Führung - Kreativität - Innovation: Ein Leitfaden mit Denkstrategien und Denktaktiken für innovative Köpfe 978-3658099145

902 152 9MB

German Pages 0 [398]

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Führung - Kreativität - Innovation: Ein Leitfaden mit Denkstrategien und Denktaktiken für innovative Köpfe
 978-3658099145

Citation preview

Alexander Paufler

Führung – Kreativität – Innovation Ein Leitfaden mit Denkstrategien und Denktaktiken für innovative Köpfe

Führung – Kreativität – Innovation

Alexander Paufler

Führung – Kreativität – Innovation Ein Leitfaden mit Denkstrategien und Denktaktiken für innovative Köpfe

Alexander Paufler Berlin, Deutschland

ISBN 978-3-658-09914-5 ISBN 978-3-658-09915-2  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Neu verfasste deutsche Ausgabe, der englischen Ausgabe (2013): CREATIVITY GYM FOR INNOVATIVE LEADERS, © Nation News Network Co., Ltd. 2013. Alle Rechte vorbehalten. Springer Gabler © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Geleitwort

Statistisch gesehen gilt: Je schneller der technologische Fortschritt ist, desto ­kürzer können sich große Unternehmen an der Spitze halten. Vor einem halben Jahrhundert mischte ein Top-500 Unternehmen in den USA durchschnittlich noch rund 75 Jahre ganz oben mit. Heute ist man froh, wenn das 15 Jahre lang gelingt. Was zeichnet Unternehmen aus, die trotz Technologiesprüngen und verändertem Kundenverhalten erfolgreich am Markt bestehen? In erster Linie: die Bereitschaft, sich ständig weiterzuentwickeln und neu zu erfinden. Es hat aber ebenso mit Führung, Kreativität und Innovation zu tun – den drei Schwerpunktthemen, die Alexander Paufler in diesem Buch behandelt. 2017 war das wirtschaftlich stärkste Jahr in der über 130-jährigen Geschichte von Daimler. Dass wir so erfolgreich waren, liegt sicher nicht daran, dass der technologische Wandel in der deutschen Automobilindustrie weniger rasant wäre. Im Gegenteil: Die Digitalisierung stellt derzeit alles auf den Prüfstand – wie wir Fahrzeuge entwickeln, produzieren, vermarkten und natürlich auch, wie unsere Kunden damit fahren. Das gesamte Geschäftsmodell steht zur Diskussion. Hinzu kommt: Auch die Anforderungen an Arbeitgeber und Arbeitnehmer verschieben sich grundlegend. Damit geht ein massiver Kulturwandel einher – speziell bezogen auf Führung. Es geht um mehr Geschwindigkeit, mehr Flexibilität und mehr Raum für Innovationen. Solch einen Kulturwandel vollziehen auch wir bei Daimler. Eine wichtige Erkenntnis aus diesem Prozess ist für mich: Exakte Anweisungen bringen im besten Falle das erwartete Resultat. Aber wenn Mitarbeiter mehr Freiräume bekommen, können Ideen entstehen, die sämtliche Vorstellungen übertreffen. Und genau das wird in Zukunft noch wichtiger: die besten Ideen nach vorne zu stellen, nicht Hierarchien. Die Kreativität, die Alexander Paufler in seinem Buch thematisiert, ist dabei Treibstoff für Innovation und Fortschritt. Deshalb brauchen Firmen Raum zum

V

VI

Geleitwort

Quer- und Andersdenken. Nun klingt mehr Kreativität insbesondere in einem Großunternehmen zunächst einmal nach einem Widerspruch. Aber Fakt ist: Bei Daimler schaffen wir Bereiche, in denen die Gestaltungsmöglichkeiten groß und die Entscheidungswege kurz sind. Ein Beispiel hierfür ist unsere Innovationsschmiede „Lab1886“ – benannt nach dem Jahr, in dem Carl Benz und Gottlieb Daimler das Automobil erfanden. Das „Lab1886“ lebt den Pioniergeist unserer Gründer. Es fördert die Innovationskultur im gesamten Unternehmen. Es verbindet die Stärken unseres Konzerns mit der Agilität von Start-ups. Und es hat die Freiheit und den Auftrag, sich mit Themen auseinanderzusetzen, die über das Kerngeschäft hinausgehen. Das Ziel ist klar: Gute Ideen, die es überall innerhalb und außerhalb unseres Unternehmens gibt, finden und daraus möglichst schnell marktreife Produkte oder Geschäftsmodelle entwickeln. Alexander Pauflers Buch mit den Schwerpunktthemen Führung, Kreativität und Innovation erscheint genau zur richtigen Zeit. Inmitten dieser digitalen Umbruchphase stellt es eine fundierte und wertvolle Orientierungshilfe dar. Dr. Dieter Zetsche Vorsitzender des Vorstands der Daimler AG Leiter Mercedes-Benz Cars

Vorwort

Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind (Albert Einstein).1

Sehr verehrte Leserin, sehr geehrter Leser, dieses Buch habe ich für Sie und andere Führungskräfte geschrieben. Es ist ein ganzheitlicher Führungsleitfaden geworden, der auf den zwei Säulen Kreativität und Innovation aufbaut. Machen Sie Kreativität und Innovation zum festen Bestandteil in Ihrem Führungsstil. Die beiden Säulen brauchen wir heute mehr denn je, weil Talente und großartige Mitarbeiter Inspiration suchen, engagiert und kreativ arbeiten wollen. Ich verstehe unter Führung sowohl die Führungsrolle als auch Ihre Positionierung als „führend in der Pole Position“. Sie führen durch meine Methode. Mein Buch Führung – Kreativität – Innovation: Ein Leitfaden mit Denkstrategien und Denktaktiken für innovative Köpfe entstand aus der Beobachtung, dass gute Führung die Methoden der Kreativität und Innovation braucht. Die Kapitel des vorliegenden Buches sind wie Spielkarten. Mischen Sie und spielen Sie die Karten je nach Intuition aus – alles geht. Kreativität ist ein kognitives Kopfspiel, bei dem Sie besser Druck und Stress mit negativen Gefühlen vermeiden – positiv entspannt geht es für die Meisten besser.2

1http://www.poeteus.de/zitat/Probleme-kann-man-niemals-mit-derselben-Denkweise-l%C3% B6sen-durch-die-sie-entstanden-sind/10. 2Katrin Brenner-Becker: Warum ist Kreativität ein Problem? Interview in: Psychologie Heute, 08/2016, S. 87.

VII

VIII

Vorwort

Den Lösungsweg für komplexen Wandel sieht Albert Einstein nicht in herkömmlichen Methoden – sie reichen nicht mehr aus: „Unsere Probleme lassen sich nicht mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Das Buch ist deshalb ein Leitfaden zum Neu.denken, Quer.denken sowie Unberechenbar.denken, um außerordentliche Probleme zu lösen. Probleme und aggressive Konkurrenz brauchen Innovationen zum Überleben und Erfolg. Beispiele für Komplexität und Wandel zeigen die Dringlichkeit: • Aufstieg und Fall der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), Dotcom-Crash und Aufstieg der Super-Startups • Eskalierende Informations- und Migrationsflut. • Schwarze Schwäne (Black Swan Model),3 als Metaphern für etwas Unvorstellbares, werden über Nacht zur Realität, wie die BREXIT-Entscheidung oder die Wahl nicht vorstellbarer Führungspersonen. Das Undenkbare wird zur neuen Normalität. • Neue Normalitäten stellen Märkte auf den Kopf. So löste 2008 der „Subprime Mortgage–Kreditwürdigkeitsschwindel“ eine lang anhaltende weltweite Finanzkrise aus.

Störung vor Zerstörung Gute Nachricht: Vordenker schaffen Innovationen, bei denen neue Produktideen, neue Dienstleistungsideen und neue Prozesse entstehen – das sind Mehrwerte für Kunden. Schlechte Nachricht: Innovationen wirken disruptiv auf traditionelle Unternehmen, die sich nicht weiterentwickeln wollen. Folgende Beispiele zeigen die Zerstörungskraft der digitalen Geschäftsmodelle: • Weltgrößte Taxifirma besitzt keine Taxis (Uber) • Weltgrößtes Hotel besitzt keine Immobilien (Airbnb) • Weltgrößte Telco-Gesellschaften sind ohne Telco Infrastruktur (Skype, WeChat)

3Mikael Krogerus, Roman Tschäppler: The Decision Book, Profile Books 2008, S. 112 f.: Das „Black Swan Modell“ ist Sinnbild für Unvorstellbares, das zur neuen Normalität wird. Deswegen empfiehlt der Philosoph Bertrand Russell: „We should always question the things we take for granted.“ (s. Mikael Krogerus et al. …, S. 112; Nassim Nicholas Taleb: The Black Swan – The Impact of the Highly Improbable, Penguin Books 2010).

Vorwort

IX

• • • • •

Weltgrößter Einzelhändler hat keinen Lagerbestand (Alibaba) Populärstes Medienunternehmen hat keine Medieninhalte (Facebook) Wachstumsschnellste Bank hat kein Geldvermögen (SocietyOne) Weltgrößtes Kino besitzt keine Kinos (Netflix) Weltgrößte Softwareverkäufer programmieren keine Apps (Apple & Google), sondern arbeiten an autonomen Fahrzeugen, die unsere Mobilität grundlegend verändern werden.4 • Amerikanische Superstars sitzen auf unvorstellbaren Cashbergen und Unternehmenswerten, die sie für Innovationen einsetzen. Die Top 10 Superstars des Jahres 2016 waren: Apple, Alphabet, Microsoft, Berkshire Hathaway, Exxon Mobile, Amazon, Facebook, Johnson & Johnson, General Electric, China Mobile.5 Die digitalen Superstars unter den Top 10 arbeiten mit minimalen Aktiva und kleinsten Belegschaften (nur 140.000 Arbeitsplätze), aber mit ­ Mega-Börsenmarktwerten. Der Hauptanteil der Unternehmenswerte befindet sich in Silicon Valley. 10 % der Unternehmen machen 80 % des privaten Vermögens aus. Diese Unternehmen sind in der Regel große Technologieunternehmen, die reich an intellektuellen Aktiva (Patente, Copyrights) und Gewinnerwartungen sind. Hier ein Vergleich zwischen Volkswagen AG und Facebook: Beide Unternehmen berichteten 2017 (im 2. Quartal) über einen sehr guten Verlauf des operativen Geschäfts, beide wiesen einen fast gleich hohen Reingewinn von umgerechnet leicht über drei Milliarden Euro für das zurückliegende Quartal aus. Damit enden aber schon die Gemeinsamkeiten. Während Volkswagen 620.000 Mitarbeiter beschäftigt, sind es bei Facebook gerade mal 17.000. Volkswagen muss einen Jahresumsatz von 217 Mrd. Euro erzielen, Facebook reichen schon 27 Mrd. US-Dollar aus.6 An dieser Stelle möchte ich mich noch bei all den Damen und Herren ausdrücklich bedanken, die mich bei diesem Buchprojekt in verschiedenster Weise

4Markus

Maurer, J. Christian Gerdes, Barbara Lenz, Hermann Winner (Hrsg.): Autonomes Fahren – Technische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte, Springer 2015. 5The Economist Special Report: The Rise of the Superstars, 17. September 2016, S. 3–16. 6Vgl. http://www.boerse-online.de/nachrichten/aktien/Facebook-Aktie-auf-RekordhochKonzern-stellt-mit-Wachstum-Google-in-den-Schatten-1002207768; Facebook: Annual Report 2016: https://s21.q4cdn.com/399680738/files/doc_financials/annual_reports/FB_ AR_2016_FINAL.pdf Volkswagen: Jahresbericht 2016: https://www.volkswagenag.com/ de/news/2017/02/VW_Group_2016_results.html.

X

Vorwort

mit Ratschlägen, Hinweisen und ihrer wertvollen Zeit unterstützt haben. Vielen Dank für die zahlreichen Ideen und innovativen Ausführungen an: • Dr. Dieter Zetsche – Vorstandsvorsitzender der Daimler AG, Stuttgart • PD Dr. Mazda Adli – Psychiater und Psychotherapeut, Chefarzt der Fliedner Klinik und Leiter des Forschungsbereichs Affektive Störungen an der Charité, Berlin • Ulf Schäfer – Kapitän auf großer Fahrt (Kapitänspatent: AG), Honolulu • Frau Dr. Barbara Schüle – Leitende Werksärztin der Daimler AG, Stuttgart • Prof. Dr. med. Rudolf Tauber – Charité Universitätsmedizin, Berlin • Johannes Simon Becker – Regisseur und Drehbuchautor, Berlin • Folkmar Stoecker – Botschafter a. D., Berlin • Dr. Stefan Weingartner – Private Equity Partner, München Ich wünsche Ihnen viele Aha-Erlebnisse beim Lesen und Nachdenken und freue mich auf Ihr Feedback. Alexander Paufler

Inhaltsverzeichnis

Teil I  Fünf Denkstrategien 1

Denkstrategie: Stressmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.1 Die Basis – Warum Stressmanagement?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1.1.1 Was ist Stress?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1.1.2 Kann Stress positiv sein?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.1.3 Abwehr gegen Stress ist früh zu erlernen . . . . . . . . . . 7 1.1.4 Versuch’ es mit Gelassenheit! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.1.5 Unser Körper: hormongesteuert. . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 1.2 Die Zeichen – Wie fühle ich Stress? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.2.1 Erschöpfung – kein freier Kopf für Ideen . . . . . . . . . . 16 1.2.1.1 Anhalten und nachdenken. . . . . . . . . . . . . 17 1.2.1.2 Positives „Nein“ entstresst . . . . . . . . . . . . 17 1.2.1.3 Drei Dateien in der Mitte des Monitors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1.2.1.4 Gekonnt fragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.2.1.5 Fitness und Denkvermögen. . . . . . . . . . . . 19 1.2.1.6 Hobbys als Talentvermögen . . . . . . . . . . . 21 1.2.2 Ratlosigkeit – nicht wissen, was tun . . . . . . . . . . . . . . 22 1.2.2.1 Warum mache ich, was ich mache? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1.2.2.2 Lebensplan als Kompass. . . . . . . . . . . . . . 23 1.2.2.3 Hauptziel zur Ausrichtung . . . . . . . . . . . . 27 1.2.2.4 Rollen mit Aufgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1.2.2.5 Lebensabschnitte zum Anpassen. . . . . . . . 27 1.2.2.6 Nach Signifikanz streben . . . . . . . . . . . . . 28

XI

XII

Inhaltsverzeichnis

1.2.3

1.3

Ablenkung – Zeitfresser des 21. Jahrhunderts. . . . . . . 29 1.2.3.1 Multitasking: die große Effizienzillusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1.2.3.2 Zusammen allein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1.2.3.3 Eselsohren fürs Gehirn. . . . . . . . . . . . . . . 33 1.2.3.4 Gegen den Wind segeln und Richtung halten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1.2.3.5 Familie und Freunde pflegen. . . . . . . . . . . 35 1.2.3.6 Vergleiche: Giftpillen, die unglücklich machen . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1.2.4 Angst – Alarmzentrum Amygdalae. . . . . . . . . . . . . . . 38 1.2.4.1 Plötzliches Auftreten der Schwarzen Schwäne. . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1.2.4.2 Test für unkonventionelle Ideen . . . . . . . . 42 1.2.4.3 Veränderungen, Emotionen und Widerstände. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1.2.4.4 Der Angst sachlich begegnen . . . . . . . . . . 43 1.2.4.5 Stressoren im Unternehmen . . . . . . . . . . . 44 Der Stressfallschirm – Wie gestalten?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1.3.1 Messung der Anspannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1.3.1.1 Testfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1.3.1.2 Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1.3.2 Führung und Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1.3.2.1 Traditionelle Psychologie. . . . . . . . . . . . . 50 1.3.2.2 Positive Psychologie. . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1.3.2.3 Stress senken durch Erkenntnisse der positiven Psychologie. . . . . . . . . . . . . 52 1.3.2.4 Zeitwohlstand versus materieller Wohlstand. . . . . . . . . . . . . . . . 53 1.3.2.5 Positive Verstärkungen des Stressfallschirmes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1.3.3 Schutz gegen Stressoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1.3.3.1 Signaturtalent als Beruf. . . . . . . . . . . . . . . 58 1.3.3.2 Stellenbeschreibung selbst gestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 1.3.3.3 Leben vereinfachen und Stress senken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

Inhaltsverzeichnis

XIII

1.3.3.4 1.3.3.5 1.3.3.6 1.3.3.7 1.3.3.8

Entspannungstipps aus der positiven Psychologie. . . . . . . . . . . . . . . . 61 Lachende Gesundheit. . . . . . . . . . . . . . . . 63 Humor und Karriere . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Exzentrische Kreativität und Glück. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Inspirierende Musik und aktives Zuhören fördert sechs Qualitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

2

Denkstrategie: Vielfaltdenken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2.1 Alle Ideen zulassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 2.1.1 Brainstorming ohne Grenzen und ohne Bewertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2.1.2 Kreativität fördern in zehn Dimensionen. . . . . . . . . . . 75 2.2 Durch Methodenvielfalt zur Ideenvielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2.2.1 Vorstellungskraft und Tagtraum nutzen. . . . . . . . . . . . 75 2.2.2 Ideenfindung aus Marketing und Werbung . . . . . . . . . 77 2.2.3 Ideenfindung durch Konflikte, Situationen, Zufälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2.2.4 Denkmodelle und Konzepte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2.2.4.1 Brainstorming. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2.2.4.2 SWOT-Analyse und Marketing-Mix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2.2.4.3 Businessplan-Canvas fördert visuelles Denken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2.2.4.4 Das ganze Bild: Key Performance Indicators (KPIs). . . . . . . . . 86 2.2.4.5 Inhaltsverzeichnis als Checklist . . . . . . . . 87 2.2.4.6 Überraschung und Spontanität . . . . . . . . . 87 2.2.4.7 Ungewöhnliche Ereignisse stimulieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2.3 Intuition schöpft aus Erfahrung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

3

Denkstrategie: Umwegdenken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3.1 Geistreich, gewitzt und anders denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3.1.1 Auf Umwegen neue Ideen gewinnen. . . . . . . . . . . . . . 95 3.1.1.1 Drehe das Problem auf den Kopf . . . . . . . 95 3.1.1.2 Brainstorming auf den Kopf stellen . . . . . 95

XIV

Inhaltsverzeichnis

3.1.1.3

3.2

Kleine Lösungen in große Lösungen drehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3.1.1.4 Umwegdenken mit Proust-Effekt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3.1.2 Umwegdenken im Produktdesign . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3.1.2.1 Elemente eines bestehenden Problems eliminieren . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3.1.2.2 Kaffeegeschirr aus Kaffeesatz und Klebstoff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3.1.2.3 Melonen in geometrischen Formen. . . . . . 97 3.1.2.4 Kürbis mit Frankenstein-Gesicht . . . . . . . 97 3.1.3 Umwegdenken im Servicedesign. . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3.1.3.1 Gebrauchtwagenhandel. . . . . . . . . . . . . . . 99 3.1.3.2 Buchhandel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3.1.3.3 Servicetraining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Witztechniken als Katalysatoren für Umwegdenken. . . . . . . . . . 100 3.2.1 Witztechniken von Sigmund Freud. . . . . . . . . . . . . . . 100 3.2.1.1 Verdichtung und Mischworte . . . . . . . . . . 100 3.2.1.2 Provokation und Witz. . . . . . . . . . . . . . . . 103 3.2.1.3 Sinn mit Unsinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3.2.1.4 Spiel mit Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3.2.1.5 Akronym mit Botschaft. . . . . . . . . . . . . . . 105 3.2.1.6 Modifikation mit Spannung . . . . . . . . . . . 106 3.2.1.7 Worttrennung mit Witz. . . . . . . . . . . . . . . 106 3.2.1.8 Wortspiele mit Witz. . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3.2.1.9 Aussprache mit Witz. . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3.2.1.10 Schreibfehler mit Witz . . . . . . . . . . . . . . . 108 3.2.2 Witztechniken von Lucy Kellaway . . . . . . . . . . . . . . . 108 3.2.3 Witztechniken von Matthew Diffee. . . . . . . . . . . . . . . 110 3.2.3.1 Addieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3.2.3.2 Subtrahieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3.2.3.3 Vertauschen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3.2.3.4 Wenden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3.2.3.5 Vermischen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3.2.4 Witztechnik mit Lachen und Staunen . . . . . . . . . . . . . 113 3.2.5 Richtiges Timing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

Inhaltsverzeichnis

XV

4

Denkstrategie: Umformdenken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 4.1 Verbessern: kein Plagiat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.2 Unverzichtbar: spielerische Neugier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 4.3 Branding mit Bestleistung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 4.4 Entstehung einer Service-Philosophie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

5

Denkstrategie: Integrationsdenken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 5.1 Die Quellen für Kreativität und Innovation: Masterplan. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 5.1.1 Quelle 1: Grundwissen und Fortbildung. . . . . . . . . . . 130 5.1.2 Quelle 2: Verhaltensmethoden der Erfinder. . . . . . . . . 131 5.1.3 Quelle 3: Methoden der Überzeugung und Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 5.1.4 Quelle 4: Fünf Denkstrategien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 5.1.4.1 Denkstrategie 1: Stressmanagement. . . . . 135 5.1.4.2 Denkstrategie 2: Vielfaltdenken . . . . . . . . 136 5.1.4.3 Denkstrategie 3: Umwegdenken. . . . . . . . 137 5.1.4.4 Denkstrategie 4: Umformdenken . . . . . . . 137 5.1.4.5 Denkstrategie 5: Integrationsdenken. . . . . 137 5.1.5 Fünfzehn Denktaktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 5.1.6 Quelle 6: Zwei Gehirnausrichtungen. . . . . . . . . . . . . . 139 5.1.6.1 Mit Fokus durch Theorien, Modelle und Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . 141 5.1.6.2 Ohne Fokus entspannt und gelassen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 5.2 Schutz vager und zerbrechlicher Ideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 5.3 Managing Kreativität in der Organisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 5.4 Sandkastenspiel als Weg vom Hobby zur Selbstständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

Teil II  Die fünf Denktaktiken zur positiven Einstimmung 6

Denktaktik: Wach auf und freu dich auf etwas im neuen Tag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 6.1 Gut gelaunt in jeden Tag starten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 6.2 Positive Stimmungsmacher nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 6.3 Vergleiche meiden – sie machen unglücklich . . . . . . . . . . . . . . . 164 6.4 Hobbys auch geschäftlich nutzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 6.5 Tetris hilft positiv denken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

XVI

Inhaltsverzeichnis

7

Denktaktik: Genieße Überraschungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 7.1 Wissensdurst und Überraschungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 7.2 Ein Roboter namens Neugier. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 7.3 Positiver Service überrascht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 7.4 Unser Gehirn überrascht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

8

Denktaktik: Verschenke Überraschungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 8.1 Wow-Überraschung und CEO-Branding. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 8.2 Spontanität und Überraschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 8.3 Storytelling als überraschende und erinnerungsfeste Botschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 8.4 Improvisation überrascht und schafft Führung . . . . . . . . . . . . . . 182 8.5 Der Losada-Effekt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 8.6 Die Kunst der Präsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

9

Denktaktik: Realisiere Herzenswünsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 9.1 Was ist eigentlich das Problem?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 9.2 Die George-Eliot-Motivation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 9.3 Demotivation treibt Veränderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 9.4 Gallup-Q12-Fragen zur Motivation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

10 Denktaktik: Zeit achtsam wie Seneca nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 10.1 Zeitwohlstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 10.2 Werteverschiebung bei den Generationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 10.3 Rat von Jobs, Lennon und Seneca. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 10.4 Zeit für Kreativität und Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 10.5 Monochrone und polychrone Zeitmanager. . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Teil III  Fünf Denktaktiken zur Ideenfindung 11 Denktaktik: Freude an Bestleistung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 11.1 Das eigene Signaturtalent finden und ausbauen. . . . . . . . . . . . . . 206 11.2 Schwächen finden und kompensieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 11.3 Nutze Analysen zur Selbstanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 11.4 Wahrheiten im geistreichen Witz finden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 11.5 Finde Freude an Perfektion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 12 Denktaktik: Freud und Leid mit steigender Komplexität . . . . . . . . . 215 12.1 Anpassung und ungeplante Konsequenzen. . . . . . . . . . . . . . . . . 217 12.2 Interdisziplinäres Denken über komplexe Probleme. . . . . . . . . . 218 12.3 Vier Problemebenen mit steigender Komplexität . . . . . . . . . . . . 220

Inhaltsverzeichnis

12.4

12.5

XVII

Reduktion der Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 12.4.1 Erklärung, wie Menschen auf wachsende Komplexität reagieren. . . . . . . . . . . . . . . . 221 12.4.2 Erklärung vereinfachender Schritte. . . . . . . . . . . . . . . 222 Gut vorbereiten und Chancen nicht verpassen. . . . . . . . . . . . . . . 222

13 Denktaktik: Kreativer Arbeitsplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 13.1 Arbeitsplatz zur Inspiration. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 13.2 Erfrischung für Smartphones in Hongkong. . . . . . . . . . . . . . . . . 228 13.3 Stadt oder Strand? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 13.4 Disziplin und Kreativität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 13.5 Zehn Ordnungsregeln von Tom Sachs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 14 Denktaktik: Gedankenblitze auslösen und verfolgen. . . . . . . . . . . . . 235 14.1 Alles geht!. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 14.2 Erste zerbrechliche Ideen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 14.3 Ordentlich oder unordentlich kreativ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 14.4 Zufälle, Unfälle und Vorfälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 14.5 Brillante Zufallsgedankenblitze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 15 Denktaktik: Notiere Ideen sofort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 15.1 Notieren ist Risikomanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 15.2 Notieren – der Schlüssel zum Wachstum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Teil IV Fünf Denktaktiken zur Ideen-Realisierung auf dem Weg zur Innovation 16 Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur . . . . . . . . . . . . 255 16.1 Drei Rollen als Unternehmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 16.2 Unternehmen kopieren Startup-Geist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 16.3 Innovation und disruptive Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 16.4 Erfolgsaspekte des Startups und der Startup-Abteilung eines Unternehmens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 16.5 Startup-Erfolg und Wachstumsschmerz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 16.5.1 Chancen und Risiken im Wachstum. . . . . . . . . . . . . . 263 16.5.2 Kampf um bezahlbare Talente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 16.6 Businessplan und Wachstumsschmerzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 16.6.1 Organisationsaufbau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 16.6.2 Businessplan mit Canvas-Methode . . . . . . . . . . . . . . . 266 16.6.2.1 Hauptelemente des Businessplans . . . . . . 267 16.6.2.2 Hintergründe des Businessplans. . . . . . . . 267

XVIII

Inhaltsverzeichnis

16.7

16.8

16.9

Design Thinking für Wachstum und Wandel. . . . . . . . . . . . . . . . 268 16.7.1 Grundsatzmethode mit Variationen. . . . . . . . . . . . . . . 269 16.7.1.1 Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 16.7.1.2 Beobachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 16.7.1.3 Ideenfindung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 16.7.1.4 Prototyping. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 16.7.1.5 Test, Verbesserung, Lernen. . . . . . . . . . . . 270 16.7.2 Heterogenität fördert Design Thinking . . . . . . . . . . . . 270 16.7.3 Tipps zum erfolgreichen Design Thinking Workshop. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 16.7.3.1 Tipps zur Kreativitätssteigerung im Workshop-Team. . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 16.7.3.2 Vorbereitung des Workshops. . . . . . . . . . . 274 16.7.3.3 Empathische Problemsuche . . . . . . . . . . . 276 16.7.3.4 Definition des Problems . . . . . . . . . . . . . . 277 16.7.3.5 Ideensuche (Ideation). . . . . . . . . . . . . . . . 277 16.7.3.6 Prototyp-Erstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 16.7.3.7 Testen, Lernen und Verbessern. . . . . . . . . 278 16.7.4 Wachstum und Wandel mit Design Thinking. . . . . . . 279 16.7.5 Zwei Erfolgsstorys durch Design Thinking. . . . . . . . . 282 16.7.5.1 Airbnb. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 16.7.5.2 Apple. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Sales Pitch überzeugend gestalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 16.8.1 Der erste Eindruck zählt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 16.8.2 Weniger ist mehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 16.8.3 Vermeide Langeweile. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 16.8.4 Probleme des Nutzers und Kunden ansprechen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 16.8.5 Abschlussstatement beim Pitch mit Dreisprung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Finanzielle Überlebensregeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 16.9.1 Regel 1: Liquidität folgt der Bonität . . . . . . . . . . . . . . 287 16.9.2 Regel 2: Cash ist ein Faktum, Gewinn ist Bilanzpolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 16.9.2.1 Bootstrapping . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 16.9.2.2 Sparsamkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 16.9.2.3 Fördermittel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 16.9.2.4 Starthilfe durch Gründungszuschuss. . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

Inhaltsverzeichnis

XIX

16.9.2.5

Teilnahme an Gründerwettbewerben. . . . . . . . . . . . . . . . 289 16.9.2.6 Darlehen und Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . 289 16.9.2.7 Venture Capital. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 16.9.2.8 Business Angel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 16.9.2.9 Crowdfinanzierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 16.9.2.10 Inkubatoren und Acceleratoren. . . . . . . . . 291 16.10 Gründe des Scheiterns von Startups. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 16.10.1 Nachfrage nach dem Produkt zu gering. . . . . . . . . . . . 291 16.10.2 Cash verbrennt schneller als gedacht. . . . . . . . . . . . . . 292 16.10.3 Team ohne Meinungsvielfalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 16.10.4 Fehlende Umsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 16.10.5 Keine Pflege der Kreditwürdigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . 294 16.10.6 Kein situationsgerechtes Führen . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 16.10.7 Sonstige Gründe des Scheiterns. . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 17 Anhalten und Nachdenken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 17.1 Stop running and think for a while . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 17.2 Ideenreicher Müßiggang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 17.3 Mobilität ist Quell für innovative Ideen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 18 Denktaktik: Offen für Neues, geschlossen beim Denken . . . . . . . . . . 307 18.1 Offenheit und Klausur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 18.2 Staubsauger für neue Ideen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 19 Denktaktik: Probleme von allen Seiten durchdenken. . . . . . . . . . . . . 313 19.1 „Hey Jony – hier ist mal wieder eine blöde Idee“. . . . . . . . . . . . 314 19.2 Rundblick mit Technik und Tricks. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 19.3 Denke im Kreis und entlang der Geraden. . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 20 Botschaften überzeugend und erinnerungsfest gestalten. . . . . . . . . . 323 20.1 Botschaften verstehen und absichern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 20.1.1 Aktiv Zuhören heißt Zuhören mit Ohr, Auge und Herz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 20.1.2 Erich Fromm über die Kunst des Zuhörens. . . . . . . . . 327 20.2 Analysiere Zuhörer vor der Ansprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 20.3 Was Botschaften erinnerungsfest macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 20.4 Sechs Kommunikationstechniken zur Überzeugung, Verhandlung und Konfliktlösung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 20.4.1 Mediation – Neutraler Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 20.4.2 Aristoteles – Klassischer Ansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . 336

XX

Inhaltsverzeichnis

20.4.3 20.4.4 20.4.5

20.5

Carl R. Rogers – Psychologischer Ansatz. . . . . . . . . . 337 Jay A. Conger – Managementansatz. . . . . . . . . . . . . . 339 Richard Shell & Mario Moussa – Rollenansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 20.4.6 Roger Fisher & William Ury – Harvard-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 20.4.6.1 Feilschen und auf einer Position beharren ist hinderlich. . . . . . . . . . . . . . . . 342 20.4.6.2 Trennung von menschlicher Beziehungsebene und Sachproblem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 20.4.6.3 Vielfältiges Interesse in den Mittelpunkt stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 20.4.6.4 Entwicklung verschiedener Alternativen zur Auswahl vor der Entscheidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 20.4.6.5 Entscheidung auf der Basis objektiver Kriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Abschließende Erfolgsrezepte von Richard Branson, Bill Gates, Steve Jobs, Warren Buffett und eigene Regeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 20.5.1 Richard Branson. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 20.5.2 Bill Gates. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 20.5.3 Steve Jobs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 20.5.4 Warren Buffett. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 20.5.5 Was sind Ihre Erfolgs- und Signifikanzregeln?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348

Teil V  Anhang 21 Kleine Hormonfibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 21.1 Die Rolle der Hormone bei Stress. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 21.1.1 Adrenalin: Leistungs- und Stresshormon. . . . . . . . . . . 356 21.1.2 Cortisol: Leistungs- und Stresshormon. . . . . . . . . . . . 357 21.1.2.1 Multitasking wirkt auf das Gehirn wie eine Salatschleuder. . . . . . . . . 357 21.1.2.2 Die Körperhaltung wirkt auf den Hormon-Cocktail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358

Inhaltsverzeichnis

XXI

21.1.2.3 21.1.2.4 21.1.2.5

21.1.3 21.1.4 21.1.5 21.1.6

21.1.7

Cortisol als Hallo-Wach-Hormon. . . . . . . 358 Cortisol dämpft Körperfunktionen. . . . . . 359 Cortisol hilft Informationsspeicherung und -verarbeitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Testosteron: Leistungshormon. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 Dopamin: Glückshormon. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 Endorphin: Glückshormon. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Oxytocin schafft Vertrauen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 21.1.6.1 Oxytocin: Kuschelhormon . . . . . . . . . . . . 365 21.1.6.2 Oxytocin mildert Angst und senkt Stress. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 Serotonin: Glückshormon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368

22 Fragebogen zur Ideenfindung – Ideenrealisierung. . . . . . . . . . . . . . . 371 23 Letzte Worte von Steve Jobs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Personenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

Abkürzungsverzeichnis

BKP CRM fMRI fMRT FT GE HBP HBR HBSP IPO KPI

Bangkok Post Customer Relationship Management Functional magnetic resonance imaging funktionelle Magnetresonanztomografie Financial Times General Electric Harvard Business Press Harvard Business Review Harvard Business School Press Initial Public Offering (Börsengang des Startups) Key Performance Indicator = Kennzahlen zur Analyse der Zahlen im Businessplan M&A Mergers & Acquisitions = Fusion, Beteiligungskauf, Unternehmenskauf MBSR Mindfulness-based Stress Reduktion (auf Deutsch: Achtsamkeitstraining zur Schmerz- und Stressreduzierung) MRT Magnetresonanztomografie o. V. ohne Verfasser PA Personal Assistance (Assistent/Assistentin) SUV Sports Utility Vehicle WSJ Wall Street Journal

XXIII

Einführung

Scheuen Sie sich nicht, exzentische Meinungen zu äußern, denn jede heute akzeptierte Meinung war einmal exzentrisch (Bertrand Russell).7

Der Inhalt des Buches liegt auf der Schnittstelle von der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre mit Themen wie Leadership, Organisation und Verhalten, Leistungsmanagement, Personalführung. Ferner wurden Erkenntnisse aus Biologie, Hirnforschung, Neurologie und Psychologie verarbeitet. Stressmanagement ist für mich Basis für kreatives Denken. Stress behindert Kreativität, während Stressfreiheit oder positiver Stress (Eustress) die Kreativität nährt. Gerade als nicht formal ausgebildeter Biologe, Hirnforscher, Neurologe oder Psychologe erachte ich es als Aufgabe jeder Führungskraft mit Personalverantwortung, sich mit leistungsbeeinflussenden Erkenntnissen wie Motivation, emotioneller Intelligenz, Stress und Burn-out zu befassen und damit, wie sich unser Verhalten bei Mitarbeitern auswirkt. Ziele des Buches • Sicherstellung von stressfreiem oder zumindest stressarmem Denken. • Tipps zur kreativen Führung, zum kreativen Denken und zur Innovation. • Tipps zur Bildung vieler, origineller Ideen und zu ungewöhnlichem Denken.

7Bertrand

Russell, englischer Philosoph, Mathematiker und Nobelpreisträger (im englischen Original: „Do not fear to be eccentric in opinion, for every opinion now accepted was once eccentric.“). XXV

XXVI

Einführung

Goldader für Ideen Das Gehirn kreativer Mitarbeiter ist eine Goldader mit direkter Wirkung auf die Gewinn-und-Verlust-Rechnung (GuV). Dieses Buch zeigt Ihnen, was Sie mit Ihren geschätzten 100 Mrd. Neuronen machen können. Das Gehirn ist ein Neuronenkraftwerk. Aber trotz großer wissenschaftlicher Bemühungen und milliardendollarschwerer Forschungsprojekte wie Brain-Activity-Mapping (BAM) ist dieses hochkomplexe Organ noch weitgehend unerforscht.8 So bleibt uns nur, die optimale Nutzung unseres Gehirns weiterhin individuell zu entdecken. Tiefer gelegene Hirnareale liegen weiterhin im Dunkeln: „Trotz moderner Hirnforschung und der Riesenfortschritte in den Neurowissenschaften“ bleibt das Gehirn ein kompliziertes und undurchschaubares Wunderwerk.9 Geraume Zeit wird noch vergehen, bis wir klares Wissen über den Prozess von Ideenfindung und Ideenrealisierung haben. Der Sänger und Songwriter Leonard Cohen drückte es einmal so aus: „Wenn ich wüsste, woher die guten Songs kommen, würde ich öfter dorthin gehen.“ – oder, unternehmerisch formuliert: „Wenn ich wüsste, woher die guten Geschäftsideen kommen, würde ich öfter dorthin gehen.“ Im Laufe Ihrer Lektüre dieses Buches werden Sie von vielen Wegen erfahren. Die Wege sind selten direkt. Unser Gehirn ist eine Goldader voller Ideen, die wir wie Nuggets einsammeln können. Auf meiner Suche nach Gold entstand zuerst eine dreiseitige Everyday Checkliste: Insbesondere im Abschwung, in der Krise oder beim Turnaround brauchen jeder Manager und jede Führungskraft eine praktische Anleitung für die Seitentasche, um schnell reagieren zu können, während sie ungeduldig auf Gedankenblitze und Ideen warten. Diese Checkliste war die Grundlage des über viele Jahre hinweg entwickelten Leitfadens, der nun vor Ihnen liegt.

8Das

Weiße Haus in Washington startete 2013 das Projekt BAM. Es beruht auf einer Kooperation zwischen staatlichen und privaten Forschungsinitiativen und wurde angestoßen durch den damaligen US-Präsidenten Barack Obama. Ziel ist es, ein besseres Verständnis für die Funktionsweise des Gehirns zu bekommen. Hier eine Zusammenstellung bisheriger Ergebnisse: http://www.columbia.edu/cu/biology/faculty/yuste/bam.html. 9Mazda Adli: Stress and the City, C. Bertelsmann 2017, S. 14.

Einführung

XXVII

Abb. 1   Umfrage beim World Economic Forum 2016

Zunehmende Bedeutung der Kreativität Das Umfrageergebnis beim World Economic Forum 2016 ist selbstredend (Abb. 1): Auf der Liste der Top 10 Skills für künftige Manager stieg die Kreativität von Platz 10 auf Platz 3.10 Demotivation durch Führungsfehler Ein häufig vorkommender, hier an erster Stelle zu nennender Führungsfehler ist, dass, ohne Rücksicht auf individuelle Belastungen, immer dieselben Mitarbeiter als Projektmitglieder gewählt werden. Das ist zwar ein Kompliment für die ­entsprechenden Mitarbeiter, führt aber andererseits zum Burn-out. Häufig werden bereits vor Abschluss der Altprojekte neue Projekte forciert. Ökonomisch falsche Sprüche setzen noch einen obendrauf: „Wir müssen gleichzeitig mehr mit weniger Budget und weniger Headcount erreichen.“

10World

Economic Forum 2016: http://www.weforum.org/agenda/2016/01/the-10-skillsyou-need-to-thrive-in-the-fourth-industrial-revolution; Vivien Luu: The 10 Skills you will need by 2020 (and beyond), Career FAQs: http://www.careerfaqs.com.au/news/newsand-views/the-10-skills-you-ll-need-by-2020-and-beyond; https://www.weforum.org/ agenda/2016/01/the-10-skills-you-need-to-thrive-in-the-fourth-industrial-revolution/.

XXVIII

Einführung

Der zweite weitverbreitete Führungsfehler ist, dass ein Team ohne Rücksicht auf bestehende Prioritäten und Anspannungen die vereinbarten Altziele erreichen soll. Mitarbeiterfrust steigt durch permanente Anspannung und Überlastung. Der Chef verliert so motivierte Mitarbeiter und seine Glaubwürdigkeit. Kreative Auswege aus Krisen Krisen kommen, gehen und verändern sich. Manche Lösungswege bleiben gleich, aber die Lösungsideen sollten vielfältig und originell sein. In Krisen hört man: • • • •

Wie kann ich wegbrechenden Absatz kompensieren? Wo finde ich neue Geschäftsideen als Puffer für die Topline (Umsatzerlöse)? Wer hat neue Ideen für besseres Kostenmanagement (Benchmarking)? Wie sichere ich „gute Kosten“ (= notwendige Kosten wie zur Fortbildung), auch wenn Kostensenkung angesagt ist? Wie finde ich „schlechte Kosten“ (= unbedenklich streichbare Kosten) zur Einsparung? • Wo finde ich Cashflow zum Liquiditätserhalt, zur Verbesserung des Ratings und zur Überzeugung der Banken, Investoren und Ratingagenturen? • Wie können Ideen schnellstmöglich umgesetzt werden? • Last, but not least: Welche Mitarbeiter wähle ich ins Projektteam? Zeitdruck und Angst vor Arbeitsplatz- und Statusverlust bewirken Stress. Kommen immer neue Changeprojekte und Umorganisationen hinzu, wird „Permafrost“ ausgelöst. Permafrost ist schwindender Elan bis zur Gleichgültigkeit. Langzeitfrust und fehlende Entspannung führen zu dieser Vereisung.11 In der Folge resignieren Mitarbeiter, kündigen innerlich oder verlassen das Unternehmen. Transparente Erklärungen dagegen tauen Permafrost auf und können selbst frustrierte Mitarbeiter entstressen sowie zu Leistung motivieren. Dafür muss die Botschaft überzeugend übermittelt werden und in Erinnerung bleiben (s. Teil 4, Kap. 20). All diese Beobachtungen regten meine Frage an: Wie kann ich Mitarbeitern im Sinne der Aussage Einsteins „Kreativität ist Intelligenz, die Spaß macht“ den motivierenden Spaß vermitteln? Wie kann ich Mitarbeiter für Fortbildung und zur Schaffung neuer Ideen einladen, ermutigen und inspirieren?12

11Eric Abrahamson: 12Gerald

Change without pain, HBR, July-August 2000.

Hüther: Das Gehirn wird so, wie man es nutzt – aber mit Begeisterung nutzt. Diese Begeisterung ist wichtig, damit sich im Gehirn etwas verändern kann. Gelassenheit hilft: Anregungen für Gehirnbenutzer, in YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=2XlJmew2lK4 (Min. 29:00 aus 41:58).

Einführung

XXIX

Kreativität durch Wissensdurst und Neugier Zum Schluss noch eins: Die Recherchen zu diesem Buch haben mich davon überzeugt, dass vielseitig interessierte Menschen glücklicher leben, also Menschen, die neben ihrem Beruf einem Hobby oder einer zweiten Berufung nachgehen. Ein sogenanntes Doppelleben macht glücklicher.13 Bisher war es ein weitverbreitetes Klischee, dass Kreativität nicht unbedingt zum ernsthaften Geschäftsleben passt: Kreativität sei ein Privileg der Kunstschaffenden und Designer. In Zeiten von kreativem Produkt-, Dienstleistungs- und Prozessdesign ist diese Meinung jedoch irrelevant geworden. Erfolgreiche Unternehmen setzen auf Design. Andererseits hat eine große IBM-Studie hartnäckigen Selbstbetrug in Führungsetagen erwiesen: 60 % der CEOs halten Kreativität für wichtig; im Büroalltag angekommen, fördern sie die Kreativität ihrer Mitarbeiter jedoch nicht mehr.14 Immerhin scheint sich fünf Jahre später ein Wandel anzubahnen. Einer neuen IBM-Studie mit 1500 CEOs aus 33 Industriezweigen in 60 Ländern zufolge ist Kreativität das Mitarbeiter-­ Auswahlkriterium Nummer 1 – und nicht Disziplin, Integrität und Intelligenz.15 Im vorliegenden Buch beschreibe ich einen praktischen und ganzheitlichen Führungsstil, der auf den Säulen Kreativität und Innovation ruht: • Teil 1 stellt die fünf Denkstrategien vor, die man für Ideenfindung und Ideenrealisierung nutzen kann. • Teile 2–4 stellen fünfzehn Denktaktiken vor, die der kreativen Einstimmung, zur Ideenfindung und zur Ideenrealisierung assistierend dienen. Führung im Sinne dieses Buches verstehen Sie bitte nicht nur als einen Teil der „Organisationstheorie“ oder ihrer angelsächsischen Variante, des „Organizational Behavior“. Führung ist weit zu fassen und zeichnet sich durch interdisziplinäres und holistisches Verhalten sowie Interesse aus, wenn Führung kreativ umgesetzt werden soll: Wie setze ich Ideenfindung und Ideenrealisierung mit Kreativität und Innovation ein, um zu führen?

13David

Heenan: Double Lives – Crafting Your Life of Work and Passion for Untold Success Stories of Extraordinary Achievement, Nicholas Brealey Publishing 2002; Leo F. Buscaglia, in: Dennis Wholey: Are You Happy?, Houghton Mifflin 1986, S. 21–25. 14Roger Neill: „Capitalizing on Complexity“, IBM 2010, in: Need for leaders who think out of the box, FT, 17. Januar 2011, S. 13. 15Emma Seppala: How Senior Executives Find Time to be Creative, HBR 14. September 2016: https://hbr.org/2016/09/how-senior-executives-find-time-to-be-creative.

XXX

Einführung

Die 1000+ Die interessantesten Erkenntnisse aus meiner Führungserfahrung in sieben Ländern in West und Ost sowie aus den Interviews mit über 1000 Experten und Studenten aus verschiedensten Berufsfeldern habe ich am Ende jedes Kapitels im Abschnitt 1000+ zusammengestellt. Testen Sie Sie sich selbst durch den Fragebogen im Anhang (s. Teil 5, Kap. 22 Anhang: Fragebogen).

Teil I Fünf Denkstrategien

1

Denkstrategie: Stressmanagement

Stress mit Licht am Ende des Tunnels

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie: • Denkstrategie 1: Stressmanagement bedeutet, Gelassenheit und Entspannung einstellen und kreativ gestalten zu können. Kreativität und Innovation bilden ein ganzheitliches System. In diesem System sind sechs Komponenten erkennbar: 10 Jahre Mindestausbildung, lebenslange Fortbildung, Innovatives Verhalten, Überzeugungskunst, die fünf Denkstrategien, die fünfzehn Denktaktiken und die zwei Gehirnausrichtungen. Die Komponenten können einzeln oder gemischt Einsatz finden. Dieses Zusammenspiel nenne ich auch „Quellen für Kreativität und Innovation“. In Teil 1, Abschn. 5.1 zur Denkstrategie Integrationsdenken folgt eine detaillierte Erklärung des Systems.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_1

3

4

1  Denkstrategie: Stressmanagement

• Stressverursachte Körpersignale sind Anzeichen dafür, dass Gesundheit und Leistung in Gefahr sind. • Mein Begriff ‚Stressfallschirm‘ steht für praktische Methoden zum Stressabbau. Packen Sie morgens den Stressfallschirm aus und falten Sie ihn abends für den kommenden Tag wieder fein säuberlich zusammen. Stressmanager eignen sich sehr gut als Krisenmanager, weil sie für sich und andere in Krisensituationen die richtige Mischung von Stress und Entspannung einstellen können. Stress ist ein Radiergummi für meine Kreativität. (Marina Zuber, Pädagogin)

1.1 Die Basis – Warum Stressmanagement? 1.1.1 Was ist Stress? Stress ist körperliche und geistige Anspannung. Die Stressverursacher stören als sogenannte Stressoren unser Gleichgewicht. Erleben wir Dauerstress oder ständig existenzielle Sorgen oder agieren wir über längere Zeiträume hinweg bei den beruflichen und familiären Anforderungen am Limit unserer Kräfte, bedroht dies unsere physische sowie psychische Gesundheit. Dauerstress ist lt. Weltgesundheitsorganisation eines der größten Gesundheitsrisiken der 21. Jahrhunderts und kann bei entsprechender Veranlagung auch zur Depression führen.1 Daher ist es wichtig, Wege zu finden, um das natürliche Gleichgewicht wieder herzustellen. Jeder Mensch beschäftigt sich auf die eine oder andere Weise mit Stress, in belustigender, ernsthafter oder deprimierender Form: • „Stress ist eine Ausrede, um nicht zuhören zu müssen.“ (Alain Wirth) • „Seit alle gestresst sind, macht Gestresstsein viel weniger Spaß.“ (Walter Ludin) • „Der stressigste Stress ist der Beziehungsstress.“ (Peter E. Schumacher) • „Stress ist, wenn man schreiend aufwacht und bemerkt, dass man noch gar nicht eingeschlafen war.“ (Willy Meurer)

1Mazda Adli:

Stress and the City, C. Bertelsmann 2017, S. 16, 34 f., 39.

1.1  Die Basis – Warum Stressmanagement?

5

Stressauslöser können physischen, psychischen und sozialen Ursprungs sein. Zu den physischen Stressoren gehören Hitze, Lärm, Reizüberflutung sowie ständige Erreichbarkeit durch moderne Telekommunikation. Psychische Stressoren entstehen u. a. durch Versagensängste, zu viel Arbeit, Überforderung, Unterforderung, Daueranspannung, Zeitmangel und Prüfungen. Soziale Stressoren resultieren aus Isolation, dem Tod nahestehender Personen, Mobbing oder Konflikten am Arbeitsplatz. Anhaltender Stress führt zum Verlust der Gelassenheit, der Selbstkontrolle und des kreativen Denkvermögens wie Angst und Multitasking.

1.1.2 Kann Stress positiv sein? „Stress kann positiv sein, ohne etwas Druck geht meistens nichts. Oder in einem alten Sprichwort ausgedrückt: Not macht erfinderisch, sagte Dr. Stefan Weingartner aus der Raumfahrtindustrie, IPO-erprobt und jetzt Private Equity Partner bei The Carlyle Group. Es gibt Stress, bei dem man sich ganz und gar nicht unangenehm fühlt. Das ist guter Stress, der Leistung steigert. Der „positive Stress“, auch Eustress genannt (Eu = Griechisch für gut), wird von vielen begrüßt. • Positiver Stress entsteht beispielsweise durch ein Ziel, dem man große Bedeutung beimisst und das man unbedingt erreichen will. Viktor E. Frankl drückt das so aus: „Was der Mensch wirklich braucht, ist nicht ein spannungsloser Zustand, sondern das Streben nach und Kämpfen um ein würdiges Ziel. Er muss sich nicht um jeden Preis von Spannungen befreien, sondern seiner Berufung folgen und sie erfüllen.“ So ließ mich die Arbeit an diesem Buch fast vier Jahre lang um sechs Uhr morgens am Schreibtisch sitzen. Das war Stress, aber ein stimulierender Stress mit Spaß an der Arbeit. Verglichen mit Medizin, die sowohl Heilmittel als auch Gift sein kann, ist es auch beim Stress eine Frage der Dosis, Dauer und Kontrollierbarkeit. Zur Generierung außerordentlicher Ideen ist Entspannung jedoch langfristig der bessere Zustand. Unser Gehirn begibt sich dabei in einen ziellosen Entspannungsmodus.2 Tagtraum ist die kreativste Gangart. Wenn die „Seele baumelt“ und das Gehirn kreuz

2Daniel Levitin: The Organized Mind: Thinking Straight in an Age of Information Overload. Zu den 2 Modi der Aufmerksamkeit unseres Gehirnes, in: Google Talks, https://www. youtube.com/watch?v=aR1TNEHRY-U (Min. 8:48 von 11:43).

6

1  Denkstrategie: Stressmanagement

und quer assoziiert, entsteht als vermeintlicher Zufall oft der originellste und außerordentliche Einfall.3 • Druck kann auch erfinderisch machen. Druck zwingt uns dazu, Auswege zu suchen. Der Film- und Musikproduzent Joe Boyd hält Rezessionen für etwas Positives: „Die positive Seite einer schlechten Konjunkturlage ist, dass interessante Künstler entstehen. Musik floriert am besten unter Druck.“4 Selbst, wenn wir Notzeiten nicht mögen, sind sie förderlich für Kreativität. In Krisen und unternehmerischen Stresssituationen zeigen und entwickeln sich auch widerstandsfähige Führungskräfte, die mit diesen Situationen gut umgehen können. Als Führungskräfte müssen wir Stresshürden mit Überzeugungskraft wegräumen, damit unsere Kollegen und wir selbst kreativ, effektiv und effizient arbeiten können.5 Mitarbeiterführung beinhaltet Stressmanagement, indem wir anderen helfen, Stress gut zu kompensieren. Fehlzeitenstudien im Gesundheitswesen belegen, dass Mitarbeiter, die Alkohol, Nikotin und Amphetamine zur Problemlösung einsetzen, längere Fehlzeiten infolge von innerem Stress und Nebenwirkungen der Suchtmittel aufweisen. Stress am Arbeitsplatz führt meist zu Stress im Privatleben und dieser wirkt sich wiederum auf die Arbeit aus.6 Wie viel Stress ist ertragbar? Die Antwort ist individuell verschieden und ist nicht immer leicht herauszufinden. Stress fühlt und sieht man bei anderen leichter als bei sich selbst. Selbst wenn man erkannt hat, dass der eigene Stresspegel zu hoch ist, kann es sehr schwer sein, die Reißleine am Stressfallschirm zu ziehen. Dieses Dilemma war Anlass für mich, dem Stressthema im Westen und in Asien bei verschiedenen Führungsaufgaben nachzugehen.

3Der

Cartoonist Matthew Diffee vom „New Yorker“ behauptet, dass die besten Cartoons durch Zufall oder Unfall entstehen: How to get a great idea. TED TALKS: https://www. youtube.com/watch?v=tAMbxnEtNxE. 4Joe Boyd, Film- und Musikproduzent von Bob Dylan, REM, Pink Floyd, in: Kolumne Masterclass, FT, August 2012, S. 9. 5G. Richard Shell, Mario Moussa: The Art of WOO –Using Strategic Persuasion To Sell Your Ideas, Penguin Group 2008, S. 27–58. 6Fernando Bartolome, Paul A. Lee Evans: Must Success Cost So Much?, HBR 1980; zum Thema „Negative spill over“.

1.1  Die Basis – Warum Stressmanagement?

7

1.1.3 Abwehr gegen Stress ist früh zu erlernen Stress zeigt sich in Störfaktoren wie Erschöpfung, Ratlosigkeit, Ablenkung, Richtungslosigkeit und Angst. Schon in der Schule spüren viele Stress. Schlechtes Gewissen kommt am Sonntagabend, wenn noch nicht gemachte Hausaufgaben oder die am Montag kommende Mathematikarbeit aus der Erinnerung ins Bewusstsein hochsteigen. Nach kurzfristigem Powerlernen geht man dann mit Sorge ins Bett. Seit einem Jahrzehnt nehmen Kinder und Teenager ein Drittel mehr Antidepressiva ein als zuvor.7 Schulstress geht nahtlos über in Studienstress und ein paar Jahre später in Berufsstress, der nach ersten Berufsjahren die Form von Karrierestress annehmen kann. Der oben erwähnte DAK-Gesundheitsreport 2017 bestätigt den Anstieg psychischer Erkrankungen schon ab einem jungen Alter von 15 bis 39 Jahren. Der Satz: „Ich habe Stress.“ hat sich als bequeme Klage über zu viel Arbeit eingebürgert. Was ist hausgemacht und was wäre vermeidbar? 2011 wurden die Deutschen im Magazin DER SPIEGEL als „Volk der Erschöpften“ bezeichnet.8 Die Welt im 21. Jahrhundert ist – im Vergleich zu früher – schneller, anstrengender, unberechenbarer und führt bei rund vier Millionen Deutschen zum Burnout, verbunden mit Depressionen und Anpassungsstörungen. Selbst Berufe, bei denen wir Entspannung erwarten, lösen Stress aus: „Musiker haben dieselben Stressspitzen wie Piloten beim Start.“ Es handelt sich um positiven Stress, der aber negativ wirken kann, wenn die Stresshormone nicht absinken.9 Stress treibt Führungskräfte, von denen wir gekonnten Umgang mit Stress erwarten, in Depressionen. Psychische Erkrankungen stehen laut DAK-Gesundheitsreport 2017 in Deutschland bei den Krankheitsarten an zweiter Stelle.10 Die Folgen zeigen sich u. a. im übermäßigen Konsum von Alkohol, Nikotin

7[o.  V.:]

Surge in antidepressant use in Children, FT, 9. September 2016; auch der DAK-Gesundheitsreport 2017 (S.  27, Abb.  21) bestätigt den Anstieg psychischer Erkrankungen in jungen Jahren. 8Markus Dettmer, Samiha Shafy, Janko Tietz: Volk der Erschöpften, Der Spiegel 4/2011, S. 114–122. 9[o. V.:] Immer mit der Ruhe, Stuttgarter Zeitung, 18. Oktober 2016, S. 24. 10DAK-Gesundheitsreport 2017: https://www.dak.de/dak/download/gesundheitsreport-20171885298.pdf, DAK-Gesundheit März 2017, S. VIII, S. 19 Abb. 13; das Schwerpunktthema 2017 befasst sich mit Schlafstörungen.

8

1  Denkstrategie: Stressmanagement

oder Amphetaminen und bilden ein wichtiges Studienthema für Krankenkassen und Rentenversicherungen (z. B.: Robert Koch-Institut, Wissenschaftliches Institut der AOK, DAK, Deutsche Rentenversicherung). Stressfolgen sind stark ansteigende Fehlzeiten, Frühverrentung und Milliarden Euro volkswirtschaftlicher Schäden.11 Fehlzeiten belasten das Betriebsklima, da Kollegen die Fehlzeiten langfristig ausfallender Mitarbeiter ausgleichen müssen. Fehlzeiten senken die Produktivität durch Psychostress und Überbelastung am Arbeitsplatz. Chronischer Stress wird bei Mitarbeitern oft durch falsche Führung verursacht. Beispielsweise durch geringe Wertschätzung, Überkontrolle und Missachtung der Erkenntnis, dass „Arbeitgeber, die die psychischen Grenzen ihrer Mitarbeiter nicht beachten, ihnen Schlafstörungen, Erschöpfung, Ängste und Hilflosigkeitsgefühle bescheren, dadurch riskieren sie auch ihren eigenen ökonomischen Erfolg.“12 Einer Studie der Hamburg Media School und XING13 zufolge träumt die „Generation Y“ nicht mehr vom großen Gehalt, sondern von Sinnerfüllung, der Balance von Arbeit und Freizeit mit Möglichkeiten, flexibel zu arbeiten. Diese Studie definiert den idealen Chef als authentisch, offen, glaubwürdig, kommunikativ, gelassen und ohne „Top-down-Stil“. Die um die Jahrtausendwende aufgewachsene sogenannte Generation Y klagt heute über erhöhten Stress. Diese Generation ist die Altersgruppe von 18 bis 30 Jahren und folgt auf „Baby-Boomer“ und „Generation X“.14 In einer acht Punkte umfassenden Diagnose zur Befindlichkeit dieser Generation wird behauptet, dass die „Generation X“ und die „Baby-Boomer“ besser mit Stress umgehen konnten, wodurch der Anschein entstünde, dass die „Generation Y“ die

11Bernhard

Badura, Antje Ducki, Helmut Schröder, Joachim Klose, Markus Meyer (Hrsg.): Fehlzeiten-Report 2016, Schwerpunkt: Unternehmenskultur und Gesundheit – Herausforderungen und Chancen, Springer 2016: http://www.wido.de/fileadmin/wido/downloads/ pdf_praevention/wido_pra_fzr16_abstracts_0916.pdf. 12Rainer Woratschka: Wenn der Chef zum Problem wird, Der Tagesspiegel, 13. September 2016, S. 24, berichtet über eine neue öAOK-Studie zum Thema Unternehmenskultur und Gesundheit; Wirtschafts-Woche, 24. Oktober 2016; http://www.wiwo.de/erfolg/ management/aok-fehlzeitenreport-2016-schlechte-unternehmenskultur-macht-mitarbeiterkrank/14532970.html. 13Focus-Network: Ein Traum von Chef, Focus 51/2014, S. 7. 14Michelle Castillo: Millenials are the most stressed generation, survey finds, CBS News, 11. Februar 2013; http://www.cbsnews.com/news/millennials-are-the-most-stressed-generation-survey-finds/. Das.Ergebnis wird bestätigt von der American Psychological Association Studie 2015 „Stress in America“; http://www.westchestermagazine.com/Westchester-Magazine/June-2016/Generation-Stressed/.

1.1  Die Basis – Warum Stressmanagement?

9

meist gestresste Generation sei.15 Der Stresszustand der „Generation Y“ ist mit Blick auf die 24/7-Internetvernetzung, die sogenannte Immer-an-Kultur, plausibel. Es bleibt keine Zeit zur Entspannung, und die „Generation Y“ nimmt sich keine Zeit dafür. Stress und Burnout sind die neuen Normalitäten. Durchschnittlich spätestens alle 18 Minuten fällt der Blick aufs Handy, um neue Nachrichten und Status-Updates bei diversen Social-Media-Plattformen zu prüfen. Der Blick aufs Handy beim Betreten eines Raumes, im Aufzug oder beim Kreuzen der Wege anderer Personen ist ein unterbewusster Reflex geworden wie vormals das verlegene Kratzen am Kopf. Sigmund Freud nannte eine solche Verlegenheitsgeste eine Übersprungshandlung.16 Die „Generation Y“ in USA hat durch erhöhte Verschuldung nach der Graduierung mit erhöhtem Stress und den damit verbundenen psychischen und physischen Krankheiten wie Depression, Bluthochdruck und Schlaganfall zu tun. Eine Gallup Studie aus dem Jahre 2014 fand, dass Studenten mit einer Verschuldung von 50.000$ sich mindestens in vier von fünf Aspekten des Wohlfühlens verschlechtern: • Lebenssinn, • Gemeinschaftssinn sowie in • sozialen, finanziellen und physischen Aspekten. Die Studien zeigten auch, dass Einstellungsänderungen auch einen positiven Wechsel in der Gesundheitssituation bringen. Die aktive Auseinandersetzung mit der finanziellen Zahlensituation bewirkt, dass man Schulden proaktiv zurückzahlt. Legen Sie sich die Einstellung für persönliches Wachstum und nicht für Beschränkung zu.17 Das amerikanische Ministerium für Bildung

15Caroline

Beaton: 8 Habits That Make Millennials Stressed, Anxious and Unproductive, The Huffington Post, 19. Mai 2016. https://www.huffingtonpost.com/entry/8-habits-that-make-millennials-stressed-anxious-and_us_5924f46be4b0dfb1ca3a0f8a. 16Freud bezog den Begriff „Übersprungshandlung“ auf eine Handlung, der ein im Unterbewusstsein ablaufender Abwehrmechanismus zugrunde liegt, durch den etwas Unangenehmes abgewendet werden soll. Unangenehm ist z. B. ein auf uns fallender Blick. 17Erika Martinez: Psychological Impact of Debt on Millennials, http://www.envisionwellness. co/psychological-impact-debt-millennials/.

10

1  Denkstrategie: Stressmanagement

(Department of Education) berichtete, dass zum Stichtag Januar 2016 ganze 43 % der staatlichen Studiendarlehen entweder säumig oder gar nicht zurückbezahlt werden.18 Menschen stehen an den schönsten Stränden der Welt, aber was machen sie? Sie lesen und schreiben auf Smartphones. Kürzlich sah ich einen Teenager gleich mit zwei Handys – eins zum Telefonieren und das andere für Social Networks. Der Gehirnforscher Prof. Manfred Spitzer warnt vor der „digitalen Demenz“ unserer Gesellschaft, die sich bei Jugendlichen in Trägheit, Gedächtnisschwäche, Sucht, drastischer Verminderung der Lernfähigkeit und geistiger Schädigung zeigt. Digitale Medien nehmen unserem Gehirn frühere Arbeiten ab: Nachschlagen wird heute ersetzt durch Googeln – man muss sich nichts mehr merken, man kann ja googeln. Im Gegensatz zum traditionellen Lesen, Lernen und Schreiben werden gegoogelte Inhalte schlecht oder gar nicht gemerkt. Strukturiertes Wissen wird so im Kopf nicht mehr aufgebaut, weil das Gehirn weniger Wissen abspeichert und damit tiefes, intensives Lernen durch Nachschlagen und wiederholtes Nachdenken nicht mehr erfolgt. Die Immer-an-Kultur führt zu kürzerer Aufmerksamkeit. Die durchschnittliche Konzentrationsspanne ist von ohnehin nur 12 Minuten auf 5 Minuten gefallen.19 Im Schnitt lesen wir täglich nur noch 15 Minuten, aber verbringen 7,5 Stunden mit Medienkonsum. Zunehmend wird geminderte Lebensqualität durch Ängste, Abstumpfung, Depression, Übergewicht, Gewaltbereitschaft und sozialen Abstieg als digitale Demenz beklagt.20 Der Wettbewerb am Arbeitsplatz, die Internetkälte und die anonymen Bewerbungsprozesse sind weitere Stressoren. Arbeitnehmer prüfen den E-Mail-Eingang morgens als erste Handlung und abends als letzte. Es besteht Angst und latentes Unwohlsein, den wohlverdienten

18J.

Maureen Henderson: The scary truth about Millennials and student loan debt, https:// www.forbes.com/sites/jmaureenhenderson/2016/04/07/the-scary-truth-about-millennials-andstudent-loan-debt/#278a590165fa, 7. April 2016 @2:46 pm. 19LOWE Counsel: Skim Culture: The Triumph of Surface over Substance, April 2010 zitiert eine Studie der UKBank Lloyds TSB; Mathew Moore: Stress of Modern Life Cuts Attention Spans to five Minutes, Telegraph, 28. Nov. 2008, http://www.telegraph.co.uk/health/ healthnews/3522781/Stress-of-modern-life-cuts-attention-spans-to-five-minutes.html. 20Stephan Grünewald: Die erschöpfte Gesellschaft, Herder 2013, S. 162 f.; Interview mit Prof. Spitzer: https://www.youtube.com/watch?v=xWTDqJLxxGs.

1.1  Die Basis – Warum Stressmanagement?

11

Urlaub zu nehmen.21 Diese Beispiele zeigen den Stressanstieg und das Absinken der persönlichen Produktivität.22

1.1.4 Versuch’ es mit Gelassenheit! Jeder hat den Wunsch nach Gelassenheit, trotzdem nehmen Stress und Ablenkung stark zu. Die fehlende Aufmerksamkeit und Zerstreutheit haben Konsequenzen. Erschöpfung und Vereinsamung durch die digitale Kommunikation beschreibt Sherry Turkle vom MIT (Massachussets Institute of Technology) mit dem Begriff Alone Together.23 Sinkende Aufmerksamkeit ist im Büro, im Restaurant und im Hörsaal zu beobachten. Eine Studentin sagte mir: „Zum Entspannen ist der Blick auf mein Smartphone nötig.“ – Aber wie kann man sich in einer Besprechung oder einem Vortrag konzentrieren, wenn der Fokus im Chat, Internetshopping, Spiel oder sogar Day Trading liegt? In einer Studie der Vodafone-Stiftung wurde 2014 ein Trend gegen den digitalisierten Arbeitsplatz festgestellt. In neun Ländern wurden 9000 junge Menschen befragt – mit dem Ergebnis: „Je stärker die digitale Durchdringung eines Landes mit Computern, Laptops, Tablets und Smartphones, desto weniger wollen junge Leute beruflich damit zu tun haben. Die Ablehnung einer Arbeit im IT-Sektor war nach Deutschland am stärksten in Holland und Großbritannien.“24 Fehlende Entscheidungsfreiheit am Arbeitsplatz ist bei unternehmensinternen Umfragen wichtiger Indikator für Stress. Denkende Mitarbeiter brauchen Freiheit, um sich kreativ entfalten zu können. Der japanische Nobelpreisgewinner in Chemie Koichi Tanaka hat über Japan, das Land der Disziplin, Formalitäten und

21Jennifer

Brown: We’ve reached the point where workers are stressed by the mere thought of vacation time, https://qz.com/1021728/going-on-vacation-is-stressful-according-to-recent-surveys-of-workers/, 6. Juli 2017. 22Padraig Belton: Is tech addiction making us far more stressed at work? BBC News 13. Juni 2016; http://www.bbc.com/news/business-36517644. 23Sherry Turkle: Alone Together – Why We Expect More from Technology and Less from Each Other, Basic Books 2011; Sherry Turkle: Connected, but alone? TED 2012; https:// www.ted.com/talks/sherry_turkle_alone_together?language=en. 24Alan Posener: Nerds haben ausgedient – Wer überlebt die digitale Revolution? Nicht die Diener der Maschine, DIE WELT, 31. Dezember 2014, S. 21. Die neun untersuchten Länder waren: Deutschland, Großbritannien, Irland, Italien, Holland, Portugal, Spanien, Tschechien, Türkei.

12

1  Denkstrategie: Stressmanagement

Hierarchien gesagt: „Es war gut, dass unser gesunder Menschenverstand nicht eingeschränkt wurde.“

1.1.5 Unser Körper: hormongesteuert Motivation treibt uns an und Hormone steuern uns. Beim Leistungsmanagement muss man wissen, dass sowohl unsere Handlungen als auch unsere Einstellung zu Herausforderungen und zu Kollegen durch Motivation und Hormone beeinflusst werden. Dabei gilt: • Die beste Form der Motivation ist, all das zu unterlassen, was demotiviert. • Wir erinnern uns zu 100 % an all das, was wir fühlen: das anerkennende Lob „Good Job“, das anerkennende Schulterklopfen, das erfolgreiche Erlebnis. All das hat eine nachhaltigere positive Wirkung im Vergleich zu materiellen Dingen. Einkommen hat laut Studien ab einem bestimmten Betrag, der gegenwärtig auf 75.000 US Dollar geschätzt wird, keine glückssteigernde Wirkung mehr.25 Hormone erzeugen sowohl positive als auch negative Gefühle. Studien der Psychologin Amy Cuddy an der Harvard Business School ergaben, dass sogenannte Power Poses, „Macht-Posen“, die Hormonkonzentration beeinflussen. Power Poses sind offene und ausladende Körperhaltungen, wie breitbeiniges Stehen mit beiden Händen in den Hüften und nach außen gestellten Ellenbogen. Diese Körperhaltung führt zu erhöhter Ausschüttung des Dominanz- und Powerhormons Testosteron und senkt das Stresshormon Cortisol. Die selbstbewusste Körperhaltung baut durch physiologische Veränderungen das Selbstbewusstsein auf.26 Imponiergehabe spielt nicht nur Erfolg vor, sondern leitet auch Erfolg ein. Frei nach dem Motto:

25Jason Butler: Can money make you happy? – Be clear on your lifestyle and make work and spending decisions aligned with a vision. FT in der Kolumne: The Wealth Man, 5. Januar 2017: https://www.ft.com/content/208627f2-d1d0-11e6-9341-7393bb2e1b51. Langzeitstudien zeigen, dass trotz Vervielfachung des Gehaltes das Glücksgefühl ab einem bestimmten Betrag gleich bleibt. In der wirtschaftswissenschaftlichen (Prof. Richard Layard) und psychologischen Forschung (Prof. Mihaly Csikszentmihalyi) geht man aktuell von der genannten Gehaltsschwelle von 75.000 Euro aus. 26Amy Cuddy: Power Poses, YouTube POP TECH, 2. November 2011; https://www.youtube. com/watch?v=phcDQ0H_LnY (besonders an der Stelle Min. 2,20 von 17,24).

1.1  Die Basis – Warum Stressmanagement?

13

Täusche etwas vor, bis es eintritt. Fake it until you make it. (Amy Cuddy)

Zur Veranschaulichung zieht Amy Cuddy den gegenseitigen Einfluss von Lächeln und Glücksgefühl heran. Bei Glücksgefühl zeigt sich auf dem Gesicht automatisch ein Lächeln und umgekehrt löst allein das bewusste Lächeln schon Glückgefühle aus. Zweck der dominierenden Körperhaltung ist Selbststeuerung; die dabei freiwerdenden Hormone fördern erfolgreiche Präsentationen oder Verhandlungen. Vor dem Meeting ist Vorbereitung im Arbeitszimmer oder an einem ungestörten Ort angesagt. Neben einem letzten Blick auf das Manuskript vergewissern Sie sich Ihrer selbstbewussten Körperhaltung, positiven Mimik und dynamischen Gestik. Die dominierende Körperhaltung sollte im normalen Mitarbeitergespräch besser nicht eingenommen werden, da sie Zuhörer einschüchtert. In der Tierwelt kann dies mit dem Pfauenrad verglichen werden. Die Auswirkung der Körpersprache auf beobachtende Mitarbeiter war Forschungsziel von Samy Molcho27 und Albert Mehrabian.28 Im Ergebnis wurde festgestellt, dass nicht-verbale, stille Botschaften durch Mimik, Gestik, Körperhaltung und Intonation bereits 93 % der Information ausmachen. Mehrabian wurde bekannt durch die von ihm aufgestellte 7 %-38 %-55 %-Regel, die aussagt, dass nur 7 % einer Botschaft durch Worte transportiert werden und der Rest nonverbal. Im Einzelnen senden wir Botschaften zu 7 % durch sprachlichen Inhalt, zu 38 % durch den stimmlichen Ausdruck und zu 55 % durch die Körpersprache. Zuhörer orientieren sich insbesondere an nonverbalen Signalen, wenn sie dem Sprecher oder der Sprecherin misstrauen. Unsere Hormonwelt ist mit unserem Verhalten verbunden: Was wir tun und fühlen, beeinflusst Hormone – und die Hormone beeinflussen, was wir fühlen und tun. Hier liegt die Chance, um Haltung zu bewahren, Zuversicht auszusenden und

27Siehe

die Ausführungen von Samy Molcho zur nonverbalen Kommunikation: Samy Molcho 01 Körpersprache – Einleitung, https://www.youtube.com/watch?v=HjvFndSjp8g, 23. August 2008; Samy Molcho 02 Körpersprache – Mitarbeitergespräch – Der Chef will seine Probleme lösen, https://www.youtube.com/watch?v=p-rZAJSUqM0, 23. August 2008; Samy Molcho 03 Körpersprache – Mitarbeitergespräch – Die Analyse der Szene, https:// www.youtube.com/watch?v=bAaUnHcarwE, 23. August 2008. 28Albert Mehrabian: https://www.youtube.com/watch?v=fxTEZTqk4U8, Audiopedia 28. Oktober 2015.

14

1  Denkstrategie: Stressmanagement

hier liegt auch eine Chance für emotionale Intelligenz.29 Vier Verhaltensaspekte machen die emotionale Intelligenz aus: 1. Selbsteinschätzung lässt Stärken, Schwächen, Werte und Motive des eigenen Verhaltens verstehen. Man steht in Verbindung mit seinen Gefühlen und weiß, was gut für einen ist; ebenso erkennt man die eigene Intuition und die eigenen Instinkte. 2. Selbstkontrolle unseres Verhaltens lässt uns innere Zustände, Impulse und Energie anpassen. Sie hält impulsives Verhalten im Sinne eines Ärger-Managements zurück. Man lebt ehrlich, mit Integrität, Flexibilität und Motivation in Zeiten, die nach Änderungen verlangen. Selbstkontrolle und Management des Ich finden wie Selbstgespräche im Inneren statt. 3. Einschätzung und Bewertung zwischenmenschlicher Beziehungen geschehen in erster Linie mithilfe von Empathie. Man versteht die Situation der anderen Person und kann sich in ihre Lage versetzen. Man ist sensibel, was die Politik im Büro angeht, und erkennt die verschiedenen informellen Gruppen mit ihren jeweiligen sozialen Netzwerken 4. Managen zwischenmenschlicher Beziehungen heißt, die Gefühle anderer Personen so zu managen, dass sie sich inspiriert fühlen, weiter entwickeln und positiv verändern, dass sie zwischenmenschliche Beziehungen kultivieren und ein Team entwickeln. Zu all dem sind Kommunikationsfähigkeiten nötig sowie die Erkenntnis, dass auch Hormone zu zwischenmenschlichen Störungen führen können. Führungskräfte können also durch Power Poses physiologische Veränderungen herbeiführen. Prof. Amy Cuddy stellt als Wirkung solcher Posen den erhöhten Testosteron- und vergleichsweise niedrigen Cortisolspiegel als ideale Hormonmischung der Führungskraft vor: „Cool, gefasst, zuversichtlich, souverän, leistungsstark und alles im Griff habend“ sind gefragte Benchmarkeigenschaften.30 Mitarbeiter bevorzugen einen alerten, leistungsstarken, aber auch ausgeglichenen Chef und nicht den gestressten Choleriker.

29Daniel

Goleman: Working with Emotional Intelligence, Bantam Books 1998; Daniel Goleman: Emotional Intelligence (Google Talks): https://www.youtube.com/ watch?v=7lQzYwXA2UM, 19. November 2013. 30Amy Cuddy: Power Poses, YouTube POP TECH, 2. November 2011; https://www.youtube. com/watch?v=phcDQ0H_LnY, insbesondere an der Stelle Minute 6:20 aus 17:24.

1.2  Die Zeichen – Wie fühle ich Stress?

15

Neurobiologie bestimmt uns, ohne dass wir das Wie und das Wann genau kennen. Hormone sind Mächte im Hintergrund, sie leiten Botschaften weiter und regeln das Zusammenspiel von Gehirn und Körper. Viele Reaktionen liegen außerhalb unserer Kontrolle. Bisher gefunden wurden 150 Hormone, wissenschaftlichen Schätzungen zufolge gibt es weit mehr als 1000 Hormone.31 Details zur hormonellen Fernsteuerung unseres Verhaltens, unseres Wohlbefindens und unserer Leistung finden Sie in der Kleinen Hormonfibel (s. Teil 5, Kap. 21), eine Darstellung der sieben Stress-, Leistungs- und Glückshormone: Adrenalin, Cortisol, Dopamin, Endorphin, Serotonin, Testosteron und Oxytocin.

1.2 Die Zeichen – Wie fühle ich Stress? Stressauslöser sind sogenannte Stressoren. Das sind innere und äußere Reize, die uns irritieren, beunruhigen, beängstigen, ablenken, erregen, anregen und damit Stress verursachen. Wie bereits oben erwähnt, führen Stressoren entweder zu negativen oder zu positiven Reaktionen. Deswegen unterscheiden wir zwei Stressarten: Eustress und Disstress und jeder reagiert anders auf Stress. Der eine lächelt gelassen. Ein anderer empfindet Stress als negativ, weil die Konzentration sinkt und der Stressor selbst im schönsten Ferienresort im Pool neben einem mitschwimmt. Deswegen sagte der römische Staatsmann und Philosoph Seneca: „Wenn du Stress entkommen willst, dann strebe nicht an einen anderen Ort, sondern werde eine andere Person.“32 Stresssymptome sind Warnreaktionen unseres Körpers und sollten nicht überhört werden. Der eine reagiert nicht oder kaum auf Stressoren – der andere sehr stark. Nicht jeder ist Dickhäuter oder teflonbeschichtet, sodass persönliche Angriffe, Fehlschläge und Sorgen wie Wasser abperlen. Das Tragen eines „emotionalen Regenmantels“ kann man sich nur bedingt aneignen. Wenn es zu viel wird,

31Christian

Heinrich, Vanessa Rehermann: Hormone – Die Dirigenten unseres Lebens. Hormone sind weit mehr als nur Botenstoffe. Sie steuern unseren Körper – und formen unsere Persönlichkeit. DIE ZEIT ONLINE, 11. Juni 2013 – 08:00 Uhr editiert am 2. Juli 2013 22:09 Uhr ZEIT Wissen Nr. 4/2013. 32Seneca in Briefe eines Stoikers (zit. in engl. Übersetzung): „If you really want to escape the things that harass you, what you’re needing is not to be in a different place but to be a different person.“, https://www.goodreads.com/work/quotes/93900-epistulae-morales-ad-lucilium.

16

1  Denkstrategie: Stressmanagement

zeigt unser Körper durch Alarmsignale die Rote Karte. Einige Beispiele für Stresssymptome sind: • Kopfschmerzen, • Muskelverspannung, • Schmerzhafte Kontraktion des Magens, • Mulmiges Magengefühl, • Steigender Blutdruck und schneller Herzschlag, • Schnelle und flache Atmung, zitternde Hände, • Schwankende und brechende Stimme, • Feuchte Handflächen (oft als vegetative Dystonie bezeichnet), • Körper schwitzt und Schwindel kommt auf, • Müdigkeit, Erschöpftheit • Einschlaf- und Durchschlafstörungen, so dass der Schlaf nicht erholsam ist33, • Appetitlosigkeit, trockener Mund, Brustschmerzen, • Erhöhte Infektanfälligkeit, • Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächtnisprobleme, • Ӓngstlichkeit, innere Unruhe, • Reizbarkeit, Impulsivität • Grübeln.

1.2.1 Erschöpfung – kein freier Kopf für Ideen Wie oft kommt man nach Hause und ist antriebslos und ausgebrannt. Wir haben keine Lust mehr, irgendetwas zu machen und keinen freien Kopf zum Lernen oder zur Ideenfindung. Erschöpfung ist das Ergebnis von zu viel Informationsflut aus Meetings, Telefonaten, E-Mails, SMS – kurzum, von zu viel Information. Zusätzlich durchkreuzen Terminverschiebungen, neue Reiseplanungen und spontane Krisenmeetings den am frühen Morgen noch geordnet erscheinenden Tagesplan.34 Bei alldem verderben unfaire Bemerkungen und verlorene Geschäfte unsere Laune. Abendessen sind oft Arbeitsessen außer Haus! Es geht uns gut – oder besser gesagt: materiell geht es uns sehr gut –, aber zeitlich und emotional geht es uns miserabel. An solchen Abenden implodiert unsere Energie. Ein oder mehrere Drinks, Abendessen,

33Siehe

das Schwerpunktthema Schlafstörungen im DAK-Gesundheitsreport 2017, S. 32 ff. Grünwald: Die erschöpfte Gesellschaft – Warum Deutschland neu träumen muss, Herder 2013, S. 7–9.

34Stephan

1.2  Die Zeichen – Wie fühle ich Stress?

17

Dusche, TV und unruhiger Schlaf sind die unbefriedigende Routine. Am Ende der überdrehten Lebensführung stehen Symptome wie Schlaflosigkeit, Angst und Sorge um den Arbeitsplatz oder Belanglosigkeiten. Wenn Ihr Tag so endet, sollten Sie sich fragen: Ist das die richtige Art und Weise, wie ich meine künftige Lebenszeit verbringen will? Ist all die Dringlichkeit notwendig? Baue ich mir den Stress nicht selbst auf durch mehr Jobs mit eingebildeter Wichtigkeit? Wie werde ich entspannt und gelassen? Das Gefühl der Fremdbestimmung durch Terminsetzung, Fremdsteuerung durch Chef und Mitarbeiter frustrieren. Zeitfressende Verpflichtungen lassen die Ausübung unserer Talente und Hobbys zu kurz kommen. Materielle Wünsche und deren Erfüllung machen auch keine Freude mehr. Man vermisst Autonomie und Zeitwohlstand! Dann zeigt der Körper Stressreaktionen: Häufige Erkältungen, Herz-Kreislaufbeschwerden oder sogar depressive Episoden treten auf. Bruce Lee formulierte den Zusammenhang von Anspannung, Entspannung und kluger Geduld im Geiste des asiatischen Kampfsports mit dem Satz: „Sei wie Wasser – mein Freund.“35 Suchen Sie sich auch ausweichende und anpassende Wege, wenn Sie das nächste Mal am Arbeitsplatz oder zu Hause gestresst sind.

1.2.1.1 Anhalten und nachdenken Während der japanischen Rezession der 1990er-Jahre habe ich zu gestressten japanischen Mitarbeitern gesagt: „Haltet an und denkt mal für eine Weile nach.“36 In den News wurde vom sogenannten schwarzen Stresstod – Karoshi – in japanischen Unternehmen berichtet. Denn krisenbedingter Stress wiederholt sich und verursacht Angststress, hervorgerufen durch die Anforderungen in Projekten mit Zielen für Change, Kostensenkung und Entlassungen. Von Japan führte mein Weg nach Griechenland und Thailand. Die Länder wechselten, die Krisen blieben. Meine Formel blieb weiterhin: „Anhalten und nachdenken“. Ich konnte sehen, dass andere Kulturen mit Krisen anders umgehen. Griechen lieben das Drama auch im Geschäftsleben und sind dadurch als Krisenmanager z. B. in der IT-Abteilung geeignet, Thais verdrängen Krisen schnell und Japaner haben eine hohe Leidensfähigkeit

1.2.1.2 Positives „Nein“ entstresst Was ist wirklich wichtig? Auf welches Arbeitsfeld soll ich meine Zeit-Chips setzen? Finden Sie heraus, was keine Bedeutung hat. Wofür lohnt es sich zu

35https://www.goodreads.com/quotes/163198-you-must-be-shapeless-formless-like-water. 36O-Ton:

„Stop running and think for a while.“

18

1  Denkstrategie: Stressmanagement

kämpfen? Diese Fragen helfen, Balance zu finden.37 Das positive Nein ist oft einfacher gedacht als getan, da man Personen im Freundes- und Familienkreis ungern Bitten ausschlägt. Personen gegenüber, von denen man beruflich und existenziell abhängt – Vorgesetzten, Aufsichtsräten, Leitern der Kreditabteilung einer Bank – will man schon gar nichts ablehnen. Nein zu sagen ist schwierig, aber erlernbar.38 Es fängt mit Respekt für den Gesprächspartner an und endet mit dem Selbstbewusstsein, das NEIN als das neue JA zu leben.39

1.2.1.3 Drei Dateien in der Mitte des Monitors Laufende Projekte, denen ich volle Aufmerksamkeit widmen will, stelle ich in die Mitte meines PC-Bildschirmes. Außerdem versuche ich, diese Kernprojekte auf nur drei- zu beschränken. Diese drei haben höchste Priorität und sind deswegen in der Mitte des Monitors positioniert, damit ich sie sofort nach Anschalten des PC sehe. Alles andere schiebe ich an den Rand; weitere Projekte lehne ich höflich ab oder verändere meine drei Kernprioritäten. Dabei wird das positive Nein wichtig. Ist man der „Nice Guy“ und lässt sich immer wieder zu neuen Aufgaben überreden, gilt der Satz eines unbekannten Humoristen: „Das Ding mit der Ratte im Laufrad ist, dass die Ratte auch nach dem Sieg eine Ratte bleibt.“ Traurige Konsequenz des höflichen Ja-Sagens sind Hektik und Stress im Alltag, bei denen am Ende nichts Kreatives herauskommt. Das respektvolle Nein gehört zur Kunst der Überzeugung, deren Methoden ich noch detailliert vorstellen werde. Denken Sie beim Nein an: • Vorbereitung des positiven Nein mit Überzeugung, • Klare, aber höfliche Aussprache des Nein mit Hinweis auf die Qualitätsziele und Kernprioritäten, • Empathisches Nachfragen bei Gegenargumenten, • Umwandlung der Gegenargumente in Akzeptanz mit Wohlwollen. Wohlwollendes Handeln wäre beispielsweise das Versprechen eines Termins mit Start- und Abschlusszeit für die neue Aufgabe. Im Grunde ist dies der Zeitpunkt,

37Vgl.

Monika Pohl: Intuition, GABAL 2017, S. 58 ff. Ury: The Power of a Positive No – How to say NO and still get to YES, Bantam 2007, S. 16, 21. 39Lucy Kellaway: Why the most successful people just say no, FT 11. Juli 2017; https:// www.ft.com/content/0a7977ac-4cf5-11e7-919a-1e14ce4af89b. 38William

1.2  Die Zeichen – Wie fühle ich Stress?

19

zu dem der Prozess der Überzeugungskunst für ein gutes Gespräch einsetzen muss. Zeigen Sie trotz des Nein gegenüber Gesprächspartnern immer wieder Respekt, ehrliches Interesse und Empathie für dringliche Anliegen. Diese drei von Carl R. Rogers identifizierten Kommunikationsmerkmale in Arzt-Patient-Gesprächen sind gut auf andere Gesprächssituationen übertragbar.40 Positiv Nein sagen zu können, gehört zu einem geschickten Stressmanagement. Ja-Sager gehen in Arbeitsstress unter und halten letztlich aus Zeitnot nicht ihr Versprechen. Achten sie in der Mitarbeiterführung auf Belastungsgrenzen. Das gilt insbesondere bei talentierten und deswegen immer geschätzten Leistungsträgern. Überbeschäftigung verhindert Kreativität. Bauen sie Erholungszeit in ihre Pläne ein, um notfalls auf Ungeplantes reagieren zu können.

1.2.1.4 Gekonnt fragen Viel fragen gilt als peinlich und wird als Manko empfunden. Dabei sind es oft nur Kleinigkeiten oder Unklarheiten. Wer kennt schon alle Abkürzungen oder jedes Fachwort? In vielen Kulturen herrscht die Unsitte, in Abkürzungen zu reden, ohne Rücksicht darauf, ob sie allgemein bekannt sind. Abkürzungen gelten als schick. Oft fehlt auch die komplette Information zur Erledigung einer Aufgabe. Im Meeting wird dem Fragenden aber statt Spott eher Respekt zuteil. Denn viele der Anwesenden haben zwar dieselbe Frage, aber nicht den Mut zu fragen. In Japan sagt man: „Fragen bewirkt einen Moment der Peinlichkeit, nicht Fragen lebenslange Unwissenheit.“ Am besten fragen Sie am Ende eines Meetings in den letzten 15–30 Minuten, wenn Sie bereits den Überblick über Fakten, Stimmungen und Meinungsbildner gewonnen haben.

1.2.1.5 Fitness und Denkvermögen Bei diesem Thema stellt sich die Frage, was man als „richtig“ und für den Einzelnen leistungsstimulierend ansehen kann. Das menschliche Gehirn wird von Experten wie Eric Karran als „die kompliziertesten 1,5 kg des Universums“ bezeichnet, „wenn damit etwas falsch läuft, ist es sehr schwierig, dies zu reparieren.“41 Unser Gehirn steuert zentrale Körperfunktionen wie Erinnerungsvermögen, Sprache, Stimmung oder Motorik. Ein gesundes Gehirn arbeitet lautlos und schnell – aber

40Carl

R. Rogers: A way of being, Mariner Books 1995, S. 159. Eric Karran hatte leitende Rollen in der neurologischen Forschung von Johnson & Johnson, Eli Lilly und Pfizer. Derzeit ist er Forschungsleiter der Charity Alzheimer Research UK; vgl. Pharmaceuticals: Brain Power, FT 19. Juli 2015.

41Dr.

20

1  Denkstrategie: Stressmanagement

wehe, das Gehirn hat einen Defekt. Sofortige ärztliche Behandlung ist lebenswichtig bei Herzinfarkt oder Schlaganfall – jede Minute zählt. Die folgenden Erkenntnisse und Ratschläge sind bekannt, trotzdem kämpfen wir alle mit Gewohnheiten, die nicht gehirnschonend und gehirnanregend sind. Es ist hart, eingefleischte Angewohnheiten aufzugeben, aber steter Tropfen höhlt bekanntlich den Stein und erzwingt Änderungen.42 1. Vermeiden Sie übermäßiges Essen, Alkoholgenuss und Rauchen. Dieser Rat ist als goldener Mittelweg und Maßhalten bekannt. Leider kleben Angewohnheiten fest. Das kennt jeder, der mit lieb gewonnenen Genüssen aufhören will – ich nehme mich da nicht aus: „You can’t outrun your fork.“ Eine mediterrane Kost mit wenig Fett, viel Obst, Gemüse und Fisch sowie Vitaminen (A, C, E, B12), Selen und Ginkgo biloba stärkt die Gehirnfunktion. Man steigert das Gedächtnis und verbrennt dabei auch noch Kalorien.43 2. Nur durch eine veränderte Einstellung gegenüber schädlichen Gewohnheiten durch Motivation und Neuvernetzungen im Gehirn kann es gelingen, Schluss zu machen mit zu viel Essen, Alkohol und Rauchen. Ein pragmatischer Rat ist: Verzichten Sie zuerst auf eine schlechte Gewohnheit, um dann motiviert eine weitere schlechte Gewohnheit aufzugeben.44 Zusätzlich können positive Erfahrungen anderer dazu motivieren, eigene schädliche Gewohnheiten zu beenden. Glaubwürdige Freunde helfen durch ihre Vorbildfunktion beim schwierigen ersten Schritt. Mehr und mehr Mitarbeiter nehmen Leistungsdrogen wie Alkohol, Nikotin oder leistungssteigernde Substanzen wie Amphetamine. Dieser Konsum ist Doping am Arbeitsplatz, um Arbeitsbelastungen leichter zu stemmen und Erschöpfung zu verdrängen. Durch Amphetamine werden Müdigkeit unterdrückt und das Selbstbewusstsein gestärkt. Konsequenz: „Die Zahl der Fehltage wegen Suchtproblemen ist in zehn Jahren um 300 % gestiegen.“45 Die

42Bumrungrad

Hospital Magazin Bangkok, Ausgabe 18, 2010, S. 6. Reynolds: Bolstering your memory while burning calories, Studie suchte Gründe für die gesteigerte Gedächtnisleistung nach einem intensiven Workout, IHT, 7. Dez. 2011, S. 10. 44Charles Duhigg: The Power of Habit – Why we do what we do in life and business, Random House Digital, 2012; Charles Duhigg: The Power of Habit, TEDxTeachersCollege, https://www.youtube.com/watch?v=OMbsGBlpP30, 18. August 2013. 45Tobias Kaiser: Leistungsdrogen machen Arbeitnehmer krank, Die Welt, 23. August 2013, S. 1 und 9. 43Gretchen

1.2  Die Zeichen – Wie fühle ich Stress?

21

Dunkelziffer ist allerdings hoch, deswegen schätzt das wissenschaftliche Institut der AOK, dass Fehltage wegen Suchtproblemen noch steigen. Der volkswirtschaftliche Schaden wird pro Jahr auf mehrere 10 Milliarden Euro geschätzt. 3. Verringern Sie durch regelmäßigen Sport das Schlaganfallrisiko. Als Frühaufsteher gehe ich jeden Morgen zum Schwimmen oder mit Schrittzähler mindestens 10.000 Schritte spazieren. Störende Telefone bleiben zu Hause, so fällt das Nachdenken leicht. Nicht nur Muskeln und Knochen brauchen Bewegung und Entspannung, sondern auch unser Gehirn.46 4. Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen zur Prüfung von Herz und Kreislauf, Blutdruck, Blutwerten, Blutzucker, Cholesterin, etc. sind ein Muss. 5. Empfohlen werden 7 bis 8 Stunden Schlaf. Das ist nicht einfach bei heutigen Arbeitsanforderungen. Ich versuche, vor 23:00 Uhr einzuschlafen. Der Schlaf nach Mitternacht gibt nicht genug Nachtruhe, da der Sonnenaufgang das Hallo-Wach-Hormon Cortisol schon beim ersten Licht auslöst, und das zieht den Körper aus dem Schlaf. Das Hallo-Wach-Cortisol wird in der Kleinen Hormonfibel im Anhang vorgestellt. Machen Sie nachmittags zum Aufholen Ihres Schlafdefizits ein Nickerchen – 30 Minuten reichen. Für Berufstätige ist ein Nickerchen wochentags schwierig, aber am Wochenende sollte es möglich sein. 6. Zur Vermeidung von Verletzungsgefahren sind Schutzausrüstung und Sturzhelm für Radfahrer oder Motorradfahrer ein Muss. Der ungeschützte Aufschlag des Kopfes kann zu lebensbedrohenden Blutungen im Gehirn führen und damit Gehirnfunktionen zerstören.

1.2.1.6 Hobbys als Talentvermögen Fangen Sie mit dem Hobby an, das Sie schon lange reizt. Lesen Sie Bücher zu unterschiedlichsten Themen. Brechen Sie aus der täglichen Routine aus, um Ihr Gehirn neuen Eindrücken auszusetzen. Ich habe angefangen, Mandarin zu lernen. Die Schriftzeichen, die ich während meiner Japanzeit gelernt habe, kann ich mit anderer Aussprache wiederholen. Abwechslung bringt Aha-Erlebnisse, Motivation und neue Ideen. Hören Sie auf, Banalitäten des Alltags ernst zu nehmen, denn das bringt nur Ärger. Es gilt im Gegenteil, die kleinen Dinge nicht allzu ernst zu nehmen: „Don’t sweat the small stuff.“ Gönnen Sie sich zwischendurch eine Massage,

46Anne

Otto: Die Welt im Kopf, Das Gedächtnis …, in: Spiegel Classic 1/2017, S. 84–91, hier 89 und 91; Acht Wochen, acht Gedächtnistrainings nach dem Kognitionspsychologen Prof. Hans J. Markowitsch: http://www.spiegel.de/thema/gedaechtnistraining/.

22

1  Denkstrategie: Stressmanagement

Sauna, den Pool im Fitnessstudio, machen Sie Musik, schreiben Sie ein Buch und lernen lateinamerikanische Tänze. Entspannen Sie sich, so oft es geht, auf dem Weg zur Gelassenheit. Es ist keine Sünde, abzuschalten und dabei kreativ an alles Mögliche zu denken sowie Ideen zu entwickeln – gerade als Führungskraft. Auch privat tut es gut, wenn Sie ein Familienprojekt starten, das jedes Familienmitglied mit einbezieht. Das bringt Gesprächsstoff. Vielleicht entwickelt sich daraus eine gemeinsame Startup-Idee oder auch eine Idee für den nächsten Urlaub. Ersetzen Sie negative Gedanken durch hoffnungsvolle Ausblicke. Planen Sie mit Ihrem besten Freund eine gemeinsame Reise. Experimente der positiven Psychologie zeigen, dass positive Maßnahmen und positive Gedanken das wahrgenommene Glück von 79 % auf 94 % ansteigen lassen.47 – Aber egal, welcher Prozentsatz erreicht wird, wichtig ist der Anstieg. Positive Gefühle lassen sich schon durch den Anblick von Pflanzen in der näheren Umgebung erreichen, durch einen Entspannungsraum mit Strandbildern, einen Springbrunnen mit Kois und Wasserklang, den würzigen Geruch einer Aromatherapie. All das hilft, Stress abzubauen, Blutdruck zu senken und das Stresshormon Cortisol im Blut zu verringern. Falls Sie jedoch das Pech haben sollten, einen Chef zu haben, den man auf gut Kölsch als Jecken bezeichnen könnte und der ein positives Nein nicht versteht oder nicht gestattet, dann helfen weiche Lösungen nicht.48 In diesem Fall sollten Sie so schnell wie mögliche Alternativen auf dem Arbeitsmarkt ausloten.

1.2.2 Ratlosigkeit – nicht wissen, was tun Schaffen Sie Klarheit über das, was Sie wirklich wollen und können. Was ist für Sie bedeutsam, erstrebenswert und wichtig? Fehlt dieser Fokus, dann fehlt die tägliche Lebensfreude, auf ein bereicherndes Lebensziel hinarbeiten zu können.

1.2.2.1 Warum mache ich, was ich mache? Verwenden Sie Ihre Lebenszeit klug und fragen Sie sich regelmäßig: „Warum mache ich, was ich jetzt mache?“ Ist die Antwort nicht zufriedenstellend, z. B. „nur zum Geldverdienen“ oder „ich kann nichts anderes“, dann ist die Veränderung 47Sue

Shellenbarger: To cut office stress, try … butterflies?, WSJ, 17. Oktober 2012: http:// online.wsj.com/article/SB10000872396390443982904578046390545386624.html (9. Okt. 2012). 48Robert I. Sutton: The No Asshole Rule – Building a Civilized Workplace and Surviving One That Isn’t, Hachette Book Group 2010 (basierend auf einem viel beachteten Aufsatz im HBR, der 110.000 mal verkauft wurde).

1.2  Die Zeichen – Wie fühle ich Stress?

23

eher heute als morgen angeraten. Sammeln Sie Alternativen und sprechen Sie mit Ihrem besten Freund oder Partner. Eine Sinn gebende Lebensaufgabe ist das beste Mittel gegen Stress. Die Palette ist groß, für jeden von uns gibt es sinnvolle Aufgaben. Es fängt mit der Familie an und hört beim Beruf und beim passioniert gelebten Hobby auf. Jeder wächst über Fortbildung und lebenslanges Lernen mit Kursen, Büchern und Online-Vorträgen. Mein nicht eben gerader Weg führte über Geowissenschaften und Wirtschaftswissenschaften zum Diplom-Kaufmann, über die Promotion zum Steuerberater und schloss schließlich beruflich mit dem CEO ab, und das, obwohl ich ursprünglich Medizin studieren wollte. Aber nichts von alledem war umsonst, weder der Ausflug in die Naturwissenschaften noch die pflegerische Arbeit im Krankenhaus. Nach dem aktiven Berufsleben konzentrierte ich mich auf das Schreiben von Fachliteratur und auf die Lehrtätigkeit, mit der ich 20- bis 30-jährigen Studenten etwas weitergeben konnte. Neben der Fachliteratur interessierte mich kreatives Schreiben. Im Jahr 2009 habe ich darin einen Kurs belegt und einen Roman verfasst, der sich dann zum Drehbuch entwickelte. Bei verschiedenen Tätigkeiten und Lebenswegkorrekturen ist es wichtig, immer wieder zu fragen, ob es nun das Richtige ist oder ob sich nicht doch etwas Interessanteres findet, die Lebenszeit sinnvoll zu verbringen. Jede Suche erbringt einen Fund. Ein Magazin in Thailand fragte mich für eine Spezialausgabe zum Thema MBA, welchen Rat ich MBA-Kandidaten geben könne.49 Dies waren meine Antworten: 1. Seien Sie in alle Richtungen offen und neugierig. 2. Schalten Sie elektronische Geräte auch mal aus und leben Sie analog. 3. Lesen, lesen, lesen – lokale und internationale Presse. 4. Pflegen Sie ein Hobby. 5. Erkennen Sie Ihr ganz spezifisches Talent und nutzen Sie es. 6. Gehen Sie sensibel vor, wenn Sie Kultur- und Generationsgrenzen überqueren. 7. Lernen Sie, mit Enttäuschungen umzugehen. 8. Denken Sie auf dem Weg zur Spitze und auch an der Spitze immer an den Satz: „Der Löwe muss nicht brüllen.“ – Im englischen O-Ton: „The lion does not have to roar.“ Die Nummer 1 ist auch ohne großen Lärm bekannt.

1.2.2.2 Lebensplan als Kompass Irgendwann ist es ratsam, sich hinzusetzen und zu inventarisieren. Ich meine das nicht im Sinne von Zeitmanagement, um noch mehr vom immer Gleichen

49The

Company: Alex’ Big 8, Tycoon Spezialausgabe 2014, S. 108.

24

1  Denkstrategie: Stressmanagement

zu erreichen. Nein – ich meine einen Kassensturz der bisher verbrauchten Zeit und die Überlegung, was man in der noch verbleibenden Lebenszeit am liebsten machen will – die sogenannte Bucket List. In meinem persönlichen Lebensplan nenne ich das: Where to put the Chips. Nicht nur Ziel und Richtung müssen klar sein, sondern auch ausreichend Ressourcen verfügbar. Eine praktische Methode für diese Untersuchung ist es, alle Rollen, die wir im täglichen Leben spielen, aufzulisten und zu priorisieren. Vielleicht sind alle Rollen gleich wichtig, dann kann es auch Rollenstress geben, wenn verschiedene Rollen miteinander in Konflikt geraten. Egal, wie Sie es ausgestalten, das Wichtigste ist die tägliche Motivation. Schluss mit zielloser Ressourcenverschwendung: „Heute beginnt der Rest meines Lebens!“ Für diesen wertvollen Rest brauche ich eine Richtung, um kommende Zeiten sinnvoll und achtsam – im Sinne Senecas – zu leben (s. Teil 2, Kap. 10). Dieses persönliche Statement wird zum Leuchtturm für ein bedeutungsvolles Leben. Bevor ich mein Beispiel erläutere, hier ein paar Hinweise für die Erstellung eines persönlichen Statements:50 • Seien Sie bereit, mit verschiedenen Karrieren zu experimentieren und einen Wechsel Ihres Berufsweges zu wagen, wenn dieser Wechsel Sie Ihrem ganz besonderen Talent näherbringt. • Nutzen Sie Ressourcen – Zeit, Energie und Geld – zur Realisierung des persönlichen Berufungs-Statements. • Entwickeln Sie enge Beziehungen zu Familie, Freunden und Bekannten, bevor Sie sie brauchen, damit sie Sie halten und stützen. • Vermeiden Sie Outsourcing Ihrer Kinder an Lehrer oder Fremde. Helfen Sie Ihren Kindern selbst beim Aufwachsen, ohne ihnen Ihre Vorstellungen aufzudrängen. Die Erklärung dessen, was Lebenstüchtigkeit bedeutet, ist das Wichtigste. • Bauen Sie eine gesunde Familienkultur auf durch aktives Zuhören, empathische Kommunikation und angemessene Freiräume. • Vermeiden Sie marginales Klein-Klein-Denken im Sinne von „einmal ist keinmal“. Damit werden nur wichtige ethische Grundprinzipien aufgegeben. Mit moralischen Kompromissen wird Integrität geopfert. Meinen ersten persönlichen Kompass schrieb ich 1996 in Tokyo. Mit 43 Jahren eigentlich zu spät, gleichwohl ist der Kompass bis auf Kleinigkeiten immer

50Andrew

S. 10.

Hill zu Prof. Clayton Christensen: Life lessons for the office, FT, 11. Mai 2012,

1.2  Die Zeichen – Wie fühle ich Stress?

25

noch aktuell. Die Idee bekam ich auf dem Seminar „First Things First“.51 Mein damaliges Problem als CFO war, dass kurzfristige Dringlichkeiten ständig die langfristigen Wichtigkeiten verdrängten. Das hatte nichts mit fehlendem Zeitmanagement zu tun. Feuerlöschen gehört zum Alltag, egal, wie gut die Planung ist – es gehört zur Lebenstüchtigkeit. Eine Aufgabe im Seminar war die Erstellung des Lebensplanes – er sollte als Kompass dienen. Dabei dachte ich im privaten Teil an wichtige Aufgaben für die Familie wie z. B. die Rolle als Vater und Ehemann, daneben an Fitness und ausgleichende Hobbys. Als berufliche Rollen listete ich Führungskraft, Coach und Lehrer auf. Kurz nach dem Seminar flog ich mit meiner Familie nach Hawaii. Dort war Zeit und Ruhe, meinen Lebenskompass in einem kleinen Aquarell zu visualisieren (s. Abb. 1.1). Die damals formulierte und visualisierte Richtung gilt für mich heute noch. Fragen Sie sich beim Blick auf Ihren Lebensplan: Was will ich in jeder meiner Rollen bis zu meinem 80sten oder 90sten Geburtstag noch erreichen? Was ist ein hilfreicher Perspektivenwechsel? Was motiviert mich, was treibt mich an? Wie viel von dem, was mich motiviert und antreibt, ist ausreichend für meine Zufriedenheit? Zum Kurshalten reicht dann ab und zu ein Blick auf den Lebensplan. Vielleicht wird eine Anpassung notwendig, wenn sich Rollen oder Motive ändern. Kleine Ergebnisschritte helfen bekanntlich, das Ziel schneller zu erreichen. Managen Sie Enttäuschungen positiv, wenn das hochgesteckte Ziel nicht erreicht wird, denn: „Wer alle seine Ziele erreicht, hat sie zu niedrig gewählt“ (Herbert von Karajan).52 Mein Deutschlehrer sagte kurz vor dem Abitur zur Klasse: „Jungs, ihr bekommt mal alles im Leben – nur eine Nummer zu klein.“ Über diese eher pessimistisch klingende Aussage lässt sich lange diskutieren. Warum nicht diesen Satz in einen positiven eher lebenskünstlerischen Ansatz drehen? Nämlich so: „Eine Größe kleiner lässt sich anpassen.“. Aristoteles hat seinen Schülern die Tugend der Bescheidenheit und das goldene Mittelmaß mit der Frage präsentiert: „Wie viel ist genug?“ Das ist eine zentrale Frage für das sprichwörtliche „gute Leben“:53 Genießen Sie, was Sie haben, und versuchen Sie, Probleme als Lernchancen mit neuen Möglichkeiten zu begrüßen. Rein materielle Ziele bringen langfristig keine Erfüllung. Das beweisen Langzeitstudien der volkswirtschaftlichen Glücksforschung. 51Steven

Covey: First Things First, Fireside 1995.

52https://www.gutzitiert.de/zitat_autor_herbert_von_karajan_thema_ziel_zitat_23429.html. 53James

O’Toole: Creating the Good Life, Applying Aristotle’s Wisdom to Find Meaning and Happiness, Rodale 2005, S. 129.

26

Abb. 1.1   Lebensplan als Kompass

1  Denkstrategie: Stressmanagement

1.2  Die Zeichen – Wie fühle ich Stress?

27

1.2.2.3 Hauptziel zur Ausrichtung Im Rahmen einer allgemeinen Einleitung schrieb ich einmal: „Mit den definierten Rollen möchte ich jeden dabei unterstützen, Glück zu finden.“ Heute würde ich das Top-Ziel noch um Gelassenheit und Zufriedenheit ergänzen. Die Realisierung dieser anspruchsvollen Vision hängt stark davon ab, was einen persönlich motiviert und antreibt – Was ist die eigene Motivationsstruktur? Sind es materielle Güter, Macht, lebenslanges Lernen, Antrieb, eine Innovation zu schaffen, Selbstständigkeit, Philanthropie, Entspannung, Muse, gutes Aussehen, oder der Wille, dort zu helfen, wo Not besteht?

1.2.2.4 Rollen mit Aufgaben Selbst: Erhalten Sie Ihre körperliche, geistige, spirituelle und soziale Fitness mit Aktivitäten wie Erfahrungsaustausch, Pflege von Freundschaften, Sport, Literatur, Musik, Meditation, Malen und Schreiben. Führungskraft: Arbeiten Sie an guten Werten wie Glaubwürdigkeit, Integrität, Fachkompetenz, Kreativität. Kreativer: Finden Sie Farben, Strukturen, Formen und Melodien. Lehrer: Helfen Sie anderen, zu wachsen und wachsen Sie dadurch selbst. Mein Motto: „Lerne, um zu lehren und lehre, um zu lernen“. Ehemann, Sohn und Vater: Sorgen Sie für die Personen, die Ihnen nahe stehen. Seien Sie da, wenn diese Menschen Hilfe brauchen, z. B. bei der Arbeitsplatzsuche oder bei zwischenmenschlichen Beziehungen. Nehmen Sie familiäre und freundschaftliche Beziehungen nicht als gegeben hin. Zusammenleben braucht ständig Pflege zur Erhaltung.

1.2.2.5 Lebensabschnitte zum Anpassen Jeder Lebensabschnitt enthält andere Chancen, Risiken und Wünsche. Aber jeder 24-Stundentag in diesen Lebensabschnitten sollte bewusste Vorbereitung für die Zukunft sein (s. Teil 2, Kap. 6). Was treibt uns an? Teenager haben Sorgen und Interessen, aber andere als Studenten oder Berufsanfänger. Der Jungmanager mit 30 Jahren ist am Anfang seiner Karriere erst einmal unter Startdruck und durch die Karriereentwicklung

28

1  Denkstrategie: Stressmanagement

motiviert. Den Mittelmanager mit 40 treibt es zur Spitze. Mit 50 ist entweder die Spitze erreicht oder immer noch nicht. Was ab 60 motiviert – der Dekade für Pensionierung und Neuanfang – hat jeder selbst in der Hand.54 Kareem Abdul-Jabbar, der legendäre National-Basketballspieler der Los Angeles Lakers, hält dafür drei Regeln parat, die vielfältig zitiert werden:55 • Regel 1: Hör auf damit, es Pensionierung zu nennen. • Regel 2: Bisher war deine Karriere erfolgreich, jetzt mache dein Leben signifikant. • Regel 3: Menschen, die andere Menschen brauchen, können sich glücklich schätzen, denn sie sind nicht allein. Auch wenn manche Leser vielleicht der Meinung sind, dass der dritte Lebensabschnitt hier zu oft erwähnt wird, bin ich der Meinung, dass man sich früh und einfallsreich darauf vorbereiten muss. Der bekannte Alzheimer-Experte Konrad Beyreuther bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: „Es ist ein Verbrechen, Menschen überhaupt zu pensionieren.“ Die Altersforscherin Ursula Staudinger vom Aging Center der Columbia University behauptet, dass wir heute rund 30 Jahre Lebenszeit durch gute gesundheitliche Versorgung gewinnen. Diese Zeit als reine Ruhezeit zu verbrauchen, ist Verschwendung.56 Flexible Beschäftigungsmodelle müssen angeboten werden, damit kreative Gehirnmasse nicht verkümmert.

