Öffentliche Haushalts- und Finanzplanung bei Finanzierungsengpässen: Ein Beitrag zur finanzwirtschaftlichen Ordnungspolitik [1 ed.] 9783428471959, 9783428071951

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Öffentliche Haushalts- und Finanzplanung bei Finanzierungsengpässen: Ein Beitrag zur finanzwirtschaftlichen Ordnungspolitik [1 ed.]
 9783428471959, 9783428071951

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GERHARDSCHWARZNER

Öffentliche Haushalts- und Finanzplanung bei Finanzierungsengpässen

Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse des Rechts herausgegeben von

Heinz Grossekettler, Münster' Bernhard Großfeld, Münster Klaus J. Hopt, München' Christian Kirchner, Hannover Dieter Rückle, Trier' Reinhard H. Schmidt, Trier

Band 8

Offentliehe Haushalts- und Finanzplanung bei Finanzierungsengpässen Ein Beitrag zur finanzwirtschaftlichen Ordnungspolitik

Von

Dr. Gerhard Schwarzner

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Schwarzner, Gerhard:

Öffentliche Haushalts- und Finanzplanung bei Finanzierungsengpässen: ein Beitrag zur finanzwirtschaftlichen Ordnungspolitik / von Gerhard Schwarzner. - Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse des Rechts; Bd. 8) Zug!.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1990 ISBN 3-428-07195-6 NE:GT

D6 Alle Rechte vorbehalten

© 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41

Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0935-5065 ISBN 3-428-07195-6

Vorwort

Die öffentlichen Haushalte waren in der Vergangenheit und werden in der Zukunft immer wieder mit Finanzierungsengpässen befaßt sein. Diese Arbeit stellt den Versuch dar, einen Beitrag zur Lösung der dabei entstehenden Probleme zu leisten. Ziel ist es, einen Vorschlag für einen Ordnungsrahmen für die haushaltspolitische Willensbildung zu entwickeln, der eine ökonomisch rationalere Bewältigung von Finanzierungsengpässen erlaubt. Die Arbeit ist von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen worden. Daß sie zustande kam, wäre ohne die hilfreiche Unterstützung Vieler nicht möglich gewesen. Ihnen allen bin ich zu großem Dank verpflichtet. An erster Stelle möchte ich meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. H. Grossekettler danken, der mir immer mit hilfreichen fachlichen Ratschlägen zur Seite stand und der mich auch in kritischen Situationen großartig menschlich unterstützt hat. Dem jetzigen Finanzminister des Freistaates Sachsen, Prof. Dr. Milbradt, danke ich für die Übernahme der Zweitberichterstattung sowie für viele kritische Hinweise zu dieser Arbeit. Meine Kollegen am Institut für Finanzwissenschaft der Universität Münster haben durch zahlreiche Diskussionen zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Dafür danke ich Herrn Manfred Koch, Herrn Thomas Krämer, Herrn Dr. Ludger Sander, Herrn Johannes Scheube, Herrn Ralf Schulte-de Groot, Herrn Manfred Teutemann, Herrn Dr. G. Wendland und nicht zuletzt Frau Gaby Hille. Mein besonderer Dank gilt meiner Frau. Sie weiß warum.

Sankt Augustin, im Herbst 1990

Gerhard Schwarzner

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung ......................................... I. Problemstellung .................................. 11. Gang der Untersuchung ............................

13 13 15

B. Die Anforderungen an das Haushaltsrecht bei Finanzierungseng-

pässen ............................................ I. Die Budgetfunktionen der Haushaltsplanung bei Finanzierungsengpässen ....................................... 11. Das Versagen des politischen Wettbewerbs bei der Notwendigkeit von Ausgabenkürzungen ......................... III.Die Funktion des Haushaltsrechts bei Finanzierungsengpässen

18 18 27 32

c. Mängelanalyse I: Die kurzfristige Haushaltsplanung bei Finanzierungsengpässen ..................................... I. Die Motivationsstrukturen in der Verwaltung bei Finanzierungsengpässen ........................................ 11. Der zeitliche Streckungsgrad des Kürzungsverhaltens im SollIst -Vergleich .................................... 1. Der zeitliche Streckungsgrad des typischen Kürzungsverhaltens ......................................... 2. Die Mängel des typischen zeitlichen Streckungsgrads 3. Die institutionellen Ursachen des typischen zeitlichen Strekkungsgrades ................................... 4. Zusammenfassung .............................. III.Der Linearitätsgrad des Kürzungsverhaltens im Soll-Ist-Vergleich 1. Der Linearitätsgrad des typischen Kürzungsverhaltens 2. Die institutionellen Ursachen für den typischen Linearitätsgrad ........................................ 3. Zusammenfassung .............................. IV.Die Kompetenzverteilungen bei der Kürzungsplanung im Soll-IstVergleich ....................................... 1. Kompetenzverschiebungen bei Finanzierungsengpässen ...

36 36 40 40 43 48 57 58 58 64 72 72 73

8

Inhaltsverzeichnis 2. Die Mängel des globalen Sparens im Rahmen der kurzfristigen Haushaltsplanung ...........................

79

D.Mängelanalyse 11: Spezielle Probleme des Haushaltsrechts 89 I. Die Mittelfristige Finanzplanung ...................... 89 1. Vorbemerkung ................................ 89 2. Der Lösungsbeitrag zur finanzpolitischen Ordnungsfunktion 89 3. Die Eignung der Mittelfristigen Finanzplanung als Instrument zur rechtzeitigen Auslösung von Kürzungsentscheidungen 92 4. Der Beitrag der Mittelfristigen Finanzplanung zur Programmfunktion der Kürzungsplanung ..................... 96 5. Schlußfolgerungen .............................. 100 11. Die föderale Koordination der Haushalts- und Finanzplanungen 101 bei Finanzierungsengpässen ......................... 1. Abstimmungsaufgaben im Bundesstaat bei Finanzierungsengpässen ...................................... 101 2. Die institutionellen Voraussetzungen der Koordination der Haushalts- und Finanzplanungen im Finanzplanungsrat bei 107 Finanzierungsengpässen ......................... 3. Schlußfolgerungen für das Haushaltsrecht ............ 111 III.Die institutionellen Mängel beim Subventionsabbau ....... 112 E. Allgemeiner Überblick über die wichtigsten Vorschläge zur Mängelbeseitigung ........................................ 117 I. Aufgabenkritik als Verfahren zur Bewältigung von Finanzierungskrisen kommunaler Haushalte ........................ 117 11. Grenzprogrammbudgetierung (Zero-Base-Budgeting) 121 III.Der Gramm-Rudman-Hollings-Act als Beispiel für ein gesetzliches Konsolidierungsverfahren ....................... 128 1. Defizitentwicklung und institutionelle Mängel im US-amerikanischen Haushaltsrecht bis 1985 .................... 128 2. Die Arbeitsweise des gesetzlichen Kürzungsverfahrens 131 3. Mängelanalyse ................................. 133 4. Schlußfolgerungen für das Haushaltsrecht ............. 139 IV.Kürzungsordnung, Kürzungsplan und Kürzungsgesetz ....... 140

Inhaltsverzeichnis

9

F. Konkrete Vorschläge zur Ergänzung des bundesdeutschen Haushaltsrechts: Die Kürzungsordnung ........................... 147 I. Zum Steuerungspotential einer KÜTzungsordnung ......... 147 1. Ergebnis- versus verfahrensorientierte Steuerung ....... 147 2. Aufgreifkriterien für den Abbau von Verwaltungspotential 152 3. Aufgreifkriterien für die Kürzung von Subventionen 163 11. Zur Auslösung des Kürzungsverfahrens ................. 166 1. Die Auslösung des Kürzungsverfahrens für Teilhaushalte 167 2. Die Auslösung des Kürzungsverfahrens für den Gesamthaushalt ......................................... 170 III.Das Kürzungsvolumengesetz ......................... 174 1. Vorbemerkung ................................ 174 2. Die Ermittlung des Kürzungsvolumens ............... 177 3. Die Einbeziehung von Steuervergünstigungen in das Kürzungsvolumengesetz ............................. 185 4. Der Eckwertebeschluß im Kürzungsvolumengesetz ...... 189 5. Die Ersatzvornahme im Kürzungsvolumengesetz ........ 195 IV.Die Aufstellung des Kürzungsplans .................... 198 1. Die Gliederung des Kürzungsplans .................. 198 2. Das Aufstellungsverfahren für die Transformationsausgaben 203 3. Ein Vorschlag für die Subventionsabbauplanung ........ 215 4. Die Träger des Aufstellungsverfahrens ............... 220 5. Die parlamentarische Beratung des Kürzungsplans ...... 222 6. Abschließende Bemerkungen zum Kürzungsplanaufstellungsverfahren .................................... 224 V. Die Aufgaben des Finanzplanungsrates bei Finanzierungsengpässen ......................................... 228 1. Die Koordination der Kürzungsplanung im Finanzplanungsrat 228 2. Die Revisionsklausel für die Finanzmittelteilung im Bundesstaat während des Vollzugs des Kürzungsplans ......... 232 VI.Der Vollzug des Kürzungsplans ....................... 234 1. Die Sicherung der Programmfunktion während des Vollzugs des Kürzungsplans .............................. 234 2. Der konjunkturgerechte Vollzug des Kürzungsplans 236 3. Die Suspendierung des Kürzungsplans bei einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ............... 237

10

Inhaltsverzeichnis

G.Hauptergebnisse und Ausblick

241

Literaturverzeichnis .................................... 248

Verzeichnis der Tabellen Tabelle 1: Zahlenbeispiel für das Aufstellungsverfahren für die Transformatitionsausgaben ............................ 205 Tabelle 2: Zahlenbeispiel für das Aufstellungsverfahren für Subventionen ................................ 218

Abkürzungsverzeichnis Abs. Bd. BGBL BHO GG GRH-Act HGrG Hrsg. Jg. Kap. LHO SVR

Absatz Band Bundesgesetzblatt Bundeshaushaltsordnung Grundgesetz Gramm-Rudman-Hollings-Act Haushaltsgrundsätzegesetz Herausgeber Jahrgang Kapitel Landeshaushaltsordnung Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Tab. Tabelle u.a. und andere Vol. Volume Vorl. VV-BHO Vorläufige Verwaltungsvorschrift zur Bundeshaushaltsordnung

A. Einleitung I. Problemstellung Von der Mitte der siebziger bis in die Mitte der achtziger Jahre stand die Finanzpolitik in der Bundesrepublik, aber auch in vielen westlichen Industrienationen, im Zeichen der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Hohe Wachstumsraten bei den öffentlichen Ausgaben und der durch eine ungewöhnlich starke Rezession bedingte "Steuerknick" verursachten Rekorddeftzite im öffentlichen Gesamthaushalt. 1 Die Rückführung dieser als zu hoch angesehenen Finanzierungsdeftzite durch Erhöhungen der Steuereinnahmen war durch zunehmenden Steuerwiderstand erschwert. 2 Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte betraf deshalb in erster Linie die Ausgabenseite und dort insbesondere die öffentlichen Investitionen als die nach unten flexibelste Ausgabenart.3 Hierdurch wurden "Konsolidierungsschäden" verursacht, die bald eine wachstumsorientierte Umstrukturierung der öffentlichen Ausgaben durch die Kürzung von konsumtiven zugunsten von investiven Ausgaben als vordringlich erscheinen ließ.4 Besondere Notwendigkeit wurde für den Subventionsabbau gesehen.s Auch zukünftig werden beispielsweise im Rahmen der absehbaren Veränderung der Bevölkerungsstrukur Ausgabenkürzungen notwendig werden. So zeigen Beispielrechnungen, daß im Rahmen des Bevölkerungsrückgangs die Gruppe der 16- bis unter 19jährigen im Jahre 2033 auf 36,5 % des Niveaus des Jahres 1984 sinkt.6 Daß damit ein Abbau von Schul- und Hochschulkapazitäten verbunden sein muß, ist unmittelbar plausibel. In ähnlicher Weise wird der im Rahmen der jüngsten Abrüstungsprozesse abzusehende Truppenabbau erhebliche Anpassungsprobleme im Verteidigungshaushalt mit sich bringen. Eine mittelbare Notwendigkeit zu Ausgabenkürzungen in öffentlichen Haushalten wird sich voraussichtlich aus der Entwicklung der Kosten der sozialen Sicherung und hier speziell aus den zu erwartenden Pensionslasten der öffentlichen Verwaltung ergeben. Die eben genannte Modellrechnung weist aus, daß sich der Anteil der Pensionslasten am Bruttosozialprodukt von ca. 2% im Jahre 1985 bis zum 1

Vgl. Fricke, E. (1985), S. 39lf.

2

Vgl. etwa Neumark, F. (1981), S. 383f.

w.,

Vgl. Thie~ E. (1984), S. 64. Für empirische Anhaltspunkte siehe Kroker, Fuest, R (1986) und Wille, E. (1986), S. 58. 4 Vgl. SVR (1976), TZ. 346 ff., insbesondere TZ. 347 und TZ. 450 und SVR (1981), TZ. 375. S Vgl. SVR (1985), TZ. 258 und SVR (1987), TZ. 277. 3

6

Vgl. d82u Färber, G. (1988), S. 130ff.

14

A. Einleitung

Jahre 2030 voraussichtlich annähernd verdreifachen könnte.7 Die hieraus resultierenden Finanzierungsengpässe für die öffentlichen Haushalte können nur gemildert werden, wenn die Zahl der öffentlich Bediensteten rechtzeitig sinkt. Diese Beispiele zeigen, daß die öffentlichen Haushalte in Zukunft verstärkt auf Finanzierungsengpässen vorbereitet sein sollten. Die vorliegende Arbeit will einen Beitrag zur Lösung dieser Probleme leisten, indem der Ordnungsrahmen für die Haushaltsplanung bei Finanzierungsengpässen untersucht wird. Unter Finanzierungsengpässen sollen hier vorerst Ungleichgewichte zwischen den längerfristig geplanten Ausgaben und erwarteten Einnahmen verstanden werden. Die Beseitigung von Finanzierungsengpässen kann grundsätzlich auch durch Steuer- und Gebührenerhöhungen erfolgen. Steuer- und Gebührenerhöhungen werden aber im folgenden nicht betrachtet, weil dabei im Vergleich zur normalen Haushaltsplanung keine wesentlichen Unterschiede auftreten. In dieser Arbeit sollen nur Ausgabenkürzungen betrachtet werden. Die planvolle Beseitigung von Finanzierungsengpässen durch Ausgabenkürzungen kann als Kürzungspolitik bezeichnet werden. 8 Ziel dieser Arbeit ist es dabei nicht, kürzungspolitische Maßnahmen in dem Sinne zu erarbeiten, daß Aufgabenbereiche benannt werden, in denen die öffentlichen Haushalte durch Ausgabenkürzungen jetzt oder in Zukunft entlastet werden sollen. Dies ist Aufgabe der Politiker. Vielmehr ist es das Ziel dieser Arbeit, den Ordnungsrahmen für die Haushaltsplanung bei Finanzierungsengpässen - im folgenden kurz "Kürzungsplanung" - so zu gestalten, daß die Voraussetzungen für eine rationale Kürzungspolitik geschaffen werden.9 Da insbesondere auf den haushaltsrechtlichen Rahmen für die Kürzungsplanung und den Kürzungsplanvollzug abgestellt wird, könnte man deshalb auch von KüTZUngsordnungspolitik sprechen. Der Beitrag einer solchen Kürzungsordnungspolitik zur Lösung der angedeuteten Zukunftsprobleme für die öffentliche Finanzwirtschaft liegt dann darin, die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen für eine Flexibilisierung der Budgetstrukturen zu schaffen. Kürzungspolitik kann sich grundsätzlich auf alle Ausgaben einer Gebietskörperschaft beziehen. Transferzahlungen an private Haushalte werden hier aber nicht in die Analyse einbezogen, weil sich die Willensbildung

Vgl. Färber, G. (1988), S. 12lff. Im angelsächsischen Sprachraum wird der Übergang zu einem niedrigeren Niveau der Ressourcenverwendung in einer öffentlichen Verwaltung unter dem Begriff "Cutbackmanagement" bzw. "Cutbackbudgeting" diskutiert. Aus der umfangreichen Literatur hierzu sei insbesondere auf Levine, Ch. (1980, Hrsg.) und Levine, Ch., Rubin, I.S. Wolohojian, G.G. (1982) sowie Behn, R.D. (1985) hingewiesen. 9 Der haushaltsrechtliche Aspekt der Konsolidierung öffentlicher Haushalte wird in der Literatur selten analysiert. Hinzuweisen ist insbesondere auf Grossekettler, H. (1983) und ders. (1985) sowie auf Littmann, K. (1989), insbes. S. 25 Cf. Ferner auf Mäding, H. (1983) und Enge/hard!, G. (1987), die allerdings nicht speziell auf Kürzungsprobleme abstellen. 7

8

11. Gang der Untersuchung

15

über die Leistungsgesetzgebung (zumindest idealtypisch) außerhalb der eigentlichen Haushaltsplanung vollzieht.!O Die Analyse beschränkt sich also auf die Analyse der haushaItsrechtlichen Voraussetzungen für die Kürzung von Transformationsausgaben und von Subventionen im Sinne von Transferleistungen an Unternehmen. Bei den Transformationsausgaben werden nur solche Ausgabenkürzungen betrachtet, die einen dauerhaft rückläufigen Einsatz von Produktionsfaktoren in öffentlichen Verwaltungen zur Folge haben. Wenn man von möglichen Erhöhungen der Produktivität öffentlicher Verwaltungen absieht, ist damit ein Abbau von Verwaltungspotential oder eine Verlagerung auf andere (private oder öffentliche) Träger und eine Einschränkung der öffentlichen Leistungen verbunden. Hier kann man von öffentlichen Desinvestitionen sprechen. Analog dazu werden Subventionen betrachtet. Unter Subventionen sollen hier Finanzhilfen und Steuervergünstigungen für Unternehmen verstanden werden. Subventionen sind in der Regel mit geplanten oder ungeplanten Kapazitätseffekten im privaten Sektor verbunden. Insofern stellt die Kürzung von Subventionen auch ein Desinvestitionsproblem dar. Da diese Kapazitätseffekte nicht nur durch die Kürzung von Finanzhilfen, sondern auch durch die Kürzung von Steuervergünstigungen für Unternehmen entstehen, sollen letztere in die Analyse einbezogen werden. Die Einschränkung der Betrachtung auf Desinvestitionen in diesem weiteren Sinne ist deshalb gerechtfertigt, weil - wie noch zu zeigen sein wird - die Durchsetzung solcher Maßnahmen durch politische und bürokratische Widerstände besonders erschwert ist. Der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist das Haushaltsrecht und damit die Summe der Rechtsnormen für die Planung, Verwendung, Abrechnung und Kontrolle öffentlicher Mittel. ll Da sich Abrechnung und Kontrolle öffentlicher Mittel bei Finanzierungsengpässen nicht von der normalen Haushaltsplanung unterscheiden, sollen hier insbesondere die Vorschriften für die Aufstellung und den Vollzug des Haushaltsplans untersucht werden. Ziel ist es, wie gesagt diesen Ordnungsrahmen so zu gestalten, daß die Voraussetzungen für eine rationale Kürzungspolitik geschaffen werden. Daraus ergibt sich der folgende Gang der Untersuchung. 11. Gang der Untersuchung Die Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel. In Kapitel B werden zunächst die Budgetfunkionen unter dem Gesichtspunkt der Haushaltsplanung bei Finanzierungsengpässen erläutert, um das Zielsystem zu erarbeiten, auf das die Gestaltung des Ordnungsrahmens ausgerichtet sein sollte. Die

10

Vgl. Färber, G. (1984), S. 240.

