eine Synthesis, eine Verbindung. Ding an sich und Ich sind in dem Affizieren miteinander verbunden. Für diese dem Affizieren immanente Synthesis aber muß offenbar gelten, was nach Kant für jede Synthesis gilt: daß sie vom Sub¬ jekt verrichtet wird. So ist also auch hier die Formbeziehung (und alle Be¬ ziehung ist Form) zwischen Ding an sich und Ich selbst eine Funktion des Ich. Das Ich affiziert nicht sich selbst, aber es vollzieht die Synthesis, die den Vor¬ gang des Affizierens erst konstituiert. Das Ding an sich ist also Moment einer vom Ich vollzogenen Formbeziehung, was ebenfalls eine gewisse Aufhebung seines Ansichseins ist. Bei Kant stellt sich das Problem nicht ganz in der Schärfe wie bei Hegel, denn bei Kant kann das Ding an sich wieder als unab¬ hängig gegen das Affizieren vorgestellt werden. Bei Hegel aber ist das Sein niemals unabhängig gegen die Form. Dadurch ist bei ihm das Ansichsein noch viel stärker dialektisch untergraben, wie das darin zum Ausdruck kommt, daß das Gesetzte die Bestimmung der Unmittelbarkeit nur erhält, oder daß das Sein durch das Wesen nur

wiederhergestellt

ist. Das Unmittelbare

ist zwar außer der Beziehung, aber dies sein Außer-Sein hat es nur erhalten, d. h. „bezogen". Sein als Sein und Sein als Moment bleiben also in dialekti¬ scher Einheit miteinander. „In sich kehrt das Wesen zurück als negierendes; es gibt sich also in seiner Rückkehr in sich die Bestimmtheit, die eben darum das mit sich identische Negative, das aufgehobene Gesetztsein und somit ebensosehr seiendes als die Identität des Wesens mit sich als Grund ist." Die „Rückkehr" ist die Bewegung der Form, jene hegyeia, die zu nichts Anderem übergeht, sondern in ihrer Veränderung sich gleichbleibt. Sie ist die Bewegung des Nichts durch Nichts zu sich selbst zurück, das Zurückgehen, d. h. das Vereinen in dieser Bewegung. Diese Bewegung ist auch ein Negieren, — und zwar alles Negieren, Negieren schlechthin.

102 In dieser Rückkehr gibt das Wesen sich die Bestimmtheit, — es negiert nicht nur überhaupt, sondern darin auch sich selbst. Wir haben die absolute Negati¬ vität als fremd-selbstbezügliches Negieren dargestellt. Das Wesen negiert sich, d. h. es verliert sich in seine Negation. Diese Ne¬ gation ist nach ihren beiden Seiten als Weg in den Unterschied und als Weg in die Unmittelbarkeit. Unterscheidung und Unmittelbarkeit sind die Bestimmt¬ heit, das Aufgehobensein der Reflexion. An unserer Stelle jedoch wird die Bestimmtheit nur als Unmittelbarkeit be¬ trachtet. Wir haben schon gehört, daß das Gesetzte die Bestimmung der Un¬ mittelbarkeit erhält. Dasselbe besagen hier die Formulierungen, daß die Be¬ stimmtheit „das mit sich identische Negative" und „das aufgehobene Gesetzt¬ sein" ist. Das Negative ist das Gesetzte, von der Formbeziehung der Reflexion Abhängende, das aber in seiner Identität mit sich ein Unmittelbares ist und darin seine Unabhängigkeit von der Bewegung des Wesens hat. Dieses Esselbst-Sein ist uns als das eine der Kennzeichen des Unmittelbaren bekannt. Nur in ihm kann ein Ansich und eine Unabhängigkeit von der Form liegen, weil alles Nicht-es-selbst-Sein, alles Sein für Anderes und Sein durch Anderes unter der Vermittlung der Form steht und von ihr abhängt. Die Form, der Unterschied ist das wahrhaft allgegenwärtige, überall seiende, dessen Anderes nur das mit sich Identische ist. Das Negative, von dem hier die Rede ist, ist negativ wie der „Schein", den wir schon als den „Rest des Seins" (L 11,9 u. 12) kennengelernt haben. In seiner Identität mit sich ist dieses Negative wieder Sein als Sein, wiederhergestelltes Sein, als Ansich außer der Form. Ebenso das „aufgehobene Gesetztsein": das Gesetztsein ist die Beziehung des Formabhängigen auf die Form, sein Abhängigsein oder Momentsein. Das auf¬ gehobene Abhängigsein also ist die Selbständigkeit, — und zwar die wahre Selbständigkeit, die wir im Zugrundegehen des Widerspruchs hatten entstehen sehen (d. h. wiederum das Sein als Sein). Die Bestimmtheit ist somit „ebenso¬ sehr seiendes", — auch dies sagt nichts Neues. Aber sie ist auch „die Identität des Wesens mit sich als Grund". Dies muß nun die andere Seite sein, denn das „ebensosehr ... als . . ." trennt und verbindet stets die Seiten eines dia¬ lektischen Verhältnisses. Die Seite, die wir eben vor uns hatten, war die der Bestimmtheit, des Aufgehobenseins des Wesens, oder sein Verlorensein in die Negation. Das Nichtsein der Reflexion ist die Negation, in die das Wesen verloren war, das Bestehen. Reflexion und Nicht-Reflexion sind Andere ge¬ geneinander. Nun wird dieser Andersheit die Identität des Grundes gegenübergestellt. Del Grund ist die Beziehung auf das Andere. Die Funktion des Grundes in der Dialektik von Form und Sein ist also, daß er das Gemeinsame beider ist, das sie Beziehende und Einende. Darum werden die beiden Momente, Form und ihr Gegenpol, unter der Einheit des absoluten Grundes dargestellt. Wie wir bald sehen werden, spielt dabei eine Zweiheit des Grundseins die entscheidende Rol¬ le: Der Grund ist einmal Grundlage, einmal Grund in einem engeren Sinne. Durch diese Doppelheit wird der Grund fähig, die Spannung zwischen Form und

103

Sein innerhalb seines Bereiches auszuhalten, und nur darum ist er absoluter Grund. Diesen Gedanken haben wir im nächsten Teil darzustellen, der ja eben der Auslegung des Kapitels über den „absoluten Grund" gelten soll. An dieser Stelle wollen wir festhalten, daß zu dem ausgezeichneten Unter¬ schied von Nichts und Sein nun auch eine ebenso ausgezeichnete Einheit tre¬ ten soll. Am Anfang der Logik ist diese Einheit das Werden, in unserem Fall der Grund. Grund und Werden entsprechen also in gewisser Weise einander, — wie sich ebenfalls bei der Interpretation der „Bedingung" doch deutlicher herausstellen wird. Sofern der Grund die Einheit von Reflexion und Unmittelbarkeit ist, bleibt das Sein also Moment der Formbeziehung, d. h. an sich aufgehobenes Sein. Da der Grund aber ebenso das Moment der Differenz in sich enthält, ist nach dieser Seite das Sein als Sein wiederhergestellt. Der Unterschied ist das Reali¬ sierende, das dem Sein zugleich mit dem Anderssein auch das Sein als Sein gibt. Der Differenz entspricht die Selbständigkeit der Momente, der Einheit ihr Momentsein. Wegen dieses Zusammenhanges von Differenz, Realisation und Unmittelbarkeit können im Grund sowohl die Dialektik von Identität und Differenz wie die Dialektik von Reflexion und Unmittelbarkeit dargestellt werden. Der Grund ist in beidem die vollständige Vermittlung. Wenn das Un¬ mittelbare wesentlich „außer der Beziehung" sein soll, so zeigt sich in diesem „außer" das der Unmittelbarkeit eigentümliche Moment der Differenz. Wir können auch sagen, das Unterschiedene ist in dialektischer Weise i n der Be¬ ziehung und

außer

der Beziehung. Das In-der Beziehung-Sein entspricht

der Einheit, — das Unterschiedene ist also, weil der Unterschied die Einheit aufhebt, außer der Beziehung. Aber dennoch gründet gerade im Unterschied die Beziehung, der Unterschied selbst ist die Beziehung. Wir erinnern an einen bereits früher gehörten Satz: „Der Unterschied überhaupt ist schon der Wider¬ spruch an sich; denn er ist die Einheit von solchen, die nur sind, insofern sie nicht eins sind, — und die Trennung solcher, die nur sind als in derselben Be¬ ziehung getrennte." (L 11,49). Diese in dem dialektisch-doppelsinnigen Ausdruck „Realisation" am besten zum Ausdruck kommende Beziehung von Differenz und Sein erklärt die besondere Bedeutung des Grundes: die Vermittlung von Identität und Differenz und die Vermittlung von Reflexion und Unmittelbar¬ keit

kann

nur durch ein und dasselbe geschehen, und dieses eine ist der

Grund. Daß der Grund aber als Ganzes (obwohl in ihm das Sein wiederherge¬ stellt wird) Form ist, zeigt uns an, daß die Vermittlung von Form und Sein innerhalb der Form geschieht. Hegel spricht von der absoluten Macht des Nega¬ tiven. In seiner Logik ist diese Macht wahrhaft absolut, — und sie ist die Macht der Form, des Ich. — In den folgenden Zeilen gibt Hegel eine vorweggenommene Gliederung des ganzen Kapitels über den Grund. Darüber brauchen wir nicht zu sprechen, da wir ja den ganzen hier vorgezeichneten Weg noch selbst gehen werden. Auch zu der „Anmerkung" wollen wir nicht viel sagen. Hegel nennt den Satz vom zureichenden Grunde und sieht seine große Bedeutung darin, daß er die

104 „Wesentlichkeit der Reflexion in sich gegen das bloße Sein" ausspricht. Die Vor¬ herrschaft der Reflexion innerhalb der Vermittlung des Grundes wird also noch einmal ausdrücklich konstatiert. Die Reflexion in sich ist Einheit, — aber Einheit, wie sie als Moment der Form, als Einigung durch die Form ist. Das bloße Sein dagegen ist die einfache unvermittelte Identität mit sich. Im zweiten Teil der Anmerkung erwähnt Hegel die Bedeutung, die der Satz vom Grunde für die Leibniz'sche Philosophie hat. Leibniz hat diesen Satz, so heißt es, sogar zum Grundsatz seiner ganzen Philosophie gemacht. Dabei hat er diesem Satz einen tieferen Sinn als gewöhnlich gegeben, indem er das „Zureichende des Grundes vornehmlich der Kausalität in ihrem strengen Sinne, als der mechanischen Wirkungsweise entgegenstellte". Die mechanisch wirken¬ de Tätigkeit bringt die einzelnen Bestimmungen nur in eine zufällige Verbin¬ dung, d. h. sie ist eigentlich gar nicht selbst Grund der Verbindung. „Die Beziehung der Teilbestimmungen, welche das Wesentliche einer Existenz ausmacht, ist nicht in den Ursachen des

Mechanismus enthalten."

Leibniz

dagegen sucht einen solchen Grund, der auch und gerade für diese Einheit als Grund zureicht. Ein solcher Grund ist die Endursache. An dieser Stelle wäre zu sprechen über die Zusammengehörigkeit der causa formalis (d. h. des Grundes von Einheit oder der wesentlichen Beziehung) mit der causa finalis, der Endursache. Beide stehen schon in der Metaphysik des Aristoteles eng beieinander. Doch da wir über den Hegelschen Begriff des Zwekkes nicht zu handeln haben und außerdem auch aus dieser Anmerkung selbst weder zu dieser Frage noch zu dem Hegelschen Leibniz-Verständnis Wesentliches zu erfahren ist, wollen wir diese Dinge beiseitelassen und statt dessen noch einmal kurz zurückschauen auf das, was uns von Hegel bisher gesagt worden ist. Die Einleitung in die Darstellung des absoluten Grundes konnte ihrer Natur nach nur ein Ziel haben: sie sollte die Klärung der Frage vorbereiten, was Form ist. Dabei aber mußte vordringlich zum Problem werden, wovon überhaupt Form unterschieden sein kann, wo sie doch selbst Grund aller Unterscheidung ist. Diese beiden Fragen hängen in vielfacher, verstrickter Innigkeit eng und unlös¬ bar miteinander zusammen. Wir haben die Form als das schlechthin Negierende immer wieder einfach „Nichts" und dasjenige, von dem dieses Nichts unterschieden ist, „Sein" ge¬ nannt. Die Frage nach dem Nichts zieht die Frage nach dem Sein, — die Frage nach dem Sein die Frage nach dem Nichts ständig hinter sich her. Dies ist der allgegemeinste Horizont der Einleitung in den absoluten Grund, - die Dialektik von Sein und Nichts. Doch haben wir im Verlauf unserer Interpretation gesehen, daß auch das Nichts selbst in sich schon ein dialektisches Nichts ist: eine Bewegung des Nichts durch Nichts zu sich selbst zurück. Diese Bewegung entsteht daraus, daß das Nichts, die Form einmal überhaupt Spontaneität, evepYeia ist, — und zwar eine rein bei sich selbst, d. h. in der Form, im Nichts bleibende Spontaneität.

105 Das Sich-bestimmen geht als „ruhige Tätigkeit", als Bewegung im Nichts vor sich. Zum anderen aber ist diese Bewegung dadurch näher bestimmt, daß sie zu¬ mal auf Einheit und Unterschied bezogen ist. Beides sind Leistungen der Form. Aber die Form leistet dieses beides nicht irgendwie nebeneinander, gleichsam als hätte sie zwei Vermögen, deren eines Einheit und deren anderes Unterschied hervorbringt. Vielmehr bringt die eine in sich einige Bewegung der Form in einem Hervorbringen beides hervor. Darum ist die Einheit dieser Bewegung in sich eine sehr verwickelte Ein¬ heit, die die verschiedensten Momente in sich aufhebt. Wir haben diese verschie¬ denen Momente, anfangend von dem einfachsten, daß die Form Spontaneität überhaupt, und zwar Negation, aktives Negieren ist, allmählich aufzubauen versucht. Wir kamen zu dem Schluß, die Form sei „negierender, fremd-selbst¬ bezüglicher, hervorbringend-aufhebender Grund von Einheit und Unterschied überhaupt". Zu dieser Bestimmung ist lediglich anzumerken, daß sie die Form allein, d. h. abgesehen von ihrer Beziehung auf Sein, zu erfassen scheint. Die Beziehung der Form auf Sein steckt aber, wie wir bereits wissen, im „Grund" schon darin. Die Kategorie des Grundes ist darum entscheidend wichtig für ein Denken, das nach dem Sein fragt — Martin Heidegger hat dies gegenwärtig erneut ge¬ zeigt —, wie auch für ein Denken, das nach der Form fragt. Denn die Form ist, das ist der wichtigste Satz über sie, Grund. Diesen Satz dürfen wir vielleicht als das Resultat der bisherigen Erörterungen aussprechen. — Was der Abschnitt über den „absoluten Grund" uns über dieses Resultat weiterhin zu sagen hat, wäre nun als nächstes zu fragen. Doch sollen vorher noch einmal einige der wichtigsten unserer bisherigen Probleme von neuer Seite aus betrachtet werden.

6. Doppelte Negativität und Subjektivität

Zum Abschluß des allgemeinen Teils unserer Interpretation wollen wir noch einmal auf das Problem der doppelten Negativität und vor allem der darin ent¬ haltenen „als-Struktur" zu sprechen kommen. Dabei soll manches bereits früher Gesagte wieder aufgegriffen und neu gesehen werden. Die Frage ist, warum die Form als Ganzes von Hegel als eine solche doppelte Negativität gedacht worden ist. Bei Untersuchung dieser Frage haben wir uns darauf zu besinnen, was Form ist, — in welchen Beziehungen sie und welche Beziehungen in ihr gesehen werden müssen. Als die drei maßgebenden FormBeziehungen aber haben sich uns bis jetzt ergeben: a) Form und das Zwischen von Identität und Differenz; b) Form und Bewegung; c) Form und Subjektivität.

106 Gegenwärtig gilt unser besonderes Augenmerk der „als-Struktur", der doppel¬ ten Negativität in der Gestalt der „Negation als Negation". Darum wird vor allem das dritte dieser Momente, die Subjektivität wichtig werden. Denn wie immer man die „als-Struktur" vorläufig verstehen mag, sei sie ein „Thematisch-machen" oder was sonst, - in diesem „als" liegt offenbar eine Beziehung auf Subjektivität. Etwas als etwas ist immer für ein Subjekt. An sich, d. h. unabhängig vom Subjekt kann es nichts dergleichen, kein „etwas als etwas" geben. Für den Begriff „Reflexion" steht es ähnlich. Wir haben sie als das Zwischen von Identität und Differenz bestimmt, — aber im gewöhnlichen Wort¬ gebrauch wie auch in der Sprache der Philosophen bedeutet „Reflexion" ja zu¬ nächst irgend eine subjektive Tätigkeit, ein Überlegen oder ähnliches. Auch in Hegels Logik wird diese Bedeutung nachklingen. Wir haben uns klarzumachen, worin die Subjektivität eines solchen „Zwischen" von Identität und Differenz bestehen mag. Nicht warum die Seele eine Mischung aus Identität und Diffe¬ renz ist, sondern warum eine solche Mischung eine Seele, ein Subjekt ergibt, soll auseinandergelegt werden. Wir fragen also nach den drei Strukturen der doppelten Negativität, des „als" und der Reflexion, — und zwar wollen wir sie alle drei unter dem Gesichtspunkt ihrer Subjektivität in Frage steilen. Was hat die Doppelheit der Negativität mit der Subjektivität des Negierens zu tun? In welchem Sinne ist das „Setzen als . . ." eine subjektive Formspontaneität? Und wieso kann der Begriff der Reflexion, also ein Name für eine subjektive Tätigkeit, dazu dienen, das Zwischen von Identität und Differenz zu benen¬ nen? — Um auf diese Fragen eine Antwort zu bekommen, müssen wir vorerst noch einmal vor Hegels Logik zurückgehen, und zwar zu Schellings „System des transzendentalen Idealismus". Wir haben zu sehen, wie es dort mit der doppel¬ ten Negativität, mit dem „als", mit der Reflexion sich verhält. Wir wollen noch einmal damit beginnen, die wesentlichsten Grundthesen des Systems des tran¬ szendentalen Idealismus auseinanderzulegen. Schelling denkt Form überhaupt als Begrenzung. Für ihn bedeutet die Subjek¬ tivität der Form demnach eine Subjektivität der Begrenzung. Begrenzung beruht auf subjektiver Spontaneität, — es muß eine subjektive begrenzende Spontanei¬ tät geben. Das System des transzendentalen Idealismus will uns zeigen, wie die Subjektivität der Form zu verstehen ist, wenn Form als Begrenzung ausgelegt wird. Schelling entwickelt den Kantischen Gedanken, daß die Form der Er¬ scheinungen aus dem Subjekt stammen soll, unter Wiederaufnahme des pla¬ tonischen Gedankens, daß die Form Grenze, Jtepag ist. Diese beiden Gedanken sollen als vereinigte gedacht werden. Dies wäre das erste. Die „begrenzende Tätigkeit" nennt Schelling auch ideelle oder reflektierende Tätigkeit. Zum ersten Mal erscheint hier der uns bereits bekannt Gedanke, daß Reflexion Begrenzen und Begrenzen Reflexion ist, — die für das Verständnis des idealistischen Reflexionsbegriffes überhaupt grundsätzlichste Vorstellung. Reflexion ist für diesen Idealismus ursprünglich so wenig eine „Reflexion über . . .", wie es ein „Begrenzen über . . ." gibt.

107

Aber nun kommt das Zweite: Das „über" erscheint dennoch wieder, nämlich als ein „über die Grenze". Das Begrenzende ist immer über die Grenze hinaus, ist jenseits ihrer. Schelling spricht von einem „Aufheben der Grenze", einem „Hinausgehen über die Grenze". Die Form hat also nach diesen Schellingschen Vorstellungen immer zwei Sei¬ ten oder zwei Momente: sie ist einmal Begrenzen und einmal Aufheben der Grenze. Diesen Unterschied zu entwickeln, ihn zu begründen und dazustellen ist das Hauptproblem der Schellingschen Transzendentalphilosophie. Der entscheidende dritte Gedanke ist nun, daß beides. Begrenzen wie Hin¬ ausgehen über die Grenze, Leistungen derselben Spontaneität, derselben ideellen Tätigkeit sein sollen. Das zweite Moment der Form, das Hinausgehn dient bei Schelling hernach zur subjektiven Perzeption der Begrenzung, d. h. dazu, daß das Begrenzte nicht nur an sich, sondern auch für das Ich begrenzt ist. Denn dadurch, daß die for¬ male Spontaneität des Ich das Objekt konstituiert, ist dieses noch keineswegs Objekt für das Ich. Dies ist der Sinn in der Unterscheidung der beiden Momen¬ te der Form. Damit das Objekt auch für das Ich sei, ist ein zweiter formaler Akt nötig, der in gewisser Weise ein Aufheben des ersten ist, ein Aufheben der Grenze. Das Hinausgehen über die Grenze wird zu der Reflexion über die Grenze, die das Begrenzte als Begrenztes für das Ich sein läßt. Die Refle¬ xion über ... ist Reflexion als ideelles Aufnehmen des Begrenzten, sie setzt das Begrenzte ins Ich, d. h. sie hebt den Unterschied zwischen dem Ich und dem Objekt dialektisch auf. Was man sich populär vielleicht so vorstellt, daß das Ding, um gewußt zu werden, in den Kopf hineinkommen müsse, sieht dialek¬ tisch so aus, daß der Unterschied zwischen dem Subjekt und diesem Ding aufzu¬ heben und zu negieren ist. In unserem Zusammenhang fragen wir, wie in dieser Doppelheit der ideel¬ len Funktionen, dem Begrenzen und dem Aufheben der Grenze, sich jene Hegelsche Doppelheit der Negationen vorbereitet, wie zweitens in dieser Doppelheit das subjektive Moment als Erfassen und Aufnehmen des Begrenzten erscheint, und wie drittens auch das „als" schon bei Schelling in dem Verhältnis dieser beiden Funktionen zueinander auftritt. Schon Schelling entwickelt aus dem Unterschied dieser beiden Funktionen der

einen

ideellen oder reflektierenden Tätigkeit bereits eine Doppelheit

auch der Begrenzungen, — etwa in jener für sein System so außerordentlich wichtigen Struktur der „bestimmten Begrenztheit", in der zwei verschiedene Begrenzungen für das eine Objekt zusammenfallen. Diese Verdoppelung der Be¬ grenzungen entsteht dadurch, daß alle Begrenzte für das Ich begrenzt sein soll. Die beiden Momente der Form, — das eine die Perzeption, nach Spinoza die „idea" als „conceptus mentis", — das andere die reale, den Gegenstand kon¬ stituierende Form, — sollen in die Einheit der einen Form zusammengedacht werden. Dies ist das Ziel dieser Theorie der Form. Schellings Wort „Anschauen und Begrenzen ist ursprünglich Eines" (SW 111,403) haben wir als Ausdruck der

108 Forderung einer solchen ursprünglichen Einheit schon kennengelernt. Man darf diesen Satz als den Grundsatz seiner Transzendentalphilosophie bezeichnen und ihn als Entsprechung neben den Kantischen Grundsatz stellen: „Die Bedingun¬ gen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung" (KdrV B197). Das Begrenzen ent¬ spricht den Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände, das Anschauen den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung. „Die Grenzen sind das Prinzip dessen, das sie begrenzen" (L 1,115) sagt Hegel einmal: in diesem Sinn kann man das Begrenzen als Bedingung der Möglichkeit der Gegenstände fassen. Es geht bei Kant wie bei Schelling um die Einheit der einen Form in der Konstitution von Ich und Welt. Nur um dieser Einheit willen ist es sinnvoll, überhaupt die Subjektivität der Form anzunehmen. Der „Dogmatismus" ist nach idealistischer Auffassung dadurch definiert, daß er beide Momente der Form nebeneinander setzt, also Anschauen und Begren¬ zen als ursprünglich verschieden nimmt, — am konsequentesten bei Spinoza: die Ordnung der Ideen als der Begriffe, die der Geist formt, und die Ord¬ nung der Dinge in ihrer „essentia formalis" laufen parallel nebenein¬ ander, und zwar, was das wichtige dabei ist, völlig unabhängig voneinander (vgl. Ethica p. 2 prop. 5—7). Hegel nennt diesen Unterschied bisweilen denjenigen von Denken und Sein und nimmt ihn als charakteristisch für das Denken der Neuzeit. Im griechi¬ schen Denken soll es nach Hegel von ihm noch kein Bewußtsein gegeben haben (vgl. z. B. EGPh S. 236 und S. 247). Im neuzeitlichen Dogmatismus haben das Subjektive und die Dinge ihre je eigene Form gegeneinander, die völlig selbständig sind und darum einer Ver¬ mittlung im Absoluten, in Gott bedürfen. Man kann den Dogmatismus darum auch bestimmen als eine Metaphysik, die überhaupt eine Form unabhängig vom Ich annimmt oder gelten läßt. Die „essentia formalis" bei Spinoza etwa ist eine solche Form unabhängig vom Subjekt. Der transzendentale Idealismus dagegen will die Einheit der ganzen Form, die Einheit von Anschauen und Begrenzen denken. Diese Einheit soll das — in seiner Wahrheit Begriffene — Ich sein. So läßt sich auch verstehen, warum etwa Schelling und Hegel Kants Lehren vom Ding an sich immer als ein Überbleibsel des Dogmatismus aufgefaßt ha¬ ben. Der Streit um das Ding an sich ist, wie man sich stets wiederholen muß, ein Streit um das Wesen der Form: er geht allein darum, ob es eine Form des Dings an sich gibt oder nicht, ob das Ding an sich geformt ist oder nicht. Die Behauptung einer Geformtheit des Dings an sich wäre noch ein Überrest jener Spinozistischen Trennung der beiden Reihen der Form. Sie wäre nämlich gleich¬ bedeutend mit der Behauptung, daß Anschauen und Begrenzen ursprünglich nicht eines sind; — wie die beiden entgegengesetzten Behauptungen ebenfalls gleichwertig sind. Wenn es keine Form unabhängig vom Ich geben soll, so müssen Anschauen und Begrenzen ursprünglich eines sein. Eines Gottes zur Vermittlung der Ein-

109 heit der Form (wie im Dogmatismus stets) bedarf es dann nicht mehr, — bzw. das ursprüngliche Subjekt, welches die Einheit von Anschauen und Begrenzen ist, ist selbst Gott. Wenn es keine Form unabhängig vom Ich gibt, kann es auch keinen Gott unabhängig vom Ich geben, — zumal, wenn Gott als „reine Form" bestimmt wird. Übrigens ist es seltsam, daß gerade das ursprünglich griechische Wort für Form — idea — im neuzeitlichen Dogmatismus das subjektive Moment, die Vor¬ stellung bezeichnet, — während man für das der Begrenzung entsprechende nun das Wort „forma" benutzt. Das ursprünglich Eine, Idee und Form, hat sich getrennt in idea und forma, und wie um den Vorrang des Subjektiven auch im Wort anzudeuten, ist die idea auf die Seite des Subjektiven getreten. Daß dem Subjekt überhaupt eine Spontaneität der Form zukommt, ist in der Neuzeit schon vor Kant nicht mehr zweifelhaft. Es sei wieder an Spinoza erin¬ nert: Ethica p. 2 def. 3 heißt es: „per ideam intelligo Mentis conceptum, quem Mens format, propterea quod res est cogitans", und die sehr wichtige „explicatio" dazu: „dico potius conceptum, quam perceptionem, quia perceptionis nomen indicare videtur, Mentem ab objecto pati. At conceptus actionem Mentis exprimere videtur." Diese „actio Mentis" ist ein „formare", ein Formen. Das Pro¬ blem des philosophischen Denkens ist eben nur, wie sich diese Form zur Form überhaupt verhält. Wenn Schelling nun sagt. Anschauen und Begrenzen sind ursprünglich eines, so sehen wir freilich schon hieran, daß auch für Schelling Anschauen und Be¬ grenzen nicht schlechthin, sondern eben nur ursprünglich eines sind. Der Zu¬ satz „ursprünglich" schränkt die Einheit ein, — sie gilt nicht immer und nicht überall. Man darf sogar sagen, das für Schelling bedeutungsvolle Problem liegt gerade darin, den Unterschied von Begrenzen und Anschauen zu begreifen und zu entwickeln. Die Einheit ist aufzuheben, und dieses Aufheben ist zu begrei¬ fen. Das „als" bezieht nun diese beiden Momente der Form aufeinander. Es setzt also gerade voraus, daß Begrenzen und Anschauen auch unterschieden sind. Insofern beide eines sind, gibt es kein solches „als". Hören wir hierzu zwei Stellen aus dem „System des transzendentalen Idealismus". Die erste lau¬ tet: Die ideelle, reflektierende Tätigkeit des Ich „muß also von der Art sein, daß durch sie zugleich der Grund des Begrenztwerdens der objektiven, und des Wissens um dieses Begrenztwerden gegeben ist. Da nun die ideelle ursprüng¬ lich nur als die anschauende (subjektive) von jener gesetzt ist, um durch sie die Begrenztheit des Ichs als Ich zu erklären, so muß angeschaut und begrenzt wer¬ den für die zweite, objektive Tätigkeit Eins und dasselbe sein. Dies ist zu er¬ klären aus dem Grundcharakter des Ich. Die zweite — (reelle) — Tätigkeit, wenn sie Tätigkeit eines Ich sein soll, muß zugleich begrenzt werden und angeschaut werden als begrenzt, denn eben in dieser Identität des Angeschautwerdens und Seins liegt die Natur des Ich" (SW 111,386). Hier wird noch einmal — was uns in unserm Zusammenhang interessiert — die Einheit der Momente der Form dargestellt: Die idea als conceptus Mentis und die „forma seu essentia" sind

110

eine Form. Zugleich aber wird schon hier klar, wie beides auch unterschieden werden muß, und wie das „als" in diesem Unterschied von Begrenzen und Anschauen die Beziehung beider auf einander ist: „Anschauen als begrenzt - hierin sind die beiden Seiten der Form, die in einem Ursprung gründen, zu¬ gleich unterschieden und durch das „als" aufeinander bezogen. Der Unterschied zwischen beiden Momenten der Form wird noch deutlicher an der zweiten Stelle, die wir heranziehen wollen: „Die reelle Tätigkeit also ist durch den abgeleiteten Mechanismus begrenzt, aber noch ohne es für das Ich selbst zu sein. Nach der Methode der theoretischen Philosophie, was in das reelle Ich (für den Beobachter) gesetzt ist, auch für das ideelle zu deduzieren, wendet sich die ganze Untersuchung auf die Frage, wie das reelle Ich auch für das ideelle begrenzt werden könne, und auf diesem Punkt steht die Aufgabe: zu

erklären,

wie

das

Ich

dazu

komme,

sich

als

begrenzt

anzuschauen."

(SW 111,401). Auch hieran interessiert uns gegenwärtig wiederum nur der Unterschied von Begrenzen und Anschauen. Wir sehen, daß das Begrenzte nicht schon ohne weiteres für das Ich begrenzt ist. Begrenztsein und Angeschautsein fallen also auseinander, wenn nämlich das Angeschaute immer für das Ich ist. Wir haben also auf der einen Seite das „an sich Begrenzte", auf der anderen das „als begrenzt Angeschaute". In dem „als begrenzt Angeschauten" sind beide Momente der Form wieder vereinigt. Das „als" drückt ihre Beziehung aufeinander aus. In dem „als begrenzt Anschauen" ist die Einheit der gesamten subjektiven Formspontaneität wieder gegeben. Im Blick auf Hegel ist es nun wichtig zu bemerken, wie sich in diesem „An¬ schauen als begrenzt" zweierlei Einheiten miteinander verquicken: nämlich ein¬ mal eben die Einheit von Begrenzen und Anschauen, den beiden grundsätz¬ lichen Momenten der Form, — zum anderen die Einheit von Identität und Dif¬ ferenz, die seit Platons Timaios für den metaphysischen Subjektsbegriff so wichtig ist. Diese Einheit von Identität und Differenz liegt darin, daß diese eine ideelle Tätigkeit die doppelte Funktion des Begrenzens und des Aufhe¬ bens der Grenze hat. Das Begrenzen ist ein Endlichmachen, Unterscheiden, — das Aufheben der Grenze die Wiederherstellung der ideellen Unendlichkeit, der Einheit. Insofern die Grenze aufgehoben wird, ist das Begrenzte nur Moment einer es umfassenden unbegrenzten Einheit. Erst in dieser ganzen Einheit ha¬ ben wir auch das ganze Ich wie die ganze Form. Von hier aus nun haben wir zu der Negation als Negation der Hegelschen Logik fortzugehen. Auch die durch das „als" zusammen- und auseinanderge¬ haltene Doppelheit der Negationen erklärt sich aus jenem Unterschied im We¬ sen der Form, den wir bei Spinoza zwischen idea und essentia seu forma, bei Schelling zwischen Anschauen und Begrenzen gefunden haben. Der Ausdruck „als" ist unmittelbar einsichtig nur in diesem Verhältnis, etwa in der Formu¬ lierung „als begrenzt anschauen". Bei Hegel werden wir freilich das „als" in allgemeinerer Bedeutung finden, die nicht mehr so ohne weiteres zu verste¬ hen ist. Das Begrenzte als Begrenztes ist begrenzt für ein Ich, so enthält das

111 „als” wesentlich die Beziehung auf das Subjekt in sich. Umgekehrt ist für das Ich auch nur dasjenige, das als etwas ist. Zugleich aber sehen wir in der Schellingschen Doppelheit von Begrenzen und Hinausgehen über die Grenze auch schon die Hegelsche Doppelheit der Nega¬ tionen angelegt. Nach Schelling kann etwas als etwas nur sein, wo ein Begrenz¬ tes ist, dessen Grenze durch ein ideelles Hinausgehen, durch die Wiederher¬ stellung der Einheit mit dem Ich aufgehoben ist. Erst das Zusammentreffen von Begrenzen und Hinausgehen ermöglicht eine als-Struktur. Bei Hegel heißt dies, daß das „als” stets zwischen zwei Negationen eingespannt ist. Es gehört zum Wesen des „als”, zwischen zwei Negationen zu stehen. Und wie nach Schelling die Einheit von Begrenzen und Anschauen die ganze Form ist, so ist auch nach Hegel die durch das „als” geeinte Doppelheit der Negationen, die Negation als Negation oder die absolute Negativität, die ganze Form. Aber dennoch ist die Hegelsche Negation als Negation nicht einfach das gleiche wie die Schellingsche Einheit von Begrenzen und Anschauen, und auf diese Unterschiede haben wir nun einzugehen. Dabei beginnen wir noch ein¬ mal mit jener Hegelschen Entpsychologisierung der Form, über die wir auch früher schon gesprochen haben. Wir wissen: Hegel will die Form in ihre Reinheit herausdenken. Darum kann er die Einheit der subjektiven Formspontaneität auch nicht mehr wie Schelling als eine Einheit von Anschauen und Begrenzen denken. Denn selbstverständ¬ lich ist nur „Begrenzung" ein im Sinne der Metaphysik der Form „logischer” Begriff. Hegel sagt statt dessen meist „Bestimmtheit”, doch liegt darin kein Unterschied. Anders steht es mit dem „Anschauen”: Dies ist für Hegel etwas Psycholo¬ gisches, also noch eine „Verunreinigung" der Form. Die Logik darf das Sub¬ jekt nicht als „anschauend” bestimmen, denn so würde es nicht als reine Form gefaßt, nicht „begriffen”. Hören wir noch einmal, wie Hegel diese Entpsycholo¬ gisierung sich denkt: „Über die Sache selbst ist vors erste zu bemerken, daß jene Gestalten von Anschauung, Vorstellung und dergleichen dem selbstbewu߬ ten Geiste angehören, der als solcher nicht in der logischen Wissenschaft be¬ trachtet wird. Die reinen Bestimmungen von Sein, Wesen und Begriff machen zwar auch die Grundlage und das innere einfache Gerüste der Formen des Gei¬ stes aus; der Geist als anschauend, ebenso als sinnliches Bewußtsein ist in der Bestimmtheit des unmittelbaren Seins, sowie der Geist als vorstellend, wie auch als wahrnehmendes Bewußtsein sich vom Sein auf die Stufe des Wesens oder der Reflexion erhoben hat. Allein diese konkreten Gestalten gehen die logische Wissenschaft so wenig an als die konkreten Formen, welche die logischen Be¬ stimmungen in der Natur annehmen, .. . Ebenso ist hier auch der Begriff nicht als Aktus des selbstbewußten Verstandes, nicht der subjektive Verstand zu be¬ trachten, sondern der Begriff an und für sich, welcher ebensowohl eine Stufe der Natur als des Geistes ausmacht.” (L II,223f). Uns interessiert hieran gegenwärtig, wie zwar die verschiedenen Strukturen der reinen Form bestimmten Bewußtseinsstrukturen zugeordnet werden (oder

112

genauer umgekehrt, wie z. B. der Stufe des Seins das sinnliche Bewußtsein) — wie aber andererseits dennoch die reinen Formen von diesen Bewußtseinsstruk¬ turen unterschieden bleiben. Die Reflexion ist nicht das vorstehende Bewußt¬ sein, wie auch der Begriff kein Aktus des selbstbewußten Verstandes ist. Die Form in ihre Reinheit herauszudenken heißt, das Subjekt der Form zu trennen vom Subjekt des Bewußtseins. An der angeführten Stelle bezieht sich Hegel auf Kant, aber wir können das Gesagte auch für Schelling benutzen. Wir nehmen es dafür in Anspruch, daß die Logik die Einheit der ganzen Form nicht als eine ursprüngliche Einheit von Anschauen und Begrenzen denken darf. Das Anschauen gehört nicht in eine Theorie der reinen Form, — auch nicht, wenn die Form als subjektiv gedacht wird. Wir dürfen uns also nicht wundern, wenn von den beiden Negationen der doppelten Negativität keine mehr ein Anschauen ist, obwohl die eine die andere aufhebt, wie auch das Hinausgehen über die Grenze (als Anschauen) das Begrenzen aufhebt. Dennoch ist das Verhältnis zwischen beiden Negationen wieder die Reflexion, wie bei Schelling, — und wieder steht das „als" zwischen ihnen, wie bei Schelling. Das „als" verknüpft Anschauen und Begrenzen, und darin Aufheben der Grenze und Begrenzen, und darin die beiden Negationen. Und das Ganze beider Negationen ist das Subjekt, wie bei Schelling das Sub¬ jekt die ursprüngliche Einheit von Begrenzen und Anschauen ist. Bei Hegel aber ist eben alles „Logik", — reine Form, Denken Gottes, ohne Bewußtsein und Selbst¬ bewußtsein, ohne Anschauen, Vorstellen und Begreifen. Gott — so könnte man hegelisch sagen — hat vor Erschaffung der Welt „bewußtlos" gedacht. Wir wollen nun einige Stellen betrachten, an denen Hegel allgemeiner über die doppelte Negativität, über das „als" in ihr und über die Subjektivität die¬ ser Struktur handelt. Eigentlich soll nun die Logik des Wesens die Darstellung dieser Reflexivitätsstrukturen bringen. Aber schon in der Logik des Seins er¬ scheinen sie mehrfach, und vieles findet bereits dort eine grundsätzliche, gleich¬ sam modellhafte Klärung. Darum werden wir bei der Logik des Seins beginnen. Das „Für-sich-sein" ist die subjektive Unendlichkeit, die sich aus der End¬ lichkeit des einfach bestimmten Daseins ergeben hat. Von ihm heißt es: „Das Fürsichsein besteht darin, über die Schranke, über sein Anderssein so hinaus¬ gegangen zu sein, daß es als diese Negation die unendliche Rückkehr in sich ist." (L 1,148). Hier haben wir offenbar sogleich eine Vorstellung, die sehr gut an Schelling anschließt. Daß der Form eine doppelte Tätigkeit zukommt, ein¬ mal das Hervorbringen der Schranke (an der angeführten Stelle ist diese Tä¬ tigkeit selbstverständlich ebenfalls vorausgesetzt), zum anderen aber das Hin¬ ausgehen über die Schranke, und daß dieses Hinausgehen das Wiederherstellen der ideellen Unendlichkeit ist, — gerade dies waren ja die Schellingschen Ge¬ danken. Hier findet sich dies alles wieder. Das Fürsichsein ist darüber, daß es nur das Andere eines Anderen ist, hinausgegangen. Dieses Hinausgehen ist überhaupt eine Negation, d. h. eben eine i\e.Qytia der Form. So ist der Unter¬ schied zwischen den beiden Anderen aufgehoben. Das Fürsichsein selbst als das den Unterschied aufhebende ist die Einheit. Das Andere ist nicht außer

113 ihm — dann wäre der Unterschied unaufgehoben — sondern in ihm. Es ist nur das Aufgehobene des Fürsichseins, sein Moment. Unmittelbar im Anschluß an das zuletzt gegebene Zitat fährt Hegel fort: „Das Bewußtsein enthält schon als solches an sich die Bestimmung des Fürsichseins, indem es einen Gegenstand, den es empfindet, anschaut usf., sich vorstellt, d. i. dessen Inhalt in ihm hat, der auf diese Weise als Ideelles ist; es ist in seinem Anschauen selbst, über¬ haupt in einer Verwicklung mit dem Negativen seiner, mit dem Andern, bei sich selbst/' (L 1,148). An diesem Satz sehen wir den Zusammenhang dieses Fürsichseins mit der Schellingschen „ideellen Tätigkeit" noch deutlicher, denn hier sagt Hegel es ja selbst: Das Hinausgehen über die Schranke, das Aufheben des Unterschiedes ist dasselbe wie jene Anschauen, das wir aus der Schelling¬ schen Transzendentalphilosophie als Moment der ganzen Form kennen. Natür¬ lich ist der Hinweis auf das Bewußtsein von Hegel nur als erläuterndes Beispiel gemeint, das Für-sich-sein selbst ist reine Form, an der noch nichts Bewußtes ist. Aber es ist zugleich mehr als ein Beispiel, denn dasjenige Verhältnis von Identität und Differenz, welches sich hier als Fürsichsein konstitutiert, ist eben das Wesen des Subjekts, — dieses Verhältnis definiert gleichsam, was man unter Subjektivität zu verstehen hat. Das Anschauen ist in dem Negativen seiner, in seinem Anderen bei sich selbst. Das Andere ist sein Anderes, an sich auf es bezogenes Anderes, d. h. erscheinender Gegenstand. Auch der erscheinende Gegenstand ist außer mir, und doch auch in meinem Bewußtsein. Die Präpositionen „außer" und „in" drücken räumliche Verhältnisse aus. So räumlich betrachtet ergäbe sich, daß der er¬ scheinende Gegenstand im Raum meines Bewußtseins und im Komplement des Raumes meiner selbst ist, — ein merkwürdiges dialektisches Ergebnis. Aber die Verhältnisse im Fürsichsein sind keine räumlichen. Auch Hegel benützt bis¬ weilen räumliche Bilder — „Hinausgehen" z. B. oder „in ihm" sind solche —, aber die Logik hat alle Verhältnisse eben als logische zu fassen, auf reine Form, d. h. auf Identität und Differenz zurückzuführen. Die räumliche Einheit von „außer" und „in" wird dann eine Einheit von Differenz und Identität, wobei dem „außer", der Schranke die Differenz, und dem „in", dem Hinaus¬ gehen die Identität entspricht. Indem der erscheinende Gegenstand in meinem Bewußtsein ist, ist dieses über ihn, über seine Grenze hinaus, — es ist die unendliche Einheit, deren Moment die Schranke des Gegenstandes ist. Das Subjekt hat das außer ihm Seiende als sein Moment in sich und ist so unend¬ liches Fürsichsein, das über sein Anderssein hinausgegangen ist. Aber das Für¬ sichsein kann über sein Anderssein nur hinausgehen, indem dieses an ihm und in ihm ist. Wieder am Anschauen und Vorstellen exemplifiziert: das An¬ geschaute hört dadurch, daß es als Angeschautes im Ich, in seiner übergreifen¬ den Einheit ist, nicht auf, außer ihm, von ihm verschieden zu sein. Oder wie Hegel sagt (im Anschluß an die vorhin angeführten Stellen): „Das Fürsichsein ist das polemische, negative Verhalten gegen das begrenzende Andere, und durch diese Negation desselben In-sich-Reflektiertsein, obschon neben dieser Rückkehr des Bewußtseins in sich und der Idealität des Gegenstandes auch noch