1.2.2.6 Nach Signifikanz streben Jeder Neuanfang bringt Schwung und frischen Wind. Fragen Sie sich: Was muss ich tun, damit ich mit 80 oder 90 Jahren wichtig und nicht enttäuscht bin? Nach langjähriger Erfahrung kann der Einstieg in ein Startup-Unternehmen zu Signifikanz führen. Es ist anregend, mit jungen Menschen zusammenzuarbeiten und

54Everything

Else Podcast: Older – wiser and happier? Interview with Lucy Kellaway about the happiest times of our lives: https://www.ft.com/content/c0217747-0045-4acea444-7fb6b0d95fd1 (Min. 00:00–15:45 von 33:32). 55Kareem Abdul-Jabbar: Three Rules of Retirement, The Rotarian Magazine.com, Feb. 2014. therotarianmagazine.com/three-rules-of-retirement/ Rule 1: Don’t think of it as retirement. Rule 2: Go from being a success to being significant. Rule 3: People who need people are the luckiest people. http://s3.amazonaws.com/dfc_attachments/public/documents/3192470/2014_02_February.pdf http://www.qbsunriserotary.ca/the-rotarian-february-edition/. 56Anne Otto: Die Welt im Kopf, Spiegel Classic 1/2017, S. 85/86.

1.2  Die Zeichen – Wie fühle ich Stress?

29

ihnen zu helfen – dazu braucht man aber nicht erst auf die Pensionierung zu warten. Sie wissen, wie und wo Sie Rat geben und mit Taten etwas bewirken können. Beispielsweise wissen Sie, wie die Freigabe von Finanzmitteln in einem Bankengespräch mit glaubwürdiger Argumentation erreicht werden kann – es gilt: „Liquidität folgt der Bonität.“ So findet eventuell Ihr Schlüsseltalent neue interessante Bestätigung und Bewunderung bei der Beschaffung von Finanzierungsmitteln. Der amerikanische Pädagoge Leo Buscaglia hat herausgefunden, dass Menschen mit Interessen und Leidenschaften für die unterschiedlichsten Dinge glücklicher sind als jedes Genie, das sich tagaus tagein auf das gleiche Thema konzentriert.57 Hier ist die Chance: Packen Sie neue Projekte an, schreiben Sie Bücher, halten Sie Vorträge, machen Sie eine Ausstellung mit den Ergebnissen Ihres Hobbys. Nicht jeder muss ein David Hockney sein, aber Übung macht den Meister. Viele ehemalige CEOs glauben mit Blick auf ihre Altkontakte, eine Unternehmensberatung starten zu können. Diese Idee halte ich nicht für Erfolg versprechend, da solche Aufgaben schon aus Haftungs- und Imagegründen an internationale Beratungsgesellschaften vergeben werden. In einer Studie im American Journal of Epidemiologie wurden die negativen Auswirkungen von Facebook besprochen:58 Facebook macht unglücklich, wenn wir es nicht mit Abstand nutzen. Schlussfolgerung der Studie: Der Ersatz von persönlichen Freundschaften durch übertriebene Nutzung von Facebook gefährdet die geistige Gesundheit. Menschen brauchen Freundschaften zum Anfassen und Interaktion mit guten Freunden. Online-Kontakte sind kein Ersatz für eine Face-to-face-Kommunikation: „You can’t have a drink on the internet.“ Vertrauensvolle Gespräche und Rat sind Balsam für die Seele.

1.2.3 Ablenkung – Zeitfresser des 21. Jahrhunderts Anrufe, Meetings sowie digitale Kommunikation unterbrechen unsere Konzentration. Oft bleibt nur Zeit zum Überfliegen der Information. Langfristig wichtige Themen liegen vor uns, aber tägliche Dringlichkeitskrisen treiben uns ins Kurzfristdenken. Reaktion und Multitasking statt Aktion ist Alltagsstress mit den

57Leo

Buscaglia, in: Dennis Wholey: Are You Happy, Houghton Mifflin 1986, S. 21–25. Pinker: Does Facebook Make Us Unhappy and Unhealthy – A look at new research covering thousands of adults, WSJ v. 25. Mai 2017, 12:40 pm ET: https://www.wsj.com/articles/does-facebook-make-us-unhappy-and-unhealthy-1495729227. 58Susan

30

1  Denkstrategie: Stressmanagement

berühmten drei Buchstaben: TMI – Too Much Information. Immer wieder werde ich gefragt, wie man TMI in den Griff bekommen kann – hierzu einige Tipps im Kapitel Stressfallschirm. Nach einer bestimmten Zeit der Vielfalt sehnen wir uns nach Vereinfachung und weniger Komplexität (s. Teil 3, Kap. 12). Laut einer von Gloria Mark durchgeführten Studie über digitale Ablenkung wird unser Denken alle 3 Minuten unterbrochen, und es dauert 23 Minuten, um wieder in den alten Denkrhythmus zurückzufinden.59 Kein Wunder, dass wir uns abends fragen: „Was haben wir eigentlich heute geschafft?“ In Business-Meetings, bei Sales-Pitches, bei Vorträgen, bei Vorlesungen und selbst im Film und Fernsehen wird von Produzenten gefragt: Wie kann ich die Aufmerksamkeit der Zuschauer halten?60 Antwort: Erhalten Sie die Spannung durch ein klar erläutertes und von allen verstandenes Ziel. Lassen Sie sich Zeit, dieses Ziel detailliert zu erklären, sodass jeder überzeugt und willens ist, das Ziel zu unterstützen. Steve Jobs war bekannt für Einfachheit, Klarheit und Zweckorientierung in seinem Design und Konsum. Das zeigte sich in der Einfachheit seiner Kleiderauswahl (Jeans und schwarzer Rollkragenpulli). Er kaufte Made in Germany wie den alle sechs Monate ausgetauschten, stets silbernen Mercedes oder die Waschmaschine, die nach einer zweiwöchigen Analyse von Design, Funktion, Wasserverbrauch und Umweltverträglichkeit von der Familie ausgewählt wurde.

1.2.3.1 Multitasking: die große Effizienzillusion Multitasking ist das Erledigen mehrerer Aufgaben zur gleichen Zeit. Multitasking ist Feind der Aufmerksamkeit und Hürde für Kreativität. Multitasking bewirkt das Gegenteil der gewünschten Effizienz und Effektivität. Gleichzeitiges Erledigen mehrerer Aufgaben wirkt wie ein umgedrehtes : Bei Übernahme von mehr Aufgaben steigt die Produktivität zuerst, um dann wieder abzufallen. Unser Gehirn ist nicht für Multitasking gebaut.61 Multitasking ist ständiges Umlenken, ein Hin und

59Rachel Emma Silverman: Why You Won’t Finish This Story, WSJ 13. Dezember 2012, S. 18, Studie über digitale Ablenkung. 60Robert McKee: Keep Your Audience Engaged Over the Span of an Entire TV Series, 16. Mai 2017: https://www.youtube.com/watch?v=eNrwZ4wsXzM&feature=youtu.be&inf_contact_ key=b3a6b76a678b50ed3e29a9ef6a94a8250b96d8a47410d3208110998685fdf2f3. 61Daniel Levitin: The Organized Mind: Thinking Straight in an Age of Information Overload, 28. Oktober 2014, https://www.youtube.com/watch?v=aR1TNEHRY-U; Philip Delves Broughton: Simplicity and the storm before the calm, FT, 28. Dez. 2010, S. 8; Daniel Levitin: The Organized Mind …, Dutton 2014, S. 16 f.; John Paul Minda: The Psychology of Thinking, Sage 2015, S. 6–8, 42.

1.2  Die Zeichen – Wie fühle ich Stress?

31

Her der Aufmerksamkeit von einer Aufgabe zu einer anderen – vom Lesen zum Musikhören, gleichzeitiges Lesen in mehreren Informationsquellen, Facebook während eines Vortrages, Texten und Autofahren. Wir denken sequenziell – die einzelnen Jobs werden durch schnelles Umschalten erledigt und nicht parallel zur selben Zeit. Die Arbeitsqualität steigt, wenn unsere Aufmerksamkeit auf nur ein Thema fokussiert ist: Nach eins kommt zwei.62 Nur sehr wenige Jobs brauchen wirklich Multitasking wie beispielsweise Fluglotsen, Simultanübersetzer oder Kindergärtner.

1.2.3.2 Zusammen allein Das Ziel eines jeden Marketeers: Word of Mouth führte im Englischen zum Wortspiel Word of Mouse, weil es in der digitalen Welt ein Mausklick ist und nicht mehr das persönliche Gespräch, das die Information transportiert. Diese kommunikative Unart lässt sich in vielen Restaurants beobachten – Menschen sind beisammen, aber schreiben oder lesen auf ihren Smartphones. Eine gesellige Gelegenheit wird kommunikationslos, virtuell und ungesellig. Sherry Turkle vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) bezeichnet dieses Verhaltensmuster mit der Formel: Zusammen allein.63 Eine japanische Studie hat ergeben, dass Schülerinnen in Japan am Tag sieben Stunden das Handy benutzen, 10 % davon bringen es sogar auf 15 Stunden. Jungs verbringen laut dieser Studie nur vier Stunden am Handy.64 Die Furcht, „nicht dazuzugehören“, treibt nicht nur japanische Teenager in die Internetsucht und führte zu dem Akronym FOMO, d. h. Fear Of Missing Out. Schweden nennen die iPhone-fixierten Menschen Cell-Phone-Zombies. Das trifft den Kern, wenn man die geistig abwesenden Cell-Phone-Personen am Nebentisch beobachtet. Vier haben ein Dinner und vier wenden sich ihrem Smartphone zu – unsozial. Eine US-Studie stellt die geringere akademische Leistung von Studenten fest, die häufig und aktiv das Handy benutzen.65 Bildschirmkultur fängt nicht nur in den USA schon im Kleinkindalter vor den ersten Sprechversuchen an. Das ist ein

62David

Gelles: The mind business, FT, 15/26 August 2012, S. 2 (Life & Arts). Turkle: Alone Together – Why We Expect More from Technology and Less from Each Other, 2. Oktober 2012; zit. bei Elizabeth Bernstein: Setting Rules for Miscommunicators, WSJ 5. Juli 2012, S. 7; Sherry Turkle: Connected, but alone? https://www.youtube. com/watch?v=t7Xr3AsBEK4 TED-Talk 3. April 2012. 64Harumi Ozawa: Small-Screen Slaves, Bangkok Post 16. Feb. 2015, S. 6. 65Andrew Lepp, Jacob E. Barkley, Aryn C. Karpinski: The Relationship Between Cell Phone Use and Academic Performance in a Sample of U.S. College Students, Sage 19. Februar 2015. 63Sherry

32

1  Denkstrategie: Stressmanagement

Alter, in dem die Beobachtung der Umwelt und die Interaktion mit Eltern und Geschwistern im Vordergrund stehen sollten. Jedoch verbringen Kinder im Alter von 8 bis 10 Jahren pro Tag acht Stunden mit unterschiedlichen elektronischen Medien und Teenager sogar mehr als elf Stunden.66 Neueste Studien des Shanghai Mental Centers zeigen in MRT-Gehirnaufnahmen bei handyabhängigen Jugendlichen ähnliche neurologische Veränderungen wie bei Alkohol- und Kokaingenuss. Mittlerweile gibt es gegen die sogenannte Digitalsucht eine Therapie namens Digital Detox. Der Begriff Nomo-Phobie67 wurde ein feststehender Begriff in der Psychologie. Er steht für Handyabhängigkeit und ist abgeleitet aus dem Begriff „No mobile“ insbesondere während der Nachtruhe. Freundeskreise in Silicon Valley legen vor dem gemeinsamen Abendessen die Handys in die Mitte des Tisches. Wer das Handy zuerst wegnimmt, zahlt die Rechnung – eine gute Idee, um Tischgespräche zu retten. Für viele ist es wichtiger, Belanglosigkeiten an die Internet-Fan-Gemeinschaft zu schreiben statt mit Kindern und Ehepartner Gemeinsames zu erleben.68 Die digitale Abhängigkeit spiegelt die bizarre Aussage einer Frau wider: „Mein Handy ist für mich wie ein weiteres Kӧrperorgan“. Wir sehen dieses Phänomen überall – auf der Straße, im Büro und zu Hause. Soziales Verhaltensgeschick geht mehr und mehr verloren. Warum nicht ein kurzes persönliches Gespräch nach dem Meeting oder ein kurzer Gang ins Nachbarzimmer? Heikle Themen lassen sich nur oder zumindest besser im direkten Gespräch lӧsen. Wir sind nach Sherry Turkle „unter Menschen, aber allein“.69 Langsam lernen wir, die digitalen Kommunikationsplattformen kritisch zu sehen. Selbst die soziale Plattform Facebook spricht Kritiker proaktiv mit einer paradoxen Werbekampagne an: „Kontakte knüpft man nur im richtigen Leben.“70

66Aus

dem Policy Statement der amerikanischen Akademie der Pädiatrie 2013 (Kinder, Heranwachsende und die Medien), zit. in Bangkok Post, 14. Juli 2015, S. 7: Screen Addiction is Taking a Toll on Children. 67Nomo-Phobie zeigt sich in folgender Statistik von Wilson Electronics: 66  % der Bevölkerung leiden daran, 66 % halten das Handy beim Schlaf neben sich, 70 % der Frauen haben ohne Handy Angstgefühle (Männer 61 %), 77 % der Menschen im Alter von 18 bis 24 haben ohne Handy Angstgefühle (68 % in der Altersstufe 25–34), 72 % halten ihr Handy in einem Radius von 1,5 Metern bei sich. 68Elizabeth Holmes: No vacation from tweeting, WSJ Aug. 8, 2012 (Life & Style). 69Sherry Turkle: Alone Together, … 2012. 70Katharina Nickel: Facebooks kuriose Werbekampagne gegen sich selbst – wir fragen nach, futurezone.de, 15.12.2017, 12:00. https://www.futurezone.de/b2b/article212804025/Facebooks-kuriose-Werbekampagnegegen-sich-selbst-wir-fragen-nach.html.

1.2  Die Zeichen – Wie fühle ich Stress?

33

Die American Management Association verӧffentlichte die Information, dass Mitarbeiter pro Tag durchschnittlich 107 Minuten mit E-Mails verbringen.71 Eine Büchse der Pandora wurde geöffnet, aus der nur „oberflächliche Informationskultur“ („Skim Culture“) herauskommt. Wir nutzen vorrangig den Google-Algorithmus zum Filtern des Internets mit unseren Suchbegriffen. Studien der Medienagentur LOWE stellen blindes Vertrauen in die Suchmaschinen fest. Den meisten reichen die gefundenen Informationshäppchen und sie verzichten auf eine persönliche Recherche und das Studium von Langtext. Dieser Megatrend von Info-Snacking statt Info-Tieftauchen ist eine Gefahr für Kreativität und Innovation, da wir freiwillig in einer „gefilterten Welt“ leben.72

1.2.3.3 Eselsohren fürs Gehirn Ein Hilfsmittel zur Vermeidung der Vergesslichkeit durch Informationsüberflutung ist die Auslagerung von Dingen, die wir uns unbedingt merken sollten.73 Fragen werden heute häufig an Google ausgelagert und dort beantwortet. Wie aber sollen wir die vielen wichtigen Alltagsdinge so managen, dass wir uns daran erinnern? Die Lösung ist eine einfache Art symbolhafter Erinnerungstechnik, die sogenannte Mnemotechnik.74 Ich nenne dies Eselsohren fürs Gehirn. Merke dir nichts, was nicht notwendig ist, sondern lagere die Erinnerungsnotwendigkeit aus. Beispielsweise erinnert der aufgespannte Regenschirm an der Tür beim Weggehen an die Regeninformation aus den gestrigen Wetternachrichten. Der Schlüsselhaken oder ein bestimmtes Gefäß direkt neben der Tür erinnert an das sofortige, geordnete Aufhängen des Schlüssels. Lege den Schlüssel niemals beim Hereinkommen irgendwo hin, denn so könnte er schnell aus dem Kurzzeitgedächtnis herausfallen und später würde die Sucherei losgehen. Notieren Sie Informationen auf einem Zettel oder in einem Notizbuch, da Aufgeschriebenes leichter zu merken ist als Getipptes. Viele von uns nutzen noch

71Shawn Achor: The Happiness Advantage, Crown Business 2010, The Seven Principles of Positive Psychology That Fuel Success and Performance at Work, p. S159. 72Studie des LOWE Counsel: Skim Culture: The Triumph of Surface over Substance, April 2010; Studie des LOWE Counsel: Data Dimension: Brave New Data World, July 2011. 73Daniel Levitin: The Organized Mind: Thinking Straight in an Age of Information Overload, https://www.youtube.com/watch?v=aR1TNEHRY-U, 28. Oktober 2014 (Min. 18:08 aus 53:23). 74Herwig Blum: Die antike Mnemotechnik, Georg Olms Verlag Hildesheim 1969, siehe insbesondere die Stellen zur Mnemotechnik, S. 3–12; http://www.grin.com/de/ebook/70180/mnemotechniken.

34

1  Denkstrategie: Stressmanagement

das „gute alte“ Notizbuch. Der berühmte Arzt und Wissenschaftler Paul Ehrlich notierte Einfälle auf der Umschlagmanschette seines Hemdes. Der Psychologe Hans Markowitsch empfiehlt, sich mit allen Sinnen, also etwa mit Geruch, Geschmack und mit Gefühl zu erinnern.75 Das Parfüm im Aufzug oder das Lieblingszitat eines beliebten Lehrers aus der Schulzeit lösen Flashbacks aus, die fest in unserem Langzeitgedächtnis sitzen.

1.2.3.4 Gegen den Wind segeln und Richtung halten Auf dem Weg durch die Jahrzehnte ist es wichtig, mit Enttäuschungen kreativ umzugehen. Alle Veränderungen können zu Korrekturen im Kurs führen – das muss aber nicht sein. Fragen Sie sich in regelmäßigen Zeitabständen, ob Rollen und Ziele noch in den neuen Lebensabschnitt passen oder ob ein Umlenkmanöver gefragt ist – Tacken in der Seglersprache: • Zwischen Graduierung und Start ins Berufsleben ist Kreativität gefragt, um später mit Freude den Tag zu beginnen: Welche Karriererichtung will ich und warum? Freiberufler, selbstständige Unternehmerin oder leitender Angestellter in einem Unternehmen? Eine Karriere in Industrie, Handel oder …? • Im Laufe des Lebens entscheiden wir Richtungsänderungen, um die Energie der Gegenwinde für den Antrieb nach vorne zu nutzen. In der Seglersprache heißt das gegen den Wind segeln – kreuzen oder tacken. Beim Tacken fahren Sie eine Wende mit dem Boot. Dabei segelt man auf einem Am-Wind-Kurs so „hoch am Wind“, wie es geht, und wendet dann mit dem Bug durch den Wind auf den anderen Bug – mit anderen Worten, der Wind kommt von vorne. Häufiges Tacken oder Kreuzen ist ein Zickzackkurs bei Gegenwind, um nicht abgetrieben zu werden. Kreuzen ist beruflich wie privat erforderlich. Es geht nicht immer geradeaus und ohne Gegenwind leben die wenigsten. Lebenskünstlern gelingen Kursänderungen leichter. Zum Erhalt ihres Wohlbefindens setzen sie neue Ideen und Flexibilität ein. Mich führte Tacken zum Beruf des Steuerberaters, nachdem ich den Wunschstudienplatz nicht bekommen hatte. Nach zehn Jahren in der Steuerberatung führte ein weiteres Tacken zum CFO und dann zum CEO. Tacken führte mich durch sieben Länder, entwickelte Lehrfähigkeiten, ließ mich Bücher schreiben und lässt mich Studenten helfen, damit sie beim Start ins Berufsleben gut (über-) leben. Neugier auf Neues, keine Angst vor Neuanfängen, um nicht gelangweilt, im gleichen Job

75Hans

Markowitsch, zitiert in: Anne Otto: Die Welt im Kopf, Spiegel Classic 1/2017, S. 88/89.

1.2  Die Zeichen – Wie fühle ich Stress?

35

und am gleichen Ort zu erstarren, lässt uns drastische Veränderungen meistern. In diesen Situationen helfen Denkstrategien und Denktaktiken, um vorwärtszukommen und Sackgassen zu vermeiden. Erfinder stellen Fragen, beobachten, hören gut zu, experimentieren, nutzen persönliche Netzwerke zur Kommunikation und sind in der Lage, auch scheinbar abwegige Ideen assoziativ heranzuziehen.76 • Nach der sogenannten Pensionierung oder Privatisierung fallen viele in ein schwarzes Loch der Orientierungslosigkeit. Andere freuen sich, endlich Neuland betreten zu können und erinnern sich an George Eliots Rat: „Es ist nie zu spät, etwas Neues anzufangen, um das zu sein, was man schon immer sein wollte.“77 Jede Möglichkeit ist eine Chance, die „Reifen“ zu wechseln („re-tire“) und auf anderen Wegen weiter zu fahren. Ein positives Beispiel fand ich in dem amerikanischen Neurologen Dr. John Kitchin, der ein Augenleiden zum Anlass nahm, seinen ihn nicht mehr ausfüllenden Beruf durch eine Passion zu ersetzen – Inlineskating. Unter dem Spitznamen SLOMO (Slow Motion) fährt er jetzt täglich auf seinen Inlineskates am Pacific Beach in San Diego Kalifornien entlang. Nach dem Verkauf seiner Klinik, seiner Villa mit Tennisplatz auf einem Berg, von Luxusautos und exotischen Tieren lebt er bescheiden in einem Studio in der Nähe des San Diego Board Walk. Ein 93 Jahre alter Mann riet ihm in der Kantine der Klinik: „Do what you want to.“ Heute schnallt er sich jeden Morgen seine Inlineskates vor dem Studio mit Meerblick an und erfreut sich an der Sympathie, die ihm von jungen und alten Passanten entgegengebracht wird. Schauen Sie sich die SLOMO-Story doch mal im Video an!78

1.2.3.5 Familie und Freunde pflegen Haben Sie während Ihrer erfolgreichen Karriere genug Zeit für Familie, Freunde und die Gemeinschaft aufbringen können? Die meisten von uns sind oder waren so eingespannt, dass die Antwort ehrlicherweise „Nein“ sein dürfte. Jetzt ist die

76Jeffrey

H. Dyer, Hal B. Gregersen, Clayton M. Christensen: The Innovator’s DNA, HBR, Dezember 2009, S. 61–67. 77George Eliot: „It’s never too late to be what you might have been.“ https://quoteinvestigator.com/2013/11/24/never-too-late/. 78SLOMO Story: The Man Who Skated Right Off the Grid | Op-Docs | The New York Times https://www.youtube.com/watch?v=Xn87-mcnoVc.

36

1  Denkstrategie: Stressmanagement

Chance da! Holen Sie nach, was vorher nicht mӧglich war. Vorsicht deshalb bei der Annahme von neuen Aufgaben wie Aufsichtsrats- und Verbandstätigkeiten! Ehrenämter entpuppen sich als Zeitfresser wie der aktive Job vorher. Helfen Sie Kindern und jungen Leuten in der Startup-Phase und machen Sie Fernreisen zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Binden Sie sich nicht wieder vertraglich, sondern reservieren Sie Zeit und erfüllen Sie sich Herzenswünsche (s. Teil 2, Kap. 9).

1.2.3.6 Vergleiche: Giftpillen, die unglücklich machen Der Vergleich im Sinne von Benchmarking ist nützlich. Er bietet die Chance, sich selbst und das Unternehmen zu verbessern. Unrealistische Vergleiche im Privatbereich dagegen lösen Neid und Unzufriedenheit aus. Die hier folgenden drei Vergleiche machen unglücklich und wirken wie Giftpillen: Giftpille 1: Ich habe – ich hätte gern Streben nach mehr ist ein häufiger Enttäuschungsgrund, wenn das Ziel unrealistisch ist. Die Lücke zwischen dem, was ist, und dem, was wir gerne hätten, muss ein realistisches Maß haben, damit Motivation nicht in Demotivation umschlägt. Motivation ja – neidischer Vergleich nein. Das schützt vor der enttäuschenden Frage, die sich ein berühmter US-amerikanische Verleger stellte:79 Warum nur wollen so viele das sein, was sie nicht sind, während sie genau das sind, was andere sich wünschen? (Malcom Forbes)

Giftpille 2: Jetzt habe ich das – in der Vergangenheit hatte ich jenes Materielle und immaterielle Verluste durch Veränderungen stellen in den meisten Kulturen ein soziales und psychologisches Problem dar. Positionsabstiege oder -verschiebungen sind oft unverschuldet, da sie durch Restrukturierung, Fusion und disruptive Innovationen gezwungenermaßen notwendig sind. Die negativen Resultate aus den Veränderungen, die sich in Change-Management–Projekten ergeben haben, werden häufig als direkte Kosten (Streichen des persönlichen Fahrers, Abstieg bei der Flugklasse, Kürzung von Gehalt und Mietzuschuss etc.),

79Im

englischen Original: „Why is it, that so many want to be what they are not, while what they are is what others want to be?“ oder in der Kurzform: „Too many people overvalue what they are not, and undervalue what they are.“ https://www.brainyquote.com/authors/ malcolm_forbes.

1.2  Die Zeichen – Wie fühle ich Stress?

37

als Gesichtsverlust und Grund zur Sorge vor der Zukunft empfunden. Das führt zu Widerstand gegen Veränderungen, wenn sie nicht entsprechend gemanagt werden, wie z. B. durch ausreichende Kommunikation, Lernveranstaltungen, Erklärung der Hintergründe für die Veränderung, Gruppenarbeit, Stressmanagement, Überzeugungskunst und letztlich auch Druck oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Auch die Pensionierung empfinden manche Führungskräfte als Abstieg durch den Verlust positionsbedingter Vorteile mit Außenwirkung wie etwa den Verlust des Geschäftswagens mit Fahrer, Verbandstätigkeiten, Klubmitgliedschaften, Ehrenämter und Aufmerksamkeit. Das Abstiegsgefühl wird verstärkt, wenn die vielen Bewunderungszwerge auf einmal ausbleiben. Der von Anselm Grün geprägte Begriff „Bewunderungszwerg“ bringt zum Ausdruck, dass es sich bei bestimmten Bewunderern um positionsbedingte Kriecher handelt, die nur am Budget interessiert waren. Nach beruflichen Veränderungen bleiben Einladungen und aufdringliche Nettigkeiten aus. Das ist kein Nachteil, wenn man sich kreativ beschäftigt. Materielle Dinge mögen verloren sein, aber dafür hat man Zeitwohlstand und Kontrolle gewonnen. Seneca sagte in dem Zusammenhang den berühmten Satz: „Das ‚Haben‘ kann dir genommen werden, das ‚Gehabt Haben‘ kann dir keiner nehmen.“80 Abstand entlohnt mit Unabhängigkeit. Früher stand man wegen Jahresergebnissen, VIP-Ereignissen oder Gerüchten in der Zeitung. Danach würdigen Journalisten in Kolumnen erstaunt, wenn Verkehrsstau und Parkprobleme den CEO a. D. öffentliche Verkehrsmittel bevorzugen lassen.81 Ein Arbeitskollege empfahl mir vor vielen Jahren ein Buch des Viktor E. Frankl. Er selbst hatte von diesem Buch in einem Seminar für leitende Führungskräfte gehört und dachte wie ich über einen dort zitierten Nietzsche-Satz nach: „Wer ein Warum zu leben weiß, erträgt fast jedes Wie.“ Derjenige, der den Sinn

80Seneca

in den stoischen Briefen (im lateinischen Original): „Habere eripitur, habuisse numquam“; https://books.google.co.th/books?id=Smak_L1Tg7EC&pg=PT539&lpg= PT539&dq=%E2%80%9CHabere+eripitur,+habuisse+numquam%E2%80%9D&source=bl&ots=W5FFeliMeW&sig=QhVmEZJPgltPONdCxmgudyQG8XU&hl=en& sa=X&ved=0ahUKEwj22pCdrt7ZAhUHSo8KHeUwCSEQ6AEIPjAF#v=onepage&q= %E2%80%9CHabere%20eripitur%2C%20habuisse%20numquam%E2% 80%9D&f=false. 81Pichaya Changsorn in Biz Buzz: Ex-car boss enjoys his retired life without a car, The Nation, 27. Juli 2015.

38

1  Denkstrategie: Stressmanagement

seines Lebens kennt – das Warum –, kann fast alle Entwicklungen – das Wie –, ertragen. Der Satz ist Leitsatz für jeden Lebensplan. Ein bekannter Neurologe und Psychiater empfiehlt für einen lebensführenden Kompass ein gedankliches Replay: Lebe, als ob du bereits zum zweiten Mal lebst und jetzt knapp vor dem damals falsch gelebten Lebensschritt stehst und im Begriff bist, den damaligen falschen Schritt nochmals genauso falsch zu durchleben. (Viktor E. Frankl)

Giftpille 3: Ich habe das – andere haben etwas Anderes und davon sogar mehr Aus diesem Vergleich resultiert wohl bei den meisten Menschen die größte Unzufriedenheit. Auch Gore Vidal artikuliert seine Missgunst erschreckend direkt mit dem berühmten Satz, dass „jedes Mal, wenn ein Freund von mir Erfolg hat, ein kleiner Teil von mir stirbt.“82 Ehrliches Mitfreuen fällt dem ein oder anderen schwer und wird durch Neid zugedeckt. Aber muss es denn immer nur der eigene Erfolg sein – warum nicht einfach mal mitfreuen? Die meisten von uns stehen doch gar nicht so schlecht da! Negative Gefühle sind zwar Teil des Lebens, aber mit Anwendung der Stärken, dem spezifischen Talent und den eigenen positiven Charakterzügen fühlt der Lebenskünstler sich trotzdem gut.83 Bei allen drei Vergleichen gilt meist: Je größer der Abstand zwischen Wunschziel und eigenem Gegenwartswert ausfällt, desto größer ist die Unzufriedenheit.

1.2.4 Angst – Alarmzentrum Amygdalae Das Wort Angst beschreibt ein Grundgefühl, das zu Besorgnis, Beklemmung und Enge führt. Angst wird durch die Amygdalae im Gehirn ausgelöst. Amygdala bedeutet auf Griechisch „Mandelkern“. Das sind zwei kleine Gehirnteile, von denen sich jeweils eine am Boden jeder Gehirnhälfte befindet. Beide Amygdalae stellen das Alarm- und Angstzentrum im Gehirn dar. Die hormonabhängigen

82„Every

time a friend of mine succeeds a little part of me dies.“, https://www.brainyquote. com/search_results?q=whenever+a+friend+succeeds. 83Carina Frey: Train yourself to be more content – A study, Deutsche Presse Agentur, in: The Nation, 28. Okt. 2012, S. 3B.

1.2  Die Zeichen – Wie fühle ich Stress?

39

Stressreaktionen der beiden Gehirnteile können Kreativität und Innovation blockieren. Deswegen ist es wichtig, dieses Alarmsystem mit sachlichen Argumenten zu zähmen, um bei Präsentationen, in Besprechungen, in sensiblen Gesprächen, im Unternehmen oder zu Hause nicht übertrieben emotional zu reagieren. Führungskräfte dürfen bei drastischen Veränderungen die Amygdalae mit ihren Widerstandskräften nicht außer Acht lassen. Es bedarf Empathie und Erklärung, um zwischen der emotionalen Amygdala und dem sachlich denkenden Stirnlappen zu vermitteln. Viele Changeprojekte und Fusionen bleiben stecken, weil Angst die verhindernden Widerstände freisetzt. Ungeduld, Druck, Tempo und fehlende Kommunikation des Topmanagements bilden die Hürden für eine breite Unterstützung in der Belegschaft. Bei grenzüberschreitenden Transaktionen muss den Mitarbeitern noch zusätzliche Zeit zum Kennenlernen der anderen Kultur gegeben werden. Ursachen für ein unbestimmtes Angstgefühl liegen im drohenden Arbeitsplatzverlust, Positionsverlust, Angst vor Schikane, schwierigen Aufgaben mit drückenden Terminen, Angst vor der Zukunft oder Verunsicherung während der Reorganisation nach einem Unternehmenskauf. Der Mensch sehnt sich nach Kontrolle; das Gefühl, keine Kontrolle zu haben, löst Angst aus. Das Gehirn lässt sich nicht mehr vernünftig und kreativ nutzen, die Überlebensinstinkte der unteren Ebenen im sogenannten Reptilgehirn – übernehmen. Wenn wir uns nicht um die Versachlichung der Angst kümmern, schwächt sie unsere Kreativität und Produktivität.84 Angst erzeugt Übererregung im Gehirn. Wir verlieren die notwendige Gelassenheit und können uns nicht mehr konzentrieren. Unser Gehirn gerät so unter Druck, dass wichtige Gehirnareale blockiert werden. Angst ist empfänglich für Angstbotschaften aus Presse, von Kollegen und aus der Gerüchteküche. Angst lässt uns aber auch intuitiv auf gemachte Erfahrungen zurückgreifen. Bei völliger Blockierung werden – wie oben erwähnt – die drei Notfallprogramme im archaischen Stammhirn – dem Reptilhirn – aktiviert. Die Amygdala schlägt Alarm, schüttet Stresshormone aus und aktiviert blitzschnell Angriff, Flucht oder ohnmächtige Erstarrung.85

84Gregory Berns: Iconoclast, A Neuroscientist Reveals How to Think Differently, HBSP 2010, S. 6, 59–81; Rhymer Rigby: If fear is rational, don’t pretend it’s not happening, FT, 28. Januar 2013, S. 8. 85Gerald Hüther: Gelassenheit hilft: Anregungen für Gehirnbenutzer: https://www.youtube. com/watch?v=2XlJmew2lK4 (Thema: Zustand der Angst: Min. 10:40 ff. von 41:58), veröffentlicht auf YouTube am 5. April 2012.

40

1  Denkstrategie: Stressmanagement

Die zwei Amygdalae werten in 33 Millisekunden86 die Informationen aus, die wir über unsere fünf Sinne aufnehmen. Dieser Gehirnteil ist der CEO im limbischen System, das Gesichter und Objekte analysiert und entscheidet, ob Warnung oder Entwarnung gegeben werden kann. Forscher der Universität von Montreal fanden heraus, dass wir noch schneller, nämlich in nur 12 Millisekunden, aus dem Gesicht ablesen, ob eine Frau oder ein Mann vor uns steht. Führt die Analyse zum Ergebnis: Gefahr!, dann werden beide Amygdalae aktiviert. Alarm führt zu massiven Hormonausschüttungen. Die Nebennierenrinde schüttet Cortisol aus und das Nebennierenmark Adrenalin und Noradrenalin. Ergebnis sind eine der bereits erwähnten Blitzreaktionen: Angriff, Flucht oder ohnmächtige Erstarrung. Zur Wiederherstellung eines vernünftigen Denkens müssen wir Vertrauen in uns aufbauen: Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Vertrauen in Freunde und Familie, Vertrauen in den Gemeinschaftssinn und Hoffnung auf eine gute Zukunft. Vertrauen kühlt erregtes und blockiertes Gehirn wieder ab. Eine weitere sichere Erkenntnis der Hirnforschung zur positiven Führung von Mitarbeitern ist, dass lernen allein nicht ausreicht; wir müssen mit Begeisterung lernen, damit sich Zellgruppen vernetzen. Gerald Hüther führt in diesem Zusammenhang die Smartphone-Begeisterung der jungen Generation an, die entsprechende Gehirnareale aktiviert, ausbaut und vernetzt. Es reicht aber nicht aus, mit dem Smartphone zu hantieren, sondern es muss mit Begeisterung geschehen. Nur so entstehen neue Verschaltungsmuster im Gehirn und nur so kann ein Gehirn sich auch im Alter neu gestalten. Das Gehirn bleibt nicht stehen, sondern verändert sich und zeigt Plastizität. Neue animierende Ideen, Inspiration und Begeisterung lassen auch apathische Mitarbeiter wieder zu engagierten Kollegen werden.

86Zur

Veranschaulichung dieser enormen Geschwindigkeit hier einige Beispiele: Pro Minute blinzelt ein Mensch etwa 10 bis 15 Mal, also alle 4 bis 6 Sekunden. Dies erfolgt über eine Zeitspanne von durchschnittlich 300 bis 400 Millisekunden. Dass Gehirn ist bei der Erinnerung noch schneller, nämlich 100–200 Millisekunden schnell (http://www.n-tv. de/wissen/Gehirn-ist-bei-Erinnerungen-viel-schneller-article16697511.html). Ausschlaggebend für die Fähigkeit der geschlechtliche Zuordnung war der Kontrast zwischen Lippen- und Hautfarbe und im Augenbereich. Forscher der Prager Karlsuniversität fanden heraus, dass selbst der IQ bei Männern vom Gesicht abgelesen werden kann (http:// www.focus.de/wissen/videos/blitzartige-erkenntnis-wie-wir-in-millisekunden-das-geschlecht-an-den-lippen-ablesen_id_4773483.html).

1.2  Die Zeichen – Wie fühle ich Stress?

41

1.2.4.1 Plötzliches Auftreten der Schwarzen Schwäne Angst auslösende Aspekte sind Ungewissheit, Unsicherheit, Fremdartigkeit, Zweifel, finanzielle und emotionelle Probleme, die in ihrer Größenordnung und ihrem zeitlichem Eintreffen unbestimmt sind. In der Entscheidungstheorie bezeichnet man plötzliche, bisher undenkbare Ereignisse, die einen unvorbereitet treffen, als sogenannte Schwarze Schwäne.87 In der Natur gesichtet wurden die bis dahin von Europäern für unvorstellbar gehaltenen schwarzen Schwäne zum ersten Mal in Australien im Jahre 1697. Karl Popper benutzte dieses Phänomen später, um den Satz „Alle Schwäne sind weiß.“ zu widerlegen.88 Immer wieder überraschen schwarze Schwäne in Wirtschaft und Politik als die vorher undenkbaren und unvorhersehbaren Ereignisse. Auf einmal sind sie da und werden zum großen Problem. Donald Rumsfeld nannte diese Risiken einmal die „unbekannten Unbekannten“. Beispiele dafür: • Ein Berg von Hypotheken wird 2008 zu faulen Krediten und löst die weltweit eine Finanzkrise aus.89 • Unerwartete und nicht gewollte Risiken machen Due-Diligence-Studien obsolet. • Ausbleibende Cashflows zerstören die Due-Diligence-Investitionsrechnung einer M & A-Entscheidung. • Eine bisher als sicher geltende und von Beraterseite freigegebene Steuergestaltung wird durch die Betriebsprüfung infrage gestellt. • Nassim Nicholas Taleb gilt als Orakel zum Thema Risiko. Taleb fordert eine „robuste Schwarze-Schwan-Gesellschaft“, die überraschend auftretenden Krisen widerstehen kann. Für ihn ist Saudi Arabien derzeit die fragilste Nation auf Erden. Erstens labil durch die gefallene Bedeutung des Öls und zweitens labil durch die angespannte Rivalität mit dem Iran.90 Falls hieraus ein Schwarzer Schwan entstehen sollte, könnte dies nach den Theorien des ehemaligen Hedgefonds-Managers Nassim Taleb einen Investmentfonds versenken.

87Mikael

Krogerus, Roman Tschäppeler: The Decision Book – Fifty models for strategic thinking, Profile 2008, S. 112/113. 88Corinna Zawodniak: Die Welt ist nicht schwarzweiß, Wertvorstellung, Das Wealth Management Magazin, Ausgabe 2/2017, S. 6–11. 89Martin Arnold: Banks have not learnt lessons of 2008 crisis, says Gordon Brown, FT, 31. Oktober 2017. 90John Authers: Crises Happen when what is thought to be safe surprises us, The Long View, FT, 11/12. Nov. 2017, S. 26.

42

1  Denkstrategie: Stressmanagement

In vielen Investitions- und Entscheidungsbereichen kann es zu katastrophalen Endergebnissen kommen, da Schwarze Schwäne nicht in selbstverliebte Vorstands- und Aufsichtsratsvorlagen passen und zunächst unter den Tisch gekehrt werden. Oft wird mehr Zeit in Präsentationsoptik als in die Validierung der Zahlen und Marktaussichten gesteckt. Schönrechnungen durch erhoffte Synergieeffekte und vermeintliche zukünftige traumhafte Aussichten sollen Schwarze Schwäne verschwinden lassen, damit Karrieren und Boni keine Schäden nehmen. Tatsache ist aber, dass Schwarze Schwäne früher oder später angeflogen kommen und die wunderschönen Pläne zerstören. Machen Sie es sich zu Ihrer Gewohnheit, beim Lesen auch mal die SchwarzeSchwan-Brille zu tragen und nicht nur die Brille mit den rosaroten Gläsern. Ein gesundes Maß an Angst kann auch ein sinnvoller Berater sein, der bittere, teure und beschämende Fehlentscheidungen verhindert. Das muss nicht in Schwarzseherei ausarten.

1.2.4.2 Test für unkonventionelle Ideen Um Angst und Bedenken gering zu halten, ist es gut, wenn eine verrückte, unkonventionelle Idee zuerst einmal mit einem Vertrauten besprochen werden kann. So schildert Jonathan P. Ive, der Chefdesigner von Apple, in dem Video seiner Gedenkrede für Steve Jobs. Er beschreibt wie dieser oft mit den einleitenden Worten zu ihm kam: „Hey Jony, here is a dopey idea.“ – „Hey, Jony, hier ist eine verrückte Idee.“ Das war bei einigen Ideen auch der Fall: „… einige waren fürchterlich, aber manchmal gab es Ideen, die zogen die Luft aus dem Raum und ließen uns verstummen. Kühne Ideen, verrückte Ideen, großartige Ideen oder ganz einfache Ideen, die in ihrer Feinheit und ihren Details durch und durch Tiefe hatten.“91 Es lohnt sich, diese bewegende Rede anzuhören.

1.2.4.3 Veränderungen, Emotionen und Widerstände Veränderung bringt Emotionen und Widerstände. Im Bereich von Change Management geht man von einer Entwicklung in sieben psychologischen Phasen der Organisation und des Teams aus: • Veränderung wird durch die Gerüchteküche gewittert und Unruhe entsteht. • Schock und Furcht folgen auf die ersten offiziellen Bekanntmachungen.

91Jonathan

P. Ive mit einer Geschichte über Steve Jobs und zerbrechliche Ideen: https:// www.youtube.com/watch?v=nPUsuY8JZJI&feature=youtu.be, 23. Oktober 2011 (Min. 48:10 von 1:20:58).

1.2  Die Zeichen – Wie fühle ich Stress?

43

• Widerstand resultiert aus Verärgerung. • Akzeptanz wird durch mehr Kommunikation und rationale Erklärungen seitens des Managements aufgebaut. • Emotionale Akzeptanz folgt weiteren Erklärungen und mehr Transparenz durch Workshops, Diskussion, Townhall Meetings und Einbindung. • Offenheit bezüglich der notwendigen Veränderungen und Vorteile löst Interesse aus. • Integration der beteiligten Parteien (Mitarbeiter, Mittel- und Topmanagement) lässt Vertrauen entstehen. Veränderungen lösen bei fast allen Menschen Angst und defensives Denken aus. „Am meisten fürchten wir Fluktuation, Störungen oder Ungleichgewicht, aber gerade da liegen die Quellen der Kreativität“, sagt die Unternehmensberaterin Margret J. Wheatley.92

1.2.4.4 Der Angst sachlich begegnen Verwandeln Sie Stress auslösende und emotionale Probleme in sachliche Fallstudien und kontrollieren Sie das Alarmsystem durch das logische Vorderhirn. Der vorderste Bereich des Stirnlappens hinter der Stirn ist Sitz des logischen und sachlichen Denkens. Dieser Regisseur im Gehirn gilt als Sitz der Persönlichkeit und steuert Aufmerksamkeit, strategisches Denken, Entscheidung und Planung. Bedrohliche Vorstellungen müssen mit der Frage zu Ende gedacht werden: „Was würde passieren, wenn die Bedrohung eintritt?“ Informationssammlung und Analyse bewirken angstsenkende Versachlichung. Warten Sie nicht darauf, dass Angst verschwindet – sie vergeht nicht von selbst.93 Zwei „Gesprächspartner“ im Gehirn – Stirnlappen und Amygdalae – bestimmen das Verhalten in Stresssituationen. Lernen Sie als Führungskraft, den Dialog zwischen dem Alarmzentrum Amygdalae und dem Vernunftzentrum Stirnlappen positiv zu beeinflussen. Wohlwollen löst Angst besser als Druck:

92https://www.3minutencoach.com/die-7-phasen-eines-changeprozesses/; https://www.krausund-partner.de/wissen-und-co/wiki/change-management-prozess-berater; https://www.cio.de/ a/die-7-phasen-eines-veraenderungsprozesses,2953182; https://change-leadership.org/die-sie­ ben-phasen-der-individuellen-veraenderung/ https://www.impulse.de/management/unternehmensfuehrung/change-management-phasen/2653899.html. 93Todd

Kashdan: Curious?, Harper 2010, S. 174.

44

1  Denkstrategie: Stressmanagement

• Die von einer Angstsituation betroffenen Personen werden ruhiger und agieren konstruktiver, wenn Sie alle verfügbaren Informationen sammeln, aufbereiten, besprechen und mit bereits gemachten Erfahrungen vergleichen können. • Gehen Sie das emotionale Thema genauso sachlich an wie schwierige geschäftliche Entscheidungen. Versuchen Sie, betriebswirtschaftliche Entscheidungsansätze auf die emotionsgeladene Situation anzuwenden, beispielsweise mit der SWOT-Analyse durch Analyse und Bewertung der Schwächen, Stärken, Chancen und Risiken der Angstsituation. Arbeiten Sie mit den verschiedenen Ansätzen aus der Kunst der Überzeugung (s. Teil 4, Kap. 20). Es ist besser, Transparenz durch eine Fallstudie herzustellen. Diskutieren Sie die Angstgründe und Bedenken mit Freunden und Menschen Ihres Vertrauens. Erinnern Sie sich dabei auch, wie Sie in der Vergangenheit mit Angst umgegangen sind und wie Sie die Umstände lösen konnten. Angst wird größer, wenn man nicht weiß, wie man mit ihr umgeht. Deswegen ist die Analyse wichtig und danach die Aufstellung eines Planes mit einzelnen praktischen Schritten. Gewinnen Sie Selbstvertrauen durch Ihre besondere Fähigkeiten und Ihr Schlüsseltalent. „Erste Ideen können leicht durch ein höhnisches Lachen oder verächtliches Gähnen zerstört werden, wenn Sie Ihre Idee präsentieren. Ideen können durch ironische Bemerkungen umgeschmissen werden oder durch einen eiskalten Blick zu Tode erschrecken“, sagte einmal der amerikanische Werbemanager, Copywriter und Autor Charles H. Brower. Der Chefdesigner von Apple, Sir Jonathan Ive, sprach in seiner oben erwähnten Gedenkrede für Steve Jobs das Thema der „zerbrechlichen Idee“ an. Er beschrieb den respektvollen Umgang Steve Jobs’ mit anfänglich zerbrechlichen Ideen auf dem Weg zu bahnbrechenden Innovationen.

1.2.4.5 Stressoren im Unternehmen Man muss nicht immer zu allem aus Karriereangst „Ja“ sagen. Ein Ja zu einer Arbeit, die man hinterher nicht zeitgerecht in guter Qualität abliefern kann, ist schlechter als ein ehrliches Nein. Fehlende Selbstüberschätzung sollte man abschütteln, bevor man unglücklich wird. Das Bemühen um eine vermeintliche Wahrung des Gesichts hält jedoch viele von dieser Ehrlichkeit ab. Zwischenmenschliche Konflikte und Krisen mit Wettbewerb im Büro sind soziale Stressoren. Als Führungskraft muss man Mitarbeitern bei diesen Konflikten helfen. Hier einige Beispiele für Stressoren, von denen Sie sicher den einen oder anderen schon erlebt haben:

1.2  Die Zeichen – Wie fühle ich Stress?

45

• • • • • • •

Zeitdruck durch Deadlines und Termine, Wettbewerb um knappe Ressourcen, Fehlende Mitsprache über Aufgaben, Arbeitsbedingungen und Entscheidungen, Neue unbekannte Technologien, Fehlende oder nicht ausreichende Fortbildungen, Gefahr für Gehaltsbestandteile und Abstufung, Hoher Krankenstand durch unangemessene Arbeitsverhältnisse und schlechte Unternehmenskultur.94 • Langeweile kann zu Stress führen, wenn es chronische Langeweile ist. Aber etwas Langeweile kann Kreativität auch fördern.95 • Nach mehreren Bewertungssystemen ist der Todesfall eines Lebenspartners der stärkste Stressor; Ähnliches gilt für Scheidung, Trennung oder Gefängnisaufenthalt. • Hochbelastungssituationen durch feindliche Unternehmensübernahme, existenzgefährdende destruktive Innovation, Reorganisation mit möglichem Verlust der Arbeitsstelle, Enttäuschung in der Karriereentwicklung. Bei diesen Hochbelastungen ist die Einhaltung einer Routine der stabilisierende Faktor.96 Der Unkontrollierbarkeit der Situation muss eine individuell beeinflussbare Struktur entgegengesetzt werden: Halten Sie eine klare Struktur von Tagesrhythmik, Tagesritualen sowie Essens- und Schlafzeiten ein. Gestalten Sie Ihr Arbeitsumfeld, die Informationswege und Zuständigkeiten klar. Vermeiden Sie Kontrollverlust durch schlechte Organisation. Erhalten Sie sich eine Alltagsdisziplin, dazu gehört es, sich nicht gehen zu lassen, auf Kleidung und Hygiene sowie auf körperliche Fitness zu achten. • Heißhunger auf Genussmittel ist ein Zeichen dafür, dass Stress viel Körperenergie abzieht. Das Gehirn ist ein Großenergieverbraucher, der Heißhunger nach Süßem verursacht. So wirkt sich Stress auf unser Körpergewicht aus, und zwar in beide Richtungen. Extreme Gewichtszunahme oder Gewichtsverlust sollten uns prüfen lassen, ob Stress die Ursache ist.

94Rainer

Woratschka: Wenn der Chef zum Problem wird. Wenig Wertschätzung, viel Kontrolle: Wer unter miesen Arbeitsbedingungen leidet, wird schneller krank – eine aktuelle AOK-Studie, Der Tagesspiegel, 13. September 2016, S. 24. 95Tina Groll: http://www.zeit.de/karriere/beruf/2013-11/langeweile-stress-kreativitaet, 6. November 2013. 96Sven Max Litzcke, Horst Schuhe: Stress, Mobbing und Burnout am Arbeitsplatz, hier: Stressbewältigung, Springer 2007, S. 116.

46

1  Denkstrategie: Stressmanagement

• Gelenk-, Nacken- und Rückenschmerzen resultieren aus der Alarmbereitschaft, in die der Körper bei Stress versetzt wird. Alle Muskeln sind dann angespannt. Kommen wir nicht aus dem Stresszustand heraus, bleiben die Muskeln angespannt. Der Spannungszustand der Muskulatur steigt. Ganze Muskelgruppen verhärten sich und können ihre eigentliche Aufgabe, nämlich das Körperskelett zu stützen, nicht mehr wahrnehmen. Die Folgen sind Schmerzen vor allem im Hals-Nackenbereich und im Rücken. • Vergesslichkeit kann ein Anzeichen von Überlastung durch Stress sein. Das bei Stress ausgeschüttete Hormon Cortisol ist in der Lage, den Teil des Gehirns, der für unser Erinnerungsvermögen zuständig ist, bei Bedarf zu stören. Das liegt daran, dass wir in Gefahrensituationen nicht lange überlegen können, sondern sofort handeln müssen. Stress aktiviert dann über das limbische System die Alarmbereitschaft und Ausweichreaktion: Angriff, Flucht oder ohnmächtige Erstarrung.97 • Erhöhter Blutdruck wird durch permanenten Stress erzeugt. Die Ursache liegt in der ständigen Alarmbereitschaft. Der aktivierte Sympathikusnerv des vegetativen Nervensystems erhöht sowohl die Herzleistung als auch die Sauerstoffversorgung und Energie im Körper. Der Aktivierung folgt erhöhter Blutdruck zur Versorgung der aktivierten Systeme. Findet keine Entspannung statt, so sind Herzerkrankungen, Diabetes, Immunerkrankungen und psychosomatische Störungen eine realistische Gefahr.98 • Oft kränkeln gestresste Menschen, da Stress, vor allem chronischer Stress, die Immunkompetenz des Körpers beeinträchtigt dringend benötigte Energie auch aus dem Immunsystem abzieht. Wir fühlen Erschöpfung, Kraft- und Antriebslosigkeit. Unserem Körper fehlt der kreative und gesunde Geist. Selbst kleine Infektionen bringen Unwohlsein. Wer ständig mit Schnupfen, Erkältungen, Allergien und sonstigen Krankheiten kämpft, sollte sich mit dem BERN-Konzept stärken – das heißt: Positiv denken und handeln, täglich 30–60 Minuten

97Gerald

Hüther: So verändert sich das Hirn im Umfeld von Unsicherheit: https://www. youtube.com/watch?v=C8BeEam9XjM, 2011. 98Siehe die von Tobias Esch ausgewählten Indikationen und Techniken der positiven Psychologie in: Die Neurobiologie des Glücks, Wie die Positive Psychologie die Medizin verändert, Thieme 2014, S. 245–249.

1.2  Die Zeichen – Wie fühle ich Stress?

47

Sport treiben, Entspannung z. B. durch bewusste Atmung, Yoga, Meditation, Tai-Chi, Alexandertechnik und mediterrane Ernährung.99 • Schlafstörungen resultieren aus den Problemen, die sich nicht einfach abschalten lassen. Sie lassen sich aber ins richtige Verhältnis bringen. Vor dem Einschlafen entspannt ein klärendes Gespräch, ein Besuch im Schwimmbad, Meditation, ein Spaziergang oder auch, die Sorgen in einem Tagebuch zu Papier zu bringen. Vergessen Sie trotzdem nicht das Notizbuch auf dem Nachttisch. Manchmal bringen schlaflose Nächte auch die Lösungsideen, da unser Gehirn im Unterbewusstsein immer weiterarbeitet und nach Lösungen sucht. Aber Vorsicht! Manchmal sind die Gedanken und Lösungen in schlaflosen Nächten negativer und launischer als beim Überdenken am Morgen unter Cortisoleinfluss. Siehe dazu die Ausführungen zu Cortisol in der kleinen Hormonfibel (s. Teil 5, Kap. 21). Die Führungskraft, die mit Stressoren umgehen kann, ist in der Belegschaft gerne gesehen. Sie wird als ruhender Pol geschätzt, da sie auch in Konfliktsituationen zugänglich ist. Leader und Manager mit kühlem Kopf sind in Situationen wie Change-Management, in der Krise oder im Turnaround gefragt und vertrauenserzeugend mit ihrer Ruhe. Dazu muss man Stress erkennen und negative Stressreaktionen im Griff haben und mit Abstand betrachten. Diese Selbstanalyse muss die Führungskraft auch im Sinne der Mitarbeiter ernst nehmen, damit diese dem Unternehmen erhalten bleiben.100 Auf einen guten Stressmanager deutet die Aussage von Frank Bethmann über den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden und Turnaround-Manager der Deutschen Bank, John Cryan, hin: „Er wirkt sehr aufgeräumt und das ist ja für einen, der aufräumen soll, ganz wichtig … gerade in Krisensituationen.“101

99Tobias

Esch: Die Neurobiologie des Glücks, Wie die Positive Psychologie die Medizin verändert, Thieme 2014, S. 211 ff., bes. S. 215 und 251. Mediterrane Ernährung stärkt das Immunsystem und schützt vor Gefäßkrankheiten durch viel frisches Gemüse, Fisch, Meeresfrüchte, Nudeln, Reis sowie Olivenöl und Nüsse. Siehe auch: http://www.spiegel.de/ gesundheit/ernaehrung/mediterrane-ernaehrung-schuetzt-vor-gefaesskrankheiten-a-944539. html; http://www.eufic.org/article/de/artid/mediterranen-ernahrung/. 100Emma Jacobs: The Managers Who Hold the Line on Workplace Stress, FT, 3. Februar, 2016. 101Frank Bethmann von der ZDF-Börsenredaktion – im heute journal vom 28. Januar 2016 nach der Pressekonferenz der Deutschen Bank. http://heutejournalplus.zdf.de/.

48

1  Denkstrategie: Stressmanagement

Geordnete Strukturen sichern Leistungsfähigkeit. Innerhalb der selbst geschaffenen Strukturen kann man sich neu orientieren und Ruhe finden, unter emotionalem Einfluss und Zeitdruck dagegen denkt der Mensch schlecht. Hochbelastungssituationen führen oft zu überschießendem Verhalten und verschärfen die Stresssituation. Dramatisch war das Bild, als ein CEO auf der IAA Frankfurt 2015 während einer Produktpräsentation kollabierte.102 Erschöpfung durch Vielfliegerei und der Wille zum Redeauftritt trotz Unwohlsein wurden als Ursachen genannt. Die Pressemeinung war sehr fair und positiv. Psychische Gesundheit anzusprechen, ist in unserer Gesellschaft ein Tabuthema trotz des hohen Stellenwertes in Studien und Gesundheitsberichten der Krankenkassen sowie in Forschungs- und Medienberichten aller Art. Nach den Erfahrungswerten erkrankt jede vierte Frau und jeder achte Mann mindestens einmal im Leben an einer Depression. Diese Menschen sind in der Ideenfindung eher festgefahren. Ehrgeiz, übertriebenes Ego und Scheitern einer sonst erfolgsverwöhnten Karriere mit Gesichts- und Vermögensverlust sind häufige Auslöser von Depressionen.103 Nach offiziellen Schätzungen soll in jedem Board (Vorstand oder Geschäftsleitung) mindestens eine Person Erfahrung mit Depression haben. 2014 wurde in den USA berichtet, dass 16 % aller Erwachsenen mindestens einmal im Leben an Depression litten und 7 % an einer schweren Depression. Die Dunkelziffer der Schweigenden lässt eine höhere Zahl von Depressionsfällen vermuten. Depressionen beschränken sich nicht nur auf Topmanager, sondern erfassen auch normale Angestellte.

102Der stressbedingte Zusammenbruch des BMW-CEOs während einer Rede auf der IAA am 15. September 2015: http://www.telegraph.co.uk/finance/newsbysector/industry/11865645/ BMW-chief-Harald-Krueger-faints-atFrankfurt-auto-show.html. 103John Gapper: The Lessons from the Suicides at Zuerich Insurance, in: FT, 1. Juni, 2016, 5:32pm, http://www.ft.com/cms/s/0/d4921bce-2740-11e6-8ba3-cdd781d02d89.html#axzz4E2dZZYt0; „Enoch Powell, the British politician, observed that all political lives end in failure. That is equally true of business lives: most of those who reach the top of the professional pyramid as chief executive do not stay there long.“; Daimler und Benz Stiftung: Der Umgang mit dem Scheitern, Dokumentation des 12. Innovationsforums der Daimler und Benz Stiftung, 2015.

1.3  Der Stressfallschirm – Wie gestalten?

49

1.3 Der Stressfallschirm – Wie gestalten? 1.3.1 Messung der Anspannung Nachdem Sie die Art und Weise der Stressoren im vorherigen Kapitel kennengelernt haben, folgt hier ein Stresstest. Der Test gibt Auskunft über den Stresslevel, damit Sie wissen, wie weit Sie den Stressfallschirm aufspannen müssen. Der Stresstest basiert auf dem sogenannten Schinderei-Index oder Struggle Index.104 Beantworten Sie zuerst die folgenden Fragen und addieren Sie dann alle Bewertungszahlen, die Sie vergeben haben, um den Index zu bestimmen: immer = 4, oft = 3, manchmal = 2, nie = 1 (Abb.  1.2).

1.3.1.1 Testfragen • • • • • • • • • •

Ich bin regelmäßig durch die Anforderungen im Beruf und zu Hause erschöpft. Mein Stress wird durch Kräfte verursacht, die außerhalb meiner Kontrolle liegen. Egal, wie hart ich arbeite, ich habe nie das Gefühl, am Ball zu sein. Ich bin unzufrieden mit meinen persönlichen Beziehungen. Ich weiß nicht, was ich aus meinem Leben machen will. Wären die Menschen um mich herum kompetenter, dann wäre ich glücklicher. Ich schmore eher in meinem Ärger, als dass ich mich artikuliere. Ich vertrage keine Kritik. Ich habe Sorgen, dass ich meinen Job oder mein Haus verliere. Ich fühle mich verantwortlich für das Wohlbefinden und Glück der Menschen um mich herum.

1.3.1.2 Ergebnisse Hier geht es um die persönlichen Ergebnisse für Sie als Leser. Nehmen Sie die Fragen als eine Checkliste zum Nachdenken und das Ergebnis der Messung als vorläufige Selbsteinschätzung für Ihr Stressmanagement. • 35–40  = Ihr Leben ist in der Krise und ein Kampf folgt dem anderen. • 25–34  = Ihre Optionen sind unklar und es besteht ein Gefühl des Gefangenseins. • 15–24  = Bei Ihnen besteht ein Bewusstsein für die Eigenkontrolle Ihrer Lebensentwicklung. • 10–14  = Bei Ihnen ist ein hohes Maß an Eigenkontrolle und Selbstbewusstsein vorhanden. 104Robert

S. Eliot, MD: From Stress to Strength, Bantam Books 1994.

50

1  Denkstrategie: Stressmanagement

Abb. 1.2   Entstressen ist möglich

1.3.2 Führung und Psychologie Auf der Suche nach Stress vermeidenden Techniken stößt man schnell auf das Gebiet der „positiven Psychologie“.105 Mir stellte sich gleich die Frage: Gibt es denn auch „negative Psychologie“? Ja – es gibt beide Richtungen in der modernen Psychologie, allerdings spricht man nicht von negativer, sondern von traditioneller Psychologie.

1.3.2.1 Traditionelle Psychologie In der Vergangenheit lag der wissenschaftliche Fokus der Psychologie auf der pathologischen Seite. Traditionelle Psychologie kümmert sich schwerpunktmäßig um die Behandlung psychischer Krankheiten wie z. B. Abhängigkeiten von gesellschaftlich akzeptierten Drogen (Alkohol, Nikotin) oder harten Drogen und Aufputschmitteln (Amphetamine). Die hohe Dunkelziffer erschwert makroökonomische Schätzungen nach oben und unten. Schon im Jahr 2013 wurde berichtet, dass „Fehltage wegen Suchtproblemen in zehn Jahren um 300 Prozent

105Shawn Achor: The Happiness Advantage: The Seven Principles of Positive Psychology That Fuel Success and Performance at Work, Crown Publishing Group 2010; https://www. ted.com/talks/shawn_achor_the_happy_secret_to_better_work?language=en.

1.3  Der Stressfallschirm – Wie gestalten?

51

gestiegen sind.“ Als Ursachen für Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung gelten Alkohol-, Tabaksucht und Psychopharmaka.

1.3.2.2 Positive Psychologie Die positive Psychologie wurde Ende der 90er-Jahre durch den amerikanischen Psychologen Martin Seligman106 begründet. Der Forschungsschwerpunkt liegt auf der positiven Entwicklung und dem persönlichen Wachstum des einzelnen Menschen, der Gemeinschaft und der Organisationen. Die Vertreter gehen davon aus, dass Menschen ein erfülltes, erfolgreiches, glückliches und signifikantes Leben anstreben. Hilfestellungen zum Ausbau individueller Stärken, Tugenden und Talente werden angeboten. Seligman sieht drei Dimensionen für eine Glücksgesamtheit: • Angenehmes Leben: Hierfür brauchen wir Gelassenheit und Wertschätzung. Gelassenheit ist sicher die angenehmste Form des Selbstbewusstseins. Wertschätzung von Personen und dessen, was wir schon haben, bringt beruhigende Zufriedenheit. Im Lernprozess hin zu Gelassenheit und Wertschätzung helfen aktiv gelebte Freundschaften und ein achtsames Leben auf der Basis aller fünf Sinne. • Gutes Leben im Sinne von Aristoteles: Hierfür müssen wir unsere eigenen Stärken und unsere Schlüsseltalente kultivieren.107 • Bedeutsames Leben in der zweiten Karriere: Hierfür müssen wir nicht nur erfolgreich sein, sondern unserem Leben einen Sinn geben.108 Positive Psychologie ist ein Teilbereich der Wissenschaft, die sich mit Resilienz, Glück und positivem Lebensgefühl beschäftigt. Die Volkswirtschaft versucht mit Langzeitstudien, das optimale, glücklich machende Gehalt zu finden.

106Positive Psychology Definition: http://www.positivepsychologyinstitute.com.au/what_ is_positive_psychology.html. The seven habits of happy people: http://www.pursuit-of-happiness.org/science-of-happiness/?gclid=CP_Lzcr3pM0CFZadGwodP7INeA. Martin E. P. Seligman: The pursuit of happiness: http://www.pursuit-of-happiness.org/history-of-happiness/martin-seligman-positive-psychology/. 107James O’Toole: Creating the Good Life, Applying Aristotle’s Wisdom to Find Meaning and Happiness, Rodale 2005. 108Kareem Abdul-Jabbar: Three Rules of Retirement, Teil 1, Abschn. 1.2.2.5.: Lebensabschnitte zum Anpassen.

52

1  Denkstrategie: Stressmanagement

Ab diesem Optimum würde, so das Ergebnis, Zufriedenheit und Glücksgefühl dann nicht mehr steigen. Langzeitstudien zeigen, dass trotz Vervielfachung des Gehaltes das Glücksgefühl ab einem bestimmten Betrag konstant bleibt. Dieses Niveau wird heute bei rund 75.000 US Dollar Jahresgehalt angesetzt.109 Nach der Befriedigung der Basisbedürfnisse besteht keine Korrelation mehr zwischen steigendem Wohlstand und Glücksgefühl.110 Wichtiger für das Glücksgefühl ist die relative Höhe des Gehaltes im Vergleich zu anderen Menschen. Wir empfinden Glück, wenn wir gehaltlich über anderen Personen liegen.111

1.3.2.3 Stress senken durch Erkenntnisse der positiven Psychologie Stress sinkt, wenn wir abends drei erfreuliche Dinge des vergangenen Tages aufschreiben und morgens drei weitere Themen notieren, auf die man sich im kommenden Tag freut. Diese Übung soll Dankbarkeit und ein gutes Gefühl erzeugen. Seligman nannte sie „Übung der drei gesegneten Erlebnisse“ („Three blessings exercise“). Stress sinkt, wenn wir Dankbarkeit und Vergebung gegenüber Personen zeigen, egal ob sie uns gut oder schlecht behandelt haben. Die Empfänger der unerwarteten Botschaft reagieren meist überrascht und positiv. Stress sinkt auch, wenn wir uns ethisch vorbildlich verhalten, z. B. durch einen dankbaren oder entschuldigenden Brief oder ein Gespräch. Das steigert nach der Selbstüberwindung nicht nur unser Selbstwertgefühl, sondern hilft auch bei Depression, Burnout sowie Angsterkrankungen.112 Das Aufschreiben und Planen positiver Dinge stimuliert positive Vorstellungen und bewirkt die Ausschüttung von Glückshormonen. Positiv wären: 1. ein Kinobesuch mit einem spannenden Thema oder mit einem Lieblingsdarsteller, 2.

109Richard Layard: Happiness, The Penguin Press 2005, S. 29–32 zur gehaltlichen Glückempfindungsgrenze; Jason Butler: Can money make you happy? – Be clear on your lifestyle and make work and spending decisions aligned with a vision. FT in der Kolumne: The Wealth Man, 5. Januar 2017: https://www.ft.com/content/208627f2-d1d0-11e6-93417393bb2e1b51. 110Charles Jacobs: Greed is here to stay – learn to work with it, FT, 18. Mai 2009, S. 11. 111Richard Layard: Happiness, The Penguin Press 2005, S. 41–53. 112Tobias Esch: Die Neurobiologie des Glücks, Wie die Positive Psychologie die Medizin verändert, Thieme 2014, Ausgewählte Indikationen und Techniken der Positiven Psychologie (Tabelle 12.1), S. 245.

1.3  Der Stressfallschirm – Wie gestalten?

53

die Vorbereitung einer lang ersehnten Traumreise in ein bestimmtes Land oder Meeresgebiet, 3. der Besuch eines Lieblingslokales nach dem Konzert, 4. die Bestellung eines Buches von einem bevorzugten Autor. Wie an anderer Stelle erwähnt, bewirken schon Vorfreuden die Ausschüttung der Glückshormone. Allein die Vorstellung des erfreulichen Zukunftsereignisses schafft den positiven Placeboeffekt. Hinter dem oft zitierten „Think Positive“ verbergen sich eine komplexe Lebenstüchtigkeit und Lebensphilosophie, die in vielen kleinen Schritten erlernt werden können (s. Teil 2, Kap. 6, bes. 6.2).

1.3.2.4 Zeitwohlstand versus materieller Wohlstand Einkommenswachstum bringt kein nachhaltiges Glück, materieller Mehrkonsum macht auch nicht glücklicher. Als Glück bringend werden Zeitwohlstand und der Konsum von bedeutungsvollen Werten erachtet. Beispiele: Unterricht bei einem motivierenden Lehrer; erinnerungsvolle Traumreisen; ein Wochenende mit Freunden bei gutem Essen und guten Gesprächen; Weiterbildung in neuen, unbekannten Wissensgebieten.113 Eine Herausforderung ist heute, Menschen zu beschenken, die alles haben – nur kein Glücksgefühl, dafür aber viel Langeweile. Lernkonsum mit Erlebniswert kann ein gutes Geschenk sein. Das Geschenk an den alles Habenden besteht allerdings nicht im Unterricht bei normalen Lehrern. Die inspirierende Fortbildung ist es, die glücklicher macht als ein materielles Geschenk. Man gönnt sich Privatstunden bei berühmten Sportlern (Mats Wilander), Pianisten (Alfred Brendel, Lang Lang, Chick Corea), Fotografen (David Alan Harvey, Steve McCurry bekannt durch sein Porträt Afghan Girl) oder Malern (in bekannten Studios). Die Meisterklassen werden durch Agenturen oder direkt vom VIP-Lehrer angeboten.114 Eine Möglichkeit, die ich persönlich gerne wähle und die Spaß macht, ist der Besuch in einem Jazz-Club. Treffe ich auf einen interessanten und motivierenden Pianisten, dessen Stil mir gefällt, frage ich ihn, ob er mir ein paar Klavierstunden geben könnte.

113Tobias Esch: Die Neurobiologie des Glücks, Wie die Positive Psychologie die Medizin verändert, Thieme 2014, S. 34–36. 114Hier zwei Beispiele mit Kontaktinformationen. Piano masterclass: http://langlangfoundation.org/our-programs/piano-masterclasses/; Painting masterclass: http://artacademy.org. uk/short-courses/masterclasses/.

54

1  Denkstrategie: Stressmanagement

1.3.2.5 Positive Verstärkungen des Stressfallschirmes Meditatives Schwimmen Entspanntes Einatmen und unter Wasser entspanntes Ausatmen mit langen regelmäßigen Schwimmzügen wirken wie Meditation. Nehmen Sie sich morgens Zeit zum Schwimmen. Länge und Dauer können angepasst werden. Der Kraulschwimmer zieht durch starkes Atmen kräftig Sauerstoff in die Lunge. Schwimmen ist zwar nicht klassische Meditation oder Yoga, aber wie ein indischer Freund zu mir sagte: „Es kommt letztlich alles auf bewusstes und achtsames Atmen an.“ Nach der Übung sind Sie voll mit Sauerstoff, munter und frisch. Frische Luft Stehen Sie bei festgefahrenen Meetings doch einfach mal auf und gehen an die frische Luft. Eine kurze Entspannung in Ihrem Büro bei offenem Fenster mit tiefem Durchatmen bringt Energie zurück. Traumreise In der positiven Psychologie wird immer wieder die Traumreise als Antistressor vorgeschlagen. Machen Sie eine Traumreise nach Südostasien oder Patagonien, an den Pol mit einem Eisbrecher, in die Karibik mit einem Segelboot oder wandern Sie ganz einfach mit dem Rucksack über die Alpen. Reisen Sie an einen Ort, der Sie schon immer fasziniert hat. Damit schaffen Sie positive Eindrücke in Ihrem „episodischen Gedächtnis“, die Sie nie vergessen werden.115 Bilder, Musik, Gerüche, Geschmack und das Abtasten einer auf der Traumreise gekauften Holzfigur bewirken danach eine „mentale Zeitreise“. Man spricht bei einem solchen Flashback, der durch den Geruchssinn ausgelöst wird, auch vom Prousteffekt. Der Effekt besteht im Wiedererleben einer Episode aus der Vergangenheit durch das Aroma eines bestimmten Parfüms, dieser Geruch weckt Erinnerungen an Menschen, Orte und Situationen. Gerüche inspirieren, deswegen spricht man auch vom Einatmen einer Situation. Gerüche zielen direkt auf unser Gehirn, genauer auf das limbische System, in dem Instinkte ausgelöst werden. Luxushotels oder elegante Einkaufszentren lassen einen Erkennungsduft mischen, um dadurch bei Kunden das „episodische Gedächtnis“ anzuregen. Diese Düfte werden in den Hotelshops als Souvenir verkauft. Der Prousteffekt führt Sie durch den Geruchssinn noch Jahre später wieder zurück an den Ort

115John

Paul Minda: The Psychology of Thinking, Sage 2015, S. 46.

1.3  Der Stressfallschirm – Wie gestalten?

55

der Traumreise. Die Lufthansa lockt mit ihrer Kampagne #LifeChangingPlaces mit solch lebensverändernden Traumreisen in entlegenste Winkel der Erde.116 Traumreisen ziehen Menschen aus dem Hamsterrad und bringen mit dem Tapetenwechsel neue Lebensfreude, neue Ideen, neue Gedanken und manchmal unerwartete Weichenstellungen. Achtsamkeit Die Universität von Massachusetts entwickelte ein Programm zur Stressreduktion – die sogenannte „Mindfulness Based Stress Reduction“. Es geht hierbei um eine bessere und achtsamere Wahrnehmung von der eigenen Person und Umwelt. Das kurz MBSR-Training genannte Programm steigert Selbstkontrolle und Konzentrationsvermögen.117 MBSR besteht aus einem Mix von Meditation, bewusster Atmung und bewusster Kontrolle abschweifender Gedanken. Man lernt, die täglichen Ärgernisse wie Verkehrsstaus ohne negative Gefühle wegzustecken und erfreut sich an dem, was man hört, sieht und sonst noch wahrnimmt, mit dem Ziel: • Erkenne das Problem und die Stressursache, verstehe und rationalisiere es. Was ist das Problem: Inhalt, Wortlaut, Deadline? Was wären die Folgen einer ersten vorgeschlagenen Lösung? • Strukturiere eine schnelle erste und unreine Lösung. • Verbessere die Lösung durch Denkstrategie: Umformungsdenken (s. Teil 1, Kap. 4). Denkschleifen helfen verbessern, mit Denkschleifen fällt uns stets etwas Neues ein. Nehmen Sie sich Zeit und Muse und bedienen Sie sich der Denkstrategien und Denktaktiken sowie der beiden Modi zur Gehirnausrichtung: Mit Fokus denken und auch mal ganz entspannt ohne Fokus. Nutzen Sie für dieses Kopfspiel auch die DNA-Elemente der Erfinder (z. B. fragen, beobachten, experimentieren, netzwerken, assoziieren) sowie die Kunst der Überzeugung (s. Teil 4, Kap. 20).

116Ingo Rentz, Michael Reidel: Destination Fernweh, Horizont 48/2017, 30. Nov. 2017, S. 17; https://www.youtube.com/watch?v=hQy0NOazKGg (Südafrika); https://vimeo. com/233583306 (Lofoten); https://www.youtube.com/watch?v=IRARcoTnNw4 (Mexico). 117Tobias Esch: Die Neurobiologie des Glücks, Wie die Positive Psychologie die Medizin verändert, Thieme 2014, S. 215. MBMSR steht für Mind-Body-medizinische Stressreduktion; http://www.apotheken-umschau.de/Entspannung/Achtsamkeit-So-funktionieren-die-Uebungen-494995.html; Sue Shellenbarger: To Cut Office Stress, Try … Butterflies? WSJ Oct. 17, 2012, Life & Style.

56

1  Denkstrategie: Stressmanagement

Fragen Sie sich aber auch: Wer könnte die Lösung bereits wissen oder schneller finden? Mit Zusammenarbeit und vernetzter Kommunikation beschleunigen Sie den Innovationsprozess. Deswegen besuchen innovative Köpfe Konferenzen wie TED (Technology, Entertainment und Design), das Davos- oder Aspen-Forum zum Gedankenaustausch und zur Sammlung neuer Trends und Ideen. Das beschleunigt durch Vernetzung den Lernprozess im eigenen Wissensgebiet. Stressoren und Ärger wegwerfen Stellen Sie sich Ihr Problem bildhaft vor, wie z. B. Widerwillen gegenüber einem intrigierenden oder faulen Mitarbeiter, überraschende Betriebsprüfung, Probleme mit Nachbarn. Projizieren Sie Ihr Problem in einen Gegenstand wie z. B. einen Schuh, eine Uhr, einen Hut, einen Schlips oder ein altes Radio. Damit haben Sie den negativen Gedanken im Gegenstand eingeschlossen, um ihn wegzuwerfen oder zu zertrümmern. Mit der Trennung sollte das Grübeln kleiner werden, auch wenn das Problem nicht völlig verschwindet. Aufräumen und Wegwerfen Machen Sie sich das Aufräumen, Entspannen und Fokussieren zur Gewohnheit. Es helfen bereits kleine Schritte, um Stress zu senken: • Räumen Sie sich und Ihr Umfeld auf, um schneller zu finden, was Sie suchen.118 Sie positionieren sich aufgeräumt. Allerdings ist eine gewisse „kreative Unordnung“ auch kein Fehler, obwohl die Meinungen auseinandergehen, was für Kreativität und Innovation am besten ist.119 Finden Sie Ihr persönliches Optimum. • Priorisieren Sie die tägliche Informationsflut mit der Filtermethode TRAF. Das Akronym TRAF wird durch einen Trichter visualisiert und bedeutet zuerst Wegwerfen (trash), dann Weiterleiten an die zuständigen Sachbearbeiter (refer), Chefsache mit sofortigem Handlungsbedarf (action) und Ablage zur späteren Bearbeitung (file). • TMI: „Too much information“ ist ebenfalls mit TRAF lösbar. Werfen Sie Ballast ab und trennen Sie sich vom Gerümpel im Keller.

118Marie Kondo: The Life-Changing Magic of Tidying – A Simple, Effective Way to Banish Clutter, Vermilion 2014. 119Eric Abrahamson, David H. Freedman: A Perfect Mess, Little, Brown 2006.

1.3  Der Stressfallschirm – Wie gestalten?

57

Die Visualisierung abstrakter Begriffe wie TRAF durch das Trichterbild bringt Vereinfachung. Insbesondere, wenn Sie in einer anderen Sprache als Ihrer Muttersprache kommunizieren, sind Symbole griffig, um Botschaften zu transferieren (s. Teil 4, Kap. 20). Stress senken durch gute Vorbereitung Benjamin Franklin meinte: „Fehlende Vorbereitung bereitet Fehlschläge vor.“120 Gute Vorbereitung ist der Schlüssel zum Erfolg ohne Stress. Vorbereitung ist gut für alle beunruhigenden Neuanfänge wie den neuen Job, das neue Projekt, den neuen schwierigen Kollegen oder die wichtige Rede. Vorbereitung schafft Zuversicht und ist das beste Mittel, eine emotionale Situation zu rationalisieren und die Alarmzentren Amygdalae zu beruhigen. Mit deutlicher und klar hörbarer Stimme unterstreichen Sie Ihre Zuversicht noch zusätzlich.121 Sorgfältige Vorbereitung vertreibt Lampenfieber und sichert eine gelassene Rede. Unerwartete Zwischenfragen kontert man souverän, da man fest in der Materie steckt. Chancen greift man spontan auf, wie Louis Pasteur fand: „Chancen begünstigen nur gut vorbereitete Denker.“122 Intellektuelle und emotionale Appetitmacher Mit der Lektüre dieses Buches sind Sie schon auf dem richtigen Weg. Schmökern Sie regelmäßig zur Anregung neuer Ideen in meinem Buch – bei Fragen und Feedback stehe ich Ihnen gerne persönlich zur Verfügung: apaufler@gmail. com.123 Der Blick in unbekannte Magazine und Zeitungen reicht, um etwas Neues zu finden. Einfach ausprobieren, wenn Sie am Buchladen oder Zeitungskiosk vorbeigehen. Vergessen Sie nicht, die aufkommenden Ideen und Fragen schnell zu notieren und später zu vertiefen.

1.3.3 Schutz gegen Stressoren Studien zeigen, dass kreative Menschen sich nicht konform verhalten. Sie wollen unabhängig sein, weil Ideen und Visionen sie zur Umsetzung 120Benjain Franklin: „By failing to prepare, you are preparing to fail“, https://www.brainyquote.com/quotes/benjamin_franklin_138217. 121Rhymer Rigby: Preparation is as much psychological as practical, FT, 6. Dezember 2010. 122„Chance favors only the prepared mind.“ https://www.lindau-nobel.org/chance-favorsthe-prepared-mind/. 123Siehe www.alexanderpaufler.com.

58

1  Denkstrategie: Stressmanagement

antreiben. Die wichtigste Aufgabe für Startup-Unternehmer, Ikonoklasten oder Erfinder ist es deswegen zu lernen, wie man mit der Angst vor dem Scheitern umgeht.124 Wer das beherrscht, kann sich sorgenlos auf seine Kreativität konzentrieren, wenn Kollegen und Vorgesetzte keinen Sinn für kreative Wege haben. In einer solchen Situation gilt es, sachlich zu bleiben und reflexartige Emotionen von Zu- und Abneigung zu vermeiden. Die Selbstkontrolle ist wichtig für unkonventionelle Menschen (Erfinder und Ikonoklasten), die Traditionen und Institutionen infrage stellen und innovative Produkte, Dienstleistungen sowie innovative Prozesse kreieren.125 Wie mehrfach erwähnt, lenkt Stress ab, er drängt Ideenfindung in den Hintergrund. Deswegen müssen wir Stress in Schach halten und aufmerksam auf Stressoren achten.126 Je stärker wir Stress fühlen, desto weniger denken wir an Ideenfindung; deswegen folgende Tipps:

1.3.3.1 Signaturtalent als Beruf Signaturtalente sind Talente, die wir gerne und mit großem Geschick ausüben. Signaturtalente helfen auf dem Weg zum Erfolg. Wichtig ist aber auch, Schwächen zu kennen. Kennen wir unsere Schwächen, ermöglicht dies die Delegation einer Aufgabe an Kollegen und Experten, die auf diesem bestimmten Gebiet besser sind als wir. Mit der Kongruenz von Signaturtalent und Beruf erwerbe ich Motivation und Antrieb zu überdurchschnittlicher Leistung. Diese Stärke gilt es fürs Leben zu finden. Dann bringen wir Bestleistung, fühlen Kompetenz, leben Zuversicht und wehren Stress leichter ab. Stellen Sie sich die Frage: Was ist mein besonderes, mein Signaturtalent, worin bin ich stark und maximal motiviert, um das Beste zu erreichen? Motivierende Arbeit, mit der wir gerne leben, ermöglicht eine sinnvolle Balance zwischen Arbeit und Freizeit. Andernfalls droht durch den alltäglichen, verhassten Job ein negatives Überschwappen in Freizeit und Familienleben.127

124Gregory Berns: Iconoclast, A Neuroscientist Reveals How to Think Differently, HBSP 2010, S. 8. 125Gregory Berns: Iconoclast, A Neuroscientist Reveals How to Think Differently, HBSP 2010, S. 6. 126Daniel Golemans Präsentation vor Google-Mitarbeitern zum Thema Aufmerksamkeit und Focus: The Hidden Driver of Excellence, Google Talks 2013, https://www.youtube. com/watch?v=b9yRmpcXKjY. 127Fernando Bartolome, Paul A. Lee Evans: Must Success Cost So Much, HBR, März 1980.

1.3  Der Stressfallschirm – Wie gestalten?

59

1.3.3.2 Stellenbeschreibung selbst gestalten Im Laufe des Arbeitslebens verändern sich Interessen. Neue Fertigkeiten und Talente werden entdeckt. Dann ist Zeit, die eigene Stellenbeschreibung anzupassen, die Abteilung zu wechseln, das Unternehmen zu wechseln oder die Selbstständigkeit zu suchen. Selbst wenn wir den falschen Beruf gewählt haben, gibt es Möglichkeiten, die eigene Stellenbeschreibung umzuschreiben, sodass mehr Elemente unseres Signaturtalentes enthalten sind. Es lohnt sich, an der Umformung zu arbeiten, denn Probleme haben die Eigenart, uns zu folgen, selbst wenn wir auf einer Insel im Pazifik sitzen. Es gilt, dieses Problem, das sich aus dem falschen Beruf entwickelt hat, kreativ abzuschütteln. Stellenbeschreibungen lassen sich durch Weiterbildungen auf Kursbasis so umformen, dass sie besser zu Ihrem Signaturtalent passen. Das Gespräch mit dem Vorgesetzten und der Personalabteilung kann den gewünschten Transfer in eine andere Abteilung bringen. Der Weg in andere Unternehmen steht immer frei. Weiterbildung muss kein Studium mit Vollabschluss bedeuten, sondern es reicht, bestimmte Fertigkeiten zu erwerben. In diese Richtung geht ohnehin weltweit der Megatrend in der höheren Ausbildung. So habe ich meine Ausbildung als Steuerberater über die Jahre in den Tätigkeitsbereich Allgemeines Management umgeformt.

1.3.3.3 Leben vereinfachen und Stress senken Einfachheit ist die höchste Form der Raffinesse. Leonardo da Vinci128

Steve Jobs hat diesen Satz oft zitiert. Neben der eigenen Erfahrung mit Problemlösung gibt es viele hilfreiche Entscheidungsmodelle129 und Übungen aus der positiven Psychologie wie Selbstmotivation, Meditation oder Tai Chi. Hier einige Beispiele, die Sie vielleicht schon anwenden: • Delegieren Werfen Sie unnötige Beschäftigungen über Bord. Verfolgen Sie nur bedeutungsvolle und wichtige Tätigkeiten. Die Frage ist: Was kann ich wegwerfen? Ist die

128Zitat #49: https://www.designtagebuch.de/wiki/zitate-ueber-design/. Auch Steve Jobs verwendete diesen Satz. 129Krogerus, Tschäppler: The Decision Book, 2008.

60

1  Denkstrategie: Stressmanagement

Verbandstätigkeit wirklich so wichtig? Braucht mein Ego dieses Ehrenamt? Was ist wichtig für den Einsatz meiner begrenzten Zeitchips? Ehrlichkeit sich selbst gegenüber ist bei solchen Fragen die Lösung. Delegieren Sie Aufgaben an entwicklungsfähige Mitarbeiter, denen Sie vertrauen, und gewinnen Sie Zeit zurück. Vertrauen reduziert Komplexität. • KISS-Prinzip KISS ist ein Entscheidungsmodell. Das Akronym steht für: „Keep it simple, stupid“ – oder höflicher gesagt: „Keep it short and simple“. KISS geht auf ein Designprinzip des Flugzeugbauers Kelly Johnson zurück, der seinem Entwicklungsteam symbolhaft ein paar einfache Werkzeuge in die Hand gab. Die Konstrukteure sollten bei ihrer Arbeit immer daran denken, dass im Ernstfall eine Reparatur der Maschinen in einem Krisenherd mit ganz einfachen Mitteln und durch einen durchschnittlichen Mechaniker möglich sein muss. Die KISS-Methode ist bei vielen Konsumgütern nicht mehr anwendbar, sodass heute beim Ausfall eines kleinen Teiles gleich das gesamte System, wie z. B. beim Auto das Armaturenbrett, ausgetauscht werden muss. Entsprechend teuer sind Reparaturen. Das KISS-Prinzip besagt generell, dass man den einfachsten Weg und die einfachste Lösung wählen soll. Das Prinzip ist allgemein im Unternehmen anwendbar wie z. B. in der Planung, Logistik, Marketing und Entwicklung.130 Trotzdem vergessen Unternehmer wie Elon Teslas Musk auch heute noch dieses simple Vereinfachungsprinzip.131 • Entscheidungshilfe durch das Kepner-Troege-Modell Prioritäten setzen Sie durch die Auswahl und Gewichtung von Wunschkategorien. Die Auswahlkategorien finden sich durch Fragen wie z. B.: Was will ich erreichen, was ist mein Herzenswunsch? Jede Alternative wird dann in jeder Wunschkategorie wie z. B. die verschiedenen Arbeitgeber durch die Kategorien Gehalt, Geschäftswagen, Nebenleistungen, Entfernung, Arbeitgeberimage, Titel auf der Visitenkarte, Arbeitsplatzgestaltung, Entwicklungsmöglichkeiten etc.

130http://www.businessdictionary.com/definition/KISS-principle.html. 131Tokyo Picker: Why is Tesla violating the KISS Principle?, https://seekingalpha.com/ article/4174988-tesla-violating-kiss-principle?dr=1, 17. Mai 2018, 9:06 AM ET.

1.3  Der Stressfallschirm – Wie gestalten?

61

bewertet. Die zu vergebenden Punktzahlen sind 0–10. Zum Schluss wird für jede Alternative über alle Wunschkategorien hinweg eine Summe und damit ein Gewicht errechnet. Die Alternative mit der höchsten Punktzahl ist der Gewinner. Wichtig ist es herauszufinden, welche Wunschkategorien einen wirklich motivieren. Dies sollte dann die Bewertung bestimmen.132

1.3.3.4 Entspannungstipps aus der positiven Psychologie Eine ganzheitliche Methode aus der positiven Psychologie ist das BERN-Konzept.133 Das Akronym BERN hilft, an vier wichtige entstressende und gesund machende Aktivitäten zu denken: B ehavior = positiv denken und handeln, E xercise = tägliche, körperliche Aktivität, täglich 30 Minuten, R elaxation  = tägliche beruhigende Besinnung (Meditation, bewusstes Atmen, autogenes Training), N utrition = gesunde mediterrane Kost mit vielen ungesättigten Fettsäuren und Olivenöl Das BERN-Konzept erfordert wie alle Änderungen unseres Lebensstils nicht nur die rationale Disziplin, sondern auch die emotionale Zustimmung zur Änderung und täglichen Praxis. Unser Bauchhirn muss als enge Verbindung von Verstand und Bauchgefühl funktionieren. Zur allgemeinen Entspannung, Ruhe und Gelassenheit eignen sich die unten zitierten Beispiele. Video- sowie Lesebeispiele finden Sie in großer Vielfalt im Internet.134 Immer wieder wird die heilsame Wirkung von Atemübungen erwähnt; so kann beispielsweise rhythmisches Atmen den Herzschlag beruhigen und das Gehirn auf Ruhe schalten. Das ist ohne Aufwand zu Hause, im Büro oder auf einer Parkbank machbar. Hier einige der vielen Fundstellen mit Übungen, die gut tun und überall praktizierbar sind:

132Clayton

M. Christensen: How will you measure your life, Harper Collins 2012, S. 23. Tobias Esch: Die Neurobiologie des Glücks, Wie die Positive Psychologie die Medizin verändert, Thieme 2014, S. 251. 134Musik und Anleitung zum autogenen Training: https://www.youtube.com/watch?v= GK4quCChf5I; http://www.gesundheit.de/wellness/sanfte-medizin/weitere-therapien-undbehandlungen/autogenes-training. 133Siehe

62

1  Denkstrategie: Stressmanagement

• Schlafen Zur Einstimmung hier eines von vielen Videos mit dem Inhalt: Schwere-, Wärme-, Atem-, Bauchübung mit Ruhetönung und hilfreichen Vorstellungen (Sonne, Strand und Meer) und mit entspannender Hintergrundmusik zum Einschlafen bei sanftem Meeresrauschen.135 • Meditation Meditation, Tai Chi, Chi Gong, Yoga und Autogenes Training haben alle meditative Elemente. Die wichtigsten gemeinsamen Nenner sind das Denken bestimmende, beruhigende Atmen und die Kopfarbeit. „Siege entstehen im Kopf“: Das Talent allein gewinnt keine Tennisspiele, der Kopf muss klar sein – sagt Andre Agassi.136 Meditation kann Aufmerksamkeitsdefizit verbessern, deswegen bauen Business Schools Meditationsübungen in ihren Lehrplan ein.137 Das Schwierigste bei all diesen Meditationsformen ist nicht die Technik, sondern die Regelmäßigkeit, sei es das meditierende Sitzen, der Gang in das Fitnessstudio, ins Schwimmbad oder auf den Laufpfad. Hierzu müssen wir den inneren Schweinehund überwinden.138 Die Disziplin macht’s: Regelmäßig 20–30 Minuten ist besser als einmal im Monat eine Vierstundenübung. Große westliche Firmen offerieren den Mitarbeitern Antistressprogramme mit asiatischen Denkansätzen und bewusster Lebensführung.139 Entspannung kann schon durch kleine Gewohnheitsänderungen erreicht werden wie diese: • Spaziergang Ein Spaziergang am Strand oder am See entlang entspannt. Noch mehr entspannt es, wenn Sie durchs Wasser laufen, um die Temperatur zu fühlen und den Wasserwiderstand zu genießen. Ein Spaziergang im Park wirkt ähnlich entspannend oder ein langer Blick aus dem Zugfenster.

135Autogenes Training – Komplettprogramm – herrlich entspannt einschlafen – StrandVersion: https://www.youtube.com/watch?v=72Afw30p0M0,  veröffentlicht 4. März 2015. 136Ulrike Bartholomäus: Siege entstehen im Kopf, Focus 42/2011, S. 88–92. 137Della Bradshaw: Meditation and the art of helping MBA students to become mindful, FT, 1. Juni 2014: https://www.ft.com/content/f68cd1f2-d5f2-11e3-a239-00144feabdc0. 138Marco von Münchhausen: So zähmen Sie Ihren inneren Schweinehund – Vom ärgsten Feind zum besten Freund, Piper 2004, S. 13–25. 139David Gelles: The mind business, FT, Aug. 15/26, 2012, S. 2, Life & Arts; Praktische Meditationsanleitung – in Tobias Esch: Die Neurobiologie des Glücks – Wie die Positive Psychologie die Medizin verändert, Thieme 2014, S. 250 f.

1.3  Der Stressfallschirm – Wie gestalten?

63

• Selbstbewusste Körperhaltung Wie oben dargestellt, steuert eine mächtige und selbstbewusste Pose schon nach zwei Minuten einen vorteilhaften Hormon-Mix: Das Leistungshormon Testosteron steigt und das Stresshormon Cortisol sinkt. Das dient der Selbstmotivation und der Stressreduzierung. Selbst, wenn zu der Zeit noch Selbstbewusstsein fehlen sollte, helfen die Hormone dabei, etwas vorzuspielen, bis es eintritt („Fake it until you make it.“). In Südostasien lernte ich den dazu passenden Satz von Buddha: „Derjenige ist fähig, der denkt, dass er fähig ist.“ • Dankbarkeit Das Zeigen von Dankbarkeit allein ist schon wohltuend, weil es das Glückshormon Dopamin anhebt. Auch für Kleinigkeiten geschenkte Dankbarkeit wirkt Stress reduzierend und gesundheitsfördernd.140 Genießen Sie Überraschungen und das dankbare Gesicht des unerwartet, aus heiterem Himmel Beschenkten. • Tagebuch Das Notieren von erinnernswerten Tageserfahrungen lässt uns den Tag später nochmals erleben. Dadurch kann auch der Placeboeffekt der Glückshormone erneut wirken – siehe die Kleine Hormonfibel im Anhang (s. Teil 5, Kap. 21). Das Muss von „Notizen“ erläutere ich im Kapitel über die Denktaktiken (s. Teil 3, Kap. 15)

1.3.3.5 Lachende Gesundheit Die Gelotologie ist die Wissenschaft, die Auswirkungen des Lachens analysiert. Sie studiert die Beziehung von Lachen und Gesundheit, die Wirkung des Lachens auf Prävention, Rehabilitation sowie Ausübung des Lachens. Studien haben gezeigt, dass Lachen nicht nur unsere Stimmung verbessert, sondern Lachen wirkt auch als Antistressor. Lachen ist auch ein Spiegel unserer Persönlichkeit. So empfiehlt Hermann Hesse in seinem Roman Steppenwolf, eine „Schule des Humors“ zu besuchen, um lachen zu lernen: „… aller höherer Humor fängt damit an, dass man die eigene Person nicht mehr (so) ernst nimmt.“141 Lachen – Joggen im Sitzen Lachen ist positiv für das Herz-Kreislauf-System. Lachen senkt den Herzschlag und Blutdruck, erweitert Herzkranzgefäße erhöht Glückshormone und baut

140Shawn

Achor: The happy secret to better work, https://www.youtube.com/watch?v= fLJsdqxnZb0, TED TALKS 11. März 2012; Tobias Esch: Die Neurobiologie des Glücks, Wie die Positive Psychologie die Medizin verändert, Thieme, S. 219. 141Hermann Hesse: Der Steppenwolf, Suhrkamp 2013, S. 227.

64

1  Denkstrategie: Stressmanagement

Stresshormone ab, fördert den Verbrennungsprozess, stärkt das Immunsystem und erhöht den Sauerstofftransport durch vermehrtes Einatmen. Lachen senkt das Risiko eines Herzinfarkts.142 Eine halbe Stunde herzhaftes Lachen bewirkt ähnlich positive Veränderungen im Blutbild wie 20 Kilometer Joggen.

Anders ausgedrückt: „20 Sekunden Lachen entsprechen dem positiven Effekt von drei Minuten schnellem Rudern.“143 Na, wenn das nicht eine tolle Nachricht ist für alle, die sich mit dem Joggen abmühen! Ja, aber – dann lach ich doch lieber! Kinder wie Senioren profitieren vom Lachen. Deswegen werden Klinik-Clowns gerne in Kinderkrankenhäusern und Altersheimen eingesetzt. Die humorvolle Therapie und Heilkraft des Lachens zeigt auch der Film Patch Adams mit Robin Williams als Clown-Doktor.144 Wissenschaftler entdeckten den Zusammenhang zwischen Glücksgefühlen im Körper und der chemischen Reaktion steigender Endorphine (Glückshormon), während Stresshormone abgebaut werden. Lächeln und Lachen aktiviert die Gehirnteile, die Belohnung und Freude vermitteln. Lachen sorgt für gute Stimmung und den stets notwendigen Abstand zu Alltagssorgen und eigenen Schwächen, über die man besser herzhaft lacht. Die biologischen Wirkungszusammenhänge des Humors dienen der Früherkennung von Individuen mit Depressionsrisiko. Der Psychiater William Fry, tätig an der Stanford University, bestätigte, dass eine gute Lachdosis pro Tag auch das Risiko für Depressionen und Herzinfarkt senkt, da wir alle eine natürliche Neigung zu Unterhaltung und Freude haben. Lachen und Humor halten das Immunsystem auch in Stresssituationen aufrecht. Leider sinkt die Neigung zum Lachen mit dem Erwachsenwerden, weil wir glauben, uns ernst nehmen zu müssen, damit wir ernst genommen werden. Und wenn dann der Glaube nicht ganz aufgeht, wird Lachen

142Michael Titze: Lachen ist Joggen im Sitzen, Spiegel Online 17. Januar 2014;http://www. spiegel.de/gesundheit/ernaehrung/gelotologie-lachen-ist-joggen-im-sitzen-a-943909.html; Die Gelotologie: http://www.humor.ch/index/gelotologie.htm; Monika A. Pohl: Gelassenheit, hier: Kapitel 5 Humor, GABAL 2014, S. 65–77; Philip Bethge: Die Macht der Pointe, Der Spiegel 8/2009, S. 128–131; http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-64197267.html. 143Tania Messner: Schenk mir dein Lachen, Madame Juli 2018, S. 96–98. 144Patch Adams – Robin Williams Movie https://www.youtube.com/watch?v=byPJ22JDFjI 30. Mai 2011. Hier können auch bedeutende Führungskräfte mitmachen: https://www.rotenasen.de.

1.3  Der Stressfallschirm – Wie gestalten?

65

durch negative Neigungen wie Angst, Furcht und Depressionen ersetzt, was unser kreatives Potenzial zerstört. Lachen Sie über Stress und sehen Sie sich den Film Happy Burnout145 an, der mit einer gewissen Leichtigkeit auf existenzielle Krisen schaut. Wir bewundern doch immer die sogenannten „Happy-go-lucky-Typen“, die mit Leichtigkeit viele Stresssituationen durchlaufen.

1.3.3.6 Humor und Karriere Studien von Maurice Schweitzer und Brad Bitterly an der Universität Pennsylvania zeigen, dass Humor auch die Karriere fördert. Der humorvolle Kollege verdient Sympathie. Falls ein Witz aber falsch verstanden wird und nicht ankommt, besteht das Risiko, sich unangenehm zu „outen“.146 Die öffentliche Rede und die Angst, mit der Rede nicht „anzukommen“, ist für viele ungeübte Redner eine Elementarangst. In die Rede dann noch einen Witz einzuarbeiten, ist eine Steigerungsform – der Erfolg hängt von der Pointe ab. Schauen Sie sich die Ausführungen in Teil 1, Kap. 3 Denkstrategie: Umwegdenken an; mit den dort erläuterten Witztechniken lassen sich geistreiche und humorvolle Ideen generieren. Denken mit Witz ist erlernbar.147 Schlägt der Witz ein, dann gelten Sie bei Mitarbeitern als kompetent, selbstsicher und sind populär. Geht der Witz daneben, weil er langweilig, altbekannt oder geschmacklos ist, droht schädliche Peinlichkeit.148 Vermeiden Sie auf jeden Fall Witze auf Kosten anderer. Der gute Witz lebt im Zusammenhang mit der richtigen Situation und dem richtigen Augenblick. Der gute Witz braucht auch emotionale Intelligenz, um einen Fauxpas zu vermeiden und den Witz ganz natürlich auszuspielen. Das hat nicht jeder drauf. Deswegen ist es für neu eingetretene Mitarbeiter ratsam, am Anfang erst einmal zuzuhören, zu beobachten und zu schweigen. Klug ist es, erst einmal über sich selbst zu lachen, das ist immer sympathisch und souverän.

145Siehe den Trailer von Happy Burnout: https://www.youtube.com/watch?v=Z0UZN90os6o. 146Sebastian Herrmann: Mächtig witzig – Humor fördert die Karriere, es gibt aber ein Restrisiko, Süddeutsche Zeitung, 15. Nov. 2016, S. 1. 147Michele Weldon: Laughing All the Way to the Top: Humor Works for You in Your Career Growth, The Movement Blog vom 17. Oktober 2016; https://www.taketheleadwomen.com/ blog/laughing-all-the-way-to-the-top-humor-works-for-you-in-your-career-growth/. 148Christina Pazzanese: Joke your way to success, Harvard Gazette, 5. Oktober 2016.

66

1  Denkstrategie: Stressmanagement

1.3.3.7 Exzentrische Kreativität und Glück Neben Lachen und Humor macht auch Schrulligkeit glücklicher. Wenn man sich fragt, wer überhaupt als schrullig und sonderbar anzusehen ist, reicht es nicht aus, wenn jemand das ganze Jahr über Socken der Farbe Pink trägt, ob zum dunklen Anzug oder zu Bermudashorts. Die Person hat dann zwar einen sympathischen Tick, aber kann noch nicht als Sonderling oder Exzentriker klassifiziert werden. Dr. David Weeks konnte in seinen Studien zum Thema nachweisen, dass Exzentriker – im Gegensatz zu eintönigen, „normalen“ Menschen – die glücklicheren Menschen sind. Sie haben einen höheren IQ und leben mit mehr Spaß. Ihnen ist das Geschwätz der Nachbarn und der Kollegen, im Gegensatz zu den meisten von uns, ziemlich egal. Schrullige Menschen gehen meist mit Begeisterung und Leidenschaft einem Hobby nach.149 Der englische Philosoph, Mathematiker und Nobelpreisträger Bertrand Russell bestärkte diese Meinung mit dem Satz: „Scheuen Sie sich nicht, ausgefallene Meinungen zu äußern, denn jede heute akzeptierte Meinung war einmal ausgefallen.“150 Dr. David Weeks startete in den 90er-Jahren seine Forschung über Sonderlinge und Exzentriker, da bis zu dem Zeitpunkt noch keine wesentliche Forschung auf diesem Gebiet vorlag. In den vier bekanntesten psychiatrischen Monografien erwähnte nur eine sehr beiläufig die Schrulligkeit bzw. Exzentrizität. Die Vernachlässigung der Exzentriker in der psychiatrischen Forschung führte David Weeks auf die Tatsache zurück, dass diese Menschen offensichtlich gesünder sind als der Rest von uns. Aus diesem Grund gehen sie selten zum Arzt. Im Gegenzug ist die medizinische Zunft nicht sehr interessiert an denen, die sie ohnehin kaum sehen.151

1.3.3.8 Inspirierende Musik und aktives Zuhören fördert sechs Qualitäten Starten Sie dieses Kapitel mit einer Stunde Musik: „Musik ist nicht nur selber Spielen, sondern auch aktives Zuhören. Gerade heute müssen wir anderen mehr

149Tony Horwitz: Study Ties Eccentricity, Oddly Enough, to Happiness, Herald Tribune, 10. Juli 1991, S. 13, Spalte 5.; Dr. David Weeks (Psychotherapeut) on the benefits of Eccentricity, TED TALK on YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=8ZFl_QA1pzs, veröffentlicht am 2. Okt. 2014. 150O-Ton: „Do not fear to be eccentric in opinion, for every opinion now accepted was once eccentric.“, https://www.goodreads.com/quotes/367-do-not-fear-to-be-eccentric-in-opinionfor-every. 151David Weeks, Jamie James: Eccentrics – A Study of Sanity and Strangeness, Kodansha 1996, S. 8 f.

1.3  Der Stressfallschirm – Wie gestalten?

67

zuhören“, sagt der Jazzmusiker Haydn Chisholm. Wer zuhören kann, ist gelassen, und Gelassenheit zeigt sich in der Fähigkeit, dabei zu sein und aktiv zuzuhören. Nicht umsonst enthält das chinesische Schriftzeichen für Zuhören die Zeichen der drei Sinnesorgane: Ohr, Auge und Herz. Für Chinesen integriert der Hörsinn also auch Sehen und Fühlen. Mein Interesse an Musiktherapie wurde durch den sogenannten Mozarteffekt geweckt. Der Mozarteffekt soll unser Gehirn durch das Hören von Mozartmusik leistungsstärker machen. Die Steigerung der kognitiven Leistung im visuellräumlichen Denken war bei entsprechenden Tests allerdings nur für 15 bis 20 Minuten nachweisbar. Musiktherapeuten wissen, dass Musik bei jedem anders wirkt. Mozartstücke sind nicht die einzige stimulierende Musik. Es kommt bei der Wirkung mehr auf die präferierte Musik an, die Lieblingsmusik des jeweiligen Zuhörers. Der eine wählt Mozart, der andere bevorzugt Maroon 5, John Lennon oder Johann Sebastian Bach. Der Mozarteffekt wurde deswegen durch den Begriff „Präferierter Musikeffekt“ ersetzt. Die von Ihnen präferierte Musik wirkt in sechsfacher Weise auf: • • • • • •

Entspannung (relaxation) Fokus/Blickschärfe (focus) Energie (energy) Inspiration (uplift) Einnehmende Wirkung (engaging) Ideenfindung (creating).

Stellen Sie sich die von Ihnen bevorzugte Musik für jede dieser sechs Qualitäten zusammen. Prüfen Sie einmal pro Jahr, ob das ausgewählte Musikstück noch zu der gewählten Kategorie passt. Die Passgenauigkeit kann sich durch die Änderungen in Ihrer Lebenssituation auch ändern. In den Fußnoten nenne ich Beispiele, die meine Musikauswahl im Jahr 2018 vertreten – viele der Stücke unterstützen für mich die ihnen zugeordnete Qualitätskategorie schon seit vielen Jahren. Bei dieser Auswahl an persönlich bevorzugter Musik sind die vier Elemente der Musik ausschlaggebend: Melodie, Harmonie, Rhythmus und Sound. Entspannung Das Feld ist weit, da die Präferenzen von Klassik, Jazz, Rock, Pop über Rap bis hin zu computergenerierter Musik reichen können und je nach Alter, Situation und Musikerfahrung gesetzt werden. Was für den einen entspannend ist, bewirkt

68

1  Denkstrategie: Stressmanagement

für den anderen das Gegenteil. Videobilder unterstreichen den Eindruck weiter. Generell ist ein Merkmal entspannender Musik sicher ein ruhiger Rhythmus.152 Fokus Fokus bringt Musik, die nicht durch Arpeggios, also aufgelöste Akkorde, oder Synkopen unterbrochen ist, sondern klare und ausdrucksstarke Melodielinien führt, die Aufmerksamkeit und Konzentration zulassen.153 Energie Rhythmus erzeugt Energie. Stark rhythmische Musik zeichnet sich durch kräftigen Beat sowie einen schnellen Drive aus. Studien der School of Sport and Education London Brunel University zeigten, dass 125–140 Taktschläge pro Minute die optimale Bandbreite beim Workout darstellen. Unterschreiten die Taktschläge die 125 pro Minute, dann fällt die Energie ab. Stark rhythmische Musik reduziert die Sauerstoffaufnahme um 7 %, erhöht aber die Motivation zur körperlichen Betätigung. Beispiele für Letzteres sind der koreanische Rapper PSY mit dem Song Gangnam Style (132 Taktschläge/Minute) und Michael Jackson mit Beat It (140 Taktschläge/Minute). Es muss aber kein Rock, Pop oder Rap sein, wie Ryuichi Sakamoto mit der rhythmischen Energie von Rain beweist.154 Liebhaber klassischer Musik haben laut dieser Studie auch passende Stücke: Beethovens Symphonie Eroica No. 3 in Es-Dur und Mozarts Symphonie No. 40 in G-Moll. Energie-Musikmix ist auch Keith Jarretts rhythmische Version von George Gershwins Summertime oder Beethovens 5. Symphonie, die aus vier einfachen Anfangsnoten eine Megasymphonie entwickelt.

152Johann Sebastian Bach – Präludium und Fuge in C-Dur: https://www.youtube.com/ watch?v=2A7QejRAILM; Ryuichi Sakamoto – Solitude https://www.youtube.com/ watch?v=LIrWY48Kih4&0B9B92DC3EC53F2E5A2F67580E58A544=; Rolling Stones – Angie: https://www.youtube.com/watch?v=RcZn2-bGXqQ; Dire Straits – Brothers in Arms: https://www.youtube.com/watch?v=jhdFe3evXpk. 153Johann Strauss – Also sprach Zarathustra, Soundtrack aus Space Odyssey: https://www. youtube.com/watch?v=vWF1glZWQa8. 154Sumathi Reddy: Optimal Music for the Gym – Researchers Say The Right Tempo Boosts Stamina, Energy Efficiency, WSJ, 1. April 2013, S. 7; http://www.wsj.com/articles/SB1000142 4127887324883604578396670814453936 mit VDO; Ryuichi Sakamoto – Rain: https://www. youtube.com/watch?v=STR9T_RCtQM&0B9B92DC3EC53F2E5A2F67580E58A544= mit starkem rhythmischen Drive.