II

Vgl. Piduch, EA. (1987), Bd. 11, Vorbemerkungen RN 1.

16

A. Einleitung

Notwendigkeit eines besonderen Ordnungsrahmens für die Kürzungsplanung ergibt sich aus dem Versagen des politischen Wettbewerbs bei der "Bereitstellung" der Kürzungsentscheidungen. Erfahrungsgemäß werden Kürzungsentscheidungen nicht dann getroffen, wenn strukturelle U ngleichgewichte zwischen geplanten Ausgaben und erwarteten Einnahmen abzusehen sind; statt dessen werden sie nur durch Finanzierungsdefizite ausgelöst, die bereits eingetreten sind und als politisch oder rechtlich unhaltbar angesehen werden. Vor diesem Hintergrund werden die Funktionen des HaushaItsrechts bei Finanzierungsengpässen dargestellt. Anküpfungspunkte für eine Reform des Haushaltsrechts können zum einen dadurch gewonnen werden, daß das bestehende Recht einer kritischen Analyse unterzogen wird, und zum anderen dadurch, daß man in der Praxis erprobte und in der Literatur vorgeschlagene Konzepte für eine Verbesserung der Kürzungsplanung auswertet. In den Kapiteln C und D wird deshalb das bestehende bundesdeutsche Haushaltsrecht analysiert und die entsprechende Literaturanalyse vorgenommen. In Kapitel C werden die Mängel der kurzfristigen Haushaltsplanung bei Finanzierungsengpässen herausgearbeitet. In Kapitel D wird untersucht, inwieweit durch die ergänzenden haushaltsrechtlichen Vorschriften die Mängel der kurzfristigen Haushaltsplanung bei Finanzierungsengpässen vermieden werden können. Zum Haushaltsrecht im weiteren Sinne zählen die Vorschriften für die Finanzplanung l2, die Subventionsberichterstattungl3 und die Organisation der Koordination der Finanzplanungen im Bundesstaat. 14 In Kapitel E werden in der Praxis erprobte und ein in der Literatur vorgeschlagenes Verfahren auf ihre Eignung hin analysiert, die ökonomische Rationalität der KÜfzungsplanung in öffentlichen Verwaltungen zu erhöhen. Zwei dieser Vorschläge werden vor allem von der Exekutiven getragen: das Verfahren der Aufgabenkritik zur Konsolidierung kommunaler Haushalte und die Grenzprogrammbudgetierung. Einem Zwang zum Abbau von Defiziten durch ein gesetzlich vorgeschriebenes Verfahren hat sich der Haushaltsgesetzgeber in den Vereinigten Staaten mit dem "Balanced Budget and Emergency Deficit Control Act of 1985" unterworfen. Eine umfassende Ergänzung des Haushaltsrechts sieht der Vorschlag von Grossekettler vor. Danach soll im Haushaltsrecht eine besondere Verfahrensordnung verankert werden, welche die Besonderheiten der finanzpolitischen Willensbildung bei Finanzierungsengpässen berücksichtigt. In Kapitel F werden auf der Basis des Vorschlags von Grossekettler Vorschläge für eine Reform des bundesdeutschen Haushaltsrechts entwickelt.

12 13 14

Vgl. § 9 und § 10 StWG sowie § 50 HGrG. Vgl. § 12 Abs. 2-4 StWG. VgJ. § 51 HGrG.

11. Gang der Untersuchung

17

Zunächst wird der Ansatz der fmanzwirtschaftlichen Ordnungspolitik erläutert. Dieser Ansatz beruht auf der Grundidee, daß für die finanzpolitischen Entscheidungen der politischen Entscheidungsträger auf der Verfassungsebene bindende Regeln vorgeschrieben werden. Aufbauend auf dieser Grundidee wird deshalb gezeigt, wie aus dem Subsidiaritätsprinzip Kriterien für den Abbau von Verwaltungspotential und die Kürzung von Subventionen abgeleitet werden können. Das weitere Vorgehen ergibt sich aus den bei Finanzierungsengpässen notwendigen Entscheidungen: Eine Reform des Haushaltsrechts sollte Regeln vorsehen, wann das Kürzungsverfahren auszulösen ist, wie das Kürzungsvolumen zu ermitteln ist, wie das Kürzungsvolumen auf die verschiedenen von einer Gebietskörperschaft wahrgenommenen Aufgaben verteilt wird, wie die Koordination der Kürzungsplanung im Finanzplanungsrat ausgestaltet werden kann und schließlich welche ergänzenden Maßnahmen für den Vollzug eines Kürzungsplans vorgesehen werden müssen.

2 Schwarzncr

B. Die Anforderungen an das Haushaltsrecht bei Finanzierungsengpässen I. Die Budgetfunktionen der Haushaltsplanung bei Finanzierungsengpässen

Der Haushaltsplan stellt für das politisch-administrative System das zentrale Steuerungsinstrument dar. l Die Haushaltsplanung ist das Koordinationsinstrument zur Abstimmung des Handelns aller mit der staatlichen Aufgaben- und Programmgestaltung befaßten Stellen des Regierungs- und Verwaltungsapparates. 2 Die Anforderungen an dieses Steuerungsinstrument werden in der Literatur mit den Budgetfunktionen beschrieben. Danach soll der Haushaltsplan - grob gesprochen - eine politische Funktion erfüllen, den stabilisierungspolitischen Notwendigkeiten Rechnun~ tragen sowie das finanzielle Gleichgewicht der Verwaltung sicherstellen. Diese Budgetfunktionen sollen im folgenden unter dem Aspekt der Budgetierung bei Finanzierungsengpässen im einzelnen erläutert werden, um das Zielsystem herauszuarbeiten, auf das der Ordnungsrahmen für die Kürzungsplanung ausgerichtet sein sollte. In diesem Zusammenhang wird auch geklärt, was im normativen Sinne unter "Kürzungsbedarf" verstanden werden kann. Als zentrale Funktion des Haushaltsplans wird die politische Funktion bezeichnet.4 Diese Funktion verlangt vom Haushaltsplan, daß er Ausdruck der politischen Ziele der jeweiligen Regierung ist. In der Haushaltsplanung werden Inhalt und Umfang des staatlichen Aufgaben- und Verantwortungsbereichs bestimmt, und es erfolgt die Umsetzung politischer Ziele in konkrete Ausgabenprogramme.5 Übertragen auf die Kürzungsplanung heißt dies, daß die Entscheidungsträger insbesondere darüber entscheiden müssen, welche öffentlich wahrgenommenen Aufgaben weniger dringlich sind. Aus ökonomischer Sicht wird im Rahmen der Kürzungsplanung also insbesondere die Entscheidung über das Güterbündel getroffen, das die jeweilige Gebietskörperschaft weniger oder gar nicht mehr bereitstellen soll. Neben dieser Funktion der Haushaltsplanung als Planungs- und Entscheidungsinstrument hat sie die Funktion, dem Parlament die Kontrolle

Colms, G. (1952), S. 520 und Färber, G. (1984), S. 15. Senf, P. (1977), S. 374f.

4

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

5

Vgl. Hansmeyer, KH., Rürup, B., (1984), S. 9.

1 2 3

zu den Budgetfunktionen Neumark, F. (1952), S. 558f. Neumark, F. (1952), S. 558.

I. Die Budgetfunktionen der Haushaltsplanung

19

des politischen Handelns der Regierung zu ermöglichen.6 Dies ist der politische Kontrollaspekt der Kürzungsplanung. Gegenstand der Kürzungsplanung ist damit die Entscheidung über "Posterioritäten".7 Damit stellt sich die Frage, ob man staatlich wahrgenommene Aufgaben angeben kann, die bei Finanzierungsengpässen bevorzugt gekürzt werden sollten. Damit verbunden ist die Frage, ob die Auswahl der Ziele staatlichen Handeins ausschließlich über den politischen Prozeß zu deftnieren sind oder ob sie einer ökonomischen Beurteilung zugänglich sind. Für die ökonomische Analyse der Ziele staatlichen Handelns hat es sich als zweckmäßig erwiesen, zwischen allokativen, redistributiven und stabilisierungspolitischen Funktionen öffentlicher Haushalte zu unterscheiden.8 Betrachtet man zunächst die Allokationsfunktion, wird mit der Haushaltsplanung zum einen darüber entschieden, wie die verfügbaren Produktionsfaktoren zwischen dem privaten und öffentlichen Sektor und zum anderen darüber, wie die durch eine öffentliche Verwaltung beanspruchten Ressourcen auf die verschiedenen von dieser Verwaltung wahrgenommenen Aufgaben aufgeteilt werden. Deshalb kann man fragen, wann ein allokativ begründeter Kürzungsbedarf besteht. Dabei sollen hier zwei Fälle unterschieden werden: - Welche allokativen Funktionen sollen nicht (mehr) von einer bestimmten öffentlichen Verwaltung wahrgenommen werden? Da damit die Frage nach der Verteilung von güterwirtschaftlichen Kompetenzen zwischen Markt und Staat und innerhalb des Staates auf die verschiedenen föderalen Ebenen gestellt wird, kann man hier von der qualitativen Efftzienz der staatlichen Tätigkeit sprechen. - Wann soll ein Teilabbau von Verwaltungspotential erfolgen? Da damit die Frage nach dem Abbau von Überkapazitäten beim Verwaltungspotential gestellt wird, soll hier von der quantitativen Efftzienz einer Gebietskörperschaft gesprochen werden. Die Frage nach der Verteilung der güterwirtschaftlichen Kompetenzen zwischen Markt und Staat und innerhalb des Staates auf die verschiedenen föderalen Ebenen soll hier nur grob und nur für die Aufgabenverteilung zwischen Markt und politisch-administrativem System unter dem Aspekt des Kürzungsbedarfs beantwortet werden. Sie wird in Kapitel 5.1.2 und 5.1.3 ausführlicher behandelt, wenn Aufgreifkriterien für die Kürzung von Transformationsausgaben und Subventionen abgeleitet werden.

7

Vgl. Hansmeyer, KH., Rürup, B., (1984), S. 10. Vgl. Fricke, E. (1985), S. 398.

8

Vgl. Musgrave, RA., Musgrave, P.B., Kullmer, L. (1984), S. 5CC.

6

20

B. Die Anforderungen an das Haushaltsrecht

Fragt man danach, welche Kompetenzen vom Staat wahrgenommen werden sollen, muß zwischen Bereitstellungs- und Herstellungskompetenzen unterschieden werden.9 Unter der Bereitstellungskompetenz wird die Befugnis verstanden, die Nachfrage nach einem Gut zu organisieren. Dazu gehört die Kompetenz, über die Art, die Kapazität und die Menge des einem Kollektiv zur Verfügung stehenden Gutes zu entscheiden (Beschaffungskompetenz) und die Kompetenz, die mit der Beschaffungsentscheidung verbundenen Finanzierungslasten auf die Mitglieder eines Kollektivs umzulegen (Finanzierungskompetenz). Von der Organisation der Nachfrage muß das Problem unterschieden werden, welche Kompetenzen öffentlichen Verwaltungen im Bereich der Produktion von Gütern zugewiesen werden sollen. Der Unterschied zwischen der Bereitstellungs- und der Herstellungsentscheidung kann an einem Beispiel verdeutlicht werden: Wenn politisch entschieden wird, daß jedem Bürger Universitäten ohne spezielles Nutzungsentgelt offenstehen, so ist das eine Bereitstellungsentscheidung. Dies schließt aber nicht aus, daß das Universitätsangebot privatwirtschaftlich organisiert wird. Der Staat kann sich darauf beschränken, den Bürgern die Kosten für den Besuch einer privaten Universität ihrer Wahl zu erstatten. IO Die Antwort auf die Frage, welche güterwirtschaftlichen Kompetenzen das politisch-administrative System aus ökonomischer Sicht nicht mehr wahrnehmen sollte, so daß man von einem Kürzungsbedarf sprechen kann, erfordert eine Entscheidungsregel. Als Entscheidungsregel dafür kann das Subsidiaritätsprinzip der Marktwirtschaft herangezogen werden. Dieses Prinzip stammt aus der katholischen Soziallehre und räumt den kleineren Gemeinwesen den Vorrang vor den Gemeinwesen höherer Ordnung und damit der freiwilligen Aufgabenerfüllung den Vorrang vor der zwangsweisen Aufgabenerfüllung ein. l1 Eine staatliche Organisation der Nachfrage bedeutet typischerweise, daß die Bürger die Entscheidung über die Art und Menge eines bereitzustellenden Gutes auf ein gewähltes Parlament übertragen und diesem Parlament auch die Kompetenz zur Erhebung von Zwangsabgaben einräumen und sollte in einer freiheitliche Demokratien mit einer marktwirtschaftlichen Ordnung die Ausnahme sein. 12 Eine staatliche Bereitstellung von Gütern ist somit mit der Anwendung von Zwang verbunden. Eine öffentliche Gebietskörperschaft kann man deshalb als einen Zwangsverband der

VgI. Grossekeuler, H. (1988), S. 10. Vgl. zu diesem Beispiel Ande~ N. (1983), S. 7f. 11 VgI. dazu ausführlich Grossekeuler, H. (1984), S. 38ff. 12 VgI. Grossekeuler, H. (1984), S. 38. Ähnlich auch Reinermann, H. (1975), S. 3lff und Soltwede~ R u.a. (1986), S. 17. 9

10

I. Die Budgetfunktionen der Haushaltsplanung

21

Bürger auffassen, auf den diese ausnahmsweise bestimmte Bereitstellungsaufgaben delegieren. Die Zuweisung von Bereitstellungsaufgaben auf einen solchen Zwangsverband läßt sich nach dem Subsidiaritätsprinzip der Marktwirtschaft dann rechtfertigen, wenn die Privaten in Kenntnis ihrer Anreizstrukturen diese Aufgabe nicht selbst erfüllen können, und sich, damit ihre Ziele erfüllt werden, freiwillig hoheitlichen Zwängen unterwerfen. Grundsätzlich erscheint die Erfüllung einer Bereitstellungsaufgabe durch eine öffentliche Gebietskörperschaft für solche Güter gerechtfertigt, bei denen das Exklusionsprinzip versagt. 13 Dann läßt sich nach dem Subsidiaritätsprinzip der Marktwirtschaft das diesem Ziel dienende Ausgabenprogramm ökonomisch legitimieren. Von öffentlichen Verwaltungen wahrgenommene Aufgaben, die nicht durch Verweis auf Externalitäten gerechtfertigt werden können, stellen einen potentiellen allokativ begründeten Kürzungsbedarf dar. Diese Einschränkung staatlicher Bereitstellungsaufgaben auf Güter, deren Finanzierung staatliche Zangsabgaben erfordern, basiert auf dem Subsidiaritätsprinzip und damit auf einem Werturteil, das wie alle Aussagen über Ziele und Normen auf subjektiven Einschätzungen beruht, die nicht verallgemeinert werden können und deshalb zunächst nicht in die Kompetenz des Ökonomen fallen. Für den Fall des Versagens des Ausschlußprinzips läßt sich aber Zwang und damit eine staatliche Bereitstellungskompetenz mit Hilfe eines doppelten Tests vertragstheoretisch legitimieren und zu an der Realität überprüfbaren Aussagen machen. 14 Dies soll im folgenden näher erläutert werden. In einem ersten Test kann man prüfen, ob die Übertragung einer Bereitstellungsaufgabe auf einen Zwangsverband von ökonomisch aufgeklärten Bürgern in einer Situation der Ungewißheit über das Ob und Wie der eigenen Betroffenheit in einen Gesellschaftsvertrag aufgenommen würde. Dieser "Test auf Zugehörigkeit zu einem hypothetischen Gesellschaftsvertrag" hat den Charakter eines Gedankenexperiments, der Gemeinwohlziele als solche plausibel macht. ls In einem zweiten Test kann man prüfen, ob das beobachtbare Verhalten der Bürger und Mißstandsäußerungen darauf hindeuten, daß die Übertragung einer Aufgabe auf einen Staat von allen Bürgern anerkannt

13 Zum Versagen des Ausschlußprinzip als ausschlaggebendes Kriterium für allokative Eingriffe des Staates vgI. insbesondere Leipold, H. (1987). Von Präferenz- und/ oder Informationsverzerrungen (meritorischen und demeritorische Gütern) als Legitimation staatlichen Handeins wird hier abgesehen, weil diese nicht unmittelbar ausgabenwirksame Entscheidungen nach sich ziehen, sondern in erster Linie Informationen erfordern. 14 Vgl. Grossekenler, H. (1989 b), S. 323f. Vgl. zur Legitimation von Zwang in diesen Fällen auch Behrens, P. (1986), S. 199ff. IS Dieser Test geht auf Rawls, J. (1975) zurück.

22

B. Die Anforderungen an das Haushaltsrecht

würde. Dieser "Test auf Zugehörigkeit zu einem impliziten Gesellschaftsvertrag" führt Werturteile über Staatsaufgahen als empirische Zielhypothesen ein und macht die Normen damit in dem Sinne prinzipiell überprüfbar, daß nach Indikatoren dafür gesucht wird, ob eine Vernachlässigung der Aufgabe als sozialer Mißstand empfunden würde. Besteht eine staatlich wahrgenommene Aufgabe diese heiden Tests, so kann sie als vertragstheoretisch legitimiert gelten. Der "Test auf Zugehörigkeit zu einem hypothetischen Gesellschaftsvertrag" und der "Test auf Zugehörigkeit zu einem impliziten Gesellschaftsvertrag" kann an dem Beispiel des Zwangskollektivgutes "Sicherheit gegen Überschwemmungen durch einen Deich" verdeutlicht werden. Aufgeklärte Bürger würden unter dem Schleier der Ungewißheit und in Kenntnis ihrer eigenen Anreizstruktur wohl nicht darauf vertrauen, daß dieses Gut allein durch freiwillige Finanzierungsbeiträge in ausreichendem Umfang bereitgestellt würde. Wenn sich genug freiwillige Zahler für die Errichtung und Erhaltung eines Deichs fänden, würden von dessen Schutzwirkungen auch die Nichtzahler profitieren. Für jeden Einzelnen bestünde deshalb der Anreiz, die Finanzierungslasten, die mit der Bereitstellung des Deiches verbunden sind, zu vermeiden. Aufgrund dieser Anreize zum "Schwarzfahren" würden aufgeklärte Bürger sich daher vermutlich dafür entscheiden, daß der Staat dieses Gut als ihr Stellvertreter nachfragt und mit Zwangsabgaben finanziert. Das bedeutet aber auch, daß ein "Test auf Zugehörigkeit zu einem impliziten Gesellschaftsvertrag" vermutlich zu dem Ergebnis führen würde, daß eine Mehrheit eine Vernachlässigung dieser Aufgabe als sozialen Mangel empfinden würde. In ähnlicher Weise kann die Internalisierung externe Effekte mit Hilfe dieser beiden Tests als öffentliche Aufgabe legitimiert werden. Von externen Effekten soll hier gesprochen werden, wenn bei privaten Transaktionen reale Wirkungen auf das Produktions- bzw. Nutzenpotential von Dritten entstehen, die keine Berücksichtigung in den Marktprozessen finden. Als Beispiel sei auf Umweltschäden verwiesen, die durch die industrielle Produktion entstehen können. Externe Effekte bei der Produktion von Individualgütern kann man als Kuppelproduktion von Individual- und Zwangskollektivgütern auffassen. Die Vermeidung dieser negativen externen Effekte stellt dann ein Gut dar, das dadurch gekennzeichnet ist, daß niemand von dem Konsum ausgeschlossen werden kann. So hat der negative externe Effekt "Luftverschmutzung" das Pendant "saubere Luft", wenn die Verschmutzung vermieden wird. Bei externen Effekten dieser Art kann niemand ausgeschlossen werden, so daß aufgeklärte Bürger deren Vermeidung auf einen Zwangsverband übertragen würden. Die heutige Umweltschutzdiskussion und die Mißfallensäußerungen über die Umweltverschmutzung in der Bevölkerung können dahingehend interpretiert werden, daß die Mehrzahl der Bürger in der Bereitstellung solcher Umweltgüter eine staatliche Aufgabe sieht.