114 die Realität desselben erhalten ist, indem er zugleich als ein äußeres Dasein gewußt wird." (L 1,148). Daß „Realität" bei Hegel das wirkliche Vorhanden¬ sein des Unterschiedes bedeutet, wissen wir. „Idealität" dagegen meint das Aufgehobensein des Unterschiedes, das

Momentsein

des

Gegenstandes, die

Wiederherstellung der Einheit des Ich, die sich über die Schranken des Gegen¬ standes hinaus erstreckt. Dies ist genau diesselbe Einheit des Begrenzens und des Hinausgehens über die Grenze, die schon Schelling als notwendiges Resul¬ tat einer Lehre von der Subjektivität der Form zu behaupten versuchte. Das über die Dialektik des Fürsichseins Gesagte soll durch einen kurzen HinW'eis auf die Dialektik der Endlichkeit erläutert werden. „Der Satz, daß das Endliche ideell ist, macht den Idealismus aus. Der Idea¬ lismus der Philosophie besteht in nichts Anderem als darin, das Endliche nicht als wahrhaft Seiendes anzuerkennen." (L 1,145). Das Endliche ist ein Nichtiges, Mangelhaftes, — die Beschaffenheit dieses Mangels haben wir festzustellen. Das wahrhaft Seiende ist das Unendliche, und wir wissen, daß dieses nichts weiter als „Reflexion", als ein bestimmtes Verhältnis von Identität und Differenz ist. Was aber ist das Endliche? Hegel bestimmt das Endliche einmal wie folgt: „Etwas mit seiner immanen¬ ten Grenze gesetzt als der Widerspruch seiner selbst, durch den es über sich hinausgewiesen und getrieben wird, ist das Endliche." (L 1,116). Auch diese Bewegung des Endlichen über sich hinaus ist eine Bewegung über seine Grenze hinaus. Diese Bewegung, die dem Unendlichen eigentümlich war, findet sich auch beim Endlichen. Wir finden hier wiederum das Erbe, das vom Schellingschen Idealismus überkommen ist. Aber die Bewegung über die Grenze hinaus ist für das Endliche eine andere als für das Unendliche: denn das Un¬ endliche hat in dieser Bewegung sein Sein, das Endliche sein Nichtsein. Für das Endliche ist die Bewegung sein Vergehen, sein Tod. Dies ist die „Trauer der Endlichkeit" (L 1,117), von der Hegel spricht. Aber wie kommt es, daß dasjenige, was für das Unendliche das Sein, gleich¬ sam das Leben ist, für das Endliche der Tod ist, — wie kommt überhaupt die Bewegung des Endlichen über sich selbst hinaus zustande? Hegel sagt vom Etwas, daß es „sein Dasein nur in der Grenze hat, und daß, indem die Grenze und das unmittelbare Dasein beide zugleich das Negative von¬ einander sind, das Etwas, welches nur in seiner Grenze ist, ebensosehr sich von sich selbst trennt und über sich hinaus auf sein Nichtsein weist und dies als sein Sein ausspricht und so in dasselbe übergeht." (L 1,115). Der erste Gedanke ist, daß das Etwas sein Dasein nur in der Grenze hat. Die Grenze ist die Form, die die Bedingung der Möglichkeit des Seins dieses Etwas ist. „Forma dat esse rei." Hegel sagt an der angeführten Stelle weiter, daß die Grenze und das unmit¬ telbare Dasein beide zugleich das Negative voneinander sind, — d. h., daß die Grenze des Etwas und sein unmittelbares Dasein unterschieden sind vonein¬ ander. Das Etwas ist etwas selbst, — dies ist sein unmittelbares Dasein. Seine Grenze ist etwas anderes gegen es selbst. Das Etwas hat in gewissem Sinne

115 seine Form, seine ouma außer sich, — und eben darin liegt seine Nichtigkeit, der „Keim des Todes '. Dieser Unterschied des Etwas selbst von seiner Form soll es nach Hegel über sich hinaus treiben. Das Nicht dieses Unterschiedes ist das Nicht der Endlichkeit. An diesem Unterschied hört das Endliche auf. Der Unterschied zwischen dem Endlichen und Unendlichen ist also nichts wei¬ ter als ein unterschiedliches Verhalten zur Form: Das Unendliche ist sich selbst seine Form, das Endliche hat seine Form außer sich und ist von ihr unter¬ schieden. Das Unendliche ist sich selbst seine ursprüngliche Synthesis, — ja „Unendlichsein" heißt im Prinzip nichts anderes als „ursprüngliche-SynthesisSein", wobei der ganze Akzent auf „ursprünglich" fällt. Das Endliche dagegen hat seine ursprüngliche Synthesis außer sich, es ist etwas anderes, was ihm seine Einheit gibt. Ähnlich sagt Hegel einmal: „Das Sterbliche, Endliche ist von Plato richtig als das bestimmt, dessen Existenz, Realität nicht absolut adäquat ist der Idee, oder bestimmter der Subjektivität." (JA 18,210). Die Dialektik des Endlichen ist also, daß es selbst von seiner Form verschie¬ den und doch diese Form sein Wesen ist. Die Grenze ist für das Etwas sowohl Grund des Seins wie Grund des Nichtseins — als von seinem unmittelbaren Dasein unterschieden und dieses negierend. Das Verhältnis der Sache zu ihrer Form ist für das Endliche Grund der Endlichkeit, für das Unendliche Grund der Unendlichkeit. Das Hinausgehen über die Grenze ist in dem einen Fall ein Vergehen, in dem anderen ein Zurückgehen, eine Rückkehr. Warum aber ist die doppelte Negativität aus sich selbst bereits Subjektivi¬ tät? — Hegel spricht oft da von Subjektivität, wo nach unserer gewöhnlichen Auffassung keine Rede davon sein kann. So lesen wir z. B.: „Das Negative des Negativen ist als Etwas nur der Anfang des Subjekts; — das Insichsein nur erst ganz unbestimmt. Es bestimmt sich fernerhin zunächst als Fürsichseiendes und so fort, bis es erst im Begriff die konkrete Intensität des Sub¬ jekts erhält. Allen diesen Bestimmungen liegt die negative Einheit mit sich zu Grunde." (L I,102f). Auch das Etwas ist bereits ein „Negatives des Negativen", ein solches, das über sein Anderssein hinaus und so in sich, in seine Einheit mit sich zurück¬ gegangen ist. Es ist eine ebensolche „Mischung", wie sie nach Platon die Seele ist, dasselbe Zwischen von Identität und Differenz. Diese Reflexion ist das „In¬ sichsein" des Subjektes, eine „negative Einheit", weil diese Einheit in einem Negieren entsteht (in jenem Hinausgehen über die Grenze). Dieses Hinaus¬ gehen ist ein negierendes Einen. Das Etwas ist nur der Anfang des Subjekts, weil sein Insichsein noch ganz unbestimmt ist. Die Unbestimmtheit dieses Insichseins kann nur den Unterschied betreffen, der in ihm aufgehoben wird. Der Unterschied des

Etwas in sich ist noch ein einfacher, unentwickelter,

unkomplizierter — im wesentlichen der von Qualität und Dasein. Die kon¬ krete Intensität des Subjekts hat da anderes in sich. Die Tiefe eines sol¬ chen Wesens besteht in der Tiefe des Unterschiedes, der in ihm ist.

So

nennen wir vielleicht auch im täglichen Leben einen Menschen vor allem dann „tief", wenn in seiner Persönlichkeit Unterschiede von besonderer Spannkraft

116 und Weite aufgehoben sind. Zum Subjekt gehört sein „Abgrund" (wenn wir die energische Tiefe eines Unterschiedes so nennen dürfen), — der aber Abgrund nur sein kann als aufgehobener Abgrund. Alle Dynamik entspringt der Dif¬ ferenz, aber die Dynamik der Differenz beruht in der Identität, im Aufgehoben¬ sein der Differenz, — wie wir früher einmal sagten, nur das nah Gekannte könne fremd, nur das Vertraute abgründig-anders sein. Aller Fortschritt der Dialektik, alle Vertiefung der Subjektivität gründet darin, daß der Unterschied in gewisser Weise endgültig und absolut ist, — er kann und muß in der Einheit aufgehoben, negiert werden, weil er an sich Einheit ist, — aber er bleibt in dieser Negation, „er kann nicht weggelassen werden, denn er ist". Diese Unmöglichkeit ist die dialektische Auszeichnung der Differenz, und sie erst ermöglicht Insichsein, Subjektivität. Hegel sagt: „Dieses Aufheben der Unterscheidung ist mehr als ein bloßes Zurücknehmen und äußeres WiederWeglassen derselben oder als ein einfaches Zurückkehren zum einfachen An¬ fänge, dem Dasein als solchem. Der Unterschied kann nicht weggelassen werden; denn er ist. Das Faktische, was also vorhanden ist, ist das Dasein überhaupt, Un¬ terschied an ihm, und das Aufheben dieses Unterschiedes; das Dasein nicht als unterschiedlos, wie anfangs, sondern als wieder sich selbst gleich, durch Auf¬ heben des Unterschieds, die Einfachheit des Daseins vermittelt durch dieses Aufheben. Dies Aufgehobensein des Unterschieds ist die eigene Bestimmtheit des Daseins; so ist es Insichsein; das Dasein ist Daseiendes, Etwas. Das Etwas ist die erste Negation der Negation, als einfache seiende Beziehung auf sich." (L 1,102). Das Etwas ist eine Mischung aus Identität und Differenz wie — nach Pla¬ ton — die Seele. Darum ist es der „Anfang des Subjekts". Seine Bestimmung ist das Insichsein, und dieses hat überall, wo es vorkommt, stets diese drei Momente:

Dasein

überhaupt,

Unterschied

an

ihm,

das

Aufheben

dieses

Unterschiedes. So ist das „In" stets zugleich auf Differenz und Identität bezogen und darum die die Subjektivität überhaupt charakterisierende Präposition.

Ein

Subjekt

ist, was ein „In" hat — als Inneres, Insichsein, Insichgehen, Inwendigkeit, Erinnern und dergleichen. Auch das Etwas hat, weil es von seinen Qualitäten unterschieden und zugleich die aufhebende Einheit dieses Unterschiedes ist, ein Inneres. Man kann auf diese Weise von dem Inneren eines Dinges sprechen, wie umgekehrt noch das Ich als Inneres auch ein Ding ist. (Der Unterschied von Ich und Ding, der, wie wir sagten, in der grundsätzlich verschiedenen Beziehung beider auf Form beruht, wird dadurch nicht aufgehoben. Man kann sagen, das Ich ist auch darin in seinem Andern bei sich selbst, daß es als Ich zugleich auch Ding bleibt und ist). Insichhaben ist stets ein Insichhaben von Differenz, und dies ist es, was das Subjekt zum Subjekt macht. Das Ich als Ich hat nichts anderes in sich, als Unterschiede. Das Etwas aber hat nur an sich in sich Unterschiede. — Man könnte vielleicht sagen, wir setzen nur voraus, daß die Dinge Unterschiede in sich haben. —

117 Die Negation der Negation nennt Hegel auch absolute Negativität. So heißt es noch im gleichen Zusammenhang: „Aber dabei ist die Negation als erste, als Negation überhaupt wohl zu unterscheiden von der zweiten, der Negation der Negation, welche die konkrete, absolute Negativität, wie jene erste dagegen nur die abstrakte Negativität ist." (L 1,103). Das Etwas ist als erste Negation der Negation auch die erste absolute Negativität. Warum Hegel diese doppelte Negation außerdem noch „absolut" nennt, ist aus dem Zusammenhang der Entwicklung des Etwas gar nicht ersichtlich. Wir sind hiervon ebenso über¬ rascht wie etwa davon, daß das Etwas der Anfang des Subjekts sei. Und in der Tat erklärt sich das eine aus dem anderen: denn nur weil das Subjekt diese doppelte Negation ist, nur darum ist diese „absolut". Denn das Subjekt ist ja Einheit aller Form, es gibt schlechthin nicht Form, die unabhängig vom Subjekt wäre. Das allein heißt, es ist absolut. Und das Subjekt ist diese Ein¬ heit der Form, weil das Begrenzen und das Anschauen, das Begrenzen und das Hinausgehen über die Grenze beides seine Tätigkeiten sind, und es außer die¬ sem keine Form gibt. Es gibt weder Einheit noch Unterschied, die nicht vom Subjekt produziert und aufgehoben wären. Die Negation also, die Form, die das Subjekt selbst ist, ist absolute Negativität, absolute Form, und das Etwas, als Anfang des Subjekts, als erstes Insichsein, ist auch der Anfang der absolu¬ ten Negativität, die ganz sie selbst erst ist als absolute Idee. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß für Hegel der Widerspruch da¬ durch bestimmt und charakterisiert ist, daß er an sich die Einheit von Identi¬ tät und Unterschied ist. Darum geht Hegel dort, wo er ihn entwickelt, noch einmal allgemeiner auf das Problem der doppelten Negation ein. Schon dies weist darauf hin, daß der Widerspruch in demselben Sinne ein „Subjekt", ein Insichsein sein wird, wie das Etwas eines war. Auch der Widerspruch ist im Sinne Platons eine Mischung aus dem tocutov und dem flmepov, und gerade in diesem Sich-Mischen liegt das Sich-Widersprechen. Wir dürfen an die höchst eindrucksvolle Stelle aus dem Timaios erinnern, wo Platon von der „Gewalt" spricht, mit der die „schwer mischbare Natur" des fr&TEQOv in das xaurov gefügt wird (3528). Diese „Gewalt" dürfen wir als einen Ausdruck, als Sym¬ bol jener Energie nehmen, die im Widerspruch liegt, die das Sich-Widersprechende auseinandertreibt und die Einheit der sich widersprechenden Seiten zu einer angespannten, geladenen und gerade so subjektiven, „seelischen" Einheit macht. Dieselbe Mischung ist auch für Hegel wegen eben dieser selben Gewalt „die Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit", — was, wie man weiß, für Platon ebenfalls gerade die Seele ist. Was nicht mit Gewalt zusammengefügt ist, ist keine Seele, ist nicht Subjekt oder Energie. Es heißt bei der Entwicklung des Widerspruchs: „Die Negation überhaupt ist das Negative als Qualität, oder unmittelbare Bestimmtheit; das Negative aber als Negatives, ist es bezogen auf das Negative seiner, auf sein Anderes. Wird dies Negative nur als identisch mit dem ersten genommen, so ist es, wie auch das erstere, nur unmittelbar; sie werden so nicht genommen als Andere gegeneinander, somit nicht als Negative; das Negative ist überhaupt

118 nicht ein Unmittelbares. — Indem nun ferner aber ebensosehr jedes dasselbe ist, was das Andere, so ist diese Beziehung der Ungleichen ebensosehr ihre identische Beziehung." (L 11,50). Wiederum haben wir also eine „Beziehung der Ungleichen", die ebensosehr eine „identische Beziehung" ist, — beide sind andere gegeneinander, und doch ist jedes dasselbe, was das Andere. Die beiden Negationen werden ebenso unterschieden wie an der vorhin angeführten Stelle L 1,103. Wiederum ist die erste Negation die Negation überhaupt, oder die Qualität, einfache Bestimmt¬ heit. Diese einfache Bestimmtheit ist nicht bezogen auf das, was das ihr Andere ist. Das durch sie Bestimmte ist zwar nicht dasselbe wie sein Anderes, aber auch nicht ein Anderes als ein Anderes, denn es hat die Beziehung auf ein Anderes, wodurch es anders als dieses wäre, gar nicht an sich. Es ist ein be¬ ziehungslos Unterschiedenes, ein an sich Unterschiedenes, und wegen dieser Beziehungslosigkeit kommt auch nur eine Negation vor. Das Negative

als

Negatives aber ist bezogen auf ein Anderes, der Unterschied enthält die Bezie¬ hung (die Einheit) der Unterschiedenen in sich, und diese Beziehung ist selbst die zweite Negation. Das Negative ist bezogen auf das Negative seiner; und das eine Negative, das bezogen wird, und das andere Negative, auf das bezo¬ gen wird, unterscheiden sich. Man kann das eine Negative als den Unterschied, das andere als die Einheit nehmen und den Unterschied beider gegeneinander als den Unterschied dieses Unterschiedes und dieser Einheit (als Differenz von Identität und Differenz). Dies würde auf einen unendlichen Regreß führen, wenn in der übergeordneten Differenz wieder dieselben Formmomente aufge¬ wiesen würden wie in der untergeordneten. Der unendliche Regreß zeigt sich immer als die einzige Alternative zu einer absoluten Reflexivität, worauf schon Aristoteles hingewiesen hat (z. B. de anima 425bl2ff; vgl. auch Sextus Empiricus adv.math. 7,310ff und Hegels Erläute¬ rungen zu dieser Sextus-Stelle JA 18,58lff; des weiteren einige bedeutende Schriften von Plotin, vor allem Enn. V,3 und V,6, in denen ebenfalls der not¬ wendige Zusammenhang von Reflexivität und Einheit von Selbigkeit und Andersheit entwickelt wird). Das Negative als Negatives ist also nur eine Form, e i n Negatives, e i n Grund, der aber in dieser Einheit sowohl diese selbst durch den Unterschied wie den Unterschied durch die Einheit aufgehoben hat. Beide sind, wie Pla¬ ton sagt, mit „Gewalt" ineinander gefügt. Das „als" drückt dies Moment der Reflexivität aus. Man kann sagen, Einheit als Einheit sei in sich unterschiedene Einheit, Unterschied als Unterschied sei in sich geeinter Unterschied. Wir wis¬ sen aus der Schellingschen Transzendentalphilosophie um die Herkunft dieses „als": es stammt aus dem „Anschauen als begrenzt", bei welchem als unter¬ schiedene Funktionen derselben ideellen Tätigkeit Vorkommen ein Begrenzen und ein Hinausgehen über die Grenze. Das Begrenzen entspricht der einfachen, qualitativen Negation, das Hinausgehen dem Aufheben dieser einfachen Nega¬ tion, dem Sich-Durchsetzen der Einheit gegen die Bestimmtheit. Das „als" charakterisiert darum auch bei Hegel — ebenso wie das Insichsein des Etwas —

119

die Subjektivität. So heißt es etwa: „Das zweite Negative, das Negative des Negativen, zu dem wir gekommen, ist jenes Aufheben des Widerspruchs, aber ist so wenig als der Widerspruch ein Tun einer äußerlichen Reflexion, sondern das innerste, objektivste Moment des Lebens und Geistes, wodurch ein Sub¬ jekt, Person, Freies ist." (L II,496f). Hier ist das zweite Negative das Aufhe¬ ben des Widerspruchs und nicht der Widerspruch selbst, weil dieser erst an sich die Einheit von Identität und Unterschied ist. In Wirklichkeit unterschei¬ det sich das Sich-Widersprechende noch. Die wahre Einheit ist erst der Grund, und dieser ist das „Aufheben des Widerspruchs". Diese zweite Negation aber konstituiert wieder Insichsein, Subjektivität. Es gibt Insichsein nur in der Dop¬ pelheit dieser Negativitäten, weil Insichsein immer zumal Beziehung auf Ein¬ heit und auf Differenz ist. Was Hegel hier als das „innerste, objektivste Mo¬ ment des Lebens und Geistes" darstellt, zeigt sich als Vollendung dessen, was Platon im Timaios als den Begriff der Seele gedacht hat. In diesem höchsten Punkt fallen die Erkenntnis der Form und die Erkenntnis des Selbst zusam¬ men und gründen sich gegenseitig. Unser bisheriges Hauptziel war, diese Zusammengehörigkeit einer Erkenntnis der Form und einer Erkenntnis des Ich sichtbar werden zu lassen. Die eleatische Frage

nach

der

Möglichkeit

von

Unterschied

und

der

Auftrag

des

delphischen Gottes — oder des „ersten Philosophen" — sind die Triebfedern, die das metaphysische Denken bewegt haben. Im deutschen Idealismus ist diese Zusammengehörigkeit herausgetreten und durch das Denken selbst her¬ vorgebracht worden. Schon in der Kantischen Metaphysik heißt Selbsterkennt¬ nis, sich als ursprüngliche Synthesis zu begreifen. Dies ist im Wesen nichts anderes als auch Hegel sagt, — wir bemerken noch einmal, daß Hegel hier von Kant den absoluten Grund alles philosophischen Erkennens gelegt sieht. Bei Hegel kann man sagen, ist das Ich aus dem Wesen der Differenz, die Dif¬ ferenz aus dem Wesen des Ich gedacht. Darin, daß dies seit jeher Angelegte hervorgeholt und

bewußt

gemacht worden ist,

ist

die

besondere

Stellung

Hegels und seiner Zeitgenossen in der Geschichte der Metaphysik begründet. Hegel war sich dieser Besonderheit durchaus bewußt, wie seine Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie zeigen. Dies bedeutet nicht, daß etwa Hegels Metaphysik ein endgültiges Ende sei, daß nach Hegel die Geschichte der Philosophie nicht weitergehen könne und eine Überwindung Hegels nicht möglich sei. Dennoch aber glauben wir, daß durch dieses wechselseitige Den¬ ken von Ich und Differenz alles nachhegelsche Philosophieren von vornherein unter einer Forderung steht, an der nicht vorbei gegangen werden kann. Alles nachhegelsche Denken wird sich auch als nachhegelisch ausweisen müssen. Wir haben zuletzt — im Rückgriff auf Schellings System des transzendenta¬ len Idealismus — zeigen wollen, wie gleichsam das „als" zwischen die beiden Negationen gekommen ist, und weshalb die Doppelheit dieser Negationen so etwas wie ein Insichsein konstituiert. In die einfache Erkenntnis dieses Insichseins, dieses „als" in der Mitte der beiden Negationen mündet darum, was Hegel das absolute Gebot nennt: Erkenne dich selbst. Und da für Hegel auch

120 Gott dieses Insichsein ist, so mündet auch die Erkenntnis Gottes in das Gleiche. Der vorhin betrachtete Abschnitt über das „Fürsichsein" legt es nahe, noch ein¬ mal auf den theologischen Aspekt der Wissenschaft der absoluten Form zurück¬ zukommen. In ihm heißt es nämlich: „Ich also, der Geist überhaupt, oder Gott, sind Ideelle, weil sie unendlich sind; aber sie, als Fürsichseiende, sind ideell nicht verschieden von dem, das für-Eines ist. Denn so wären sie nur unmittel¬ bare, oder näher Dasein und ein Sein-für-Anderes, weil das, welches für sie wäre, nicht sie selbst, sondern ein Anderes wäre, wenn das Moment, für-Eines zu sein, nicht ihnen zukommen sollte. Gott ist daher für sich, insofern er selbst das ist, das für ihn ist." (L I,149f). Gott ist wie das Ich aus dem Wesen der Differenz zu denken. So ist er nicht einfach der Transzendente, denn er wäre dann nur unmittelbar unterschieden. Was nach Weise von Dingen voneinander unterschieden ist, ist insofern auch Ding. Gott ist kein Ding, also nicht un¬ mittelbar unterschieden, sondern Fürsichsein, absolute Negativität. Darin be¬ steht seine Subjektivität, seine „Persönlichkeit". Das Ich oder der Geist über¬ haupt ist nach Hegels Worten das gleiche Ideelle oder Unendliche. Wir haben gesagt, die Theorie von Form sei, da Gott reine Form ist, auch Theologie. Die Wissenschaft von der Differenz ist Wissenschaft von Gott, weil Gott nicht der Unterschiedene, sondern eher Grund von Unterschied (im Sinne der absoluten Reflexion) oder ursprünglicher Unterschied wie ursprüngliche Synthesis ist. Dies aber heißt, Gott ist selbst das, was für ihn ist. Auch an diesem theologischen Aspekt der Formmetaphysik können wir uns also den Zusammenhang von Subjektivität und Differenz klarmachen, der letzt¬ lich Grund der ganzen Hegelschen spekulativen Logik ist. Ob etwas Persön¬ lichkeit, Subjektivität ist, bestimmt sich allein danach, wie es von seinem An¬ deren unterschieden ist. Subjektivität ist Fürsichsein, in seinem Anderen bei sich selbst Sein. Dieser Begriff von Subjektivität verwehrt es der Metaphysik, Gott als Transzendentes zu denken. Das gewöhnliche Bewußtsein hat ein — dem Metaphysiker durch Parmenides untersagtes — naives Verhältnis zum Unter¬ schied. So vermag er sich im Religiösen auch Gott nur als unmittelbar

Un¬

terschiedenes und als Jenseits vorzustellen. Aber wegen des Zusammen¬ hanges von Differenz und Subjektivität impliziert das naive Verhältnis zum Unterschied auch ein naives, äußerliches Verhalten des Ich zu sich selbst und zur Persönlichkeit überhaupt. Dies gilt in gleicher Weise vom Ich wie von Gott, die beide als nach Art der Dinge sich von ihrem Anderen unterschei¬ dend genommen werden. Man ist versucht, hier den Heideggerschen Ausdruck des „Verfallenseins" zu gebrauchen. Dies Verfallensein aber verschwindet in dem Maße, wie das naive Verhältnis zum Unterschied abgebaut wird, wie das Ich sich seiner einzigartigen, es von allem Dinglichen abhebenden Beziehung auf Form bewußt wird. Diesen „Abbau" geleistet zu haben, darin sehen wir nicht zuletzt die Größe des metaphysischen Denkens. Den absoluten Grund gelegt für ein solches Erkennen hat Kant, indem er das Ich als ursprüngliche Synthesis begriff. Jedes Ich und kein Ding ist ursprüngliche Synthesis — so

121 kann man den Unterschied zwischen Ich und Ding auch ausdrücken. Und nur als ursprüngliche Synthesis ist die „Seele" kein Ding mehr. Dieser Begriff von Subjektivität aber gilt von Gott wie vom Menschen, denn da das Subjekt das Anderssein als solches in sich aufgehoben hat, kann es grundsätzlich keine andersartigen an sich anderen Subjekte geben. Gott ist Ich wie der Mensch, denn Subjekte unterscheiden sich, wie wir früher sagten, nur nach der Tiefe des in ihnen aufgehobenen Anderseins. Diese Tiefe hat nach Hegel im absoluten Wissen ihr Äußerstes erreicht, in dem, wie der Ab¬ schluß der Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie zeigt, darum auch endliches und absolutes Selbstbewußtsein in Eines fallen. Aber als absolute Negativität ist das Wesen des Subjekts einheitlich. Dieser spekulative Begriff von Subjektivität ist in der Hegelschen Logik mit letztem Ernst zu Ende ge¬ dacht worden. In dieser Weise ist die Logik Wissenschaft von der absoluten Form, vom absoluten Ich, von Gott. In der absoluten doppelten Negativität als der eveQYeia des etöog, als der Tätigkeit der Monade fallen Ursprung und Wahr¬ heit der Differenz wie das wahre Ich zusammen.

II. HAUPTTEIL

A. Der absolute Grund a. Form und Wesen

Die Interpretation des Abschnittes, der mit „Form und Wesen" überschrie¬ ben ist, muß beginnen mit einer Erklärung des Begriffes „Wesen". Bisher ha¬ ben wir diesen Begriff nicht sorgfältig bestimmt, ihn vielmehr im allgemeinen als gleichwertig mit „Form" benutzt. Das Wesen war als absolute Reflexion, als Bewegung des Nichts bestimmt, — dies und Ähnliches legte uns unser Vor¬ gehen nahe. In der Aristotelischen Metaphysik gilt ähnlich als eigentliches und ursprüngliches „Wesen" (oucua) das eiöog. Wenn aber nun Form und Wesen einander gegenüberstehen, so können bei¬ de nicht einfach dasselbe sein. Unser Vorgehen scheint sich also als falsch zu erweisen. An dieser Schwierigkeit haben unsere Erörterungen anzusetzen. Wir haben außerdem wiederholt die Dialektik von Form und Sein als ein wesentliches Thema der Hegelschen spekulativen Logik behauptet und haben dabei ständig auf die drei mit „Form und . . ." überschriebenen Abschnitte vor¬ ausgewiesen. Diese Vorausweisungen müssen sich nun rechtfertigen. Dadurch aber entsteht die weitere Frage, was „Wesen" und „Sein" miteinander zu tun haben, wie das Verhältnis dieser beiden Begriffe ist. Unsere Untersuchung des Begriffes „Wesen" muß also in Wahrheit eine Untersuchung von drei Be¬ griffen sein: Form, Wesen, Sein; — sie gilt der hinter diesen Begriffen stehen¬ den Einheit ihres „Gefüges". Jedoch ist es erforderlich, zunächst einmal vor Hegels „Wissenschaft der Logik" zurückzugehen. Denn wenn Hegel in einem derart wichtigen Zusammen¬ hang Form und Wesen einander gegenübersetzt, so ist er dabei bestimmt wie¬ derum durch Schelling. Dieser hatte in seiner sogenannten „Identitätsphiloso¬ phie" eine Philosophie vom Standpunkt des Absoluten aus geben wollen. „Es gibt keine Philosophie, als vom Standpunkt des Absoluten" (SW IV,115), heißt es in der „Darstellung meines Systems" von 1801, an die wir uns im folgenden vorwiegend halten. In dieser Philosophie des Absoluten spielen die drei Be¬ griffe Wesen, Sein und Form eine bedeutende Rolle, — und ihnen und ihrem Zusammenhang wollen wir uns zuerst zuwenden. Damit soll der Grund ge¬ legt werden für eine zureichende Interpretation dieser drei Begriffe innerhalb der Hegelschen Logik des Wesens.

123

Schelling geht in seinem System von einer „absoluten Identität" aus — dem ev der Platonisch-Plotinischen Tradition. Alles Einzelne ist mit sich identisch (d. h. ist überhaupt) auf Grund jener absoluten Identität. Ihre Erkenntnis wie ihr Sein wird als schlechthin unbedingt angenommen. Auch hier folgt Schelling einer langen Tradition: Erkenntnis wie Sein von Unterschiedenheit und Unterschiedenem sind immer bedingt, d. h. Unterschiedensein ist Bedingtsein. Das Unterschiedene ist endlich, und als Endliches bedingt. Hierin spricht sich ein sehr altes Vorverständnis von Differenz aus, nämlich gewissermaßen eine „Abwertung der Differenz", die vielleicht am deutlichsten dort in Erscheinung tritt, wo das ev gar als xayaüov gedacht wird. Wenn das „Eine" als das Wert¬ setzende schlechthin gefaßt wird, so liegt darin sicherlich auch eine Aussage über Differenz. In Plotins Philosophie ist diese „Aufwertung der Identität" zu¬ sammen mit der „Abwertung der Differenz" zu der wohl stärksten Ausge¬ staltung in der Geschichte der Metaphysik gekommen. Aber sie ist keineswegs auf Plotin beschränkt. „Alles, was ist, ist die absolute Identität selbst" (SW IV,119), — mit die¬ sem Satz ist der Standpunkt dieser absoluten Identitätsphilosophie gekennzeich¬ net. Denn etwas ist nur, insofern es identisch mit sich ist, und alle weitere Bestimmung, aller Inhalt und alle konkrete Unterschiedenheit setzen dieses Sein voraus, — Unterschiedenheit ist nur a n Seiendem, folglich später als Iden¬ tität, das Sein selbst. Aber nichts, was mit sich identisch ist, hat diese seine Identität aus sich, außer der absoluten Identität, die selbst aus sich selbst iden¬ tisch mit sich ist und ebenso das Identische in aller Identität, das ev Jtoioüv für alles, was ein ev ist. Genau genommen dürfen wir aber gar nicht sagen, daß die absolute Identität den endlichen Dingen die Identität gibt, sie identisch macht, — denn zwischen ihnen soll kein Unterschied sein, wie man ihn sich beim „Machen" oder „Geben" denkt. Das Identisch-Gemachte und das Identisch-Machende sind nichts verschiedenes, denn der Unterschied ist erst später als die Identität und liegt in der Bestimmung der Identität selbst nicht darin. Das Identisch-Machende ist also selbst das Identische in allem mit sich Identischen. Die Identität wandert nicht weiter, sondern bleibt absolut in sich und auf der Stelle. — So etwa dürfen wir den Satz verstehen, daß alles, was ist, die absolute Identität selbst ist. Aber auch für die Identitätsphilosophie ist das entscheidende Problem erst, was nicht in ihrem Namen liegt, — die Differenz. Und mit der Differenz fangen die großen Schwierigkeiten an. Bei Plotin ist dies ebenso festzustellen wie bei Schelling. Dieser beginnt die Erörterungen hierüber mit dem § 15 seiner „Darstellung". Es heißt: „Die ab¬ solute Identität ist nur unter der Form des Satzes A = A, oder diese Form ist unmittelbar durch ihr Sein gesetzt. Denn sie ist nur unbedingt und kann nicht auf bedingte Art sein, das unbedingte Sein kann aber nur unter der Form je¬ nes Satzes gesetzt werden. Also ist unmittelbar mit dem Sein der absoluten Identität auch jene Form gesetzt, und es ist hier kein Übergang, kein Vor und Nach, sondern absolute Gleichzeitigkeit des Seins und der Form selbst." Und dann als Zusatz 1: „Was zugleich mit der Form des Satzes A = A gesetzt

124 ist, ist auch unmittelbar mit dem Sein der absoluten Identität selbst gesetzt, es gehört aber nicht zu ihrem Wesen, sondern nur zu der Form oder Art ihres Seins." (SW IV,120). Hiermit haben wir also schon die drei Begriffe beisammen, um derentwillen wir Schellings Identitätsphilosophie herangezogen haben: Form, Wesen, Sein. Wir haben nun zu fragen, wie sich diese drei Begriffe zueinander verhalten, d. h. wie und wodurch sie sich voneinander unterscheiden. Am offenkundigsten ist zunächst der Unterschied von Form und Wesen: überhaupt aller Unterschied fällt in die Form, und das Wesen demgegenüber ist absolute Identität, absolute Ununterschiedenheit und Ununterscheidbarkeit. In den „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums" heißt es etwa: „Alles Besondere als solches ist Form, von allen Formen aber ist die notwendige, ewige und absolute Form der Quell und Ursprung. Der Akt der Subjekt-Objektivierung geht durch alle Dinge hindurch und pflanzt sich in den besonderen Formen fort, die, da sie alle nur verschiedene Erscheinungswei¬ sen der allgemeinen und unbedingten, in dieser selbst unbedingt sind." (SW V,325). Deutlich spricht Schelling dies aber auch in der „Darstellung", nämlich in seiner Erläuterung des Begriffs „quantitative Differenz" aus: „Eine Differenz, die nicht dem Wesen nach gesetzt ist (eine solche statuieren wir überhaupt nicht), eine Differenz also, welche bloß auf der Verschiedenheit der Form be¬ ruht, und die (SW IV,127).

man

deswegen

auch

differentia

formalis

nennen

kann"

Daß alle Differenz, wie alle Synthesis auf der Form beruht, ist, wie wir wissen, ein Grundgedanke der idealistischen Metaphysik. Es ist ja gerade die allgemeinste Definition von Form, daß sie Grund von Synthesis und Differenz überhaupt sein soll. Insofern also unterscheidet sich Schelling nicht von Fichte und Hegel. Für Hegel insbesondere liegt die „absolute" Bedeutung der Form eben darin, daß sie als das Unterscheidende jedem auch erst seine Realität gibt. Denn jedes ist, was es ist, nur durch seine Unterschiedenheit. So ist also „differentia formalis" kein engerer Begriff als „differentia" überhaupt, denn alle Differenz ist Differenz in der Form und aus der Form, — differentia formalis. Dieser unterscheidenden Form steht nun bei Schelling das Wesen als die absolute Identität gegenüber. Dieses Wesen ist das „an sich Gesetzte", es heißt etwa: „Die absolute Identität ist das Einzige, was schlechthin, oder an sich ist, also ist alles nur insofern an sich, als es die absolute Identität selbst ist, und insofern es nicht die absolute Identität selbst ist, ist es überhaupt nicht an sich." (SW IV,119). Dieser Sprachgebrauch von „an sich" entspricht dem Kantischen vom „Ding an sich", wenn man wiederum berücksichtigt, daß das Ding an sich, als das dem Subjekt gegenüberstehende, das der Form gegenüber¬ stehende ist. Wenn man Kants Satz, daß keine Synthesis in den Gegenstän¬ den liege, auch für das Ding an sich gelten läßt, so folgt daraus, daß es im Ansich auch keine Unterschiedenheit gibt. Diese Konsequenz glaubte Schelling aus der Kantischen Transzendentalphilosophie

ziehen zu müssen.

Schelling

125 benutzt dies/ daß es in ihm keinen Unterschied geben solle, sogar zur Definition des Ansich. Hegel bezeugt uns einmal ausdrücklich, daß Ding an sich und Schellingsches „absolutes Wesen”, allein nach ihrem Verhältnis zur Form überhaupt betrach¬ tet, dasselbe seien: „Das Ding-an-sich ist dasselbe, was jenes Absolute, von dem man nichts weiß, als daß Alles Eins in ihm ist.” (L 1,108). Diesen ein¬ heitlichen Sinn hat also „Ansich”: Es ist das vom Unterschied überhaupt als dem bloß Subjektiven Ferngehaltene, das Unberührte. An der angeführten Stel¬ le ist deutlich, wie sich Hegel gegen Kant und Schelling zugleich wendet. He¬ gel setzt eben wegen der Subjektivität der Form voraus, daß „an sich” immer zugleich bedeutet: getrennt vom Subjekt und getrennt von der Form. Die Ge¬ trenntheit vom Bewußtsein dagegen, die für Kant im Vordergrund steht, ist für seine Nachfolger weniger wichtig, eben weil das Subjekt der Form von dem des Bewußtseins unterschieden wird. Worauf es uns hier ankommt, ist vor allem dies, die Kontinuität und Fort¬ entwicklung der Probleme sichtbar werden zu lassen: wie der Kantische Gegen¬ satz „subjektive Form — Ding an sich” bei Schelling gewandelt wieder erscheint als „Form — Wesen” und dann mit denselben Worten auch bei Hegel wieder — und zwar in unserem Abschnitt „Form und Wesen”. Die Kantische Grundfrage nach der „Möglichkeit einer Verbindung überhaupt" (KdrV B §15, Überschrift) wurde zur Frage nach einem, welches Grund aller Verbindung ist, und einem, für welches und in welchem es keine Verbindung gibt. Diese waren bei Kant selbst Ich und Ding an sich und sind nun bei Schelling Form und Wesen. Die Kantische Frage als solche jedoch ist sich gleich geblieben. — Den Gegensatz von Form und Wesen, wie er aus den bisherigen Äußerungen Schellings hervor¬ getreten ist, müssen wir für die Hegel-Interpretation festhalten. Die weitere Frage ist nun die nach dem Unterschied von Form und Wesen selbst, — jenem

ausgezeichneten Unterschied,

der das Unterscheiden selbst

unterscheidet. Ist nach Schelling auch dieser Unterschied eine bloße differentia formalis? Und was ist das Unterscheidende für diesen Unterschied? Zunächst erinnern wir uns, daß wir vorhin von einer „absoluten Gleichzeitigkeit” von Form und Sein, d. h. von einer vollkommenen Gleichursprünglichkeit gehört haben.

Mit

einem

sind beide da, Form und Sein. Unmittelbar mit dem

Sein ist auch die Form gesetzt, und was mit der Form gesetzt ist, ist auch mit dem Sein der absoluten Identität gesetzt. Form und Sein sind also unzer¬ trennlich, obwohl sie offenbar verschieden sind. Die Entstehung des Unter¬ schiedes überhaupt wird mit der Entstehung dieses Unterschiedes eng

Zu¬

sammenhängen. Hören wir den § 18 der „Darstellung meines Systems:” „Alles, was ist, ist dem Wesen nach, insofern dieses an sich und absolut betrachtet wird, die absolute Identität selbst, der Form des Seins nach aber ein Erkennen der ab¬ soluten Identität", und den Zusatz 1: „Die ursprüngliche Erkenntnis der ab¬ soluten Identität ist also zugleich ihr Sein der Form nach, und umgekehrt je¬ des Sein der Form nach auch ein Erkennen der absoluten Identität.” (SW IV,122).

