Entwicklungshilfe als ökonomische Gestaltungsaufgabe: Ein Beitrag zur finanzwirtschaftlichen Ordnungspolitik [1 ed.] 9783428474189, 9783428074181

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Entwicklungshilfe als ökonomische Gestaltungsaufgabe: Ein Beitrag zur finanzwirtschaftlichen Ordnungspolitik [1 ed.]
 9783428474189, 9783428074181

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JOHANNESSCHEUBE

Entwicklungshilfe als ökonomische Gestaltungsaufgabe

Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse des Rechts herausgegeben von

Heinz Grossekettler, Münster· Bernhard Großfeld, Münster Klaus J. Hopt, München· Christian Kirchner, Hannover Dieter Rückle, Trier· Reinhard H. Schmidt, Trier

Band 13

Entwicklungshilfe als ökonomische Gestaltungsaufgabe Ein Beitrag zur finanzwirtschaftlichen Ordnungspolitik

Von

Dr. Johannes Scheube

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Scheube, Johannes: Entwicklungshilfe als ökonomische Gestaltungsaufgabe : ein Beitrag zur finanzwirtschaftlichen Ordnungspolitik / von Johannes Scheube. - Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse des Rechts; Bd. 13) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1990 ISBN 3-428-07418-1 NE:GT

06 Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0935-5065 ISBN 3-428-07418-1

Vonvort Umweltschutz und Entwicklungspolitik werden immer stärker auch zu einer globalen Notwendigkeit. Tropenwaldvernichtung und Ozonzerstörung erfordern weltweit koordinierte Gegenmaßnahmen, die folgerichtig zunehmend intensiver auf internationalen Konferenzen erörtert werden. Der spürbar ansteigende Zustrom von Asylbewerbern aus den Ländern der Dritten Welt und eine befürchtete Einwanderungswelle aus den Staaten Osteuropas nach den tiefgreifenden politischen Umwälzungen dort verstärken den Bedarf nach Lösungen, die über Änderungen nationaler Asyl- und Einwanderungsbestimmungen hinausreichen. In der vorliegenden Arbeit werden ökonomische Ansätze vorgestellt, die Wege skizzieren, wie eine Lösung dieser immer drängenderen globalen Aufgaben effizient organisiert werden könnte. Die Arbeit entstand in den Jahren 1986 bis 1990 während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Finanzwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Im Frühjahr 1990 wurde sie von der WirtschafLswissenschafLlichen Fakultät als Dissertation angenommen. Ich danke Herrn Professor Dr. Heinz Grossekettler für die engagierte Betreuung meiner Arbeit, für seine vielfältigen Anregungen und seine positive Kritik. Herrn Professor Dr. Rolf Eschenburg danke ich für die Übernahme der Zweitberichterstattung. Meine Kolleginnen und Kollegen am Institut für Finanzwissenschaft haben mich bei der Fertigstellung in jeder Hinsicht unterstützt, dafür danke ich ihnen.

Bonn, im März 1992

Johannes Scheube

Inhalt A. Einleitung

15

Ahgrcnzung dcs Thcmas

15

11. Gang dcr Untcrsuchung

19

I.

B. Io'inanzzuweisungen und Entwicklungshilfe I.

Die Destinlillung der Finanzzuweisungen mittels der Finanzausgleichstheorie

21 21

1I. Die Ableitung der Entwicklungshilfe aus den Entwicklungsstrategien .......

27

III. Zur Dedeutung raumwirtschaftlicher Degründungsansätze für die Zuweisungsgewährung .................................................

31

IV. Fazit: Unterschiede und Analogien

34

C. Ökonomisch funktionale Gestaltung der Entwicklungshilfe I: distributiv begl·ünd. bare Transfers .................................................

37

Ein internationaler Kooperationsvertrag als institutionelle Grundlage eines distrihutivcn Nord-Süd-Finanzausgleichs ...........................

37

I.

11. Bcgründungsansätzc für dic Gcwährung distributiver Transfers

43

1. Das Vcrsichcrungsprinzip als Dcgründungsansatz

43

2. Dic Vcrmcidung distrihutiv motivicrter internationaler Wandcrungcn als Begründungsansatz

49

III. Gcstaltungskomponcntcn cincs distrihutiven Nord-Süd-Finanzausgleichs

53

1. Vorbcmerkung: Überblick über die Gestaltungskomponcnten

53

2. Ausmaß der Differenzierung von Leistungsempfängern und Leistungserbl'ingern

54

3. Allsmaß der Finanzanpassung

58

8

Inhalt 4. Automatisierungsgrad des Zuweisungssystems

61

IV. Ableitung von Finanzkraftindikatoren

64

V. Ableitung von Finanzbedarfsindikatoren als zentraler Schlüsselgröße des distributiven Nord-Süd-Finanzausgleichs ...........................

68

1. Vorbemerkung: Überblick über die Vorgehensweise

68

2. Finanzbedarfe zur Abfederung externer Schocks

69

3. Finanzbedarfe zur Abfederungvon Anpassungslasten durch ordnungspolitische Korrekturmaßnahmen ......................................

73

4. Finanzbedarfe zur umfassenden Heranführung der Bevölkerung an die arbeitsteilige Wirtschaft ..........................................

83

5. Finanzbedarfe zur Vermeidung distributiv motivierter internationaler Wanderungen

90

6. Wechselseitige Beeinnussungen der jeweiligen Finanzbedarfe

95

VI. Fazit: Zusammenfassung und Bedeutung distributiver Transfers

96

1>. Ökonomis,·h funktionah~ Gestaltung der Entwicklungshilfe 11: allokuth· und stahilisierungspolitis,·h hegriindhare Tmnsfers I.

.................... . . . . .

'J'J

Allokativ begründbare Entwicklungshilfe

99

1. Internationale Kollektivgüter als Begründungsansatz für die Gewährung allokativer Transfers ........................................

99

2. Ableitung von Kriterien zur Bestimmung des Umfangs der Schlüsselmasse für verschiedene Kollektivgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

106

a) Tropenwälder zur Stabilisierung des Weltklimas

106

b) Erdatmosphäre als Aufnahmemedium von Schadstoffen

113

c) Der erdnahe Weltraum als Parkplatz für Satelliten und als Medium für Funkfreq~lenzen .........................................

124

d) Weltmeere als Lcbensraummariner Ressourcen und als Aufnahmemedium für Abfallstoffe .........................................

127

e) Rohstoffvorkommen in der Antarktis und der Tiefsee

130

3. Zur Bedcutung allokativer Transfers 11. Stahilisierungspolitisch hegriindbare Entwicklungshilfe

133

134

Inhalt

9

I. Konjunkturelle Exporterlösschwankungen als ßegründungsansatz für die

Gewährung stabilisierungspolitischer Transfers

....................

134

2. Gestaltungsmöglichkeiten stabilisierungspolitischer Transfers

138

3. Zur Bedeutung

141

stabilisierung.~politischer

Transfers

III. Fazit: Interdependenzen verschiedener Transfertypcn und Zusammenfassung der Ergehnisse .................................................

141

E. Ueurteilung der iikonomisrhen Legitimität des Nord-Süd-Finanzausgleichs I: Ziellegitimation und Aiternatinorschliige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

145

I.

Ein Schema zur Legitimitätsprüfung wirtschaftspolitischer Maßnahmen

145

11. Vertragstheoretische Legitimation des mit dem Finanzausgleich angestrebten Ziels ......................................................

146

1. Vorbemerkung: Zur Methodik der vertragstheoretischen Ziellegitimation

146

2. Legitimation der allokativen Zielsetzung

148

3. Legitimation der distributiven Zielsetzung

149

III. Alternative Vorschläge zur Reform der Entwicklungshilfe im Gegensatz zum l'iord-Slid-Finanzausglcich ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

151

I. Vorbemerkung: Ahgrenzung dcr Altcrnativvorschläge

151

2. Unwcrtcilung durch ordnung

153

Marktf~lnktionskorrcktur:

Die l'ieue Weltwirtschafts-

a) Vorbemerkung: Zum Begriff dcr l'icucn Wcltwirtschaftsordnung

153

b) Absichcrung der gegenwärtigcn EllIwicklungsländercxporte

154

c) Künftiger Ausbau der Entwicklungsländerexporte

157

3. Umverteilung durch Marktergebniskorrektur

159

a) Stcigcrung diskretionärer Ressourcentransfers: Marshall-Plan und Globaler Infrastruktur-Fonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

159

b) Einführung und Ausbau stetiger Ressourcentransfers: SZR-link, Entwicklungsteuern und kompensatorische Finanzhilfen . . . . . . . . . . . . . . . ..

161

F. Beurteilung der ökonomischen Legitimität des Nord-Süd-Finanzausgleichs 11: Legitimation der Maßnahmengestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

171

I.

Kriterien zur Beurteilung der Maßnahmen

171

10

Inhalt 1. Kritik der gegenwärtigen Entwicklungshilfegestaltung

171

2. Entwurf einer Gesamtsystematik zur Maßnahmenbeurteilung

181

11. Beurteilung der Effektivität

188

1. Die Effektivität der distributiven Zuweisungen des hier vorgestellten Transfersystems ...............................................

188

2. Die Effektivität der distributiven Zuweisungen der Alternatiworschläge

197

3. Die Effektivität allokativer Zuweisungen

212

111. Beurteilung der Ordnungskonformität

220

I. Die Ordnungskonformität der distributiven Zuweisungen des hier vorgestellten Transfersystcms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

220

2. Die Ordnungskonformität der distributiven Zuweisungen der Alternatiworschläge ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

227

3. Die Ordnungskonformität allokativer Zuweisungen

231

IV. Beurteilung der Verhältnismäßigkeit

234

1. Die Verhältnismäßigkeit der distributiven Zuweisungen des hier vorgestellten Transfersystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

234

2. Die Verhältnismäßigkeit der distributiven Zuweisungen der Alternatiworschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

243

3. Die Verhältnismäßigkeit allokativer Zuweisungen

347

V. Fazit: Zusammenfassung der Ergebnisse

255

G. Realisierhurkeil eines Nord-Süd-Finanzausgleichs

261

H. Zusummenl"ussunll

269

Lilemlur

277

Übersichten Üb.•

Distributive Transfers im Überblick

97

Üb. 2

Ablaufschema zur Beurteilung wirtschaftspolitischer Maßnahmen

147

Üb. 3

Anknüpfungspunkte für nationale und internationale Entwicklungsteuern

164

Üb. 4

Ziehungsmöglichkeiten beim IWF

167

Üb. S

Gesamtsystematik zur Deurteilung der ökonomischen Legitimität distributiv und allokativ begründeter globaler Finanzzuweisungen . . . . . . . . . . . . . ..

183

Üb. 6

Systematisierung der Effektivitätsprüfung distributiver Transfers

189

Üb. 7

Synopse denkbarer entgegengerichteter Unwerteilung5wirkungen distributiver Transfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

191

Üb. 8

Ergebnisse der Effektivitätsprüfung der Alternativvorschläge im Überblick

213

Üb. 9

Ergebnisse der I'rüfung der Alternativvorschläge auf Ordnungskonformität im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

232

Abkürzungen AKP APED BIP BMF BMZ BSP CH4 cif CO CO2

C.p.

DAC

D1W

EG EL

ERP

FCKW Fn. GAlT IDA IFC IL ILO IMF ITU i.V. IWF LLDC N.F. NGO

Np

ODA ODP OECD OPEC o.V.

PKE

RGW SITC SfABEX SYSMIN

Afrikanische, karibische und pazifische Staaten Arbeitsgemeinschaft privater Entwicklungsdienste Bruttoinlandsprodukt Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit ßrullosozialprodukt Methan cost, insurance, freiglll Kohlenmonoxid Kohlendioxid ceteris paribus Development Assistance Commillee Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Europäische Gemeinschaft Entwicklungsländer European Recovery Program F1uorchlor-Kohlenwasserstoffe Fußnote General Agreement on Tariffs and Trade International Development Association International Finance Corporation Industrieländer International Labour Organization International Monetary Fund International Telecommunication Union in Vorbereitung Internationaler Währungsfonds Least Developed Countries Neue Folge Non-governmental Organization Distickstoffoxid o fficia I Development Assistance Ozone Depleting I>otential Organization for Economic Cooperation and Development Organization of Petroleum Exporting Count ries ohne Verfasserangahe Pro-Kopf-Einkommen Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe Standard International Trade Classification System zur Stabilisierung der Exporterlöse Systeme Minerais

Abkürzungen

SZR Tab. Tz. u.a.O. Üb. UNCLOS UNCTi\D UNIDO UNO UV ZMT

Sondcr/.ichungsrcchte Tahcllc Tcxtziffcr und anderc Ortc Ühcrsicht Unitcd f'.:ations Confcrcncc on the Law of the Sca Unitcd f'.:alions Confcrcncc on Trade and Dcvelopmcnt Unilcd f'.:alions Induslrial Dcvclopmcnl Organizalion United Nations Organization ultraviolett Ziel-Mittel-Träger-Regel

13

A. Einleitung I. Abgrenzung des Themas Seit nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges immer mehr Länder in den einstigen Kolonialgebieten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas in die Unabhängigkeit entlassen wurden, hat eine Diskussion um die Problematik der wirtschaftlichen Entwicklung dieser Gebiete eingesetzt, die bis heute unvermindert anhält. Die Lage dieser Staaten war - und ist größtenteils auch heute noch gekennzeichnet durch die Verelendung weiter Bevölkerungsteile, niedrigen Bildungsstand, unzureichende Gesundheitsversorgung und Kapitalmangel bei hohen Geburtenraten. Ein Konsens darüber, daß externe Hilfe zur kurzfristigen Linderung und langfristigen Beseitigung dieser Zustände notwendig ist, konnte relativ schnell hergestellt werden. Pie Meinungen über Millel und Wege, wie das zu bewerkstelligen sei, klaffen jedoch zwischen Industrie- und Entwicklungsländern weit auseinander. Übereinstimmend wird dabei allerdings durchgehend nach politischen Kriterien definiert, was wünschenswert und was möglich ist. Diese Arbeit soll dagegen auf ökonomischen Ansätzen zur Erklärung von Entwicklungshilfe aufbauen. Damit wird vor allem bezweckt, die ökonomischen Begründungsansätze von sonstigen Beweggründen der Entwicklungshilfe (z.B. humanitärer, militärischer oder exportförderungspolitischer Art) zu isolieren. Dies dient der Beantwortung der für diese Arbeit zentralen Fragestellung, warum im Grunde egoistische Individuen eigentlich Entwicklungshilfe befürworten und finanzieren sollten. Mit Hilfe des ökonomischen Ansatzes werden im Verlauf der Arbeit Gründe aufgezeigt, warum und wann Individuen Kompetenzen im eigenen Interesse an Kollektive abtreten sollten, so wie das in den Geberländern mittels Steuerzahlungen an die Regierungen dieser Länder geschieht. Ausgangspunkt für den gewählten ökonomischen Ansatz sind ordnungspolitische Prinzipien, die hier auf die öffentliche Finanzwirtschaft angewendet werden, als deren Bestandteil die (staatliche) Entwicklungspolitik zu verstehen ist. Diese ordnungspolitischen Grundsätze stellen gleichsam das institutionelle Gerüst für den Aufbau eines ökonomisch funktionalen Entwicklungshilfesystems dar. Der bedeutendste dieser Grundsätze findet sich in