I. Die Budgetfunktionen der Haushaltsplanung

23

Ein allokativ begründeter Kürzungsbedarf ergibt sich auch bei fehlender quantitativer EffIzienz öffentlich bereitzustellende Güter. Als Maßstab für die Dimensionierung der öffentlich bereitzustellenden Güter sollten in freiheitlichen und individualistisch geprägten indirekten Demokratien die individuellen Präferenzen der Konsumenten berücksichtigt werden. 16 Damit wird ausgeschlossen, daß irgendein "kollektives Interesse" der "Körperschaft als solcher" als Beurteilungskriterium für den Umfang der öffentlich bereitzustellenden Güter herangezogen wird. Speziell bei Kürzungsprozessen ist damit die Frage, welche Güter nicht mehr im bisherigen Umfang öffentlich bereitgestellt werden sollen, unter bezug auf die Präferenzen der Bürger zu beantworten. Dabei kann man zwei Arten von Ungleichgewichten unterscheiden: Ein globales Ungleichgewicht der öffentlichen Haushalte ist nach diesem Kriterium dann gegeben, wenn die alternative Verwendung der Produktionsfaktoren im privaten Sektor einen höheren Nutzen stiftet als die bisherige Verwendung im öffentlichen Sektor. Ein solcher Kürzungsbedarf bedeutet, daß das Ausgabenniveau einer Gebietskörperschaft im Ganzen gesenkt werden muß. Kürzungsbedarfe bestehen aber nicht nur bei einem globalen Ungleichgewicht. Von einem strukturellen Ungleichgewicht kann man dann sprechen, wenn die Struktur der öffentlich bereitgestellten Güter nicht den Präferenzen der Bürger entspricht. 17 Ein Kürzungsbedarf ist also auch dann gegeben, wenn die alternative Verwendung der öffentlichen Mittel im öffentlichen Sektor selbst einen höheren Nutzen hat als die bisherige Verwendung. Öffentlich wahrgenommene Aufgaben sollen dann nicht mehr in dem bisherigen Umfang bereitgestellt werden, wenn die Erträge einer alternativen Verwendung der Mittel aus der Sicht der Bürger höher sind als der entgangene Nutzen. Kürzungsbedarfe in diesem Sinne können dann entstehen, wenn das politisch-administrative System verzögert oder gar nicht auf exogene Datenänderungen reagiert, die in normativer Hinsicht zu einem Abbau von Verwaltungspotential führen müßten. Solche exogenen Datenänderungen können den Gesamthaushalt ungleichgewichtig werden lassen, etwa wenn sich der Steuerwiderstand in der Bevölkerung exogen erhöht. Datenänderungen können aber auch die Budgetstruktur betreffen, etwa wenn eine zu Recht oder zu Unrecht als staatliche Aufgabe angesehene Tätigkeit, wie Z.B. bis vor kurzem die Förderung des Mietwohnungsbaus, als erledigt angesehen wird, weil ein Ausgleich von Angebot und Nachfrage erreicht ist. Neben der allokativen Funktion hat das Budget auch eine redistributive Funktion. Im Rahmen der Haushaltsplanung werden auch Entscheidungen getroffen, die sich unmittelbar oder mittelbar auf die Einkommensvertei-

16 17

Vgl. Ande~ N. (1983), S. 111. Vgl. Ande~ N. (1983), S. 115.

24

B. Die Anforderungen an das Haushaltsrecht

lung auswirken. Unter redistributiven Ausgaben sollen hier vorläufig Ausgaben verstanden werden, die sich nicht im oben aufgezeigten Sinne allokativ begründen lassen. Damit stellt sich die Frage, ob redistributive Ziele staatlichen Handelns mit Hilfe der vorgestellten Legitimationstests zu beurteilen sind und folglich im Umkehrschluß "Kürzungsbedarfe" bei den Subventionen festgestellt werden können. Fragt man nach der ökonomischen Legitimation von redistributiven Zielen, so kann staatliche Umverteilung als ein generationsübergreifender Versicherungsvertrag aufgefaßt werden, den aufgeklärte Bürger in einer Situation der Ungewißheit über die eigene zukünftige Leistungsfähigkeit und die Leistungsfähigkeit ihrer Nachkommen schließen würden. Solch ein Vertrag würde ex ante auf dem Äquivalenzprinzip beruhen. 18 Der Nutzen der staatlichen Umverteilung besteht in der Vernichtung von Risiken, speziell von Einkommensrisiken. Die gesamtwirtschaftlichen Kosten eines solchen Versicherungsvertrages bestehen in den staatlichen und privaten Transaktionskosten (Verwaltungskosten, Erhebungskosten, Informationskosten, etc.) und in den Disincentive-Wirkungen der Umverteilung, denn ex post hat ein solcher Vertrag natürlich umverteilende Wirkungen zwischen denjenigen, die von einem "Schadensfall" (dem "Unfall", daß das Leistungseinkommen unter ein bestimmtes Niveau sinkt) betroffen sind und denjenigen, die primär nicht betroffen sind. Ein Vertrag dieser Art muß zum einen vom Staat per Zwang durchgesetzt werden, wenn die gegenwärtige Generation keine ausreichende Vorsorge für das Alter trifft. Zum anderen ist staatlicher Zwang aber auch deshalb erforderlich, weil zu den Vertragsparteien auch die zukünftigen Generationen gehören. Diese würden zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses dem Versicherungsvertrag auch freiwillig beitreten. Wenn sie aber geboren sind und ihre eigenen Fähigkeiten abschätzen können, haben die Leistungsfähigen unter ihnen den Anreiz, aus dem Vertrag auszuscheiden. Die staatlichen Hauptinstrumente der Verteilungspolitik sind zum einen die Besteuerung der Einkommen nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip und zum anderen die Zahlung von Transfers an private Haushalte. Diese Instrumente sollen deshalb hier nicht betrachtet werden, sondern die Analyse soll vielmehr auf Subventionen beschränkt werden. Zum einen können Subventionen allokativ begründet sein, beispielsweise als Entgelt für die externen Effekte einer Bewirtschaftung von Nutzwäldern in Form von positiven Klimawirkungen und Erholungsmöglichkeiten. Häufig werden Subventionen aber überwiegend redistributive Wirkungen haben. Derart motivierte Subventionen müssen sich, um als ökonomisch legitimiert zu gelten, auf das Versicherungsprinzip des Staates zurückführen lassen.

18

Vgl. zum folgenden Engels,

w., Bal~ H.

(1978), S. 214ff.

I. Die Budgetfunktionen der Haushaltsplanung

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Der Charakter von Subventionen als Versicherungsleistung kann an dem Beispiel der regionalen Wirtschaftsförderung verdeutlicht werden. Als legitimes Ziel der Wirtschaftsförderung kann man die Schaffung von ausreichenden Arbeitsplatzchancen in allen Teilregionen eines Wirtschaftsraumes ansehen, um unsoziale Wanderungszwänge zu vermeiden.19 Dieses Ziel kann gefährdet sein, wenn es im Rahmen eines Strukturwandels der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zu einem Rückgang der Nachfrage in einer Teilregion kommt. Ist die betroffene Region monostrukturiert, kann dadurch die Notwendigkeit bestehen, durch Finanzhilfen Unternehmen aus anderen Branchen anzusiedeln. Der Versicherungscharakter dieser Finanzhilfen wird deutlich, wenn man bedenkt, daß Regionen mit einem ausgewogenen Unternehmensportefeuille insofern gegen Risiken aus (nicht prognostizierbaren) Veränderungen der Gesamtnachfrage versichert sind, weil dann der Nachfragerückgang über viele Regionen streut und folglich in einer Teilregion keine fühlbaren Mobilitätszwänge für die betroffene Bevölkerung entstehen. Diese Interpretation von Transfers als Auszahlungen aus einem Versicherungsfonds für ganz bestimmte Lebensrisiken kann nutzbar gemacht werden, um ökonomisch nicht legitimierbare Transfers des Staates an Unternehmen zu identifizieren und damit Subventionskürzungen ökonomisch zu begründen. Neben der Programmfunktion muß die Finanzpolitik auch bei Finanzierungsengpässen den Zielen Vollbeschäftigung, Preisniveaustabilität, Zahlungsbilanzgleichgewicht sowie der Realisierung einer angemessenen Wachstumsrate Rechnung tragen. 20 Das Problem, daß Ausgabenkürzungen aus stabilisierungspolitischen Gründen notwendig sein können, soll hier nicht betrachtet werden, weil das haushaltsrechtliche Instrumentarium dafür bereits mit dem Stabilitätsgesetz geschaffen worden ist. 21 Unter dem Gesichtspunkt der Budgetierung bei allokativ begründeten Kürzungsbedarfen verlangt die stabilisierungspolitische Funktion, daß prozyklische Ausgabenkürzungen der öffentlichen Haushalte vermieden werden. In Phasen konjunktureller Überhitzung gehen Ausgabenkürzungen und Stabilisierungsziel konform. 22 Die Gefahr von prozyklischen Ausgabenkürzungen besteht insbesondere in Phasen der Rezession.13 Mit der Programmfunktion und der wirtschaftspolitischen Funktion werden die Ziele der staatlichen Tätigkeit erfaßt, die bei der Kürzungsplanung berücksichtigt werden sollen. Daneben muß der Haushaltsplan analog zum betrieblichen Rechnungswesen dazu beitragen, daß der verwal19

Vgl. dazu Grossekettler, H. (1989 c), S. 11.

Vgl. Neumark, F. (1952), S. 559 und Musgrave, RA., Musgrave, P.B., Kullmer, L. (1984), S. 13ff. 21 Vgl. dazu etwa Mackscheidt, K, Steinhausen, J. (1978), S. 146ff. 22 Vgl. Wille, E. (1984), S. 299. 13 Vgl. etwa, diesen Punkt besonders betonend Littmann, K (1984 a), S. 47 sowie SVR (1981), TZ. 345, 382 und Gandenberger, O. (1983), S. 849. 20

26

B. Die Anforderungen an das Haushaltsrecht

tungswirtschaftliche Produktionsprozeß überwacht und die Kostenefftzienz des staatlichen Handelns gewährleistet werden kann. 24 Nimmt man das Ausmaß der Aufgabenerfüllung als gegeben an, kann man sich auf das Wirtschaftlichkeitsprinzip als Kostenminimierungsprinzip beschränken. Ein Kürzungsbedarf besteht dann, wenn bei staatlichen Leistungserstellungsprozessen Abweichungen von der Minimalkostenkombination auftreten, so daß sich durch die Rationalisierung der Leistungserstellung Ausgabensenkungen realisieren lassen. Auf der anderen Seite folgt aus der Kostenplanungsfunktion des Budgets, daß sichergestellt sein muß, daß Inputineffizienzen in der Leistungserstellung durch "falsche" Kürzungsentscheidungen vermieden werden. Kosten- und Ausgabensenkungen müssen aber nicht zusammenfallen. Damit stellt sich die Frage, welcher Kostenbegriff der Kürzungsplanung zugrunde zu legen ist. Diese Frage muß unter Bezugnahme auf einen gesamtwirtschaftlich orientierten Kostenbegriff der öffentlichen Aufgabenerfüllung beantwortet werden, weil die von der öffentlichen Verwaltung zur Aufgabenerfüllung angewendeten Instrumente unterschiedlich ausgabenintensiv sind. Mit der Ausgabenintensität wird das Verhältnis von den aufgewendeten Ausgaben zum gesamten zur Erfüllung einer öffentlich wahrgenommenen Aufgabe notwendigen Ressourceneinsatz gemessen. 2S Das staatliche Instrumentarium umfaßt neben den unmittelbar ausgabenwirksamen Instrumenten auch beispielsweise die Zuordnung von Eigentumsrechten und den Einsatz von Ge- und Verboten.26 Diese Instrumente verlagern die Kosten des Ressourceneinsatzes z.T. auf Dritte. Beispielsweise sind Ge- und Verbote nur bezüglich der Bereitstellungsentscheidung mit Ausgaben verbunden, also etwa für die Entscheidung, welche Umweltstandards von schadstoffemitierenden Unternehmen eingehalten werden sollen.27 Gleichwohl sind mit diesen Bereitstellungsentscheidungen gesamtwirtschaftliche Kosten verbunden, die sich in diesem Falle in den Wirtschaftsplänen der betroffenen Unternehmen, etwa in Form zusätzlicher Umweltschutzinvestitionen, niederschlagen. Diese Kosten die durch Kürzungen bei Privaten entstehen können, müssen bei der Kürzungsplanung berücksichtigt werden. Neben der Sicherung der Kostenefftzienz der Verwaltung soll der Haushaltsplan sicherstellen, daß durch die Gegenüberstellung von erwarteten Einnahmen und geplanten Ausgaben die von der Regierung projektierten

vgl. Grossekettler, H. (1989 a), S. 164. Vgl. zum Konzept der Ausgabenintensität der öffentlichen Aufgabenerfüllung Zimmermann, H. (1973/1974), S. Hf. 26 Vgl. Zimmermann, H. (1973/74), S. 8. Im folgenden soll aber von Budgetintensität gesprochen werden, da SteueIVergünstigungen die Einnahmenseite öffentlicher Haushalte betreffen, aber als Ausgabenäquivalente anzusehen sind. 27 Nur am Rande sei darauf hingewiesen, daß auch die "Produktion" dieser Entscheidung mehr oder weniger effIZient erfolgen kann. 24

2S

11. Das Versagen des politischen Wettbewerbs

27

Aufgaben fmanziell realisiert werden können (fmanzpolitische Funktion).28 Bevor auf die Funktion des Haushaltsrechts zur Erfüllung der Budgetfunktionen näher eingegangen wird, soll gezeigt werden, daß der zentrale Selbststeuerungsmechanismus des politisch-administrativen Systems - der politische Wettbewerb - typischerweise nicht dazu führt, daß allokativ begründbare Kürzungsentscheidungen zustande kommen und warum es systematisch im politischen Wettbewerb zu Verletzungen der fmanzwirtschaftlichen Ordnungsfunktion kommt. 11. Das Versagen des politischen Wettbewerbs bei der Notwendigkeit von Ausgabenkürzungen Bei der Beantwortung der Frage, warum allokativ begründete Kürzungsbedarfe im politischen Wettbewerb nicht in Ausgabenkürzungen umgesetzt werden, wird von der ökonomischen Theorie der Politik ausgegangen. 29 Dieses Modell überträgt die Figur des rational handelnden Individuums auf den politischen Prozeß. Nach dem Prinzip des methodologischen Individualismus ist das Verhalten von sozialen Organisationen immer als Resultat der Entscheidungen und Werthaltungen von einzelnen Individuen aufzufassen.3O Dieser Erklärungsansatz wird hier aus zwei Gründen gewählt: zum einen läßt sich mit Hilfe dieser Annahme das Versagen des politischen Wettbewerbs bei Finanzierungsengpässen plausibel machen und zum anderen müssen bei der Gestaltung des Haushaltsrechts die Regeln auf eigennützig handelnde Politiker zugeschnitten werden. Die Ökonomische Theorie der Politik beschreibt die Beziehungen zwischen Politikern und Wählern als Tauschprozeß. Als typische Elemente in der Nutzenfunktion der Politiker werden Macht, Prestige und Einkommen angenommen.31 Die Befriedigung dieser Nutzenfaktoren hängt von der Wiederwahl durch die Wähler ab, die ihrerseits das politische Programm auswählen, das ihren Präferenzen am nächsten kommt. Die politischen Parteien konkurrieren mit Programmvorschlägen um die Stimmen der Wähler. Eigennütziges Verhalten in diesem Sinne schließt allerdings an individuellen Werthaltungen orientiertes Handeln von Politikern nicht aus.32 Die Wiederwahl kann für wertorientierte Politiker auch als Nebenbedingung für die Durchsetzung persönlicher Wertvorstellungen angesehen werden. Insofern ist es für die folgenden Überlegungen unerheblich, ob

28 Vgl. Neumark, F. (1952), S. 558. Hansmeyer, K-H., Rürup, B. (1984), S. 8f. sprechen von der finanzwirtschaftlichen Ordnungsfunktion. 29 Vgl. das Basismodell von Downs, A. (1968). 30 Vgl. etwa Thürmer, L. (1984), S. 22. 31 Vgl. Downs, A. (1968), S. 27. 32 Vgl. Schmidt, K (1985 a), S. 58. Vgl. auch Herder-Domeich, P. Groser, M. (1977), S. 92, die von Programmorientierung sprechen und Thürmer, L. (1984), S. 79, der von Ideologieneigung spricht.

28

B. Die Anforderungen an das Haushaltsrecht

das Handeln der Politiker durch die Stimmenmaximierungshypothese zutreffend beschrieben wird oder ob die Wiederwahl "nur" die Nebenbedingung für die Durchsetzung persönlicher Werthaltungen ist. Im folgenden soll der "Basisdefekt" des politischen Wettbewerbs dargestellt werden, der zur Folge hat, daß gesamtwirtschaftliche EffIzienzgewinne, die Kürzungen erfordern, nicht in politische Programme umgesetzt werden. Die Durchsetzungsprobleme von Kürzungen sind ursächlich mit der Wiederwahlorientierung der Politiker verknüpft. Die isolierte Kürzung eines einzelnen Programmes ist schon deshalb in der Regel nicht mehrheitsfähig, weil die Nutzen der Ausgabenkürzungen sich kaum fühlbar über die Wähler- und Interessensgruppen verteilen und die Kürzungslasten dagepen ganz spezifisch einzelne Wähler- oder Interessensgruppen treffen. 3 Unmittelbar einsichtig ist dies etwa für die Kürzung von Transferzahlungen an Unternehmen. Auch der Abbau von Überkapazitäten bei unentgeltlich bereitgestellten Gütern bedeutet einen realen Einkommensverlust für die Nutzer dieser Güter, weil der Grenznutzen der Inanspruchnahme der Kapazität bis zur Sättigungsmenge positiv ist. Hinzu kommt, daß die Beseitigung von Überkapazitäten politisch deshalb problematisch ist, weil beim Abbau von öffentlich bereitgestellten Gütern und Diensten, die bisher eher passiv konsumiert und deshalb nicht wahrgenommen wurden, ein Pendant zur Ausgabenillusion ("die Kosten tragen die anderen") fehlt und die Belastungswirkungen der Kürzung deshalb sehr deutlich ins Bewußtsein der betroffenen Bürger treten. 34 Ein überdimensionierter Parkplatz mitten in der Stadt wird kaum als individueller Vorteil wahrgenommen. Wird er aber u.a. mit dem Ziel verkleinert, zukünftige Instandsetzungsaufwendungen zu senken, und treten dadurch im Vergleich zum vorherigen Zustand Überfüllungserscheinungen auf, so wird nach dieser Hypothese die Reduktion der Infrastrukturqualität stimmenwirksam wahrgenommen. Ursache dafür ist die in der heutigen Finanzverfassung dominierende Entkoppelung von Einnahmen und Ausgaben. Eine institutionelle Ursache für die Problematik der politischen Durchsetzung von Ausgabenkürzungen ist damit das Nonaffektationsprinzip der öffentlichen Einnahmen. Dieses Prinzip besagt, daß alle Einnahmen zur Deckung aller Ausgaben zur Verfügung stehen. Durch den Verzicht auf eine Zweckbindung von Einnahmen sind die "Kürzungserträge", die Entlastung von den Finanzierungslasten, von den "Kürzungslasten" , dem Weniger an öffentlich bereitgestellten Gütern entkoppelt. Die Zweckbindung öffentlicher Einnahmen ist die Voraussetzung für die möglichst weitgehende ÄquivaienzfInanzierung der öffentlich wahrge-

33 34

vgl. Amim, v. H.H. (1986), S. 84. Vgl. SChmidt, K (1985 a), S. 65 und S. 69.