1.3  Der Stressfallschirm – Wie gestalten?

69

Inspiration Die Bandbreite an inspirierender Musik ist unermesslich weit: Von der JazzBallade der Pianisten Keith Jarrett oder Brad Mehldau zur sakralen Musik des Saxophonisten Jan Garbarek, vom Hilliard Ensemble bis zur beruhigenden Verträumtheit von Wolfgang Amadeus Mozart und von der Erhabenheit von Johann Sebastian Bach bis zur Rock-Ballade Parisienne Walk Ways von Gary Moore.155 Einnehmende Wirkung Die Auswahl gewinnender, einnehmender und mitreißender Musik ist natürlich wieder sehr vom individuellen Geschmack abhängig. Ich würde mich hier für die stark rhythmische griechische Musik mit dem synkopischen Klang der Bouzouki entscheiden. Wer einmal in einer griechischen Tanzhalle (Bouzoukia) war, der weiß, wie diese Musik alle Zuhörer gewinnt und das Tanzbedürfnis anspricht.156 Ideenfindung Ideenfindung kann durch jede Art von Musik unterstützt werden. Kernfrage ist: Was brauchen Sie, um in kreative Stimmung zu gelangen? Die Antwort hängt ab vom Zeitpunkt, vom Raum und von der Stimmung, zu bzw. in denen man sich Dinge durch den Kopf gehen lässt. Ich würde folgende Auswahl treffen, wissend, dass sie nicht abschließend ist: Johann Sebastian Bach, Keith Jarrett, John Lennon, Bob Dylan, Dire Straits. Das von mir gewählte sakrale Musikstück mit Jan Garbareks Saxophon und dem Hilliard Ensemble kann durchaus mehrere der sechs Gefühls- und Stimmungskategorien beeinflussen. Es bringt Entspannung, aber durch die meditative Stimmung kann es auch Fokus und Inspiration unterstützen.

155Mozart – Konzert für Flöte und Harfe K. 299: https://www.youtube.com/watch?v=Xc6KozGK3c; Johann Sebastian Bach – Toccata und Fuge in D Moll: https://www.youtube. com/watch?v=ho9rZjlsyYY; Gary Moore: Parisienne Walk Ways: https://www.youtube. com/watch?v=vkUpfw4Hf3w&0B9B92DC3EC53F2E5A2F67580E58A544=; Jan Garbarek & The Hilliard Ensemble Parce mihi domine https://www.youtube.com/watch?v=0_ dmQ7-_b-c. 156Giorgos Mazonakis –Tesseris – https://www.youtube.com/watch?v=mw64aW8U0qA; Giorgos Mazonakis – Xilies Vradies (Live Sta Bouzoukia HQ) https://www.youtube.com/ watch?v=i7KfWDAaF2Q; Antonis Remos – Pia nomiziz, pos ise? https://www.youtube.com/ watch?v=RDRjd_bLcYY; Thanos Petrelis – Thimizeis kati apo Ellada https://www.youtube. com/watch?v=fvLqq7_aWdA.

2

Denkstrategie: Vielfaltdenken

Neuer Input an Information bringt neuen Output an Ideen

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie: • Methodenvielfalt, um Ideen zu generieren, ist oberstes Ziel dieser zweiten Denkstrategie. Für die Ideenfindung ist jeder Input wichtig, ganz im Sinne der Bauernregel: Nur grasende Kühe geben Milch (auf Englisch: „No browsing, no milk“). Seien Sie offen für alles, was Gedanken stimuliert: Lesen, TV, Radio, Konzertbesuche, Zuhören, Ausspannen mit Springseil und Sport, Gespräche sowie Hobbys, die erfreuen und neues Wissen bringen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_2

71

72

2  Denkstrategie: Vielfaltdenken

• Beschränken Sie Ihre Ideenvielfalt nicht durch einen Qualitätsfilter. Jede Ideensammlung muss anfangs ohne Bewertung erfolgen, damit keine noch so zerbrechliche Anfangsidee verloren geht. • Ideenvielfalt bringt Material für weiterführende Gedanken im Verbund mit allen Denkstrategien und Denktaktiken: Je mehr Ideen am Anfang stehen, desto besser ist es für gedankliche Umwege und gewitzte Veränderungen der Ausgangsidee, für Umformungen und Verbesserungen der Ausgangsidee durch die Einbeziehung von Gegensätzen. Der beste Weg zu einer sehr guten Idee sind sehr viele gute Ideen. (Linus Pauling)1

2.1 Alle Ideen zulassen Alan G. Lafley, ehemaliger CEO von Procter & Gamble, wurde mehrfach wegen seiner guten Ideen und seiner Innovationskraft aus dem Ruhestand zurückgeholt. Er verlangte von Führungskräften, dass sie ihre Mitarbeiter durch neue Ideen stimulieren, sodass diese dann in der Lage sind, selbst Innovationen anzustoßen. Innovation treibt alles (Alan G. Lafley).2

Der Hirnforschung zufolge sind Neugier und Begeisterung für den kreativen Prozess wichtig. Probleme fallen uns auf, das führt zu Fragen und ersten Lösungsideen, das führt wiederum zu einer großen Ideenmenge, in der sich eine herausragende Idee leichter findet. Was ist kreatives Denken? Unzählige Definitionen und Umschreibungen versuchen, diesen komplexen Prozess zu erklären: • Kreatives Denken basiert auf Motivation, Interesse und Hartnäckigkeit, an einem Thema über lange Zeit zu arbeiten. • Das Ergebnis ist neuartig und hat einen Nutzen. 1Linus

Pauling, amerikanischer Chemiker und Nobelpreisträger: „The best way to have a good idea is to have a lot of ideas.“ https://www.google.co.th/search?q=linus+pauling+quotes&oq=linus+pauling+quotes&aqs=chrome..69i57j0l5.12807j0j4&sourceid=chrome&ie=UTF-8. 2Alan G. Lafley, ehemaliger Chairman, Präsident und Chief Executive Officer von Procter & Gamble, im englischen Original: „Innovation drove everything.“, zit in: https://www. linkedin.com/pulse/innovation-design-initiatives-pg-under-former-executive-babar-usmani/.

2.1  Alle Ideen zulassen

73

• Das Ergebnis ist unkonventionell und bricht mit Altbekanntem, Althergebrachtem und lähmenden Vorurteilen. • Fluten Sie Ihr Gehirn durch unterschiedlichste Anregungen: Lesen, aktives Zuhören, Beobachten, Fragen, Experimentieren, Vernetzen und Assoziieren. Damit alle Gehirnareale gut zusammenarbeiten können, benötigt das Gehirn Entspannung. Das entspannte Gehirn zeigt im Vergleich zum einseitig konzentrierten Gehirn in bildgebenden Verfahren ein aktives Aufleuchten in mehr Gehirnarealen.3 Albert Einstein formulierte seine brillante Art, Probleme zu lösen, wie folgt: Bei einem Zeitbudget von 60 Minuten würde er „55 Minuten für das Problemverständnis und nur fünf Minuten für den Lösungsweg einsetzen“.4 Die Nebel um das Problem lichten sich meist langsam. Ist das Problem aber nicht erkannt, lässt sich die Lösung auch nicht finden. Lassen Sie Mitarbeitern auf dem Weg zur Lösung die Freiheit zur Ideenvielfalt und damit auch zur Fehlervielfalt, damit pflegen Sie eine kreative Unternehmenskultur. Vielfalt steigert auch unsere Lebensqualität.5 Wenn Ideen der Mitarbeiter und Kollegen vom Vorgesetzten nicht geschätzt werden, bringt sich das Team irgendwann nicht mehr ein und das ist ein Problem für neue Ideen und Innovationen. Kreative Mitarbeiter schlagen mit ihren Ideen direkt auf das Unternehmensergebnis durch. Im Gegensatz dazu inspirieren ideenreiche Führungskräfte ihre Mitarbeiter zu Engagement und zur Ideengenerierung.6 Für meine Mitarbeiter habe ich zunächst eine dreiseitige sogenannte „Kreativitäts-Checkliste“ erstellt. Diese kleine methodische Hilfe brachte im Team schon große Fortschritte mit neuen Ideen in Marketing und Sales. Der Hirnforscher Gerald Hüther sagt zu Recht: Es liegt nicht an der Erkenntnis, es liegt an der Umsetzung, d.  h. Einladung der Mitarbeiter zu zeigen was sie können und wo sie

3Siehe

die vier Aufnahmen eines Gehirns im Zustand der Entspannung sowie Konzentration im YouTube-Vortrag von Gerald Hüther: Gelassenheit hilft: Anregungen für Gehirnbenutzer, https://www.youtube.com/watch?v=2XlJmew2lK4 (Min. 6:30–9:00 aus 41:58). 4Albert Einsteins oft zitierte „55-5-Methode“, Probleme zu lösen, https://www.dadubuzz. de/probleme-zu-losen/; https://www.dadubuzz.de/probleme-zu-losen/. 5Mazda Adli: Stress and the City, C. Bertelsmann 2017, S. 21. 6Inspirieren kommt vom Lateinischen „inspirare“ und bedeutet: „einen guten Geist einhauchen und Motivation durch Charisma erzeugen“.

74

2  Denkstrategie: Vielfaltdenken

gut sind.7 Die Hirnforschung hat in den letzten Jahren viele nützliche Erkenntnisse gewonnen. Die Herausforderung besteht in einem verständlichen Transfer dieser Erkenntnisse in das Team und in die Nutzung im Alltag. Mein Ansatz war der Aufbau der „Kreativitäts-Checkliste“ mit interessanten Beispielen, um Mitarbeiter zum Einreichen von kreativen Beiträgen einzuladen.

2.1.1 Brainstorming ohne Grenzen und ohne Bewertung Drei Wissenschaftler der Universität Texas Business School bewiesen in einer ­Studie zur Frage: „Wie schaffe ich im Unternehmen Anreize zur Kreativität?“, wie man zur Ideenvielfalt gelangen kann. Das erste Prinzip auf der Ideensuche ist: „Je mehr, desto besser.“ In der Studie bekam die erste Testgruppe einen Geldbetrag für jede sehr gute Idee. Die zweite Testgruppe wurde für jede Idee entlohnt – egal, ob die Idee gut oder schlecht war. Ergebnis: Die zweite Gruppe hatte mehr gute Ideen. Warum? Mit Ausgabe des Prinzips: „Quantität vor Qualität“ gibt es kein Filterrisiko, absolut keine Idee – egal ob gut oder schlecht – wurde aussortiert. Wenn Sie gerne erfahren wollen, wie Sie Kreativität leben, wäre es hilfreich, wenn Sie meinen Fragebogen beantworten und für sich herausfinden (s. Teil 5, Kap. 22): • Wo und wann Ideen kommen – Ort und Zeit? • Wie Ideen entstehen – Methode oder Zufall? • Was für die Ideenfindung förderlicher ist – Entspannung oder Stress? Grundregel bei Brainstorming oder Brainwriting8 ist: Alle Ideen sind gleichwertig. Hat die Idee heute keinen Wert, kann die „schlechte“ Idee übermorgen zu einer Durchbruchsidee werden. Man verwirft Ideen nicht gleich, sondern hebt sie auf, brütet darüber und wartet ab, was daraus wird.

7Gerald

Hüther: Gelassenheit hilft: Anregungen für Gehirnbenutzer: https://www.youtube. com/watch?v=2XlJmew2lK4 (zum Thema Potetialentfaltung durch Vorgesetzte bei passiven Mitarbeitern: Min. 29:00 ff. von 41:58). 8Robert Curedale: 50 Brainstorming Methods: For Team and Individual Ideation, Design Community College 2013.

2.2  Durch Methodenvielfalt zur Ideenvielfalt

75

2.1.2 Kreativität fördern in zehn Dimensionen Der amerikanische Psychologe Mihály Chíkszentmihályi fand bei Interviews mit hoch kreativen und ausgezeichneten Personen zehn Dimensionen, die in der Praxis für die Kreativität wichtig sind. Als wichtiges Forschungsergebnis fiel bei den befragten Personen auf, dass sie abwechselnd in bis zu zehn gegensätzlichen Bereichen tätig waren. Kreative Menschen sind nicht eindimensional. Die Vielseitigkeit ihres Verhaltens zeigt sich im Oszillieren zwischen folgenden Gegensatzpaaren, die Mihály Chíkszentmihályi „Dimensionen“ nennt9: • • • • • • • • • •

Energie und Gelassenheit Klugheit und Naivität Spiel und Disziplin Fantasie und Realitätssinn Extroversion und Introversion Bescheidenheit und Stolz Männliche und weibliche Merkmale (Androgynie) Widerstand und Unabhängigkeit Leidenschaft und Objektivität Leid und Freud

Komplexe, kreative Persönlichkeiten sind in der Lage, in jedem dieser zehn Bereiche flexibel von einem Extrem zum anderen zu springen, je nachdem, wie es die Situation erfordert. Ziel ist es dabei, neue Ideen zu generieren. Kreativität ist Flexibilität und Ausprobieren aller sechs Systemkomponenten, die letztlich Kreativität und Innovation produzieren (s. Teil 1, Kap. 5).

2.2 Durch Methodenvielfalt zur Ideenvielfalt 2.2.1 Vorstellungskraft und Tagtraum nutzen Viele Methoden – komplexe wie einfache – können zu Ideenvielfalt führen. Ein wichtiges Hilfsmittel ist die Vorstellungskraft, mit der Sie vor sich hinträumen, alten Einfällen und neuen Gedanken nachgehen. Dazu müssen Sie nicht viel tun,

9Mihály

Chíkszentmihályi: Creativity, Harper Collins 1996, Kap. 3, S. 51–76.

76

2  Denkstrategie: Vielfaltdenken

sondern nur abwarten und zusehen, wie die Gedanken vorbeiziehen. Lassen Sie Tagträume zu: Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt. (Albert Einstein)10

Ideenvielfalt kann durch einen Text ausgelöst werden, den man gerade geschrieben hat und nochmals auf Verbesserungsmöglichkeiten durchliest. Danach schaut man aus dem Fenster und lässt die Gedanken um den Text schweifen. Gedanken lassen Synonyme, Formulierungen, Erinnerungen, Pro­ bleme, Unerledigtes und weitere Ideen aufsteigen. Beim Tagtraum wandert das Gehirn entspannt und richtungslos von einem Gedanken zum anderen.11 Tagträumen ist wie Schleppnetzfischen, alle herumliegenden Ideen werden eingefangen und verknüpft. Tagtraumdenken scheint passiv zu sein, weil es ohne klares Ziel und ohne Konzentration auf ein Konzept gerichtet ist, wie z. B. ein betriebswirtschaftliches Modell, eine Gliederung, eine Checkliste. Unser Gehirn arbeitet nicht aktiv, da wir selbst nicht „ernsthaft“ nach einer Lösung suchen, sondern vor uns hinträumen. Das Gehirn ist entspannt und tankt Energie. Genaugenommen arbeitet es aber sehr aktiv, verbindet und verknüpft alle möglichen Gehirnareale. Neurologen nennen diesen Zustand auch Tagtraum-Modus, im Gegensatz zum aufgabenorientierten Aktivitäts-Modus als Grad der Anspannung und Beschäftigung. Der Tagtraum-Modus ist ein Standard, in den das Gehirn automatisch rutscht, wenn keine Aufgabe ansteht. In diesem Zustand kommen wir interessanterweise auf völlig neue Ideen, die wir noch nie gesehen oder von denen wir noch nie gehört haben. Der berühmte originelle Gedankenblitz aus heiterem Himmel kann plötzlich beim Einkauf oder beim Warten an der Ampel kommen (s. Teil 3, Kap. 14). Ich habe die Angewohnheit, beim Denken in die Ferne zu blicken. In einem Gespräch ist Augenkontakt natürlich angebracht. Um Missverständnisse zu vermeiden, habe ich mir angewöhnt, diese Angewohnheit meinem Gegenüber kurz zu erklären.

10Albert

Einstein, http://www.zitate-online.de/sprueche/wissenschaftler/1577/phantasie-istwichtiger-als-wissen-denn.html. 11Daniel Levitin: The Organized Mind, Dutton 2014, S. 37 ff. (Stichwort: Attention and Memory).

2.2  Durch Methodenvielfalt zur Ideenvielfalt

77

2.2.2 Ideenfindung aus Marketing und Werbung Wie bereits im vorherigen Abschnitt dargestellt, ist das Finden einer Idee kein Unfall, sondern ein Prozess mit erlernbaren Schritten. Es existieren unzählige Methoden, deren man sich bewusst sein muss. Gestalten Sie den Prozess, der zu Ihnen passt. Hier einige Tipps vom Werbe- und Marketingfachmann James Webb Young – obwohl er sie bereits in den 1940er-Jahren formuliert hat, sind sie auch im digitalen Zeitalter aktuell. Das Paretoprinzip geht davon aus, dass 80 % des Outputs von 20 % der Menschen produziert werden – oder in einem anderen Beispiel: 80 % des Vermögens von 20 % der Menschen gehalten werden. Dem Paretoprinzip folgend, geht James Webb Young bei der Ideenfindung davon aus, dass es zwei Gruppen von Menschen gibt: Spekulanten und Rentiers.12 Spekulanten suchen ständig neue Möglichkeiten und lassen sich in allen Berufen finden. Vilfredo Pareto zufolge stammen, wie gesagt, 80 % aller Ideen von nur 20 % aller Menschen – eben den Spekulanten. Diese Personengruppe ist an Methoden zur Ideenfindung interessiert. Rentiers bevorzugen Routine. Sie sind weniger an neuen Ideen interessiert. Rentiers sind konservativ und eher Manipulationsziel für Spekulanten. • Hierarchiepositionen sind nicht wichtig, aber wichtig sind die aus der ­Arbeitsstelle resultierenden Ideen. So verlangte James Webb Young von Mitarbeitern, dass sie nicht Werbefläche, sondern Ideen verkaufen. • Prinzipien sind wichtiger als schnell veralternde Fakten. Dieser Feststellung entsprechen die „Sechs Quellen für Kreativität und Innovation“ (s. eine detaillierte Beschreibung in Teil 1, Kap. 5): Jede Person muss das individuell erfolgreiche Denkmuster für sich aus eigenen Erkenntnissen und Erfahrungen zusammenstellen. Die sechs Komponenten bestehen bei jedem aus den gleichen Bausteinen, nur sind sie mal mehr, mal weniger ausgereift und vernetzt. • Eine Kombination alter Ideen bringt neue Ideen. Mischen Sie mit Ausdauer alte Ideen und neu gewonnene Informationen. Identifizieren Sie Muster, Beziehungen und Ähnlichkeiten im Sinne von Einsteins Vorstellung, dass Kreativität ein kombinatorisches Spiel ist. Für dieses Gedankenspiel sind Spezialwissen und Allgemeinbildung notwendig und bei jeder Recherche kommen neue Ideen.

12James

Webb Young: A Technique for Producing Ideas, McGraw-Hill 2003 (zuerst publiziert in den 1940er-Jahren), S. 7 ff.

78

2  Denkstrategie: Vielfaltdenken

• Flüchtige Informationen sollte man aufbewahren, wie z. B. Zeitungsausschnitte, Fachartikel, eigene Notizen von originellen Beobachtungen, Bilder. Zur mentalen Verdauung guter Informationen und zum Ausbrüten neuer Ideen sind periodisches Durchstöbern und Durchblättern des Archivs ratsam. Gehen Sie durch den Ordner mit den besten Artikeln oder die Schachtel mit den besten Bildern, die Sie gesammelt haben. Diese scheinbar planlose Methode lässt in der Gehirnmasse neue Verbindungen entstehen, mit deren Hilfe wir Muster und Zusammenhänge erkennen. • Nach dem Kopfspiel ist es gut, eine Pause einzulegen. Schalten Sie ab, stehen Sie auf und besuchen ein Kaffeehaus, Konzert, Kino, machen Sie einen Spaziergang, improvisieren Sie auf dem Klavier oder lesen Sie ein Buch. • Machen Sie einen Kurs zu einem Thema, das Sie schon immer interessiert hat. Liegt das neue Thema in der Nähe Ihres Arbeitsgebietes und hat einen Bezug, kreieren Sie bestimmt neue Ideen durch Vergleiche und Verknüpfungen. Sie hören während des Vortrages etwas Neues und assoziieren und notieren sofort. Beispielsweise hat mich schon immer die Kunst der Überzeugung und Verhandlung interessiert, weil das Thema im privaten wie auch im geschäftlichen Alltag relevant ist. Die Neugier motivierte mich zu einer neunmonatigen Ausbildung zum Mediator. Aus diesem Kurs konnte ich Anregungen und Ideen zu den Themen: Coaching, Konfliktbereinigung, Verhandlung, gewaltfreie Kommunikation, aktives Zuhören und vieles mehr mitnehmen.

2.2.3 Ideenfindung durch Konflikte, Situationen, Zufälle Konfliktlösungen brauchen Ideen und Optionen, die der Einigung helfen. Durch Einsatz aller Denkstrategien und Denktaktiken können die Denkbandbreite vergrößert und noch mehr Optionen geschaffen werden. Sowohl in der neutralen Mediation als auch in Verhandlungen müssen Verhandlungsführer viele Optionen entwickeln, damit der Lösungsweg breiten Spielraum für ein Win-win erhält. Das ist die methodische Herausforderung für den Erfolg.13 Meist wird Brainstorming eingesetzt, weil andere Methoden nicht bekannt sind: • Stellen Sie Annahmen und Vorurteile infrage. Denken Sie auf Umwegen und durch Umformung mithilfe von Drehen, Wenden und Verbessern von alten

13Roger

Fisher, William Ury, Bruce Patton: Getting to YES, The Harvard Negotiation Project, Penguin 1991, S. 65 ff.

2.2  Durch Methodenvielfalt zur Ideenvielfalt

79

Produkten, Dienstleistungen, Prozessen und Konzepten. Dieser kaizenartige Knetprozess lässt Neues entstehen. Das japanische Wort „Kaizen“ lässt sich mit „Verbesserung“ übersetzen und wurde ein fester Bestandteil in neuen Management-Formen wie z. B. „Re-Engineerung“ oder „Change-Management“, in denen verschiedenste Veränderungen in der Organisation oder in den Prozessen die entsprechende Verbesserung bringen sollen. • Definieren Sie Möglichkeiten und Chancen neu und verfolgen Sie diese. • Definieren Sie Wünsche neu, vielleicht ergeben sich dadurch neue Ziele. Eine neue Wohnung, ein neuer Standort, ein neuer Arbeitsplatz, ein Fortbildungskurs, ein neues Hobby, ein veränderter Plan. • Lassen Sie sich durch alles im Umfeld inspirieren. Hier gibt es unterstützende Hilfe. Beispielsweise tagtraumunterstützende Tätigkeiten wie Kochen, Gartenarbeit, Musizieren, Spazierengehen, Schwimmen, Laufband – all dies sind Tätigkeiten, die eine gewisse Routine haben sollten, damit keine Konzentration nötig ist. Ziel sind Entspannung und Gelassenheit für aktive Gehirntätigkeit und keine Gehirnausrichtung auf eine bestimmte Aufgabe wie ein Computerspiel, das volle Aufmerksamkeit beansprucht. • Wortspiele mit ganzen Sätzen oder einzelnen Wörtern nennt man Anagramme. Auf der Suche nach Texten, Begriffen, Marken und Corporate Identities ist dieser Prozess ideenreich. Durch Umstellung einzelner Buchstaben entstehen neue Wörter, Begriffe oder Markennamen. Manchmal ergibt die Buchstabenumstellung keinen klaren Sinn, aber je ungewöhnlicher die Wortbildung ist, desto größer der Erinnerungswert. Deswegen eignen sich Anagramme auch als Eselsbrücken zur Erinnerung komplizierter Begriffe und Namen (Mnemotechnik). Machen Sie ein Anagramm aus Namen oder aus Wörtern, die Sie nicht vergessen wollen. Hier eine Auswahl aus unzähligen Beispielen: • Kopfspiel mit Bildern, Metaphern und Texten. Bildassoziationen helfen uns dabei, auf neue Ideen zu kommen. Bilder umgeben uns den ganzen Tag auf Postern, Bildschirmen, Zeitungen, Magazinen und auf an Hauswänden angebrachten großen LCD-Bildschirmen wie z. B. im Innenhof des Sony Centers in Berlin. Wenn wir gerade an einem Vortrag arbeiten und dort zur Entspannung im Café sitzen, kann ein gerade gesehenes Bild mit einer bereits geschriebenen Idee verkettet werden und zur Anreicherung in den Text eingefügt werden. Dasselbe kann mit Texten passieren, die zufällig in einer Werbeschrift oder auf einer Gratispostkarte gefunden werden. Wichtig ist, dass Sie diesen Gedankenblitz sofort notieren. Ich schreibe mir die Idee mit den Folgeassoziationen sofort auf eine Zeitung, eine Serviette oder in meinen Kalender, damit sie nicht verloren geht.

80

2  Denkstrategie: Vielfaltdenken

• Experimentieren Sie und spielen Sie mit den schlechtesten und dümmsten Ideen und versuchen Sie, daraus etwas Besseres zu machen. • Arbeiten Sie mit Ihrem persönlichen Signaturtalent als Schlüssel zu „Flow“. Stößt man auf eine faszinierende Idee, so kann man im Hochgefühl kreativer Arbeit den von Mihály Chíkszentmihályi beschriebenen „Flow“ erfahren. Man erlebt in voller Aufmerksamkeit einen kreativen Gedankenfluss in der Tätigkeit mit große Befriedigung und Genugtuung. Die Zeit ist vergessen. • Gestalten Sie Ihren Arbeitsplatz z. B. durch Bilder, Skulpturen und wohlgestaltete Möbel kreativ. Dadurch wird ein gutes Gefühl zum Arbeiten erzeugt. Diese Freude wirkt animierend. • Verknüpfen Sie Dinge und Themen, die vor Ihnen auf dem unaufgeräumten Schreibtisch liegen und sich assoziativ zur Ideenfindung verwenden lassen: Notizbücher, Artikel, Aufsätze, E-Mails, vorgemerkte Stellen in gelesenen Büchern und Visitenkarten – alles geht. • Ideenkommissar Zufall und systematische Suche helfen bei der Ideenfindung. Das Gehirn ist nicht wählerisch es will beschäftigt sein. Zufällig treffe ich auf einen Experten bei einer Ausstellung, man kommt ins Gespräch, tippt ein aktuelles Thema an, und schon schon kommt eine neue Idee – sofort aufschreiben! Systematik ist auch die konsequente Anwendung der Denkstrategien und Denkausrichtung durch ein Modell, Theorieansatz oder Schema wie z. B. SWOT, Marketing-Mix oder das Doblin-Schema.14 In all diesen Fällen ist eine Struktur vorgegeben, die man zur Denkausrichtung nehmen kann. • Neugier, Wissensdurst und Offenheit für Neues helfen dabei, Gedankenblitze zu erzeugen und neue Ideen zu finden. Ich verlagere beim Schreiben eines Buches auch bewusst den Arbeitsort vom häuslichen Arbeitsplatz in ein Café, eine Bibliothek, eine Ausstellung oder von Berlin nach Bangkok. Durch jeden Ortswechsel und neue Gesprächspartner kommen neue Eindrücke, die mit alten Informationen neue Verbindungen und nie gesehene neue Zusammenhänge schaffen. In einem Buchladen steht man zufällig etwas länger vor einem Regal, an dem man schon oft vorbeilief. Dann fällt der Blick auf ein Buch, das neue Ideen aufkommen lässt. Man sieht ein Muster „to connect the dots“, wie z. B. ein Buch über Design Thinking in Japan, das man mit Design Thinking in den USA oder in Deutschland vergleichen kann. Aus Vergleichen entstehen oft interessante, neue Erkenntnisse.

14Vgl.

die 10 Typen des Doblin-Schemas als Ansatzpunkte von möglichen Innovationen: https://www.doblin.com/ten-types.

2.2  Durch Methodenvielfalt zur Ideenvielfalt

81

• Kopfspiel und probieren geht über studieren. Entscheidend ist, dass unser Gehirn durch Neugierde, neue Information, Beobachtungen und Fragestellungen angeregt wird. Egal, wie abwegig der Weg ist, schließen Sie nichts aus: Alles geht! Provozierte Gedankenauslöser wie der plötzliche Umweg durch eine zu befahrende Umgehungsstraße eröffnen den Blick auf neue Shops, neue Restaurants, eine nie gesehene Galerie. Der kurze Besuch im Büro eines Kollegen bringt durch Gedankenaustausch eine neue Idee. Die Aufschrift des im Hotelzimmer gefundenen braunen Zuckerbeutels: „It is in the little things“ regte meine Idee dafür an, wie ich jungen Mitarbeitern die Bedeutung von Service erkläre: Service kann man nicht sehen und schmecken, aber man fühlt sofort und genau, wann er nicht existiert. • Das weltweite Internet oder ein Spaziergang durch die Nachbarschaft schenkt Ideen ohne Ende – wie z. B. die Wortverdrehung eines Witzboldes auf diesem Auto: Pozilei (Abb. 2.1). Wir alle haben eine ausreichend gute Grundausstattung in einem Wissensgebiet und können zumindest intuitiv mit den Bausteinen der Kreativität spielen. Abb. 2.1   Wortverdrehung Pozilei

82

2  Denkstrategie: Vielfaltdenken

Trotzdem nutzen wir meistens nur ein Drittel unseres Kreativitätspotenzials.15 Neue Situationen, neues Wissen mit Vernetzung in andere Gebiete bringt Dynamik durch neue Gedankenblitze. Beim Aufschreiben der Gedanken melden sich immer neue Ideen an. Kreativ sein ist ein Verhalten, das unkonventionell und manchmal exzentrisch sein kann. Steve Jobs beschrieb den kreativen Typus von Mensch in einer Apple-Werbekampagne als jemanden, der sich nicht verbiegen lässt und zielgerichtet sein Ding macht: Here’s to the crazy ones, the misfits, the rebels, the troublemakers, the round pegs in the square holes. The ones who see things differently.

Kreative Menschen glauben an ihre Ideen und haben deren Realisierung zum Ziel. Ideen gibt es viele, aber nur nützliche Produkt-, Service- und Prozessideen schaffen den Durchbruch zur Innovation. Kreativität wird durch ganz einfache Aktivitäten angeregt, wie das Durchblättern von Visitenkarten, die auf dem Schreibtisch in einem kleinen Stapel darauf warten, aufgeräumt zu werden. Wir erinnern uns sofort an das mit der Visitenkarte verbundene Gespräch. Vielleicht steht ein To do auf der Karte, da wir dem Gesprächspartner versprochen hatten, eine Information zu schicken. Die Visitenkarte kann mit einer weiteren Karte gelesen werden und so Ideen zu Gemeinsamkeiten der beiden Kartenträger auslösen. Der Blick auf einen Zeitungsartikel und ein offenes Buch ergänzt das Gespräch vom Vorabend durch ein Aha. Deswegen liebe ich meinen Schreibtisch, auf dem mehrere Bücher und Artikel offen liegen, sodass ich mit einem Blick z. B. eine Aktennotiz mit einer Visitenkarte gedanklich verknüpfen kann (s. Teil 3, Kap. 13). Die unglaublich schnelle Vernetzung der Neuronen im Gehirn, in denen wir Informationen wie Akten ablegen, ist ein wunderbares Kopfspiel.

2.2.4 Denkmodelle und Konzepte Denkmodelle, Konzepte, Theorien oder Fragen sind für das Gehirn zugleich Anregung und Denkausrichtung. Zur Denk- und Gehirnausrichtung siehe die sechs Quellen für Kreativität und Innovation in Teil 1, Kap. 5. Die Hirnforschung kann nachweisen, dass die höchste kreative Kraft im Gehirn spielerisch und

15Mihály

Chíkszentmihályi, Focus 39/1996, S. 165.

2.2  Durch Methodenvielfalt zur Ideenvielfalt

83

entspannt erreicht wird. Gelassenheit und Tagtraum bringen mehr als der klar definierte Fokus.16 Die Mehrheit der Manager glaubt aber immer noch an den systematischen Weg und an einen Fokus mit betriebswirtschaftlichen Modellen und Theorien. Meiner Meinung nach macht es die Mischung aller Denkstrategien und Denktaktiken: Probieren geht über studieren (s. Teil 1, Kap. 1 und 5). Die Vorbereitung beinhaltet positive Einstimmung, die Suche nach dem Problem, Informationssammlung und Problemfindung.17 Denken Sie an die Kanne Kaffee von Matthew Diffee und an Einsteins oben erwähnte 55/5-Minutenregel. Das Ausbrüten ist oft unbewusstes Suchen der Idee während der Inkubationszeit. Hier vernetzt sich unser gelerntes Wissensgebiet mit neu gesammelten Informationen und führt zu Gedankenblitzen durch bewusste Experimente oder unbewusste Kopfspiele. Das Zufliegen neuer Ideen aus dem Nichts – wie manche meinen – ist im Grunde hart erarbeitet. Hinter der Leichtigkeit verstecken sich viele Versuche, Fehler durch hartnäckige Anstrengungen und Recherchen zu vermeiden. So stellte John Lennon nach einer 5-jährigen Auszeit in einer Woche die Musik und die Texte für die LP Double Fantasy zusammen.18 Nach seinen Worten kamen ihm die Ideen wie mit einem Paukenschlag bei einem Urlaub auf Bermuda. Viele der von mir interviewten Personen denken ebenso. Aber Ideen kommen nicht aus dem Blauen, sondern schmoren und arbeiten im Unterbewusstsein, bis etwas die Idee auslöst – ein inspirierender Ort, eine Person, das vor einem liegende Instrument oder Notizpapier und Bleistift (s. Teil 1, Kap. 5). Der Hirnforscher Daniel Levitin sagte: „… ich hätte gerne von Google einen Serendipity Button, der mir alle vom effizienten Such-Algorythmus knapp verpassten Suchideen zeigt. Das wäre ganz so wie beim zufälligen Auffinden eines Buches, wenn ich durch die Regalreihen der Bibliothek wandele und mir ein anderes als das gesuchte Buch auffällt.“19 Mark Forsyth gibt seinem Essay Lob

16Vgl.

den Vortrag des Hirnforschers Gerald Hüther: Gelassenheit hilft: Anregungen für Gehirnbenutzer https://www.youtube.com/watch?v=2XlJmew2lK4 (Min. 6:30–9:00 aus 41:58). 17Patrick Dawson/Constantine Andriopoulos: Managing Change, Crativity & Innovation, Sage 2014, S. 58 ff. 18John Lennon beschreibt wie Ideen plötzlich kommen und wie er sie aufschreibt: https:// www.youtube.com/watch?v=XeK83r5r3sw&index=1&list=RDXeK83r5r3sw; https://www. youtube.com/watch?v=EZg-FygowA0&0B9B92DC3EC53F2E5A2F67580E58A544=. 19Daniel Levitin: The Organized Mind: Thinking Straight in an Age of Information Overload, https://www.youtube.com/watch?v=aR1TNEHRY-U, (bei Minute: 31:20).

84

2  Denkstrategie: Vielfaltdenken

der guten Buchhandlung einen Untertitel mit demselben Sinn: Vom Glück, das zu finden, wonach sie gar nicht gesucht haben.20 Das ist der Serendipity Button. Die Ideenfindung wird oft als Heureka-Augenblick verstanden. Viele der von mir interviewten mehr als 1000 Personen behaupteten, dass sie ihre Ideen ohne eine bestimmte Methode fänden. Diese Antwort ist verständlich, da wir den kreativen, ständig laufenden Prozess im Unterbewusstsein, im Schlaf und im Tagtraum nicht wahrnehmen. Die kreative Zeit der Inkubation geht nahtlos in die Zeit der plötzlichen Ideenfindung über. Die Realisierung geht einher mit genauer Prüfung der gereiften Idee, ihrer Bestätigung, Umsetzung und Verbesserung. Hier wird die beste Idee als nützlich verifiziert und dann mit praktischen Schritten zum Markt gebracht. Solche Schritte sind beispielsweise die Erschaffung eines ersten Prototyps, die Erstellung, eines Businessplans, die Beschaffung der Eigen- oder Fremdfinanzierungsmittel, die Gestaltung einer Organisationsstruktur, die Unternehmensgründung, die Personalrekrutierung, das Branding, der Aufbau eines Vertriebsnetzes oder die Festlegung der Preisbildung. Stören können dabei u.  a.: Operativer Stress, Zeitsklaverei, Angst vor dem Scheitern, halbe Informationen, fehlende Einbindung in den Wandel bei Change-Management, Ungeduld des Topmanagements, kommunikationsblockierende Silos zwischen Fachabteilungen und Konzerngesellschaften, lähmende Reglementierung sowie nicht ausreichenden Ressourcen zur Umsetzung der Ideen. Kreative, auf dem Arbeitsmarkt gesuchte Mitarbeiter entscheiden sich in von diesen Störenfaktoren geprägten Unternehmen schnell zum Ausstieg. Die gute Nachricht ist, dass für den Mitarbeiter aus einer freudlosen und frustrierenden Karriere ein kreativer Neubeginn entstehen kann. Das Unternehmen verliert einen Ideenproduzenten, auch wenn er ein unbequemer Querdenker ist. Ausstieg und Neubeginn sind Formen des Stressmanagements. Es gibt keinen größeren Aderlass für den kreativen Prozess als den, von der Bürokratie aufgesaugt zu werden. Zufriedenheit mit dem „Job“ gehört neben Denkmodellen, Konzepten und Methoden nun mal zur Kreativitätsvielfalt damit Ideen sprudeln können. Der bekannte Glücksforscher Martin E. P. Seligman bietet ein „Happiness-Quiz“ an, mit dem Sie Ihren Zufriedenheitszustand feststellen können – holen Sie sich Ihr individuelles Ergebnis.21

20Mark

Forsyth: Lob der guten Buchhandlung – Vom Glück, das zu finden, wonach sie gar nicht gesucht haben, Fischer 2016. 21Happiness-Quiz: http://www.pursuit-of-happiness.org/history-of-happiness/martin-seligman-positive-psychology/.

2.2  Durch Methodenvielfalt zur Ideenvielfalt

85

2.2.4.1 Brainstorming Brainstorming ist für die meisten Menschen die geläufigste Methode bei der Ideensuche. Schnell kommt der Satz: „Da müssen wir mal etwas Brainstorming machen.“ Oft wird vergessen, dass bei dieser Methode die Bewertung, was gute oder schlechte Ideen sind, erst zum Schluss erfolgen darf. Brainstorming ist nur eine Methode zur Sammlung von Ideen. Ideen müssen zunächst gefunden werden und dann zum Nachdenken ruhen. Jede sofortige Bewertung bremst den Fluss der Ideenfindung.22 Vorbereitende Gedanken in einem Memo von Kollegen und Ihnen unterstellte Fachabteilungen regen eigene Assoziationen an (s. das Beispiel in Teil 1, Abschn. 4.4: Entstehung einer Service-Philosophie).

2.2.4.2 SWOT-Analyse und Marketing-Mix Beide Methoden sind geläufig und wie Checklisten zu handhaben. Durch das Abarbeiten der einzelnen Bestandteile kommen die Verbesserungsideen: • Im Falle der SWOT-Analyse geht man Stärken (Strengths), Schwächen (Weaknesses), Möglichkeiten (Opportunities) und Gefahren (Threats) eines Projektes systematisch durch, um das Gehirn auszurichten. Projekte wären z. B.: Unternehmenskauf, Expansion des Vertriebsnetzes, neue Produkte, neuer Service, Unternehmensverlegung, Kauf oder Eigenproduktion usw. • Im Falle der Marketing-Mix-Analyse arbeitet man sich durch die vier Elemente des Marketing-Mixes (Produkt, Preis, Platz und Promotion), um das Denken auf Verbesserungsideen zu richten. Es gibt natürlich in der Fachliteratur noch mehr Marketing-Mix-Elemente als die genannten vier. An dieser Stelle geht es mir nur um die Frage: Wie kann ich mit bekannten betriebswirtschaftlichen Konzepten viele Ideen finden? • Man kann auch beide Konzepte verknüpfen, sodass SWOT fragt: Was sind die Stärken, Schwächen, Möglichkeiten, Gefahren für jedes der vier Elemente im Marketing-Mix: Produkt, Preis, Platz und Promotion, wenn ich an mein Projekt denke (siehe die Projektbeispiele oben)? Bei der Anwendung dieser Methoden geht es um nichts anderes als darum, das Gehirn auszurichten und ihm einen Fokus zu geben, aber dann auch darum, durch kreatives „Kopfspiel“ auf neue Ideen zu kommen und letztlich bewusst und im

22Bryan W.

Mattimore: Idea Stormers – How to lead and inspire creative Breakthroughs, Jossey-Bass 2012.

86

2  Denkstrategie: Vielfaltdenken

Unterbewusstsein vielfältig zu denken. Die generierten Ideen dienen der Entscheidung.

2.2.4.3 Businessplan-Canvas fördert visuelles Denken Die Canvas-Methode wurde populär, weil sie die komplexe BusinessplanErstellung einfach und griffig beschreibt (s. Details zur Businessplan-Erstellung in Teil 4, Kap. 16).23 Die Ideenfindung wird erleichtert, weil der Plan nicht nur Zahlen zeigt, sondern auch den Unternehmensprozess und die Stakeholder visualisiert. Bildhafte Modelle und Konzepte sind einfacher zu begreifen und schnell anwendbar. Damit schafft die Canvas-Methode einen Fokus für den Denkprozess und die Gehirnausrichtung. Sinn und Zweck eines jeden Managementmodells sind es immer, das Gehirn und die Aufmerksamkeit zu aktivieren und so zu lenken wie bei der Erstellung des Unternehmensplanes. Die Canvas-Methode nimmt das Bild einer Leinwand und unterteilt diese Leinwand in die verschiedenen zu untersuchenden Themen des Geschäftsprozesses: Produkt- und Dienstleistungsangebot, Kundensegmente im Markt, Customer Relationship Management, Logistikkette für die Auslieferung, Kernkompetenzen und Aktivitäten, Ressourcen, Geschäftspartner, Umsatzerlöse, Kostenarten und Kostenstruktur.

2.2.4.4 Das ganze Bild: Key Performance Indicators (KPIs) In der Finanzanalyse ist eine 360-Grad-Umsicht unter Zuhilfenahme von Finanzkennzahlen wichtig.24 Bei der Beurteilung der finanziellen Situation eines Unternehmens kann man sich nicht nur auf eine KPI-Kennziffer verlassen (KPI = Key Performance Indicator). Die KPIs erzählen bei überzeugender Präsentation die Equity Story und Zukunftsentwicklung des Unternehmens. Die KPIs verdeutlichen, ob die Firma gut oder schlecht gemanagt wird, zahlungsfähig ist, Darlehen und Kapitalmarkttitel zurückzahlen kann. Zur Beurteilung der Liquiditätssituation und Zahlungsfähigkeit reicht ein kritischer Blick auf die Umschlagdauer der Vorräte, den Verschuldungsgrad, die Fristenstruktur und den Free Cashflow. Vergleiche mit Wettbewerbern und dem Industriedurchschnitt bringen zusätzliche Erkenntnisse.

23Alexander

Osterwalder, Yves Pigneur: Business Model Generation, Wiley 2010. Gitman, Chad J. Zutter: Principles of Managerial Finance, Pearson, 14th Global Edition, 2015, S. 105. 24Lawrence J.

2.2  Durch Methodenvielfalt zur Ideenvielfalt

87

2.2.4.5 Inhaltsverzeichnis als Checklist Das Inhaltsverzeichnis eines Buches liest sich oft wie eine Checkliste. Machen Sie sich eine Kopie und halten Sie das Verzeichnis in der Tasche für den schnellen Überblick. Das assoziative Lesen des Inhaltsverzeichnisses mit Randnotizen ergibt neue Ideen, Fragen und Überlegungen bezüglich der Zusammenhänge der einzelnen Kapitel. Diese Randnotizen und meine Angewohnheit, die Kernaussagen und wichtigen Wörter gelb zu markieren, lassen mich traditionelle Bücher den eBooks vorziehen. Papier ist für Notizen noch flexibler und dadurch für Mnemotechnik besser geeignet. Chinesische Schriftzeichen können bei Betrachtung der einzelnen Bildelemente auch über Assoziationen originelle Ideen auslösen. Die bildhafte Schrift (Piktogramme) regt die Fantasie an, um so das Gehirn auszurichten. Hierzu möchte ich nochmals das bereits vorgestellte Beispiel anführen, wie ich durch ein Schriftzeichen und dessen drei Komponenten zu einer Checkliste für aktives Zuhören kam (s. Teil IV. Kap. 20 Abb. 20.1). Die drei Elemente des Schriftzeichens können als Checkliste für Ideen mit folgenden Fragen genutzt werden: „Welche Neuigkeiten und Ideen höre ich im Gespräch? Welche Neuigkeiten und Ideen sehe ich im Gespräch? Welche Neuigkeiten und Ideen fühle ich im Gespräch?“

2.2.4.6 Überraschung und Spontanität Überraschung löst Reaktionen und Ideen aus (s. Teil 2, Kap. 3). Viele Führungskräfte statten Kollegen oder Mitarbeitern einfach mal einen unerwarteten Besuch ab. Carlos Ghosn besuchte beim Turnaround in der Nissan-Akquisition laufend Meetings zum Zuhören, Fragen und Kommentieren. Steve Jobs war der Meinung, dass Kreativität das Ergebnis von spontanen Meetings und Zufallsdiskussionen ist – man erinnere sich an seine oben bereits zitierte Angewohnheit, seinen Chefdesigner mit der Einleitung zu überfallen: „Hey Jony hier ist mal wieder ne verrückte Idee.“25 In beiden Fällen ist das zufällige Zusammentreffen von Personen mit Ideen-, und Informationsaustausch der Auslöser für neue Ideen. Auftauchen, zuhören, fragen – und vielleicht bringt der Dialog eine neue Idee oder eine alte wird aufgewertet und abgerundet durch neue Aspekte. Machen Sie das Gegenteil von dem, was Sie normalerweise machen: Unangemeldet in ein Meeting

25Jonathan Ive über die Überraschungsbesuche von Steve Jobs, die zu großen Ideen führten: https://www.youtube.com/watch?v=nPUsuY8JZJI&feature=youtu.be (Min. 48:25– 50:00).

88

2  Denkstrategie: Vielfaltdenken

h­ineinschneien, bei Mitarbeitern unangemeldet im Büro vorbeischauen, einen anderen Weg als die normale Fahrroute nehmen. Brechen Sie aus der lähmenden Routine aus und machen Sie etwas ganz anderes, etwas völlig Neues, das sie selber überrascht.

2.2.4.7 Ungewöhnliche Ereignisse stimulieren Gehen Sie in ein Konzert, eine Ausstellung oder Modenschau mit unbekannter Musik, Kunst oder neuartigem Design. Das Gehirn wird durch Musik stimuliert, wie Daniel Levitin mit seinen Studien gezeigt hat.26 Durch die Ablenkung zu Neuem kommt die stimulierende Entspannung und Gelassenheit. Lesen Sie neue Autoren, reisen Sie in fremde Länder, sprechen Sie mit interessanten Fremden, dann passiert das, was Tom Peters prophezeit: „Man gleicht sich den Menschen an, mit denen man Zeit verbringt.“27 Zur Schaffung neuer origineller Ideen empfahl der Schriftsteller Christopher Morley: „Lies täglich, was keiner liest. Denke täglich, was keiner denkt. Mache täglich, was keinem im Traum einfallen würde, um sich nicht lächerlich zu machen. Für die Vorstellungskraft ist es schlecht, wenn man ständig in Einstimmigkeit und ohne Diskussion mit der Umwelt leben will. Erfreue dich daran, WOWs zu kreieren, aber verliere nicht dein Team durch zu viele Alleingänge. Entferne dich nicht zu weit vom Unternehmen und deinem Team.“

2.3 Intuition schöpft aus Erfahrung Intuition ist die Schnittstelle zwischen Verstand und Gefühl. Informationen werden grundsätzlich durch die fünf Sinne (Sehen, Hören, Tasten, Schmecken, Riechen) aufgenommen, logisch verarbeitet und dann als Erfahrungsschatz abgespeichert. Die Abspeicherung erfolgt in einem Teil des Gehirns, in dem bereits fertige Lösungen für den schnellen Abruf bereitliegen. Dieser Teil des Gehirns oberhalb der Ohren – der sogenannte temporale Gehirnlappen – speichert gemachte Erfahrungen in „historischen Erfahrungsakten“.28 Im Grunde ist Intuition eine auf Empathie bauende Entscheidungstechnik. Für die Fälle,

26Daniel Levitin: „Your brain on music“, https://www.youtube.com/watch?v=j_r5HGyWtxU – 2011. 27Im englischen Original: „You become whom you spend time with.“ 28Gregory Berns: Iconoclast, A Neuroscientist Reveals how to Think Differently, HBP 2010, S. 6, 22 f.

2.3  Intuition schöpft aus Erfahrung

89

in denen viele Alternativen eine vernünftige Entscheidung erschweren, hat dann das Bauchgefühl das letzte Sagen. Intuition vermag es auch, unterschiedliche Meinungen bezüglich der Entscheidung zu gewichten: Wer bevorzugt was? Warum? Oft ist es nicht so wichtig, was gesagt wird, sondern, wer es sagt. Grundvoraussetzung für dieses Vorgehen ist, dass der Entscheidungsträger über viele Erfahrungen verfügt. Erfahrene Manager schöpfen mit ihrer Intuition aus diesem Lösungspool. Unser Gehirn greift in Zeiten starker Verunsicherung oder gestresster Übererregung auf die früher „abgelegten“ Erfahrungs- und Verhaltensmuster zurück.29 Bereits gemachte, erfolgreiche Erfahrungen sind schnelle Helfer, wenn wir aktuell keine Lösungsalternativen haben oder Stress ein klares Denken benebelt. Der Rückgriff auf diesen Lösungspool ist ein Mechanismus, mit dem wir nicht nur kleine Routineaufgaben, sondern auch große Probleme unter Zeitdruck schnell angehen können. Innovation und intuitiver Erfindergeist verlangt, dass falsche Vereinfachungen und festgefahrene Lösungsansätze neuen Ideen Platz machen. Innovativen Menschen – sogenannten Ikonoklasten – fällt es leichter, Vorurteile und Erfahrungen zu ändern. Im Folgenden stelle ich einige wenige Beispiele aus dem Pool meiner über 1000 Interviews und publiziert gefundenen Methoden zum Vielfaltdenken dar, deswegen die Überschrift „Die 1000+“. Die 1000+ • Die Sängerin Norah Jones komponiert und die Schriftstellerin Joanne K. Rowling (Autorin des Harry-Potter-Roman- und Filmerfolges) schreibt, wenn sie auf Tournee und in Mobilität sind. Stimulierende Eindrücke sind dann vielfältiger als zu Hause. Außerdem sagt Jones, dass ihr unter Zeitdruck keine Ideen kommen.30 • Die junge Musikerin Alma Deutscher war zum Zeitpunkt eines Interviews, das sie dem Journalisten Uwe Jean Heuser, gab, zehn Jahre alt.31 Ihre Denkhilfe und Inspiration für neue Ideen ist ihr Springseil, sie nimmt es weniger zum Springen als zur Anregung ihrer Fantasie.

29Gerald

Hüther: So verändert sich das Hirn im Umfeld von Unsicherheit, Vortrag bei 2b AHEAD Think Tank, https://www.youtube.com/watch?v=C8BeEam9XjM – 20. Juni 2012, Zukunftskongress 2011. 30Elisa Bray: A Private Audience – Norah Jones is looking forward to touring again, Bangkok Post Brunch 7. März 2010, S. 12 f. 31Uwe Jean Heuser: Alma spielt, Die Zeit, 7. Januar 2016, S. 13–15.

90

2  Denkstrategie: Vielfaltdenken

Abb. 2.2   Aquarell Leidenschaft (Rot) und Disziplin (Schwarz). (Online farbig)

• Der Seniorchef der Duisburger Messtechnikunternehmung Krohne bekam eine verbessernde Geschäftsidee bei einem Violinkonzert mit Anne-Sophie Mutter. „Der Anblick einer schwingenden Geigensaite brachte ihn auf die Idee, mit der er eine bis dahin bestehende Messungenauigkeit beseitigen konnte.“32 • Hobbys lösen Zufallsideen aus. Monate vor einem Produkt-Launch hatte ich auf Kreta ein Aquarell (s. Abb. 2.2) gemalt. Das wiederum löste die Rahmenidee für die Gestaltung eines Marketing-Events aus. Zufall? Nein! Die beiden Farben Rot und Schwarz gaben bei Suche nach dem Thema für einen Impulsauftritt die auslösende Idee. Die Farben passten zum Produktmerkmal „leidenschaftliches Design“ (Passion) sowie „ernsthaftes Engineering“ (Leistung). Das Aquarell entstand lange vor dem Marketingevent und war somit eine alte Information. Daraus entstand die Idee zur Visualisierung der Produkteigenschaften. Neue zusätzliche Ideen kamen dem Projektteam im Brainstorming zur Eventgestaltung wie z. B. der Choreografie zur Enthüllung des Produktes.

32Jenni

Thier: Prinzessin 4.0, FAZ, 30. April 2017, S. 30 (Wirtschaft).

2.3  Intuition schöpft aus Erfahrung

91

• Markus und Daniel Freitag bekamen die Geschäftsidee für ihre erfolgreichen, coolen Freitag Bags durch Beobachtung. Sie beobachteten Lkw, die mit Planen bezogen an ihrem Apartment vorbeifuhren. Die Idee kam ihnen in ganz entspanntem Zustand. Viele der 1000+ Personen, die ich interviewt habe, sagten mir, dass Entspannung im Tandem mit einer anderen Aktivität komplementär sei. Aktivitäten dieser Art wären beispielsweise: lesen, zuhören, fernsehen, ins Büro fahren.

3

Denkstrategie: Umwegdenken

Umwege bringen neue Ideen

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie: • Der 360-Grad-Rundblick bringt Überraschungsideen, die aus dem üblichen Rahmen fallen. Lernen Sie, im Kreis zu denken, denken Sie upside down, denken Sie unberechenbar, denken Sie breit, denken Sie meilenweit außerhalb der Box, denken Sie kreativ um Ecken. Die Aussage seines asiatischen Assistenten: „Kreis versus Linie“ brachte Richard E. Nisbett auf die Idee, den asiatischen Rundschaublick im Vergleich zur linearen westlichen

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_3

93

94

3  Denkstrategie: Umwegdenken

Denkweise zu studieren (Richard E. Nisbett: The Geography of Thought, Nicholas Brealey 2005, S. xiii.). • Japaner wollen oft Problemstellung und Problemlösung in Form einer Gesamtübersicht vor sich sehen. Sie bevorzugen deswegen das große DIN-A3-Format. Deutsche bevorzugen das handliche DIN-A4-Format, weil sie den Hintergrund für die andere Denkart nicht kennen und A3 als unpraktisch ansehen. • Umwegdenken ist experimentelles Denken im Sinne von: „JA warum eigentlich nicht, dann probieren wir mal diesen Weg aus, auch wenn er nicht naheliegt.“ Dieser Ansatz bringt in der Regel originellere Lösungen als der direkte Weg, da wir unser Gehirn neuen Dingen und Themen aussetzen und Routine vermeiden. Zur Ideenfindung hilft ein Blick über den Tellerrand in andere Fachgebiete und Kulturen. Das ist im Sinne des japanischen Sprichwortes: Hast Du es eilig, mache einen Umweg. An diesen Rat sollte man gerade bei Hektik, Konfusion und Krisen denken. Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann. (Francis Picabia)1

3.1 Geistreich, gewitzt und anders denken Gewitztes oder geistreiches Denken findet sich abseits und nicht auf dem „geradlinigen Jedermannsweg“. Insbesondere beim Kick-off eines Change-Projektes muss Humor, Geist und Witz ein Teil der Rede sein. So gewinnt Ihr Kick-off positive Energie und Ihr Team neuen Schwung. Motivierende Kommunikation ist gerade bei ernsten Situationen gefragt. Geistreiche Führungskräfte und Redenschreiber praktizieren Kommunikation. Dazu müssen sie üben, Probleme mit ihren gegensätzlichen, verborgenen und gemeinsamen Aspekten zu sehen. Mit Witz lassen sich auch ernste Probleme humorvoll beleuchten.2 Genau, wie

1„Unser

Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“ ist der Titel einer Sammlung von Aphorismen Picabias in der Edition Nautilus 1995 (Übersetzung von Pierre Gallissaires und Hanna Mittelstädt), zit. in: https://de.wikiquote.org/wiki/Francis_Picabia. 2Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, Teil II: Die Technik des Witzes, Fischer 2012, S. 32–103.

3.1  Geistreich, gewitzt und anders denken

95

Kreativität als Verknüpfen unterschiedlicher Ideen definiert wird, so verlangt Witz die Verknüpfung von „unterschiedlichen, ungewöhnlichen und gegensätzlichen Ideen“. Es verlangt „Sinn im Unsinn“ und die Verbindung von „Konfusion und Klarheit“. Gegensätze sind Zündstoff für witzige Darstellungen. Der Witz-Designer verbindet Gegensätze.

3.1.1 Auf Umwegen neue Ideen gewinnen Gewitzte Ideen können einfach erzeugt werden, wenn ich das Gehirn dazu einlade, nach dem Gegenteil von etwas zu suchen. Je drastischer die Aufgabenstellung ist, desto mehr Ideen ergeben sich bei Brainstorming und Brainwriting. Denke synektisch und verbinde Fragen und Themen aus fremden Wissensgebieten so, wie Amazon jetzt Logistik- und IT-Netzwerke für den zugekauften Einzelhandel Whole Food einsetzt. Wechseln Sie Perspektiven und machen diese Übungen zur Ideenfindung:

3.1.1.1 Drehe das Problem auf den Kopf • Drehe das Problem in ein heute noch undenkbares, utopisches, aber dadurch denkanregendes Gegenteil. • Spaceshuttle fliegt mit Treibstoff versus Spaceshuttle fliegt ohne Treibstoff. • Polizei verhaftet Kriminelle versus Polizei bewirkt, dass Kriminelle freiwillig zur Polizeiwache kommen.

3.1.1.2 Brainstorming auf den Kopf stellen Teammitglieder erhalten die Aufgabe, Ideen so umgestalten, dass sie nicht funktionieren. Damit antizipieren sie Probleme für Kunden und Nutzer. Die gefundenen Nutzungsprobleme helfen bei der Produktentwicklung, um Fallstricke von vornherein auszuschließen. • Die nutzerorientierte Analysemethode wird im Design Thinking verwendet (s. Teil 4, Kap. 16). • Jack Welch, der ehemalige CEO von General Electric, wählte einen ähnlichen Ansatz in einer email an alle Führungskräfte. Im Betreff stand „Destroy your Business.com“. Er forderte sein Topmanagement auf Krisen und Risiken in

96

3  Denkstrategie: Umwegdenken

allen GE-Geschäftsbereichen zu antizipieren.3 Das Projekt lief in der Zeit des „Dot-Com-Booms“ der 90er-Jahre. Damit nahm Jack Welch bereits die Gefahr der disruptiven Innovationen vorweg.

3.1.1.3 Kleine Lösungen in große Lösungen drehen Letztlich geht es wie bei den zwei vorherigen Methoden um Perspektivenänderung, damit neue, originelle Ideen entstehen. • Die Tankstelle hat eine Zapfsäule. Gegensatz: Sie hat viele Zapfsäulen mit einem Einzelhandel inklusive einer Bäckerei. • Entwickeln Sie aus einem Einzelhandelsgeschäft ein Franchise-Unternehmen mit vielen Außenstellen.

3.1.1.4 Umwegdenken mit Proust-Effekt Erinnerungsstützen werden auch Mnemotechnik genannt. Unvergesslich wird es, wenn beispielsweise der Geruchs- oder Geschmackssinn an eine Episode aus der Vergangenheit erinnert. „Der Geruchssinn ist entwicklungsgeschichtlich der älteste unserer fünf Sinne und auf direktem Wege mit unseren Emotionen und Erinnerungen verbunden.“4 • Ein bestimmtes Aroma öffnet die Tür zur Vergangenheit und Sie erinnern sich an eine Geschäftspartnerin, mit der Sie vor 30 Jahren eine Verhandlung geführt haben. Ein bestimmtes Rasierwasser oder Parfüm kann auch negative Erinnerungen wecken, wenn das Erlebnis mit Stress verknüpft war. • Diese Mnemotechnik wird auch Prousteffekt genannt, da der Schriftsteller Marcel Proust dieses Geruchssinn-Phänomen in einem Roman anhand des französischen Feingebäcks namens Madeleine beschreibt. Die Macht des Geruchs der muschelförmigen Sandtörtchen kommt u. a. von den Zitronenschalen, der Butter und dem Rum. Damit weckt das Teegebäck „Petites Madeleines“ Erinnerungen.

3Steve Revill: Kill your business before someone else does, Blog 2015: https://steverevill. net/2015/01/27/kill-your-business-before-someone-else-does/. 4Anne Otto: Die Welt im Kopf, Spiegel classic 1/2017, S. 88, zitiert den Tipp Nr. 1 Hans Markowitschs „Erinnern mit allen Sinnen“; Mazda Adli: Stress and the City. Warum Städte uns krank machen. Und warum sie trotzdem gut für uns sind, C. Bertelsmann 2017, hier: Gerüche der Stadt, S. 271–275.

3.1  Geistreich, gewitzt und anders denken

97

3.1.2 Umwegdenken im Produktdesign Auf Umwegen denken hilft, komplexe Probleme aus Wirtschaft und Politik zu lösen. Hier einige Beispiele dafür, wie durch Umwegdenken Probleme gelöst werden konnten:

3.1.2.1 Elemente eines bestehenden Problems eliminieren Restaurants und Hotels ersetzen Porzellangeschirr durch essbares Geschirr aus Teig; ein Beispiel ist das essbare Geschirr der Firma Füllett.5 Das Geschirr kann nach Gebrauch und Abfüllen von Marmelade am Frühstücksbüffet umweltfreundlich durch Knabbern entsorgt werden. So wird der Vorgang des Geschirrwaschens gespart. Kein Abspülen mit Wasser- und Spülmittelverbrauch, sondern Spaß für den Nutzer durch gewitzte Produktgestaltung.

3.1.2.2 Kaffeegeschirr aus Kaffeesatz und Klebstoff Diese Produktgestaltung ist umweltschonend, superleicht und witzig (Abb. 3.1).6 Die Kaffeetassen haben angenehmen Kaffeegeruch. Der Kaffeesatz wird von lokalen Gastronomen eingesammelt und nur durch nachwachsende Rohstoffe, d. h. natürlichen Klebstoff, gehärtet. Das Geschirr ist spülmaschinenfest und hat die Anmutung von Keramik.

3.1.2.3 Melonen in geometrischen Formen Das kontrollierte Wachstum in geometrischen Formen dient der besseren Ausnutzung kleiner Kühlschränke (z. B. geometrische Melonen) – oder nur dem Staunen (Abb. 3.2). Nicht nur Japaner zahlen hohe Preise für dieses originelle, geometrische Wachstum der Früchte.7

3.1.2.4 Kürbis mit Frankenstein-Gesicht Die sogenannten Pumpkinsteins erzielen in den USA statt eines Preises von wenigen Dollar über 100 $ pro geformt gewachsenen Kürbis. Der Konsument zahlt den hohen Preis für die witzige Idee, um Halloweengäste zu überraschen,

5Das

Unternehmen Füllett stellt essbares Geschirr in Bio-Qualität her: www.fuellett.de; www.snackconnection-marktplatz.de. 6S. das aus Kaffeesatz hergestellte Geschirr: https://www.kaffeeform.com/. 7S.  die geometrische Melonen: http://metro.co.uk/2017/03/26/people-are-paying-thousands-of-pounds-for-square-watermelons-and-luxury-fruit-in-japan-6532756/.

98

3  Denkstrategie: Umwegdenken

Abb. 3.1   Innovatives Kaffeegeschirr aus Kaffeesatz

Abb. 3.2   Umwegdenken formt Melonen

und nicht für den Kürbis selbst. Die Cinagro Farm von Tony Dighera, die diese Früchte organisch anbaut, hat auch den Firmennamen gewitzt durch ein Wortspiel kreiert. Cinagro ist das Wort „organiC“ rückwärts gelesen.8 8S. die

Kürbis-Produkte der Firma CINAGRO: http://cinagro-farms.com/; https://www. cnbc.com/2015/10/09/pumpkins-shaped-like-peoples-heads-a-dream-comes-true.html.

3.1  Geistreich, gewitzt und anders denken

99

3.1.3 Umwegdenken im Servicedesign Der Buchhandel (über-) lebt nur durch neue kreative Formen. Selbst gebrauchte Bücher können heute über Amazon schnell und preiswert frei Haus bestellt werden. Der Besuch einer Buchhandlung ist nicht mehr notwendig. Es sei denn, dieser Besuch ist ein Erlebnis. Der normale langweilige Point of Sales muss in einen Point of Surprise interessant umgestaltet werden. Unterschiedliche Eigenschaften und Formen von Geschäftsideen lassen sich interessant mischen, gerade, wenn sie artfremd sind.

3.1.3.1 Gebrauchtwagenhandel Ein Gebrauchtwagenhändler bedient sich eines Schiffes, um hohe Immobilienpreise für ein Grundstück zu sparen, und richtet einen schwimmenden Showroom ein. Damit kreiert er natürlich gleichzeitig eine Attraktion.

3.1.3.2 Buchhandel Ein kreativer Buchhändler in London hat seinen Buchladen als schwimmendes Schmökerschiff gestaltet: „Word on the Water“ – The London Bookbarge. Das Boot wird zum schwimmenden Kultbuchladen und als „absolute quirky [schrulliger] shop“ bezeichnet.9

3.1.3.3 Servicetraining Service ist unsichtbar, lautlos und lässt sich nicht anfassen, aber man fühlt sofort, wenn Service fehlt oder schlecht ist. Auf der Suche nach verständlichen Erklärungen für Mitarbeiter dazu, was Servicequalität denn nun ausmache, bin ich auf verschiedene Möglichkeiten gestoßen. Manche von ihnen arbeiten mit Akronymen, also Abkürzungen, die selbst einen Wortinhalt mit Erinnerungswert und einem Lerneffekt bilden. In der Hotelgruppe Four Seasons wird den Mitarbeitern die Bedeutung von Service mit dem selbstredenden Akronym SERVICE erklärt, bei dem die einzelnen Buchstaben für folgende Inhalte stehen: S = Smile (und zwar aktiv und echt), E = Eye contact (Augenkontakt, selbst beim Vorbeigehen), R = Recognition (Wahrnehmung; natürlich Anrede mit Namen), V = Voice (Stimme; in angemessener Form sprechen), I = Informieren (über Hotelprodukte, Services, Lokalitäten und Veranstaltungen), C = Care (Hilfsbereitschaft in allem, was wir tun), E = Exceed (übertreffen, und zwar die Erwartungen der Gäste).

9Word

on the Water – The London Bookbarge: https://www.facebook.com/wordonthewater/.

100

3  Denkstrategie: Umwegdenken

3.2 Witztechniken als Katalysatoren für Umwegdenken 3.2.1 Witztechniken von Sigmund Freud Die von Sigmund Freud10 dargestellten Witztechniken passen zur Denkstrategie 3: Umwegdenken. Witz lebt von ungewöhnlichen Formulierungen, die beim Leser oder Zuhörer erst Lachen auslösen und damit den Inhalt erinnerungsfest machen (s. Teil 4, Kap. 20). Witz ist willkommen in fast jeder Kommunikation (bis auf traurige Ereignisse) und gefragt bei Antrittsreden, Change-Management-Reden, Krisenreden, Rundschreiben, persönlichen Briefen. Vorsicht bei der Wortwahl! Der Witz muss zum Anlass passen, sonst wird es peinlich.

3.2.1.1 Verdichtung und Mischworte Durch Verkürzung des Satzes verdichtet sich der Satzinhalt, er wird mehrdeutig und erzeugt Missverständnisse. Weggelassene Worte bieten eine Chance für Leser und Zuhörer, den Satz nach ihrer eigenen Fantasie zu komplettieren. Kürze bringt Würze, Dramatik und Wucht. Diese Art von Witz findet sich insbesondere in Landstrichen, in denen Wortkargheit üblich ist. Wortkarge Sätze wirken schrullig und entwickeln so ihre Komik: • Wichtige Erkenntnis nach dem Urlaub: „Gebräunte Haut wiegt 3 kg mehr.“ Mischworte lassen witzige und unsinnige Bedeutungen entstehen. Das Zusammenziehen oder Kombinieren von Wörtern macht aus zwei Wörtern ein neues. Die Kombination von zwei Wörtern bildet einen Doppelsinn und wird Kofferwort genannt. • Ausländer werden in Japan mit Gaijin bezeichnet (Kombination der beiden Wörter Ausland und Mensch). Nach der Tsunami mit Kernreaktor-Unfall in Fukushima ergriffen viele Ausländer die Flucht vor den Folgen einer atomaren Umweltverschmutzung und verließen Japan. Daraufhin wurde das abwertende Mischwort Flyjin geprägt (Kombination: Flucht und Mensch). Freud nennt diese Witztechnik auch Verschiebung im Sinne einer Abweichung vom normalen Denken.11 Im Traum finden sich oft Verschiebungen, indem ein Wunsch durch sein Gegenteil repräsentiert wird.

10Sigmund 11Sigmund

Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, Fischer 2012. Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, Fischer 2012, S. 75.

3.2  Witztechniken als Katalysatoren für Umwegdenken

101

• Stolz berichtet ein Mann seinem Freund über ein Treffen mit dem Bankier Rothschild. Normalerweise ist so ein Treffen nicht möglich und schon gar nicht, dass dieser ihn auch noch ganz familionär (zusammengesetzt aus „familiär“ und „Millionär“), also wie seinesgleichen, behandelt.12 Bertolt Brecht hat in die Theater-Dramaturgie den Verfremdungseffekt (V-Effekt) eingeführt:13 Gegenstände und Personen werden ungewöhnlich arrangiert, durch Verschiebung wirkt eine Szene fremdartig. Sinn der Verfremdung ist, dass der Zuschauer sich nicht einfach mit den Situationen identifizieren kann. Durch kritische Distanz werden Empathie erschwert und Nachdenken angeregt. Solche ungewöhnlichen Effekte werden in Werbung und Film bewusst eingesetzt, um beim Betrachter erhöhte Aufmerksamkeit und Spannung zu erzeugen. Das geht auch z. B. bei kreativen Produktpräsentation. Je kreativer der ungewöhnliche Effekt ist, umso mehr Aufmerksamkeit wird ausgelöst. • Ein Piano Grand steht am Strand in den auslaufenden Wellen, wo es normalerweise nicht steht (Abb. 3.3). Schwarze Vögel fliegen durch die Luft. Die Verfremdung ist offensichtlich, da Pianos üblicherweise nicht am Strand und im Wasser stehen. • Begriffe werden wörtlich genommen und visualisiert wie „just in case.“ Das Wort „just“ liegt im Bild innerhalb des Aktenkoffers (Abb. 3.4). • Der Begriff Alcoholidays ist eine Anspielung auf genussreiche Fest- und Ferientage mit zu viel Essen und Trinken, steht also für Feiertage und Alkoholgenuss.14 In dem Zusammenhang entstand auch der kardiologische Begriff „Happy Holiday Syndrom“ für Herzrhythmusstörungen nach überhöhtem Alkoholgenuss, der oft während der Feiertage stattfindet. • Zusammengesetzt aus inspire und realize ist der Begriff Inspirelize mit der Bedeutung, dass Ideenfindung und Ideenrealisierung zusammengehören. Mischworte hören sich im Deutschen nicht so elegant an wie im Englischen: „inspirealisieren“. Allerdings haben wir Koffer- bzw. Schachtelworte, die effektvoll benutzt werden können, wie z. B. „Teuro“, also der „teure Euro“ in Anspielung auf die mit seiner Einführung verbundenen empfundenen Preiserhöhungen.

12Sigmund

Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, Fischer 2012, S. 35. der Filmbegriffe: http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag= det&id=1574; Artikel zuletzt geändert am 12.10.2012; http://globalshakespeares.mit.edu/ glossary/distancing-effect/. 14Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, Fischer 2012, S. 38. 13Lexikon

102

3  Denkstrategie: Umwegdenken

Abb. 3.3   Wassermusik Abb. 3.4   „Just in case“

• Doctainment ist ein neues Magazin-Segment, bei dem Unterhaltung und Gesundheitsberatung miteinander verbunden werden. Im Begriff geschieht dies durch die Verbindung der beiden englischen Wörter Doctor und Entertainment. Der Jahreszeiten Verlag legt im Februar 2018 in diesem Segment einen Gesundheitstitel namens Dr. Johannes Wimmer auf, dessen gleichnamiger Autor mit frech, sympathisch, verständlich und kompetent

3.2  Witztechniken als Katalysatoren für Umwegdenken

103

beschrieben wird.15 Der Gruner + Jahr Verlag legt das Magazin „stern gesund leben“ mit Dr. Eckart von Hirschhausen neu auf.16 • Der Bekleidungsstil smasual (smart & casual) deutet mit der Aussprache „smash(ual)“ auch in Richtung einer besonders „hitverdächtigen“ Bekleidung, die herausragt wie ein Hit. • Die Journalistin Caroline Mohr leitet bei der Bildzeitung den Bereich Social Media und formte für ihren Blog das Mischwort: Mohrenpost.de, zusammengesetzt aus ihrem Familiennamen Mohr und dem Begriff Morgenpost. • Das Online-Magazin Slate benutzt das Wortspiel The Slatest anstelle von „The Latest“. Das ist ein gutes Beispiel für ein gewitztes Branding mit dem Produktnamen „Slate“ (www.slate.com). Auf solche Idee kann bei genauer Betrachtung und Brainstorming mit Namen und Begriffen jeder kommen. • Soziale Netzwerke benutzen Wortkombinationen zum Produktbranding. So bietet Twitter unter dem Kunstwort Twournal an, die Tweets der Kunden auch als Tagebuch zu drucken und zu binden. Das ist eine clevere Idee, um das Ego von Twitter-Schriftstellern zufriedenzustellen und eine gute Neuerung im Bereich Selbstpublikation (www.twournal.com).

3.2.1.2 Provokation und Witz Durch einen auf den ersten Blick oder das erste Hinhören entstandenen Widerspruch kann ein provozierender Witz entstehen. • „Wer sich nicht dumm stellen kann, ist es.“ Dies ist die Kurzform von: „Der Vorteil der Klugheit besteht darin, dass man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwieriger.“ (Kurt Tucholsky)17 • „Zeit, die man gerne verschwendet, ist nicht verschwendet.“ (im englischen Original: „Time you enjoy wasting was not wasted.“ (John Lennon)18

15RP:

Internet-Doktor praktiziert auch in Print, HORIZONT v. 16. Nov. 2017, S. 10; Hier ein Beispiel für Dr. Johannes Wimmers Erklärfilme auf Youtube: http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/visite/Dr-Wimmer-Das-perfekte-Arzt-Patient-Gespraech,visite13296. html. 16http://meedia.de/2017/10/19/noch-ein-testimonial-magazin-aus-dem-hause-gj-neuauflage-von-stern-gesund-leben-mit-dr-eckart-von-hirschhausen/. 17https://www.spruch-des-tages.org/zitate/563-der-vorteil-der-klugheit-besteht-darin-dassman-sich-dumm-stellen-kann-das-gegenteil-ist-schon-schwieriger?chronoform=spruchsenden&event=submit&hitcount=0. 18https://quoteinvestigator.com/2010/06/11/time-you-enjoy/.

104

3  Denkstrategie: Umwegdenken

• „Der Hauptgrund für Stress ist der tägliche Umgang mit Idioten.“ (Albert Einstein)19 • „Ich habe Kleider getragen, die einen höheren IQ hatten als du.“ (im englischen Original: „I’ve worn dresses with a higher IQ than you.“ (Wanda zu Otto im Spielfilm: A Fish called Wanda)20

3.2.1.3 Sinn mit Unsinn Ein rhetorischer Erfolg muss nicht immer Sinn ergeben und vernünftig sein:21 • „Willst Du Gott zum Lachen bringen, verrate ihm deine Pläne.“ (Blaise Pascal)22 • „Für das Schreiben eines Romans gibt es drei Regeln. Leider kennt sie keiner.“ (William Somerset Maugham)23

3.2.1.4 Spiel mit Sprache Im Wortspiel lassen sich gewitzte, smarte Ideen finden, egal, ob mit Tiefsinn, als Kalauer oder Schüttelreim. Solche Sprachgebilde sind vielseitig einsetzbar, auch als Eselsbrücken, und das desto besser, je ungewöhnlicher, schräger und witziger die Wortwahl und der Formulierungsstil sind.

19http://www.habitgym.de/stresspraevention/. 20https://www.youtube.com/watch?v=E5IQnQhzMSI. 21Sigmund

Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, Fischer Klassik 2012, S. 72. 22Blaise Pascal: „If you want to make God laugh, tell Him about your plans.“; http:// skuhala.com/2016/04/21/blaise-pascal-1623-1662-war-ein-franzoesischer-mathematiker-physiker-literat-und-christlicher-philosoph/; http://www.gehvoran.com/2014/10/wenndu-gott-zum-lachen-bringen-willst-erzaehl-ihm-von-deinen-plaenen/. 23Somerset Maugham zit. in Malcolm Kushner: Erfolgreich präsentieren für Dummies, 3. überarbeitete Aufl., Wiley 2011, S. 107 (im englischen Original: „There are three rules for writing a novel. Unfortunately, no one knows what they are“); https:// books.google.co.th/books?id=PGdXkb7a_AkC&pg=PA107&dq=F%C3%BCr+das+ Schreiben+eines+Romans+gibt+es+drei+Regeln.+Leider+kennt+sie+keiner.+(William+Somerset+Maugham&hl=en&sa=X&ved=0ahUKEwjY8pO7nunZAhUGpI8KHaaFAaIQ6AEIJzAA#v=onepage&q=F%C3%BCr%20das%20Schreiben%20eines%20 Romans%20gibt%20es%20drei%20Regeln.%20Leider%20kennt%20sie%20keiner.%20 (William%20Somerset%20Maugham&f=false.

3.2  Witztechniken als Katalysatoren für Umwegdenken

105

• Wie in diesem Kapitel bereits erwähnt, fand eine innovative Farm für organische Agrarprodukte in Santa Clara Valley (Ventura County), USA, ihren Namen, indem die Gründer das Wort „organic“ rückwärts gelesen haben und so zu ihrem Firmennamen gekommen sind: CINAGRO.24 • „Schreiben ist leicht – man muss nur die falschen Wörter weglassen.“ (Mark Twain)25 • „Ich jogge nie, denn dabei würde ich meinen Martini verschütten.“ (George Burns)26 • „Und weil er Geld in Mengen hatte, lag stets er in der Hängematte.“ (Sigmund Freud)27 • „Nothing is impossible, the word itself says: I’m possible!“ (Audrey Hepburn)28

3.2.1.5 Akronym mit Botschaft Akronyme sind Worte oder Namen, die aus der Abkürzung eines langen Begriffes oder Arbeitstitels entstehen. Meist bildet man das Akronym aus den ersten Buchstaben der Kernwörter mit dem Ziel, einen eigenen Begriff zu formulieren. Wenn das Wort oder der Name eingängig ist, kann es als Eselsbrücke und Mnemotechnik dienen. Siehe dazu die folgenden Beispiele: • S.M.A.R.T.: Das Akronym beschreibt, wie eine klare Anweisung aussehen sollte. „Spezifisch, messbar, ausführbar, realistisch, terminiert“ (im englischen Original: Specific, measurable, actionable, realistic, time bound). • C.E.O.: Der Langtext für CEO ist üblicherweise als „Chief Executive Officer“ bekannt. Aber man muss den CEO auch als „Chief Education Officer“ verstehen, weil Mitarbeiter vom CEO unterstützt und gecoacht werden. Ferner kann man den CEO als „Chief Entertainment Officer“ verstehen, weil CEO-Reden auch in origineller und witziger Form die Mitarbeiter zum engagierten Mitarbeiten einladen sollten. Beide Rollen sind wichtig, um junge wie alte Mitarbeiter für das Unternehmen zu inspirieren. Denken Sie an die vielen

24S. zu

den Produkten der Firma CINAGRO: http://cinagro-farms.com/.

25https://www.aphorismen.de/zitat/61937. 26„I  never

go jogging, it makes me spill my Martini.“ https://quotefancy.com/ quote/1001623/George-Burns-I-never-go-jogging-it-makes-me-spill-my-martini. 27Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, Fischer 2012, S. 105. 28https://www.telegraph.co.uk/culture/culturepicturegalleries/11580796/Audrey-Hepburn19-of-her-most-inspirational-quotes.html?frame=3290423.

106

3  Denkstrategie: Umwegdenken

Metaphern aus der Seefahrt: „Kapitän“ für CEO, „Kurs“ für „strategische Richtung“. • S.O.S.: Dieses bekannte Morsezeichen und Notsignal insbesondere als Seenotruf („save our souls“ kann beim Urlaub am Meer auch als „Sound of Surf“ interpretiert werden. Es weckt Aufmerksamkeit, wenn jemand mit Anspielung auf den Klang der Wellen sagt: „Ich liebe diesen SOS“ – und dann die andere Erklärung („Sound of Surf“) anschließt, da mit dem Akronym S.O.S. die negative Bedeutung stark verbunden ist.

3.2.1.6 Modifikation mit Spannung Die Modifikation einer Aussage kann deren Sinn widersprüchlich machen und dadurch Fragen und Spannungen auslösen. • Erfolg versus Misserfolg spiegelt der Satz: „Er hatte eine große Zukunft hinter sich.“ (im englischen Original: „He had a great future behind him.“). Dies beschreibt einen Mann, der nicht mehr erfolgreich ist oder nicht mehr erfolgreich sein kann, aber aus einer sehr erfolgreichen Familie stammt. • Jemand wünscht dem CEO einer Aufzugsfirma: „Ein glückliches neues Jahr mit aufsteigenden Umsätzen!“ (im englischen Original: „HAPPY NEW YEAR with Elevating Sales!“)

3.2.1.7 Worttrennung mit Witz Dieser Witzeffekt gelingt in der englischen Sprache oft besser, da Wörter mit derselben Aussprache oft völlig unterschiedliche Bedeutungen haben oder bei Trennung sinnentstellt werden. • Robin Hood soll gesagt haben, dass es seine Pflicht und Rolle sei, ein „lively Hood for a livelihood“ zu sein. Hier wird mit dem englischen Wort für Lebensunterhalt (livelihood) gespielt, das im Englischen auch den Bestandteil „hood“ von Robin Hood enthält. • Das Setzen eines Punktes allein kann schon einen neuen Sinn schaffen. William, der Leadsänger der Gruppe Black Eyed Peas, hat seinen Vornamen in seinen Markennamen geändert und ihm einen neuen Sinn verliehen. Aus William wurde durch die Aufteilung in Silben Will.I.am. Ein anderes Beispiel ist der Vorname Ido, der durch Einfügung eines Punktes in eine Aktion umgewandelt werden kann: I.do. Der Witz kann auch nur einem Punkt liegen. • Das Setzen eines Kommas kann im Deutschen eine große Wirkung haben. So ist es ein großer Unterschied, ob ein Richter dem Henker schreibt: „Wartet nicht, exekutieren!“, oder: „Wartet, nicht exekutieren!“, was bedeutet: „Urteil nicht ausführen!“

3.2  Witztechniken als Katalysatoren für Umwegdenken

107

3.2.1.8 Wortspiele mit Witz Ein Witz kann durch die Verwendung unterschiedlicher Wörter mit gleichem Wortstamm oder unterschiedlicher Bedeutung durch einen Dialekt entstehen. Ein Witz entsteht auch dadurch, dass Aussagen wortwörtlich genommen werden, vergleiche die beiden letzten Beispiele. Witze durch Wortverdrehungen können in einer Rede auch eine Situationskomik (Slapstick) kreieren und so eine ernste Aussage abfedern. • Der für seinen Witz bekannte ehemalige Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel begrüßte die Kongressteilnehmer des deutschen Gipserverbandes einmal mit den Worten: „Guten Morgen, meine Damen und Herren – ich habe noch nie in meinem Leben so viele Gipsköpfe an einem Ort versammelt gesehen.“ • Nicht so provozierend, sondernd ganz einfach und doch überraschend lustig eröffnete Erich Harsch (Vorsitzender der Geschäftsführung dm-drogerie markt) 2016 seine Rede in einer Panel-Diskussion in Berlin zum Thema Meditation & Wirklichkeit so: „Liebe Kundinnen und Kunden von DM.“29 Das Gelächter der über 500 Teilnehmer belohnte den Witz. • Soziale Netzwerk Plattformen lösen Wortspiele aus. So wurde Facebook wegen der vielen Falschinformationen und wegen der auf Facebook kursierenden Nachreden als Hatebook ettikettiert.30 • Das Wortspiel mit Limited versus Un-Limited Edition in einer Verkaufsinitiative entstand mit der Frage: „Warum muss das speziell ausgestattete Produkt immer ‚Limited Edition‘ heißen, warum nicht mal ‚Un-Limited Edition‘?“ Das sollte bedeuten, dass alles möglich und un-begrenzt ist. • Der Schriftsteller Heinrich Heine sagte einmal: „Die Satire wäre nicht so bissig geworden, wenn der Autor mehr zu beißen gehabt hätte.“31

3.2.1.9 Aussprache mit Witz Durch den Austausch eines Wortes oder eines Buchstabens oder durch die Veränderung in der Aussprache kann ein Witz erzeugt werden. Darüber muss man sich bei Verwendung einer Fremdsprache mit Redewendungen im Klaren

29Meditation

& Wirklichkeit – Macht, Zweck, Sinn; Interdisziplinärer Kongress zur Meditations- und Bewusstseinsforschung, 25.–26. November 2016 in Berlin. 30Cicero – Magazin für politische Kultur, Nr. 3 März 2017. 31https://www.lernhelfer.de/sites/default/files/lexicon/pdf/BWS-DEU2-0524-06.pdf; http:// www.erika-mitterer.org/dokumente/ZK_2014-2/goltschnigg_urlaubsgenosse_2014-2.pdf, S. 7.

108

3  Denkstrategie: Umwegdenken

sein. Eine wörtliche Übersetzung erfasst unter Umständen nicht solche Redewendungen wie z. B. in dem Satz: „… if he really is the best man, why isn’t she marrying him instead?“ Aussprachefehler können in Sprachen mit Homonymen (gleiche Aussprache von Wörtern mit völlig verschiedenen Bedeutungen) leicht passieren, wie z. B. in der chinesischen oder japanischen Sprache. So erhält die Bezeichnung für das japanische Finanzministerium „Okura Sho“ eine witzige Bedeutung, wenn man nur einen Vokal ändert: „Okera Sho“.32 Ich habe diesen Witz gerne bei japanischen Kollegen oder Freunden eingesetzt, wenn ich über das Finanzministerium gesprochen habe. Japaner gehen natürlich erst einmal höflich von einem Versprecher aus, da „Okera“ die Bedeutung „arme, nackte Maus“ hat. Bei der japanischen Staatsverschuldung bekommt dieser vermeintliche Versprecher natürlich einen gewitzten Tiefsinn. Kleine unbewusste Ausspracheänderungen in tonalen Sprachen wie Chinesisch oder Thai können neben Staunen aber auch Peinlichkeit auslösen. Als Expat sollten Sie einen Witz vor dem Einbau in eine Rede von einem Muttersprachler (Kollege, Sekretärin, Sprachlehrer) prüfen lassen. Der bewusst gesetzte Witz will vom Timing her gut vorbereitet sein. Oft steht viel auf dem Spiel bei einer Rede an Geschäftspartner oder Mitarbeiter – der Witz muss passen und sympathisch sein.

3.2.1.10 Schreibfehler mit Witz Wir lachen gerne über die Fehler anderer wie beispielsweise über Schreibfehler: • „He was so nervous, he suddenly started to paint in front of everybody.“ (Witz: Anstreichen statt in Ohnmacht fallen) • „My dentist makes me blush twice a day.“ (Witz: Erröten statt bürsten) • „When I got home, I had a massage on the answering machine“ (Witz: Massage statt Message = Botschaft)

3.2.2 Witztechniken von Lucy Kellaway Die Journalistin Lucy Kellaway arbeitet an einer Stilblütensammlung, die sie Guffipedia33 nennt. Dieser Begriff ist ebenfalls ein Mischwort, kreiert aus den beiden Wörtern: Guffaw (lautes, spöttisches Gelächter) and Encyclopedia (Lexikon).

32Sigmund 33Lucy

Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, Fischer 2012, S. 35. Kellaway: https://ig.ft.com/sites/guffipedia/.

3.2  Witztechniken als Katalysatoren für Umwegdenken

109

Guffipedia ist Lucy Kellaways Begriff für dumme Formulierungen und Wörter aus der Wirtschaft. Ihre Technik nutzt die Denkstrategie 3: „Spiele und experimentiere mit der schlechtesten Idee, um etwas Besseres und Neues zu machen.“ Sie formuliert aus dummen Formulierungen unerwartete und provozierende Wortspiele, entwickelt aus Gegensätzen neue anregende Ideen, sie verdreht stehende Redewendungen oder sinnlose Formulierungen durch Neuinterpretation. Für ihre Guffipedia sammelt sie verunglückte Formulierungen aus PR-Publikationen von Unternehmen, unverständliche und meist nur effekthaschende Worte, Jargon und Phrasen, die sich in Werbung, Rundschreiben und Geschäftsberichten finden.34 Lucy stellt etwas infrage, was für allgemein richtig gehalten wird. Mit dieser „Sei-anders-Technik“ schreibt sie geistreich provozierende Kolumnen. Der Trick bei diesem Vorgehen ist, einen Widerspruch zu erzeugen, der beim Leser zuerst Neugier und dann Widerspruch und Fragen erzeugt. Bei Schaffung einer solchen Formulierung können die Techniken von Sigmund Freud oder die fünf Methoden von Matthew Diffee angewandt werden. Der Leser fragt sich beispielsweise bei den folgenden Überschriften: „Warum ist Glück offensichtlich ein Handicap?“, „Warum sind wir dumm, wenn wir smarte Produkte brauchen?“, „Warum sind Kopien die besten Erfindungen?“ Lucy arbeitet mit dem Trick, dass ihre Überschriften etwas allgemein Akzeptiertes auf den Kopf stellen. Lucy Kellaways gewitzte Überschriften im englischen Original: • „It’s obvious that being happy is a serious handicap.“ • „We need smart products because we are stupid.“ • „Copying is the mother of all the best inventions.“ Eine der besten Storyideen im witztechnischen Sinne ist Lucys Wimbledon-Kolumne. Hier schreibt sie über Tennis in Wimbledon. Als Thema wählt sie aber die Balljungs – und nicht wie die meisten Journalisten die Tennis-Champions (s. Teil 4, Kap. 14).35 Lucy Kellaway ist gewitzt im Umwegfinden von Ideen. Sie sucht ihre Themen an Stellen, die sich für eine Recherche nicht unbedingt aufdrängen. Beispielsweise überprüfte sie die Arbeitszeiten von Führungskräften (Executives) über deren Aussagen auf einer Dating Website. Keiner gab zu,

34Lucy Kellaway: Guffipedia – the shopping mall experience, FT, 20. April 2016. Diesmal gewann die Wortbildung „Experiential creative hub“ als aufgeblasene Bezeichnung für eine einfach nur renovierte Shopping Mall. 35Lucy Kellaway: Ball boys demonstrate power of training, FT, 1. Juli 2012; https://www. ft.com/content/333450c8-c15d-11e1-8eca-00144feabdc0.

110

3  Denkstrategie: Umwegdenken

dass er mehr als 40 Stunden arbeitete: „Each was asked to say how much they worked every week. I couldn’t find a single one admitting to working more than 40 hours.“36 Lucy Kellaways Wechsel von der erfolgreichen Journalistin in den Lehrdienst war erneut eine geistreiche Überraschung. So schrieb sie am 20. November 2016 in der FT, ein Jahr vor ihrem vorzeitigen Ruhestand: „I’m leaving and want you to join me – after 31 years at the Financial Times I am becoming a teacher and have set up NOW TEACH.“37 Das ist nicht nur ein Abgang mit Paukenschlag, sondern ein gewitzter Launch ihrer neuen Berufsidee: NOW TEACH. Jetzt berichtet sie in der FT offen und ehrlich, wie es ihr dabei ergeht.

3.2.3 Witztechniken von Matthew Diffee Witz ist geistreiches Umwegdenken mit einer Prise Humor. Das gilt natürlich auch für eine geistreiche Karikatur, bei der mit Text und Bild gespielt wird. Als anschauliches Beispiel kann hier Matthew Diffee angeführt werden, der auf TED Talks seine fünf Methoden darstellt, mit deren Hilfe er auf seine Karikaturen kommt.38 Die Diffee-Methoden können m. E. auch in anderen professionellen Arbeitsgebieten eingesetzt werden. So behauptet der bekannte Karikaturist, dass die besten Cartoons als Zu- oder Unfall entstehen. Diese Behauptung stellten viele der von mir Befragten auf. Auf der anderen Seite zeigt gerade Matthew Diffees Vorgehen, dass er seine Ideen durchaus systematisch generiert und nicht alles dem Zufall überlässt (s. Teil 1, Kap. 3). Jeden Morgen kocht Matthew Diffee erst einmal Kaffee, um dann auf leeren Papierseiten spontane Textideen zu sammeln. Während sich die Kaffeekanne leert, füllt sich die Seite Papier. Dieser Prozess dauert rund zwei Stunden. Die Kaffeekanne ist im Grunde eine Denktaktik, um positive Stimmung einzustellen. Beethoven hatte ähnlichen Kaffeedurst, wobei er vor der Zubereitung pro Tasse noch 60 Kaffeebohnen abzählte. Letztlich liegt es an Ihnen, einen Ort zu finden und Dinge bereitzustellen, mit denen Ihre Konzentration, Motivation und kreative Stimmung steigt (s. Teil 2, Kap. 6).

36Lucy

Kellaway: January is for cutting down on long hours, not alcohol, FT, 24. Jan. 2016. Kellaway, FT, Nov. 20, 2016: https://www.ft.com/content/ed9bc938-acb7-11e69cb3-bb8207902122. 38Matthew Diffee auf TED Talks: How to get a great idea: https://www.youtube.com/ watch?v=tAMbxnEtNxE. 37Lucy

3.2  Witztechniken als Katalysatoren für Umwegdenken

111

Im TED-Talk-Video zeigt Matthew Diffee zu jeder seiner fünf Praktiken die entsprechende Karikatur: 1. Addition: Der Inhalt wird durch Hinzufügen ungewöhnlicher Worte oder Zeichen zum Witz verzerrt. 2. Subtraktion: Das Kürzen von Inhalt erzeugt Witz. Diese Methode entspricht in der Systematik von Sigmund Freud der Verdichtung und Verkürzung. 3. Vertauschen: Ein unerwarteter Perspektivenwechsel durch Austausch von Orten, Zeiten oder Symbolen erzeugt Witz. 4. Wenden: Der Inhalt wird auf den Kopf gestellt und ins Gegenteil verdreht. 5. Vermischen: Unterschiedliche, sich nicht ergänzende Sachverhalte werden vermischt.

3.2.3.1 Addieren Dieb sagt mit gezogener Pistole zur Frau: „Gib die Tasche her und zieh die Stöckelschuhe gleich mit aus. Ich nehme beides, es sieht elegant aus und passt sehr gut zusammen.“ Der Trick: Nehmen Sie eine normale Situation und ergänzen Sie sie um etwas, das in dieser Situation ungewöhnlich ist. Ungewöhnlich und komisch ist hier, dass der Dieb sich beim Überfall modebewusst verhält.39

3.2.3.2 Subtrahieren Boss sitzt am Schreibtisch, sein Mitarbeiter der anderen Seite, Boss sagt: „Hallo Jim, sag mal: Wo denkst und siehst Du Dich in ungefähr zehn Minuten?“40 Der Trick: Spielen Sie einen peinlichen Aspekt herunter und verkürzen Sie ihn wie beispielsweise hier bei der unerwarteten fristlosen Kündigung. Dieses Zusammenspiel erzeugt in einer peinlichen Situation den komischen Witz. Weiteres Beispiel: Taxifahrer sagt: „Das macht dann 13 Euro.“ Darauf der Fahrgast: „Oh, ich habe nur 10 Euro, dann fahren Sie bitte ein Stück zurück.“

39Matthew

Diffee: How to get a great idea, TEDxRedding at YouTube: https://www. google.com/webhp?sourceid=chrome-instant&ion=1&espv=2&ie=UTF-8#q=Mathew+Diffee+at+TED-Redding (Min. 3:23 aus 14:43). 40Matthew Diffee: How to get a great idea, TEDxRedding at YouTube: https://www. google.com/webhp?sourceid=chrome-instant&ion=1&espv=2&ie=UTF-8#q=Mathew+Diffee+at+TED-Redding (Min. 3:53 aus 14:43).

112

3  Denkstrategie: Umwegdenken

3.2.3.3 Vertauschen Der Kapitän hat am linken Arm eine Prothese und sagt zum anderen Piraten: „Damals habe ich noch an einem anderen Ort gearbeitet.“ Anstelle eines Hakens hat er einen Pfannenwender am Ende der Prothese.41 Der Trick: Die Situation wird zeitlich in die Vergangenheit, in die Zukunft oder an einen anderen Ort transferiert. Was wäre jetzt, wenn dieses Ereignis in der Vergangenheit nicht passiert wäre oder wie würde sich das jetzige Ereignis auf die Zukunft auswirken, wenn ich 80 Jahre alt bin? Diese Verschiebung erzeugt Überraschung und Komik durch Verfremdung.

3.2.3.4 Wenden Vater spricht zum Sohn nach der Beerdigung des verstorbenen Hundes. Die Frage des Sohnes ist im Text unter der Karikatur nicht enthalten. Die Antwort des Vaters lässt sie aber vermuten: „Oh ja, sicher so wird es sein … Es sei denn … Er kommt in die Hundehölle.“42 Der Trick: Sinn, normale Vorstellung und normale Antwort, die man mit gesundem Menschenverstand erwartet, wird auf den Kopf gestellt. Der Text wird in dem Beispiel ins Gegenteil – hier eine makabere Situation – gedreht. Das erzeugt Befremdung, Überraschung und dadurch Komik. Ein weiteres Beispiel zu dieser Wende-Technik finden Sie in dem TED-TalkVideo von James Veitch: James tut genau das Gegenteil dessen, was uns immer wieder bei Spam-E-Mails dringend empfohlen wird: „Nicht aufmachen!“43 Aber James öffnet die Spam-Mail! Daraus entwickelt sich nicht das erwartete Unglück, sondern ein großer Spaß.

3.2.3.5 Vermischen Jemand tanzt und schwenkt seine Arbeitsjacke. Auf dem Schild über dem Toreingang steht: „Leons Schrottplatz und Zentrum für Interpretationstanz“ (im englischen Original: „Leon’s Auto Salvage and Center for interpretive dance“).44 41Matthew

Diffee: How to get a great idea, TEDxRedding at YouTube: https://www.goo­ gle.com/webhp?sourceid=chrome-instant&ion=1&espv=2&ie=UTF-8#q=Mathew+ Diffee+at+TED-Redding (Min. 4:03 aus 14:43). 42Matthew Diffee: How to get a great idea, TEDxRedding at YouTube: https://www.goo­ gle.com/webhp?sourceid=chrome-instant&ion=1&espv=2&ie=UTF-8#q=Mathew+ Diffee+at+TED-Redding (Min. 4:18 aus 14:43). 43James Veitch: This is what happens when you reply to spam email. https://www.youtube. com/watch?v=_QdPW8JrYzQ, 2016. 44Matthew Diffee: How to get a great idea, TEDxRedding at YouTube: https://www.google.com/webhp?sourceid=chrome-instant&ion=1&espv=2 &ie=UTF-8#q=Mathew+Diffee+at+TED-Redding (Min. 4:32 aus 14:43).

3.2  Witztechniken als Katalysatoren für Umwegdenken

113

Der Trick: Ergänze und vermische die Situation mit einem Aspekt, der eigentlich nicht dazugehört. Das erzeugt Komik durch den „Irr-sinn“. Kommentar zum Beispiel: Ein Schrottplatz ist unter normalen Umständen nicht gleichzeitig eine Tanzschule für interpretierenden Tanz.

3.2.4 Witztechnik mit Lachen und Staunen Ein Witz löst nicht nur Lachen aus: Hahaha, sondern auch Staunen: WOW. Das erfolgt durch eine geistreiche Bemerkung oder durch die ungewöhnliche Kombination fremdartiger Dinge und Themen: Hund mit Sonnenbrille im Liegestuhl, Frosch auf Motorrad mit Handy, Kamel im Flugzeug. Lachen und Staunen lassen sich einfacher auslösen, als man denkt – durch „Um-Denken“, „Frei-Denken“, „Neu-Denken“, „Quer-Denken“, „Anders-Denken“, „Ungewöhnlich-Denken“ sowie „Unberechenbar-Denken“. Der Witz ist auch Ergebnis eines „kombinatorischen Spiels“ im Sinne von Albert Einsteins Definition der Kreativität.45 Beziehen Sie meine Ausführungen zum Witz nicht auf eine landläufige Lachnummer, sondern auf eine geistreiche Formulierung oder geistreiche Situationsbeschreibung im Sinne von pfiffig, hintergründig, gewitzt und kreativ. Humor ist ein wichtiges Kommunikationsmittel, um schwierige Botschaften in spielerischer Form rüberzubringen. Humor zeigt eine spielerische, positive Haltung zum Leben. Es heißt ja auch: „Humor hat, wer trotzdem lacht.“ Das ist die Grundhaltung des Lebenskünstlers, da mehr Humor auch mehr Lebenszufriedenheit bedeutet.46 In Umstrukturierungen oder im Management von interorganisatorischen Beziehungen (Allianzen, Fusionen, Beteiligungen, Netzwerken) sind wirksame Botschaften beim Change-Management gefragt, auch wenn sie unangenehm oder bitter sind. Die Kernfrage ist dann: Wie gestalte ich die Botschaft gewitzt, inspirierend und überzeugend, damit die Mannschaft überzeugt mitzieht? (s. Teil 4, Kap. 20).

45Sigmund

Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, Fischer 2012, S. 32 ff. Ruch zit. bei Philip Bethge: Die Macht der Pointe – Psychologen erforschen die erstaunliche Wirkung des Humors, Der Spiegel 8/2009, S. 128–131, hier S. 131.

46Willibald

114

3  Denkstrategie: Umwegdenken

Die folgenden wenigen Beispiele sind Anhaltspunkte zum gewitzten Andersdenken und damit einsammeln neuer Ideen: • Gehen Sie andere Wege – nicht immer denselben, direkten linearen Weg, gehen Sie auch mal im Kreis. Dasselbe gilt für Fortbewegungsmittel – fahren Sie nicht immer PKW, sondern auch mal Bus, Bahn oder Fahrrad. • Wenn Sie in Eile sind, machen Sie – trotz Zeitdruck – auch mal einen Umweg. • Schauen Sie neugierig hinter die Kulissen. Studien haben festgestellt, dass Taxifahrer eine höhere Problemlösungsfähigkeit und bessere Ideen als Busfahrer haben. Der Grund: Sie fahren ständig andere Strecken und lernen dadurch immer wieder neue Wege und neue markante Punkte in der Stadt kennen.

3.2.5 Richtiges Timing Neben der Erfindung origineller Ideen ist wirksame Kommunikation eine der wichtigsten Führungsaufgaben. Was aber heißt wirksam? – Die Botschaft muss ankommen, verstanden werden und haften bleiben. Die große Bedeutung der Story oder Anekdote für die Kommunikation kommt daher, dass Zahlen oder Bulletpoints schlechter gemerkt werden können und eben nicht erinnerungsfest haften bleiben (s. Teil 4, Kap. 20). Das Erzählen von Geschichten hat lange Tradition, weil Geschichten die Fantasie packen und Vorstellung fesseln. Robert McKee, der Drehbuch-Professor aus Hollywood, lehrt in der Zwischenzeit auch Managern den wirksamen Einsatz von Storys beim Schreiben von Reden.47 Geschichten sind ein strategisches Führungsinstrument, es positioniert die Botschaft überzeugend, wenn es richtig gewählt und gesetzt wurde.48 Geschichten gehen unter die Haut und hinterlassen ein erinnerungskräftiges Gefühl. Genau das ist beim Überzeugungsvorgang so entscheidend – die Geschichte als „lebhaftes Beispiel“ und als „emotionale Brücke“ zum Zuhörer.49

47Robert

McKee: Story, HarperCollins 1997. Fryer: Storytelling That Moves People, HBR, June 2003, S. 51. Robert McKee: The importance of story telling in Business, Seminar 29. November 2013, https://www. youtube.com/watch?v=CCgwjA1Guzk. 49Jay A, Conger: The Art of Persuasion, hier zu den Aspekten ‚lebhafte Beispiele‘ und ‚Emotionalisierung‘, HBR, Mai-Juni 1998, S. 86–95 hier: 92–95. 48Bronwyn

3.2  Witztechniken als Katalysatoren für Umwegdenken

115

Noch ein Letztes: Gute Ideen brauchen auch das richtige Timing, damit die innovative Idee im Markt auch zum kommerziellen Erfolg wird. Wenn man eine gute Idee zu früh hat, ist das genauso schlecht, als wenn einem die Idee zu spät einfällt. So wurde der heute so populäre Selfiestick lange vor dem Selfietrend erfunden und fand zu der Zeit kaum Beachtung, da das soziale Netzwerk noch nicht die Attraktion zur Selbstdarstellung hatte. Die 1000+  • Fair Share ist ein oft benutzter Ausdruck in Verhandlungen oder privat am Familientisch, wenn es um Verteilung geht. Diesen Alltagsbegriff nahm die neugegründete Werbeagentur MULLENLOWE und verdrehte ihn gewitzt und provokativ zur Beschreibung ihres Unternehmenszweckes in „Un-fair Share of Attention“. Ihre Mission ist, dass die Mitarbeiter mit allem, was sie für ihren Mandanten tun, einen unverhältnismäßig großen Anteil an Aufmerksamkeit erreichen wollen. Ziel ist, „unfair viel“ Aufmerksamkeit für Produkte, Dienstleistungen und Marken der Mandanten im Markt zu erreichen. • Wie bereits in Teil 1 Kap. 1 erwähnt, veranschaulichte der Dekan einer Business School mit einem Wortspiel, wie neue Technologien unser Verhalten

Abb. 3.5   Freundschaftliche Geste

116

3  Denkstrategie: Umwegdenken

verändern. Er veränderte den bekannten Marketingeffekt Word of Mouth in Word of Mouse, weil heutzutage nicht mehr das persönliche Gespräch die Information verbreitet, sondern ein Mausklick die positive Information und kostenlose Werbung verschickt. So wird aus der Mund-zu-Mund-Propaganda die „Maus-zu-Maus-Propaganda“. • Das Umwegdenken zeigt sich auch in einem preisgekrönten Foto nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 (Abb. 3.5). Der Fotograf Sven-Erik Sjöberg hatte eine andere Perspektive gewählt als meist üblich: Er war auf die Ostberliner Seite der Mauer gefahren. Er hat Umwegdenken eingesetzt und ist herumgefahren. Die meisten Fotos wurden damals von der Westseite und der dort laufenden Party gemacht. Sjöbergs Foto war anders als alle anderen. Man sieht, wie ein Volkspolizist in Uniform auf die Mauer schaut. Aus dem Westen streckt jemand den ganzen Arm zum Gruß durch eine Maueröffnung. Dieses historische Bild hat der Fotograf mit Umwegdenken eingefangen.

4

Denkstrategie: Umformdenken

Drehen, wenden und verbessern

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie: • Das japanische Wort für Verbesserung ist Kaizen. Drehen, wenden und verbessern sind die ersten Schritte zur Innovation. Die Asiaten sagen: „Eine gute Kopie kann besser und billiger sein als das Original.“ • Neue Ideen entwickeln sich aus anderen Ideen. Es ist eine Kettenreaktion. • Verbesserung alter Produkte, Dienstleistungen, Prozesse und Ideen entsteht durch Denkschleifen. Wir müssen lernen, anders zu denken, freier zu denken, anzuhalten und nachzudenken, neu zu denken, drum herum zu denken und quer zu denken. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_4

117

118

4  Denkstrategie: Umformdenken

Der Meister kann die Form zerbrechen mit weiser Hand, zur rechten Zeit. (Friedrich Schiller)1

4.1 Verbessern: kein Plagiat In West und Ost ist Verbesserung eine der wichtigsten Aufgaben der Führungskraft. Dazu wird meist ein Benchmarking mit dem „best practice“-Wettbewerber gesucht. Die Suche nach dem Benchmark-Wettbewerber geht schnell, da man sich im Markt kennt und die Kriterien, die einen „best practice-Wettbewerber“ im Markt und in der Unternehmensführung operativ auszeichnen, schnell prüfbar sind. Hier einige Beispiele: • Höchste Kreativität gemessen am Umsatzanteil der innovativen Produkte und Dienstleistungen; mit anderen Worten wäre beim Benchmark der Umsatzanteil neuer Produkte sehr hoch, während alte Produkte und Dienstleistungen nur noch einen niedrigen Umsatzanteil beitragen. • Weitere Kriterien könnten sein: Beste Produktqualität, größter Marktanteil, stärkste Markenanziehung, bester Preis (im Sinne von „Preis-Leistungs-Verhältnis“), niedrigste Kosten bei gewollter Produktqualität, bestes Händlernetz, schnellste Logistik usw. Verbesserung ist ein iterativer Prozess in kleinen Schritten, bis sich das beste und günstigste Original findet. Verbesserung kann aber auch durch eine disruptive neue Idee auf einen Schlag entstehen. In Asien ist eine bessere Kopie dem Original mindestens ebenbürtig. Die Kopie gilt nicht wie im Westen als „nur Kopie“, „schlechtes Original“ oder gar „Plagiat“.2 Der Verbesserer konzentriert sich auf folgende drei Aspekte:

1Zit.

aus Friedrich Schillers Ballade: Das Lied von der Glocke; http://www.lyrikwelt.de/ gedichte/schillerg3.htm. 2Lucy Kellaway: Copying is the mother of all the best inventions, FT, 7. November 2011, S. 12. Sie stellt die Kopie lobend heraus und bedauert, dass keiner an Lehrkursen zum besseren Kopieren interessiert ist. Im Westen gelten Kopien zumindest als nicht originell, wenn nicht sogar als Plagiat, obwohl die in der Industrie üblichen „Benchmarking“- oder „Best Practice“-Analysen nichts anderes als Kopien sind.

4.2  Unverzichtbar: spielerische Neugier

119

1. Er entwickelt neue Ideen aus dem Verstehen der alten Produkte, der alten Prozesse und der alten Dienstleistungen. Es geht erst einmal darum, die Regeln des alten Produktes zu verstehen, ganz im Sinne von Pablo Picasso: „Lerne die Regeln wie ein Profi, damit du sie anschließend wie ein Künstler brechen kannst.“3 Am Anfang mag nur eine gute Kopie stehen, die aber zum alten Original attraktive Verbesserungen bringt. 2. Er beobachtet Probleme und greift sie zur Problemlösung auf. Beobachtung ist eine der fünf DNA-Bestandteile des Erfinders.4 Denkstrategie 4 kann auch andere Denkstrategien und Denktaktiken zur Unterstützung heranziehen. Umformdenken und Umwegdenken lassen sich gut kombinieren. 3. Er dreht, wendet und verbessert bereits bekannte Lösungen durch eine 360-Grad-Schau. Ziel sind neue Lösungen, die sich verkaufen lassen. Das ist ein kombinatorisches Spiel sowohl mit Zufall als auch mit Systematik. Bei Umformung geht es darum, etwas „einfach besser“ zu machen, während Umwegdenken durch das Beschreiten neuer Wege zu mehr Originalität führen soll.5

4.2 Unverzichtbar: spielerische Neugier Der Umformungsprozess ist spielerisch und durch Neugier gestützt. Die Idee bringt entweder der Zufall durch Schmökern und Blättern oder sie kommt durch systematisches Suchen oder durch die Beobachtung von Verbesserungsmöglichkeiten zustande. Das Spiel liegt im Drehen, Wenden und Verbessern des als nicht optimal Angesehenen. In der englischen Erstausgabe zum vorliegenden Thema mit dem Titel: Creativity Gym habe ich diesen spielerischen Umformprozess als „4Ts“ bezeichnet.

3Dieses

Zitat wird Pablo Picasso zugeschrieben: „Learn the rules like a pro, so you can break them like an artist.“ Allerdings verwenden andere Personen diesen Satz in abgeänderter Form, z. B. der Dalai Lama oder Alexander McQueen: https://whatsthepont. com/2015/07/25/learn-the-rules-like-a-pro-so-you-can-break-them-like-an-artist/. Der Satz diente auch als Werbemotto bei Einführung der A-Klasse mit: „Learn the rules and break them“ zur Beschreibung von technischen Innovationen. 4Jeffrey H. Dyer, Hal B. Gregersen, Clayton M. Christensen: The Innovators’ DNA – Five „discovery skills“ separate true innovators from the rest of us, HBR, Dezember 2009, S. 61–67; https://hbr.org/2009/12/the-innovators-dna. 5Patrick Barwise and Sean Meehan: Simply Better – Winning and Keeping Customers by Delivering What Matters Most, HBSP 2004.