126 Das Absolute ist also ein Erkennen seiner Identität, und dieses Erkennen der absoluten Identität ist von der absoluten Identität selbst unterschieden, so¬ fern Form und Wesen unterschieden sind. Dies folgt aus dem Wortlaut von § 18. An diesen Punkt knüpft Schelling offenbar die Entstehung des Unter¬ schiedes überhaupt: Das Absolute ist nicht nur die Identität selbst, sondern erkennt sich als diese, und damit ist Vielheit gesetzt. Schelling versucht das Gleiche auch noch auf eine andere Art zu erklären. Er sagt: „Die absolute Identität ist nur unter der Form des Satzes A — A" (SW IV,120) und „in dem Satz A = A aber wird dasselbe sich selbst gleich, d. h. es wird eine Identität einer Identität gesetzt. Die absolute Identität ist also nur als die Identität einer Identität, und dies ist die vom Sein selbst unzer¬ trennliche Form ihres Seins" (SW IV,121). Hier wird die Vielheit nicht aus dem Selbsterkennen des Absoluten, sondern aus der Form eines Satzes herge¬ leitet, — ein Gedanke, der ohne Zweifel noch viel weniger befriedigen kann als der von uns zuerst vorgetragene, weil er doch die Form des Satzes über¬ haupt voraussetzt, etwas sehr viel engeres also als das Selbsterkennen des Ab¬ soluten. Beides wird aber von Schelling sofort in Zusammenhang gebracht, wenn es heißt: „Es gibt eine ursprüngliche Erkenntnis der absoluten Identität, und diese ist unmittelbar mit dem Satz A = A gesetzt" (SW IV,121). Fichte hatte bekanntlich umgekehrt geschlossen, der Satz A = A sei nur möglich, wenn es eine ursprüngliche Erkenntnis, eine Einheit des transzendentalen Subjekts mit sich gebe, und diese Einheit falle als die Bedingung seiner Möglichkeit nicht unter

diesen Satz. Umso seltsamer ist, daß Schelling die Ursprünglichkeit

dieser ursprünglichen Erkenntnis gegenüber dem Satz A=A nicht mehr aner¬ kennen will, sondern sogar aus der Form dieses Satzes die Form einer Ver¬ doppelung der Identität im Absoluten herzuleiten versucht. Freilich muß man bemerken, daß Schelling meist die Besonderung auf die Subjekt-Objektivierung des Absoluten, d. h. auf sein Selbsterkennen zurück¬ führt. In den „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums" etwa sagt er: „Um die Natur als die allgemeine Geburt der Ideen zu fassen, müssen wir auf den Ursprung und die Bedeutung von diesen selbst zurück¬ gehen. Jener liegt in dem ewigen Gesetze der Absolutheit: sich selbst Objekt zu sein, denn kraft desselben ist das Produzieren Gottes eine Einbildung der ganzen Allgemeinheit und Wesenheit in besondere Formen, wodurch diese, als besondere, doch zugleich Universa und das sind, was die Philosophen Mona¬ den oder Ideen genannt haben." (SW V,317; im „Bruno" findet sich Ähnliches, vgl. z. B. SW IV,255). Die Benützung des Satzes A=A ist also mehr singulärer Art und weniger wesentlich. In der „Darstellung meines Systems" lautet das Fazit der Eröterung: „Das Gesamte, was ist, ist an sich, oder seinem Wesen nach die absolute Identität selbst, der Form seines Seins nach das Selbsterkennen der absoluten Identität in ihrer Identität." (SW IV,122).

127 Das Wesen also ist Identität, die Form Identität der Identität. Diese Ver¬ doppelung der Identitäten aber wird in einem Selbsterkennen begründet (eine idealistische Einheit von Erkennen und Form). Diese Identität der Identität hat also genau dieselbe Funktion, die für die vorangehende Transzendental¬ philosophie die „ursprüngliche Synthesis" hatte. Man könnte geradezu sagen, das reine „Ich denke" sei nicht nur Identität, sondern Identität der Identität, weil es

für

sich mit sich identisch sei, eine „Reflexion der Identität mit

sich . Das Verdoppelnde bei diesen Identitäten, d. h. aber auch der Grund für alle Differenz und Endlichkeit ist also auch in der Identitätsphilosophie ein Erkennen, eine irgendwie subjektive Spontaneität. Auch hier ist die Subjektivi¬ tät, wie Hegel es ausdrückt, Quelle aller Tätigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung. Jedoch was bedeutet der Terminus „Sein" in der Identitätsphilosophie? Schon aus dem, was wir bisher kennengelernt haben, ersehen wir ja, daß das Sein weder mit dem Wesen (also der absoluten Identität selbst) noch mit der Form in eins fallen kann. Im „System des transzendentalen Idealismus" ist das Sein immer das Objek¬ tive, Reelle, also das der ideellen Form Gegenüberstehende. Sätze wie „Das Sein (die Objektivität) drückt immer nur ein Begrenztsein der anschauenden oder produzierenden Tätigkeit aus" (SW 111,408) und viele gleichartige stellen dies außer Zweifel. Derselbe Sprachgebrauch findet sich im „Bruno": Das Sein ist die „Reelle Einheit von Ideellem und Reellem". Ideelles und Reelles sind für Schelling notwendig aneinander geknüpft (wie die Pole des Magneten) — ein gleichsam „chemisch reines" Ideelles oder Reelles ist für ihn unmöglich. Dennoch aber kann das „Gemisch" als Ganzes unter der Bestimmung des Ideel¬ len oder des Reellen stehen, — und das Sein ist diese Einheit als reelle, es steht dem Wissen als der gleichen Einheit unter der Bestimmung des Ideellen gegenüber (vgl. hierzu „Bruno" SW IV,255f und die „ferneren Darstellungen aus dem System der Philosophie", besonders SW IV,381ff. Für die „Vorle¬ sungen" gilt das Gleiche, SW V,218 oder 250/51). An alle diesen Stellen steht das Sein als reelle Einheit von Ideellem und Reellem dem Wissen als der ideellen Einheit beider gegenüber. Auch für die „Darstellung" darf man im ganzen diesem Sinn von Sein voraussetzen, obwohl im einzelnen Zweifel mög¬ lich sind. „Sein" wird also als Gegenständlichkeit verstanden, — anders als bei Hegel. Schelling stellt die allgemeine Struktur aller Endlichkeit als eine „quantitative Differenz" mit Hilfe eines „Überwiegens" von Subjektivität oder Objektivität dar. „Die quantitative Differenz des Subjektiven und Objektiven ist der Grund aller Endlichkeit, und umgekehrt, quantitative Indifferenz beider ist Unendlich¬ keit" (SW IV,131). Diese Redeweise, die alle Differenz auf quantitative Mo¬ mente, auf Unterschiede der „Größe" (vgl. SW IV,123) zurückführt, wird kaum jemanden befriedigen. Schließlich heißt es dann: „Anders als auf diese Weise ist schlechthin keine Differenz zu begreifen" (SW IV,124). Diesen Satz zitieren wir, um noch einmal auf das eigentliche Thema der idealistischen Metaphysik

128 hinzuweisen: Immer und zuerst geht es um die Weise, Differenz zu begreifen. Metaphysik ist Wissenschaft vom eföog, von der Form, — und das hat immer wieder geheißen, seit den Eleaten, von der Differenz. Diese innerste Sache wird in dem zuletzt angeführten Satz noch einmal deutlich sichtbar, — obwohl gerade die „Weise", die Schelling selbst in der Identitätsphilosophie für diese Metaphysik entwickelt hat, nämlich die Weise der „quantitativen Differenz", sicherlich nicht das Tiefste sein dürfte, was der Idealismus zu dieser Frage ge¬ sagt hat. Doch gehören diese mit der quantitativen Differenz zusammenhängenden Fragen nicht zu unserer gegenwärtigen Erörterung. Wir wollten uns ja nur, ehe wir den Abschnitt „Form und Wesen" in der Hegelschen Logik interpretieren, über den Gebrauch dieser Begriffe in der Schellingschen Identitätsphilosophie informieren. Denn es bedarf keiner Frage, daß Hegel bei dieser Gegenüber¬ stellung Schellings System vor Augen hatte. Dies ersieht man schon daraus, daß der Weg der Logik des Wesens etwas anderes erwarten ließe, als nun kommt. Es geht, wie wir wissen, um die Dialektik von Reflexion und Un¬ mittelbarkeit. Nun hat Hegel, soweit wir bisher erfahren haben, immer die Seite der Reflexion das Wesen genannt, der Wechsel des Negativen mit sich selbst hatte sich als die absolute Reflexion des Wesens bestimmt. So gehören dem Wesen, wie wir früher dargestellt haben, die Momente des Negativen (Formenden) überhaupt, der Verdoppelung des Negativen und der Bewegung (evepyeia) zwischen diesen Negativen an. Aber Schelling hat das Wesen vollkommen anders bestimmt: als absolutes, unterschiedsloses Ansich, als absolute Identität. Man kann also sagen, die Art, wie von Hegel zu Beginn der Logik des We¬ sens, und die Art, wie von Schelling in der Identitätsphilosophie das We¬ sen bestimmt wird, sind einander geradezu entgegengesetzt. Nach Schelling ist das Wesen die „Nacht, in der alle Kühe schwarz sind", — nach Hegel ist das Wesen als absolute Reflexion gerade die unterscheidende Spontaneität, die sich verdoppelnde Bewegung des Nichts. Wenn nun Hegel Form und Wesen einander gegenüberstellt, so ist deut¬ lich, daß er damit gar nicht der Bedeutung des Wortes „Wesen" folgt, die er selbst bis dahin verwandt hatte, sondern daß er sich nun der Schellingschen Bestimmung von „Wesen" anschließt. In der Dialektik von Reflexion und Un¬ mittelbarkeit rückt das Wesen damit auf die andere Seite, — es wird die „ein¬ fache Identität", das Ansich, welches es auch bei Schelling ist. Die

EvepyEia

der doppelten Negativität dagegen ist nun die Form, bei Schelling als „Identi¬ tät als Identität" bestimmt. Dieser Wechsel in der Bedeutung, den das „Wesen" also nun erfährt, ist aus der Logik des Wesens selbst gar nicht erklärbar. Die Inkonsequenz erscheint umso größer, als die Realität der Vermittlung des Grundes ausdrücklich als „Wiederherstellung

des

Seins"

bestimmt

worden

war.

Die

Dialektik

des

Bestehens und der Selbständigkeit hatte dem Gesetzten die Bestimmung der Unmittelbarkeit wiedergegeben, eines solchen, das „außer der Beziehung oder

129 seinem Scheine identisch mit sich ist". Dieses Mit-sich-Identische war gerade das Nichtsein der Reflexion, das aufgehobene Wesen. Nun aber wird, wie wir im folgenden noch genauer sehen werden, gerade dieses Unmittelbare, das Nichtsein des Wesens als Wesen bestimmt. Das Wesen wird das unbestimmte und untätige Bestehen der Form, es ist nicht mehr die evepyeia und das Ne¬ gative selbst. Hegel verwendet also das Wort „Wesen" nicht mehr im dem Sin¬ ne, in dem er es vorher selbst verwandt hatte, sondern auf die Weise, in der es von Schelling bestimmt worden war. Wie für den Abschnitt „Form und Materie" Aristoteles, so soll für den Abschnitt „Form und Wesen" Schelling Pate stehen. Dabei muß nun allerdings das Sein herausfallen, — das Sein, um dessentwillen der Grund sich als reale, absolute Vermittlung bestimmt hatte. Als weiteres Motiv könnte man annehmen, daß darum, weil das Erscheinen des Wesens in der Existenz ein erneutes Wiederherstellen des Seins ist, Hegel den Terminus „Sein" für diese Stufe der Unmittelbarkeit habe aufsparen wol¬ len. Die Darstellung der „Erscheinung" beginnt demgemäß mit den „beiden Sätzen": „Das Sein ist Wesen" und „Das Wesen ist Sein" (L 11,101). Doch wird in dem Abschnitt „Das Wesen als Reflexion in ihm selbst" die Unmit¬ telbarkeit so oft als Sein bezeichnet, daß es wenig Sinn haben konnte, erst die Unmittelbarkeit der Existenz wieder „Sein" zu nennen. Dafür, daß die Unmittelbarkeit innerhalb des Grundes nun also „Wesen" und nicht, wie es näher gelegen hätte, „Sein" genannt wird, sehen wir also zuletzt keine andere Erklärung als das Vorbild der Schellingschen Identitäts¬ philosophie. Hegel will in seiner Logik die in der Geschichte der Metaphysik vorzufindenden wesentlichen Positionen darstellen, — und er schließt sich in der Terminologie dabei durchaus an sie an, was nicht ohne gelegentliche In¬ konsequenz abgeht. Nach diesen historisch erläuternden Vorbemerkungen über den Gegensatz von Form und Wesen in der Schellingschen Identitätsphilosophie wollen wir nun erst einmal in den Hegelschen Text eindringen. Wir müssen sehen, wie Hegel diesen Gegensatz, d. h. die Vermittlung von Reflexionen und Unmittelkeit, weiterdenkt. Am Schluß dieses Abschnittes werden wir dann noch einmal auf Schellings Identitätsphilosophie und Hegels Beurteilung derselben zurück¬ kommen. „Die Reflexionsbestimmung, insofern sie in den Grund zurückgeht, ist ein erstes, ein unmittelbares Dasein überhaupt, von dem angefangen wird. Aber das Dasein hat nur noch die Bedeutung des Gesetztseins und setzt wesentlich einen Grund voraus, — in dem Sinne, daß es ihn vielmehr nicht setzt, daß' dieses Setzen ein Aufheben seiner selbst, das Unmittelbare vielmehr das Gesetzte und der Grund das Nichtgesetzte ist." Hier redet Hegel über den Unterschied von einem unmittelbaren Dasein und dem Grund für dieses Dasein. Das unmittelbare Dasein ist das Begrün¬ dete, — und mit ihm wird angefangen. Es ist uns — freilich nur als unmittel¬ bares Dasein, nicht schon a 1 s Begründetes — immer bereits gegenwärtig. Der Grund aber ist nicht schon gegenwärtig, ihn müssen wir, wie man zu sagen

130 pflegt, erst „suchen". Das Wort „suchen" drückt eine Bewegung aus, die zu etwas hinzielt, nämlich zu dem Gesuchten. Das Gesuchte ist so etwas durch die¬ se Bewegung Vermitteltes, es ist kein Anfang, kein Erstes, sondern ein Letztes, es steht am Ende einer vermittelnden Bewegung. Aber das Gesuchte ist der Grund, und der Grund ist „früher" als das Begründete. Die Bewegung geht in umgekehrte Richtung, sie geht vom Grund zum Begründeten, und innerhalb dieser Bewegung ist der Grund das Erste, und das Begründete das Letzte. So erscheint uns einmal das Begründete (das unmittelbare Dasein) als das Erste und der Grund als das Letzte, einmal aber das Begründete als das Letzte und der Grund als das Erste. Wir haben einen Unterschied vor uns, den wir auch aus dem Aristotelischen Denken kennen: denjenigen von xa fjplv yvcopipa und td tfi qpiiaei yvröpipa (vgl. z. B. Met 1029b3ff, Physik 184al6ff, Nik.E.1095a30ff). Aber dabei setzen nicht wir voraus, daß das Dasein einen Grund hat, dieses selbst setzt seinen Grund voraus, so als ob das Voraussetzen eine Tätigkeit ist. Die Form, die die eigene der Reflexionsbestimmung ist, ist in ihrer Ver¬ wirklichung eine solche Form, die das Unmittelbare auf seinen Grund bezieht. Der Schein der reinen Unmittelbarkeit enthüllt sich als Schein, als unwahr, und dadurch ist das unmittelbare Dasein negiert, ein nur noch gesetztes. Wir haben die Dialektik der Selbständigkeit im Rückgang in den Grund verfolgt. „Das Dasein hat nur noch die Bedeutung eines Gesetztseins" — das Dasein ist das Bestimmte, Geformte, Unterschiedene in dem Sinne, wie Hegel auch das Wort „real" gebraucht. So ist es in der Beziehung auf das Bestimmende, Formende, Unterscheidende und ist durch dieses vermittelt und von ihm ab¬ hängig. „Das Dasein ist nur Gesetztsein; dies ist der Satz des Wesens vom Dasein" (L 11,20), so hatte es früher geheißen, woran nun Hegel erinnern will. Gesetztsein ist ein Abhängigsein von einer formenden, beziehenden, ne¬ gierenden Spontaneität, — der Satz des Wesens vom Dasein sagt also, daß je¬ dem Dasein dies Gesetztsein zukommt. Alles Unterschiedene ist unselbständig. Der Satz des Wesens vom Dasein redet von der „Vergänglichkeit" alles End¬ lichen, die schon mit seiner Endlichkeit, d. h. Unterschiedenheit gegeben ist. Unterschiedensein ist ein Sein durch Anderes, Sein durch ein Unterscheidendes. Darum sagt Hegel, das Dasein habe

nur

noch die Bedeutung eines Ge¬

setztseins. Die Einschränkung, die in dem „nur" liegt, zeigt den Verlust des Es-selbst-Seins und der Selbständigkeit an, die Nichtigkeit, die allem Endlichen schon als Endlichem anhaftet. Dieses

nichtige

Endliche,

das

Unmittelbare

setzt

wesentlich

einen

Grund voraus, es gehört zum Wesen seiner Nichtigkeit, einen Grund als sein Anderes vorauszusetzen. Das „Setzen" in diesem Voraus-Setzen hat nur den Schein, eine Tätigkeit dieses Unmittelbaren zu sein, — es sieht aus wie eine von ihm selbst ausge¬ hende Formbeziehung und Formbewegung. Aber — so heißt es dann weiter — das Unmittelbare setzt vielmehr nicht den Grund, sein Setzen ist ein Auf¬ heben seiner selbst, das Unmittelbare selbst ist das Gesetzte und der Grund das Nichtgesetzte. In der Formbeziehung des Begründens also ist der Grund

131 das Spontane, das Begründete das Passive. Die Bewegung geht vom Grund zum Begründeten, dem unmittelbaren Dasein. Der Grund ist das aus sich Bestehende und Selbständige, das Begründete das Abhängige und Unselbständige. Die Selbständigkeit, die in dem Scheine der Spontaneität des Voraussetzens liegt, hebt sich mit dieser Spontaneität selbst auf. Die Reflexionsbestimmung ist hier das unmittelbare Dasein, welches in den Grund zurückgeht, insofern sie als die aufgehobene Reflexion ja das selbstän¬ dige Bestehen und die Unmittelbarkeit ist. Die Reflexionsbestimmung ist hier wieder als die Entäußerung der Reflexion in das Unmittelbare genommen, — d. h. nach dem zweiten der beiden Wege, auf denen sich das Wesen in seine Negation verloren hat. „Wie es sich ergeben hat, ist dies Voraussetzen das auf das Setzen rück¬ schlagende Setzen; der Grund ist als das aufgehobene Bestimmtsein nicht das Unbestimmte, sondern das durch sich selbst bestimmte Wesen, aber als unbe¬ stimmt oder als aufgehobenes Gesetztsein Bestimmtes. Er ist das Wesen, das in seiner Negativität mit sich identisch ist." Das Voraussetzen ist das auf das Setzen rückschlagende Setzen eben als je¬ ner

Umschlag

keit

einerseits,

der

Bewegung,

der zwischen

Spontaneität

Rezeptivität und Abhängigkeit

andererseits

und

Selbständig¬

stattfindet.

Mit

den Worten „wie es sich ergeben hat" erinnert Hegel an die Abschnitte über „setzende" und „äußere oder voraussetzende Reflexion", in denen dieses Um¬ schlagen schon einmal dargestellt war. So heißt es dort bereits: indem die Reflexion „das Aufheben des Setzens in ihrem Setzen ist, ist sie Voraussetzen" (L 11,15). Freilich war dort das Unmittelbare das Vorausgesetzte, hier ist es umgekehrt nicht das Unmittelbare, sondern der Grund, — dieser allerdings als eine Einheit von Reflexion und Unmittelbarkeit. Hegel entwickelt darauf noch einmal das dialektische Verhältnis von Be¬ stimmtheit und Unbestimmtheit im Grund. Dabei wiederholt er jedoch nur beinahe wörtlich etwas schon früher Gesagtes. Wir wollen darum hier nicht weiter verweilen, sondern erinnern nur an den schon gehörten Satz: „Das Wesen, indem es sich als Grund bestimmt, bestimmt sich als das Nichtbe¬ stimmte, und nur das Aufheben seines Bestimmtseins ist sein Bestimmen" (L 11,63) sowie an das damals von uns zu diesem Satz Gesagte. Auch von dem „in seiner Negativität mit sich identischem Wesen" war schon damals die Rede. „Die Bestimmtheit des Wesens als Grund wird hiemit die gedoppelte, des Grundes und des Begründeten. Sie ist erstens das Wesen als Grund, bestimmt/ das Wesen zu sein gegen das Gesetztsein, als Nichtgesetztsein. Zweitens ist sie das Begründete, das Unmittelbare, das aber nicht an und für sich ist, das Gesetztsein als Gesetztsein. Dieses ist somit gleichfalls mit sich identisch, aber die Identität des Negativen mit sich." Nun wird also der Unterschied von Grund und Begründetem entwickelt, und zwar innerhalb der Bestimmtheit des Grundes selbst. Der Grund ist also das Ganze, dessen beide Momente wieder der Grund selbst und das Begründete sind. Der Grund ist eine „dialektische Totalität" oder eine dialektische Einheit,

132 in der die Einheit selbst ein Moment des in ihr Vereinten ist. Wir dürfen erwarten, daß der Grund gerade darum in der Vermittlung von Reflexion und Unmittelbarkeit eine Rolle spielt, weil er sich selbst als ein solches dialektisches Verhältnis darstellt. Denn nur, indem der Grund eine solche dialektische Ein¬ heit ist, vermag das Ich als Subjekt der Form seinem Wesen nach Grund zu sein. Die Kategorie des Grundes bekommt die Weite oder die Leistungsfähigkeit, die es erlaubt, auch das Ich als Grund zu denken. Die Unendlichkeit des Subjektiven besteht nur in jener Einheit von Identi¬ tät und Differenz, in der und für die jeder Unterschied nur als aufgehobener ist. Der Grund als absoluter Grund wird also genau nach der Formstruktur gedacht, die auch das Ich selbst ist. Nur in dieser Weise kann der Grund causa formalis, Grund der Form sein. Doch in dem Satz, der uns vorliegt, führt Hegel, diese Gedanken nicht wei¬ ter aus. Es heißt nur: „Die Bestimmtheit des Wesens als Grund wird hiemit die gedoppelte, des Grundes und des Begründeten." Dies ist zwar so zu ver¬ stehen, daß der Grund eine solche „subjektive Einheit" ist, — aber näher ge¬ zeigt wird uns vorläufig noch nichts. Halten wir also zunächst fest: Die in sich eine Bestimmtheit des Wesens als Grund, in der der Grund das Ganze ist, wird geteilt in die gedoppelte Be¬ stimmtheit, in der der Grund selbst wieder das eine, das Begründete das an¬ dere ist. Nun haben wir zu sehen, wie Hegel das Verhältnis genauer bestimmt. Insofern der Grund vom Begründeten unterschieden ist, wird er bestimmt, das Wesen zu sein gegen das Gesetztsein, als Nichtgesetztsein. Die Bestimmtheit des Wesens wird für diesen Grund übernommen, — der Grund ist Wesen, absolute in ihrer Unmittelbarkeit mit sich identische Reflexion, selbständige seingebende Formbestimmung. Dem Grund als Wesen hinzugefügt wird nun die Unterscheidung „gegen das Gesetztsein". Die Präposition „gegen" bedeutet einen verschärften Unter¬ schied, wie wir ihn ähnlich im „Gegen"-Satz

kennengelernt

haben:

einen

Unterschied, in dem die Unterschiedenen nur in ihrem Unterschied gegenein¬ ander sie selbst sind. Grund

ist

nur, insofern er vom Begründeten unter¬

schieden ist, und insofern auch ein Begründetes vorhanden ist. Grund und Begründetes sind also nicht einfach „verschieden", wenn Verschiedenheit einen solchen Unterschied meint, in dem es das eine auch ohne das andere geben könnte. Äpfel und Birnen sind voneinander verschieden, — aber dabei könnte es Äpfel geben, auch wenn es keine Birnen gäbe. Nicht aber so Grund und Be¬ gründetes : Diese beiden gibt es nur miteinander, und so

sind

sie beide

nur jedes gegen das andere. Wir können nach dieser Erläuterung also sagen, Grund und Begründetes sind einander entgegengesetzt — denn eben der Ge¬ gensatz ist als jener „vollendete Unterschied"

(L 11,40)

bestimmt worden.

Und wie der Gegensatz als die vollendete bestimmte Reflexion, der vollen¬ dete

Unterschied

schon

die

„Einheit

der

Identität

und

der

Verschieden¬

heit" ist und seine Momente „in Einer Identität verschiedene" sind, so auch der Grund: Grund und Begründetes sind entgegengesetzt, d. h. in Einer Identi-

133 tat verschieden, sie sind beide, was sie sind, nur in ihrer Beziehung und durch ihre Beziehung, und so sind beide auch in Einheit miteinander. Grund und Begründetes sind verschieden, aber was nur verschieden ist, verhält sich nicht wie Grund und Begründetes. So ist die Verschiedenheit in dieser Beziehung aufgehoben, Grund und Begründetes haben miteinander zu tun, sie sind Eines, und das Begründen ist ihre sie einende Beziehung. Dabei ist der Grund das Positive, das Begründete das Negative — Positives und Negatives sind die Mo¬ mente des Gegensatzes (L 11,41) —, der Grund das Nichtgesetztsein, Aussichsein,

das

Selbständige,



das

Begründete

Gesetztsein,

Abhängiges,

aus

Anderem Seiendes. Insofern Grund und Begründetes Entgegengesetzte sind, sind sie beide auch Gesetzte, d. h. Momente einer Beziehung, also Negierte, beide sind bestimmt, — aber in dieser Beziehung ist der Grund das Selbständige und Nichtgesetztsein, das Begründete das Hervorgebrachte oder Gesetzte. Zweitens ist die Bestimmtheit des Wesens als Grund das Begründete, und so das

Unmittelbare. Das Begründete ist also das Unmittelbare, was

wir vorhin als das unmittelbare Dasein hatten, von dem angefangen wird. Der Unterschied von Reflexion und Unmittelbarkeit hat sich so verteilt, daß die Reflexion Grund, das Unmittelbare Begründetes ist. Damit scheint die Selbstän¬ digkeit des Unmittelbaren aufgehoben, das Sein also im Grund gerade nicht wiederhergestellt zu sein. Wenn es früher geheißen hatte, das Gesetzte enthält die Bestimmung der Unmittelbarkeit, eines solchen, das außer der Beziehung oder seinem Scheine identisch mit sich ist, — so scheint dem jetzt widersprochen zu werden. Denn insofern das Unmittelbare Begründetes ist, ist es ja nicht aus¬ ser der Beziehung und identisch mit sich. Es ist vielmehr das vom Grund Ab¬ hängige und nur durch ihn Gesetzte. Es ist, wie es heißt, „nicht an und für sich". Aber wir werden noch sehen, daß das Verhältnis von Form und Wesen ein anderes ist als das von Grund und Begründetem, und daß das Unmittelbare als Wesen noch einmal in anderer Gestalt erscheinen wird. Erst das Unmittelbare als Wesen ist dasjenige, in dem das Sein wiederhergestellt ist. Dasjenige Unmittelbare also, von dem angefangen und dessen Grund ge¬ sucht wird, ist ein anderes als dasjenige, das als absolutes Ansich der Form und dem Unterschied überhaupt gegenübersteht, als Sein dem Nichts. Nun sagt aber Hegel, das Begründete sei Gesetztsein als Gesetztsein. Seine Nichtigkeit ist also nicht nur eine einfache, sondern eine durch das „als" ver¬ doppelte. Auch das Begründete wird von Hegel aus der doppelten, absoluten Negativität gedacht. Was aber bedeutet die Verdoppelung der Negationen ge* genüber der einfachen Nichtigkeit des Gesetzten? Warum ist für Hegel diese Nichtigkeit eine „nichtige Nichtigkeit"? In der Verdoppelung des Gesetztsein im Begründeten kommt ein Zweifaches zum Ausdruck, das einander geradezu zu widersprechen scheint. Erstens liegt darin, daß das Begründete nicht nur überhaupt Gesetztsein, d. h. Moment einer Beziehung, sondern in dieser Beziehung außerdem das Abhängige, Hervorgebrachte ist. Der Grund ist Moment der Beziehung als Nichtgesetztes, das Begründete Moment der Beziehung als Gesetztes. „Gesetztsein als Ge-

134 setztsein" bedeutet demnach das verwirklichte Gesetztsein: das Begründete ist wirklich Gesetztes. Die Bestimmtheit, nur Moment einer Beziehung zu sein, hat sich in ihm zu ihrer Wahrheit realisiert. Das Gesetztsein als Gesetztsein ist die manifestierte Abhängigkeit des Begründeten vom Grund (die entgegen¬ gesetzte Abhängigkeit wird später manifest werden). Die manifestierte Abhängigkeit ist aber an sich ihr Gegenteil, Selbständig¬ keit, Unabhängigkeit, und dies ist die zweite Bedeutung des Gesetztseins als Gesetztseins: in der Negation, die das „als" ist, ist das Gesetztsein negiert, und nach dieser Seite ist das Begründete Unmittelbares. Indem das Begründete selbständig ist, ist die Nichtigkeit seines Begründetseins selbst nichtig. — Wir haben also drei Momente: das Begründete ist überhaupt Moment einer konsti¬ tuierenden Beziehung, es ist in dieser Beziehung das Abhängige, und es ist drittens gerade als Selbständiges abhängig (seine Selbständigkeit ist begründet). Einmal ist alles Geschaffene nichtig, d. h. unselbständig. Zum anderen aber soll es gerade als Selbständiges geschaffen, d. h. seine Selbständigkeit soll geschaffen werden. Die Selbständigkeit, die in der Unmittelbarkeit des Begründeten liegt, ist also eine sehr dialektische: sie wird in einem und durch dieselbe Beziehung zugleich hervorgebracht und aufgehoben. Der Grund der Selbständigkeit ist ein zugleich hervorbringender und aufhebender Grund (der Grund überhaupt ist uns ja früher in dieser Doppelheit bekannt geworden). Diese dialektisch-widersprüchliche Struktur des „Als-Selbständiges-GeschaffenSeins" sieht in Hegels dialektischer Sprache so aus, daß das Begründete als Unmittelbares ein „Gesetztsein als Gesetztsein" ist. Die einfache Nichtigkeit des ens creatum wird also darin, daß das Geschaffene als Unmittelbares, als Selbständiges geschaffen ist, ihrerseits wieder negiert. So ist auch das Begründete identisch mit sich, — nämlich nach jener Iden¬ tität, die wir als Kennzeichen der Unmittelbarkeit und Selbständigkeit, als Aufhebung des „Seins in Anderem" schon kennengelernt haben. Dies ist eine Identität des Negativen mit sich. Das Negative ist das Negierte, nämlich das Nichtige als ens creatum. Die Identität des Negativen mit sich hebt gerade diese Negativität, diese Nichtigkeit auf, denn sie ist das Moment der Selbständig¬ keit. Das „als" steht hier für die Reflexion, für die Beziehung als Einheit, — und Einheit konstituiert Selbständigkeit. Form und Sein hängen darin mit¬ einander zusammen, daß Einheit mit sich durch Form, Synthesis zustande¬ kommt, Sein aber gleich Eins-sein mit sich ist. Forma dat esse, — oder, nach Plotin, alles Seiende ist durch das Eine ein Seiendes. Hier also hat das Begrün¬ dete in sich die Einheit seines „als" und dieses „als" ist sein Gebendes des Seins. „Das mit sich identische Negative und das mit sich identische Positive ist nun eine und dieselbe Identität. Denn der Grund ist Identität des Positiven oder selbst auch des Gesetztseins mit sich; das Begründete ist das Gesetztsein als Gesetztsein, diese seine Reflexion in sich aber ist die Identität des Grundes." An dieser Stelle tritt nun hervor, daß die Grundbeziehung als „vollendeter Unterschied , als Gegensatz gedacht wird. Die Seiten des Gegensatzes sind

135 das Positive und Negative. Jede dieser beiden Seiten ist mit sich identisch, — aber, so hören wir nun, dies sind gar nicht zwei verschiedene Identitäten, son¬ dern nur eine. Dies muß daran liegen, daß es sich bei dem Unterschied von Grund und Begründetem nicht um irgend einen Unterschied handelt (etwa um bloße Verschiedenheit, wie bei den Äpfeln und Birnen), sondern gerade um den vollendeten Unterschied, — um den Unterschied, der die Seiten, die er unterscheidet, erst zu dem macht, was sie sind. Das Positive und das Ne¬ gative sind schlechterdings nichts

außer ihrer Beziehung aufeinander. Aber

wie kann dies bedeuten, daß das „mit sich identische Negative und das mit sich identische Positive nur eine und dieselbe Identität" sind? Die Begründung hierfür haben wir in dem Satz zu suchen, der mit „denn" beginnt: „Denn der Grund ist Identität des Positiven oder selbst auch des Gesetztseins mit sich; das Begründete ist das Gesetztsein als Gesetztsein, diese seine Reflexion in sich aber ist die Identität des Grundes". Die

Grundbeziehung

wird

als

Gegensatz

gedacht,

die

entgegengesetzten

Seiten sind der Grund als das Positive und das Begründete als das Negative. Nun aber sind beide Seiten das, was sie sind, nur durch die Entgegensetzung, und zugleich

sind

sie auch darin. Für das Positve bedeutet dies, daß es

keineswegs ein „nicht-freies", von der Negation nicht betroffenes Positives ist, sondern als Entgegengesetztes eben auch ein Gesetztes, ein durch die Formbe¬ ziehung Negiertes. Darum ist der Grund ebenfalls eine „Identität des Gesetzt¬ seins mit sich", ein nur

in der Beziehung Selbständiges.

Umgekehrt — jedoch mit demselben Resultat — verhält es sich bei dem Nega¬ tiven: als das Negierte ist

es doch, sein Sein ist wieder sein Es-selbst-Sein,

seine Identität mit sich. Es ist in der Beziehung dennoch selbständig, und so das gleiche mit sich identische Gesetztsein wie das Positive. Die Untrennbarkeit von Grund und Begründetem hat also genauer das Aus¬ sehen einer Untrennbarkeit von Selbständigkeit und Beziehung auf Anderes bei jeder Seite, wobei Selbständigkeit und Beziehung auf Anderes, wie früher erläutert, einander dialektisch negieren und „ausschließen". Wir werden die Abhängigkeit von Anderem, um ihr dialektisches Verhältnis zur Selbständig¬ keit auch sprachlich zum Ausdruck zu bringen, bisweilen „Fremdständigkeit" nennen. Daß Grund und Begründetes voneinander untrennbar sind, bedeutet also, daß sowohl für den Grund wie für das Begründete Selbständigkeit und Fremdständigkeit untrennbar sind. Diese Untrennbarkeit aber wird von Hegel als Ungetrenntheit begriffen, d. h. als Identität. Denn in der spekulative*! Logik sind Trennung und Differenz gleichbedeutend, weil es ja keine andere Trennung als die durch die Form, d. h. durch die Differenz geben kann, und umgekehrt jede Differenz auch trennt, „dirimiert". Ungetrenntheit ist darum Ununterschiedenheit, Identität. Das Bestehen beider ist ein und dasselbe. Denn zwar gibt der Grund dem Begründeten sein Bestehen (darum ist dieses das Nichtige), — aber dennoch ist der Grund nicht Grund ohne das Begründete, und es ist dasselbe Eine und Identische, welches beiden in Einem ihr Bestehen gibt. Nach der einen Seite

ist der Grund ursprünglicher als das Begründete,

136 nach der anderen sind beide gleich ursprünglich, sie haben beide einen Anfang. Dies, was wir hier als Gleichursprünglichkeit fassen, stellt Hegel zusammen mit der Strukturgleichheit des Positiven und Negativen, daß sie beide ein mit sich identisches Gesetztes sind, als die

eine

Identität im Positiven und Ne¬

gativen dar. Dieselbe Identität war uns früher als „Widerspruch" vorgeführt worden: „In der sich selbst auschließenden Reflexion, die betrachtet wurde, hebt das Positive und das Negative jedes in seiner Selbständigkeit sich selbst auf; jedes ist schlechthin das Ubergehen oder vielmehr das sich Übersetzen seiner in sein Gegenteil" (L 11,51). Aber die dialektische Untrennbarkeit von Grund und Begründetem kann nicht bedeuten, daß beide gar nicht voneinander unterschieden sind. Dann fiele ja die ganze Grundbeziehung weg und höbe sich zu Nichts auf. Die Trennung, die Realität beider, muß also in ihrer Untrennbarkeit erhalten bleiben. Wir müs¬ sen uns also fragen, wie diese sich durch beide Seiten hindurchziehende Iden¬ tität sich zu der Grundbeziehung selbst verhält. Auf diese Frage gibt uns der folgende Satz eine Antwort.

„Diese einfache Identität ist also nicht selbst der Grund, denn der Grund ist das Wesen gesetzt, als das Nichtgesetzte gegen das Gesetztsein. Sie ist als die Einheit dieser bestimmten Identität (des Grundes) und der negativen Iden¬ tität (des Begründeten) das Wesen überhaupt, unterschieden von seiner Ver¬ mittlung.1' Wir haben nunmehr also zwei Unterschiede: einmal denjenigigen von dem „Wesen überhaupt" und seiner Vermittlung, zum anderen denjenigen von Grund und Begründetem, d. h. die beiden Seiten in der Vermittlung selbst. Der Grund ist, wie wir bereits vorhin erläutert haben, einerseits das Nicht¬ gesetzte, Positive, — andererseits als „Fremdständige" dennoch ein Negiertes, Gesetztes, ein,

„gegen" Gesetzes. Das Begründete ist das mit sich iden¬

tische, bestehende Nichtige, — nun als „negative Identität" bezeichnet. Von diesem

Unterschied

selbst

unterschieden

wird

nun

der

Unterschied

von

Wesen und Vermittlung. Die Vermittlung scheint hier nur eine Vermittlung zu sein, — aber wir werden sehen, daß es um die Vermittlung schlechthin, um alle

Vermittlung geht. Denn nicht eine Form, sondern

d i e Form, die ab¬

solute Form steht dem Wesen gegenüber. Diese vom Wesen unterschiedene Vermittlung ist schon darum nicht nur irgendeine, weil sie die Grundbeziehung (die in sich unterschiedene Einheit von Grund und Begründetem) ist, — der Grund aber, als dialektische Synthe¬ sis von Identität und Differenz, eben die ganze Form. „Der Rhythmus des Göttlichen ist die Entzweiung des Einen wie die Einheit des

Entzweiten"

(EGPh,115), — und der als Bewegung zu denkende Grund die gesamte Bewe¬ gung dieses Göttlichen. Darum ist er absoluter Grund.

Dem Wesen als der einfachen Identität steht also in der Vermittlung der Grundbeziehung die Vermittlung überhaupt gegenüber. Damit kommen wieder die „wesentlichen" Themen der Logik des Wesens zueinander: die formtran¬ szendente Dialektik von Reflexion und Unmittelbarkeit sowie die formimmanente

137 Dialektik von Identität, Differenz und Grund (der die Form konstituierenden Dreieinigkeit). Damit ist auch erreicht, was der Titel des Abschnitts verheißt: Die Zweiheit von Form und Wesen. Die folgenden Teile unseres Abschnittes sind diesem Verhältnis von Formimmanenz und Formtranszendenz gewidmet. Bisher wissen wir vom Wesen, daß es die Einheit der Identität des Grundes und der Identität des Begründeten, das Eine und Selbe im Positiven und Ne¬ gativen ist, — das Bestehen, welches für beide Seiten dasselbe ist und welches sie gleichursprünglich haben. Das Wesen ist die Identität, das selbständige Sein, welches dem Grund und dem Begründeten zugleich und als Eines zu¬ kommt, — ungeachtet dessen, daß das Begründete sein Sein vom Grund haben soll. Wir sehen also die Verwandtschaft dessen, was nun „Wesen" heißt, mit demjenigen, was wir bisher stets als „Sein", als „Bestehen", als „Selbständig¬ keit" kennengelernt haben, wohingegen früher gerade die Vermittlung, die reine Reflexion „Wesen" genannt wurde. Hier beginnt also plötzlich der Einfluß des Schellingschen Wesensbegriffes, den wir zu Beginn dieses Abschnittes darge¬ stellt haben. „Diese Vermittlung, mit den vorhergehenden Reflexionen verglichen, aus de¬ nen sie herkommt, ist erstlich nicht die reine Reflexion, als welche nicht vom Wesen unterschieden ist und das Negative, damit auch die Selbständigkeit der Bestimmungen, noch nicht an ihr hat. Im Grunde als der aufgehobenen Re¬ flexion aber haben diese Bestimmungen ein Bestehen." Daß die hier dem Wesen gegenüberstehende Vermittlung nicht die reine Re¬ flexion ist, versteht sich nach dem, was wir früher über den Unterschied von reiner und realer Reflexion und über die Bewegung von der reinen in die reale Reflexion gesagt haben. Die Realisierung der Reflexion geschieht vor allem in dem „Weg in die Unmittelbarkeit", sie besteht darin, das Unmittelbare als solches von der Reflexion zu trennen, indem die Reflexion sich selbst auf¬ hebt, oder, wie eine andere Formulierung ist, sich in ihr Negatives verliert. Daran wird nun erinnert. Das „Wesen" ist das Unmittelbare, welches in der reinen Reflexion, in der setzenden Reflexion noch nicht von der Reflexion selbst unterschieden ist. Dies haben wir als den Charakter der „Reinheit" dieser Reflexion dargestellt. In der Realisierung der Reflexion hat sich diese selbst aufgehoben, somit ist das Unmittelbare und das Selbständige hervorgetreten. Dieser Weg in die Unmittelbarkeit ist aber, wie wir ebenfalls gezeigt haben, zugleich ein Weg in die Differenz, ein „Sich-dirimieren". Dieser Weg fängt bei dem „absoluteji Unterschied" an und geht über die Verschiedenheit und den Gegensatz bis in den Widerspruch. Die reine Reflexion hat, so heißt es an der uns nun vorliegenden Stelle, — „das Negative, damit auch die Selbständigkeit der Bestimmungen, noch nicht an ihr". Dies Negative ist hier der reale Unterschied, und die Bestimmungen sind das Unterschiedene, die Seiten des Gegensatzes. In dem einen Weg der Realisation, der zugleich in die Unmittelbarkeit und in die Differenz führt, haben nun die unterschiedenen Seiten, die Momente zugleich ihre Selbständig-

138 keit und ihr Bestehen bekommen. Wir haben gezeigt, wie erst im Wider¬ spruch die wahre Selbständigkeit hervortreten soll. Es sei noch einmal an eine der wesentlichen Stellen erinnert: „Die Selbständigkeit ist so durch ihre eigene Negation in sich zurückkehrende Einheit, indem sie durch die Negation ihres Gesetztseins in sich zurückkehrt. Sie ist die Einheit des Wesens, durch die Ne¬ gation nicht eines Andern, sondern ihrer selbst identisch mit sich zu sein" (L 11,52). In der nun dem Wesen gegenüberstehenden Vermittlung hat sich diese Selbständigkeit der Momente, die der reinen Reflexion noch fehlt, er¬ halten. Dies heißt: „im Grunde als der aufgehobenen Reflexion aber haben diese Bestimmungen ein Bestehen". Warum diese Wiederherstellung des Seins in der aufgehobenen Reflexion geschieht, haben wir besprochen. Das Unmittel¬ bare ist die aufgehobene Reflexion oder Vermittlung. „Auch ist sie nicht die bestimmende Reflexion, deren Bestimmungen wesent¬ liche Selbständigkeit haben; denn diese ist im Grunde zugrunde gegangen, in dessen Einheit sind sie nur gesetzte." Nun wird der Akzent auf die andere Seite gelegt: in der reinen Reflexion haben die Momente gar keine Selbständigkeit, in der bestimmenden haben sie eine „wesentliche", d.h. eine fixierte, einseitige und nicht aufgehobene. Wieder sei an die wichtigste Stelle erinnert: „Um dieser Reflexion in sich wil¬ len erscheinen die Reflexionsbestimmungen als freie, im Leeren ohne Anziehung oder Abstoßung gegeneinander schwebende Wesenheiten. In ihnen hat sich die Bestimmtheit durch die Beziehung auf sich befestigt und unendlich fixiert" (L II,21f). Dieses Fehlen der Anziehung oder Abstoßung, diese Beziehungslosigkeit hat sich im Gegensatz aufgehoben, — die Entgegensetzung ist zugleich Anziehung und Abstoßung, sie ist die Fremdständigkeit, das Ausschließen, das die Selbständigkeit der Seiten negiert und aufhebt. So ist die Selbständigkeit der Momente in der sie umfassenden und auseinanderhaltenden Einheit des Grundes zugrunde gegangen. In ihm sind sie nur Gesetze, d. h. Negierte. Der Grund erscheint immer — dies ist seine wichtigste Bestimmung bei Hegel — als das zugleich Hervorbringende und Vernichtende, nämlich weil er Form ist. Das Negative, die Macht des Todes, ist der Grund des Lebens, sie gibt die unend¬ liche Intensität, die erst Subjektivität überhaupt möglich macht. Energie — bei Hegel die evEQYeia der Form — ist nur in dem Negativen und nur durch das Negative. „Diese Vermittlung des Grundes ist daher die Einheit der reinen und der bestimmenden Reflexion; ihre Bestimmungen oder das Gesetzte hat Bestehen, und umgekehrt das Bestehen derselben ist ein Gesetztes. Weil dies ihr Be¬ stehen selbst ein Gesetztes ist oder Bestimmtheit hat, so sind sie somit von ihrer einfachen Identität unterschieden, und machen die Form aus gegen das Wesen." Selbständigkeit (d. h. das Bestehen) und Fremdständigkeit (das Gesetztsein) gehen im Grunde, im Zugrundegehen des Widerspruchs in eine Einheit ein. Die Bestimmungen in dieser Vermittlung sind, wie wir wissen, die „fremd¬ selbständigen" Seiten des Gegensatzes, das Positive und das Negative, Grund

139

und Begründetes. Weil das Bestehen dieser Bestimmungen selbst ein Gesetztes ist oder Bestimmtheit hat, d. h. weil das Bestehen der Entgegengesetzten durch den Gegensatz erst konstituiert wird, — darum sind diese entgegen¬ gesetzten Bestimmungen von ihrer einfachen Identität unterschieden.