11. Das Versagen des politischen Wettbewerbs

29

nommenen Aufgaben.35 Diese Finanzierungsregel besagt, daß der Kreis der Zahlungsverpflichteten so abgegrenzt werden soll, daß er sich mit dem Kreis der Nutzer deckt (gruppenmäßige Äquivalenz).36 Dieses Prinzip ist Bestandteil des umfassenderen Kongruenzprinzips, das als Organisationsregel für Kollektive zusätzlich verlangt, daß die Kreise von Entscheidungsund Kontrollberechtigten sich decken (Demokratieprinzip) sowie die Kontrollberechtigten die Kontrolle unmittelbar oder über Direktwahlen ausüben. 37 Der Grundgedanke des Äquivalenzprinzips ist es, daß die finanziellen Leistungen der Bürger mit dessen Gegenleistungen in Einklang stehen sollen.38 Das Äquivalenzprinzip verlangt also eine möglichst güterspezifische Zurechnung der mit der Bereitstellung eines Gutes verbundenen Finanzierungslasten. Die güterspezifische Finanzierung nach dem Äquivalenzprinzip hat, wenn sie durch die Zweckbindung von Einnahmen ergänzt wird, den Vorteil, daß die Bürger unmittelbar mit den Kosten der Bereitstellungsentscheidungen konfrontiert werden.39 Entsprechend sind bei Anwendung dieser Finanzierungsregel bei Kürzungen dann die Entlastungswirkungen in Form einer Reduzierung der Finanzierungslast mit den Belastungswirkungen durch die Einschränkung des staatlichen Leistungsangebots gekoppelt. Grundsätzlich ist aber auch angesichts der in der heutigen Finanzverfassung vorherrschenden Entkoppelung von Einnahmen und Ausgaben nicht ausgeschlossen, daß beispielsweise in Verbindung mit einer Steuersenkung ein Kürzungspaket vorgeschlagen wird, das alle oder zumindestens eine Mehrheit der Wirtschaftssubjekte besser stellt, weil es gelingt, die Kürzungslasten im Verhältnis der Steuerentlastungen zu verteilen. Ein solche Kürzungsplan wäre somit im Prinzip im politischen Wettbewerb mehrheitsfähig. Durch den Verzicht auf eine Zweckbindung öffentlicher Einnahmen und eine möglichst weitgehende Äquivalenzfinanzierung befinden sich die Wähler bei ihrer Entscheidung, ob sie einem Kürzungsplan zustimmen, aber in einem Gefangenendilemma. Diese Anreizstruktur wird in der Spieltheorie analysiert und beschreibt die Entscheidungssituation zweier Häftlinge, die vor der Wahl stehen, in getrennten Verhören ein Verbrechen entweder zu gestehen oder die Tat zu leugnen.40 Aus den beiden möglichen Handlungsalternativen der Gefangenen ergeben sich vier mögliche Ergebnisse: Gesteht einer und der andere leugnet die Tat, gilt der Leugner als überführt und erhält eine hohe Strafe, während der geständige Häftling eine milde Strafe erhält. Gestehen beide, so erhalten beiden eine

35

Zur Vorteilhaftigkeit der Zweckbindung in Verbindung mit dem Äquivalenzprinzip vgI.

Wittmann, W. (1981), S. 11ff.

36 Vgi. Haller,

V gi. 38 Vgi. 39 Vgl. 40 Vgl. 37

H. (1981), S. 4Off. dazu ausführlich Grosselrettler, H. (1987 c), S. 415ff. Hanusch, H. (1981), S. 37. Wittmann, W. (1981), S. 18f. dazu zusammenfassend Behrens, P. (1986), S. 89.

30

B. Die Anforderungen an das Haushaltsrecht

milde Strafe. Leugnen heide, kann keiner der heiden Gefangenen überführt werden und beide kommen frei. Bei dieser Konstellation ist es für beide Gefangenen individuell rational, die Tat zu gestehen, weil sie jeweils damit rechnen müssen, daß der andere ebenfalls gesteht und sie im Falle einer Leugnung der Tat die harte Strafe zu erwarten haben. Bei einer solchen Anreizstruktur führt individuell rationales Verhalten zu kollektiv irrationalen Ergebnissen. Das Gefangenendilemma der Wähler bei Finanzierungsengpässen besteht darin, daß es für jeden Einzelnen rational ist, sich der Kürzung der ihn begünstigenden Ausgaben zu widersetzen, solange nicht gewährleistet ist, daß alle anderen Wählergruppen ihrerseits auf den (erfolgreichen) Widerstand gegen einen Kürzungsplan verzichten, weil nur dann die Entlastungswirkungen in Form der Senkung der Steuerquote oder der Reduzierung von Finanzierungsdefiziten zustandekommen.41 Dies hat zur Folge, daß sich ein wiederwahlorientierter Politiker nicht mit einem konkreten Kürzungsplan bei seinen Wählern profilieren kann, auch wenn damit ein gesamtwirtschaftlicher Mehrwert verbunden ist. Die empirisch belegbare Feststellung, daß Wähler die Forderung nach einer Senkung der Staatsquote, bzw. einer Reduzierung der Steuerlast mit der Forderung nach höheren Ausgaben für vereinbar halten42, ist deshalb kein Indiz für irrationale Einschätzungen der Wähler, sondern eine Folge des Auseinanderfallens von kollektiver und individueller Rationalität. Es wird aber eher die Ausnahme als die Regel sein, daß Kürzungspläne so mit Steuerentlastungen gekoppelt werden können, daß die Entlastungswirkungen die Belastungswirkungen kompensieren. Kürzungspläne haben deshalb oft den Charakter eines "unechten Gefangenendilemmas" . Ein unechtes Gefangenendilemma ist dadurch gekennzeichnet, daß zwar die Summe der individuellen Gewinne in einem Kollektiv durch eine Maßnahme gesteigert werden kann, daß dies aber daraus resultiert, daß der Gewinn eines Mitgliedes den Verlust eines anderen Mitgliedes übersteigt. Typischerweise ist eine Konsolidierung öffentlicher Haushalte durch Ausgabenkürzungen nur durch die SchlechtersteIlung bestimmter Wählergruppen zu erreichen.43 Dies kann an einem Beispiel verdeutlicht werden. Hat der Staat beispielsweise durch die Förderung des Wohnungsbaus für ein Überangebot an Wohnungen gesorgt, ist dies typischerweise mit einem Rückgang des allgemeinen Mietpreisniveaus verbunden. Dies empfinden nur diejenigen Vermieter als "Mangel", die vor der Subventionierung in den Wohnungsbau investiert haben, weil sie keine angemessene Eigenkapitalverzinsung mehr erzielen und gleichzeitig aber wegen des gebundenen Kapitals nicht aus dem Markt austreten wollen. Die Mieter

42

Vgl. zum folgenden für viele Folkers, C. (1986 c), S. 384. Vgl. Critin, 1., Green, D.P. (1985), S. 18ff.

43

Vgl. Folkers, C. (1985), S. 287ff.

41

11. Das Versagen des politischen Wettbewerbs

31

dagegen profitieren von den gesunkenen Mieten. Zieht der Staat sich aus der Förderung des Wohnungsbaus zurück, normalisiert sich zwar das Einkommen dieser Vermieter; es werden aber die Mieter durch diese Kürzung in Form höherer Mieten belastet. Ein solcher Kürzungsplan genügt zwar dem Kompensationskriterium der Wohlfahrtstheorie, wenn aufgrund von EffIzienzgewinnen durch den Rückzug des Staates alle Wählergruppen besser gestellt werden könnten. Zum einen wird aber für die zur Realisierung der Wohlfahrtsgewinne notwendigen Anpassungsprozesse Zeit benötigt. Die Abschätzung dieser Anpassungsprozesse ist für die Wählergruppen zudem mit (oft prohibitiven) Informationskosten verbunden.44 Stimmenwirksam und damit politisch relevant werden deshalb insbesondere die Primärwirkungen der Ausgabenkürzungen sein und das sind in der Regel die temporären Verluste. Zum anderen sind, auch wenn insgesamt ein Nettogewinn in der Volkswirtschaft erzielt werden kann, technisch schwer oder gar nicht ZU realisierende Umverteilungsprozesse erforderlich. 45 Die aufgezeigten Dilemmasituationen beim Zustandekommen eines Kürzungsplans haben zur Folge, daß wiederwahlorientierte Politiker allokativ begründete Kürzungsbedarfe nicht in politische Programme umsetzen. Deshalb werden Kürzungsplanungen in öffentlichen Haushalten nicht durch überhöhte öffentliche Ausgaben, sondern nur von wiederwahlgefährdenden Finanzierungsdefiziten oder einer wiederwahlgefährdenden Steuerquote ausgelöst.46 A1lokative Kürzungsbedarfe sind aber durch die Entkoppelung von Einnahmen und Ausgaben nicht zwingend an wiederwahlgefährdende Steuerbelastungen und/oder Finanzierungsdefizite gekoppelt. Durch die Entkoppe1ung von Einnahmen- und Ausgabenentscheidungen kann - wie gesagt - eine "gleichgewichtige" Steuerquote auch mit einem strukturellen Ungleichgewicht der öffentlich bereitgestellten Güter einhergehen. Ein wesentlicher Grund für das Politikversagen ist - wie gezeigt wurde der Verzicht auf die Durchsetzung des Äquivalenzprinzips. Eine Möglichkeit zur Vermeidung dieses Politikversagens wäre die verstärkte Anwendung dieser Finanzierungsregel. Dadurch könnten die geschilderten Kürzungswiderstände reduziert und die aufgezeigten Dilemmasituationen aufgelöst werden, weil Entlastungs- und Belastungswirkungen bei äquivalenzfmanzierten Aufgaben zusammenfallen. Dies ist aber kein Problem der "Ausgabenordnung", sondern ein Problem der "Einnahmenordnung", d.h. von Finanzierungsregeln. Im folgenden soll deshalb der festgestellte Basisdefekt der Finanzverfassung "Verzicht auf die Zweckbindung öffentlicher Einnahmen und eine möglichst weitgehende Äquivalenzfinanzierung" nicht Vgl. Folkers, C. (1985), S. 278. Vgl. lU diesem Beispiel Weizsäcker, c.c.v. (1984), S. 135. 46 Dies kann l.B. auch der Fall sein, weil sich in der Bevölkerung staatsquotensenkende Ideologien durchsetzen. Vgl. Schmidt, K (1985 a), S. 6Of. 44

45

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B. Die Anforderungen an das Haushaltsrecht

weiter verfolgt werden. Vielmehr sollen im folgenden die Funktionen des Haushaltsrechts für die inneradministrativen Entscheidungsprozessse aufgezeigt werden. III. Die Funktion des Haushaltsrechts bei Finanzierungsengpässen Grundsätzlich hat das Haushaltsrecht eine Instrumentalfunktion in bezug auf die dargestellten Budgetfunktionen bei Finanzierungsengpässen und damit grundsätzlich auch die Funktion, die aufgezeigten Mängel des politischen Wettbewerbs zu vermeiden. Eine erste Funktion des Haushaltsrechts folgt damit unmittelbar aus dem Versagen des politischen Wettbewerbs. Stellen die politischen Willensbildungsprozesse nicht sicher, daß Kürzungsbedarfe in politische Programme umgesetzt werden, muß das Haushaltsrecht dies durch geeignete Regeln sicherstellen. Hier kann man von der Auslösefunktion des Haushaltsrechts für Kürzungsplanungen sprechen. Dem Politikversagen beim Umsetzen von ökonomisch begründbaren Kürzungsbedarfen in politische Programme entspricht ein Politikversagen bei der Stabilisierung von einmal gefundenden Kürzungsentscheidungen. Wiederwahlorientierte Politiker werden sowohl von den durch Kürzungen geschädigten Interessensgrupppen als auch von den geschädigten Fachverwaltungen gedrängt werden, Kürzungsentscheidungen zurückzunehmen.47 Für jeden Politiker lohnt es sich, einen beschlossenen Kürzungsplan zu sabotieren, weil ein einzelner Austritt aus einer Kürzungskoalition das Kürzungsziel für den Gesamthaushalt nicht gefährdet. Jeder Politiker hat den Anreiz, dies möglichst als Erster zu tun, weil er ansonsten nicht nur die (verwaltungsexterne und -interne) Kritik an den Kürzungen hinnehmen muß, sondern die zusätzliche Kritik auf sich zieht, durch seine Passivität die Programme des "Deserteurs" zu finanzieren.48 Diese Anreizstrukturen führen zur systematischen Instabilität von "Sparprogrammen". Eine zweite Funktion des Haushaltsrechts bei Finanzierungsengpässen besteht deshalb darin, einmal gefundene Kürzungskompromisse dauerhaft zu stabilisieren, d.h. deren Kontinuität zu wahren. Um die Funktionen des Haushaltsrechts für die Sicherung der qualitativen und quantitativen Effizienz sowie der Kosteneffizienz der öffentlichen Verwaltung aufzuzeigen, muß die Struktur des politisch- administrativen Systems näher dargestellt werden. Das (haushaltsrechtlich relevante) poli-

47

Vgl. Vaube~ R (1982), S. 47f.

48

Behn, RD. (1985), S.162 beschreibt dieses Verhalten anschaulich mit dem Satz: "Indeed,

the only way to benefit is to jump the ship". Vgl. auch Banner, G. (1985), S. 189.

111. Die Funktion des Haushaltsrechts bei Finanzierungsengpässen 33 tisch-administrative System besteht aus der Exekutive und der Legislative.49 Eine Einschränkung der Analyse auf die Beziehungen zwischen Parlament und Exekutive, wie dies in "klassischen" Modellen der Ökonomischen Theorie der Bürokratie geschieht,SO wäre aber unzureichend, weil damit die maßgeblichen Einflüsse auf die fmanzpolitische Willensbildung bei Finanzierungsengpässen angesichts der hiesigen institutionellen Bedingungen nicht erfaßt werden, insbesondere weil Parlamentsmehrheit und Regierung in der Regel die gleichen politischen Ziele verfolgen, deren Umsetzung von der gemeinsamen Wiederwahl abhängig ist. Außerdem ist - wie später noch genauer gezeigt wird - der Einfluß des Parlaments auf einen Kürzungsplan außerordentlich gering. Die Willensbildungsprozesse bei Kürzungsbedarfen vollziehen sich vielmehr schwergewichtig innerhalb der Exekutiven. Fragt man nach den für die Kürzungsplanung typischen Rollen innerhalb der Exekutive, so lassen sich Verwaltungen mit Steuerungsfunktionen (Steuerungsverwaltungen) von Fachverwaltungen abgrenzen.sl Die Steuerungsverwaltung unterscheidet sich von der Fachverwaltung dadurch, daß sie ressortübergreifende "Kürzungsmacht" hat. Diese Rollengegensätze resultieren aus der Arbeitsteilung innerhalb der Exekutive. Für die Gestaltung bestimmter Politikfelder (Fachpolitiken) ist jeweils ein Fachressort zuständig. Diesen "Aufgabenspezialisten" steht als "Aufgabengeneralist" das Finanzressort gegenüber.s2 Das Finanzressort ist aufgrund seiner starken Stellung im Haushaltskreislauf ein wesentlicher Bestandteil der Steuerungsverwaltung, dem durch seine Einnahmeverantwortung auch die Verantwortung zum Haushaltsausgleich zukommt.53 Ressortübergreifende Steuerungsfunktionen in diesem Sinne nimmt auch das Kabinett als Ganzes wahr. Im folgenden wird deshalb Steuerungsverwaltung als übergeordneter Begriff für die Entscheidungsträger mit ressortübergreifender Kürzungsmacht innerhalb der Exekutive gebraucht. Bezieht man die interne Struktur einer Verwaltung in die Betrachtung ein, kann man eine (wiederwahlorientierte) politische Führung, die "Entscheidungsebene", und eine "Arbeitsebene" unterscheiden. Die Koordinationsbeziehungen zwischen diesen beiden Ebenen sind durch ein hierarchisches Subordinationsverhältnis gekennzeichnet. Die Koordination erfolgt hier durch ein Anweisungs- und Kontrollsystem. Das Haushaltsrecht ist ein wesentliches Element in diesem Anweisungs- und Kontrollsystem und hat im wesentlichen die Funktion, sicherzustellen, daß das Verwaltungshandeln 49 Im folgenden werden die Begriffe "Exekutive" und "Verwaltung" sowie "Legislative" und "Parlament" synonym gebraucht, während "Regierung" und "Kabinett" die politische Führung der Exekutive bezeichnet. so Das Basismodell stammt von Niskanen, WA. (1971). SI Die Terminologie ist an Banner, G. (1987) angelehnt. 52 Vgl. Mäding, H. (1987), S. 34f. 53 Vgl. Mäding, H. (1987), S. 34f. 3 Schwarzner

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B. Die Anforderungen an das Haushaltsrecht

mit den politischen Zielen der Entscheidungsebene in einer Verwaltung übereinstimmt (Steuerungsfunktion). Neben dieser Steuerungsfunktion kommt dem Haushaltsrecht eine Informationsfunktion zu. Typischerweise fallen in der öffentlichen Verwaltung "Kürzungsverstand" und "Kürzungsmacht" auseinander.S4 Während die Kürzungsmacht beim Finanzressort liegt, sind die relevanten Informationen über Kürzungspotential in der Regel nur in den "Basiseinheiten der Verwaltung", in der Ministerialbürokratie also etwa in den Referaten, oder im nachgeordneten Bereich vorhanden. Dies betrifft Informationen darüber, wo in der Verwaltung Rationalisierungsreserven vorhanden sind und wo folglich Ausgabenkürzungen ohne fühlbare Einschränkung des öffentlich bereitgestellten Outputs möglich sind. Lassen sich Outputkürzungen nicht vermeiden, sind Informationen über die Auswirkungen von Haushaltskürzungen auf die Outputstruktur erforderlich. Diese Informationen sind ebenfalls eher in der Fachverwaltung und dort eher "unten" als "oben" vorhanden, weil sie in der Regel leichteren Zugang zu den Interessensgruppen haben, die Informationen über die Auswirkungen von alternativen Konsolidierungsstrategien bezüglich der von ihnen vertretenen Mitglieder relativ kostengünstig verfügbar machen können.55 Angesichts der Informationsverteilung über Kürzungsmöglichkeiten in der öffentlichen Verwaltung ist es zur Erfüllung der Steuerungsfunktion notwendig, daß die politische Führung einer Verwaltung über Kürzungsmöglichkeiten in ihrem Bereich informiert wird. Das Informationsgefälle resultiert letztlich aus der tragenden Stellung der Fachreferate im organisatorischen Aufbau eines Ministeriums.56 In einer komplexen Organisation wie einer Gebietskörperschaft muß die politische Führung wegen ihrer begrenzten Informationsverarbeitungskapazitäten Kompetenzen auf die Arbeitsebene delegieren. Der Ordnungsrahmen für die Kürzungsplanung muß dann sicherstellen, daß die Budgetierungsprozesse der Steuerungsverwaltun.§ als der Instanz mit "Kürzungsmacht" Entscheidungsoptionen anbietet. Das Haushaltsrecht muß diese Informationsfunktion insbesondere durch ein funktionales Aufstellungsverfahren für einen Kürzungsplan sicherstellen. Das Haushaltsrecht kann zur Erfüllung der Budgetfunktionen dadurch beitragen, daß es den Ordnungsrahmen für die budgetäre Willensbildung bei Finanzierungsengpässen festlegt. Die haushaltsrechtlichen Regeln sollen - analog zu den Wettbewerbsregeln für den privaten Sektor - den Entscheidungsspielraum für die finanzpolitischen Entscheidungsträger so be-

VgI. Grossekettler, H. (1985), S. 556. Die Interessensverbände werden dabei zwischen dem Einfluß des jeweiligen "Ansprechpartners" und seiner Beeinflußbarkeit abwägen. 56 VgI. dazu Denso, J. U.Q. (1976), S. 59ff. 57 VgI. Langner, P. (1985), S. 69f. S4

55

III. Die Funktion des Haushaltsrechts bei Finanzierungsengpässen 35 schränken, daß dysfunktionale Entscheidungen unterbleiben. Ziel der folgenden Ausführungen ist es, den bestehenden Ordnungsrahmen für die Willensbildungsprozesse bei Finanzierungsengpässen daraufhin zu untersuchen, inwieweit er zur ökonomischen rationalen Bewältigung von Ausgabenkürzungen geeignet ist oder für Budgetierungsmängel bei Finanzierungsengpässen verantwortlich ist. Darunter sollen die Mängel im Rahmen der Prozesse der Haushaltsplanaufstellung, -durchführung und -kontrolle verstanden werden.58 Budgetierungsmängel bei Finanzierungsengpässen kann man zum einen - wie oben gezeigt - auf das Versagen des politischen Wettbewerbs bei allokativ begründeten Kürzungsbedarfen, zum anderen aber auch auf Verwaltungsversagen zurückführen, denn durch bürokratische Organisationsstrukturen können diese Mängel ebenfalls entstehen und/oder das Politikversagen verstärken.39 Die Entscheidungsträger in einer Gebietskörperschaft handeln innerhalb des durch das Haushaltsrecht gesetzten Rahmens eigennützig und individuell rational. Ausgangspunkt der Ableitung der Budgetierungsmängel bei Finanzierungsengpässen soll deshalb die Analyse der typischen Motivationsstrukturen der Entscheidungsträger sein.