120

4  Denkstrategie: Umformdenken

Abb. 4.1   Volocopter

Viermal „T“ steht für die Anfangsbuchstaben von toss & tinker, twist & tweak. Durch den Knetprozess mit drehen, wenden und verbessern werden aus alten Ideen neue gestaltet und geformt. Japaner nennen diesen Prozess Kaizen, was so viel wie „Verbesserung“ bedeutet. Alte Ideen werden durch neue Strukturen und durch neuen Inhalt verbessert. Analoge Prozesse werden heute immer wieder durch Digitalisierung erneuert und verbessert. In den Beispielen von 1000+ stelle ich eine Umformung vor, die im Shakespeare-Drama Der Sturm (The Tempest) auf der sonst analogen Theaterbühne der Royal Shakespeare Company in Stratford-upon-Avon durch neueste Intel-Technologie geschaffen wurde. Eine andere spielerische Umformung zum Thema Mobilität wurde im Jahr 2017 auf der Frankfurter Automesse IAA vor der Daimler-Halle gezeigt: Eine Zwei-Personen-Riesendrohne veranschaulichte die Aussage vom Dr. Dieter Zetsche, dass Autos sich bald „in drei Dimensionen“ bewegen werden (Abb. 4.1).6

6Thomas

Fromm: Honey, hol schon mal den Copter, Süddeutsche Zeitung, Plan W, 2017, S. 5.; https://www.youtube.com/watch?v=zjZRp0Ykt5c&vl=en.

4.3  Branding mit Bestleistung

121

4.3 Branding mit Bestleistung Die hier vorgestellte Denkstrategie 4: Umformung ist auch wieder eine Möglichkeit für Branding im persönlichen wie unternehmerischen Bereich. Das gilt insbesondere für Führungskräfte, denen ständig Verbesserungsideen einfallen und die sich dadurch einen Namen als Verbesserer schaffen. Gute Kopien haben Mehrwert. Folgen wir den oben vorgestellten Definitionen von Einstein und Steve Jobs, so ist dieser Prozess ein kombinatorisches Verknüpfen der richtigen Designpunkte, ein kreatives Kopfspiel. Nicht jede Innovation ist hundertprozentig neu. Innovationen enthalten immer alte Elemente. Die nächste Innovation ist schon erfunden, man muss sie nur voraussehen, wie Steve Jobs das konnte. Ein Beispiel dafür ist die Geschichte, wie Steve Jobs bei einem Besuch in der XEROX-­ Entwicklung deren PC sah. Danach forderte er sofort von seinen Designern die Entwicklung der bei XEROX gesehenen benutzerfreundlichen Features: Menu, Windows und Maus.7 Selbst hoch kreative Unternehmen wie Apple leben von weiterentwickelten Kopien, deswegen gibt es so viele Patentstreite im Hightechbereich. Die „Graphical User Interface“-(GUI) Technologie, die Steve Jobs für Apple geschmackvoll umgesetzt hatte, stammt also, wie die soeben erwähnte Episode belegt, ursprünglich von Xerox, einem Unternehmen mit bahnbrechenden Ideen, aber ohne Followup und einer fehlenden schnellen Umsetzung.8 Der fantasievolle Beobachter, Umsetzer und Verbesserer Steve Jobs sah sofort den Wert von GUI und griff zu, kopierte und verbesserte. Mit der Denkstrategie 4 Umformung können Sie kleine und große Designinnovationen durch Einsatz aller DNA-Elemente schaffen. Nochmals zur Erinnerung – die fünf DNA-Elemente des Erfinders sind: beobachten, fragen, experimentieren, networken und assoziieren. Wenn dieses kreative Quintett auch noch mit Empathie für Kunden- und Nutzerbedürfnisse erfolgt, dann wird die Innovation „einfach besser“. Das ist der Grund, warum im Design-Thinking-Prozess die Empathie in den folgenden fünf Designschritten die erste Stufe einnimmt: Empathie, Definition, Ideenfindung, Prototyp und Test (s. Teil 4, Kap. 16).

7Steve

Jobs and Xerox – The truth about innovation: http://zurb.com/article/801/steve-jobsand-xerox-the-truth-about-inno. 8Mike Masnick: Steve Jobs Was Willing To ‘Rip Off’ Everyone Else … But Was Pissed About Android Copying iPhone?, https://www.techdirt.com/blog/innovation/ articles/20111021/16380816459/steve-jobs-was-willing-to-rip-off-everyone-else-was-pissed-about-android-copying-iphone.shtml, Innovation 2011.

122

4  Denkstrategie: Umformdenken

Abb. 4.2   Digitales Sushi

• Oft sind es schon kleine Veränderungen, die eine Verbesserung ausmachen, beispielsweise in Preisbildung (Telekom Orange: Preis pro Sekunde statt pro Minute), Produktion (Toyota: sechs Lackschichten beim Lexus) oder der garantierten Auslieferungszeit (Cemex Zement: 20 Minuten statt drei Stunden), Präsentation des Produktes (Airbnb: bessere Fotografien der Wohnobjekte). • Der USB-Stick in Sushi-Form (Abb. 4.2) hat zwar keinen technischen Vorteil, ist aber eine witzige Designidee. Der Design-Gag animiert Kunden zum Kauf. Bei Präsentationen fällt ein solcher USB-Stick auf und dient einer humorvollen Einleitung.

4.4 Entstehung einer Service-Philosophie Nach Übernahme der Leitung einer Vertriebsgesellschaft entwickelte ich eine Serviceidee auf einem DIN-A4-Blatt. Die Kommunikationsabteilung hatte mir zuvor alle denkbaren Kultur- und Leistungsmerkmale der Marke aus der Sicht unserer Kunden zusammengestellt. Die Merkmale dienten einem morgendlichen Brainstorming und darauf folgend weiteren Assoziationen mit einer Tasse Kaffee. Schritt für Schritt führten die Notizen zu weiteren Ideen, bis der Spruch „We realize Dreams“ entstand: Denn ein Personenwagen der Luxusklasse ist kein Auto im herkömmlichen Sinne, mit dem man von A nach B kommen fährt, sondern bildet „Lifestyle“. Ein berühmtes Beispiel für Notizen sind die Notizbücher von Leonardo da Vinci. Wissenschaftler halten sie für ungeordnet. Aber das macht es ja gerade

4.4  Entstehung einer Service-Philosophie

123

Abb. 4.3   Entwicklung vom Motto „We realize dreams“ bis zur Aufstellung der Mannschaft als Pi (Π) und Omega (Ω)

aus – Ideen kommen aus der perfekten Unordnung („perfect mess“9), da Struktur und Ordnung auch nach einer ersten groben Ideenfindung eingearbeitet werden können. In Leonardo da Vincis Notizen sieht man das Kopfspiel und den freien Entwicklungsprozess seiner von Neugier getriebenen Ideen.10 So simpel der Tipp, ein Notizbuch zu führen, auch klingen mag, so effektiv ist diese Routine (s. Teil 3, Kap. 15). Auf diese Weise können Sie Ihren Ideenfindungsprozess im Archiv zurückverfolgen und bei einem Blackout oder Problem in der Realisierung durch Nachlesen die Idee wieder neu anstoßen. Die folgenden drei Abbildungen veranschaulichen von links nach rechts den schrittweisen kreativen Prozess. Zuerst wird mit verschiedenen Ideen gespielt und experimentiert (Abb. 4.3a). Die Farbe Blau für das griechische Meer und die Farbe Hellgelb für das griechische Licht kristallisieren sich schrittweise heraus. Das Hellgelb in dem iterativen Kaizenprozess fand ich als Sommerkleid in einer Modezeitschrift (Abb. 4.3b). Die Aufstellung der Mannschaft in der Form der beiden griechischen Buchstaben Pi und Omikron (Abb. 4.3c) diente der emotionalen Kommunikation der Servicebotschaft. Letzteres wurde ein Image, um die Botschaft sowohl intern und extern als auch mit Service-Fokus erinnerungsfest zu artikulieren. Pi ist der erste Buchstabe des Wortes „realize“ (=realisieren, griech. pragmatopiume) und Omikron steht für „Dream“ (=Traum, griech. Onira).

9Eric Abrahamson,

David H. Freedman: A Perfect Mess – The Hidden Benefits of Disorder, Little, Brown and Company 2006. 10Michael J. Gelb: „How to think like da Vinci“ at Happiness & Its Causes 2011, https:// www.youtube.com/watch?v=B3s3yGRiCy8.

124

4  Denkstrategie: Umformdenken

Die 1000+ • In einer schlaflosen Nacht hatte ich eine Strukturierungsidee für meine Dissertation. Ich sah Ähnlichkeiten beim Marketingmix und den Steuerhinterziehungsmethoden. Steuerhinterzieher setzen einen Methodenmix zur Senkung des zu versteuernden Gewinns und ihres steuerpflichtigen Einkommens ein. Aktiva und Erlöse werden gesenkt oder verschwiegen, während Passiva und Aufwendungen überhöht dargestellt werden. Allgemeine Fälschungsmethoden werden zur Verschleierung eingesetzt, wie das Belegprinzip durch Fälschung oder Weglassen der Belege. Im Marketingmix werden Marketingelemente gemischt, die sogenannten 4Ps (Preis, Promotion, Produkt, Platz). In dieser Gedankenkette kam ich auf die Idee, den kombinatorischen Ansatz der Steuerhinterzieher als Steuerhinterziehungs-Mix zu bezeichnen.11 • Eine Innovation im Finanzmarkt waren die David Bowie Bonds.12 Andere Rockstars wie Rod Stewart und James Brown nutzten dieses Finanzvehikel auch zur Schaffung von Liquidität. Bei der Bond-Strukturierung wurden zukünftige Lizenzeinnahmen für ein Gesamtpaket an alten Kompositionen diskontiert und als Bond-Emission platziert. Auf diese Weise kam der Künstler in den vorgezogenen Genuss zukünftiger Lizenzeinnahmen. Bei zunehmenden Raubkopien war dies auch eine kreative Methode, die Lizenzgebühren der Zukunft zu sichern. Konkret verkaufte David Bowie im Jahre 1997 für 55 Mio. $ die zukünftigen Erlöse seiner bis 1990 produzierten 25 Alben in Form von Asset-Backed Securities. Die Sicherheit bestand in den aktuellen und zukünftigen Erlöseinnahmen der 25 Alben. Die Bowie Bonds waren sowohl eine Finanzinnovation in der Bondstrukturierung als auch im Musikgeschäft. • Die oben erwähnte, neueste Inszenierung des Shakespeare-Theaterstücks Der Sturm (The Tempest) in Stratford-upon-Avon ist ein Beispiel für Umformung. Der Regisseur Gregory Doran kombiniert Technoelemente in Zusammenarbeit mit Intel. Es werden Artificial Intelligence (AI) und Avatar-Prozesse aus der Filmindustrie eingesetzt, um die fantastische Seite dieses Stückes auf der generell

11Alexander

Paufler: Die Steuerhinterziehung, C.E. Poeschel Verlag, 1983. ‘Bowie Bonds’ blazed a trail through capital markets, FT, 11. Jan. 2016: https://www. investopedia.com/terms/b/bowie-bond.asp; https://www.wsj.com/video/david-bowie-financial-innovation-royalty-backed-bonds/2666D2DC-3AD0-45DA-B7F8-F7AB5F86C865.html.

12o. V.

4.4  Entstehung einer Service-Philosophie

125

Abb. 4.4   Smart Doors

analogen Theaterbühne digital umzuformen.13 Mit der Idee für diese Umformung entstand aus einem Theaterstück des 17. Jahrhunderts ein Hightech-Mix für das 21. Jahrhundert. Für mich ist das ein faszinierendes Beispiel zur Anwendung der Denkstrategie 4 anlässlich des 400. Todestages von William Shakespeares (1616). • In Singapur bin ich auf ein innovatives Imbisskonzept mit dem Namen Saybon (abgeleitet von „c’est bon“) gestoßen.14 Die Geschäftsidee kam von der Absolventin der Nanyang Business School, der Singapurerin Daphane Loke. Französisches Essen stand lange Zeit für Luxusrestaurants und Foie gras auf übergroßen Tellern. Dieses neuartige French Takeaway beschränkt sich auf die wichtigsten frischen Zutaten. Auf teures und übergroßes Geschirr wird verzichtet. Die Geschäftsidee ist, französisches Essen preisgünstig anzubieten und für den Singapurischen Geschmack umzuformen. • Bei der Erinnerung an John Lennons Mini und seiner Dachdekoration kam mir die Idee, Flaggen im artistischen Sinne umzuformen und Sticker für die smart-Türen zu gestalten (Abb. 4.4a–b). In den 60er-Jahren hatten viele Minis z. B. die britische Flagge auf dem Dach abgebildet, John Lennon hatte allerdings ein Sonnenbild. Die Idee entwickelte sich zu einem „Hingucker“, sodass

13Zur

Shakespeare-Produktion in Stratford-upon-Avon vgl.: https://www.rsc.org.uk/ the-tempest/about-the-play. 14NBS eNewsletter Oktober 2009: http://enewsletter.ntu.edu.sg/NBSAlumni/Oct2009/Pages/ AlumniUpdates1.aspx?AspxAutoDetectCookieSupport=1.

126

4  Denkstrategie: Umformdenken

alle Arten von Zeitschriften gerne Abbildungen in Artikeln veröffentlichten. Viele unentgeltliche Publikationen waren erfreuliche Begleiterscheinung für den Controller. Diese kreative Methode des Verknüpfens von alt und neu nenne ich „synektisches Denken“. Eine neue Idee entsteht durch Querdenken und entwickelt sich dann aus einer alten Idee – hier die Flagge auf dem Minidach der 60er-Jahre verbunden mit der smart-Tür von 2004. (Siehe Abb. 4.5).

Abb. 4.5   smartistic, smartoons, smartmottos

5

Denkstrategie: Integrationsdenken

Integration

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie: • Integration von vagen, alten, neuen und widersprechenden Ideen führt zu Innovation. Die kreative Aufgabe leisten wir mit rund 100 Milliarden Neuronen, die beim Denk- und Lernvorgang assoziativ verknüpft werden. Bei Geburt hat das Kinderhirn noch – sage und schreibe – 180 Milliarden Neuronen und dann geht es bergab. (Beate Wagner: Die Macht der Wörter, LERNEN & STӒRKEN/GEHIRNENTWICKLUNG: http://www.schoenundgut.net/wp-content/uploads/2015/07/FGGehirnentwicklungKinder_ Kleinpdf1.pdf; Elke Hartmann-Wolff: Im Irrgarten der Erinnerung, Focus © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_5

127

128

5  Denkstrategie: Integrationsdenken

Nr. 38, 2016, S. 81–86, hier 82: https://www.focus.de/magazin/archiv/imirrgarten-der-erinnerung-wir-haben-keinen-einfluss-auf-den-wahrheitsgehalt-unserer-erinnerung_id_5944600.html; https://www.focus.de/wissen/ mensch/gedaechtnis/titel-im-irrgarten-der-erinnerung_id_5944598.html). • Andersdenken kommt durch neue Informationen in neuer Umgebung mit neuen Menschen, umgekehrt zur Situation: „wenn alle Menschen gleich denken, denkt keiner sehr viel.“ (Im englischen Original: „Where all think alike, no one thinks very much.“ Walter Lippmann, Amerikanischer Schriftsteller, Journalist und politischer Kommentator, in: https://www.goodreads.com/ quotes/16244-where-all-think-alike-no-one-thinks-very-much: https://www. brainyquote.com/quotes/walter_lippmann_145974). Das ist auch Ursache für das Scheitern von Startups ohne Diversity im Team. Wichtig ist der Input aus einem intelligenten und kreativen Netzwerk. • Innovation verlangt das Infragestellen von Althergebrachtem, Stressmanagement und sozial geschickter Umgang mit Entscheidungsträgern. (Gregory Berns: Iconoclast – A Neuroscientist Reveals How to Think Differently, HBP, 2010, S. 6 f). Viele Erfinder und Unternehmer scheitern nicht an der Ideenfindung, sondern an der praktischen Umsetzung. Dieses Kapitel stellt einen Masterplan für den kreativ-innovativen Prozess vor. Wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem. (Gerald Hüther)1

5.1 Die Quellen für Kreativität und Innovation: Masterplan Im Laufe meiner Führungstätigkeit und der dadurch ausgelösten Studien habe ich zusammenhängende Muster im Bereich von Stressmanagement, Kreativität und Innovation erkennen können. Die Frage ist: Was muss zusammenkommen, damit wir gelassen, kreativ und innovativ arbeiten und leben? Ich nenne diese Faktoren: „Die sechs Quellen für Kreativität und Innovation.“ Dabei geht es um ein Zusammenspiel von sechs Komponenten, die wir als Hebel für Kreativität und Innovation über die Jahre erlernen und immer besser einsetzen können. In diesem Kapitel stelle ich diese Komponenten und deren Integration vor (Abb. 5.1).

1Gerald

Hüther: Gelassenheit hilft: Anregungen für Gehirnbenutzer, https://www.youtube. com/watch?v=2XlJmew2lK4 (Min. 6:30 von 41:58).

5.1  Die Quellen für Kreativität und Innovation: Masterplan

129

Abb. 5.1   Masterplan – die sechs Quellen für Kreativität und Innovation

Der Masterplan Der Masterplan ist ein ganzheitliches und praktisch anwendbares System. Oft sind komplexe Zusammenhänge beim häufigen betrachten ganz einfach zu durchschauen. Finden Sie im folgendenden die Erklärung des Masterplanes mit seinen sechs Quellen für Kreativität und Innovation: 1. Das ganze System arbeitet mit dem Input aus der Vor- und Weiterbildung. 2. Bei der praktischen Umsetzung der Ideen entscheiden fünf Verhaltensmethoden und 3. fünf Überzeugungs- und Verhandlungsmethoden das Ergebnis. 4. Die Ideenfindung wird vom System der Denkstrategien getrieben dessen erster Schritt im Stressmanagement besteht: – Stressmanagement – Vielfaltdenken – Umwegdenken – Umformdenken – Integrationsdenken

130

5  Denkstrategie: Integrationsdenken

5. Fünfzehn Denktaktiken unterstützen die Denkstrategien und gliedern sich in drei Gruppen mit unterschiedlichen Aufgaben: – Fünf Methoden zur Einstimmung – Fünf Methoden zur Ideenfindung – Fünf Methoden zur Ideenrealisierung 6. Zu guter Letzt: Die Gehirnausrichtung durch Fokus oder Entspannung bestimmt Schnelligkeit und kreative Qualität des Endergebnisses. Die praktische Herausforderung ist, die sechs Komponenten der Quellen für ­Kreativität und Innovation zu vernetzen und gemeinsam – im Sinne von: „How to connect the dots“ – arbeiten zu lassen. Die Kunst besteht aus meiner Sicht im vernetzten Denken und dem Betrachten des gleichen Sachverhalts aus verschiedenen Perspektiven. Dies ist gepaart mit der Fähigkeit zu fokussieren und loszulassen. Nach meiner Erfahrung entspringen gute Ideen dem Wechsel zwischen Anspannung (positivem Stress/Eustress) und Entspannung (Stefan Weingartner).2

Es gibt keine klare Reihenfolge zur Kombination. Die sechs Komponenten sind eher wie Spielkarten misch- und kombinierbar. Dabei können Sie entweder die einzelnen Komponenten systematisch abarbeiten oder damit experimentieren, genauso wie unser Gehirn gedanklich springt und assoziiert. Leben Sie diesen Kombinationsprozess spielerisch, damit sich Ihr Kreativitätspotenzial voll ent­ faltet. Experiment und praktische Arbeit bringen Routine und Meisterschaft, wenn Sie mit diesem Instrumentarium arbeiten.

5.1.1 Quelle 1: Grundwissen und Fortbildung Allgemeines Verständnis ist, dass die Fähigkeit zur innovativen Erfindung sich auf einer mindestens 10-jährigen Beschäftigung in einem Wissensgebiet begründet. Zehn Ausbildungsjahre sind der geschätzte Durchschnittswert. Das

2Vgl.

Details zu Dr. Stefan Weingartner, Unternehmer und Investmentbanker, im Vorwort.

5.1  Die Quellen für Kreativität und Innovation: Masterplan

131

Abb. 5.2   Grundwissen und Fortbildung

Wissen kann autodidaktisch oder durch formale Ausbildung erworben werden.3 Die lange Beschäftigung mit einem Wissensgebiet wie z. B. in Technologie (Bill Gates, Steve Jobs) oder Musik (Beatles) macht Innovation erst möglich.4 Danach hilft ständige Fortbildung, dieses Wissen auszuweiten und zu „entlernen“, wenn Wissen obsolet wird. Der Input neuer Information durch lebenslanges engagiertes Lernen hat den neurologischen Effekt einer Vernetzung der Gehirnzellen – der sogenannten Plastizität. Das Entlernen von veraltetem Wissen entsorgt Vorurteile und Fehlerquellen durch veraltetes Wissen. Zur Realisierung der Ideen gehören neben dem Wissen auch Durchhaltevermögen, Biss und Überzeugungskraft von Stakeholdern wie Kapitalgeber, Banken, Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern. Wissen für neuen Input muss durch lebenslanges Lernen aktuell gehalten werden (Abb. 5.2).

5.1.2 Quelle 2: Verhaltensmethoden der Erfinder Ein Harvard-Team identifizierte fünf Verhaltensweisen durch Befragung von Erfindern und Unternehmensgründern. Diese Fertigkeiten bezeichnen die Autoren

3Die

10-Jahresregel wird von Prof. Mihály Csíkszentmihályi im TED Talk als Binsen­ wahrheit (Truism) bezeichnet: Mihály Csíkszentmihályi: Flow, the secret to happiness, 2008 TED Talks: https://www.youtube.com/watch?v=fXIeFJCqsPs, 10:18min – 10:50; Csikszentmihalyi, M.: Creativity Flow and the Psychology of Discovery and Invention, HarperCollins Publishers 1996, chapter 3: The Creative Personality, p. 51ff.; Mihaly Csikszentmihalyi: Flow, the secret to happiness, 2008 TED TALKS: https://www.youtube. com/watch?v=fXIeFJCqsPs (Min. 10:18 von 10:50).

4Malcolm

Gladwell: Outliers, Penguin 2009, S. 35 ff. Gladwell nennt statt der 10-Jahresregel eine 10.000-Stunden-Regel, die man zur Erlernung eines Wissensgebietes anwenden sollte.

132

5  Denkstrategie: Integrationsdenken

Abb. 5.3   Die fünf Verhaltensmethoden der Erfinder

der Studie als DNA der Erfinder (Abb. 5.3).5 Bei der Studie ist aufgefallen, dass innovative Erfinder: • Fragen: Warum? Warum nicht? Was, wenn? Warum entweder oder und nicht beides, auch wenn es einen Widerspruch enthält? Im Design-Thinking-Prozess ist das Ausfragen der Nutzer elementar wichtig auf dem Weg zum Prototyp. Die HMW-Frage: How Might We?6 heißt: Wie könnten wir das Problem, das drückt – den sog. Pain Point des Nutzers und Kunden – lösen? • Beobachten und ihre Umwelt, Produkte, Dienstleistungen, Prozesse und Pro­ bleme analysieren. • Experimentieren und mit dem Gefundenen spielen.

5Jeffrey H,

Dyer, Hal B. Gregersen, Clayton M. Christensen: The Innovators’ DNA – Five “discovery skills” separate true innovators from the rest of us, HBR, Dezember 2009, S. 61–67; https://hbr.org/2009/12/the-innovators-dna. 6Interaction Design Foundation mit dem Best Practice Guide to Asking “How might we:” https://public-media.interaction-design.org/pdf/How-Might-We.pdf.

5.1  Die Quellen für Kreativität und Innovation: Masterplan

133

• Netzwerken und mit anderen Experten und bei interessanten Denkern neue Ideen sammeln. • Assoziieren und dabei bekannte Wissensbereiche mit neu gefundenen Fakten und Ideen verknüpfen. Teil dieser Palette eines Erfinders ist auch das Mithören oder aktive Zuhören. Zufälliges und ungewolltes Mithören eines Gespräches am Nebentisch oder in einer Gesprächsrunde kann zu einer zündenden Idee verhelfen.7 Erfinder mit diesen Entdeckerfertigkeiten fördern nicht nur ihre kreative Arbeit, sondern beschleunigen das Ergebnis. Ein Test mit eineiigen Zwillingen konnte nachweisen, dass der Zwilling mit Außenkontakten und systematischer Anwendung der fünf Verhaltensweisen mehr kreative Ideen und ausgereiftere Geschäftsideen in kürzerer Zeit als sein Zwillingsbruder entwickelte. Beide hatten eine Woche Zeit. Der eine verbrachte die Zeit alleine in der Studierstube, während sein Bruder mit zehn unterschiedlichen Personen aus unterschiedlichsten Berufssparten sprach. Er besuchte Startups, untersuchte neu eingeführte Produkte, zeigte fünf Personen einen Prototyp seiner Idee und fragte immer wieder grundsätzlich: „Was passiert, wenn ich das mache?“ „Warum machen Sie das?“ Außenkontakte in Netzwerke befruchten durch neue Ideen. Die daraus resultierende steile Lernkurve wird auch „Medici-Effekt“ genannt.8 Der Begriff bezieht sich auf die Kulturförderung der Familie Medici in der italienischen Renaissance, die unterschiedlichste Berufe und Talente zusammenführte und dadurch eine Blüte in Wissenschaft und Forschung auslöste. Je mehr diverse Erfahrungen, Wissen und Kontakte wir haben, desto mehr Input erhält unser Gehirn zum Assoziieren. Die fünf Fertigkeiten sind in jeder Organisation ideale Attribute von Changeoder Projektmanagern, die Probleme ohne Vorurteile aufgreifen. Wohl dem, der derartige Mitarbeiter hat und Mitarbeiter zu diesem Verhalten einladen und schulen kann! George Bernhard Shaw kleidete dieses positive und anpackende Ver­ halten in die Worte: Es gibt Menschen, die sehen Dinge vor sich und fragen: WARUM? Wir erträumen Neuland, das es nie gab, und sagen: WARUM NICHT! (George Bernhard Shaw)9

7Larry W. Phillips: Ernest Hemingway on writing, Scribner 2004, S. 19: “The good parts of a book may be only something a writer is lucky to overhear …”. 8Frans Johansson: The Medici Effect, TED Talks, 22. Nov. 2010: https://www.youtube.com/ watch?v=nRAkko6WZbs. 9Im englischen Original: “There are men who see things as they are and ask WHY? We dream up things that never were and say WHY NOT?”

134

5  Denkstrategie: Integrationsdenken

Es lohnt sich, einen Blick für Warum-nicht?-Mitarbeiter zu entwickeln, so finden Sie ein Team für Ihr Change-Management. Die Bedenkenträger und Ja, aber-­Mitarbeiter bringen uns bei Changevorhaben meist nicht weiter. Man sollte aber nicht nachlassen, allen Mitarbeitern die dazu notwendigen Fertigkeiten bei­ zubringen. Wie so oft haben wir auch hier kein Erkenntnisproblem, wir wüssten schon was wir tun müssten, aber die Umsetzung ist das Problem.

5.1.3 Quelle 3: Methoden der Überzeugung und Verhandlung Die Kunst der Überzeugung ist Grundvoraussetzung für Verhandlungen und Präsentationen. Angefangen mit der allparteilichen Mediation führt diese ­ ­Kommunikationskunst von Aristoteles, Carl R. Rogers, Jay A. Conger, G. Richard Shell & Mario Moussa bis zum Harvard Negotiation Project von Roger Fisher & William Ury (Abb. 5.4). Diese Kommunikationskunst entscheidet, ob eine Botschaft vertrauenserweckend „gesendet“ und richtig verstanden werden kann. Alternative Methoden in dieser Kunst finden Sie in Teil 4, Kap. 20: Botschaften überzeugend und erinnerungsfest gestalten. Abb. 5.4   Die Kunst der Überzeugung

5.1  Die Quellen für Kreativität und Innovation: Masterplan

135

Abb. 5.5   Die fünf Denkstrategien im Überblick

5.1.4 Quelle 4: Fünf Denkstrategien Die fünf Denkstrategien können als Kernstück des Gesamtsystems gesehen werden. Sie arbeiten sowohl mit als auch und ohne Reihenfolge und werden durch die fünfzehn Denktaktiken verstärkt (Abb. 5.5).

5.1.4.1 Denkstrategie 1: Stressmanagement Stressmanagement wurde für mich die Kernstrategie aufgrund langjähriger Beobachtung von Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten im In- und Ausland. Stressmanagement beseitigt Ideenblocker und ist für die weiteren Denkstrategien, nämlich Vielfaltdenken, Umwegdenken, Umformdenken und ­Integrationsdenken,

136

5  Denkstrategie: Integrationsdenken

Abb. 5.6   Stressmanagement Abb. 5.7   Vielfaltdenken

die Basis. Alle Komponenten des kreativen Prozesses profitieren von gutem Stressmanagement, das zu Entspannung, Gelassenheit und Zufriedenheit führt (Abb. 5.6).

5.1.4.2 Denkstrategie  2: Vielfaltdenken Wie in Teil 1 Kap. 2 bereits angesprochen, fordert der Nobelpreisträger für Chemie, Linus Pauling, zur Ideenvielfalt, dass man zunächst viele gute Ideen aus­ lösen muss, um zu einer sehr guten Idee zu gelangen (Abb. 5.7).

5.1  Die Quellen für Kreativität und Innovation: Masterplan

137

Abb. 5.8   Umwegdenken

5.1.4.3 Denkstrategie 3: Umwegdenken Umwege führen zu andersartigen und manchmal nur am Wegrand liegenden Ideen. Deswegen der häufig hilfreiche Tipp, im Alltag immer mal die Perspektiven zu wechseln, wie z. B. nicht immer die gleiche Parkbank zum Ausruhen nach einer Joggingrunde zu nehmen, nicht immer in den ersten S-Bahn-Wagen einzusteigen, nicht immer den gleichen Tisch beim Lieblingsitaliener oder immer denselben Stuhl am Esstisch einzunehmen. Im Sinne der Kreativität und Ideenvielfalt ist es besser, nicht zu schnell und zu direkt auf den Punkt zu kommen. Umwege lassen uns Probleme „Out of the Box“ sehen (Abb. 5.8).

5.1.4.4 Denkstrategie 4: Umformdenken Umformdenken verwandelt alte Erkenntnisse durch neuen Input in neue Varianten durch Drehen, Wenden und Verbessern. Aus der Umformung nicht zufriedenstellender Dinge resultieren neue Produkte, neue und bessere Dienstleistungen und effektivere Prozesse. Im übertragenen Sinne machen Sie aus einem Rechteck durch bestimmte Zusätze und Verbesserungen zum Beispiel ein Dreieck (Abb. 5.9).

5.1.4.5 Denkstrategie 5: Integrationsdenken Wie oben bereits erwähnt, fasst Integrationsdenken alles zusammen. Der Prozess ist fließend und startet oft nur mit einer vagen Idee. In dem Prozess werden alte, abgelegte Ideen beigemischt und neue Ideen kommen ständig durch Informationsaufnahme aus allen Medien hinzu. Widersprüchliche Ideen können geschickt vereint werden (Abb. 5.10).

138

5  Denkstrategie: Integrationsdenken

Abb. 5.9   Umformdenken

Abb. 5.10   Integration neuer und alter Ideen, in erste vage Ideen, ist der Weg zur Innovation

5.1.5 Fünfzehn Denktaktiken Denktaktiken flankieren die Denkstrategien und machen sie dadurch effektiver. Denktaktiken können beliebig gemischt sowie einzeln oder vernetzt mit den Denkstrategien genutzt werden. Eine bestimmte Reihenfolge ist nicht notwendig, da unser Gehirn sehr flexibel arbeitet und Neues gerne ausprobiert. Jeder Stern in der folgenden Abb. 5.11 symbolisiert eine Denktaktik. Die Anzahl ist unbegrenzt und kann je nach Ihren Vorlieben, Erfahrungen und Ideen ausgebaut werden.

5.1  Die Quellen für Kreativität und Innovation: Masterplan

139

Abb. 5.11   Die fünfzehn Denktaktiken

Jeder hat persönlichen Präferenzen und weiß, was förderlich ist. Die einzelnen Taktiken werden in Teil 2–4 erklärt und sind nach Denktaktiken zur positiven Einstellung, zur Ideenfindung und zur Ideenumsetzung gruppiert.

5.1.6 Quelle 6: Zwei Gehirnausrichtungen Grundsätzlich existieren zwei Gehirnmodi, in denen unser Gehirn arbeitet (Abb. 5.12). Man kann dem Gehirn eine spezifische Aufgabenstellung geben, sodass es mit Fokus arbeitet, oder es entspannt ohne Fokus sich selbst überlassen. Das Gehirn denkt also entweder: • konzentriert und aufmerksam (mit Fokus) oder • entspannt wie im Schlaf oder Tagtraum (ohne Fokus). Die Einstellung des Gehirns auf eine dieser beiden Modi nenne ich Gehirnausrichtung. Wir können über ein Problem methodisch gezielt nachdenken oder passiv entspannt eine mentale „Pause einlegen“ und dem Gehirn freien Lauf lassen. Die

140

5  Denkstrategie: Integrationsdenken

Abb. 5.12   Die zwei Gehirnausrichtungen

meisten von uns stellen sich vor, dass wir das Meiste aus unserem Gehirn herausholen, wenn wir fokussiert denken, wenn Ziele und Absichten klar und geordnet sind. Das Gegenteil ist der Fall. Unser Gehirn kommt in Unordnung, Chaos, in einer „messy“ Welt, bestens zurecht.10 Wie MRT-Bilder zeigen, dass unser Gehirn am aktivsten im Zustand der Entspannung arbeitet. Je leichter wir zwischen der fokussierten Gehirnausrichtung und einem entspannten Loslassen wechseln können, desto vielfältiger und origineller ist unser Denken. Wer sein Gehirn in einen Entspannungszustand versetzen kann, wird eher neue Ideen finden.11 Die besten Ideen erhalten wir, wenn uns etwas intensiv beschäftigt und wir hoch motiviert und entspannt darüber nachdenken. Dieser Tagtraum-Modus erfolgt oft selbstvergessen und die Zeit vergeht unbemerkt wie im Fluge. Dieser Denkzustand wird auch als Flow bezeichnet. Im Volksmund sagen wir zum Denkprozess, bei dem man über ein Thema nachdenkt und brütet: „Ich gehe mit einem Gedanken schwanger.“ Akten sollte man deswegen ruhig einmal ohne Ziel durchblättern, um alte Ideen erneut zu lesen und über Wiedergefundenes, neue Ideen zu bekommen.12 Sie können diesen kreativen Wechselprozess steuern, in dem Sie dem Gehirn zusammen mit der Aufgabenstellung sofort eine methodische Denkausrichtung geben (s. die ­Methodenbeispiele im folgenden Abschn. 5.1.6.1). Andererseits können Sie sich

10Eric Abrahamson, David H. Freedman: A Perfect Mess – The Hidden Benefits of Disorder, Little Brown 2006, S. 245. 11Rita Carter: Das Gehirn – Anatomie, Sinneswahrnehmung, Gedächtnis, Bewusstsein, Störungen, DK Penguin Random House 2014, S. 170. 12Gregory Berns: Iconoclast – A Neuroscientist Reveals How to Think Differently, HBP, 2010, S. 23 (zur Kategorisierung von Erfahrungen und Vorurteilen).

5.1  Die Quellen für Kreativität und Innovation: Masterplan

141

durch Stressmanagement in einen Zustand der Entspannung versetzen, damit das Gehirn ohne Fokus arbeitet. Dies ist eine passive Form der Denkausrichtung, man lässt den Gedanken freien Lauf. Selbst ohne Fokus arbeitet das Gehirn hoch aktiv, wie Bildaufnahmen im MRT nachweisen. Die beiden Gehirnmodi kann man hintereinander schalten d. h. zuerst mit Fokus denken, ordnen und strukturieren und dann entspannt ohne Fokus tagträumen und darüber schlafen, damit sich Gehirnareale vernetzen und die neue Idee finden. Der kreative Denkprozess ist ein bei Tag und Nacht ablaufender Prozess. Dabei arbeitet unser Gehirn sehr effizient, sodass Computerwissenschaftler das Gehirn als Benchmark für die Weiterentwicklung des Computers nehmen. Es ist sensationell, mit welch geringer Energieleistung – nur 20 Watt – unser Gehirn arbeitet. Im Gegensatz dazu steht der Leistungsbedarf eines Schachcomputers bei 85.000 Watt. Alle unsere geschätzten 100 Mrd. Nervenzellen mit 10.000 Verkettungen pro Neuron sind in diesem effektiven und effizienten Prozess mal mehr und mal weniger im Einsatz, je nach dem, welches Gehirnareal gefragt ist.

5.1.6.1 Mit Fokus durch Theorien, Modelle und Konzepte Das Gehirn ist in vernetzte Gehirnareale organisiert und Sie können es ausrichten, indem sie das Gehirn aktivieren, z. B. ein wirtschaftswissenschaftliches Denkmuster oder Modell vorlegen. Zusätzlich stellen Sie noch Fragen. Damit aktivieren sie das Gehirn mit Aufgaben. Diesen Zustand bezeichnen Neurologen mit Task-Positive Network.13 Wiederholungen interessanter Fragen in Besprechungen wirken ebenfalls aktivierend. Mark Zuckerberg ist bekannt für die Frage: „Hilft diese Idee unserem Wachstum?“14 Mitarbeiter lassen sich durch solche Fragen zum Nachdenken anregen. Ich frage in Marketing-Situationen: „Was würde hier Richard Branson tun?“ Richard Branson ist das PR- und Marketing-Genie in seiner Virgin-Gruppe und jeder kennt ihn.

13Hongkeun

Kim et al.: Overlapping brain activity between episodic memory, encoding and retrieval: Roles of the task-positive and task-negative networks, Elsevier Neurolmage 1. Jan. 2010, S. 1045–1054, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1053811909008489; Michael D. Fox et al.: The human brain is intrinsically organized into dynamic, anticorrelated functional networks, PNAS 2005, http://www.pnas.org/content/102/27/9673; Dr. Joe Dispenza: Neurons that fire together, wire together, Coaching what works, TED Talks 7. August 2016: https://www.youtube.com/watch?v=o9K6GDBnByk. 14Shana Lebowitz: An early Facebook employee says Mark Zuckerberg always asked one question when his team had ideas, Business Insider Deutschland – International, 11.03.2016, 22:00: http://www.businessinsider.de/noah-kagan-entrepreneurs-should-haveone-goal-2016-3?r=US&IR=T.

142

5  Denkstrategie: Integrationsdenken

Selbst eine gut strukturierte Meeting-Agenda oder eine 100-Tage-Checkliste sind effektive Denkhilfsmittel und geben Anhaltspunkte für Gedankenführung. Bei jedem Arbeitsplatz- und Unternehmenswechsel habe ich eine Checkliste erstellt, in der ich vor Antritt der neuen Position Informationen zu Personen, Unternehmensfunktionen oder zu vermuteten Problemen zusammengetragen habe. Auf diese Punkte habe ich dann meine Aufmerksamkeit in den ersten 100 Tagen ausgerichtet. Neu gesammelte Informationen und Erkenntnisse führten zum Update der Checkliste. Analytische Modelle aus dem jeweiligen Spezialgebiet des Innovators schlagen dem Gehirn eine Denkrichtung vor. Jedes Fachgebiet hat Modelle, Konzepte und Theorien, deswegen kann das hier beschriebene Konzept auch auf andere Wissensgebiete übertragen werden. Endziel ist immer, Innovationen zu finden. Die folgenden Beispiele kommen aus der Betriebswirtschaftslehre und aus dem Führungsalltag. Ich gehe davon aus, dass Sie die meisten kennen und oft damit gearbeitet haben. Falls dies nicht der Fall sein sollte, habe ich die entsprechenden Fundstellen zum Nachlesen angegeben. Diese Beispiele sollen nur veranschaulichen, was es heißt „mit Fokus zu denken“. Es sind vereinfachte Abbildungen der Wirklichkeit und Anregungen zum Nachdenken und Schärfen der Denkrichtung: • SWOT-Analyse Weit verbreitet zur Generierung neuer Ideen ist die SWOT-Analyse. Das Denken fokussiert auf die Kategorien: Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken in der Entscheidungsvorbereitung wie z. B. beim Erarbeiten neuer Strategien, Ausbau des Händlernetzes, Beurteilung der Innovationskraft eines Unternehmens beim Vergleich der Umsatzanteile aus alten gegenüber neuen Produkten, Entscheidungen bei Unternehmenskäufen oder Beteiligungen (M&A). • Regel 10-10-10 Diese Regel wurde von Suzy Welch (Wirtschaftsjournalistin, Autorin und Ehefrau des ehemaligen CEO von General Electric) aufgestellt und populär gemacht. Bei Entscheidungsfindungen ist die simple Frage: Wie wirkt sich meine Entscheidung in den nächsten 10 Minuten, 10 Monaten und 10 Jahren aus? Wie die SWOT-Analyse gibt diese Regel eine einfach abzuarbeitende hier zeitliche Kategorisierung. • Doblin-Modell Komplexer ist das Doblin-Modell, das aus aus zehn Kategorien zur Analyse von Innovationsmöglichkeiten im Unternehmen besteht. Im Innovationsprozess fokussiert man dann auf jede der zehn Kategorien, um innovative Ideen zu finden. Beispiele mit Fokus auf: 1) Gewinnmodell (Wie und wo entsteht der Gewinn?), 2) Netzwerke (Wie ist die Verbindung zu Geschäftspartnern zur Schaffung von Mehrwert?), 3) Struktur und Organisation (Wie werden Talente

5.1  Die Quellen für Kreativität und Innovation: Masterplan

143

und Wirtschaftsgüter kombiniert?), 4) Prozesse (Welche besonderen Methoden zeichnen den Unternehmensprozess und den operativen Prozess aus?, 5) Produktleistungen (Welche Produkteigenschaften sind einzigartig?), 6) Produktsysteme (Wie arbeiten Produkte und Dienstleistungen mit Mehrwert für das Produktangebot zusammen?), 7) Service (Welche Serviceleistungen unterstützen das Produkt?), 8) Lieferwege (Wie gelangen die Produkte zu den Kunden und Nutzern?), 9) Brand (Wie repräsentiert die Marke/Brand das Angebot und das Unternehmen?), 10) Anstrengungen zur Kundenbindung (Wie engagiert gestaltet sich das Verhältnis zu den Kunden?). Das Doblin-Modell und die Business-Modell-Canvas können sowohl zum Aufbau als auch zur Erneuerung eines Unternehmens verwendet werden. Die Business-Modell-Canvas wird in Teil 4.16 genauer vorgestellt. • Leistungsmanagement Leistungsmanagement im Personalwesen durch Maslows Bedürfnis- und Motivationspyramide versus rein pekuniärer Anreize.15 • Kepner-Tregoe-Modell zur Problemanalyse und Entscheidungsfindung.16 • Marketing Mix 4Ps sind: Produkt, Preis, Promotion, Platz. Manche Modelldesigner kommen mit diesen wenigen Aspekten aus, andere halten weitere Aspekte für wichtig (7Ps).17 • Analyse des Verkaufsprozesses durch das Sales-Funnel-Modell.18 • Mind Mapping mit der verästelnden Darstellung aller Aspekte eines Themas oder Problems hilft bei der Durchdringung, beim Erinnern und bei der Analyse. • Laterales Denken hält die Personen eines Arbeitskreises dazu an, gemeinsam in eine Richtung zu denken. Zur Unterstützung dieser Denkausrichtung tragen alle Gruppenmitglieder gleichfarbige Hüte aus der Palette von sechs Farben. Jede Farbe steht für einen Aspekt wie z. B. Weiß: Daten, Fakten, Informationen; Rot: Emotionen, Intuitionen; Gelb: Positives, Optimistische und konstruktive Informationen, usw. 15Clayton M.

Christensen et al.: How will you measure your life, Harper Business 2012, S. 25–41; Anreiztheorie von Michael Jensen/William Meckling versus Motivationstheorie von Frederick Herzberg. 16http://www.tercero.de/infocenter/kepner-tregoe-KT-problem-analyis-decision/kepner-tregoe-problemanalyse-Beratung-problem-analysis. 17http://marketingmix.co.uk/. 18Der Vertriebstrichter (Verkaufs-Funnel, Verkaufsprozess- oder auch Erlös-Funnel) ist ein Modell für den Kaufprozess, durch den Unternehmen ihre Kunden bis zum Kauf ihres Produktes leiten. Dieser Trichter ist in mehrere Stufen unterteilt: Aufmerksamkeit hinsichtlich des Produktes und dessen Lösung, Interesse, Bewertung im Vergleich zu Wettbewerbsprodukten, Kaufentscheidung und -verhandlung, endgültiger Kauf, Wiederbewertung des Produktes im Alltagsgebrauch, anstehende Wiederkaufentscheidung.

144

5  Denkstrategie: Integrationsdenken

• Blooms Hierarchie stellt in sechs Schritten einen Lern-, Ideenfindungs- und Innovationsprozess dar. Blooms Hierarchie-Modell ähnelt dem Muster des Design-Thinking-Konzeptes, obwohl der Psychologe Dr. Benjamin Bloom es für den Einsatz im Bildungsbereich konzipierte. Die sechs Schritte sind wie folgt: Erkennen und Erinnern von Fakten; Verstehen dieser Fakten; Anwendung der Fakten, Regeln, Konzepte und Ideen; Analyse durch Zerlegung der Information in ihre Komponenten; Bewertung der Informationen und Ideen; Verknüpfung der Einzelteile zur Schaffung von etwas ganz Neuem. Diese Methode ist geeignet für ein weites Feld – Industriedesign bis zur Erarbeitung von Vorlesungen und Seminare an Graduate Business Schools. Erkenntnis 1 Eine erste Erkenntnis bezüglich des kreativen Resultats durch die Gehirnausrichtung „Fokus“ erwähnt Dieter Zetsche im Vorwort: Exakte Anweisungen bringen im besten Falle das erwartete Resultat.19

Wie aber können wir uns und Mitarbeiter zu originellen Ideen für disruptive Innovationen befähigen und hinführen? Die offene Methodenpalette von hier nur 10 Konzepten und Modellen hilft meiner Erfahrung nach am Start der Ideenfindung. Dann aber muss der zweite und für die Führungskraft mutige Schritt erfolgen, den ich im folgenden Abschn. 5.1.6.2. als zweite Gehirnausrichtung erkläre. Siehe die Erkenntnis 2 am Ende des folgenden Kapitels. Wichtig ist, dass für die innovative Lösung kein geringerer als Albert Einstein zuerst die Erfindung einer neuen Methode verlangt. Das macht den Prozess komplexer: Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.20

5.1.6.2 Ohne Fokus entspannt und gelassen Als Abwechslung zum konzentrierten Denken mit Fokus sollte man dem Gehirn eine Ruhephase gönnen. Das Gehirn fällt dabei z. B. in einen Tagtraum, der Energie spart und als Standardmodus dient. Dabei schaltet das Gehirn aber nicht faul ab, sondern assoziiert frei mit erstaunlichen Ergebnissen. Hirnforscher nennen

19Vgl. Vorwort

von Dr. Dieter Zetsche.

20http://www.poeteus.de/zitat/Probleme-kann-man-niemals-mit-derselben-Denkweise-

l%C3%B6sen-durch-die-sie-entstanden-sind/10.

5.1  Die Quellen für Kreativität und Innovation: Masterplan

145

diesen Modus Task-Negative Network.21 Das ist der automatische Standardmodus, in den das Gehirn fällt, wenn keine Denkaufgabe vorgesetzt wird. Trotzdem ist in diesem ziellosen Zustand der Spürsinn und wertvolle Zufallsfunde am Höchsten. Auf einmal sieht man Dinge, die man vorher nie bemerkt hat. Man ist beim Einkaufen, beim Spaziergang oder im Dialog und hat den Gedankenblitz durch einen Perspektivenwechsel. In meinen 1000+ Interviews wird auf die Frage, ob hinter der Ideenfindung eine Methode stecke, oft geantwortet: • „Nein – die Ideen kommen aus heiterem Himmel.“ oder: • „Es gibt keine Methode.“ Tatsache ist, dass offene Fragen und vage Ideen im Unterbewusstsein weiterarbeiten und dann im „task-negativen Modus“ durch Vernetzung mit anderen Informationen in anderen Hirnarealen zur Lösung führen. Dieser Denkmodus ist laut Hirnforschung der beste Zustand für kreative Lösungssuche, da das ganze neuronale Netzwerk assoziiert und arbeitet. Im freien Gedankenlauf entstehen Ideen durch Querdenken. Es werden Dinge, Ideen und Themen zusammengeführt, die im Fokus-Zustand ausgeklammert sind. Auf MRT-Bildern sieht man, dass im entspannten Modus das Gehirn in vielen Arealen hochaktiv ist. Im Gehirn findet eine Art Wetterleuchten statt.22 1949 beschrieb der kanadische Neurologe Donald Hebb, der im Feld des assoziativen Lernens forschte, dieses Feuerwerk im Gehirn mit dem oft zitierten Satz: „Neurons that fire together, wire together.“23, und meint damit, dass sich beim Lernen das Gehirn in angeregtem Zustand befindet, der die Nervenzellen vernetzt. Das Gehirn lernt,

21Scott

Berinato: Big Brain, Interview mit Adam Waytz und Malia Mason. Das Interview fasst den HBR Artikel zusammen: Your Brain at Work Juli/August HBR 2013; https:// hbr.org/2013/07/big-brain-theory; Aus den vier neuronalen Netwerken (default network, reward network, affect network, control network) konzentriert sich das Interview auf das Default/Standard Netzwerk.

22Vgl. die Erkenntnisse aus der Gehirnforschung von Gerald Hüther: Gelassenheit hilft: Anregungen für Gehirnbenutzer, Vortrag Demographienetzwerk v. 5. April 2012:  https://www.youtube.com/watch?v=2XlJmew2lK4 (ab Min. 6:30 Min. von 41:58) und Daniel Levitin: Daniel Levitin: The Organized Mind: Thinking Straight in an Age of Information Overload, https:// www.youtube.com/watch?v=aR1TNEHRY-U (ab Min. 8:48 von 53:22); http://www.neuroscientificallychallenged.com/blog/know-your-brain-default-mode-network, 16. Juni 2015. 23Gregory Berns: Iconoclast – A neuroscientist reveals how to think differently, HBSP 2010, S. 4, 8, 54; Deann Ware: Neurons that fire together wire together – 10 Comments, https://www. dailyshoring.com/neurons-that-fire-together-wire-together/ 2017; http://www.supercamp.com/ what-does-neurons-that-fire-together-wire-together-mean/.

146

5  Denkstrategie: Integrationsdenken

bildet neue Vernetzungen, findet neue Lösungen und verändert seine Gestalt – diese Umformung nennen Neurologen die sog. Plastizität. Denker wie Albert Einstein kannten sich und die beste Nutzung ihres Gehirns. Sie konnten den Zustand des kreativen Tagtraumes oder andere förderliche Zustände herstellen. Einstein ging gerne spazieren. Bei einem Tagtraum kam ihm die Idee zur Allgemeinen Relativitätstheorie. Er bezeichnete Intuition als „ein heiliges Geschenk“. Der rationale Geist war für ihn „nur ein treuer Diener“.24 Notwendig sind tagtraumähnliche Übergangsphasen, eingeleitet durch Müßiggang, gelangweiltes Nichtstun, Zeit kurz vor dem Einschlafen oder Aufwachen und natürlich der Traum. In solchen Übergangsphasen kommen bahnbrechende Ideen:25 • das bildgebende Verfahren MRT (Magnetresonanztomografie) durch den Chemiker Paul Lauterbur. Die Erkenntnis kam ihm in einem Big Boy Restaurant beim zweiten Biss in den Hamburger. 2003 bekam er für diese Entdeckung dann den Nobelpreis.26 • die DNA-Struktur durch Francis Crick und James Watson. • der Song „Yesterday“ von Paul McCartney entstand im Traum. Ähnlich erging es John Lennon mit dem Song „Nowhere Man“. • der Gitarrenriff für den Song „Satisfaction“ von Keith Richards ebenfalls. • auch die Strukturierungsidee für meine Dissertation entstand in einer schlaflosen Nacht. Die beiden Gehirnmodi bringen uns wieder zum Kernsatz von Gerald Hüther: „Wir haben eigentlich gar kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem, und zwar ein ganz massives.“27 Das Umsetzungsproblem besteht darin, dass viele Führungskräfte die Erkenntnisse der Hirnforschung nicht beachten, da sie auf den ersten Blick als irrelevant angesehen werden. Die Erkenntnis ist, dass das Hirn ein Problemlösungsorgan ist. Zum Lösen von Problemen braucht

24Elke Hartmann-Wolff: Die Kunst des Denkens. So schalten Sie Ihr Genie ein, Focus 20/2017, S. 76–88, hier S. 88. 25Daniel J. Levitin: The Organized Mind, Dutton 2014, Kapitel 9: The Power of the Junk Drawer, S. 370–383, hier: 375. Daniel J. Levitin listet an dieser Stelle noch weitere erstaunliche Beispiele von Mozart, Salvador Dali, Billy Joel, Wordsworth und Nietzsche. 26Gregory Berns: Iconoclast – A Neuroscientist reveals how to think differently, HBSP 2010, S. 25–27. 27Gerald Hüther: Gelassenheit hilft – Anregungen für Gehirnbenutzer, ddn – demographienetzwerk, 5. April 2012: https://www.youtube.com/watch?v=2XlJmew2lK4 (Min. 6:10 ff. aus 41:58).

5.1  Die Quellen für Kreativität und Innovation: Masterplan

147

dieses Gehirn genug Freiraum für kreatives Denken und keinen einengenden Fokus. Motivation, Begeisterung und Gelassenheit sind für den kreativen Lernprozess die Voraussetzung. Wenn Sie Mitarbeiter durch einengende und klar definierte Anweisungen auf Problemlösung ansetzen, wird auch kreatives Denken eingeengt. Das Umsetzungsproblem kann aber beseitigt werden, wenn die Art und Weise der Aufgabenstellung zu Engagement und Begeisterung führt. Wie im Kapitel zum Stressmanagement (Teil 1, Kap. 1) dargestellt, tötet Stress durch Erschöpfung, Unruhe, Terminhetze, Ablenkungen mit elektronischen Geräten und planlosem TV-Zappen die schöpferische Leistung ab. Dasselbe passiert, wenn Ziele mit der Aufgabenstellung unflexibel vorgegeben werden. Das lässt keine ungewöhnlichen neuen Ideen mit Einsichten entstehen.28 Wir wissen schon, worauf es im kreativen Prozess ankommt, aber für die Umsetzung von Ideen in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern brauchen wir Passion zur Unterstützung der Kreativität. Dies ist heute durch die verschiedenen Generationen am Arbeitsplatz – vom Babyboomer bis zur Generation Z – und durch die Kulturvielfalt in der Globalisierung eine komplexe Führungsaufgabe geworden: • Laden Sie Ihre Mitarbeiter zum Mitmachen ein, sodass sich auch langjährige, altgediente und sich langweilende Mitarbeiter wieder engagieren. Dazu geben Sie ihnen zuerst eine Sinnerklärung für die Aufgabe und einen denkbaren Lösungsweg zur Erklärung des Problems. Vergessen Sie nicht, andere Ideen zuzulassen. Die aktive Gehirnausrichtung allein verhindert bei zu starrem Fokus das freie Assoziieren. • Geben Sie Mitarbeitern die Möglichkeit zu freiem Denken. Die Gedanken haben dann freien kreativen Lauf. Thinking by Linking ist eine andere Formulierung als „connecting the dots“ für Kreativität. Im kreativen Prozess werden Zusammenhänge vernetzt. Themen, Probleme, Orte, Gegenstände und Personen werden dynamisch verknüpft.29 Die Zusammenhänge lassen neue Ideen erkennen. • Viele halten einen ungeordneten Arbeitstisch für die Ideenfindung zuträglich. Ich bevorzuge einen sehr großen Arbeitstisch, auf dem die laufenden Projekte und Aufgaben sichtbar gestapelt sind. So kommen die Aufgaben regelmäßig in den aktiven oder passiven Gehirnmodus. Eine regelmäßige Inventur der Problemstapel ermöglicht beispielsweise das Querlesen. Bücher, ausgeschnittene

28Stephan

Grünewald: Die erschöpfte Gesellschaft, Herder 2013, Abschnitt: Segen und Fluch der Kreativität, S. 51–53. 29Patrick Dawson, Constantine Andriopoulos: Managing Change, Creativity & Innovation, SAGE 2014, S. 57.

148

5  Denkstrategie: Integrationsdenken

Zeitungsartikel, Visitenkarten und Notizbücher ergeben Assoziationen zu Personen und Projekten. Beim Sortieren, Lesen und Überfliegen entstehen immer mehr Ideen. Dieser Zufallsprozess ist eine kreative Quelle für Durchbruchsideen. Nicht alles muss geordnet und planmäßig ablaufen. • Themen und Zeit bilden einen dynamischen Kontext. Nach einer Brainstorming Session greift man sich ein Buch und geht zum Essen. Das Problem läuft im Unterbewusstsein mit. Man liest und denkt bei bestimmten Worten an das Problem. Bei diesem permanenten kombinatorischen Kopfspiel finden sich neue Ideen. Die Kombinationsidee entsteht durch das, was man im Buch neu entdeckt, oder – weil vorher bereits gelesen und unterstrichen – mit anderen Augen liest und durch Flashbacks mit alten Ideen und Situationen verbindet. Erkenntnis 2 Als zweite Führungserkenntnis, wie man zu kreativen Resultaten kommt, erwähnt Dieter Zetsche im Vorwort den zweiten Schritt. Dieser zweite Schritt mag zwar der ein oder anderen Führungskraft das Gefühl vermitteln, dass sie Einfluss aufgibt, er führt aber eher zum innovativen Durchbruch. Mut zum Loslassen und zum Machen-Lassen ist eine wichtige Führungsfähigkeit. Vorstellungen werden dann übertroffen und das Team hat Spaß bei der Ideenfindung und Ideenrealisierung. Aber wenn Mitarbeiter mehr Freiräume bekommen, können Ideen entstehen, die sämtliche Vorstellungen übertreffen. Und genau das wird in Zukunft noch wichtiger: die besten Ideen nach vorne zu stellen, nicht Hierarchien.

In ähnlicher Form beschrieb Sir Jonathan Ive von Apple die Zusammenarbeit und unglaublichen Durchbrüche im Designprozess, die sämtliche Vorstellungen übertrafen: „Es gab viele dumme Ideen … fürchterliche Ideen … aber manchmal gab es Ideen, die den Sauerstoff aus dem Raum zogen und uns absolut stumm stehen ließen … kühne, verrückte, großartige Ideen.“30

5.2 Schutz vager und zerbrechlicher Ideen Nutzen Sie die dargestellten sechs Systemkomponenten dazu, erste vage Ideen mit alten und neuen Informationen zusammenzubringen. Vage, noch nicht reife Ideen können durch Weiterdenken und Dranbleiben aus einem Mix alter Ideen mit neu 30Jonathan

Ive in der Gedenkrede für Steve Jobs am 24. Okt. 2011 (0:29 ff. aus 7:29 Minuten); https://www.youtube.com/watch?v=GnGI76__sSA.

5.3  Managing Kreativität in der Organisation

149

gewonnenen Ideen zu nützlichen Idee führen. Die Aufgabe besteht darin, erste Vorstellungen mit alten und neuen Fakten zu verknüpfen – „connect the dots“. Roger Martin beschreibt in seinem Buch wie etwas Neues aus Widersprüchlichem entstehen kann, wenn man nach allen Seiten offen ist und Andersdenken praktiziert. Es geht darum Gegensätze nicht nur zu konsolidieren und zu vereinheitlichen, sondern auf den Kopf zu stellen. Dadurch entsteht, aus auf den ersten Blick sich ausschließenden Ideen, etwas völlig Neues – und es passt.31

5.3 Managing Kreativität in der Organisation Beim Innovationsmanagement in einer Organisation gibt es acht Hürden, die die Ideenfindung und die Ideenrealisierung gefährden:32 1. Unzureichende Ressourcen (Zeit und Kapital) sind für die Kreativität und Innovationskraft das allergrößte Problem. 2. Kurzfristige Termine belasten Kreativität im operativen Geschäft. 3. Angst, neue, risikoreiche Ideen auszuprobieren, lassen Viele ihren kreativen Vorschlag zurückhalten. 4. Unzureichende Kundenorientierung verhindert Verbesserungsideen. 5. Unsichere Prioritäten behindern den Innovationsprozess. 6. Ungeduld der Chefs, Geschäftspartner und anderer Stakeholder behindern den Kreativitätsprozess. 7. Funktionale (Fachabteilungen) und regionale Silos (Konzerngesellschaften) können Kommunikationshürden darstellen, an denen grenzüberschreitende Ideen scheitern. 8. Bürokratische, festgefahrene und diktatorische Organisationsformen hindern den Fluss an Ideen. Nach Sir Ken Robinson ist „Kreativität der Prozess, bei dem originellen Ideen entstehen, die einen Wert haben.“33 Dieser Entwicklungsprozess braucht Zeit.

31Roger

Martin: The Opposable Mind – How successful Leaders Win Through Integrative Thinking, HBSP 2007, S. 2–5 (Wie Lee-Chin AIC rettete). 32Robert Epstein, Katrina Kaminaka, Victoria Phan, Rachel Uda et al.: How is Creativity Best Managed? Some Empirical and Theoretical Guidelines, in: Creativity and Innovation Management, Vol. 22, Number 4, 2013, S. 359–374, hier S. 364, 370. 33Sir Ken Robinson in an interview with Jo Bowman: Mind Games, in: Research World, No. 28, May/June 2011, S. 15.

150

5  Denkstrategie: Integrationsdenken

Zuerst kommt der Auslöser einer vagen und zerbrechlichen Idee, dann wird dieser erste Gedankenblitz mit anderen Ideen oder Informationen verbunden, dann experimentieren wir – drehen, wenden und verbessern34 – mit der neuen Idee, bis schließlich eine sehr gute Idee mit Wert gestaltet ist. Dieser ganze Prozess ist in Einsteins Worten „ein kombinatorisches Spiel“, da großartige Idee oft aus der Kombination vieler unterschiedlicher Ideen und Informationen aus dem Netzwerk verschiedener Menschen entstehen. Die kreative Kollaboration durch Kombinatorik unterschiedlicher Personen und Fähigkeiten ist der Grund dafür, warum Startup-Unternehmer gerne mit einem oder mehreren Partnern zusammenarbeiten. Die Zusammenarbeit von sich gut verstehenden Kollegen fördert die Vielfalt und Qualität der Ideen. Forscher bewerten die Originalität solcher Idee mit dem sogenannten Torrance Test35 für kreatives Denken. Der Test wurde von Dr. E. Paul Torrance entwickelt und stellt mit folgenden Fragen die „visuelle Originalität“ der Testpersonen fest: • Die Testperson muss eine einfache Zeichnung beenden. Aufgabe ist, einen Haken oder eine Kurve in ein sinnvolles Bild weiterzuentwickeln. • Was wäre Ihre Lösung, wenn Sie zur Größe eines Cents schrumpfen würden, in einen Mixer fallen und wissen, dass der Mixer in einer Minute angeschaltet wird? • Was würde sich ändern, wenn Menschen an jeder Hand zwei Daumen hätten? • Wie bekämen Sie einen Elefant in den Kühlschrank? • Wenn Sie ein Microsoft Office Programm wären, welchen Teil des Programmes würden Sie spielen? Es lassen sich unendlich viele Fragen finden, die die Fähigkeit, Unterschiedlichkeit und Originalität in der Ideenfindung testen können.36 Larry Page, der Google-Mitbegründer, bittet in Bewerbergesprächen die Testperson, dass sie ihm etwas Neues beibringt, von dem Larry Page noch nie etwas gehört hat. Grund: Larry Page langweilt sich, immer dieselben 08/15-Antworten zu bekommen.37

34Das

ist die Denkstrategie IV, im englischen O-Ton: Toss & tinker, twist & tweak. Test of Creative Thinking (TTCT); http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1207/ s15326934crj1801_2. 36S. die Beispiele in www.glassdoor.com. 37Lucy Kellaway: The real question in interviews is why we bother, FT, Oct. 8, 2012, S. 12. 35Torrance

5.3  Managing Kreativität in der Organisation

151

Der Vater der modernen Kreativitätslehre Joy Paul Guilford forderte in einem Test, den er für die Auswahl von Bomberpiloten erfand: „Finde so viele Verwendungen wie möglich für einen Ziegelstein.“38 Diese Aufgabe basierte auf der Überlegung, dass unterschiedlich, unerwartet und kreativ denkende Piloten weniger berechenbar sind und deswegen öfter überleben, wenn sie unter Beschuss kommen. Dieses Erfolgsmerkmal kann in harte Wettbewerbssituationen übertragen werden. Berechenbare Führungskräfte und Manager werden im aggressiven Wettbewerb nicht erfolgreich operieren. Gute Führungskräfte und Manager sind auch in der Lage, Wettbewerber zu überraschen. Originalität durch völlig neue, bahnbrechende Ideen ist das Ziel eines Ikonoklasten, dabei zeichnen – ihn oder sie – drei Charakteristika seine erfinderische Seite aus:39 • Probleme und Dinge unterschiedlich sehen und Vorurteile zerstören können. • Angst als Kreativitätsblocker managen können (s. Teil 1, Kap. 1) • Sozial intelligent vorgehen können. Unorthodoxes Verhalten führt zu ungewöhnliche Antworten und Ideen. Steve Jobs leitete beispielsweise ein Produktmeeting (Codename: Snow White) zu sieben geheimen Produkten mit den folgenden Worten ein: „I want Bob Dylan Songs.“ Diese wortkarge Anweisung mit den Worten „Ich möchte Bob Dylan Songs“ war wenig konkret und erlaubte das Denken in alle Richtungen. Denkwege für Mitarbeiter offen zu lassen, ist eine gute Methode, um Originalität zu puschen. Zur Selbstanimation sind Neugierde und Begeisterung förderlich. Ein Weg hierzu ist, ein bereicherndes Doppelleben zu führen mit mehreren Rollen wie Manager, Lehrer, Musiker und Künstler. Es gilt, neue Sichtweisen zu schaffen, dann entstehen aus der Kombination verschiedener Themen neue originelle Ideen. Genießen sie den „negativen Gehirnmodus“ mit Tagträumen und „Mind Drifting“. An der Stanford University gibt es eine sogenannte E-Week – „E“ steht für „Entrepreneurship“. Ein Professor gibt Basisinhalte zu einfachen Projektaufgaben und vergibt Preise für die beste, am Return On Investment (ROI) gemessene Idee. Beispielhafte Projektaufgaben sind: „Was kann man mit einem Gummiband, einer Büroklammer usw. machen?“ Das Designergebnis und die Geschäftsidee sind innerhalb von vier Tagen zu präsentieren.

38Fredrik

Haeren: The Idea Book, Selbstverlag F. Haeren 2004, S. 14. Berns: Iconoclast – a neuroscientist reveals how to think differently, HBP, 2010,

39Gregory

S. 6 ff.

152

5  Denkstrategie: Integrationsdenken

Lösungswege für schwierigste Probleme könnten auch Themen für einen Entrepreneurship-Wettbewerb sein. Ich denke hier insbesondere an bösartige, „wicked“ Probleme wie Hungersnot und Kindersterben, religions- und ideologiebedingte Kriege sowie die Migration verursachenden Kriegskonflikte. Einstein wies darauf hin, dass die Lösung dieser Komplexitäten, bei denen sowohl Ursache als auch Lösung unbekannt sind, einen Paradigmenwechsel verlangen: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“40 Ungelöste Probleme in diesem Sinne wären die Erderwärmung sowie daraus resultierende Ungezieferattacken, die chinesische Kornfelder zerstörten parallel zu Dürren in anderen Korn produzierenden Ländern (USA, Ukraine, India). Dieser Zusammenhang trieb die Preise im Jahr 2012 um mehr als 40 %.41

5.4 Sandkastenspiel als Weg vom Hobby zur Selbstständigkeit Neue Ideen und Innovationen resultieren oft aus einem Hobby und das spielerische Element dabei kommt dem eigentlichen, ernsten Beruf zugute. Beim „Sandkastenspiel“ ist man unabhängig – es macht Spaß. Google ermutigt Mitarbeiter, ein solches Seitenprojekt, neben der täglichen Arbeit, zu entwickeln. Es kann ein Hobby sein, wie es beispielsweise Craigslist, Twitter und Groupon einmal waren. So ein spielerisches Projekt an der Seite zu haben, bringt frische und neue Energie an den Arbeitsplatz. Man lernt von diesem Gehirn-Jogging und das Risiko ist geringer, als das Unternehmen zu verlassen und sofort ein Startup zu gründen.42 Die folgenden praktischen Beispiele veranschaulichen sowohl spielerische Ansätze als auch zwei „ernste“ Problemlösungen. Die 1000+ • Die Idee für eine Produktvorstellung im Jahr 2005 kam aus einem Aquarell, das ich Monate vorher auf Kreta gemalt hatte. Es war ein abstraktes Bild in den Farben Rot und Schwarz, die sehr gut zu den Themen Leidenschaft/Passion und Engineering/Design passten (Abb. 5.13).

40www.poetus.de 41Zhoudong

(02.03.2018). Shangguan et al.: Pest Attack in China is worst in Decade, WSJ, Aug. 16,

2012, S. 23. 42Ian Sanders: Innovation beyond the day job, FT, June 19, 2012, S. 12.; The Ian Sanders Company: My Startup of One. 18 lessons from 18 years working for myself: http://iansanders.com/blog/tag/Ian%20Sanders.

5.4  Sandkastenspiel als Weg vom Hobby zur Selbstständigkeit

153

Abb. 5.13   Hobby Malerei gab die Idee für ein EventDesign

• Weitere Idee: Bei dem Event wollten wir alle fünf Sinne ansprechen. Nicht nur wie üblich die Optik, den Geschmack und das Gehör, sondern auch den Geruchssinn und Tastgefühl. Wir hatten Rosenduft mit Sprays verbreitet und an Kunden einen roten Fächer aus China verteilt. Alles war farbkoordiniert und hatte die optische Verbindung zu Rot und Schwarz. Dies war für mich klassisches Integrationsdenken, bei dem viel Verschiedenes zusammenkommt (Abb. 5.14a–f). • Bei Besichtigung des Offroad-Geländes zur Vorbereitung eines Presse-Events gab es Anlass zum Querdenken: Am Wegrand sah ich einen geparkten Monstertruck. Das löste bei mir den Gedankenblitz aus, einen Smart auf ein Unimog Chassis zu montieren. Der Inhaber des Geländes war begeisterter Mechaniker und so war die Umsetzung der Idee gesichert. In dem Prozess half die Denkstrategie Umformdenken. Bei diesem Denkprozess verdreht man etwas Bekanntes in etwas Neues. Die Idee mit dem Monster Smart wurde von

154

5  Denkstrategie: Integrationsdenken

Abb. 5.14   Entwicklung der Produktpräsentation aus einem Aquarell

Abb. 5.15   Smart Song aus einer selbst komponierten Melodie

der Presse als originell gefeiert und half so, die Herstellungskosten der Kampagne zu kompensieren. Die Idee wurde auch bei der internationalen Presse ein Renner – selbst im Playboy-Magazin erschien ein Artikel. Originelle Ideen können immense Entlastung des Marketingbudgets entwickeln. Zu der Zeit hatten wir auch aus einer Eigenkomposition den Smart Song produziert, den wir im Marketing integriert haben (Abb. 5.15a–b). Umsicht und Hobby brachten die Geschäftsidee.

5.4  Sandkastenspiel als Weg vom Hobby zur Selbstständigkeit

155

• Zur Ideenanregung in Besprechungen verweise ich gerne auf bekannte internationale oder nationale weniger bekannte Unternehmer, die gute Ideen haben. Die Modellperson muss durch irgendein Talent außerordentlich sein und jeder muss die Person kennen. Für Marketingfragen war Richard Branson mein Modell und bei Produktthemen Steve Jobs. Beim kreativen Schreiben von Inhalten und Copyrights könnte man fragen: „Was würde Woody Allen schreiben?“ Einfache Fragen lösen den Denkprozess aus, den Sie für neue Ideen und Assoziationen brauchen. • Ein Computerwissenschaftler der Stanford Universität sagte mir: „Ich denke, dass ich eher ein Problemlöser bin als einer, der kreativ sein will. Die meisten meiner Ideen kommen durch Konfrontation mit dem Problem oder mit der Situation, die ich gerne verbessern würde. Das gleiche Vorgehen habe ich beim Lesen oder Hören eines Themas, mit dem ich nicht einverstanden bin oder bei dem ich mir eine Verbesserung vorstellen kann. Für mich sind viele Dinge eine Herausforderung entweder zur Lösung oder zur Verbesserung. Ich schaue auf die Situation, stelle mir die Designoptionen vor und den Designrahmen (design space), schaue auf die Kompromisse und verfeinere mein Design mit Blick auf die Kompromissüberlegungen. Allerdings habe ich den Eindruck, dass die wirklich kreativen Lösungen durch Frustration über die gefundenen Optionen und Alternativen entstehen. Plötzlich kommt mir ein völlig anderes Vorgehen in den Sinn. Die Frustration über die ersten Lösungswege ist ein großer Motivator, noch kreativer zu werden.“ Das Instrumentarium für neue Ideen präsentiere ich durch die oben beschriebenen sechs Quellen der Kreativität und Innovation. Die dargestellten fünf Denkstrategien sind nur ein Teilsystem. Kommen Sie gedanklich nicht immer sofort und direkt auf den als wichtig herausgestellten Problempunkt. Umwegdenken – „thinking out of the box“ – hilft sowie die anderen Denkstrategien und die in den nächsten Teilen beschriebenen Denktaktiken. Nicht jede Idee muss von Grund auf neu sein. Kreativität kann auch schon in einer originellen Verbesserung liegen.

Teil II Die fünf Denktaktiken zur positiven Einstimmung

6

Denktaktik: Wach auf und freu dich auf etwas im neuen Tag

Wach auf und freu dich auf etwas im neuen Tag

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_6

159

160

6  Denktaktik: Wach auf und freu dich auf etwas im neuen Tag

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie: • Der Abschnitt: „Wach auf und freu dich auf etwas im neuen Tag“ ist die erste von fünf Denktaktiken zur positiven Einstimmung am Morgen für den ganzen Tag. • Die „Wach-auf-Denktaktik“ unterstützt die Denkstrategie Stressmanagement. Eine positive Grundeinstellung stärkt für kommende Gegenwinde im Beruf und Privatbereich. • Bereiten Sie den vergangenen Tag gut nach und den kommenden Tag gut vor. Notieren Sie Gutes vom alten Tag und erfreuliche Erwartungen an den neuen Tag. Das erhöht Wohlbefinden im Sinne des Motown Songs: „I feel good“ (James Brown: I feel good; https://www.youtube.com/watch?v=U5TqIdff_ DQ). Schreiben Sie kurze und einfache Notizen, damit Sie sich ohne großes Nachdenken sofort an den Zusammenhang erinnern können. Beim Aufwachen mit schlechter Laune sagen Sie einfach: „Meine gute Laune geht gerade mal meine Motivation suchen … – Oh, beide sind schon wieder da – na dann – kann’s ja losgehen mit dem neuen Tag.“ (Verfasser unbekannt)

6.1 Gut gelaunt in jeden Tag starten Gut gelaunt beginnt der Tag gleich besser. So bereiten Sie nicht nur den einzelnen Tag, sondern auch den Rest Ihres Lebens vor. Deswegen sollten Sie jeden Tag auch an folgende fünf Verhaltensweisen denken, damit Sie nicht irgendwann einmal bereuen, an den vielen Tagen nach dem Aufwachen etwas unterlassen zu haben.1 Bleiben Sie ruhig noch ein paar Minuten liegen und denken Sie darüber nach, was Sie am heutigen Tag machen und erledigen wollen: • Pflegen Sie täglich den Mut, sich selbst treu zu bleiben und nicht so zu leben, wie es andere erwarten (s. Teil 2, Kap. 9). • Vermeiden Sie die Verhaltenssucht „Überarbeit“ eines Workaholics und vermeiden Sie damit später den Wunsch, weniger gearbeitet zu haben (s. Teil 1, Kap. 1 und Teil 2, Kap. 10). 1Bronnie

Ware: 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen – Einsichten, die Ihr Leben verändern werden, Goldmann 2015.

6.2  Positive Stimmungsmacher nutzen

161

• Haben Sie Mut, Ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen und die Botschaft authentisch rüberzubringen (s. Teil 4, Kap. 20). • Halten Sie Kontakt zu Ihren Freunden (s. Teil 1, Kap. 1, bes. Kareem Abdul-Jabbars Regel 3: „Menschen, die andere Menschen brauchen, können sich glücklich schätzen, denn sie sind nicht allein.“). • Gönnen Sie sich immer mehr Freude (s.  Teil 1, Kap. 1, bes. Kareem Abdul-Jabbars Regel 3). Als Frühaufsteher denke ich kurz darüber nach, wie ich geschlafen habe, und freue mich dann auf eine Tasse Kaffee. Aus meiner Tübinger Studienzeit erinnere ich mich an Frau Dr. med. Gisela Eberlein, die morgens um 9:00 im Radiosender SWF 3 jeden Hörer mit energischer Stimme wachrüttelte. Ihr Leitmotto war: „Positiv sollen Sie Ihren Tag beginnen – Gesundheitstraining für Gesunde.“2 Genau das erreichen Sie mit einem ehrlich gemeinten und laut gesprochenen: „Wunderbar, jetzt geht’s los!“ Sie gehen mit Vorfreude zu einem frischen Kaffee oder Tee in die Küche. Gestalten Sie Ihren persönlichen Startsatz für den Tag als Gute-Laune-Mantra, um in positiven Schwung zu kommen. Die vorbereitende Routine kommt zuerst: Neue E-Mails und Zeitungsartikel lesen, Fragen kurz beantworten und Themen schon mal verteilen. Dann für etwas Bewegung sorgen – laufen, schwimmen oder zumindest kalt duschen, damit der Kreislauf in Schwung kommt. Bei nachtaktiven Eulen tickt die innere Uhr natürlich anders. Trotzdem darf Nachtschlaf nicht zu kurz kommen. Schlechter oder zu kurzer Schlaf senkt die Gehirnleistung. Forschungsergebnisse mit einem Stichprobenumfang von 6000 Personen zeigen, dass fehlender Schlaf unser Erinnerungsvermögen mindert, während Tiefschlaf gut für das Gedächtnis ist.3

6.2 Positive Stimmungsmacher nutzen Unterschätzen Sie nicht die eigene Motivationskraft durch kleine lieb gewonnene Dinge. Stimmungsmacher beleben den Alltag. Für den Fall, dass wir uns Montagmorgen mit Blick auf den kommenden Tag und die Woche Sorgen machen und 2Dr.

Gisela Eberlein auf YouTube im WWF Club 1982: https://www.youtube.com/ watch?v=aDL17K2XJbE (Min. 5:10 ff.). Vorteil des Frühaufstehers ist, dass er persönliche Aufgaben vor Sonnenaufgang angeht und sich konzentrieren kann, bevor die ständigen Ablenkungen anfangen. Hilary POTKEWITZ: Why 4 a.m. is the Most Productive Hour, WSJ, 23. August 2016. 3o. V.: Tiefschlaf gut für das Gedächtnis – In der Nacht lernt das Gehirn, ntv, 28. März 2014: http://www.n-tv.de/wissen/In-der-Nacht-lernt-das-Gehirn-article12552826.html.

162

6  Denktaktik: Wach auf und freu dich auf etwas im neuen Tag

die Laune nach unten geht, sollten wir positive Stimmungsmacher bereithalten.4 Kein guter Start ist es, wenn man sofort nach Aufwachen an ungelöste Probleme von gestern oder der vergangenen Woche denkt. Deswegen präparieren Sie eine Liste mit kleinen Aktivitäten, bei denen Sie allein der Gedanke daran schon aufheitert und auf die Sie zum Selbstverwöhnen jederzeit schnell zugreifen können. Hier meine Liste mit kleinen Erfreulichkeiten: • Am Anfang steht schon die Morgentasse mit dem gestern neu entdeckten ­Kaffee, Tee oder der altbewährten Sorte. Schon die achtsame Wahl Ihrer Lieblingstasse ist der erste Lichtblick. Ich erfreue mich immer an meiner Tasse mit dem Andy-Warhol-Dekor. Denken Sie dabei an Kleinigkeiten, die Ihnen Freude bereiten, wie z. B. der Theaterbesuch oder das kommende Treffen mit einem Freund im Literaturcafé oder im Fitnessclub. Eine brennende Kerze auf dem Tisch unterstreicht das Wohlbefinden zusätzlich. Wie bereits mehrfach erwähnt, löst Vorfreude schon Glückshormone aus (s. Teil 5, Kap. 21). • Ein Cappuccino mit Croissant beim kleinen Coffeeshop am Karpfenteich im Grand Hyatt Erawan (Bangkok). Der Klang des fließenden Wassers beruhigt und animiert kreative Gedanken. An diesem Ort schreibe ich gerne oder treffe Leute, wenn ich in Bangkok bin. Diese Oasen der Kreativität gibt es überall, wie für mich jetzt auch das Café am Neuen See im Berliner Tiergarten oder das kleine türkische Café Tinto mit Bäckerei am Mehringdamm in Berlin-Kreuzberg. • Schwimmen Sie und beobachten Sie dabei bewusst die Bewegung unter Wasser. Es entspannt und wirkt wie Meditation, wenn man Luftblasen auf Handrücken und an Armen entlang fließen sieht. Bewusstes Ein- und Ausatmen hat meditative und entspannende Wirkung. • Beenden Sie zeitraubende Ehrenämter und gewinnen Sie Zeit für Ihre drei wichtigsten Aufgaben, den drei Dateien auf Ihrem Bildschirm. Konzentrieren Sie mehr Zeit auf diese Aufgaben. Mehr Zeit bedeutet mehr Muse für das Wichtige, kein Zeitverbrauch für das Unwichtige und damit weniger Stress. Wie in Teil 1 Kap. 1 geschildert, stehen meine drei wichtigsten Zielaufgaben als eFiles in der Mitte meines PC-Monitors. Das gibt sofort nach dem PC-Einschalten den Fokus für den Tag. Das Ihnen vorliegende Buch ist ein Beispiel dafür. • Treffen Sie einen Freund zum Spaziergang, Kino oder Konzert mit anschließendem Essen. Gespräche mit Personen Ihres Vertrauens lösen Probleme. Gemeinsames Kopfspiel führt immer zu einem halben oder ganzen Ausweg.

4Richard

David Precht: Wer bin ich und wenn ja, wie viele?, Goldmann 2007, S. 362–367.

6.2  Positive Stimmungsmacher nutzen

163

• Schauen Sie auf die positiven Möglichkeiten des Tages wie in der Geschichte des vietnamesischen Mönchs Thich Nhat Hanh: Er lief mit Kindern durch sein Dorf namens Plum Village und sagte: „Wir haben jede Art von Feiertag. Es gibt einen Tag zu Ehren der Mütter, den wir Muttertag nennen. Es gibt einen Neujahrstag oder einen Vatertag.“ Ein Kind rief: „Warum deklarieren wir heute nicht einfach zum Heutetag?“ Alle stimmten zu und so feierten sie den Heutetag.5 • Leben Sie aktiv interessiert und lesen neue Zeitungen oder Magazine, schreiben selbst, musizieren und bewegen sich; kommunizieren Sie mit Menschen, die etwas wissen; sammeln Sie witzige und geistreiche Anekdoten und Zitate für kommende Reden. • Leben Sie sozial durch Kontaktpflege mit Familie und Freunden, auch wenn Entfernungen bestehen. In schwierigen Situationen sind offene und ehrliche Unterredungen wirksames Stressmanagement; dabei frischen Sie auch das Vertrauenshormon Oxytocin wieder auf (s. Teil 5, Kap. 21). • Leben Sie mit realistischen Erwartungen ohne überzogene Ansprüche an sich und andere und halten Sie Ihr Ego im Zaum. Nehmen Sie Missgeschick und Ärger nicht zu ernst. Immer obenauf werden sie nicht bleiben. Unzufriedenheit ist ab und zu ganz menschlich, da man Glück nicht erzwingen kann. • Pflegen Sie gute Gedanken: Merken Sie sich jeden Tag drei positive Dinge, die in den letzten 24 Stunden passiert sind – das erdet. • Wählen Sie und erfreuen Sie sich an einer sinnvollen Arbeit. Sigmund Freud sprach vom Weg zur seelischen Gesundheit durch die „… Fähigkeit, lieben und arbeiten zu können.“6 • Legen Sie volle Aufmerksamkeit7 auf das Hier und Jetzt: Genuss liegt in Farben und Duft der Blumen, in der Ästhetik und Schönheit eines gelungenen Designs, einer Lieblingsmusik, in einem Gemälde, gutem Essen mit Freunden, am Morgengesang der Vögel im Garten oder beim Warten an der Bushaltestelle, im beruhigenden S.O.S. als „Sound of Surf“ – Wellenklang im Urlaub am Meer (s. Teil 1, Kap. 1).

5Thich

Nhat Hanh: Happiness, Parallax Press 2009, S. 156 f. Freud zugeschrieben, nicht belegt: https://www.freud-museum.at/de/sigmundund-anna-freud/zitate.html. 7Daniel Goleman über die Wichtigkeit von Aufmerksamkeit und Fokus: Focus: The Hidden Driver of Excellence: https://www.youtube.com/watch?v=b9yRmpcXKjY (2013); Daniel Goleman on Focus: The Secret to High Performance and Fulfilment: https://www.youtube. com/watch?v=HTfYv3IEOqM. 6Sigmund

164

6  Denktaktik: Wach auf und freu dich auf etwas im neuen Tag

Mit all diesen positiven Kleinigkeiten, die Sie beliebig erweitern können, feiern Sie den heutigen Tag als „Heutetag“ – Ihren besonderen Feiertag. Das Leben ist überschaubar – deswegen: „Carpe diem“. Lassen Sie uns das Beste aus jedem Tag machen (s. Teil 2, Kap. 10).

6.3 Vergleiche meiden – sie machen unglücklich Wie im Kapitel Stressmanagement bereits dargestellt, sind unrealistische Vergleiche der sichere Weg in ein Jammertal. Unrealistische Vergleiche mit noch „erfolgreicheren“ Menschen und noch „besseren“ Zeiten sind Giftpillen für Zufriedenheit. Vermeiden Sie diese Grübeleien, wenn die Umstände schon gut genug sind.8 Ersetzen Sie Habgier durch Zufriedenheit mit dem Erreichten und beantworten Sie die Frage von Malcolm Forbes: Vom Dirigenten Benjamin Zander hörte ich: „Erfolg ist ein Spiel, es ist besser von Beitrag zu reden, davon wird man nicht müde.“9 Beitrag ist nicht das reine Streben nach Geld und Macht, es ist lebenslanges Lernen und Aktivität für die Gemeinschaft, die einen im Gegenzug für Talente entlohnt. Zwei Volkswirte von der Universität Chicago – Christopher Zsee und Jiao Zhang – bestätigten, dass Entscheidungen besser ausfallen, wenn man nicht vergleicht.10 Beispiel: Beim Vergleich zweier Stellenangebote fällt die Entscheidung meist auf den besser bezahlten Job, auch wenn die Entfernung größer und die Fahrzeit zwischen Wohnung und Arbeitsstelle länger ist. Ähnlich wird beim Hauskauf entschieden – man neigt dazu, trotz längerer Entfernung zum Büro, das Haus mit mehr Wohnfläche zu wählen. Später bereut man die Entscheidung, wenn der gewählte Job oder das Haus nicht mindestens gleich hoch bewertet wird wie zum Zeitpunkt der Entscheidung. Zse und Zhang nennen dieses Phänomen das Vergleichsvorurteil, d. h., Vergleiche können uns bei Entscheidungen in die Irre führen. Die Falle: Unterschiede in den Alternativen zwingen uns zur Entscheidung. Das Risiko: Bei Alternativen bewerten wir solche Attribute zu hoch, die unser Wohlbefinden und Glücksgefühl eigentlich gar nicht steigern. Die Lösung: Prüfen Sie sorgfältig, ob das Vergleichsergebnis auch dann positiv ausfällt, wenn das gewählte Gut im Alltag regelmäßig konsumiert wird. Also fragen Sie sich: Arbeitet man im höher bezahlten Job wirklich motivierter und lebt man im größeren Haus wirklich glücklicher? 8Lowe

Counsel: Good Enough Generation: The Rise of the Have-Nots, Sommer 2012. Zander beim Symposium „Leaders in London“, Nov. 28, 2007. 10Winand von Petersdorff: Lieber nicht vergleichen, FAZ, 23. Sept. 2012, S. 46. 9Benjamin

6.4  Hobbys auch geschäftlich nutzen

165

6.4 Hobbys auch geschäftlich nutzen Hobbys sind Teil der Kunst, sich selbst positiv abzulenken. Hobbys sind aber auch dafür gut, dass man sie im Beruf zur Ideenfindung einsetzen kann. Hier mein Beispiel: Während der sechzehn Jahre in Japan lernte ich gerne die Sprache und übte mich dann auch in der Kalligrafie. Für die Kalligrafiestunde wählte ich japanische Aphorismen, die ich gerne mit kräftigen Pinselstrichen schrieb. Einmal wählte ich den japanischen Satz: Ichi go ichi e, der mich inspiriert und bis heute begleitet. Der Satz bedeutet so viel wie: „Ein nicht wiederkehrender Moment mit einmaliger Chance“ – oder anders ausgedrückt: Man muss den Moment mit seiner Chance erkennen und diese beherzt ergreifen – sonst ist die Chance vertan und kommt nicht wieder. Mit dieser Einstellung praktizierten Samurai die Teezeremonie vor dem Kampf. Das Verständnis ist: Es könnte die letzte Tasse Tee sein. Ich werde nie vergessen, wie ich auf dem Holzboden im traditionellen japanischen Haus meiner Lehrerin in Tokyo (Akasaka) diesen Satz nach einem anstrengenden Arbeitstag geschrieben habe. Das Japanpapier lag auf einem großen indigoblauen Filz, sodass der tintengefüllte Kalligrafiepinsel beim Entladen keine Rücksicht nehmen musste. Die Tinte brauchte danach Wochen zum Austrocknen und glänzt heute noch nass.11 Der Satz „Ichi go ichi e“ (Abb. 6.1) hängt zur stetigen Erinnerung dicht an meinem Platz für Gespräche, damit ich diese achtsam führe. Seit Anfang der 90er-Jahre begleitete diese Kalligrafie die Besprechungen. Die Botschaft ist: Führe jede Besprechung und jedes Gespräch mit voller Konzentration (Respekt, Authentizität, Empathie), anderenfalls ist es besser, auf das Meeting zu verzichten. Die digitale Kommunikationstechnologie senkt nachgewiesenermaßen unsere Aufmerksamkeit und bewirkt Einsamkeit, wie Sherry Turkle mit ihren Studien, Artikeln und Vorträgen unter dem Stichwort „Alone Together“ beweist.12 Achtsamkeit muss geübt werden, sonst lässt uns Flüchtigkeit das Wesentliche

11Weitere

Kalligrafien, Aquarelle, Rollbilder, Screens und Teppiche finden sie auf meiner website: www.AlexanderPauflerArt.com. 12Sherry Turkle: Alone Together – Why We Expect More from Technology and Less from Each Other, 2011; https://www.ted.com/talks/sherry_turkle_alone_together…

166

6  Denktaktik: Wach auf und freu dich auf etwas im neuen Tag

Abb. 6.1   Ichi go ichi e – Once in a Life Time – Die einmalige Chance

übersehen. Am Ende haben wir nichts erreicht. John Lennon formulierte dieses Dilemma schon viele Jahre, bevor die Facebook-Kommunikation begann:13 Leben geschieht, während Du damit beschäftigt bist, andere Pläne zu machen (John Lennon).

6.5 Tetris hilft positiv denken Psychologen fanden den positiven Tetris-Effekt nach Analysen mit dem Videogame Tetris. Auf dem Monitor fallen sieben verschiedenfarbige geometrische Formen von oben auf den Boden des Monitors. Die Spieler können die Formen bewegen, bis sie den Boden berühren. Ist ein Spieler in der Lage, die fallenden

13Der

Satz (im englischen Original: „Life is what happens to you, while you’re busy making other plans.“) geht auf Allen Saunders, Publishers Syndicate, zurück, und wurde bekannt durch John Lennons Song Beautiful Boy auf dem Album Double Fantasy: https:// www.youtube.com/watch?v=Z5BBEOjUKrI, 2009 (Min. 2:15 aus 4:12).

6.5  Tetris hilft positiv denken

167

Formen so zu ordnen, dass sie auf dem Monitor eine horizontale Linie bilden, verschwindet die Linie und der Spieler hat gewonnen. Die monotone Handlung verstärkt die Aufmerksamkeit. Im Alltag können wir selbst einen positiven Tetris-Effekt bewirken, indem wir nur an das denken, was positiv gelaufen ist, und wir fügen es wie ein Puzzle zusammen. Die kleinen und großen Erfolgsbausteine bringen aneinandergereiht ein Glücksgefühl. Scannen Sie ihren Tag nach positiven Bausteinen: das kurze, aber kreative Meeting; das überraschende, aber positive Telefonat; eine erfolgreiche E-Mail oder ein Treffen mit einer neuen, interessanten Person; der notierte Gedankenblitz zur späteren Verwendung in einem Projekt.14 Arbeiten Sie weiter an einer Idee im persönlichen Sandkastenspiel, vielleicht lässt sich daraus eine Innovation entwickeln. Das kann ein Buch oder eine Geschäftsidee sein. Durch das An- und Abschalten der Aufmerksamkeit und unbewusste Weiterdenken kommen Ideen zur Reife. Fragen sie sich: Womit könnte ich meine Idee anreichern? Wie kann ich den Entwurf oder den Geschäftsplan verbessern? Welche alte oder neue Idee könnte die Qualität und Besonderheit der ersten Idee steigern? Welche Idee aus dem heute gelesenen Artikel oder Buch kann ich wo verwenden?15 Wie im Zusammenhang mit dem Thema Stressmanagement bereits dargestellt, kann uns der bloße Gedanke an eine unangenehme Aufgabe oder an ein Risiko in Alarm versetzen. Umgekehrt lässt Vorfreude die Glückshormone im Blut steigen. Arbeiten Sie mit ihren alten und neuen Ideen und praktizieren Sie dabei Flexibilität, Offenheit und die Fähigkeit, eingefahrene Einstellungen zu ändern sowie emotionale Intelligenz beim Verkauf Ihrer Ideen.16 Die 1000+ • Mein Tag beginnt in der Regel zwischen 4 und 6 Uhr morgens. Noch im Liegen, weil für mich zur Ideenfindung bewährt, lasse ich mir noch die Dinge durch den Kopf gehen, die ich diesen Tag anpacken will. Das kann ein weiteres Kapitel im Buch sein oder ein Treffen mit einem Geschäftspartner zur Beilegung eines Konfliktes. Zur Schaffung einer guten Atmosphäre wähle ich ein von ihm favorisiertes Lokal. Nach diesem geistigen Jogging ist eine erfrischende Dusche angesagt und danach der Morgenkaffee. Eine Stunde

14Shawn Achor:

The Happiness Advantage, Crown Business 2010, S. 88–100 ff. Sanders: Innovation beyond the day job, FT, 18. Juni 2012, S. 12: http://www.ft.com/ intl/cms/s/0/50910b52-b70d-11e1-8a95-00144feabdc0.html#axzz3v4ecB3lg. 16Gregory Berns: Iconoclast, S. 129 ff.

15Ian

168

6  Denktaktik: Wach auf und freu dich auf etwas im neuen Tag

Sport sollte zum Wohlbefinden für den Tag drin sein. Nach so einer Einstimmung sehen selbst unangenehme Tage gleich besser aus. • Die vertrauensvolle Gesprächsrunde: Einer meiner Studenten sagte mir, dass er seine Ideen im vertrauensvollen Gespräch mit Freunden und Kollegen, die er respektiert, findet. Förderlich ist entspannte Konversation mit Scherzen, Reden und Zuhören. • Die Motivation: Neben der Saunatür hatte das Management des Gebäudes in Thailand die Saunaregeln aufgehängt. Die Beschreibung motivierte zum Saunieren: „Das Gefühl ist gut, Sie sind erfrischt, alle Sorgen sind verschwunden und die Welt lächelt breit.“ – Wenn das kein tagesabschließender Motivationssatz ist!

7

Denktaktik: Genieße Überraschungen

„Staunen ist der Anfang der Erkenntnis.“ (Platon) (http://www.zitate-online.de/literaturzitate/allgemein/ 17797/das-staunen-ist-der-anfang-der-erkenntnis.html)

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie: • Werden Sie zum Sammler der neuen überraschenden Ideen. Lernen Sie, sich an Überraschungen zu erfreuen, genauso wie an einem unerwarteten Airline Upgrade, dem verspäteten Empfang eines handgeschriebenen Geburtstagsbriefes oder an einer plötzlichen Anerkennung.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_7

169

170

7  Denktaktik: Genieße Überraschungen

• Wenn Sie überrascht werden, geben Sie schnell ein positives Feedback. Ein „Express-Dankeschön“ wirkt wie eine Wertschätzung in Richtung dessen, der die Überraschung initiiert hat. • Gehen Sie aufmerksam durch den Tag und sammeln Sie Erkenntnisse und Überraschungen. Wie in Teil 1, Kap. 2 erwähnt, überraschte mich bei einem Hotelaufenthalt der Zuckerbeutel mit der Aufschrift: It is in the little things. – Ein hervorragender Satz, um jungen Mitarbeitern vorbild­ liche Serviceeinstellung zu erklären. Bewunderung besteht aus Überraschung in Begleitung von etwas Vergnügen und einem Gefühl der Zustimmung (Charles Darwin).1

7.1 Wissensdurst und Überraschungen Neugierde und Wissensdurst auf neue Ideen sowie das Staunen über neue Dinge, neue Trends und neue Bekanntschaften sind Katalysator für Kreativität. Der Psychologe Todd Kashdan sieht Kreativität „Hand in Hand mit Neugierde“. Er entwickelte Fragebögen, um Neugier und Entdeckereigenschaften zu messen.2 Statt Neugierde bevorzuge ich den Ausdruck „Wissensdurst“. Wissensdurstige Menschen sind nicht nur kreativ, sondern meist auch glücklich. Allzu bescheiden sagte Einstein über sich selbst: „Ich habe keine besondere Begabung, ich bin nur leidenschaftlich ­neugierig.“3 Sie waren sicher auch schon einmal überrascht nach einem Gespräch mit einem Fremden, den Sie selten gesehen und nie gesprochen haben. Die Überraschung kann mit einer völligen Meinungsänderung einhergehen, da die Person gar nicht so übel ist, wie Sie immer vermutet hatten. Kreativität ist oft nur die Kombination von alten und neuen Ideen und neuen Informationen mit überraschenden Ergebnissen.4

1Charles

Darwin, zit. in: Helmut Becker: Darwins Gesetz in der Automobilindustrie – Warum deutsche Hersteller zu den Gewinnern zählen, Springer 2010, S. 53. 2Todd Kashdan: Curious? Discover the Missing Ingredient to a Fulfilling Life, Harper 2010, S. 266–268. 3Sieben Lebensweisheiten von Albert Einstein: https://www.psychologischefakten.net/7lebensweisheiten-von-albert-einstein/, 12. Dez., 2016 u. a. zu Neugier und Intuition. 4Patrick Dawson, Constantine Andriopoulos: Managing Change, Creativity & Innovation, Sage 2014, S. 61.

7.1  Wissensdurst und Überraschungen

171

Warum nicht jeden Tag unbekümmert einen neuen Kontakt knüpfen oder einen alten Kontakt neu aktivieren? Greifen Sie einfach zum Telefon und verabreden Sie sich mit einem vergessenen Freund. Beim Gang durch die Buchhandlung findet sich immer ein Buch, wonach Sie nicht gesucht haben, und das Neugier auf Lesen weckt. Unerwartete Überraschungen stimulieren besonders – des­ wegen sind Networking-Events so wertvoll. Man hört Neues und erhält neue Per­ spektiven. Der Besuch von Seminaren bringt regelmäßig solche überraschenden Erkenntnisse und Kontakte. Alte Vorstellungen und Meinungen bekommen durch neue Gesprächspartner und deren Meinungen eine Erneuerung und wir verändern alte Vorurteile.5 Es ist immer entscheidend, interessante Menschen zu treffen, denn: „Du wirst zu dem, mit dem du Deine Zeit verbringst“, hörte ich und las von vielen wie Tom Peters oder Tony Robbins.6 Jim Rohn paraphrasierte diese Erfahrung so: „Du bist der Durchschnitt von den fünf Personen, mit denen du die meiste Zeit verbringst.“7 Sich mit positiven Menschen zu umgeben, wurde im sogenannten Blue Zone Project des Magazins National Geographic als einer von neun Gründen für ein längeres und besseres Leben herausgefunden.8 Belegen Sie Kurse, wie „Kreatives Schreiben“‚ „Mediation“ oder „Online Marketing“, um neues Wissen und neue Gesprächspartner zu finden. Oft entwickeln sich daraus wertvolle Treffen oder gar gemeinsame Projekte mit einem der Kursteilnehmer. Robert McKee, der „Story-Professor von Hollywood“, erzählte in einem Londoner Kurs über kreatives Schreiben folgende Geschichte:9 Im Publikum entdeckte er den Schauspieler Kirk Douglas in der ersten Reihe seiner New-YorkCity-Vorlesung über kreatives Schreiben von Drehbüchern und Romanen. Zu der Zeit war Kirk Douglas bereits hoch in den Siebzigern, hatte seine erfolgreiche Schauspielkarriere also längst hinter sich. Robert McKee fragte ihn: „Warum sind

5Gregory

Berns: Iconoclast – a neuroscientist reveals how to think differently, Harvard Business Press 2010, S. 58. 6https://projectlifemastery.com/who-you-spend-time-with/. 7Im englischen Original: „You are the average of the five people you spend the most time with.“ Emanuel James „Jim“ Rohn war ein US-amerikanischer Unternehmer, Autor und motivierender Redner. 8Im Blue Zone Project untersuchte Dan Buettner, warum an bestimmten Orten der Welt Menschen über 100 Jahre alt werden. Ergebnis der Forschung waren neun Gründe – die sogenannten Power 9, vgl. www.bluezoneproject.com. 9Robert McKee: Story – Substance, Structure, Style, and the Principles of Screenwriting, Regan Books 1997; Robert McKee: Dialogue – The Art of Verbal Action for the Page, Stage, and Screen, Twelve – Hachette Book Group 2016.

172

7  Denktaktik: Genieße Überraschungen

Sie denn in meinem Kurs?“ Kirk antwortete: „Ich habe das Gefühl, dass ich bisher noch nicht genug in meinem Leben gemacht habe.“10 Der Hirnforscher Gerald Hüther sagte: „Ein Vierjähriger stellt 400 Fragen am Tag und wir müssen endlich aufhören, ein natürliches Talent – wie Wissens­­ durst – einzuschränken. Stress und Formalismen erschlagen Kinder heutzutage so früh in ihrer kreativen Entwicklung.“11 Pflegen Sie Neugierde, Kreativität und die Leidenschaft, zu fragen. Eine neue Passion oder das Studium von etwas Neuem lenkt ab vom Alltagsstress, vertreibt Langeweile und bringt Farbe in den Alltag. Deswegen belege ich pro Jahr mindestens zwei Seminare, um auch als Erwachsener wissensdurstig weiterzulernen.

7.2 Ein Roboter namens Neugier Die NASA taufte den auf den Mars geschossenen Roboter „Neugier“ („Curiosity“). Die Fotos von Landung des Roboters lösten weltweit Staunen aus; sie zeigten symbolhaft, was Kreativität vermag: „Schicke neueste Technologie zum Mars, sorge für eine sichere Landung und sende umwerfende Bilder in perfekter Qualität.“12 Die Chance im Alltag: Systematisches Sammeln überraschender Dinge und das Kennen origineller Themen, die einen erfreuen und inspirieren, lösen auch bei anderen Staunen und Freude aus, wenn sie überraschend in den Alltag eingebaut werden.

7.3 Positiver Service überrascht In einer Taverne in der Türkei goss der Kellner aus einer großen Kanne kaltes Wasser über den Marmortisch. Auf meine erstaunte Frage, warum er das denn mache, kam die Antwort: „… damit der Tisch für Sie kühl wird.“ Das war für mich eine wirklich positive Serviceüberraschung und eine stets gern erzählte Erfahrungsgeschichte.

10Robert

McKee erzählte auf YouTube die Story, die ich selbst auf dem Seminar von ihm in London (3.–6. Nov. 2011) hörte: The McKee-Fields Story, Sessions: Part 2.; https://www. youtube.com/watch?v=ip0C9hTBccE (Min. 3:55–7:00 von 13:39). 11Gerald Hüther: Wir stellen den Kindern ihren Wissensdurst ab, http://www.lernwelt.at/ service/auf-sendung/prof-dr-gerald-huether.html; Gast des Tages auf hr am 03.07.2011. 12Clive Cookson: Mars robot puts US back on the map, FT, Aug. 7, 2012, S. 5.

7.4  Unser Gehirn überrascht

173

Ähnlich überrascht war ich Jahre später in den USA beim Auspacken einer Warenlieferung. In der beiliegenden Rechnung lag ein kleiner Beutel mit bunten Fruchtgelee-Bärchen – Eine gute Idee, um eine Rechnung süß zu „verkaufen“ und beim Kunden gute Stimmung auszulösen! Wertmäßig war das im Vergleich zum Rechnungsbetrag eine Kleinigkeit, aber es war eine Aufmerksamkeit, die positive Beachtung fand. Solche kleinen Überraschungsideen können mit der Denkstrategie Umformung schnell und einfach auf andere Produkte und Dienstleistungen angepasst werden (siehe Teil 1 Kap. 4 Denkstrategie: Umformung).

7.4 Unser Gehirn überrascht Achten Sie einmal darauf, wie schnell unser Gehirn Dinge aufnimmt, verkettet und uns über Nacht mit neuen Ergebnissen überrascht. Unser Gehirn kompensiert auch etwaige Schäden nach einem Schlaganfall oder gehirnverletzendem Unfall durch die sogenannte Plastizität. Das ist Wachstum neuer Zellen und neuer Verkettungen. Einmal Gelerntes wie Radfahren, Schwimmen, Klavierspielen ist schnell reaktiviert, auch wenn wir die Fertigkeit 20 Jahre ruhen lassen. Beim damaligen Erlernen gelegte neuronale Verbindungen sind noch da, wir müssen sie nur aktivieren.13 Ich konnte nach einer 30jährigen Pause allein durch die Randbemerkungen meines damaligen Klavierlehrers in meiner Jugend gelernte Stücke schnell wieder aufrufen und nach geringem Üben wieder spielen. Eine überraschende neuronale Verknüpfung lag folgendem Tagtraum zugrunde: Zuerst hörte ich entspannt in der Einladung zu einer Ausstellungsvorbesichtigung eine Melodie. Warme Cellotöne wurden von Klavierarpeggien begleitet.14 Gedanken führten mich aus Berlin mit einer Assoziation nach Bangkok in eine drei Jahre zurückliegende Vorlesung. Damals trug ich ein John-Lennon-T-Shirt. Zeitgleich sah ich eine Nachricht mit der Überschrift: „The Psychology of What Makes a Great Story.“15 Mein mich unterhaltendes Gehirn hängte dann noch ein Zitat an die Ereigniskette. Das Zitat hatte ich vor Jahren gesammelt und archiviert: „What does it mean to be a writer? It means that I don’t ever have to learn to use the remote

13Niels

Birbaumer: Dein Gehirn weiß mehr als Du denkst, Ullstein 2016, S. 40. auf Video: Vorbesichtigung zur 46. Auktion, http://www.lehr-kunstauktionen.de/ video/videos.html. 15https://www.brainpickings.org/2016/01/20/jerome-bruner-actual-minds-possible-worldsstorytelling/. 14Musik

174

7  Denktaktik: Genieße Überraschungen

Abb. 7.1   Zuckerbeutel mit Service-Botschaft

on our television set. I am my own home entertainment center.“16 Den Einfall garnierte mein Gehirn noch mit Querdenken zu Bildern von John Lennon und dem irischen Schriftsteller Paul Muldoon, von dem das Zitat stammt. Dabei bemerkte mein Gehirn bei beiden Personen die gleiche runde Brillenform. Mit diesen thematisch und zeitlich unterschiedlichen Ereignissen entstand eine überraschende Vernetzung von sechs Gedanken in kürzester Zeit. Die 1000+ • An einem Wochenende auf der thailändischen Insel Koh Samui fand ich morgens im Hotelzimmer beim Kredenzen einer Tasse Kaffee den kleinen braunen Zuckerbeutel. Beim Betrachten des Zuckerbeutels las ich einen kurzen Satz, den ich später immer wieder zur Erklärung von gutem Service im Aftersales-Management verwendet habe: „Kleinigkeiten machen es aus“ (Abb. 7.1). Detailliebe ist der Schlüssel zur Service-Exzellenz. Hotellerie und Gastronomie sind Goldminen für Serviceideen, die auch auf andere Geschäftsfelder übertragbar sind. Service lebt nun mal von makellos ausgeführten Kleinig­ keiten und Aufmerksamkeiten, die den Kunden erfreuen. • Ein amerikanischer MBA-Student überraschte mich in meiner Vorlesung „Branding Yourself as Leader“ mit der Bemerkung: „Ich habe noch nie einen so extrovertierten Deutschen gesehen.“ Grund für seine Überraschung war, dass ich wegen der Hitze im thailändischen Hörsaal mein Jackett ausgezogen hatte. Unter dem Jackett trug ich ein T-Shirt mit dem Porträt von John ­Lennon (Abb. 7.2). Die Formulierung des Studenten, im Original benutzte er den Begriff „flamboyant“, überraschte mich zuerst nicht positiv, aber nach dem Gespräch wertete ich „flamboyant“ eher als Kompliment.

16Paul

Muldoon, poet, FT, March 30/31, 2013, S. 12.

7.4  Unser Gehirn überrascht

Abb. 7.2   Überraschung in der MBA-Vorlesung

175

8

Denktaktik: Verschenke Überraschungen

Aber Hallo!

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie: • Gewitzte Kommunikation ist Überraschung, um Abwechslung, Bewunderung, Ideen und Freude auszulösen, und um für andere Farbe in den Alltag zu bringen. Überraschung wird als kreative Aufmerksamkeit empfunden und bleibt in Erinnerung. Jeder ist für positive Überraschungen dankbar, da Langeweile ein flächendeckender Stimmungskiller ist. • Überraschungsmeetings a la Steve Jobs auf dem Gang sind spontane Zufallsmeetings, die Ideenfindung anregen. Überraschend sind unerwartete

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_8

177

178

8  Denktaktik: Verschenke Überraschungen

Auftritte, interessante Reden mit originellen Inhalten, kurzum ein Handeln und Verhalten, das außerhalb des Gewohnten liegt. • Durchdenken Sie Überraschungen gut und spielen Sie alles bis zur Umsetzung durch, damit es eine professionell originelle und keine verrutscht peinliche Überraschung wird. Eine Prise Exzentrik wirkt immer überraschend, aber bitte nicht zu viel. Verstehen Sie Exzentrik als originell, ungewöhnlich und außerhalb der langweiligen Normalität, aber nicht als störende Provokation. Menschen, die immer nur daran denken, was andere von ihnen halten, wären sehr überrascht, wenn sie wüssten, wie wenig die anderen über sie nachdenken (Bertrand Russell).1

8.1 Wow-Überraschung und CEO-Branding Deswegen: Seien Sie großzügig, Überraschung und Lob sind wichtige inspirierende Führungsaufgaben, denn „Lob verträgt man bekanntlich in ungemessenen Mengen.“2 Das gepaart mit Originalität dient dem Aufbau einer charismatischen CEO-Brand. Unerwartete Inspirationen lösen Bewunderung aus und regen Mitarbeiter zur Nachahmung an. Kevin Plank, der CEO der US-Sportartikelmarke Under Armour, ist angetrieben von der Vision, überraschen zu wollen und alle Daten der Trainingsdaten seiner Kunden genau zu analysieren. Diese Freude lässt ihn nach neuen Ideen suchen, über neue Ideen nachdenken und Wow-Ideen kreieren. Kevin Plank schreibt seine Leitsätze und Ideen auf Tafeln und verbreitet diese Ideen im Unternehmen. Ein Interview zeigt seine Begeisterung an Technologie und der digitalen Transformation seines Unternehmens in ein „Math-House“, in dem alle Entscheidungen mathematisch und durch statistische Auswertungen vorbereitet werden.3 Kevin Plank präsentiert, wie er persönliche Fitnessdaten über Apps von seinem Kundenstamm einsammelt. Mit den Apps: Map My Fitness, My Fitness

1Bertrand

Russell, englischer Universalgelehrter und Nobelpreisträger: http://zitate.net/ bertrand-russell-zitate. 2Ernst und Lucie Freud (Hrsg.): Sigmund Freud, Briefe 1873–1939. Frankfurt/Main: 1968, S. 446, 8.10.1936, an Ludwig Binswanger. 3Under Armour ist, gemessen an seinem Wachstum, der erfolgreichste Sportartikelhersteller und auf dem Weg, Nike zu schlagen; siehe Tom Foster: Kevin Plank is Betting Almost 1 Billion That Under Armour Can Bet Nike, http://www.inc.com/magazine/201602/ tom-foster/kevin-plank-under-armour-spending-1-billion-to-beat-nike.html.