Diese

entgegengesetzten Bestimmungen, also die Grundbeziehung selber, machen die Form aus, eben insofern sie von jener Identität unterschieden sind, die ihnen gleichursprünglich das Bestehen ist, — die einfache Identität dagegen ist, wie wir schon gehört haben, das Wesen. Hier wie immer muß man sich die Äquiva¬ lenz von Sein (Bestehen) und Identität mit sich vor Augen halten. Da der Unterschied der Grundvermittlung von dem einfachen Wesen damit begründet wird, daß die Momente der Grundbeziehung ein gesetztes, nur ver¬ mitteltes, fremdständiges Bestehen und Bestimmtheit haben, so müssen wir schließen, daß das einfache Wesen ein nichtgesetztes, schlechthin unbedingtes Bestehen haben soll, und daß es schlechthin unbestimmt sein soll. Denn als Bestimmtes wäre es ein Gesetztes, ein durch einen Unterschied Gesetztes. Das Wesen i s t also schlechthin und unbedingt, und es ist absolut unbestimmt. Hier legt sich der Gedanke nahe, daß auch dieses Wesen nur Glied eines Gegensatzes

ist

(nämlich

desjenigen von

Form und

Wesen)

und

dadurch

auch seinerseits gesetzt und bestimmt, ein Negiertes. Wir werden bald sehen, wie Hegel hierauf eingeht. Vorerst wollen wir festhalten, daß auf Seiten des Wesens das einfache unbestimmte Sein, das reine Daß steht, — auf Seiten der Form der Unterschied oder die Vermittlung überhaupt, und daß die Grundbe¬ ziehung als diese Vermittlung überhaupt gedacht wird. Das Bestehen alles Be¬ stimmten ist so ein Gesetztes, d. h. Formabhängiges und durch die Form Ver¬ mitteltes. Nur das reine leere Bestehen selbst ist nicht gesetzt, d. h. nicht form¬ abhängig, — es ist das „Ding an sich", dasjenige, was schlechthin vom Sub¬ jekt als dem Subjekt der Form unabhängig ist. Die leere Identität, die Hegel als Charakter des Dings an sich anzugeben pflegt (vgl. z. B. Enz § 44), ist dieselbe einfache Identität, die hier als Wesen gedacht wird und der Form ge¬ genübersteht, das Substrat, an dem sich die Form realisiert. Auf die Zusam¬ menhänge von Form und Ansich in der Erkenntnistheorie läßt sich dies ent¬ sprechend übertragen. Wir haben auch dies bereits früher angedeutet. „Das Wesen hat eine Form und Bestimmungen derselben. Erst als Grund hat es eine feste Unmittelbarkeit oder ist Substrat. Das Wesen als solches ist eins mit seiner Reflexion, und ununterschieden ihre Bewegung selbst. Es ist daher nicht das Wesen, welches sie durchläuft; auch ist es nicht dasjenige, von dem sie als von einem Ersten anfängt. Dieser Umstand erschwert die Dar¬ stellung der Reflexion überhaupt; denn man kann eigentlich nicht sagen, das Wesen geht in sich selbst zurück, das Wesen scheint in sich, weil es nicht vor oder in seiner Bewegung ist und diese keine Grundlage hat, an der sie sich verläuft. Ein Bezogenes tritt erst im Grund nach dem Momente der aufgeho¬ benen Reflexion hervor.” In diesen Sätzen wird noch einmal der Unterschied zwischen der reinen und der realen Reflexion hervorgehoben. Die reale Reflexion enthält das Moment

140 der aufgehobenen Reflexion in sich und darin eine feste Unmittelbarkeit, ein Bestehen, welches

hier „Substrat"

genannt wird. Über

diesen

Unterschied

brauchen wir inzwischen nichts mehr zu sagen. Von besonderem Interesse ist, daß Hegel hier einmal beiläufig auf eine „Schwierigkeit der Darstellung" hinweist. Hegel macht darauf aufmerksam, daß unsere Sprache von vornherein in gewisser Weise „ontologisch" festgelegt und vorgeformt ist. Diese in der Sprache selbst angelegte ontologische Auslegung der Welt besteht darin, daß alle Beziehung ein vorher vorhandenes, daseiendes Bezogenes,

oder

in Aristotelischer Ausdrucksweise,

daß

jedes

Jtgog xi

eine

oütna voraussetzt. Die Beziehungen und Relationen müssen immer ein festes Substrat haben, an dem sie sind. Eine solche Ontologie also, in der das Feste selber in ein System von Relationen aufgelöst wird, in der die anfaßbare und handfeste Materie zu einer dynamischen Struktur von Kräften wird, die ihrer¬ seits ohne materielles Substrat sind, — eine solche Ontologie, in der die Re¬ lationen früher, qpüaei hqoteqov sind als die Substanz, muß in Konflikt mit der Sprache geraten. Die reine Reflexion ist ja, wie wir wissen, ein solches voll¬ kommen unmittelbarkeitsloses Beziehungssystem, welches sich demgemäß in der am Unmittelbaren orientierten Sprache nicht adäquat darstellen kann. Dieser Gedanke ist auch ein Aspekt in der Hegelschen Kritik der Urteilsform: Hier vertritt die Copula, d. h. das eigentlich Formale, die Synthesis selbst die Stelle der Relation, während der Gegenstand das Substrathafte und Unmittelbare ist. Hegel ist mit Kant der Auffassung, daß die Einheit der Copula den Gegen¬ stand erst konstituiert und hervorbringt, also die Relation früher ist als das Substrat. In der Sprache aber sieht es so aus, daß der Gegenstand früher ist als die Copula und unabhängig von ihr. Auch hier also kehrt die Transzen¬ dentalphilosophie das Verhältnis von Relation und Substrat gegenüber unserer alltäglichen und naiven Auffassung um und macht dadurch die Sprache zum Unwahren. Denn die in der Sprache erscheinende Unabhängigkeit des Gegen¬ standes von der Copula, von der Urteilsform ist unwahr gegenüber der tran¬ szendentalphilosophischen Einsicht, daß die Copula den Gegenstand konstitu¬ iert. Die Beispiele, die Hegel an unserer Stelle bringt, zielen genau auf dieses: wenn wir sagen, das Wesen geht in sich selbst zurück, so sieht es so aus, daß erst ein Wesen vorhanden sei, dem nachträglich noch die Bewegung zukomme, in sich selbst zurückzugehen. Diese Bewegung ist das formale Geschehen, welches sprachlich in der Synthesis des Urteils zum Ausdruck kommt. Aber das Wesen ist nicht vor oder in dieser Bewegung, d. h. überhaupt nicht trennbar von ihr, denn es ist nur die Totalität dieser Bewegung, die ihrerseits kein Substrat hat, an der sie sich verläuft. So steht das spekulative Denken, welches die Bewe¬ gung der Form als das das Wesen und die Gegenstände Konstituierende be¬ greift, in ständiger Auseinandersetzung mit der Sprache. Die fortgehende Auf¬ lösung und Zersetzung alles Unmittelbaren in Form und Vermittlung ist der Grund dieses Krieges. Die Sprache i s t Beziehung, aber sie liebt das Unmittel¬ bare und Feste, — dasjenige, woran ein äußerer Halt ist. Die Sprache will sich (wie gemäß der äußeren Reflexion die Form überhaupt) nicht selbst tragen. —

141 „Das Wesen als das bezogene Substrat aber ist das bestimmte Wesen; um dieses Gesetztseins willen hat es wesentlich die Form an ihm." Hier hören wir nun genau das Gegenteil von dem, was wir früher gesagt haben: daß das Wesen als die einfache Identität das völlig Nichtgesetzte und Unbestimmte ist. Nun wird darauf reflektiert, daß das Wesen als das unmittel¬ bare Substrat der ganzen Bewegung der Grundbeziehung dennoch ein Bezo¬ genes,

d. h.

ein

Gesetztes

und

Bestimmtes

ist.

Das

Unmittelbare

ist

be¬

stimmt dadurch, daß sich an ihm die Vermittlung abspielt, daß es die Grund¬ lage des Vermittlungsprozesses ist. In dieser seiner Beziehung auf die Ver¬ mittlung hat es die Form an sich, — und „wesentlich" hätte es dies, wenn es gar nicht ohne diese Beziehung auf die Vermittlung sein könnte, wenn das Sein seiner Natur nach auf das Nichts verwiese. Doch wie Hegel dies denkt, wollen wir erst an späterer Stelle entscheiden. „Die Formbestimmungen dagegen sind nun die Bestimmungen als an dem Wesen;

es

liegt ihnen zugrunde als

das

Unbestimmte, das

in

seiner Be¬

stimmung gleichgültig gegen sie ist; sie haben an ihm ihre Reflexion in sich. Die Reflexionsbestimmungen sollten ihr Bestehen an ihnen selbst haben und selbständig sein; aber ihre Selbständigkeit ist ihre Auflösung; so haben sie dieselbe an einem Andern; aber diese Auflösung ist selbst diese Identität mit sich oder der Grund des Bestehens, den sie sich geben." Ebenso sind die Formbestimmungen (also die Momente der Grundbeziehung) von dem Wesen unterschieden: sie sind „an ihm", d. h. das Wesen hat sie als von ihm Getrennte, als sein Sein für Anderes (vgl. hierzu L 1,107). Dies be¬ sagt nichts anderes, als wir schon wissen, — die Vermittlung ist vom Wesen unterschieden. Das Wesen liegt den Formbestimmungen zugrunde als das Unbestimmte. Warum als das Unbestimmte, sahen wir bereits. Mit dem „Zugrundeliegen" tritt nun eine Grundbeziehung ein, die selbst nicht zur Grundbeziehung ge¬ hört. Das Wesen liegt der Grundbeziehung zugrunde, und dieses Zugrunde¬ liegen ist selbst außer der Grundbeziehung, es ist deren Vermittlung mit dem Unmittelbaren. Die Formbestimmungen haben an diesem Wesen ihre Reflexion in sich, d. h. ihr Sein, ihr Bestehen, — und insofern liegt ihnen das Unmittel¬ bare zugrunde. Hier finden wir wiederum die ganze Paradoxie des Unterschiedes von Sein und Nichts, die Hegel in den folgenden Abschnitten nun ausführlich entfalten wird. Der Schluß des angeführten Textes erinnert neuerdings wieder¬ holend an die Dialektik der Selbständigkeit in den Momenten der Refle¬ xionsbestimmung

(im

Gegensatz)

und

an das

Selbständigkeit im Widerspruch und im Grund.

Heraustreten

der

wahren

Die Reflexionsbestimmung

gibt sich selbst den Grund des Bestehens, indem die Aufhebung der Reflexion, in der dieser Grund entsteht, ihre eigene Bewegung ist. Uber diese zum Grund hinführende Bewegung brauchen wir nun nichts mehr zu sagen. „Der Form gehört überhaupt alles Bestimmte an; es ist Formbestimmung, insofern es ein Gesetztes, hiermit von einem solchen, dessen Form es ist, Unter¬ schiedenes

ist; die Bestimmtheit als Qualität ist eins

mit ihrem Substrat,

142 dem Sein; das Sein ist das unmittelbar Bestimmte, das von seiner Bestimmt¬ heit noch nicht unterschieden,



oder das in ihr noch nicht in sich reflektiert,

sowie diese daher eine seiende, noch nicht eine gesetzte ist." Hegel führt nun den Unterschied von Form und Formbestimmung ein, wo¬ bei die Formbestimmung ein Unterbegriff, eine engere Möglichkeit der Form überhaupt ist. — Der Form gehört überhaupt alles Bestimmte an: dieser Satz nennt wieder einmal das allgemeinste Prinzip der ganzen Hegelschen Meta¬ physik und „Transzendentalphilosophie". Die unendliche Wichtigkeit der Form und der Besinnung auf Form liegt mit diesem Prinzip zu Tage. Was gehört der Form nicht an, wenn ihr alles Bestimmte angehört? Die Form wird zu dem Absoluten, zu Gott, dem Alles angehört. Und dieses „Angehören" deutet etwas an von der Herrschaft, die die Form über ihren Besitz innehat. Es ist in der Geschichte der spekulativ-logischen Dialektik wie in der Geschichte des Geistes und der Welt selbst nach Hegel Gesetz, daß diese ursprüngliche „vor der Er¬ schaffung der Natur und eines endlichen Geistes" angelegte, durch alles sich hindurchziehende Herrschaft der Form immer stärker auch als solche hervortritt. Alle Entwicklung ist nichts als die Manifestation dieser Herrschaft der Form, der alles Bestimmte im voraus zu eigen ist. Da „omnis determinatio negatio est", ist die Form dasjenige, dem alle negatio angehört, — als Absolutes die absolute negatio, das Nichts. Die Manifestation der Herrschaft der Form ist (in diesem Sinne!) zugleich eine Manifestation der Herrschaft des Nichts. Von dieser reinen absoluten Form unterscheidet Hegel nun die Formbestim¬ mung, und die differentia specifica ist, daß die Formbestimmung eine solche Bestimmung ist, die selbst ein Gesetztes, d. h. ein Negiertes, ein Unterschie¬ denes ist, — und zwar unterschieden von demjenigen, dessen Form und Be¬ stimmung sie ist. Hegel erläutert dies an der Qualität als einem Beispiel einer solchen Bestimmung, die

keine

Formbestimmung ist, obwohl sie wie alles

Bestimmte der Form überhaupt angehört. In dem folgenden Abschnitt erläutert Hegel, was zu den Formbestimmungen gehört. Es sind die Momente der Reflexion, deren nähere Kennzeichen wir alle auf dem Wege der reinen Reflexion in die reale Reflexion des Grundes kennen¬ gelernt haben: „Die Formbestimmungen des Wesens sind ferner als die Reflexionsbestimmt¬ heiten, ihrer näheren Bestimmtheit nach, die oben betrachteten Momente der Reflexion, die Identität und der Unterschied, dieser teils als Verschiedenheit, teils als Gegensatz. Ferner aber gehört auch die Grundbeziehung dazu, insofern sie zwar die aufgehobene Reflexionsbestimmung, aber dadurch zugleich das We¬ sen als Gesetztes ist." Natürlich ist dies nicht als eine vollständige Liste der Formbestimmungen, d. h. der gesetzten, selbst von dem, woran sie sind, unterschiedenen Bestim¬ mungen anzusehen. Besonders in den späteren Teilen der Logik findet sich noch Vieles, was in die gleiche Reihe gehören würde. — Form also ist alle Bestimmtheit, Formbestimmung ist äußere, abgesetzte, von dem Substrat selbst unterschiedene Bestimmtheit.

143 „Dagegen gehört zur Form nicht die Identität, welche der Grund in sich hat, nämlich daß das Gesetztsein als aufgehobenes und das Gesetztsein als solches, —

der Grund und das Begründete, — Eine Reflexion ist, welche das Wesen als

einfache Grundlage ausmacht, die das Bestehen der Form ist. Allein dies Be¬ stehen ist im Grunde gesetzt; oder dies Wesen ist selbst wesentlich als bestimm¬ tes; somit ist es auch wieder das Moment der Grundbeziehung und Form.” Warum der Grund das aufgehobene Gesetztsein oder das Positive, das Be¬ gründete das Gesetztsein als Gesetztsein ist, ist uns früher gesagt worden. Der Grund war uns als das als „aufgehobenes Gesetztsein Bestimmte" (L 11,66) vor¬ gestellt worden, ebenso das Begründete als in sich reflektiertes, mit sich iden¬ tisches Gesetztsein, als „bestehendes Nichtiges". Wir hatten weiterhin die in beiden Momenten liegende Eine Identität kennengelernt, die das gleichursprüng¬ liche Sein und Bestehen von beiden Seiten ist. Hegel nennt dieses Mit-sichidentisch-Sein auch Reflexion in sich, — d. h. Identität wird ebenso als ein Son¬ derfall von Beziehung, als reine Selbstbeziehung gedacht wie auch als Beziehungslosigkeit, als „aufgehobene Reflexion". Identität mit sich ist bezie¬ hungslose Beziehung, — Form und Sein. Das

Wesen

ist,

wie

wir

schon

hörten,

das

Bestehen

der

Grundbezie¬

hung, und in der Grundbeziehung aller Form überhaupt, — das Bestehen von all dem, was nach dem vorhin gehörten Satz der Form angehörig ist. Das in dem Satz „forma dat esse" Gesagte wird hier umgekehrt: Die Form gibt nicht, sondern empfängt das Sein, und zwar von einem von ihr verschiedenen We¬ sen. Ohne die Form gäbe es nichts, was bestimmt wäre, ohne das Wesen nichts, was bestünde. Als dieses Bestehen ist das Wesen, wie ebenfalls schon gesagt wurde, insofern „grundhaft", vom Charakter des Grundes berührt, als es „zu Grunde liegt", Grundlage ist. Es ist nicht vom Charakter des Grundes, keine aktive Bewegung, kein Gründen, es ist weder ein Hervorbringen noch ein Ver¬ nichten, es hat nichts von der Macht des Negativen, — als Unbestimmtes, Un¬ bewegtes und Passives liegt es da, aber es liegt dabei dennoch zugrunde, es ist Grundlage. Aber, so hören wir weiter, dies Bestehen ist im Grunde gesetzt, das We¬ sen ist selbst ein Bestimmtes, und teilt das Schicksal alles Bestimmten: der Form anzugehören, von deren Herrschaft durchherrscht zu werden. Es ist selbst wieder nur Moment der Grundbeziehung und Form, und als Moment ist es das Unselbständige, nicht aus sich Seiende. Die Bestimmung des Wesens, der Grund seiner Nichtigkeit liegt in seiner Beziehung auf die Form, darin, daß es überhaupt ein Unterschiedenes und im Unterschied Gesetztes ist; — im besonderen noch darin, daß es innerhalb dieses Unterschiedes, diesen als Bewegung gedacht, das Bewegte ist. Die Spontaneität und Tätigkeit der Form ist selbst der Grund dieses Unterschiedes zwischen der Form und dem, an dem die Form ist, — sie ist das Bewegende, Aktive, das Negierende und im Negieren Hervorbringende. Dies entspricht dem, daß das Unmittelbare aus der Reflexion gesetzt wird, oder nach der früheren Formulie¬ rung, daß das Sein

„wiederhergestellt" ist. Auch in diesem Unter-

144 schied wie in allem Unterschied ist nach Hegel die Form das Unterscheiden, das andere dagegen, hier das Wesen, das Unterschiedene. Und das Unterschie¬ dene ist das Nichtige in der Bewegung des Unterscheidens. Das Spontane hat zwar eine Grundlage seines Bestehens außer sich, — aber dieses „außer", die¬ se Trennung ist wieder nur sein Werk, es selbst gibt sich sein Außer-sich und behält es so als sein Moment bei sich. Dieses außer der Form seiende Wesen ist also keineswegs eine Grenze der Macht der Form, ein Punkt, an dem diese aufhört. Die absolute Macht des Negativen hat eine solche Grenze nicht, — darum nämlich, weil sie selbst der Grund aller Grenze, alles Begrenzen ist und so in jeder Grenze das schlechthin Anwesende und bei sich Seiende ist. Für die Herrschaft, die vermittels

der Grenze ist, gibt es keine Grenze.

Ihr verwandelt sich jede Grenze in eine Bestätigung ihrer

selbst.

spricht Hegel vom Denken und von der Vernunft: Das Denken Hinausgehen über die Schranke wie

selbst als

Ebenso

ist nur als

Begrenzen, — seine Bezie¬

hung auf die Grenze ist eine intensive, aus ihm selbst seiende, keine äußer¬ liche. So kann Hegel sagen: „Das Gerede von den Schranken des menschlichen Denkens ist seicht" (EGPh, 179), denn dieses Gerede beruht darauf, daß das Denken nicht als Subjektivität, als subjektive Beziehung auf Grenze und Differenz genommen wird, sondern als „Seelending". Grenze ist Form, — und das begrenzte Denken hat keine subjektive, erinnernde Beziehung auf Form, es hat seine Form sich selbst äußerlich und von sich verschieden, was gerade das Wesen eines Dinges ausmacht. Endlichkeit ist dingliche Beziehung auf Form, Unendlichkeit subjektive Beziehung auf Form und Grenze. „Dies ist die absolute Wechselbeziehung der Form und des Wesens, daß dieses einfache Einheit des Grundes und des Begründeten, darin aber eben selbst bestimmt oder Negatives ist, und sich als Grundlage von der Form unterscheidet, aber so zugleich selbst Grund und Moment der Form wird." Das dialektische Verhältnis der beiden Momente Form und Wesen, Nichts und Sein wird nun zusammengefaßt. Ihre Wechselbeziehung ist eine absolute: d. h. sie betrifft die Totalität und Einheit der Form überhaupt. Wir wissen, daß in der Sprache der Idealisten das Wort „absolut" immer in irgendeiner Weise eine Beziehung auf eine Allheit von Form zum Ausdruck bringt. So wird die ursprüngliche Synthesis auch „absolute Synthesis" genannt, insofern sie ursprünglicher als jede andere Synthesis und Ursprung jeder anderen Synthesis ist. Was die Form als Ganzes ist, entscheidet sich daran, wie sie zu dem steht, was nicht Form ist. Dies andere ist das Wesen. Die Form steht so zu diesem anderen, daß sie es gerade in und vermittels seiner Andersheit in ihrer Obhut behält. Denn in dieser Andersheit ist das Wesen selbst ein Negatives. Es unterscheidet sich darin von der Form, daß es deren Grundlage ist, — aber als Grundlage steht es nicht der Grundbeziehung gegenüber, sondern ist selbst Grund und das heißt Moment der Form. Die „Grundlage" ist selbst eine be¬ sondere Weise des Grund-Seins, nämlich diejenige, wie das Unmittelbare Grund ist. Daß der Grund dieses Moment, Grundlage zu sein, in sich enthält, ent-

145 spricht also dem, daß er die reale Vermittlung des Wesens mit sich ist. Der Grund ist darum reale Vermittlung, „weil er die Reflexion als aufgehobene Reflexion enthält" (L 11,64), — diese aufgehobene Reflexion ist das Unmittel¬ bare, hier die Grundlage. Der Grund ist nur Grund durch diese Beziehung auf das Unmittelbare, also nur durch die Möglichkeit, Grundlage zu sein. Auch die Form selbst läßt sich nur als Grund denken wegen dieser Möglichkeit des Grundes. Denn der Grund wäre ohne dies eine zu enge Kategorie, die das Gesamte der Form nicht in sich aufnehmen könnte, vielmehr gerade das Ent¬ scheidende verfehlen würde. So ist der Grund auch nur absoluter Grund wegen dieser Doppelheit, zugleich die Grundbeziehung in engerem Sinne und Grundlage zu sein. — Die Kennzeichen des Grundes, die wir bisher erhalten haben, sind also: 1) Der Grund ist evepyeia, d. h. Bewegung, Tätigkeit der Form; 2) der Grund ist in einem Grund von Identität und Differenz; 3) der Grund ist in einem ein Hervorbringendes und Aufhebendes; 4) der Grund ist in einem als die vermittelnde Beziehung des Grundes auf das Begründete und als die unmittelbare Grundlage von Vermittlung überhaupt. Alle diese Kennzeichen ergeben sich daraus, daß das „Negative", die Grenze als Grund gedacht wird. In der gewöhnlichen Vorstellung werden bestimmte Dinge oder Inhalte in einer Grundbeziehung zueinander gedacht. Für sie ist darum der Grund etwas Einfacheres als für das metaphysische, d. h. auf die Form gerichtete Denken. Der wesentliche Unterschied von Form und Ding überträgt sich in den Grund, und der Grund ist als causa formalis, als FormGrund oder absoluter Grund wesentlich unterschieden von dem „realen Grund". Hegels Darstellung dieses realen Grundes werden wir noch kennenlernen. Hier geht es darum, aufmerksam zu machen auf die einzigartige und wesentliche Andersheit dessen, was als das Negative selbst in seiner Totalität als Grund gedacht wird. Zu der Hegelschen „Sphinx von Grund" kommt es dann, wenn die Form als Grund und der Grund als Form begriffen werden soll. Nur darum kann auch der Grund die Kategorie sein, in der die absolute Wechselbeziehung von Form und Wesen, von Nichts und Sein gedacht werden kann. „Die Form ist daher das vollendete Ganze der Reflexion; sie enthält auch diese Bestimmung derselben, aufgehobene zu sein; daher ist sie ebensosehr, als sie eine Einheit ihres Bestimmens ist, auch bezogen auf ihr Aufgehoben¬ sein, auf ein Anderes, das nicht selbst Form, sondern an dem sie sei." Wir hatten zu Beginn unserer ganzen Ausführungen die Form als Grund von Identität und Differenz überhaupt, und weiterhin die Reflexion als des „Zwi¬ schen" von Identität und Differenz bestimmt. So wurden uns letztlich die Aus¬ drücke „Form" und „Reflexion" zu Synonymen. Bei dieser Gelegenheit ver¬ gewisserten wir uns, daß seit Schellings System des transzendentalen Idealismus diese Synonymität in der Philosophie des deutschen Idealismus angelegt ist. Dort nämlich sind die ideelle, die begrenzende und die reflektierende Tätigkeit

146 ein und dieselbe Tätigkeit, und dies eben, daß die Tätigkeit der Form alles Be¬ grenzen, alles Ideell-setzen und alles Reflektieren ist, übernimmt Hegel von Schelling in seine Logik. Hinsichtlich ihrer Beziehung auf die Totalität von Identität und Differenz, als reiner Grund oder als reines Zwischen beider, unterscheiden sich Form und Reflexion nicht. Wenn aber nun die Form das vollendete Ganze der Reflexion genannt wird, so scheint dennoch ein Bedeutungsunterschied vorzuliegen. Nun, nachdem wir den Unterschied von reiner und realer Reflexion kennengelernt haben, kann uns dies nicht mehr überraschen. Die Form gehört in die reale Reflexion. An der uns vorliegenden Stelle wird dies darin ausgedrückt, daß es heißt, die Form enthält auch diese Bestimmung der Reflexion, aufgehobene zu sein. Sie setzt den Weg in die Unmittelbarkeit oder die Wiederherstellung des Seins im Grunde voraus. Es gehört also zur Natur der Form, Form eines Anderen zu sein und in und mit diesem Anderen sich von sich selbst zu unterscheiden. Form ist als Grund aller Differenz auch diese Beziehung auf Differenz, an einem Anderen zu sein. Form und Reflexion unterscheiden sich also hinsichtlich ihrer Beziehung auf das Unmittelbare: von der Reflexion als solcher gilt nicht, daß sie dieses als ihr Anderes in ihrer Beziehung sich gegenüberstehen hätte. Aber die vollendete Ganzheit der Reflexion ist erst die Form. Vollendung be¬ deutet hier die Aufhebung aller Einseitigkeit. Über die Einseitigkeit der reinen Reflexion, und das heißt der Reflexion als solcher haben wir gesprochen. Die Form ist die Aufhebung schlechthin aller Einseitigkeit, denn die reine Reflexion ist schon die Aufhebung aller Einseitigkeit hinsichtlich Identität und Differenz. Die Form ist nun — mit diesem zusammen — darüber hinaus auch noch die Auf¬ hebung der Einseitigkeit zwischen Reflexion und Unmittelbarkeit. Dies ist freilich nur ein anderer Aspekt dessen, was wir oft sagten: Die Form ist das Absolute, Alles ist Form. Die Form ist eine Einheit ihres Bestimmens, insofern eben alles Bestimmte ihr angehört, sie in aller Bestimmung und aller Grenze das Gegenwärtige und bei sich Seiende ist. Nach dieser Seite ist auch das unmittelbare einfache Wesen nur Moment der Form, ist es gesetztes, bestimmtes, negiertes Wesen. Aber die Form ist ebenfalls — und nur so ist sie das vollendete Ganze der Reflexion — bezogen auf ihr Aufgehobensein, d. h. auf die aufgehobene Re¬ flexion, auf das ihr gegenüberstehe'nde Unmittelbare. Dies Unmittelbare ist nicht selbst Form, sondern dasjenige, an dem die Form ist, ihr Bestehen. Erst beide Seiten zusammen, — daß die Form allein bei sich selbst ist, und daß sie dennoch ein Anderes hat, bei dem sie ist, — machen die Totalität der Form aus. Fremdbezüglichkeit und Selbstbezüglichkeit fordern und bedingen sich gegenseitig. Die Selbständigkeit muß, um sie selbst zu sein, das Moment des Voraussetzens in sich aufgehoben haben. Wir erinnern daran, daß schon die be¬ stimmende Reflexion einmal „vollendet" genannt wurde (L II, 20), eben weil sie das Moment der äußeren, voraussetzenden Reflexion in sich enthält. Voll¬ ständigkeit entscheidet sich nur an dem Verhältnis zur Unmittelbarkeit. Dies ist

147 die wichtige, konstituierende Funktion der Unmittelbarkeit für die Reflexion der Form. „Als die wesentliche sich auf sich selbst beziehende Negativität gegen dies einfache Negative ist sie das Setzende und Bestimmende; das einfache Wesen hingegen ist die unbestimmte und untätige Grundlage, an welcher die Form¬ bestimmungen das Bestehen oder die Reflexion in sich haben." Die Form ist wesentliche, sich auf sich selbst beziehende Negativität: eben jene Bewegung des Nichts zu Nichts und dadurch zu sich selbst zurück, die wir als Bewegung des Wesens, als eveqyekx der Form, sich gleich bleibende Ver¬ änderung kennengelernt haben. Sie ist überhaupt die Bewegung des Negierens, des Begrenzens und Bestimmens; — in dieser Bewegung das Verdoppeln dieser Negativität, welches den Charakter des Subjektiven ausmacht; — aber in diesem Verdoppeln kein Übergehen in Anderes, sondern Rückkehr in sich und Einheit in der Bewegung. Diese Eigenschaften der Form sind alle schon zur Sprache ge¬ kommen. Als dieses Tätige ist sie das Setzende und das Bestimmende. Setzen und Be¬ stimmen sind beides an sich dieselbe negierende Tätigkeit und lediglich dadurch unterschieden, wie ebenfalls schon gesagt wurde, daß in der bestimmenden Re¬ flexion deren Bestimmungen wesentliche Selbständigkeit haben, wohingegen das Gesetzte das durchgängig unselbständige Moment ist. Die Beschreibung des Wesens in dem vorliegenden Text bringt nichts Neues. Hervorgehoben sei lediglich, daß das Wesen als das Unmittelbare auch das Un¬ tätige ist gegen die Form, die für Hegel — als das zugleich Subjektive — ja schlechthin Grund aller Tätigkeit und Bewegung ist, der „innerste Quell aller Tätigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung, die dialektische Seele" (ver¬ mutlich im Gedanken an die „Seele" in Platons Phaidros gesprochen), — die absolute Tathandlung. Der Gegensatz von Unmittelbarkeit und Vermittlung ist also zugleich derjenige von Untätigkeit und reiner Tätigkeit. Das Nichts ist nicht eigentlich dynamischer als das Sein, — es ist Prinzip und Anfang alles Dynami¬ schen, das Sein dagegen ist nicht bewegt und nichts bewegend. „Bei dieser Unterscheidung des Wesens und der Form pflegt die äußere Re¬ flexion stehen zu bleiben; sie ist notwendig, aber dieses Unterscheiden selbst ist ihre Einheit, so wie diese Grundeinheit das sich von sich abstoßende und zum Gesetztsein machende Wesen ist." Die äußere Reflexion unterscheidet die Form von demjenigen, an dem die Form ist, und welches sie dann — z. B. — „Wesen" nennt. Die äußere Reflexion hat darin recht, daß sie bis zu dieser Unterscheidung fortschreitet, — denn, wie wir gesehen haben, kann die Vollendung der Reflexion, d. h. die Form als Form nur gedacht werden in und mit dieser Unterscheidung. Aber die äußere Reflexion hat Unrecht, bei dieser Unterscheidung stehen zu bleiben. Denn sie vergißt, daß die Form in allem Unterscheiden das Gegenwär¬ tige ist, — ja, sie vergißt sogar überhaupt das dialektische Wesen allen Unter¬ schiedes, sie nimmt den Unterschied wie ein Vorhandenes, an sich Daseiendes, ohne die Bewegung eines Herkommens und Werdens. Aber die Form ist Tätig-

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keit, und Unterschied nur als Sich-Unterscheiden. So ist dieses Unterscheiden — als Tätigkeit, als Bewegung zu verstehen — selbst ihre Einheit, denn diese Bewegung ist die Form, die selbst das eine der Unterschiedenen sein sollte. Das Wesen wird in dieser Einheit selbst Moment der Form. Wir haben die „äußere Reflexion" in einem terminologisch festgelegten Sinn kennengelernt (L II, 17): als die Reflexion, die eine unmittelbare Voraussetzung hat, die ein Unmittelbares der Vermittlung voraussetzt. Damals haben wir über die Eigenart der äußeren Reflexion gesprochen, gerade die Form als das „nur „Formale" für das Äußerliche und Unwesentliche zu nehmen. Die äußere Re¬ flexion ist an das Feste verfallen, und sie nimmt als Festes, was keine Form ist. Diese Reflexion vergißt am meisten das, was sie selbst ist: die Reflexion, also die Form. Ebenso die äußere Reflexion als Erscheinung einer bestimmten Ver¬ fassung des menschlichen Geistes: sie gehört dem Menschen, der als Äußerer dem Äußeren als dem Vorhandenen „verfallen", der am weitesten von sich ent¬ fernt ist, von der Reflexion auf sich selbst als denjenigen, der das Äußere kon¬ stituiert und ihm vorweg ist. Dieser Sinn von „äußerer Reflexion" liegt auch an der vorliegenden Stelle zu¬ grunde. Die äußere Reflexion will sich am wenigsten auf die Herrschaft der Form einlassen, auf die alles erfassende und aufhebende Dynamik der Form. Darum will sie sich das vorausgesetzte unmittelbare Wesen nicht zum Moment machen lassen, sie will ihr Festes als Äußeres, als Objektives, als Substrat be¬ halten. Sie will das Handfeste, an dem die Bewegung verläuft, nicht die reine Bewegung. So läßt sie sich weder auf die Auflösung des Unterschiedes in sich unterscheidende Bewegung noch auf die Aufhebung des Wesens in Form ein, — sie bleibt bei der Unterscheidung von Form und Wesen stehen, und zwar als einer solchen Unterscheidung, die keine ivegyeia und der Form selbst äußerlich ist. Dieses Unterscheiden ist ebenso ihre Einheit wie diese Grundeinheit das sich von sich abstoßende und zum Gesetztsein machende Wesen ist. Das Unter¬ scheiden ist als Bewegung nicht nur Grenze, sondern in einem Aufheben der Grenze oder Verbinden. Es hebt die Unterschiedenen in der Einheit seiner be¬ ziehenden Bewegung auf. Die Grundeinheit aber ist hier die gesamte Grund¬ beziehung, also die Einheit von Grund und Begründetem. Diese Grundeinheit ist selbst das Hervorbringende des Unterschieds von Form und Wesen; sie selbst fällt mit der Form zusammen. Wie wir früher sagten: Der Unterschied von Form und Wesen ist, insofern er in seiner Herkunft gefaßt wird, selbst eine Funktion der Spontaneität der Form, er ist als Sich-Unterscheiden rein formimmanent. Von dem „Sich-von-sich-Abstoßen" und dem Setzen des Wesens haben wir be¬ reits gehört. So hieß es z. B.: „So kommt das Wesen, indem es sich als Grund bestimmt, nur aus sich her. Als Grund also setzt es sich als Wesen, und daß es sich als Wesen setzt, darin besteht sein Bestimmen." (L 11,64). Gemeint ist jenes „Ausscheiden des Unmittelbaren aus der Reflexion", welches das Eigen¬ tümliche der realen Reflexion ist. Es ist verwirrend, daß das Unmittelbare ein¬ mal das Wesen, einmal das zum Gesetztsein gemachte, d. h. aufgehobene, ne-

149 gierte Wesen ist. Die Verwirrung kommt daher, daß früher die reine Reflexion bereits als Wesen bezeichnet worden ist, — die Aufhebung dieser Reflexion also ein Aufheben des Wesens ist, in dem die „aufgehobene Reflexion", das Un¬ mittelbare, also wieder das Wesen, aber nun im Sinne des Gegenübers der Re¬ flexion, entsteht. Uber diese Doppeldeutigkeit des Ausdrucks „Wesen", die wir aus dem Einfluß des Wesensbegriffes der Schellingschen Identitätsphilo¬ sophie erklären, haben wir schon gesprochen. Daß die reine Reflexion Wesen genannt wird, hat mit Schelling nichts zu tun, dagegen wohl, daß das der Form gegenüberstehende unmittelbare Ansich Wesen heißt. Es geraten gleichsam ein Hegelscher und ein Schellingscher Wesensbegriff in der „Logik des Wesens" miteinander in Konflikt.