58 39

Vgl. ähnlich Folkers, C. (1986 b), S. 228. Vgl. Folkers, C. (1986 b), S. 228.

c. Mängelanalyse I: Die kurzfristige Haushaltsplanung bei Finanzierungsengpässen

I. Die Motivationsstrukturen in der Verwaltung bei Finanzierungsengpässen Bei der Analyse des haushaltsrechtlichen Rahmens für die kurzfristige Haushaltsplanung soll schwergewichtig auf die inneradministrativen Beziehungen abgestellt werden. Geht man von der oben angeführten Unterscheidung zwischen Steuerungsverwaltung und Fachverwaltung aus, scheinen bei Finanzierungsengpässen für die Fachverwaltung drei Ziele als vordringlich: Die Sicherung von Budgets, die Sicherung der Mitarbeiterzahl und die Sicherung von Kompetenzen.! Die Sicherung von Budgets als handlungsleitendes Motiv läßt sich aus der Budgetmaximierungshypothese von Niskanen ableiten. Danach ist die Zielerfüllung der Individualziele der Verwaltungsspitze vom zugewiesenen Budget abhängig.2 Budgets sind aber nur eine Ressource, von der Prestige, Einkommen und Macht für ein Verwaltungsmitglied abhängen.3 Beachtet man, daß Stellenplankürzungen typischerweiser mit erhöhter Arbeitsbelastung für die verbleibenden Mitarbeiter in der Verwaltung verbunden sind, so ist die Vermeidung von Stellenkürzungen für die Verwaltungsleitung vermutlich ein handlungsleitendes Motiv. Für diese beiden Motive in der Fachverwaltung bei Finanzierungsengpässen sprechen auch empirische Untersuchungen. So gehörten in den Vereingten Staaten neben den "guten Beziehungen zur Haushaltsadministration" der Schutz bestehender Programme und die Vermeidung von Entlassungen zu den wichtigsten Erfolgsindikatoren für die Fachbehörden.4 Gegen die Bedeutung dieser Motive spricht auch nicht, daß nach dieser Untersuchung die "guten Beziehungen zur Haushaltsadministration" der wichtigste Erfolgsindikator für die Fachverwaltungen war, denn diese können für die Fachverwaltung auf einer instrumentalen Ebene zur Durchsetzung ihrer eigentlichen Ziele liegen. Desweiteren dürfte der Sicherung von Kompetenzen bei Kürzungsbedarfen eine gewisse Bedeutung zukommen.s Dafür läßt sich anführen, daß

! Vgl. zu den Motivationsstrukturen der Bürokraten bei Finanzierungsengpässen insbesondere Lüder, K. (1983), S. 79, Mäding, H. (1983 a), S. 400 und Fürst, D. (1982) S. 419. 2 Vgl. Niskanen, WA. (1971), S. 36ff. 3 Hier wird der wertmäßig neutralere Begriff des "Verwaltungsmitglieds" anstelle des üblicherweise in der Literatur verwendeten Begriffs des "Bürokraten" benutzt. 4 Vgl. Duncombe, S., Kinney, R (1987), S. 27f. Vgl. auch de Groot, H., Sluis, J. (1987). S Vgl. Leipold, H. (1983) S. 197. Ähnlich Behrens (1986), S. 211.

I. Die Motivationsstrukturen in der Verwaltung

37

zum einen die zukünftigen materiellen Anreize des Verwaltungsmanagements positiv mit der Anzahl der Kompetenzen verknüpft sind. Zum anderen können sie als Vorgesetzte ihren Mitarbeitern bessere zukünftige Einkommens- und Beförderungschancen und ein bequemeres Leben sichern.6 Gegen die ausschließliche Betrachtung egoistischer Motivationen der Akteure wird eingewendet, daß damit vernachlässigt wird, daß Verwaltungsmitglieder sehr wohl gemeinwohlorientiert und damit auch "altruistisch" handeln können.1 Die Annahme, daß das Verhalten der Fachressorts durch umfangreiche "Ressourcensicherungsstrategien" im Sinne der Sicherung von Budgets, Personal und Kompetenzen gekennzeichnet ist, erscheint aber auch dann noch plausibel, wenn der Fachpolitiker vollständig im Sinne des Kabinetts oder vollständig gemeinwohlorientiert handeln wollte. Für Fachpolitiker und Verwaltungsmitglieder gilt gleichermaßen, daß sie sich aufgrund der langjährigen Beschäftigung mit "ihrer" Fachpolitik identifIZieren und so einer gewissen "deformation professionelle" unterliegen. Deshalb ist die jeweilige Verwaltungsspitze der Meinung, daß die Leistun~en "ihres" Ministeriums zu den für das Gemeinwohl wichtigsten zählen. Dies wird durch eine zweite, damit aber zusammenwirkende Wahrnehmungsverzerrung verstärkt. Die Fachressorts haben das subjektive Gefühl, daß jeweils die anderen Abteilungen durch den Haushaltsplan überproportional begünstigt werden, obwohl diese doch angesichts der "objektiven" relativen Dringlichkeiten schon reichlich mit Haushaltsmitteln ausgestattet sind.9 Treffen diese Wahrnehmungsverzerrungen zu, erschweren, weitgehend unabhängig vom Gewicht von egoistischen und altruistischen Motiven, Ressourcensicherungsstrategien der Akteure die Herstellung des für Kürzungen erforderlichen Klimas. lO Den ressourcensichernden Fachverwaltungen steht das Finanzressort gegenüber, dem wie gesagt durch den institutionellen Rahmen die Einnahmeverantwortung zugewiesen ist. 11 Bei der Aufstellung eines Kürzungsplans ist das Finanzressort gezwungen, die Ausgabenpläne der Fachressorts zum Ausgleich zu bringen. 12 Für die Kürzungsverhandlungen ist

Vgl. zu diesem Ziel von "Bürokraten" beisp. Thürmer, L. (1984), S. 115ff. Vgl. etwa Musgrave, RA. (1983), S. 12lf. 8 Vgl. Grossekettler, H. (1987), S.5. 9 Vgl. Lange, H. (1987), S. 52. 10 Vgl. Tarschys, D. (1983), S. 219. 11 Auch die Haushaltsadministration wird Kompetenzen verteidigen. So wird das Scheitern einer Verknüpfung von Aufgaben- und Finanzplanung beim Bund Anfang der siebziger Jahre auch auf den Widerstand des Finanzressorts zurückgeführt, welches die Gefahr sah, auf die Rolle des Buchhalters reduziert zu werden [vgl. Permantier, H. (1979), S. 268]. Dies ist aber kein Problem der Kürzungsplanung, sondern u.u. ein Problem der Implementation der Kürzungsordnung. 12 Vgl. Mäding, H. (1987), S. 34. 6

1

38

C. Mängelanalyse I: Die kurzfristige Haushaltsplanung

deshalb anzunehmen, daß das Finanzressort vorwiegend den Ausgleich des Haushalts sichern und dabei keine eigenen Programmvorstellungen in der Haushaltsplanung durchsetzen will. 13 Man kann deshalb davon ausgehen, daß das Finanzressort die Interessen des Gesamtkabinetts wahrnimmt. Dabei wird das Finanzressort in der Regel die Konflikte mit den Fachressorts unter der Nebenbedingung minimieren, daß ein vorgegebener Finanzierungsrahmen eingehalten wird. Dieser Finanzierungsrahmen wird durch das Steueraufkommen und das rechtlich zulässige oder politisch vertretbare maximale Defizit festgelegt. Als Beleg für diese konfliktminimierende Strategie kann man anführen, daß im Rahmen der Haushaltsplanung in frühen Prognosen die Einnahmeentwicklung unterschätzt und bei Konflikten mit den Fachressorts mit der Regierung Rücksprache gehalten wird. 14 Im folgenden soll aus den dargestellten Motivationsstrukturen in einer Verwaltung das typische Kürzungsverhalten und die daraus resultierenden Mängel aufgezeigt werden. Dabei wird auf die von Grossekettler entwikkelte Klassifikation von Kürzungsstrategien zurückgegriffen. Anknüpfend an die Gliederung und die Geltungsdauer der Haushaltspläne können Vorund Nachteile einer Kürzungsstrategie mit Hilfe der Dimensionen des Grades der zeitlichen Strekung und des Linearitätsgrades beschrieben werden. ls Daneben stellt sich die Frage, wie die Kürzungskompetenzen innerhalb einer Gebietskörperschaft verteilt werden sollen. Dieser "Raum der Kürzungsstrategien" soll im folgenden kurz erläutert werden. Der Grad der zeitlichen Streckung erfaßt, ob ein vorgegebenes Kürzungsziel allmählich oder sofort realisiert werden und ob der Beginn der Kürzung u. U. zeitlich versetzt zur Kürzungsentscheidung erfolgen soll. Hier werden insbesondere die Grundsätze der Jährlichkeit und der zeitlichen Spezialität auf ihre Eignung für die Kürzungsplanung zu analysieren sein. Der Linearitätsgrad erfaßt, ob die Ausgabenansätze nach Organisationseinheiten wie Einzelplänen (d.h. Ressorts) oder Kapiteln (also innerhalb der Ressorts abgrenzbaren Organisationseinheiten) oder nach Titeln linear oder differenziert gekürzt werden sollen. Von besonderer Bedeutung für den Linearitätsgrad ist das Aufstellungsverfahren des Kürzungsplans. Desweiteren kann eine Kürzungsstrategie danach klassifiziert werden, ob den Fachverwaltungen globale Kürzungsbeträge auferlegt werden oder

13 Vgl. Teuscher, H. (1976), S. 160ff. und aus der Sicht eines Praktikers Lange, H. (1987), S.52. 14 Vgl. Blankan, CB. (1974), S. 331. IS Vgl. zum folgenden Grossekenler, H. (1983), S. 17ff. Grossekettler hat die Erörterungen auf die Kürzung von Transforrnationsausgaben beschränkt. Sie gelten aber, wie noch zu zeigen sein wird, mit geringen Modifikationen auch für die Kürzung von Transfers an Unternehmen.

I. Die Motivationsstrukturen in der Verwaltung

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ob die politische Führung (im Extremfall) titelweise über Kürzungen entscheidet. Damit ist die Frage nach der Kompetenz für die Detailentscheidung bei KÜfzungszwängen gestellt. Deshalb wird hier insbesondere darauf einzugehen sein, ob der Grundsatz der sachlichen Spezialität bei Finanzierungsengpässen funktional ist. Während der Ordnungsrahmen den Linearitätsgrad und den zeitlichen Streckungsgrad nur indirekt beeinflußt, ist die Frage nach der Kompetenzverteilung als ein unmittelbares Steuerungsinstrument des Haushaltsrechts anzusehen. Diese Kompetenzverteilung ist von Bedeutung, weil dadurch das Gewicht der einzelnen Akteure bei der fmanzpolitischen Willensbildung maßgeblich beeinflußt wird. 16 Man könnte deshalb vom Zentralisierungs- bzw. Dezentralisierungsgrad einer KÜfzungsstrategie sprechen. Zusätzlich wird der Versuch unternommen, für die Mängel des typischen Kürzungsverhaltens mitursächliche Vorschriften des Haushaltsrechts zu identifizieren. Die heutigen Regeln für die fmanzpolitische Willensbildung betreffen überwiegend nicht die materielle Ausgabenpolitik. Als materielle Vorschriften sind insbesondere die Verpflichtung zum Haushaltsausgleich und das Kreditfmanzierungsrecht zu nennen. 17 Das weitgehende Fehlen materieller Vorschriften für die Kürzungspolitik hat zur Folge, daß das Haushaltsrecht heute nicht auf die oben dargestellten legitimierbaren öffentlichen Bereitstellungskompetenzen zugeschnitten ist. Gleichwohl liegen in der Vorgabe von operationalen Kriterien für das "Ob" einer öffentlichen Aufgabenerfüllung erhebliche Möglichkeiten für eine Verbesserung der Kürzungsplanung. Deshalb wird bei der Erarbeitung von Kürzungsregeln im fünften Kapitel darauf zurückgekommen. Das heutige Haushaltsrecht steuert vielmehr überwiegend durch Verfahrensvorschriften. "Die Aufgabe des Rechts besteht hier vorab darin, das bei der Aufstellung und dem Vollzug des "Plans" zu befolgende Verfahren und die Kompetenzen festzulegen.,,18 Die wesentlichen Verfahrensvorschriften sind die Gliederung des Budgets, die rechtlichen und organisatorischen Regelungen für das Zustandekommen des Haushaltsgesetzes und des Haushaltsplans und die Dauer der Haushaltsperiode. Die wesentliche Kompetenzvorschrift, die das Verhältnis von Exekutive und Legislative betrifft, ist der Grundsatz der Spezialität. Beispielhaft kann hier auch auf die Aufstellung des Haushaltsplans in der Verantwortung der Exekutive verwiesen werden. 19 Das Haushaltsrecht steuert auch durch die Verteilung von Kompetenzen zwischen der Steuerungs- und den Fachverwaltungen. Verwiesen sei auf § 27 Abs. BHO, mit der die Aufstellung der Voranschläge in die alleinige Kompetenz der Fachressorts gestellt wird und die

16 Vgl. vAmim, H.H.

(1984), S. 302. Vgl. Rehm, H. (1975), S. 61f. 18 S. Koller H. (1983) S. 48f. 19 Vgl. Piduch, EA. (1987), Bd. I, RN. 15. zu Art. 110 GG.

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C. Mängelanalyse I: Die kurzfristige Haushaltsplanung

starke Stellung des Finanzministers bei der Aufstellung des Haushaltsplanentwurfs sowie beim Vollzug des Haushaltsplans. Um institutionelle Mängel und damit Ansatzpunkte für eine Reform des Haushaltsrechts abzuleiten, werden im folgenden der typische zeitliche Streckungsgrad des Kürzungsverhaltens und die daraus resultierenden Mängel herausgearbeitet und das Haushaltsrecht daraufhin analysiert, inwieweit es diese Mängel angesichts der dargestellten Motivationstrukturen nicht vermeidet oder sogar fördert. Entsprechend wird beim Linearitätsgrad und beim Zentralisierungsgrad der typischen Kürzungsstrategie vorgegangen. 11. Der zeitliche Streckungsgrad des Kürzungsverhaltens im Soll-Ist-Vergleich 1. Der zeitliche Streckungsgrad des typischen Kürzungsverhaltens

Das zeitliche Anpassungsverhalten einer öffentlichen Verwaltung an ein niedrigeres Niveau der Ressourcenverwendung infolge von als dauerhaft anzusehenden Finanzierungsengpässen verläuft typischerweise in drei Phasen. Diese drei Phasen lassen sich aus einem allgemeinen Theorem des Organisationsverhaltens ableiten. 20 Diesen Phasen lassen sich jeweils typische Maßnahmen zur Beseitigung von Finanzierungsengpässen zuordnen. In der ersten Phase werden Anpassungen der Verwaltungsstrukturen durch die Mobilisierung von Reserven und die Erhöhung von Einnahmen vermieden. In der zweiten Phase dominieren dauerhafte Steigerungen der Einnahmen und lineare Kürzungen. Erst in der dritten Phase werden dauerhafte Veränderungen der Verwaltungsstrukturen vorgenommen. Diese typischen Phasen des Organisationsverhaltens bei Finanzierungsengpässen sollen im folgenden näher erläutert werden. Typischerweise ist die erste Phase des Organisationsverhaltens dadurch gekennzeichnet, daß rückläufi~e Finanzierungsspielräume nicht als dauerhaft wahrgenommen werden. 1 Ein Grund dafür ist, daß veränderte Umweltinformationen erst mit zeitlicher Verzögerung in ein geändertes Umweltbild umgesetzt werden.22 Fiskalische Krisen werden dann von der politischen Führung einer Verwaltung bei (auch) vergangenheitsorientierter Erwartungsbildung als exogen verursacht und nur vorübergehend interpretiert. Deshalb wird kein Entscheidungsbedarf für Eingriffe in die Personal- und Aufgabenstruktur der Verwaltung gesehen.