16

A. Einleitung

der Forderung, latent vorhandene Anreizmechanismen potentieller Transferempfänger durch ordnungspolitische Korrekturmaßnahmen freizulegen und nur subsidiär hierzu als Flankierung oder Ergänzung finanzielle Mittel einzusetzen. Dieses Gerüst dient als Ausgangsbasis für die Begründung und Ausgestaltung des zu entwerfenden Transfersystems. Zur Begründung der Entwicklungshilfe wird dabei insbesondere auf die Kollektivgüter- und die Föderalismustheorie zurückgegriffen. Insgesamt kann dieses Transfersystem als Fi1la1lzausgleich im weitere1l Si1l1le dieses Begriffs interpretiert werden. Es ist als Fi1la1lzausgleich zu charakterisieren, weil es finanzielle Transaktionen zwischen gleich- oder hierarchisch geordneten öffentlichen Gebietskörperschaften umfaßt. Es ist im weitere1l Si1l1le dieses Begriffs zu verstehen, weil hier Finanzverfassungsfragen im Mittelpunkt des Interesses stehen werden. Demnach wird im folgenden die Ausgestaltung dieses Transfersystems an die in der Literatur übliche Systematik der Erörterung von Finanzausgleichssystemen angelehnt werden. Dort wird untersucht, nach welchen Kriterien diese finanziellen Transaktionen zwischen Gebietskörperschaften erfolgen sollten. Dabei wird, je nach Typ des Finanzausgleichs und Richtung des Zahlungsstroms zwischen verschiedenen Bezeichnungen dieser finanziellen Transaktionen unterschieden: Solche von einer untergeordneten zu einer übergeordneten Gebietskörperschaft heißen Finanz-( = Matrikular-) Beiträge, diejenigen "in umgekehrter Richtung stellen Finanzzuweisungen im engeren Sinne dar, Zahlungen zwischen gleichgeordneten Gebietskörperschaften schließlich werden als Kompensationszahlungen bezeichnetl. Die Erkenntnisse dieser Untersuchungen sollen in dieser Arbeit nach der im folgenden Abschnitt erläuterten Gliederung auf die Gewährung von Entwicklungshilfe im so verstandenen ökonomischen Sinn angewandt werden. Der in dieser Arbeit vorgestellte Entwurf eines ökonomisch funktionalen Entwicklungshilfesystems erfolgt auf dem Wege einer Als-ob-Betrachtung: Es wird zunächst davon ausgegangen, als sei die Entscheidung, ein solches internationales Transfersystem einzurichten, bereits gefallen. Darauf aufbauend wird seine konzeptionelle Ausgestaltung beschrieben: Die Fragen der formalen Organisation, vor allem aber der inhaltlichen Zielsetzung

1 Die Übereinstimmung des ßcgriffs der Finanzbeilräge mit dem der Dcitragszahlungen im Rahmen der KOllektivgütertheorie (vgl. dazu Abschnilt 0.1.1 der Arbeit) ist dabei nicht zufällig: Wie sich zeigen läßt, würde sich in einem föderalen Staatssystem, das die Finanzierung der Bereitstellung von KOllektivgütern ausschließlich nach dem Äquivalenzprinzip vornimmt, ein Finanzausgleichsbedarf zwischen den föderalen Ebenen auf die Entrichtung von Zwangsbeiträgen der untergeordneten an eine übergeordnete Körperschaft zur Wahrnehmung übergreifender Aufgaben reduzieren. In diesem Fall handelt es sich exakt um l3eiträge im Sinne der KOllektivgütertheorie. Vgl. hierl:u /I. Grossekeulel' (1987b, S. 396 ff.).

I. Abgrenzung des Themas

17

werden im Miuelpunkt der Ausführungen stehen. Den Schwerpunkt auf die Erörterung der inhaltlichen Zielsetzung zu legen ist deshalb gerechtfertigt, weil eine Diskussion von Zielen und Inhalten zweckmäßigerweise schon vor einer möglichen Umsetzung staUfinden sollte, um in einem solchen Fall dann rasch Orientierungspunkte für eine ökonomisch funktionale Ausgestaltung liefern zu können. Die Frage nach den Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit die Umsetzung eines solchen Transfersystems in Teilen oder als Ganzes erfolgt, wird im Schlußkapitel der Arbeit aufgegriffen. Tatsächlich beginnen sich bereits erste Möglichkeiten und Ansätze für internationale Kooperationen abzuzeichnen. Erwähnt seien die internationalen Anstrengungen zur Abwendung einer globalen Klimakatastrophe und zur Bewältigung des tiefgreifenden Wandels der mittel- und osteuropäischen Volkswirtschaften hin zu einer marktwirtschafllichen Ordnung. Unter Entwicklungshilfe im herkömmlichen Sinn wird ein von der öffentlichen Hand vorgenommener Ressourcentransfer von den Industrie- in die Entwicklungsländer verstanden, der Wohlstandsmehrung und wirtschaftliche Entwicklungsimpulse in diesen Ländern zum Ziel hat und in Form von Zuschüssen oder Krediten gewährt wird, wobei letztere per Konvention ein Zuschußelement von mindestens 25 % aufweisen müssen 2• Nicht erfaßt in dieser Definition sind also Transfers privater, nicht gewinnorientierter Organisationen wie beispielsweise der kirchlichen Entwicklungsdienste, öffentliche Militär- und andere Hilfen sowie private, gewinnorientierte Ressourcentransfcrs, insbesondere Kredite von Privatbanken und Direktinvestitionen. Diese Begriffsabgrenzung spiegelt die politisch geprägte Zielsetzung der Entwicklungshilfe wider. In dem hier gewählten ökonomischen Ansatz läßt sie sich noch am ehesten unter die distributionspolitisch begründeten Transfers subsumieren. Im Unterschied zu den Rahmenbedingungen, die in der Vergangenheit die Ausgestaltung von Finanztransfers und deren Behandlung in der Literatur geprägt haben3, ist die heutige Situation dadurch gekennzeichnet, daß bedingt durch die zunehmende internationale Verflechtung und damit auch durch die gegenseitigen Abhängigkeiten die Problematik der Entwicklungsländer zu einem weltwirtschaft lichen Problem geworden ist, das auf isolierter bilateraler Basis - wie zu zeigen sein wird - teilweise gar nicht mehr gelöst werden kann, und 2 So die

Definition des Development Assistance Commillee (DAC) der OECD. Vgl. H. P.

Wresebach (1980. S. 407).

3 Damit ist vor allem das Verhällnis von Kolonialmächten zu den von ihnen abhängigen Gebieten im' letzten und der ersten lIälfte diesen Jahrhunderts angesprochen. Vgl. dazu 11. Zimmermallll (1963. S. 17 ff.). 2 Sch...bo

18

A. Einleitung

daß ein Interessenausgleich zwischen völkerrechtlich souveränen Staaten herbeigeführt werden muß. In der Literatur zur Problematik der finanziellen Beziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern können verschiedene Richtungen mit jeweils unterschiedlichen Akzentsetzungen festgestellt werden: In der Literatur zur Entwicklungstheorie und -politik werden die Ursachen der Unterentwicklung untersucht und die Auswirkungen von finanzieller Hilfe für diese Länder dargestellt. Die benötigte Hilfe wird dann meist isoliert für eine einzelne Volkswirtschaft abgeleitet, ohne sie in einen Gesamtzusammenhang zwischen Industrie- und Entwicklungsländer einzuordnen. Beiträge zur "Neuen Weltwirtschaftsordnung" beschäftigen sich mit der Frage, inwieweit die Unterentwicklung aus dem bestehenden Weltwirtschaftssystem herrührt. Diese Richtung ist insbesondere von den Entwicklungsländern verfolgt worden, die auch zahlreiche Vorschläge zur Änderung der Wcltwirtschaftsordnung vorgetragen haben. Im Kern streben sie eine globale Umverteilung von den Industrie- an die Entwicklungsländer durch eine Korrektur der (weitgehend) marktwirtschaftlieh orientierten Weltmarktordnung an. Im Rahmen des internationalen Finanzausgleichs werden Probleme der Gestaltung der finanzwirtschaftlichen Beziehungen zwischen souveränen Staaten behande1t4 , wobei die Beziehungen entwickelter Industrieländer im Rahmen von Wirtschaftsintegrationen mit teilweise überstaatlichen Finanzhoheiten im Vordergrund stehen. Im Unterschied zu diesen Richtungen soll hier der Versuch unternommen werden, die Erkenntnisse der Finanzausgleichs- und der Föderalismustheorie auf die Finanzbeziehungen zwischen entwickelten und unterentwickelten Staaten zu übertragen. Dies erscheint erfolgversprechend, weil dadurch auf ein bereits relativ weit entwickeltes theoretisches Instrumentarium zurückgegriffen werden kann, das sich, wie zu zeigen sein wird, ohne große Probleme auch auf die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen anwenden läßt, und weil sich dieses Instrumentarium in seiner Wirkungsweise auch in der Praxis bewährt hat; sowohl national (z.B. USA, Bundesrepublik Deutschland) als auch international (z.B. EG) findet ein Finanzausgleich stalt.

.. Vgl. R. Pe!feko\'ell (1980, S. 609).

11. Gang der Untersuchung

19

11. Gang der Untersuchung Da es im folgenden um die Abbildung der entwicklungsorientierten Transferbeziehungen zwischen Nord und Süd durch ein System von Finanzbeiträgen und -zuweisungen geht, wird in Kapitel B als Grundlegung für die weiteren Ausführungen zunächst kurz die jeweilige theoretische Basis dieser Instrumente dargelegt. Es wird außerdem gefragt, in welcher Weise der Einsatz dieser Instrumente legitimiert werden kann und welche Bedeutung der Raumwirtschaftstheorie für den behandelten Fragenkomplex zukommt. Die Einrichtung eines nationalstaatlichen Finanzausgleichs und die darauf aufbauende Erhebung von Beiträgen und Gewährung von Zuweisungen ist ebenso wie die Entwicklungshilfe als Bestandteil staatlicher Tätigkeit allokations-, distributions- oder stabilisierungspolitisch zu begründen. Der offensichtlich herausgehobenen Bedeutung der Umverteilungsfrage im vorliegenden Kontext Rechnung tragend, wird in Kapitel C deshalb zunächst die Sollgestaltung eines distributiven Nord-Süd-Finanzausgleichs dargestellt. Ausgangspunkt ist eine kurze Beschreibung des organisatorischen Gefüges zur Bewerkstelligung des Finanzausgleichs. Darauf folgt die Begründung eines distributiven Transfersystems auf globaler Ebene, bevor dann Anknüpfungspunkte für die Erhebung von Beiträgen und die Gewährung von Zuweisungen zu ermitteln sind. In Kapitel D folgt nach demselben Muster die Begründung für ein allokativ orientiertes globales Transfersystem. Daneben werden auch die Voraussetzungen für die Errichtung eines stabilisierungspolitisch ausgerichteten weltweiten Finanzausgleichs besprochen und die grundsätzlichen Bedenken gegenüber seiner Realisierung hervorgehoben. Den Abschluß bildet eine kurze Betrachtung der auftretenden Interdependenzen zwischen allokativ, distributiv und stabilisierungspolitisch begründeten Entwicklungshilfeleistungen. Es stellt sich die Frage, inwieweit die in den Kapiteln C und 0 entworfene Sollgestaltung der Entwicklungshilfe überhaupt ihrer Zielsetzung, nämlich ein Verfahren für eine ökonomisch funktionale Gestaltung der Entwicklungshilfe zu repräsentieren, gerecht wird und damit einen legitimen Wegweiser für eine Reform des derzeit praktizierten Vergabesystems abgeben kann. Zu diesem Zweck ist in Kapitel E zunächst ein geeignetes Verfahren zur Beurteilung der ökonomischen Legitimität wirtschaftspolitischer Maßnahmen darzustellen. Daneben wird ein Katalog alternativer Reformvorschläge vorgestellt, die ebenfalls auf globaler Ebene ansetzen. Nach diesen vorbereitenden Ausführungen wird dann in Kapitel F die Prüfung des hier vorgestellten Entwurfs einer ökonomisch funktionalen

20

A. Einleitung

Gestaltung der Entwicklungshilfe einer Prüfung auf seine ökonomische Legitimierbarkeit hin unterzogen. Parallel dazu werden auch die zuvor präsentierten Alternatiworschläge auf ihre ökonomische Funktionalität hin untersucht. Den Abschluß der Arbeit bildet dann in Kapitel G eine kurze Betrachtung der Voraussetzungen, die zu einer Verwirklichung zumindest einiger Komponenten des hier vorgestellten Transfersystems erforderlich sind, gefolgt von einer Zusammenfassung der Ergebnisse (Kapitel H). Ziel der Arbeit ist wie gesagt der Versuch, ökonomisch rationale Kriterien zur Gewährung von Entwicklungshilfe zu entwickeln und damit eine Trennung von ökonomisch begründbaren und weltanschaulich begründeten Leistungen zu ermöglichen. Dies ist insofern durchaus notwendig, als es nur dann möglich wird, -

die gesamtwirtschaftlichen Kosten einer bestehenden bzw. anvisierten Ordnung zu quantifizieren,

-

Maßstäbe für die Zuordnung neuer Aufgaben (wie Z.B. des internationalen Umweltschutzes) zu formulieren,

-

im Falle einer auch politisch als notwendig erkannten Umgestaltung der historisch gewachsenen Aufgaben-, Ausgaben- und Einnahmenverteilung konkrete Vorschläge zu machen5•

Damit kann zur vergleichenden Darlegung der Ableitung von Finanzzuweisungen und Finanzbeiträgen aus der Finanzausgleichstheorie bzw. der Entwicklungshilfe aus den Entwicklungstheorien und -strategien übergegangen werden.