„Die Form ist die absolute Negativität selbst oder die negative absolute Identität mit sich, wodurch eben das Wesen nicht Sein, sondern Wesen ist." Die Form ist absolute Negativität, die Einheit schlechthin alles Bestimmens. Als diese Einheit ist sie „absolute Identität mit sich", — eine Identität, die in sich beruht und nicht durch ein Anderes ist, kein identisch Gemachtes, — und die durch dies Fehlen der Beziehung auf Anderes auch nicht „verunreinigt", mit Andersheit durchsetzt ist. Diese absolute Identität ist auch negative Identität, die in sich unterschiedene, den Unterschied hervorbringend-vernichtende Einheit, die Identität des Negativen, des Nichts mit sich selbst. Wir wissen, daß Hegel die Form als sich bewegendes, in seiner Bewegung sich verdoppelndes und in dieser Verdoppelung sich gleichbleibendes Nichts denkt. Diese ganzen Momente haben wir uns in der „negativen Identität" vereinigt zu denken. Hier ist also nicht die „Identität des Negativen mit sich" im Sinne der Identität des Gesetzt¬ seins oder des Nichtigen gemeint. Die „negative absolute Identität" ist die Identität Gottes als reiner Form, nicht die Identität des nichtigen ens creatum. Diese beiden Identitäten sind in der dialektischen Sprache Hegels oft nicht leicht zu unterscheiden — sie sollen ja auch gerade in die sie verwirrende Dialektik von „Herr und Knecht", des an sich seienden Positiven und des abhängenden Nega¬ tiven eintreten. Dennoch ist es für die Interpretation immer wichtig, diese Seiten der Form und des Geformten, des Setzens und des Gesetzten auseinander zu halten. Durch diese „negative absolute Identität mit sich" ist nun das Wesen nicht Sein, sondern Wesen. Wir haben bisher das Wesen, insofern es der Form gegenübersteht, häufig in die Nähe des Seins gebracht. Wie dieses ist es die einfache Identität mit sich, das unbestimmte, untätige Unmittelbare, die aufgehobene Reflexion. Ja sogar war ausdrücklich von einer Wiederherstellung des Seins die Rede, und dasjenige, was dort wiederhergestellt wurde, war das Nichtsein der Reflexion, was nun Wesen ist. Nun aber werden Wesen und Sein offenbar voneinander unterschie¬ den. Um diesen Umstand zu erörtern, wollen wir zuerst auf eine Tatsache hinweisen, welche bisher noch nicht genug in ihrer Bedeutung klar ist: Hegel kennt mehreres Unmittelbare. Seine Logik enthält eine ganze Reihe der „reinen Un-

150 mittelbarkeiten". Die wichtigsten sind das „Sein" am Anfang, das „Bestehen in der bestimmenden Reflexion, die „Existenz" als die aufgehobene Reflexion des Grundes, die „Objektivität" als die aufgehobene Reflexion des Begriffs und schließlich (und als wichtigstes) das Unmittelbare, welches in der Selbst-Auf¬ hebung der absoluten Idee entsteht, die „Natur", die „absolut für sich selbst ohne Subjektivität seiende Äußerlichkeit des Raums und der Zeit" (L 11,505). Dieses letztere Unmittelbare wird auch „absolute Unmittelbarkeit"

genannt

(L 11,231). Jedoch wie unterscheiden sich die Unmittelbarkeiten innerhalb der Logik voneinander? Als Unmittelbarkeiten können sie dies gar nicht, denn nur als solche sind sie nicht weiter bestimmt. Sie unterscheiden sich nur durch die „Mittelbarkeit", die durch das „Un-" negiert wird, d. h. durch die Reflexion, die in ihnen aufgehoben wird. Dem Sein des Anfangs geht gar nichts voraus (es ist in einem anderen Sinne also ebenfalls eine „absolute Unmittelbarkeit"), jeder anderen Unmittelbarkeit geht eine Reflexion voraus, als deren Aufhebung sie ist. So ist das Sein im Grunde ein wiederhergestelltes Sein. Da aber die Aufhebung der Vermittlung jedesmal total und vollständig sein soll, kann an dem Unmittelbaren selbst kein Unterschied festzustellen sein (dieser wäre ja äquivalent mit einer nichtaufgehobenen Vermittlung). Man weiß nicht zu sagen, wodurch sich etwa das Sein des Anfangs, das im Grunde wiederhergestellte Sein als Bestehen und die aus dem Grunde hervorgegangene Existenz

an ihnen

selbst unterscheiden. Sie alle sind die gleiche leere und einfache Beziehung auf sich selbst, als die Hegel stets das Sein denkt. So ist diese „Stufung" des Unmittel¬ baren als Unmittelbaren, wie sie am offensten in dem Ausdruck der „absoluten" Unmittelbarkeit zum Ausdruck kommt, eines der seltsamsten und schwierigsten Probleme der Hegelschen Logik. Da sich die verschiedenen Unmittelbarkeiten an sich selbst nicht unterscheiden, konnten wir insoweit das Bestehen (also nun das der Form gegenüberstehende Wesen) mit dem Sein gleichsetzen. Ist aber der jetzt genannte Unterschied ein solcher zweier verschiedener Un¬ mittelbarkeiten? Etwa der von reinem Sein und Bestehen? — Da sich das Wesen durch das Moment der Form vom Sein unterscheidet (die „absolute Negativität", die den Unterschied ausmacht, ist die Form selbst), so muß man annehmen, daß nicht dieser Unterschied gemeint, sondern das „Wesen" wieder in seinem all¬ gemeineren Sinn zu verstehen ist, nicht als das der Form gegenüberstehende Unmittelbare, sondern als die dem Sein gegenüberstehende, seine Wahrheit seiende Reflexion. Das, wodurch sich überhaupt die Sphäre des Wesens von der des Seins unterscheidet, ist ja im allgemeinen diese Selbständigkeit der Re¬ flexion, der Form. Der Satz „forma dat esse rei" ist insofern eigentlich ein Satz der Logik des Wesens, — ihr Kennzeichen ist, daß das Sein im Nichts untergegangen ist und die Bewegung der Form, der Negativität in sich ruht. Wir glauben also, den vorliegenden Satz so verstehen zu müssen, daß sich das Wesen (im allgemeineren Sinn) durch das Moment der Form und ihrer Selbständigkeit von der Sphäre des Seins unterscheidet, und daß das Wesen, das dieser Form gegenübersteht und die aufgehobene Reflexion ist, erst im

151 folgenden Satz wieder gemeint ist. Jedoch bleibt eine gewisse Verwirrung infolge der Doppelheit des Wesens/ das einmal das ganze Beziehungsgefüge, einmal ein abstraktes Moment in ihm ist. „Diese Identität abstrakt genommen, ist das Wesen gegen die Form; so wie die Negativität abstrakt genommen als das Cesetztsein, die einzelne Formbe¬ stimmung ist.” Die Abstraktheit ist die Trennung beider Seiten, durch die beide einseitig werden. Das Wesen hat die Seite der Identität, welche zugleich die der Selb¬ ständigkeit ist. Die Negativität ist das Andere: sie ist einerseits die Bestimmung (im passiven Sinne als Bestimmtheit), andererseits das Gesetztsein, das Unselb¬ ständige, welches nur an einem Anderen sein kann. Aber nicht diese Trennung ist das Wahre: „Die Bestimmung aber, wie sie sich gezeigt hat, ist in ihrer Wahrheit die totale sich auf sich beziehende Negativität, die somit als diese Identität das einfache Wesen an ihr selbst ist. Die Form hat daher an ihrer eigenen Identität das Wesen wie das Wesen an seiner negativen Natur die absolute Form.” Die Bestimmung ist ihrer Wahrheit nach nicht die einzelne Formbestimmung, die nur an einem anderen ist, sondern sie ist die totale, sich auf sich beziehende Negativität. „Total" und „sich auf sich beziehen" meinen, daß die Bestimmung in ihrer Wahrheit sich nicht auf anderes bezieht, sondern überall bei sich selbst ist. Die absolute Negativität hat schlechthin kein Außerhalb. Ein solches Außer¬ halb wäre ein einfacher Unterschied, endliche Bestimmung, gegen die die abso¬ lute Negativität selbst passiv wäre, — eine Grenze der Form, die keine Grenze durch die Form wäre. Aber der Form gehört in Wahrheit alles Bestimmte an, sie ist so die absolute oder totale Negativität. Darin ist sie überhaupt Beziehung (d. h. auch Trennung, denn alle Beziehung ist Trennung), die Bewegung der doppelten Negativität. In dieser Bewegung jedoch bleibt sie sich gleich, ist sie identisch mit sich. Die sich auf sich beziehende Negativität hat somit das Mo¬ ment der Identität in sich selbst, sie braucht es weder von außen zu nehmen noch vorauszusetzen. Sie ist das einfache Wesen an ihr s e 1 b s t, sie ist also nicht an dem einfachen Wesen als an einem Anderen. Identität und Differenz sind die beiden Momente der Form, die somit weder ein mit sich Identisches noch ein von ihr Differentes außer sich haben kann. Oder anders herum gesagt: Nichts ist mit sich identisch, nichts ist unterschieden von überhaupt einem Anderen, was nicht Moment der Form und ihrer Bewegung wäre. Und das Bestehen, das reine leere Existieren liegt in diesem formimmanenten Moment der Identität selbst. Die Form hat an ihrer eignen Identität — ihr eigen als ihr Moment — das Wesen und das Bestehen, aber auch das Wesen hat an seiner negativen Natur die absolute Form. Die negative Natur des Wesens ist einmal darin zu sehen, daß es als Identität selbst ein Unterschiedenes (nämlich von der Differenz), so¬ mit ein Bestimmtes ist. Hegel will hier aber mehr noch sagen, daß alle Identität Beziehung auf sich selbst ist, somit als Beziehung die Form, das Negative in sich selbst hat. Die negative Natur der Identität ist also nicht nur, daß sie a n sich

(von der Differenz), sondern daß sie

in

sich unterschieden ist (als

152 Selbst-Beziehung). Etwas ist mit sich identisch — es ist zweimal Moment dieser Beziehung, als das, was identisch ist, und als das, mit dem es identisch ist. Das andere Moment der Form, die Differenz, ist immer schon in der Identität, inso¬ fern diese selbst Beziehung ist. Die Identität ist immer schon die ganze Form, sie selbst und Differenz, „ihr Ganzes und ihr Moment" (L 11,33). Somit gibt es keine negativitätsfreie Identität, kein formloses Wesen. Das Wesen hat immer schon die Form — als Beziehung, als Identität, als Negativität — in sich, und ist selbst nur in ihr. Es hat sogar die Form als absolute Form in sich, weil diese die Selbstbezie¬ hung ist, die das Wesen ist. Weder das Wesen noch die Form ist hier mit einem endlich bestimmten Inhalt zu denken, — ihre Bestimmung sind allein die reinen Formmomente Identität, Differenz und Grund, und außer diesen nichts. „Es kann also nicht gefragt werden, wie die Form zum Wesen hinzukomme, denn sie ist nur das Scheinen desselben in sich selbst, die eigene ihm inwohnende Reflexion. Die Form ebenso an ihr selbst ist die in sich zurückkehrende Re¬ flexion oder das identische Wesen; in ihrem Bestimmen macht sie die Bestim¬ mung zum Cesetztsein als Gesetztsein.'' Dieselben Gedanken werden noch einmal wiederholt. Die Wendung „es kann also nicht gefragt werden" zielt vielleicht auf Schellings Identitätsphilosophie, mit der sich Hegel in diesem Abschnitt in ständiger Auseinandersetzung befindet. Den Inhalt der beiden Sätze kennen wir bereits: das Wesen hat in seiner Selbstbeziehung, die als Beziehung ein Scheinen, ein Sein zu Anderm und in Anderem ist, bereits die Form. Ebenso hat die Form in sich das Moment der Identität, und sie gibt diese Identität auch dem, was sie bestimmt. Man denke wieder an Platon oder Plotin: Gerade das Einheit-Geben ist das entscheidende Sein-Geben der Form. Das gesetzte Moment hat auch selbst Bestehen und Selbständigkeit, indem es in seiner Negativität identisch mit sich, sich auf sich beziehend, Gesetztsein als Gesetztsein ist. Das Moment bekommt diese Selb¬ ständigkeit von der Form, von der also in dieser Weise gilt: forma dat esse. Sie gibt Sein, indem sie Selbst-Beziehung gibt, und diese gibt sie darin, daß sie überhaupt Bestimmung und auch Einheit gibt. Alles Seiende ist durch das Eine (Einende) ein Seiendes, durch die „ursprüngliche Synthesis". Die Form läßt das Bestimmte sein, sie ist nicht nur setzende, sondern auch bestimmende Re¬ flexion, wie mit dem früher eingeführten Unterschied gesagt werden kann. „Sie bestimmt also nicht das Wesen, als ob sie wahrhaft vorausgesetzt, ge¬ trennt vom Wesen sei, denn so ist sie die unwesentliche, rastlos zugrunde gehende Reflexionsbestimmung; hiemit ist sie so selbst vielmehr der Grund ihres Aufhebens oder die identische Beziehung ihrer Bestimmung.'' Die Form kann nicht getrennt vom Wesen sein, denn das hieße, daß ihr das Moment der Unmittelbarkeit, der Identität, des Bestehens fehlte. Das durch die Form Bestimmte, die Momente hätten kein Bestehen (wie es in der reinen Re¬ flexion von Hegel dargestellt worden ist) und gingen darum „rastlos zugrunde". Der Bewegung der Form fehlte das Moment der Ruhe, das Bleiben, welches zum

153 Sich-Gleichbleiben gehört. Ebenso gibt es in dieser reinen Bewegung kein Sub¬ strat der Bewegung. In ihrer Wahrheit, d. h. in ihrer Untrennbarkeit ist die Form selbst der Grund ihres Aufhebens, es ist ihre eigene Bewegung, sich selbst aufzuheben, — die in dem „Un-" der Unmittelbarkeit steckende Negation ist wie alle Negation das Werk dieser absoluten Negativität. Das Aufgehobensein der Form ist die iden¬ tische Beziehung der Formbestimmung (das eine Bestehen beider Momente), und die Form ist selbst der Grund dieser Identität. Insofern wird das Wesen selbst Moment der Formvermittlung, es ist selbst nur ein Gesetztes. Wir sehen, wie ständig die Vorherrschaft der Form über das ihr Andere sich zeigt. Dies Andere ist zwar Nicht-Form, aber in dieser Negativität dennoch wie¬ der nur Moment der Form selbst. Die absolute Negativität ist das Absolute schlechthin. Auf diese absolut gewordene Vorherrschaft der Form machen wir immer wieder aufmerksam, weil wir darin das Bedeutsamste der Hegelschen Logik zu erblicken glauben. „Die Form bestimmt das Wesen, heißt also, die Form in ihrem Unterscheiden hebt dies Unterscheiden selbst auf und ist die Identität mit sich, welche das Wesen als das Bestehen der Bestimmung ist; sie ist der Widerspruch, in ihrem Cesetztsein aufgehoben zu sein und an diesem Aufgehobensein das Bestehen zu haben, — somit der Grund als das im Bestimmt- oder Negiertsein mit sich identische Wesen." Das Bestimmen ist die eigentliche Tätigkeit der Form, und diese Tätigkeit ist wesentlich ein Unterscheiden. Aber dieses Hervorbringen von Unterschied ist in der Form nicht zu trennen vom Hervorbringen von Identität. So ist die Identi¬ tät immer beides zugleich: Moment der Form und das Bestehen als die auf¬ gehobene Form, die ausgehobene Negativität. Das reine Sein, die absolute Posi¬ tion ist nicht weiter bestimmt, sie hat keinen Inhalt oder dergleichen, — aber sie ist identisch mit sich, und die Form, die wir schon ganz zu Beginn als Grund von Identität und Differenz bestimmt hatten, ist so immer schon an dieser absoluten Position. Das Gesetztsein der Form ist ihr Getrenntsein vom Bestehen (dem Wesen), aber dies Gesetztsein, d. h. die Differenz darin ist aufgehoben. So hat die Form an diesem Aufgehobensein, an dieser Unmittelbarkeit und absoluten Position ihr Bestehen, und als Identisches hat sie dies Bestehen dennoch nur aus sich und ihrer Bewegung, dem Aufheben des Unterschiedes. Das dialektische Verhältnis gründet also, wie man sieht, in der doppelten Funktion der Identität, die einmal gleichsam „Seins-Identität", einmal „FormIdentität" ist, aber dennoch dies beides nicht als zweierlei, sondern als eines und dasselbe. Die Seins-Identität ist die aufgehobene Form und dennoch nur die in der Form als dem Grunde aller Identität gegründete Identität. Ebenso ist auch die Seins-Identität, die absolute Position Beziehung auf sich, so in sich selbst Reflexion, Unterschied und Form. Dieses absolute Verhältnis wird als Grund gedacht, weil, wie wir früher ge¬ sehen haben, der Grund reale Reflexion ist, d. h. eben dieses Moment der aufgehobenen Reflexion in sich enthält und so das im Bestimmt- oder Negiert-

154 sein (also in der Unmittelbarkeit) mit sich identische Wesen ist,

die Vermitt¬

lung, die die Nicht-Vermittlung als unterschiedenes und selbständiges Moment in sich hat. „Diese Unterschiede, der Form und des Wesens, sind daher nur Momente der einfachen Formbeziehung selbst." In diesen Satz mündet die ganze lange Erörterung, und er ist nichts anderes, als die endgültige Herausstellung der absoluten Macht der Form, die das schein¬ bar ihr Andere vollkommen in sich behält, selbst der Grund ist, der sich in der Aufhebung seiner selbst zu diesem Anderen bestimmt und dies als sein Eigenes, sein Moment hat. Dieser letzte Satz der Erörterung des Verhältnisses von Form und Wesen sagt so in der Tat auch das Letzte, das Entscheidende und Eigent¬ liche. Wie der Gott (schon lange als reine Form begriffen) am Ende der Logik als — reine Methode erscheint, so hier als Moment der Form das Wesen, von dem eher erwartet würde, daß es, wenn alles „Äußerliche" und „bloße Formale" abgestreift wird, sich als Inneres und Eigentliches, als Gehalt und realer Kern der Sache enthüllt. Aber das Wesen geht auf in der Bewegung der Form, — nicht der Kern, sondern die Beziehung, nicht der Gehalt, sondern die Form, nicht das Unmittelbare, sondern die Negativität, nicht das Feste, sondern die Bewegung treten hervor, das scheinbar Äußerliche erweist sich, das Innere zu sein, und nicht die Energie setzt die Materie, sondern die Materie die Energie voraus. Unter die Herrschaft der Form zu treten ist das Gesetz, welches in der Meta¬ physik und Logik gilt, und nichts ist, was sich diesem Gesetz zu entziehen ver¬ möchte. Die letzten Zeilen des Abschnittes nach diesem das „Wesen" enthüllenden Abschluß bereiten den Übergang in das folgende, in die Betrachtung von „Form und Materie" vor: „Aber sie sind näher zu betrachten und festzuhalten. Die bestimmende Form bezieht sich auf sich als aufgehobenes Gesetztsein, sie bezieht sich damit auf ihre Identität als auf ein Andres. Sie setzt sich als aufgehoben; sie setzt damit ihre Identität voraus; das Wesen ist nach diesem Momente das Unbestimmte, dem die Form ein Anderes ist. So ist es nicht das Wesen, das die absolute Reflexion an ihm selbst ist, sondern bestimmt als die formlose Identität; es ist die Mate¬ rie." Der Unterschied von Form und Materie soll im folgenden Kapitel eingehend behandelt werden, an dieser Stelle soll nicht mehr viel gesagt werden. Wir wollen nur soviel aus diesem Satz noch mitnehmen, daß nun der Unterschied zwischen der Vermittlung und dem Unmittelbaren offenbar fixiert werden soll. Form und Wesen sind zwar unterschieden, — aber dennoch sind sie nur anein¬ ander und durcheinander, hier ist keine wirkliche Trennung. Form und Materie dagegen sind wirklich jedes etwas Anderes, sie sind auseinandergebracht. Das Unbestimmte in dieser fixierten und realisierten Trennung von der Form ist die Materie. Das Wesen kann von der Form nicht los, die Materie i s t von ihr los (freilich, wie die Dialektik des folgenden Abschnittes zeigen wird, nur scheinbar;

155 auch an der Materie hört die Herrschaft der Form nicht auf, auch sie ist an sich unterworfen und wird sich als das Unterworfene auch zeigen). Ehe wir auf diesen Unterschied weiter eingehen, wollen wir noch einmal auf unseren Abschnitt zurückblicken. Erinnern wir uns noch einmal an Schellings Identitätsphilosophie. Zunächst sehen wir, daß von den dort wesentlichen drei Begriffen bei Hegel sich nur noch zwei wiederfinden. Das Sein ist herausgefallen, bzw. hat seine Rolle, das Unmittelbare zu sein, vorübergehend an das Wesen abgetreten. Das Wesen hat überhaupt nur in dieser Gegenüberstellung gegen die Form die Bedeutung des Unmittelbaren, sonst überall in der Hegelschen Logik ist es selbst die Reflexivität oder das sich bewegende Negative. Bei Schelling haben wir drei Begriffe, weil die Einheit, die das Absolute ist, in Einheiten auseinandertritt, die wieder dieselben Momente enthalten, als Ganzes aber unter dem Vorzeichen eines von ihnen stehen. Bei Hegel ist das den Unterschied Hervorbringende, das Unterscheidende selbst das eine Moment der „absoluten Wechselbeziehung", das andere ist das Aufheben dieses Unter¬ scheidens, die Identität in der doppelten Funktion als Moment der Form und als Bestehen der Form. Dies sind also nur zwei Momente. Der Unterschied erklärt sich daraus, daß von Hegel letzter Ernst gemacht wird mit dem Versuch, die Form als Grund aller Synthesis und aller Differenz zu begreifen, während Schelling die Form sehr viel äußerlicher auffaßt und ihr Unterschiede unabhängig von ihr selbst und außer ihr voraussetzt. Obwohl also Schelling immer wieder erklärt, im Ansich gebe es keinen Unterschied, so nimmt doch eigentlich gerade er einen „Unterschied an sich", einen der Form voraus¬ gesetzten Unterschied an. Darum kann auch bei Schelling die Vorherrschaft der Form nicht in dieser unerbittlichen Kraft und Schärfe hervortreten, — von einer „absoluten Macht des Negativen" kann in dem Bereich der Identitätsphilosophie keine Rede sein. Dies wird ohne Zweifel für jeden der augenfälligste Unter¬ schied zwischen der Schellingschen Identitätsphilosophie und der Hegelschen Metaphysik sein. Ebenso kann man nicht leugnen, daß für die Lösung des eigent¬ lich metaphysischen Problems — die Lösung der eleatischen Frage nach der Mög¬ lichkeit von Differenz — das Hegelsche Denken mehr einbringt, eben deswegen, weil es sich der Macht des Negativen so rückhaltlos ausliefert. Bei Schelling erweist sich, daß man keine „Identität an sich" festhalten kann, ohne auch (wider Willen) einen „Unterschied an sich" festzuhalten. Schelling will zwar keine andere Differenz als eine „differentia formalis" statuieren, — dies ist das Postulat des Idealismus. Eben dies würde heißen, die absolute Macht der Form zu offen¬ baren. Aber die Energie des Negativen, die dies vollbringen könnte, wird nicht tätig in der Entwicklung der Schellingschen Potenzendialektik. Auch die Re¬ flexion der Identität im Selbsterkennen des Absoluten, die Verwandlung der Identität in eine Identität der Identität bleibt aus diesem Grunde unklar hin¬ sichtlich des Momentes der Differenz in dieser Reflexivität. Denn eine Identität der Identität ist gewiß nicht ohne Differenz, und ob diese Differenz eine „diffe¬ rentia formalis" im Sinne des Schellingschen Systems sein kann, bleibt zumin-

156 dest fraglich. Freilich sieht man, daß auch hier — wie in der Hegelschen Logik — gerade das Moment der Identität die Vermittlung von Form und Wesen bewerk¬ stelligt. Die Form hat an ihrer Identität — nach Hegel — das Wesen, wie das Wesen in seiner Identität als Identität — nach Schelling — auch Form hat. Aber bei Schelling ist diese Identität das Absolute, es trägt Alles und ist die Grundlage von Allem, — bei Hegel ist sie ein Moment, ohne das die Reflexion der Form nicht vollendet werden kann, und das eben darin seine höchste Bedeutung hat, die Vollendung des Anderen, der Form herbeizubringen. Schelling ist noch Platoniker darin, da ihm das Eine das Gute ist. Für Hegel ist die Differenz als das Tätige und Freie, als die subjektive Negativität das Höchste, das Absolute geworden. Im Anfang ist nicht mehr das Gute, sondern das Freie. Wie weit Schelling in der Ausschaltung der Differenz aus dem Abso¬ luten geht, wie grundsätzlich er also noch in der platonisch-plotinischen Tradi¬ tion (statt in der des neuzeitlichen, differenz-orientierten Idealismus) steht, möge noch das folgende aus den „Ferneren Darstellungen aus dem System der Philo¬ sophie" beweisen. Dort heißt es einmal: „Mithin folgt in Ansehung des Absolu¬ ten unmittelbar daraus, daß es absolut ist, auch die absolute Ausschließung aller Differenz aus seinem Wesen" (SW IV,375). Aber nicht nur hinsichtlich des Wesens, sondern sogar hinsichtlich der Form, die doch für Hegel eigentlich nichts weiter als die Differenz selbst ist, soll gelten: „Die absolute oder ewige Form ist wie das Absolute selbst absolute Identität, schlechthin einfach, lauter und ohne Entzweiung" (SW IV,378). Dies ist reinster Plotinismus. Wenn Schelling dennoch auch dem modernen Idealismus seinen Tribut zollen will — und daß er es will, zeigt sich, wenn es heißt: „Was wir hier als notwendige, ewige und erste Form, als absolutes Erkennen ausdrücken, ist dasselbe, was im Idealismus als absolutes Ich bezeichnet worden ist. Dem Idealismus der Wissen¬ schaftslehre fehlt es allein an der Reflexion auf die Einheit dieser Form mit dem Absoluten selbst (dem Wesen nach), . .

(SW IV,377) — dann zeigt sich die

Inkonsequenz dieser plotinisch-fichteschen Mischung. Plotin war darin sehr viel konsequenter, daß er seiner absoluten Identität auch kein Selbsterkennen mehr zuschrieb, man vergleiche die Schrift „Was jenseits des Seienden liegt, denkt nicht" (Enn. V,6). Schelling gibt eine Philosophie der absoluten Identität, Hegel eine solche der absoluten Negativität. Neben diesem fundamentalen Unterschied sind alle an¬ deren Unterschiede nur beiläufiger Natur. Zumeist — wie bei der Theorie der „quantitativen Differenz" — haben sie auch dieselben Gründe und dieselbe Be¬ deutung: die mangelnde Schärfe der Differenz, des Negativen. Hegel urteilt dar¬ über: „Die quantitative Verschiedenheit ist nicht wahrhafter Unterschied; das Verhältnis ist ganz äußerlich" (JA 19,668). Eben dies aber, den wahrhaften Unterschied, oder den Unterschied wahrhaft zu begreifen, wäre die Sache des philosophischen Denkens. Hegel hat also den Gegensatz „Form — Wesen" von Schelling übernommen, daraus aber etwas letztlich ganz Neues gemacht, etwas, von dem sich bei Schel¬ ling noch nichts findet. Hegel denkt die absolute Macht des Negativen, er hat

157 überhaupt das Subjektive als absolute Negativität, als Bewegung des Nichts zu Nichts begriffen. Die Herrschaft der Form ist zugleich die Herrschaft des Nega¬ tiven, wie sie der Ausdruck von der „absoluten Macht" bezeugt. Aus ihr stammt der unerhörte Ernst des Hegelschen Denkens, — ein Ernst, der der Ernst des Begriffs ist.

b. Form und Materie

In diesem Abschnitt wird dasselbe dialektische Verhältnis dargestellt, das uns bis jetzt beschäftigt hat. Auf der einen Seite steht das Unmittelbare und mit sich Identische, welches das Bestehen der Form ist, auf der anderen die Form als das Bestimmende, als die Negativität, als der Grund aller Einheit und Diffe¬ renz. Beide Seiten werden wechselseitig in ihrer Selbständigkeit und Unselb¬ ständigkeit gegeneinander, als

sich voraussetzend, sich bedingend und sich

hervorbringend aufgewiesen. So werden wir zu der Unmöglichkeit jeder Tren¬ nung dieser Seiten, zu ihrer dialektischen Einheit hingeführt. Der Gegensatz von Form und Materie ist in der Geschichte der abendländi¬ schen Metaphysik, d. h. des Denkens des Form-Grundes von größter Bedeutung gewesen. Er geht zurück auf die Metaphysik des Aristoteles, jedoch nicht ohne daß in der Geschichte der Philosophie vor Aristoteles schon Bewegungen sicht¬ bar würden, die die Aristotelische Unterscheidung von eiöog und vXr] vorberei¬ ten. Seit Aristoteles aber findet sich diese Unterscheidung in allem metaphysi¬ schen Denken, und noch Kant urteilt, daß diese beiden Begriffe „aller anderen Reflexion zum Grunde gelegt werden, so sehr sind sie mit jedem Gebrauch des Verstandes unzertrennlich verbunden" (KdrV B 322). Die Tradition dieses Begriffspaares steht vor Hegel, wenn er selbst es unternimmt, die Bedeutung und das Verhältnis von Form und Materie zu entwickeln. Auch wir müßten sie vor Augen haben, jedoch kann in diesem Zusammenhang naturgemäß nur an weniges erinnert werden. Dabei sollen Aristoteles als der eigentliche „Vater" dieses Paares und Hegels Aristoteles-Auslegung vornehmlich interessieren. Doch beginnen wir erst einmal bei dem Text der Logik. „Das Wesen wird zur Materie, indem seine Reflexion sich bestimmt, zu demselben als zu dem formlosen Unbestimmten sich zu verhalten. Die Materie ist also die einfache unterschiedslose Identität, welche das Wesen ist, mit der Bestimmung, das Andere der Form zu sein. Sie ist daher die eigentliche Grund¬ lage oder Substrat der Form, weil sie die Reflexion in sich der Formbestimmun¬ gen oder das Selbständige ausmacht, auf das sie sich als auf ihr positives Be¬ stehen beziehen." Wir sehen, daß die beiden Seiten dieselben sind wie bisher: die eine das formlose Unbestimmte, die einfache unterschiedslose Identität, die Grundlage und das Substrat als Reflexion in sich, das Selbständige und das positive Be¬ stehen, — die andere dagegen die Reflexion und die Formbestimmungen. Der

158 Ausdruck „Reflexion" kommt auf beiden Seiten vor, weil Hegel, wie aus dem Bisherigen genug bekannt ist, auch die einfache Identität mit sich als Reflexion in sich bezeichnet. Die eigentliche Reflexion aber, die sich zu dem formlosen Unbestimmten verhält, ist das Negative, Vermittelnde und Bestimmende. Die Verwandlung gegenüber dem Verhältnis von Form und Wesen besteht darin, daß nun der Unterschied beider Seiten bestimmter, fixierter ist, daß er als Unterschied ausdrücklich gesetzt ist. Die beiden Wendungen „die Reflexion bestimmt sich, sich zu dem formlosen Unbestimmten zu verhalten" und „die Materie ist also die einfache unterschiedslose Identität, mit mung,

der Bestim¬

das Andere der Form zu sein" machen dies deutlich. Bei Form und

Wesen dagegen war die Einheit, die untrennbare Bezogenheit beider Seiten das Entscheidende. Wenn wir uns nach den Gründen für diesen Unterschied zwischen den beiden Verhältnissen fragen, so werden wir an die historischen Vorbilder verwiesen. Das Paar „Form und Wesen" stammt aus der Identitätsphilosophie, wo die voll¬ kommene Einheit beider Momente im Absoluten, aber auch ihre relative Einheit (die „quantitative Indifferenz") in jedem einzelnen die Hauptgedanken des gan¬ zen Systems waren. Ist aber nun — wie diese Einheit — auch die stärkere Trennung von Form und Materie geschichtlich zu begründen? Hat man in der Tradition der Metaphysik Form und Materie für etwas derart voneinander zu Sonderndes gehalten? Nun, diese Frage kann hier nicht eingehend erörtert werden. Doch lassen manche be¬ kannten Beispiele oder Vergleiche — etwa von dem „Wachs" und der einzu¬ drückenden oder eingedrückten Gestalt — wohl keinen Zweifel, daß Hegel be¬ rechtigt war. Form und Materie zunächst einmal in dem Sinn einer solchen Tren¬ nung zu nehmen. Denn wie immer auch das Verhältnis sein möge, — das Wachs und die ihm eingedrückte Gestalt haben in jedem Falle weniger eng miteinander zu tun als Form und Wesen in einer Schellingschen „Potenz". Damit soll natür¬ lich nicht gesagt sein, daß man in der Geschichte der Metaphysik über das Ver¬ hältnis von Form und Materie nicht mehr zu sagen gewußt hätte, als in solchen Beispielen zum Ausdruck kommt. Es geht nur darum, vorerst einmal Hegels Sprachgebrauch mit demjenigen, was aus der Geschichte der Metaphysik bekannt ist, in Einklang zu bringen. „Wenn von allen Bestimmungen, aller Form eines Etwas abstrahiert wird, so bleibt die unbestimmte Materie übrig. Die Materie ist ein schlechthin Abstraktes. ( —

Man kann die Materie nicht sehen, fühlen usf.



was man sieht, fühlt, ist

eine bestimmte Materie, d. h. eine Einheit der Materie und der Form.) Diese Abstraktion, aus der die Materie hervorgeht, ist aber nicht nur ein äußerliches Wegnehmen und Aufheben der Form, sondern die Form reduziert sich durch sich selbst, wie sich ergeben hat, zu dieser einfachen Identität.” Hegel beschreibt die Entstehung dieser abstrakten Materie ganz ähnlich, wie dies Aristoteles einmal tut (Met 1019allff). Auch bei Aristoteles findet man dieses „Wegnehmen" erst aller Akzidenzen, dann der substantiellen Form selbst, so daß das vollkommen Unbestimmte als Materie übrig bleibt („Aeyco ö’ vXtjv r\

159 avxr]v |xr)xe xi (.u)xe jtooov (irjte akko |a.r|5ev Xzyexui oig ojqiöxcu xo öv." Met 1029a20). xaö

Alles Bestimmte gehört der Form an, so haben wir gehört, — wenn ich also die Form wegnehme, so nehme ich alle Bestimmtheit hinweg. Für Hegel bleibt dies aber nicht nur ein „äußerliches Wegnehmen". Denn dieser Prozeß, aus dem die Materie resultiert, ist zu verstehen als ein Aufheben des Unterscheidens, denn der Unterschied ist das Bestimmende, das öpl^eiv, welches dem Etwas zukommt. Die Form selbst ist dieses Unterscheiden, und sie hebt, wie wir früher hörten, „in ihrem Unterscheiden dies Unterscheiden selbst auf", ihre Bewegung ist zumal ein Hervorbringen und ein Vernichten von Unterschied. Als dieses Vernichten von Unterschied „reduziert sich die Form durch sich selbst zu dieser einfachen Identität" — so bestimmt sich die Reflexion, sich zu dem formlo¬ sen Unbestimmten zu verhalten. Die Bewegung, aus der diese einfache Identität herkommt, stammt nicht sonst irgendwoher, sondern aus der Tätigkeit der Form, weil diese das Moment des Vernichtens von Bestimmtheit und Unterschied als „hervorbringend-vernichtender Grund" selbst in sich enthält. „Ferner setzt die Form eine Materie voraus, auf welche sich sich bezieht. Aber darum finden sich beide nicht äußerlich und zufällig einander gegenüber; weder die Materie noch die Form ist aus sich selbst, oder in anderer Sprache ewig. Die Materie ist das gegen die Form Gleichgültige, aber diese Gleichgültigkeit ist die Bestimmtheit der Identität mit sich, in welche als in ihre Grundlage die Form zurückgeht. Die Form setzt die Materie voraus, eben darin, daß sie sich als Aufgehobenes setzt, somit sich auf diese ihre Identität als auf ein Anderes bezieht." Alles Setzen ist Reflexion, Formbeziehung. Aber das Voraussetzen, die vor¬ aussetzende Reflexion ist eine besondere Formbeziehung, die von einem Andern anfängt und an diesem als an einem Unmittelbaren eine Voraussetzung hat. So hieß es früher: „Die äußerliche Reflexion — (die dasselbe ist wie das Voraus¬ setzen) — setzt also ein Sein voraus, erstens nicht in dem Sinne, daß seine Un¬ mittelbarkeit nur Gesetztsein oder Moment ist, sondern vielmehr, daß diese Unmittelbarkeit die Beziehung auf sich, und die Bestimmtheit nur als Moment ist. Sie bezieht sich auf ihre Voraussetzung so, daß diese das Negative der Re¬ flexion ist, aber so, daß dieses Negative als Negatives aufgehoben ist." (L 11,17). Dasselbe Verhältnis wiederholt sich nun mit Form und Materie. Die Materie ist das Sein als Beziehung auf sich, — die Form die Bestimmtheit, die nur Mo¬ ment ist, und die Form setzt die Materie voraus als das Andere,

an

dem

sie ist. Aber in diesem Voraussetzen sind weder die Form noch die Materie aus sich selbst, ihre Beziehung zueinander tritt nicht erst zu dem bereits Fertigen hinzu. Sie finden sich, wie es heißt, nicht einander gegenüber. Man findet etwas, was schon da ist und was man nicht mehr zu machen braucht. Außerdem aber hat „finden" hier noch den Ton von „zufällig, ungesucht finden" (lateinisch „invenire"). Dieses Finden bleibt ebenfalls in äußerlicher und passiver Beziehung

160 zu dem Gefundenen, — anders als wenn etwa die gesuchte Lösung eines Pro¬ blems gefunden wird. Die der Beziehung aufeinander vorausgehende Selbständigkeit nennt Hegel hier bewußt metaphorisch „Ewigkeit", — nach dem alten Gedanken, daß das¬ jenige, was nichts anderes zu seiner Existenz nötig hat, auch durch nichts anderes zerstört werden kann, und also, da es auch nicht von sich selbst zerstört werden kann, ewig ist. So ist die Gleichgültigkeit der Materie gegen die Form (des Wachses gegen die Gestalt) eine letztlich nur scheinbare, denn sie selbst ist die Bestimmtheit der Identität mit sich, also wie alle Bestimmtheit Beziehung auf Form. Die Form selbst geht im Aufheben ihres Unterscheidens in diese Identität zurück. Zurück¬ gehen ist (wie früher) Herstellen von Einheit. Das Bestehen als reine Identität mit sich ist die aufgehobene Form (wie das Sein das aufgehobene Nichts), ihr Anderes, die Materie. Die Form setzt sie voraus, denn Formbestimmungen kön¬ nen nur an einer Materie existieren, „bestehen", und setzt sie zugleich, als Grund von Identität, von Aufhebung von Differenz. Die Form gibt der Materie das Sein, gerade indem sie es von ihr empfängt. Diese Aufhebung ihrer Gleich¬ gültigkeit, d. h. die Wesentlichkeit der Beziehung wird nun in den folgenden Abschnitten von Hegel von den verschiedensten Seiten aus dargestellt. „Umgekehrt ist die Form von der Materie vorausgesetzt; denn diese ist nicht das einfache Wesen, das unmittelbar selbst die absolute Reflexion ist, sondern dasselbe bestimmt als das Positive, nämlich das nur ist als aufgehobene Nega¬ tion/' Die Materie ist die einfache unterschiedslose Identität, mit der

Bestim¬

mung, das andere der Form zu sein. Darin aber, daß die Materie nur ist, indem sie in dieser Bestimmung ist, setzt sie selbst auch die Form voraus. Materie ist nur im Gegensatz gegen die Form, d. h. sie ist überhaupt nicht, wenn nicht die Form ist. Also setzt sie diese voraus. An der angeführten Stelle heißt es mit dem gleichen Sinn, die Materie ist bestimmt als das Positive, und das Posi¬ tive ist nur als aufgehobene Negation, d. h. nicht ohne diese aufhebende Bezie¬ hung auf die Negation. Das Positive (Seiende) ist nicht, wenn nicht die Negation, die Bestimmung aufgehoben wird, und setzt diese darin voraus. Das Wesen war unmittelbar selbst seine absolute Reflexion, d. h. eine solche Trennung wie die von Materie und Form war bei ihm nicht, es war in reiner „Schellingscher" Einheit mit seiner Form, und darum war auch kein gegenseitiges Voraussetzen. Form und Materie sind getrennt voneinander, aber eben wegen dieser Trennung setzt das eine auch das andere voraus. „Aber von der anderen Seite, weil die Form sich nur als Materie setzt, inso¬ fern sie sich selbst aufhebt, somit dieselbe voraussetzt, ist die Materie auch bestimmt als grundloses Bestehen." Die Materie ist durch die Form gesetzt, insofern sie aus der negierenden Be¬ wegung resultiert. Die Identität, die die Materie ist, ist die Identität der Form selbst, die aus dem Aufheben des Unterscheidens entsteht. Die Materie ist als aufgehobene Form selbst durch die Form gesetzt.

161 Aber die Form setzt die Materie nur, insofern sie sich selbst aufhebt, d. h. insofern sie die äußere oder voraussetzende Reflexion ist, die bei den Unmittel¬ baren anfängt. Somit ist die Materie ein grundloses Bestehen, es gibt keinen von ihr verschiedenen Grund für sie. Denn der Grund ist, wie wir wissen, hier nicht nur eine Form, sondern die Form. Der absolute Grund selbst also setzt die Materie voraus, und diese hat somit keinen Grund (was heißt, die Form ist nicht Grund der Materie). Die Form als an der Materie bestehend ist das Ab¬ hängige, Fremdständige, Nichtige. „Ebenso ist die Materie nicht bestimmt als der Grund der Form; sondern, in¬ dem die Materie sich setzt als die abstrakte Identität der aufgehobenen Form¬ bestimmung, ist sie nicht die Identität als Grund, und die Form insofern gegen sie grundlos. Form und Materie sind somit bestimmt, die eine wie die andere, nicht gesetzt durcheinander, nicht Grund voneinander zu sein." Die Materie ist darum nicht Grund der Form, weil sie die vollkommen un¬ bestimmte, d. h. abstrakte Identität ist, und als solche gar kein Grund, d. h. Grund von nichts sein kann. Denn der Grund ist zwar auch eine Identität, etwas mit sich Identisches, — aber nicht diese unterschiedslose Identität, sondern das¬ jenige, was wir als reale, d. h. unterschiedshaltige Reflexion kennengelernt haben. Als das vollkommen Unbestimmte schließt die Materie also auch die Bestimmung, Grund der Form sein zu können, von sich aus, denn dann müßte sie selbst unterschiedshaltig, d. h. nicht mehr diese reine Materie sein, — nicht mehr sein, was sie ist. So sind also beide. Form und Materie, nicht Grund von¬ einander. „Die Materie ist vielmehr die Identität des Grundes und des Begründeten, als Grundlage, welche dieser Formbeziehung ge genüb er steht. Diese ihre ge¬ meinschaftliche Bestimmung der Gleichgültigkeit ist die Bestimmung der Materie als solcher und macht auch die Beziehung beider aufeinander aus. Ebenso die Bestimmung der Form, die Beziehung als Unterschiedener zu sein, ist auch das andere Moment des Verhaltens beider zueinander." Die Materie wird als Grundlage und als Identität von Grund und Begründe¬ tem (nicht als deren Synthesis, sondern als die Aufhebung dieses Form Unter¬ schiedes) dargestellt. Hier zeigt sich noch einmal sehr deutlich die Verwandt¬ schaft dieser Materie mit dem, was vorhin das Wesen war. Beim Wesen haben wir ja diese Identität als Grundlage bereits kennengelernt. Da an dieser Stelle derselbe Gedanke nur wiederholt und dabei noch nicht einmal näher ausgeführt wird, brauchen wir dem auch nichts hinzuzufügen. Es sei hier auch nur beiläufig angemerkt, daß die Kategorie „Grundlage" nun eine Aristotelische Färbung be¬ kommt. Von Aristoteles war die Materie als un:oxel|.ievov bestimmt worden,, und dessen hat man sich zu erinnern, wenn sie nun von Hegel, wie vorhin das Wesen, als Grundlage bestimmt wird. Nur ein Zeugnis hierfür sei angeführt. Es heißt in Hegels Aristoteles-Darstellung: „Die Materie ist das tote Substrat, das Subjekt, die Grundlage, an der die Veränderung vorgeht, die Materie leidet Veränderungen" (JA 18,324). Hier wird sichtbar, wie auch der Begriff „Grund¬ lage" Aristotelisch beeinflußt ist. „Subjekt" hat an dieser Stelle allerdings einen

162 anderen Sinn als gewöhnlich, denn sonst ist es das Tätige, das Negative und die Form, — also das der Grundlage Entgegengesetzte. Grund und Begründetes haben als Grundlage die gemeinschaftliche Bestim¬ mung der Gleichgültigkeit, denn so sind sie das Unbestimmte, das gleichgültig gegen seine Bestimmungen ist. Die Grundlage verhält sich gleichgültig gegen das, was an ihr vorgeht. Auch dies war schon beim Wesen gesagt worden. Diese Gleichgültigkeit ist nun die Bestimmung der unbestimmten Materie als solcher, und zugleich ein Moment des Verhaltens von Form und Materie gegeneinander, indem nämlich beide

nicht

durcheinander gesetzt sind, nicht Grund von¬

einander sind. Die Bestimmung der Form ist, „Beziehung als Unterschiedener7' zu sein, d. h. nur, Synthesis zu sein, — jedoch keine solche Synthesis, der der Unterschied äußerlich vorgegeben wäre, sondern „immanente Synthesis", selbst unterschied¬ erzeugende Synthesis. Diese Bestimmung der Form ist nun „das andere Moment des Verhaltens beider zueinander". Das Verhalten beider. Form und Materie zueinander war bisher die Gleichgültigkeit. Die Bestimmung der Form, Beziehung Unterschiede¬ ner zu sein, ist aber selbst die Aufhebung dieser Gleichgültigkeit, und das Ver¬ halten bekommt dadurch die andere Seite der wesentlichen Beziehung.