Zu diesem Theorem vgl. Grossekettler, H. (1973/74), S. 519ff. Vgl. Levine, Ch., Rubin, I.S., Wolohojian, G.G. (1982), S. 46, die von der Phase des "denial and delay" sprechen. 22 Vgl. dazu Mäding, H. (1983 a) S. 399. 20 21

11. Der zeitliche Streckungsgrad des Kürzungsverhaltens

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In dieser Phase zielen die Reaktionen deshalb vor allem auf den kurzfristigen Ausgleich des Haushalts durch Maßnahmen, denen gemeinsam ist, daß Reserven aufgelöst werden, die in Überschußperioden angesammelt wurden und deshalb von den Organisationsmitgliedern als "weich" empfunden werden. Da die Erwartungen noch auf zukünftig wieder ansteigende "reguläre" Einnahmen gerichtet sind, sind in dieser Phase die zusätzliche Aufnahme von Krediten und die Erzielung einmaliger Einnahmen durch die Veräußerung unwesentlicher Beteiligungen und Immobilien typisch. 23 Außerdem wird der Haushalt häufig durch "budgetäre Tricks" lediglich optisch saniert. Dazu gehört das Vorziehen von Steuerterminen und das Verschieben von Zahlungsterminen. Beispielsweise wurden im Rahmen des Subventionsabbaugesetzes von 1981 die Zahlungen des Bundes im Rahmen der Gasölverbilligung für die Landwirtschaft über einen Zeitraum von drei Jahren von einer Voraus- auf eine nachträgliche Zahlung umgestellt. "Dadurch ... waren an Haushaltsmitteln in den Jahren der Umstellung rechnerisch nur je 2/3 des Verbilligungsbetrages erforderlich."2A Weitere Maßnahmen eines in diesem Sinne "kreativen" Haushaltsausgleichs sind beispielsweise die Umbuchung von laufenden Ausgaben in den Vermögenshaushalt, um den Kreditfmanzierungsspieiraum zu erhöhen2S und das Leasen anstatt Kaufen von Anlagevermö§;en, um die im Haushaltsplan ausgewiesene Kreditfmanzierung zu senken. Zu den Maßnahmen, die nur eine optische Sanierung des Budgets bewirken, zählen auch Formen der Flucht aus dem Budget. So können die im Bundeshaushalt ausgewiesenen DefIZite beispielsweise dadurch gesenkt werden, daß zinsverbilligte Darlehen von rechtlich selbständigen Kreditinstituten gewährt werden. Eine andere Möglichkeit besteht darin, daß rechtlich unselbständige Sondervermögen des Bundes durch Bundesgesetz zur Aufnahme von Krediten ermächtigt werden, mit der Folge, daß Zuführungen aus dem Bundeshaushalt unterbleiben können. Z7 In der zweiten Phase des Kürzungsverhaltens wird erkannt oder zugegeben, daß der "vorübergehende Charakter" der Krise eine Fehleinschätzung war. 2S Da das Anspruchsniveau der Organisationsmitglieder nur mit zeitlicher Verzögerung nach unten angepaßt wird, fällt dieses Erkennen der dauerhaften Veränderung der Rahmenbedingungen aber typischerweise nicht mit der Anpassung des individuellen Verhaltens der Akteure zusammen. Zum einen werden deshalb die kurzfristig wirksamen Maß-

Vgl. Lang, E. (1985) S. 31 und Wolman, H. (1980), S. 234. S. 9. Subventionsberichl, S. 63, (Hervorhebung v. Verf.). 2S So in New York. Vgl. Rehn, RD. (1985), S. 171. 26 So geschehen bei der Anschaffung von Waffensystemen durch die V.S. Navy. Vgl. Behn, RD. (1985), S. 171 f. Z7 Vgl. Piduch, EA. (1987), Bd. I, RN 46 zu Art. 110 GG. 2S Vgl. Iones, L.R (1984), S. 55. 23

2A

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C. Mängelanalyse I: Die kurzfristige Haushaltsplanung

nahmen zur Verringerung der DefIZite fortgesetzt. Zum anderen wird versucht, durch die dauerhafte Erhöhung der Einnahmen und durch lineare Kürzungen Veränderungen der Organisationsstruktur zu vermeiden, weil interne Strukturveränderungen von den Betroffenen als sehr schwerwiegender Eingriff angesehen werden. 29 Dieses Kürzungsverhalten konnte in amerikanischen Städten beobachtet werden, wo in dieser zweiten Phase Strategien der Steigerung von Einnahmen dominierten.3O Eine mögliche Einnahmesteigerungsstrategie für deutsche Kommunen besteht in Gebührenerhöhungen durch die Neukalkulation der Kosten für kommunale Leistungen.31 In amerikanischen Gemeinden wurden für die Erhöhung der Finanzzuweisungen von anderen Gebietskörperschaften notfalls auch Aufgabenverlagerungen auf andere Verwaltungseinheiten akzeptiert.32 Wenn die rechtlichen und politischen Möglichkeiten zur Einnahmesteigerung ausgeschöpft sind, werden typischerweise Kürzungen vorgenommen, und zwar bevorzugt solche, die leicht durchsetzbar und schnell wirksam sind. Die Kürzungen betreffen dann wegen der scheinbaren Gerechtigkeit in der Regel alle Teilverwaltungen gleichermaßen?3 Typisch sind Maßnahmen wie Einkaufsstopps und Wiederbesetzungssperren, um im Rahmen der natürlichen Fluktuation Personal abzubauen. Eine kurzfristige Entlastung des Haushalts kann durch die Streckung von Investitionsausgaben und die Zurückstellung von Instandhaltungsaufwendungen sowie von Weiterbildungsmaßnahmen erzielt werden.34 Diese Maßnahmen berühren die Organisationsstruktur kaum und sind deshalb mit einem geringen Potential an organisationsinternen Widerständen verbunden. Jetzt erfolgen auch erste Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität, etwa durch den verstärkten Einsatz der EDV oder eine effektivere Organisation des Cash-Managements.3S Der in der zweiten Phase des Kürzungsverhaltens dominierende Versuch, den Haushalt durch Kürzungen "across-the-board" und globale Sparmaßnahmen auszugleichen, wird dadurch begrenzt, daß zum einen ein großer Teil der öffentlichen Ausgaben kurzfristig rechtlich fIXiert ist, und

Vgl. Grosseketder, H. (1973/74), S. 520. Vgl. etwa Lang, E. (1985), S. 32, Wo/man, H. (1981), S. 233ff und Levine, Ch.H., Rubin, 1., W%hojian, G.G. (1982), S. 45f. 31 Daß solche Strategien bei der Konsolidierung der kommunalen Haushalte in der ersten Hälfte der 80er Jahre eine gewisse Rolle gespielt haben, könnte der Anstieg des Anteils der Gebühreneinnahmen an den Gesamteinnahmen von 1980 bis 1984 von 18,1% auf 21,3% anzeigen. Vgl. Hohenemser, P. (1985), S. 240. 32 Vgl. Wo/man, H. (1980), S. 239. 33 Diese Linearisierungstendenzen werden in Kap. C. III. dieser Arbeit näher betrachtet. 34 Vgl. Iones, L.R. (1984), S. 55. 3S Vgl. Levine, Ch.H., Rubin, 1., W%hojian, G.G. (1982), S. 46. 29

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11. Der zeitliche Streckungsgrad des Kürzungsverhaltens

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zum anderen den unterschiedlichen Bedarfsentwicklungen in den Teilverwaltungen Rechnung getragen werden muß.36 Erst an die Phase der linearen Kürzungen der Budgets der Verwaltungseinheiten schließt sich typischerweise der Versuch an, den Haushalt durch gezielte Kürzungen zu entlasten.37 Um Kürzungen im größerem Umfang durchzusetzen, muß gezielt gekürzt werden. 38 Das Kürzungsverhalten ist in dieser dritten Phase dann einseitig fiskalisch orientiert und vernachlässigt mittel- bis langfristige Aspekte der Output- und Inputeffizienz. Aufgrund der verschenkten Zeit muß nun flexibilitätsorientiert gekürzt werden, und es kann auf relative (politische und ökonomische) Dringlichkeiten keine Rücksicht genommen werden.39 Diese dritte Phase ist typischerweise dadurch gekennzeichnet, daß die Erwartungen der Verwaltungsspitze und des mittleren Mana~ments über die Dauer und das Ausmaß der Krise nun angeglichen sind. Dabei verkürzt sich allerdings der Planungshorizont der fmanzpolitischen Entscheidungsträger. Sind die Kürzungszwänge Folge einer unvorhergesehenen Änderung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, beispielsweise einer mittelfristigen Abflachung des Sozialproduktwachstums, kommen Probleme der Haushaltsprognostik bezüglich der Einnahmen- und Ausgabenentwicklung hinzu.41 2. Die Mängel des typischen zeitlichen Streckungsgrades

Die Mängel der Anpassungsstrategien in den ersten beiden Phasen des Kürzungsverhaltens sind offensichtlich. Die Anpassungsprobleme durch die dauerhaften Finanzierungsengpässe werden zunächst nicht gelöst, sondern in die Zukunft verschoben. Beispielsweise können durch die Verschiebung von Instandsetzungsaufwendungen Schäden an der Bausubstanz entstehen, die häufig auch fiskalische Mehrbelastungen in den Folgejahren bedingen. Die gleiche Folge tritt ein, wenn Anlagegüter nicht kreditfinanziert, sondern geleast werden. Durch Wiederbesetzungsperren und Einstellungsstopps werden in der Regel keine dauerhaften Einsparungen erzielt, weil die Ausgaben ohne ergänzende produktivitätssteigernde Reorganisationsmaßnahmen und/oder Leistungseinschränkungen nur in die Zukunft verschoben werden.42 Durch zwischenzeitliche Nichtbesetzung oder den Einsatz weniger qualifizierter

36

37 38

39

40 41 42

vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Hoberg, R. (1982), S. 101 und Levine, eh. (1980 a), S. 306. etwa Iones, L.R. (1984), S. 57f. Schick, A. (1983), S. 2l. Mäding, H. (1983 a), S. 401 und KalI, A. (1983), S. 147.

Grossekettler, H. (1985), S. 557. KalI, A. (1983), S. 144.

WISSenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (1975/1988), S. 7f.

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C. Mängelanalyse I: Die kurzfristige Haushaltsplanung

Aushilfskräfte entstehen dann Kosten in Form eines "Produktions"ausfalls oder durch den Einsatz überqualiftzierter Arbeitskräfte für Hilfsfunktionen. Einstellungsstopps und Wiederbesetzungssperren betreffen zudem insbesondere Behörden mit einer hohen Fluktuation und führen zu personalstrukturbedingten und damit "ungeplanten" Veränderungen der Outputstruktur, wenn die Organisationseinheiten keine entsprechenden Rationalisierungsreserven haben.43 Die Folge ist, daß auch Verwaltungen, bei denen kein Kürzungsbedarf besteht, eine unnötig starke Abwanderung von fähigem Personal hinnehmen müssen und darüber hinaus Schwierigkeiten bei der Personalergänzung haben.44 Eine Umverteilung der Kürzungslasten durch diese zufällig wirkenden Maßnahmen, beispielsweise in den nächsten Haushaltsverhandlungen, ist dadurch erschwert, daß, wenn die Lasten erst einmal verteilt sind, keine Anreize der relativ Begünstigten mehr besteht, ihrerseits Kürzungslasten zu übernehmen.4s Die Mängel in der dritten Phase, die sich aus den geschilderten problemverschiebenden Strategien öffentlicher Haushalte an einen langfristig zurückgehenden Finanzierungsrahmen in der ersten und zweiten Phase ergeben, resultieren insbesondere daraus, daß der Ausgleich des Haushalts nun das dominierende Ziel der Haushaltspolitik ist. Deshalb müssen nun möglichst schnell relativ große Haushaltsentlastungen erreicht werden. Rechtlich- und/oder politisch problematischen Finanzierungsdeftziten wird dann mit kurzfristig orientiertem Ad-hoc-Sparen begegnet. Das an kurzfristigen fiskalischen Zielsetzungen orientierte Kürzen geht insbesondere zu Lasten der Investitionen. Es kann außerdem konjunkturell, sektoral und regional bedenkliche Kürzungshäufungen zur Folge haben und betriebswirtschaftliche Inefftzienzen nach sich ziehen.46 Schließlich besteht die Gefahr, daß die Kosten, die in Folge von Kürzungen bei Dritten entstehen, systematisch vernachlässigt werden. Diese potentiellen Konsolidierungsschäden sollen nun näher erläutert werden. In der Planungsphase wird insbesondere aus zwei Gründen zu Lasten der Investitionen gekürzt: Zum einen ist dies eine konfliktminimierende Strategie, weil keine "Besitzstände" von Titelverwaltern angegriffen werden. Dies gilt jedenfalls soweit es sich um neue Projekte handelt. Zum anderen gehen angesichts des verkürzten Planungshorizontes die zukünftigen Nutzen der Investitionen weniger stark in das Entscheidungskalkül ein.

43

Vgl. Hoberg, R. (1982), S. 100.

4S

Vgl. Grossekeuler, H. (1985), S. 560. Vgl. Grossekeuler, H. (1983), S. 3Of.

46

Vgl. Grossekeuler, H. (1985), S. 560.

44

11. Der zeitliche Streckungsgrad des Kürzungsverhaltens

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Vielmehr dominieren in den Überlegungen die fiskalischen Entlastungen, die sich durch einen Verzicht auf Investitionen erreichen lassen.47 Auch im Vollzug eines Kürzungsplans wird zu Lasten der Investitionen gekürzt. Der verkürzte Planungshorizont hat zur Folge, daß die Trennung von Haushaltsplanung und -vollzug aufgehoben wird. Dies zeigt sich insbesondere an der zunehmenden Bedeutung der globalen Minderausgaben.48 Der Ausgleich des Haushalts durch globale Minderausgaben bedeutet faktisch, daß Kürzungsentscheidungen in den Vollzug verlagert werden. Die Durchsetzung des Haushaltsausgleichs im Vollzug erfordert eine restriktive Mittelbewirtschaftung. Auf der kommunalen Ebene gehören dazu beispielsweise Kassenbewirtschaftungspläne, mit denen die Mittel nur zu 90% den mittelbewirtschaftenden Stellen zur Verfügung stehen und darüber hinausgehende Ausgaben nur nach einer genauen Begründung genehmigt werden sowie haushaltswirtschaftliche Sperren.49 Insbesondere der Haushaltsausgleich durch haushaltswirtschaftliche Sperren macht einen Rückgriff auf die Investitionshaushalte unvermeidlich, wenn im Vollzug ein fühlbares Kürzungsvolumen erzielt werden soll.so Die Folgen dieser fiskalisch orientierten Strategien zu Lasten der Investitionen sind häufig soziale Zusatzkosten, z.B. wenn auf Straßen durch unterlassene Instandsetzungsinvestitionen die Unfallgefahr steigt), und Wachstumsverluste der Volkswirtschaft (vor allem, wenn notwendige Infrastrukturinvestitionen verschoben oder unterlassen werden).sl Konjunkturell bedenkliche Kürzungshäufungen sind offensichtlich im politischen System angelegt. Oben wurde gezeigt, daß die öffentliche Hand nur bei wiederwahlgefährdenden oder rechtlich unzulässigen Defiziten Ausgaben kürzen wird. Dann sind Zielkonflikte zwischen allokativ begründeter Konsolidierung und konjunkturpolitisch motiviertem "deficit spending" in der Rezession im politischen System angelegt.52 Wenn diese Überlegungen zutreffen, ist die Hochkonjunktur die "hohe Zeit" des politischen Mißbrauchs der Staatsverschuldung mit der Folge, daß typi-

Vgl. Lang, E. (1986), S. 33 und Mäding, H. (1983), S. 401. Die Ausbringung von globalen Minderausgaben soll hier nur unter dem Aspekt des zeitlichen Strcckungsgrades betrachtet werden. Daneben wird damit auch die Künungsverantwortung auf nachgeordnete Verwaltungsstellen verschoben. Darauf wird in Kap. C. IV. dieser Arbeit genauer eingegangen. 49 Einen Überblick über die konsolidierungsspezifischen haushaltswirtschaftlichen Instrumente findet sich bei Konrad-Adenauer-Stiftung e. v., Institut für Kommunalwissenschaf ten (Hrsg, 1982), S. 34ff. Kasscnbewirtschaftungspläne sind im geschriebenen Haushaltsrecht nicht vorgesehen. Die haushaltsrechtliche Grundlage für haushaltswirtschaftliche Sperren ist § 41 BHO. so Vgl. dazu Piduch, E.A. (1987), RN 3 zu 41 BHO. 51 Vgl. Zimmermann, H. (1982), S. 300 und Fo/kers, C. (1983), S. 111. S2 Vgl. Gandenberger, O. (1983), S. 846f. 47 48

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C. Mängelanalyse I: Die kurzfristige Haushaltsplanung

scherweiser allokativ begründbare Kürzungserfordernisse und rezessive Wirtschaftslagen zusammenfallen. Zu regionalpolitisch bedenklichen Kürzungen kann es bei der Kürzung von Erhaltungssubventionen für Branchen in monostrukturierten Regionen kommen (Stichwort: Kohlesubventionen). Dies bedeutet zwar nicht, daß solche Subventionen grundsätzlich nicht gekürzt werden dürfen. Häufig müssen dann aber Instrumente zur regionalen Flankierung der Anpassungsprozesse eingesetzt werden, die man zumindest dann als "Versicherungsleistungen" auffassen kann, wenn sie auf die Schaffung einer ausgewogenen Unternehmensstruktur ausgerichtet sind. Regionalpolitische Ziele können auch bei dem Abbau von Verwaltungspotential selbst verletzt werden. So ist in der Vergangenheit vorgeschlagen worden, bei Standortentscheidungen für Behörden Gesichtspunkte der regionalen Wirtschaftsförderung zu berücksichtigen.53 In solchen Fällen ist es denkbar, daß ein bedeutender Teil der Wertschöpfung in einer Region in dem potentiellen Desinvestitionsobjekt "öffentliche Verwaltung" anfällt. In diesen Fällen könnte eine sofortige Schließung strukturelle Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt der Region zur Folge haben. In solchen Fällen könnte die zeitliche Streckung dieser Desinvestitionsentscheidung ein geeignetes Mittel sein, um Anpassungskrisen zu vermeiden. Allerdings sollte auch hier geprüft werden, ob nicht andere Instrumente dafür eingesetzt werden müssen.S4 Neben diesen vermutlichen Outputineffizienzen resultieren aus dem typischen zeitlichen Anpassungsverhalten an Finanzierungsengpässe auch InputineffIzienzen. Die fehlenden fmanziellen Ressourcen verhindern häufig eine effIzienzsteigernde Reorganisation, die gerade für die Anpassung an ein niedriges Niveau der Ressourcenverwendung in einer öffentlichen (Teil-) Verwaltung erforderlich ist.ss Das ausgabenorientierte Denken sowie der verkürzte Planungshorizont erschweren insbesondere kapitalintensive Rationalisierungsmaßnahmen in der Verwaltung.56 Eine Folge von unterlassenen Investitionen kann dann ein erhöhter Produktivitätsrückstand zum privaten Sektor sein. Man glaubt, die Investition unterlassen zu müssen, weil die Staatsschulden anstiegen; eine dynamische Kostenvergleichsrechnung würde aber zeigen, daß zukünftige Ausgaben gesenkt werden. Produktivitätssteigerungen erfordern nicht zwingend kapitalintensive Rationalisierungsinvestitionen, sondern sind auch durch Reorganisationen 53 Vgl. Beirat für Raumordnung (1981), S. 26ff. und 11. Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", BtOrs. 9/1642, S. 16. S4 Vgl. zur Notwendigkeit eines regionalpolitischen Interessensausgleichs beim Abbau von Verwaltungspotential Grosseketder, H. (1983), S. 47. ss Vgl. Levine, eh. (1980 a), S. 308 und Rubin, I.S. (1984), S. 78. 56 Vgl. etwa Thieme, W. (1984), S. 131 und Breier, A. (1985), S. 45.