5

Vgl. R. Peffekm'ell (1980, S. 609).

B. Finanzzuweisungen und Entwicklungshilfe I. Die Bestimmung der Finanzzuweisungen mittels der Finanzausgleichstheorie

Formal ergibt sich die Notwendigkeit eines Finanzausgleichs immer bei Existenz mehrerer gleich- und/oder nachgeordneter Anbieter öffentlicher Leistungen. Dann nämlich wird es erforderlich, die Aufgaben, die sie jeweils übernehmen sollen, und darauf aufbauend auch die Ausgaben, die dabei entstehen, sowie die Einnahmen, die dafür benötigt werden, zwischen diesen Anbietern öffentlicher Leistungen zu koordinieren. Materiell ist - ebenso wie die Höhe auch die Struktur öffentlicher Leistungen (im Sinne einer Verteilung auf verschiedene Anbieter) aus allokations-, distributions- und stabilisierungspolitischen Erfordernissen abzuleiten. Der Begriff "Finanzausgleich" kann dabei umfassend definiert werden als die Zuordnung von Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen auf verschiedene Anbieter öffentlicher Leistungen 1• Es liegt ein vertikaler Finanzausgleich vor, wenn diese Anbieter auf einer unterschiedlichen Zentralitätsstufe tätig werden, ein horizontaler, wenn sie auf der gleichen Zentralitätsstufe stehen. Die Vornahme des Finanzausgleichs erfolgt entsprechend der Definition in drei aufeinander aufbauenden Schritten: (1) Zuordnung der Aufgaben: Im weitesten Sinne geht es in diesem Schritt darum, durch die Definition der zu erfüllenden Aufgaben auch die Zentralitätsstufe zu ermitteln, auf der diese Aufgaben wahrgenommen werden sollen2• Für die Zuordnung dieser Aufgaben werden neben ökonomischen in der Literatur auch staatspolitische, finanzwirtschaftliehe und institutionell-technische3 sowie nicht-ökonomische Kriterien

1 VgI. R. PeffekOl·tn (1980, S. 609); H. Zimmemlallll (1983, S. 4); H. Zimmermann / K.-D. Henke (1987, S. 99). 2 Vgl. im folgenden R. A. MlIsgral'(!/ P. B. MlIsgral'e/ L. Kllllmer (1987, S. 1 rr.); R. Peffekoven (1980, S. 610 rr.); H. Zimmermann (1983, S. 9 ff.); H. Zimmermanll/ K.-D. Henke (1987, S. 100 rr.); D. Briimnu:rhol! (1988, S.467 rr.). 3 Vgl. W. Willmann (1973, S. 158).

22

ß. Finanauweisungen und Entwicklungshilfe

diskutiert4 • Diese können jedoch so weitgehend in die ökonomischen Kriterien integriert werdens, daß eine Beschränkung auf letztere gerechtfertigt ist6• So ist etwa das prima vista nicht-ökonomisch erscheinende Kriterium der Bürgerbeteiligung bei allokationsoptimaler Aufgabenzuordnung vollständig berücksichtigt. Am schwierigsten gestaltet sich die Zuordnung der allokativen Aufgaben. Sie ist so vorzunehmen, daß den Forderungen "Bereitstellung von Kollektivgütern gemäß den Präferenzen der Bürger" und "effiziente Produktion" genügt wird. Dabei können jedoch für beide Forderungen Argumente sowohl für eine mehr dezentrale als auch eine mehr zentrale Bereitstellung bzw. Produktion abgeleitet werden. So ist im Hinblick auf die Minimierung von Frustrationskosten bei überstimmten Minderheiten im Zuge der Bereitstellungsentscheidung eine möglichst dezentrale Bereitstellung zu fordern. Weiterhin wird als Vorteil einer (räumlich) dezentralen Bereitstellung die Wahlmöglichkeit der Bürger zwischen verschiedenen öffentlichen Anbietern gesehen 7• In Erweiterung dieses Arguments wird dadurch eine Innovationsfähigkeit der einzelnen öffentlichen Anbieter erwartet, weil diese sich nun in einem Konkurrenzverhühnis belinden. Schließlich würde auch die Minimierung der Ballungskosten eine möglichst dezentrale Bereitstelltmg erforderns. Gleiches gilt bei nicht polaren Kollektivgütern, wenn mit Überschreiten einer bestimmten Größe der Nutzergruppe steigende Überfüllungskosten auftreten. Auch die gegebenenfalls mit der Inanspruchnahme der Kollektivgüter durch die Bürger verbundenen (privaten) Zusatzkosten sind bei dezentraler Bereitstellung tendenziell geringer. Unter dem Gesichtspunkt, daß verschiedene Arten von Kollektivgütern mit jeweils unterschiedlichen Emissionsquoten existieren, richtet sich die Bereitstellungsebene nach dem jeweiligen Ausmaß der auftretenden externen Effekte9 • Dabei gibt die eben erwähnte Emissionsquote den Anteil der nicht internalisierten externen Effekte an den gesamten Effekten eines bestimmten Gutes wieder 10. Zur Vermeidung wohlfahrtsmindernder

4

Vgl. I/.

Zi",/I"'/'/l/OII/l

(1983. S. 32 ff.).

S Vgl. W. WiU/lIa/lll (1')73. S. 170). 6

Vgl.lI. Zi",,,,c,.,,,oll/l (1983. S. 33 f.).,

7

Vgl. 11. Zi",/I/('/7IIOIIII / K.-J). IIcllkc (1987, S. 102).

Ballllllgskosten entstehen. wenn eine noch als erträglich empfundene nevölkerun~,'sdichte durch den Zuzug weiterer Bewohner üherschritten wird [vgl. R A. MlIsgral'c/ P. IJ. MlIsgral'c/ L. KIIIIIII('" (1987). S. 4 rf.!. ohne dal\ deswegen hereits Konsumrivalität bei einem konkreten KOllektivgut auftreten muß. 8

9

Vgl. hierl.u I/. (ll'Oss('k('u/(o,. (1985h. S. 222 ff.).

10

Vgl. H. Grossekeuler (l')85b, S. 224).

I. Die Bestimmung der Finanzzuweisungen

23

Spillovers ist nämlich zu fordern, das Auseinanderfallen von Nutznießern und Kostenträgern für ein Kollektivgut zu verhindern. So müßte ein Kollektivgut, dessen Nutzerkreis alle Bewohner eines Staates umfaßt (z.B. also die Landesverteidigung), nach diesem Kriterium auch zentralstaatlich bereitgestellt werden. Profitiert dagegen ein über ein einzelnes Land hinausgehender Personen kreis von der Bereitstellung eines Kollektivgutes, wäre diese demgemäß international zu organisieren. Im Extremfall wäre eine Bereitstellung auf globaler Ebene zu empfehlen, wenn sich der Nutzerkreis auf die gesamte Erdbevölkerung erstreckt. Dieser letztgenannte Fall wird zusammen mit seinen Implikationen für einen Nord-Süd-Finanzausgleich Gegenstand der Betrachtung von Abschniu D.I der Arbeit sein. Schließlich könnte auch unter meritorischen Aspekten eine zentrale Bereitstellung erforderlich sein. Dies wäre dann der Fall, wenn dezentrale Einheiten bei vollständiger Information ein Kollektivgut anbieten würden, es jedoch tatsächlich aurgrund prohibitiver Informationskosten nicht tun. Neben der Forderung nach allokationsoptimaler Bereitstellung ist auch diejenige zur effizienten Produktion von Kollektivgütern zu berücksichtigen. Hiervon wird jedoch nur dann Einfluß auf die Bestimmung der optimalen Zentralitätsstufe ausgeübt, wenn es unmöglich ist, den Produktions- vom Bereitstellungsvorgang zu trennen, das bereitzustellende Gut also als Vorleistung von anderswoher zu beziehen. Ist das nicht realisierbar, wird die Anforderung der effizienten Produktion bei Vorliegen von Economies-of-scale für eine Aufgabenzuordnung auf hoher ZentraliLätsstufe sprechen. Damit stellt sich die Frage, wie denn nun die Zuordnung der Aufgaben unter allokationspolitischen Vorstellungen erfolgen soll. Es ist anzunehmen, daß für unterschiedliche Kollektivgüter die genannten Einflußgrößen von variierender Bedeutung sind. Im Extremfall würde das dann bedeuten, daß für jedes Kollektivgut eine eigene anbietende Körperschaft mit jeweils einem individuellen, optimalen Zentralitätsgrad existieren müßte. Angesichts der Vielzahl von Kollektivgütern müßten die Bürger dann jedoch M ilglieder einer so großen Zahl von Körperschaften sein, daß dies für sie mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden wäre. Es ist also noch die allokationsoptimale Zahl der Körperschaften zu bestimmen, indem d.ls Minimum der beiden gegenläufigen Kostenkurven "Kosten durch zunehmende Wohlstandsverluste bei abnehmender Anzahl der Körperschaften" und "Kosten durch zunehmende Entscheidungsfindungsprozesse der Bürger bei steigender Anzahl der Körperschaften" ermiUelt wird. Als Resultat wird sich eine gegenüber der Ausgangssituation erheblich verminderte Anzahl von Körperschaften ergeben, wobei jeder von diesen dann diejenigen

24

B. Finllnzzuweisungen und Entwicklungshilfe

Aufgaben zugewiesen werden, die sie in allokativer Hinsicht am besten erfüllen kann. Neben der Verteilung der allokativen stellt sich das Problem der Zuordnung distributiver und stabilisierungspolitischer Aufgaben. In beiden Fällen sprechen eindeutige Argumente für eine zentrale Bereitstell ung. So würden regional unabhängigeDistributiollsmaßllalzmell immer wieder zu interregionalen Wanderungsbewegungen führen, da innerhalb eines Nationalstaates die Mobilitätskosten als vergleichsweise gering einzuschätzen sind und die Mobilitätsbereitschaft damit als hoch angesetzt werden kann. Im Ergebnis würde es zu intraregionaler Angleichung, jedoch interregional erhöhten Diskrepanzen des Pro-KopfEinkommens kommen. Die Zuständigkeit für Distributionsaufgaben ist also auf einer Zentralitätsstufe anzusetzen, auf der die Mobilitätskostenkurve eine SprungsteIle aufweist. Diese wird in der Regel da gesehen, wo zwischen einer Wanderung innerhalb oder zwischen Nationalstaaten unterschieden wird (anderer Kulturkreis, andere Sprache usw.). Es mehren sich jedoch die Anhaltspunkte, die für eine abnehmende Bedeutung dieser SprungsteIle sprechen, u.a. ist hier auf den stetig anschwellenden Strom von Asylbewerbern aus den Entwicklungsländern zu verweisen. Dies würde für eine Verschiebung der Distributionskompetenz auf eine höhere Ebene sprechen. Inwieweit sich hieraus eine Begründung für ein globales Transfersystem ableiten läßt, wird in Abschnitt C.l1.2 dieser Arbeit erörtert werden. Als Fazit kann festgehalten werden: Die Zuständigkeit für Distribution muß um so zentraler sein, je geringer die Mobilitätskosten der Wirtschaftssubjekte sind. Analog kann im Fall der Zuordnung stabilisielltllgspolitisclzer Aufgaben argumentiert werden 11 • So würde eine regional begrenzte stabilisierungsorientierte Finanzpolitik bei hohem Grad der Arbeitsteilung in der gesamten Volkswirtschaft dazu führen, daß aufgrund hoher Importquoten diese Maßnahme hauptsächlich in anderen Regionen wirksam würde. Gleichermaßen hätte eine dezentralisierte Geldpolitik zur Folge, daß regional unterschiedlich ausgerichtete geldpolitische Maßnahmen ihre regional erwarteten Wirkungen letztlich verfehlen und gesamtwirtschaftlich gesehen eher instabilen Verhältnissen Vorschub leisten würden. Fazit also auch hier: Die Zuständigkeit für die Stabilisierungspoiitik muß um so zentraler sein, je höher der Grad der Arbeitsteilung ist.

11

Vgl. hierl.u auch M. Glii.n', (19111. S. 211 fr.).