Weil

es also das Wesen der Form ist, Beziehung zu stiften, darum kann sie sich zu dem ihr Anderen nicht so beziehungslos verhalten, sie stiftet auch in diesem für sie selbst wesentlichsten Fall die Beziehung. Die Materie als solche hat die Bestimmung der Gleichgültigkeit, die Form als solche die Bestimmung, Beziehung zu sein, — und Gleichgültigkeit und Be¬ ziehung sind auch die beiden Momente des Verhaltens von Form und Materie zueinander. Dabei hat man sich Gleichgültigkeit und Beziehung als einander dialektisch negierend zu denken. „Die Materie, das als gleichgültig Bestimmte, ist das Passive gegen die Form als Tätiges." Auch diesen Unterschied kennen wir bereits von dem Gegensatz von Form und Wesen her, denn dort war ebenfalls das Wesen als „untätige Grundlage", die Form als das Setzende und Bestimmende bestimmt worden. Es sei nun aber noch einmal an Aristoteles erinnert, denn bei ihm finden sich ähnliche Ge¬ danken. Eine eingehende Erörterung des Aristotelischen Materie-Begriffes, und insbesondere seines Zusammenhanges mit dem Begriff der Bewegung, ist an diesem Ort nicht möglich. Wir müssen wieder auf den „Aristoteles" von W. Bröcker verweisen (man vergleiche vor allem S. 73ff). Wir wollen uns auf eine Metaphysik-Stelle beschränken, die Hegel selbst ausgelegt hat. Sie findet sich Met. A, cap. 6. Es geht dort um die ewige, absolute Substanz, um das Göttliche. Hegel zitiert 107lbl9f und fügt dazwischen seine Erläuterungen ein. Es heißt: „ ,Es muß also ein Prinzip geben, dessen Substanz als Tätigkeit (Bewegung) gefaßt werden muß7, Wirksamkeit gehört ihr selbst an; so ist beim Geist die Energie die Substanz selber. ,Diese Substanz ist ferner ohne Materie7; denn die Materie ist als solche gesetzt als das Passive, woran die Veränderung vor-

163 geht, das daher nicht unmittelbar (schlechthin) Eins ist mit der reinen wesent¬ lichen Tätigkeit . . . die Materie ist jenes Moment des unbewegten Wesens . . . ,Es ist daher nicht zu sagen, wie die Theologen sagen, daß zuerst in unendlicher Zeit ein Chaos' (Kronos) ,oder die Nacht' — die Materie das erste Seiende — ,war, oder wie die Physiker, daß Alles zumal. Denn wie könnte Etwas sein, wenn Nichts der Wirklichkeit nach Ursache wäre? Denn die Materie bewegt nicht sich selber, sondern der Werkmeister'" (JA 18, 327). Der Schluß des AristotelesZitates sei noch einmal in genauerer Form in der Übersetzung Bassenges ge¬ geben: „Denn wie sollte es zu einer Bewegung kommen, wenn es keine Ursache gäbe, die der Verwirklichung nach besteht? Der Stoff, der zum Bauen dient, bringt sich nicht von selbst in Bewegung; die Baukunst muß ihn bewegen. Eben¬ so wenig bringt sich das Monatsblut oder die Erde von selbst in Bewegung; Samen und Saatkorn müssen sie bewegen". Aristoteles zeigt in diesem sechsten Kapitel von Metaphysik A, daß die Bewegung (x[vr)cug) ewig ist, daß aber ewige Bewegung nur möglich ist, wenn sie aus einer solchen Quelle (apxü) kommt, deren Wesen (oucua) Tätigkeit oder Wirksamkeit (evegyeia) ist. Es geht also um die ewige, immerseiende Herkunft der Bewegung. Diese Quelle der Bewegung aber muß ohne Materie (äveu ukqg) sein. Denn nicht nur ist die Materie nicht selbst Ursprung der Bewegung, wie der Baustoff nicht die Bewegung des Bauens hervorbringt, — es gilt sogar, daß ein Zusatz von Materie zu dem Urgrund der Bewegung diesen als solchen aufheben würde. Die Materie steht in gewisser Weise dem Grundsein für Bewegung entgegen, denn sie ist Möglichkeit (Siivapig) und wäre demnach immer auch die Möglich¬ keit des Nichtseins der Bewegung oder die Möglichkeit dafür, daß der Grund nicht Grund ist. Diese Möglichkeit aber darf es für den schlechthin letzten und höchsten Grund nicht geben, denn für eine Überführung aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit müßte er dann selbst wieder einen anderen Grund außer sich voraussetzen, und zwar einen wirklichen, wirksamen. Selbst ein Grund also, der zwar tätig („energierend", sagt Hegel), dessen Wesen aber Möglichkeit wäre, würde nicht genügen (107lbl8). Die Materie ist nicht nur untätig, sondern schließt sogar die „reine wesentliche Tätigkeit", als die Gott gedacht werden muß, aus, sie ist schlechthin unverträglich mit ihr. Denselben Gedanken wiederholt Aristoteles, wenn er über die reine, wesent¬ liche Tätigkeit der Vernunft (des voüg) spricht. Er sagt — wir geben die Über¬ setzung Hegels —: „Dieser voüg ist an und für sich (xcopiarog), unvermischt, / und nicht passiv, da er der Substanz nach die Tätigkeit ist. Denn das Tuende ist immer geehrter, als das Leidende, — das Prinzip, als die Materie" (JA 18,388; vgl. De anima 403al7). Der Gegensatz Form — Materie (ei8og — ukr]) setzt sich also fort in den Gegensatz Tätigkeit — Untätigkeit; die Materie ist nie Evegyeia, sondern als öüvapig nur die passive Möglichkeit, zu etwas zu werden: „Die Materie ist nur das, was an sich ist; denn wenn sie alle Formen annehmen kann, so ist sie eben nicht selbst das formierende Prinzip. Dabei hat die wesentlich absolute

164 Substanz Möglichkeit und Wirklichkeit, Form und Materie, nicht voneinander getrennt. Die Materie ist nur eine Möglichkeit, die Form gibt ihr die Wirklichkeit, aber so ist Form nicht ohne Materie oder die Möglichkeit, — die Materie ist ge¬ wöhnlich im gemeinen Leben das Substantielle. Energie ist konkreter Subjektivi¬ tät, Möglichkeit das Objektive; das wahrhaft Objektive hat allerdings auch Tätigkeit in sich, wie das wahrhaft Subjektive auch Suvapig.

(JA 18,32lf).

Wir sehen, wie Hegel im Einzelnen manches umwandelt. So wird z. B. das Aristotelische „ävev üfoig" zu einer untrennbaren Einheit von Form und Materie in der absoluten Substanz, in Gott. Die uXr) ist nur die von der Form getrennte, die „schlechte" Materie, und nur diese verschwindet in Gott. Die „wahre Materie ist nur Moment der reinen Form selbst, die Gott ist. Und für Hegel als neuzeitlichen Idealisten überhöht sich der Gegensatz Tätigkeit — Passivität so¬ gleich in den Gegensatz Subjektivität — Objektivität. Die Materie aber ist immer das Passive, die Form Aufnehmende, das öextixov, — die Form die Evegyeia, die Tätigkeit und die Wirklichkeit als Wirksamkeit. Wir sehen also, wie letzten Endes für Hegel die Vorstellungen, die er selbst in seiner Logik aus¬ einanderlegt, schon Inhalt der Aristotelischen Metaphysik sind. In der absoluten Wissenschaft der Form soll auch das, was Aristoteles über Form und über ihr Gegenüber, die Materie, gedacht hat, als notwendiges Moment der Wahrheit begriffen werden. „Diese ist als das sich auf sich beziehende Negative der Widerspruch in sich selbst, das sich Auflösende, sich von sich Abstoßende und Bestimmende. Sie be¬ zieht sich auf die Materie, und sie ist gesetzt, sich auf dies ihr Bestehen als auf ein Anderes zu beziehen." Daß die Form von Hegel als Hervorbringen von Bestimmung und Unterschied gedacht, und dieser Grund von Differenz auch als Widerspruch, als sich auf¬ lösend, entzweiend, sich von sich abstoßend und ähnlich beschrieben wird, wissen wir. Dies liegt daran, daß die Beziehung auf Identität und auf Differenz eine zugleich selbst- und fremdbezügliche ist. Weil die Form in dieser Tätigkeit auch das vollendete Ganze der Reflexion ist, d. h. nur in der Beziehung auf das Un¬ mittelbare, weil sie als reale Reflexion durch den Weg ins Unmittelbare hindurch und nach der Wiederherstellung des Seins ist, darum bezieht sich die Form auf die unmittelbare Identität, und es ist an ihr durch sie selbst gesetzt, daß sie dies tut. Sie hebt ihr Unterscheiden selbst auf und ist darin die Identität mit sich, welche das Bestehen der Bestimmung ist; — „sie ist der Widerspruch, in ihrem Gesetztsein aufgehoben zu sein und an diesem Aufgehobensein das Bestehen zu haben". Es liegt also im Begriff der Form, daß sie sich auf Materie bezieht, die Bewegung der Form ist nur, indem sie zugleich die Bewegung zur Materie ist, — oder die Bewegung des Unterscheidens ist nur, indem sie auch das Auf¬ heben des Unterscheidens und darum Bewegung an e t w as ist. Die Form ist al¬ so nicht nur an sich auf die Materie bezogen, sondern auch ,,8V£QYe^(?,,/ und diese Wirklichkeit ist ihr eigenes Wirken. Sie stiftet auch diese Beziehung selbst, und ist nur Form, indem sie sie stiftet. „Gesetzt" hat also hier die (in sich ein¬ hellige) Doppelbedeutung von „hervorgebracht, verwirklicht" und von „Moment

165 der Form seiend . Die Differenz, die Fremdheit in der Beziehung auf das Be¬ stehen ist das Hervorgebrachte, was zugleich Moment der Form ist. „Die Materie hingegen ist gesetzt, sich nur auf sich selbst zu beziehen und gleichgültig gegen Anderes zu sein; aber sie bezieht sich an sich auf die Form; denn sie enthält die aufgehobene Negativität und ist nur Materie durch diese Bestimmung. Sie bezieht sich auf sie nur darum als auf ein Anderes, weil die Form nicht an ihr gesetzt, weil sie dieselbe nur an sich ist. Sie enthält die Form in sich verschlossen und ist die absolute Empfänglichkeit für sie, nur darum weil sie dieselbe absolut in ihr hat, weil dies ihre an sich seiende Bestimmung ist." Die Materie als das Unbestimmte bezieht sich nur an sich auf die Form, und nicht, wie umgekehrt die Form auf die Materie, auch gesetzter Weise. Sie bezieht sich überhaupt auf sie, weil sie nur Materie ist als aufgehobene Negativi¬ tät, also nicht ohne das Aufheben (welches selbst eine Negativität ist) noch ohne das Aufheben der

Negativität

(worin sie ebenfalls auf Negativität be¬

zogen ist). Diese Beziehung ist aber nur eine Beziehung

an sich, weil die

Beziehung auf die Form nicht selbst eine Bestimmung der Materie ist, wie die Beziehung auf die Materie eine Bestimmung der Form war. So heißt es, die Materie bezieht sich auf „sie" (womit wieder die Form gemeint sein dürfte) als auf ein Anderes. Die „An-sich-Beziehung" ist also zugleich differente Be¬ ziehung. Die absolute Vermittlung der Form hat das Unmittelbare als Moment in sich, nicht aber die einfache unterschiedslose Unmittelbarkeit den Unterschied und die Vermittlung. Diese An-sich-Beziehung der Materie auf die Form wird nun von Hegel als eine Beziehung der Möglichkeit interpretiert. Die Materie ist in Wirklichkeit, hegyeiq. gar nichts Bestimmtes, — öiwauei aber gerade alles Bestimmte. Oder die Unbestimmtheit der Materie ist derart, daß sie schlechthin keine Bestimmt¬ heit von sich ausschließt, d. h. für keine ungeeignet ist und auch für keine prä¬ destiniert. Sie ist absolut amorph, so daß sie zu dem Produkt aus Materie und Form in keiner Weise irgend welche Bestimmtheit beiträgt. Auch dieser Gedanke stammt aus der antiken Metaphysik. Als beispielsweisen Beleg wollen wir dies¬ mal Platon heranziehen, der im Timaios die Gestaltlosigkeit der xwqö. auf eben dieselbe Weise und mit eben denselben Argumenten auseinanderlegt. Wir zitieren nach der Übersetzung von Susemihl: „Für jetzt also haben wir drei Gattungen in Betracht zu ziehen: Das Werdende, das, worin es wird, und das, dessen nachgebildetes Erzeugnis es ist, und wir dürfen denn auch die aufneh¬ mende Gattung passend mit der Mutter und die erzeugende mit dem Vater, die zwischen beiden stehende aber mit dem Kinde vergleichen, müssen endlich auch bedenken, daß, wenn ein Gepräge alle nur überhaupt möglichen Mannigfaltig¬ keiten zeigen soll, die Masse selbst, in welche es abgedrückt werden soll, nicht wohl auf andere Weise hierzu vorbereitet sein kann, als wenn sie selber keine von allen jenen Gestalten an sich trägt, welche sie irgendwoher aufnehmen soll. Denn wenn sie irgend einem von den Gegenständen ähnlich wäre, welche in sie hineintreten, so dürfte sie beim Herantreten und der Aufnahme von Gegen-

166 ständen, welche von entgegengesetzter oder ganz verschiedenartiger Natur sind, dieselben nur unvollkommen in sich abbilden, indem sie ihr eigenes Bild da¬ neben zeigte. Daher muß denn das, was alle Gattungen in sich aufnehmen soll, selber ohne alle Gestalt sein, . . ." (Timaios 50c7ff). Hegels Bestimmung der „absoluten Empfänglichkeit" kann man geradezu als Übersetzung des platoni¬ schen jtavbexEg (51a7) nehmen. Die Empfänglichkeit der Materie für die Bestimmtheit ist also absolut, weil sie für keine nicht gilt und auch für keine mehr als für eine andere. Und sie gründet in dem, was die letzten Weil-Sätze sagen: weil sie dieselbe absolut in ihr hat, und weil dies ihre an sich seiende Bestimmung ist. Die Aufhebung der ganzen Form ist also die mögliche Beziehung auf die ganze Form, während das selbst schon Bestimmte nicht mehr diese absolute Empfänglichkeit haben könnte, sondern in seiner Vorgeformtheit eingeschränkt wäre. Die Materie ist also wegen ihrer vollkommenen Unbestimmtheit die Möglichkeit für alle Bestim¬ mung, — in dem negativen Sinne, daß sie keine ausschließt, und in dem positiven, daß sie an sich als Aufhebung der Negativität schon immer auf Negativität bezogen ist, daß sie die Form „in sich verschlossen enthält". Diese Verschlossen¬ heit ist das Ansich, das sich in der wirklichen Bestimmung offenbart. „Die Materie muß daher formiert werden und die Form muß sich materialisie¬ ren, sich an der Materie die Identität mit sich oder das Bestehen geben.” Mit diesem Satz soll nun die wechselseitige Beziehung und Untrennbarkeit beider Momente endgültig ausgesprochen werden. Das „müssen" deutet nicht etwa auf die Notwendigkeit eines realen, gar kausalen Prozesses, sondern eben nur darauf, daß die Beziehung aufeinander von den Momenten selbst unmög¬ lich abzusondern ist. Da die Beziehung für die Materie nur eine Ansich- oder eine mögliche Beziehung ist, wird man in dem ersten Fall das „müssen" viel¬ leicht als überraschend empfinden. Aber Hegel denkt eben diese an sich seiende Untrennbarkeit schon als Untrennbarkeit überhaupt. Die absolute Empfäng¬ lichkeit der Materie bedeutet also auch, daß die Materie nie ist, ohne schon „empfangen" zu haben. Die Äußerlichkeit der Beziehung von Form und Materie wird aufgehoben, ihre Trennbarkeit zum bloßen Schein herabgesetzt. — Mit diesem Resultat schließt der erste Teil dieser Darstellung von Form und Materie. Das Folgende wird diese Untrennbarkeit und Einheit, die im „Be¬ stimmen der Materie durch die Form" gelegen ist, im einzelnen entwickeln. „Die Form bestimmt daher die Materie, und die Materie wird von der Form bestimmt. — Weil die Form selbst die absolute Identität mit sich ist, also die Materie in sich enthält, ebenso weil die Materie in ihrer reinen Abstraktion oder absoluten Negativität die Form in ihr selbst hat, so ist die Tätigkeit der Form auf die Materie und das Bestimmtwerden durch jene vielmehr nur das Auf¬ heben des Scheines ihrer Gleichgültigkeit und Unterschiedenheit.” Mit diesen Sätzen wird noch einmal ausdrücklich resümiert, was die voran¬ gehende Vermittlung gezeigt hatte: Form und Materie sind nicht eigentlich trennbar. Die Bestimmung beider

gegeneinander,

die ursprünglich zu

ihrer Definition eingeführt worden war, erweist sich als einseitig, sie muß auf-

167 gehoben werden. Form und Materie sind unterschieden voneinander

nur

in

ihrer Beziehung aufeinander, und diese ihre Beziehung ist das Bestimmen der Form, das Bestimmtwerden der Materie. Für Hegel ist dieses Aufheben der Trennung nun nicht nur eine Tätigkeit eines äußerlichen Denkens, das unzulängliche Voraussetzungen korrigiert, — son¬ dern die Bewegung dieses Aufhebens liegt in der Sache selbst, nämlich darin, daß die Form als Tätigkeit das Hervorbringen von Unterschied ist, daß sie aber nur insofern ein Hervorbringen von Unterschied ist, als sie auch ein Vernichten von Unterschied ist (die negative Tätigkeit ist unterscheidend und gegen den Unterschied gerichtet). Als dieses Aufheben von Unterschied

ist

die Form

schon selbst ihre Beziehung auf Materie, sowohl dadurch, daß auch der Unter¬ schied zwischen Form und Materie selbst in ihr aufgehoben ist (wie aller Unter¬ schied), — als auch dadurch, daß die Materie als das schlechthin Unbestimmte bloße Identität mit sich (gleichsam Un-unterschied, In-differenz) ist. Die „absolute Identität", d. h. die Negation allen Unterschiedes ist selbst Moment der Form, — und die Materie wiederum ist absolute Negativität sowohl wegen ihrer „reinen Abstraktion", d. h. als Negation allen Unterschiedes, wie als ausschließliche Beziehung auf sich selbst. „Diese Beziehung des Bestimmens ist so die Vermittlung jeder der beiden mit sich durch ihr eigenes Nichtsein, — aber diese beiden Vermittlungen sind Eine Bewegung und die Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Identität, — die Er¬ innerung ihrer Entäußerung." Das Nichtsein der Form ist das Aufgehobensein des Unterschiedes, das Nicht¬ sein der Materie die Negativität. Beide haben dies ihr Nichtsein als Moment in sich, aber nicht durch zwei verschiedene Bewegungen, denn das Aufheben des Unterschiedes, welches als Aufheben des

Unterschiedes

die Identität

der Form, als Aufheben des Unterschiedes die Negativität der Materie ist, ist nur Eines. Die Identität beider Seiten ist aber eine dialektische, denn auch der Unterschied zwischen ihnen bleibt, die Form ist ebenso auch das Hervor¬ bringen von Unterschied, also das Bestimmen der Materie. Diese Identität ist ursprünglich, insofern sie mit ihren Momenten selbst gleichursprünglich ist. Sie kommt nicht später als Form und Materie, sondern umfaßt diese, sich mit ihnen konstituierend, im voraus. Diese ursprüngliche Identität ist eine Erinnerung der Entäußerung. Die Ent¬ äußerung ist immer die Bewegung auf dem doppelten Weg, den wir früher als den Weg in die Unmittelbarkeit und den Weg in die Differenz zu beschreiben versucht haben. Insofern die Trennung von Form und Materie bedeutet, daß die Reflexion ein Unmittelbares außer sich voraussetzt, hat die Entäußerung die Beziehung auf das Unmittelbare in sich. Ebenso ist aber die Erinnerung des Entäußerten die Aufhebung des Scheins des Getrenntseins, wie stets dem Innen die Einheit, dem Außen die Differenz entspricht. „Zuerst setzen Form und Materie sich gegenseitig voraus. Wie sich ergeben hat, heißt dies so viel: die eine wesentliche Einheit ist negative Beziehung auf sich selbst, so entzweit sie sich in die wesentliche Identität, bestimmt als die

168 gleichgültige Grundlage, und in den wesentlichen Unterschied oder Negativität als die bestimmende Form. Jene Einheit des Wesens und der Form, die sich als Form und Materie gegenübersetzen, ist der absolute Grund, der sich bestimmt. Indem sie sich zu einem Verschiedenen macht, wird die Beziehung um der zu¬ grundeliegenden Identität der Verschiedenen willen zur gegenseitigen Voraus¬ setzung." Es wird wiederholt, daß Form und Wesen in Einheit sind, welche Einheit sich aber nun in die Zweiheit von Form und Materie „entäußert

hat. Der zweite

Teil des Kapitels über den absoluten Grund steht also — entsprechend dem allgemeinen Schema der dialektischen Stufung — unter dem Vorzeichen der Differenz, wie der erste unter dem der Identität, — er steht auf der Stufe des „Urteils". Daß Form und Materie sich gegenseitig voraussetzen, ist uns vorhin schon näher dargestellt worden. Während Hegel dort dieses gegenseitige Voraus¬ setzen beschrieben hat, gibt er nun den Grund dafür an. Dieser Grund ist, daß die Einheit beider ihnen zu Grunde liegt. Das Voraussetzen dieser Einheit wird in ihrer Getrenntheit zur Gegenseitigkeit ihres Voraussetzens. Und wir haben gesehen, daß diese Gegenseitigkeit auch keinen anderen Inhalt hatte als früher die Einheit von Form und Wesen: die Identität in der negativen Form, die Negativität in der mit sich identischen Materie. Die Materie ist in der Zweiheit wieder bestimmt als die „wesentliche Identi¬ tät"; die bestimmende Form wird an dieser Stelle bezeichnet als „wesentlicher Unterschied oder Negativität". Diese Bemerkung ist sehr wichtig, sie beweist uns wieder, wie nahe (fast als Synonyme) bei Hegel sich Form, Unterschied und Negativität sind. Darin aber zeigt sich der „eleatische Horizont" dieser Wissen¬ schaft der absoluten Form. In ihr geht es, wie wir von Schelling hörten, um die Weise, Differenz zu begreifen, sie will den „wahrhaften Unterschied" denken. Der absolute Grund, die reale Einheit von Reflexion und Unmittelbarkeit, be¬ stimmt sich, negiert sich, indem beide Seiten als Verschiedene auseinander¬ treten. In dem gegenseitigen Voraussetzen dieser unterschiedenen Momente aber bleibt er an sich als ihr Grund, denn diese Gegenseitigkeit ist an sich die Einheit, die der Grund selbst ist. Wie die in dieser Gegenseitigkeit an sich liegende Einheit auch als solche her¬ vortritt, ist nun der Inhalt der folgenden Abschnitte. Zunächst werden wir diese Bewegung von Seiten der Form aus zu verfolgen haben, hernach aber auch von der Materie her. „Zweitens, die Form als selbständig ist ohnehin der sich selbst aufhebende Widerspruch; aber sie ist auch als solcher gesetzt, denn sie ist zugleich selb¬ ständig und zugleich wesentlich auf ein Anderes bezogen; — sie hebt sich somit auf." Daß der Widerspruch in Hegels Bestimmung nichts anderes ist als die Dialek¬ tik von Selbständigkeit und Beziehung, haben wir früher bereits gesehen. Der Widerspruch ist das Erscheinen der wahren Selbständigkeit im Sichaufheben der nur scheinbaren. Die Selbständigkeit selbst wird von Hegel als reine Be-

169 Ziehung auf sich gefaßt, — Sein durch sich selbst. Diese Beziehung auf sich wird negiert durch die Beziehung auf Anderes, — etwas ist nur, was es ist, durch seine Beziehung auf sein Anderes, — Sein durch Anderes, Unselbständigkeit. Die wahre Selbständigkeit ist, sich in seiner Beziehung auf Anderes auf sich zu be¬ ziehen. Dieser Widerspruch gehört der Selbständigkeit als solcher an. Die „Form als selbständig" muß also schon eben wegen der Bestimmung, selbständig zu sein, in diesem Widerspruch stehen. Aber dies ist nicht nur an sich der Fall, d. h. nicht nur, weil diese Bestimmung zur Selbständigkeit überhaupt gehört, — son¬ dern es hat sich auch an der Form im besonderen realisiert. Der Widerspruch ist gesetzt

an ihr. Die Form ist selbständig, insofern alles mit sich Identische

nur Moment ihrer selbst ist, insofern sie das Identisch-machende für jedes Identische ist. Sie ist wesentlich auf ein Anderes bezogen, insofern sie dennoch nur Form an einer Materie ist. Sie hebt sich somit auf, — sie negiert sich selbst und gibt sich ihr Anderes. „Da sie selbst zweiseitig ist, so hat auch dies Aufheben die gedoppelte Seite, erstlich, sie hebt ihre Selbständigkeit auf, sie macht sich zu einem Gesetzten, zu einem, das an einem Andern ist, und dies ihr Anderes ist die Materie. Zwei¬ tens sie hebt ihre Bestimmtheit gegen die Materie, ihre Beziehung auf dieselbe, somit ihr Gesetztsein auf und gibt sich dadurch Bestehen." Die Form selbst ist zweiseitig, insofern sie selbständig und wesentlich auf Anderes bezogen ist. In dieser Zweiseitigkeit negiert sie sich selbst (man kann sagen, diese ihre Zweiseitigkeit selbst ist Formbestimmung, — aber Bestimmung der zweiseitigen Form). Das, was sie negiert, ist die zweiseitige Form, — also negiert sie sich nach jeder dieser beiden Seiten. Die Zweiseitigkeit ist Grund dieses Negierens überhaupt, zugleich aber wird jede dieser beiden Seiten negiert. Die Selbständigkeit wird negiert, das Bezogensein auf Anderes ebenfalls. Die negierte Selbständigkeit ist Gesetztsein (Abhängigsein), die negierte Beziehung auf Anderes ist Bestehen, also Selbständigkeit. Die Beziehung auf Anderes ist überhaupt Bestimmtheit oder Unterschiedensein, — insofern also die Form es ist, die die Bestimmtheit oder den Unterschied aufhebt, hebt sie die Beziehung auf Anderes auf, bewirkt die Identität, die Unbestimmtheit oder Beziehung auf sich selbst. Diese aber ist das Bestehen. „Indem sie ihr Gesetztsein aufhebt, so ist diese ihre Reflexion die eigene Identität, in welche sie übergeht; indem sie aber diese Identität zugleich entäußert und als Materie sich gegenübersetzt, so ist jene Reflexion des Gesetzt¬ seins in sich als Vereinigung mit einer Materie, an der sie Bestehen erhält; sie geht also in der Vereinigung ebensosehr mit der Materie als einem Andern, — nach der ersten Seite, daß sie sich zu einem Gesetzten macht, — als auch darin mit ihrer eigenen Identität zusammen." Zu Beginn wird noch einmal wiederholt, was wir gerade vorher erläutert haben. Dann wird weiter gezeigt, daß die Form diese Identität von sich selbst unterscheidet und sich als Materie gegenübersetzt, — der Unterschied zwischen dem Aufheben des Unterscheidens und dem Unterscheiden selbst ist also seiner-

170 seits Moment der Form. Die Form hebt sich auf und gibt sich damit ihr Ande¬ res. Die Reflexion des Gesetztseins in sich ist das Negieren des Gesetztseins, der Bestimmtheit gegen Anderes, welches wir eben vorhin als die eine Seite des zweiseitigen Aufhebens kennengelernt haben. Dieses Aufheben der Bestimmt¬ heit, des Unterschiedes gegen die Materie wird nun (wie ebenfalls früher schon) als Vereinigung mit der Materie begriffen, und weil die Identität von der Form unterschieden, entäußert ist, so erhält die Form an einem Andern ihr Bestehen. Die Form bestimmt die Materie, indem sie den Unterschied zwischen ihr und sich negiert. Die beiden Seiten des Sich-Aufhebens der Form, das Aufheben ihrer Selb¬ ständigkeit und das Aufheben ihres Gesetztseins, haben also nun die Bedeu¬ tung, daß die Form ihr Bestehen einmal an einem Andern, Unterschiedenen hat, — daß aber ebenso die Identität dieses Andern mit sich nur die eigene Identität der Form ist, insofern das Aufheben des Unterschiedes und der Bestimmtheit die eigene Tätigkeit der Form ist. „Die Tätigkeit der Form also, wodurch die Materie bestimmt wird, besteht in einem negativen Verhalten der Form gegen sich selbst.” Denn die Vereinigung von Form und Materie ist, wie beschrieben, nur das Sich-Aufheben der Form als Aufheben des Unterscheidens. „Aber umgekehrt verhält sie sich damit auch negativ gegen die Materie; allein dies Bestimmtwerden der Materie ist ebensosehr die eigene Bewegung der Form selbst. Diese ist frei von der Materie, aber sie hebt diese ihre Selbständigkeit auf; aber ihre Selbständigkeit ist die Materie selbst, denn an dieser hat sie ihre wesentliche Identität. Indem sie sich also zum Gesetzten macht, so ist dies ein und dasselbe, daß sie die Materie zu einem Bestimmten macht.” Die Form verhält sich nicht nur negativ gegen sich selbst, indem sie sich auf¬ hebt, sondern umgekehrt auch gegen die Materie, indem sie diese bestimmt. Aber das Bestimmtwerden der Materie ist die Bewegung der Form selbst, d. h. die negierende Tätigkeit des Bestimmens geht von der Form aus. Und das Be¬ stimmtwerden der Materie ist als Bewegung i n der Materie eine Bewegung i n der Form. Die Form ist als Selbständiges frei von der Materie, sie hebt aber diese Selbständigkeit auf, wie gesagt wurde. Die Selbständigkeit ist die wesentliche Identität, die reine Beziehung auf sich. Die Materie ist dieselbe Identität als unterschieden von der Form, als entäußert. Das Aufheben der Selbständigkeit als Aufheben der Identität ist so zugleich Aufheben der Materie, negatives Ver¬ halten gegen sie. Das Aufheben der Identität ist Aufheben der Unbestimmtheit und Hervorbringen des Unterschiedes. Die Materie wird also darin, daß sie ne¬ giert wird, zu einem Bestimmten gemacht. Als bestimmte Materie ist sie form¬ abhängig, durch die Form gesetzt. Das Aufheben des Unterschiedes von Form und Materie, die Vereinigung beider, ist also zugleich selbst ein Unterscheiden, nämlich ein Bestimmen der Materie, ein Unterscheiden in und an der Materie.

171 Form und Materie können sich nur vereinigen, dieser Unterschied kann nur aufgehoben werden, wenn die Unbestimmtheit der Materie aufgehoben wird. Indem die Form also sich zum Gesetzten macht, d. h. das Aufheben der Identi¬ tät ist und sich in Beziehung auf Anderes setzt, insofern bestimmt sie auch die Materie. Daß die Form sich negiert, und daß sie ihr Anderes negiert, ist ein und dasselbe Negieren.

„Aber von der anderen Seite betrachtet, ist die eigene Identität der Form zugleich sich entäußert, und die Materie ihr Anderes; insofern wird die Materie auch nicht bestimmt, dadurch, daß die Form ihre eigene Selbständigkeit aufhebt!' Nun wird das dialektische Verhältnis von der anderen Seite aus betrachtet. Form und Materie sind verschieden voneinander, wenn also die Selbständigkeit der Form aufgehoben wird, so wird damit die Selbständigkeit der Materie noch keineswegs aufgehoben. Das aber heißt, die Materie wird nicht bestimmt, denn das Bestimmen der Materie ist das Aufheben ihrer Selbständigkeit. Das Be¬ stimmen ist das negative Verhalten gegen sie.

„Allem die Materie ist nur selbständig der Form gegenüber; indem das Nega¬ tive sich aufhebt, hebt sich auch das Positive auf. Indem die Form also sich aufhebt, so fällt auch die Bestimmtheit der Materie weg, welche sie gegen die Form hat, nämlich das unbestimmte Bestehen zu sein.” Nun wird gesagt, daß die Materie nur Materie ist, insofern sie unterschieden ist von der Form, also ohne die Beziehung auf die Form nicht sie selbst ist. Inso¬ fern sich also die Form (das Negative) aufhebt, hebt sich auch die Materie (das Positive) auf, ihre Bestimmtheit gegen die Form fällt weg. Wo die Bestimmung verschwindet, verschwindet auch das Unbestimmte. In dem zuletzt betrachteten (L 11,73 oben beginnenden) Abschnitt sind also die folgenden vier Momente der Dialektik von Form und Materie betrachtet worden: a) Das negative Verhalten der Form gegen sich selbst, das Sich-Aufheben der Form; b) das negative Verhalten der Form gegen die Materie; c) die Selbständigkeit der Materie gegen die Form; d) das Sich-Aufheben der Selbständigkeit der Materie. In dem nun folgenden Abschnitt wird die Dialektik von Form und Materie von der Seite der Materie aus betrachtet, während wir bisher immer von den Bewegungen der Form ausgingen.

„Dies, was als Tätigkeit der Form erscheint, ist ferner ebensosehr die eigne Bewegung der Materie selbst.” Dieser Satz bringt uns zunächst einige Schwierigkeiten. Bisher hatten wir doch immer gehört, daß Bewegung und Tätigkeit nur der Form zukomme, die Materie dagegen das Untätige und Passive sei. Wir hatten uns diese Gegenüberstellung sogar ausdrücklich im Blick auf Aristoteles verdeutlicht. Wie kann nun von einer „eignen Bewegung der Materie" die Rede sein? Auch falls wir (was unser Satz

172 zu fordern scheint) nunmehr „Tätigkeit" und „Bewegung" unterscheiden, so würde das nicht aus dieser Schwierigkeit heraushelfen. Wie aber haben wir uns zu erklären, daß die „Tätigkeit der Form

ebensosehr

die „eigne Bewegung der Materie selbst" sei? Widerspricht Hegel nun doch dem Satz des Aristoteles, daß nicht das Bauholz sich selbst bewege, sondern die Baukunst das Bewegende sei? Wird die Bestimmung der Passivität und Un¬ tätigkeit der Materie aufgehoben, und die Materie nun doch in irgend einer Weise als Ursprung von Bewegung gedacht? Aber Hegel versichert uns so oft, alle Tätigkeit und alle Bewegung stamme aus der Negativität, d. h. aus der Form und aus dem Ich — beide sind ja nichts Verschiedenes —, daß wir gut daran tun, auch jetzt keine Aufhebung dieses Prinzips zu vermuten. Wenn wir festhalten, daß alle Bewegung aus der Negativi¬ tät stammt, so muß auch die „eigne Bewegung der Materie" aus einer Negativi¬ tät, also aus einer in der Materie verschlossenen Negativität herrühren. Diese Bewegung wäre demnach nur scheinbar der Materie eigen, denn in Wahrheit wäre sie doch eine Bewegung der Negativität und der Form, und nur insofern der Materie eigen, als auch die unmittelbarste, „negations-loseste" Materie dennoch immer die Negativität in sich enthält. Auch die Unmittelbarkeit der Materie ist nur ein Schein vor der Wahrheit ihres Vermitteltseins. Wenn wir die Bewegung der Materie auf diese Weise interpetieren, dann wird gerade dies der Materie Eigene zum Beweis für die Vorherrschaft der Form. Es würde sich zeigen, daß die Materie gerade in ihrer Bewegung nicht ihr selbst, son¬ dern der Form eigen ist, und daß die Form, das Negative in ihr und durch sie hindurch wirksam ist. Es gibt also keineswegs so etwas wie ein Gleichgewicht zwischen Form und Materie, sondern wie bei Aristoteles — rtpoTEQOv xai päAXov ov"

(Met 1029a5,a29)

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—, und wie bei Thomas

von

Aquin — „forma dat esse materiae" (de esse et de essentia cap. 5) —, so ist auch bei Hegel die Form das Frühere und Machtvollere, sie duldet nichts Anderes außer sich. In ihrer eigenen Bewegung wäre die Materie Eigentum der Form, der alle Bewegung eigen ist. An dem folgenden Text muß sich nun entscheiden, ob die Bewegung der Materie nur heimliches Eigentum der Form ist, oder ob die Materie in ihr ein wahres Selbstsein gegenüber der Form hat, ein Sein, wel¬ ches ihr entgegen dem Satz von Thomas nicht von der Form gegeben wäre. „Die ansichseiende Bestimmung oder das Sollen der Materie ist ihre absolute Negativität. Durch diese bezieht sich die Materie schlechthin nicht nur auf die Form als auf ein Anderes, sondern dieses Äußere ist die Form, welche sie selbst als verschlossen in sich enthält." Daß die Materie in ihrer Unbestimmtheit an sich in der Bestimmung der absoluten Negativität steht, war uns schon gesagt worden. Auch die analoge Bestimmung des der Form gegenüberstehenden Wesens hatten wir kennen¬ gelernt. Diese absolute Negativität liegt, wie ebenfalls schon gesagt wurde, ein¬ mal in dem Moment, daß die Identität der Materie mit sich Beziehung auf sich ist, somit den Unterschied nicht, wie es den Anschein hat, außer sich als etwas Anderes, sondern in sich hat. Das Unmittelbare ist als aufgehobene Reflexion

173

dennoch Reflexion in sich. Zum anderen besteht die absolute Negativität der Materie in ihrer reinen Abstraktheit, also darin, daß die Materie sich gegen alle Bestimmtheit negativ verhält und nur durch dieses negative Verhalten sie selbst ist. „Absolut" ist diese Negativität in dem einen Falle darum, weil sie reine Beziehung auf sich selbst, nicht auf Anderes ist, und in dem anderen, weil sie Beziehung auf alle Bestimmtheit ist. Ansichseiend ist diese Bestimmung, insofern sich kein Negieren seinerseits gegen sie richtet, insofern sie selbst nicht negiert ist. Dies ist ja die allgemeinste Bedeutung von „Ansichseiend". Da das Negieren aber immer sowohl den Sinn von „hervorbringen" wie von „vernichten" (ebenso wie die Ausdrücke „Setzen", „Vermitteln", „Bestimmen" und dgl.) haben kann, so müssen wir fragen, was hier gemeint sein wird. Diese dialektischen Termini bekommen ihren eigent¬ lichen Sinn immer erst aus dem Zusammenhang. In unserem Fall des „Ansichseienden" ist der Zusammenhang klar: Das Ansichseiende ist von dem hervorbringenden Negieren, von der Grenze als dem Schöpferischen noch nicht berührt. So ist diese Bestimmung nur ein „Sollen", d. h. etwas, was noch nicht da ist. Auch das Wort „Bestimmung" hat hier nicht seine gewöhnliche, sondern seine betonte Bedeutung, die man sich moralisch oder teleologisch auslegen kann (wir erinnern an die „Bestimmung des Men¬ schen"), ebenso wie das „Sollen". „Was sein soll, ist und ist zugleich nicht" (L 1,120), sagt Hegel. Für die Materie ist die absolute Negativität die zugleich seiende und nichtseiende Bestimmung. Sie ist nicht, insofern die Materie das absolut Formlose und Amorphe ist, sie ist, insofern auch dies eine Geformtheit ist, nämlich Identität mit sich und als Negation aller Bestimmtheit. Insofern nun dieses Sollen nicht nicht ist, sondern ist, hat die Materie die Form in sich verschlossen, ist die Form ihr nichts Äußeres und Fremdes. Die absolute Negativität also als Bestimmung in der Materie vermittelt diese mit der Form. „Die Materie ist derselbe Widerspruch an sich, welchen die Form enthält, und dieser Widerspruch ist wie seine Auflösung nur Einer. Die Materie ist aber in sich selbst widersprechend, weil sie als die unbestimmte Identität mit sich zu¬ gleich die absolute Negativität ist; sie hebt sich daher an ihr selbst auf, und ihre Identität zerfällt in ihrer Negativität, und diese erhält an jener ihr Be¬ stehen.” Der Widerspruch ist dies, zugleich Unmittelbarkeit und absolute Negativität zu sein. Die Form enthält diesen Widerspruch, indem sie als Unterscheiden zu¬ gleich das Aufheben dieses Unterscheidens ist, — die Materie ist dieser Wider¬ spruch an sich, insofern sie an sich in der Bestimmung der absoluten Negativität ist. Es scheint hier zwischen „Enthalten" (bei der Form) und „Ansichsein" (bei der Materie) ein Unterschied zu sein: die Form bezieht sich selbst auf diesen Widerspruch, sie ist in ihrer Tätigkeit ein Hervorbringen der Beziehung und darum ein Umfassendes, wie man sich das „Enthaltende" denkt. In der Tätigkeit der Form ist also die negative Beziehung gegen den Widerspruch, die in der Materie nicht ist. Ähnlich sagt Hegel in der Darstellung des Widerspruchs:

174 „Aber das Positive ist nur an sich dieser Widerspruch, das Negative dagegen der gesetzte Widerspruch" (L 11,50). Daß hier die Materie dem Positiven, die Form dem Negativen entspricht, sahen wir schon vorhin. - Die Materie hebt sich selbst auf, indem aus ihrer einfachen Identität eine Zweiheit wird. Dies ist das „Zerfallen in ihrer Negativität". Die eine Seite dieser Zweiheit ist wieder die Identität, die andere die Negativität oder Bestimmtheit. Die Bestimmtheit hat, wie wir schon oft gehört haben, an der Identität ihr Bestehen. Das Zerfallen der einfachen Identität ist also das Werden der Bestimmtheit oder das Bestimmiwerden der Materie. Und dies Bestimmtwerden ist offenbar auch „die eigne Bewegung der Materie selbst" und „das, was als Tätigkeit der Form erscheint . Es erscheint als Tätigkeit der Form, daß die Materie bestimmt wird (die Form ist ja das Bestimmende), — aber es ist zugleich die eigene Bewegung der Materie, die der Widerspruch ist, als das Unbestimmte Bestimmtes, als einfache Identität absolute Negativität zu sein. Die Bewegung ist also darum der Materie eigen, weil die Bestimmtheit in Wahrheit nie von dieser ausgeschlossen und getrennt war, weil mit der Bestimmtheit nichts zu der Materie hinzugekommen ist, was vorher noch nicht bei ihr gewesen wäre. Ein solches „Hinzukommen" im abso¬ luten Sinne ist offenbar vollkommen unmöglich, weil auch ein absolut Un¬ bestimmtes unmöglich ist. Der Versuch, Form und Materie zu trennen, zeigt, daß jedes Moment doch wieder beide Seiten an sich hat.