8.3  Storytelling als überraschende und erinnerungsfeste Botschaft

179

Pal und Endomondo transformierte er die traditionelle Sportartikelfirma Under Armour (UA) in ein Technologieunternehmen. UA kann genau nachweisen, was seine 150 Millionen Kunden an Sport treiben, was sie essen und vieles mehr. UA hat ein gewaltiges Dashboard für private Daten geschaffen. Erschreckend ist dabei, wie viele private Daten offenliegen, weil Kunden sie freiwillig liefern.

8.2 Spontanität und Überraschung Steve Jobs liebte die ganz zufälligen Überraschungsmeetings und propagierte sie mit den Worten: „Kreativität ist das Ergebnis von spontanen Meetings und Zufallsdiskussionen.“4 Er platzte häufig mit „blöden Ideen“ („dopey ideas“) in das Büro seines Chefdesigners Jonathan Ives, um Ideen zu diskutieren. Besessenheit von der Perfektion zeigt sich stark in der Denkstrategie Umformung durch Drehen, Wenden und Verbessern.5 Im Produktdesign oder in Präsentationen überließ Jobs nichts dem Zufall. Alles, bis aufs kleinste Detail, wurde geprüft. Steve Jobs hatte auch hohen Respekt vor ersten, zerbrechlichen Ideen, weil aus ihnen etwas Großes entstehen kann.6 Für ähnliche Überraschungsmeetings ist Carlos Ghosn im Nissan-Turnaround bekannt.

8.3 Storytelling als überraschende und erinnerungsfeste Botschaft Verzichten Sie bei Produktevents oder Presseveranstaltungen auf lange Reden, deren Inhalt ohnehin in der Pressemitteilung steht. Ich kleide solche Reden bevorzugt in kleine Geschichten oder Dialoge. Grund: Menschen erinnern sich an Storys, nicht aber an Bullet-Points und Zahlen, die gehören in Handouts. Die nonverbale Kommunikation – sogenannte stille Botschaften – wurden von Dr. Albert Mehrabian erforscht. Mit seinen Ergebnissen stützt er auch die 30-50100 %-Erinnerungsregel: Wir erinnern uns zu 100 % an das, was wir fühlen, zu

4O-Ton: „Creativity comes from spontaneous meetings, from random discussions“: https:// www.goodreads.com/quotes/511417-there-s-a-temptation-in-our-networked-age-to-think-that. 5S. die Gedenkrede von Sir Jonathan Ive für Steve Jobs: http://fortune.com/2011/10/24/jonathan-ive-on-steve-jobs-and-the-fragility-of-ideas/ (Min. 48:00 ff. von 1:20:58), in: Fortune, 24. Okt. 2011. 6Carmine Gallo: The Presentation Secrets of Steve Jobs – How to be insanely great in front of any audience, McGraw-Hill 2010.

180

8  Denktaktik: Verschenke Überraschungen

50 % an das, was wir hören, zu 30 % an das, was wir lesen. Erinnerung entsteht durch alle emotionalen und sinnlichen Eindrücke und nicht nur durch das Hören von Inhalten. Mehrabian hat herausgefunden, dass nur 7 % der Botschaften durch Worte erfolgen, 38 % durch die tonale Aussprache und 55 % durch Elemente wie Mimik, Gestik und Körperhaltung. Wir nehmen somit 93 % der Information durch Augen, Ohren und je nach Situation auch durch das Tastvermögen auf. Über Handschlag und Geruchssinn ausgelöste Gefühle tragen zur Erinnerung bei. Mehrabians 93 %-Regel gilt insbesondere dann, wenn wir dem Redner misstrauen und die gesprochenen Worte skeptisch aufnehmen. Bei der Bangkok International Motorshow 2012 hatte ich die geplante Überraschung in eine Story gekleidet (Abb. 8.1a–c): Der Gang durch eine fiktive Garage und die Fahrt mit Musik zu einem Event dienten als roter Faden. Die drei vorzustellenden Neuprodukte waren in der fiktiven Garage – dem Messestand – noch verdeckt. Am Stand war es berstend voll. Ich nahm dann zu einer gespielten Fahrt den offenen Sportwagen und schaltete das fiktive Radio ein. Der Drummer im Hintergrund war der erste hörbare Klang, den ich in Richtung Autoradio kommentierte. Dann folgte ein Bass und etwas später setzte ein Saxofon ein. In diesem Moment sagte ich: „Hier muss die Party laufen!“, stieg aus und ging zur Band hinten auf dem Stand. Zur Vorstellung der drei neuen Modelle spielten wir den amerikanischen Evergreen Summertime von George Gershwin, aber im Sound immer auf das jeweilige Modell zugeschnitten. Die Abwechslung bietende Überraschende lag im wortlosen Auftritt, wohl wissend, dass niemand auf der alljährlichen Motorshow im März vom CEO alte Vorjahreszahlen hören will. Ohne Überraschungen sind Presse, eingeladene VIPs und Kunden schnell gelangweilt. Aber jeder horcht auf, wenn etwas Ungewöhnliches passiert. Auch negative Botschaften sollten in kreativer Form übermittelt werden. In der täglichen Routine sind Überraschungen die Farbe im Alltag. Dazu können

Abb. 8.1   Rede mit Jam-Session.

8.3  Storytelling als überraschende und erinnerungsfeste Botschaft

181

Sie unterschiedlichste Wege gehen, wie z. B. unerwartete Witze, eine seltene Geschichte oder eine schlagfertige Bemerkung einbauen. Wenn Sie eine spannende Überraschung aufbauen wollen, müssen sie mit der Information kreativ spielen. Auch CEOs müssen lernen, wie man eine inspirierende Geschichte mit Pointe erzählt. Jeder will diese Kunst beherrschen, deshalb ist es kein Wunder, dass die Kurse von Robert McKee, dem Autor von Story und Dialogue, auch bei Managern gefragt sind.7 Reden müssen eine abwechslungsreiche Storyline haben. Eventmarketing muss mit Überraschungen und einer Storyline die Aufmerksamkeit sichern. Das führte Robert McKee dazu, kreatives Schreiben unter dem Namen „Storynomics“ anzubieten. Überraschen kann man mit vielem. Merken Sie sich die Lieblingsgewohnheiten von Kunden, Geschäftspartnern, Vorgesetzten und Mitarbeitern. Bringen sie Ihren Einfall unerwartet und plötzlich. Spontanität löst Gelächter aus. Sprechen Sie Personen nicht nur mit Namen an, sondern machen Sie aus ihren Qualitäten und Eigenarten einen Spitznamen – aber nicht verletzend. Ein spontaner Anruf oder Brief an einen vergessenen Freund zeigt Wertschätzung, Empathie und löst Sympathie aus. Erzählen Sie von Ihren neuen Ideen, eine spaßige Geschichte oder von Ihrem neuen Hobby. Kleine Aufmerksamkeiten sind überraschend, zeigen und lösen Dankbarkeit aus. Sie erfahren z. B. von einem Bekannten, dass er eine Japanreise plant. Nichts ist für einen Japankenner leichter, als ein paar Ideen und Tipps zu Land, Leute, heißen Quellen und traditionellen japanischen Hotels zu geben. Eine unerwartete Aufmerksamkeit ist stets eine dankbar angenommene Überraschung. Der Musiker Lionel Hampton sagte einmal: „Dankbarkeit ist, wenn die Erinnerung daran im Herzen und nicht im Verstand abgespeichert wird.“8 Wertschätzung durch eine handgeschriebene Notiz mit Lob sowie ein unerwartetes, anerkennendes Lächeln bringt Licht in jeden Alltag. General Colin Powell nahm sich Zeit, einen handschriftlichen Dank- oder Lobesbrief an Untergebene zu schicken. Beim unerwarteten Besuch im Dienstzimmer eines Untergebenen konnte er später seinen Brief wiedersehen – in der Zwischenzeit vom stolzen Mitarbeiter eingerahmt.9 Das ist ein hervorragendes Beispiel für Leistungsmanagement. 7Robert

McKee: http://storynomics.com/. englischen Original: „Gratitude is when memory is stored in the heart and not in the mind.“ https://www.brainyquote.com/quotes/lionel_hampton_381586. 9Auszug aus Colin Powells Buch It Worked for Me: In Life and Leadership als Artikel in Policy.Mic: Colin Powell’s 13 Life Rules For Any Future Leader, http://mic.com/articles/65663/colin-powell-s-13-life-rules-for-any-future-leader#.cDXO9IbNf/ Colin Powell im Interview zum gleichen Thema: https://www.youtube.com/watch?v=_4oZoUXiETs. 8Im

182

8  Denktaktik: Verschenke Überraschungen

8.4 Improvisation überrascht und schafft Führung Die Praxis der Improvisation im Theater, im Jazz und bei Reden bietet der heranwachsenden Führungskraft viele Ideen zur Verbesserung des eigenen Führungsstiles. Grund für Improvisationen: Nicht alles ist planbar. Improvisation ist eine besondere Fähigkeit im Umgang mit unberechenbaren Situationen, Geschäftspartnern, schwierigen Mitarbeitern und unerwartet auftretenden Schwarzen Schwänen. Krisen – keiner rechnet damit und dann sind sie auf einmal da. Hier einige Verhaltenstipps für nicht planbare Situationen: • Reduziere Komplexität und improvisiere bei Chaos, Krise und Unsicherheit. Je komplexer die Welt ist, desto mehr neigen wir dazu, uns nur auf einen Teil des Problems zu konzentrieren – alles andere wird vernachlässigt. Das verkleinerte Modell gibt uns die Illusion, dass wir alles unter Kontrolle haben.10 • Bejahe begangene Fehler als Chance, zu lernen. • Experimentiere und verbessere beim Gestalten von Schreiben und Präsentationen. Selbst Ernest Hemingway las, korrigierte und verbesserte seine Manuskripte bis zu 206 Mal mit Umformdenken, bis der Text letztlich vollkommen war.11 • Vertraue auf minimale Struktur und maximale Selbstkontrolle. • Knüpfe Netzwerke mit bereichernden Menschen, denn sie färben auf die eigene Persönlichkeit ab. • Habe den Mut, Kompetenz zu zeigen und unerwartet einzusetzen. • Provokation bewirkt Reaktion, die wiederum neue Ideen bringt. • Unternehmer gehen Risiken ein genauso wie Jazzmusiker, die mit den vier Elementen der Musik spielen: Melodie, Harmonie, Rhythmus und Sound. Führungskräfte müssen ebenfalls die Kunst der Improvisation lernen, dabei spielen sie mit Elementen der Betriebswirtschaftslehre, der Kommunikation, des Verhaltens (fragen, zuhören, beobachten, experimentieren, netzwerken, assoziieren) und der Überzeugung (s. Teil 4, Kap. 20).

10Ron

Ashkenas: How do you reduce complexity in seven simple steps, Forbes, 24. März 2014: https://www.forbes.com/sites/ronashkenas/2014/03/24/how-to-reduce-complexity-in-seven-simple-steps/#7294ec85e43a. 11Larry W. Phillips: Ernest Hemingway on writing, Touchstone 1984, S. 133. Sein 206-maliges kritisches Durchlesen erwähnt Hemingway u. a. in Across the River and Into the Trees.

8.6  Die Kunst der Präsentation

183

8.5 Der Losada-Effekt Höchste Vorsicht ist bei negativen Bemerkungen angebracht. Der Lehre des sogenannten Losada-Effekts zufolge „braucht es drei positive Kommentare, um eine negative Bemerkung auszugleichen.“12 Mit sachlichem Denken beeinflussen Sie ihr Amygdala-kontrolliertes System. Dieses „Flucht- und Angriff-System“ löst blitzschnelle Reaktionen aus und kann in 33 Millisekunden einen Gesichtsausdruck analysieren, bewerten und Vorurteile begründen.13 Immer, wenn ich von meinem Interesse an Kreativität und Innovation erzähle, stoße ich auf Verwunderung und dann auf Neugier. Die meisten wollen daraufhin das Buch lesen. Mit einem kurzen Gespräch gelingt, was ich auf Englisch „inspirelize“ nenne (inspire = inspirieren und realize = realisieren). Mit Verkürzung und durch die Wortkombination14 inspirieren Sie genaues Zuhören. Durch ein einziges Fantasiewort überraschen Sie und erzielen die Aufmerksamkeit, die Sie für eine wichtige Botschaft brauchen. Aufmerksamkeit15 zu erzielen ist eine wichtige Aufgabe: Ideen müssen an Mitarbeiter vermittelt werden. Zur Realisierung der Idee brauche ich die volle Unterstützung des Teams. Hier ist Überzeugungskunst gefragt, damit die Implementierung der Idee realisiert werden kann (s. Teil 4, Kap. 20).

8.6 Die Kunst der Präsentation Überraschung kann durch spannend kreative Präsentationen erreicht werden, egal, ob verbal oder als digitales Medium. Entscheidend ist, dass der Redner geschickt gegen die schrumpfende Konzentrationsspanne der Zuhörer arbeitet. Interessantes, Kreatives, Originelles und Spannendes hält die Aufmerksamkeit der Zuhörer wach. Vermeiden sie Langeweile durch zu viel Information und Slides. Vermeiden sie die „100+-Slideshow“, wenn Sie nur eine Stunde Vortragszeit haben. Es muss genug Zeit für Erklärungen ohne Zeitdruck bleiben. Gute verständliche

12Shawn Achor:

The Happiness Advantage, Crown Business 2010, S. 60 f. limbischen System s. http://webspace.ship.edu/cgboer/limbicsystem.html. 14Sigmund Freund stellt in seinem Buch Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, Fischer 2012, S. 32 ff. verschiedene Techniken des Witzes, u. a. auch die Verkürzungstechnik dar. 15Daniel Goleman: Focus: the Hidden Driver of Excellence, Talks at Google, https://www. youtube.com/watch?v=b9yRmpcXKjY. 13Zum

184

8  Denktaktik: Verschenke Überraschungen

Erklärungen brauchen genug Vortragszeit und auch genug Denkzeit beim Empfänger. Benutzen Sie Farbe, aber nicht zu viel. Wenige Worte zu einem emotionalen Bild sprechen für sich. Slides mit viel Text sind wie Text-Handouts und nicht mehr zeitgemäß. Machen Sie sich die Präsentationstechnik eines minimalistischen Zen-Stiles zu eigen.16 Einfachheit bedeutet, dass sich die Story und das Bild einprägen. Also: ein Slide – ein Bild – ein kurzer Satz und freie Erläuterungen des Redners. Nehmen Sie, je nachdem in welchem Land die Präsentation stattfindet, eine lokale bekannte Figur oder eine landestypische Geschichte für ihre Botschaft. Westliche Witze kommen nicht in jedem Land an, da die kulturelle Eigenart des Witzes oft nicht verstanden wird. Ein amerikanischer Witz in Japan oder Deutschland läuft an den Lachmuskeln vorbei und löst gleich zu Anfang der Rede betretenes Schweigen aus. Ein bekannter Investor aus Texas erfuhr das mit einem Witz im Foreign Correspondents’ Club Tokyo. Keiner lachte. Dagegen erzielen landesübliche Geschichten und Anekdoten schon deswegen den gewünschten Überraschungseffekt, weil ihre Kenntnis bei einem Ausländer nicht erwartet wird und daher Staunen auslöst. Die 1000+ • Zuhörer wollen heute Mediamix, also digital präsentierte Information mit Filmmaterial. Das hält die Aufmerksamkeit frisch; Abwechslung ist wichtig, damit die Zuhörer bei der Sache bleiben. Dieser Bedarf wird auch mit dem Begriff „Edutainment“ beschrieben: Education muss Entertainment beinhalten. Beispielhaft sei hier die Präsentation mit Kamera und 4D-AR-Technologie (AR = Augmented Reality) genannt. Die Bildeinspielung in das Kamerabild ist surreal und höchst effektvoll. Während der 32. Bangkok International Motor Show 2011 haben wir diese Methode genutzt. Ich empfehle das YouTube-Video, um sich die AR-Technologie anzusehen.17

16Garr

Reynolds: Presentation Zen, New Riders 2008. Das Buch stellt einfache Ideen für die Gestaltung von attraktiven, einfachen und dadurch gewinnenden Slideshows dar. 17S. die Aufzeichnung der Mixed Media Show Mercedes-Benz mit 4D AR (Augmented Reality Technology) während der 32. Bangkok International Motor Show.mp4: http:// www.youtube.com/watch?v=BsPOz2H6aVs; s. Abdruck in: The Lowe Effect, Sammlung ausgezeichneter Werbemaßnahmen der UK IPA Awards, Sonderdruck von LOWE + PARTNERS 2011, S. 50–51.

8.6  Die Kunst der Präsentation

185

• Der Marketingchef einer großen Investmentbank überrascht mit Mode. Auf die Frage, ob er auch einen Searsucker-Anzug tragen würde, antwortete er: „Aber natürlich – unser Geschäft ist so hart im Wettbewerb, dass man mit allem Möglichen aufwarten muss, um sich zu differenzieren. Wenn ich dadurch ein Gesprächsthema schaffe und einem Kunden die Herkunft des Searsuckerstoffes erklären kann, ist das ein guter Start.“18 • Steve Jobs überraschte Industriedesigner der Firma FROG Design mit einem unorthodoxen Briefing zu top vertraulichen Produkten. Das Projekt umfasste sieben geheime Produkte deswegen der Codename „Snow White“. Er gab keine Information zu Marktsegmenten, zu Zielgruppen oder zu Preis und Volumen, sondern zur großen Verwunderung der Designer nur die Forderung: „Ich will Bob Dylan Songs“. Die Designer waren durch diese Zielvorgabe erst erstaunt, aber die Worte Steve Jobs’ über Bob Dylan Songs regten das kreative Denken an.19 • Im Wahlkampf für den Bürgermeisterposten in Bangkok brachte der unorthodoxe Kandidat und Geschäftsmann Suharit „Toe“ Siamwalla das Motto: Überraschung und Spaß. Er regte mit seiner provozierenden Forderung: „Wählen Sie mich nicht“ auf Plakaten zum Nachdenken an. Beispiel: „Wählen Sie mich nicht, wenn sie der Meinung sind, dass Bangkok grün genug ist oder wenn Sie in der Stadt auf dem Fahrrad glücklich sind.“20 Der Kandidat ermutigte die Wähler dazu, anders und „out of the box“ zu denken. Das war als ungewöhnliche Art einer Wahlkampfsprache überraschend, weil ohne die sonst üblichen Versprechungen. • Der amerikanische Hip-Hop-Musiker und Musikproduzent mit der originellen Schreibweise seines Namens Will.i.am arbeitet in seiner Musikgestaltung mit neuester Technologie. Technologie treibt alles. Als „Director of Creative Innovation“ bei Intel entwirft Will.i.am das Konzept für die nächste Generation interaktiver Technologie.21 Auf den ersten Blick ist es überraschend, dass Intel ihn

18Sam Hopkins: Seersucker Punch – Can the ultimate leisure suit be a hit outside of the US, FT, 11. August 2012, Life & Arts, S. 4. 19Steve Jobs’ Lieblingssong war Dylans One Too Many Mornings. https://www.youtube. com/watch?v=0BXKC-EYw-0. 20http://bangkok.coconuts.co/features/dj-suharit-siamwalla-the-softer-side-of-the-unorthodox-underdog. 21http://will.i.am/articles/will-i-am-talks-tech/.

186

8  Denktaktik: Verschenke Überraschungen

als Ideenfinder angeheuert hat.22 Will.i.am überrascht aber nicht nur durch seine Technologieausrichtung, sondern auch Straßenmusikanten mit seiner spontanen Neugier. Als er im weißen Sportwagen an einem Straßenmusiker vorbeifuhr, hörte er seine eigene Komposition. Darauf hielt Will.i.am seinen Wagen an und stimmte spontan in seinen Song ein: „I gotta feeling that tonight’s gonna be a good night“.23 • Nach einem Vortrag fragte mich der ehemalige CEO einer der größten deutschen Krankenkassen: „Wo in Ihrem System finde ich Intuition? – Ich mache sehr viel mit Intuition.“ Er sei spontan und baue oft intuitiv auf seinen Instinkt und seine Erfahrung. Meine Antwort damals war, dass ich sie im Kapitel: „Verschenke täglich Überraschungen“ sehen würde. Spontanität ist Überraschung und Intuition ist genauso ad hoc. Ich bin ihm heute noch für diese überraschende Frage dankbar, denn damals hatte ich an die Einordnung von Intuition in mein System noch nicht gedacht.24

22Strassenmusiker-Szene

mit Will.i.am http://will.i.am/category/technology/. Musiker Will.i.am überrascht den Straßenmusiker: https://www.youtube.com/ watch?v=BkaFxO-YOX0. 24Monika Pohl: Intuition, GABAL 2017, Kapitel 1.1: Der innere Vermittler, S. 10. 23Der

9

Denktaktik: Realisiere Herzenswünsche

Wasser, Farben und Strukturen

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_9

187

188

9  Denktaktik: Realisiere Herzenswünsche

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie: • Do what you want to! als Herzenswunsch kann auch zu einer drastischen Änderung führen (Slomo: The Man Who Skated Right Off the Grid, The New York Times, 1. April 2014; https://www.youtube.com/watch?v=Xn87mcnoVc). • Die Suche nach einer Vielzahl von Optionen ist ein gutes Mittel gegen das Risiko zu scheitern und gegen spätes Bedauern. Mein Ceterum censeo ist immer: „Mit der Anzahl der Alternativen steigt die Qualität der Entscheidung.“ Das entspricht der Denkstrategie 2 Vielfaltdenken: je mehr Ideen, desto besser. • FLOW ist ein fast ekstatischer Bewusstseinszustand. Dieser Zustand wird erreicht, wenn man selbstvergessen und mit Begeisterung an etwas arbeitet, das man wirklich gerne macht. Wir brauchen dazu Vertiefung in eine von uns geliebte Arbeit oder faszinierendes Hobby. Im Flow-Zustand vergessen wir alles. Wir sind „in der Zone“ – „in the Zone“ – und mit Ausdauer auf unsere Beschäftigung fokussiert. Flow erzeugt die notwendige Geduld, um hartnäckig das Ziel zu verfolgen: Scheitern, wieder aufstehen und weitermachen. Dieses am Ball bleiben macht den Innovator und Ikonoklasten aus, der nicht nur die Idee hat, sondern die Idee auch gegen Widerstände durchsetzt und umsetzt (Mihály Csíkszentmihályi: Flow, the secret to happiness, https:// www.youtube.com/watch?v=fXIeFJCqsPs, Uploaded am 24. Okt. 2008). Ein Herzenswunsch realisiert sich nicht durch Zauberei, sondern durch Entschlossenheit, Schweiß und harte Arbeit (Colin Powell).1

9.1 Was ist eigentlich das Problem? Irgendwann fragt sich jeder: „Warum mache ich eigentlich das, was ich jetzt mache?“ Tief im Herzen wissen wir ziemlich genau, was wir machen wollen. Die Erkenntnis ist da, aber es hapert am Mut zur Umsetzung. Vermeiden Sie das

1Im englischen Original: „A dream does not become reality through magic; it takes sweat, determination and hard work“ zit in: http://www.mbarendezvous.com/essay/dreams-do-not-become-reality-through-magic/.

9.1  Was ist eigentlich das Problem?

189

Aufschieben von unangenehmen Entscheidungen. Bei Unzufriedenheit nichts zu unternehmen, bringt nur negative Stimmung. Spätere Enttäuschung, wenn Änderungen nicht mehr möglich sind, verbittert.2 Finden Sie ihr Signaturtalent und machen Sie es nicht nur zum Herzenswunsch, sondern zur Passion und zum Beruf. Suchen und finden Sie Ihren Herzenswunsch mit www.viasurvey.org und den vielen anderen Tipps, die ich für dieses Buch zusammengetragen und überlegt habe. Mit den Jahren kann die Anziehungskraft eines Berufes schwinden, wenn nur Gewinn, Gehalt und Wachstum die Ziele darstellen. Viele Manager suchen nach einer erfolgreichen Karriere dann eine signifikante Arbeit, bei der sie sich wohl fühlen.3 Allerdings können bei der Umsetzung Hürden im Weg stehen: • • • • •

Auffinden und Aufgreifen von Alternativen, Ehrlichkeit gegenüber sich selbst, Überbewertung der Risiken, Ablehnende Meinungen anderer zur gewünschten Veränderung, Umsetzung der neuen Wunschalternative mit Zuversicht.

Vielen fehlt der Mut, auch dann beherzt Veränderungen einzuleiten, wenn sie drastisch sind. Aber selbst bei alltäglichen Themen wie Arbeitsplatzwechsel oder Wohnortänderung bremsen Bedenken und wir bleiben dort, wo wir unglücklich sind. In einer Langzeitstudie zeigen Gehaltszahlen eine steigende Entwicklung zwischen 1956 und 1998. Die Gehälter verdoppeln sich, doch die Anzahl der glücklichen Menschen stagniert bei 30 v. H.4 Mit anderen Worten: Selbst, wenn wir doppelt so viel verdienen, sind nicht mehr als 30 % der Menschen glücklich. Wir sind nicht ehrlich zu uns selbst, zögern mit wichtigen Entscheidungen und bleiben auf dem Platz sitzen, der uns täglich stört. Besser wäre es, die Faustregel des Aktienmarktes anzuwenden: „Stop losses“ – „verkaufe“, bevor die Verluste

2Bronnie

Ware: 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen, Goldmann 2015, S. 61 ff.: Versäumnis Nummer 1: Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu bleiben, statt so zu leben, wie andere es von mir erwarteten. S. auch Teil 5, Kap. 23: Der letzte Satz von Steve Jobs war so anders, als das was man von einem verbissen arbeitenden Steve Jobs kannte: „Bitte schätze die Liebe deiner Familie, deines Ehepartners und deiner Freunde mit hohem Wert ein … Behandele jeden gut und pflege Freundschaft mit deinen Nachbarn.“ 3Lucy Kellaway: Death can bring your career back to life, FT, 27. Februar 2017, S. 14. 4Mihály Csíkszentmihályi: Flow, the secret to happiness https://www.youtube.com/ watch?v=fXIeFJCqsPs, 24. Okt. 2008 (Min. 3:20 aus 18:55).

190

9  Denktaktik: Realisiere Herzenswünsche

bei fallenden Aktien noch größer werden. Knackpunkt bei der Umsetzung ist es, den inneren Schweinehund zu überwinden und den Herzenswunsch mit Selbstvertrauen umzusetzen.5

9.2 Die George-Eliot-Motivation Mut zur persönlichen Ehrlichkeit und die Botschaft von George Eliot kann nicht oft genug für eine beherzte Entscheidung betont werden: Es ist nie zu spät, etwas Neues anzufangen, um das zu sein, was man schon immer machen wollte (George Eliot).6

Es ist immer möglich, auf die einmal ausgeschlagene Wegstrecke zurückzukommen, wenn der damals gewählte Weg sich nicht wie gewünscht entwickelt hat. Ich liebe diesen Eliot-Satz als Lebensregel. Schon viele Jahre begleitet mich dieser Satz durch Mitarbeitergespräche, Vorlesungen und in Rat gebenden Briefen. Der CEO einer Telekomfirma sagte den neuen Studenten der Graduate Business School Sasin in seiner Ansprache: „Eine Karriere lässt sich nicht planen.“ Es kommt mehr darauf an, die sich bietenden Chancen ohne großes Zögern wahrzunehmen und dann später zu korrigieren, wenn eine Entscheidung sich als nicht richtig erwiesen hat. Risiken muss man eingehen, um etwas zu ändern. Hinausschieben bewirkt den größten Verlust.

9.3 Demotivation treibt Veränderung Studien vermitteln Erkenntnisse, die entsprechend umgesetzt werden können: • Vorgesetzte, die Mitarbeiter ignorieren, demotivieren diese Mitarbeiter mit 40 % Wahrscheinlichkeit. • Vorgesetzte, die sich auf die Schwächen der Mitarbeiter konzentrieren, demotivieren mit 22 % Wahrscheinlichkeit.

5Marco

von Münchhausen: So zähmen Sie Ihren inneren Schweinehund, Vom ärgsten Feind zum besten Freund, Piper 2004. 6Im englischen Original: „It’s never too late to be, what you might have been“, zit in: https://quoteinvestigator.com/2013/11/24/never-too-late/.

9.4  Gallup-Q12-Fragen zur Motivation

191

• Vorgesetzte, die sich auf die Stärken der Mitarbeiter fokussieren, demotivieren nur mit 1 % Wahrscheinlichkeit.7 Berufswechsel oder einer neue Position im selben Unternehmen können die Lösung bei Frustration und Demotivation sein. Deswegen heißt die Grundregel beim Performance-Management: „Die beste Methode zu motivieren ist die, all das zu unterlassen, was demotiviert.“ Nur leider bemerken demotivierende Vorgesetzte die negativen Auswirkungen ihres Verhaltens meist erst, nachdem ein guter Mitarbeiter gekündigt hat.

9.4 Gallup-Q12-Fragen zur Motivation Das Gallup Forschungsinstitut unersucht die Motivation von Angestellten unterschiedlicher Nationalitäten. Die Methode basiert auf 12 Fragen zum Thema, ob Mitarbeiter „motiviert“, „nicht motiviert“ oder gar „negativ motiviert“ sind (s. die Fragen unten). Die drei Motivationsebenen stehen für hohe, niedrige oder keine Unternehmensbindung. Motivierte Mitarbeiter sind mit dem Unternehmen emotional positiv verbunden und bringen sich leistungsstark ein. Nicht motivierte Mitarbeiter machen Dienst nach Vorschrift von 9:00 bis 17:00 – und das ist die große Mehrheit. Die negativ motivierten Mitarbeiter sind destruktiv und schaden damit dem Betriebsklima am meisten. Hier sollte man sich dringend überlegen, wie man diese Mitarbeiter los wird. Die Ergebnisse, angegeben in v. H., sehen in drei ausgewählten Ländern wie folgt aus (sie sind fast für jedes Land beim Gallup Forschungsinstitut erhältlich): Deutschland: motiviert: 15 – nicht motiviert: 70 – negativ motiviert: 158 Thailand: motiviert: 12 – nicht motiviert: 82 – negativ motiviert: 69 USA: motiviert: 32 – nicht motiviert: 51 – negativ motiviert: 17 (Stand 2015)10

7Tom

Rath: Strengths Finder, Gallup Press 2007, S. iv. Nink: Only 15 % of Employees in Germany are Engaged, Business Journal 1. Juli 2015: http://www.gallup.com/businessjournal/183851/employees-germany-engaged.aspx. 9Pichaya Changsorn: Thai engagement found to be lacking, The Nation, 27. Nov. 2009, S. 8 A. 10Amy Adkins: U.S. Employee Engagement Unmoved, July 9, 2015: http://www.gallup. com/poll/184061/employee-engagement-unmoved-june.aspx; http://www.gallup.com/ poll/181289/majority-employees-not-engaged-despite-gains-2014.aspx. 8Marco

192

9  Denktaktik: Realisiere Herzenswünsche

Dies sind die Durchschnittswerte der Mitarbeiterbindung an den Arbeitgeber. In Diskussionen mit meinen thailändischen Kollegen war die Schlussfolgerung, dass schlechte Motivationsarbeit der Führungskräfte ein Grund für dieses Ergebnis sein kann. Auf der anderen Seite muss ein niedriger Prozentsatz im Gallup Index auch in Verbindung mit dem jeweiligen Land gesehen werden. Auf das einzelne Unternehmen bezogen hat Gallup den Nachweis bringen können, dass die Produktivität steigt, wenn die emotionale Bindung an das Unternehmen steigt. Das deckt sich auch mit den Stressaussagen in den Gesundheitsberichten der Krankenkassen. Fehlzeiten steigen, wenn Chefs einen schlechten Führungsstil haben. Die Gallup-Q12-Mitarbeiterbefragung legt Mitarbeitern zwölf Aussagen zur Beantwortung vor: 1. Ich weiß, was von mir am Arbeitsplatz erwartet wird. 2. Ich habe genügend Material, Ausrüstung und Ressourcen, dass ich meine Arbeit richtig erledigen kann. 3. Bei meiner Arbeit habe ich Gelegenheit, genau das jeden Tag zu machen, was ich am besten kann. 4. In der vergangenen Woche habe ich Anerkennung oder Lob für gute Arbeit erfahren. 5. Mein Vorgesetzter oder ein Kollege kümmert sich um mich als Person. 6. Es gibt jemanden bei der Arbeit, der meine Weiterentwicklung ermutigt. 7. Meine Meinung scheint am Arbeitsplatz zu zählen. 8. Die Sinnhaftigkeit meiner Arbeit und des Unternehmens gibt mir das Gefühl, dass die Arbeit wichtig ist. 9. Meine Kollegen fühlen sich für das Ergebnis ihrer Arbeit verantwortlich. 10. Ich habe einen sehr guten Freund zum Kollegen. 11. Während der letzten sechs Monate hat jemand mit mir über meine Fortschritte gesprochen. 12. Im Vorjahr hatte ich Gelegenheit, an meinem Arbeitsplatz zu lernen und zu wachsen. Wenn Sie frustriert in einem vom Arbeitsmarkt nicht nachgefragten Beruf arbeiten, ist eine Änderung schwieriger. Eventuell ist eine neue Ausbildung oder Zusatzausbildung notwendig und Sie müssen Ihr Fachgebiet wechseln. Fortbildungsmaßnahmen helfen immer irgendwie weiter. Aus reinem Interesse habe ich gebucht: • einen neunmonatigen Mediationskurs zum Thema Streitbeilegung, Überzeugung und Verhandlung, • Kurse in kreativem Schreiben von Reden, Romanen und Drehbüchern,

9.4  Gallup-Q12-Fragen zur Motivation

193

• Klavierstunden zur Vorbereitung von besonderen Redeauftritten und MarketingEvents. Die Denkstrategie 5 Integration wird durch das Wissen aus verschiedenen Fachgebieten angereichert. Ein mir bekannter Arzt, der neben Medizin auch Architektur studierte, wurde ein gesuchter Experte für den Bau von Krankenhäusern. Der Neurologe Dr. Daniel Levitin (Toronto) war Rockmusiker, der aus einer Rockband in die Musikproduktion wechselte, um dann Medizin zu studieren und jetzt als Hirnforscher kognitive Prozesse zu erforschen.11 Es ist klar, dass wir nicht sofort alles beenden können, was uns stört. Als Vorstufe zum Ausstieg ist es sinnvoll, die negativen Aspekte der demotivierenden Situation als Lernerlebnis zu betrachten. Die Neubewertung kann bei einem Spaziergang, beim Laufen, im Fitnessstudio oder beim Schwimmen erfolgen. Oft kommen dabei erste Lösungsideen, die sofort für späteres Lesen und Überarbeiten notiert werden müssen. Dieser Prozess läuft in Wiederholungsschleifen ab, Sie drehen, wenden und verbessern Ihre ersten Lösungsideen.12 Irgendwann kommen Sie dann auf die Neupositionierung. Das wäre ein guter Zeitpunkt, den persönlichen Lebensplan einmal zur Hand zu nehmen und zu vergleichen, ob die neue Entscheidung noch in den geschriebenen Lebensplan passt. Vielleicht wird eine Anpassung des Lebensplanes oder eine Korrektur Ihrer Lösung notwendig (s. Teil 1, Kap. 1). Der Umstieg in einen anderen Industriezweig ist sicher einfacher als ein völliger Neuanfang. Im Alter von 25 bis 40 ist ein MBA oder Executive MBA an einer Business School eine gute Idee. Falls Sie bereits die Altersgrenze von 45 überschritten haben, empfiehlt sich der Wechsel zu einer anderen Firma oder in eine andere Abteilung. Der Wechsel aus der Steuerabteilung in den Verkauf ist eher schwierig, aber durch einen Zwischenschritt in der Finanzabteilung oder als CFO in einer Auslandsgesellschaft ist das auf dem Weg zum CEO durchaus machbar und sinnvoll. Ein anderer Weg ist Repositionierung mit Ihrem Signaturtalent, falls Sie dieses Talent noch gar nicht eingesetzt haben (s. Teil 3, Kap. 11).

11S.  Daniel

Levitin: Music and the Brain, 9. Dez. 2010; https://www.youtube.com/ watch?v=RsJl6Pys880; The World in Six Songs: Dr. Daniel Levitin at TEDxUSC 2012, https://www.youtube.com/watch?v=gAl2I30SoTA. 12S. Douglas Hofstadter, Professor für kognitive Wissenschaft, Mathematiker und Physiker mit Forschungsschwerpunkt „das Ich“, Bewusstsein, Analogie, Kreativität. Er veröffentlichte das Buch: I am a strange Loop, Basic Books 2007.

194

9  Denktaktik: Realisiere Herzenswünsche

Führungskräfte mit einer Geschäftsidee können natürlich jederzeit der Weg in ein eigenes Unternehmen wählen. Innovative Ideen finden sich immer, die entscheidende Herausforderung ist ihre Umsetzung. Ich hoffe aber, dass Sie durch mein Buch neue methodische Ideen erhalten und Ausdauer zur Umsetzung haben. Die 1000+ • Der Numerus clausus versperrt manchem den Wunsch, Medizin zu studieren. Nach Alternativen zu suchen, ist stets ein Weg, aus der lähmenden Ecke herauszukommen. Meine Neigung zu Beratungsgesprächen habe ich für die Ausbildung zum Steuerberater genutzt. Die Spezialisierung im internationalen Steuerrecht brachte mich ins Ausland und über ein Buch, das ich zusammen mit dem Leiter der Steuerabteilung einer großen japanischen Beratungsgesellschaft schrieb, kam ich nach Japan. Danach brachte mich diese Steuerberatung zum CFO und der ermöglichte mir den Einstieg als CEO. Das ist ein typisches Beispiel für den nützlichen, aber auch wiederum zufallsgetriebenen Umweg (s. Teil 1, Kap. 3). • Karrieren lassen sich kaum planen, wohl aber Ausbildung, Fortbildung und die Wahrnehmung von Chancen. Die Kunst der Überzeugung und der Mut, Chancen wahrzunehmen, sind letztlich für den Aufstieg ausschlaggebend. Durch die vielen Change-Management-Projekte beschäftigte ich mich mit Mitarbeitermotivation durch Kreativität und mit der Frage: Wie halte ich Mitarbeiter motiviert? Grund war die Inflation an neuen Projekten. In einer Firma laufen täglich Lernsituationen ab, die eine Quelle für Fallstudien und Notizen sind (s. Teil 1, Kap. 4). So konnte ich mein Interesse an der Recherche in der Praxis weiterhin aktiv halten. • Der CEO einer erfolgreichen Hotelkette ermutigt seine Kollegen, dass gute Leistungen der Mitarbeiter auch allgemein bekannt gemacht werden sollen. Zur stärkeren Motivationswirkung dieser Maßnahme lassen Sie aus dem Führungsteam eine andere Führungskraft als den direkten Vorgesetzten auf die Mitarbeiter zugehen und eine Anerkennung aussprechen. Ein Anruf oder kurzer Besuch im Büro der Mitarbeiter wirkt Wunder. Auf unpersönliche E-Mails würde ich verzichten, dann sollte man eher eine handschriftliche Notiz schicken. Das ist die Empfehlung des ehemaligen Secretary of State und General Colin Powell. Wie oben bereits erwähnt, haben sich Mitarbeiter Powells solche Notizen eingerahmt und stolz im Büro aufgehängt.

Denktaktik: Zeit achtsam wie Seneca nutzen

10

Lucius Annaeus Seneca (4 v. Chr.–65 n. Chr.)

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_10

195

196

10  Denktaktik: Zeit achtsam wie Seneca nutzen

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie: • Achtsame Lebensführung ist Teil der Vorbildaufgabe von Führungskräften. Die Vorbildaufgabe muss in einem soliden Wertesystem geerdet sein. Das morgendliche Nachdenken ist ideal, um Themen des kommenden Tages vorzubereiten. Digital versierte Mitarbeiter haben oft mehr Informationen zur Hand als Vorgesetzte. Was ihnen aber am Anfang der Karriere fehlt, ist Urteilsvermögen auf der Basis eines soliden Wertesystems. Grund genug, sich mit Senecas pragmatischem Wertesystem aus der Antike zu beschäftigen. • Bewusste Zeitnutzung statt ineffizienter Zeitverteilung bringt Zeitwohlstand. Blockieren Sie Ihre Denkbestzeit und kombinieren Sie diese mit einem Besuch der besten Umgebung: Zuhause, Büro, Lieblingsrestaurant, Café, Museum, Garten oder Park. • Lebenskünstler verstehen es, sich schnell den veränderten Umständen anzupassen. Lebenskünstler gewinnen Zufriedenheit, auch wenn sie materielle Güter einschränken müssen – so auch Seneca (S. Ausführungen in Teil 1, Kap. 1, bes. Abschn. 1.2.3.6. zur Giftpille 2). Wir haben genug Zeit, wenn wir richtig und nicht verschwenderisch damit umgehen. (Seneca)1

10.1 Zeitwohlstand Zeit ist kostbar, das hört man oft und es klingt mittlerweile abgedroschen. Erst spät schätzen wir Zeit als wertvoll ein. Ich glaube, es war vor mehr als 40 Jahren, als ich in einem Sachbuch über Effizienz folgenden Satz las: „Manche rechnen mit einem Zeitbudget von 65 Jahren und alles, was darüber hinausgeht, ist eine freundliche Dreingabe.“ Den Titel des Buches habe ich vergessen, aber das Bild „freundliche Dreingabe“ haftet fest in meiner Erinnerung. Wir alle erhoffen uns natürlich ein langes, gesundes und aktives Leben.

1Seneca: Von der Kürze des Lebens – Das Leben ist lang, wenn Du es zu gebrauchen verstehst, C.H. Beck 2007.

10.1 Zeitwohlstand

197

Gerade Führungskräfte sollten im Zeitbudget auch Qualitätszeit für Familie und Freunde reservieren. Überlegen Sie bitte, wie viel Zeit Sie, ohne groß zu fragen, an andere Personen verteilen: • an Mitarbeiter, Kollegen, Vorgesetzte und Geschäftsfreunde, • an Bewunderungszwerge,2 die hartnäckig nach Terminen verlangen. Die schmeichelnde Belästigung nimmt schlagartig ab, sobald Führungskräfte über kein Investitionsbudget mehr verfügen. Bewunderungszwerge verlieren dann ihren Appetit auf Zeit für Treffen, um die sie vorher dringend nachsuchten. Die Pensionierung bringt sowohl Zeitwohlstand als auch die Stunde der Wahrheit. In der griechischen Mythologie achten zwei Götter auf die Zeit. Beide haben dabei unterschiedliche Aufgaben und Zeitphilosophien: Chronos versteht Zeit als Zeitmaß und als ein endliches Zeitbudget. Jeder hat genau 100 Prozent.3 Dieses Zeitbudget wird bis zum Ende verlebt – nur die Zahl der absoluten Lebensjahre ist unbekannt. Kairos ist der andere griechische Zeitgott. Er versteht Zeit als Chance und symbolisiert den günstigen Augenblick, den es im richtigen Moment beim Schopf zu packen gilt. Kairos bietet die Chance, die wir nutzen und genießen können, wenn die Gelegenheit reif ist. Kein Wunder, dass Segelboote als Symbole der Gelassenheit häufig den Namen Kairos tragen. Das vorliegende Buch befasst sich nicht nur mit Komponenten für kreatives Denken, sondern auch mit den dazu notwendigen Werten. Stressmanagement hat Gelassenheit und Selbstvertrauen zum Ziel. Zur Gelassenheit gehört aber auch der sorgfältige Zeitverbrauch. Aufschieben hält Seneca für keine gute Idee: „Welche Verspätung, mit dem Leben anzufangen, wenn man aufhören muss!“4 Ist man sich der Begrenzung bewusst, dann ist der unangemessene Zeitverbrauch nur Zeitvergeudung. Nehmen Sie bitte aus diesem Exkurs den Gedanken mit, dass

2Wie

in Teil 1, Kap. 1 erwähnt, wurde der Begriff „Bewunderungszwerg“ von Anselm Grün geprägt: Den Wert vom Werten schätzen (lernen) … oder von der Liebe der Bewunderungs­ zwerge, Wittenstein-Sommerkolleg 2007. https://www.pressebox.de/pressemitteilung/wittenstein-ag/Den-Wert-vom-Werten-schaetzen-lernen-oder-von-der-Liebe-der-Bewunderungszwerge/ boxid/128862. 3Zeitverlust ist durch Time-Management-Kurse kaum nachhaltig zu stoppen. Dort lernt man nur, gegebene Zeit zu zerteilen und ordentlich auf Time-Management-Formulare zu verteilen. Wirksamer sind rigorose Anweisungen an die PA oder Sekretärin und der Mut, elektronische Störgeräte mal abzuschalten. 4https://schichtwechsel.li/?p=7292&lang=de.

198

10  Denktaktik: Zeit achtsam wie Seneca nutzen

Führung nicht nur in Maximierung von ROI, EBIDA, Free Cashflow, Shareholder Value und Stock Options besteht, sondern auch in dem Bewusstsein von Zeitwohlstand. Senecas bereits zitierte Worte zu „Haben“ und „Gehabt Haben“ vermitteln dazu die passende Einstellung und vielleicht auch Gelassenheit.

10.2 Werteverschiebung bei den Generationen Die sogenannte Millenniumsgeneration Y (s. Teil 1, Kap. 1) verlangt heute von Arbeitgebern mehr immaterielle Werte wie Inspiration und einen Sinn gebenden Arbeitsplatz. Gehalt und Karriere haben nicht mehr Stellenwert Nr. 1, wie er für „Baby-Boomer“ und die „Generation X“ ausschlaggebend war. Die Generationen Y und Z5 verlangen Führungswandel. Sie fordern Aufmerksamkeit, karriereförderndes Coaching und sinnvolle Aufgaben. Selbst ältere CEOs sprechen heute weniger über lange Arbeitszeiten und Statussymbole, sondern über sinnvolle Freizeitnutzung und Literaturstudium im Urlaub.6 Sichtbar getragene Bescheidenheit ist wichtiger als sichtbarer Luxus. Bill Gates und Lloyd Blankfein (Goldman Sachs) zeigen mit ­großer Freude ihre preiswerten Uhren statt exklusiver Schweizer Uhren.

10.3 Rat von Jobs, Lennon und Seneca In den letzten geschriebenen Worten von Steve Jobs verdrängt Bescheidenheit die an ihm oft kritisierte Selbstsucht:7 „Ich habe den Gipfel des geschäftlichen Erfolges erreicht. In den Augen anderer steht mein Leben für Erfolg. Außer Arbeit hatte ich allerdings wenig Freude. Zum Schluss ist mein Reichtum nur eine schlichte Tatsache geworden, an die ich mich gewöhnt habe. Jetzt liege ich im Krankenbett und erinnere mich an mein Leben … Was ist der Welt teuerstes Bett? Das Krankenhausbett. Du kannst einen Fahrer für deinen Wagen einstellen, wenn du Geld hast. Du kannst jedoch keinen einstellen, der dir die Krankheit abnimmt, die dich umbringt. Verlorene Dinge können wiedergefunden werden,

5Die

Generation Z folgt auf die Generation Y und ist ab Mitte der 90er-Jahre bis zu den ­frühen 2000ern geboren. 6Lucy Kellaway: Holidaying CEOs flaunt latest way to brag, FT, 24. Juli 2016. 7Im englischen Original: „Your time is limited, so don’t waste it living someone else’s life.“ – Im Anhang siehe den ungekürzten englischen Text: Die letzten Worte von Steve Jobs (Teil 5, Kap. 23).

10.4  Zeit für Kreativität und Innovation

199

aber eines findet sich nie wieder, wenn du es verlierst: Leben. Zu guter Letzt kommt der Tag, an dem wir zusehen müssen, wie der Vorhang fällt. Bitte schätze die Liebe deiner Familie, deines Ehepartners und deiner Freunde mit hohem Wert ein … Behandele jeden gut und pflege Freundschaft mit deinen Nachbarn.“ Als Teil Ihres persönlichen Stressfallschirms empfehle ich Ihnen, eine Sammlung wertvoller Gedanken anzulegen. Die Gedankensammlung wird Ihr Wertesystem abrunden und Ihnen bei der Führung im Alltag helfen. Mitarbeiter wollen Anregungen und Inspiration. Wenn Sie selbst nicht auf inspirierende Worte kommen, dann sammeln Sie gute Gedanken anderer. Die zitierten Sätze dürfen sich nicht gezwungen anhören, Sie müssen als Redner voll dahinter stehen und die Aussagen entsprechend leben. Hier nur drei Beispielsätze zu Themen wie Fokus, Achtsamkeit und bewusstes Leben: Fokussiert leben: „Deine Zeit ist begrenzt, verschwende sie nicht und lebe nicht das Leben eines anderen.“ (Steve Jobs)8 Achtsam leben: „Ein kleiner Teil des Lebens nur ist wahres Leben, der ganze übrige Teil ist nicht leben, sondern bloße Zeit.“ (Seneca)9 Bewusst Leben: „Leben ist das, was passiert, wenn du mit anderen Plänen viel zu beschäftigt bist.“ (John Lennon)10

10.4 Zeit für Kreativität und Innovation Der Rat von Stephen R. Covey ist ein guter: „Mach das Wichtigste zuerst“ („First things first.“). Zuerst die wichtigen Dinge erledigen und dann die dringenden. Lassen Sie sich nicht durch Feuerlöscharbeiten der täglichen Ad-hoc-Krisen steuern. Verlegen Sie Routinearbeiten auf Zeiten, in denen Ihnen die Energie fehlt, zum Beispiel nach dem Mittagessen. Allerdings kann man nicht immer nur neue

8Steve

Jobs im Original: „Your time is limited so don’t waste it living someone else’s life.“ https://www.brainyquote.com/quotes/steve_jobs_416854. 9Seneca: Von der Kürze des Lebens, C.H. Beck 2005. Für zeitgepresste Leser gibt es das Buch auch als Audio-CD. 10John Lennon komponierte 1980 den Song: Beautiful Boy über seine Erfahrungen mit Sohn Sean. Der von Lennon verwendete Satz wurde allerdings u. a. bereits von Allen Saunders geschrieben: „Life is what happens to you while you’re busy making other plans.“, Reader’s Digest Magazin Januar 1957.

200

10  Denktaktik: Zeit achtsam wie Seneca nutzen

Projekte bearbeiten, ständig Neues ermüdet. Jeder kreative Prozess braucht ausreichende Ruhephasen. Personalabteilungen sprechen oft von Work-Life-Balance. Allerdings wird diese Balance meist in den Hintergrund geschoben, wenn es um Zielerreichungen geht.

10.5 Monochrone und polychrone Zeitmanager Im Zusammenhang mit Zeitplanung und Zeitnutzung unterteilt der Anthropologe Edward T. Hall in monochrone und polychrone Menschen.11 • Monochrone Menschen teilen die Zeit ein und bilden mit den Zeitportionen einen Stundenplan, der dann penibel abgearbeitet wird und keine Veränderung erlaubt. Dieser Zeittypus macht „eins nach dem anderen“, konzentriert sich auf die Arbeit und identifiziert sich mit der Arbeit. Die Menschen arbeiten methodisch und halten sich an Pläne. Wichtig ist: Monochrone Menschen sind schwach kontextorientiert und brauchen deswegen zusätzliche Informationen, um Zusammenhänge zu verstehen. • Polychrone Menschen verteilen ihre Zeit eher flexibel und nicht starr. Dieser Zeittypus macht viele Dinge gleichzeitig, neigt zu Multitasking und identifiziert sich mit Familie, Freunden und Kunden. Polychrone Menschen lassen sich leicht ablenken. Sie stoßen Pläne schnell um. Wichtig ist: Anders als monochrone Menschen sind polychrone Menschen stark kontextorientiert, das heißt sie sind über Hintergründe gut informiert und brauchen deshalb nur wenig Zusatzinformationen. Nordamerikaner und Deutsche gelten als vorwiegend monochron, während Franzosen, Italiener, Japaner und Thais sich eher polychron verhalten. Es ist jedoch ratsam, dass auch monochron denkende Menschen sich ab und zu polychron verhalten. Das ist ein aus der Reihe springendes kreatives Umwegdenken (s. Teil 1, Kap. 3). Umgekehrt gibt es für polychron denkende Menschen viele konzentrationsstörende Situationen. Erfahrungsgemäß werden wir während der Arbeit alle 3–5 Minuten abgelenkt, und wir brauchen rund 25–30 Minuten, um

11Zu

dieser Aufteilung siehe: www.changingminds.org/explanations/culture/hallculture.htm.

10.5  Monochrone und polychrone Zeitmanager

201

wieder im alten Problem weiterdenken zu können.12 Die Ablenkung kommt neben E-Mails, SMS oder den sozialen Netzwerken auch durch Kollegen, die ohne Anmeldung und ohne Grund ins Büro hereinplatzen. Solche Unterbrechungen können aber auch für neue Ideen und Fehlerwarnungen wichtig sein. Die 1000+ • Aufwachen und noch im Liegen über Ideen von gestern nachdenken, um neue abzuleiten, ist ein kreativer Start in den Tag. Eine andere kreative Phase liegt vor dem Einschlafen. Ruhe und Abgeschlossenheit vom Lärm helfen in beiden Situationen. • Schlaflosigkeit frustriert und der Morgen beginnt meist unausgeruht. Schlaflose Nächte können aber auch dabei helfen, Ideen und Lösungen zu finden: Es gibt keine Ablenkung, ein 100-%-Fokus auf das Problem ist garantiert. So kam mir die Idee zu einer kleinen Motivationsrede vor frisch eingestellten griechischen Mitarbeitern mit einem Akronym: „Bei der Projektarbeit denkt bitte an die drei Buchstaben N.E.A. [griechisch für ‚neu‘]: Notiert alles, seid engagiert und fragt.“ NEA ist die Eselbrücke für N-ote, E-ngage, A-sk. Aber auch hier ist es wichtig, die Ideen sofort aufzuschreiben, sonst sind sie weg. • Sonntagszeit ist Musezeit für den Pariser Architekten Joseph Dirand: „Ich liebe Sonntagsarbeit. Wenn ich an einem Projekt arbeite, mache ich das mit Musik, ich schlage all meine Bücher auf, ich zeichne und in ein paar Stunden haben sich die Dinge geklärt und das ist die größte Freude.“13

12Natalie

Walters: A Psychologist shares his number one tip for staying focused at work: http://www.businessinsider.com/psychologist-gives-tip-for-staying-focused-2015-11; Kristin Wong: How long it takes to get back on track after a distraction; https://lifehacker.com/ how-long-it-takes-to-get-back-on-track-after-a-distract-1720708353. 13Zu Joseph Dirand: FT, May 5/6, 2012, S. 4 Life & Arts.

Teil III Fünf Denktaktiken zur Ideenfindung

Denktaktik: Freude an Bestleistung

11

Bestleistung: Na bitte – geschafft!

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_11

205

206

11  Denktaktik: Freude an Bestleistung

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie: • Gute Chefs inspirieren mit Kreativität und fachlichem Können. Wählen Sie deswegen einen Beruf, der Sie animiert und stimuliert. Wenn Sie täglich mit Ihrem Signaturtalent kreativ arbeiten können, sind Selbstmotivation und Erfolg gesichert. Machen Sie Ihre Stärken zur persönlichen Brand – zu Ihrem Profil. Dort wo Sie Schwächen haben, sind Sie sich derer hoffentlich bewusst und finden Kollegen, die Ihre Schwachstellen kompensieren. • Vermeiden Sie Routine durch kreative Umwege zum Umwegdenken sowie durch lebenslanges Lernen als ein Quell der Kreativität (s. Teil 1, Kap. 5, bes. Abschn. 5.1.1) (Stephan Grünewald: Die erschöpfte Gesellschaft, Warum Deutschland neu träumen muss, Herder 2013, S. 175). Das erweitert den Erfahrungshorizont mit neuen Ideen und entwickelt weitere Talente. • Signaturtalente fühlen sich durch Inspiration und Kreativität angezogen. Aufgeschlossenheit für Neues, neue Kontakte mit interessanten Menschen und inspirierende Überraschungen wirken attraktiv. … nichts ist stärker verbreitet als erfolglose Menschen mit Talent (Calvin Coolidge).1

11.1 Das eigene Signaturtalent finden und ausbauen Die von Calvin Coolidge aufgezeigte Gefahr, dass man trotz eines Talentes keinen Erfolg haben kann, laufen Sie nicht, wenn Sie sich mit Signaturtalent und Kreativität abheben und beharrlich Ihre Ideen realisieren. Es ist leicht, gute Laune zu haben und zu verbreiten, indem Sie zuhören, kommunizieren, sich kollegial kümmern und lachen. In Unternehmen gesellen sich

1Calvin

Coolidge, der 30. Präsident der USA, zit. bei Tom Sachs: Ten Bullets for WSJ, 28. Oktober 2011: https://www.wsj.com/articles/SB100014240529702046445045766532614 87906754. Calvin Coolidge im englischen Original: „Nothing in the world can take the place of Persistence. Talent will not; nothing is more common than unsuccessful men with talent. Genius will not; unrewarded genius is almost a proverb. Education will not; the world is full of educated derelicts. Persistence and determination alone are omnipotent.“

11.1  Das eigene Signaturtalent finden und ausbauen

207

die meisten Mitarbeiter zu den unterhaltsamen Kollegen. Stellen Sie sicher, dass eine gute Mischung von Arbeit und Freizeit Sie motiviert.2 Ihr Signaturtalent kann eine der fünf Rollen verstärken, die Sie aufgrund ihrer bevorzugten Denkstrategie einnehmen. Eine Mischung aus mehreren dieser Rollen zeichnet Sie als wertvolles Multitalent aus: • • • •

Stressmanager mit Balance (sehr gut im Stressmanagement) Ideenfinder mit Vielfalt (sehr gut in vielfältiger Ideenfindung) Differenzierer und Umdenker (sehr gut in gewitztem Denken) Verbesserer und Umformer (sehr gut im Drehen, Wenden und Verbessern von Ideen) • Integrator und Innovator (sehr gut im Zusammenführen von unterschiedlichsten Ideen) „Wir müssen an unseren Schwächen arbeiten“ ist als Rat oft zu hören. Das ist eine mögliche Einstellung, aber nicht die wirkungsvollste. Wir sollten uns eher fragen: „Was greift schneller und besser, als lange an Schwächen zu arbeiten?“ Die Frage im Sinne von Lebensqualität ist: „Was motiviert mich täglich am meisten und was maximiert meine Lebensfreude?“ Studien der Universität Zürich und Freie Universität Berlin zeigen, dass Menschen, die kreativ sind, auch eine positive Lebenseinstellung haben.3 Menschen, die sich auf eine positive Grundeinstellung und positive Werte konzentrieren, ziehen daraus Zufriedenheit, können Vorurteile schneller ändern und entwickeln eine positive Lebenseinstellung. Aus dem Vergleich von drei Gruppen mit insgesamt 180 Probanden stammt dieses Ergebnis. Eine Gruppe wurde in dem Test zum Vergleich neutral gehalten, die zweite übte Werte wie Dankbarkeit, Optimismus, Humor, Neugier und Enthusiasmus. Die dritte Gruppe trainierte Wertschätzung von schönen Dingen, Kreativität, Freundlichkeit, Wissensdurst und langfristiges Denken. Fazit: Nach dem zehnwöchigen Kurs fühlten sich die Kursteilnehmer besser, die positive Werte trainiert hatten. Andererseits vertritt der Psychologe Prof. Eid von der FU Berlin die Meinung, dass man eine glückliche Lebenseinstellung nicht so leicht antrainieren kann. Durch einen Kurs kann man aus

2Rhymer

Rigby: Put yourself on a complaining diet for 30 days, FT, 1. Oktober 2012, S. 14 (Kolumne: The Careerist). 3Carina Frey: Train yourself to be more content – A study, Deutsche Presse Agentur, in The Nation, 28. Oktober 2012, S. 3B.

208

11  Denktaktik: Freude an Bestleistung

einer­­ unglücklichen Person nicht einfach eine glückliche erzeugen. Er hält erzwungenes Glück für Unsinn, da negative Gefühle auch zu unserem Leben gehören. Der Versuchsleiter René Proyer, ein Psychologe der Zürich Universität, stimmt der kritischen Meinung zu, dass Kursteilnehmer, die positive Werte trainiert haben, in der Folge nicht für immer in Hochstimmung bleiben.

11.2 Schwächen finden und kompensieren Nehmen Sie das SWOT-Analymodell für unternehmerische Entscheidungen auch für persönliche Analysen. Für den Erfolg im Beruf ist auch entscheidend, wie Sie Ihre eigenen Schwachstellen ausgleichen und Stärken weiter ausbauen können. Machen Sie eine SWOT-Analyse Ihrer persönlichen Stärken und Schwächen sowie der Chancen und Risiken, die daraus entstehen könnten. Kooperieren Sie mit Persönlichkeiten, deren Signaturtalente in Ihrem schwachen Bereich liegen. Finden Sie die Rolle, die Ihrer Stärke entspricht, und finden Sie die Person, die Ihre Schwäche als Stärke besitzt. Pflegen und schätzen Sie diese Person. Ist Kommunikation nicht Ihre Stärke, dann sollte in Besprechungen ein guter Kommunikator neben Ihnen sitzen. Wenn Sie kein Zahlenfreund sind, dann suchen Sie sich einen sehr guten CFO. Besprechen Sie ihre Schwachstellen mit einer Vertrauensperson und hören sie auf deren Rat. Der amerikanische Humorist Jack Handey bringt es auf den Punkt mit dem Satz: „Falls Sie glauben, dass sich Schwächen in Stärken drehen lassen, muss ich Ihnen leider sagen, dass diese Annahme eine weitere Schwäche ist.“4

11.3 Nutze Analysen zur Selbstanalyse Gallup-Wissenschaftler haben einen Ansatz für Online Assessment entwickelt und ihm den Namen Strengths Finder 2.0 gegeben. Dieses Instrument hilft, Stärken zu finden, mit denen Sie sich als einzigartig profilieren können.5 Finden Sie

4Jack

Handey im englischen Original: „If you think weakness can be turned into a strength, I hate to tell you this, but that’s another weakness.“ http://www.matthewcornell.org/ blog/2007/8/4/deep-thoughts-on-personal-productivity-by-jack-handey.html; 5Tom Rath: StrengthsFinder 2.0., Gallup Press 2007. Gallup findet Ihre persönlichen Stärken heraus. S. http://strengths.gallup.com/157307/strengths-based-resources.aspx.

11.3  Nutze Analysen zur Selbstanalyse

209

Ihre Talentkategorie heraus. Sicher kann diese Kategorie zu Ihrer Stärke entwickelt werden und sinnvollsten Einsatz finden. Praktizieren Sie die Stärke und integrieren Sie dieses Signaturtalent im Team als Ihre Brand. Gallup sortiert Persönlichkeiten in 34 Kategorien je nach den angeborenen Stärken. Hier einige Beispiele für diese Qualitäten:6 • Leistungsorientiert  = Will am Ende des Tages etwas Handfestes erreicht haben. • Aktiv  = Will anfangen und ist ungeduldig, etwas zu tun. • Anpassungsfähig  = Ist flexibel, reagiert schnell im Moment und nach Bedarf, schiebt nichts auf. • Analytisch  = Will Beweise haben und sucht nach Zusammenhängen und Mustern. • Wertorientiert  = Hat starkes Wertempfinden mit Bedeutung, Richtung und innerer Zufriedenheit. • Führungsorientiert  = Zieht Verantwortung an sich und überzeugt mit seiner Meinung. • Kommunikativ  = Erklärt gerne, spricht und schreibt ohne Hemmungen. • Wettbewerbsorientiert  = Liebt Benchmarking, misst sich gerne mit anderen und versucht zu gewinnen. • Beständig  = Liebt den Ausgleich und Fairness, verabscheut Menschen, die Vorteile unfair ergattern. • Kontextbezogen  = Schaut zurück und lernt von der Vergangenheit. • Überlegt  = Sorgfältig, wachsam, aufmerksam. • Fördernd  = Sieht in anderen Menschen Potenzial. • Diszipliniert  = Ordnungsliebend, strukturiert, planbar, einschätzbar. • Empathisch  = Einfühlsam, kann Gefühle anderer nachvollziehen. • Fokussiert  = Denkt zuerst an das, was er erreichen will. • Futuristisch  = Schaut gerne über den Horizont in die faszinierende Zukunft. • Harmonisch  = Achtet auf Übereinstimmung. • Ideenfinder  = Fasziniert durch neue Ideen und Aha-Momente. • Einbeziehend  = Zieht den Kreis weiter, um mehr Meinungen einzubeziehen. • Individualistisch  = Fasziniert durch die speziellen Qualitäten jeder einzelnen Person. • Inputorientiert  = Sammelt jede Information. • Intellektuell  = Liebt zu denken. • Wissensdurstig  = Liebt zu lernen. • Maximierend  = Formt Starkes in etwas Perfektes.

6Tom

Rath: StrengthsFinder 2.0., Gallup Press 2007, S. 37–172.

210

11  Denktaktik: Freude an Bestleistung

• Positiv  = Großzügig mit Lob und Lächeln, schaut auf die positive Seite des Lebens. • Verbindend  = Zieht Menschen zu anderen, die ihnen zwar schon bekannt sind, aber die sie dann noch besser kennenlernen. • Verantwortungsvoll  = Steht zur Aufgabe, bis sie erledigt ist. • Problemlösend  = Analysiert und löst gerne Probleme. • Selbstsicher  = Vertraut in die eigenen Stärken. • Signifikant  = Will anerkannt, bekannt, gehört und herausragend sein. • Strategisch  = Findet den besten Weg zu einer strategisch richtigen Positionierung. • Werbend (to woo) = Gewinnend für andere Menschen. Schaut man sich diese Kategorien an und denkt an die eigenen Qualitäten und an die Qualitäten der Mitarbeiter, dann erkennt man schnell, dass praktisch niemand nur einer Kategorie zuzuordnen ist, sondern Talentmischungen üblich sind. Allerdings ist ein geerbtes Talent nur dann stark, wenn man auch in sich investiert. Man wird zu dem, was man am meisten übt. Das Ergebnis all dieser Bemühungen sind die ausgezeichneten Stärken, die wir an Spitzenleuten bewundern.7 Halten Sie Ausschau nach Mitarbeitern, die besser sind als Sie selber, und geben Sie diesen die Chance, mit ausreichend Ressourcen zu arbeiten.8 Arbeiten Sie aber auch an der Erneuerung Ihrer eigenen Erfahrungen.9 Wichtig ist es, mit neuen Methoden und Inhalten zu experimentieren, alte Idee hervorzuholen und erneut zu verbessern. Routine bremst Innovation. Das gilt auch für Teamarbeit – deswegen werden alte Teams durch neue Mitglieder mit neuen Blickrichtungen aufgefrischt.

11.4 Wahrheiten im geistreichen Witz finden Ein Passant fragt einen New Yorker Taxifahrer: „Was ist der schnellste Weg zur Carnegie Hall?“ – Antwort: „Üben, üben, üben!“ Sicher macht ständige Wiederholung den meisten von uns keinen Spaß, aber sie macht den Meister. Ständige

7Tom

Rath: StrengthsFinder 2.0., Gallup Press 2007, S. 18–20. Ressourcen sind einer der wichtigsten Gründe für weniger kreatives Arbeiten, vgl. die Studie über das Management von Kreativität: Robert Epstein, Katrina Kaminaka, Victoria Phan, Rachel Uda et al.: How is Creativity Best Managed? Some Empirical and Theoretical Guidelines, in: Creativity and Innovation Management, Vol. 22, Number 4, 2013, S. 359–374. 9Gregory Berns: Iconoclast, HBSP 2010, S. 78. 8Fehlende

11.5  Finde Freude an Perfektion

211

Wiederholung bringt die technische Fertigkeit, die man zur Virtuosität braucht. Das sind die oft zitierten 10 Jahre oder 10.000 Stunden, die als Vorarbeit in ein Studiengebiet hineingesteckt werden müssen, damit man in der Lage ist, Innovation zu erschaffen. Aber erst Denkschleifen bringen letztlich die Perfektion. Viele von uns geben irgendwann auf und sagen: „Gut genug reicht auch“, insbesondere dann, wenn man Zeit für etwas Neues verwenden will.

11.5 Finde Freude an Perfektion Lucy Kellaway beschreibt die Besessenheit in Bezug auf professionelle Perfektion eines 85-jährigen japanischen Sushi-Chefs, der seit 75 Jahren Sushi zubereitet. Zenartig arbeitet er immer weiter an der Meisterschaft im Schneiden des rohen Fisches, eine Tätigkeit, die viele als einseitig und nicht kreativ ansehen. Nur wenige Menschen werden mit einer einseitigen Ausrichtung glücklich. Kreative Menschen suchen eher die Vielfalt und Abwechslung.10 In der Google-Hauptverwaltung leistet man sich das Unterhaltungstalent Chade-Meng Tan als Spaßmacher.11 Chade-Meng Tan hat es mit seinem Signaturtalent, wie ein von Shakespeare beschriebener Hofnarr unbequeme Wahrheiten humorvoll zu artikulieren, zur Position und dem Titel Jolly Good Fellow gebracht. Als Protokollchef empfängt er VIPs und als Meister der Gelassenheit hilft er Google-Mitarbeitern mit dem Workshop: Search inside yourself (SIY) dabei, ihre innere Ruhe zu finden. Sein gleichnamiges Buch handelt von Buddhismus, von emotionaler Intelligenz, Empathie, Sympathie, Leidenschaft für Mitarbeiter und Menschenführung. Die Vorbereitung einer Präsentation mit vollem Einsatz des Signaturtalentes erfreut uns oft mehr als der eigentliche Vortrag. Nachdenken über das passende Thema, die nuancierte Formulierung des vorgegebenen Themas, das Verstehen der Zuhörerinteressen, die Zusammenarbeit mit Lektoren, die Feineinstellung des Inhaltes und Redestils, Schreiben, neu Schreiben und Verbessern, all dies kann ein langer, aber lohnender Lernprozess zur Perfektion sein. Nach derart sorgfältiger Erarbeitung beherrscht man die Rede auswendig und kann sie entsprechend überzeugend vorgetragen. Ich fange oft Wochen oder Monate vorher schon mit ersten Gliederungsideen und einer Materialsammlung an, um ausreichende Vorbereitungszeit für den Feinschliff zu haben. Schreiben ist ständiges

10Lucy 11Lucy

Kellaway: Good enough is always better than perfection, FT, 10. Sept. 2012, S. 12. Kellaway: The wise fool of Google, FT, 8. Juni 2012, S. 12.

212

11  Denktaktik: Freude an Bestleistung

neu Schreiben: Writing is rewriting (Ernest Hemingway)12. In Perfektion steckt auch die Kraft der Überzeugung, wie der Apple-Chef-Designer Sir Jonathan Ive in seiner legendären Gedenkrede für Steve Jobs beeindruckend ausführt.13 Steve Jobs war sich der Überzeugungskraft von großen Ideen bewusst, aber auch der Tatsache, dass große Ideen am Anfang klein und zerbrechlich sind und erst durch Besessenheit und Fokus zum ausgezeichneten Ergebnis reifen. Drehen, wenden und verbessern ist Denkstrategie 4 Umformung, die ich im Englischen „The 4 Ts“ nenne: Toss & Tinker, Twist & Tweak. Ständiges ­Bosseln bringt automatisch Verbesserung im Sinne von Kaizen. Die kontinuierliche Verbesserung sieht das Problem, modifiziert, stellt fein ein, stellt um, testet, stellt einen Prototyp zur Diskussion und bewertet ihn neu. Dieser iterative Prozess bringt Perfektion und ist wichtiger Teil im sogenannten Design-Thinking (s. Teil 4, Kap. 16). Alle diese Arbeitsschritte können in beliebiger Reihenfolge angewendet werden. Unser Gehirn spielt gerne, aber wir müssen uns um Aufmerksamkeit und die richtige Gehirnausrichtung kümmern.14 Lösungen entstehen im Gehirn beim Gedanken-„Spiel“ der 100 Milliarden Nervenzellen. Wir müssen nur ständig Input durch Lesen, Zuhören, Diskutieren, Nachdenken und Querdenken liefern und uns neben der Konzentration auch oft genug zurücklehnen und entspannt denken (s. Teil 1, Kap. 5, bes. Abschn. 5.1.6). Der Verbesserungsprozess kann in all unseren Aktivitäten angewandt werden, egal, ob es sich um ein Memo, einen Brief, eine Präsentation, einen Prozess oder um einen neuen Job mit zwei Alternativen handelt. Eine Alternative ist es, im alten Job zu bleiben, der langweilig und nicht mehr erfüllend ist. Der neue unbekannte Job böte ein neues Betätigungsfeld, Abwechslung und neue intellektuelle Herausforderungen. Zukünftige Kollegen sind unbekannt und das beschwört Angst vor dem Risiko des Scheiterns herauf. Zusätzlich hört man ein, zwei negative Dinge über den möglichen neuen Boss, seinen Managementstil und seine Art zu kommunizieren. Ein Dilemma entsteht und die unsichere Frage lautet: Soll ich am altbekannten, langweiligen Routinejob festhalten oder mit neuen Alternativen und

12Larry W.

Phillips: Ernest Hemingway on Writing, Touchstone – Simon and Schuster 1999; https://www.thoughtco.com/writers-on-rewriting-1689262; https://www.reddit.com/r/ writing/comments/8328jp/ernest_hemingway_on_writing_and_rewriting/. 13Philip Elmer-De Witt: Video-Aufzeichnung: Jonathan Ive über Steve Jobs: http://fortune. com/2011/10/24/jonathan-ive-on-steve-jobs-and-the-fragility-of-ideas/ (Min. 48:24 aus 120), Fortune, 24. Okt. 2011. 14Siehe Daniel Goleman zu den Themen Aufmerksamkeit und Fokus: Daniel Goleman on Focus: The Secret to High Performance and Fulfilment, https://www.youtube.com/ watch?v=HTfYv3IEOqM.

11.5  Finde Freude an Perfektion

213

neuen Ideen experimentieren? Isaac Newton umschreibt dieses Entscheidungsdilemma wie folgt: „Wie ich in der Lage war das Gesetz der Schwerkraft zu entdecken? … ganz einfach, indem ich ständig daran gedacht habe.“ Die 1000+ • Architekten wie Frank Gehry spielen mit Ideen und arbeiten an Problemen, indem sie Modelle ständig überarbeiten. Das Kneten eines ersten Lastenheftes und dann immer neue Entwürfe zielen auf Verbesserung der ersten Ideen für neue Lösungen. Die Kunst ist es, an der Sache dranzubleiben und sie geduldig zu verbessern.15 Verantwortungsvolle innovative Führungskräfte verfolgen Perfektion. Steve Jobs’ Credo war deswegen: „Don’t sell crap.“16 • Untersuchungen zeigen, dass Personen mit einem starken Glauben an die eigene Kompetenz und an ihr Signaturtalent erstens eine größere Ausdauer bei der Bewältigung von Aufgaben haben, zweitens eine niedrigere Anfälligkeit für Angststörungen und Depressionen besitzen und drittens mehr Erfolge in Ausbildung und Berufsleben aufweisen. Also stimmt der Satz doch: „Die Vorstellungskraft ist alles – man wird zu dem, was man denkt.“17 • Nutzen Sie Ihr Hobby als Signaturtalent zur Profilierung und kreativen Positionierung gegenüber dem Wettbewerb im Markt sowie im Unternehmen. Das Aquarell der Abb. 5.13 hatte ich ursprünglich nicht als Präsentationskonzept gemalt, sondern an einem Wochenende in Kreta nur zum Spaß. Später hielt ich es dann aber für sehr geeignet, als Grundlage für ein Konzept herangezogen zu werden. Die Farben Rot und Schwarz visualisierten passionierte Leidenschaft und strenge Disziplin, beides findet sich in gutem Produktdesign. Wir einigten uns im Team und bauten die Produktpräsentation um diese beiden Farben auf.

15James

Russell: Facebook’s ‘Idea Factory’ – Frank Gehry is called in to supervise the expansion of the social network’s campus, The Nation, 2. Sept. 2012, S. 2B. 16Steve Jobs’ Top 10 Rules for Success: Rule #4 is “Don’t Sell Crap.” https://www.youtube. com/watch?v=eHzAtxW3TzY. 17Gautama Buddha zugeschrieben: „The mind is everything – what you think you become.“; https://www.brainyquote.com/quotes/buddha_378282.

Denktaktik: Freud und Leid mit steigender Komplexität

12

Probleme entstehen einfach, werden komplexer, dann „wicked“ und letztlich „messy“

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie: • Schönwetterunternehmer werden durch vier unternehmerische Jahres­ zeiten überrascht: 1. Startup (Frühling), 2. Wachstum (Sommer), 3. Downt­ urn (Herbst) und 4. Turnaround (Winter), da globale Entwicklungen unberechenbar sind. Schneller Umgang mit Unberechenbarkeiten ist gefragt. Die proaktive Vorbereitung für alle Fälle ist ratsame Anpassung. Tritt die Krise dann nicht ein – umso besser. • Probleme eskalieren mit steigender Komplexität in vier Kategorien: 1. ein­ fach, 2. komplex, 3. bösartig (wicked) und 4. chaotisch (messy). Steigende © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_12

215

216

12  Denktaktik: Freud und Leid mit steigender Komplexität

Komplexität ist zwar interessant, aber ab einem bestimmten Punkt bedrohlich und stressig. • Aufgabe der Führungskraft ist es, sich auf Probleme proaktiv vorzubereiten. I feel that it’s lovely when – as a user – you’re not aware of the complexity. (Jonathan Ive, Entwicklungschef von Apple)

Steigende Komplexität ist etwas Positives, da wir uns langweilen, wenn Routine den Alltag bestimmt und wir jeden Tag dieselbe Beschäftigung haben. Drastisch ausgedrückt, wird ständige Wiederholung von intelligenten Menschen ab einem gewissen Punkt als geistesgestört empfunden – so Albert Einstein: „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“1 Früher oder später durchlaufen wir alle vier Kategorien der Komplexität: 1. einfache Probleme, 2. komplexe Probleme, 3. sehr komplexe, bösartige (wicked) Probleme und 4. chaotische (messy) Probleme. Es gibt Menschen, die gerne von einer Komplexitätsebene zur höheren steigen, während andere – wenn es zu komplex wird – irgendwann genug haben. Deswegen beschäftigt man sich in den Wirtschaftswissenschaften und in der Entscheidungstheorie mit Methoden, Komplexität zu reduzieren (s. unten in diesem Kapitel). Als Führungskraft dürfen Sie keiner der vier Problemkategorien ausweichen, denn Probleme beinhalten neben den Chancen auch Risiken. Aufschub beim Anpacken des Problems vergrößert meist das Risiko. Halten Sie es mit Seneca, der Hinausschieben drastisch ablehnt: Aufschub ist der größte Verlust fürs Leben … sich der Voraussicht und organisierender Planung zu rühmen, ist idiotisch. Das Warten auf morgen ist das größte Hindernis, heute zu leben.2 Trotz der viel zitierten und geforderten Planungsqualität stimmen Langfrist- und Mittelfristplanungen meist nie. Grund sind die eigentlich undenkbaren aber immer öfter erscheinenden Schwarzen Schwäne. Oder haben Sie die Finanzkrise von 2008, das Brexit-Wahlergebnis oder das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl 2016

1http://einstein-zitate.com/einstein-zitat/die-definition-von-wahnsinn-ist-immer-wieder-das-

gleiche-zu-tun-und-andere-ergebnisse. der Kürze des Lebens – On the shortness of life, Penguin Books 1997, S. 13.

2Seneca: Von

12.1  Anpassung und ungeplante Konsequenzen

217

vorausgesehen? Besser ist es, erkannte Probleme sofort anzupacken und dranzubleiben, bis sie gelöst sind. Stoppen Sie Prokrastination wie folgt: • Skizzieren Sie auf Basis der ersten Geschäftsidee gleich einen ersten Entwurf, damit die Ideenfindung weiterläuft. Dies bezieht sich auf alle Aspekte wo sie Ideen brauchen z. B. im Krisenmanagement. • Schreiben Sie den längst fälligen Bericht, bevor eine Erinnerung oder gar Mahnung kommt. • Ordnen und sichten Sie regelmäßig den Ablagenstapel zur Vermeidung von Fristenversäumnis. • Führen Sie Gespräche mit unsympathischen Menschen, auch wenn ungute Gefühle damit verbunden sind. • Realisieren Sie Aktienverluste sofort und verkaufen Sie die Verlustwerte, wenn die Zukunft nicht besser aussieht (Stop losses). Später kann es noch schlechter aussehen. Freude an steigender Komplexität bedeutet Freude an steigender Lernkurve. Allerdings gibt es unangenehme Komplexitäten, die man noch nie gesehen geschweige denn gelöst hat – dazu später.

12.1 Anpassung und ungeplante Konsequenzen Ranger des Yellowstone Parkes wurden durch folgende Systemanpassung überrascht: Wunsch war, die Elchpopulation zu vergrößern. Die US-Kavallerie wurde zur Verstärkung gerufen, um Elche per Hand zu füttern. Daraufhin stieg die Anzahl der Elche sprunghaft an, mit der Konsequenz, dass Elche die Knospen der jungen Aspenbäume noch vor dem Wuchs abfraßen. Die Aspenbäume sind wiederum für Biber wichtig, um Dämme zu bauen. Die Dämme stauen im Frühjahr abfließendes Wasser und bilden dadurch den Laichgrund für Forellen. Negative Konsequenz war: „Mehr Elche bedeuten weniger Forellen.“3 System passen sich an. In der Chaostheorie werden Kettenreaktionen in komplexen, dynamischen Systemen der Natur oft mit dem Begriff Schmetterlingseffekt bezeichnet. Demnach reagiert die Natur selbst auf kleinste Gleichgewichtsstörungen höchst

3Interview

of Michael J. Mauboussin: Embracing Complexity, HBR, Sept. 2011, S. 88–92.

218

12  Denktaktik: Freud und Leid mit steigender Komplexität

empfindlich, wie z. B. auf den Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien, der dann auf der anderen Seite des Globus einen Sturm auslöst.4 Fast jeder freut sich auf Abwechslung im Privat- und Berufsleben mit neuen Erfahrungen. Kreative Menschen wollen ihre Fertigkeiten steigern, um damit neue Chancen zu gewinnen. Chancen lassen sich oft nicht planen, aber durch Lernen und Kontaktieren einleiten. Kreative Menschen erfreuen sich nicht am Simplen oder leicht Vorhersehbaren. Kreative Menschen freuen sich, verschieden und nuancenreich zu sein. Andere bevorzugen Routine, und so kommen kreative Menschen leicht in einen Wettbewerbsvorteil. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Komplexität zwei Seiten hat. Erstens die Angst und Stress auslösende Seite. Zweitens die animierende Seite, die uns Komplexität als interessant empfinden lässt. Komplexität bereitet Freude, wenn dadurch Erfahrung wächst und wir einen speziellen Beitrag für unseren Berufszweig, unseren Job oder unser Hobby leisten.5 Im Zeitalter der Überspezialisierung ist es wichtig: • vielseitig interessiert zu sein. Das bringt Denkbreite, Querdenken und neue Ideen. • in vielen Arbeitsfeldern eine Allgemeinbildung zu sammeln. Ich kann nur querdenken, wenn mich unterschiedlichste Wissensgebiete interessieren, wie z. B. Biologie, Psychologie, Neurologie, Hirnforschung, Organisationstheorie, Kunst, Musik, Politik – alles geht. Die dadurch zufällig entstehenden neuronalen Verbindungen kann auch der Google-Algorhythmus nicht ersetzen.

12.2 Interdisziplinäres Denken über komplexe Probleme Interdisziplinäres Denken verknüpft unterschiedliches Wissen. Dieses Verknüpfen und Verbinden – Synektik – ist eine eigenständige Methode, die ich immer wieder gerne zur Ideenfindung anwende (vgl. Abb. 4.5: John Lennon als Ideengeber). Fremdes muss vertraut werden und Vertrautes verfremdet, um die Aufgabe aus neuer Perspektive zu sehen und originell zu lösen (vgl. Abb. 20.3:

4https://www.focus.de/wissen/videos/die-chaostheorie-einfach-erklaert-der-schmetterlingseffekt-kann-ein-fluegelschlag-einen-tornado-ausloesen_id_4922538.html. 5Mihály Csíkszentmihályi: Creativity, Harper Collins 1996, S. 350 f.

12.2  Interdisziplinäres Denken über komplexe Probleme

219

Wow-Effekt). Limitiertes Wissen limitiert auch Kreativität. Limitierung kann aber dennoch zur Reduktion von Komplexität notwendig sein (s. unten). Synektisches Denken verbindet unterschiedlichste Wissensgebiete, Ideen und Konzepte zu Synergien. Die Methode läuft in folgenden Stufen ab, die wiederum an Design Thinking erinnern (s. Teil 4, Kap. 16): 1. Problemdefinition muss klar und unmissverständlich sein. Die meiste Zeit ist für die Problemanalyse aufzuwenden und dann erst kommt die Lösung. 2. Spontane Lösungsideen werden durch Brainstorming und Brainwriting gefunden und notiert. Erste Lösungen werden genutzt, um das Problem neu zu formulieren. Drehen, wenden und verbessern im Sinne von Kaizen steigert das Lösungsniveau. 3. Analogien helfen, neue und originelle Lösungsansätze zu finden. Diese werden zum Beispiel aus Naturbeobachtungen oder anderen Wissensgebieten gebildet. So arbeiten Ärzte zur Steigerung der Effizienz im Krankenhaus mit Beispielen aus der Formel 1.6 Als Analogie für einen äußerst effizienten Prozess bezogen sie sich auf den Formel-1-Pitstopprozess zum Reifenwechsel. Beide Arbeitsplätze und Prozesse verlangen Präzision und Exzellenz zur Höchstleistung. 4. Lösungsansätze werden entwickelt, indem der Analogfall (Formel-1-Pitstop) dem Originalproblem (Wie gestalte ich einen effizienten, sicheren und schnellen Übergang vom Operationsaal auf die Intensivstation?) als Benchmark dient. Innovative Finanzprodukte können so komplex gestaltet werden, dass sie nur noch von dem jeweiligen Finanzingenieur selbst verstanden werden. Risk Manager und Aufsichtsräte haben keine Funktion mehr im Kontrollsystem Compliance, da sie die Produkte aufgrund deren Komplexität nicht mehr verstehen. Das geschah, als sich die sogenannte Subprime Mortgage Krise bis 2008 ungebremst entwickeln konnte. Selbst Aufsichträte führender Banken konnten das Risiko der eigenen Finanzprodukte nicht mehr beurteilen. Um ähnliche durch Unwissenheit oder von Gier getriebene Krisen zu verhindern, wurden staatliche Regelsysteme aufgebaut, die bei zweifelhafter Sicherheit einen Overkill an Bürokratie brachten.

6http://www.amednews.com/article/20101004/profession/310049933/6/.

220

12  Denktaktik: Freud und Leid mit steigender Komplexität

12.3 Vier Problemebenen mit steigender Komplexität Die Entscheidungstheorie spricht von vier verschiedenen, in der Komplexität ansteigenden Problemebenen. Die beiden letzten Problemebenen wicked (bösartig) und messy (verstrickt) stehen für dynamische und hoch komplexe Probleme. • Einfache Probleme: Problem und Lösung sind bekannt. • Komplexe Probleme: Problem ist bekannt, aber nicht die Lösung. • „wicked“ (bösartige) Probleme: Problem und Lösung sind unbekannt.7 • „messy“ (verstrickte) Probleme: Verschiedene Probleme der Kategorie „wicked“ sind miteinander vernetzt und wirken interaktiv.8 Es gibt keine direkte Autorität, die für diese Problemlösung zuständig wäre. Dieselben Personen, die das Problem lösen wollen, haben es auch geschaffen … und die Zeit läuft ab! Insbesondere zur Problemlösung der beiden letzten hochkomplexen Kategorien (wicked und messy) sind Kreativität und Vorstellungskraft notwendig, da Probleme niemals mit derselben Denkweise gelöst werden können, durch die sie entstanden sind. Neue Denkstrategien und Methoden sind notwendig. Dazu müssen wir Neues lernen. Der Umgang mit steigender Komplexität muss von Führungskräften trainiert werden, z. B. durch Wechsel in komplexere Positionen, Projekte, neuen Regionen und Kulturen.

12.4 Reduktion der Komplexität Ab einem bestimmten Schwierigkeitsgrad reagieren wir auf wachsende Komplexität nicht mehr positiv und rational, dann wollen wir nur eines: Komplexität reduzieren. Der Wert der Vereinfachung wurde bereits vor sechs Jahrhunderten durch

7Daniel Goleman: Focus: The Hidden Driver of Excellence, Talks at Google, https://www. youtube.com/watch?v=b9yRmpcXKjY (zu „wicked“: Min. 36:20 von 55:19); The Open University: Center for Professional Learning and Development (CPLD), Creative Problem-Solving, Section 1: Tame and wicked problems, http://www.open.ac.uk/cpdtasters/gb052/index.htm. 8Messy Probleme: Der Designprofessor Horst Rittel prägte den Begriff „wicked problem“, um verwirrende Problemsituation zu beschreiben. Der technische Begriff „wicked“ beschreibt den hartnäckigen Widerstand gegen eine Problemlösung – mit „wicked“ bezeichnete Probleme können natürlich auch bösartig sein. Die Steigerung von „wicked“ ist „messy“, weil dann mehrere wicked Probleme vernetzt sind. – Daniel Goleman: Focus: the Hidden Driver of Excellence, Talks at Google, https://www.youtube.com/watch?v=b9yRmpcXKjY (zu messy: Min. 37:00 von 55:19).

12.4  Reduktion der Komplexität

221

Ockhams Rasiermesserregel, das sogenannte Sparsamkeitsprinzip gefunden: Wähle bei Problemlösungsvielfalt den einfachsten Lösungsweg.9 Menschen reagieren höchst verschieden, um Komplexität in den Griff zu bekommen. Der Wunsch nach Vereinfachung komplexer Geschäftsprozesse führte zu folgenden Ansätzen

12.4.1 Erklärung, wie Menschen auf wachsende Komplexität reagieren Fünf Reaktionen sind erkennbar:10 • Ausprobieren (Trial & Error) – Das klappt nur bei einfachen, aber kaum bei komplexen Problemen. • Verdrängen – Durch das Hinausschieben schlägt das Problem bei steigender Gefahr zurück. • Verstehen mit Rationalität – Dabei stoßen wir nach gewisser Zeit an unsere Grenzen, z. B. werden Produkte immer erklärungsbedürftiger, sodass wir gar nicht die Zeit haben, sie voll zu durchdringen. • Trivialisieren – Wir vereinfachen das Problem durch Reduktion auf wenige Kriterien. Diese Strategie funktioniert nur bei komplexen Problemen (Ursache bekannt – Lösung nicht). Sie funktioniert nicht, wenn Ursache und Lösung unbekannt sind. Ein Beispiel für Trivialisierung ist die Aufkündigung des Pariser-Klimaschutzabkommens durch die USA, um CO2 verursachende Arbeitsplätze zu erhalten. Die Trivialisierung kann in diesem Fall auch einem simplen Ausblenden des Problems gleichkommen. • Intuition (emotional agieren). Methodisch ist das die Nutzung fertiger Lösungsmuster, die wir im Ernstfall unter Druck schnell reagieren können. Die Anwendbarkeit dieser Lösungsmuster hängt aber sehr stark davon ab, ob die Muster von gestern in der heutigen Welt noch gelten. Wenn sich die Situationen und Rahmen ändern, in denen bestimmte Lösungsmuster funktioniert haben, dann klappt es mit der Intuition nicht mehr (s. Teil 2, Kap. 8, bes. Abschnitt 1000+).

9Jonathan

Davis: Simple rules should trump regulatory overkill, FT, 5. November 2012, S. 10. Kruse: Wie reagieren Menschen auf wachsende Komplexität?: https://www.youtube.com/watch?v=m3QqDOeSahU.

10Peter

222

12  Denktaktik: Freud und Leid mit steigender Komplexität

12.4.2 Erklärung vereinfachender Schritte Vereinfachung lässt sich in sieben Schritten erreichen:11 • Abschaffung unsinniger Regeln und Aktivitäten mit geringem Mehrwert, wie z. B. eine hohe Anzahl von Unterschriften bei der Spesenabrechnung. Es ist besser, Kontrollkapazitäten auf High-Risk-Bereiche zu lenken. • Blick von außen nach innen mit der Frage: Nützt dies dem Kunden? Damit ist der Mehrwert der Dienstleistung oder des Produktes für externe wie auch interne Kunden angesprochen. • Priorität des Wichtigen muss immer im Fokus sein. • Prozesseinfachheit verlangt die Prüfung, ob alle Schritte notwendig und sinnvoll sind. • Ehrlichkeit vor Höflichkeit lautet die Aufforderung, auf Missstände und Fehler hinzuweisen. • Flache Hierarchien in der Organisation mit mehr Verantwortung für die Führungskräfte auf den verschiedenen Hierarchieebenen. Dies vereinfacht Kommunikation und senkt Bearbeitungszeit. • Komplexität ist wie Unkraut, das wiederkommt, wenn man nicht ständig ausputzt.

12.5 Gut vorbereiten und Chancen nicht verpassen Gute Vorbereitung und Fortbildung helfen, Komplexität zu reduzieren (s. Teil 1, Kap. 1, bes. „Stressfallschirm“). Suchen Sie nach neuen Aufgaben und Schwierigkeitsgraden auch bei Hobbys, z. B., statt nur Solo zu spielen, Jamming in einer Gruppe; absolutes Gehör durch Zuhören und durch Wiederholung zu entwickeln. Neue Wege nicht einzuschlagen eröffnet auch keine neuen Ideen und Fertigkeiten für Redeinhalte, bessere Vorlesungserfahrungen und einen interessanteren Präsentationsstil. Setzen Sie die gewonnenen Sprach- und Gestaltungsfertigkeiten z. B. als entspannendes Hobby für kreatives Schreiben ein. Das Lesen einer berühmten Kurzgeschichte ist sicher ein guter Anfang, um eine eigene Kurzgeschichte oder vielleicht einen Roman zu schreiben.

11Ron

Ashkenas: How to reduce complexity in seven simple steps, Forbes, 24. März 2014: https://www.forbes.com/sites/ronashkenas/2014/03/24/how-to-reduce-complexity-in-seven-simple-steps/#7294ec85e43a.

12.5  Gut vorbereiten und Chancen nicht verpassen

223

Grundsätzlich ist es immer gut, von einem vertrauten Feld auf Neuland zu schauen, das löst Gedankenblitze und gedankliche Querverbindungen aus, die neue Wege und Chancen durch neue Kontakte eröffnen (s. Teil 1, Kap. 2). Nach komplexeren Fertigkeiten sowie innovativen Methoden zu suchen ist Schlüssel zur Veränderung, wenn man die tägliche Routine auffrischen will.12 Weiterbildung trainiert ihr Gehirn und lässt neue Ideen und Fertigkeiten entstehen. Der Neurologe Norman Doidge erklärt die Plastizität – Verformbarkeit – unseres Gehirns, indem er den Lernvorgang mit folgenden Worten beschreibt: „Nervenzellen (Neuronen), die miteinander funken, wachsen zusammen.“ (im englischen Original: „Neurons that fire together, wire together.“).13 Eine solche Auffrischung der Jobroutine bringt genau die Wirkung, die Sie morgens beim Aufwachen brauchen, damit die Freude auf den neuen Tag entsteht. Eine grundsätzlich positive Einstellung zum lebenslangen Lernen sieht Lernkurven überall. Ich habe in sieben verschiedenen Ländern gearbeitet und freue mich stets auf neue Eindrücke und Tätigkeiten. Aber nicht nur der berufliche Ausbildungsweg (Diplom-Kaufmann, Steuerberater, CFO, CEO), sondern die Neigung, Bücher zu schreiben, brachten mich in andere Länder. So löste mein Buch über japanische Besteuerung und Unternehmensführung 1987 eine neue berufliche Chance in Japan aus, die sich dann zu 16 spannenden Japan- und Lebensjahren entwickelte. Dieser Berufsweg ist auch ein Beispiel für die Denkstrategie 3: Umwegdenken. Die 1000+ • Der Blogger Eric Brightwell14 unternahm von seinem winzig kleinen Wohnort eine Reise nach Los Angeles. Diese Reise begründete seine Liebe für die endlose Stadt LA. Letztlich zog er nach LA und begann sein komplexes Hobby. Er zeichnete Stadtpläne in seiner nachbarschaftlichen Umgebung. Die Stadtpläne wurden immer aufwendiger. Er ergänzte sie um Zeichnungen. Mittlerweile entstanden weit mehr als 100 solcher Stadtpläne. Freunde seines Blogs wählen für ihn die Gegenden aus, die er zeichnen soll.15

12Robert

McKee: STORY – Substance, Structure, Style, and the Principles of Screenwriting, Regan Books 1997, S. 289.

13Norman

Doidge: The brain that changes itself, Penguin Books 2007, S. 109. Brightwell: Exploration, Adventures, and Maps; https://ericbrightwell.com/. 15Eric Brightwell: Pointing the way back home, The Nation, 23. Juni 2012, S. XP 3B; Nita Lelyveld: Man’s quest to map L.A. points the way home, Los Angeles Times, 13. Juni 2012. 14Eric

224

12  Denktaktik: Freud und Leid mit steigender Komplexität

• Der Hotelier Chip Conley praktiziert eine einfache, aber sehr nachahmenswerte Motivationsmethode. Er fragt seine Vorstandskollegen, wer von den Mitarbeitern etwas Herausragendes geleistet habe, das ein Lob verdiene. Dann lässt er ein anderes Vorstandsmitglied mit dem Mitarbeiter reden und dabei die Wertschätzung der lobenswerten Arbeit zum Ausdruck bringen. • Vincent van Gogh soll gesagt haben: „Ich mache immer das, was ich noch nicht kann, um zu lernen, wie es geht.“16 Diese Bemerkung erinnert mich an meine Schulzeit, als ich die Noten von Franz Liszt und Frederic Chopin zum Spielen auswählte. Mein Klavierlehrer sagte, dass diese Stücke zu schwer wären, aber ich habe sie trotzdem geübt und gespielt und hatte sehr viel Freude daran. Der legendäre Jazzmusiker Miles Davis sagte: „Manchmal muss man eine lange Zeit spielen, um sich selbst zu spielen.“17 Expertise braucht nun mal Zeit, um Einfachheit und Tiefe auf allen denkbaren Gebieten zu meistern, egal ob als Klinikchef, Dirigent oder Unternehmensführer. • Nach vielen Jahren Solospiel erhöhte ich Komplexität, indem ich mit anderen Musikern spielte. Das Genre Jazz und das Zusammenspiel waren Neuland für mich. Ich lernte auf vier zentrale Aspekte zu achten: Melodie, Harmonie, Rhythmus und Sound. Ich lernte die Kommunikation mit den Augen, etwa um den Solopart weiterzureichen, und ich lernte, trotz der vier Regeln meinen eigenen Stil zu entfalten. Jedes Bandmitglied war einmal der Leader und konnte improvisieren – die anderen unterstützten ihn im Hintergrund. Diese Methode stelle ich Studenten am Beispiel einer Jazzband vor, indem ich das Verhalten im Falle des Boardmeetings mit dem bei einem Bandmeeting vergleiche. Meist ist das Bandmeeting besser strukturiert.

16Englischer Originalton: „I am always doing, what I can’t do yet in order to learn how to do it.“ https://quoteinvestigator.com/2017/03/26/learn/; dieses Zitat wird auch Picasso zugeschrieben. 17„Sometimes you have to play a long time to be able to play like yourself.“ https://www. brainyquote.com/quotes/miles_davis_384162.

Denktaktik: Kreativer Arbeitsplatz

13

Arbeitsplatz zur Ideenfindung

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie: • Gutes Allgemeinbefinden und Kreativität werden auch durch ein gutes Raumgefühl beeinflusst. Der Arbeits- und Lebensraum kreiert Emotionen und wird Teil des Ideenfindungsprozesses. • Innenarchitektur und Feng Shui liegen dicht beieinander. Wählen Sie Räume zum Denken und für Besprechungen sorgfältig aus. • Ein Raum stimuliert, wenn er ein gutes Gefühl vermittelt. Im umgekehrten Fall wird die Ideenfindung eher negativ beeinflusst. Wechseln Sie Umgebungen ab und testen Sie, was Ihnen am Besten liegt. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_13

225

226

13  Denktaktik: Kreativer Arbeitsplatz

Geniale Menschen sind selten ordentlich, ordentliche selten genial. (Albert Einstein)1

13.1 Arbeitsplatz zur Inspiration Jeder wünscht sich einen Arbeitsplatz nach seinem Geschmack, eine Umgebung für Eingebungen. Zum Wohlfühlen bedarf es wenig Aufwands, aber jeder hat eine andere Vorstellung davon. Inspiration und Ideen finden sich bereits auf dem Weg zum Arbeitsplatz. Sicher dient eine Bootsfahrt zum Büro – egal, ob Fähre oder Kanu2 – der Inspiration mehr als die Fahrt in einer vollgepackten und schlecht belüfteten U-Bahn. Der Arbeitsplatz reflektiert den persönlichen Stil der Person. Der Charakter ist sichtbar. Malcolm Gladwell empfiehlt, eine jobsuchende Person in ihrem Zuhause zu interviewen – so erfährt man mehr über die Persönlichkeit des Kandidaten.3 Oft führt wenig Information (thin slicing) weiter als viel Information (thick slicing) bei der Frage, ob ein Mitarbeiter passgenau zum Unternehmen ist. Im Arbeitsumfeld, das einem gefällt, entfaltet man eigene kreative Energie schneller. Viel braucht man nicht zum Lesen, Schreiben und Kommunizieren. Einige wenige Erinnerungsstücke reichen schon aus, um selbst einen kleinen Cubicle (Zellenbüro) wohnlicher zu gestalten; vgl. die wenigen Objekte in meinem Arbeitszimmer. An meinem Arbeitsplatz findet man immer Symbole, mit denen ich bestimmte wichtige Funktionen oder Werte in einer fremden Umgebung schnell kommunizieren kann (Abb. 13.1). So steht das goldene Telefon für gute Kundenbeziehung (Customer Relationship Management = CRM), die weißen Handschuhe stehen für guten Service, die weiße Marmorbüste des Aristoteles steht als mein persönlicher Berater immer rechts neben mir, die kleine Figur des Buddha, des einst mit Aristoteles befreundeten Beraters und Denkers, erinnert mich an Asien. Ein Mitarbeiter fragte einmal, wofür denn die Uhr stehe – Antwort: „Für Pünktlichkeit und Disziplin.“

1http://www.poeteus.de/zitat/Geniale-Menschen-sind-selten-ordentlich-Ordentliche-selten-

genial/5. 2Innovatives

Sachsen, Ab in die Zukunft, herausgegeben vom Freistaat Sachsen, Umgebung für Eingebung, 2017, S. 28 ff. 3Malcolm Gladwell: Blink – The Power of Thinking Without Thinking, Back Bay Books 2007, S. 34–39.

13.1  Arbeitsplatz zur Inspiration

227

Abb. 13.1   Blick vom Arbeitsplatz auf Symbole

Zuhause liegt mein Arbeitsplatz in einem goldenen Dreieck, wie ich es nenne. Punkt 1 im Dreieck ist mein Arbeitssessel vor einem großen chinesischen Tisch für meine Arbeitsutensilien wie Bücher, Computer, Zeitungsartikel im Wartestapel, Akten, Bambushalter für Stifte, Jahresnotizkalender der letzten drei Jahre und die Kaffeetasse mit der Andy-Warhol-Banane. Punkt 2 im Dreieck ist mein Flügel, den ich von meinem Arbeitssessel aus sehe. Punkt 3 im Dreieck ist die Tür zur Küche. Der Flügel und die Küche sind Orte, die ich immer dann aufsuche, wenn die Aufmerksamkeit nachlässt. Außerdem sehe ich bunte Blumen auf dem Balkon mit Fernblick. Das Arrangement entspannt und gibt neue Ideen durch die Objekte von persönlicher Bedeutung. Eigentlich ist es ein simpler Inneneinrichtungstrick: Wir arrangieren Erinnerungs- oder Kommunikationsstücke in bequemer Reichweite immer da, wo wir uns täglich aufhalten (Bücher, Mobiliar, Fotos, Skulpturen, Blumen, Kerzen, Denkutensilien wie ein Notizbuch, analoges Lexikon usw.). Musikinstrumente und Kunst stimulieren gute Gefühle und Gedanken. Ich lasse meinen Flügel zu Hause trotz des Staubes immer offen, damit mich die 88 schwarzen und weißen Tasten zum Spiel einladen. Mein bester Freund in Berlin lehnt sein braunes Cello immer in die Ecke beim Esstisch. Deswegen sitze ich gerne dort am Tisch und arbeite, wenn ich ihn besuche. Einige mögen es penibel aufgeräumt und andere bevorzugen eine gewisse kreative Unordnung. Die richtige Temperatur und Beleuchtung ist wichtig zum Wohlfühlen. Nun ist Deutschland nicht ein Klimaanlagenland wie Japan oder Südostasien, aber alles ändert sich durch den Klimawandel. Eiskalte Räume sind eine Zumutung für Gesundheit und gute Gedanken. Vermeiden Sie die allgegenwärtigen Ablenkungen durch E-Gadgets. Die Geräte stören unser kreatives und soziales Denken seit Jahren, da über sie die sozialen Netzwerke ständig

228

13  Denktaktik: Kreativer Arbeitsplatz

­ üllbotschaften an den schönsten Plätzen ausschütten. Wir achten dann nur noch M auf den Monitor und nicht auf die Schönheiten eines Museums, eine wunderbare, am Zugfenster vorbeiziehende Landschaft oder die Gespräche im Restaurant oder zu Hause mit Freunden und Familie.

13.2 Erfrischung für Smartphones in Hongkong Lärm stört, egal ob durch den Klingelton des Smartphones oder durch laute Gesprächsgeräusche. Wer hat derartige Störungen nicht schon einmal in der Airline Lounge beim Lesen, im ICE oder in einem Restaurant beim Essen erlebt!? Umso erfreuter waren Gäste dann als ein Gast in einem Restaurant in Hongkong das Schild „Handys nicht erlaubt“ nicht respektierte. Das Handy des ­Mannes klingelte mehrfach, er antwortete und störte andere Gäste durch lautes Reden. Zum großen Erstaunen des Störenfriedes nahm dann der Inhaber des Restaurants das Telefon vom Tisch, als es erneut klingelte, und warf es in das Eiswasser des Weinkühlers. Handys mögen kein Eiswasser, und auch dieses war sofort still. Die Freude stand auf allen Gesichtern, jeder genoss die Stille. Ein paar Gäste versenkten ihre Handys schnell in der Tasche, bevor sie Gefahr laufen konnten, auch im Weinkühler zu verschwinden. Der couragierte Inhaber hatte sich zu dieser drastischen Maßnahme entschieden, damit seine Gäste das Abendessen in Ruhe genießen konnten – es war ihm sichtlich egal, ob der störende Gast wiederkommt. Die gespielte Wichtigkeit vieler rücksichtsloser Geschäftsleute ist anmaßende Störung. Ich wünsche mir mehr Anekdoten wie diese.

13.3 Stadt oder Strand? Menschen müssen dicht beieinandersitzen, das fördert Kreativität, wie die Beispiele in Helsinki, Silicon Valley, Boston, New York City und Berlin zeigen: Berlin ist bei der Computerspielherstellung nach Helsinki und San Francisco der drittwichtigste Ort. Die persönliche Vernetzung von Erfindern und Querdenkern reichert Inhalte kreativ an. Unternehmen wissen, dass im heutigen Kampf um Talente bei der Rekrutierung auch ansprechende Arbeitsplätze und ein gutes Betriebsklima ausschlaggebend sind. Das bezieht sich nicht nur auf Architektur und Innenausstattung, sondern auch auf die weichen Faktoren wie offener Dialog, Kinderbetreuung, flexible Arbeitszeit, Fortbildung und Entscheidungsfreiheit. Nicht nur in Silikon Valley läuft ein Kampf um Talente und nicht nur zwischen Platzhirschen wie Amazon,

13.3  Stadt oder Strand?

229

Apple, Google, Facebook, Linkedin und Square. Durch diesen Wettbewerb wurden neben höheren Gehältern und Stockoptions auch viele Lohnnebenleistungen kreiert. Facebook verlor nach dem sog. Initial Public Offering (IPO = Initial Public Offering = Börsengang des Startups) viele Topleute. Jetzt versucht das Unternehmen, dem Exodus mit kostenfreiem Essen, freier Reinigung, Fitness-Studio, Betriebsarzt, Kindergarten, Friseur und einem Fahrradreparaturdienst auf dem Firmencampus entgegenzusteuern.4 Im neuen Londoner Headoffice von Lego gibt es keinen festen Arbeitsplatz. Man begibt sich auf die Plätze, die für bestimmte Aufgaben vorgesehen sind.5 Auch hier will jeder sein Arbeitsumfeld kreativ und positiv erleben. Der neueste Trend heißt: Tschüss, Büro. Am Strand lässt sich Geld angenehmer verdienen als im Büro.6 Kein Arbeitstrend erfährt gerade so einen Hype wie das digitale Nomadentum, und diese digitalen Nomaden ziehen mit ihrem Laptop unter Palmen statt in Großraumbüros. Das hört sich nicht nur gut an, sondern wird sogar von konservativen Unternehmen bereits zur Ideenfindung eingesetzt. Zur Sammlung von Designideen zum Bau der Zukunftsdrohne hat Airbus einen Wettbewerb ausgelobt. Preis: 117.000 Dollar, Organisator: Local Motors. Das vor Jahren populäre Outsourcing führte für hoch spezialisierte Tech-Experten zum Crowdworking, Crowdsourcing oder auch zur Gig-Economy. Richten Sie die Arbeitszeit an ihrem jeweiligen Arbeitsplatz nach ihrer kreativsten Zeit. Durch den Kampf um Talente ist es heute leichter als vor 30 Jahren möglich, individuelle Arbeitsmethoden durchzusetzen. Das Ergebnis muss dann natürlich stimmen. Frühaufsteher sollten Meetings in ihrer unkreativen, ineffektiven Abendzeit mit einem „Positiven Nein“7 ablehnen. Zur Sicherung stimulierender Gespräche setzen Sie keine Meetings in großen Büroräumen an, wenn es kleinere Zimmer mit runden Tischen gibt und die Runde aus wenigen

4April

Dembosky: Facebook fights for Silicon Valley talent, FT, Nov. 3/4, 2012, S. 12. Kellaway’s Office Space: Lego, FT, 28. November, 2015; https://www.youtube.com/ watch?v=GafKlghdB5Q. 6Corinna Budras: Tschüss Büro, FAZ (Wirtschaft), 30. April 2017, Nr. 17, S. 21; Lisa Goldmann: Überall und Nirgendwo, Süddeutsche Zeitung, Plan W, Ausgabe 03/2017, S. 35–39; http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/digitale-nomaden-ultimative-freiheit-oder-dauerstress-1.3770276?reduced=true. 7William Ury: The Power of a Positive NO – How to say NO and still get to YES, Bantam 2007, S. 2 und 3; s. auch das Harvard Verhandlungsprojekt mit William Ury und Roger Fisher, Teil 4, Kap. 15, hier: Abschn. 20.4.6. William Ury arbeitete zusammen mit Roger Fisher an dem Harvard Verhandlungsprojekt, bei dem keiner durch ein Nein verprellt werden, aber auch keiner als ‚Nice Guy‘ sein Gesicht verlieren sollte. 5Lucy

230

13  Denktaktik: Kreativer Arbeitsplatz

Mitarbeitern besteht. Ein entspanntes Zweiergespräch am Ende der Besprechung als „Wrap up“ sollte immer noch spontan möglich sein. Solche ungeplanten Meetings bringen meist die wertvollsten Ahas und Abschlussideen. Neben dem Raum sind es natürlich immer Menschen, die uns beeinflussen, in unseren Alltag – im Büro und außerhalb des Büros. Der Mode-Doyen Andrew Rosen ist genau aus diesen Gründen der Stammgast in seinem favorisierten italienischen Restaurant Captain’s Table in New York City. Seit Jahren geht er in dieses Stammlokal an seinen Ecktisch. Der Tisch ist für ihn stets reserviert und zur Verlängerung seines Büros geworden, um Geschäftsbeziehungen auszubauen. Das Personal schafft eine positive Atmosphäre. So entsteht ein kreativer Lebensraum, den man gerne aufsucht.