I. Die Destimmung der Finanzzuweisungen

25

(2) Zuordnung der Ausgaben: Grundsätzlich sind die Ausgaben, die im Zuge der Erfüllung einer Aufgabe notwendig werden, von derjenigen Körperschaft vorzunehmen, der die Aufgabe zugewiesen wurde. Deshalb ist in diesem zweiten Schritt der Vornahme eines Finanzausgleichs zu ermitteln, ob und in welcher Höhe die zugewiesenen Aufgaben ausgabewirksam werden. Als nicht ausgabewirksame Aufgaben wären hier also zum Beispiel solche, welche die Kompetenz zum Erlaß von Ge- und Verboten beinhalten, nicht in Ansatz zu bringen (mit Ausnahme der dabei dann jeweils anfallenden Verwaltungs- und Kontrollkosten). (3) Zuordnung der Einnahmen: Entsprechend den zugewiesenen Aufgaben und den dafür notwendigen Ausgaben sind den jeweiligen Körperschaften Einnahmen in äquivalenter Struktur und Höhe zugänglich zu machen. D.h., daß diese Einnahmen zur Finanzierung der allokativen Aufgaben bei dem Nutzerkreis dieser Güter erhoben, die Mittel für distributions- bzw. stabilisierungspolitische Maßnahmen dagegen entsprechend dem angestrebten Umverteilungsmodus bzw. in konjunkturreagibler Form beschafft werden müssen. Dabei gilt, daß die Vereinnahmung der allokativen Mittel grundsätzlich ohne jede Mitwirkung anderer Gebietskörperschaften in der Kompetenz der jeweils betroffenen Gebietskörperschaft liegt. Bezogen auf die wichtigste Einnahmequelle, die Steuern, heißt das, daß jede Gebietskörperschaft für die erforderlichen Mittel über die Objektoder Gestaltungs-, Ertrags- und Verwaltungshoheit verfügt (ungebundenes Trennsystem). Diese Forderung kann jedoch wiederum mit den Anforderungen kollidieren, wie sie aus Eflizienzgesichtspunkten an ein rationales Steuersystem zu stellen sind. So können Verstöße gegen ein rationales Steuersystem in Form von nicht realisierten Economies-ofscalc einer zentralen Steuerverwaltung, von Mehrfachbesteuerungen einzelner Steuerquellen oder von regional so erheblich divergierenden Steuerbelastungen vorliegen, daß dies wiederum zu allokativ unerwünschten Wanderungen führt. Damit ergibt sich erneut ein Optimierungsproblem: Die Ermittlung eines optimalen Steuersystems, das einerseits der Zielsetzung, die jeweils zuständigen Körperschaften mit einer möglichst weitgehenden Einnahmeverwantwortung auszustatten, Rechnung trägt, andererseits die Zielsetzung eines möglichst einfachen, die sichtbaren und unsichtbaren Transaktionskosten minimierenden Steuersystems berücksichtigt. An dieser Stelle erst ergibt sich nun die Notwendigkeit zu prüfen, inwiefern Finanzzuweisungen als Ergänzung eines solchermaßen ermittelten optimalen Steuersystems geeignet sind. Dabei hängt die jeweilige Ausgestal-

26

ß. Finanzzuweisungen und Entwicklungshilfe

tung der Finanzzuweisung von der ihr übertragenen Funktion ab. In folgenden Fällen werden Finanzzuweisungen erforderlich: bei Abweichungen der zur Erfüllung der zugewiesenen Aufgaben benötigten Einnahmen von den im Rahmen des ermiltelten optimalen Steuersystems tatsächlichen Einnahmen. Die im Verhältnis zu ihren Aufgaben überproportional mit Einnahmen ausgestalteten Körperschaften zahlen dann an die unzureichend versorgten Körperschaften. Diese Zahlungen sollten in Form allgemeiner Finanzzuweisungen erfolgen, d.h. sollten weder bedarfsorientiert noch zweckgebunden sein oder eine Eigenbeteiligung des Empfängers voraussetzen. Finanzzuweisungen sind ebenfalls geboten, wenn unter meritorischen Aspekten das Angebot an Kollektivgütern einer unteren Körperschaft von "oben" beeinflußt werden soll, weil die Entscheidung zur Bereitstellung "unten" durch prohibitive Informationskosten negativ ausfällt, und es unzweckmäßig wäre, die Wahrnehmung der Aufgabe von vornherein der oberen Körperschaft zuzuweisen. Hierfür vorgesehene Zuweisungen sollten an eine Eigenbeteiligung des Empfängers anknüpfen und für die Bereiche, die unter meritorischen Aspekten beeinflußt werden sollen, zweckgebunden, allerdings nicht bedarfsorientiert sein. Soweit räumliche Spillovers nach Zuordnung von Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen durch das optimale Steuersystem noch auftreten, sollten Körperschaften, die positive (negative) externe Effekte für andere Körperschaften auf gleicher Zentralitätsstufe produzieren, von (an) diese(n) Kompensationszahlungen in entsprechender Höhe erhalten (leisten). Als zweitbeste Maßnahme können Zuweisungen von "oben" an die Spill outs produzierenden Körperschaften geleistet werden, um eine unteroptimale Bereitstellung solcher Leistungen zu verhindern. Der zunächst genannte horizontale Ausgleich ist allerdings dem vertikalen Internalisierungsverfahren vorzuziehen, weil dadurch (hier im Falle positiver Spillovers) der produzierenden Körperschaft nicht nur der Einsatz entsprechender Produktionsfaktoren abgegolten, sondern auch der empfangenden Körperschaften der erzielte Nutzen in Rechnung gestellt wird. Außerdem können die Transaktionskosten, die im Zuge einer vertikalen Vornahme des Ausgleichs anfallen, gespart werden. Solche Zahlungen sind genau so wie die unter meritorischen Gesichtspunkten gewährten zu gestalten. Schließlich werden Finanzzuweisungen erforderlich, wenn distributive Vorstellungen berücksichtigt werden sollen. Entsprechend den umverteilungspolitischen Leitvorstellungen bzw. den distributionspolitischen Erfordernissen in Abhängigkeit der betrachteten föderalen Ebene ist ein

11. Die Ableitung der Entwicklungshilfe

27

Ausgleich zwischen "reicheren" und "ärmeren" Körperschaften vorzunehmen. Entscheidende Bedeutung kommt dabei der zielbezogenen Ermittlung von Finanzbedarfs- und FinanzkrafLindikatoren zu, deren Differenz letztlich anzeigt, in welcher Höhe eine einzelne Körperschaft ausgleichspflichtig oder ausgleichsberechtigt ist. Solche Zahlungen wären dann bedarfsorientiert, im übrigen entsprechend dem gewählten Distributionsmaßstab auszugestalten. Als Fazit der vorangegangenen Darstellung des Finanzausgleichs können insbesondere folgende Erkenntnisse hervorgehoben werden, die für die weitere Behandlung des Themas von Bedeutung sein werden: In der Finanzausgleichstheorie sind Kriterien dafür entwickelt worden zu entscheiden, welche Aufgaben auf welcher Zentralitätsstufe wahrgenommen werden sollten. Die Funktionen von Finanzzuweisungen als dem der Entwicklungshilfe direkt vergleichbaren Instrument sind klar umrissen, und die Ausgestaltung ist dementsprechend daran auszurichten. Soweit die Erörterungen zur Ableitung von Finanzzuweisungen nach Maßgabe der Finanzausgleichstheorie. Im folgenden ist nunmehr zu fragen, nach welchen Kriterien die Entwicklungshilfe bestimmt wird. 11. Die Ableitung der Entwicklungshilfe aus den Entwicklungsstrategien Der Aussagegegenstand von Entwicklungstheorien erstreckt sich auf die Erklärung von Ursachen für das Ausbleiben der Entwicklung eines Landes oder ihr Zurückbleiben im Verhältnis zu derjenigen anderer Länder 12• Ausgangspunkt hierbei ist die Situation weitgehend unterentwickelter Länder, die in ökonomischer Hinsicht insbesondere durch einen Überhang des Faktors Arbeit gegenüber dem Kapital und dem Vorhandensein eines ausgeprägten Subsistenzsektors geprägt sind ll • Die Entwicklungstheorien vermögen jedoch für sich gesehen noch keine Anhaltspunkte für das erforderliche Ausmaß und die notwendige Struktur des Kapitaltransfers zu liefern. Diese ergeben sich erst aus den Entwicklungsstrategien, die auf der Grundlage einer bestimmten Entwicklungstheorie formuliert werden und als die Gesamtheit der Maßnahmen definiert sind, die zur Beseitigung der 12 vgl. zu diesem Begriff B. Knall (1980, S. 421) oder N. Wagller/ M. Kaiser/ F. Beimdiek (1983, S. 21 ff.).

t3 Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die ökonomischen Entwicklungstheorien. Daneben existiert eine Reihe von nicht-äkonomischen Theorien, wie etwa Klimatheorien, psychologische oder soziologische Theorien.

28

B. Finanzzuweisungen und Entwicklungshilfe

Unterentwicklung für erforderlich gehalLen werden l4 • Je nachdem, ob also die Unterentwicklung auf interne Strukturprobleme (insbesondere dualistische Strukturen), den Bevölkerungsdruck in den betroffenen Ländern, deren Position in der Weltwirtschaft oder aber Faktorbestandsdefizite und hier insbesondere die Kapitalknappheit zurückgeführt wirdis, werden dann unterschiedliche Strategien zu ihrer Überwindung für erforderlich gehalten. Im folgenden sollen die prominentesten Entwicklungsstrategien kurz charakterisiert und auf Kriterien zur Bestimmung von Ausmaß und Struktur des für erforderlich gehaltenen Entwicklungshilfebedarfs untersucht werden. Im einzelnen sind dies die Strategien des ausgewogenen und des unausgewogenen Wachstums, der Im portsubstitution und der Exportdiversifizierung sowie die Grundbedürfnisstrategiel6•

(1) Die Strategie des ausgewogenen Wachstums: Ausgangspunkt dieser Strategie ist die Diagnose, daß der primäre Sektor allein langfristig keine tragfähige Entwicklung erzeugt, andererseits aber der Aufbau des sekundären Sektors scheitern muß, weil dessen Erzeugnisse am Weltmarkt nicht konkurrenzfähig wären und der Inlandsmarkt wegen der geringen Absatzchancen zu eng ist. An diesem letzten Punkt setzt die Strategie nun an, indem sie diese Marktenge durch eine Strategie des ausgewogenen Wachstums aller Wirtschaftsbereiche .eines Landes zu überwinden sucht. Herbeigeführt werden soll dies durch aufeinander abgestimmte lnveslilionsvorhaben, die nach ihrer exogenen lniliierung überleiten sollen in ein tragfähiges Wachstum durch wechselseitige Nachfrageausübung. Die Durchführung dieser Strategie erfordert einen erheblichen Kapitalbedarf nicht nur zur Finanzierung der zahlreichen Investitionsvorhaben in den verschiedenen volkswirtschaftlichen Sektoren, sondern auch zur Schaffung der ein solches Wachstum erst ermöglichenden materiellen Infrastruktur. Hinzu kommt die Notwendigkeit eines fachlich kompetenten Apparates von Führungskräften zur Steuerung der Investitionen entsprechend der Forderung nach Ausgewogenheit, was ebenfalls einen erheblichen Finanzbedarf zur Bezahlung dieser Fachkräfte verursacht.

14 Zum Begriff der Entwicklung.'iStrategie vgl. L. Ho!fmallll/ H. Sallders (1980, S. 393 f.) und N. Wagller/ M. Kaisl'll F. Ill';'lldiek (1983, S. 21 ff.). 1.5

Zu dieser Gliederung der Entwicklun~,'stheorien vgl. Il.-R. Hemmer (1988, S. 120).

zu dieser i\uswahl N. Waglll'r/ M. Kaiser/ F. Beimdiek (1983, S. 52). Zu der weiteren Erörterung vgl. N. Wagm'r/ M. Kaisl'r/ F. Ileimdiek (1983, S. 52 ff. und S. 76 ff.) sowie I" /Io!fmCl/II/ / I/. Salldl'/'S (1980. S. 3% ff. und S. 400 ff.). 16 Vgl.

11. Die Ahleitung der Entwicklungshilfe

29

(2) Die Strategie des llllallsgewogellell Wachstllms: Als Ursache der mangc1n-

den Investitionsbereilschaft wird hier nicht die generel1e Marktenge, sondern ein Delizit an fähigen Unternehmern konstatiert, welche die prinzipiel1 vorhandenen tatsächlichen und potentiel1en Ersparnisse in Investitionen umzusetzen vermögen. Als Therapie wird hieraus abgeleitet, einseitig bestimmte Branchen der Volkswirtschaft gezielt zu fördern, und zwar solche, die erhebliche vor- und rückwärts gerichtete Verbindungen zu den übrigen Sektoren des Landes aufweisen. Durch diese Schaffung von genügend großen gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichten werden dann Unternehmer auf den Plan gerufen, um die so entstehenden Bedarfslücken zu schließen.

Grundsätzlich wird diese Strategie - unter sonst gleichen Bedingungen einen geringeren Transferbedarf zur Folge haben als die eben vorgetragene Strategie des ausgewogenen Wachstums, weil hier die Förderung auf bestimmte Branchen beschränkt bleibt und nicht gleichmäßig die gesamte Volkswirtschaft er faßt. Die übrigen in diesem Zusammenhang erwähnten Finanzbedarfe (Infrastruktur, Investitionsmanagement) bleiben aber auch hier bestehen.

(3) Die ImpOItsllbstitlltiollsstrategie: Diese Strategie beruht auf der Diagnose, daß der Aufl)au des sekundären Sektors im Inland angesichts des Vorsprungs auswärtiger Anbieter, insbesondere der Industrieländer nicht gelingen kann und deshalb zumindest vorübergehend zu schützen ist. Neben diesem Ziel des Aufuaus einer eigenen Industrie (in der Realität zielt diese Strategie fast ausschließlich auf den sekundären Sektor ab) kommen als weitere die Devisenersparnis, die Beschränkung des Imports nicht erwünschter Konsumgüter, mitunter aber auch der Einnahmenerzic1ung in Betracht. Erreicht wird dies direkt durch tarifäre und nicht-tarifäre Handclshemmnisse und indirekt durch Investitionslenkungen, Subventionierungen der inländischen Unternehmen und der Wechselkurspolitik (z.B. gespaltene Wechselkurse). UnmiUelbar entstehen durch diese Strategie Finanzbedarfe zum Aulbau inländischer Industriekapazitäten und deren Aufrechterhaltung, solange die Konkurrenzfähigkeit noch nicht gewährleistet ist. Mittelbar kann diese Strategie einen erheblichen externen Transferbedarf erzeugen, wenn im Fal1e ihres Scheiterns lebensnotwendige Importe zu finanzieren sind. Anzeichen sprechen dafür, daß die schwierige Lage einiger Entwicklungsländer darauf zurückzuführen ist, daß sich die geschützten Branchen als nicht lebensfähig erwiesen haben. Deren Errichtung war darüber hinaus häufig auch teilweise fremdfinanziert, so daß neben den unverändert erforderlichen Importen zusätzliche Devisen für den Schuldendienst aufgebracht werden mußten und müssen. Andererseits

30

B. Finanzzuweisungen und Enlwicklungshilfe

sind traditioncllc Dcviscncrwcrbsquellen bedingt durch die politische Entschcidung zur Importsubstitution zunehmend versiegt. (4) Die E.\lJOI1lJive/:\·ijiziell/llgsslrulegie: Im Gegensatz zur Importsubstitu-

tionsstratcgic wird mittcls dicscr Strategie eine Eingliederung dcs Landes in die weltwirtschaftliehe Arbeitsteilung und auf diesem Wege die Entwicklung des Landes insgesamt angestrebt. Zu erreichen ist dies durch den Aufbau von Produktionszweigen, in denen dieses Land international über komparative Vorteile verfügt. Wichtigstes Mittel zur Sicherstellung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ist dabei die Öffnung der Märkte, um diese Branchen dem internationalen Wettbewerb auszusetzen. Dies bedeutet den Abbau von Handelshemmnissen und den Verzicht auf sonstige, die Exporteure diskriminierende Maßnahmen (z.B. im Bereich der Wechselkurspolitik und der Geldbzw. der Finanzpolitik). Finanzbedarf entsteht im Zusammenhang mit dieser Strategie eher sekundär. In Frage kämen hier etwa subventionierte Existenzgründungsdarlehcn als Starthilfc für die Errichtung exportorientierter Produktionszweigc odcr dic Einrichtung von Freihandelszonen, in denen untcr spczicllcn Stcuer- odcr Zollvergünstigungen produziert werden kann. Vor allcm entstcht abcr Finanzbedarf für den Aufbau einer funktionierendcn Exportinfrastruktur, die von der erforderlichen Verkchrsinfrastruktur im Land und scincr Anbindung an das Ausland bis hin zur systcmatischcn Marktbcobachtung und Marktpllcgc in dcn potcnticllcn I m port ländern rcicht.