Wie ist es nun mit der Bewegung der Materie? Es kann wohl kein Zweifel mehr sein, daß sie aus der Negativität stammt, daß Hegel seinem Prinzip, die Macht des Negativen als Ursprung aller Bewegung zu denken, keineswegs untreu geworden ist. Uns ist ja nicht gezeigt worden, daß Bewegung auch anderswoher als aus der Negativität stammen könne, sondern daß es nichts gibt, was schlecht¬ hin getrennt ist von aller Negativität. „Die Materie bewegt sich" — nur unter der Herrschaft des Negativen. „Indem also die Materie von der Form als von einem Äußern bestimmt wird, so erreicht damit sie ihre Bestimmung, und die Äußerlichkeit des Verhaltens so¬ wohl für die Form als für die Materie besteht darin, daß jede oder vielmehr ihre ursprüngliche Einheit in ihrem Setzen zugleich voraussetzend ist, wodurch die Beziehung auf sich zugleich Beziehung auf sich als Aufgehobenes oder Beziehung auf ein Anderes ist.” Am Schluß dieser Erörterung wird die Unmöglichkeit eines solchen Hinzu¬ kommens noch einmal herausgehoben. Nicht die Äußerlichkeit, das Getrennt¬ sein der beiden Momente ist das Ursprüngliche, sondern die Einheit. Die Äußer¬ lichkeit besteht nur darin, daß diese Einheit als Setzen zugleich voraussetzend ist: jedes hat das Andere als von ihm Abhängiges und ist selbst von dem Andern abhängig. Das Voraussetzen ist das Anfängen an einem Andern, welches als Unmittelbares, nicht Negiertes ist, — somit das Moment der Äußerlichkeit oder Getrenntheit in der ganzen Beziehung. Die Einheit der Beziehung auf sich und der Beziehung auf sich als Aufgehobenes ist die gleiche schon häufig erwähnte Dialektik der Selbständigkeit: etwas ist selbständig nur in seiner Beziehung auf Anderes, somit nur als zugleich selbst- und fremdständig.

175 Die Erörterungen haben also auf ihren vielfachen Wegen stets dasselbe Resul¬ tat gehabt: die ursprüngliche Einheit von Form und Materie, in der die Diffe¬ renz selbst als Einheit-konstituierendes Moment enthalten ist.

„Drittens,

durch diese Bewegung der Form und Materie ist ihre ursprüng¬

liche Einheit einerseits hergestellt, andererseits nunmehr eine gesetzte." Nun beginnt der dritte Abschnitt des zweiten Teiles aus dem Kapitel „Form und Materie". Der erste, L 11,72 Zeile 11 beginnend, handelte von dem SichBestimmen, Sich-Unterscheiden des absoluten Grundes — von der Einheit des Wesens und der Form, die sich als Form und Materie gegenübersetzen; — der zweite von der Tätigkeit der Form und der Bewegung der Materie, durch die beide Momente gegenseitig ineinander übergehen; — nun der dritte handelt von der resultierenden Einheit. Diese ist einerseits hergestellt, d. h. aus dem Ver¬ mittlungsprozeß hervorgegangen, — andererseits auch gesetzt. Dies bedeutet eigentlich dasselbe, aber mehr mit dem Ton des Negiertseins und Aufgehoben¬ seins. Die Einheit ist aufgehoben, insofern sie die Differenz als Moment in sich enthält. Eben diese Differenz aber kommt in dem Prozeß des Herstellens, der nur durch sie hindurch geschehen kann, zu Stande. „Die Materie bestimmt ebensowohl sich selbst, als dies Bestimmen ein für sie äußerliches Tun der Form ist, umgekehrt die Form bestimmt ebensosehr nur sich oder hat die Materie, die von ihr bestimmt wird, an ihr selbst, als sie in ihrem Bestimmen sich gegen ein Anderes verhält; und beides, das Tun der Form und die Bewegung der Materie ist dasselbe, nur daß jenes ein Tun ist, d. h. die Negativität als gesetzte, dies aber Bewegung oder Werden, die Negativi¬ tät als ansichseiende Bestimmung." Hier wird nur wiederholt und zusammengefaßt, was vorher ausführlicher dar¬ gestellt worden ist. Schwierig ist nur wieder der Gedanke, daß die Materie sich selbst bestimmt. Darin kehrt ja ihre rätselhafte „eigene Bewegung" wieder. Wir haben aber gesehen, daß darin nur die Möglichkeit eines wirklich absolut Un¬ bestimmten oder einer vollendeten Trennung von Form und Materie negiert wird. Diese Bewegung ist also nur der Materie eigen relativ gegen eine äußere, von ihr verschiedene Form. Das allgemeine Prinzip, daß die Form alles Be¬ stimmende ist, und daß alles Bestimmte der Form angehört, sehen wir nicht aufgehoben. Wichtig ist auch die vorhin schon auf tauchende, jetzt explizit gemachte Unter¬ scheidung von Bewegung und Tun. Der Unterschied besteht darin, daß in dem einen Fall die Negativität gesetzt, also selbst bezogen ist. Die Form bezieht sich auf ihr Tun, die Materie dagegen nicht auf die Bewegung. Die Negativität aber hat die Funktion der Differenz, so daß in dem Tun, wo diese Differenz als Ge¬ setztes ist, die Einheit in der Veränderung ist. Die Form bleibt bei sich in ihrem Anderswerden, wie das früher im Blick auf den Aristotelischen Begriff der EvepYeta erläutert wurde. Die Bewegung der Materie dagegen ist nicht gesetzt oder reflektiert, also einfache Veränderung oder Werden.

176 „Das Resultat ist daher die Einheit des Ansichseins und des Gesetztseins. Die Materie ist als solche bestimmt oder hat notwendig eine Form, und die Form ist schlechthin materielle, bestehende Form." Dieser Satz nennt das Resultat der ganzen Erörterung: die Untrennbarkeit des Positiven und Negativen, von Materie und Form, von Unmittelbarkeit und Ver¬ mittlung. Da wir dieses Resultat in seinem Werden verfolgt haben, ist hier nichts Neues für uns vorhanden. „Die Form, insofern sie eine Materie als das ihr Andere voraussetzt, ist end¬ lich. Sie ist nicht Grund, sondern nur das Tätige." Die erste Aussage versteht sich von selbst: dasjenige, welches überhaupt ein Anderes als nicht negativ Gesetztes hat, ist endlich. Unendlich ist, was in seinem Andern bei sich selbst ist, endlich, für das das Andere als Anderes ist. Das Vor¬ aussetzen aber setzt das Andere als Positives und Unabhängiges, hebt es nicht auf. Für die Unterscheidung von Grund und Tätigem haben wir uns daran zu er¬ innern, daß der Grund als reale Reflexion bestimmt war und als solche das Un¬ mittelbare als Moment in sich hatte. Die Form, die die Materie voraussetzt, hat dies nicht, — sie ist nicht, wie wir mit einem früheren Ausdruck sagen können, Einheit der reinen und der bestimmenden Reflexion. So ist sie nur Tätiges, Re¬ flexion überhaupt, wie das der realen Reflexion vorausgehende Wesen. Das Tätige ist vom Grund nur durch dieses Moment der fehlenden Unmittelbarkeit unterschieden. „Ebenso ist die Materie, insofern sie die Form als ihr Nichtsein voraussetzt, die endliche Materie; sie ist ebensowenig Grund ihrer Einheit mit der Form, sondern nur die Grundlage für die Form." Die Materie ist aus demselben Grunde endlich, wenn sie ein Anderes voraus¬ setzt, und sie ist noch weniger Grund als die endliche Form, weil sie überhaupt nicht Reflexion ist, sondern reine Unmittelbarkeit. Diese einfache Unmittelbar¬ keit aber ist, wie schon früher, als Grundlage (uitoxelpevov) bestimmt. „Aber sowohl diese endliche Materie als die endliche Form hat keine Wahr¬ heit; jede bezieht sich auf die andere, oder nur ihre Einheit ist ihre Wahrheit. In diese Einheit gehen diese beiden Bestimmungen zurück und heben darin ihre Selbständigkeit auf; sie erweist sich damit als ihr Grund." Das Einseitige und Endliche hat keine Wahrheit. Dies heißt nicht, daß es so etwas nicht gebe, oder daß man gar davon nichts Richtiges sagen könne. Hegel hat einen allgemeineren, umfassenderen Begriff von Wahrheit, der sich von dem gewöhnlichen (Übereinstimmung von Gedanke und Sache) unterscheidet. Hier wird die Einseitigkeit, bzw. die Un-einseitigkeit zum Kriterium der Wahrheit. Die Uneinseitigkeit bekommt eine ähnliche Bedeutung wie die Widerspruchs¬ freiheit in der Mathematik, bei der es über die Widerspruchsfreiheit hinaus ebenfalls kein Ubereinstimmen mit einer unabhängigen Wirklichkeit geben kann. Wir können hier nicht Hegels Begriff der Wahrheit auseinandersetzen, son¬ dern wollen nur kurz auf einige wesentliche Momente hinweisen. — Was man

177 sich als „Übereinstimmung" denkt, ist selbst eine verwickelte formale Struktur, in der sowohl Differenz wie Identität Vorkommen. Wo nichts verschieden ist, kann nichts übereinstimmen, — aber nur verschiedenes stimmt auch nicht überein. Die Einheit, das „ein" liegt ja bereits in dem Wort „Ober-ein-stimmen". So wird auch die Wahrheit als formale Struktur zu einem solchen „Zwischen" von Identität und Differenz, als welches wir die Reflexion kennengelernt haben, ebenso wie das Ich, das Subjekt ein solches Zwischen ist. Es wäre nun darzu¬ legen, daß die Strukturen des Ich in sich und der Wahrheit nicht verschieden sein können. „Ich bin die Wahrheit", — als subjektive Beziehung auf Grenze selbst der „Grund" von Identität und Differenz und die Beziehung, die das Wesen der Wahrheit ist. Ist die Wahrheit überhaupt als Vermittlung von Identität und Differenz be¬ griffen, dann wird jedes Fehlen dieser Vermittlung zu einer Unwahrheit. Ein¬ seitigkeit aber ist immer ein Fehlen der Vermittlung von Identität und Diffe¬ renz; — es sind die unaufgehobenen Momente, durch die das Einseitige einseitig ist. Das Unreflektierte also ist unwahr, — das Ganze, d. h. das absolut Reflek¬ tierte oder das schlechthin Uneinseitige, ist das Wahre. Wahrheit ist eine be¬ stimmte Beziehung von Identität und Differenz, aber eben nur so bestimmt, daß sie keine endliche, sondern vollständige Beziehung ist, also kein Moment nicht aufgehoben, — oder mit den Worten der Phänomenologie: „Das Wahre ist so der bacchantische Taumel, an dem kein Glied nicht trunken ist, und weil jedes, indem es sich absondert, ebenso unmittelbar sich auflöst, — ist er ebenso die durchsichtige und einfache Ruhe. In dem Gerichte jener Bewegung bestehen zwar die einzelnen Gestalten des Geistes wie die bestimmten Gedanken nicht, aber sie sind so sehr auch positive notwendige Momente, als sie negativ und verschwindend sind" (PhdG, 39). In diesem Zusammenhang wäre nun noch zu handeln über das Verhältnis von Wahrheit und Form überhaupt — Wahrheit ist ja selbst etwas Geformtes und darum in gewisser Weise „von Natur später" als Form — sowie über mögliche Wahrheitskriterien für Aussagen über Form. Doch wollen wir es bei dem Hinweis bewenden lassen, daß die Wahrheit (wie die Seele) aus Identität und Differenz gemischt ist und so in sich das wiederholt, was Form, Reflexion als Ganzes selbst ist. Nur weil Form Grund von Differenz ist, kann Nicht-einseitigkeit zum Wahrheitskriterium werden. Die Form „ist schon für sich selbst die Wahrheit" (L 11,231), — wenn nämlich Wahrheit nur ist (wie schon beim „Übereinstimmen" deutlich wird) aufgrund von Identität und Differenz. — Dies sind in Kürze die allgemeinsten Gedanken, die dem Hegelschen Wahrheitsbegriff zugrundeliegen, und die wir vor Augen haben müssen, wenn das Einseitige als „unwahr" bezeichnet wird. Das Einseitige ist immer auch das, was nicht aus sich ist. Die Beziehung auf Anderes liegt im Begriff der Einseitigkeit, und das Einseitige ist nur durch diese Beziehung, d. h. durch das Andere. So ist das Einseitige auch unselbständig, und seine Unselbständigkeit zugleich seine Unwahrheit. Darum sind Materie und Form als endliche und einseitige sowohl unselbständig wie unwahr. Ihre Einheit,

178 d. h. das Aufheben ihrer Einseitigkeit und Unselbständigkeit, ist ihre Wahrheit. Diese Einheit ist der Grund, das Selbständige, das sie beide in ihrer Beziehung aufeinander sein läßt. „Die Materie ist daher nur insofern Grund ihrer Formbestimmung, als sie nicht Materie als Materie, sondern die absolute Einheit des Wesens und der Form ist; ebenso die Form ist nur Grund des Bestehens ihrer Bestimmungen, insofern sie dieselbe eine Einheit ist.” Die Materie bringt das ihr Andere, die Negativität oder Formbestimmung her¬ vor, die Form ebenso das ihr Andere, die unmittelbare Identität mit sich oder das Bestehen. Beide tun sie dies aber nur, insofern sie die absolute Einheit des Wesens und der Form sind, — oder besser, insofern sie dies hervorbringen, sind sie diese Einheit. Diese Einheit ist dasselbe, was wir früher als vollendete Re¬ flexion hatten. Die Materie ist als diese Einheit die absolute Negativität, und wir sehen wieder, daß nicht eigentlich aus ihr, sondern aus der Negativität das Hervorbringen und die Bewegung stammt. Die Form ist als Endliches aber ebenso unwahr, — nicht Grund, sondern Tätiges. „Aber diese eine Einheit als die absolute Negativität und bestimmter als aus¬ schließende Einheit ist in ihrer Reflexion voraussetzend; oder es ist Ein Tun, im Setzen sich als Gesetztes in der Einheit zu erhalten und sich von sich selbst ab¬ zustoßen, sich auf sich als sich, und sich auf sich als auf ein Anderes zu beziehen. Oder das Bestimmtwerden der Materie durch die Form ist die Vermittlung des Wesens als Grund mit sich in einer Einheit, durch sich selbst und durch die Negation seiner selbst.” Ausschließen heißt. Anderes von sich und sich von Anderem getrennt halten, es ist die trennende Beziehung auf Anderes. Dabei wird aber das Andere nicht aufgehoben oder negiert, sondern für sich gelassen; es bleibt bestehen. Hegel hat dieses „Ausschließen" ausführlicher in seiner Darstellung des „Gegensatzes" entwickelt, man vergleiche L 11,43. Dort wird auch gezeigt, daß im Ausschließen des Anderen zugleich ein Voraussetzen des Anderen liegt. Nur darum ja ist das Ausschließen an sich die Einheit des Grundes. Die Bewegung der Einheit als absolute Negativität ist negierende Bewe¬ gung, Unterscheiden und Setzen. In dieser Bewegung findet sich die Dialektik der Selbständigkeit, in der Beziehung auf sich sich zugleich negativ gegen sich zu verhalten; d. h. in der Selbständigkeit sich abhängig zu machen und nur so selbständig zu sein. Die wahre Selbständigkeit ist das Sich-Erhalten in der Ein¬ heit, worin das Andere als Anderes aufgehoben ist. Aber diese Einheit ist nur „konkret", wenn das Andere dennoch als Anderes in ihr ist, — dies ist das Moment der Abhängigkeit oder der Beziehung auf Anderes, die als Moment der Einheit Beziehung auf sich als auf Anderes ist. Die Einheit ist das Aufheben der Differenz oder das „sich", auf das die Bewegung zurückgeht. „Sich auf sich als sich" beziehen bedeutet also das Moment der Einheit mit sich, der Selbständig¬ keit. Das „sich" ist „als sich", insofern die Andersheit negiert wird. Insofern aber die Andersheit Moment bleibt, geht die Beziehung auf sich als Anderes,

179 — das „sich" ist von sich selbst unterschieden, die Einheit ist negative Einheit, d. h. Unterschied. Die Tätigkeit der Form und das Bestimmtwerden der Materie sind beides dieselbe reale Reflexion, die das Wesen als Grund ist, — eine Einheit, in der jedes die Negation seiner an sich hat, die Form die Identität, die Materie die Negativität. Diese wechselseitige und gleichgewichtige Einheit von Identität und Differenz, von Unmittelbarkeit und Reflexion hat sich also am Ende der Dialek¬ tik von Form und Materie wiederhergestellt. Form und Materie waren bestimmt als unterschieden und getrennt, als die zweite Stufe des Urteils oder der Diffe¬ renz, — die Einheit von Reflexion und Unmittelbarkeit ist also um dieses Moment der Trennung reicher geworden. Die Einheit als ganzes aber ist „absolute Negativität", so erweist sie erneut die Herrschaft, die Absolutheit der Form. In einem Zusatz zu § 128 der Enz., der ebenfalls von Form und Materie handelt, finden wir dies wie folgt aus¬ gesprochen: „Die Auffassung der Materie als ursprünglich vorhanden und als an sich formlos ist übrigens sehr alt und begegnet uns schon bei den Griechen, zunächst in der mythischen Gestalt des Chaos, welches als die formlose Grund¬ lage der existierenden Welt vorgestellt wird. In der Konsequenz dieser Vor¬ stellung liegt es dann, Gott nicht als den Erschaffer der Welt, sondern als bloßen Weltbildner, als Demiurgen, zu betrachten. Die tiefere Anschauung ist dagegen diese, daß Gott die Welt aus Nichts erschaffen habe, womit dann überhaupt ausgesprochen ist, einerseits, daß der Materie als solcher keine Selbständigkeit zukommt, und andererseits, daß die Form nicht von außen an die Materie gelangt, sondern, als Totalität, das Prinzip der Materie in sich selbst trägt, welche freie und

unendliche

Form

sich uns

demnächst

als

der

Begriff ergeben wird."

(JA 8,296; vgl. ebd. 361). Die Form ist Totalität, auf diesen Grund kehrt der Hegelsche Idealismus immer wieder zurück. — Wir haben nun noch die Überleitung zu dem Abschnitt „Form und Inhalt" kurz zu betrachten. „Die formierte Materie oder die Bestehen habende Form ist nun nicht nur jene absolute Einheit des Grundes mit sich, sondern auch die gesetzte Einheit. Die betrachtete Bewegung ist es, in welcher der absolute Grund seine Momente zugleich als sich aufhebende und somit als gesetzte dargestellt hat. Oder die wiederhergestellte Einheit hat in ihrem Zusammengehen mit sich, sich ebenso¬ sehr von sich selbst abgestoßen und sich bestimmt; denn ihre Einheit ist, als durch Negation zustandegekommen, auch negative Einheit." Die Einheit von Form und Materie ist nicht lediglich mehr einfache Einheit, sondern gesetzte, d. h. negierte, aufgehobene Einheit. Der Unterschied also, die Nicht-Einheit ist als Moment in ihr, und er ist ebenso wesentlich wie die Einheit selbst. Die Bewegung der ersten Einheit von Form und Wesen durch die Tren¬ nung von Form und Materie hindurch hat dieses Moment der Verschiedenheit in das Verhältnis der beiden Seiten gebracht. Durch diese Bewegung sind aber nicht nur die beiden Momente (Form und Materie) selbst gesetzt, negiert wor¬ den, sondern auch die beiden Beziehungen zwischen ihnen, Einheit und Unter-

180 schied, sind jede ebenfalls negiert. Dies alles sind die Momente des absoluten Grundes. So ist die wiederhergestellte Einheit „negative Einheit , Differenz enthaltende Einheit. Diese Beziehung auf die Differenz geht einmal gleichsam in die Vergangenheit der dialektischen Geschichte: die Einheit ist negativ, weil sie als das Negieren des Unterschiedes und durch den Unterschied vermittelt ent¬ standen ist; — einmal geht sie in die Zukunft, denn die Einheit zerfällt wieder in den Unterschied. Dies Zerfallen geschieht freilich durch dieselbe Negation, die die Einheit auch hervorgebracht hat; als Geschaffene hat sie schon durch das Geschaffensein ihre Nichtigkeit in sich. Das Negative ist zumal Grund des Hervorgehens und des Vergehens, Werden der Einheit aus der Diffe¬ renz und Werden der Differenz aus der Einheit. „Sie ist daher die Einheit der Form und der Materie als ihre Grundlage, aber als ihre bestimmte Grundlage, welche formierte Materie, aber gegen Form und Materie zugleich als gegen Aufgehobene und Unwesentliche gleichgültig ist. Sie ist der Inhalt." Die Einheit von Form und Materie war das Bestimmen der Form und das Bestimmtwerden der Materie. Die Einheit, die diese beiden in sich hat, ist — we¬ gen der Form — ein Bestimmtes, und wegen der Materie ein Unmittelbares. Sie ist formierte Materie. Außerdem ist sie als Einheit, die den Unterschied auf¬ gehoben hat, einfache Einheit, d. h. Grundlage, nicht Grund. Diese Einheit — sie ist der Inhalt — ist also eine Grundlage für Form und Materie, die sie beide an sich hat. Der Inhalt ist geformt und materiell. Doch ist dies nur die eine Seite des dialektischen Verhältnisses. Denn es folgt ein „aber", welches einen Gegensatz bringt:

aber gegen Form und Materie

zugleich als gegen Aufgehobene und Unwesentliche gleichgültig. Zugleich sind nämlich Form wie Materie sowohl voneinander wie von dieser ihrer Einheit, dem Inhalt, unterschieden. So ist die Einheit durch die Differenz negiert. Aber die Unterschiedenen, Form und Materie, sind das Aufgehobene und Unwesentliche, deren Selbständigkeit in der vorangegangenen Bewegung zugrunde gegangen ist. Das Verhältnis dieser Einheit zu den in ihr aufgehobenen Momenten ist ein solches der Gleichgültigkeit. Dieses Verhältnis bestimmt also die Einheit nicht in dem, was sie ist, — sie ist unabhängig von diesen Momente und nicht an sich selbst auf sie bezogen. Der Inhalt ist unabhängig von dieser Form. Die beiden — durch das „aber" getrennten — Seiten sind also, daß einmal der Inhalt selbst formierte Materie ist, zum anderen aber Form und Materie von ihm unterschieden sind. Einmal gehört die Form selbst zum Inhalt und macht ihn erst zum Inhalt, dann aber ist sie äußerlich gegen ihn, trennbar und hinzu¬ kommend. Der Inhalt ist einmal selbständig gegen die Form, einmal aber nur durch ihre Bestimmung er selbst. Wir haben also nunmehr drei Momente: Inhalt, Form und Materie. Der Inhalt ist die Einheit von Form und Materie, denn er hat eine Form und besteht aus einer Materie. Aber der Inhalt ist sowohl von der Form wie von der Materie verschieden, oder die Form des Inhalts und die Materie des Inhalts sind etwas anderes als der Inhalt selbst. Dabei ist der Inhalt das Wesentliche, aus sich Be-

181 stehende, das Selbständige und die Grundlage, während Form und Materie nur an ihm sind, also das Gesetzte und Unwesentliche. Außerdem aber hat der Inhalt auch schon eine Bestimmtheit für sich selbst, er ist formierte Materie oder be¬ stimmte Grundlage. Der Inhalt ist von vornherein

bestimmter

Inhalt.

Diese Bestimmtheit aber ist in gewisser Weise wieder unabhängig von der Form, denn er ist gleichgültig gegen sie. Derselbe bestimmte Inhalt kann in verschiedenen Formen sein (z. B. als möglicher oder wirklicher, als Grund oder Begründetes, als Ganzes oder Menge von Teilen usw.). Die Bestimmtheit des Inhalts selbst wird von diesen Änderungen der Formbestimmungen nicht be¬ rührt. Unter „Gleichgültigkeit" versteht Hegel einen solchen eigentlich bezie¬ hungslosen Unterschied. Die dialektischen Bestimmungen sind: Inhalt als be¬ stimmte Einheit; Materie — Form als Differenz gegen die Einheit, durch sie negiert, aber an sich diese auch selbst negierend. Der Unterschied ist so einmal außer der Einheit, einmal ihr eigenes Moment. Dies ist die Eigenart der „negati¬ ven Einheit". Jedoch die eigentliche Erörterung des dialektischen Verhältnisses von Form und Inhalt beginnt erst mit dem folgenden Abschnitt, der eigens diese Überschrift hat und uns zeigen wird, wie dasjenige, was der überleitende Schluß des gegen¬ wärtigen Abschnittes gebracht hat, in der dialektischen Entwicklung standhalten wird. Wir wissen ja noch nicht, ob in dieser Überleitung schon das „Wahre", das Ganze enthalten ist, oder ob wir es nur mit vorläufigen Bestimmungen zu tun haben, die von dem, was eigentlich zu sagen wäre, noch weit entfernt sind.

c. Form und Inhalt

Der Unterschied von Form und Inhalt ist besonders schwierig zu begreifen, er ist aber, wie wir sehen werden, besonders wichtig für das philosophische Denken, — gerade auch, was den deutschen Idealismus betrifft. Die Trennung von Form und Inhalt ist nicht fest gegeben, sie ist vielmehr höchst rätselhaft, die Grenze verschwimmt und verliert sich im Ungreifbaren. Wir wissen nicht mehr, was auf die eine und was auf die andere Seite gehört. Daraus aber, daß diese Grenze sich im „Weglosen" verliert, bilden sich die Schwierigkeiten für die Transzendentalphilosophie, die nach Form und Inhalt der Erkenntnis und nach dem, was beide konstituiert, fragt. Bei Form und Materie stehen sich Bestimmung und Unbestimmtes gegenüber, dies ist gleichsam ein reiner Unterschied. Der Inhalt aber unterscheidet sich von der Materie dadurch, daß er selbst ein Bestimmtes ist. Der Unterschied von Form und Inhalt ist also, genauer ausgedrückt, ein solcher von Formbestimmung und Inhaltsbestimmung. Die Unterscheidung von Bestimmung und Unbestimmten hat sich in eine Unterscheidung innerhalb der Bestimmung selbst verwandelt, dies ist die neue, gegenüber der vorigen verwickeltere Lage. Der Inhalt ist einmal an sich selbst bestimmt und wird zweitens durch die Form bestimmt, und um

182

das Begreifen dieses Unterschiedes innerhalb der Bestimmung überhaupt geht es nun. Die Gründe für die Unterscheidung liegen aber nicht in den Bestimmun¬ gen selbst, sondern in der Sache, deren Bestimmungen sie sind. Man kann also nicht irgendeiner Bestimmung als solcher ansehen, ob sie Form- oder Inhalts¬ bestimmung ist, sondern dies entscheidet sich erst daran, in welcher Weise sich diese Bestimmung auf das Etwas, dessen Bestimmung sie ist, bezieht. Es ist von vornherein keineswegs ausgeschlossen, daß jede Bestimmung die Stelle einer Inhaltsbestimmung wie einer Formbestimmung einnehmen kann. Den Unter¬ schied von Form- und Inhaltsbestimmung mag man sich an Hand der Präposi¬ tionen „in" und „außer" vorläufig klarmachen: Der Inhalt hat eine Bestimmung in

sich und eine andere

außer

sich oder von außen, durch die Form. Die

erste ist seine eigene Bestimmung, die Inhaltsbestimmung, — die andere die ihm

fremde, die Formbestimmung. Dem „in" entspricht in der logischen

Terminologie Hegels stets die „Einheit" oder „Identität", dem „außer" die „Differenz" (entsprechend bei dem „eigen" und dem „fremd"). Die Inhalts¬ bestimmung, die Bestimmung i n sich gehört darum irgendwie mit der Identität zusammen, die Formbestimmung oder die Bestimmung Differenz.

außer

sich mit der

Da die folgenden Erörterungen einige Schwierigkeit besitzen, haben wir diese Bemerkungen vorausgeschickt. Als wichtigstes muß man sich stets vor Augen halten, daß die Unterscheidung von Form und Inhalt eine Unterscheidung inner¬ halb der Bestimmung ist, daß also die Bestimmung selbst in zwei Arten einge¬ teilt werden soll, — und daß deren Unterschied gegeben wird durch die Einheit oder Unterschiedenheit der Bestimmung mit dem Bestimmten selbst. — Doch be¬ ginnen wir nun mit dem Text. — „Die Form steht zuerst dem Wesen gegenüber; so ist sie Grundbeziehung überhaupt, und ihre Bestimmungen [sind] der Grund und das Begründete. Alsdann steht sie der Materie gegenüber; so ist sie bestimmende Reflexion, und ihre Bestimmungen sind die Reflexionsbestimmungen selbst und das Bestehen derselben. Endlich steht sie dem Inhalt gegenüber: so sind ihre Bestimmungen wieder sie selbst und die Materie.'' Hegel blickt zurück auf die Entwicklung, die der Begriff der Form bisher ge¬ nommen hat. Die Form steht einem Anderen, einer Nicht-Form gegenüber, und je nach dem, welchem Anderen sie gegenübersteht, ist sie selbst eine Andere. Ihr Sein-für-Anderes gehört zu ihrem An-sich-Sein. Die Form selbst ist als Reflexion immer Einheit oder Beziehung von zwei Mo¬ menten. Zuerst waren diese beiden Momente der Grund und das Begründete, und die Form ihre Beziehung, die Grundbeziehung. Warum der Grund diese ausgezeichnete Bedeutung hat, nicht nur eine Form unter anderen zu sein, eine Kategorie unter anderen, wie man zunächst vielleicht annehmen möchte, sondern d i e Form selbst, haben wir früher auseinandergesetzt. Wenn die Form der Materie gegenübersteht, so ist sie auf das Unmittelbare als das Andere, als die aufgehobene Reflexion bezogen. Dies hatte Hegel als das Wesen der bestimmenden Reflexion dargestellt, die das fixierte, sich gleich-

183 bleibende Bestehen als ihr Anderes als Moment in sich hat. Diese beiden Seiten, die Reflexionsbestimmung selbst und das Bestehen derselben, sind zugleich nun die beiden Seiten der Formbeziehung. Das Bestehen der Reflexionsbestimmung ist das Andere der Form, es ist die aufgehobene Negativität, aber als Gleichheit mit sich zugleich selbst Moment der Form. Schließlich steht die Form dem Inhalt gegenüber. Dieser ist, wie wir zu Ende des vorigen Abschnittes schon gesehen haben, wieder die Seite der Einheit. Die der Einheit gegenüberstehende Differenz ist die Formbeziehung, und deren beide Momente die Form selbst und die Materie, die beide an dem Inhalt sind. Das Unmittelbare wird, insofern es nur in einer Beziehung es selbst ist, stets zum Moment der Form. Es erweist sich, daß die Beziehung das Bezogene konsti¬ tuiert und nicht lediglich ein Nachträgliches ist. Dieser Sinn der dialektischen Entwicklung wird mit dem folgenden Satz ausdrücklich gesagt: „VJas vorher das mit sich Identische war, zuerst der Grund, dann das Be¬ stehen überhaupt und zuletzt die Materie, tritt unter die Herrschaft der Form und ist wieder eine ihrer Bestimmungen." Der Grund war das mit sich Identische als Selbständiges, als aus sich seiende Einheit gegen das Begründete, das Gesetzte, Negierte, Abhängige, — das Be¬ stehen das Selbständige gegen die gesetzte Reflexionsbestimmung, die Materie ebenso das Selbständige gegen die an ihr seiende Form. Aber jeweils tritt dieses mit sich Identische unter die Herrschaft der Form, das Unmittelbare unter die Macht des Negativen. Wir haben schon oft darauf hingewiesen: nichts ist, was sich dieser Macht widersetzen und entziehen könnte. Selbst jedes mit sich Iden¬ tische wird Moment der Form, — der Form als Grund von Identität, denn alle Identität ist Beziehung in sich. Jedes Identische ist in sich unterschieden, und selbst Moment eines Unterschiedes. So tritt es unter die Herrschaft der Form, es hat seine Bestimmtheit, an der es erfaßt wird, es verliert den Schein seiner Unabhängigkeit und gerät in den „bacchantischen Taumel", der seine Wahrheit ist. Kein Unmittelbares bleibt außer dieser Bewegung, vermittelt zu sein. — Dies war ein Rückblick auf die bisherige Entwicklung der Herrschaft der Form, die eigentliche Erörterung des Inhaltes beginnt nun erst. „Der Inhalt hat erstlich eine Form und eine Materie, die ihm angehören und wesentlich sind; er ist ihre Einheit." Der Inhalt ist die Einheit von Form und Materie, die „formierte Materie", wie es früher hieß. Er ist sowohl etwas Geformtes wie etwas Materielles (freilich nicht im Sinne der natürlichen Materie), er enthält eine Bestimmtheit und ein Substrat der Bestimmtheit. Weil er Inhalt nur ist als diese Einheit, sind sowohl Form wie Materie ihm wesentlich. Als Unbestimmtes wäre er nicht Inhalt, als Substrat-loses ebenfalls nicht. Dies ist der Begriff des Inhaltes als „formierter Materie". Insofern die Einheit des Inhalts die Form als Moment in sich hat, gehört die Form

wesentlich

zum Inhalt. Einen formlosen Inhalt gibt es

nicht. Ebenso ist die Materie dem Inhalt wesentlich.

184 ,.Aber indem diese Einheit zugleich bestimmte oder gesetzte ist, so steht et der Form gegenüber; diese macht das Geseiztsein aus und ist gegen ihn das Un¬ wesentliche." Nun kehrt sich das dialektische Verhältnis um: während vorher darauf reflek¬ tiert wurde, daß nur das Bestimmte Inhalt ist, der Inhalt also immer schon seine Form in sich hat, so wird nun der Unterschied zwischen ihnen aufgewiesen. Die Form ist nur am Inhalt d a r a n , d. h. äußerlich, sie ist ihm nicht wesentlich. Form und Inhalt sind etwas Verschiedenes, denn die Form kann getrennt werden vom Inhalt. Dies liegt daran, daß die Einheit, die der Inhalt ist, gesetzte Einheit oder negative Einheit ist, wie erläutert, — also Einheit, die die Beziehung auf die Differenz in sich hat und so auch selbst durch die Differenz aufgehoben ist. Das „Gegenüber" ist diese Differenz, durch die die Einheit gesetzt und negiert ist. Dies ist so aufzufassen, daß die Negativität, durch die der Inhalt etwas Be¬ stimmtes, Geformtes ist, schon an sich selbst die Differenz darstellt, die — nimmt man sie gleichsam für sich — die von der Einheit des Inhalts unterschiedene Formbestimmung ist. Einheit und Differenz sind stets zumal da, es gibt nicht die eine ohne die andere; — ebenso hier in zusammengesetzter Weise Identität von Identität und Differenz (Inhaltsbestimmung) und Differenz von Identität und Differenz

(Formbestimmung). Die Differenz ist als

Inhaltsbestimmung

Moment der Einheit, aber sie ist — als dieselbe Differenz — auch außer der Ein¬ heit, d. h. zumal Unterschied und von der Einheit unterschiedener Unterschied, — Formbestimmung. Als vom Inhalt unterschieden ist die Form das Unwesent¬ liche, das Gesetztsein, das nicht aus sich selbst ist, sondern nur an einem Anderen, dem Inhalt. „Er ist daher gleichgültig gegen sie; sie begreift sowohl die Form als solche, als auch die Materie; und er hat also eine Form und eine Materie, deren Grund¬ lage er ausmacht, und die ihm als bloßes Gesetztsein sind." Der Inhalt ist gleichgültig gegen die Form, d. h. er ist überhaupt unterschieden von ihr, und näher derart unterschieden, daß seine eigene Bestimmtheit unab¬ hängig ist von dieser Formbestimmung, durch sie nicht berührt oder verändert wird. Die Form dagegen enthält die beiden gesetzten Momente, einmal die Form selbst als solche, die Reflexion und deren Bestimmung, — dann die Materie, das mit sich identische Unmittelbare, die aufgehobene Reflexion. Insofern beides von dem Inhalt unterschieden ist, gehört es zur unterscheidenden Beziehung der Form. Der Äußerlichkeit der Form entspricht, daß der Inhalt Grundlage, d. h. einfache, abstrakte Einheit ist. — In diesem ersten Teil unseres Abschnittes haben wir also gesehen, daß die Form des Inhaltes einmal ihm wesentlich, einmal das Unwesentliche, Gesetzte ist. „Der Inhalt ist zweitens das in Form und Materie Identische, so daß diese nur gleichgültige äußere Bestimmungen wären. Sie sind das Gesetztsein über¬ haupt, das aber in dem Inhalte in seine Einheit oder seinen Grund zurückge¬ gangen ist." Ging in dem vorigen Abschnitt die Bewegung von der Wesentlichkeit der Form für den Inhalt zu ihrer Unwesentlichkeit fort, so verläuft sie nun umge-

185 kehrt: die Form als die äußere Bestimmung geht in ihren Grund, in das Innere zurück, wird

für den Inhalt wesentlich.

„Dialektisch gesehen" beruht dies

wiederum darin, daß die Einheit des Inhalts „negative Einheit" ist, somit das Andere sowohl in sich wie als Negiertes außer sich hat. Einmal also ist der Inhalt selbst nur durch seine Form Inhalt, zum anderen hat er die Form als von ihm selbst Verschiedenes außer sich. Das erste ist die wesentliche, den Inhalt konstituierende, das andere die äußerliche, den Inhalt voraussetzende Form. Daß der Inhalt das in Form und Materie Identische, ihre einfache Einheit ist, haben wir gehört, ebenso, daß in diesem Fall die Formmomente äußerliche Bestimmungen sind. Aber der Inhalt ist negative Einheit, der Unterschied zur Form ist darum selbst negiert, der Inhalt als Inhalt ist geformter Inhalt. Dadurch ist das Gesetztsein (die Äußerlichkeit der Formmomente) selbst gesetzt und auf¬ gehoben, und der Inhalt ist so nicht einfache Identität oder Grundlage, sondern entwickelte Einheit oder Grund. Während wir also zunächst von der Einheit von Form und Inhalt zu deren Trennung, sind wir nun von der Trennung zur Einheit, und damit zum Grund geführt worden. Das dialektische Verhältnis besteht darin, daß einmal der Inhalt selbst die Einheit, die Form die Differenz ist, — einmal die Beziehung beider (Inhalt und Form) die der Einheit und die der Differenz ist. Man kann wieder (wie auch bei Form und Materie) sagen, die Bestimmung beider ist auch die Bestimmung der Beziehung beider. Die negative Einheit, die der Inhalt ist, wird einmal so betrachtet, daß die Einheit den Unterschied, und einmal so, daß der Unterschied die Einheit aufhebt. Insofern der Unterschied herrscht, sind die Bestimmungen äußerlich, — ihre „Reflexion in sich" nimmt sie in die Einheit des bestimmten Inhaltes zurück. „Die Identität des Inhalts mit sich selbst ist daher das eine Mal lene gegen die Form gleichgültige Identität; das andere Mal aber ist sie die Identität des Grundes.” Dies ist nach dem soeben Erklärten ohne Weiteres verständlich. Der Inhalt ist eben einmal von der Form verschieden, diese ist äußerlich, er gleichgültig gegen sie, so ist er abstrakte, unterschiedslose Einheit, Grundlage, — dann aber hat er als Inhalt bereits die Form in sich selbst und ist die reale unterschiedshaltige Identität des Grundes. Für die Doppelheit der Form, einmal äußerliche, von dem Inhalt verschiedene, einmal dem Inhalt wesentliche Form zu sein, sei noch der folgende Beleg aus der Enzyklopädie angeführt: „Bei dem Gegensätze von Form und Inhalt ist we¬ sentlich festzuhalten, daß der Inhalt nicht formlos ist, sondern ebensowohl die Form in ihm selbst hat, als sie ihm ein Äußerliches ist. Es ist die Verdoppelung der Form vorhanden, die das einemal als in sich reflektiert der Inhalt, das anderemal als nicht in sich reflektiert die äußerliche, dem Inhalte gleichgültige Existenz ist." (Enz § 133). Dies ist genau dasselbe, was auch in unserem Kapitel bisher gesagt worden ist. Die Reflexion in sich ist wieder die Einheit, die die

186 Form zur Form des Inhalts, zur wesentlichen, ihn konstituierenden Form, oder zur Inhaltsbestimmung macht. „Der Grund ist in dem Inhalte zunächst verschwunden; der Inhalt aber ist zugleich die negative Reflexion der Formbestimmungen in sich; seine Einheit, welche zunächst nur die gegen die Form gleichgültige ist, ist daher auch die formelle Einheit oder die Grundbeziehung als solche. Der Inhalt hat daher diese zu seiner wesentlichen Form, und der Grund umgekehrt hat einen Inhalt." Der Grund ist die konkrete Einheit; diese ist in dem Inhalt zunächst ver¬ schwunden, indem dieser abstrakte, von der Form unterschiedene Einheit ist. Aber die konkrete Einheit kehrt zurück; denn der Inhalt ist auch „die negative Reflexion der Formbestimmungen in sich". Damit ist einmal gemeint, was wir vorhin nannten: das Gesetztsein selbst ist gesetzt, das Anderssein von Form und Inhalt ist selbst anders —, beide sind eins geworden. Das Aufheben des Anders¬ seins ist Reflexion in sich, Einheit, — und es ist negativ, weil jedes der beiden Gesetztsein (der Formmomente) negativ ist. Der Inhalt ist so formelle Einheit oder die Grundbeziehung als solche. Mit „formeller Einheit" ist hier also nicht etwa die abstrakte Einheit gemeint, wie das Hegels sonstiger Sprachgebrauch nahelegen könnte, sondern gerade im Gegenteil die formhaltige, konkrete Einheit, die Einheit der Form. Die Form ist eine Beziehung zweier Momente (hier Form selbst und Materie). Der Inhalt ist das in beiden Momenten Identische, der Grund der Einheit in dieser Be¬ ziehung. Dies ist die andere Bedeutung der „negativen Reflexion der Form¬ bestimmungen in sich": die Einheit zwischen ihnen durch das Moment der Identi¬ tät in ihnen. Indem die Form in wesentlicher Einheit mit dem Inhalt ist, ist der Inhalt zugleich die Einheit zwischen den Momenten der Form. Die Formbezie¬ hung, die diese Einheit enthält, ist der Grund. Da die Formbeziehung nun durch Vermittlung des Inhalts zu diesem Moment gekommen ist, ist sie Grund¬ beziehung. Die formelle Einheit kann als die wesentliche Einheit von Inhalt und Form auch als Form des Inhalts angesehen werden, aber nicht als äußerliche, sondern als wesentliche. Die Grundbeziehung ist darum die wesentliche Form des In¬ halts, — die Form, deren Gesetztsein selbst gesetzt ist, die dem Inhalt nicht mehr äußerlich ist, — und ebenso hat der Grund einen Inhalt. Der Inhalt ist mit der Form Eines, die Form mit dem Inhalt. „Der Inhalt des Grundes ist also der in seine Einheit mit sich zurückgekehrte Grund; der Grund ist zunächst das Wesen, das in seinem Gesetztsein mit sich identisch ist; als verschieden und gleichgültig gegen sein Gesetztsein ist es die unbestimmte Materie; aber als Inhalt ist es zugleich die formierte Identität, und diese Form wird darum Grundbeziehung, weil die Bestimmungen ihres Gegen¬ satzes im Inhalte als negierte gesetzt sind." Nun wird uns ein kurzer Überblick gegeben über die dialektische Geschichte, die den Grund durch seine drei Stufen hindurchgeführt hat. Der Grund war, wie wir früher gesehen haben, die reale Reflexion, d. h. die Einheit der Reflexion, die die aufgehobene Reflexion oder die Unmittelbarkeit als Moment in sich