11. Der zeitliche Streckungsgrad des Kürzungsverhaltens

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zu erzielen. "Bürokratisches" Verhalten ist aber schon für sich reorganisationsfeindlich, weil damit individuelle Kosten der Umstellung und des Lernens verbunden sind.57 Angesichts fehlender finanzieller Mittel können kaum fmaozielle Anreize für Mitarbeiter gesetzt werden, um die individuellen U mstellungs- und Lernkosten zu entgelten. Effizienzsteigernde Reorganisationen unterbleiben dann in einer Phase, wo sie zur Lösung der Anpassungsprobleme besonders erforderlich sind. Neben diesen potentiellen Produktivitätsschäden in der Verwaltung selbst werden durch die fiskalisch orientierten Kürzungsstrategien Kosten, die bei Dritten entstehen, systematisch vernachlässigt. Besonders bedenklich erscheinen fISkalisch motivierte Bürokratieüberwälzungen auf Private. Trifft die Annahme der Kompeteozmaximierung und der besonderen Widerstände der Verwaltung gegenüber Kompetenzverlusten zu, besteht bei verknappten finanziellen Ressourcen auch die Möglichkeit der Substitution fiskalischer Ressourcen durch nicht fiskalische Ressourcen zur öffentlichen Aufgabenerfüllung.58 Solche Tendenzen zur Flucht aus dem Budget haben zur Folgen, daß die Intransparenz steigt, weil die tatsächlichen Kosten der staatlichen Tätigkeit im Budget nicht mehr ausgewiesen werden. Damit besteht die Gefahr, daß die staatliche Tätigkeit weiter von den Präferenzen der Wahlbürger abgekoppelt wird. Bei dieser Veränderung der "Finanzierungsstrukturen" von öffentlich wahrgenommenen Aufgaben können die gesamtwirtschaftlichen Kosten der Aufgabenerfüllung steigen. So wird auf beispielsweise Spezialisierungsvorteile verzichtet, wenn Private zu einem Realtransfer gezwungen werden, um bisher von der Verwaltung durch Steuern finanzierte Faktorleistungen und selbsterstellte oder gekaufte Vorleistungen durch hoheitlichen Zwang zu ersetzen. Das kann an einem Beispiel erläutert werden. Soll eine Mindeststärke der Bundeswehr in Friedenszeiten angesichts rückläufiger Bevölkerung erhalten werden, kann die Dauer der Wehrpflicht verlängert werden. Durch eine Rekrutierung von Zeit- und Berufssoldaten könnte dieses Ziel wahrscheinlich mit geringeren gesamtwirtschaftlichen Produktions- und/oder Nutzenverzichten erreicht werden, weil im Vergleich zu einer Wehrdienstverlängerung diejenigen mit den geringsten individuellen Opportunitätskosten den Wehrdienst aufnehmen würden. Das Beispiel verdeutlicht gleichzeitig, daß im öffentlichen Bereich viele Entscheidungen falsch getroffen werden, weil ersparte Ausgaben mit ersparten Kosten gleichgesetzt werden. Als ein anderes Beispiel kann man eine Gemeinde betrachten, welche die Reinigung der kommunalen Straßen einem Unternehmer übertragen 57 Zur Theorie des Widerstands gegen institutionelle Neuerungen vgl. Langner, P. (1983), S.46 f. 58 Vgl. Fürst, D. (1982), S. 427. Allgemein zu den Ursachen der Bürokratieüberwälzung Thieme, W. (1984), S. 159f. Speziell zur fiskalischen Motivation vgI. Dickertmann, D. (1984), S.16lf.

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C. Mängelanalyse I: Die kurzfristige Haushaltsplanung

hat. Diese Gemeinde kann ihre Ausgaben für die Straßenreinigung senken, indem sie die Anwohner zur Straßenreinigung verpflichtet. Die Aufrechterhaltung des gleichen Reinigungsstandards erfordert dann einen erhöhten Ressourceneinsatz, weil auf Spezialisierungsvorteile und Größenvorteile bei der Produktion dieser Dienstleistung verzichtet wird. Dies gilt wenigstens solange, wie die Verpflichtung zu dem Realtransfer nicht handelbar gemacht wird. In diesem Falle könnten sich beispielsweise die Anlieger einer Straße zu einem Verband zusammenschließen und die Spezialisierungsvorteile dadurch realisieren, daß diese Dienstleistung von privaten Straßenreinigungsunternehmen gekauft wird. Dabei wären aber die zusätzlichen Transaktionskosten zu berücksichtigen, die mit der Gründung eines solchen Vereins verbunden wären. Die dargestellten Mängel des typischen zeitlichen Anpassungsverhaltens in einer öffentlichen Gebietskörperschaft sind auch auf die geschilderten Anpassungsverzögerungen und auf den verkürzten Planungshorizont der finanzpolitischen Entscheidungsträger zurückzuführen. Diese Anpassungsverzögerungen und der verkürzte Planungshorizont sind zwar nicht ursächlich auf den Ordnungsrahmen für die kurzfristige Haushaltsplanung zurückzuführen und durch die Gestaltung des Ordnungsrahmens nur bedingt heilbar. Im folgenden sollen aber dennoch institutionelle "Ursachen" für das typische zeitliche Anpassungsverhalten in dem Sinne aufgezeigt werden, daß sie diese Verhalten fördern, bzw. nicht vermeiden. 3. Die institutionellen Ursachen des typischen zeitlichen Streckungsgrades

Bei der Analyse der institutionellen Ursachen für das kurzfristig orientierte Ad-hoc-Kürzen kann man zwei Aspekte unterscheiden: Als Voraussetzung zur Vermeidung für fiskalisch orientiertes Kürzen kann man ansehen, daß auf sich abzeichnende Finanzierungsengpässe rechtzeitig reagiert wird. Die Darstellung des typischen Kürzungsverhaltens hat aber gezeigt, daß die Reaktionen im politischen System darauf gerichtet sind, Kürzungsentscheidungen zu verschieben. Damit stellt sich die Frage, inwieweit das Haushaltsrecht die Entscheidungsträger zu einer Kürzungsplanung zwingt. Desweiteren ist zu prüfen, inwieweit jährliche Kürzungsentscheidungen und der Grundsatz der (inputorientierten) zeitlichen Spezialität ursächlich für die fiskalisch orientierten Kürzungen sind. Die augenscheinlich einzige Vorschrift, welche die Entscheidungsträger in einer Gebietskörperschaft zu Kürzungsüberlegungen rechtlich zwingen könnte, ist die im heutigen Haushaltsrecht festgeschriebene Budgetausgleichsregel, welche die die Verschuldung einer Gebietskörperschaft auf das geplante Investitionsvolumen begrenzt..'-I Diese Verschuldungsregel könnte bei Finanzierungsengpässen neben der Auslösefunktion auch die .'-I Vgl. Art. 115 GG und die entsprechenden Vorschriften in den Landesverfassungen, zusammengestellt bei Piduch, EA. (1987), Bd. I, Anhang zu Art. 115 GG.

11. Der zeitliche Streckungsgrad des Kürzungsverhaltens

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dargestellten Tendenzen der Gebietskörperschaften begrenzen, den Haushalt insbesondere durch die Kürzung und Streckung der Investitionsausgaben auszugleichen, weil eine Reduzierung der Investitionen gleichzeitig den Verschuldungs- und damit den Finanzierungsspielraum der Gebietskörperschaft reduziert. Diese beiden potentiellen Funktionen der Verschuldungsregel werden aber durch die grundgesetzliche Ausnahmeregelung bei einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und durch den nicht operational defInierten Begriff der Investition eingeschränkt. Betrachtet man zunächst die Verschuldungsregel in ihrer (potentiellen) Funktion, Kürzungsplanungen im politisch-administrativen System auszulösen, so zwingt sie die fInanzpolitischen Entscheidungsträger erst dann zu Kürzungsplanungen, wenn sich für das zu planende Haushaltsjahr abzeichnet, daß die rechtlich unvermeidlichen Ausgaben den maximalen Dekkungsrahmen überschreiten, der durch die erwarteten Einnahmen und die rechtlich zulässige Kreditaufnahme begrenzt wird.60 Im Rahmen der kurzfristigen Haushaltsplanung ist das aber erst abzusehen, wenn die Haushaltsanforderungen der Fachressorts im Finanzressort vorliegen. Dies ist in der Regel etwa zehn Monate vor Beginn des Haushaltsjahres der Fall. Angesichts der dann kurzfristig geltenden rechtlichen Inflexibilitäten ist eine nicht an rechtlichen Flexibilitäten orientierte Kürzungspolitik erheblich erschwert: Praktiker in der Haushaltsadministration verweisen darauf, daß in der Haushaltsplanung 90 - 95% des Ausgabenvolumens aus Entscheidungen und Beschlüssen in der Vergangenheit resultieren und für die laufende Haushaltsplanung damit Daten darstellen. 61 Im Haushaltsausschuß geht man von 92 - 98% nicht mehr beeinflußbarer Ausgaben aus.62 Als bewilligungspflichtig und damit rechtlich verbindlich gelten dabei i.d.R. die auf Leistungsgesetzen und Verträgen beruhenden Verpflichtungen der Gebietskörperschaften.63 Dieser hohe Anteil an rechtlich gebundenen Ausgaben ist aber nicht als absolut anzusehen, weil die rechtlichen Bindungen aufgrund von Leistungsgesetzen in der Regel reversibel sind.64 So zeigt die in Zeiten von Finanzierungsengpässen immer wiederkehrende Praxis der Haushaltsstrukturgesetzgebung, daß ursprünglich als rechtlich verbindlich angesehene Ausgaben bei Kürzungsbedarfen disponibel sind.M

vgl. Fricke, E. (1985), S. 397. Vgl. etwa Katz, A. S. 143. 62 Vgl. Sturm, R. (1985), S. 259. 63 Vgl. dazu im einzelnen Koller, H. (1983), S. 205ff. 64 Vgl. auch Finanzbericht 1968, S. 111. M Einschränkungen für Kürzungen von Leistungsgesetzen ergeben sich allerdings aus dem grundgesetzlich gebotenen Vertrauensschutz. Vgl. dazu etwa Maas, J. (1973), S. 165ff. 60

61

4 Schwarzner

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C. Mängelanalyse I: Die kurzfristige Haushaltsplanung

Die Aufhebung dieser rechtlichen Bindungen erfordert aber in jedem Falle Zeit. Dieser Zeitbedarf resultiert schon daraus, daß ein ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren bei der Kürzung von Leistungsgesetzen sichergestellt werden muß. Angesichts dieses Zeitbedarfs für die Aufhebung von rechtlichen Bindungen setzt eine KÜfzungsplanung im Rahmen der kurzfristigen Haushaltsplanung zu spät ein, wenn es sich bei der Aufstellung des Haushaltsplans aber bereits abgezeichnet hat, daß der Verschuldungsrahmen überschritten wird. Abgesehen davon, daß die Verschuldungsregel Kürzungsplanungen zu spät erzwingt, sind damit auch Umgehungsmöglichkeiten verbunden. Für den Bundes- und die Länderhaushalte gilt die Begrenzung der öffentlichen Kreditaufnahme auf das Investitionsvolumen nicht bei einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Diese Ausnahmeregelung ermöglicht es diesen Gebietskörperschaften, sich auf eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu berufen und die Kreditfinanzierung über das Investitionsvolumen hinaus auszudehnen.66 Um die Verschuldungsgrenze nicht zu überschreiten, ist aber noch eine andere Strategie möglich. Zeichnet sich eine Überschreitung der rechtlich zulässigen Kreditaufnahme ab, bietet es sich an, die Investitionen nach Maßgabe der erwünschten Verschuldung zu planen. Beispielsweise hat der Bund durch die Umwandlung der Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz von Zuschüssen in Volldarlehen seine Investitionsquote entsprechend erhöht. Dies war zwar wahrscheinlich nicht der Hauptgrund für die Umwandlung; es kann aber ein erwünschter Nebeneffekt zur optischen Haushaltssanierung gewesen sein. Ähnliche Möglichkeiten zur Erhöhung der Verschuldungsgrenze bestehen in der Umwandlung von wirtschaftlich notwendigen Instandhaltungsmaßnahmen von Gebäuden und kleineren Umbauten in Maßnahmen, die zu einer wesentlichen Veränderung der Bausubstanz führen. Erstere werden bis zu einer Wertgrenze von 10.000,- bei den sächlichen Verwaltungsausgaben (Gruppierungsplan Hauptgruppe 5) veranschlagt, während letztere bei den Baumaßnahmen (Gruppierungsplan Hauptgruppe 7) veranschlagt werden. Dadurch wird der Kreditfinanzierungsrahmen entsprechend erhöht. War aber nur eine Instandsetzungsmaßnahme erforderlich, ist damit eine fiskalische Mehrbelastung verbunden. Durch solche buchungstechnischen Tricks wird der haushaltsrechtliche Zwang der Verschuldungsregel für die Auslösung der KÜfzungsplanung weiter abgeschwächt. Speziell in den Landeshaushalten kann der Kreditfinanzierungsspielraum dadurch erhöht werden, daß allgemeine Schlüsselzuweisungen in von den Kommunen investiv zu verwendende Zweckzuweisungen umgewandelt werden.67 Die Umstrukturierungen kann man zunächst aus dem Blick der

66

67

vgl. Fricke, E. (1985), S. 406f. m.w.N. Vgl. Pappermann, E. (1984), S. 261.

11. Der zeitliche Streckungsgrad des Kürzungsverhaltens

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Verschuldungsregel noch für funktional halten, wenn man, abweichend vom geltenden Recht, argumentiert, daß in solchen Fällen Investitionsvolumen und Kreditfmanzierung des Landes und seiner Gemeinden gemeinsam betrachtet werden müssen. Da die Verschuldungsregel für Land und Gemeinden gleichermaßen gilt, wird durch die Umwandlung von Schlüsselzuweisungen in investive Zweckzuweisungen für beide Gebietskörperschaften zusammengenommen die Verschuldungsregel eingehalten. Abgesehen davon, daß durch diese Umschichtungsmöglichkeit der rechtliche Zwang zu Kürzungen durch die Verschuldungsregel abgeschwächt wird, können dadurch zusätzliche Mängel entstehen. Für die Gestaltung des Zuweisungssystems sind ökonomische Kriterien ableitbar. Zum einen sind Zweckzuweisungen eines Landes für den Ausgleich von externen Effekten zwischen Gemeinden legitimierbar, weil dadurch beispielsweise eine Unterversorgung mit Kollektivgütern vermieden werden kann, die von Bürgern anderer Gemeinden ebenfalls genutzt werden können. Zum anderen können Zweckzuweisungen landesweit gleichartige Mindestausstattungen beispielsweise mit Schulen sichern.68 Geht man davon aus, daß vor den Konsolidierungsanstrengungen des Landes das Zuweisungssystem hinreichend auf diese ökonomischen Kriterien ausgerichtet war, sind mit den Veränderungen der Finanzierungsstrukturen der Gemeinden zusätzliche Verwaltungskosten, zunehmende Entscheidungsferne und Strukturverzerrungen bei der Versorgung mit Kollektivgütern verbunden, weil im Investitionsbudget der Gemeinden Umstrukturierungen zugunsten von mischfmanzierten Investitionen vorgenommen werden. In jedem Fall sind aber Umschichtungen zwischen frei verwendbaren Schlüsselzuweisungen und zweckgebundenen investiven Zweckzuweisungen dysfunktional, wenn sie ausschließlich fiskalisch motiviert sind und nicht auf eine bestimmte und klar defmierte Verhaltenslenkung beim Zuweisungsempfänger abstellen. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß die heutige verfassungsrechtliche Begrenzung des Kreditfmanzierungsspielraums auf das Investitionsvolumen zwar grundsätzlich geeignet ist, Ausgabenkürzungen auszulösen, daß aber der nicht operational formulierte Begriff der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und die nicht operationale Definition des Investitionsbegriffs eine aufschiebende Wirkung für die Verarbeitung von Kürzungsbedarfen haben können.(9 Da die rechtlichen Grenzen für eine Verschiebung von Anpassungsmaßnahmen angesichts der heutigen Verschuldungsregel "zu weich" sind, werden Kürzungsüberlegungen im

68

vgl. Grossekettler, H. (1987 c), S. 404.

(9 Hier soll nicht darauf eingegangen werden, wie der Investitionsbegriff im einzelnen

abzugrenzen wäre. Vgl. dazu WISSenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (1980). Für die Analyse der Verschuldungsregel ist nur von Bedeutung, daß er nicht abgegrenzt ist.

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C. Mängelanalyse I: Die kurzfristige Haushaltsplanung

politisch-administrativen System eher von politisch als rechtlich problematischen FinanzierungsdefIziten ausgelöst. Neben den fehlenden rechtlichen Zwängen zu Kürzungsentscheidungen kann als weitere institutionelle Ursache für den typischen zeitlichen Streckungsgrad des Kürzungsverhaltens und der daraus resultierenden Mängel der einjährige Planungszeitraum der kurzfristigen Haushaltsplanung genannt werden. Verfassungsrechtlich ist zwar die Feststellung des Haushaltsplans für mehrere Rechnungsjahre möglich.70 Diese Möglichkeit wird aber durch die Haushaltsordnungen von Bund und Ländern auf zwei Rechnungsjahre begrenzt.71 Von der zweijährigen Rechnungsperiode machen auch nur wenige Bundesländer Gebrauch. Zudem muß auch bei zweijähriger Rechnungslegung der Haushaltsplan nach Jahren getrennt aufgestellt werden. Dieser kurze Planungszeitraum wird dem Zeitbedarf beim Abbau von Verwaltungspotential aber nicht gerecht. Beim Abbau von Verwaltungspotential müssen in Sachkapital und Personal gebundene Mittel in kürzungsfähiges liquides Geldkapital umgewandelt werden. Dies benötigt typischerweise mehr Zeit als die Umwandlung von liquiden Mitteln in Sach- und Humankapital.72 Rein technisch ist beim Sachkapital natürlich eine sofortige Desinvestition möglich. Das ist aber typischerweise mit dem Verzicht auf Spezialisierungsrenten der Produktionsfaktoren verbunden. Um dies zu verdeutlichen, kann man den Extremfall betrachten, daß die Umwidmung von Sachkapazitäten rein technisch nicht möglich ist, also etwa bei Straßen. In einer Kosten-Nutzen-Analyse, mit der die Wohlfahrtswirkungen von Desinvestitionsentscheidungen ermittelt werden sollten, müßten dann auf der Nutzenseite des sofortigen Abbaus von Verwaltungspotential Kürzungserträge von null berücksichtigt werden, während auf der Kostenseite die bewerteten entgangenen Restnutzungen der Straße anzusetzen sind. Im Falle der sofortigen Schließung der Straße würde auf solche Spezialisierungsrenten verzichtet. In ähnlicher Weise gilt für die öffentlichen Bediensteten, daß diese bei einer sofortigen Kürzung entweder in der öffentlichen Verwaltung selbst oder im privaten Sektor zur Produktion von Gütern eingesetzt werden müssen, für deren Herstellung sie nicht ausgebildet worden sind. Sie müßten also erst umlernen. Das heißt, daß beim "Humankapital" Zeit und Kosten aufzuwenden sind, um entsprechende Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen durchzuführen. Den Zeitbedarf für die Umstellung von Produktionsfaktoren muß grundsätzlich auch bei der Kürzung von Ausgaben für Käufe und Dienste von Dritten beachtet werden. Die Anpassungsprozesse, von denen die

Vgl. Art. 110 GG. Vgl. § 1 BHO und die entsprechenden Vorschriften der Landeshaushaltsordnungen bei Piduch, EA. (1987), Anhang zu t 1 BHO. 72 Vgl. Grossekettler, H. (1985), S. 560. 70