(5) Die GIl/lldbediiljllisslrulegie l7 : Ausgchend von der Diagnose eincr Stagnation oder gar Verschlechterung der Lebensbedingungen für große Teile der Bevölkerung in der Dritten Welt, propagiert diese Strategie eine direkte Armutsbekämpfung durch die Formulierung von Mindestbedarfen, die für jeden Menschen gedeckt sein sollen. Zurückgeführt wird dies auf Unzulänglichkeiten derjenigen Entwicklungsstrategien, die ausschließlich auf Wachstum setzen, ohne die damit verbundenen Umverteilungseffekte zu beachten. Die Grundbedürfnisstrategie strebt dagegen an, die Deckung elementarer Grundbedarfe der armen Bevölkerungsgruppen so vorzunehmen, daß hierdurch Realvermögen zur Disposition dieser Zielgruppe gelangt, das als dauerhafte Einkommensquelle genutzt und dadurch ihre Einkommenposition nachhaltig verbessern kann. Es wird erwartet, daß sich

17 Vgl. im folgenden auch A. G/I/Owski (1983, S. 428 f.).

111. Zur Bedeutung raumwirtschaftlicher Begründungsansätze

31

dies vor allem in einer durch die Grundbedarfdeckung erheblich verbesserten Arbeitsproduktivität niederschlägt. Der erforderliche Finanzbedarf zur Realisierung dieser Strategie hängt nun vom Umfang des gewählten Grundbedarfkataloges ab. Allgemeinen Konsens finden die Elemente ausreichende Ernährung, Gesundheit, Wohnung und Ausbildung. Der Katalog der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), welche die Formulierung dieser Strategie maßgeblich geprägt hat, sieht daneben auch die Bereitstellung weiterer wichtiger Infrastrukturleistungen wie Wasserversorgung, Sanitäranlagen und öffentliche Verkehrsmittel sowie die Schaffung von Partizipationsmöglichkeiten der Bevölkerung an den sie berührenden Entscheidungen vor. Es liegt aber auf der Hand, daß angesichts einer Zahl von 800 Mio. Menschen 18, die unter der von der Weltbank definierten absoluten Armutsgrenze leben, der Finanzbedarf bereits bei der Beschränkung auf nur wenige Grundbedarfe erheblicbe Ausmaße annehmen wird. Diese Charakterisierung der bedeutendsten Entwicklungsstrategien auf den erforderlichen Finanzbedarf hin offenbart, daß Indikatoren hierfür kaum vorhanden sind und deshalb nur grobe Schätzungen aufgrund der angestrebten Ziele vorgenommen werden können. 111. Zur ßedeutung raulllwil'tschal'tlicher ßegründungsansätze für die Zuweisungsgewährung

Neben der Finanzausgleichstheorie und den Entwicklungstheorien bzw. Entwicklungsstrategien kommt als weiteres Fundament für die Begründung finanzieller Transfers schließlich auch die Raumwirtschaftstheorie in Betracht. Durch die explizite Einführung räumlicher Aspekte in die allgemeine Wirtschaftstheorie leitet die Raumwirtschaftstheorie die Ursachen einer räumlich ungleichgewichtigen Entwicklung und deren Veränderung im Zeitablauf ab. Ziel der räumlichen Wirtschaftspolitik ist es, diese ungleichgewichtige Entwicklung nicht einfach hinzunehmen, sondern aktiv zu gestalten. Dabei werden neben allokativen (Ausschöpfung regionaler Entwicklungspotentiale, Beseitigung externer Effekte) und stabilisierungspolitischen (Verhinderung regional begrenzter Arbeitslosigkeit) vor allem distributive Zielsetzungen zugrunde gelegt 19• Letztere beziehen sich insbesondere auf die Verringerung regionaler Einkommensunterschiede und die Herbeiführung

18 In dieser 7.ahl sind die möglichen Armutsfälle Chinas und der ehemaligen StaatshandeIsländer noch nichl erfaLI\. Vgl. N. Wagller/ M. Kaiser/ F. Beimdiek (1989, S. 81). 19

Vgl. hierl.lI lind im folgenden J. Klalls/ f/. Schleiche,. (1983, S. 5 ff.).

32

ß. Finanzzuweisungen und Entwicklungshilfe

einer angemessenen Lebensqualität in den einzelnen Teilgebieten. Zur Operationalisierung dieser Ziele werden dann räumliche Indikatoren entwickelt, die gleichzeitig zur Aufdeckung raumwirtschaftspolitischen Handlungsbedarfs herangezogen werden. Je nach ausgewiesenem Handlungsbed&rf und ordnungspolitischer GrundeinsteIlung können unterschiedliche regionalpolitische Instrumenttypen identifiziert werden, die dann im Rahmen alternativer raumwirtschaftspolitischer Strategien zum Einsatz kommen. Ein Blick auf diese verschiedenen Strategien zeigt, daß der raumwirtschaftliche Ansatz im Vergleich zum Finanzausgleichsgedanken eine sehr viel stärkere hierarchische Strukturierung des Gemeinwesens, auf das die regionalpolitischen Maßnahmen bezogen werden sollen, voraussetzt: Die Strategie des optimalen Verdichtungsgrades versucht, mittels geeigneter Maßnahmen den aus der Theorie unter bestimmten, jeweils im betreffenden Raum vorzufindenden Voraussetzungen abgeleiteten optimalen Verdichtungsgrad (z.B. die optimale Dorfgröße, zu deren Ermittlung die zusätzlichen Vorteile der Agglomeration den zunehmenden Transportkosten zu den Feldern gegenüberzustellen sind 2O) eine Beschleunigung oder Verzögerung des Verdichtungsprozesses zu bewirken. Die Strategie der zentralen Orte zielt darauf ab, durch eine Verteilung von Klein-, Unter-, Mittel- und Oberzentren mit entsprechenden Einzugsgebieten über die Fläche deren jeweilige Entwicklungsimpulse für das Gesamtgebiet nutzbar zu machen und setzt daher Fördermaßnahmen für diese Zentren als Mittel ein. Die Strategie der axialen oder bandartigen Raumgliederung strebt an, die Entwicklungsimpulse von Verkehrsverbindungen für das Umland zu nutzen. Die Strategie der funktionalen räumlichen Arbeitsteilung schließlich will erreichen, daß durch eine Zuweisung von Funktionen an Teilregionen entsprechend ihrer natürlichen Begabung eine optimale räumliche Entwicklung erzielt wird. Je nach dem, ob dabei eine stärkere Betonung der jeweils verschiedenen komparativen Vorteile der Teilgebiete erfolgt oder das Schwergewicht auf einer gleichmäßigen Entwicklung aller Teilräume liegt, kommt dann das Konzept der funktionsräumlichen Arbeitsteilung oder das der ausgeglichenen Funktionsräume zur Anwendung. Der raumwirtschaftspolitische Ansatz impliziert also einen nicht unerheblichen Gestaltungsanspruch, der sich in Forderungen nach Beeinflussung des Verdichtungsprozesses oder nach Zuweisung von Funktionen an

20 Vgl. dazu E.

v. BÖl'fmler (1981. S. 420 C.).

111. Zur Bedeutung raumwirtschartlicher ßegründungsansätze

33

Regionen offenbart. Das setzt zum einen das Vorhandensein von Macht einer übergeordneten Instanz voraus, diese Gestaltung auch vornehmen zu können, zum anderen erfordert es ein hohes Maß an Informationen bei dieser Zentrale. Beides sind jedoch denkbar ungünstige Voraussetzungen für die Einführung eines weltweiten Übertragungsmechanismus. Verglichen damit ist der Gestaltungsanspruch distributiv begründeter Finanzzuweisungen geringer, da es hier grundsätzlich darum geht, die Fähigkeit unterschiedlicher Gebietskörperschaften gleicher Ebene zur Leistungsabgabe einander anzugleichen, was auch geringere Informationsanforderungen erfordert. Gleichwohl bleibt zu prüfen, inwieweit einzelne Begründungsansätze für raumwirtschaftliche Maßnahmen auf den Nord-Süd-Finanzausgleich übertragen werden können. Einige dieser Begründungsansätze werden sich in der nachfolgenden Konzeption wiederfinden. Hierzu zählt die in Kapitel D anzusprechende allokative Begründung einer Internalisierung räumlicher externer Effekte, angewendet auf die internationale Ebene. Die Ausschöpfung regionaler Entwicklungspotentiale als zweite allokative Begründung wird soweit auf die internationale Ebene übertragbar in den nach dem Versicherungsprinzip gestalteten distributiven Nord-Süd-Finanzausgleich aufgenommen. Neben diesen Beiträgen der Raumwirtschaftstheorie im allgemeinen zur materiellen Festlegung der inhaltlichen Ziele eines Transfersystems zwischen Gebietskörperschaften können sich Anhaltspunkte zu dessen formaler organisatorischer Gestaltunil speziell auch aus der Diskussion zur optimalen föderalen Kompetenzverteilung der Raumwirtschaftspolitik am Beispiel der Wirtschaftsförderung ergeben22• Die Wirtschaftsförderung stellt ein spezielles raumwirtschaftspolitisches Maßnahmenbündel zur Erhöhung oder Konsolidierung der Attraktivität von Unternehmensstandorten dar, das unternehmensorientiert ist und die Sicherung eines quantitativ ausreichenden und qualitativ vielseitigen Arbeitsplatzangebots für das jeweils betrachtete Wirtschaftsgebiet (d.h. also eine Gemeinde, ein Land, einen Staat oder eine Staatengruppe) zum Ziel hat 23 • Die vorgefundene Verteilung von Zuständigkeiten in diesem Bereich ist gekennzeichnet durch einen eher willkürlichen und unkoordinierten Einsatz der Instrumente der Wirtschaftsförderung auf den verschiedenen föderalen Ebenen bis hin zur EG. Bei der Suche nach Kriterien für eine ökonomisch funktionale Kompetenzverteilung erweisen sich insbesondere das Kongruenzprinzip und die ZMT-Zuordnungsregel als

21 Vgl. zu diesen beiden Komponenten eines Transrersystems zwischen Gebietskörperscharten die Ausführungen weiter unten in Abschnitt C.I der Arbeit. 22

Vgl. H. Grossekettler (1990) mit weiteren Literaturangaben.

23

Vgl. H. Grossekellier (1990, S. 71).

3 Scheube

B. Finanzzuweisungen und Entwicklungshilfe

34

bedeutsam2A • Ersteres ist ein Verbandsorganisationsprinzip, das die Entscheidungs- und Kontrollbefugnisse bei der Bereitstellung von Kollektivgütern regelt. Hinsichtlich der Wirtschaftsförderung lassen sich auf der Grundlage einer Analyse, welche föderale Ebene von einer bestimmten Art von Wirtschaftsförderung begünstigt ist, mithilfe dieses Prinzips Aussagen über die Zuordnung von Bereitstellungverantwortung und Kontrollrechten treffen. Die Ziel-Mittel-Träger-Zuordnungsregel ist eine Handlungsanweisung zur institutionellen Aufteilung von Kompetenzen zur Umsetzung wirtschaftspolitischer Maßnahmen. Wichtigster Leitsatz ist hier, wirtschaftspolitische Maßnahmen exklusiv nur für ein bestimmtes Ziel vorzusehen und auch nur einen Entscheidungsträger mit der Kompetenz zur Zielerreichung auszustatten, um so eine Zersplillerung und Verwischung von Zuständigkeiten und Verantwortungen bei der politischen Implementierung von Maßnahmen zu vermeiden. Diese im raumwirtschaftspolitischen Spezialbereich der Wirtschaftsförderung angewendeten Prinzipien zur Organisation und Verteilung von Kompetenzen lassen sich für die Gestaltung des hier zu entwerfenden weltweiten Transfersystems nutzbar machen, wobei sie dann an den entsprechenden Stellen auch näher zu erläutern sind. Darüber hinaus erweist sich die Zielsetzung der Wirtschaftsförderung als relevant für die Begründung bestimmter distributiver Transfers auch im globalen Rahmen 2S • IV. Fazit: Unterschiede und Analogien Wie sich in den Ausführungen über die Finanzausgleichstheorie und die Entwicklungstheorien bzw. -strategien als Grundlage zur Bestimmung von finanziellen Transfers gezeigt hat, bestimmen sich die Finanzzuweisungen nach Maßgabe der Finanzausgleichstheorie eindeutig auf der Grundlage der Forderung nach Allokationseffizienz und distributionspolitischer Vorgaben sowie der jeweils dafür zuständig sein sollenden föderalen Entscheidungsebene. Dagegen lassen sich Vorstellungen über das erforderliche Ausmaß der Entwicklungshilfe nur ungefähr ermitteln aus unterschiedlichen, miteinander teilweise konkurrierenden Entwicklungsstrategien, die ihrerseits, wenn auch nur lose, auf den Entwicklungstheorien zur Erklärung der Unterentwicklung ruhen. Die abschließende Hervorhebung der Unterschiede und Analogien der beiden Ansätze zeigt somit, daß die Finanzausgleichstheorie in einem grundlegenden Punkt weiter greift: Die Aussagen der Entwicklungsstrategien liefern nur eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für die

2A

Vgl. im folgenden H. Grossekeuler (1990. S. 76 ff.).

2S

Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt C.V.s dieser Arbeit.