187 hatte. So war er das Wesen, das die beiden Momente der Unmittelbarkeit oder des selbständigen Bestehens sowie der Negativität oder des Gesetztseins (der Form) in sich hatte. Aber beides war mit sich identisch — die Schellingsche Identität von Form und Wesen. Das Wesen wurde zur Materie, indem es sich als Unmittelbares und Unbestimmtes von der Negativität trennte, — die Aristotelische

Unterscheidung von Form und Materie. Im Inhalt wird

dies beides vereinigt, denn der Inhalt ist sowohl selbst geformt wie von seiner Form verschieden (enthält also die Schellingsche Identität wie den Aristoteli¬ schen Unterschied in sich aufgehoben). Der Inhalt ist so formierte Identität, was dasselbe bedeutet wie vorhin die formelle Einheit. Und diese Form, d. h. die der formierten Identität, wird Grundbeziehung, wie wir ebenfalls schon hörten: „formelle Einheit oder die Grundbeziehung als solche". Die wesentliche, nicht vom Inhalt getrennte, sondern mit ihm identische Form wird der Grund, — und dies darum, „weil die Bestimmungen ihres Gegensatzes im Inhalte auch als ne¬ gierte gesetzt sind". Die Bestimmungen des Gegensatzes der Form sind die Form als solche und die Materie, die beiden Momente der Formbeziehung. Diese sind im Inhalte als negierte gesetzt, d. h. als Momente, die einerseits nicht vom Inhalt verschieden, nicht außer ihm sind (wie die äußerliche, unwesentliche Form), und die andererseits auch als Bestimmungen des Gegensatzes negiert, d. h. durch den Inhalt in Einheit miteinander sind (wie soeben dargestellt). Dadurch ist die leere einfache Identität der bloßen Grundlage aufgehoben und zur kon¬ kreten Identität des Grundes gemacht. Der Inhalt ist

selbst

das Substrat,

das bestimmt wird, und ebenso eines mit seiner Form. So sind diese beiden Bestimmungen des Gegensatzes, d. h. die beiden Entgegengesetzten negiert. Wenn wir — wie früher — die Materie als die einfache, unmittelbare Identität nehmen, die Form als Negativität und Differenz, — so ist auch auf diese Weise der Inhalt als Einheit beider Einheit von Identität und Differenz, d. h. Grund. „Der Inhalt ist ferner bestimmt an ihm selbst, nicht nur wie die Materie als das Gleichgültige überhaupt, sondern als die formierte Materie, so daß die Be¬ stimmungen der Form ein materielles, gleichgültiges Bestehen haben." Hierzu brauchen wir nicht mehr viel zu sagen. Hegel macht noch einmal auf den Unterschied von Materie und Inhalt aufmerksam, der eben darin besteht, daß die Materie für sich unbestimmt, der Inhalt dagegen schon an sich selbst bestimmt ist. Diese Bestimmungen des Inhalts haben damit zugleich ein Be¬ stehen, nämlich in dem Moment der Materie am Inhalt (weder das Bestehen noch die Materie sind natürlich als sinnliche, raum-zeitliche Bestimmungen zu ver¬ stehen). Dies Bestehen wird gleichgültig genannt nur wegen seiner Unmittelbar¬ keit, wegen seines materiellen Charakters. „Einerseits ist der Inhalt die wesentliche Identität des Grundes mit sich in seinem Gesetztsein, andererseits die gesetzte Identität gegen die Grundbezie¬ hung; dies Gesetztsein, das als Formbestimmung an dieser Identität ist, ist dem freien Gesetztsein, d. h. der Form als ganzer Beziehung von Grund und Be¬ gründetem gegenüber; diese Form ist das totale, in sich zurückkehrende Gesetzt-

188 sein, jene daher nur das Cesetztsein als unmittelbares, die Bestimmtheit als solche." Der Inhalt ist die wesentliche Identität des Grundes mit sich in seinem Gesetzt¬ sein: er ist das, was die Momente der Form miteinander vermittelt, also nun das in Grund und Begründetem (Gesetztsein) Identische. Grund und Begründe¬ tes sind durch einen identischen Inhalt miteinander vermittelt. Dies wird im folgenden bei der bestimmten Grundbeziehung näher ausgeführt werden. Andererseits ist der Inhalt gesetzte, d. h. bestimmte, negierte Identität, — Iden¬ tität, die Moment einer Beziehung ist. Dies ist er einmal als Identität gegen die Grundbeziehung, — diese ist als Form vom Inhalt unterschieden. Dieser selbe Unterschied, diese selbe Negation ist aber (wie früher) auch unmittelbare In¬ haltsbestimmung, — d. h. die Bestimmung, die ihn zum bestimmten Inhalt macht. Das Aufheben der Einheit ist zugleich auch ein Bestimmen derselben. Der Grund hat einen bestimmten Inhalt. So haben wir einmal das freie Gesetztsein, die vom Inhalt unterschiedene Form, die in der Grundbeziehung besteht, — und dann die eigene Form des In¬ halts, die „Bestimmtheit als solche". Die vorhin entwickelte Doppelheit der Form, einmal im Inhalt, einmal außer ihm zu sein, ergibt sich nun also auch für d i e Form, die die Grundbeziehung selbst ist. Die freie Form als Grundbeziehung ist außerhalb des Inhalts und an ihm. Der Inhalt ist einmal überhaupt bestimmt, einmal auch noch als Grund bestimmt. Die Grundbeziehung ist das totale in sich zurückkehrende Gesetztsein, d. h. als die reale oder die vollendete Reflexion die ganze Form. Dies sind die Be¬ stimmungen des Grundes, die wir früher kennengelernt haben. Die Inhaltsbestimmung ist nicht die ganze Form, die vollendete Reflexion, sondern einfache Bestimmtheit überhaupt. Da der Grund Reflexionsbestimmung ist, gehört er nicht zum Inhalt als Inhalt, — dieser ist vielmehr bestimmt unab¬ hängig davon, daß er außerdem auch noch Grund ist, und seine Bestimmtheit ist unmittelbar, also Bestimmtheit des Seins, — er ist der Qualität und der Quantität nach bestimmter Inhalt. Der Inhalt als Inhalt ist qualitativ und quanti¬ tativ bestimmt, — daß er außerdem Grund ist, geht ihn

als

Inhalt nichts

an. Das Grundsein ist vielmehr das freie Gesetztsein. Wir haben also die folgenden Momente: a) der Inhalt selbst ist Grund (als konkrete oder formelle Einheit); b) der Inhalt ist von der Grundbeziehung verschieden, gesetzt gegen sie, sie gehört nicht zu ihm als Inhalt, sondern ist Reflexionsbestimmung an dem schon sonstwie bestimmten Inhalt; c) die eigene Bestimmtheit des Inhalts, die ihn zum bestimmten Inhalt macht, steht der freien Form des Grundes gegenüber, — jene ist das unmittelbare Gesetztsein, diese als Reflexionsbestimmung das „totale, in sich zurück¬ kehrende Gesetztsein". Die Verschränkung der Probleme der Form-Inhalt-Beziehung mit denen der Grundbeziehung mutet vielleicht ein wenig gewaltsam an. Daß Hegel sich eines

189 gewissen Ungenügens durchaus bewußt war, lehrt ein Blick auf seine Enzyklopä¬ die, der einzigen authentischen späteren Darstellung der Logik. Deren erste Auf¬ lage erschien 1817, also nur wenig später als unsere Logik des Wesens von 1813. In dieser „Heidelberger Enzyklopädie" ist der Abschnitt über den Grund auf anderthalb Seiten oder zwei Paragraphen zusammengeschrumpft (vgl. JA 6,75). Das Problem der Form selbst wird in diesem Zusammenhang überhaupt nicht behandelt, Hegel beschränkt sich vielmehr darauf, in aller Kürze den Grund als Einheit von Identität und Differenz anzugeben: „Der Grund ist die Einheit der Identität und des Unterschiedes; die Wahrheit dessen, als was sich der Unter¬ schied und die Identität ergeben hat, — die Reflexion-in-sich, die ebensosehr Reflexion-in-Anderes und umgekehrt ist. Er ist das Wesen als Totalität gesetzt." (JA 6,75; ebenso Enz § 121). In der Heidelberger Enzyklopädie hat der Versuch, Form und Grund ausein¬ ander zu bringen, dazu geführt, daß die Darstellung der Form ganz fortgefallen ist. Die Bemerkungen JA 6,78/79 sind zu kurz, als daß sie noch als abkürzende Darstellung des in der großen Logik Behandelten angesehen werden könnten. Die späteren Auflagen der Enzyklopädie haben die Darstellung der Form weit getrennt von derjenigen des Grundes, sie ist mittlerweile in den Abschnitt „Die Erscheinung" hineingeraten (Enz § 133). Da eigentlich die ganze Wissen¬ schaft der Logik nichts weiter ist als die Wissenschaft von der Form, mag für Hegel eine gewisse Unsicherheit bestanden haben darüber, wo auch noch an einer besonderen Stelle über die Form und ihr Verhältnis zum Inhalt zu sprechen sei. So erklärt man sich dieses Schwanken in Fragen der Anordnung. Von philosophischem Interesse ist dabei das Verhältnis von Form und Grund: beide sind das Zwischen von Identität und Differenz, die Einheit der Reflexion in sich und der Reflexion in Anderes, und so das vollendete Ganze der Reflexion. Diese ihre Nähe zueinander macht den Grund zum absoluten Grund, die Form zur absoluten Form. Die Form ist nicht nur ein Grund unter anderen Gründen (wie man vielleicht die Aristotelische Lehre von den vier Grundarten, unter denen die causa formalis nur eine ist, verstehen könnte); ebenso ist der Grund nicht nur eine Form unter anderen Formen. Diese Gedanken haben Hegel bewogen, in seiner Wissenschaft der Logik die Darstellung des Grundes und diejenige der Form selbst ineinander zu weben, und wir haben uns diese Gedanken vor Augen zu halten, wenn uns im einzelnen an dieser Darstellung manches unorga¬ nisch und nicht recht bewältigt erscheint. In den anderen Fassungen der Logik wird dieses wesentliche Verhältnis von Grund und Form aufgelöst und nicht mehr bedacht. Darin sehen wir, was die Logik des Wesens anbelangt, einen großen Vorrang der Darstellung von 1813: in ihr bestimmt jenes Verhältnis eigentlich die Anlage des ganzen ersten Teiles, der darauf hinzielt, im absoluten Grund die Form als das vollendete Ganze der Reflexion zu begreifen. — „Der Grund hat sich damit überhaupt zum bestimmten Grunde gemacht, und die Bestimmtheit selbst ist die gedoppelte: erstens der Form und zweitens des Inhalts. Jene ist seine Bestimmtheit, dem Inhalt überhaupt äußerlich zu sein,

190 der gegen diese Beziehung gleichgültig ist. Diese ist die Bestimmtheit des Inhalts, den der Grund hat.” Der Grund hat sich dadurch, daß er durch die Trennung von Form und Ma¬ terie hindurchgegangen ist, zum bestimmten Grunde gemacht, denn diese Tren¬ nung bleibt, wie wir gesehen haben, wenn auch nur als Moment, im Inhalt erhalten. Diese Trennung aber konstituiert die „negative Einheit", sowohl die Bestimmtheit überhaupt wie die Doppelheit der Bestimmungen. Worin diese Doppelheit besteht, haben wir gesehen. Die Bestimmtheit der Form ist „seine (d. h. des Grundes) Bestimmtheit, dem Inhalte überhaupt äußerlich zu sein, — die Grundbestimmung gehört als Reflexionsbestimmung nicht dem Inhalt an sich selbst an, und dieser ist gleichgültig gegen sie. Er könnte als Inhalt genauso be¬ stimmt sein, d. h. derselbe Inhalt sein, auch wenn er nicht als Grund bestimmt wäre. — Die andere Bestimmtheit ist die des Inhalts selbst. Der Inhalt hat die (von ihm unterschiedene) Form, Grund zu sein, — und ist außer dieser Form auch unmittelbar bestimmt. — Damit ist der nächste Teil des Kapitels „Der Grund" erreicht; er handelt vom „bestimmten Grund". Jedoch ehe wir dahin weitergehen, wollen wir noch einige Stellen aus späteren Teilen der Logik anführen, an denen Hegel von Form und Inhalt spricht. Diese sollen hier allerdings nicht im Zusammenhang ihrer eigenen Umgebung, sondern allein im Hinblick auf das Verhältnis von Form und Inhalt betrachtet werden. Diese beiden Kategorien sind für den weiteren Ablauf der spekulativen Logik sehr-wichtig, sie werden recht oft von Hegel herangezogen. Es versteht sich, daß wir hier nur einige Beispiele auswählen können. Eine der wichtigsten Eigenheiten des Inhalts ist, daß er gleichgültig gegen die Formbestimmung ist. So kann z. B. bei den Modalkategorien derselbe Inhalt als möglicher, wirklicher, notwendiger sein, — er ist also gleichgültig gegen die Formbestimmungen Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit.

Oder bei

der

Teleologie: derselbe Inhalt kann als subjektiver und als ausgeführter, realisierter Zweck sein. Die Form des Zweckes ist zwar der Trieb, die Differenz gegen die Wirklichkeit aufzuheben, — was Zweck ist,

soll wirklich sein. Aber den¬

noch ist wiederum der Inhalt gleichgültig dagegen, subjektiv vorgestellt oder verwirklicht zu sein, ja gleichgültig dagegen, überhaupt Zweck zu sein. Derselbe Inhalt könnte auch eine bloße Vorstellung, kein Zweck sein. Der Zweck ist die Formbestimmung gegen den Inhalt des Zweckes, und der Unterschied zwischen „subjektiv vorgestellt" und „ausgeführt" ist ein Formunterschied. — In allen diesen Fällen hat der Inhalt auch noch seine eigene Form, durch die er Inhalt ist, und die von seiner Formbestimmung verschieden ist. So heißt es z. B.: „Als unmittelbare Einheit der Formbestimmungen ist diese Notwendigkeit Wirklichkeit; aber eine solche, die, — weil ihre Einheit nunmehr bestimmt ist als gleichgültig gegen den Unterschied der Formbestimmungen, nämlich ihrer selbst und der Möglichkeit, — einen Inhalt hat. Dieser als gleichgültige Identität enthält auch die Form als gleichgültige, d. h. als bloß verschiedene Bestimmungen, und ist mannigfaltiger Inhalt überhaupt. Diese Wirklichkeit ist reale Wirklich¬ keit

(L 11,175). Hegel denkt — wie Kant — die Notwendigkeit als Einheit von

191

Möglichkeit und Wirklichkeit. In der Bestimmung der Unmittelbarkeit aber ist diese Einheit selbst wieder Wirklichkeit. Diese Einheit ist bestimmt, geformt, und sie ist zugleich bestimmt als gleichgültig gegen den Unterschied von Wirk¬ lichkeit und Möglichkeit. So hat diese Wirklichkeit an dieser Bestimmtheit eine Inhaltsbestimmung gegen eine Form (den Unterschied von Wirklichkeit und Möglichkeit). Dies entspricht genau dem, was wir als Wesen des Inhalts kennen¬ gelernt haben. Noch zwei Beispiele aus der Teleologie: „In der Teleologie dagegen wird der Inhalt wichtig, weil sie einen Begriff, ein an und für sich Bestimmtes und damit Selbstbestimmendes voraussetzt, also von der Beziehung der Unterschiede und ihres Bestimmtseins durcheinander, von der Form die in sich reflektierte Einheit, ein an und für sich Bestimmtes, somit einen Inhalt unterschieden hat" (L 11,386); und das andere: „Der Inhalt des Zwecks ist seine Negativität als einfache, in sich reflektierte Besonderheit, von seiner Totalität als Form unterschieden. Um dieser Einfachheit willen, deren Bestimmtheit an und für sich die Totalität des Begriffes ist, erscheint der Inhalt als das identisch Bleibende in der Realisie¬ rung des Zweckes" (L 11,399). Auch hier kehren die gleichen Gedanken wieder. Uns interessieren die Formulierungen Hegels: Der Inhalt ist die in sich reflek¬ tierte Einheit, von der Form als der Beziehung der Unterschiede unterschieden, — dann (nach der anderen Stelle) ist der Inhalt die Negativität des Zweckes selber als einfache in sich reflektierte Besonderheit, von der Form als der Totali¬ tät des Zweckes unterschieden. Der Inhalt ist also etwas in sich reflektiertes, — einmal in sich reflektierte Einheit, einmal in sich reflektierte Besonderheit, Bestimmtheit oder Negativität. Beides heißt, daß Einheit und Bestimmtheit selbst Eines sind, — daß die Bestimmtheit nicht nur an einem Anderen (etwa der Materie) ist und die Einheit die Bestimmtheit nicht als etwas Anderes, Unter¬ schiedenes hat (wie die Materie die Form). Der Inhalt ist, wie wir auch früher gesehen haben, Unmittelbarkeit (oben heißt es, einfache in sich reflektierte Besonderheit), die aber als Einheit nur ist, indem sie die Bestimmtheit in sich aufgehoben hat. Der Inhalt ist nur durch seine Form, die er in seiner Einheit aufhebt, Inhalt. Der Inhalt ist weder selbst an einem Anderen, weil er seine Selbständigkeit in sich hat, noch ist er durch seine Bestimmung aufgehoben. Die Form dagegen ist die Totalität des Zweckes, wie sie vorhin die ganze Grund¬ beziehung und das „freie Gesetztsein" war. Die zuletzt angeführte Stelle enthält noch einmal deutlich den Gedanken, daß der Inhalt selbst Negativität, und Inhalt nur darum ist, weil er von der totalen Negativität unterschieden ist. Anders ausgedrückt, der Unterschied von Form und Inhalt ist ein Unterschied innerhalb der Bestimmung, die einmal Inhaltsbestim¬ mung, einmal Formbestimmung ist. Sofern aber alles Bestimmte der Form ange¬ hört oder die Form absolute Negativität ist, steht der Inhalt keineswegs der Form gegenüber, sondern ist wieder nur eines ihrer Momente. Auch hier gilt, was früher gesagt wurde: Das mit sich Identische tritt unter die Herrschaft der Form und ist eine ihrer Bestimmungen. Daß der Inhalt nicht einfache Einheit,

192 sondern reflektierte Einheit ist, beweist dasselbe, denn die Form ist die voll¬ endete Reflexion. Bei der „Idee des Wahren" haben wir den Unterschied von Form und Inhalt in ähnlicher Weise: Auf der Seite der Form steht der Unterschied des Subjek¬ tiven und der äußerlichen Welt, der Inhalt ist dasjenige, was sich in der Auf¬ hebung dieses Gegensatzes in der Form als das in beiden Seiten Identische erhält. Der Inhalt entsteht, wo das Erkennen das Anderssein der Welt aufhebt. Dies Aufheben ist das Wiederherstellen einer Einheit, eine Reflexion in sich, deren Bestimmtheit, sofern sie gegen die Momente des Gegensatzes (das Erkannte und der diesem entsprechende äußere Gegenstand) gleichgültig und in beiden dieselbe ist, Inhalt ist. Hegel nennt dies „die aus dem Gegensatz hergestellte Identität der Form mit sich selbst, — eine Identität, welche damit als gleichgültig gegen die Form in deren Unterschiedenheit bestimmt und Inhalt ist

(L 11,439). Wie

vorhin bei der Ausführung des Zweckes der Inhalt mit sich identisch blieb und gleichsam „in meinem Kopf" und als verwirklichter, herausgestellter selbe

der¬

Inhalt war (den dieser Formunterschied von innen und außen weiter

nicht berührt, ihn nicht verändert), — so bleibt nun auch beim Erkennen der Inhalt derselbe, ob er meine Vorstellung oder äußeres Wirkliches ist. Das Er¬ kennen ist das Aufheben des Unterschiedes von innen und außen, — der Inhalt das in diesem Erkennen entstehende, innen und außen gleicher Weise Be¬ stimmte, — derselbe Inhalt als innerer und äußerer. Diese Selbigkeit ent¬ steht im Erkennen. — Es wird auch noch einmal deutlich, daß der Inhalt nur ein bestimmtes Verhältnis der Form zu sich selbst und nichts Anderes als die Form ist. An einer weiteren Stelle L 11,479 wird der Inhalt wiederum die zur „einfa¬ chen Identität reflektierte Form des Begriffes" genannt, was dem vorhergehenden genau entspricht. Hier führt Hegel aus, daß die Negativität, die in der Unter¬ schiedenheit innerhalb der Formbestimmung selbst liegt, zugleich auch die Nega¬ tion als endliche Bestimmtheit des Inhalts ist. Es heißt: „Die erwähnte Endlich¬ keit des Inhalts in der praktischen Idee ist damit eins und dasselbe, daß sie zunächt noch unausgeführte Idee ist" (L 11,479). Unausgeführt ist die Idee, weil der Formunterschied von Absicht und Wirklichkeit nicht aufgehoben ist. Die Negativität dieses bestehenden Unterschiedes negiert zugleich den Inhalt. Das letzte Stück der „Wissenschaft der Logik" handelt von der „absoluten Idee". Hier versucht Hegel selbst, eine Darstellung seiner dialektischen Methode zu geben. Auch in diesem Zusammenhang wird verschiedentlich das Verhältnis von Form und Inhalt zum Problem. So heißt es: „Die logische Idee hat somit sich als die unendliche Form zu ihrem Inhalte, — die Form, welche insofern den Gegensatz zum Inhalt ausmacht, als dieser die in sich gegangene und in der Identität aufgehobene Formbestimmung so ist, daß diese konkrete Identität gegenüber der als Form entwickelten steht; er hat die Gestalt eines Andern und Gegebenen gegen die Form, die als solche schlechthin in Beziehung steht und deren Bestimmtheit zugleich als Schein gesetzt ist" (L 11,485). Uns interessiert wiederum nur das aus diesem Satze, was zu dem Gegensatz von Form und Inhalt

193 gesagt wird. Der Inhalt ist wieder die konkrete Identität (vorhin die reflektierte Identität), d. h. diejenige Identität, in die das Negative, Bestimmte und das Auf¬ heben des Negativen als konstituierende Momente eingegangen sind, — Einheit von Unmittelbarem und Form, formierte Materie. Diese in sich gegangene Form¬ bestimmung steht gegenüber der als Form entwickelten Formbestimmung (so hat man den Satz zu ergänzen). Der Inhalt ist das Gegebene gegen diese abgehobene Form, d. h. das Unmittelbare, das seine Bestimmung nicht aus der ihm gegen¬ überstehenden Form hat. Dieser Gedanke ist ja aus der Kantischen Transzenden¬ talphilosophie bekannt. Die als Form entwickelte Form ist wieder das Gesetzte, d. h. nur a m Inhalt und darum auch nur Schein. Für die dialektische Methode ist es grundlegend wichtig, daß die Bestimmtheit des Inhalts und die der Form nicht schlechthin, sondern nur relativ unterschieden sind, daß also niemals ein Inhalt wirklich der Form gegenübertritt. Innerhalb der Bestimmtheit überhaupt ist ein solcher Unterschied möglich und für die Methode selbst notwendig, — aber auch dieser Unterschied zwischen der Inhaltsbestimmung und der Formbestim¬ mung ist „an sich aufgehoben”, alle Bestimmtheit ist Negation und Moment der absoluten Negativität. Es gibt keine Bestimmtheit, die für sie schlechthin äußer¬ lich wäre. So sagt Hegel — ebenfalls gelegentlich der Beschreibung der dialektischen Methode in dem genannten Abschnitt —: „Es fängt deswegen in der Tat für die Methode keine neue Weise damit an, daß sich durch das erste ihrer Resultate ein Inhalt bestimmt habe; sie bleibt hiemit nicht mehr noch weniger formell als vorher. Denn da sie die absolute Form, der sich selbst und alles als Begriff wissende Begriff ist, so ist kein Inhalt, der ihr gegenüberträte und sie zur ein¬ seitigen, äußerlichen Form bestimmte. Wie daher die Inhaltslosigkeit jener An¬ fänge sie nicht zu absoluten Anfängen macht, so ist es aber auch nicht der Inhalt, der als solcher die Methode in den unendlichen Progreß vor- oder rückwärts führte. Von einer Seite ist die Bestimmtheit, welche sie sich in ihrem Resultate erzeugt, das Moment, wodurch sie die Vermittlung mit sich ist und den unmittel¬ baren Anfang zu einem Vermittelten macht. Aber umgekehrt ist es die Be¬ stimmtheit, durch welche sich diese ihre Vermittlung verläuft; — sie geht durch einen Inhalt als durch ein scheinbares Andre ihrer selbst zu ihrem Anfänge so zurück, daß sie nicht bloß denselben, aber als einen bestimmten wiederherstellt, sondern das Resultat ist ebensosehr die aufgehobene Bestimmtheit, somit auch die Wiederherstellung der ersten Unbestimmtheit, in welcher sie angefangen. Dies leistet sie als ein System der Totalität” (L II,501f). Es gibt keinen Inhalt, der der Form als absoluter Negativität gegenüberträte, — der Inhalt ist nur das scheinbare Andere der Methode oder der Form, — dies ist das Resultat. Der Inhalt hat an seiner Bestimmtheit das Mal, durch das er sich in die Form auflöst, denn alles Bestimmte ist ihr eigen, und sie ist in allem Bestimmten bei sich selbst und nur scheinbar bei einem Anderen. Der Unter¬ schied von Form und Inhalt ist so nur relativ: der Inhalt als die in die Einheit reflektierte Bestimmtheit, die Form als die unterschiedene äußerliche Bestimmt¬ heit. Und der Inhalt enthält eben immer die beiden Seiten, eins zu sein mit der

194 Form und verschieden von ihr, — er ist, wie wir früher sagten, die Synthesis der Schellingschen Einheit von Form und Wesen und der Aristotelischen Tren¬ nung von Form und Materie. Noch ein letztes, besonders wichtiges Beispiel für Hegels Auffassung der Form-Inhalt-Relation sei hier angeführt. Es findet sich in der Vorrede, die Hegel 1831 für die Neuauflage seiner „Wissenschaft der Logik" geschrieben hat. Schon daß er auf diese Frage auch in der Vorrede zu seinem Werk eingeht, beweist, welche hervorragende Bedeutung er ihr beigemessen hat. Die Stelle lautet: „Es zeigt sich von selbst bald, daß, was in der nächsten gewöhnlichen Reflexion als Inhalt von der Form geschieden wird, in der Tat nicht formlos, nicht bestimmungs¬ los in sich, sein soll, — so wäre er nur das Leere, etwa die Abstraktion des Dings-an-sich, —daß er vielmehr Form in ihm selbst, ja durch sie allein Beseelung und Gehalt hat, und daß sie selbst es ist, die nur in den Schein eines Inhalts, so wie damit auch in den Schein eines an diesem Scheine äußerlichen, umschlägt (L 1,18). Nebenbei erfahren wir noch einmal etwas über Hegels Verständnis des Dings an sich (über das wir verschiedentlich gesprochen haben): das Ding an sich als das vom Subjekt der Form schlechthin Getrennte ist absolut formlos, — wie die Materie, das absolute Substrat aller Bestimmung. Hegel versteht Kants Aussage, daß in den Gegenständen keine Synthesis liege, derart, daß es auch im Bereich der Dinge an sich keine Synthesis gebe. Dies aber heißt nun, da alle Bestimmtheit Synthesis voraussetzt, eine Einheit von Mehrerem, ein xl xaxd xivog ist, daß das Ding an sich schlechthin unbestimmt ist. Bestimmtheit dort, wo keine Synthesis ist, ist unmöglich. Der Inhalt ist nicht derart ein Unbestimmtes und Formloses wie das Ding an sich, — er ist nicht schlechthin und grundsätzlich von aller Synthesis, von aller Form getrennt. Eben darum aber ist er auch nicht das Andere der Form, ist er nicht so von der Form getrennt, wie die „nächste gewöhnliche Reflexion" an¬ nimmt. Nur durch seine Form hat der Inhalt „Beseelung und Gehalt", — nur durch sein elöog ein Inneres und Wesentliches. Und es ist die Form selbst, die in den „Schein eines Inhalts", d. h. in den Schein eines ihr Anderen umschlägt, die eine

scheinbare

Andersheit ihrer selbst und eines Inhalts hervor¬

bringt, — und damit sich auch nur den Schein eines an diesem Scheine (dem In¬ halt) Äußerlichen gibt. Die äußerliche Form ist diejenige, die nur a n dem In¬ halte ist, diesen damit voraussetzt und ihn als zugleich fertigen und getrennten außer sich hat. Aber auch diese Äußerlichkeit ist nur scheinbar, d. h. die Form ist nur scheinbar a n einem Inhalt, — in Wahrheit ist sie „substantielle Form", selbständige und den Inhalt konstituierende Form. Es gehört zur Vollständigkeit der Tätigkeit der Form, dieses scheinbar Andere, den Inhalt, von sich abzuson¬ dern, — ohne die Herausstellung dieses Scheins wäre die Form nicht die ganze Energie, die sie doch ist. Aber dieses Andere ist kein an sich Anderes, und darum keine Aufhebung, keine Grenze der Herrschaft der Form, sondern nur ein be¬ stimmtes Verhalten der Form zu sich selbst. Der Inhalt ist „in sich reflektierte Formbestimmung", und die Form ist, den Schein negierend, in ihm bei sich

195 selbst. Alles Bestimmte gehört der Form an, die darum absolute Negativi¬ tät, nicht ein Endliches und Begrenztes, abstrakt Negiertes ist. Diese Erörterungen sind selbstverständlich von bedeutenden Folgen für Tran¬ szendentalphilosophie und Erkenntnistheorie: wenn der Inhalt derart nur ein scheinbar Anderes gegen die Form ist, dann ist es nicht möglich. Form und Inhalt in unserem Wissen auf ganz verschiedene Quellen zurückzuführen. Dieser Ge¬ danke war eines der Motive, die das auf Konsequenz drängende Denken über den Kantischen Standpunkt hinausgeführt haben. Wir wollen diese schwierigen Fragen hier nicht diskutieren, wir wollen lediglich noch ein charakteristisches Zitat aus Schellings „System des transzendentalen Idealismus" bringen.

Es

zeigt, worauf es ankommt: die Unmöglichkeit eines Inhalts, der — wenn auch nur im Übergang — formlos wäre, erlaubt keine dualistische Erklärung unserer Erfahrung. Die Rezeptivität des empirischen Wissens muß auf eine Weise er¬ klärt werden, die den Forderungen der vorgängigen, vorrangigen Metaphysik (der Theorie von Form) genüge tut. Schelling sagt: „Ist das Wissen überhaupt produktiv, so muß es ganz und durchein, nicht nur zum Teil, produktiv sein, es kann nichts von außen in das Wissen kommen, denn alles, was ist, ist mit dem Wissen identisch, und nichts ist außer ihm. Wenn der eine Faktor der Vorstellung im Ich liegt, so muß es auch der andere, denn im Objekt sind beide unzertrenn¬ lich. Man setze z. B., nur der Stoff gehöre den Dingen an, so muß dieser Stoff, ehe er zum Ich gelangt, wenigstens im Übergange vom Ding zur Vorstellung, formlos sein, was ohne Zweifel undenkbar ist." (SW 111,407).

B. Der bestimmte Grund

a. Der formelle Grund

Mit dem bestimmten Grund betreten wir nun eine neue Sphäre. Sie unter¬ scheidet sich von der vorhergehenden, wie schon ihr Titel zeigt, dadurch, daß sie nicht mehr im „Absoluten" ist. Der bestimmte Grund ist nicht mehr absoluter Grund. Der bestimmte Grund nämlich ist nicht mehr selbst Grund der Bestim¬ mung. Damit verliert er seine Absolutheit. Nur der Grund ist unendlich, der selbst Grund der Endlichkeit ist, — dies aber ist der Grund der Bestimmung. Der bestimmte Grund dagegen setzt seine Bestimmtheit voraus, ohne selbst Grund7 dieser Bestimmtheit zu sein. So ist er endlicher Grund. Der bestimmte Grund ist also auch nicht mehr causa formalis, er bezieht sich als Endliches, nicht mehr als Unendliches auf die Form. Es sei darauf hingewiesen, daß auch der bestimmte Grund von Hegel niemals als Grund eines Satzes oder eines Urteils gedacht wird. Die ganze Lehre vom Urteil gehört einem anderen Teil der Logik an, gegenwärtig geht es stets um den Grund des oder eines Seienden, eines Bestimmten. Dies wird aus dem folgenden von selbst offenbar werden.

196 Die erste Stufe des bestimmten Grundes ist der formelle Grund. Als „formell bezeichnet Hegel diejenige Form, die von ihrem Inhalt getrennt und ihm äußer¬ lich ist, die also nicht den Inhalt als Inhalt bestimmt (so wäre sie selbst Inhalts¬ bestimmung), sondern als Formbestimmung den Inhalt selbst gar nicht gestaltet und verändert. Der vorliegende Fall ist das nächste Beispiel: ob ich irgend einen Inhalt als Grund von etwas oder als etwas durch etwas Anderes Begründetes an¬ sehe, geht den Inhalt als solchen gar nichts an, der in beiden Fällen derselbe bleibt und sich auch nicht ändern würde, wenn er gar nicht zu einer Grund¬ beziehung gehören würde. Diese Trennung von Form und Inhalt war das Resul¬ tat des vorigen Abschnittes, die Äußerlichkeit wieder aufzuheben und zu negie¬ ren wird der Weg dieses Teils sein. Die formelle Form wird dem Inhalt wieder nahetreten, ihm durch ihr Negieren „wehe tun”, und ihn nicht mehr lediglich sich selbst überlassen. „Der Grund hat einen bestimmten Inhalt. Die Bestimmtheit des Inhalts ist, wie sich ergeben, die Grundlage für die Form; das einfache Unmittelbare gegen die Vermittlung der Form." Mit diesem Satz wird das Resultat der vorangegangenen dialektischen Erörte¬ rungen aufgenommen. Durch die Zusammengehörigkeit von Form und Grund hatte sich ergeben, daß auch der Inhalt wesentlich auf den Grund bezogen ist. Er steht der Form gegenüber, und die Form überhaupt ist Grundbeziehung, Synthesis von Identität und Differenz, — die totale Form als freies Gesetztsein. Die einfache, von der Vermittlung selbst unterschiedene Einheit ist der bestimmte Inhalt, der aber nicht nur überhaupt bestimmt, sondern außerdem als Grund bestimmt ist. Die Grundbeziehung ist diejenige Form, deren bestimmter Inhalt er ist. Diese Form ist an ihm, er ist ihre Grundlage. Die Grundbeziehung ist die Vermittlung (denn auf ihre Seite fällt der Unterschied von Grund und Begrün¬ detem), der Inhalt selbst ist das einfache Unmittelbare, das Gegebene gegen die Grundbeziehung. „Der Grund ist negativ sich auf sich beziehende Identität, welche sich dadurch zum Gesetztsein macht; sie bezieht sich negativ auf sich, indem sie identisch in dieser ihrer Negativität mit sich ist; diese Identität ist die Grundlage oder der Inhalt, der auf diese Weise die gleichgültige oder positive Einheit der Grund¬ beziehung ausmacht und das Vermittende derselben ist." Die Identität des Grundes bezieht sich negativ auf sich, d. h. sie hebt sich auf, sie macht sich zum Gesetztsein. Der Unterschied, der dieses Aufheben der Einheit ist, ist derjenige von Grund und Begründetem. In diesem Unterschied ist die Identität mit sich des Grundes (als der ganzen Grundbeziehung) aufgehoben. Die Identität bezieht sich aber negativ auf

sich, das zweite „sich,, ist zu

betonen. Die Identität bezieht sich negativ

auf sich, indem sie sich unter¬

scheidet, — sie bezieht sich negativ auf sich, indem sie in diesem Unterschied sich gleichbleibt. Grund und Begründetes sind zwar unterschieden, aber nicht nur unterschieden, — sie wären dann lediglich verschiedene, die nicht aufeinan¬ der bezogen sind. Die Einheit in dem Unterschied macht diesen zur Grund¬ beziehung. Diese Einheit in der Grundbeziehung ist die einfache Identität des

197 Inhaltes, — die gleichgültige und positive Einheit. Wie also in den vorhin an¬ gegebenen Beispielen der Inhalt sich durch eine Änderung seiner Formbestim¬ mung hindurch kontinuierlich erhält — wie etwa beim Zweck der Inhalt des beabsichtigten und des ausgeführten Zweckes derselbe ist — so auch hier: der Inhalt kontinuiert sich durch die Änderung seiner Formbestimmung hindurch, er ist gleichgültig gegen sie und bleibt derselbe, wie sie sich ändert. Grund und Begründetes haben denselben Inhalt, ganz wie Mögliches und Wirkliches, sub¬ jektiver und realisierter Zweck. Der Unterschied, der in der Grundbeziehung darin liegt, wird noch zu keiner Bestimmung des Inhalts selbst. Grund und Be¬ gründetes sind verschieden, — wenn dieser Unterschied auch den Inhalt be¬ stimmte, hätten sie beide einen anderen. Aber vorerst ist der Inhalt nur die gleichgültige Einheit, d. h. er ist nicht von diesem Unterschied bestimmt. Als Einheit überhaupt ist er auch das Vermittelnde in der Grundbeziehung, das Vermittelnde zwischen Grund und Begründetem. Denn die Verschiedenen, als die Grund und Begründetes sind, werden nur durch eine solche den Unterschied aufhebende Einheit auch z u Grund und Begründetem. Was nur unterschie¬ den ist, kann weder Grund noch Begründetes voneinander sein. Diese Einheit also erscheint als Inhalt. „In diesem Inhalt ist zunächst die Bestimmtheit des Grundes und des Begrün¬ deten gegeneinander verschwunden." Dies besagt das vorhin erwähnte, daß der Inhalt selbst von dem Unterschied von Grund und Begründetem noch nicht bestimmt ist. „Die Vermittlung ist aber ferner negative Einheit. Das Negative als an jener gleichgültigen Grundlage ist die unmittelbare Bestimmtheit derselben, wodurch der Grund einen bestimmten Inhalt hat." Damit wird ein früher vorgetragener Gedanke wiederholt: der Inhalt ist kon¬ krete Einheit, die den aufgehobenen Unterschied von Form und Materie in sich hat und so „formierte Materie" ist. Hegel nennt diese „unterschiedshaltige" Ein¬ heit negative Einheit. Diese Negativität ist das Formiertsein der Materie oder die einfache Inhaltsbestimmung. Sie ist zu unterscheiden von der totalen Negati¬ vität, der Form an dem Inhalt, die hier die Grundbeziehung ist. Die Negativität der Bestimmtheit des Inhalts ist also, wie das früher schon erläutert wurde, die gleiche wie die Negativität als das Moment der Differenz in jener „negativen Einheit". „Alsdann aber ist das Negative die negative Beziehung der Form auf sich selbst. Das Gesetzte einerseits hebt sich selbst auf und geht in seinen Grund' zurück; der Grund aber, die wesentliche Selbständigkeit, bezieht sich negativ auf sich selbst und macht sich zum Gesetzten. Diese negative Vermittlung des Grundes und des Begründeten ist die eigentümliche Vermittlung der Form als solcher, die formelle Vermittlung." Nun treten wir auf die Seite des Unterschiedes, der negativen Beziehung auf sich in der Form. Hier haben wir selbst wieder zwei Seiten, den Grund oder die wesentliche Selbständigkeit, — und das Begründete oder das Gesetzte, das Ab¬ hängige. Diese beiden Seiten gehen dialektisch ineinander über: das Gesetzte

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geht in seinen Grund zurück, der Grund macht sich zum Gesetzten. Hegel setzt dies hier wie selbstverständlich hin, ohne es weiter auszuführen. Wir wissen aber aus unseren früheren Erörterungen, daß er diese Gedanken, die ja die Dialektik von Selbständigkeit und Unselbständigkeit bei den beiden Momenten eines Gegensatzes betreffen, an anderer Stelle ausführlich auseinandergelegt hat. Auch die Grundbeziehung ist ja nach Hegels Sprachgebrauch ein Gegensatz, ein Verhältnis von Positivem und Negativem. Das Wesentliche dieser Dialektik be¬ ruht darin, daß einmal jedes Moment nur durch das andere ist, was es ist, — und zum anderen auch jedes darin, daß es von dem anderen vorausgesetzt wird, sein Bestehen hat. Jedes Moment wird durch die Beziehung erst als es selbst konsti¬ tuiert, und zugleich hat jedes auch diese Beziehung selbst in sich aufgehoben. So wird jede Seite einmal das Selbständige und einmal das Unselbständige. Wie sich dies bei Grund und Begründetem verhält, wird später deutlicher werden. Daß der Grund das Selbständige und das Begründete das Unselbständige ist, versteht sich eigentlich von selbst. Aber auch der Grund ist das Unselbständige und das Begründete das Selbständige. Für unser forschendes Verfahren ist das Begründete das unmittelbare Dasein, bei dem die Vermittlung anfängt, — der Grund ist das Gesuchte und durch den Weg vom Anfang Unterschiedene. Aber auch ursprüng¬ licher ist der Grund darum das Gesetzte, weil er nur durch das Begründete Grund ist. Diese ganze Vermittlung ist die formelle Vermittlung, also die vom In¬ halt selbst unterschiedene Vermittlung. Wir haben ja eben gehört, daß auch der in Grund und Begründetem identische Inhalt zwischen diesen beiden Seiten ver¬ mittelt. Hiervon ist die jetzt genannte Vermittlung verschieden, — sie ist darum die formelle gegen die des Inhalts, die Form beziehung gegen die Identität des Inhalts im Grund und Begründeten (man denke zur Verdeutlichung wieder an das teleologische Beispiel: das Ausführen eines Zweckes ist die Formvermittlung, die Kontinuität des mit sich identischen Inhalts darin die Inhaltsvermitt¬ lung). „Die beiden Seiten der Form nun, weil die eine in die andere übergeht, setzen sich damit gemeinschaftlich in Einer Identität als aufgehobene; sie setzen die¬ selbe hiedurch zugleich voraus." Die Abhängigkeit beider Seiten voneinander bedeutet, daß keine von ihnen unabhängig ist, keine die erste gegen die andere. So wird ihre Beziehung aufein¬ ander das Erste und Unabhängige, das beide Momente konstituiert und in dem sie beide aufgehoben sind. Diese Beziehung, und zwar das Moment der Identität in ihr, ist also das eigentlich Selbständige, welches von den Seiten des Verhält¬ nisses als das Unmittelbare vorausgesetzt wird. Dieser Gedankengang entspricht demjenigen, den Hegel uns in der Dialektik des Gegensatzes vorgeführt hat: scheinbar sind die Seiten des Gegensatzes das Primäre, ihre Beziehung das Sekundäre, — die Seiten gleichsam die ovoiol, die Beziehung das oupßeßrixog als JtQog xi. Aber die dialektische Entwicklung weist die Beziehung als das Primäre auf, das Jtpog xi wird zur eigentlichen ouoda, gegen die Momente für sich das Unselbständige sind, das