13.4 Disziplin und Kreativität Der amerikanische Designer und zeitgenössische Künstler Tom Sachs hat zehn Regeln aufgestellt, die er in seinem Designunternehmen streng befolgt. Damit stellt er klar, dass auch Kreativität in geordneten Bahnen verlaufen muss und nicht in kreativer Unordnung. Damit Kreativität sich entfalten und wirken kann, braucht der kreative Prozess eine Disziplin, eine Struktur und eine Ordnung. Diese Regeln sind strikt und müssen von den Mitarbeitern im Designstudio von Tom Sachs gelebt werden. Tom Sachs ist ein Beispiel für Vorgesetzte mit klarer und eiserner Meinung. In einer solchen Organisation überlebt man am besten mit einem Signaturtalent.

13.5 Zehn Ordnungsregeln von Tom Sachs Das Video aus dem Jahr 2010, in dem Tom Sachs seine zehn Ordnungsregeln präsentiert, wurde ein Hit und ein gutes Beispiel für kreative Präsentation:8 1. Folge den Regeln, denn Kreativität, Erfindung und Innovation müssen nach bestehenden Regeln erfolgen, sonst ist Kreativität destruktiv. 2. Respektiere den Arbeitsplatz und stelle sicher, dass der Arbeitsplatz sauber, aufgeräumt, lärmfrei und handyfrei ist. Demgegenüber gibt es auch die Meinung, dass Unordnung geeignet ist, um kreativ zu arbeiten.9 8Tom

Sachs: www.tenbullets.com.

9Eric Abrahamson,

David H. Freedman: A Perfect Mess, Little Brown 2006.

13.5  Zehn Ordnungsregeln von Tom Sachs

231

3. Sei pünktlich, vorbereitet und setze dich zu 100 % ein; sorge dich auch um körperliche Fitness und gesunde Ernährung. 4. Sei gründlich, sorgfältig, ordentlich und informiere über auslaufende Lagerbestände. 5. Verstehe und gib zu verstehen, dass Aufträge verstanden sind; abschicken bedeutet etwas anderes als empfangen. 6. Hole klare Bestätigungen ein, z. B., ob die abgesandte E-Mail angekommen ist. 7. Führe eine To-do-Liste mit Prioritäten. 8. Pflege Arbeitsmittel sorgfältig und räume auf, was nicht gebraucht wird. 9. Zahle in eine Bußgeldkasse ein als Zeichen der Verantwortung für nicht abgeschlossene Türen, unnötig brennende Beleuchtung, nicht beseitigte Feuergefahren. 10. Praktiziere Beharrlichkeit und Durchhaltevermögen. Die organisatorische Disziplin von Tom Sachs ist sicher Grund dafür, dass seine Regeln auch in Ausbildungsseminaren der NASA zum Lehrplan gehören. Sachs ist der Meinung, dass die „Zen-Strenge“ und sein Ordnungssystem die Grundsätze kreativer Unternehmenskultur beinhalten: Disziplin, Verantwortung, Genauigkeit, Beständigkeit. In der betriebswirtschaftlichen Forschung gibt es neuerdings Stimmen, die Freiheitsgrade, ausreichend Zeit und Freiraum zur Improvisation sowie genügend Budget nicht als notwendige Voraussetzung für Kreativität ansehen.10 In steriler Ordnung hätte Alexander Fleming wahrscheinlich das Penicillin nicht entdeckt. Sein Labor und Arbeitszimmer waren chaotisch, unaufgeräumt und nicht steril. Das sagte er selbst beim Rundgang durch ein gut organisiertes Labor.11 Nicht jeder kann in einem Ordnungssystem mit Beschränkungen und Zwängen kreativ sein. Mit meinem Fragebogen (s. Teil 5, Kap. 22: Fragebogen zur Ideenfindung und Ideenrealisierung) rege ich jeden dazu an, für sich die Präferenz zu finden. Jeder von uns hat seine persönliche „Bestmethode“.

10Günther

Ortmann, Jörg Sydow: Dancing in chains – Creative practices in Organizations, in: Organizational Studies 38/2017. 11Eric Abrahamson, David H. Freedman: A Perfect Mess …, S. 85 f. und S. 249.

232

13  Denktaktik: Kreativer Arbeitsplatz

Die 1000+ • Stellen Sie für Präsentationen eine gute Ausgangsatmosphäre sicher. Die Wahl des richtigen Ortes ist sehr wichtig. Dadurch kommen Ihre Botschaft und Ihre Idee besser an Ihr Publikum. Schlecht ist beispielsweise ein breiter Raum, in dem Sie nicht alle Zuhörer im Blickwinkel haben; dann stehen Sie entweder links oder rechts. Dies ist insofern kritisch, da die vernachlässigte Hälfte nicht direkt angesprochen werden kann und damit deren Aufmerksamkeit fällt. Augenkontakt ist wichtig, um die Zuhörer zu animieren und den Grad an Aufmerksamkeit hoch zu halten. Genau das passierte mir in einer Business School – der Raum war breit und nur vier Reihen tief. Ich war mit meinem Vortrag nicht zufrieden, da ich vor allem darauf konzentriert war, die Aufmerksamkeit durch Hin- und Herlaufen wach zu halten. • Ein anderes Mal hielt ich eine Vorlesung über Organisationstheorie (Organizational Behavior). Die Platzanordnung war vorteilhaft im Halbkreis. Beleuchtung, Temperatur und Audio-/Video-Geräte waren hervorragend, d. h. keine Eisschranktemperatur wie so oft in Südostasien. Der Programmdirektor hatte mich vorab gewarnt, dass die Klasse schwierig sein dürfte – Grund: Semesterende und Abschlussexamen fielen zeitlich zusammen. Nicht gesagt wurde mir, dass es sehr hart ist, Unterricht mit Thais interaktiv zu führen. Das Senioritätsprinzip im Sinne von Respekt vor Älteren und Höhergestellten verhindert eine im Westen übliche interaktive Kommunikation. Ich dachte zuerst an Sprachschwierigkeiten und wiederholte mehrfach, was den Fluss und die Kreativität des Vortrages senkte. • Der Dekan der New York Universität (NYU) – Jazz Fakultät hatte eine kreative Atmosphäre in seinem Büro. Der Raum war lichtdurchflutet mit einem weißen Bücherregal an der Wand. Das Regal war voll mit Büchern und Manuskripten. Der Raum war schmal und lief auf ein Fenster zu, nicht zu groß, aber doch groß genug, um einem Flügel – Made in China – ausreichend Platz zu geben. • Die Nation Multimedia Group in Bangkok baute einen sogenannten Con­ vergent Newsroom. Chairman Suthichai Yoon und sein Team wollten, dass in einem Raum alle Medien zusammenkommen. Der Raum stand auch dafür, dass der Arbeitsstil sich an die neuen Kommunikationsgewohnheiten und neuen Medien anpassen muss. Das neue Bürokonzept baute auf der Erfahrung mit der neuen Medienvielfalt und der Notwendigkeit, die im Haus verstreute Vielfalt zu integrieren und das Know-how aller Journalisten und Kameraleute zu bündeln. Vorher arbeiteten Journalisten verschiedener Medien auf unterschiedlichen Stockwerken und verstreut in verschiedenen Gebäuden. Jetzt arbeiten alle zusammen in einem lichten Raum mit ansprechender funktionaler Innenarchitektur. Entscheidend ist aber das intellektuelle Arbeitsmuster, das der Raumgestaltung vorausging. Im Convergent Newsroom sitzen alle

13.5  Zehn Ordnungsregeln von Tom Sachs

233

Chefredakteure und arbeiten zusammen. Der Convergent Newsroom bündelt klassische Presse, Social Media, Online-News, TV, World News und die 21 Niederlassungen der Nation Multimedia Group in Asien. Das Zusammensitzen in einem Raum fördert Kreativität durch schnelle Kommunikationswege und direktem persönlichen Kontakt. • Unterschiedlichste Räume dienen der Ideenfindung. Die einen sitzen gerne an Orten, an denen etwas los ist, wie z. B. in lärmgefüllten Cafes und beobachten Menschen. Andere bevorzugen ein ruhiges Restaurant zur Ideenfindung wie der Nobelpreisträger und Professor für Volkswirtschaft Paul Krugman. An so einem ruhigen Ort erzählte er, wie er zum kontroversen Zeitungskolumnisten und Redner wurde. Im Grunde war es eine Kettenreaktion und kombinatorisches Kopfspiel, bei dem Ideen miteinander verknüpft wurden. Erst schrieb Krugman eine Kolumne für Slate, dann etwas für Fortune und dann kam die New York Times mit einem sehr guten Angebot.12 Viele Innovationen entstehen in so einer Entwicklungskette. • Frank Gehry, Jazzfan und Architekt, kaufte ein altes Kolonialhaus aus dem Jahre 1900, um es umzubauen: „Wir brauchten Lebensraum, der improvisiertes Musikgefühl vermittelt.“ Die Inspiration für die architektonische Anpassung an das beschriebene Gefühl kam zu einer Zeit, in der die Geschäfte schleppend liefen: „Wir hatten Zeit zum Spielen.“ Gehry begann, „an den Plänen zusammen mit dem Bauunternehmer und dem Projektleiter rumzuspielen … wir waren wie ein Jazz-Trio, frei experimentierend und Ideen austauschend.“13 Die Beschreibung des Arbeitsprozesses für den „Lebensraum mit Musikgefühl“ zeigt, dass nicht nur der Raum als Ziel für die Kreativität wichtig war, sondern auch der kombinatorische Spielprozess durch drehen, wenden und verbessern (s. Teil 1, Kap. 4). Der vom Journalisten Marc Myers gewählte Begriff „Riff“ stammt aus der Pop- und Jazzmusik und beschreibt sehr gut den Kaizenprozess des ständigen Drehens, Wendens und Verbesserns einer Idee. Auch ein Riff ist gekennzeichnet durch Musikphrasen, die in Schleifen wiederkehrend gespielt werden. • Ein inspirierender Ort ist für ein Management-Team genauso wichtig wie für typisch kreative Berufe wie Musiker, Maler, Designer. Ortswechsel inspiriert und gibt neue Ideen. Während meiner Zeit in Griechenland bin ich mit der Geschäftsleitung in einen Leuchtturm auf die Insel Ios zu Workshops

12Martin

Wolf: Lunch with the FT: Paul Krugman, FT, May 26–27, 2012, S. 3 (Life & Arts). Myers: A Jazz Riff, in Corrugated Steel, WSJ, Nov. 30–Dec. 2, 2012, S. W16. http://www.wsj.com/articles/SB10001424127887324556304578122971954237716. 13Marc

234

13  Denktaktik: Kreativer Arbeitsplatz

Abb. 13.2   Inspirierender Ort für Management-Meetings

und Strategiegesprächen gezogen (Abb. 13.2). Ortswechsel mit ungewöhnlichen Erlebnissen bringt neben kreativen Ideen auch Vertrauen und schweißt das Team zusammen. Die Wege zum Leuchtturm waren entweder seegangbewegt mit der Anfahrt im Ruderboot, 45 Minuten Fußweg oder auf des Esels Rücken. So etwas vergisst man nicht. Den Leuchtturm und die ganze Logistik hat man zu 100 % gefühlt. Ähnlich profitierte der kreative Prozess bei den Aufnahmen des Wings-Albums Band on the Run davon, dass diese in Lagos stattfanden und nicht in dem üblichen Studio in London. Paul McCartney kommentierte das so: „I think, if we would have stayed in London and gone to our normal studio it might have been an ok album, a good album. But the fact that we were in a strange place with strange things happening … there was now only three of us in the band instead of five. We had to work well all these circumstances and we had to … like incorporate all of this into the album.“14 Genau diese Erfahrungen machten wir mit dem Leuchtturm-Workshop auf der Insel Ios – seltsamer Ort, seltsame Zeit, denn Dezember ist eine Jahreszeit, in der normalerweise kein Grieche auf die Insel fährt.

14Paul

McCartney, https://www.youtube.com/watch?v=Fv7BkJu3Xak (Min. 13:55 von 15:31).

Denktaktik: Gedankenblitze auslösen und verfolgen

14

Gedankenblitze

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie: • Mit der positiven Einstellung: Alles geht! fängt originelles Denken an. Der Ideenfindungs-Prozess ist noch nicht erforscht, deswegen müssen Sie für sich selbst und mit Erfahrungswerten anderer experimentieren, um Ihre eigene Erfahrungen zu sammeln. • Un-konventionell durch Ver-rückung zu denken heißt, exzentrisch und außerhalb der allgemeinen Norm denken zu können. Wenn Sie das schaffen – Kompliment (Linda Rottenberg: Crazy is a Compliment – The power of zigging when everyone else zags, Portfolio Penguin 2014; Stefan Stern: Book Review: Crazy is a Compliment …, in: FT, 8. Oktober 2014. – Steve © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_14

235

236

14  Denktaktik: Gedankenblitze auslösen und verfolgen

Jobs spricht eine Werbenachricht: „Here’s to the crazy ones …“ auf YouTube, http://fortune.com/2011/10/24/jonathan-ive-on-steve-jobs-and-thefragility-of-ideas/ (Min. 11:20 von 12:20)). Folgen Sie Ihren Gedanken. Geben Sie Neugier nach, wenn im Buch vor Ihnen das interessierende Kapitel hinten liegt – überspringen Sie ein paar Kapitel! Auf dem Weg zu neuen Ideen sollten Sie Info-Surfing nur mit Google-Algorythmus ver­ meiden. Vertrauen Sie auf die kreativen Querverbindungen ihres Gehirns durch fragen, beobachten, experimentieren und assoziieren. • Ideen auslösen, Ideen verfolgen und sofort notieren geht Hand in Hand. Nie vergessen: Neue Einfälle aufschreiben. Kleine Ideen können groß werden. Zwischen zu früh und zu spät liegt immer nur ein Augenblick. (Franz Werfel)1

14.1 Alles geht! Die ständig brennende Frage auf dem Weg zu einer Superidee ist: Wie bekomme ich originelle und un-gewӧhnliche Ideen? In meinen 1000+ Interviews kam auf die Frage: „Wie bekommen Sie Ideen?“ bei einer großen Mehrheit die Antwort: „Ich habe keine Methode – die Ideen kommen aus heiterem Himmel.“ Dem ist nicht so. Wir wissen, dass unser Gehirn in zwei Denkmodi arbeitet, und einer davon ist das zufällige Denken ohne Fokus und ohne jegliche Gehirnausrichtung – das Gehirn ist im Zustand der Entspannung und Ziellosigkeit am besten. Ohne Fokus und innere Stimmigkeit zu denken, ist der Freund der Kreativität (s. Teil 1, Kap. 5, bes. Abschn. 5.1.6: Zwei Gehirnausrichtungen). Ideen brauchen Auslöser, um im Gehirn eine kreative Assoziation zu erzeugen. Der Auslöser kann alles sein: eine zufällige Beobachtung, ein Produktproblem, eine mangelhafte Dienstleistung oder die systematische Suche nach Antworten in alten Notizen (Archiv oder Internet). Der Ausgang kann eine alte, auf einem Zettel notierte Idee, eine alte Mindmap oder eine Fundstelle sein, die im Zusammenhang mit anderen gerade gelesenen Ideen den assoziativen Gedankenblitz auslöst. Der Ausgang dieser Kettenreaktion kann eine erste neue Idee sein,

1Österreichischer

Schriftsteller, https://www.aphorismen.de/zitat/219165.

14.2  Erste zerbrechliche Ideen

237

die wie „… nach einem ersten Federstrich zum zweiten führt.“2 Der Ausgang kann aber auch die vertiefte Beschäftigung mit einer Frage oder einem Problem sein, aus der dann ganz natürlich die Gedanken und Worte entstehen, wie es der römische Staatsmann Cato ausdrückte: „Verstehe die Thematik und die Worte folgen.“3 Siehe konkrete Beispiele unten in Teil 3, Abschn. 14.4.

14.2 Erste zerbrechliche Ideen Wichtig ist es, die Zerbrechlichkeit der ersten vagen Idee zu respektieren und sie nicht gleich zu verwerfen, da eine gute Idee zu früh, genauso schlecht sein kann wie zu spät. Auch große Ideen fangen klein und zerbrechlich an,4 aber: Nichts in der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist. (Victor Marie Hugo)5

2Der

berühmte französische Philosoph Michel de Montaigne, zit. in: Stanley Fish: How to write a sentence and how to read one, Harper 2011, S. 61 („I write naturally and without a plan; the first storke of the pen just leads to a second.“). 3Cato auf Englisch: „Seize the thing, the words will follow.“ (im lateinischen Original: rem tene, verba sequentur), zit in: Stanley Fish: How to write a sentence and how to read one, Harper 2011 S. 40. 4Die Ausführungen von Jonathan Ive in seiner Gedenkrede für Steve Jobs am 19. Oktober 2011 veranschaulichen Steves Jobs Respekt vor neuen, vagen und zerbrechlichen Ideen, https://www.youtube.com/watch?v=7hOCyOlTmyM: „Steve used to say to me – ‘Hey Jony, here’s a dopey idea’ – and sometimes they were … really dopey. Sometimes they were truly dreadful. But sometimes they took the air from the room and they left us both completely silent – bold, crazy, magnificent ideas. Or quiet simple ones, which in their subtlety, their detail, they were utterly profound … and just as Steve loved ideas, and loved making stuff, he treated the process of creativity with a rare and a wonderful reverence. I think he better than anyone understood that while ideas ultimately can be so powerful, they begin as fragile, barely formed thoughts, so easily missed, so easily compromised, so easily just squished.“ 5Politisch engagierter französischer Schriftsteller: https://www.aphorismen.de/zitat/16505.

238

14  Denktaktik: Gedankenblitze auslösen und verfolgen

14.3 Ordentlich oder unordentlich kreativ Beim Lesen eines Artikels6 über den Vorteil eines unordentlichen Schreibtisches kam mir die Idee, dass durch die Kombinatorik in unserem Gehirn die unterschiedlichen Themen, Objekte, Bücher und Artikel sich vor einem auf dem Tisch vernetzen. Etwas Chaos und etwas Unordnung helfen, Einfälle auszulösen. Das steht im Gegensatz zu den Verfechtern der leeren Tischplatten, die edel mit nur einem weißen DIN-A4-Blatt und einem gespitzten Bleistift „dekoriert“ sind. Vor Jahren sah ich solche Schreibtische und die Chefs dahinter abgebildet. Auf einer sterilen Schreibtischoberfläche, die keine Assoziationen anregt, ist die ­beschriebene Vernetzung und Kombinatorik aus meiner Erkenntnis nur schwerlich ­möglich. Eric Abrahamson, Change-Management-Spezialist an der Columbia Uni­ versität,7 stellte fest: „Ein moderat unordentlicher Tisch hat den Vorteil, dass man unterschiedliche Dinge miteinander in Kontrast setzen kann, sodass einem neue, kreative Verbindungen einfallen.“ Nach dem Lesen des Artikels hörte ich dann in einem Vortrag des Dirigenten Leonard Bernstein den Satz: „Interdisziplinäres Denken ist die beste Art und Weise, etwas im Zusammenhang mit einer anderen Disziplin zu lernen.“8 Der unordentliche Tisch mit den verschiedenen Objekten und Themen ist im Grunde nichts anderes als interdisziplinäres Denken, um neue Ideen durch das kombinatorische Spiel zu erhalten. Aber es lohnt sich auch, den Inhalt des Tisches ab und zu mal zu sichten, um vergessene Notizen oder Artikel wiederzufinden und mitspielen zu lassen.

6Emma De Vita: Bright ideas can be found in the clutter of a  messy desk, FT, 21. Februar 2016. 7Eric Abrahamson ist Autor von Change without Pain, HBR, July-August 2000, S. 75 ff., sowie Koautor mit David H. Freedman von: A Perfect Mess, The Hidden Benefits of Disorder – How Crammed Closets, Cluttered Offices, and On-the-Fly Planning Make the World a Better Place, Little, Brown and Company 2006. 8Leonard Bernstein: The Unanswered Question: Lecture 1 – Musical Phonology. Ein Vortrag an der Harvard Universität, https://www.youtube.com/watch?v=ntmTQ8J7m5Y&feature=youtube. https://www.youtube.com/watch?v=ntmTQ8J7m5Y&feature=youtu.be/ (Min. 2:35–2:44 von 1:45:38).

14.4  Zufälle, Unfälle und Vorfälle

239

14.4 Zufälle, Unfälle und Vorfälle Das Gespräch mit einem Bekannten, das zufällige Hören eines neuen Musik­ stückes, eine zufällige Beobachtung auf einem Spaziergang – all das kann Ideen auslösen. Die Frage ist: Wie löse ich diesen Funken kontrolliert aus? Meine ­Erfahrung ist: Absolut alles geht! Sie müssen Ihr Gehirn nur Reizen aussetzen und dann auf Entspannung oder Fokus ausrichten. Ideenauslöser sind unendlich in der Zahl und vielfältig in den Variationen – experimentieren Sie was für Sie passt. Sie fördern die Ideenfindung (sogenannte Ideation) durch Beobachtung, Nachlesen, Nachdenken, Networken, Fragen oder kombinatorisches Kopfspiel mittels: • Visitenkarten mit der Kombination verschiedener Informationen auf dem Schreibtisch. • Geschichten, Erlebnissen, Wörtern, Zahlen, Statistiken – alles geht! • Lesen von Tageszeitungen, Magazinen, Fachzeitschriften, Modezeitschriften oder das Abhören von Audiobüchern. • Bilder, Analogien, Metaphern, Konzepten, Theorien und Denkmodellen. • Museums-, Ballett-, Kino- und Galeriebesuchen. • Schreiben oder Lesen eines Briefes. • Betrachten eines chinesischen Schriftzeichens, das als Piktogramm mehrere Bildelemente beinhaltet. • Wortspielen wie z. B. Anagrammen. • Einer Betätigung außerhalb der „normalen Routine“ wie z. B. dem Besuch einer Ausstellung Alter Meister – auch, wenn Sie neue, zeitgenössische Kunst bevorzugen. • Des Besuchs einer Modenschau, ohne Fashionista zu sein. • Jemandem bewusst und geduldig zuzuhören, den Sie „normalerweise“ nicht treffen oder nicht treffen wollen, wie z. B. Fremde oder Außenseiter. • Beginn mit dem Erlernen eines Instrumentes. • Orte wie Parks, Strand, Boot, Pub, Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang; sie bringen neue Ideen durch ungestörtes Nachdenken. • Diskussion der Ideen mit Freunden zur Verbesserung einer Idee durch Drehen, Wenden, Infrage stellen und Verbessern. • Eine Liste mit Ärgernissen (bezogen auf Produkte und Dienstleistungen), die abgestellt und verbessert werden müssen, hilft bei der Innovation. Der Assistent Zufall ist wichtig, aber mit der Zeit gewinnen wir ein sicheres Gefühl dafür, wie man den Zufall erzeugt. Die beiden effektivsten Methoden sind erstens Offenheit, gespeist aus Lesen, Sprechen, Beobachten und aktivem

240

14  Denktaktik: Gedankenblitze auslösen und verfolgen

­ uhören, und zweitens Geschlossenheit mit Nachdenken. Das menschliche Gehirn Z verknüpft und assoziiert dann alles Aufgenommene: Worte, Bedeutungen und Sätze, egal, ob die Verknüpfung Sinn oder Unsinn ergibt. Der Gedankenblitz kann im Zusammenhang mit einem Überraschungsbrief an einen alten und lange nicht mehr kontaktierten Freund entstehen. Es entsteht die Idee einer gemeinsamen Reise. Bei Reisen hat man viel Zeit zum Reden und Denken, sodass die Wahrscheinlichkeit groß ist, neue Ideen zu entwickeln. Neugier bzgl. eines Wissensgebietes wie z. B. über kreatives Schreiben und das Belegen eines entsprechenden Kurses, kann zum Schreiben eines Romans oder Drehbuchs motivieren. Sie denken dann immer wieder unbewusst oder bewusst über diese Ideen an Orten nach, die bei ihnen Ideen stimulieren. Ideen müssen immer wieder überarbeitet werden. Ideen müssen einsickern und wachsen, bevor sie neu geschrieben, erneut geprüft und erneut experimentiert werden können. Sie vertiefen die Grundidee mit neuen Studien und neuer Literatur. Ständiges Hinterfragen ist ein Signaturmerkmal der Verbesserung. Es ist gut, wenn man einen Kollegen- oder Freundeskreis hat, mit dem man die neue Ideen diskutieren kann. Manche Universitäten wie z. B. die TU München haben Mentorensysteme, um den Studierenden einen Praktiker als Ratgeber an die Seite zu stellen. Für den Praktiker ergibt sich die Chance durch den Input neuer Ideen und Verhaltensweisen der Studenten, selbst zu lernen. Mein Leitmotto war immer: „Lerne, um zu lehren, und lehre, um zu lernen.“ Bringen Sie ihr Spezialwissen und Ihre Erfahrung in eine Bildungsstätte, diskutieren Sie diese Erfahrungen und auch neu gehörte Meinungen. Sie werden automatisch verschiedenste Reaktionen, Fragen und Ansichten der Studenten, Kollegen, Familie und Freunde verbinden und in Ihre bestehende Problemlösungen einbringen. Fokus ist aber auch hier sicherzustellen, damit Sie nicht ziellos abschweifen. Fehlender Fokus kann bei der Suche im Internet mit den Myriaden an neuen Klickmöglichkeiten leicht passieren. Der Fokus darauf, dieses Buch zu schreiben, hat meine Aufmerksamkeit seit vielen Jahren auf Beispiele zu Kreativität und Innovation gelenkt. Ich durchkämme Studien, Zeitungen, Gespräche und YouTube-Videos ganz automatisch auf neuen Input. Freunde und interessierte Mitarbeiter sind mittlerweile durch meine Fragen und Gespräche mit meinem Interessengebiet wohl vertraut– so erhalte ich immer wieder neue Hinweise und neue Links zu Quellen.

14.5  Brillante Zufallsgedankenblitze

241

14.5 Brillante Zufallsgedankenblitze Ein vorgelesenes Wort oder gezeigtes Bild kann bei Teamarbeit eine originelle Idee auslösen. Nur durch das Wort „Blau“ kam das Team einer Autoversicherung auf eine neue Marketingkampagne mit Tipps für sicheres Fahren. Steve Nelson, Web-Marketing Berater, leitete das Brainstorming. Er propagiert die Methode des Zufallswortes, das Assoziationen und Ideen auslöst – hierzu hat er einen Stapel selbstbeschriebener Karten mit Zufallsworten, aus dem er eine Karte ziehen lässt … und dann geht das Brainstorming los. Hilfe bei dieser Zufallssuche findet man in der Suchmaschine BananaSlug (http://www.bananaslug.com/).9 Im Gegensatz zu Googles punktgenauem Such-Algorhythmus lässt BananaSlug eine Unschärfe bei Suchergebnissen zu. Testen Sie das Instrument BananaSlug mit einem Begriff Ihrer Wahl wie z. B. mit dem Begriff „Segelboot“. Zweitens klicken Sie in der Liste von fünfzehn Zufallskategorien die Kategorie „Farbe“ an. Sie erhalten zufällige Kombinationen der Worte „Segelboot“ und „gelb“ in Englisch, wie z. B.: Yellow Sailingboat, Yellow Sailboat stock photos & pictures etc., die Sie mit den anderen Kategorien verbinden können. So kommen Sie digital auf einen Zufallsgedanken, mit dem Sie dann weiterarbeiten können. Ähnlich zufällig und planlos funktioniert unser Gehirn. Weil Googles Such-Algorhythmus keine Rand- und Zufallsergebnisse zulässt, wünschte sich der Hirnforscher Daniel J. Levitin einen Serendipity Button für Zufallsfunde, der dem zufälligen Auffinden von Büchern beim Gang durch eine Bibliothek oder dem müßigen Schmökern in einem Buchladen entspricht – man stolpert regelrecht über einen Zufallsfund, einen Artikel oder eine Idee.10 Die 1000+ • Beim Abarbeiten der E-Mails vor dem morgendlichen Besuch im Fitness­studio fand ich im Internet ansprechende Kopfhörer (Hesh 2 kommentiert bei http:// www.skullcandy.com/). Auf der zugehörigen Webseite fand ich einen Kommentar, der mich lehrte, dass 50 Jahre Englischpraxis in Schule und Beruf

9Eric Abrahamson, David H. Freedman: A Perfect Mess – The Hidden Benefits of Disorder – How Crammed Closets, Cluttered Offices, and On-the-Fly Planning Make the World a Better Place, Little Brown and Company 2007, S. 247. 10Daniel J. Levitin: The Organized Mind, hier: Browsing and Serendipity, Penguin Random House 2014, S. 376–378. Wikipedia hat einen „Random-Article-Button“ und Logic-Music einen „Surprise-me-Button“.

242

14  Denktaktik: Gedankenblitze auslösen und verfolgen

nicht ausreichen – alles fließt auch hier. Ein Mädchen kommentierte nämlich: „Gut gemacht Skullcandy – Die neuen sind wirklich eine Stufe über dem letzten Modell Hesh 1. Der Sound ist unglaublich und ich bin wirklich beeindruckt von der Materialqualität. Ich werde in meiner Mund-zu-MundPropaganda verbreiten, wie ‚sick‘ [Neudeutsch: ‚cool‘] Hesh ist.“ Das Wort „sick“ habe ich verwundert zur Kenntnis genommen und mich gefragt, was ich eigentlich auf der Schule gelernt habe. Im Fitnessstudio erzählte ich die Geschichte meinem australischen Freund. Er befragte daraufhin seine 21und 23-jährigen Töchter, die in der heutigen Chat-Sprache antworteten: „Hahahahahahahaha! Hi Dad! Ja, ‚sick‘ kann benutzt werden, wenn etwas ‚supercool‘ ist … so etwa wie: ‚Mann, der Film war ja wirklich sick!‘. Auch ein Hemd kann ‚sick‘ sein – wo hast Du denn das Wort her?“ • Ein anderes Mal wurde mein Interesse am Musikgeschäft geweckt, da ich immer auch gerne geschäftlich Musik zu Marketingzwecken eingesetzt habe. Der Dekan einer Musikhochschule fragte mich, ob ich einen Vortrag zum Musikgeschäft halten möchte – das war der Funke. Mein Klavierlehrer informierte mich, dass ein Kollege der Jazzfakultät schon einmal über ein ähnliches Thema referiert hatte. Er verglich im Vortrag die Führungskraft mit dem Jazzband-Leader und dem Dirigenten eines Orchesters. Beim Blättern in seiner Präsentation kamen neue Ideen. Durchblättern bringt immer gute Einfälle. • Bei Vorbereitung der Vorlesung „Branding als Führungskraft“ erhielt ich meinen Einfall auf dem Laufband. Ich las einen Zeitungsartikel über die Ergebnisse der PISA-Studie. Das zeigt, dass man etwas völlig anderes lesen kann und es löst Ideen zu einem im Unterbewusstsein gespeicherten Problem aus – hier war es die Vorlesung zum Branding. Die Punkte zur Gliederung habe ich noch auf dem Laufband notiert, damit die Idee nicht verfliegt und ich sie später am Computer verbessern kann. • Auch der Jazzmusiker Benny Golson beschrieb ein kreatives Prozesserlebnis: Während er kurze Zeit ungestört vor der Probe in Boston wartete, hatte er den Einfall für die Komposition des Songs Whisper not. Er traf früher als geplant bei der Probe ein, keiner war da. Er ging zum Piano und schrieb den Song in zwanzig Minuten. Er konnte nicht erklären, wie das passierte – er hatte nur diese verrückten Ideen – aber der Song war nicht verrückt.11

11Benny Golson spielt auf YouTube Whisper not: https://www.youtube.com/watch?v=xAyOODBmLE8.

14.5  Brillante Zufallsgedankenblitze

243

Der Ideenfindungsprozess des Malers Richard Diebenkorn passt sehr gut auch zu einem Geschäftsmann, der Musikliebhaber ist. Diebenkorn war bekannt für seine große Liebe für klassische Musik. Er hörte oft Mozart, Haydn und Bach, während er in seinem Studio malte.12 In einem Interview beschrieb er, dass ihm die Inspiration für seine Ocean Park Serie beim Hören des Mozart-Klavierkonzertes in G-Dur (Nr. 17/KV 453)13 kam. Musik kann genauso eine Geschäftsidee auslösen. Überlegen Sie, welche Musik Sie bevorzugt hören, um auf gute Gedanken und Ideen zu kommen (s. Teil 1, Kap. 1, bes. Abschn. 1.3.3.8).

12Lucy

Beighle: Richard Diebenkorns ‘intimate’ works on paper come to UM campus,1. Oktober 2015: http://missoulian.com/corridor/richard-diebenkorn-s-intimate-workson-paper-come-to-um/article_3ea55e76-6889-11e5-92c3-9736a572f6c5.html. 13Mozart, Klavierkonzert in G-Dur Andante (Nr. 17/KV 453): https://www.youtube.com/ watch?v=BC47PQtJiKQ.

Denktaktik: Notiere Ideen sofort

15

Notiere Ideen sofort: egal wie, wo und wann

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie: • Schaffen Sie sich Ihr erinnerungsfestes System zur Ideenerfassung und Aufbewahrung. Beispiele für Ablagenorte wären: Ideenzimmer, Ideenakten, Ideenbücher, Ideenschachteln, elektronische Ideenordner, Ideennotizen in gelesenen Büchern, Ideenkarten. Alles geht! Schreiben Sie Ideen sofort nieder: „Ideen fliegen davon wie Schmetterlinge“ sagte in meiner Vorlesung „Change Management“ an der Hochschule Esslingen eine Studentin. Grund: Gute Ideen kommen selten in gleicher Form zurück. Nach kurzer Zeit ändern sich der Kontext und die Erinnerung ist weg. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_15

245

246

15  Denktaktik: Notiere Ideen sofort

• Die besten Zeiten zum Festhalten und Notieren der Ideen sind die Transferzeiten sofort nach dem Aufwachen, vor dem Einschlafen oder sofort nach dem Tagtraum. Die Präferenz bestimmt Ihr Biorhythmus. Frühaufsteher notieren lieber morgens, weil Notieren das Einschlafen stört, Nachteulen notieren eher abends, weil sie morgens einen längeren Anlauf brauchen. • Kreative Unordnung hilft, über den Tellerrand zu sehen und Probleme zu lösen. Das passiert, wenn sich verschiedene Informationen ohne konkrete Verbindungen treffen: Ein Buch liegt zufällig neben einem Artikel auf dem Schreibtisch; ein Memo zur Einführung von KPIs (=Key Performance Indicators, s. Teil 5, Abkürzungsverzeichnis) liegt neben dem Buch zur Balanced Scorecard und Assoziationen führen zur Problemlösung – die Themen verknüpfen sich. Sprachkürze gibt Denkweite (Jean Paul).1

15.1 Notieren ist Risikomanagement Das Risiko steckt hier im Vergessen. Also entspricht es nur dem gesunden Menschenverstand, sofort zu notieren. Auch wenn die Zeit knapp ist: Besser schnell auf Papier notieren, da der PC eine gefährliche Anlaufzeit braucht, in der die Idee schon vergessen sein kann. Der kurze Vermerk ist nicht nur Risikomanagement, sondern kann Auslöser für weitere Ideen sein. Das Risiko besteht darin, dass ein erster vager Geistesblitz mit der Chance, eine sehr gute Idee zu werden, schon nach wenigen Sekunden entfallen sein kann. Das passiert meist, wenn wir beim Notieren gestört werden. Schnelligkeit und nicht Schönschrift ist das Wichtigste, sodass der Kerngedanke erhalten bleibt. Hier ein paar Tipps für mnemotechnische effektive Notizen (Abb. 15.1):2 • Schreiben Sie auch bei Zeitdruck kurz und möglichst leserlich. • Unleserlich ist besser als nichts, besser schlecht geschrieben als gut vergessen. • Notieren Sie Datum, Uhrzeit, Namen zur Assoziation.

1Jean-Paul-Aphorismen:

Sprachkürze gibt Denkweite, Paperback 1989, https://www.aphorismen.de/zitat/14768. 2Tania Konnerth: Das 1 × 1 des effektiven Notizmanagements, http://www.zeitzuleben.de/ das-1-x-1-des-effektiven-notizmanagements/2/.

15.1  Notieren ist Risikomanagement

247

Abb. 15.1   Erste grobe Notizen im Fitnessstudio

• Notieren Sie das Richtige und nicht alles – weniger ist mehr. • Schreiben Sie in eigenen Worten (Paraphrase). • Notieren Sie Ideen nicht nur mit Worten, sondern auch in Bildern, Symbolen, Farben, Skizzen. • Lernen Sie Ihre präferierte Notizmethode (Schlagwörter, Fragen, Mind-Mapping, Karikaturen) kennen. • Verbessern und überarbeiten Sie die Notizen, sobald Sie Zeit haben, vielleicht bereits für die passende Textstelle oder Präsentation, im Notizbuch oder auf einer Karteikarte. • Bringen Sie Struktur in die Notizen im Sinne von „Schreiben bedeutet, immer wieder neu zu schreiben.“ In der Transferzeit des Aufwachens gehen sofort Ideen und Probleme durch den Kopf – zumindest mir. Ich schreibe die Ideenfetzen sofort in ein giftgrünes Notizbuch neben dem Bett oder was auch immer griffbereit ist; sonst passiert genau das, was eine Studentin in Form einer Metapher formulierte: „Ideen fliegen wie Schmetterlinge davon.“ Selbst weniger gute Ideen sollten Sie notieren, es kann immer noch was daraus werden.

248

15  Denktaktik: Notiere Ideen sofort

• Eine oft übersehene Regel beim Brainstorming ist, dass Ideen erst einmal nicht bewertet werden dürfen. Dasselbe gilt für die in einer Akte oder Schachtel aufgehobenen Ideen-Schnipsel auch, später kann aus einer unvollendeten, aber nicht gleich verworfenen Zufallsidee etwas Wertvolles entstehen: „Quantität brütet Qualität“ aus.3 Den ganzen Tag über wird unser Gehirn vielfältig stimuliert: Wir hören Fragen, beobachten, lesen ungewöhnliche Artikel in zufällig aufgeschlagenen Magazinen, d. h. nicht nur in FAZ, Economist, Financial Times oder Wall Street Journal, sondern auch mal im Rolling Stone. Inspirierende Filme, faszinierende Ausstellungen in Museen, ein gutes Gespräch – all das kann Notizen auslösen. Auch hier sind die Auslöser für Ideen wieder unendlich viele !

15.2 Notieren – der Schlüssel zum Wachstum Egal, welchen Beruf Sie haben, Ideen niederschreiben ist ein Schlüssel zum Wachstum. Das zeigen auch die Beispiele von Persönlichkeiten wie dem Musiker John Lennon und dem Unternehmer Richard Branson. John Lennon schrieb Ideen sofort nieder, wenn sie ihm einfielen. Er skizzierte Worte und Bilder auf Papier und teilte sie mit anderen.4 Für den kreativen Prozess ist es wichtig, dass man Ideen festhält und später mit mehr Zeit daran weiterarbeitet. Richard Branson rät jedem Unternehmer, ein Notizbuch zu führen. Er notiert sofort To-do-Listen mit Ideen, die er von Mitarbeitern, Kunden auf Betriebsfeiern und bei Fabrikbesichtigungen aufnimmt. Grund: Die meisten von den viel beschäftigten Menschen unter uns können sich am nächsten Tag nicht einmal an eine von zwanzig Einzelheiten erinnern. Rundschreiben an Mitarbeiter basieren auf seinen Notizen. John Lennon und Richard Branson sind außerdem zwei bekannte Persönlichkeiten mit Dyslexie, die ihre Schreib- und Leseschwierigkeiten durch Durchhaltevermögen, Kreativität und Innovation kompensieren.5 Nehmen Sie Ihre bevorzugte Methode, um später etwas Besseres und Größeres aus ihren Notizen zu machen. Wichtig ist, dass Sie Notizen und anderes Material problemlos wiederfinden. Akten, Hefter oder Notizbücher sollten farbig und

3Alex F.

Osborn: Creativity Theorist and founder of the creative agency BBDO. Bereits im Jahr 1942 publizierte Alex F. Osborn: How To Think UP, McGraw-Hill 1942. In dieser Schrift mit nur 38 Seiten präsentierte er die Brainstorming-Methode. 4Hunter Davies: The John Lennon Letters, Weidenfeld & Nicolson 2012. 5Richard Branson: Business Stripped Bare, Virgin Books 2008, S. 96–97.

15.2  Notieren – der Schlüssel zum Wachstum

249

Abb. 15.2   Kreative Ablage der Ideen

griffig beschriftet sein, immer am selben Platz stehen, damit Sie die Notiz oder das abgelegte Bild mit einem Griff schnell finden. Abb. 15.2 zeigt, wie ich nach ersten groben Notizen im Fitnessstudio oder an anderen Orten die Ideen und Beispiele für Denktaktiken gesammelt und geordnet habe. Die gesammelten Notizen, Vorträge, Aufsätze und Präsentationen enthalten alte, erstmals auf Eis gelegte Ideen, die mit neuen Informationen und Einfällen verbunden werden können. Für den kreativen Prozess ist es förderlich, ab und zu spontan im Archiv zu blättern. Unser Gehirn verbindet dann automatisch die Probleme, die wir gerade wälzen, mit den Ideen und Notizen in der Ablage. Altes und Neues kommt beim Schmökern in einen Gesamtzusammenhang und in ein neues Licht. Alte Notizen erhalten so stets ein verbesserndes Update. Bei dieser Ad-hoc- und Zufallsübung fördern Sie Einsteins Kreativmethode, die er so beschreibt: „Kreatives Denken ist ein kombinatorisches Spiel.“6 Ich bezeichne dieses Spiel mit Kopfspiel. Es ist ein gutes Gefühl, bei der Erarbeitung einer Präsentation auf alte Idee zurückgreifen zu können, um neue Ideen und Beobachtungen beizumischen. Schriftsteller, Erfinder, Profis – allgemein kreative Menschen haben immer ein Notizbuch oder Aufnahmegerät in der Tasche. Im täglichen Leben findet sich eine kleine Idee hier und ein Stück Information da, zuerst fürs Archiv und dann für Projekte. Ein Griff in die Ideensammlung ist anregend.7 Diese Anregungsmethode durch bereits Gefundenes kann in jedem Gebiet praktiziert werden. Tagträume, Nachdenken und Aufarbeiten alter Notizen bringen neue Assoziationen, die durch

6Drake

Baer: How Albert Einstein, Steve Jobs, and Maria Popova got more creative, Fast Company 9. Okt. 2013: https://www.fastcompany.com/3017054/how-albert-einstein-stevejobs-and-maria-popova-get-more-creative. 7Robert McKee: Story – Style, Structure, Substance, and the Principles of Screenwriting, Harper Collins YEAR, S. 386.

250

15  Denktaktik: Notiere Ideen sofort

Internetsuche z. B. nach der Literaturstelle schnell präzisiert werden können. Das Notizbuch für jeden Tag wartet auf Einträge der Beobachtungen und Überraschungen: Neue Designs, ungewöhnliche Farbkombinationen, neue Modeideen, erstaunliche Trends, sehr gute neue sowie schlechte Produkte.8 So fliegen Ihnen Ideen zu, die Sie später ausarbeiten. Notizen können meist sofort in eine Präsentation oder in ein Projekt gefügt werden. Das Ergebnis dieses Prozesses kann beim nächsten Aufwachen oder Einfall das Ziel einer erneuten Denkprüfung sein. Die 1000+ • Im Jahr 2005 kreierte ich zum Thema Change Management ein simples Ablagesystem. Über die Jahre habe ich es weiter verbessert, um Ideen fachgerecht aufzuheben. Jetzt habe ich vier Mappen für die vier Lebensstationen eines Unternehmens: Start-up, Wachstum, Abschwung und Schieflage für dringende Turnaround-Maßnahmen. Daneben habe ich eine Materialsammlung, die aus acht Mappen besteht – jede Mappe enthält einen der acht ChangeManagement-Aspekte: Werte und Führungsmanagement, Vision und Kreativität (Abb. 15.3), Kommunikation und Empathie, Fokus und Verantwortung. • In Japan schrieb ich während der Rezession in den 90er-Jahren ein Buch über Change-Management und den Kulturwandel mit IT. Ziel war es, den Weg zu einer offenen und transparenten Unternehmenskultur zu beschreiben und die Hindernisse zu analysieren.9 Eigentlich habe ich das Buch für die Mitarbeiter geschrieben, um unseren Weg mit all den Erfolgen, Problemen und letztlich dem gemeinsamen Ergebnis zu zeigen. Das Buch hatte den gleichen Ansatz wie die Checkliste „Kreativität & Innovation“. Ich wollte etwas für die ­ Mitarbeiterschulung und Mitarbeitermotivation schaffen. Das Change-­ Management-Buch enthält Anekdoten zu Team-Erlebnissen, die ich mit japanischen Mitarbeitern bei der Einführung des Systems „Lotus Notes“ für E-Mail, Dokumentenaustausch und vieles mehr zur schnelleren Kommunikation hatte. Die Motivation für die Arbeit an dem Buch bestand darin, unseren Projektweg zu beschreiben, die Hürden, Durchbrüche und Erfolge. Es diente der Motivation und dem Stolz der Mitarbeiter als wir dann endlich fertig waren.

8Daniel

Pink: A Whole New Mind, Riverhead Books 2005, S. 89. Paufler: IT Revolution in DaimlerChrysler Japan, Nikkei Business Publications, Tokyo 2001 (in japanischer Sprache).

9Alexander

15.2  Notieren – der Schlüssel zum Wachstum

251

Abb. 15.3   Ablage der Ideen nach Themenkreisen

• Setzen Sie sich stets neugierig neuen Ideen aus, z. B. durch Museums- oder Konferenzbesuche. Das Thai Creative Design Center (TCDC) organisiert jährlich eine Konferenz zum Thema Kreativität unter dem Titel: „Creativities Unfold“. Redner aus aller Welt und das Umfeld bringen neue Ideen. Auch am Rande der Veranstaltung lassen sich Ideen finden. So entdeckte ich im Souvenir-Shop der Symposiumhalle ein kleines pinkfarbenes Notizbuch mit dem Buchtitel: „Tanze mit deiner Fantasie und ändere dein Leben“ („Dance with your imagination and change your life“). Ich habe es gekauft, in meinem Archiv verwahrt und später dann als Inspiration für ein Buchdesign verwendet. • Hal David (Lyriker und Journalist) notierte ständig. Er wollte keinen Einfall vergessen. Hal und Burt Bacharach waren das kreative Team für Songs wie What’s new pussycat? oder Raindrops keep falling on my head. Sein Ziel

252

15  Denktaktik: Notiere Ideen sofort

war es immer, Geschichten zu schreiben. Die Lieder sollten kleine Filme von drei bis vier Minuten werden, mit Texten, die so einfach wie möglich gehalten waren. David und Bacharach sind gute Beispiele für einen offenen und geschlossenen Arbeits- und Denkstil (s. Teil 4, Kap. 18). David lebte in New York City und flog oft nach Los Angeles, um sich mit Bacharach für ein paar Wochen zum konzentrierten Songschreiben einzuschließen. Dann aber wieder dienten lange Ferngespräche ihrer Kommunikation. So wurde etwa das Lied: I say a little prayer komponiert. • Im Interview erzählte mir ein MBA-Student, dass er alles sammelt, was seine Aufmerksamkeit erregt (Fotos, Werbung, Magazine, Materialien). Zur Aufbewahrung dieser Funde hat er zu Hause ein sog. Brainstorming-Zimmer, in das er sich zurückzieht, um neue Ideen zu generieren.

Teil IV Fünf Denktaktiken zur Ideen-Realisierung auf dem Weg zur Innovation

Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

16

Entrepreneur – Intrapreneur – Innovateur

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie: • Der wichtigste Unterschied von Entrepreneur und Intrapreneur liegt in der Ideenumsetzung. (Larry Myler: Intrapreneurs are just like Entrepreneurs …NOT!, https://www.forbes.com/sites/larrymyler/2014/01/15/ intrapreneurs-are-just-like-entrepreneurs-not/#5e2dd6b4354e). Entrepreneur © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_16

255

256

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

ist der Gründer- und Startup-CEO. Intrapreneur ist der innovative leitende Angestellte, der Unternehmer im Unternehmen. Sein Arbeitsleben ist formeller als das des Entrepreneurs, was an der Eingliederung in durchorganisierte Hierarchieebenen liegt. Intrapreneure haben weniger Freiheitsgrade, jedoch sind beide Innovateure. Mit neuen Ideen müssen das Unternehmen vorangetrieben und Ideen in Form eines soliden Businessplanes präsentiert werden, sodass die Stakeholder überzeugt sind und die notwendige Unterstützung geben. (William A. Sahlman: How to Write a Great Business Plan, HBR, July-August 1997, S. 98–108, hier S. 100 (Reprint 97409)). • Generation Y (geboren zwischen 1980 und 2000) akzeptiert den Topdown-Managementstil nicht mehr so wie die Baby-Boom-Generation. Die Gene­ration Y und die Generation Z (geboren zwischen 1995 und 2010) folgen authentischen Führungskräften, die Respekt und Empathie zeigen, und sich in Krisensituationen glaubwürdig verhalten. Gespräche, Zuhören, Sehen und Mut zur Unfertigkeit bringt neue Ideen im Unternehmen, d. h. nicht: „Ja, aber …“, sondern immer: „Ja, warum eigentlich nicht?.“ (Richard Branson: Business stripped Bare – Adventures of a global Entrepreneur, Virgin Books 2008, S. 242; Peter Wagner: Wie Ideen besser werden, Google Magazin Aufbruch – Sonderheft Ehrenamt, S. 24–27). Unternehmen werben Intrapreneure mit dem Aufruf an: „Wir suchen keine Follower. Sondern Menschen, die uns digital vorantreiben.“ (Vgl. stellvertretend für viele ähnliche HR-Werbeaussagen: www.porsche.de/karriere). Führen, nicht Folgen ist gefragt – auch in Großunternehmen. • Denkstrategien und Denktaktiken sind für Entrepreneur und Intrapreneur hilfreiche Instrumente.

Der Entrepreneur lebt ein paar Jahre seines Lebens so, wie andere es nie machen würden, mit dem Ziel, den Rest seines Lebens so zu leben, wie andere es nie könnten.1 (Verfasser unbekannt)

1Im englischen Original: „Entrepreneurship is living a few years of your life like most people won’t. So that you can spend the rest of your life like most people can’t.“

16.2  Unternehmen kopieren Startup-Geist

257

16.1 Drei Rollen als Unternehmer Der Entrepreneur ist eine Person, die ein oder mehrere Unternehmen gründet und damit finanzielle Risiken bis zum Kapitalverlust hinnimmt. Als Gegen­ leistung hofft der Entrepreneur auf einen Gewinn, der die Investition amortisiert und verzinst. Der hart arbeitende Entrepreneur hat nicht nur die Geschäftsidee, sondern will sie auch im Markt als Innovation realisieren. „Frechheit siegt – das ist Bransons Erfolgsrezept“2 und damit ist er in der Startup-Szene nicht allein. Der Intrapreneur ist ein angestellter Unternehmer im Unternehmen. Im ­Vergleich zum Entrepreneur arbeitet er im sicheren Rahmen, wenn der Arbeitgeber solide und nachhaltig aufgestellt ist. Natürlich muss der Intrapreneur seine Stellenbeschreibung kreativ und innovativ ausfüllen, wenn er Karriere machen will. Andererseits verhindern bürokratische Prozesse in Großunternehmen oft kreative Entfaltung, weil eng definierte Arbeitsteilung Initiativen verhindert. Querdenker können in traditionellen Konzernprozessen schnell an Abteilungsund Richtliniengrenzen stoßen. Originelle „Out-of-the-box-Ideen“ lassen sich in einem „Ja, aber-Umfeld“ kaum entwickeln. Der Innovateur ist Erfinder, egal, ob er sein eigenes Unternehmen als ­Entrepreneur leitet oder sich dafür entscheidet, Intrapreneur – Unternehmer im Unternehmen – zu sein. Mit letzterer Berufsentscheidung hat er eine geordnete Organisation und immer verfügbare, wenn auch budgetierte Ressourcen. So haben beide Welten ihre Vorteile.

16.2 Unternehmen kopieren Startup-Geist Wie erwähnt, schicken deutsche Großunternehmen immer mehr Mitarbeiter in die Startup-Szene. Kreative Mitarbeiter sollen so gehalten werden und nicht aus Frustration über langatmige Entscheidungswege das Unternehmen verlassen. Innovative Unternehmen gründen auch separate Abteilungen mit Freiraum für interne Startup-Initiativen. In diesen Einheiten sollen Querdenker ihre Ideen finden und vorantreiben. Die Daimler AG gründete vor zehn Jahren ein Innovationslab, das 2016 in den international aufgestellten Bereich Lab 18863 transformiert wurde und nah am Stammhaus arbeitet. Demgegenüber eröffnete Audi eine Denkwerkstatt in Berlin,

2Cornelia

Fuchs et al.: Wellenreiter, Stern – Wirtschaft, 9/2009, S. 97–100.

3https://www.daimler.com/innovation/venture/lab1886-en.html.

258

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

um an Innovationen zu arbeiten.4 Die Repräsentanzen der Startup-Szene sollen bei der Kulturtransformation bis in die Hauptverwaltung hinein wirken. Bei der Audi Denkwerkstatt gibt es ergänzend zum täglichen Co-Working auch noch ein Co-Living der Mitarbeiter, die für sechs Monate in Berlin zusammenarbeiten und zusammenleben. Organisationen wie die Factory oder Wework bieten mit neuartigen Bürokonzepten unkonventionelle, lässige Arbeitsplätze, um Startup-Klima zu vermitteln. Bei Wework5 und Factory6 in Berlin wird eine Business-Club-Atmosphäre gepflegt. Die Ausstattung und der Bürozuschnitt sind avantgardistisch und das Verhalten der Mitglieder unkonventionell – man gibt sich hip und selbstbewusst, denn man ist ja auf dem Weg zum „Next Big Thing“, das sich in ein Einhorn verwandeln soll. Das Einhorn ist in der Szene die Metapher für den Börsenwert von einer Milliarde $. Nüchtern betrachtet, erinnern diese Startup-Organisationen oft an Reality Shows. Konzernmitarbeiter agieren zwischen der alten Traditionswelt und der neuen „Einhorn-Welt“ – hier die Konzern-Welt und dort die Startup-Welt. Der Arbeitsplatz in einer „Community of Innovators“, wie das die Factory nennt, garantiert nicht nur die Entwicklung eines Startup-Entrepreneurs, sondern vermittelt Verständnis für die Arbeitsweise in einem Startup. Konzernmitarbeiter, die nach wie vor in die alte Struktur des Großunternehmens eingebunden sind und kreative Unordnung nicht praktizieren können, müssen Unterschiede flexibel leben. Der transferierte Konzernmitarbeiter hat kein Startup-Risiko, da auf ihn ein sicherer Arbeitsplatz wartet, den er jederzeit, ohne Schaden am eigenen Vermögen, wieder einnehmen kann. Die Mitarbeiter belegen Schreibtische beim Inkubator, Accelerator oder in einem Co-Working-Arbeitsplatz und sollen durch den Gründergeist, der hier herrscht, inspiriert werden. Der Arbeitsplatz in der Startup-Szene bringt nicht automatisch innovative Ideen, aber er ermöglicht Einblicke in die neue Arbeitskultur auch für Besucher aus der Hauptverwaltung: • Inkubatoren bieten kostengünstig Schreibtische, Büroausstattung und ­Service-Mitarbeiter an. Das bereitgestellte Netzwerk ist wertvoll, um schneller neue Ideen zur Problemlösung zu bekommen.

4Berlin Valley Nummer 25: Wir wollen zur digital car company werden, S. 52 f./Man kann auch einfach über einen Stau fliegen, S. 54 f. 5https://www.wework.com/. 6Jan Thomas im Interview mit Udo Schloemer: Die Factory ist eine echte Plattform geworden, https://berlinvalley.com/interview-udo-schloemer-factory-2/.

16.3  Innovation und disruptive Innovation

259

• Acceleratoren engagieren sich beim Startup, organisieren begleitende Mentorenberatung sowie kurzfristige Unternehmensgründungsprogramme. Sie wollen schnell zum Verkauf ihres Startup-Unternehmens – in dem Prozess Exit genannt – mithilfe eines IPO an der Börse. • Co-Working-Arbeitsplätze stellen zeitlich befristet Infrastruktur zur Verfügung (Netzwerk, Drucker, Scanner, Fax, Telefon, Beamer, Besprechungsräume). Sie ermöglichen die Bildung einer „Community“ mit gemeinsamen Veranstaltungen, Workshops und Networking zur Kooperation unter den Startups.7

16.3 Innovation und disruptive Innovation Innovation ist ein Prozess, bei dem Ideen zu neuen Produkten, neuen Dienstleistungen oder zu neuartigen Prozessen realisiert werden. Der Erfinder schafft mit der Innovation einen Mehrwert. Deckt sich der Mehrwert mit dem Bedarf der Kunden, sind diese bereit, einen Preis zu zahlen. Alan George Lafley, ehemaliger Procter & Gamble-CEO, versteht Innovation als die zentrale Aufgabe einer Führungskraft so: „Ohne Innovation ist Führung nicht möglich.“8 Die Aussage Lafleys bestätigt, dass Führung zwei Aspekte vereint. Zum einen ist Führung die Rolle eines leitenden Managers (CEO, COO, CFO) und zweitens ist es die im Wettbewerbsfeld erreichte Führungsposition – quasi die Poleposition des Unternehmens. Innovationen können in alten Geschäftsfeldern (innovative Logistik im Lebensmittelhandel), in neuen Geschäftsfeldern (innovative Antriebe bei E-Autos) und in Hybrid-Geschäftsfeldern (innovativer Karton)9 entstehen. Führung ist, wie bereits der Buchtitel beschreibt, die Potenzialentfaltung durch Kreativität und Innovation. Originelle Innovationen können existierende Märkte oder Industriezweige transformieren, wenn sie Vereinfachung, Bequemlichkeit, ­Verfügbarkeit und einen Preisvorteil mit sich bringen. Innovative Führung ist der Schlüssel für Zukunftsfähigkeit. Innovation kann disruptiv sein, wenn sie eine alte Technologie, ältere Produkte, Dienstleistungen und alte Prozesse aus dem Markt verdrängt, wie z. B.

7Beispiele

für diesen Service: www.wework.com oder https://factoryberlin.com/. Gann: A degree of relevance for the 21st century, in: FT, 15. Juli 2013, S. 8 (Prof. David Gann, Imperial College London). 9https://thescene.com/watch/thenewyorker/shorts-murmurs-the-startup-to-end-all-startups. 8David

260

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

Blackberry und Nokia durch neue Smartphones (Apple), Verbrennungsmotoren durch Elektromotoren (Tesla), konventionelle Öfen durch den gezielten Einsatz von garenden Wellen (Miele). Clayton Christensens betriebswirtschaftliche Theorie erklärt das Phänomen der disruptiven Innovation. Ein Unternehmen steigt mit einer Geschäftsidee in einem Markt am unteren Ende ein. Es gewinnt neue Kunden durch einen niedrigeren Preis, der durch die neue Technologie möglich ist. Langsam steigt das Produkt durch Innovationen, sodass es am Ende die existierenden Wettbewerber verdrängt und den Markt übernimmt.10 Zu Beginn erscheint die disruptive Innovation als ungefährlich und wird nicht ernst genommen. Nach und nach aber definieren innovative Produkte, Dienstleistungen, Prozesse und Ideen den Industriezweig neu. Eine völlig unterschätzte Innovation war Netflix: John F. Antioco, der ­Blockbuster-Video-CEO, schlug das Verkaufsangebot von Reed Hastings für Netflix im Jahr 2000 von 50 Millionen Dollar aus. Antioco stufte Netflix als Nischenprodukt ein. Allerdings war dies noch in der Anfangszeit von Netflix, in der die Filme noch nicht mit Streaming-Technologie verschickt wurden. 2015 lag der Marktwert von Netflix bei knapp 40 Milliarden Dollar.11 Innovation sollte nicht nur heißen, Risiken kontrolliert einzugehen, sondern Chancen und Risiken kreativ wahrzunehmen. Das erste Risiko kommt mit der Realisierung von Firmengründungskosten, Beratungskosten, Personalkosten für Mitarbeiter, Marktanalysen und mit den Kosten für die Prototypentwicklung. Selbstverständlich können Kosten auch bereits kurz nach der Ideenfindung verursacht werden, wenn die Präsentation der Idee für Entscheidungsträger durch Studien abgesichert werden soll oder wenn Unternehmenskunden vom Startup eine bestimmte Rechtsform mit entsprechend hohen Gründungskosten verlangen. Risiko besteht nicht nur in monetären Risiken, sondern auch darin, nicht ernst genommen zu werden. Gregory Berns sieht hier eine von drei wichtigen Charaktereigenschaften des Innovators, er muss mit dieser Furcht geschickt umgehen. Furcht vor Ungewissheit und öffentlicher Diskreditierung ist für Ikonoklasten genauso drückend und beschwerlich wie das Überwinden von Vorurteilen oder das Entwickeln von sozialem Verhaltensgeschick.12 Zwei Megatrends nähren die Startup-Entwicklung: erstens die Digitalisierung und zweitens der Wertewandel von Generation Y und Z mit Drang 10Clayton

Christensen: The Idea: Disruptive Innovation Explained, 2017; http://www.claytonchristensen.com/key-concepts/. 11http://www.businessinsider.com/blockbuster-ceo-passed-up-chance-to-buy-netflix-for-50million-2015-7?IR=T. 12Gregory Berns: Iconoclast, A Neuroscientist reveals how to think differently, HBP 2010, S. 6, 8 und 59 ff.

16.4  Erfolgsaspekte des Startups und der Startup-Abteilung …

261

zur ­Selbstständigkeit.13 Sowohl der Alleinunternehmer als auch das Management-Team eines Großunternehmens müssen auf die Entwicklungsphase des Unternehmens achten. Unternehmen durchlaufen auch vier Jahreszeiten. Der Entrepreneur beginnt mit dem Startup-Frühling. Danach folgt idealerweise Wachstums-Sommer. Schneller als man denkt, kommt ein krisenbedingter Downturn-Herbst und es folgen die dann notwendigen Rettungsmaßnahmen in Form eines Turnaround-Winters. Kreativität und Empathie sind insbesondere bei drastischen Reorganisationen gefragt wie Entlassungen, Umsetzung oder Umbewertung. Das erfolgreiche Managen in einem Downturn braucht Vorausschau und Querdenken, um nicht in einen Turnaround hineingezogen zu werden. Die Früherkennung der sich entwickelnden Krise und schnelles Reagieren sind entscheidend. Vorzeichen einer Krise zeigen sich leider oft nur unklar und spät. Der Startup-Entrepreneur war meist Gründer und erster Unternehmer in einer Reihe von Führungskräften. Nicht jeder Entrepreneur hat das Handwerkszeug zur Unternehmensleitung gelernt. Das Wissen erwirbt man sich üblicherweise im Rahmen einer Ausbildung. Fehlt die formale Ausbildung, ist das kein Nachteil, wenn eine attraktive Geschäftsidee, Intelligenz, Integrität, Energie und Beharrlichkeit vorhanden sind. Die chaotische Gründungsphase muss beim Übergang in Wachstum auf professionelle Füße gestellt werden d. h., der Gründer-CEO braucht einen professionellen Partner mit handwerklicher Sorgfalt. Es gibt Beratungsstellen bei Banken, Ministerien und Handelskammern, die gerne Startup-Fragen beantworten. Bei Vergabe öffentlicher Fördermittel wird die Teilnahme an Gründerseminaren oft zur Bedingung gemacht und die Erarbeitung eines Businessplanes verlangt. Das sind pädagogische Maßnahmen, damit der Darlehensnehmer nach erfolgreicher Gründung bald einen positiven Cashflow zur Schuldentilgung zeigt.

16.4 Erfolgsaspekte des Startups und der StartupAbteilung eines Unternehmens Vier Aspekte bestimmen den Erfolg des Startups maßgeblich: • Der erste Aspekt ist die zündende Idee. Diese Idee muss Motivation und Engagement zum Durchhalten erzeugen. Die Zündung sollte am besten durch ein Problem ausgelöst sein, für das eine Lösung gesucht wird. Erfahrungsgemäß richten Investoren den Fokus auf Probleme und auf die v­ orgeschlagenen 13Corinna

Budras: Tschüss Büro, FAZ, 30. April 2017, S. 21.

262

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

Problemlösungen. Je größer der Pain Point, je mehr Menschen oder Firmen von diesem Problem betroffen sind und je schmerzhafter das Problem ist, desto mehr Nachfrage kann im Markt vermutet werden. Dann folgt zur Bewertung die Frage: Wie gut ist die vorgeschlagene Problemlösung? Die Lösung muss nicht unbedingt eine „einmalige, geniale Idee“ sein, sondern sie formt sich oft, nachdem das Startup schon auf dem Markt ist. Das geschieht oft mit der in Teil 1, Kap. 4 dargestellten Denkstrategie Umformung durch drehen, wenden und verbessern. So verändern sich Anfangsideen unter Umständen völlig und werden besser. • Zweitens muss die Strategie durch einzigartige Positionierung im Markt und nachhaltige Produktverbesserung geschützt werden. Tipp: Suchen Sie eine Profil gebende Mischung aus den beiden Strategieansätzen von Michael E. Porter und David Teece. Hierzu brauchen Sie neben dem persönlichen Signaturtalent auch den entsprechenden Signaturprozess im Unternehmen für die Umsetzung in der Organisation.14 • Drittens bedarf es eines Businessplans, der die Einzelheiten des Geschäftsmodells darlegt. Die wichtigsten Stakeholder sollten sich angesprochen fühlen, wie z. B. Geldgeber, Kunden sowie Geschäftspartner. Der Businessplan muss alle Aspekte des Geschäftsmodells abdecken, wie im Abschnitt über die Canvas-Methode (s. Abschn. 16.6.2) dargestellt. • Viertens sind Beharrlichkeit, Durchhaltevermögen und zeitnaher Follow-up für den Startup-Unternehmer oft wichtiger als ein Diplom. Hier nur ein paar Hürden: nachhaltige und wirklich nachgefragte Geschäftsidee, Bürokratie im Regelumfeld (z. B. Steuer-, Patent- und Wirtschaftsrecht), Beschaffung ausreichender Finanzierung, Rekrutierung bezahlbarer Talente, kostengünstige Räumlichkeiten und notwendige Ressourcen. Viele Ideen tragen keine

14Zwei konkurrierende Strategien: (1) Die Strategie von Michael Porter: 1. Differenzierte Positionierung, 2. Nischenbesetzung, 3. Kostenführerschaft; http://www.wirtschafts-lehre. de/grundtypen-von-strategien-nach-porter.html und http://www.themanagement.de/Ressources/generische-strategien.htm; (2) Die Strategie von David Teece: 1. Identifiziere Chancen (Sensing), 2. Mobilisiere Ressourcen, um die Chancen wahrzunehmen und damit Werte zu schaffen (Seizing), 3. Kontinuierlicher Erneuerungs- und Lernprozess (Transforming) aus David Teece: Dynamic Capabillities: A Guide for Managers, IVEY BUSINESS JOURNAL April 2011, https://iveybusinessjournal.com/publication/dynamic-capabilities-a-guide-for-managers/; David Teece, Gary Pisano, Amy Shuen: Dynamic Capabilities and Strategic Management, Strategic Management Journal, August 1997, S. 509–533.

16.5  Startup-Erfolg und Wachstumsschmerz

263

Früchte, deswegen müssen Enttäuschungen gemanagt werden. Steve Jobs und Henry Ford zeigten Beharrlichkeit trotz des Aufs und Abs in der Geschäftsentwicklung. Steve Jobs wurde von Apple gefeuert und wieder zurückgeholt, um Apple zu retten. Henry Ford meldete zweimal Konkurs an, bis er mit Ford Motor erfolgreich wurde.15

16.5 Startup-Erfolg und Wachstumsschmerz 16.5.1 Chancen und Risiken im Wachstum Wachstum nach der Gründungsphase gilt als positiv und erst einmal als gutes Zeichen. Die Schwierigkeiten, Wachstum zu managen, und die neuen Verpflichtungen werden jedoch oft unterschätzt. Der Zeit- und Arbeitsdruck des Gründers in der bisherigen Ein- oder Zweimann-Show wächst durch die größer werdende Mannschaft in Richtung einer ersten kritischen Grenze von 10 Mitarbeitern. Dieser Schwellenwert ist kritisch für den Kündigungsschutz, der ab zehn Mitarbeitern besteht. Unter zehn Mitarbeitern unterliegen Betriebe noch nicht dem Kündigungsschutzgesetz. Trotz Zeit- und Arbeitsdruck sollten Sie sich nicht vom Alltagsärger erschöpfen lassen und Stressmanagement praktizieren (s. Teil 1, Kap. 1).16 Wachstumsmanagement braucht Kreativität für kostengünstige Ressourcenbeschaffung. Kunden erwarten trotz des Wachstums auch weiterhin Qualität und termingerechte Lieferung. Sinkt die Qualität, droht der Verlust einer mühevoll gewonnenen Reputation. Steve Jobs warnte zurecht: Don’t sell crap. Wachstum führt zum Ausbau und zur Überprüfung der ersten Startup-Organisation. Die Zeiten der Improvisation sind vorbei. Erneut entstehen Fragen wie: • • • • •

Ist eine Rechtsformanpassung nötig (UG auf GmbH)? Wieviel Mehrbedarf an Finanzierungsmitteln gibt es? Wie muss der Geschäftsplan überarbeitet werden? Welche Talente brauchen wir und können wir uns leisten? Wie kann ein motivierendes Leistungsmanagement sichergestellt werden?

15Naomi

Shragai: Understanding what makes inventors tick, FT, 9. Juni 2016. Carlson: Don’t Sweat the Small Stuff and It’s All Small Stuff, Hyperion 1997.

16Richard

264

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

16.5.2 Kampf um bezahlbare Talente Wenn die zerbrechliche Startup-Organisation erfolgreich ins Wachstum übergeht, muss der Gründer-CEO sich die richtigen Führungs- und Personalfragen stellen. Die althergebrachten „zehn Schritte zum perfekten Chef“ reichen in ungewöhnlichen und unberechenbaren Zeiten nicht mehr aus.17 Dr. Walter Jochmann von Kienbaum18 hat recht mit der Aussage, dass die zehn „Regeln … trivial klingen … aber trotzdem … vielen Managern die Umsetzung enorm schwerfällt.“ Nach diesen Regeln sollten Führungskräfte: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

Vorbild sein, Mitarbeiter mitreden lassen, Freiheiten gewähren, Ziele setzen, Coach sein, Leistung wertschätzen, Fehler zulassen, Konsequent, aber fair sein, Aktiv zuhören, Wahrheit ertragen.

Sicher gehören die zehn Regeln auch heute noch zum Führungsrepertoire eines guten Managers. Die traditionellen Vorgehensweisen brauchen aber Updates, damit wir die digitale Transformation der kommenden Jahre meistern. In der ­Personalführung verlangt die Generation Y mehr Freiheiten, mehr Bedeutung und mehr Sinn in der Arbeit, mehr Wertschätzung und häufigeres Feedback vom Vorgesetzten. Die innovativen Angriffe von Silicon Valley bewirken nicht nur Druck auf die Produkte der traditionellen, deutschen Erfolgsindustrien wie Automobilund Maschinenbau, sondern auch Druck durch die Abwerbung von deren Talenten.

17Daniel Rettig: Zehn Schritte zum perfekten Chef, http://www.handelsblatt.com/unternehmen/management/regeln-fuer-manager-in-zehn-schritten-zum-perfekten-chef/4507044. html (19. August 2011). 18https://www.kienbaum.com/de/profil/dr.-walter-jochmann.

16.6  Businessplan und Wachstumsschmerzen

265

Die folgenden Aspekte sind den oben aufgeführten Top 10 hinzuzufügen, damit Talente für Ihr Unternehmen gewonnen werden können: • Marktrisiken in Europa: Jungunternehmer in Deutschland scheitern an der konservativen Einstellung beim Angebot innovativer Produkte. Deutsche Unternehmen ziehen große etablierte Tech-Lieferanten wie Oracle, Microsoft oder T-Systems einem Startup-Lieferanten vor. Grund: Man will Risiken bei Logistik, Lieferfähigkeit und durch eventuellen Konkurs ausschließen. Dieses Mistrauen bremst Startups und zwingt zur Umsiedlung vom Berlin Valley ins Silicon Valley. • Digitale Transformation: In Deutschland haftet man immer noch an „alten, traditionellen Industrien“, die neuen Industrien kommen nicht schnell genug hoch. SAP spricht von einer „Digitalen Rezession“ in Europa. Die Zurückhaltung verhindert neue Effizienz. Amerikanische und chinesische IT-Unternehmen preschen vor und zögern nicht. Egal, welcher Generation die Führungskraft angehört, der Megatrend digitale Transformation ist zum unternehmerischen Überleben nicht vermeidbar. • Interdisziplinäres Arbeiten: Unterschiedlichste Fachbereiche müssen kollaborieren, sich überschneiden und Innovationen erzeugen. So mischt sich Software mit Biotech oder Nahrungsmittelherstellung mit Medizin. Bewährte Produkte im Sinne von Kaizen nur zu verbessern, reicht immer weniger. Ebenso wenig kann man alle technischen Kompetenzen im eigenen Unternehmen vorhalten. Das Innovationstempo hält die Entwicklung in manchen Mittelstandsunternehmen zurück. Kluge Kollaboration ist bei der Entwicklungsgeschwindigkeit notwendig.

16.6 Businessplan und Wachstumsschmerzen 16.6.1 Organisationsaufbau Im Gründerchaos gedeiht Ideenvielfalt. Im Wachstum bedarf es dann aber der Ordnung, Struktur und eines professionellen Teams. Startups sind in der ­Anfangsphase meist unorganisiert, Improvisation ist angesagt, um fehlende Ressourcen zu kompensieren. Bei zunehmender Unternehmensgröße müssen ­Stellenbeschreibungen für passgenaue Mitarbeiter definiert werden. Der Erfinder-CEO braucht einen Vertreter, sodass er einen stabilen Rahmen erhält. In der Begeisterung und im Experiment liegt der große Vorteil des Startups im Vergleich zum Going-ConcernUnternehmen. Fehlende Anpassung kann das Ende des Startups bedeuten,

266

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

d­eswegen wiederhole ich: Eine kreative Gründerpersönlichkeit muss rechtzeitig durch eine Führungskraft mit Führungserfahrung und handwerklichen Fertigkeiten ergänzt werden. Harte kognitive Ausrichtung braucht weiche Führungskenntnisse wie Empathie und Motivation zum Leistungsmanagement. Harter und nur technisch ausgerichteter Managementstil führt langfristig zu Personalproblemen.19 Die selbstbewusste, junge und technologieorientierte Generation Y fragt sich heute mehr und mehr: „Warum soll ich mich von dem führen lassen?“20

16.6.2 Businessplan mit Canvas-Methode Bei Erstellung des Startup-Businessplans stehen Visualisierung, Vereinfachung sowie Minimierung des Kapital- und Kosteneinsatzes im Vordergrund. Statt langer, detaillierter Studien werden Merkmale des unternehmerischen Prozesses auf einer Leinwand gesammelt. Das kann im Extremfall auf einer DIN-A4Seite geschehen und gilt insbesondere für „Tech-Startups“ (IT/web/mobile). Man spricht von der Lean-Canvas-Methode, die eine auf Startups zugeschnittene Verkürzung des Businessplanes ist.21 Vertreter der abgespeckten Methode halten die detaillierte Erstellung von Businessplänen für verlorene Zeit. Die Pläne wären nach Fertigstellung schon veraltet. An dieser selbst in Großunternehmen diskutierten Meinung ist viel dran, wenn der Planungshorizont drei Jahre überschreitet. Allerdings verlangt die Kommunikation mit Banken, Investoren und wichtigen Stakeholdern mehr Details zum Nachweis der Kreditwürdigkeit und Investitionsglaubwürdigkeit. Kürze vernachlässigt einige wichtige Punkte, deswegen sind Ergänzungen auf der Rückseite der Lean-Canvas-Pläne vorgesehen. Die Methode ist gut für Brainstorming, da Stichworte optisch auf einer Canvas verteilt und zur Veranschaulichung ­bebildert werden. Strategie und Business-Plan müssen ausformuliert sein, um daraus den Sales Pitch zu erstellen. Letztlich ist die Lean-Canvas-Methode nur eine Checkliste zur Beachtung aller für den Business-Plan notwendigen Aspekte. 19Scott Spreier, Mary H. Fontaine, Ruth Malloy: Leadership Run Amok: The Destructive Potential of Overachievers, HBR, June 2006, zit. bei Daniel Goleman: The Secret to High Performance and Fulfilment, https://www.youtube.com/watch?v=HTfYv3IEOqM. 20Rob Goffey, Gareth Jones: Why should anybody be led by you?, HBSP, 2006, S. 11–28. 21Lean-Canvas-Methode: https://leanstack.com/LeanCanvas.pdf; https://blog.leanstack. com/why-lean-canvas-vs-business-model-canvas-af62c0f250f0; https://leanstack.com/leancanvas; https://canvanizer.com/new/lean-canvas. Die Lean-Canvas-Methode leitet sich ab aus Alexander Osterwalder & Yves Pigneur: Business Model Generation, Wiley 2010.

16.6  Businessplan und Wachstumsschmerzen

267

16.6.2.1 Hauptelemente des Businessplans Der Businessplan muss folgende Kerninformation beinhalten: 1. Geschäftsidee: Nennen Sie die drei großen Probleme, die den Pain Point der Nutzer am besten beschreiben und deren Lösung die Geschäftsidee bringen soll. 2. Herausragender und nicht leicht zu kopierender Produktvorteil. 3. Markt- und Kundensegmentierung zeigt die Zielgruppen der Kunden und Nutzer. Beschreibung der idealen Kunden und Nutzer der ersten Stunde. Wie gestalten wir die Kundenbeziehung? 4. Lösungswege hinter der neuen Geschäftsidee. Was sind die Mehrwerte dieses Angebotes? 5. Alternativen, mit denen die Probleme bis heute immer noch gelöst werden. 6. Wer ist für welche Funktion verantwortlich? 7. Kennzahlen, mit denen der Geschäftsverlauf beschrieben wird, dargestellt als KPIs.22 8. Herausragende Kernbotschaften, die potenzielle Kunden überzeugen sollen und in zahlende Kunden wandeln. 9. Visualisierung des Unternehmenskonzeptes durch Film (YouTube), Bild oder Poster. 10. Weg des Produktes zum Kunden: Kaufprozess und resultierendes Verkaufsmodell. Welche Vertriebswege stehen zur Verfügung? Wer sind die wichtigsten Geschäftspartner? 11. Wie sieht die Kostenstruktur aus, unterteilt in Fixkosten und variablen Kosten? Frage nach den Kostentreibern: Welche Ressourcen sind notwendig und was sind unsere Kern-Aktivitäten? 12. Umsatzerlöse, strukturiert nach Erlösquellen und Erlösarten. Mit welchen Erlösarten können wir rechnen?

16.6.2.2 Hintergründe des Businessplans Der Businessplan sollte auch noch folgende Hintergrundinformationen bieten, damit der Masterplan aussagefähig ist: 1. Wertschöpfungskette: Führen Sie die Partner und Dienstleister der Wertschöpfungskette auf. Entwerfen Sie eine Landkarte der Wertschöpfungsstruktur und beachten Sie den Logistikhintergrund.

22KPIs

steht für Key Performance Indicators. KPI-Kennzahlen dienen zur Analyse der Zahlen im Businessplan.

268

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

2. Was sind die Kernkompetenzen, die deswegen nicht für Outsourcing zur Verfügung stehen? 3. Führen Sie die wichtigsten Team-Mitglieder mit deren Rollen auf (Organigramm). 4. Führen Sie die fehlenden Fertigkeiten und offenen Planstellen auf, die sofort zu besetzen wären (Plan zur Rekrutierung von Mitarbeitern und Partnern sowie Trainingsplan). 5. Beschreiben Sie die Eigentumsstruktur der Gesellschaft. 6. Beschreiben Sie die Corporate Governance (Führungsleitlinien). 7. Berichtwesen Finanzen: geplante Gewinn-und-Verlust-Rechnung, Cashflow-Plan (Burn Rate), Finanzierungs-Plan, Key Performance Indicators (KPI).

16.7 Design Thinking für Wachstum und Wandel Die Erstellung des Businessplans und die kreative Methode Design Thinking ­hängen eng miteinander zusammen. Design Thinking setzt auf der Geschäftsidee und den Geschäftsprozessen auf, um nutzerorientierte Lösungen in einem heterogenen Expertenteam zu erarbeiten. Der Prozess verlangt Einfühlungsvermögen und praktisches Vorgehen: machen – und nicht so viel reden. Es ist die Verquickung von Theorie, Praxis und radikaler Interdisziplinarität.23 Designer müssen Innovationskultur und den praktischen Einsatz der in diesem Buch präsentierten Denkstrategien und Denktaktiken leben. Die verschiedenen Autoren haben persönliche Sichtweisen vom Design Thinking. Design Thinking entwickelte sich zum Schlagwort und wird in Firmen und Business-Schools als die „Kreativmethode an sich“ kommuniziert.24 All das existierte methodisch schon in den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Schon damals beschrieben Bauhaus-Designer die Verbindung von nutzernaher ästhetischer Formgebung und dem Fokus auf ressourcen- und kostenbewusstem Design: • László Moholy-Nagy: „Jedes Gramm Ersparnis bei gleichbleibender Wirkung bedeutet einen Sieg des Erfinderischen.“ • Ludwig Mies van der Rohe: „Weniger ist mehr.“

23Irina

Slot: Renaissance von Bauhaus, IKWW, Schlagwort: Design Thinking, 02.08.2017, http://interkulturell.eu/tag/design-thinking/. 24Ian Wylie: Design Thinking: Does it live up to the hype?, FT, 12. Oktober 2017.

16.7  Design Thinking für Wachstum und Wandel

269

In Konzernen und mittelständischen Unternehmen ist Design Thinking eine ­Routine-Methode für den Innovationsprozess geworden. Das gilt unter anderem für Airbnb, Apple, Daimler, Deutsche Bank, Deutsche Bahn, Francotyp-Postalia, Nike, Pinterest, Samsung, SAP, Siemens, Swisscom sowie Volkswagen und viele mehr.

16.7.1 Grundsatzmethode mit Variationen Design Thinking wurde 1991 von David Kelley, dem Gründer der kalifornischen Design- und Innovationsagentur IDEO und der Stanford d.school entwickelt.25 Der Prozess analysiert Geschäftsideen nutzerorientiert: Was will der Kunde? Wonach sehnt er sich? Was ist der Schmerzpunkt („Pain Point“), den ich beseitigen muss? David fasst die Methode wie folgt zusammen: „Design thinking is a methodology. Using it, we can address a wide variety of personal, social, and business challenges in creative new ways.“ IDEO schult26 und zertifiziert diese Methode, schauen Sie sich für einen schnellen zweiten Überblick den Crash Course der Stanford University an.27 Ein Design-Team nähert sich der Lösung spielerisch in fünf iterativen Schritten:

16.7.1.1 Verständnis Im ersten Schritt gilt es zu verstehen: Was ist das Problem? Worum geht es? Was ist die richtige Frage? Verstehe ich die Bedürfnisse und Herausforderungen des Nutzers richtig? Was ist der „Schmerzpunkt“ („Pain Point“) für den Nutzer, den ich zu lösen habe? Wenn diese Fragen beantwortet sind, halten wir es fest und definieren das erste Ergebnis.

16.7.1.2 Beobachtung Die Recherche muss im Feld und nicht nur in der Studierstube stattfinden, um die Rahmenbedingungen definieren zu können. Alle relevanten Beobachtungen

25https://www.ideou.com/pages/design-thinking;

https://www.ideo.com/people/david-kelley.

26IDEO-Kurse: http://certificate.ideou.com/?utm_medium=email&utm_source=mail-

chimp&utm_campaign=3.6-dt-certificate-last-call-02-2017-nov&mc_cid=3ab5c5e365&mc_ eid=985c179466; Siehe die Google-Kurse zu Design Thinking unter: g.co/Zukunftswerkstatt. 27Jeremy Utley, George Kembel: Stanford Design Thinking Virtual Crash Course; https://www. youtube.com/watch?v=-FzFk3E5nxM.

270

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

­ üssen auf den Nutzer bezogen werden, er steht im Beobachtungsfokus. Das m heißt auch, dass die Brainstormingfragen auf die Bedürfnisse des Nutzers abgestimmt sein müssen. Suchen Sie nach dem, was Nutzer wirklich wollen. Erinnern Sie sich an die Harvard-Studie, in der „Beobachtung“ eine der fünf Verhaltensweisen der Erfinder ist (s. Teil 1, Kap. 5).

16.7.1.3 Ideenfindung Generieren Sie neue Ideen durch bewusste Offenlegung der Produktmerkmale und die Suche nach neuartigen, originellen Ideen mit Denkstrategien und Denktaktiken. Denken Sie bei der Ideenfindung auch daran, dass Brainstorming die Ideen erst einmal nur maximieren soll und die Bewertung ganz zum Schluss kommt. Kreativität soll aber auch durch eine gewisse Ordnung abgesichert werden: Visualisieren Sie Ideen und Vorschläge, schaffen Sie einen sicheren Rahmen, damit jeder etwas sagen kann und andere dabei zuhören. Motivieren Sie jeden im Team zu wilden Ideen, aber bleiben Sie trotzdem beim Thema, greifen Sie das Gesagte auf und assoziieren Sie mit den Ideen der anderen weiter.

16.7.1.4 Prototyping Realisieren Sie Ideen durch schnelle Erstellung erster grober Entwürfe. An diesen Prototypen soll gelernt und die Verbesserung verdeutlicht werden.

16.7.1.5 Test, Verbesserung, Lernen Probieren geht über studieren. Kommunizieren und testen Sie die Prototypen an Zielgruppen, damit andere auch inspiriert werden. Ständige Iteration ist gefragt, d. h. wiederholen Sie jeden der fünf Schritte, bis der Prototyp am Ende perfekt und wirklich nutzerorientiert ist. Visualisieren Sie die Ideen, damit sie griffig und begreifbar werden.

16.7.2 Heterogenität fördert Design Thinking Im Design-Thinking-Prozess sammeln Projektmitglieder ihre individuellen Fertigkeiten und Signaturtalente aufgrund ihrer Kultur, Altersklasse, Hierar­ chie, Geschlecht. Bei Handgeräten wie Smartphones ist es z. B. wichtig, dass die Funktionen nicht nur von Rechtshändern getestet werden, deswegen sollten auch Linkshänder im Team sein. Der Einsatz von heterogenen Gruppen garantiert schnelles Auffinden von „Pain Points“ und bei der Lösung Vielfalt und

16.7  Design Thinking für Wachstum und Wandel

271

­ riginalität. Gleichdenken in homogenen Gruppen führt nach Walter Lippmann O nicht zum Durchbruch: „Wo alle gleich denken, denkt keiner allzu viel.“28 Deswegen nutzen Sie die Denktaktik aus Teil 4, Kap. 19: Probleme von allen Seiten durchdenken, und die unterschiedliche Aspekte aller Teammitglieder: • Verstehen Nutzer und Kunden mit ihrer persönlichen Empathie, • bekommen durch Beobachtung und Fragen volles Verständnis für den Bedarf der Nutzer, • definieren die Standpunkte der Nutzer mit tieferem Verständnis, • entwickeln verschiedenste Ideen, • zeigen Zwischenergebnisse durch den Bau von Prototypen. Ilya Prokopoff, der Managing Director von IDEO San Francisco, fasst diesen typischen DesignThinking-Schritt wie folgt zusammen: „Prototypen haben deswegen eine starke Überzeugungskraft, da die Nutzerbedürfnisse mit den Fähigkeiten der Organisation verbunden werden.“29 • Letztlich gilt es durch weiteren Test und weiteres Lernen, mögliche Fehler zu vermeiden und das Produkt immer weiter zu verbessern. Design Thinking ist nicht nur eine Methode, sondern auch eine Denkeinstellung und eignet sich deswegen auch für Berufe wie Anwälte, Ärzte, Manager sowie Vertriebs- und Marketingexperten. Teammitglieder mit den unterschiedlichsten Ausbildungen spielen zusammen und wenden dabei Empathie, Kreativität, ­Experiment und Rationalität an, um nutzerorientierte Lösungen zu finden. Selbst der Hannoversche Zoo erstellte nach dieser Denkmethode das Konzept Zoo 2000 und setzte es erfolgreich um. Empathie ist für das Verstehen des Problems und der Anwender gefragt. Sie muss noch vor der Designphase die Sichtweisen des Nutzers abklären. Grundsätzlich ist Empathie bei allem wichtig, egal, ob ich einen Preis für mein Produkt, meine Dienstleistung oder meinen neuen Prozess festlege. Anbieter haben nur Erfolg, wenn sie Kunden und Nutzer besser verstehen, als es die Konkurrenz mit ihren Lösungen erreicht. Kreativität dient der Ideenfindung und Ideenrealisierung und Rationalität analysiert die gefundenen Ideen und wählt die beste, marktfähige Innovation aus.

28„Where

all think alike, no one thinks very much.“ Walter Lippmann, Amerikanischer Schriftsteller, Journalist und politischer Kommentator. Der Satz wird fälschlicherweise häufig Georg Christoph Lichtenberg zugeschrieben. 29„Prototyping is so powerful because you’re aligning the needs of the end consumer with the capabilities of the organization.“

272

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

Die von David Teece entwickelte Strategie der Dynamic Capabilities mit den Phasen: Sensing, Seizing, Transforming (siehe oben: „Strategie“ als einer der Erfolgsaspekte des Startups) enthält auch Elemente des Design Thinking. Die verschiedenen Ansätze liegen meist nur Nuancen auseinander: Welche Prozessschritte gibt es? Welcher Prozessschritt erfolgt wann? Welchen Namen hat welcher Prozessschritt? Das Neue am Design-Thinking-Prozess ist in erster Linie der Bau des Prototyps. Alle anderen Schritte sind naheliegend, logisch und nicht außergewöhnlich. Aber wie heißt es doch so schön: „Common sense is not common practice.“ In der Regel fallen Kunden und Nutzer in einer Person zusammen. Aber es gibt natürlich auch den Autokäufer in der Rolle des Kunden, aber die im Hintergrund mitentscheidende Ehefrau ist letztlich der alleinige Nutzer. Der Prozess muss beides abdecken: Kundenorientierung sowie die Nutzerzentrierung. In dem Zusammenhang wird auch vom Extremnutzer gesprochen. Das sind Nutzer, die ein Produkt, eine Dienstleistung oder einen Prozess sehr oft nutzen und dadurch Intensivwissen besitzen und sehr gute Verbesserungsideen liefern können. Ein weiterer Ansatz kommt aus dem Hause Frog Design, wo Adam Richardson als Kreativdirektor arbeitete. Es gibt viele Variationen im Design Thinking.30 In seinem Buch Innovation X propagiert Richardson vier Prozessstufen: • Eintauchen (Immersion) in die vielfältige Information: Verstehen, Beobachten und systematisches, empathisches Durchdenken des Kundenerlebnisses, • Zusammenführen (Convergence): Integration der verschiedenen Aspekte zur Ideenentwicklung, • Unterschiedlichkeit (Divergence): Vielfalt hilft, originelle Ideen finden. • Umsetzung: Realisierung von Ideen als Produkte, Dienstleistungen und Prozesse (Adaption). Egal, wie die Nuancen des jeweiligen Design-Thinking-Ansatzes sind, Innovationen beginnen mit Fragen an Nutzer und Wettbewerber, Beobachtungen und der Definition des Problems. Auf dem Weg zur Lösung modifiziert man die Ideen, bis nützliche Lösungen gefunden sind, d. h. neue Dienstleistungen, bessere Produkte,

30Adam

Richardson: Innovation X, Why a company’s toughest problems are its greatest advantage, Jossey Bass 2010; Alexander Paufler: ‘Book Un-usual!’, Business Innovation, Innovation X, in: THE NATION, 9. Juni 2010, S. 7 A; vgl. IDEO: https://www.ideou.com/ pages/design-thinking-resources?utm_medium=cpc&utm_source=google&utm_cam­ paign=296245511&utm_term.

16.7  Design Thinking für Wachstum und Wandel

273

effektivere und effizientere Prozesse.31 Der Prototyp mag nicht sofort zufriedenstellend sein, also fährt man Verbesserungsschleifen bis zur Perfektion. Es sind die vielen kleinen Verbesserungsschritte – drehen, wenden und verbessern –, die zum Optimum führen. Das ständige, detaillierte Verbessern ist genauso wichtig wie der große ­geniale Wurf. Steve Jobs trieb Mitarbeiter und sich durch seine Perfektion zum Wahnsinn, wie Chefdesigner Jonathan Ives in einer Gedenkrede für Steve Jobs beschrieb.32 Gustave Flaubert war berühmt für seine Besessenheit, das richtige Wort zu finden. Barbara Streisand gibt Aufnahmen nicht frei, in der sie nicht jedes einzelne Wort für gut befindet. Einige Perfektionisten werden nie mit dem Ergebnis zufrieden sein, aber früher oder später muss das Produkt an den Markt. Ein erfolgreiches Produkt verlangt breite Akzeptanz. Innovatoren müssen ihre Ideen den Entscheidungsträgern innerhalb und außerhalb des Unternehmens „verkaufen“. Ideen müssen bis in die Unternehmensspitze getragen und „verkauft“ werden und dann natürlich an den Kunden. Dieser Prozess benötigt Kreativität in der Kommunikation und in der Kunst der Überzeugung. Gregory Berns hat die Hürden in diesem Prozess als „Vorurteile, Angst und soziale Intelligenz“ identi­ fiziert. Eines der Risiken für gute Ideen ist, kreative Personen im Unternehmen zu übersehen. Dieser Fehler passiert allzu oft und allzu leicht, da kreative Denker oft unbequem sind und so empfunden werden. Kreative Menschen stellen Vorurteile und Gewohnheiten infrage, ein Verhalten, das oft als unangenehm und störend empfunden wird. Als Ergebnis ziehen kreative Menschen dann an die P ­ eripherie von bürokratischen Organisationen oder verlassen das Unternehmen. Kluge ­Führungskräfte gehen an die Peripherie, um Ikonoklasten zu finden, zu befragen und ihre Ideen anzuhören.

31Guildfords

Modell kreativer Fähigkeiten besteht aus Ideen, die in folgenden Formen erscheinen: Viele Ideen = fluency, unterschiedliche Ideen = diversity, neuartige Ideen = originality, mit denen man arbeiten kann = elaboration. http://www.newworldencyclopedia.org/entry/J._P._Guilford. 32Melinda Beck: Inside the Minds of Perfectionists, WSJ (Life & Style), Nov. 1, 2012, S. 9, 10; Jonathan Ives Rede während der Gedenkfeier für Steve Jobs bei Apple: https://www. youtube.com/watch?v=7hOCyOlTmyM.

274

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

16.7.3 Tipps zum erfolgreichen Design Thinking Workshop 16.7.3.1 Tipps zur Kreativitätssteigerung im Workshop-Team Es bietet sich an, intern oder extern mit einem Trainer einen Design-ThinkingWorkshop abzuhalten. Das sollte am besten ganztägig geschehen. Der Trainer sollte versiert in der Steuerung von Gruppendynamik sein, um die Teams dabei zu behalten. Hier eine mögliche Gestaltungsstruktur: • Unterteilen Sie den Workshop in verständliche Phasen des Design Thinking.33 • Kopieren Sie ruhig die besten Varianten der verschiedenen Design Thinking Coaches, aber gestalten Sie den Workshop entsprechend der Herkunfts- und Persönlichkeitsstruktur Ihrer Teilnehmer. Dieser maßgeschneiderte Ansatz ist wichtiger als die Anzahl der Phasen, in den der Design-Thinking-Prozess unterteilt wird und wie oft die Iterationen, die Wiederholung der Phasen erfolgen sollen. • Wichtig ist, dass aus dem Denkprozess auch Ergebnisse kommen, insofern ist ein strukturierter Ablauf mit Denkpausen empfehlenswert. • Natürlich sieht die Struktur des Workshops in China, Korea oder Japan anders aus als z. B. in einem mediterranen Land. In Japan sind eine Unterteilung in mehr Phasen und eine detaillierte Darstellung dessen, was in jeder Phase passieren soll, notwendiger als in Griechenland oder Italien, weil Japaner genau den Ablauf kennen wollen. • Probieren geht über Studieren und Fehler machen beim Durchlaufen der sechs Phasen (Abb. 16.1) gehört dazu.

16.7.3.2 Vorbereitung des Workshops • Wählen Sie als Teammitglieder Change-Agenten, die Veränderung als etwas Positives verstehen. • Agieren Sie als Coach und finden Sie Teilnehmer, die nach dem Kursende selbst eine Trainerrolle übernehmen können (Train-the-trainer-Konzept). • Erklären Sie das Zeitbudget von 30 Minuten (mehr oder weniger) je nach ­Diskussionsbedarf und zweitens den Inhalt von Schritt 1.

33Axel

Menning, Miriam Yasbay:The Idea Gym – Training the Design Thinking Muscle, Guide book for the 1st Asian Innovation Summit at the Communication University of China, 2015.

16.7  Design Thinking für Wachstum und Wandel

275

Abb. 16.1   Sechs Elemente eines erfolgreichen Design-Thinking-Workshops

• Auch, wenn der häufige Blick auf das Smartphone mittlerweile Normalität ist, hat jeder mehr vom Workshop, wenn man sich zu 100 Prozent nur auf Design Thinking konzentriert und nicht ablenken lässt. • Nicht vergessen: Wir werden alle 3,5 Minuten abgelenkt und brauchen 23 Minuten, um wieder zum Thema zurückzufinden. Schließen Sie Störfaktoren wie Smartphone, Laptop und Tablet aus. • Laden Sie ein zu einer Ideenreise mit kreativer Unruhe und machen Sie die Teammitglieder erwartungsvoll, aktiv und offen für alles (s. Teil 4, Kap. 18). • Arbeiten Sie in einem flexiblen Zeitrahmen mit Pausen zur Erfrischung und Reflexion (s. Teil 1, Abschn. 5.1.6, zur Entspannung als Gehirnausrichtung).

276

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

16.7.3.3 Empathische Problemsuche • Empathie alleine macht kein gutes Interview. Es gehören noch zwei Verhaltensformen dazu: Respekt und Authentizität. Dies hat der amerikanische Psychologe Carl R. Rogers bei seinen Studien zum Arzt-Patienten-Gespräch herausgefunden. • Coaching und Animation der Design Thinking-Gruppe sind gefragt. Besuchen Sie die einzelnen Arbeitsgruppen während der Interview-Phase. • Erklären Sie das Zeitbudget von 60 Minuten als abhängig vom Diskussionsbedarf und zweitens den Inhalt der Interviews: Führen Sie die Interviews in Zweiergruppen, mindestens zwei Interviews, fragen Sie offen und hören in erster Linie zu. • Die drei Verhaltensformen: Empathie, Respekt und Authentizität sind grundsätzlich auf jedes Gespräch, Interview oder Meeting übertragbar (s. Teil 4, Kap. 20, bes. zu Carl R. Rogers – Methode zur Überzeugung). • Das Herumstehen des Workshop-Leiters am Rande des Design-Thinking-Prozesses ist nicht zielführend, da nicht jeder gelernt hat, Interviews zu führen oder die anderen Phasen des Design Thinking zu absolvieren. • Finden Sie heraus, wer genau der Nutzer (Kunde) ist. Der Lösungsweg ist dann das Ziel. Suchen Sie das Problem und den „Pain Point“ mit dem Endziel vor Augen. • Wenn Sie mit dem Nutzer (Kunden) sprechen und ihn interviewen, nehmen Sie für das Interviewgespräch die Erkenntnisse von Carl R. Rogers. Seine Studien haben ergeben, dass ein Arzt-Patient Gespräch beste Erkenntnisse liefert, wenn folgende drei Aspekte den Arzt/Gesprächspartner auszeichnen: Echtheit (Authentizität), Respekt und Empathie. Rogers’ Erkenntnisse können sehr gut auf Interviewsituationen übertragen werden, bei denen es auf Vertrauen ankommt (s. Teil 4, Kap. 20). • Tauchen Sie tief ins Problem ein, um es aus allen Richtungen zu verstehen. Vertiefen Sie sich mit viel Empathie in das Problem und den „Pain Point“ des Nutzers. • Alte wie neue Ideen und Beobachtungen können den Prozess starten. Für die Problemformulierung sollte man sich die meiste Zeit nehmen – so Einsteins oft zitierter Rat.34 Die richtige Fragestellung ist die eigentliche Schwierigkeit.

34Albert Einstein: „Wenn ich eine Stunde habe, um ein Problem zu lösen, dann beschäftige ich mich 55 Minuten mit dem Problem und fünf Minuten mit der Lösung.“ Vgl. Teil 1, Kap. 2.

16.7  Design Thinking für Wachstum und Wandel

277

16.7.3.4 Definition des Problems • Orientieren Sie die Definition am Akronym SMART. Die SMART-Definition ist im Design Thinking gleichzeitig das Ziel. Die Definition muss diesen Begriffen entsprechen: spezifisch (specific), messbar (measurable), erreichbar (achievable), realistisch (realistic) und zeitlich klar (timely). • Zur Problemdefinition hilft auch folgender Suchsatz, in dem Sie drei Satzlücken komplettieren:35 • Erklären Sie das Zeitbudget von 60 Minuten (mehr oder weniger) je nach Diskussionsbedarf und zweitens den Inhalt von Schritt 3: Teilen Sie die Erkenntnisse aus den Interviews mit der Gruppe und diskutieren Sie die gefundenen Aspekte und Widersprüche, Nutzerbeschreibung und Nutzerproblembeschreibung. • Definitionsfragen: Wer ist der Nutzer? Was ist sein genaues Profil, z. B. Beruf, Einkommen, Wohnort, Alter, Lebensabschnitt, Hobbys, Wunschurlaub, Interessen, größte Leidenschaft, größtes Ärgernis im Leben? Was sind die Herausforderungen für ihn? Welche „Pain Points“ in der Problemstellung des Nutzers wollen wir beseitigen?

16.7.3.5 Ideensuche (Ideation) • Denkstrategien und Denktaktiken können insbesondere in dieser Phase als Methoden zur Ideenfindung eingesetzt werden. • Ideenvielfalt entscheidet letztlich über die Qualität der besten Lösung. • Erklären Sie das Zeitbudget von 60 Minuten (mehr oder weniger) je nach Diskussionsbedarf und zweitens den Inhalt vom Schritt 4. Unterteilen Sie die Ideenfindung in eine isolierte Arbeit sowie eine Arbeit in der Gruppe. • In der Gruppe macht die Ideenfindung mehr Spaß, deswegen setzen Sie animierende, inspirierende Gruppenarbeit ein. • Setzen Sie bei der Gruppenarbeit die dargestellten Denkstrategien und Denktaktiken ein, um Ideen und Lösungswege zu finden. • Alles geht mit alten und mit neuen Methoden zur Ideenfindung:

35Die

ein Drehbuch zusammenfassende Logline ist ähnlich kurz aufgebaut. Der Satz sollte nicht mehr als drei Zeilen umfassen.

278

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

16.7.3.6 Prototyp-Erstellung • Stakeholder wie Investoren wollen Prototypen sehen. • Japaner sagen dazu: „Einmal sehen bedeutet soviel wie 100 Mal hören.“ • Erklären Sie das Zeitbudget von 60 Minuten (mehr oder weniger) je nach Diskussionsbedarf und zweitens den Inhalt von Schritt 5: Skizzieren, ent­ werfen und bauen. Entspricht der Prototyp dem Lastenheft, das sich aus dem Interview mit dem Nutzer ergeben hat? • Je einfacher der Prototyp dargestellt werden kann, desto besser und schneller ist er testbar. Folgen Sie auch der KISS-Methode: „Keep it simple, stupid.“ • Wichtig: Visualisierung der Idee, Aufzugs-Pitch (Ideenbeschreibung, bis der Aufzug anhält) und Logline (ein oder zwei Sätze beschreiben den ganzen Inhalt) sind als packende Zusammenfassungen zu nutzen.

16.7.3.7 Testen, Lernen und Verbessern • Hier ist Umformdenken gefragt (s. Teil 1, Kap. 4). • Dieser Verbesserungsprozess zeigt den Investoren und Geldgebern gleich die Flexibilität, mit der der Startup-Unternehmer und das Startup-Team auf den Markt und Nutzerwünsche reagieren. • Erklären Sie das Zeitbudget von 60 Minuten (mehr oder weniger) je nach ­Diskussionsbedarf und zweitens den Inhalt von Schritt 6: Notieren Sie die Reaktionen der Nutzer auf den Prototyp: In welcher Zeit und wie reagiert der Nutzer auf den Prototyp? • Falls Unklarheiten bestehen (bezüglich des Nutzers oder des Problems) und neue Ideen fehlen, wiederholen Sie die vorherigen Schritte in Denkschleifen (Loops). Immer wieder nachbohren, denn „Sie finden nur Öl, wenn Sie danach bohren.“36 • An den Schritt 6 sollte sich ein ständiges Wiederholen im Loop (Iteration) zur Verbesserung des Prototyps anschließen. Einfallsreichtum bei der Anpassung interessiert Investoren (s. Teil 4, Kap. 19).

36Tom

Peters zitierte John Masters auf dem HSM World Business Forum, Mailand im 2006, an dem ich selbst teilnahm; http://tompeters.com/blogs/calendar/2006/10/.

­October 27,

16.7  Design Thinking für Wachstum und Wandel

279

16.7.4 Wachstum und Wandel mit Design Thinking Wie Steve Jobs nach seiner Rückkehr 1997 mit dem Apple Wachstumsmodell vorführte, müssen neue Produktideen auch Ergebnisverbesserungen bringen. Das führt in der Automobilindustrie manchmal schon kurz nach Vorstellung des neuen Produkts zum sogenannten Facelift, um das Verkaufsmoment zu halten. Design Thinking ist nicht nur einsetzbar zur Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen, sondern auch für Prozesse und das gesamte Geschäftsmodell. Grundsätzlich nehmen Sie als Führungskraft eine Doppelrolle ein. Als Manager sind Sie derjenige, der mit Komplexität u. a. in Logistik, Produktion, Beschaffung, Lagerhaltung, Vertrieb, Marketing und Finanzen erfolgreich umgehen muss. Als Leader sind Sie derjenige, der Wandel (Change-Management, Motivation, Inspiration, Coaching und Leistungsmanagement) erfolgreich treibt.37 Ein Roll Out neuer Ideen mit tief greifenden Veränderungen in der Organisation muss verständlich kommuniziert werden, egal, ob Kulturwandel durch Allianzen oder ein neuer Complianceprozess (Ethik und Integrität in der Geschäftspraxis) die Aufgaben sind. Mit der überzeugenden und erinnerungsfesten Botschaft steht und fällt die Unterstützung durch das Team. Fehlt Überzeugung kämpft man allein. Aufrechterhaltung der Motivation ist für nachhaltiges Leistungsmanagement wichtig. Die „Top down-Zeiten“ sind vorbei. Die „Kunst der Überzeugung“38 entscheidet, ob Mitarbeiter bei anfeuernden Sätzen der Führungskraft mitziehen, wie z. B. „Change ist die einzige Konstante“, „Change muss mit Speed, Speed, Speed gemacht werden“ oder andere allgemeine Plattheiten.39 Wandel – auf Neudeutsch Change – wird von vielen als Bedrohung ihrer Vorteile wie z. B. Arbeitsplatzsicherheit, Statussymbole oder sonstige Vorteile angesehen. Im konkursnahen Turnaround oder rezessionsbedingten Downturn bildet Dringlichkeit den Anfang. Dringlichkeit muss von der Mannschaft eingesehen und gefühlt werden, sonst bewegt sich nichts. John Kotter fand durch eine Studie heraus, dass 70 % aller fehlgeschlagenen Change-Projekte auf Behäbigkeit und

37John P.

Kotter: What Leaders Really Do, s. bes. die Definitionen für Leader versus Manager, in: Leadeship Insights, HBR Article Collection 2001, S. 26. 38Neben dem schon zitierten Jay A. Conger (Attribute: Glaubwürdigkeit, Rahmenbildung, lebhafte Evidenz, emotionale Wellenlänge) ist es interessant und auch nützlich, die Überzeugungskonzepte von Carl R. Rogers (Attribute: Echtheit, Respekt, Empathie) und von Aristoteles (Attribute: Intelligenz, tugendhaftes Können, Goodwill) zu kennen. 39Richard Branson: Business stripped Bare, Virgin Books 2008, S. 111.

280

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

Selbstzufriedenheit zurückzuführen sind. Gründe des Scheiterns sind fehlende oder nicht eingesehene Dringlichkeit und unmethodisches Vorgehen. Andererseits übererfüllen 10 % der Projekte die Ziele durch methodisches Vorgehen mit den folgenden acht Schritten40: • • • • • •

Problembewusstsein ist von Anfang gepaart mit Dringlichkeit. Das Leitteam ist engagiert. Hinter der Vision steht eine Strategie. Parallel zum Projekt läuft unentwegt eine Buy-in-Kommunikation. Verantwortung wird an die Projektmanager und Teammitglieder übertragen. Kurzfristig erreichbare Ergebnisse, sogenannte low hanging fruits, werden zur Motivation gefeiert. • Am Ziel wird beharrlich festgehalten. • Auch nach Projektauflösung bleibt die Changephilosophie im Unternehmen verankert. Diese Schlussfolgerung zog Kotter 2008, im Jahr der lange anhaltenden Finanzkrise. Jahrzehnte vorher folgerte der englische Historiker Arnold Toynbee, der Gründe für den Untergang von Staaten analysiert hatte: „Nichts scheitert so wie Erfolg, wenn man zu sehr darauf vertraut“ („Nothing fails like success when you rely on it too much“). Dieser historische Satz gilt auch für erfolgsverwöhnte Unternehmer. Im Buch A Sense of Urgency schlägt Kotter taktische Methoden vor, mit denen Dringlichkeit erreicht werden kann: • Bringen Sie die Außenwelt als Weckruf ins Unternehmen. Die Fakten müssen offen, klar und hart sein, z. B. Erfahrungen von Kunden und Lieferanten, die eine emotionale Story wiedergeben. Wichtig ist die Überzeugung41 des Teams, dass sich bald etwas ändern muss. In dem Prozess ist auf vier Aspekte zu achten: Glaubwürdiger Redner, Relevanz für Zuhörer, Fakten mit lebhaften Beispielen dargestellt, Redner spricht emotional an.

40John P.

Kotter: A Sense of Urgency, HBP 2008, S. Vii, viii und 14 ff. Conger: The necessary art of persuasion, HBR, May-June 1998, S. 84–95. Die Kunst der Überzeugung ist eine zentrale Fertigkeit bei Reden, Gesprächen und Verhandlungen.

41Jay  A.