IV. Fazit: Unterschiede und Analogien

35

Gewährung der Entwicklungshilfe, weil sie zwar die Frage zu beantworten vermögen, ob überhaupt Mittel zur Ingangsetzung der Entwicklung bewegt werden sollen, die weitere Frage danach, warum von den GeberIändern Entwicklungshilfe gewährt werden sollte, jedoch unbeantwortet lassen. Die Ursache hierfür ist letztlich in dem unterschiedlichen Charakter der jeweils zugrundeliegenden theoretischen Fundamente zu suchen: Bei den Entwicklungstheorien handelt es sich um positive Hypothesen über die Ursachen der Unterentwicklung, die per se keinen unmittelbaren Gestaltungsanspruch implizieren, sondern eher einen instrumentalen Charakter besitzen. Dagegen läßt sich die Finanzausgleichstheorie vertragstheoretisch begründen: Ihr liegt ein System normativer Hypothesen zugrunde, das sich in einer Raw/schen Urvertragssituation bewähren würde, weil von den dort festgelegten Zielen letztlich alle Beteiligten profitieren würden. Dieses normative Hypothesensystem gibt deshalb im Gegensatz zu den Entwicklungstheorien Auskunft über die Zielrichtung von gestaltenden Handlungen. Die Finanzausgleichstheorie beschreibt daher, wie die Entwicklungshilfe gestaltet werden muß, damit sie die Zustimmung eigennutzorientierter Wirtschaftssubjekte findet 26• In diesem Sinne könnte die Finanzausgleichstheorie eine Ergänzung darstellen zu den Entwicklungstheorien als der Beschreibung des Ausgangszustands einerseits und den Entwicklungsstrategien als der Brücke zur Überwindung von Ist und Soll andererseits, indem sie als Soll pfeiler das notwendige zweite, richtunggebende Fundament schafft. Dabei können die Begründungsansätze des nationalen Finanzausgleichs allerdings nicht ohne weiteres für die hier vorzunehmende weltweite Betrachtungsweise übernommen werden, da für die Rechtfertigung der Wahl dieser obersten denkbaren föderalen Ebene natürlich besondere Begründungen erforderlich werden. Zusätzliche Impulse für die Gestaltung und Begründung des hier zu entwerfenden Nord-Süd-Finanzausgleichs lassen sich - wie gesehen daneben aus der Raumwirtschaftstheorie im allgemeinen und dort auch dem Bereich der Wirtschaftsförderung im besonderen gewinnen. In den folgenden Kapiteln C und D soll dies nunmehr zur Anwendung gebracht werden.

26 Die vertragstheoretische Begründung dieser so gestalteten Entwicklungshilfe ist Gegenstand von Abschnitt E.II der Arbeit.



C. Ökonomisch funktionale Gestaltung der Entwicklungshilfe I: distributiv begründbare Transfers I. Ein internationaler Kooperationsvertrag als institutionelle Grundlage eines distributiven Nord-Süd-Finanzausgleichs In den beiden folgenden Kapiteln soll das Begründungsinstrumentarium der Theorie des Finanzausgleichs auf die Entwicklungshilfe übertragen werden, indem versucht wird, konkret darzulegen, inwieweit sie aus allokativen, distributiven oder stabilisierungspolitischen Überlegungen heraus notwendig und gerechtfertigt ist. In jedem der diesbezüglichen Abschnitte wird dabei zunächst auf den jeweiligen Begründungsansatz eingegangen, der die globale Vorgehensweise theoretisch rcchtfertigt.ln dem/den anschließenden Abschnitt/cn sollen dann fallbezogen Indikatoren ermittelt werden, die Anhaltspunkte zur Bestimmung von Herkunft, Verteilung und Umfang der jeweiligen Schlüsselrnasse liefern könnten. Anders als im Fall der allokativ begründeten Entwicklungshilfe, wo sich diese Indikatoren unmittelbar aus den jeweiligen Anknüpfungspunkten der Transfers, nämlich den verschiedenen internationalen Kollektivgütern und ihren Eigentumsverhältnissen, herleiten lassen, sind hier für die distributiven Zuweisungen umfangreichere Plausibilitätsüberlegungen erforderlich. Für die stabilisierungspolitischen Transfers kann auf eine konkretere Ermittlung von Indikatoren dagegen verzichtet werden, da auf absehbare Zeit Anknüpfungspunkte für diesen Transfertyp wie sich zeigen wird nicht ersichtlich sind. Den Abschluß der einzelnen Abschnitte bildet dann jeweils eine Zusammenfassung der Ergebnisse. An den Beginn der nachfolgenden Unterbreitung einer ökonomisch funktionalen Gestaltung der Entwicklungshilfe sind zunächst einige grundlegende Bemerkungen zu dem organisatorisch-institutionellen Gerüst zu stellen, das einem solchen Transfersystem zugrunde zu legen ist. Bedingt durch den staatenübergreifenden Charakter dieses Systems, der für den Distributionsbereich im folgenden Abschnitt C.II ausführlich zu begründen sein wird, ist es erforderlich, als ein solches Gerüst eine Koordinationsmethode zu finden, mittels derer in zielführender Weise eine Verhaltensabstimmung zwischen

C. Distributiv begründbare Transfers

38

den beteiligten Staaten bewerkstelligt werden kann. Wie gleich zu begründen sein wird, kommt hier aus der Menge der denkbaren Koordinationsmethoden die Vereinbarung eines zwischenstaatlichen Kooperationsvertrages in Betrache. Ein Kooperationsvertrag ist dadurch gekennzeichnet, daß einerseits die zeitliche Dauer, mit der sich die Vertragspartner gegenseitig zur Teilnahme an diesem Vertrag verpflichten, lang ist, während andererseits das Ausmaß, in dem sich die Vertragspartner durch diesen Vertrag Weisungsrechten einer zentralen Instanz unterwerfen, nur gering ist. Damit wird dieser Vertragstyp genau denjenigen Anforderungen gerecht, die bedingt durch die Art des Kooperationsgegenstandes an ihn zu stellen sind: Die Bindungsdauer sollte lang sein, weil die Vereinbarungsgegenstände von ihrer Art her langfristig angelegt sind. Dies gilt für den angestrebten distributiven Nord-Süd-Finanzausgleich, der sich auf den Gedanken des Versicherungsprinzips gründee. Danach versichern die beteiligten Länder sich gegenseitig gegen Risiken, die sich aus der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung ergeben können. Das Funktionieren dieser Versicherung erfordert deren Bestehen über einen hinreichend langen Zeitraum hinweg, da die Struktur der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung nur evolutionären Änderungen unterworfen ist und das Wechselspiel von Nettobeitragszahlern und Nettoempfängern nur über einen entsprechend langfristigen Zeitraum zustande kommt. Ein weiteres Argument für den distributiven Nord-Süd-Finanzausgleich, nämlich die Verhinderung distributiv motivierter internationaler Wanderungen, stellt angesichts sinkender Mobilitätskosten, andererseits jedoch des auf absehbare Zeit verbleibenden Wohlstandsgefälles in der Welt eine stärker in den Vordergrund rückende Daueraufgabe dar. Auch für den im nächsten Kapitel zu erörternden allokativen Nord-Süd-Finanzausgleich, der sich auf die BereitsteIiung internationaler Kollektivgüter gründet, ist eine lange zeitliche Bindung erforderlich. Die Bereitstellung dieser Güter erfordert nämlich die Festlegung von Rahmenbedingungen in dem zu schließenden Vertrag, die Einfluß ausüben z.B. auf weitreichende Investitionsentscheidungen von Unternehmen und deshalb mit langfristiger Perspektive vereinbart werden sollten. Die Zentralisierung von Entscheidungsbefugnissen durch den Vertrag sollte dagegen gering sein, weil dies dem Subsidiaritätsprinzip entspricht

I Vgl. zur Menge der denkbaren Koordinationsmelhoden und zu den Charakteristika von Kooperationsvcrträgen H. Grossekeuler (1989b, S. 8 und 22, Chart 3).

2

Vgl. hierzu ausführlich die Ausführungen im folgenden Abschnitt C.II der Arbeit.

I. Ein internationaler Kooperationsvertrag

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und, wie sich im folgenden zeigen wird, das Funktionieren des Nord-SüdFinanzausgleichs ohne die weitgehende Abgabe nationaler Souveränitätsrechte möglich erscheint. Daraus ergibt sich, daß ein weltweiter Kooperationsverlrag anderen Koordinationsmethoden, wie etwa Spotmarktverträgen, die fallweise vertragliche Vereinbarungen selbständiger Vertragspartner implizieren, oder aber Beherrschungsverträgen, die zwar langfristig angelegt sind, jedoch eine weitgehende Subordination der Vertragsbeteiligten unter eine weisunggebende Zentrale vorsehen, vorzuziehen ist. Damit stellt sich die Frage nach dem Gegenstand eines solchen internationalen Kooperationsvertrages. Dieser muß zum einen die formale Organisation eines solchen distributiven Transfersystems, d.h. insbesondere die institutionellen Zuständigkeiten für Planung, Durchführung und Kontrolle der Beitragserhebung und Zuweisungsgewährung regeln. Zum anderen hat er die materielle Festlegung der inhaltlichen Ziele, die mit diesem Transfersystem angestrebt werden, und die situationsbezogene Spezifizierung der Gestaltungskomponenten eines solchen Finanzausgleichs vorzunehmen. Letztere bedeuten neben anderen insbesondere die Ableitung von Finanzbedarfs- und Finanzkraftindikatoren zur Bestimmung von Leistungsempfängern und -erbringern und der Höhe der Umverteilungsmasse insgesamt. Die nachfolgenden Abschnitte dieses Kapitels werden sich ausführlich der zuletzt genannten materiellen FestIegung von Zielen und Gestaltungskomponenten zuwenden. In den weiteren Ausführungen dieses Abschnitts soll dagegen eine kurze Skizzierung der Grundzüge einer denkbaren formalen Organisation eines distributiven Nord-Süd-Finanzausgleichs erfolgen. Die Ausführungen hierzu können sich darauf beschränken, die grundsätzliche institutionelle Realisierbarkeit eines solchen Transfersystems zu zeigen. Denn als bedeutsamer ist zunächst die Erörterung der Notwendigkeit und ökonomisch funktionalen materiellen Ausgestaltung eines solchen Transfersystems zu erachten. Erst auf dieser Grundlage erscheinen darauf aufbauende ausführliche Erörterungen einer institutionellen Implementierung als sinnvoll, die jedoch nicht mehr Gegenstand dieser Arbeit sein werden. Lediglich die bei einer Realisierung dieses Systems zu überwindenden organisatorischen und politischen Hemmnisse sollen dann in Kapitel G dieser Arbeit kurz gestreift werden. Von besonderer Bedeutung für die formale Organisation des angestrebten Nord-Süd-Finanzausgleichs ist die grundsätzliche Entscheidung zwischen den Alternativen "horizontaler Finanzausgleich" und "vertikaler Finanzausgleich mit horizontalem Effekt". Bezogen auf die globale Ebene bedeutet dies die Wahl zwischen einem zwischenstaatlichen oder einem supranationalen

c. Distributiv begründbare Transfers

40

Finanzausgleich3 • Letzter beinhaltet die Institutionalisierung einer übergeordneten Körperschaft mit eigenständiger Finanzhoheit, der von den Nationalstaaten somit Souveränitätsrechte übertragen worden sind. Grundsätzlich können als Entscheidungskriterien zwischen diesen Alternativen die Forderungen herangezogen werden, daß der ins Auge gefaßte Verteilungsmodus zum einen für eine möglichst große Transparenz bei Leistungsempfängern und Leistungserbringern bezüglich Mittelherkunft und verwendung sorgen, gleichzeitig aber auch von allen auf Dauer akzeptiert werden so1l4. Ein horizontaler Finanzausgleich ist dabei unter Transparenzgesichtspunkten in aller Regel einem vertikalen Ausgleich mit horizontalem Effekt vorzuziehen. Denn letzterer verschleiert quasi durch den Umweg über die höhere Gebietskörperschaft das Ausmaß, in dem eine ausgleichsberechtigte Körperschaft von anderen unterstützt wird und gibt den auf diesem Wege erzielten Einnahmen in den Augen dieser Körperschaft damit über lange Sicht einen Besitzstandcharakter. Allerdings kommt er jedoch auf dem Wege einer freiwilligen Vereinbarung zwischen den beteiligten Gebietskörperschaften häufig nicht zustande. Bezogen auf einen distributiven Nord-Süd-Finanzausgleich spricht das für einen horizontalen Verteilungsmodus. Dieser könnte im vorliegenden Fall so konstruiert werden, daß auf der Grundlage des internationalen Kooperationsvertrages ein internationaler Distributionsfonds eingerichtet wird. In dem Kooperationsvertrag verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten, diesem Fonds nach Maßgabe von in diesem Vertrag festgelegten Finanzkraftindikatoren jährlich den ihnen von diesem Fonds designierten Beitrag zu entrichten. Dabei verbleibt die Art und Weise der Aufbringung dieser Mittel in der Kompetenz der Beitragszahler. Der Distributionsfonds wiederum weist aus diesen Mitteln gemäß den ebenfalls in diesem Vertrag spezifizierten Finanzbedarfsindikatoren den in Frage kommenden Empfängerländern auf Antrag und nach Prüfung auf Erfüllung der erforderlichen Voraussetzungen distributive Transfers zu unter Verweis auf mit der Mittelvergabe verknüpfte Auflagen. Diesem Fonds kommt also keine eigenständige Entscheidungskompetenz hinsichtlich seiner Aufgaben oder seiner Finanzierung zu, was als Merkmal eines vertikalen Nord-Süd-Finanzausgleichs anzusehen wäre. Vielmehr wird er als eine Auftragsbehörde tätig, die nach Maßgabe der unter den Unterzeichnerstaaten getroffenen Vereinbarungen ausführenden Charakter hat. Auch Transaktionskostengesichtspunkte sprechen für einen Kooperationsvertrag mit langer Bindungsdauer, weil er nicht periodisch mit

3 Vgl. zu dieser Unterscheidung 4

Vgl. M. Gläser (1981. S. 142

R. Peffekol'(!n (1980, S. 609).

r.).