71

11. Der zeitliche Streckungsgrad des Kürzungsverhaltens

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Rüstungsindustrie im Falle einer Abrüstungsvereinbarung betroffen wäre, machen deutlich, daß dieses Problem nicht unerheblich ist. Ist eine öffentliche Verwaltung überwiegender oder sogar alleiniger Nachfrager für bestimmte Unternehmen sollte die Kürzung zeitlich gestreckt vorgenommen werden oder ausreichend lange vorher angekündigt werden. Bei Marktprozessen beeinflußt das Beschäftigungsrisiko die Fristigkeit der Bindung der Vertragspartner oder den Preis der Leistung. Im Bereich der Rüstungsindustrie oder - um ein Beispiel aus dem kommunalen Bereich anzuführen - für Tiefbauunternehmen wird man aber häufig von faktischen Kooperationen zwischen der Verwaltung und dem Zulieferer sprechen können, wenn sich Zulieferer durch Kapazitätsentscheidungen an den öffentlichen Nachfrager gebunden haben, ohne daß ein längerfristiger Liefervertrag abgeschlossen wurde. Solche faktischen Kooperationen können insbesondere in längeren Wachstumsphasen entstanden sein, wenn der Abschluß eines längerfristigen Vertrages wegen des "sicheren" Nachfragers "Öffentliche Hand" unterblieben ist. Wird dann ad hoc gekürzt, kann dies zu scharfen Friktionen bei den betroffenen Unternehmen führen. Um dies zu vermeiden, müssen diese Unternehmen ihre Produktionspläne an das veränderte Niveau der öffentlichen Nachfrage anpassen und neue Märkte erschließen, wofür sie insbesondere Zeit benötigen.73 Eine sofortige Kürzung von Ausgaben für den Kauf von Vorleistungen kann außerdem zur Folge haben, daß Produktionspotential im privaten Sektor unter Umständen voreilig vernichtet würde, weil die "richtige" Kapazität für eine bestimmte Verwaltungsleistung und damit auch das dafür vorzuhaltende Produktions potential bei Zulieferen ex ante oft unbekannt ist und deshalb durch Anpassungen in kleinen Schritten herausgefunden werden muß?4 Vergleichbares gilt auch für die Kürzung von Subventionen. Mit der Gewährung von Subventionen beeinflußt der Staat die Wirtschaftspläne der Privaten in ähnlicher Weise, als wenn er als monopolistischer Nachfrager Vorleistungen nachfragt. Ein sofortiger und vollständiger Abbau von Subventionen verstößt gegen den Vertrauensschutz. Darunter wird das Recht der Wirtschaftssubjekte verstanden, ihre Wirtschaftspläne im Vertrauen auf die Stetigkeit und Vorhersehbarkeit der Wirtschaftspolitik aufstellen und realisieren zu können.7s Dieses Prinzip sichert nach Eucken in einer Marktwirtschaft ein Klima~ das für langfristig angelegte Produktionsentscheidungen erforderlich ist. 6 Verstöße gegen den Vertrauensschutz haben dann entsprechende negative Auswirkungen auf die Erwartungsbildung der Wirtschaftssubjekte

73 74 7S

76

vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

GrossekettJer, H. (1983), S. 18. Grossekettler, H. (1983), S. 17. zu diesem Prinzip Eucken, W. (1952), S. 285ff. Eucken, W. (1952), S. 285ff.

54

C. Mängelanalyse I: Die kurzfristige Haushaltsplanung

und damit auf die Effektivität zukünftiger staatlicher Interventionen.17 Daraus kann man folgern, daß die Abbauplanung bei Subventionen mit politisch gewollten oder ungewollten Lenkungseffekten sich nach der Fristigkeit der bereits getroffenen Produktionsentscheidungen richten sollte. Danach kann bei Subventionen, die unmittelbar an Investitionen anknüpfen, kein Vertrauensschutz geltend gemacht werden, da bei Investitionszuschüssen eine Subvention für eine Investition, beispielsweise im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" für Schaffung von Arbeitsplätzen in einem strukturschwachen Gebiet, in der Regel zum Investitionszeitpunkt voll ausgezahlt wird. Vertrauensschutz kann aber grundsätzlich im Falle der Kürzung von laufenden Subventionen geltend gemacht werden, wenn im Vertrauen auf ihr Fortbestehen Investitionsentscheidungen getroffen worden sind. Der hier geforderte Vertrauensschutz bei der Kürzung von Subventionen würde also beispielsweise denjenigen vor Kürzungen schützen, der sich im Vertrauen auf das Fortbestehen einer Zinssubvention im Mietwohnungsbau engagiert hat. Dies betrifft auch beispielsweise aufgrund von laufenden Subventionen in der Vergangenheit getroffene (Re-)Investitionsentscheidungen von Unternehmen, beispielsweise in der Landwirtschaft. Dieser Schutz könnte aber nicht von denjenigen verlangt werden, die in Zukunft eine solche Entscheidung treffen wollen. Zwar schließt die jährliche Aufstellung des Haushaltsplans nicht aus, daß diese langfristigen Bindungen berücksichtigt werden. Es liegt aber die Vermutung nahe, daß der Planungshorizont bei Kürzungsbedarfen nicht über den einjährigen Planungszeitraum der kurzfristigen Haushaltsplanung hinausgeht. Der Grund dafür ist wie gesagt, daß in den ersten bei den Phasen des Anpassungsverhaltens bei dauerhaften Finanzierungsengpässen im nachgeordneten Bereich typischerweise die Erwartungen über die Dauer der Krise für den eigenen Bereich und den übergeordneten Haushalt auseinanderfallen. 78 Die jährliche Haushaltsplanung stabilisiert dann die Erwartungen der unteren Verwaltungseinheiten über die eigene NichtBetroffenheit von Kürzungszwängen, weil sie auf das Wiederansteigen der Einnahmen in den zukünftigen Haushaltsjahren und auf die Rücknahme von Kürzungen hoffen können. Deshalb unterbleiben echte Anpassungsmaßnahmen im eigenen Bereich, bis die Erwartungen über Dauer und Ausmaß der Krise für den übergeordneten Haushalt und den eigenen Bereich angeglichen sind.79 Die jährlichen Haushaltsentscheidungen sind dann mitursächlich für die Vorbereitungsmängel bei der Kürzungsplanung

17 Dieses Argument wird auch vom SVR bezüglich des Wirkungsgrades der fiskalischen Stabilisierungspolitik vorgetragen. VgJ. z.B. SVR (1981), TZ. 375. 78 VgJ. Grossekenler, H. (1985), S. 557. 79 VgJ. Grossekenler, H. (1985), S. 557.

11. Der zeitliche Streckungsgrad des Kürzungsverhaltens

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und die Vernachlässigung der fiskalischen Folgewirkungen auf zukünftige Haushaltsjahre. Die Mängel, die aus den jährlichen Budgetierungsprozessen resultieren, werden durch den Grundsatz der zeitlichen Spezialität verstärkt. Nach diesem Grundsatz darf die Verwaltung Ermächtigungen zum Eingehen von Verpflichtungen und zur Leistung von Ausgaben nur innerhalb des Zeitraumes in Anspruch nehmen, für den sie erteilt worden sind.80 Der Grundsatz der zeitlichen Spezialität erschwert insbesondere die Realisierung von Kürzungspotentialen, die erst im Vollzug sichtbar werden und die Rationalisierung der öffentlichen Leistungserstellung. Die Realisierung von Kürzungspotentialen im Vollzug unterbleibt deshalb, weil die bewilligten Mittel am Ende des Bewilligungszeitraums verfallen und die Istausgaben von den bewilligenden Instanzen als Bedarfsindikator für die Wiederzuweisung angesehen werden. Dadurch entsteht für den "rationalen" Anordnungsbefugten oder Titelverwalter ein Anreiz, die bewilligten Mittel vollständig zu verausgaben. Diese in der Literatur als "Dezemberfieber" bezeichnete Verhaltensweise liegt darin begründet, daß die Nichtverausgabung von Mitteln in der Regel zwar nicht im nächsten Haushaltsjahr zu Titelkürzungen führt, die Minderausgabe aber für das übernächste Haushaltsjahr zur Neubemessung des Titels führen kann. 81 Wenn es sich nur um eine vorgezogene Deckung ansonsten in der nächsten Haushaltsperiode zu deckender "Bedarfe" handelt, entsteht durch dieses Verhalten ein Zinsverlust. Handelt es sich aber um nicht notwendige Ausgaben, so wäre dies als echte Verschwendung aufzufassen. 82 Ob das "Dezemberfieber" nun Ausdruck einer bestimmten "%eistigen Verfassung der Verwaltung" ist, der nur durch mehr Kontrolle und mit mehr Informationen über die Begründung des Grundsatzes der zeitlichen Spezialität geändert werden kann,84 oder Ausdruck des Ausgabeverhaltens eines vorsichtigen Hausvaters ist, der am Anfang der Haushaltsperiode vorsichtig plant und am Jahresende dann den aufgestauten Bedarf befriedigt8S oder einfach nur Reflex der rechtlich weitgehend determinierten zeitlichen Struktur der Ausgaben ist, muß an dieser Stelle nicht entschieden werden. Festhalten kann man, daß das jährliche "Dezemberfieber" unabhängig von den damit potentiell verbundenen Unwirtschaftlichkeiten zeigt, daß Kürzungspotentiale, die während des Vollzugs sichtbar werden,

80

vgl. § 45 BHO.

81

Vgl. Demo, l. u.a. (1976), S. 82.

Vgl. Boss, A., Bothe, A. (1986), S. 9ff. In dieser Studie wird die Abweichung der Ausgaben im 4. Quartal vom Durchschnitt der Ausgaben der ersten drei Quartale als Kürzungspotential ausgewiesen. 82

&l

So Neumark, F. (1929) S. 325. (1977), S. 413. W. (1984), S. 131.

84 So Senf, P. 8S So Thieme,

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C. Mängelanalyse I: Die kurzfristige Haushaltsplanung

wegen der (budgetmaximierenden) Verhaltensweisen der Anordnungsbefugten nicht aufgedeckt werden. Die Durchbrechungsmöglichkeiten der zeitlichen Spezialität reichen nicht aus, um dieses Verhalten der Anordnungsbefugten zu vermeiden. Grundsätzlich sind Ausgabenermächtigungen für Investitionen in das nächste Haushaltsjahr übertragbar. Außerdem kann durch Haushaltsvermerke die Übertragbarkeit zugelassen werden, wenn dies die wirtschaftliche Mittelbewirtschaftung fördert. 86 Bei Einsparungen während des Vollzugs können zwar Ausgabenreste gebildet werden, wenn die Ausgaben in das nächste Haushaltsjahr übertragbar sind. Die Anreize zur Bildung von Ausgabenresten dürften angesichts der dafür vorgesehenen Finanzierungsregel aber sehr gering sein: Die Inanspruchnahme von Ausgaberesten ist nach § 45 Abs. 3 BHO grundsätzlich von der Einwilligung des Finanzministers abhängig, der seine Entscheidung "mit der Auflage verbinden (sollte), daß die Reste in dem Einzelplan gedeckt werden müssen, in dem sie entstanden sind".87 Aufgrund dieser Finanzierungsregel dürften die Anordnungsbefugten nur ein geringes Interesse an der Bildung von Ausgabenresten haben, weil eine Einsparung bei einem übertragbaren Titel dann voll zu Lasten des "sparsamen" Ressorts geht.88 Daß Ausgabenreste im Bundeshaushalt nur zu 25% in AnsEruch genommen werden, könnte auch an dieser Finanzierungsregel liegen. Die Durchbrechungsmöglichkeiten der zeitlichen Spezialität sind darüber hinaus nicht auf das zeitliche ProfU von Rationalisierungsmaßnahmen zugeschnitten. Rationalisierungsinvestitionen zeichnen sich typischerweise dadurch aus, daß der Rationalisierungsgewinn sich auf mehrere Jahre verteilt. Im Prinzip können die Ressorts bei übertragbaren Ausgaben zwar auf den im nächsten Haushaltsjahr zu erwartenden Haushaltsansatz "vorgreifen", diese mindern aber gleichsam als "negative" Ausgabenreste den Ansatz im nächsten Haushaltsjahr.90 Angesichts dieser Finanzierungsregel kommt die Rationalisierung in einer Behörde nur dem Gesamthaushalt zugute. Wenn aber die Rationalisierungserträge den Ressorts vollständig entzogen werden, besteht für die Anordnungsbefugten kein Anreiz, Wirtschaftlichkeitsreserven zu realisieren. Durch diese Finanzierungsregel wird dann auf den "Kürzungsverstand" der Mitarbeiter "vor Ort" verzichtet. Die historischen Begründungen für die jährliche Budgetierung und den Grundsatz der zeitlichen Spezialität können angesichts der damit verbun-

86

vgl. § 19 Abs. 1 BHO.

87 S. Piduch, EA. (1987), RN 7 zu § 45 BHO. 88 Rehm, H. (1975), S. 153 hält diese Finanzierungsregel nicht für eine wirksame Bremse gegen die Bildung von Ausgabenresten. IJ} Vgl. Roth, W. (1987), S. 185. Roth interpretiert dies allerdings als Anzeichen für einen fehlenden Bedarf an zeitlicher F1exibilisierung des Haushaltsrechtes. 90

Vgl. Piduch, EA. (1987), RN 11 zu § 37 BHO.

11. Der zeitliche Streckungsgrad des Kürzungsverhaltens

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denen Anreizmängel bei Finanzierungsengpässen nicht mehr so recht überzeugen. Als Begründung für diese Haushaltsgrundsätze wird angeführt, daß diese zur Sicherung des fmanziellen Gleichgewichts erforderlich seien, daß sie die periodische Überprüfung der Bedarfsanforderungen ermöglichen sowie daß damit die Voraussetzung der Anpassung der Ausgabenpläne an den geänderten Willen des Parlaments geschaffen würden.91 Die Sicherung des fmanziellen Gleichgewichts dürfte angesichts der Informationsgeschwindigkeit durch EDV wohl kaum noch durchschlagend sein. Dadurch kann liquiditäts- und stabilitätsbedeutsamen Ausgabenhäufungen rechtzeitig gegengesteuert werden. Wie unten noch ausführlich dargelegt wird, ist der Einfluß des Parlaments auf die finanzpolitische Willensbildung relativ gering. Deshalb müssen die Argumente der periodischen Überprüfung der Dringlichkeit der Anforderung und der Anpassung an den geänderten politischen Willen des Parlaments, wie sie in Verschiebungen der Parlamentszusammensetzung zum Ausdruck gelangen, relativiert werden. 4. Zusammenfassung

In diesem Abschnitt ist zunächst das typische zeitliche Anpassungsverhalten von öffentlichen Verwaltungen an dauerhaft zurückgehende Finanzierungsspielräume und die daraus resultierenden Mängel aufgezeigt worden. Zunächst werden in der Regel Maßnahmen ergriffen, die gezielte Eingriffe in die Organisationsstruktur vermeiden, damit aber auch die Anpassungsprobleme nicht lösen. Als typische Beispiele für solche Maßnahmen wurden die einmalige Erhöhung der Einnahmen durch Veräußerung weniger benötigter Vermögensgegenstände, die zeitliche Streckung von Instandsetzungsaufwendungen sowie Einstellungs- und Wiederbesetzungsstopps angeführt. Aufgrund der zunächst lediglich problemverschiebenden Strategien müssen dann relativ schnell große Haushaltsentlastungen erfolgen. Bei den dann notwendigen Ad-hoc-Kürzungen besteht dann die Gefahr, daß die gesamtwirtschaftlichen Kosten der öffentlichen Aufgabenerfüllung steigen, weil insbesondere zu Lasten der investiven öffentlichen Ausgaben gekürzt wird und weil Tendenzen zur Flucht aus dem Budget gefördert werden. Außerdem können konjunkturell und regionalpolitisch bedenkliche Kürzungshäufungen die Folge sein. Die haushaltsrechtlichen Regeln tragen diesem typischen Anpassungsverhalten insoweit nicht Rechnung, als sie die Entscheidungsträger nicht zu Kürzungen zwingen. Die grundgesetzlich vorgeschriebene Begrenzung des Kreditfinanzierungsspielraums auf das Investitionsvolumen ist dazu nur sehr bedingt geeignet, insbesondere weil diese Regel im Falle einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im weitgehend eigenem 91

Vgl. zur Begründung der zeitlichen Spezialität Neumark, F. (1929).

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C. Mängelanalyse I: Die kurzfristige Haushaltsplanung

Ermessensspielraum der betroffenen Gebietskörperschaft suspendiert werden kann. Darüber hinaus wird der Grundsatz der Jährlichkeit dem Zeitbedarf beim Abbau von Verwaltungspotential und der Kürzung von Subventionen nicht gerecht. In Verbindung mit dem Grundsatz der zeitlichen Spezialität bringt der Grundsatz der J ährlichkeit für die Bewältigung von Finanzierungsengpässen vielmehr zusätzliche Anreizprobleme mit sich, die zum einen zusätzliche Unwirtschaftlichkeiten zur Folge haben können und zum andern, daß KÜfzungspotentiale während des Vollzug des Haushalts nicht sichtbar werden. Nachdem die wesentlichen Mängel des typischen zeitlichen Anpassungsverhaltens bei Finanzierungsengpässen analysiert wurden, sollen nun auf die bereits erwähnten Linearisierungstendenzen näher eingegangen werden. III. Der Linearitätsgrad des Kürzungsverhaltens im Soll-Ist-Vergleich 1. Der Linearitätsgrad des typischen Kürzungsverhaltens

Die Linearisierungstendenzen bei der Anpassung an zurückgehende Finanzierungsspielräume beziehen sich tendenziell sowohl auf Ausgabearten als auch auf einzelne Verwaltungseinheiten. Im folgenden sollen diese Linearisierungstendenzen kurz dargestellt und deren wesentlichen Mängel aufgezeigt werden. Die Linearisierungstendenzen beziehen sich auf alle Ausgabearten. Die Vorgaben für die Wachstumsraten der sächlichen Verwaltungsausgaben werden bei der Haushaltsaufstellung vom Finanzressort typischerweise nicht nach Ressorts differenziert.92 Außerdem werden häufig bereits in den Haushaltsgesetzen die sächlichen Verwaltungsausgaben linear gesperrt. Im Vollzug ergeben sich weitere Linearisierungstendenzen, wenn der Haushaltsausgleich mit einer haushaltswirtschaftlichen Sperre sichergestellt werden muß. In diesem Fall werden in der Regel alle rechtlich nicht erforderlichen Ausgaben linear gekürzt, obwohl eine titelscharfe gezielte Kürzung von Titeln häufig die wirksamste, aber in Folge von Umschichtungsanträgen der Ressorts auch die verwaltungsintensivste Methode der Sperrung von Ausgaben ist.93 Die Folge ist, daß die Einzelpläne trotz ihrer unterschiedlichen Struktur von vorneherein und ausnahmslos gleichbehandelt werden müssen.94

92

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Vgl. Korjf, H.e. (1975), S. 106. Vgl. Piduch, E.A. (1987), RN 3 zu §41 8HO. Vgl. Piduch, E.A. (1987), RN 3 zu §41 8HO.

III. Der Linearitätsgrad des Kürzungsverhaltens

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Bei Personalausgaben werden in den Haushaltsgesetzen Stellenkürzungen linear nach Einzelplänen, z.T. unter Berücksichtigung des Stellenkegels verfügt.9S Die Ressortleitungen könnten diese Stellenkürzungen zwar gezielt auf die Behörden (in der Regel Kapitel) verteilen. Es erscheint aber plausibel, daß die Kürzungen entweder linear nach unten weitergegeben un