16.7  Design Thinking für Wachstum und Wandel

281

• Führungskräfte müssen in ihrer Botschaft das Gefühl der Dringlichkeit rüberbringen (s. Teil 4, Kap. 20). Hektisches Antreiben der Mitarbeiter wirkt auf die Dauer nicht konstruktiv, Hektik löst bei Mitarbeitern nur Stress und keine kreative Kooperation aus. Konsequente Umsetzung ist bei Change-Management das A und O. Realistische Zeitvorgaben vermeiden Permafrost mit innerer Kündigung. • Eine sich entwickelnde Krise ist anfänglich nur verschwommen und oft nicht rechtzeitig erkennbar. Halten Sie Ängste und Change-Widerstände unter Kontrolle. Präsentieren Sie die Evidenz der schwierigen Lage, aber nicht nur durch logisch begreifbare, sondern durch in Erinnerung bleibende Geschichten und Beispiele. • Achten Sie auf Neinsager.42 Die Neinsager leisten Widerstand, sie beeinflussen das Betriebsklima und den Teamgeist negativ mit Sätzen wie: „Wir haben doch immer Erfolg gehabt …“, „… es lief doch alles bisher …“,43 „Wer garantiert, dass diese Change-Ideen richtig sind?“, „Das ist nur Panikmache!“, „Heißt das, dass wir einen schlechten Job machen?“ Derartige Bemerkungen von Neinsagern sind Dringlichkeitskiller, sie verlangsamen den notwendigen Wandel. Suchen Sie nach Change-Agenten, um Dringlichkeit und Ideenrealisierung zu erreichen. Klar ist es frustrierend, wenn Mitarbeiter und Kollegen Ihre Ideen nicht verstehen oder nicht verstehen wollen. Es gibt viele Möglichkeiten, ein dringendes Projekt zu sabotieren oder zu verlangsamen. Gründe sind Permafrost aus Frust, fehlende und nicht überzeugende Erklärung, fehlende „Eigentümerschaft“ der Mitarbeiter bei den Projekten. Dringlichkeit und ehrgeizig gesetzte Zeitleisten verhindern oft die tiefe und Verständnis zeigende Diskussion. Fehlende Prioritäten bringen Hektik. Das Verstehen der Fremdsprache des Kooperationspartners und Integrationsteams – klassisches Beispiel ist Englisch – bedeutet noch lange nicht, dass eine Kooperation oder Fusion sich auch erfolgreich entwickelt. Die oft zitierten „niedrig hängenden Früchte“ finden sich in den meisten Motivationsbotschaften. Es gibt keine Garantie dafür, dass nach Ernte der „niedrig hängenden Früchte“ die komplexeren Aufgaben dann auch gelöst werden können. Hier gilt im Hinblick auf die Kultur: „First things first.“ Die wichtigsten

42John P.

Kotter: A sense of urgency, S. 145–168 (zu den Neinsagern = NoNos). Scharrer: Wir brauchen mehr Leidenschaft, in: Horizont, 14.12.2017, S. 18–20. Aussagen von Jan Bayer (Axel Springer) zur fehlenden Dringlichkeit bedingt durch Bequemlichkeit und Selbstzufriedenheit bei der digitalen Transformation im Verlagswesen, hier S. 20. 43Jürgen

282

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

­ ulturunterschiede müssen zuerst und mit ausreichender Zeit angepackt werden. K Der Autor konnte das in verschiedenen Unternehmenskulturen und Projektteams beobachten. Die Mehrheit der Allianzen, Kooperationen, Mergers und Acquisitions scheitert an Kultur und Ungeduld. Werben Sie im Team für Unterstützung und „Buy-in“, auch wenn es einem Wahlkampf ähnelt. Wandel ist am Nachhaltigsten, wenn Sie den Prozess mit dem Team erarbeiten. Jeder sollte für einen kleinen Teil verantwortlicher Eigentümer des Prozesses und damit des Ergebnisses sein.

16.7.5 Zwei Erfolgsstorys durch Design Thinking Schauen Sie sich die beiden YouTube-Videos an, deren Link Sie in den Fußnoten finden. Die Highlights habe ich Ihnen hier nur zusammengefasst:

16.7.5.1 Airbnb Wie Design Thinking das Startup von einem fast scheiternden Startup zu einem jetzt erfolgreichen Milliarden-Unternehmen transformierte:44 • Erfolg kommt auch, wenn man im Tech-Bereich nicht immer auf Skaleneffekte schaut. Airbnb erreichte den Durchbruch durch einen „Non scaling“-Ansatz, indem die Fotos der angebotenen Wohnmöglichkeiten professioneller und ansprechender gestaltet wurden. • Erfolg kommt, indem man mit den Geschäftspartnern und Kunden spricht. • Erfolg verlangt auch mal unkonventionelles Handeln als „Pirat“. Mischen Sie sich unter die Leute, beobachten Sie sie und sprechen Sie mit ihnen. • Erfolg kommt durch konkrete Ahas und Einsichten von Kunden. Gehen Sie in die Wohnungen der Kunden, um Ihr eigenes Produkt zu verstehen. Bei der Ideensammlung notieren und skizzieren Sie und machen Sie Aufnahmen. • Erfolg kommt durch Integration von einem Herz auf der Website. Die Idee brachte 30 % Wachstum. • Erfolg kommt nicht durch „entweder – oder“, sondern durch „sowohl – als auch“, z. B. durch Qualität bei Inhalt und Menge. • CEO Joe Gebbias Rat zum Schluss: „Think BIGGER!“

44Vortrag

des Airbnb-CEO Joe Gebbia: https://www.youtube.com/watch?v=RUEjYswwWPY.

16.8  Sales Pitch überzeugend gestalten

283

16.7.5.2 Apple Design Thinking und Innovation sind bei Apple Routine.45 • Apples Erfolg kam durch unglaubliche Kontinuität und Folgerichtigkeit in der Art und Weise, wie Apple arbeitet. • Erfolg kommt erstens durch Design Thinking plus zweitens eine emotionale Komponente. • Erfolg kommt mit sehr gut durchdachtem Design d. h. jenseits von Modeerscheinungen, aber mit Einfachheit, das Produktverlangen beim Nutzer auslöst, Technologie mit vielen Möglichkeiten bietet und vermarktungsfähig ist. • Erfolg kommt durch tiefes Denken bis zu den grundlegenden Prinzipien eines Problems. Da muss der Designansatz stattfinden. • Erfolg kommt durch Exzellenz im Management und Organisation aller Funktionen: Betriebsverlagerung ins Ausland (Standort), Verdichtung der Produktlinien von 15 auf 3 (Logistik und Produktion), Produktion mit Plattformstrategie (Kostenmanagement), Lagerhaltungsreduktion von Monaten auf Tage (Kostenmanagement).

16.8 Sales Pitch überzeugend gestalten Zur Unterstreichung der Bedeutung des Sales Pitch für das Unternehmen sollte der Gründer-CEO den Business-Plan immer persönlich zusammen mit seinem Führungsteam präsentieren. Für den Risikoinvestor Albert Wenger sind die Menschen hinter den Ideen entscheidend und mit diesem Fokus ist er sicher nicht allein. Das Gründerteam steht im Mittelpunkt des Interesses bei den Personen, die ein Unternehmen bewerten oder kaufen, z. B. Analysten, Banken, Investoren, Journalisten, Rating-Agenturen. Die Investoren reden sehr viel mit den Gründern und prüfen, „ob sie substanziell nachgedacht haben. Wir machen uns über ihre Persönlichkeit Gedanken. Und wir schauen uns ihre Plattform und ihren Code dahinter an.“46

45S. die

HBS Case Studie zu Design Thinking bei Apple: https://www.youtube.com/ watch?v=ir3E-TEUk48. 46Albert Wenger: Das radikal Neue unserer Zeit – Denkfabrik, in: Mercedes-me Magazin Nr. 355, Heft 4/2017, S. 82; www.worldaftercapital.org, Blog von Albert Wenger: www. continuations.com.

284

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

Es kann natürlich immer mal vorkommen, dass die Führungskraft nicht präsentieren kann, sondern ein externer Berater oder Mitarbeiter einspringt. Begründung in dem Fall ist oft, dass diese Person „besser präsentieren“. Auch wenn das vielleicht stimmt, empfiehlt sich, dass der hauptverantwortliche CEO präsentiert und von seinem Team unterstützt wird. Investoren wollen einen Eindruck von allen Entscheidungsträgern und vom Teamklima erhalten. Letzteres ist ein wichtiger Punkt bei den später angeführten Gründen des Scheiterns: „Disharmonie im Team mindert Kreditwürdigkeit und vertreibt Investoren.“ Neue Ideen werden gerne zerpflückt. Lassen Sie sich nicht beirren und widerlegen Sie die Beobachtung von Howard Gardner: „In der Geschichte der Menschheit hatten die meisten Kulturen eine Abneigung gegen kreative Persönlichkeiten. Sie wurden entweder ignoriert oder umgebracht – als wirksame Methode, Kreativität zu stoppen.“47 Ein gewinnender Sales Pitch erfordert Übung in der Präsentation der Geschäftsidee und der Schlagfertigkeit bei Frage & Antwort. Mit Übung kommen Routine und Zuversicht, nur so werden Präsentationen souverän. Achten Sie auf die negative innere Stimme aber lassen Sie sich nicht beirren: „Es ist unmöglich“, sagt der Stolz. „Es ist zu riskant“, sagt die Erfahrung. „Es ist sinnlos“, sagt der Verstand. „Versuchs“, flüstert das Herz. (Autor unbekannt)

Die Präsentation glaubwürdiger Zahlen überzeugt. Viele Gründer versuchen ihr Startup als „perfekt und ohne Schwäche“ darzustellen. Das macht keinen großen Sinn, denn Experten ist ohnehin klar, dass jedes Startup Herausforderungen hat – ein beschönigender CEO ist nicht glaubwürdig. Auf der anderen Seite sollte man selbstbewusst und sicher vortragen. Intrapreneure in Großunternehmen sind auch auf den Sales Pitch angewiesen. Durch die Arbeitsteilung in Konzernen, interne Kontrollen und das Mehrfachaugenprinzip, sind detaillierte Backup-Informationen vorzulegen. Zur Vorbereitung des überzeugenden Sales Pitch hier eine Checkliste aus der Praxis eines Angel-Business-Netzwerkes.

47Fredrik

Haeren: The Idea Book, Stockholm 2004, S. 58.

16.8  Sales Pitch überzeugend gestalten

285

16.8.1 Der erste Eindruck zählt Der erste Eindruck kommt zuerst und kann nicht wiederholt werden. Er entsteht durch drei Aspekte, die der Zuhörer schon nach wenigen Minuten oder sogar Sekunden nur abspeichert:48 • 55 % der Botschaft übermittelt der persönliche Auftritt und die Körpersprache durch Mimik, Gestik und Körperhaltung. • 38 % der Botschaft werden durch stimmliche Elemente wie Intonation und Betonung geprägt. • 7 % der Botschaft werden dann letztlich durch die Worte ausgedrückt. Diese von Albert Mehrabian aufgestellte Kommunikationsregel ist insbesondere dann relevant, wenn Zuhörer gegenüber dem Redner misstrauisch sind und kein Vertrauen haben.

16.8.2 Weniger ist mehr Der Sales Pitch sollte nicht länger als fünf Minuten dauern49 und das Wichtigste beinhalten. Vermeiden Sie lange Abschweifungen in weniger relevante Aspekte, z. B. dazu, was die Motivation für Ihre Idee war. Wobei auch hier wieder relativierend gilt: Ein Satz zur Motivation ist o.k., aber keine Dauerrede von 15 Minuten. Reservieren Sie solche Details für die Diskussion zum Abschluss (max. 10 Minuten).

16.8.3 Vermeide Langeweile Nicht vergessen: Die Aufmerksamkeitsspanne ist extrem gesunken. Veranschaulichen Sie Sachverhalte mit Bildern, Geschichten, Grafiken, Metaphern und klaren Statistiken, damit der Vortrag für die Zuhörer interessant bleibt (s. dazu den

48Die

Prozentsätze gehen auf die Forschung von Dr. Albert Mehrabian zur nichtverbalen Kommunikation zurück. Im Englischen werden die drei Elemente oft mit den „3 Vs“ für „Verbal, Vocal und Visual“ abgekürzt. Siehe auch http://www.iojt-dc2013.org/~/media/ Microsites/Files/IOJT/11042013-Albert-Mehrabian-Communication-Studies.ashx. 49http://www.nexeaangels.com/example-pitch-deck-guide-startup-fundraising/.

286

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

Abschnitt Kunst der Überzeugung in Teil 4, Kap. 20). Jay A. Conger empfiehlt in seiner Überzeugungsmethode, klare und aufmerksamkeitserregende Sachargumente zu bringen („Vivid Evidence“).

16.8.4 Probleme des Nutzers und Kunden ansprechen Folgenden Fragen werden häufig gestellt: Was ist die Lösung durch das neue Produkt, durch die neue Dienstleistung, durch den neuen Prozess? Wer sind die Kunden? Wie viele Kunden gibt es bereits? Wie viele Kunden wiederholen den Kauf? Welches Gewinnmodell wird verfolgt? Welche Methoden werden für Verkauf und Marketing eingesetzt? Wie entwickelt sich derzeit das Geschäftsmodell (Umsatz, Auftragseingänge)? Wer sind die Wettbewerber (Namen)? Womit differenziert sich das Startup? Warum sollen die Investoren in Ihr Startup und nicht in die Konkurrenz investieren? Finanzierungsmittelverwendung nach der Kapitalerhöhung (Zielbetrag, Beteiligungsquote im Tausch für die Investition, Verwendungszweck der neuen Finanzierungsmittel, Wertentwicklung vor IPO oder Ausstieg)? Wie setzt sich das Team zusammen (Mitglieder, Teamgeist, Rollen und Verantwortungen, Beteiligungsquoten des Managements)?

16.8.5 Abschlussstatement beim Pitch mit Dreisprung Der Schlussstrich muss mit einem kurzen, überzeugenden Statement die folgende Frage beantworten: Warum sollten Investoren gerade in Ihr Startup investieren? Merken Sie sich zur Vorbereitung die Impactregel 2/3/1 zur erinnerungsfesten Platzierung der Argumente und für die Dramaturgie Ihrer Sales-Pitch-Botschaft: • Der Anfang ist nicht so erinnerungsfest wie das Ende. • Die Mitte ist am schnellsten vergessen. • Der Schluss ist das Wichtigste – Der Punch und Schlag vom Pitch.

16.9  Finanzielle Überlebensregeln

287

16.9 Finanzielle Überlebensregeln Gerade, wenn der Erfolg einen nach langer harter Arbeit verwöhnt, muss man extra aufmerksam sein, denn „Nichts scheitert so schnell wie Erfolg, wenn man zu sehr darauf vertraut“ (Arnold J. Toynbee).50 Die erste gute Geschäftsidee ist nur zum Start sehr gut. Zur Nachhaltigkeit muss sie ständig überarbeitet, verbessert und ausgebaut werden. Stillstand ist keine Option, da Konkurrenz und zukünftige Kopierer nicht schlafen. Startups schließen oft genauso schnell ihre Tore, wie sie geöffnet wurden. Sobald es an die tägliche Unternehmensführung geht, müssen zwei goldene Finanzierungsregeln das Überleben und Wachstum sichern. Die beiden goldenen Regeln gelten grundsätzlich für alle Unternehmen, aber insbesondere für den Startup-Keimling und das angeschlagene Unternehmen mit Junk Bond Rating.

16.9.1 Regel 1: Liquidität folgt der Bonität In der Liste der Gründe des Scheiterns ist Liquidität der Hauptgrund Nummer 2: „Cash verbrennt und läuft aus“, bedeutet, dass Startup-Unternehmer für vertrauensbildende Bonität auch eine entsprechende Zahlungsgeschichte mit guter Zahlungsmoral dokumentieren sollten. Gelebtes Vertrauen ist wesentliche Charakterqualität der Führungskraft.51 Vertrauen reduziert Komplexität auch bei der Finanzmittelbeschaffung und erleichtert die Zusammenarbeit mit privaten oder institutionellen Kreditgebern. Zugegebenermaßen finanzieren sich Startups in den ersten Jahren weniger durch Kredite, sondern fast ausschließlich durch Equity oder private Darlehen. Equitygeber und die verschiedenen Investoren (vom Angel Investor bis zum Venture Capital Investor VC) bewerten das Thema Vertrauen, Bonität und Finanzwürdigkeit anders als Banken. Banken sind ihren Aktionären verantwortlich, VC-Aktionäre sind meist identisch mit dem Management selbst. Equity-­ Investoren gehen deswegen auch größere Risiken ein. Meist geht es mehr um

50Arnold  J.

Toynbee, englischer Historiker und Philosoph, im englischen Original: „Nothing fails like success when you rely on it too much.“; http://www.azquotes.com/ quote/927272. 51Colin Powell: The Essence of Leadership: https://www.youtube.com/watch?v=ocSw1m30UBI.

288

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

Wachstum und Skalierbarkeit und nicht um Zahlungsfähigkeit. Es kommt allerdings auch auf das Angebot an vielversprechenden Startups mit realistischen IPO-Aussichten an. Meiner Erfahrung nach arbeiten die meisten Gründer, zumindest solche von skalierbaren Tech-Startups, mit Kennzahlen, die sie für Equity Financing attraktiv machen. Ist die Auswahl an Startups groß, dann ist es sicher kein Fehler, auch KPIs mit Fokus auf Kreditwürdigkeit und Cashflow im Business-Plan zu haben. Damit beweist das Startup-Management vertrauensbildende Umsicht und verbessert die Chancen beim Sales Pitch.

16.9.2 Regel 2: Cash ist ein Faktum, Gewinn ist Bilanzpolitik Bilanzgewinn und Bilanzverlust können gestaltet werden, Kasse ist Kasse, und zwar „eins zu eins“.52 Der Bilanzgewinn kann aber immer im Rahmen der Bilanzierungsvorschriften gestaltet werden, z. B. durch die Verlängerung der Abschreibungsdauer eines Wirtschaftsgutes (Gewinn erhöhend) oder Off-Balance-­ Bilanzierung (Gewinn erhöhend bei Verlustursachen). Zur Sicherstellung der Finanzierung hat der Startup-Entrepreneur zehn Finanzierungsmöglichkeiten:53

16.9.2.1 Bootstrapping Etwas Eigenkapital bringt neben der Unabhängigkeit von Kapitalgebern auch Sicherheit und Kreditwürdigkeit. Dieser erste Eigenfinanzierungsschritt ist wichtig und lehrt Sparsamkeit, wenn die Außenfinanzierung anfänglich nicht kommt.

16.9.2.2 Sparsamkeit Effizienz bei Geldausgabe, Einkauf und Investition. Man spart durch Open-SourceSoftware, gebrauchte Büromöbel, eigene Räume, die berühmte Garage. Arbeitsfrage hier ist immer: „Where to put the chips?“ („Wohin, auf welche Farbe, soll ich meine Eigenmittel setzen?“). Viele Hausfrauen, die nur ein limitiertes Budget haben, können mit dieser Realität mithilfe des gesunden Menschenverstands oft besser umgehen als mancher Berufsmanager.

52„Cash

is a fact, profit an opinion.“ – Erfolgsrezepte für Startups und Gründer: https://www.gruenderkueche. de/fachartikel/10-moeglichkeiten-ihr-startup-oder-ihre-geschaeftsidee-zu-finanzieren/.

53Gründerküche

16.9  Finanzielle Überlebensregeln

289

16.9.2.3 Fördermittel Deutsche und europäische Finanzierungsmittel sind erhältlich. Banken sind an Mittelstandsförderung interessiert und beraten genau wie das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Sprechen Sie diese Stellen mit einem gut durchdachten Businessplan auf der Basis einer interessanten Geschäftsidee an. Universitätsabsolventen können per Antrag auch das sog. EXIST-Gründerstipendium erhalten.54 Die unten angegebene Webseite enthält wertvolle Informationen für den Gründer und praktische Startup-Beispiele.

16.9.2.4 Starthilfe durch Gründungszuschuss Für den Gründungszuschuss ist ebenfalls ein Antrag zu stellen. Die angegebene Webseite beschreibt in 10 Schritten den Förderungsweg. Die Fragen helfen Ihnen auch, den eigenen Geschäftsplan zu durchdenken und durch Verbesserungsschleifen die Präsentationsqualität für Gespräche mit weiteren Geldgebern zu schaffen. Das erhöht die Kreditwürdigkeit.55

16.9.2.5 Teilnahme an Gründerwettbewerben Die Liste der Wettbewerbe ist lang. Sie enthält Städte und Bundesländer. Teilnahme an Wettbewerben gibt Erfahrung und Chancen, eigene Ideen im Markt zu testen und Preisgelder gehen bis zu 100.000 Euro bei den hier nur beispielhaft aufgelisteten Wettbewerben: IKT Innovativ, KfW-AWARD „Gründerchampions“, Start2grow, BayStartUP, code_n Award, Science4Life Venture Cup, FutureSAX-Ideenwettbewerb und viele mehr.

16.9.2.6 Darlehen und Kredite Eine Bank mit Interesse an der Startup-Szene ist ein guter Ansprechpartner. Die Homepage der Bank offeriert den Wegweiser zur Startup-Abteilung. Neben dem Startup-Berater ist die Kreditabteilung zur Kreditwürdigkeitsprüfung eingeschaltet. Die Banken kommen bereits im Kontaktformular56 zur Sache und fragen ab: Gründungsjahr?, Tätigkeit in welcher Branche?, Umsatzwachstum

54http://www.existenzgruender.de/DE/Weg-in-die-Selbstaendigkeit/Finanzierung/Foerde-

rung/Wichtige-Foerderprogramme/inhalt.html. 55 https://www.gruenderkueche.de/fachartikel/gruendungszuschuss-richtig-beantra-

gen-10-schritte-zur-foerderung-fuer-gruender/. 56 https://cbportal.commerzbank.com/prozess/WebObjects/ProzessCenter.woa/wa/ default?path=/msb/de/3.Fachbezogene_Strecken/a.MSB/StartupPackage-DE&cbf3.

290

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

laut Businessplan für die nächsten zwei Jahre?, Was sind die Zielmärkte? Welche Finanzierungsquellen werden bereits genutzt? Die Bonität wird anhand des Businessplanes und der Cashflow-Rechnung geprüft. Gute Vorbereitung durch klar definierte Geschäftsidee, glaubwürdige Potenzialaussage sowie durch einen durchdachten Businessplan sind Voraussetzungen für die Darlehensgewährung. Banken verlangen neben Realsicherheiten auch Informationssicherheiten.

16.9.2.7 Venture Capital Die VC-Finanzierung ist bei großen Kapitalbeträgen notwendig. Vorteil ist der erfahrene Rat des VC-Investors. Nachteil ist der Verlust der totalen Entscheidungsfreiheit, die bei Nr. 1, dem Bootstrapping, noch gegeben ist. Die regelmäßige Berichterstattung gegenüber Investoren folgt den handelsüblichen Regeln und ist entsprechend umfangreich.

16.9.2.8 Business Angel Die BAs steigen mit Kapital früher als die VCs ein. Allerdings sind die Beträge meist niedriger, da am Startup-Anfang das Risiko noch hoch ist. Business Angels haben Erfahrung mit Unternehmensgründungen und deren Schwierigkeiten. Die Erfahrung kommt aus eigenen Fehlern und aus dem über die Zeit aufgebauten Netzwerk.57 Kontakte und Tipps der BAs helfen oft mehr als große Kapitalbeträge. Es ist gut, einen BA kurz anrufen und um Rat fragen zu können. Im Grunde ist das Gespräch mit dem erfahrenen Gründer über das eigene Problem eine Form von Stressmanagement.

16.9.2.9 Crowdfinanzierung Crowdfinanzierung wird sehr früh in der Anfangsphase des Startups versucht. Interessanter Anreiz für den Finanzierer ist, dass er als Erster das Neuprodukt erhält (z. B. Uhr oder Smartphone, Teilnahme an Studioaufnahmen, deren Kosten man mitfinanziert hat), Beteiligung als Investor, Zins wie bei einem Darlehen mit fester Laufzeit, eine ganz normale Spende ohne Gegenleistung.58 Der zusammenfassende Bericht über die Schwierigkeiten von Crowdfunding ist ernüchternd, zeigt den Aufwand, aber auch die Chancen.59 Das Vorgehen entspricht einer zeitraubenden

57http://www.business-angels.de/start-ups/der-weg-zum-business-angel/. 58https://www.gruenderkueche.de/fachartikel/crowdfunding-fuer-startups-anleitung-basicsso-finanziere-ich-mein-projekt-durch-die-crowd/. 59https://slovakstartup.com/2016/11/10/skinners-kickstarter-campaign/.

16.10  Gründe des Scheiterns von Startups

291

PR-Kampagne mit vielen Aufgaben, für die Manpower benötigt wird. Man braucht jemanden für: Copywrite, Videos, Fotos, Photoshop, Design, Branding, PR, Social Media, Internet Werbung (PPC bei Google), Facebook-Werbung, E-Mail-Beantwortung, Betreuung anderer Medien, web Designer, CrowdfundingBuchhaltung, Patentschutz und Rechtsfragen. Genau wie das Startup-Abenteuer insgesamt ist die Crowdfinanzierung ein Erfolgs- oder K.-O.-Abenteuer.60

16.9.2.10 Inkubatoren und Acceleratoren Der Inkubator stellt die knappe Büroinfrastruktur, Räumlichkeiten und Rat zur Verfügung. Der Accelerator will den Startup-Prozess bis zum Wachstum beschleunigen. Mentor für „den Neuen“ ist meist ein Alumnus, der sein Unternehmen vorher mithilfe des Accelerators gegründet hat. Kerndringlichkeit bei den Finanzierungsformen sind Funding und Kostenübernahme. Es geht letztlich nur darum, welchen Preis (Beteiligung) und welchen Freiheitsverlust der Entrepreneur für die Finanzierungsmittel hinnehmen muss, um Überleben und Wachstum des Startups zu finanzieren.

16.10 Gründe des Scheiterns von Startups Eine US-Studie fand heraus, dass viele Startups den Geschäftsbetrieb einstellen, nachdem sie in ungefähr 20 Monaten 1 bis 1,3 Millionen $ Cash „verbrannt“ haben. Der Startup-Tod hat meist mehrere Ursachen. Im Folgenden liste ich die Top-Scheitergründe nach ihrer Häufigkeit auf:61

16.10.1 Nachfrage nach dem Produkt zu gering Viele Gründer machen ihre Hausaufgaben beim allerersten Schritt ihres Startups nicht ordentlich, sonst würden die Zahlen anders aussehen. Vor lauter Begeisterung werden Bedarfsanalysen und Validierungstests unterlassen. Warum nicht zuerst Annahmen hinterfragen und nachweisen: Besteht tatsächlich für mein

60Ivan

Zatko: How „Socks“ Raised 650 K USD on Kickstarter. And You Can Too. https:// slovakstartup.com/2016/11/10/skinners-kickstarter-campaign/, 10. November 2016, „It is not hype but execution that matters“. 61T3n digital pioneers: Warum Startups scheitern: Das sind die 20 häufigsten Gründe, http://t3n.de/news/startups-scheitern-20-569194/.

292

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

Produkt/meine Dienstleistung dieser Bedarf im Markt? Wie groß ist der Bedarf im besten und schlechtesten Fall? Gibt es Wachstumspotenzial? Startups könnten diese Fragen innerhalb weniger Wochen testen. Ein Test zur Erhärtung von Business-Planzahlen kostet auch nicht 1,3 Mio. $, sondern nur einen Bruchteil davon.

16.10.2  Cash verbrennt schneller als gedacht Stets ausreichend flüssige Mittel zu haben, kann man nicht hoch genug bewerten. Das ist eine der beiden wichtigsten unternehmerischen Finanzierungsregeln (s. Teil 4, Abschn. 16.9). Mein ständiges Credo lautet deshalb: Cash is a fact, profit an opinion.62 Cash liegt auf der Hand und zeigt ein klares finanzielles Bild. Demgegenüber entsteht die Gewinnzahl durch Bewertung. Je nach Bewertungsansatz kann aus einem Verlust ein Gewinn gestaltet werden. Auf Startup-Kongressen mit dem Titel: „Lerne von den Unicorns“ werden folgende Fördermaßnahmen gefordert:63 • Bereitstellung von Startup-Finanzierung. Das ist Hilfe für einen kritischen Engpassbereich, verlangt aber auch einen robusten Businessplan. • Steuervorteile wie z. B. Steuerfreiheit in den ersten sechs Jahren. Das ist keine große Unterstützung, da Startups in den ersten Jahren ohnehin meist nur Verluste einfahren. • Schulung im Unternehmertum i. V. m. Business-Schools. Das ist hilfreich, fällt aber in eine Zeit mit Zeitnot. • Networking im Land, in der Region und darüber hinaus durch finanzielle Unterstützung bei Geschäftsreisen und Verbindungen zu bereits etablierten Startup-Unternehmern.

62Diese

Finanzierungsegel wird dem amerikanischen Volkswirt Alfred Rappaport zugeschrieben. Er ist bekannt als der Entwickler des berühmten ‘Shareholder Value-­ Konzeptes’; Japan Analytics: https://japananalytics.sg/cash-fact-profit-opinion/. 63Aekarach Sattaburuth: Government eyes support for startups – Thailand’s Startups – Learning from Unicorns, Bangkok Post, 23. März 2017, S. 1.

16.10  Gründe des Scheiterns von Startups

293

16.10.3 Team ohne Meinungsvielfalt Erfahrungsgemäß sind die Erfolgschancen besser durch ein diversifiziertes Team, im Vergleich zum kleinen Gründerkreis oder gar zum Solo-Gründer. Das richtige Team mit Biss und Durchhaltevermögen und die richtige Kombination der Teammitglieder stehen bei vielen Investoren ganz oben bei der Unternehmensbewertung. Studien identifizieren die Erfolgsfaktoren zur Auswahl von Teammitgliedern: 1. Eigene Schwächen kennen, 2. Verfügbare Zeiten der Teammitglieder herausfinden (eine zuverlässige Teilzeitkraft ist besser als eine nicht zuverlässige Vollzeitkraft), 3. Erfahrungen der Kandidaten sollten komplementär zu den gegenwärtigen Teammitgliedern sein, 4. Überdenken Sie das Angebot an Kandidaten gut, auch wenn sie Ihnen gut bekannt sind, 5. Bewerten Sie dann, wie alle notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten abgedeckt sind.64 Studien bestätigen die Erfolgsvorteile durch Frauen im Team.65

16.10.4 Fehlende Umsetzung Fehlende Umsetzung und fehlendes Follow-up sind Hauptgründe, warum Unternehmen scheitern. Die Umsetzung der Idee unterbleibt. Neben betriebswirtschaftlichen Kenntnissen ist die Charaktereigenschaft „Beharrlichkeit“ gefragt. Kommunikation ist für die Umsetzung und den Verkauf von Ideen ebenfalls notwendiger Sauerstoff. Das beste Produkt und die beste Dienstleistung scheitern, wenn Produktvorteile nicht bekannt werden. Meine Standardfrage beim Verkauf von Produkten, Dienstleistungen und Ideen war deswegen immer: „How to get the message across“, „Wie sende ich meine Botschaft zu Mitarbeitern und Kunden so, dass sie verstanden wird?“ Manchmal dauern Umsetzungen kundenseitig länger. In einer Studie über Vertragsabschlüsse hat die National Sales Executive Association der USA herausgefunden, das nur 2 % der Verkäufe beim ersten Meeting abgeschlossen werden, 3 % nach dem zweiten Verkaufsmeeting, 5 % nach dem dritten und 80 % nach

64Adi Gaskell: Why Your Team is Crucial to Startup Success, Forbes, Nov. 4, 2015, Forbes (Leadership/How to pick your perfect team): https://www.forbes.com/sites/adigaskell/2015/11/04/why-the-wider-team-are-crucial-to-start-up-success/#19364d166e4f. 65Tucker J. Marion: Four Factors that Predict Startup Success, and One That Doesn’t, HBR, May 3, 2016.

294

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

dem 5. bis 12. Besuch. Hier zeigt sich wieder: Biss und Beharrlichkeit sind zur Umsetzung gefragt.66

16.10.5 Keine Pflege der Kreditwürdigkeit Fehlende Geschäftsethik stört den Vertrauensaufbau. Fehlende Integrität wird­ heutzutage neudeutsch mit Compliance bezeichnet – das ist die korrekte Einhaltung des gesetzlichen Regelwerkes wie z.  B. korrekte Dokumentation, termingerechte Steuerzahlungen, vertragliche Fixierung, Vermeidung von Zahlungsverzug, Mahnungen und Geldstrafen. Beim Aufbau des Unternehmens und der Kreditwürdigkeit sind Fehltritte dieser Art zu vermeiden. Rechtsberatung einzuholen, um rechtskonforme Unternehmensführung sicherzustellen, verursacht gute Kosten und ist existenziell wichtig. In der Anfangsphase (1969) von Virgin Records hatte Richard Branson mit ­fingierten Exportgeschäften nach Belgien Umsatzsteuer- und Zollfreiheit in Großbritannien erschwindelt. Er wurde von der britischen Zollbehörde (HM Customs & Excise) festgenommen und konnte die strafrechtliche Verfolgung nur durch Zahlung des dreifachen Steuerbetrages verhindern, den er ordnungsgemäß hätte zahlen müssen. Die Zahlung erstreckte sich über einen Zeitraum von drei Jahren. Nach dieser Erfahrung lebte er nach dem Prinzip: „Mach nie etwas, das dich nachts nicht mehr schlafen lässt.“67 Die Antwort eines indischen Geschäftsmannes auf die Frage, wie sein Gründungsvater das Vertrauen anderer gewonnen hatte: „Mein Vater war ehrlich, hatte Zivilcourage und hat seine Versprechen stets gehalten.“ In ähnlicher Form beschrieb Warren Buffett den ehrbaren Kaufmann mit drei Charakterzügen: ­„Integrität, Intelligenz, Energie“. Scherzhaft ergänzte er: „Wer die ersten zwei Qualitäten nicht hat, sollte dann lieber faul und energielos sein.“ Bei der Auswahl der Geschäftsleitungsmitglieder für seine Beteiligungsgesellschaften achtet ­ Warren

66Tim

Clark, Alexander Osterwald, Yves Pigneur: Business Model You, Campus 2012, S. 234; Guy Kawasaki: The Top 10 Mistakes of Entrepreneurs, speech at Berkley-Haas, 11. März 2013, https://www.youtube.com/watch?v=HHjgK6p4nrw. 67Richard Branson: Business Stripped Bare, Virgin Books 2008, S. 169 ff.; Richard Branson: The Autobiography, Virgin Publishing 2005, S. 96–103.

16.10  Gründe des Scheiterns von Startups

295

Buffett auf diese drei Werte.68 Fehlende Kreditwürdigkeit resultiert in fehlende Finanzierungsmittel. Die Kreditabteilungen der Banken lehnen Darlehen ab, Eigenkapitalgeber gehen keine Beteiligung ein.

16.10.6 Kein situationsgerechtes Führen In einem Startup sind kreatives und freies Managen und Kollaboration der Normalfall. Dies wird als flexibel und als der große Vorteil von Startups angesehen. Beim Übergang in Wachstum oder gar in einen Abschwung oder konkursnahen Turnaround sind Durchgreifen und zum Schluss absolute Härte überlebenswichtig. Die Führungsmaßnahmen und Managementinstrumente sind der Situation und dem wirtschaftlichen Kontext anzupassen. Ein Startup braucht nach der ersten kreativen Phase des Aufbruchs eine Phase des Aufräumens, bevor die Nachfrage steigt und Wachstum einsetzt. Die Infrastruktur im Rechnungswesen, im IT-Bereich, in der Produktion, Logistik und Qualitätskontrolle müssen mitwachsen – das braucht Zeit und Investitionen. Ferner müssen die ersten Produkte und Dienstleistungen je nach Wettbewerbslage schon früh innovative Verbesserungen oder den Austausch durch Nachfolgeinnovationen erfahren. Nicht die Position im Unternehmen ist entscheidend, sondern die Palette an persönlichen Signaturtalenten, Ideen und Inspirationen. Ich habe meine CEO-Position immer als eine mir zeitlich verliehene Rolle verstanden. Der zu Bescheidenheit anregende Verhaltenssatz: „The Lion does not have to roar“ steht für einen guten Führungsstil, der ruhiges Führungsverhalten als ehrenwert betrachtet. Jeder in der Belegschaft kennt den Chef, deswegen Lautstärke und arrogantes Verhalten nicht nötig. Modellvertreter dieses Führungsstiles ist Richard Branson mit seiner informellen und exzentrischen Lebensart. Aber auch andere Vorstände und Geschäftsführer in vormals konservativ geprägten Unternehmen geben sich mehr und mehr individualistisch, schlipslos, weniger nadelstreifig und dafür in Jeans. In Großkonzernen ist die Entwicklung und Akzeptanz eines eigenen Stils vorsichtig auszuloten. Ich habe das über Jahre so praktiziert und konnte gut damit leben.

68http://www.fool.com/investing/general/2014/02/02/warren-buffett-the-three-things-i-look-forin-a-pe.aspx.; http://www.youtube.com/watch?v=DfuXKpMFUjc (Min. 1:10–2:25 von 7:10).

296

16  Denktaktik: Entrepreneur, Intrapreneur, Innovateur

16.10.7 Sonstige Gründe des Scheiterns Der Wettbewerb drückt das Startup aus dem Markt: • Im Verhältnis zu den Kosten ist der Preis zu niedrig. • Schlechte Produktqualität wird ausgeliefert. • Geschäftsmodell ist unschlüssig oder fehlt ganz als Basis des operativen Geschäfts. • Schlechtes Marketing hilft nicht und gibt dem Verkauf kein Momentum. • Kundenbedürfnisse werden ignoriert. • Falsches Timing bei der Markteinführung: Zu früh ist so schlecht wie zu spät. • Bei den einzelnen unternehmerischen Aufgaben fehlt der klare Fokus auf das Wichtige: Verzetteln durch Dringlichkeiten und Feuerlöschen lenkt ab. • Disharmonie im Team mindert Kreditwürdigkeit und vertreibt Investoren. • Keine Finanzierungsmittel aufgrund fehlendem Investoreninteresse. • Keine Leidenschaft im Team. • Korrekturen am Produkt und Geschäftsmodell schlagen fehl, da Prototypen auf der Basis von Analysen des Kundenfeedbacks unterbleiben. • Schlechter Standort. • Rechtliche Probleme. • Berater und Netzwerke werden nicht zur Fehlervermeidung genutzt. • Burnout und fehlendes Stressmanagement. • Keine Flexibilität zu notwendigen Korrekturen. Die 1000+ • Das Prinzip der kaufmännischen Vorsicht hilft, einen möglichen Abschwung vorzubereiten. Als ich 2003 von Japan nach Griechenland wechselte, vermutete ich dort den Abschwung nach der Olympiade 2004. Wir konzentrierten uns insbesondere auf zwei Aspekte: erstens unsere Kostenposition im Vergleich zum Benchmark – eine Best-Practice-Schwestergesellschaft. Zweitens starteten wir eine „Post-Olympic-Strategie“, um ein Mehr an Umsatz durch zusätzliche Geschäftschancen zu finden. Das Plus sollte den möglichen Umsatzrückgang nach der Olympiade kompensieren; wenn kein Rückgang käme – umso besser! • Die Jazzband als Benchmark eines motivierenden Führungsverhaltens ist eine Idee, um gute Teamarbeit zu veranschaulichen. Dies mache ich regelmäßig mit Musikerfreunden. Ehrliche Teamarbeit, Authentizität, technisches Können und Erfahrung sind im Geschäftsleben wie in der Jazzband gefragt. In

16.10  Gründe des Scheiterns von Startups

297

meinen Vorlesungen nehme ich das rotierende Führungsprinzip der Band zur Veranschaulichung. Der dem CEO vergleichbare Bandleader – oft der Pianist – beginnt mit einer Einleitung, die zuerst nur wenig von der Melodie verrät. Die Melodie könnte man mit der Produktidee vergleichen. Variationen kommen durch andere Tonfolgen, wechselnde Tonarten und Rhythmen. Nach einer Weile erkennt man die Melodie, dann improvisiert der Pianist auf dieser Melodie mit seinen Ideen, während die Teammitglieder ihn unterstützen und ihm das Rampenlicht lassen. Danach gibt er die Leitung und das Rampenlicht an den Saxofonisten, der die Melodie aufgreift und seine eigene Improvisation anschließt. So geht Führung im Team reihum. Kommuniziert wird mit Augenkontakt, kurzen Zurufen und Teamerfahrung.

Anhalten und Nachdenken

17

Anhalten und Nachdenken

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_17

299

300

17  Anhalten und Nachdenken

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie: • Anhalten und entspanntes Nachdenken steigern die Ideenqualität. Die Denktaktik Einfach mal innehalten und in Denkschleifen nachdenken ermöglicht es Ihnen, mit allen Denkstrategien, Denktaktiken und mit den gesammelten Informationen zu experimentieren und das neue Ergebnis Revue passieren zu lassen. • Verbinden Sie Denkstrategien und Denktaktiken wie beispielsweise die das Vielfaltdenken – „Je mehr, desto besser“ – mit der Denktaktik Halte an und denke nach (Alexander Paufler gegenüber Mitarbeitern: „Stop running and think for a while.“). Lehnen Sie sich müßig zurück, assoziieren Sie und fragen Sie: „Wie geht es jetzt weiter?“ Diese Arbeitsfrage bietet sich an bei schnell notwendigen Verbesserungsschleifen (Denkstrategien 4 und 5: Umform- und Integrationsdenken) und bei Krisen. Man dreht, wendet und verbessert das Problem und arbeitet auch mit der passenden Gehirnausrichtung. Das verhindert, dass Gedanken in alten Ideen stecken bleiben und Realisierung durch Alltagsprobleme z. B. Budgeterstellung, Funding, Abgabe der Steuererklärung usw. nicht weiterkommt. • Entspanntes Ausatmen entspannt Ihr Gehirn und lässt Ihre Ideen aus dem Unterbewusstsein aufsteigen. Spielen Sie mit den beiden Gehirnausrichtungen: Fokus (Modus 1) und entspannt ohne Fokus (Modus 2) zu denken (s. Teil 1, Kap. 5, bes. Abschn. 5.1.6 Zwei Gehirnausrichtungen). Wir lernen nicht aus Erfahrungen, sondern durch das Nachdenken über Erfahrungen. (John Dewey)1

17.1 Stop running and think for a while Gerne wird hektische Geschäftigkeit mit Leistung verwechselt, dabei ist es nur ein „heiße Luft Pumpen“, ohne dass Wasser kommt. In Japan bleiben Mitarbeiter so lange im Büro, bis auch der unmittelbare Vorgesetzte nach Hause geht. Diese

1Der

berühmte amerikanische Pädagoge John Dewey im englischen Original: „We do not learn from experience … we learn from reflecting on experience.“; https://www.goodreads. com/quotes/664197-we-do-not-learn-from-experience-we-learn-from-reflecting.

17.1  Stop running and think for a while

301

gespielte Betriebsamkeit und das Zeitabsitzen mit Internet-Suchmaschinen ist kein sinnvolles Nachdenken. „Stop running and think for a while“, habe ich in Japan zu Mitarbeitern gesagt, die lange, gehorsame Büroaufenthalte mit wirkungsvollem Arbeiten verwechseln. Denken Sie in entspannter Form im Modus 2 der Gehirnausrichtung nach – ganz ohne einen bestimmten Fokus (s. Teil 1, Kap. 5, Abschn. 5.1.6.2). Lassen Sie sich Zeit für „Kopfspiele“. Der Volksmund rät auch entspannt: „Erst besinn’s, dann beginn’s.“ Das gilt insbesondere für Präsentationen, auf die es ankommt: • Businessplan Pitch vor potenziellen Venture-Capital-Investoren • Strategiepräsentation für Investoren und Aufsichtsräte, • Präsentation zur Geschäftserweiterung in der Kreditabteilung einer Bank trotz Junkbond Rating. Durch Reflektieren entwickeln sich aus alten und ersten groben Ideen bessere Ideen. Nachdenken führt durch das „kombinatorische Kopfspiel“ zu innovativen Lösungen, da wir die erste Idee drehen, wenden, verbessern und so alte in neue Ideen transformieren. Dieser Prozess deckt sich mit dem Assoziieren als einer der fünf sog. DNA-Elemente des Innovators (s. Teil 1, Kap. 5, bes. Abschn. 5.1.2 Verhaltensmethoden der Erfinder). Training der geistigen, physischen, emotionalen und spirituellen Fitness ist als Grundlage wichtig. Stephen Covey nennt das Fitnessprogramm in diesen Bereichen: „Das Schwert schärfen“. Wir müssen uns darum kümmern, dass unsere Leistungsressourcen in guter Form bleiben.2 Im Bereich Stressmanagement ist dies ein wichtiges Ziel. Erreichen kann ich: • geistige Fitness durch Lesen, kreatives Schreiben, Ideen sammeln und archivieren, Fremdsprachen lernen, Schach spielen, wiederholtes Studium von Texten und Bildern. Der Gedächtnisforscher Dr. Jan Rummel sagte in einem I­nterview mit Tatjana Coerschulte: „Erinnerung steuert man selbst.“3 Heutzutage werden

2Stephen R.

Covey: The 8th Habit – from Effectiveness to Greatness, Simon & Schuster 2006, 153–156. 3Tatjana Coerschulte: Jan Rummel Gedächtnisforscher aus Heidelberg erläutert, warum man nicht zu viele Fotos machen sollte: „Erinnerung steuert man selbst“, Interview in der Hersfelder Zeitung, 24. Dezember 2013; http://www.hna.de/politik/erinnerung-steuertselbst-3287100.html.

302

17  Anhalten und Nachdenken

zu viele Fotos gemacht. Zu viele Fotos senken die Aufmerksamkeit für Details. Wir gehen dann automatisch davon aus, dass man auf diese fotografierten Details zurückgreifen kann. Die Aufmerksamkeit wird anderen Dingen gewidmet. Das haben amerikanische Forscher in einen Museumsbesuch getestet. Erinnerungen verblassen, sie können aber auch wieder aufgefrischt werden, wenn über das Ereignis erneut berichtet, oder ein Tagebuch geführt wird, die Bilder erneut angeschaut und die Aufzeichnungen ab und zu angesehen werden. Mnemotechniken stützen das Gedächtnis.4 • physische Fitness durch Bewegung, Sport und mediterrane Diät (s. die BERN-Formel in Teil 1, Kap. 1). • emotionale Fitness durch das Spielen eines Instrumentes und bewusste Interpretation eines Songs. Das Genre spielt dabei keine Rolle, es kann Klassik, Pop oder Jazz sein. • spirituelle Fitness durch einen Kirchgang, Spaziergang im Frühling durch den Park mit bewusster Betrachtung der sich entfaltenden Vegetation und Meditation auf einer Bank, Lesen und Nachdenken über Ideen.

17.2 Ideenreicher Müßiggang Wie schon erwähnt, ist zielloses Treiben, entspanntes Zuhören, Tagträumen der bevorzugte Zustand für das Gehirn (s. Teil 1, Kap. 1 und 5). Im Englischen heißt dieser Müßiggang „Serendipity“, im Deutschen klingt der Begriff etwas „geschnörkelt“: „Serendipität“. Aber in diesem Zustand finden wir die kreativsten Lösungen. Wir haben nicht das Gefühl, dass die Ideenfindung methodisch erfolgte, sondern wir beschreiben den Ideenglücksfall mit Formulierungen wie „Die Idee ist vom Himmel gefallen, mit mehr Glück als Verstand, Spürsinn, Zufallsfund, Unfall.“ Bob Dylan schrieb den Song Blowing in the Wind in zehn Minuten. Auf die Frage, wie er das gemacht hat, sagte er: „Weiss ich nicht – es ist mir so gekommen, es kam direkt aus der Quelle für Kreativität. Diese Lieder wurden geradezu von Zauberhand geschrieben – den Songs haftet ein Zauber an – ein durchdringender Zauber – ich kann das nicht mehr.“5 Rapper Ice-T

4Herwig

Blum: Die antike Mnemotechnik, Georg Olms Verlag 1969. Dylan gives a rare interview on YouTube in a 60 Minutes Interview produced by Michael Radutzky originally aired 5. Dec., 2004; https://www.cbsnews.com/news/60-minutes-bob-dylan-rare-interview-2004/.

5Bob

17.2  Ideenreicher Müßiggang

303

beschreibt den kreativen Prozess: „Es kommt irgendwie magisch … die Zuhörer achten auf deinen Status, deine Persönlichkeit, deinen Geschmack, deine Worte. Alles über dich kommt aus dem Rhythmus der Worte: Ich fange an zu denken, dann sinke ich ins Papier wie Tinte. Wenn ich schreibe, bin ich zwischen den Zeilen gefangen. Ich bin befreit, wenn ich mit dem Lied fertig bin.“6 Bei diesem Müßiggang spürt man alte Ideen auf, dreht und wendet sie, vermischt sie mit neuen Informationen und stößt so auf eine Innovation. Seren­ dipität ist ein Flow-Zustand, bei dem Sie in Ihrer Aufgabe, auch wenn es nur Müßiggang ist, voll aufgehen, die Zeit vergessen, große Genugtuung und Glück empfinden. Bei Flow schaffen Glückshormone ein Wohlbefinden.7 Planen Sie nach einer stressigen Zeit zielloses und relaxtes Denken ein. Nehmen Sie sich die Zeit für Serendipität, lassen Sie sich treiben aber schützen Sie sich vor Unterbrechungen Ihrer Assoziationen durch ein klingendes oder summendes Smartphone. Es ist vorteilhaft, Erholungszeit mit ungewöhnlichen Aktivitäten zu kombinieren wie z. B. dem Üben eines Instrumentes oder die Mitgliedschaft in einem Debattierklub, wenn Sie bei öffentlichen Reden unsicher sind. Ideen kommen bei Vorträgen wie z. B. über kreatives Schreiben, bei einem Kochkurs, dem Lesen von Rezensionen und dann durch das Lesen des besprochenen Buches selbst. Artikel aus unterschiedlichen Zeitungen oder Magazinen bringen neue Ideen. Regelmäßige Auslöser sind alte Aufzeichnungen und abgelegte Artikel. Tipp: Blättern Sie in einem Monat wieder in diesem Buch und lesen Sie dann alte Notizen, die Sie hier beim ersten Lesen an den Rand geschrieben haben. Bei Serendipität kommen der glückliche Zufall und die Ideen durch Assoziation eher zu Besuch. Ausstellungen und Museen sind immer gute Jagdgründe für Zufallsfunde. Das Ausstellungsdesign fördert Querdenken. Obwohl die Suche ein Zeitfresser sein kann, inspirieren Zufallsfunde. Nie vergessen: Notieren Sie neue Ideen und archivieren Sie.

6Ludovic

Hunter-Tilney: Word players, FT, June 2–3, 2012, p. 15 (Life & Arts) about the book by the rapper Ice-T: Something from Nothing: The Art of Rap. 7Vgl. Anhang Teil 5, Kap. 21: Kleine Hormonfibel der sieben Stress-, Leistungs- und Glückshormone.

304

17  Anhalten und Nachdenken

17.3 Mobilität ist Quell für innovative Ideen Die englische Erfolgsautorin Joanne K. Rowling ist bekannt dafür, dass sie kreative Einfälle hat, wenn sie in Bewegung ist und reist. Die Idee zu Harry Potter kam ihr im Zug, die Idee zum Roman Sudden Death kam ihr im Flugzeug. Auch die Musikerin Norah Jones braucht Mobilität zur Ideenfindung. Sie schreibt und komponiert auf Tournee, wenn sie entspannt ist. Die 1000+ • Morgendliche Routine, z. B. im Fitnessstudio, Schwimmbad oder Park ist ­wohltuend. Ich kombiniere manchmal das Laufband mit Lesen, Nachdenken und Niederschreiben von ersten Ideen. So wird das Laufband zum „Denkband“. Ich könnte keine Stunde auf dem Laufband verbringen und nur aus dem Fenster schauen. Nützliche Ideen und Informationen hebe ich durch einen gelben Marker hervor und notiere Einfälle als Randbemerkung. Marker, Stift und Wasserflasche sind notwendige Begleiter für Notizen. Die Markierungen zeigen auch sofort, wo ich mit dem Lesen aufgehört habe, falls ich abgelenkt wurde. Gute Ideen kommen durch Herumschmökern in Büchern, Tageszeitungen, Magazinen und in meinem Stapel mit noch ungelesenen Artikeln. Ich blättere schnell durch das Material und wähle aus, was ich sofort lese. Seiten für späteres Lesen werden ausgesondert und die erste Seite mit einem Stichwort markiert. Der gelbe Marker hilft farblich, sich zu erinnern, das ist eine sehr einfache, aber effektvolle Mnemotechnik. Die guten Artikel wandern in einen Ordner zum späteren erneuten Lesen und Zitieren. Die Ideensuche in den oben zitierten Quellen funktioniert überall da, wo inspirierende Ruhe herrscht. Auch wenn Marker und Stift mal nicht dabei sind – was schlecht wäre – so haben Sie aber garantiert ihren Kopf dabei. Suchen Sie nach einem Stift – und los geht’s. • Zitate lösen auch das „kombinatorische Kopfspiel“ der Gedanken aus. Bereits vorhandene Ideen werden mit neuen Ideen und Informationen kombiniert. Wenn ich durch meine Aufzeichnungen und Ideensammlung blättere, versuche ich das Gefundene in den Kontext zu setzen wie z. B. ein laufendes Projekt, an dem ich gerade arbeite. Dasselbe mache ich mit auf Seminaren notierten Informationen. Alles ist verwendbar und unser Gehirn verkettet blitzschnell alte und neue Ideen mit alten und neuen Informationen. Bei einer Produktpräsentation

17.3  Mobilität ist Quell für innovative Ideen

305

hörte ich mal den Satz von Bob Dylan: „Alles, was ich machen kann, ist, ich selbst zu sein, wer ich auch immer bin.“8 • Einer meiner MBA-Studenten bevorzugt es, „alleine und entspannt zu denken“. Er liebt es, breit in Zeitungen, Büchern oder online zu lesen, aber auch zuzuhören und zu beobachten. Ideen werden bei ihm sowohl durch Fehler als auch durch Erfolge ausgelöst. Freundschaften, Erinnerungen an Kindheitserlebnisse, Reisen, Filme und Gespräche im Flugzeug sind ebenfalls Quellen der Inspiration. • Ein thailändischer Jazz-Pianist sagte mir, dass seine Ideenfindung mit einer Inspiration anfängt. Aber er bekommt die Inspiration nicht nur durch Ideen anderer, sondern auch durch physikalische Gesetze. Das dritte Newtonsche Gesetz oder Wechselwirkungsprinzip ist sein Favorit: „Actio gleich reactio“. Dieser Satz half ihm oft, eine Idee für Kompositionen zu finden. In dem Zusammenhang liebt er Zitate aus dem Zen-Buddhismus. Sein Favorit ist die Geschichte der Huineng-Fahne – eine Geschichte ohne Antwort aus der KoanPraxis: Zwei Mönche beobachten, wie eine Fahne im Wind weht. Einer sagt: „Die Flagge bewegt sich.“ Darauf der andere: „Der Wind bewegt sich.“ Meister Huineng hörte zu und sagte: „Weder die Flagge noch der Wind bewegt sich … es ist die Vorstellungskraft, die sich bewegt.“ • Ein kanadischer Computerwissenschaftler der Stanford Universität sagte mir: „Das eigentliche Heureka-Erlebnis kommt mir erst lange, nachdem ich mich gequält habe, die Lösung zu finden. Ich habe dann bereits darüber geschlafen, bin geschwommen und war windsurfen. Ein paar Ideen bekomme ich, wenn ich mich sorgfältig durch den ‚Design Space‘ arbeite; andere bekomme ich, wenn ich eine Methode wähle, aufschreibe und dann fällt alles bei genauer Prüfung auseinander. Die besten Ideen kommen mir, wenn ich durch ein Problem so richtig unter Stress gestellt werde. Dann lege ich nach der Frustration eine Pause ein. Ich glaube, dass ich Stress brauche, damit mein Gehirn im Unterbewusstsein am Problem arbeitet. Am Ende brauche ich Entspannung und Ablenkung, um den Lösungsprozess zum Ende zu führen.“

8„All

I can do is be me, whoever that is.“ https://rocknrollcollegeofknowledge.wordpress. com/2012/09/06/all-i-can-do-is-be-me-whoever-that-is-bob-dylan/; https://www.brainyquote. com/quotes/bob_dylan_164594.

Denktaktik: Offen für Neues, geschlossen beim Denken

18

Offen und Geschlossen

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie: • Offenheit ist eine Form von neugierigem Interesse zur Sammlung von Antworten, Beobachtungen, Experimenten und Problemen. Neugier ist der einfachste Schnellstart für Kreativität. Neugierige Menschen sind gegenüber neuen Themen, Dingen und Personen aufgeschlossen und wissensdurstig. • Geschlossenheit ist wichtig sowohl für fokussiertes Denken als auch für den Tagtraum, in dem originelle Einfälle entstehen. Die Innovation entsteht im Nachdenken über Probleme und darüber, wie man sie mit alten und mit neuen Informationen löst. • Im Tagtraum und Schlaf assoziiert das Gehirn durch Verknüpfung von Gehirnarealen und Gedanken. Tagtraum und Schlaf sind intensivste Kreativphasen für unser Gehirn. Ideen und Informationen werden durchgeblättert, um durch neue Kombinationen Lösungen zu finden. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_18

307

308

18  Denktaktik: Offen für Neues, geschlossen beim Denken

Die beste verschlossene Tür ist jene, die man offen lassen kann. (Chinesisches Sprichwort)1

18.1 Offenheit und Klausur Seien Sie offen für alles, was neu ist, und entwickeln Sie einen Spürsinn für Chancen. Nach dem offenen und unvoreingenommen Absorbieren ist es wichtig, neue Einfälle in Klausur zu analysieren. Aufmerksamkeit und Begeisterung für ein Thema lenken Denkenergie in diese Richtung, um Neues entstehen zu lassen („Energy flows where attention goes“).2 Das Gehirn braucht nicht nur die Wiederholungen im Lernprozess, sondern auch Begeisterung zum Lernen. Der Rückzug in inspirierende Räume, in denen wir ungestört sind und uns wohlfühlen, ist wichtig. Ein gemütliches Arbeitszimmer, ein kleines Apartment, Sommerhaus oder Hausboot mit Blick auf Fluss oder Meer oder sonst ein atmosphärisches Plätzchen bietet den Moment, in dem man abgeschlossen und kreativ denken kann: Wie geht es weiter mit der Idee? Abgeschlossenheit gibt Gelegenheit, zuerst den Gesamtbestand aller neuen oder alten Ideen und Informationen – aus dem Archiv – zu durchdenken. Inklusives, gesamtheitliches Denken führt zu neuen Ideen – das kommt ganz automatisch mit Tagträumen und kombinatorischem Kopfspiel. Denken sie in Schleifen im Sinne von Drehen, Wenden und Verbessern. Dabei verfeinern Sie die allerersten Ideen. Dieser Prozess überrascht immer wieder, weil er so einfach ist. Hinsetzen mit alten Aufzeichnungen und das Durchblättern der Aufzeichnungen führt zu neuen Strukturen und Formulierungen. Sie kommen auf neue und ungewöhnliche Ideen durch die Verbindung mit einer Idee oder Bemerkungen eines Freundes oder was sie kürzlich auf einem Seminar hörten. Wenn dieses kombinatorische Kopfspiel viele Ideen gebracht hat, können die Ideen nach Realisierbarkeit sortiert werden. Dann bietet sich eine neue Schleife mit „Öffnung“ und „Klausur“ an. Irgendwann ist dann aber Zeit für ein Zwischenergebnis. Diskutieren Sie das Ergebnis mit einem guten Freund außerhalb der Klausurzeit und suchen Sie Feedback und weiteren Input. Gerald

1„The

best kind of closed door is the one you can leave unlocked.“ Chinese Proverb: http:// proverbicals.com/doors/. 2Vgl. die verschiedenen Denkmodelle zur Ausrichtung des Gehirns (s. Teil 1, Kap. 5, bes. Abschn. 5.1.6.1); Daniel Goleman: Focus: the Hidden Driver of Excellence| Talks at Google: https://www.youtube.com/watch?v=b9yRmpcXKjY.

18.2  Staubsauger für neue Ideen

309

Hüther bemerkte dazu: „Wenn Menschen meinen, dass sie alles unter Kontrolle haben, weil sie eine Welt kreiert haben, in der nichts unverhofft passieren kann, da sie alles meistern und kontrollieren, genau dann haben sie ihre Offenheit verloren und … hören auf zu suchen … Zum Schluss verlieren sie alles, was ein kreativer Mensch braucht: Sensibilität, Neugierde und Spontanität.“3

18.2 Staubsauger für neue Ideen Ich suche wie ein Staubsauger oder Schwamm nach neuen Ideen. Dazu besuche ich heutzutage Seminare und Workshops, Museen, Galerien – es reicht häufig, sich einfach mit offenen Augen zu bewegen. Aber auch, wenn ich selbst der Redner bin, warte ich auf anregende Fragen der Zuhörer. Parallel ist Networking eines der DNA-Elemente des Erfinders und außerdem gehören dazu: sehen, hören, fragen, assoziieren – wertvoller Input für Notizen. Mindestens ein bis zwei unterschiedliche Seminare pro Jahr sollten die Regel sein. Der Lohn sind eigene Kopfspielideen, die durch Ideen der anderen Teilnehmer oder Redner ausgelöst werden. Wenn ich mitschreibe, denke ich immer daran, wie ich die Ideen verwenden kann. Schreiben Sie gleich in Klammern oder an den Rand, wie Sie die Idee verwenden wollen. Nach dem Seminar suche ich immer abgeschlossene Denkzeit, um die Notizen zu durchdenken, umzuschreiben und die Beispiele zu durchdenken. Meist sende ich meine Notizen per E-Mail an Mitarbeiter und Freunde für Feedback. Der Schleifenprozess ist am besten, wenn Sie an aktuellen Themen arbeiten und dafür Ideen und Querverbindungen sammeln. Seien Sie zufrieden mit Zwischenlösungen als ersten Schritten zur Realisierung. Wenn Sie nicht weiterkommen: einfach liegen lassen und eine neue Denkschleife einbauen. Drehen, wenden und verbessern Sie, bis Sie zufrieden sind. Manchmal reicht schon der kurze Blick in einen Stapel ungelesener Zeitungsartikel, um auf neue Ideen zu kommen. Ordnen Sie die Artikel neu und markieren Sie die Stellen und Randnotizen, dann kommen neue Ideen. Das ist ein Arbeitsprozess, den ich immer wieder gerne durchlaufe, z. B. beim Schreiben dieses Buches oder beim Entwickeln von Artikeln und Reden. Im Jahr 2005 stellte ich meine Vorlesung über Change Management zusammen – das

3Gerald

Hüther: The Neurobiological Preconditions for the Development of Curiosity and Creativity, www.gerald-huether.de.

310

18  Denktaktik: Offen für Neues, geschlossen beim Denken

gab den Anstoß zu meinem Fokus auf Kreativität und Innovation, dem ersten Paar aus der Reihe der 8 Change-Management-Zutaten: • • • •

Kreativität und Vision, Leadership und Management, Kommunikation und Empathie, Fokus und Verantwortung.

Beim Aufbau der Vorlesung kamen praktische Fragen: Wie kann ich Kreativität für mich und andere ausbauen? Wie kann ich das Thema auch in der Firma zur Mitarbeiterfortbildung verwenden? Wie kann ich Projektarbeit kreativer machen? Durch offene Diskussionen und dann wiederum geschlossenes Denken entstanden aus der ersten dreiseitigen Checkliste ein erstes kleines Buch und verschiedene Artikel.4 Die Ideenverbesserung durch Drehen, Wenden und Verbessern ist naheliegend wichtig. Die Recherche vertiefte allgemeines Wissen in Neurologie und Diagnosemethoden. Ich empfehle, Reden und Vorträge zu halten, da einen die Vorbereitung, das Gliedern und das Schreiben des Inhaltes schulen. Sie werden eingeladen zu sprechen, bereiten Ihr Manuskript vor, verbessern Ihr Manuskript ständig und ergänzen es um die Fragen und Antworten der Zuhörer, schließlich hören Sie am Tag Ihrer Rede die Vorredner. Durch die Fragen lernen Sie, welche Themen für die Zuhörer relevant sind. Sie überlegen auch, was sie mit Ihrem Vortrag – Folien, Beispiele, Antworten – machen müssen, damit Überraschungen enthalten sind. Es ist nicht einfach, die Aufmerksamkeitsspanne der Zuhörer länger als 30 Minuten zu halten. Das Smartphone wird heute bereits nach 10 Minuten auf neue Botschaften geprüft, wenn Vortragender und Vortrag nicht als interessant empfunden werden. Die 1000+ • Der Convergent Newroom der Nation Media Group in Bangkok ist ein klassisches Beispiel dafür, wie Journalisten in einem offenen Arbeitsumfeld Information sammeln und dann zurückgezogen den Presse- oder TV-Beitrag ausarbeiten. Im ersten Schritt absorbieren sie kommunikativ Information und

4Alexander

Paufler: Artikel zum Thema „Change Management“ und den „8 Ingredienzien für Change Management: Values, Leadership-Management, Vision, Creativity, Communication, Empathy, Focus, Accountability“, The Nation, 5., 7., 10., 19., 26., 31. August und 9. September 2009, S. 8 A.

18.2  Staubsauger für neue Ideen

311

Ideen mit Kollegen der verschiedenen Medien (Zeitung, TV, Social Network). Am Ende des Tages muss der Journalist seinen Beitrag für den Abgabetermin in Klausur schreiben. Das geschieht dann zu einem Zeitpunkt, zu dem die Nachrichten strukturiert sind. Journalisten müssen immer an die Realisierung ihrer Publikationsideen denken und an eine kreative Nachrichtenform, um im hart umkämpften Mediengeschäft mit Blick auf Zuschalt- oder Leserquote zu bestehen. • Paul Krugman (Hochschullehrer, Nobelpreisträger in Volkswirtschaft, ­Kolumnist) entwickelte sich vom Professor für Volkswirtschaft zum Kolumnisten und Redner. Es war eine Mischung aus exzellentem kombinatorischem Kopfspiel für den Nobelpreis und Zufall. Zuerst schrieb er eine Kolumne für Slate, dann etwas für Fortune und dann offerierte ihm die New York Times ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte. Diese Offenheit gegenüber neuen Chancen führte zu zwei Kolumnen pro Woche, regelmäßigem Blogging und zum Bestseller-Buchautor.

Denktaktik: Probleme von allen Seiten durchdenken

19

360° – Rundblick

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie: • Achten Sie bei Ihrer Innovation auf Trends und disruptive Innovationen. Eine Kehrtwende entfaltet sich oft in Slow Motion. Denken Sie an die vier Jahreszeiten eines Unternehmens (Startup, Wachstum, Downturn, Turnaround), die Anlass zu Änderungs- und Krisen-Management verlangen. Es gilt, rechtzeitig Downturn und Turnaround zu erkennen und proaktiv Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Selbst robuste Trends können wechseln. Was ein Megatrend war, kann durch disruptive Innovation auf einmal einen Gegenkurs bekommen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_19

313

314

19  Denktaktik: Probleme von allen Seiten durchdenken

• Rundblick mit vielen Augen und unterschiedlichen Perspektiven rundet Ideen ab: Sammeln Sie Kommentare, neue Informationen, Ratschläge und Ideen in Ihrem Netzwerk der Stakeholder, Berater, Freunde und Kollegen für weitere Prüfungen. Die 360˚-Rundschau ist ein wichtiger Realitätscheck und Staubsauger für neue Ideen. • Vorsicht: Sammeln Sie nicht allein mit Herz, Bauchgefühl und Intuition, sondern auch mit Plan, um Auswirkungen der Idee und Innovation zu erfassen. Jedes Gramm Ersparnis bei gleichbleibender Wirkung bedeutet einen kleinen Sieg des Erfinderischen. (Laszlo Moholy-Nagy)1

19.1 „Hey Jony – hier ist mal wieder eine blöde Idee“ Dieser Satz war Steve Jobs Einleitung bei den Brainstorming-Treffen, wenn er mit Apple Chefdesigner Jonathan Ive neue Idee prüfen wollte. Hören Sie sich die Beschreibung dieser kreativen Treffs in Jonathan Ives Rede an.2 Falls Sie eine Change-Idee oder einen drastischen Wandel implementieren wollen, ist es ratsam, alle möglichen und auf den ersten Blick unmöglichen Ergebnisse wie Konsequenzen, Seiteneffekte, Auswirkungen zu erfassen und zu durchdenken. In Japan nimmt man für dieses umsichtige Vorgehen einen Begriff aus der Gärtnersprache: Nemawashi. Das ist die behutsame Freilegung der Wurzeln eines Baumes vor dem Umpflanzen. Der Baum wird ausgegraben, Erdreich sauber von den Wurzeln entfernt und gut verpackt, man lässt den Baum eine Weile sitzen und dann erst pflanzt man ihn wieder ein. Umsichtiges und sorgfältiges Vorbereiten und Abstimmen wird in japanischen Unternehmen demnach Nemawashi genannt. Gewöhnen sie sich die W-Fragen an: Wo, wann, warum, wer, welcher Weg, bis wann, mit wem, was, in welchen Schritten, um Lösungen zu finden? Fangen Sie mit Ihrem vertrauten sozialen Netzwerk online und offline an. Menschen, denen Sie vertrauen, sind vor dem Kick-off schwieriger Aufgaben gute Ratgeber.

1Diesen Satz habe ich 2017 beim Besuch einer Ausstellung mit Designobjekten von Laszlo Moholy-Nagy im Bauhaus Archiv Berlin gefunden und sofort notiert: https://www.bauhaus. de/en/. Bei Produkten, Dienstleistungen und Prozessen kommt es auf jede Kleinigkeit an. 2Jonathan Ives Gedenkrede für Steve Jobs: https://www.youtube.com/watch?v=7hOCyOlTmyM, 24. Oktober 2011.

19.2  Rundblick mit Technik und Tricks

315

Bauen Sie dieses Netzwerk3 innerhalb und außerhalb der Organisation proaktiv auf. Das kann einmal bestes Krisenmanagement sein, aber das ist vor der Krise vorzubereiten. Erhalten Sie sich ein gesundes, aber nicht übertriebenes Misstrauen – auch gegenüber ihren eigenen Ideen und Leistungen, damit sie nicht in die Arnold-Toynbee-Falle geraten.4 Die Falle beschreibt Toynbee als unkritisches Vertrauen in anhaltenden Erfolg. Arbeiten Sie an alten Erfahrungen und Vorurteilen. Eventuell brauchen sie dringend ein Update.

19.2 Rundblick mit Technik und Tricks Nach der Problemdefinition kommt das Ausloten aller Ansichten, Lösungswege und Lösungsideen. Halte einen 360˚-Prüfblick auf die Fragen von allen Seiten und lassen Sie sich nicht in Ihren Fragestellungen limitieren. Stellen Sie auch erste Ideen infrage. So kommen Sie auf neue Ideen. Hilfreich bei der Rundschau sind betriebswirtschaftliche oder psychologische Techniken wie: • • • •

SWOT-Analyse (s. Teil 1, Kap. 5), Entscheidungsmethoden Ihrer Wahl,5 Laterales Denken (s. Teil 1, Kap. 5), Design Thinking (s. Teil 4, Kap. 16).

Ein 360˚-Rundblick mit SWOT-Analyse der Stärken, Schwächen, Chancen und Probleme ist eine erste Ergebnissammlung und kann durch Kosten-Nutzen Vergleich, Mind Map, synektisches Denken und Diskussionen verfeinert werden. Lesen Sie über Gewöhnliches und Ungewöhnliches, sammeln Sie Erfahrung im Experimentieren und auf der Lernkurve mit allem, was Sie machen. Setzen Sie alle ihre fünf Sinne ein – Sehen, Riechen, Tasten, Kosten, Hören – also nicht nur im Büro vor dem PC sitzen. Die fünf Sinne sind treffsicher und wirksam.

3Jeffrey H.

Dyer, Hal B. Gregersen, Clayton Christensen: The Innovator’s DNA, Five „discovery skills“ separate true innovators from the rest of us, HBR Dez. 2009, S. 61–67. 4„Nothing fails like success when you rely on it too much.“ http://www.azquotes.com/ quote/927272. 5Mikael Krogerus, Roman Tschäppler: The Decision Book, Fifty models for strategic thinking, Profile Books 2008.

316

19  Denktaktik: Probleme von allen Seiten durchdenken

Leonardo da Vinci nannte sie: „… die Minister der Seele“.6 Um alle SWOT-Stärken, Schwächen, Opportunitäten und Risiken zu sammeln, praktizieren Sie Denkmethoden wie Edward de Bonos „laterales Denken“, bei dem alle Anwesenden in der gleichen Kategorie denken, um nicht kontraproduktiv zu diskutieren. De Bono verbindet den Begriff der sechs Denkhüte („Thinking Hats“) mit unterschiedlichen Farben. Beim Tragen der gleichen Farbe müssen alle in die gleiche Richtung denken, z. B. bei der Farbe Weiss denken und sammeln alle nur Informationen. Mitglieder eines Brainstorming-Teams müssen zur gleichen Zeit immer die gleichen Hutfarben tragen. Um bei so einem 360˚-Prüfprozess die Unterstützung anderer zu erhalten, ist es ratsam, die emotionale Intelligenz (EI) in den vier Charakteristika zu schärfen:7 • Selbsteinschätzung: Sich der eigenen Schwächen und Stärken bewusst sein. • Selbstmanagement: Sich selbst unter Kontrolle haben und managen im Sinne des japanischen Sprichwortes: „Wutausbruch bedeutet Verlust“ („tanki wa sonki“), aber auch im Sinne von Selbstmotivation. • Einschätzung zwischenmenschlicher Beziehungen: Analyse des Gegenübers mit Empathie hilft bei Problemen. • Management der zwischenmenschlichen Beziehungen: Das ist ein großes Gebiet für Empathie und Versachlichung von Problemen mit Mitarbeitern und Partnern mittels Soft Skills, Case-Studies und Stressmanagement. Bei Ideensammlung mit Rundblick sollten Sie auch an Mitarbeiter denken, die am Rande des Unternehmens arbeiten – außerhalb der Zentrale, als Expat in einem anderen Land, außerhalb der Hauptmärkte mit anderen Konsum- und Kulturtrends. Um Neues zu finden, zahlt es sich immer aus, hinter den Kulissen und abseits vom Offensichtlichen zu suchen. Also schauen Sie nicht nur auf den Chef oder die Hauptperson, sondern auf die nachrangigen Personen, was sie denken und was sie machen. Das ist eine Denkstrategie, die ich in Teil 1, Kap. 3 als Denkstrategie Umwegdenken beschreibe, d. h. „gewitzt darum herum denken, anders denken“. Achten sie bei der 360˚-Rundschau auch auf die in Social Networks publizierten Meinungen, auch wenn die dort geschriebenen Ansichten polarisierend,

6Zitat#59:

http://laubenrung.com/category/verschieden/127-beste-satze-beruhmter-maler.php. Goleman: Working with Emotional Intelligence, Bantam Books 1998; Daniel Goleman: Emotional Intelligence (Google Talks): https://www.youtube.com/watch?v=7lQzYwXA2UM. 7Daniel

19.3  Denke im Kreis und entlang der Geraden

317

subjektiv, nicht ausgewogen oder sogar falsch sind. Es ist wichtig, die Diskussionen auf diesen Websites für neue Ideen zu kennen. Deswegen sollten Sie solche Foren im Internet, auf denen Kunden und am Produkt interessierte Personen ihre Meinungen schreiben, beobachten lassen. Trotz 360˚-Rundschau und Sorgfalt ist es wichtig, die Dinge zum Ende zu bringen und nicht in Klein-Klein und Aufschieben zu versinken. Ich bin kein Freund von den unzähligen und übertrieben detaillierten Time-ManagementHilfsmitteln. Allerdings halte ich viel von der Eisenhower-Matrix8 und von Stephen Coveys Konzept: First Things First.9 Der amerikanische Präsident Eisenhower galt als ein Meister des Zeitmanagements, er hatte die Fähigkeit, alles dann erledigt zu haben, wenn es zeitlich zu erledigen war. Beide Konzepte haben vier Quadranten und geben Anweisung, was zu tun oder was nicht zu tun ist: 1. Nicht wichtig, nicht dringend >>> später erledigen 2. Nicht wichtig, dringend >>> delegieren 3. Wichtig, nicht dringend >>> entscheide, plane, löse selbst 4. Wichtig, dringend >>> sofort selbst erledigen Der vierte Punkt ist Chefsache und Thema für die Führungskraft durch die strategischen und langfristigen Auswirkungen. Kernaussage ist, dass man sich nicht von den vielen unwichtigen, aber dringenden Themen treiben lassen darf. Ziel ist es, das Wichtige zuerst anzupacken und sofort zu lösen. Letztlich reicht eine einfache To-do-Liste mit dem Wichtigsten ganz oben, da wird angefangen, bis es erledigt ist, und dann kommt der nächste Punkt. So einfach und effektiv geht Warren Buffett vor.

19.3 Denke im Kreis und entlang der Geraden In asiatischen Kulturen – insbesondere in China, Japan und Korea – arbeitet man sorgfältig bei neuen Projekten, Neuinvestitionen, Unternehmensgründungen mit 360˚-Rundschau. Richard Nisbett nennt diesen asiatischen Ansatz kreisförmiges Denken im Gegensatz zum westlichen linearen Denken das sich auf das

8Krogerus,

Tschäppler: The Decision Book, Fifty models for strategic thinking, Profile Books 2008, S. 10 f. 9Stephen R. Covey: The 8th Habit, Simon & Schuster 2006, S. 160.

318

19  Denktaktik: Probleme von allen Seiten durchdenken

­ ichtigste oder nur auf einzelne Personen konzentriert und das kann wichtige EleW mente außer Acht lassen.10 Asiaten betrachten das vor ihnen liegende Thema ganz­ heitlich und im Gesamtzusammenhang. Die Beziehung zwischen den Einzelteilen ist wichtig. Um die einzelnen Teile zu verstehen, muss die Gesamtsicht klar sein. Ich habe in zwei verschiedenen japanischen Unternehmen – Beratung und Automobil – gearbeitet und kann dies bestätigen. Bei der japanischen Automobilfirma schrieb man für Besprechungen und Sitzungen alles auf ein A3-Blatt. Dieses wurde vervielfältigt und verteilt. Das an DINA4 gewohnte deutsche Team störte sich an den sperrigen Papierfahnen. Nach langen Diskussionen wurde dann die A3-Darstellung durch A4 ersetzt und als Turnaround-Ergebnis gefeiert. Leider habe ich erst Jahre später das Buch von Nisbett gelesen, der schreibt, dass Japaner gerne die ganze entscheidungsrelevante Information auf einem Blatt vor sich haben wollen. Die A3-Darstellung ist Symbol für die japanische Denkweise und dabei sollte man es aus gutem Grund belassen. Viele Verhaltensweisen sind in Sprache und Schrift begründet. Ein japanischer Kollege sagte einmal: „Wir lesen die Zeitung nicht, sondern wir fühlen die Zeitung durch unsere Schriftzeichen“, die als Piktogramme kleine Bilder darstellen. Die Schriftzeichen lassen sich fühlen und so intensiver als lateinische Buchstaben aufnehmen. Die 1000+ • Einer Innovation tut es gut, wenn man einen Schritt zur 360˚-Rundschau zurücktritt und prüft. Die DNA-Elemente des Erfinders11 beschreiben eine ähnliche Methode mit Fragen, Beobachten, Experimentieren, im Netzwerk Besprechen und Assoziieren. In diesem Ansatz steckt aber auch die Denktaktik, zuerst offen jede neue Information aufzunehmen, um sich dann zum Denken zurückziehen (s. Teil 4, Kap. 18). Der von Jason Taylor und den Behörden initiierte National Marine Park ist so entstanden. Beim Umweltproblem des gefährdeten Korallenriffs dachten sie nicht direkt geradeaus, sondern schauten von allen Seiten. Jason Taylor wurde beauftragt, 1000 Skulpturen zu gestalten und im Ozean in der Nähe von Cancun (Mexiko) zu versenken. Die Position sollte weit abseits vom Korallenriff sein. Diese Skulpturenansammlung schuf eine Unterwasserattraktion weit entfernt vom gefährdeten mesoamerikanischen

10Richard E. Nisbett: The Geography of Thought: How Asians and Westerners Think Differently – and Why, Nicholas Brealey Publishing 2005, S. xiii. 11Jeffrey H. Dyer, Hal B. Gregersen, Clayton Christensen: The Innovator’s DNA, Five „discovery skills“ separate true innovators from the rest of us, HBR Dez. 2009, S. 61–67.

19.3  Denke im Kreis und entlang der Geraden

319

Korallenriff.12 Das war Umweltschutz vor Tauchern, da sich die Taucher jetzt vermehrt auf die Unterwasserskulpturen konzentrieren. Der National Marine Park zieht jährlich rund 750.000 Besucher an. • Die 360˚-Rundschau ist eine der Hauptmethoden von Lucy Kellaway (s. Teil 1, Kap. 3). Sie stellt Themen und Probleme auf den Kopf, sie greift Themen auf und bearbeitet sie genau umgekehrt, als es normale Konventionen vermuten lassen würden. Durch diesen „Umweg-Ansatz“ gestaltete sie ihre Montagskolumne, Interviews und Themen in der FT, bis sie eine zweite Karriere als Lehrerin startete, um einen neuen Blickwinkel und Lebensinhalt zu bekommen. In einem Artikel über den Wimbledon Cup richtete sie den Fokus nicht auf den Champion, sondern auf die Balljungen im Hintergrund des Spielers. Sie schnellen zum Ball, greifen ihn auf und werfen den Ball akkurat zum Spieler, um sofort wieder auf ihre Position zurückzurennen. Kellaways Beobachtung fokussierte dann auf die hohe Motivation und Disziplin dieser Teenager. Dieselben Teenager sind zu Hause aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mit denselben Tugenden beim Aufräumen ihres Zimmers und bei den Hausaufgaben engagiert. Der Denkansatz für den Artikel war außergewöhnlich, weg vom Champion und hin zu den Figuren am Rande des Spielfeldes.13 In einem anderen Artikel mit exzentrischem Ansatz zeigt Lucy Kellaway, wie aus einem Unfall eine Kettenreaktion mit neuen Ideen entstehen kann. Thema ist das Sammelsurium ungewöhnlicher Objekte in den Schubladen ihrer FT-Kollegen.14 Lucy hatte einen Zeh verletzt und suchte nach einem Pflaster. Eine hilfsbereite Kollegin öffnete die Schreibtischschublade und suchte im Wirrwarr von Stiften, Medikamenten, Ketchup, Tasse, Plastikbesteck. Danach öffnete ein sorgfältiger und Detail liebender Kollege seine ordentlich sortierte Schublade mit sauber ausgerichteten Stiften und Nähetui in einem perfekt geordneten Zustand. Solche Schubladen hat wahrscheinlich jeder von uns. Der kleine Unfall löste die journalistische Recherche mit neugierigen Beobachtungen aus. Am Ende beschloss Lucy Kellaway, bei allen Kollegen

12Randal C. Archibold: Sunken Treasure-Trying to protect a reef with an otherworldly diversion, Bangkok Post, Aug. 16, 2012, S 9 (Life); s. die faszinierenden Unterwasseraufnahmen: https://www.google.com/search?q=Jason+Taylor+National+Marine+Park+cancun&safe=active&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ved=0ahUKEwjN1vPw_ vfVAhVE7mMKHXtmCecQsAQIJw&biw=1282&bih=645. 13Lucy Kellaway: Ball boys can help us retrieve the lost art of training, FT, July 2, 2012, S. 12. 14Lucy Kellaway: A rifle through my colleague’s drawers was long overdue, FT, Oct. 1, 2012, S. 14.

320

19  Denktaktik: Probleme von allen Seiten durchdenken

zu recherchieren. Sie schrieb allen eine E-Mail und fragte, was denn in deren Schubladen der seltsamste Gegenstand wäre. Als Gegenleistung veröffentlichte sie ihr eigenes Sammelsurium, wie z. B. die vielen Alkoholika-Geschenke, deren Konsum am Arbeitsplatzverboten ist. • Hinter die Kulissen schauen ist eine gute Methode, um originelle Ideen zu erhalten. Beim Mauerfall in Berlin fotografierten fast alle diesen historischen Moment, vorzugsweise mit dem Motiv glücklich auf der Mauer sitzender und Champagner trinkender Menschen. Mir ist aber auch ein Foto bekannt, auf dem die Mauer von der Ostberliner Seite her aufgenommen wurde (s. Teil 1, Kap. 3). Der Kameramann drehte die Situation und seinen Fokus um. Das Bild zeigt im Vordergrund einen Maschendraht, hinter dem ein Volkspolizist im Halbprofil zuschaut, wie ein Arm durch einen Spalt in der Mauer freundschaftlich ausgestreckt wird. Das Foto wurde mit einem Preis ausgezeichnet. • Ein kanadischer Computerwissenschaftler der Stanford Universität antwortete auf meinem Fragebogen (s. Anhang: Teil 5, Kap. 22: Fragebogen), zu seiner Methode, Ideen zu erhalten: „Die meisten Ideen bekomme ich, wenn ich ein Problem frontal angehe. Ich schaue mir die Herausforderung an, überlege die Designoptionen und notwendigen Kompromisse – erst dann fange ich mit der Optimierung und Feinarbeit an. Die wirklich kreativen Lösungen aber kommen aus der Frustration über die identifizierte Auswahl an Optionen. Plötzlich fällt mir ein völlig anderer Lösungsweg ein. Die Frustration über die ersten Runde an Methoden und Lösungen ist Hauptmotivator, um dann noch kreativer zu werden.“ • Der Autor Gerard Lemos hat in seinem Buch Das Ende des chinesischen Traums15 die Sorgen der Chinesen studiert. Zur Sammlung der Aussagen von Chinesen teilte er keinen Fragebogen aus, sondern stellte an drei verschienenen Stellen der Stadt Chongquing einen sogenannten Wunschbaum auf. Der Wunschbaum stammt aus der jahrtausendalten konfuzianischen Tradition. Der Glaube besteht darin, dass die Zettel, auf die die Wünsche geschrieben werden, wie Blätter von der Erde zum Himmel geweht werden. Vier einfache Fragen waren behördlich zum Aushang genehmigt: Wer bist du? Welches Ereignis veränderte dein Leben? Was ist deine größte Sorge? Was ist dein Wunsch? Ergebnis der kreativen und originellen Umfrage waren dann 1427 blattförmige Karten an den Bäumen mit Antworten der chinesischen Bittsteller.

15Gerard

Lemos: The End of the Chinese Dream, Yale University Press 2012.

19.3  Denke im Kreis und entlang der Geraden

321

• Nehmen Sie sich Zeit zum 360˚-Zweiergespräch mit Kollegen und Mitarbeitern und nicht nur zu Townhallmeetings, wo Ihnen Makrogruppen gegenüberstehen. Persönliche Gespräche haben den größten Mehrwert – so finden Sie Change-Agenten. Ich hatte eine kleine „Auftaurunde“, zu der ich ganz junge Mitarbeiter, die noch nicht Manager waren, eingeladen habe. Der Name war „Tee mit Alex“. Wir sprachen ohne Agenda frei vom Herzen weg und mit der Zeit waren die Zurückhaltung normalisiert und das Gespräch offen und direkt. Einfache Fragen zur Kultur, zu den täglichen Problemen, zu Ideen allgemein und zur nächsten Betriebsfeier öffnen die Augen und bringen neue Ideen zum Nacharbeiten. • Neue Konsumtrends veröffentlichte die Werbeagentur LOWE in Studien ihres Trend-Counsels. Darin weist der Counsel auf die Wiedergeburt des analogen Zeitalters in unserer digitalen Welt hin.16 Die Studie „Analog Update“ zeigt die Zeichen dieses Wandels in der Konsumenteneinstellung und im Konsumentenverhalten auf. Beispiele für diesen Trend sind die Wiedergeburt der analogen Kamera mit Bildentwicklung in der Dunkelkammer, die Popularität der Vinylschallplatte, Folkmusik und analoges Leben trotz Technomusik; Instagram ermöglicht den Ausdruck der Bilder in Polaroidformat und Polaroiddesign; Facebook- und Twitter-Plattformen florieren und trotzdem offerieren beide eine analoge Druckausgabe – fb offeriert das „Book of Fame“ und Twitter das „Twournal“, um alle Postings oder Tweets als analoges Buch gedruckt zu haben. Digitale Produkte integrieren analoge Aspekte wie z. B. den Auslöserklang eines analogen Belichtungsobjektives in der Digitalkamera.

16Lowe Counsel, Zoe Lazarus: Analogue update: The Rebirth of Analogue in a Digital Age, Sommer 2012, S. 25–27.

Botschaften überzeugend und erinnerungsfest gestalten

20

Gefühl bewirkt 100 % Erinnerung

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_20

323

324

20  Botschaften überzeugend und erinnerungsfest gestalten

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie: • Botschaften sollten einfach, glaubwürdig und überzeugend sein und gezielt wiederholt werden, damit sie in Erinnerung bleiben. Diese Erinnerungsqualität nenne ich „erinnerungsfest“. • Emotionalisieren Sie Ihre Botschaft und arbeiten Sie mit der 100-5030  %-Mnemotechnik zur nachhaltigen Erinnerung (vgl. Einführungsabbildung). (Lorenzo Quinn, Sohn des Schauspielers Anthony Quinn, hat die oben abgebildete Skulptur Support entworfen. Der 51-Jährige will mit den Riesenhänden an dem Luxushotel Ca’ Sagredo in Venedig auf den Klimawandel aufmerksam machen, der durch ansteigende Wasserstände auch historische Bauten in der Lagunenstadt gefährde. Quinn hat die Hände eines seiner drei Kinder als Modell genommen. Die Skulptur „soll zu den Leuten auf eine klare, einfache und direkte Art und durch die unschuldigen Hände eines Kindes sprechen“, schreibt er auf Instagram; s. http://www.spiegel.de/reise/ staedte/skulptur-von-lorenzo-quinn-riesenhaende-stuetzen-hotel-a-1147961. html (16.05.2017)). Die Erzeugung von Produktgefühl und Dienstleistungsgefühl in Verbindung mit Sprachgefühl muss Ziel einer guten Unternehmens- und Produktkommunikation sein. Dann bleibt die Botschaft zu 100 % in Erinnerung. Viel Bild und wenig Worte machen erinnerungsfeste Botschaften aus. Aussagen gehören in einen Zusammenhang, der durch Geschichten und zuhörernahe Beispiele die Wellenlänge der Zuhörer trifft. • Kommunizieren Sie innerhalb und außerhalb des Unternehmens mit demselben Wortlaut: „Walk your Talk“, denn Verlässlichkeit sichert Glaubwürdigkeit. Die Kunst der Überzeugung und der Verhandlung beruhen entscheidend auf Glaubwürdigkeit. Verlorene Glaubwürdigkeit zerstört Überzeugungskraft, dabei ist nicht allein der Inhalt von Bedeutung, sondern vielmehr der Sprecher und Zeitpunkt. Ist Glaubwürdigkeit erst einmal verspielt, dann wird mit dem fraglichen Führungsstil auch eine erfolgreiche Karriere fraglich. Wenn Du es nicht in einfachen Worten erklären kannst, verstehst Du es nicht gut genug. (Verfasser unbekannt)1

1Angeblich

fälschlicherweise Albert Einstein zugeschrieben: http://www.wer-weiss-was. de/t/richtiges-zitat-von-albert-einstein/7097681; https://www.spruch-des-tages.org/lebenssprueche/2994-wenn-man-etwas-nicht-einfach-erklaeren-kann-hat-man-es-nicht-verstanden.

20.1  Botschaften verstehen und absichern

325

20.1 Botschaften verstehen und absichern In der Führungskommunikation ist nicht nur klare Absendung der Botschaft wichtig, sondern auch der richtige Empfang beim Gesprächspartner. Leben Sie die Kontrollfrage: „Ist meine Botschaft am Ziel (Stakeholder wie Mitarbeiter, Kollegen, Investoren etc.) angekommen und auch richtig verstanden worden?“ George Bernhard Shaws Kommentar gilt sicher in vielen Situationen des Führungsalltages: „In der Kommunikation ist das mit Abstand größte Problem die Illusion, dass Kommunikation stattgefunden hat“.2 Eine Illusion kann auch sein, dass email immer ankommt. Technische Probleme (Anhang zu groß) oder Eingabefehler (email-Adresse in der Hektik mit „Fat-Finger-Eile“ falsch geschrieben) lauern ständig. Deswegen ist Systematik und Sorgfalt auch bei Kreativität wichtig.3 Nehmen Sie das Akronym SMART als Checkliste für die Verständlichkeit Ihrer Botschaft, dazu sollte die Botschaft folgende Qualitäten besitzen: • • • • •

S pezifisch die Aufgabe beschreiben, M essbares Ergebnis klar ansagen, A kzeptable, machbare Herausforderung darstellen, R elevante Aufgabe sein, T ime Limit (Fertigstellugszeitpunkt) klar angeben.

Aktives Zuhören und Verstehen des Problems sind Grundvoraussetzung, um danach Botschaften (Fragen, Antworten, Anweisungen und Kritik) richtig rüberzubringen. Hier ein oft gehörter, aber leider als abgedroschen empfundener Rat: „Zuhören ist wichtig.“ Erfahrungsgemäß folgen gerade die Falschen diesem Rat. In Talkshows und Meetings wird unhöflich unterbrochen, es geht um lautstarke Durchsetzung und weniger um Überzeugung. Später stelle ich im Text die

2Im

englischen Original: „The single biggest problem in communication is the illusion that it has taken place.“ 3Tom Sachs: Ten Bullets for WSJ, 28. Oktober 2011: „I understand“: https://www.youtube.com/watch?v=bGn84iuBdHw; s. auch Teil 3, Kap. 13, bes. Abschn.  13.5: Die 10 Ordnungsregeln von Tom Sachs.

326

20  Botschaften überzeugend und erinnerungsfest gestalten

Abb. 20.1   Drei Elemente der Zuhörkunst: Ohren, Augen, Herz

verschiedenen Methoden der fairen Überzeugung und Verhandlung dar, um Botschaften fair und erinnerungsfest rüberzubringen. Dr. Dieter Zetsche leitet aus dem Kulturwandel und der digitalen Transformation neues Führungsverhalten ab: „Eine wichtige Erkenntnis aus diesem Prozess ist für mich: Exakte Anweisungen bringen im besten Falle das erwartete Resultat. Aber wenn Mitarbeiter mehr Freiräume bekommen, können Ideen entstehen, die sämtliche Vorstellungen übertreffen.“4

20.1.1 Aktiv Zuhören heißt Zuhören mit Ohr, Auge und Herz Für mich ist das chinesische Schriftzeichen für Hören nicht nur ein interessantes, exotisches Schriftzeichen, sondern eine praktische Checkliste. Die drei Teile des Schriftzeichens: Ohr, Auge und Herz, sollten stets daran erinnern, was gutes Zuhören und was gute Kommunikation ist (Abb. 20.1). Gute Zuhörer setzen diese drei Sinne ein, um verbale Aussagen in Kombination mit der empfangenen Mimik und Gestik zu verstehen und auf Ehrlichkeit zu prüfen. Redner sollten diese drei Aspekte sehr genau beachten:

4Vgl.

die Ausführungen von Dr. Dieter Zetsche im Vorwort, S. V f.

20.1  Botschaften verstehen und absichern

327

• Hörsinn durch variierende Intonation, Lautstärke und Redepausen. • Optischer Eindruck durch Mimik und Gestik. • Herz und Emotion sind zur Erinnerung des Gesagten wichtig. Deshalb sollten Sie die Botschaft in ansprechende Geschichten, Anekdoten, Metaphern oder Witze kleiden. Emotionale Botschaften werden nicht vergessen, sie gehen „unter die Haut“. Bulletpoints und Zahlen sind dagegen schnell aus dem Bewusstsein verschwunden.

20.1.2 Erich Fromm über die Kunst des Zuhörens Der Psychoanalytiker Erich Fromm entwickelte Merkmale wirksamen Zuhörens. An den Anfang stellte er die Beobachtung und das aktive Zuhören, fehlt dieses Verhalten, ist Therapie nicht möglich.5 Psychologische Erkenntnisse sollte wir auch in den alltäglichen Gesprächssituationen anwenden, in denen wir verhandeln, überzeugen oder einen Konflikt beseitigen wollen. Gehen Sie mit diesen Erkenntnissen auch bewusst in ein Sales Pitch vor Investoren oder in die Präsenta­ tion Ihres Businessplanes vor der Kreditabteilung einer Bank: • Erster Schritt ist volle Konzentration mit Fokus auf aktivem Zuhören. Der Sprecher sollte an nichts Wichtiges denken, das ihn vom Gespräch ablenkt. • Empathie ist erfolgsentscheidend. Der Sprecher muss die Erfahrung der anderen Person nachvollziehen, als ob es seine eigene wäre. Die nutzerorientierte Empathie ist auch wichtiger Arbeitsschritt beim Design Thinking (s. Teil 4, Kap. 16). • Aktives Zuhören hilft, den richtigen Ton für die angesprochenen Zuhörer zu treffen. Beachten Sie dabei vier Elemente: – Wahrnehmung (Frage: Ist der Inhalt der Botschaft von beiden Seiten wahrgenommen worden?). – Interpretation (Frage: Ist die Botschaft von beiden Seiten gleich interpretiert worden?). – Bewertung (Frage: Wie haben wir die ausgetauschten Botschaften zu verstehen?). – Reaktion (Frage: Was ist die richtige, respektvolle Reaktion auf die Botschaft?). Das richtige Verhalten: Bleibe ruhig sitzen, höre zu, frage nach und entscheide dann.

5Erich

Fromm: The Art of Listening, Continuum 1998.

328

20  Botschaften überzeugend und erinnerungsfest gestalten

Verständnis und Zuneigung für den Gesprächspartner sind zwei untrennbare Qualitäten. Es ist ein Prozess, der sich im Gehirn abspielt. Allein, die Tür, um alles zu verstehen, bleibt uns oft verschlossen. Verständnis zu gewinnen ist DIE kognitive Herausforderung. Jan Kalbitzer, Facharzt für Psychiatrie an der Charité in Berlin, zitiert den französischen Philosophen Emmanuel Levinas wie folgt: „… die andere Person hat eine Sicht der Welt, die sich grundlegend von meiner eigenen unterscheidet und die ich nie ganz verstehen kann – das ist eine unangenehme Einsicht“.6 Die eigene Perspektive ist nun eben mal subjektiv.

20.2 Analysiere Zuhörer vor der Ansprache Hinterfragen, beobachten und analysieren Sie schon bei der Vorbereitung von Reden und Gesprächen die kommenden Zuhörer. Dasselbe gilt für die Nutzergruppen beim Produkt-, Dienstleistungs- oder Prozess-Design. Mit diesem Vorabwissen gehen Sie schon mit Zuversicht und überzeugender in die Kommunikation: • • • • • • • •

Wer ist meine Zuhörerschaft? Wer ist meine Zielgruppe in der Zuhörerschaft? Welche Altersgruppe habe ich vor mir? Was ist die Verteilung von weiblichen und männlichen Zuhörern? Was sind die Interessen des Publikums? Mit welchem Einstieg zum Thema kann ich die Zuhörer abholen? Welche Unternehmen sind vertreten? Welche Hierarchiegruppen aus Wirtschaft, Politik und Kultur sind vertreten (Topmanagement, Mittelmanagement, Angestellte ohne Führungsverantwortung)? • Welche Berufsgruppen sind vertreten? • Wer stellt Fragen? Diese Vorbereitung ist dann möglich, wenn Sie einer der Redner sind, aber vorher bereits den Ausführungen der Vorredner folgen sowie Fragen und Antworten verfolgen können. Involvieren Sie Zuhörer mit Elementen aus der „Kunst der Überzeugung“ und holen Sie Zuhörer und Gesprächspartner dort ab, wo sie mit ihren Erfahrungen und Sorgen sind. Honorieren Sie die Präsenz der Zuhörer und wählen Sie passende

6Jan

Kalbitzer: Warum wir Vielfalt brauchen, um als Gesellschaft fortzubestehen, FAZ, 30. April 2017, S. 46.

20.2  Analysiere Zuhörer vor der Ansprache

329

Beispiele, damit die Aufmerksamkeitsspanne anhält. Die Rede muss eine Story aus Ihrem Erfahrungsschatz sein mit persönlichen, geschäftlichen Erfahrungen – kein emotionsloser grauer Text. Eine Story lebt – ist die Story gut, dann bleibt der Inhalt haften und inspiriert Ihre Zuhörer. Sprechen Sie ruhig über Ihre eigenen Fehler7 und sprechen Sie dabei beides an – Intellekt und Emotionen – letzteres ist menschlich und wird positiv registriert. Robert Goffees Studien belegen, dass die eigene Persönlichkeit pur und ungeschminkt sein kann. Mitarbeiter und Zuhörer respektieren Echtheit und Individualität beim Vorgesetzten oder Redner. Formloses, unkonformes Verhalten überrascht und erfreut, insbesondere dann, wenn Erfolge trotz gemachter Fehler nachweisbar sind. Es kommt natürlich darauf an, dass Fehler in dem Unternehmen grundsätzlich toleriert werden. Scheitern gehört zum Innovationsprozess, Scheitern ist wertvolle Erfahrung für das nächste Mal.8 Positives Beispiel in dem Zusammenhang ist Richard Branson mit seinen Fehlern und seinem legeren Stil. Kleidung und Auftritt dürfen casual sein, genauso wie lange Haare und Bart als professional akzeptiert werden. Jeder schätzt einen authentischen und glaubwürdigen Boss, Kollegen oder Lehrer. Falls Sie introvertiert sind, nutzen Sie Ihre speziellen Fertigkeiten als Zuhörer und Beobachter. Dabei ist es wichtig, sich in die „Schuhe“ der betroffenen Person einzufühlen. Reden Sie in einfacher, aber animierender Sprache. Nehmen Sie Beispiele aus dem Erfahrungsraum ihrer Zuhörer, dann sind Ihre gesprochenen Inhalte zugänglicher. Erregen Sie in irgendeiner Form immer wieder Aufmerksamkeit; Zuhörer sind schnell gelangweilt. Aufmerksamkeit wird geweckt und verankert eine Botschaft in der Erinnerung, wenn kurze und emotional geladene Geschichten, Anekdoten und Witze den sachlichen Inhalt unterstreichen. Emotionale Botschaften haften viel besser als Zahlen und Fakten. Die von mir oft zitierte Erfahrungsformel besagt: Man erinnert sich an 30 % dessen, was man liest, an 50 % dessen, was man hört, und 100 % dessen, was man fühlt. ­Deswegen speichert unser Gehirn so erstaunlich genau und langfristig gefühlte Sinneswahrnehmungen in Verbindung mit musikalischen Klängen und Gerüchen.

7Robert

Goffee, Gareth Jones: Why should anybody be led by you?, HBSP, 2006, S. 9–28, bes. S. 17 ff. 8Daimler und Benz Stiftung: Der Umgang mit dem Scheitern, Dokumentation des 12. Innovationsforums der Daimler und Benz Stiftung, Hrsg.: Daimler und Benz Stiftung, erschienen August 2015.

330

20  Botschaften überzeugend und erinnerungsfest gestalten

Diese erlebte Situation und Zeit wird im sogenannten episodischen Gedächtnis als eine Art Soundtrack abgelegt.9 Plötzliche Erfahrungen, wie ein Aroma oder Parfüm im Aufzug, ein Musikstück über Lautsprecher im Flughafen oder ein asiatischer Glockenschlag auf einem Meditationskongress, schicken uns auf Zeitreisen in diese erinnerungsfest gewordene Begebenheit. Wissenschaftliche Schätzungen gehen davon aus, dass wir uns nur an eine von 100 empfangenen Informationen erinnern, der Rest wird vom Gehirn ausgefiltert.10 Deswegen ist es so extrem wichtig, in welcher Verpackung wir Botschaften an unsere Zuhörer senden, damit diese erinnerungsfest bleiben.

20.3 Was Botschaften erinnerungsfest macht Bei Botschaften sind richtige Verpackung und richtiges Timing wichtig. Sensible Themen sollten für die Zuhörer gut vorbereitet werden. Es ist nicht sinnvoll, gleich am Anfang mit der Kernbotschaft ins Gespräch zu platzen. Stellen Sie den Gesprächspartner und Zuhörer erst einmal durch interessante Information auf Empfang und merken Sie sich, dass Anfang und Ende der Rede den größten Eindruck hinterlassen. Inhalte in der Mitte der Rede verschwimmen eher. In der Erinnerung bleibt fest, was man am Anfang und Ende gehört hat. Ein Kunde erinnert sich an das erste und letzte Ereignis in einem Showroom auch am Besten. Dies wird als Erst- und Rezenzeffekt des Gedächtnisses bezeichnet („Primacyund Recency-Effekt“). Informationen, die zuerst oder zuletzt eintreffen, sind erinnerungsfest. Deswegen auch der Satz: Du bekommst keine zweite Chance für den ersten Eindruck.11

Situation und Umgebung formen die Erinnerung maßgeblich. So bedient sich die Kommunikation im Büro einer anderen Sprache als in lockeren OffsiteMeetings. Auch Wirtschaftszweige prägen den Stil für die Botschaft. In einer Bank wird förmlicher kommuniziert als in der Fabrik. In der Wirtschaftsprüfung,

9John

Paul Minda: The Psychology of Thinking, SAGE 2015, S. 46 f. Gallagher: Attention and the Focused Life, New York, Penguin, 2009. 11„You never get a second chance to make a first impression.“ (Autor unklar – das Zitat wird vielen zugeschrieben, z. B. William Penn Adair „Will“ Rogers, Harvey Mackay, Oscar Wilde usw.): https://www.goodreads.com/quotes/7515235-you-never-get-a-second-chanceto-make-a-first. 10Winifred

20.3  Was Botschaften erinnerungsfest macht

331

Rechts- und Steuerberatung ist der Ton formeller als in einer Softwarefirma oder in der Startup-Szene. Der Unterschied zwischen Silicon Valley-Unternehmen im Vergleich zur Berliner Startup Szene ist ebenfalls gut zu beachten, wenn die Botschaft ankommen soll. Eröffnen Sie den Beginn und das Ende Ihrer Meetings, Vorträge und Reden mit einer Hookline, wie man im Musikgeschäft eine wiederkehrende einfach musikalische Phrase nennen würde. Wichtige Grundaussagen sollten wiederholt werden. Die Eröffnung und das Ende werden so zu einer prinzipiellen, wiederkehrenden Redewendung. Der römische Senator Cato der Ӓltere beendete jede Rede mit demselben berühmten Satz: „Im übrigen bin ich der Ansicht, dass Karthago zerstört werden muss.“ Dieser rhetorische Redeschluss wurde zu Catos rhetorischem Markenzeichen. Botschaften bleiben im Gedächtnis haften, wenn Sie mit folgenden rhetorischen und visuellen „Duftnoten“ arbeiten: • Wiederholung der Botschaft: Gründe für die Leitlinien, Strategien, ChangeManagement-Projekte. • Häufige Durchsicht von Präsentationen erhöhen die Qualität, auch wenn es nur wenige Minuten sind. Im Unterbewusstsein arbeitet Ihr Gehirn so an der Verbesserung Ihres Vortrages weiter, Ergänzungen fallen uns dabei ein. Ich halte mir den Redaktionsschluss bei Manuskripten so lange wie möglich offen. • Präsentationen sind attraktiv und gewinnen an Klarheit, wenn Sie pro Folie nur ein Bild und minimalen Text verwenden.12 Weitere Ausführungen müssen bei Bedarf natürlich verbal erfolgen. • Verbindung mit allen fünf Sinnen (Geruch, Geschmack, Gehör, Tastsinn, visuelle Eindrücke) erhöht den Erinnerungswert der Botschaft. • Soziale Kontakte zwischen Sender und Empfänger verstärken die Glaubwürdigkeit der Botschaft, weil man einem Freund mehr glaubt. • Lösen Sie Gefühle durch Überraschungen aus, z. B. durch eine berühmte Anekdote aus der Umgebung, in der Sie gerade sprechen. Ihre Botschaft beeindruckt, weil keiner von Ihnen diese Kenntnis erwartet.

12Garr Reynolds: Presentation Zen, 2nd edition, New Riders 2012; Garr Reynolds: Presentation Zen, Talks at Google: https://www.youtube.com/watch?v=DZ2vtQCESpk.

332

20  Botschaften überzeugend und erinnerungsfest gestalten

20.4 Sechs Kommunikationstechniken zur Überzeugung, Verhandlung und Konfliktlösung Management durch Befehl und Kontrolle ist nicht mehr zeitgemäß. Die aufsteigende Generation Y und Z verlangt bedeutungsvolle Inhalte und neue Arbeitsmodelle ohne Bürokratie aber mit Flexibilität und Raum für persönliche kreative Entfaltung.13 Um Konflikte zu vermeiden und Ideen durchzusetzen, ist Überzeugungskraft gefragt. Empathie ist zum Verstehen anders denkender Menschen, anders denkender Generationen (Generation Baby Boomers, Generation X, Y, Z) und anderer Kulturen gefragt. Empathie befähigt dazu, gedanklich in die Schuhe des Gegenübers einzusteigen und tolerant auf Umwegen zu denken. Während der Wahlkampagne zur Präsidentschaft von Bill Clinton konnte man sein empathisches Geschick sehen. In der Wahlveranstaltung fragte eine Frau die Kandidaten George Bush, Bill Clinton and Ross Perot: „Wie hat die Staatsverschuldung Sie persönlich tangiert?“ Während die anderen Kandidaten versucht haben, die Antworten in ihren Unterlagen zu finden, spielte Bill Clinton folgenden Schachzug: Er ging auf die Frau zu, sah sie an und fragte: „Sagen Sie, wie Sie davon betroffen sind.“ Diese einfache Geste zeigte Empathie. Das war der Drehpunkt im Rennen um die US-Präsidentschaft. Die Schlussfolgerung hieraus ist: Verhalten Sie sich authentisch, respektvoll und empathisch, um Glaubwürdigkeit zu gewinnen (s. Carl R. Rogers in Teil 4, Abschn. 20.4.3: Psychologischer Ansatz). Der letzte Abschnitt in meinen Führungsbeispielen dient der Umsetzung und Realisierung innovativer Ideen. Ohne Überzeugung und erfolgreicher Verhandlung bleiben beste Ideen unrealisiert. Viele Unternehmen versagen durch schwache Kommunikation und unterlassenen Follow-up. Es geht nicht um Überredung zum eigenen Vorteil, sondern um den nachhaltigen Gewinn für beide Seiten. Änderungen entsprechen in der Regel nicht dem Willen der Mitarbeiter, Wandel bricht mit liebgewonnen Gewohnheiten und Tagesroutine. Diese Konfliktsituationen ergeben sich beispielsweise bei Unternehmenskäufen, Reorganisationen, Turnaround-Projekten, und Projekten zur Ergebnisverbesserung. Sind Mitarbeiter nicht überzeugt dann unterstützen sie die Änderungen nicht voll, Leistung sinkt und Demotivation, Stress sowie Fluktuation steigen. In allen Situationen des Wandels ist Überzeugung als fester Kommunikationsbestandteil gefragt. Carlos Ghosn, der von Renault zu Nissan geschickte Turnaround-CEO, formuliert die Anforderung so: „Überzeuge die Mitarbeiter davon,

13Vgl.

das Vorwort von Dr. Dieter Zetsche, S. 1.

20.4  Sechs Kommunikationstechniken zur …

333

etwas zu tun, was sie nicht mit Enthusiasmus machen wollen – das gilt besonders in einer Krise.“14 Die Kunst, andere Menschen von einer Idee zu überzeugen, ist notwendig, um die wirtschaftliche Realisierung der eigenen Idee voranzutreiben. In allen Bereichen des Lebens ist diese Kunst notwendig insbesondere in der Kommunikation mit Stakeholdern, u. a. Banken, Investoren, Mitarbeitern, Aufsichtsräten, Gewerkschaften. Die Kunst der Überzeugung ist eine zeitlose Kunst. Sie wird seit der Antike bis zur Gegenwart von herausragenden Denkern studiert. Aus der Fülle möglicher Ansätze habe ich die folgenden Alternativen als auch für heute geeignet ausgewählt: Aristoteles, Carl R. Rogers, Jay A. Congers, Richard G. Shell & Mario Moussa und das Harvard-Modell von Roger Fisher & William Ury. Diese Ansätze müssen nicht 1:1 übernommen werden, sie bieten eher Möglichkeiten zur Entwicklung Ihrer eigenen Methode an. Jeder überzeugt anders.