I. Ein internationaler Kooperationsvertrag

41

hohem Zeit- und Kostenaufwand zwischen vielen Vertragspartnern neu verhandelt werden muß. Die Aufgabe nationaler Souveränitätsrechte beschränkt sich also unmittelbar auf die grundsätzliche Anerkennung der Abgabenpflicht gegenüber dem internationalen Distributionsfonds und damit den Verzicht auf die nationale Verfügungsgewalt über die abzuführenden Ressourcen. Im weiteren impliziert ein solcher internationaler Kooperationsvertrag allerdings auch die Preisgabe der nationalen Souveränität zur autonomen Gestaltung der Außenwirtschaftspolitik. Denn wie sich in den nachfolgenden Abschnitten zeigen wird, erweist sich die Gewährung von Finanzzuweisungen nur dann als sinnvolle Maßnahme, wenn sie subsidiär zu ordnungs politischen Korrekturmaßnahmen sowohl in den Empfänger- als auch ggf. in den Geberländern erfolgt. Gleichwohl sind die genannten Souveränitätsverzichte als freiwillig einzustufen, solange sie im Rahmen des erwähnten Kooperationsvertrages beschlossen werden. Dies gilt um so mehr, als die Kontrolle der Aktivitäten dieses internationalen Distributionsfonds den Mitgliedstaaten obliegen würde. Organisatorisch könnte diese Aufgabe einem ständigen Kontrollrat zugewiesen werden, der das Geschäftsgebaren des Fonds zu überwachen hätte. Dabei sollte die Besetzung dieses Kontrollrats in die Zuständigkeit der nationalen Parlamente fallen. Somit wären die nationalen Volksvertretungen nicht nur mit der einmaligen Beschließung über den Beitritt ihres Landes zu dem internationalen Kooperationsvertrag mit seinen laufenden (oben genannten) zukünftigen Verpflichtungen befaßt, sondern auch an der laufenden Kontrolle der Umsetzung dieser Entscheidung beteiligl. Diese Regelung der Kontrollzuständigkeit entspräche zugleich dem Kongruenzprinzip, das gemäß seinem zweiten und dritten Teilprinzip (Demokratieprinzip und Prinzip der Direktkontrolle) die möglichst unmittelbare Kontrollzuständigkeit für diejenigen fordert, die von Entscheidungen über die Bereitstellung von Gütern betroffen sind5• Schließlich besteht die Notwendigkeit der Einrichtung einer Schiedsstelle zur Klärung von Streitfällen, die sich an der Stattgebung oder Ablehnung konkreter Zuweisungsanträge zwischen dem Distributionsfonds und einzelnen Mitgliedstaaten entzünden können. Mit der Verpflichtung zur verbindlichen Anerkennung der Entscheidungen dieses Gremiums wäre also ein weiteres, nationalstaatliche Souveränitätsrechte beschneidendes Element in dem internationalen Kooperationsvertrag zu verankern. Abschließend stellt sich die Frage, ob dieser Distributionsfonds in Form einer neuen internationalen Organisation institutionalisiert werden soll oder

5 Vgl. zum Kongruenzprinzip die Ausführungen in Abschnitt 8.111 der Arbeit.

42

C. Distributiv begründbare Transrers

aber seine Aufgaben bereits bestehenden Organisationen übertragen werden können. Unter Transaktionskostengesichtspunkten erweist sich hier die Zuweisung dieser Aufgaben an eine bestehende Institution in der Regel als vorteilhaft. Dabei ist allerdings zu beachten, daß der bereits erwähnten ZielMittel-Träger-(ZMT)-Regel Rechnung getragen wird6 • Diese Regel formuliert Kriterien für die institutionelle Verteilung wirtschaftspolitischer Kompetenzen und fordert unter anderem, für jedes verfolgte wirtschaftspolitische Ziel nur ein Mittel vorzusehen und die Verantwortlichkeit zur Zielerreichung ausschließlich einem Träger zuzuweisen. Im vorliegenden Fall kommen für eine Übernahme der neuen Aufgaben ausweislich ihrer Verfassung IWF und Weltbank in Betracht. Insbesondere der IWF ist jedoch bereits dem Ziel der internationalen Währungsstabilität und der Zahlungsbilanzstabilisierung verpflichtet. Es könnte sich so gesehen als schädlich sowohl für diese Ziele als auch diejenigen des distributiven Transfersystems erweisen, wenn dem IWF nun zusätzlich diese - wie sich zeigen wird eher langfristig (im Vergleich zu kurzfristig einzusetzenden liquiditätspolitischen Korrekturmaßnahmen) orientierten Aufgaben zugewiesen würden. Diese Bedenken wären erst dann hinfällig, wenn dem IWF zur Verfolgung seiner verschiedenen Aufgaben auch entsprechend unterschiedliche und getrennt voneinander einsetzbare Mittel zur Verfügung stünden. Andernfalls könnte grundsätzlich aber auch das Aufgabenfeld der Weltbank in Richtung auf eine Wahrnehmung der langfristigen Aufgabe der Umsetzung des distributiven Transfersystems umdefiniert und ihre Projektorientierung methodisch auf das im weiteren Verlauf dieses Kapitels vorzustellende Konzept hin abgestimmt werden. Das Kriterium der Transaktionskosten spricht grundsätzlich für eine Integration neuer Aufgaben in bestehende Organisationen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn sich auf diese Weise Verbundvorteile ergeben, weil z.B. durch die Wahrnehmung beider Aufgaben unter einem organisatorischen Dach gegenseitig verwertbare Informationen anfallen (Informationsvorteilef Auch legen Untersuchungen über das Verhalten in internationalen Organisationen unter Transaktionskostengesichtspunkten den Schluß nahe, auf neue internationale Institutionen nach Möglichkeit zu verzichten und die Abwicklung eines solchen Finanzausgleichs in bestehende Körperschaften zu integrieren8 • Im einzelnen .muß die Entscheidung dieser Frage aber natürlich eingehenden Einzeluntersuchungen vorbehalten bleiben.

6

Zur ZMT-Regel vgl. die Ausführungen in Abschnitt B.III der Arbeit.

Vgl. zu einem Überblick über in Frage kommende Verbundvorteile H. GrossekeltIer (l989c, S. 20 f., Chart 2). 7

8 Zur Untersuchung des Verhaltens in internationalen Organisationen vgl. B. S. Frey (1985, S. 136 ff.).

11. ßegründungsansätze

43

Damit sollen diese kursorischen Ausführungen zur formalen Organisation eines distributiven Nord-Süd-Finanzausgleichs abgeschlossen werde.n. Hinzuweisen ist darauf, daß das hier skizzierte organisatorische Gefüge analog auch auf die formale Gestaltung des in Abschnitt D.I zu erörternden allokativen Nord-Süd-Finanzausgleichs Anwendung linden kann. Dort wird es dann um die Einrichtung eines internationalen Allokationsfonds zur Bereitstellung internationaler Kollektivgüter gehen. Zunächst jedoch zur Erörterung der materiellen Ziele und Gestaltungskomponenten eines distributiven Nord-Süd-Finanzausgleichs. 11. Begründungsansätze für die Gewährung distributiver Transfers 1. Das VersiclJellmgsplillzip als Begll'illdllilgsallsatz

Grundsätzlich ergibt sich die Notwendigkeit distributiver Transfers nach Maßgabe der gewählten umverteilungspolitischen Leitvorstellungen und in Abhängigkeit der föderalen Ebene, auf der diese Umverteilung stattlinden soll. Umverteilungspolitische Leitvorstellungen unterscheiden sich durch ihre relative Gewichtung von Solidarität und Subsidiarität voneinander9 • In Abhängigkeit der betrachteten föderalen Ebene entstehen unterschiedliche Umverteilungserfordernisse. Im folgenden wird zu untersuchen sein, welche umverteilungspolitische Leitvorstellung den Hintergrund für eine globale Redistribution abgeben könnte und welche Anknüpfungspunkte für distributive Transfers sich daraus ergeben würden (Abschnitt 1). Daneben ist zu prüfen, welche Umverteilungserfordernisse sich für die höchste denkbare Bereitstellungsebene, nämlich der Welt als ganzem stellen und in welchem Maße hierdurch distributive Transfers erforderlich werden (Abschnitt 2). Daran anschließend werden dann die verschiedenen Gestaltungskomponenten eines distributiven Nord-Süd-Finanzausgleichs zu erläutern sein. Im folgenden erfolgt die Begründung globaler umverteilungspolitischer Maßnahmen auf der Grundlage des Versicherungsprinzips, also einer relativ starken Betonung des Gedankens des SubsidiaritätsprinzipslO. Dabei wird zwischen dem Versicherungsprinzip im engeren Sinne und dem im weiteren Sinne unterschieden. Ersteres stellt eine Versicherung gegen Risiken dar, die mit der Teilnahme an der arbeitsteiligen Wirtschaft (hier auf weltweiter Ebene) verbunden sind und soll das Empfängerland dazu bewegen und befähigen, trotz einer eingetretenen Strukturkrise weiterhin die weltwirtschaftliehe Integration seiner Volkswirtschaft zu suchen. Das Versicherungsprinzip im

9

Vg1. zu diesem ßegriffspaar B.

SC/Illfill

(1989).

10 Andeutungsweise findet sich diese Begründung für einen Finanzausgleichsbedarf im nationalen Rahmen bei H. Grossekell/er (1987b. S. 404).

C. Distributiv begründbarc Transfers

44

weiteren Sinne greift als darüber hinausgehende Maßnahme in solchen Fällen, in denen die so begründeten Zuweisungen zur erneuten Heranführung an die welLwirtschafLliche Arbeitsteilung allein nicht ausreichen oder in denen sie bisher noch nicht erreicht worden ist, weil grundlegende Hemmnisse die dafür erforderliche binnenwirtschaftliche Entwicklung bislang verhindert haben. Eine in der Intention analoge Unterscheidung findet sich in der Diskussion um eine ökonomisch legitime Gestaltung der Wirtschaftsförderungspolitik in föderalen Staaten bzw. StaatengemeinschaftenlI. Dort wird unterschieden zwischen einer Selbstversicherung der Standorte durch eine Diversifizierungsstrategie, die durch Äquivalenzzuschüsse übergeordneter Körperschaften unterstützt wird, soweit diese davon ebenfalls profitieren werden und einer externen Versicherung. Danach werden Zuweisungen dann gewährt, wenn ein Standort als Ganzes wirtschaftlich so geschwächt ist, daß die finanziellen Erfordernisse zur Umstrukturierung des Wirtschaftsraumes die noch vorhandenen finanziellen Möglichkeiten übersteigen. Zunächst zur Begründung distributiver Transfers nach dem Versichenmgsprillzip im elIgereIl Sillile. Danach können distributive Transfers auf dem gedanklichen Wege einer Rückversicherung gegen die Risiken der Teilnahme an der arbeitsteiligen Wirtschaftsordnung gerechtfertigt werden, wie sie sich beispielsweise für im Konkurrenzkampf befindliche Unternehmer oder in stagnierenden Wirtschaftssektoren tätigen Arbeitnehmern ergeben könnenIl. Im Versicherungsfall wären dann zeitlich befristete Anpassungsund Wiedereingliederungshilfen oder - für den Fall dauerhafter Erwerbsunfähigkeit Renten zu zahlen. Damit erfolgt die Umverteilung hier nicht aus primär sozialen, d.h. das Solidaritätsprinzip betonenden Erwägungen heraus, sondern ist das Pendant zu einer von jedem einzelnen erbrachten Leistung, nämlich der Inkaufnahme von Risiken durch die Eingliederung in den arbeitsteiligen Wirtschaftsprozeß. Diese Leistung des einzelnen schlägt sich in Vorteilen für alle durch die Realisierung von sozialproduktsteigernden Spezialisierungsgewinnen nieder.

Dieser Grundgedanke läßt sich ohne weiteres auf die Weltwirtschaft übertragen, in der sich die einzelnen Länder zum Vorteil aller zweckmäßigerweise auf solche Investitionen spezialisieren, für die sie komparative Vorteile gegenüber anderen Ländern aufweisen. Diese Spezialisierungsinvestitionen sind auch hier mit Risiken verbunden, die insbesondere aus Produkt- oder Verfahrensfortschritten durch technischen Fortschritt oder Geschmackänderungen resultieren können. Je nach Dominanz solcher Branchen können hierdurch erhebliche Anpassungskosten für eine Volkswirtschaft verursacht

tl

vgl. H. Grossekellier (1990, S. 87 f.).

12

Näher zu den Risiken der Arbeitsteilung W. Ellcken (1975, S. 317 f.).

11. Begründungsansätze

45

werden. Dabei wird die Höhe dieser Kosten auch von der sektoralen Wirtschaftsstruktur der betroffenen Volkswirtschaft abhängen. Je diversifizierter eine Volkswirtschaft strukturiert ist und je mehr "Standbeine" sie im WeIL handel mithin aufweist, desto stärker dürfte die eigene Absorptionsfähigkeit für externe Schocks entwickelt und desto geringer mithin die Notwendigkeit externer Unterstützung zu veranschlagen sein. Die Zugrundelegung des Versicherungsprinzips zur Begründung umverteilungspolitischer Maßnahmen lenkt die Aufmerksamkeit auf zwei Implikationen, die für die Realisierung eines solchen Transfersystems von Bedeutung sind: Die Anwendung des Versicherungsprinzips erfordert zugleich auch die Beachtung der typischerweise auf Versicherungsmärkten auftretenden Unsicherheiten über das Verhalten bzw. die Eigenschaften von Versicherungspartnern. Angesprochen sind damit insbesondere die Probleme des moralischen Risikos und der Häufung schlechter Risiken l3 • Moralische Risiken (moral hazards) liegen vor, wenn zu befürchten ist, daß Vertragspartner vorsätzlich einen Versicherungsfall herbeiführen. Als Gegenmittel kommt die Einführung von Bonus-Malus-Systemen bzw. einer Selbstbeteiligung in Betracht. Eine Häufung schlechter Risiken (adverse selection) tritt ein, wenn aufgrund mangelnder Informationen gute Risiken nicht von schlechten unterschieden werden, .beiden deshalb eine gleich hohe Prämie abverlangt wird und die guten Risiken daher von einer Versicherung absehen, so daß nur schlechte Risiken verbleiben. Als Gegenmittel sind hier Prämiendifferenzierungen und die Ausschöpfung von Produktivitätssteigerungen bei der Informationsbeschaffunggeeignet. Dies hat für die Umsetzung des distributiven Transfersystems die Konsequenz, daß als Voraussetzung die Realisierung einer internationalen Wettbewerbsordnung erforderlich ist, nach deren Spielregeln sich sowohl Empfünger- als auch Geberländcr richten. Denn andernfalls wäre es unmöglich, den Eintritt cincs Schaden falls im hier genannten Sinne abzugrenzcn von Strukturkrisen potentieller Empfängerländer, die durch Eigenverschulden heraufiJcschworen worden sind. Konkret bedeutet dies, daß jcdwede Transfergewährung nur subsidiär zu ordnungspolitischen Korrekturmaßnahmen hinsichtlich dcs Wclthandclssystems in Betracht kommen kann. Hiervon wären zum cinen die sehr rigiden Maßnahmcn zur Handclsbeschränkung betroffen, die von den Entwicklungsländern im Zuge einer Politik der Importsuhstitution, aber auch oftmals nur zur fiskalischen Einnahmeerzielung aufrecht erhalten werden. Zum anderen

13

Vgl. dazu H. Gl"Ossekellle,. (l985a, S. 228).