20.4.1 Mediation – Neutraler Ansatz Jede Methode nimmt andere Blickwinkel ein. Die Methoden lassen sich aber auch mischen, so dass Sie den für sich passenden Mix finden können. Mediation ist eine Kommunikationstechnik, die bereits vor 2500 Jahren in Ägypten und östlichen Kulturen zur Konfliktlösung praktiziert wurde. In Deutschland sitzt ein allparteilicher, neutraler Mediator ohne Entscheidungsbefugnis den Konfliktparteien gegenüber. Mediation will Konflikte strukturiert und vor allem außergerichtlich lösen. Die Mediationsstruktur besteht aus folgenden Schritten: • • • •

Konfliktparteien sprechen freiwillig mit dem Mediator. Konfliktparteien haben eine offene Einstellung zum Mediationsergebnis. Konfliktparteien sind Experten in ihrem beruflichen Fachgebiet. Mediator garantiert Allparteilichkeit als dritte und neutrale Person.

In Deutschland müssen Mediatoren allparteilich agieren. Empfehlungen sollten unterbleiben und den Konfliktparteien lediglich auf dem Weg zur Lösung assistiert werden.15

14Vortrag

von Carlos Ghosn am 30. Juni 2010 an der Graduate Business School SASIN von Chulalongkorn Universität in Thailand. 15Christa D. Schäfer: Einführung in die Mediation, Springer 2017, S. 14.

334

20  Botschaften überzeugend und erinnerungsfest gestalten

Konflikte in der alltäglichen Zusammenarbeit sollten zuerst von der zuständigen Führungskraft aufgegriffen werden. Nur in festgefahrenen Situationen ist die Einbeziehung einer externen Mediation sinnvoll, da die interne Konfliktlösung ein Teil der Führungsverantwortung des Managers ist. Die Führungskraft wird bei einer Mediation sehr genau von allen Parteien beobachtet, ob die Lösung fair ist und als Präzedenzfall gelten kann. Streitmöglichkeiten sind unbegrenzt, u. a. Budgetgröße, Bürolage, Bürogröße, Laborraum, Gewinnverteilung in einer Personengesellschaft, Urheberschaft bei Veröffentlichungen und der Beförderungsprozess. Materiell geht es oft nur um Kleinigkeiten, umso mehr aber um Prestige, Status und organisatorische Macht. Strategie ist stets hitziges Thema. Der CEO will die Fusion, Akquisition oder Übernahme und argumentiert mit Synergien sowie globaler Aufstellung im Markt. Dem gegenüber sorgt sich der CFO um die damit akkumulierten Schulden und die Verschlechterung des Ratings in den Kapitalmärkten. In Organisationen mit weit überdurchschnittlichen Talenten macht es wenig Sinn, mit Rausschmiss oder anderen drastischen Maßnahmen zu drohen, da außergewöhnliche Talente auf dem Arbeitsmarkt umworben sind und problemlos andere Angebote bekommen. Um die Organisation vor negative Auswirkungen durch die Konflikte zu schützen, hilft nur weiche Überzeugung mittels Mediation, „one-on-one“ und mittels einer Topführungskraft.16 In der Managementlehre ist es ein Grundverständnis, dass die Vertreter des Topmanagements als Führungskräfte die Verantwortung haben, Konflikte in der Belegschaft zu schlichten. Dieser allgemeine Auftrag zur Mediation sollte nicht delegiert werden, da der Chef durch seine Anweisungen oft selbst die Konflikte legt. Er gilt als Hüter von Betriebsklima, Unternehmenskultur und Teamgeist. Schon aus diesem Grund ist es für die den Konfliktparteien vorgesetzte und verantwortliche Führungskraft schwierig, als Mediator neutral zu bleiben und keine Empfehlungen auszusprechen. Mediation wird in schwierigem Konfliktbeseitigungsprozess zunehmend härter. Der Mediator neigt durch seine Stellung und durch die Dringlichkeit dazu, den Konflikt schnell durch Empfehlungen zu lösen. Deswegen kann die Mediation im Gespräch der Mediierenden und dem Mediator leicht in einen Überzeugungsprozess kippen, bei dem der Chef die Gesprächsführung übernimmt und Neutralität vergisst.

16Jeswald W. Salacuse: Leading Leaders – How to manage smart, talented, rich and powerful people, Amacom 2006, S. 111–128.

20.4  Sechs Kommunikationstechniken zur …

335

Trotz dieser Gefahr gilt: • Verstehen Sie zuerst die unterschiedlichen Interessen der Streitparteien.17 • Entscheiden Sie, ob hier ein Streitgespräch beurteilt werden muss oder ob eine Mediation angebracht ist. Auch in der amerikanischen Mediation kann der Leader-Mediator, ganz im Gegensatz zum Schlichter und Richter, offiziell keine rechtliche Entscheidung auferlegen.18 Prozess, Kommunikation und Inhalt brauchen die Aufmerksamkeit des Mediators: • Prozess: Zeit und Ort ist für ein Mediationsgespräch festzulegen. Ad hoc Gespräche sind nicht angemessen, nur weil die Streitparteien unangemeldet im Türrahmen stehen. • Kommunikation: Reden, aktiv Zuhören und Fragen ist der Rahmen für Kommunikation. Dies wird durch Paraphrasierung erreicht oder durch Festlegung der Diskussionspunkte nach Priorität. Diskutieren Sie zuerst die leichten Problem bevor schwierige Themen angegangen werden. • Inhalt: Falls die Situation festgefahren ist, kann der Mediator in USA mit ­konkreten Vorschlägen versuchen, das Eis zwischen den Konfliktparteien zu brechen.19 Statements wie das folgende lassen die deutsche Allparteilichkeit vermissen. Der Leader-Mediator hat in USA zwar keine rechtliche, aber eine soziale Macht: „Absolute Neutralität ist nicht wichtig für eine erfolgreiche Mediation. Wichtiger ist es, dass die beiden Konfliktparteien den Mediator in seiner Rolle akzeptieren damit beide mithelfen, den Streit zu schlichten.“20 Die soziale Macht besteht insbesondere in den Maßnahmen, die der Mediator zur Verhaltensänderung der Konfliktparteien einsetzen kann: 1. Belohnung, 2. Druck, 3. Erfahrung, 4. Anweisungsbefugnis, 5. Koalition mit einem erfahreneren Kollegen, der Einfluss auf eine der Konfliktparteien hat.

17Jeswald W. Salacuse: Leading Leaders – How to manage smart, talented, rich and powerful people, Amacom 2006, S. 117. 18Jeswald W. Salacuse: Leading Leaders – How to manage smart, talented, rich and powerful people, Amacom 2006, S. 120. 19Jeswald W. Salacuse: Leading Leaders – How to manage smart, talented, rich and powerful people, Amacom 2006, S. 123. 20Jeswald W. Salacuse: Leading Leaders – How to manage smart, talented, rich and powerful people, Amacom 2006, S. 124.

336

20  Botschaften überzeugend und erinnerungsfest gestalten

20.4.2 Aristoteles – Klassischer Ansatz Aristoteles stellt in seiner Methode, die auf Überzeugung durch öffentliche Reden abzielt, den Charakter des Redners in den Mittelpunkt.21 Er fordert drei Qualitäten für eine durch Charakter überzeugende Rhetorik: • Hohe Intelligenz muss mit gesundem Menschenverstand gepaart sein (Logos). • Ein Signaturtalent muss bis zur Virtuosität entwickelt werden (Pathos). • Goodwill rundet die Überzeugung im Sinne von Wohlwollen ab (Ethos). Wichtig ist, dass Aristoteles mit dem Besitz eines Talentes die Verantwortung zur Virtuosität verbindet. Er fordert, dass man Signaturtalente zu großer Meisterschaft bringen muss und sie dann mit Intelligenz und Goodwill zur Überzeugung einsetzen kann. Beispielhafte Talente wären: Formulierungskunst mit Humor, Sinn für lehrreiche und geistreiche Geschichten, Metaphern und Anekdoten, Brückenschlag mit Empathie zwischen Redner und Publikum. Zur Überzeugung verlangt Aristoteles vom Redner einen glaubwürdigen Charakter. Glaubwürdigkeit ist auch bei den anderen noch folgenden Modellen wichtigstes Kriterium für den Überzeugungserfolg. Jay A. Conger führt Glaubwürdigkeit gleich als ersten Schritt zur erfolgreichen Überzeugung an. Aristoteles lehnt Redner ab, die ausschließlich Emotionen ansprechen. Effektive Rhetorik soll sowohl emotions- als auch sachorientiert sein. Aristoteles hält stichhaltige Argumente für das wichtigste Überzeugungsmittel. Anders als die Rhetorik, die nur mit Worten arbeitet, basiert Logik und Geometrie auf abgesichertem Wissen und auf Methoden, die zur Wahrheit führen. Deswegen stehen bei der Rhetorik die Stilfragen, gelungene Wortwahl sowie geschickte Anordnung der Worte und Redeteile (Sachverhalt und Beweise) im Vordergrund. Wortwahl gilt als gelungen, wenn sie deutlich, angemessen und passend ist.22

21Aristotle: The Art of Rethoric, Penguin Classics 1991, S. 29.; Thomas J. Figueira, T. Corey Brennan, Rachel Hall Sternberg: Wisdom from the Ancients, Perseus Publishing 2001, S. 144. 22Stanley Fish: How to write a sentence and how to read one, Harper 2011, S. 133 ff.

20.4  Sechs Kommunikationstechniken zur …

337

20.4.3 Carl R. Rogers – Psychologischer Ansatz Der Psychologe Carl R. Rogers hatte bei seinen Studien folgende Fragen: Was garantiert ein gutes therapeutisches Verhältnis zwischen Arzt und Patient? Welche Bedingungen müssen existieren?23 Bei seinen Studien fand er folgende entscheidende Werte: • Respekt als Wertschätzung gegenüber dem Patienten.24 • Authentizität als echtes Verhalten gegenüber dem Patienten. • Empathie zur Einfühlung in die Situation und in die Probleme der anderen Person. Ziel ist es, ein besseres Personenverständnis zu bekommen. Die Methode von Carl R. Rogers ist m. E. bei jeder Art von zwischenmenschlicher Kommunikation – privat wie geschäftlich – anwendbar. Das von Roger empfohlene Verhalten zeichnet sich durch einen großen Respekt vor seinem Gegenüber aus und zwar so, wie diese Person eben als Person ist. Diese Einstellung beschreibt er mit folgenden poetischen Worten: „Die beste Erfahrung habe ich, wenn ich die Person wie einen Sonnenuntergang betrachte. Erlebe ich einen Sonnenuntergang, sage ich nicht: Das Orangerot sollte am rechten Rand etwas weniger sein und bitte etwas mehr Purpurrot am Boden und mehr Pink in der Wolke … Nein – ich versuche erst gar nicht, den Sonnenuntergang zu bestimmen. Ich betrachte ihn mit Ehrfurcht so, wie er ist.“ Über die Jahre stellte sich heraus, dass Empathie beim Herbeiführen von Änderungen und im Lernprozess herausragend wichtig ist. Die Bedeutung in der Kommunikation ist Präsenz beim Zuhören, ohne dass eine Meinung geäußert wird. Dies gilt besonders für Personalgespräche, aber auch für Interviews mit Presse oder mit Bewerbern, Verkaufsgespräche, Mediation bei Konfliktgesprächen, Überzeugungsgesprächen bei Change Management und Projektarbeit. Empathie ist für emotionelle Intelligenz und das „Lesen von Menschen“ bei Verhandlungen wichtig: Verstehe deinen Feind oder Opponenten, bevor Du angreifst. Quellen wie The Art of War25 oder A Book of Five Rings26 ­gelten

23Carl R.

Rogers: A Way of Being, Mariner Books 1995, S. 159 f. Schweitzer: What are your tips for successful negotiations?, https://www.youtube.com/watch?v=LryzC1J_Nqk. 25Sun Tzu: The Art of War, Shambhala 1988; SunTzu: The Art of War, Chartwell Books, 2012. 26Miyamoto Musashi: A Book for Five Rings, The Overlook Press 1974. 24Maurice

338

20  Botschaften überzeugend und erinnerungsfest gestalten

deswegen bei asiatischen Geschäftsleuten als Klassiker für Strategie und Verhandlung.27 Als ich 1987 nach Japan kam, waren das die ersten Buchempfehlungen an mich. Rogers sieht in neuen Ideen und Innovation den Menschen auf dem Weg zur Selbstverwirklichung. Er sieht bei der idealen Selbstverwirklichung fünf Merkmale, über die eine voll zufriedene und robust im Leben stehende Person verfügt. Die Person ist anpassungsfähig, im seelischen Gleichgewicht und interessant zu kennen. Diese sich selbstverwirklichende Person ist: • neuen Erfahrungen gegenüber offen. Sie erfreut sich an positiven Emotionen, akzeptiert aber auch negative Emotionen, die sie nicht ablehnt, sondern sie setzt sich mit ihnen auseinander. • lebensbejahend. Das zeigt sich darin, dass sie zu den unterschiedlichen Lebenserfahrungen einen echten Bezug hat. Sie nimmt Lebenserfahrungen, wie sie kommen, und vermeidet Vorurteile genauso wie voreilige Unterstellungen. Wichtig ist es, in der Gegenwart zu leben und nicht ständig in den Rückspiegel oder allzu weit in die Zukunft zu schauen. • vertrauensfähig. Sie vertraut auf ihre Gefühle, Instinkte und achtet auf ihren Bauchverstand. • kreativ. Sie denkt kreativ und stellt sich auch auf riskante Entscheidungen ein. Sie denkt nicht immer an Sicherheit, sondern riskiert auch mal was. Sie kann sich anpassen und verändern. • erfüllt in ihrem Leben. Die Suche nach neuen Herausforderungen sowie neuen Erfahrungen bringt ihr Glück und Zufriedenheit. Bei einem Vortrag im Tokyo American Club beobachtete ich, wie der General der US-Pazifikflotte bewusst oder unbewusst der Drei-Punkte-Methode von Carl R. Rogers (Respekt, Authentizität, Empathie) folgte. Respekt demonstrierte der General bei Fragen und Antworten: Egal, wer eine Frage stellte, reagierte er stets mit einem klar hörbaren „YES SIR“. Das ist sicher eine militärische Regel, aber es ist gut, Respekt zu zeigen, das wertet den Gesprächspartner oder Zuhörer auf und senkt Aversionen. Der respektvolle Auftritt des Generals der US-Pazifikflotte, der ein Budget von mehreren Milliarden Dollar verantwortete, wurde durch seine Bescheidenheit unterstrichen. Authentizität erkannten die Zuhörer in den Zahlen seiner Präsentation: Trotz aller Bescheidenheit steht hier ein Mann, der ein Milliarden-Dollar-Budget zu verantworten hat. Bei Fragen wandte er sich stets direkt dem Fragenden mit Augenkontakt zu. Als Zuhörer fühlte man seine Empathie. 27Robert M. March: The Japanese Negotiator – Subtlety and Strategy Beyond Western Logic, Kodansha 1988.

20.4  Sechs Kommunikationstechniken zur …

339

20.4.4 Jay A. Conger – Managementansatz Nach der Conger-Methode28 muss der Vortragende auf der Seite des Zuhörers vier Hürden überwinden. Dabei arbeitet er mit Persönlichkeitsmerkmalen und Präsentationsfertigkeiten: • Etabliere Glaubwürdigkeit: Jeder Auftritt muss glaubwürdig sein. Das ist möglich durch Erfahrung, Expertise, Seniorität und ein weites soziales Netzwerk, das für Anerkennung steht. Expertise kann aber auch von externen Beratern, Wissenschaftlern und Studien kommen, die den eigenen Vorschlag untermauern. Vertrauensbildenden Maßnahmen sind bei Conger die Grundvoraussetzung im Überzeugungsprozess. Zur Überzeugung von wichtigen Geschäftspartnern – wie z. B. unabhängigen Autohändlern – von einer neuen Strategie ist neben Meetings im großen Kreis das kleine private „One-on-one“Gespräch ratsam. Mit jedem Händler sollte er persönlich die Auswirkung auf den speziellen Händlerfall durchsprechen. Glaubwürdigkeit wird durch das tägliche „Walk your talk“ erworben. Gelegenheiten dazu gibt es in Mitarbeitergesprächen, durch Rundschreiben, in Townhall-Meetings, in Offsite-Workshops. • Bringen Sie Ziele in einen Gesamtzusammenhang: Präsentieren Sie Ihre Ideen und Forderungen in Zusammenhang mit den Zuhörern. Dazu ist es wichtig, seine Zuhörer zu kennen und sie dort abzuholen, wo sie meinungsund gefühlsmäßig mit ihrer Position stehen. Sammeln Sie vorher – wie oben dargestellt – gemeinsame Berührungspunkte. Diese Informationen sind gut für den Empathieprozess und der Vortrag lässt sich besser steuern. • Überzeugen Sie mit lebhaften und unwiderstehlichen Beispielen: Ein­ drucksvolle, farbige Darstellungen sind als Beispiele in der Beweisführung gefragt. Erinnerungsfest sind auch – wie mehrfach angeführt – lebendige Geschichten und Anekdoten, dagegen vergisst man Zahlen und Bulletpoints schnell. • Emotionale Brücke: Bauen Sie durch die Präsentation eine emotionale Brücke zum Zuhörer, indem Sie mit emotionalen Darstellungen arbeiten. Wie oben gesagt, erinnert man sich zu 100 % an das, was gefühlt wird. Congers Ansatz ist pragmatisch, praktisch und klar. Seine vier Elemente (Credibility, Framing, Vivid Evidence, Emotional Connect) stellen eine gute Checkliste für den Aufbau von Reden, Meetings und sonstigen Kommunikationsprozessen dar.

28Jay A.

Conger: The Necessary Art of Persuasion, HBR, May-June, 1998, S. 84–95.

340

20  Botschaften überzeugend und erinnerungsfest gestalten

20.4.5 Richard Shell & Mario Moussa – Rollenansatz Nach der Shell-Moussa-Methode29 können sechs unterschiedliche Rollen beim Überzeugungsvorgang eingenommen werden: • Beidseitiges Interesse Man wirbt für seine Sache unter Einbeziehung der Interessen des Gegenübers. Beispiel: Ich frage im Flugzeug, ob ich und mein Freund die zwei Plätze nebeneinander benutzen können und ob die derzeitige Sitzinhaberin mit uns tauschen würde. Worauf sie geschickt antwortet: „Gerne, wenn einer von Ihnen mir hilft, mein Gepäck in das Fach zu heben. • Autorität Überzeugung ist nicht notwendig, wenn Sie durch eine logisch zwingende Anordnung erreicht wird. Beispiel: Der Pilot schaltet die Anzeige „Bitte Anschnallen“ ein. Wir schnallen uns zur möglichen Gefahrenabwendung sofort und ohne Diskussion an. In einem Unternehmen werden „Top down“-Anweisungen heute nicht mehr stillschweigend akzeptiert; nicht von der Generation Y oder von herausragenden Talenten in der Belegschaft. Psychologische Tests an der Yale Universität fanden aber heraus, dass 60 % der Menschen „Top down“-Anweisungen befolgen, wenn die Anweisungen nachdrücklich, glaubwürdig und mit hierarchischer Autorität durchgeführt werden.30 • Politik Politik gilt als die Kunst des Machbaren und das hängt sehr von der Unterstützung ab, die man von anderen zur Durchsetzung der eigenen Sache bekommt. Beispiel: Wir sind mit der Temperatur im Sitzungssaal nicht zufrieden – es ist zu heiß. Nach einer beiläufigen, informellen Frage an umsitzende Kollegen hat man eine Koalition gebildet und kann mit Nachdruck der für die Veranstaltung zuständigen Person sagen: „Es ist sehr heiß hier im Raum – wir würden gerne eine kühlere Temperatur haben.“ • Vernunft Wenn Zuhörer willens sind, logischen Argumenten zu folgen, hat die Methode der Überzeugung mit vernünftigen Argumenten auch Erfolg. Vernunft ist

29G. Richard

Shell, Mario Moussa: The Art of WOO, Using Strategic Persuasion To Sell Your Ideas, Penguin 2008, S. 32 ff. 30G. Richard Shell, Mario Moussa: The Art of WOO, Using Strategic Persuasion To Sell Your Ideas, Penguin 2008, S. 34.

20.4  Sechs Kommunikationstechniken zur …





341

aber zumindest unterschwellig mit Emotion gepaart und nicht allein entscheidend. In diesem Mischfall muss man sich etwas Kreatives einfallen lassen. Beispiel: Auch Tom Watson, der legendäre IBM-Präsident, konnte mit seiner Plakette „THINK“ auf jedem Schreibtisch nicht Rationalität diktieren. Die Wenigsten folgen den Erklärungen von Sicherheitsmaßnahmen zu Nichtrauchen, Schwimmwesten und Notausgängen vor dem Flugzeugstart. Zu oft hat man schon die immer gleichen Ansagen gehört, aber nie wurde von einem Überlebenden aufgrund der Schwimmweste berichtet. Airlines gehen jetzt zunehmend zu originellen Sicherheitsdurchsagen über, um die notwendige Aufmerksamkeit zu erhalten.31 Inspiration, Gefühl und Vision Hier greift wieder die 100-50-30 %-Mnemotechnik. Beim Überzeugungsprozess sind emotionale Mittel stärker als Zahlen und Bullet-Points. Wirkungsvoller als jede Logik und Vernunft sind Geschichten und lokal bekannte Anekdoten. Deswegen habe ich in Asien meine Reden nie mit einem internationalen Witz begonnen, den in der Regel keiner versteht, sondern mit einer Geschichte oder mit einem bekannten Sprichwort aus der Umgebung möglichst in der Landessprache. Dies entspricht auch nach der Conger-Methode der Forderung nach lebhafter, farbiger Darstellung des Themas. Zwischenmenschliche Beziehung Die Beziehungsrolle ist für den Überzeugungsaspekt sehr wirkungsstark. Wenn ich wieß, dass ein Großteil der Zuhörer auf meiner Seite steht, dann ist Überzeugung gelassener vorzustellen. Ich finde bereits Glaubwürdigkeit im Auditorium und weiß, dass Menschen leichter „Ja“ sagen, wenn sie jemanden kennen oder sympathisch finden. Bei einer ersten Ansprache muss ich mir diese Bereitschaft der Zuhörer noch erarbeiten. Deshalb lasse ich mir bei Erstauftritten eine Namensliste geben. Aus der Liste versuche ich, eine Struktur abzulesen, wie z. B. Verteilung der männlichen und weiblichen Teilnehmer, Industriezweige, Ausländer zu Inländer, bekannte zu unbekannten Teilnehmern, Hierarchien und was sonst noch als Muster auffallen könnte. Vor wichtigen Erstmeetings ist es auch hilfreich, ein Bild des Gesprächspartners unserem limbischen System für ein Scan vorzulegen. Das limbische System beurteilt in Millisekunden und bekommt noch einen Beurteilungsvorsprung durch das Bild vor dem ersten Meeting. In Thailand war es immer hilfreich und interessant beim Warten, die Organigramme mit Fotos der Führungskräfte anzusehen.

31Gewitzte

Flugzeugdurchsagen: https://www.youtube.com/watch?v=prijiHW_8fg. Diese YouTube-Videos können eventuell vom Internet gelöscht werden, Alternativen sind aber mit dem Stichwort leicht zu finden.

342

20  Botschaften überzeugend und erinnerungsfest gestalten

20.4.6 Roger Fisher & William Ury – Harvard-Ansatz Die grundsätzliche Frage in jeder Verhandlung ist: Wie komme ich zu einem „Ja“? In den 80er-Jahren wurde diese Frage von Roger Fisher und William Ury im Rahmen des Harvard Negotiation-Projektes erforscht.32 Diese Harvard-Methode lebt von der Sachbezogenheit des Verhandelns und der starken Ablehnung der Schnäppchen-Methode. Fünf Prinzipien haben sich bei dem Projekt herauskristallisiert. Das Leitmotiv dieser Prinzipien ist: „Hart in der Sache, aber verbindlich und sanft im Umgang mit den betroffenen Personen“:

20.4.6.1 Feilschen und auf einer Position beharren ist hinderlich Die Beschränkung auf eine harte Position (z. B. nur Preis) resultiert in marginales Feilschen. Jede Verhandlungspartei (Käufer/Verkäufer) verlangt einen niedrigeren/höheren Preis, mehr/weniger Menge oder mehr/weniger Kostenübernahme. Je mehr Vertragsparteien involviert sind, desto komplizierter wird dieses Feilschen. • Zerstören Sie keine guten zwischenmenschlichen Beziehungen durch emotional geladenes, hartes Feilschen. Aber machen Sie sich auch nicht als „nice guy“ kleiner. Das englische „nice guy“ ist kein Kompliment. • Entwerfen Sie eine Verhandlungsstruktur und fokussieren Sie sich dabei aufs Problem und nicht auf die Personen.

20.4.6.2 Trennung von menschlicher Beziehungsebene und Sachproblem Menschen tendieren dazu, Sachprobleme mit persönlichen Gefühlen zu vermischen. • Fokussieren Sie den Ablauf auf gemeinsame Probleme und vermeiden Sie jeglichen Streit mit den Verhandlungspartnern. • Schaffen Sie Vertrauen für gegenseitiges Verständnis und Respekt. Zu vermeiden sind Frustration, Ärger, Angst und Feinseligkeit. Deswegen am besten schwierige Punkte an den Schluss schieben Gesichtswahrung sicherstellen.

32Roger

Fisher, William Ury: Getting to YES – Negotiating Agreement Without Giving In, Penguin 1981; https://www.berufsstrategie.de/bewerbung-karriere-soft-skills/konfliktloesung-harvard-konzept-methode.php; Centre Europeen de la Negociation: Harvard Method of Negotiation, http://cefne.com/en/harvard-method-negotiation.

20.4  Sechs Kommunikationstechniken zur …

343

• Vermeiden Sie Missverständnisse, die leicht zu verhandlungsstörenden, negativen Urteilen führen können. Gefragt sind klare Kommunikation, angemessene Gefühle sowie ein positiver, zweckorientierter Ausblick.

20.4.6.3 Vielfältiges Interesse in den Mittelpunkt stellen Jede Verhandlungspartei hat viele Interessen, manche sind offen und manche sind unausgesprochen. Die Gefahr ist, dass jeder nur auf seiner Position beharrt, sodass der Stärkere eine Win-Loose-Situation erreicht und der Verlierer keine zufriedenstellende Lösung. • Fokussieren Sie auf die Interessen der Parteien und nicht auf die Positionen. • Mit Empathie sind unausgesprochene und gemeinsame Interessen zu finden. • Finden Sie die Interessen der hinter den Verhandlungspartnern stehenden Entscheidungsträger heraus. Das ist beispielsweise eine Herausforderung in Japan, da dort die Entscheidungsträger für das letzte Wort im Hintergrund bleiben und die jungen Mitarbeiter die Verhandlung führen lassen.

20.4.6.4 Entwicklung verschiedener Alternativen zur Auswahl vor der Entscheidung Die hier dargestellten Denkstrategien und Denktaktiken helfen, neue Optionen durch Einsatz der Kreativitätsmethoden zu finden. Eine flexible „Sowohl-alsauch-Haltung“ ist konstruktiver für die Einigung als ein „Entweder-Oder“. • Generieren Sie eine Vielfalt und Breite an Ideen und Optionen, sodass gemeinsame Interessen abgedeckt werden können. Denken Sie auf Umwegen, durch Umformung und Integration, auch wenn Ideen gegensätzlich sind. • Generieren Sie viele Ideen mit den Denkstrategien und Denktaktiken. Akzeptieren Sie erst einmal jede Idee und bewerten Sie nicht gleich, damit keine Idee durch Aussonderung verloren geht. • Bilden Sie die Ideen vor dem Verhandlungstermin zur Vorbereitung aber auch während des Meetings zusammen mit der Gegenpartei.

20.4.6.5 Entscheidung auf der Basis objektiver Kriterien Objektive Kriterienerhöhen die Akzeptanz der Entscheidung. Beispiele für objektive Kriterien sind Gutachten, nachvollziehbare Kosten, Präzedenzfälle, Entwicklung von Vergangenheitswerten, aktuelle Marktwerte, öffentlich rechtliche Bewertungen des Gerichts. Bestehen Sie zur sachlichen Diskussion auf objektiven und fairen Kriterien. Frage: Gibt es zu einem speziellen Problem eine

344

20  Botschaften überzeugend und erinnerungsfest gestalten

besondere Studie und Methode für Berechnungen und Bewertungen? Ein Beispiel ist die MIT-Formel zur Wertbestimmung von Rechten bei Tiefseebohrungen.33 Entscheidungen sind überall notwendig, wo Vielfalt herrscht und damit Optionen bestehen. Das gilt auch bei Optionen in Verhandlungen. Wie an den sechs Führungsbeispielen oben zu sehen ist, hat jede Persönlichkeit ihre besondere Erfolgsmethode. Jeder kann für sich entscheiden: Was ist meine Erfolgsmethode? Ohne die überzeugend dargestellte Entscheidungen gibt es kein Ergebnis,34 deswegen hier Tipps für eine kreative und überzeugend eingeleitete Entscheidung: • Als Führungskraft muss man Entscheidungsnotwendigkeiten erkennen und fragen, ob ein anderer die Entscheidung besser machen würde als man selbst. • Es gilt, den Entscheidungsträger zu wählen, der näher am Geschehen ist und der das Wissen, die Erfahrung und die Wertschätzung für diese Entscheidung besitzt. • Der gewählte Entscheidungsträger muss in der Lage sein, Rat und Informationen aus vielen Quellen aufzunehmen und daraus Alternativen entwickeln. • Horizont, Perspektiven sowie die Anzahl der Ratgeber müssen erweitert werden. • Die Entscheidungsqualität hängt von der Anzahl der Optionen und deren Qualität ab. • Bei einer Entscheidung mit unterschiedlichen Optionen den Sie auch „Warum nicht beides?“ und nicht nur „Entweder-oder“. Denken Sie integrierend: „Ja – warum eigentlich nicht?“ • Der Entscheidungsträger muss entscheiden dürfen und seine Entscheidung muss vom Vorgesetzten respektiert werden. • Überprüfen Sie stets Ihre Vorurteile und Emotionen mithilfe von Fakten, sodass die Entscheidungen auf dem Boden der Tatsachen und nicht der Vorurteile basieren. • Seien Sie darauf gefasst, dass sich eine Entscheidung falsch entwickeln kann. In der unberechenbaren Weltsituation ist die Wahrscheinlichkeit groß, von einem Schwarzen Schwan überrascht zu werden.35

33Roger

Fisher, William Ury: Getting to YES – Negotiating Agreement Without Giving In, Penguin 1981, S. 84. 34Melanie Billings-Yun: Beyond Dealmaking, Jossey-Bass 2010, S. 65, 137–140. 35Mikael Krogerus, Roman Tschäppler: The Decision Book, siehe hier: The Black Swan Model, S. 112 f.

20.5  Abschließende Erfolgsrezepte von Richard Branson …

345

20.5 Abschließende Erfolgsrezepte von Richard Branson, Bill Gates, Steve Jobs, Warren Buffett und eigene Regeln Führungsköpfe überzeugen durch eine zu ihnen passende Denkstrategie mit dem dazu passenden Verhalten. Beides führt zur Bildung eines persönlichen Profils und damit zur CEO-Brand. Statements von profilierten Führungskräften sind praktische Beispiel für Kommunikation, dabei gilt, dass es nicht so entscheidend ist, was gesagt wird, sondern, wer es sagt. Leider gibt es kaum deutsche oder europäische Unternehmer, außer Richard Branson, die ihre 10 Top Führungszutaten publizieren. Aber es ist sowieso besser, wenn Sie Ihre eigene Top Ten überlegen. Viele Aussagen, die als Führungsweisheiten aufgeführt werden, sind gesunder Menschenverstand, wie z. B. Glaubwürdigkeit. Sie ist immer auf dem Prüfstand, wenn eine Story innerhalb und außerhalb des Unternehmens kreist. Falls sich beide Versionen nicht decken, entsteht ein unglaubwürdiges Profil und die Leadership-Brand ist schnell zerstört. CEO und CFO sind bevorzugte Gesprächspartner für Finanzanalysten, Investoren und Journalisten. Beide formen das Unternehmensimage maßgeblich. Der CEO ist nicht allein ausschlaggebend, aber er ist Kern der Unternehmensführung, die auch das Vorstellungsbild des Arbeitgebers prägt.36 Im „War for Talents“ und im „War for Support“ bei allen Stakeholdern gestaltet das Führungsteam die Unternehmensattraktivität mit Aussagen über Unternehmensentwicklung, Produkte und Dienstleistungen. Das erfordert überlegte Kommunikation intern wie extern, die stimmig und glaubwürdig ist. Die jeweils zehn Verhaltensformen internationaler Persönlichkeiten, Unternehmer und Redner offerieren Beispiele. Sie können Verhaltensweisen auswählen, die Sie als nachahmenswert ansehen. Wählen Sie für sich zehn Erfolgsregeln als persönliches Profil. Ein morgendlicher Blick auf diese Liste gibt Denkanstöße. Wenn Sie die propagierten Erfolgsregeln mit der Person vergleichen und Sie diese Person etwas kennen, kann durchaus die eine oder andere Regel unglaubwürdig erscheinen. Beispiel: „Machs nicht des Geldes wegen“ klingt nicht glaubwürdig, wenn der Autor dem Geld nachjagt. Genauso wenig überzeugt: „Kenne die Details“, wenn bekannt ist, dass die Person eher die Vogelperspektive und Twitter statt detaillierten Briefings bevorzugt. Profile enthalten oft Wunschqualitäten zu PR-Zwecken, um ein imposantes Idealbild vorzuspielen.

36Manfred

Bruhn und Verena Batt: Employer Branding – Markenführung zur Stärkung der Arbeitgeberattraktivität, WiSt, Heft 10, Oktober 2015, S. 538–547.

346

20  Botschaften überzeugend und erinnerungsfest gestalten

20.5.1 Richard Branson Richard Branson’s Top 10 Erfolgsregeln: https://www.youtube.com/watch?v=i3fQqUs5WSQ&0B9B92DC3EC53F2E5A2F67580E58A544=. https://www.youtube.com/watch?v=R_MkJseoGGI. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Mach Dinge so simpel wie möglich. Einfach mal versuchen. Sei ein Leader – Höre zu, motiviere und lobe deine Mitarbeiter. Nicht aufgeben, dran bleiben. Delegiere als Entrepreneur an deine besseren Mitarbeiter. Behandele Menschen gut und fair. Mische Dinge auf (Themen, Sachverhalte, Probleme, Herausforderungen). Menschen sind skeptisch (Überzeuge mit guten Argumenten und Empathie). Beeinflusse das Leben anderer positiv (Die meisten Menschen vergessen das nicht). 10. Mach Dinge andersartig (Positionierung mit originellen und einzigartigen Ideen).

20.5.2 Bill Gates Bill Gates’s Top 10 Erfolgsregeln: https://www.youtube.com/watch?v=wq-gba5nMrc. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

Erhalte dir deine Energie. Sei kontrovers, inspiriere, provoziere – sei einfach anders. Arbeite hart, aber arrangiere Zeit für Think Weeks ohne Unterbrechungen. Arbeite an der Zukunft mit Innovationen. Genieße, was du jeden Tag machst. Spiele Bridge. Frag um Rat, damit du „Blind Spots“ erkennst. Rekrutiere gute Partner und Mitarbeiter. Schiebe nichts bis zum letzten Moment auf. Sei humorvoll.

20.5  Abschließende Erfolgsrezepte von Richard Branson …

347

20.5.3 Steve Jobs Steve Jobs’s Top 10 Erfolgsregeln: https://www.youtube.com/watch?v=eHzAtxW3TzY. https://www.youtube.com/watch?v= ZDYGogxH3hw&0B9B92DC3EC53F2E5A2F67580E58A544=. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

Lebe kein Leben mit Limits. Mache alles mit Leidenschaft, damit du nicht aufgibst. Mache das Design, als ob es für dich wäre. Verkaufe keinen Mist – don’t sell crap. Baue ein großartiges Team mit einer Vision. Mach’s nicht wegen des Geldes. Sei stolz auf deine Produkte. Produziere kundenzentriert. Im Marketing geht es um Werte. Zusammenfassend: Bleib hungrig, bleib töricht.

20.5.4 Warren Buffett Warren Buffett’s Top 10 Erfolgsregeln: https://www.youtube.com/watch?v=iEgu6p_frmE. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

Finde deine Passion, deine Leidenschaft. Finde sehr gute Mitarbeiter. Kümmer dich nicht darum was andere denken. Lese, lese, lese. Baue Sicherheitsmargen ein. Sorge für Wettbewerbsvorteile als Schutzwall. Verplane die Zeit deinem Stil entsprechend. Sei wettbewerbsfreudig, nicht selbstzufrieden. Kopiere Vorbilder. Schenke vorbehaltlos Liebe.

348

20  Botschaften überzeugend und erinnerungsfest gestalten

20.5.5 Was sind Ihre Erfolgs- und Signifikanzregeln? Stellen Sie für sich Ihre eigenen 10 Erfolgsregeln zusammen – „alles ist möglich“. Verwenden Sie das bisher Gelesene. Einen ersten Entwurf könnten Sie sich aus den oben dargestellten Beispielen zusammenstellen oder aus ähnlichen Merkmalslisten erfolgreicher Menschen: 1. Stellen Sie Vereinfachung in allen Fragen an erste Stelle (KISS-Prinzip).37 2. Bauen Sie Ihr Signaturtalent zur Virtuosität aus (Aristoteles-Prinzip).38 3. Verbrauchen Sie Ihre Zeitressourcen passend zur Persönlichkeit und zum Signaturtalent. 4. Inputvielfalt durch lesen, zuhören, beobachten, fragen, experimentieren und nachdenken generiert neue Ideen: „Milch kommt beim Grasen“. 5. Experimentieren und suchen Sie nach neuen Methoden = Umwegdenken. 6. Gehen Sie neue Wege und unterscheiden sich von anderen = Vielfaltdenken. 7. Überarbeiten Sie alte Schlussfolgerungen und Ergebnisse ständig = Umformdenken. 8. Vereinen Sie Gegensätze zu Innovationen = Integrationsdenken. 9. Geben Sie nie auf: Durchbeißen, umsetzen, hinfallen, aufstehen = Entrepreneurship. 10. Bleiben Sie hungrig und kreativ. Daran anschließend könnten Sie gleich für Ihre zweite Karriere nach der Pensionierung eine 10 Punkteliste schreiben. Je früher, desto besser ist so eine Vorbereitung. Wie ich in Teil 1, Kap. 1, bes. in Abschn. 1.2.2.5 Lebensabschnitt zum Anpassen bereits ausgeführt habe, stellte Kareem Abdul-Jabbar, der legendäre National-Basketballspieler der Los Angeles Lakers, drei goldene Regeln für die Zeit nach der aktiven Erwerbstätigkeit auf. Die Regel 2 könnte Richtschnur für ein „Signifikanzset“ mit 10 Regeln sein. Regel 2 heißt: „Bisher war deine Karriere erfolgreich, jetzt mache dein Leben signifikant.“ Als Idee könnten Sie aus der Erfolgsliste die erstrebenswerten Werte und Ziele entnehmen und dann durch Umformdenken die Signifikanz Top 5 oder Top 10 entwickeln:

37„Keep

it simple, stupid.“ s. Teil 1, Kap. 1, hier: Vereinfachung als eine der Methoden zum Entstressen. 38Vgl. die Ausführungen zur Kunst der Überzeugung nach Aristoteles Teil 4, Kap. 20, hier: Abschn. 20.4.2 Aristoteles – Klassischer Ansatz.

20.5  Abschließende Erfolgsrezepte von Richard Branson …

349

Abb. 20.2   Abstrakte Begriffe visualisiert: Goldenes Telefon für ‚Kundenbeziehung‘, weiße Handschuhe für ‚Service‘

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

Einfachheit (Entrümpeln) Virtuosität (Signaturtalent weiter ausbauen) Zeitwohlstand (Selbstbestimmung) Input (Lebenslanges Lernen) Experimentierfeld (Umwegdenken) Neue Wege (Vielfaltdenken) Kaizen (Umformdenken) Balance (Integrationsdenken) Umsetzung mit Biss (Entrepreneurship) Antrieb durch Neugier und Hunger auf Neues.

Die 1000+ • Visualisierung ist erinnerungsfest: Abstrakte Begriffe sind schwierig zu erklären, insbesondere dann, wenn sie in einer Zweitsprache kommuniziert werden müssen. Deswegen ist die Botschaft zu visualisieren. „Customer Relationship Management“ (CRM) und „Service“ lassen sich beispielsweise durch ein goldenes Telefon und durch weiße Handschuhe visualisieren (vgl. Abb. 20.2 und 13.1). Das goldene Telefon steht für die Wertschätzung des Kunden. Die weißen Handschuhe versinnbildlichen sorgfältig, respektvollen Service. Ein goldenes Telefon stand in der CRM-Abteilung zur täglichen Erinnerung an die Wichtigkeit der Kundenwünsche und ein Exemplar bei mir im Büro. Die Idee, mit den weißen Handschuhen einen Servicefokus zu veranschaulichen, erhielt ich in Japan. Dort tragen Liftboys, Taxifahrer, Schaffner und andere Dienstleister weiße Handschuhe (s. Teil 3, Kap. 13). • Andersartige Einführungsreden haften: Zur Einführung als CEO und Präsident 2009 in Thailand beschränkte ich mich auf eine einminütige Rede, da geladene Gäste keine professionellen Fakten erwarten, sondern den ­Menschen

350

20  Botschaften überzeugend und erinnerungsfest gestalten

und sein Verhalten beobachten wollen. Mir ging bei der Vorbereitung wieder die Regel durch den Kopf: 30 % des Gelesenen, 50 % des Gehörten, aber 100 % des Gefühlten merken wir uns. Nach kurzer Rede spielte ich auf dem Klavier eine Komposition des thailändischen Königs Rama IX. Bhumibol Adulyadej (Neujahrslied Porn Pi Mai). Da ich mich voll auf das Spiel konzentrierte, hörte ich nicht, wie die thailändischen Geschäftspartner einstimmten. Später erzählten Mitarbeiter davon. Da wusste ich, dass meine Idee mit der „Pianorede“ in Thailand passte. Ein Musikvortrag kann der richtige Kommunikationsweg sein, gerade, wenn man die Fremdsprache nicht beherrscht. • Andersartige Produktpräsentation sind erinnerungsfest: Auf der Bangkok International Motor Show 2012 integrierte ich eine Jam Session mit bekannten Musikern in die Rede zur Vorstellung neuer Produkte (s. Teil 2, Kap. 8, bes. Storytelling als überraschende und erinnerungsfeste Botschaft, Abb. 8.1a–c). Typische Redeinhalte zum Vorjahresergebnis habe ich minimiert, da im März keiner am bereits veröffentlichten Ergebnis des letzten Jahres interessiert ist. Die Rede war eine Story mit Musik: Die Bangkok International Motorshow liegt 30 km vor der Stadt. Ich trat auf die Bühne mit den Worten „Well, well, welcome tonight …“ und bedankte mich für die lange Anreise der Zuschauer, um dann festzustellen, dass in meiner „Garage“ (Messestand) drei Fahrzeuge abgedeckt waren. Deswegen entschloss ich mich, den Sportwagen SLK für die Fahrt zur Party zu nehmen. Im Auto sitzend habe ich das Radio eingeschaltet und gleichzeitig fing die Band im Hintergrund an zu spielen. Mit den Worten „Die Party läuft wohl schon!“ bin ich ausgestiegen und zur Band gegangen. Ich begrüßte den Bandleader und wir spielten Summertime von George Gershwin in drei verschiedenen Versionen – bei jeder Produktneuvorstellung in einem anderen, dem Produktcharakter entsprechenden Sound. Statt einer langen Rede präsentierte ich mit der Band eine musikalische Botschaft. • Andersartige Methoden sind erinnerungsfest: Vor Jahren las ich die Warnung: „Culture eats strategy for breakfast.“ Prof. Arthur Francis, Dean der Bradford University School of Management (UK) sagte, dass Harvard sein Denken, seine Zuversicht und Intuition für organisatorischen Wandel entwickelt hat: „Die größte Erkenntnis für mich war die Bedeutung der Unternehmenskultur. Im Boardroom von Ford hing ein gerahmter Satz: ‚Kultur frisst Strategie zum Frühstück.‘“39 Was so viel bedeutet wie: Du kannst so viele ­Strategieüberlegungen anstellen wie du willst, wenn die Herzen und Gedanken

39James

Wilson: The Teacher Goes Back to School, FT, 9. Juli 2007; http://www.ft.com/ intl/cms/s/2/2b7c67cc-2be8-11dc-b498-000b5df10621.html#axzz42UYB5YVG.

20.5  Abschließende Erfolgsrezepte von Richard Branson …

351

Abb. 20.3   Der ‚forfun hoch 2‘ eine Wow-Idee

der Mitarbeiter fehlen, ist die ganze Übung eine insgesamt verlorene Zeit. Dieser Satz gilt nicht nur bei großen M&A Transaktionen, sondern bei allen Change-Projekten. Gegen die Stimmung und das Verständnis der Mitarbeiter ist Strategie eine Kunstübung. Ich habe den Satz: „Culture eats strategy for breakfast“ oft zitiert. Das Risiko des Scheiterns und die Richtigkeit dieser Aussage steigen noch, wenn es sich um grenzüberschreitende Transaktionen handelt.40 • Symbole bringen die Botschaft rüber: Symbole sind emotionale Kommunikationsmittel. Die Wissenschaft „Semiotik“, auch Zeichentheorie genannt, erforscht die Wirkung von Symbolen, Zeichen und Signalen. Storys werden durch Zeichen stärker erinnerungfest und entwickeln eine starke Wirkung bei ihrer Nutzung in Botschaften. Die Aufmerksamkeit der Zuhörer oder Leser wird erregt, Inhalte werden visuell und griffiger erklärt. Beispielsweise nutze ich den oben erwähnten kleinen braunen Zuckerbeutel, wenn ich notwendige Detailliebe und Sorgfalt im Service erkläre (s. Teil 2, Kap. 7, bes. Abb. 7.1: Zuckerbeutel).

40Bert-Friedrich

Fröndhoff: Betting on the Bayer-Monsanto Merger, Handelsblatt Global, 21. Feb. 2017, 15:30; https://global.handelsblatt.com/companies-markets/betting-onthe-bayer-monsanto-merger-709253.  Jim Mateja: How Chrysler Marriage failed, Chicago Tribune, 15. Mai 2007 in der Darstellung schrumpfte der 36 Mrd. $ Deal auf 7,4 Mrd. $ beim Verkauf an Cerberus.

352

20  Botschaften überzeugend und erinnerungsfest gestalten

Wow-Ideen bewirken erinnerungsfeste Botschaften durch die erregte Aufmerksamkeit haftet die Botschaft noch lange. Wow ist das kreative Ziel, um Produkt- oder Projektbotschaften emotional aufzuladen und dann erinnerungsfest zu kommunizieren. Den „ForFun“ haben wir in Griechenland zusammen mit unserem Kreativteam und einem geschickten Hobbymechaniker durch Kombination von zwei Fahrzeugteilen geschaffen. Das Oberteil ein smart, der auf einem Unimog Chassis liegt (s. Teil 1, Kap. 5, bes. Die 1000+, Abb. 5.15b und 20.3). Als ein Journalist dann bei der Pressekonferenz fragte, warum wir das gemacht haben, war meine Antwort: „Zum Spaß – Just 4 Fun!“ Der Applaus war die beste Bestätigung. Viele Details und Ideen muss man gar nicht groß erklären, wenn der Wow-Effekt stimmt. Der wirtschaftliche Effekt war weltweit kostenfreie Publikation, da die Welt stets an ungewöhnlichen Ideen interessiert ist.

Teil V Anhang

Kleine Hormonfibel

21

Die sieben Stress-, Leistungs- und Glückshormone: Adrenalin, Cortisol, Dopamin, Endorphin, Serotonin, Testosteron, Oxytocin Hervorragende Leistung ist nur mit einer Hormonmischung möglich, die gute Stimmung, kluges Verhalten und beste Leistung einstellt. Die Wissenschaft hat noch nicht sehr viele Antworten auf die Frage, wie wir Stresshormone senken und Glücks- oder Leistungshormone natürlich anheben können. Bekannt ist, dass die Einstellung durch geregelten Tagesablauf, regenerierenden Wach- und Schlafrhythmus, „richtiges“ Essen und Trinken, Entspannung durch Qualitätszeit mit sportlicher Bewegung, spirituelle Betrachtungen, bewusste Naturerlebnisse und Gelassenheitsübungen durch Yoga und Meditation erfolgt. Lebensfreude und die zum Signaturtalent passende Arbeit sind Teil des Geheimnisses. Wohl dem Lebenskünstler, der diese Balance und Gelassenheit findet. Monika A. Pohl entwickelt in ihrem Buch einen praktischen Weg mit den Qualitäten: Achtsamkeit, Spiritualität, Glück und Humor.1

21.1 Die Rolle der Hormone bei Stress Bisher haben Forscher nur 150 von geschätzten 1000 Hormonen gefunden. Mein Selektionskriterium war die Relevanz der sieben Hormone für Führungskräfte. Das feine Zusammenspiel der einzelnen Hormone ist noch ungeklärt.

1Monika A.

Pohl: Gelassenheit, GABAL 2016.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_21

355

356

21  Kleine Hormonfibel

Wechselwirkungen zwischen unserer Tätigkeit, unserer Psyche und Gefühlswelt sind teilweise bekannt: „Was wir tun, beeinflusst Hormone und Hormone beeinflussen, was wir tun.“2 Welche Aufgabe haben aber die einzelnen Hormone und wie ist ihr Zusammenspiel? Welche Rolle spielen sie beim Leistungsmanagement (Motivation, Belohnung, Ermahnung, Inspiration) der uns anvertrauten Mitarbeiter? Diesen Fragen soll hier, beschränkt auf sieben bei Stress, Leistung und Glück immer wieder auftauchende Hormone, nachgegangen werden.

21.1.1 Adrenalin: Leistungs- und Stresshormon Adrenalin ist ein Hormon zur Leistungssteigerung, es wird auch als Medikament in der Notfallmedizin bei Herzstillstand und zur Steigerung der Herzfrequenz eingesetzt. Als Stresshormon hebt Adrenalin den Blutdruck und sorgt durch Freisetzung von Glucose für schnelle Energiebereitstellung. Kampf- oder Fluchtinstinkte werden durch Adrenalin bei Krisen und drastischen Erlebnissen ausgelöst. Dies führt zu Unruhe, Aufregung, Schweißausbruch, Herzrasen, Herzrhythmusstörung, hohem Blutdruck, erhöhter Durchblutung der Muskeln, erhöhtem Blutzucker und Pupillenerweiterung. Diese aufputschende Wirkung führt zu Schlafstörungen, die eine nächtliche Regeneration von Körper und Stimmung verhindern.3 Adrenalin wirkt im Zusammenspiel mit dem Kampf- und Fluchthormon Cortisol – allerdings nur schneller. Bei Langzeit- und chronischem Stress liegt Cortisol erhöht vor. Takeaway Hohe Konzentration an der Stresshormone Adrenalin und Cortisol blockiert Leistung. Lastet ein permanenter Druck auf dem Team, dann bewirkt Stress einen Leistungsabfall und schlussendlich entsteht lähmende Gleichgültigkeit

2Christian

Heinrich, Vanessa Rehermann: Hormone – Die Dirigenten unseres Lebens, Die Psyche ist mit dem Hormonprofil verbunden, ZEIT ONLINE – WISSEN, 2. Juli 2013, Nr. 4; http://www.zeit.de/zeit-wissen/2013/04/hormone-haushalt-botenstoffe. 3Michael Feld: Schlafen für Aufgeweckte – Mehr Lebensenergie durch guten Schlaf, Südwest Verlag, 2012, S. 115.

21.1  Die Rolle der Hormone bei Stress

357

(Permafrost). Ständiges Antreiben zur Beschleunigung eines Merger-Prozesses und Projektes mit den Worten: Speed, speed, speed läuft ins Leere, da es als Propaganda abgeschüttelt wird und Antipathie auslöst. Nachhaltige Veränderungen innerhalb verschiedener Unternehmenskulturen entstehen nur mit Tiefe und nach angemessener Zeit für Vertrauensbildung. Eine Unternehmenskultur, die sich über Jahrzehnte entwickelt hat, lässt sich nicht plötzlich verändern. Bei Missachtung dieser Zusammenhänge beendet ein Demerger schneller, was vorher mühsam zusammengeführt wurde: Die beste Strategie taugt nichts, wenn die verschiedenen Kulturen nicht zuerst stimmig in Einklang gebracht werden: Culture eats strategy for breakfast. Zur vertrauensbildenden Wirkung des Hormons Oxytozin siehe Abschn. 21.1.6.

21.1.2 Cortisol: Leistungs- und Stresshormon Das Zusammenspiel von Cortisol und Adrenalin ist eng. Im Gegensatz zu Adrenalin hebt Cortisol den Blutdruck langsam, aber stetig an, verlangsamt den Metabolismus, erhöht Fett und Cholesterol und zieht Energie aus dem Immunsystem.

21.1.2.1 Multitasking wirkt auf das Gehirn wie eine Salatschleuder Bei hoher Cortisol-Konzentration agieren wir ängstlich und bei niedriger ­Cortisol-Konzentration couragiert. Stress durch Arbeitsdruck unter Zeitnot treibt uns zu Multitasking.4 Landläufig besteht der Glaube, dass die gleichzeitige Bearbeitung mehrerer Aufgaben schneller zum Ergebnis führt. Multitasking spart keine Zeit, aber setzt Cortisol frei. Die ständige Prozessentscheidung im Gehirn, von einer Aufgabe zur anderen zu springen, vergeudet Energie, Zeit und Aufmerksamkeit. Deswegen gilt Multitasking als „Feind der Aufmerksamkeit“.5 Das Gehirn teilt den in Reih und Glied stehenden Aufgaben die Kapazität und Aufmerksamkeit sequenziell zu. Nach mehreren Stunden des Hin-und-her-Denkens

4John

Paul Minda: The Psychology of Thinking – Reasoning, Decision-Making & Problem Solving, Sage 2015, S. 6–8 (Multi Tasking), S. 40–42 (Task Switching im Kurzzeit-Arbeitsgedächtnis). 5Daniel J. Levitin: The Organized Mind, Dutton 2014, S. 16.

358

21  Kleine Hormonfibel

ist unser Gehirn durch Cortisol so benebelt, als ob es in eine Salatschleuder gefallen wäre.6

21.1.2.2 Die Körperhaltung wirkt auf den Hormon-Cocktail Wie im Hauptteil des Buches – Teil 1, Kap. 1: Stressmanagement – dargestellt, verändert eine selbstbewusste Körperhaltung durch „mächtige Pose“ das Zusammenspiel des Stresshormons Cortisol mit dem Leistungshormon Testosteron. Mit der Hormonveränderung verändert sich unser Verhalten. Das Leistungshormon Testosteron erhöht die Leistungsstärke, Kraft, Dominanz und Aufmerksamkeit. Das abgesenkte Stresshormon Cortisol bewirkt Ruhe, Besonnenheit und die Zuversicht, alles im Griff zu haben. Studien weisen diesen Zusammenhang nach: „Unser Denken und Fühlen verändert den Körper – andererseits verändert die Körperhaltung auch unser Denken und Fühlen“ (Amy Cuddy).7

21.1.2.3 Cortisol als Hallo-Wach-Hormon Am Morgen wird Cortisol freigesetzt und dient uns als Hallo-Wach-Hormon. Licht wirkt durch die Augen mit der Cortisolausschüttung, wir wachen auf und kommen in Gang. Das Licht eines Smartphones, das viele gerne bei Schlaflosigkeit anschalten, wirkt deswegen Schlaf störend. Schlaflosigkeit senkt unsere Leistung im kommenden Tag.8 Wegen dieser Lichteffekte halte ich nichts davon, Ideen in der Einschlafphase zu notieren, wie es einige der von mir interviewten Personen bevorzugen. Die Aufwachphase ist für Notizen besser, um den Einschlaf nicht zu stören. Zwischen Cortisol und dem Ermüdungshormon Melatonin herrscht eine Yin-Yang-Balance, wenn der Körper gesund ist. Cortisol sinkt in der Nacht zwischen zwei und vier Uhr auf einen Tiefpunkt. Für den Fall, dass wir dann wach liegen und grübeln, werden Gedanken durch schlechte Laune gefärbt. Die positive Psychologie empfiehlt das Aufschreiben von negativen Gedanken

6Daniel J.

Levitin: The Organized Mind: Thinking Straight in an Age of Information Overload, YouTube Google Talks: https://www.youtube.com/watch?v=aR1TNEHRY-U, Minute: 4:50–4:60 von 53:23, 28. October 2014. 7Amy Cuddy: Power Poses, YouTube POP TECH, 2. November 2011; https://www.youtube.com/watch?v=phcDQ0H_LnY. 8Daniel Pembrey: The hidden value of a good night’s sleep, Inside the Swiss clinic for wealthy insomniacs, FT, 19.  Januar  2017; https://www.ft.com/content/08fa2e9c-d9b611e6-944b-e7eb37a6aa8e.

21.1  Die Rolle der Hormone bei Stress

359

erst am Morgen. Dann ist die Cortisolkonzentration am höchsten und wir beginnen den Tag positiv. Deswegen sieht das bei Schlaflosigkeit gewälzte Problem bei erneuter Prüfung am Morgen besser aus.9

21.1.2.4 Cortisol dämpft Körperfunktionen Erhöhte Cortisolkonzentration schwächt das Immunsystem. Anhaltender Stress macht uns deswegen anfälliger für Erkältungskrankheiten. Hohe Cortisolkonzentration senkt neben dem Erinnerungsvermögen auch die kognitiven Fähigkeiten des Gehirns. Letzteres kann auch das Risikobewusstsein beeinträchtigen.

21.1.2.5 Cortisol hilft Informationsspeicherung und -verarbeitung Cortisol hat viele Funktionen. So unterstützt Cortisol die Informationsspeicherung über den stressempfindlichen Hippocampus. Er ist Umschlagsort für Informationen – im limbischen System – und spielt eine wichtige Rolle beim Langzeitgedächtnis. Der Hippocampus erinnert sich an all die Orte, an denen wir wichtige Dinge ablegen oder finden wollen. Deswegen ist er bei Taxifahrern in London vergrößert. Weitere Aufgaben sind Wortassoziationen und das 3-D-Denken. Bei Erinnerung strömen Sinneseindrücke und die damit verbundenen Gefühle im Hippocampus zusammen, der dann als Switchboard die Information zur Weiterbearbeitung verteilt. Die direkt mit dem Hippocampus verbundenen zwei Amygdalae sind auch Teil des limbischen Systems. Sie bewerten – quasi als War Room – die Information und melden durch Hormonausschüttung entweder Gefahr oder sie bleiben ruhig, wenn Glückliches und Positives vorliegen.10 Die starke Vernetzung der verschiedenen Gehirnzentren, die jeder durch Neugier, Wissensdurst, Lesen und Lernen aufbauen kann, steigert Assoziationskraft.

9Michael

Feld: Schlafen für Aufgeweckte – Mehr Lebensenergie durch guten Schlaf, Südwest Verlag 2012, S. 50 f. https://www.youtube.com/watch?v=fBGqqIheQEQ Interview mit Dr. Michael Feld zu Ein- und Durchschlafstörungen. Geschätzt hat jeder Dritte Schlafstörungen. Siehe im Video Nr. 5, was man tun kann, um den Schlaf bei Stress zu verbessern (7. Februar 2016). 10Shila Meyer-Behjat: Kapriolen im Kopf – Wissenschaftler entschlüsseln immer mehr, wie der Mensch sich erinnert, ARTE ENTDECKEN, Dez. 2016, S. 14–15.

360

21  Kleine Hormonfibel

Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass viele Schriftsteller pro Tag deutlich mehr Zeit zum Lesen als zum Schreiben verwenden – also für reichlich Input sorgen.11 Aber auch Geschäftsleute kennen die großen Vorteile des Lesens. Warren Buffett verbringt täglich 80 % seiner Zeit mit Lesen. Unser Gehirn ähnelt einem Kaleidoskop, je mehr bunte Kristalle wir durch Lesen, Fragen, Experi­ mentieren und Beobachten sammeln, desto mehr Ideenmuster bilden sich. Takeaway Stressender Führungsstil passt nicht zur Motivation für Eigen- oder Mitarbeiterleistung, weil hochgetriebene Cortisol- und Adrenalinspiegel die Kreativität blockieren. Gütiger Druck ist daher besser als aggressives Antreiben, zu wenig Wertschätzung, zu viel Kontrolle und schlechte Arbeitsbedingungen. 12 Das deutsche Sprichwort dazu lautet: „Ein sanftes Wort zieht mehr als vier Pferde.“ Nützlich ist es, mit dem Betriebsarzt über den Stresszustand der Mannschaft zu reden. Die Beobachtungen des Werksarztes sind ein guter Indikator dafür, ob Mitarbeitergespräche notwendig sind. Negative Faktoren im Leistungsmanagement sollten schnell durch vertrauensbildende Gespräche beseitigt werden. Diese Sprechzeit lohnt sich, da stressbedingte Fehlzeiten, fehlende Ideen und fehlende Problemlösungen sich im Betriebsklima und in der GuV-Rechnung negativ niederschlagen. Beruhigende Antistressgespräche empfehlen sich insbesondere in Krisenzeiten, auch wenn man meint, keine Zeit zu haben.

21.1.3 Testosteron: Leistungshormon Testosteron gilt als Auslöser für Machtwillen, Herrschaftsanspruch, Dominanz, also allgemein für den männlichen Antrieb. Testosteron fördert risikofreudiges Verhalten. Diesem Verhaltensproblem geht das Wissenschaftsfeld Behavioral Finance nach. Nach Finanzkrisen und Wirtschaftsdelikten kommt regelmäßig die

11Gesa

Schölgens: Ticks der Genies in: EXPRESS vom 7. April 2014, http://www.express. de/news/politik-und-wirtschaft/karriere/rituale-tagesablaeufe-beruehmte-kuenstler-genies-kreativ-buch-4031682. 12Rainer Woratschka: Wenn der Chef zum Problem wird, DER TAGESSPIEGEL, 13. September 2016, S. 24, berichtet über eine neue AOK-Studie zum Thema Unternehmenskultur und Gesundheit.

21.1  Die Rolle der Hormone bei Stress

361

Frage auf, ob weibliche Führungskräfte die Probleme nicht vermieden hätten. Ein Forscherteam der Stockholm School of Economics – Prof. Zethraeus Stockholm School of Economics – konnte diesen Zusammenhang mit ihrer Studie nicht nachweisen. Bei den Probandinnen der schwedischen Studie, denen Testosteron verabreicht wurde, konnte kein Anstieg aggressiver Eigenschaften festgestellt werden. Im Vergleich waren drei Gruppen von 200 Frauen im Alter von 50 bis 65 Jahren ähnlich im Verhalten. Die Testosteron-Gruppe wich nicht signifikant von den beiden anderen Gruppen ab, denen Östrogen oder ein Zucker-Placebo verabreicht wurde.13 Die positiven Fähigkeiten weiblicher Führungskräfte durch Ausgleich und Vermittlung werden immer wieder angeführt und können auch in Alltag und Arbeit beobachtet werden.14 Takeaway Die Führungskraft muss auf extreme Verhaltensweisen von Mitarbeitern in Risikobereichen achten. Strafen und Beraterkosten schlagen sonst tief ins Ergebnis sowie in die Unternehmensreputation und den Unternehmenswert. Risikobereiche sind beispielsweise: • • • • •

Handelsräume in Banken und Finanzbereichen Sicherheitsrelevante Ersatzteile im Aftersales Bereich Abgaswerte der Forschung für den Vertrieb Hochrisikostaaten mit Korruption für Exportabteilungen Expertenabteilungen (Bilanz- und Rechtsexperten), die mit „financial Engineering“ an hochkomplexen Finanzstrukturen arbeiten.

Die Risiken für das Unternehmensergebnis werden am Ende nicht einmal von den Aufsichtsräten verstanden und die Anteilseigner tragen das Risiko. Das Vieraugenprinzip taugt nichts bei Unverständnis für die Materie.

13Ed

Yong: Do Testosterone and Oestrogen affect our attitudes to Fairness, Trust, Risk and Altruism? posted on Blog, 7. April 2009; http://phenomena.nationalgeographic.com/ 2009/04/07/do-testosterone-and-oestrogen-affect-our-attitudes-to-fairness-trust-risk-and-altruism/. 14Universität Wien: Stress vermindert soziale Fähigkeiten bei Männern und erhöht sie bei Frauen, Medienportal, 19. März 2014; https://medienportal.univie.ac.at/presse/aktuelle-press emeldungen/detailansicht/artikel/stress-vermindert-soziale-faehigkeiten-bei-maennern-und-erhoeht-sie-bei-frauen/.

362

21  Kleine Hormonfibel

21.1.4 Dopamin: Glückshormon Das Glückshormon Dopamin wird als Belohnung ausgeschüttet. Beispielsweise bei einem Erfolgserlebnis, bei aufregenden Tätigkeiten mit Nervenkitzel und Herausforderungen im Beruf oder Sport. Deswegen begeben sich Heranwachsende im Alter von 15 bis 16 gerne in gefährliche Nervenkitzelsituationen (siehe weitere Erklärungen).15 Dopamin ist auch bei Erwachsenen das stimulie­ rende Abenteuerhormon. Es animiert, um am Ball zu bleiben und langfristig Hochleistung zu erbringen. Der Neurologe Gregory Berns bezeichnet in dem Sinne Steve Jobs als „High-Dopamin-Liebhaber von Erfindungen“ mit Spürnase für ansprechendes Design.16 Dopamin wirkt wie eine Opiumdusche. Deswegen wird Dopamin auch endogenes Morphium genannt, da unser Körper das Wohlfühlhormon selbst herstellt. Bei Freude und Zufriedenheit sind Rezeptoren im Gehirn für Dopamin auf Gefühlsempfang gestellt. Lernerfolge belohnt das Gehirn mit Dopamin. Bei Motivation und Anerkennung von Leistung erfahren Mitarbeiter eine Dopaminausschüttung. Gute Gefühle durch anerkennende Worte vergessen Mitarbeiter nicht. Lob wird stolz weitererzählt. Deswegen ist die beste Motivation, alles zu unterlassen, was demotiviert. Glücksgefühle steigen auch bei sportlicher Betätigung, bei einer Chorprobe oder im Zusammenspiel mit anderen Musikern. Angeregt durch Sport und Spiel schüttet das Gehirn neben Dopamin auch Serotonin aus. Diese zwei Glückshormone sorgen für gute Laune. Bei positiv gemachten Erfahrungen reicht später schon die Vorstellung des Erfolges oder eines erlebten Lustgewinnes, damit der Dopaminspiegel steigt. Die Vorfreude auf einen Film mit einem ­Lieblingsdarsteller oder auf ein Konzert mit favorisierten Solisten nehmen Erfolgsgefühle hormonell vorweg. Derartige Dopaminausschüttungen können als Placeboeffekt nachgewiesen werden.17 Durch Dopamin genährte Erwartungshaltungen können aber

15Vernunft

ist bei Heranwachsenden noch unterdrückt und entwickelt sich im sogenannten Präfrontalen Cortex – hinter der Stirn – erst ab dem Alter zwischen 20 und 25. Das ist die Kontrollzentrale, in der das Gehirn Vernunftentscheidungen fällt, die im limbischen System aus der Alarmzentrale Amygdalae heraus durch präventive Emotionen wie Angst gesteuert werden. 16Gregory Berns: Iconoclast, A Neuroscientist Reveals How to Think Differently, HBSP 2010, S. 194 f. 17Tobias Esch: Die Neurobiologie des Glücks, Thieme 2014, S. 51.

21.1  Die Rolle der Hormone bei Stress

363

auch süchtig machen. Verlangen nach neuen und weiteren Reisen, mehr Geld, mehr Herausforderungen, höheren Positionen, mehr Anerkennung. Das Mehr wird wichtiger als die Qualität.18 Leider fördert Dopamin auch Gier und damit finanzielle Exzesse wie die Zertifizierung von wertlosen Darlehensforderungen (Subprime Mortgage Securitization), die in 2008 die weltweite Finanzkrise auslöste, an deren Problemen wir immer noch arbeiten. Die Diskussionen haben wenig bewirkt, da neurologische Erkenntnisse außer Acht gelassen werden. Aber: Entscheidungen sind nun mal nicht rational, sondern durch Emotionen getrieben. Die Hirnforschung weiß, dass der Verstand allein keinerlei Wirkungsmacht hat.19 Grund: Der Mensch ist ein Gewohnheitswesen, das Sicherheit in der Routine schätzt und Veränderungen als Risiko empfindet. Wir verändern uns nur, wenn der Verstand und das Bauchgefühl gemeinsam die Veränderung wollen. Takeaway Bei Veränderungen durch Change Management ist es ratsam, das Endziel positiv und transparent darzustellen, sodass die Belegschaft den Erfolg wie beim Placeboeffekt positiv konditioniert bekommt. Zwischenziele und auch kleine Etappenerfolge sollten gefeiert werden – Belohnung animiert durch Dopamin zum Weitermachen. Druck motiviert nicht nachhaltig, weil Stresshormone ausgeschüttet werden und bei Überlastung die innere Kündigung und Passivität (Permafrost) eintreten. Erkennen Sie als Führungskraft die motivierenden Zusammenhänge und testen Sie die Wirkung des lobenden Schulterklopfens mit den anerkennenden Worten: „Good Job“. Die Gehaltserhöhung oder der Dienstwagen ist bald gewohnter Zustand – aber gutes Gefühl wird nicht vergessen. Man merkt sich 100 % dessen, was man fühlt, weil es hormonell unterstrichen wird.

21.1.5 Endorphin: Glückshormon Endorphin wird in der erbsengroßen Hirnanhangdrüse (Hypophyse) am Gehirnboden produziert. Auch das später erklärte Vertrauenshormon Oxytocin wird in der Hirnanhangdrüse gebildet. Klein, aber oho entscheidet diese Drüse über

18James O’Toole:

Creating The Good Life, Applying Aristotle’s Wisdom, Rodale 2005. Roth (Hirnforscher Universität Bremen) in: Stell Dein Leben auf den Kopf, FOCUS, 7. Januar 2017, S. 77.

19Gerhard

364

21  Kleine Hormonfibel

Wachstum und Entwicklung. Die Hirnanhangdrüse ist Chefin anderer hormonproduzierender Drüsen. Kein Wunder also, dass sie „Königin der Drüsen“ genannt wird. Endorphin bewirkt wie alle Glückshormone ein Wohlgefühl und wird u. a. durch Sport, Begeisterung, Konsum, pikantes Essen und Liebe verursacht. Eine Studie des Eastern Ontario Research Institute20 fand heraus, dass Menschen, die zweimal pro Woche zehn Wochen lang Sport treiben, sich kompetenter und selbstsicherer fühlen – sozial, akademisch und athletisch. Endorphin und Dopamin wirken beim Lernen durch Gehirnumformung. Lernen – egal, was wir lernen – verformt unser Gehirn durch Verkettungen der Neurone mit anderen Nervenzellen. Unsere rund 100 Mrd. Nervenzellen haben die Eigenschaften, dass jede mit 10.000 anderen Nervenzellen verkettet werden kann. Die Neurologen bezeichnen diese Dynamik und Umformung des Gehirns als Plastizität. Die Plastizität unseres Gehirns besteht bis ins hohe Alter. Deswegen erhält lebenslanges Lernen das Gehirn aktiv und sichert uns eine positive Einstellung. Das Gehirn passt sich der Umwelt durch Lernen neuer Fakten, Fertigkeiten und Situationen an und kann sich selbst nach Verletzungen den Umständen gemäß regenerieren. Wie bei Dopamin reicht es für die Endorphinausschüttung aus, wenn wir an etwas Schönes oder an eine zukünftige Belohnung denken. Studien weisen einen Endorphinanstieg durch bloße Erwartung in Höhe von 30 % nach, beispielsweise durch Gedanken an einen Lieblingsschauspieler im anlaufenden Film oder an ein kommendes Konzert der Lieblingsband.21 Es gibt so viel, auf das man sich freuen kann. Kein Grund also, bevorzugt an Probleme zu denken. Der Psychologe René Proyer von der Universität Zürich konnte in einer Studie nachweisen, dass man durch Kreativität zufriedener und positiver wird. In einem Experiment ließ er 180 Teilnehmer konzentriert über positive Charakterzüge nachdenken. Das Experiment verglich Einstellungsveränderungen von drei Gruppen. Die erste Gruppe wurde als Kontrollgruppe neutral gehalten. Die zweite Gruppe praktizierte Werte wie Dankbarkeit, Optimismus, Humor, Neugierde und Begeisterung. Die dritte Gruppe arbeitete mit Werten wie Kreativität, Schönheit, Freundlichkeit, Wissensdurst und langfristigem Denken mit Weitblick. Die Studie bestätigte: Menschen, die für sich an positiven Charaktermerkmalen arbeiten, erleben positive Gefühle; sie haben mehr Lebensfreude; sie haben bessere zwischenmenschliche Beziehungen und sind mit sich zufriedener. Alle drei Gruppen füllten am Anfang und Ende der Studie einen Fragebogen aus.

20The

Huffington Post Blog: 10 Things Truly Confident People Do Differently, 02.11.2017. The Happiness Advantage, Crown Business 2010, S. 52.

21Shawn Achor:

21.1  Die Rolle der Hormone bei Stress

365

Ergebnis: Die Männer und Frauen der zweiten und dritten Gruppe fühlten sich positiver und glücklicher als die Kontrollgruppe.22 Takeaway Als Führungskraft haben wir auch einen Lehrauftrag mit der Pflicht, neues Wissen und Erfahrungen weiterzugeben. Wegen der Plastizität ist Wiederholung wichtig – zuerst holpert ein neuer Auftrag, bis Routine einsetzt und wir nach komplexeren Aufgaben suchen. Als Führungskraft helfen Sie durch verständliche Ansprachen, Diskussionen und empathisches Zuhören, die Gehirnareale der Mitarbeiter auszubauen und zu verbinden. Verständnisvolles Zuhören bei Fragen gibt dem Zuhörer ein Erfolgerlebnis, Zufriedenheit und ein Glücksgefühl. Gehen Sie mit diesem Verständnis in ihr nächstes Townhallmeeting oder den kommenden Change Management Workshop und denken Sie an den alten Rat von Toastmasters, der durch die Wiederholung einen neurologischen Sinn bekommt: „Eine gute Präsentation sollte nicht nur kurz und lebhaft sein, sondern auch Wiederholungen beinhalten.“

21.1.6 Oxytocin schafft Vertrauen Oxytocin gehört neben Dopamin, Endorphin und Serotonin zur Familie der Glückshormone, die positive Stimmung vermitteln und als körpereigene Opiate bezeichnet werden. Oxytocin hat wundersame Besonderheiten, die Grund für eine ganze Reihe von Spitznamen sind. Bisher galt Oxytocin als das Hormon, das mit wundersamen Wirkungsweisen Vertrauen und Bindung auslöst. Oxytocin ist mittlerweile der Popstar unter den Hormonen, da die Kunst, Vertrauen zu erwecken, eine von jedem begehrte Kunst ist.

21.1.6.1 Oxytocin: Kuschelhormon In der Partywelt wird es als Kuschelhormon bezeichnet. Deosprays, die Oxytocin beinhalten, führen Liquid Trust als Markennamen.23

22Carina Frey: Train yourself to be more content – A study, Deutsche Presse Agentur, The Nation, 28. Okt. 2012, S. 3B. 23Stefanie Kara: Unsere Wunderdroge – Oxytocin ist der Popstar der körpereigenen Substanzen: Das Hormon, das uns vertrauen lässt. Jetzt entdecken Forscher seine weiteren Fähigkeiten – und wollen mit ihm sogar Krankheiten heilen, DIE ZEIT (WISSEN), 31.03.2016, S. 27–29.

366

21  Kleine Hormonfibel

Oxytocin spielt eine wichtige Rolle im sozialen Verhalten wie z. B. bei sozialer Anerkennung und dem Eingehen von zwischenmenschlichen Beziehungen. Deswegen wird Oxytocin auch Liebeshormon genannt. Oxytocin bewirkt Vertrauen, wenn wir im Konzertsaal gemeinsam Musik hören, gemeinsam Karaoke singen oder zusammen mit Freunden in der Disco tanzen und gemeinsam rhythmische Erlebnisse haben.24 Erlebnisse wie die Beziehungen zwischen Mann und Frau, zwischen Mutter und Kind beim Geburts- und Stillvorgang, zwischen langjährigen Geschäftspartnern oder zwischen Kollegen bei einer teambildenden Veranstaltung schaffen Vertrauen. Oxytocin senkt Stresshormone, steigert Empathiefähigkeit und vermittelt ein Geborgenheitsgefühl. In seinem Buch analysiert Jeswald  W. Salacuse, wie man als Führungskraft intelligente, talentierte, vermögende und machtvolle Menschen führt. Die Fähigkeit, Vertrauen zu schaffen findet sich auch in den „sieben täglichen Aufgaben einer Führungskraft“.25 Nur eine betriebswirtschaftliche Vision und Strategie zu präsentieren, reicht nicht aus, um fähige Mitarbeiter so zu überzeugen, dass sie die Vision und Strategie mittragen. Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind wichtige Elemente bei der Kunst der Überzeugung, siehe die Methode von Jay A. Conger (Teil 4, Kap. 20).26

21.1.6.2 Oxytocin mildert Angst und senkt Stress In Tierversuchen wurde nachgewiesen, dass Oxytocin das Angstzentrum Amygdalae positiv beeinflusst und Angst senkt. Tests an Menschen ergaben, dass Stressschweiß die Amygdalae aktiviert und diese dann unterschiedlichste Angstreflexe auslösen. Weitere Studien deuten daraufhin, dass Oxytocin Stress und Angst mildert und die Testpersonen weniger schnell und weniger stark alarmbereit sind.27 „Frauen zeigen unter Stress eine höhere Oxytocinausschüttung als

24Daniel J. Levitin, Mona Lisa Chanda: The Neurochemistry of Music, in: Trends in Cognitive Sciences, April 2013, Vol. 17, No. 4, S. 188 f. 25Jeswald W. Salacuse: Leading Leaders, How to manage smart, talented, rich and powerful people, AMACOM 2006, S. 59–64 (Trust Creation, Direction, Integration, Mediation, Education, Motivation, Representation). 26Jay A. Conger führt „Glaubwürdigkeit“ als die erste von vier Qualitäten im Überzeugungprozess auf: Credibility, Framing, Vivid Evidence, Emotional Connect. Forschung zeigte, dass viele Führungskräfte ihre Glaubwürdigkeit erheblich überschätzen: Jay A. Conger: The Necessary Art of Persuasion, HBR May–June 1998, S. 85–94, hier zum Thema Glaubwürdigkeit (Credibility) S. 88 f. 27Stefanie Kara: Unsere Wunderdroge, http://www.zeit.de/2016/15/oxytocin-hormon-gehirn-forschung, 14. April 2016, 13:05 Uhr Editiert am 16. April 2016, 15:43 Uhr.

21.1  Die Rolle der Hormone bei Stress

367

Männer. Es ist bekannt, dass Oxytocin auch soziale Interaktionen stark beeinflusst.“28 Die Hirnanhangdrüse setzt neben Oxytocin auch Endorphin frei, z. B. wenn Sie beim Tanzen das Lied auch noch gut finden. Oxytocin verstärkt Empathie und ermöglicht, andere Personen und deren Absichten zu lesen.29 Bonding und Networking bei Workshop- und Seminar-Veranstaltungen zeigt gleiche Wirkungen durch Zutrauen und freundschaftliche Zusammenarbeit. Neben dem Sich-verbunden-Fühlen bewirkt Oxytocin auch das Gegenteil, nämlich den Ausschluss von Menschen, die „nicht dazugehören“ und als Außenseiter der eigenen Gruppe erkannt werden. Vertrauen und Empathie werden innerhalb der Gruppe gerne und leicht gegeben; umgekehrt herrschen Misstrauen und Ausschluss gegenüber Fremden. Takeaway Vertrauensbildende Maßnahmen erleichtern den Alltag, für Krisensituationen und bei schwierigen Projekten. Angst steigert Leistung nur kurzfristig, obwohl immer noch Manager mit Angst bildenden Maßnahmen führen. Auf einer Führungsveranstaltung hörte ich vor Jahren den Satz: Vertrauen senkt Komplexität. 30Vereinfachung ist, wenn in der Unterschriftsmappe eine vertrauensvolle Erstunterschrift liegt. Dann ist die Zweitunterschrift schnell gesetzt. Die Arbeit eines fähigen und verlässlichen Mitarbeiters senkt die gefühlte Komplexität und das gefühlte Risiko. In der Arbeit in verschiedenen Kulturen hat sich mir der Satz bestätigt. Vertrauen hat viele Komponenten. Um dies besser zu verstehen, ist ein Blick auf Brene Browns Studie „Anatomie des Vertrauens“ interessant.31 Danach verdient man sich, im übertragenen Sinne, mit jeder Vertrauenstat eine Glasperle – mit jeder Misstrauenstat leert sich der Topf um eine Glasperle – Vertrauenstaten füllen, Misstrauenstaten entleeren den Topf. Vertrauen baut sich in vielen kleinen

28Universität

Wien: Stress vermindert soziale Fähigkeiten bei Männern und erhöht sie bei Frauen, Medienportal, 19. März 2014; https://medienportal.univie.ac.at/presse/aktuellepressemeldungen/detailansicht/artikel/stress-vermindert-soziale-faehigkeiten-bei-maennern-und-erhoeht-sie-bei-frauen/. 29Gregory Berns: Iconoclast, HBP 2010, S. 221–222. 30Niklas Luhmann: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, Lucius & Lucius UTB 2000. 31Brene Brown: The Anatomy of Trust, http://www.supersoul.tv/supersoul-sessions/theanatomy-of-trust.

368

21  Kleine Hormonfibel

täglichen Situationen auf. Prof. Brene Brown erklärt anhand von sieben Merkmalen das Phänomen „Vertrauen“ und bildet zur Veranschaulichung das englische Akronym B.R.A.V.I.N.G., was so viel bedeutet wie „ohne Furcht etwas aushalten können“. Danach entsteht und besteht Vertrauen, wenn Menschen nach folgender Formel leben und • • • • • • •

Grenzen gegenseitig anerkennen und respektieren (Boundaries), Regelmäßig sich vertrauenswert verhalten (Reliability), Fehler eingestehen und sie verantworten (Accountability), Vertrauliche Information auf beiden Seiten vertraulich behandeln (Vault), Werte nicht nur kommunizieren, sondern auch praktizieren (Integrity), Hilfe geben, aber auch um Hilfe bitten (Non judgement), Kritik ehrlich ausüben, aber auch die Fehler anderer vergeben (Generosity).

Oxytocin wird durch gute Teambildung in einem Change-Management-Projekt oder bei guter Eingliederung neuer Mitarbeiter und deren positive Aufnahme durch das Team gefördert. Oxytocin spielt eine wichtige Rolle, wenn wir das Vertrauen eines Geschäftspartners gewinnen wollen. Deswegen sind viele vertrauensbildende Glasperlen in der täglichen Führungsroutine die Grundvoraussetzung, um Mitarbeiter zu überzeugen. Siehe die „Kunst der Überzeugung“ nach den verschiedenen Methoden in Teil 4, Kap. 20 Denktaktik: Gestalte Botschaften erinnerungsfest. Übereilte und überzogene Forderungen bewirken kein Vertrauen, sondern Misstrauen und Abwehr. Damit ist das Scheitern strategischer Allianzen und Fusionen schnell erreicht.32

21.1.7 Serotonin: Glückshormon Serotonin zählt zu den Glückshormonen, die unser unbewusstes, autonomes Denken und Handeln beeinflussen.33 Serotonin ist Teil unseres inneren Belohnungssystems. Es löst im Körper morphinartiges Wohlbefinden aus, das

32O. V.:Warum

viele Fusionen scheitern, Handelsblatt, 10.09.2016; http://www.handelsblatt. com/unternehmen/management/consulting-warum-viele-fusionen-scheitern-seite-2/3752186-2. html. 33Tobias Esch: Die Neurobiologie des Glücks, Wie die Positive Psychologie die Medizin verändert, Thieme 2014, S. 85, 96.

21.1  Die Rolle der Hormone bei Stress

369

zur Bezeichnung endogenes (eigenes) Morphin führte. Damit wirkt es beruhigend und kooperiert abends mit Melatonin als Schlafhormon. Mit guter Laune und psychischer Ausgeglichenheit hilft Serotonin nicht nur bei der Schlafsteuerung. Serotonin hat Angst lösende, Stress reduzierende, entspannende, selbstversichernde und zufriedenstellende Wirkung. Eine zu niedrige Serotoninkonzentration vermindert in Zeiten hoher Arbeits- und Stressbelastung die Immunkräfte. Takeaway Der durch Verlegenheit gewählte Job gibt nicht den kreativen Biss, komplexe und hartnäckige Probleme zu lösen und entspricht nicht dem Wunschziel: „Do what you want to!“ Ein auf Basis des Signaturtalentes gewählter Beruf bestimmt ganz entscheidend, ob wir eine erfreuliche Karriere und erfüllenden Beruf haben werden. Freude am Arbeitsplatz wird durch die Glückshormone auch wesentlich beeinflusst. Die Wichtigkeit des Signaturtalentes gilt auch bei der Realisierung einer Startup-Idee, da Widerstände nur durch hohe unternehmerische Motivation und Willenskraft überwunden werden können.

Fragebogen zur Ideenfindung – Ideenrealisierung

22

Bitte füllen Sie den Fragebogen aus: • Sie erfahren mehr über Ihre persönliche Kreativität. • Die interessantesten Erkenntnisse und Methoden aus den bisher gesammelten Antworten habe ich am Ende jedes Kapitels zusammengestellt und mit „Die 1000+“ gekennzeichnet. Testen Sie sich selbst durch diesen Fragebogen. Die Antworten finden Sie im Buch. Kernfragen: • Wann, wo, wie finden Sie Ideen? • Macht es einen Unterschied, ob Sie entspannt oder gestresst sind? • Was ist die optimale Mischung von Stress, z. B. 10 % Eustress (positiver Stress) und 90 % Entspannung)? • Ideen kommen und gehen. Halten Sie die Ideen und Gedankenblitze fest. Der Neurologe Dr. Gregory Berns schrieb:1 „Grundsätzlich ist unser Gehirn ein sehr bequemes Stück Fleisch, das auf keinen Fall Energie verschwenden will. Wenn Sie allerdings damit arbeiten, dann verändert sich die Gehirnstruktur und Vernetzung der Nervenzellen.“2 Neurologen und Hirnforscher nennen dieses Veränderungspotenzial unseres Gehirns Neuroplastizität, das heißt mit

1Gregory

Berns: Iconoclast – A Neuroscientist Reveals How to Think Differently, HBP 2010, S. 36. 2Im englischen Original: „The brain is fundamentally a lazy piece of meat. It does not like to waste energy but when you work with it, its shape and wiring changes all the time.“ © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_22

371

372

22  Fragebogen zur Ideenfindung – Ideenrealisierung

a­nderen Worten, dass sich die Gehirnstruktur verändert, wenn wir lernen und neue Erfahrungen machen. Beim Lernen werden die Nervenzellen im Gehirn neu gewickelt und neu verknüpft. Anleitung zum kreativen Denken finden Sie in diesem Buch reichlich, deswegen hier nur ein paar Tipps: • Machen Sie das Gegenteil, von dem was Sie üblicherweise machen. • Durchbrechen Sie die tägliche Routine. Fahren Sie die Strecke zur Arbeit einmal anders. Nehmen Sie statt Ihres Autos zur Abwechslung die U-Bahn oder den Bus. • Lesen Sie etwas anderes als Ihre normale Lektüre. Beispiel: eine Modezeitschrift statt der Wirtschaftszeitung, ein Kunstmagazin statt der Sportseiten, ein Buch über Fischen statt des Kochbuches. Blättern Sie durch Medien, deren Sprache Sie gar nicht kennen, z. B. chinesische oder russische Ausgabe einer Modezeitschrift. Sie erfahren dadurch neue Trends, andere kulturbedingte Perspektiven, andere Farben, Materialien und andere Schnitte. • Denken und beobachten Sie ein Problem oder Objekt mit allen fünf Sinnen, von allen Seiten mit einem 360-Grad-Rundblick. Suchen Sie nach etwas Auffälligem und suchen Sie nach der Lösung, wenn Sie ein Problem gefunden haben. • Stellen Sie sich vor, dass Sie ein Schwamm oder Staubsauger wären, der jegliche Information mit allen fünf Sinnen aufsaugt. Machen Sie es sich zur Gewohnheit, zu beobachten, zu hören, zu fragen, zu experimentieren, zu ­netzwerken, zu assoziieren und damit die gesammelten Informationen und Ideen zu verknüpfen. 1. Die Situation Wann und wo bekommen Sie Ideen? ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… …………………………………………………………………………………………………………………



22  Fragebogen zur Ideenfindung – Ideenrealisierung

373

2. Die Methode Wie bekommen Sie Ideen? Bekommen Sie die Ideen in einer besonderen Form und Struktur? ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… …………………………………………………………………………………………………………………

3. Der Anspannungsgrad durch Stress Ist Entspannung oder Stress für Sie besser, um Ideen zu bekommen? ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… …………………………………………………………………………………………………………………



374

22  Fragebogen zur Ideenfindung – Ideenrealisierung

4. Wie gehen Sie mit Stress um? Wie sieht Ihre Work-Life-Balance aus? ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… …………………………………………………………………………………………………………………

5. Lebensziele Was motiviert und treibt Sie an? Wie definieren Sie für sich einen Erfolg? Wie viel davon ist für Sie genug Erfolg? Mit wie viel wären Sie zufrieden? ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… …………………………………………………………………………………………………………………



22  Fragebogen zur Ideenfindung – Ideenrealisierung

375

6. Sind Sie glücklich und zufrieden? Was fehlt Ihnen evtl. dazu? ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………………………………… …………………………………………………………………………………………………………………

7. Helfen Sie, die Daten noch besser zu kategorisieren – danke. a. Geschlecht: Weiblich: … Männlich: … b. Alter: …+18 19−25 26−40 41 + … c. Nationalität: ಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹ ಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹ ಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹ

d. Ausbildung: ಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹ ಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹ ಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹ

e. Sonstige Kommentare: ಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹ ಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹ ಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹ ಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹ ಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹ ಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹ ಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹ ಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹ ಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹ ಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹ ಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹ ಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹ ಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹ ಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹಹ



Letzte Worte von Steve Jobs

23

Krankheit ist zweifellos ein Weg, der das EGO auflöst. (Bronnie Ware)1

Christopher John Farley: OH WOW, What do Steve Jobs’s Last Words Really Mean, WSJ, 31. Oktober 20112 „I have come to the pinnacle of success in business. In the eyes of others, my life has been the symbol of success. However, apart from work, I have little joy. Finally, my wealth is simply a fact to which I am accustomed. At this time, lying on the hospital bed and remembering all my life, I realize that all the accolades and riches of which I was once so proud, have become insignificant with my imminent death. In the dark, when I look at green lights, of the equipment to artificial respiration and feel the buzz of their mechanical sounds, I can feel the breath of my approaching death looming over me. Only now do I understand that once you accumulate enough money for the rest of your life, you have to pursue objectives that are not related to wealth. It should be something more important: For example, stories of love, art, dreams of my childhood. No, stop pursuing wealth, it can only make a person into a twisted being, just like me. God has made us one way, we can feel the love in the heart of each of us, and not illusions built by fame of

1Bronnie

Ware: 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen, Goldmann 2015, S. 61. Jobs’ letzte Worte: http://blogs.wsj.com/speakeasy/2011/10/31/oh-wow-what-do-steve-jobss-last-words-really-mean/.

2Steve

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2_23

377

378

23  Letzte Worte von Steve Jobs

money, like I made in my life, I cannot take them with me. I can only take with me the memories that were strengthened by love. This is the true wealth that will follow you; will accompany you, he will give strength and light to go ahead. Love can travel thousands of miles and so life has no limits. Move to where you want to go. Strive to reach the goals you want to achieve. Everything is in your heart and in your hands. What is the world’s most expensive bed? The hospital bed. You, if you have money, you can hire someone to drive your car, but you cannot hire someone to take your illness that is killing you. Material things lost can be found. But one thing you can never find when you lose: LIFE. Whatever stage of life where we are right now, at the end we will have to face the day when the curtain falls. Please treasure your family love, love for your spouse, love for your friends … Treat everyone well and stay friendly with your neighbors.“

Personenverzeichnis

A Abdul-Jabbar, Kareem, 51

E Eberlein, Dr. med. Gisela, 161 Ehrlich, Paul, 34 Einstein, Albert, 73, 104, 144, 146, 216

B Bach, Johann Sebastian, 68, 69 Blankfein, Lloyd, 198 Boyd, Joe, 6 Branson, Richard, 248, 345 Brecht, Bertolt, 101 Buscaglia, Leo, 29

F Frankl, Viktor E., 5, 37 Franklin, Benjamin, 57 Freud, Sigmund, 163 Fromm, Erich, 327

C Cato der Ӓltere, 331 Clinton, Bill, 332 Conger, Jay A., 336 Coolidge, Calvin, 206 Coveys, Stephen, 317

G Garbarek, Jan, 69 Gates, Bill, 198 Gehry, Frank, 233 Ghosn, Carlos, 87, 332 Golson, Benny, 242

D David, Hal, 251 Davis, Miles, 224 Deutscher, Alma, 89 Diebenkorn, Richard, 243 Diffee, Matthew, 110 Dire Straits, 68 Dylan, Bob, 302

H Hampton, Lionel, 181 Hebb, Donald, 145 Hüther, Gerald, 146, 172

I Ice-T, 302 Ive, Jonathan, 314

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2

379

380

Personenverzeichnis

J Jobs, Steve, 30, 87, 198, 279 Jochmann, Dr. Walter, 264 Jones, Norah, 89, 304

R Remos, Antonis, 69 Rohn, Jim, 171 Rowling, Joanne K., 89, 304

K Kellaway, Lucy, 108, 109, 319 Kelley, David, 269 Kitchin, Dr. John, 35 Kotter, John, 279 Krugman, Paul, 311

S Sachs, Tom, 230 Sakamoto Ryuichi, 68 Salacuse, Jeswald W., 366 Seligman, Martin, 51 Seneca, 15, 37, 197 Shaw, George Bernhard, 133, 325 Somerset Maugham, William, 104 Strauss, Johann, 68

L Lafley, Alan George, 72, 259 Lauterbur, Paul, 146 Lee, Bruce, 17 Lemos, Gerard, 320 Lennon, John, 103, 125, 146, 166, 248 Lippmann, Walter, 271

M Martin, Roger, 149 Mazonakis, Giorgos, 69 McCartney, Paul, 146 McKee, Robert, 171, 181 Mehrabian, Albert, 285 Mies van der Rohe, Ludwig, 268 Moholy-Nagy, László, 268 Moore, Gary, 69 Morley, Christopher, 88 Mozart, 69

N Nelson, Steve, 241 Newton, Isaac, 213

P Pascal, Blaise, 104 Peters, Tom, 171 Petrelis, Thanos, 69 Picasso, Pablo, 119

T Teece, David, 272 Thich Nhat Hanh, 163 Torrance, Dr. E. Paul, 150 Toynbee, Arnold, 280 Tucholsky, Kurt, 103

V van Gogh, Vincent, 224 von Hirschhausen, Dr. Eckart, 103

W Watson, James, 146 Weeks, Dr. David, 66 Weingartner, Dr. Stefan, 5 Will.i.am, 185 Wimmer, Dr. Johannes, 102

Y Young, James Webb, 77

Z Zetsche, Dieter, 144, 148 Zetsche, Dr. Dieter, 326

Sachverzeichnis

100-50-30 %-Mnemotechnik, 324 100-Tage-Checkliste, 142 360-Grad-Rundblick, 93, 315, 319 3-D-Denken, 359

A Abenteuerhormon, 362 Accelerator, 258, 259 Achtsame Lebensführung, 196 Achtsamkeit, 165 Adrenalin, 356, 357 aktives Zuhören, 133, 327 Aktivitäts-Modus, 76 Alarm- und Angstzentrum, 38 Alexandertechnik, 47 Allparteilichkeit, 335 Alone Together, 11 American Management Association, 33 Amygdalae, 38, 359 Anagramme, 79 analoges Zeitalter, 321 Analogien, 219 Analytische Modelle, 142 Andersdenken, 128 Anekdote, 114 Anerkennung, 362 Angriff, 39 Angst, 5, 38, 43 Animation, 276

Annahmen und Vorurteile, 78 Antidepressiva, 7 Apple Wachstumsmodell, 279 Arbeitsplatz, 6 Archiv, 249 Aristoteles, 51 Arnold-Toynbee-Falle, 315 Aroma, 96 Artificial Intelligence, 124 Audi, 257 Aufbewahrung, 245 Aufmerksamkeit, 308 Authentizität, 337 Avatar-Prozesse, 124

B B.R.A.V.I.N.G., 368 BananaSlug, 241 Bauchgefühl, 363 Bauernregel, 71 Bauhaus, 268 Befehl, 332 Begeisterung, 40, 308, 364 Behavioral Finance, 360 Belohnungssystem, 368 Benchmark, 219, 296 Berliner Mauer, 116 BERN-Konzept, 61 Berufsleben, 34 Berufsstress, 7

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Paufler, Führung – Kreativität – Innovation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09915-2

381

382 Bescheidenheit, 198 Betriebsklima, 8 Betriebswirtschaftslehre, 142 Bewunderungszwerge, 37 Bindung, 365 Black Swan Model, VIII Blooms Hierarchie, 144 Blue Zone Project, 171 Bonding, 367 Botschaft, 281 Brainstorming, 74, 219, 248, 252 Brainwriting, 74, 219 Business-Club, 258 Businessplan, 262, 268

C Cashflow, 261 Cell-Phone-Zombies, 31 Ceterum censeo, 188 Change-Agenten, 281 Change-Idee, 314 Change-Management, 36, 47, 250 Chaostheorie, 217 Charakter, 336 chinesische Schriftzeichen, 87, 326 Cinagro Farm, 98 Coaching, 276 Co-Living, 258 Compliance, 294 Convergent Newroom, 310 Cortisol, 12, 47, 356, 357 Co-Working, 258, 259 Crowdsourcing, 229 Crowdworking, 229 Customer Relationship Management, 226

D Daimler AG, 257 Dankbarkeit, 364 Dating Website, 109 Dauerstress, 4 David Bowie Bonds, 124 Definitionsfragen, 277

Sachverzeichnis Denkbestzeit, 196 Denkeinstellung, 271 Denkschleifen, 55 Denkstrategien, XXIX, 179, 256, 268, 277, 300 Denktaktiken, XXIX, 130, 256, 268, 277, 300 Depression, 48 Design-Team, 269 Design Thinking, 219, 268, 274 Design-Thinking-Prozess, 121 Dialogue, 181 Diffee-Methoden, 110 Digital Detox, 32 digitale Abhängigkeit, 32 digitale Ablenkung, 30 digitale Demenz, 10 Digitale Transformation, 265 Digitalisierung, 260 Dimensionen, 75 direkte Kosten, 36 DNA, 146 Doblin-Modell, 142 Dominanz, 360 Dopamin, 362 Downturn, 261 Dynamic Capabilities, 272 Dyslexie, 248

E Ego, 48 Ehrgeiz, 48 Eingebungen, 226 Eisenhower-Matrix, 317 emotionale Intelligenz, 14 Emotionalisieren, 324 Emotionen, 42 Empathie, 19, 271, 276, 327, 337 Empathiefähigkeit, 366 endogenes Morphium, 362 Endorphin, 363 Entrepreneur, 255, 257 Entscheidungsfreiheit, 11 Entscheidungsmodelle, 59

Sachverzeichnis Entscheidungsnotwendigkeiten, 344 Entscheidungsqualität, 344 Entscheidungstechnik, 88 Entscheidungsträger, 344 Entspanntes Ausatmen, 300 Entspannung, 61 episodisches Gedächtnis, 330 Erinnerungsvermögen, 359 Erkenntnis, 146 Erwartungshaltung, 362 ethisch, 52 Eustress, 5 Everyday Checkliste, XXVI E-Week, 151 Expat, 316 Experiment, 271

F Face-to-face-Kommunikation, 29 Fair Share, 115 Fallstudien, 43 falsche Führung, 8 Familienkultur, 24 Feedback, 170 Fehlentscheidungen, 42 Fehlervielfalt, 73 Fehlzeiten, 8 Fehlzeitenstudien, 6 Feng Shui, 225 Finanzierungsmöglichkeiten, 288 Flexibilität, V Flow, 140, 188, 303 Flucht, 39 Fokus, 240 Follower, 256 Fragen, 19 Frankfurter Automesse IAA, 120 Freiheitsgrade, 256 Freitag Bags, 91 Freundlichkeit, 364 Frog Design, 185, 272 Frühverrentung, 8 Führungsfehler, XXVII Führungskraft, 7, 279 Füllett, 97

383 G Gaijin, 100 Geborgenheitsgefühl, 366 Gedächtnisschwäche, 10 Gedankenblitz, 76, 223, 236, 240 Gedankensammlung, 199 Gehirnausrichtung, 139, 301 Gehirnumformung, 364 geistige Schädigung, 10 Gelassenheit, 11, 27, 51, 67 Gelotologie, 63 Generation Y, 8, 256 Generation Z, 256 Geschäftsmodell, 262 Geschlossenheit, 307 Giftpillen, 36 Gig-Economy, 229 Glauben, 213 Glaubwürdigkeit, 324, 345 Glücksgefühle, 362 Glücksgesamtheit, 51 Glückshormone, 52, 303, 365 Goodwill, 336 griechische Mythologie, 197 Gründer, 261 Gründer-CEO, 264, 283 gute Gedanken, 163 gute Laune, 362 Gute-Laune-Mantra, 161

H Harvard-Methode, 342 Herzenswünsche, 36 Herzinfarkt, 20 Hippocampus, 359 Hirnanhangdrüse, 363 Hirnforschung, 72 Hobby, 213 Hookline, 331 Hormonwelt, 13 Humor, 65, 364 Hürden, 149

384 I Idee, 236 Ideenanregung, 155 Ideenauslöser, 239 Ideenerfassung, 245 Ideenfindung, 84 Ideenvielfalt, 72, 73, 277 Ikonoklasten, 58 Immer-an-Kultur, 9, 10 Impactregel 2/3/1, 286 Info-Snacking, 33 Info-Tieftauchen, 33 Initial Public Offering, 229 Inkubator, 258 Innenarchitektur, 225 Innovateur, 256, 257 Innovation, V, 128, 259, 272 Innovation X, 272 Innovationsmanagement, 149 Innovative Finanzprodukte, 219 Inspiration, 206 inspirierender Ort, 233 Integration, 127 Intelligenz, 336 Interdisziplinäres Arbeiten, 265 Interdisziplinäres Denken, 218, 238 Interdisziplinarität, 268 Interesse, 19 interne Startup-Initiativen, 257 Internet, 81 Internetkälte, 10 Intrapreneur, 255, 257, 284 Intuition, 88, 89, 146, 186

J japanische Rezession, 17 Jazzband, 296 Jolly Good Fellow, 211

K Kaleidoskop, 360 Karoshi, 17 Karrieren, 24, 194 Karrierestress, 7

Sachverzeichnis Kepner-Tregoe-Modell, 143 Kernstrategie, 135 Koan-Praxis, 305 kognitive Fähigkeiten, 359 Kollaboration, 150 Kombinatorik, 150 Kommunikation, 177 Kompetenz, 213 Komplexität, 216 Konflikte, 334 Konfliktparteien, 333 Kontrolle, 332 Konzentrationsspanne, 10 Konzernmitarbeiter, 258 Kopfhörer, 241 Kopfspiel, 82, 249 Kopfspielideen, 309 körpereigene Opiate, 365 Körpersignale, 4 kreativ, 80 kreative Unordnung, 227, 246 Kreativität, 206, 271, 364 Kreativitäts-Checkliste, 73 Kredite, 287 kreisförmiges Denken, 317 Krise, 47, 281 Kulturwandel, V Kulturwandel mit IT, 250 Kunst der Überzeugung, 366 Kurs, 78

L Langzeitgedächtnis, 359 Laterales Denken, 143 Leader, 279 Lean-Canvas-Methode, 266 Lebensfreude, 364 Lebenskünstler, 113, 196 lebenslanges Lernen, 364 Lebensplan, 24, 25 Lebenszeit, 24 Lebenszufriedenheit, 113 Lego, 229 Leistungsmanagement, 12, 143

Sachverzeichnis Leistungssteigerung, 356 Lernen, 364 Lernerfolg, 362 Liebeshormon, 366 limbisches System, 40, 359 lineares Denken, 317 Liquid Trust, 365 Losada-Effekts, 183 LOWE, 321

M Machtwillen, 360 Manager, 279 Marketing Mix 4Ps, 143 Marktrisiken, 265 MBSR-Training, 55 Mediamix, 184 Mediation, 333 mediterrane Kost, 20 Meeting-Agenda, 142 Mentorensysteme, 240 Metaphern, 79 Methodenvielfalt, 71 Mind Mapping, 143 Missgeschick, 163 Mitarbeiterführung, 6 Mitarbeitermotivation, 250 Mitarbeiterschulung, 250 Mobilität, 120 Mode, 185 Möglichkeiten und Chancen, 79 Motivation, 12, 168, 362 Motivationsmethode, 224 Motivationsrede, 201 Motivationsstruktur, 27 Mozarteffekt, 67 Multitasking, 5 Musikgeschäft, 242 Müßiggang, 302, 303

N N.E.A., 201 Nation Multimedia Group, 232 National Geographic, 171

385 Neinsager, 281 Nemawashi, 314 Netflix, 260 Networking, 367 Neubewertung, 193 Neugier, 80, 119, 170 Neugierde, 364 Neurobiologie, 15 Nobelpreisgewinner, 11 Nomo-Phobie, 32 Notfallprogramme, 39 Notizbuch, 248 Numerus clausus, 194

O Ockhams Rasiermesserregel, 221 Offenheit, 307 Offroad-Gelände, 153 ohnmächtige Erstarrung, 39 Online-Kontakte, 29 Opiumdusche, 362 Optimismus, 364 organisatorische Disziplin, 231 Originalität, 150 Outsourcing, 24 Oxytocin, 357, 365

P Pain Point, 132, 262, 267, 270 Paretoprinzip, 77 Peinlichkeit, 19 Pensionierung, 28, 35, 37 Perfektion, 213 Perspektivenänderung, 96 Placeboeffekt, 362 Point of Sales, 99 Point of Surprise, 99 positive Charaktermerkmale, 364 positive Gefühle, 364 positive Grundeinstellung, 160 positive Kleinigkeiten, 164 positive Psychologie, 51 Präsentation, 284 Privatisierung, 35

386 Privatleben, 6 proaktiv, 216 Problemlösung, 262 Produktpräsentation, 304 Prokrastination, 217 Prousteffekt, 96 Psychische Erkrankungen, 7 Psychische Gesundheit, 48 Psychische Stressoren, 5 Psychostress, 8

Q Qualitätsfilter, 72 Qualitätszeit, 197

R Rationalität, 271 Raumgefühl, 225 Realisierung, 84 realistische Erwartungen, 163 Reality Show, 258 Rede, 57 Reduzierte Komplexität, 182 Regel 10-10-10, 142 Rentiers, 77 Reorganisation, 45 Reptilgehirn, 39 Respekt, 18, 19, 337, 338 Ressourcen, 24 rhetorischer Erfolg, 104 Rollen, 24 Rolling Stones, 68 Routine, 161, 206

S Sales-Funnel-Modell, 143 Sales-Pitch-Botschaft, 286 Saudi Arabien, 41 Saybon, 125 Scheitern, 48, 329 Schikane, 39

Sachverzeichnis Schinderei-Index, 49 Schlaf, 21, 307 Schlaflosigkeit, 201 Schlafstörungen, 47 Schlaganfall, 20 Schlaganfallrisiko, 21 Schlüsseltalente, 51 Schmetterlingseffekt, 217 Schönheit, 364 Schönwetterunternehmer, 215 Schule, 7 Schulstress, 7 Schwächen, 190 Schwarze Schwäne, VIII, 41, 344 Searsucker, 185 sechs Denkhüte, 316 Selbstanimation, 151 Selbstbewusstseins, 51 Selbstverwirklichung, 338 Serendipity Button, 83 Service, 99 Shanghai Mental Centers, 32 Signaturprozess, 262 Signaturtalent, 58, 80, 206, 207, 213, 262, 336 Sinn, 51 Sinnerfüllung, 8 sinnvolle Arbeit, 163 Situation, 330 SMART, 277, 325 Smartphone, 275 Solospiel, 224 Sonntagszeit, 201 Soziale Stressoren, 5 soziales Verhaltensgeschick, 260 Spaß, 185 Spaziergang, 81 Spekulanten, 77 Stadtpläne, 223 Stärken, 191 Startup-Szene, 257 Startup-Tod, 291 Startups, 261 Stellenbeschreibung, 59

Sachverzeichnis Story, 114, 181 Strategie, 262 Stress, 4 Stressarten, 15 Stressauslöser, 5, 15 Stressfallschirm, 6, 49, 199 Stresshormone, 366 Stresslevel, 49 Stressmanagement, XXV, 3, 129, 135, 167 Stressoren, 15 Stresssituation, 48 Studienstress, 7 Suchsatz, 277 Sucht, 10 SWOT-Analyse, 142 Symbole, 351 Sympathikusnerv, 46 Synektisches Denken, 219

T Tabuthema, 48 Tacken, 34 Tagtraum, 76, 307 Tagtraumdenken, 76 Tagtraum-Modus, 76 Talent, 336 Task-Negative Network, 145 Task-Positive Network, 141 Teambildung, 368 Testosteron, 12 Thai Creative Design Center (TCDC), 251 thick slicing, 226 thin slicing, 226 Thinking by Linking, 147 Todesfall, 45 To-do-Listen, 248 Tokyo American Club, 338 Top-down-Managementstil, 256 Top-Scheitergründe, 291 Torrance Test, 150 TRAF, 56 Trägheit, 10 Transferzeiten, 246 Turnaround, 47

387 U Überbelastung, 8 Übergangsphasen, 146 Überraschung, 178, 185 Überraschungsideen, 93 Überraschungsmeetings, 177, 179 Übersprungshandlung, 9 Überzeugung, 280, 334, 336 Umformdenken, 153 Umgebung, 330 Umwegdenken, 94, 206 Unwissenheit, 19

V Verfremdungseffekt (V-Effekt), 101 Vergleichsvorurteil, 164 Verhaltensmethoden, 129 Verlässlichkeit, 324 Verminderung der Lernfähigkeit, 10 Versprechen, 294 Verstand, 363 Verständnis, 328 Vertragsabschlüsse, 293 Vertrauen, 40, 287, 365 Vertrauenshormon Oxytocin, 163 Virgin Records, 294 Visitenkarten, 82 Visualisierung, 349 visuell-räumliches Denken, 67 Vor- und Weiterbildung, 129 Vorsorgeuntersuchungen, 21 Vorstellungskraft, 75

W Wachstum, 263 Wachtstumsmanagement, 263 Wertesystem, 196 Wertewandel, 260 Wertschätzung, 51 Wettbewerb, 10, 296 W-Fragen, 314 Widerstand, 37, 42 Willenskraft, 369

388 Wissensdurst, 170, 364 Witz, 113 Word of Mouse, 31 Word of Mouth, 31, 116 Wortspiele, 79 Wow-Ideen, 352 Wunschbaum, 320 Wünsche, 79

X XEROX, 121 XING, 8

Sachverzeichnis Z Zeitbudget, 274, 276–278 Zeitnutzung, 196 Zeitwohlstand, 53, 196 Zitat, 304 Zufall, 80, 239 Zufallsideen, 90 Zufriedenheit, 27, 84 Zuhören, 24 Zukunftsfähigkeit, 259 Zuneigung, 328 Zusammen allein, 31