46

C. Distributiv begründbare Transfers

betrifft dies auch die vielfachen Handelsdiskriminierungen der Industrieländer insbesondere gegenüber Entwicklungsländerimporten (z.B. hohe Effektivzölle oder Handelsbeschränkungen vielfältiger Art durch die Europäische Agrarpolitik oder das Welltextilabkommen). Denn gerieten diese in Wegfall, könnte dies gleichfalls manche Finanzzuweisungen obsolet werden lassen, die ansonsten möglicherweise gewährt worden wären. Da jedoch eine Deregulierung der Weltwirtschaft nicht ohne weiteres erwartet werden kann, die Berechtigung solcher Transfers aber gleichwohl festzustellen sein wird, ergibt sich bis dahin die Forderung, die Transfergewährung an die Verwirklichung entsprechender Maßnahmen der Empfängerländer zu knüpfen und gleichzeitig auch bei den Geberländern unter Verweis auf die damit verbundene abnehmende Ausgleichspflicht hierauf hinzuwirken. Zum anderen macht der Grundgedanke des Versicherungsprinzips deutlich, daß verteilungspolitische Maßnahmen nicht mehr oder weniger automatisch zugunsten einer bestimmten Gruppe erfolgen, sondern der Kreis der potentiellen Empfänger (= Versicherten) grundsätzlich offen ist. Bezogen auf den distributiven Nord-Süd-Finanzausgleich heißt das, daß im Prinzip auch die Industrieländer als Zahlungsempfänger in Betracht kommen können, beispielsweise wenn sie aufgrund des Wegfalls der Agrarsubventionen strukturelle Anpassungsprozesse zu bewältigen hätten. Dies zeigt, daß die Existenz einer solchen Versicherung weltweit einen "Allgemein"wohlcharakter besäße. Neben dieser Begründung distributiver Transfers nach dem Versicherungsprinzip im engeren Sinne kann auch die nachhaltige (Wieder-) Heranführung eines Landes an die Teilnahme an der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung nach dem Versichelllllgsplilizip im weitereIl Silille interpretiert werden. Begründet werden können solche Transfers durch Tatbestände, welche die Teilnahme dieser Empfängerländer an der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung in der Vergangenheit verhindert haben, ohne daß dies von ihnen selbst zu vertreten ist. Im Hinblick auf die vorzufindende globale Verteilung der Ressourcen kommen als Empfängerländer auf absehbare Zeit faktisch nur die Entwicklungsländer oder die östlichen Industrienationen in Betracht, obwohl auch hier das Transfersystem grundsätzlich offen ist für den umgekehrten Fall. Eine mangelnde Eingliederung in die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung, ohne daß dies eigenverantwortlich zu vertreten wäre, liegt insbesondere dann vor, wenn die Entwicklung des Landes durch widrige natürliche Umweltbedingungen geprägt ist oder durch sozio-kulturelle Einstellungen eines Großteils der Bevölkerung, die eine Ausschöpfung des vorhandenen

11. Begründungsansätze

47

Wirtschaftspotentials bislang weitgehend verhindert haben l4 • Daneben könnte eine solche mangelnde Eingliederung in die weILwirtschaftliche Arbeitsteilung auch dann vorliegen, wenn die politischen Verhältnisse in diesen Ländern die Vornahme solcher ordnungspolitischen Korrekturmaßnahmen bislang verhindert haben, durch einen politischen Wandel jedoch Ansatzpunkte für Veränderungen ökonomischer Grundsatzentscheidungen erkennbar werden. Besonders aktuell ist diese Entwicklung zur Zeit (Mitte 1991) im Fall der osteuropäischen Industrieländer, wo weitreichende politische und teilweise (so in Polen, Ungarn und der CSFR) auch ökonomische Liberalisierungsbestrebungen im Gange sind. Es ist nicht auszuschließen, daß dies gleichermaßen vermehrt auch in Entwicklungs- bzw. Schwellenländern eintritt, so wie dies auch in der Vergangenheit zu beobachten war lS • Unabhängig von der jeweiligen Begründung von distributiven Transfers nach dem Versicherungsprinzip im weiteren Sinne ist jedoch gerade in diesem Fall die Gewährung an die Vornahme entsprechender Korrekturmaßnahmen zu koppeln. Dagegen scheiden andere Argumente zur pauschalen Begründung distributiver Transfers nach dem Versicherungsprinzip im weiteren Sinne aus. Dies betrifft zum einen das Wiedergutmachungsargument, das die Abgeltung von während der Kolonialzeit diesen Ländern durch die heutigen westlichen Industrieländer zugefügten Schäden zur Forderung erhebt. Tatsächlich jedoch weist die gesamtwirtschaftliche Bilanz der Kolonialzeit insgesamt keineswegs einen eindeutig positiven Saldo zugunsten der einstigen Kolonialmächte aus l6• Zum anderen gilt dies auch für das Abhängigkeitsargument. Dies ergibt sich als Quintessenz verschiedener Erklärungsansätze, welche die Unterentwicklung der Länder der Dritten Welt auf die Strukturen des marktwirtschaftlichen WeILhandeIssystem zurückführen, das die Industrieländer zu Lasten der Entwicklungsländer begünstige. Auch diese Erklärungsansätze erweisen sich in der von ihnen beanspruchten Allgemeingültigkeit als nicht haltbar 17• Die praktische Relevanz der beiden genannten Argumente 14 Vgl.

hierzu ausführlicher die Ausführungen weiter unten in Abschnitt V.4 dieses Kapitels.

So z.B. im Falle Ghanas nach einem Putsch im Jahre 1983, der zur Durchführung eines umfangreichen Sanierungsprogramms von Weltbank und IWF führte [vgl. hier.:u SII. K. Clland/ R. v. Til (1988, S. 32 ff.) und kritisch dazu T. Cllallolld (1988, S. 56 ff.)] oder der Türkei, wo ebenfalls ein Wechsel des Regimes im Jahre 1980 eine wichtige Rolle spielte [vgl. dazu R. Shams (1989, S. 29 ff.)]. Ein aktuelles und offenbar besonders erfolgreiches Beispiel ist Chile. IS

16

Vgl. hierzu die Ausführungen in E. Diin'! U. PfislI!l' (1987, S. 247 ff.).

Ein Überblick nebst kritischer Analyse verschiedener Ansätze zur Erklärung der Unterentwicklung als Resultat der Teilnahme an den internationalen Wirtschaftsbeziehungen findet sich bei H.-R. He/mI/er (1988, S. 205 ff.). Zu einer eingehenden Kritik der Depcndenztheorie, die in diesem Zusammenhang eine prominente Rolle gespielt hat, vgl. auch H. Sautter (1986). Dieser Ansatz hat übrigens - im Gegensatz zu seiner ausführlichen Diskussion 17

48

C. Distributiv begründbarc Transfers

läßt sich vielmehr nur anhand von Einzelfällen be- oder widerlegen. Damit jedoch stellen sie sich als untauglich zur Begründung von Transfers im Rahmen eines multilateralen Nord-Süd-Finanzausgleichs heraus und sind stattdessen, sofern diese Argumente sich im Einzelfall begründen lassen, zum Gegenstand bilateraler Schadenersatzverhandlungen zu erklären. Auf der Grundlage dieser Begründungen distributiver Transfers ergeben sich damit verschiedene Anknüpfungspunkte für deren Gewährung, an denen sich die Messung des Finanzbedarfs dann zu orientieren hat. Im ersten Fall, der Abfederung externer Schocks, die zu einer Entwertung von Spezialisierungsinvestitionen führen, ergeben sich als Anknüpfungspunkt die erforderlichen Sonderabschreibungen auf durch strukturelle Weltmarktveränderungen entwertete Investitionen, die nicht intern zu verantworten sind. Alternativ käme als Anknüpfungspunkt auch die Umstellung der Produktion von der obsolet gewordenen hin zur für die Volkswirtschaft nächstbesten Spezialisierungsrichtung in Betracht. Im zweiten Fall einer nachhaltigen Heranführung einer Volkswirtschaft an die wcltwirtschaftlichc Arbeitsteilung ergeben sich in zweifacher Hinsicht Anknüpfungspunkte für distributive Transfers: Zum einen bedarf es einer Bereitstellung von Startkapital für die Finanzierung von Basisprojekten mit weitestgehender Partizipation der einheimischen Bevölkerung. Diese Projekte sollten so angelegt sein, daß jedem einzelnen Beteiligten die Früchte seiner investierten Anstrengung möglichst unmittelbar und zunächst auch ohne großen Zeitverzug zufallen, um auf diese Weise allmählich zur Entfaltung latent vorhandener Leistungspotentiale beizutragen. Zum anderen bedarf es einer makroökonomischen Flankierung dieser mikroökonomischen Entwicklungsstrategie durch eine rechtliche und faktische Absicherung der individuellen Handlungsspielräume. Die daraus zwangsläufig resultierenden Anpassungslasten jedoch können die zum Zeitpunkt der Anpassung vorhandenen Fähigkeiten der betreffenden Volkswirtschaft bei weitem übersteigen und damit die gewünschte Heranführung an die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung insgesamt in Frage stellen. Deshalb ist die Verminderung solcher Anpassungslasten ebenfalls von einem entsprechenden Finanzbedarfsindikator zu erfassen. Insgesamt ruht die Begründung der hier vorgestellten distributiven Transfers auf dem Versicherungsprinzip in Abgrenzung zum Fürsorge- und zum Versorgungsprinzip, welche zusammen das Spektrum der Gestaltungs-

in der Literatur im politiSChen Dialog zwischen Entwicklungs- und Industrieländern praktisch keine Rolle gespielt. Vgl. D. H';scll (1986, S. 203). Der Verfasser ist Generaldirektor für Entwicklung der EG-Kommission.

11. ßegründungsansätze

49

prmzlplen der sozialen Sicherung definieren l8 • Das Versicherungsprinzip bedingt im Vergleich zu den letztgenannten die Erbringung spezifischer Vorleistungen. Dagegen werden Transfers nach dem Versorgungsprinzip planmäßig, d.h. auf der Grundlage festgelegter Kriterien und ohne Gegenleistungen erbracht. Die Fürsorge schließlich umfaßt Leistungen, die gleichfalls ohne Gegenleistungen, allerdings nur nach den Gegebenheiten des Einzelfalls im Ermessensentscheid gewährt werden. Zugleich spiegelt diese Klassifizierung auch die unterschiedliche Gewichtung des Solidaritäts- und des Subsidiaritätsprinzips wider. Die Verknüpfung der Transfergewährung an vorab erbrachte Spezialisierungsinvestitionen erfüllt die genannte Anforderung an das Versicherungsprinzip eindeutig. Auch die Gewährung von Transfers unter der Bedingung einer gleichzeitigen Beseitigung von Handelsbeschränkungen, um in Zukunft zu einer eindeutigen Abgrenzung der Ursachen von Strukturkrisen zu gelangen, verstößt gegen dieses Prinzip noch nicht, da bei der Gewährung dieser Transfers zumindest nicht ausgeschlossen ist, daß dieseStrukturkrisen nicht durch eigene unterlassene Anpassungsmaßnahmen herbeigeführt wurden, sondern tatsächlich aus externen Schocks herrühren. Nicht mehr so eindeutig scheint diese Einordnung als Versicherungstransfers jedoch für die nach dem Versicherungsprinzip im weiteren Sinne begründeten Zuweisungen zu sein, da vorab entrichtete Beiträge in diesem Fall nicht nachweisbar sind. Gleichwohl kann unter Verweis auf die mit der Transfergewährung zu verknüpfenden Auflagen zur Durchführung ordnungspolitischer Korrekturmaßnahmen festgestellt werden, daß diese Zuweisungen insgesamt dem Versicherungsprinzip eher entsprechen als dem Versorgungsprinzip. Somit handelt es sich also durchweg noch um Versicherungstransfers. Sie werden allerdings nach Lage der Dinge von der Gesamtheit der Beitragsentrichter im vorliegenden Fall der weltwirtschaftlichen Betrachtungsweise auf absehbare Zeit nur sehr ungleich in Anspruch genommen. Diese Klassifizierung setzt daher das Denken in sehr langen Zeiträumen voraus, weil erst dann die grundsätzliche Möglichkeit einer Inanspruchnahme auch durch heutige Industrieländer in einem nennenswerten Ausmaß denkbar wird.

2. Die Venlleidung distributiv motivierter intemotionoler Wondenmgen als Begrilndzmgsollsotz Als weiterer Erklärungsansatz distributiver Transfers kommen die umverteilungspolitischen Erfordernisse in Abhängigkeit von der betrachteten föderalen Ebene in Frage. Wie bereits in Abschnitt B.I ausgeführt, weist die Föderalismustheorie Umverteilungsaufgaben typischerweise dem Zentralstaat

18

Vgl. hienu F. Klallbcrg/ A. Pr;/lz (1983. S. 283 CC.).

4 Scheube

so

C. Distributiv begründbare Transfers

zu, da es aufgrund der relativ hohen Mobilitätsbereitschaft und der relativ geringen Mobilitätskosten innerhalb einer Nation zu unerwünschten, distributiv begründeten Wanderungen kommen würde, die sich an der von Region zu Region unterschiedlichen Umverteilungsmasse und der dafür erforderlichen Abgabenlast orientieren würden. Es stellt sich die Frage, ob dies als Begründung für Umverteilungsmaßnahmen auch auf der internationalen Ebene von Bedeutung sein kann, die dann als eine globale Versicherung gegen Ab- und Zuwanderungs probleme aufgefaßt werden könnte. Distributiv begründete und damit unerwünschte Wanderungen internationalen Zuschnitts im speziellen aus Entwicklungsländern in Industrieländer liegen dann vor, wenn sie allein auf das in den Zielländern höhere Sozialleistungsniveau zurückzuführen sind. In diesem Fall ist es sinnvoll, die damit verbundenen unproduktiven Migrationskosten dadurch zu vermeiden, daß den potentiellen Migranten qua Finanzzuweisung in den Herkunftsländern eine produktive Beschäftigung ermöglicht wird. Den Kosten der Migration stehen in diesem Fall nämlich keine weltwirtschaftlichen Gewinne durch eine erhöhte Produktivität des gewanderten Faktors an seinem neuen Wirkungsort gegenüber. Die Kosten der Migration umfassen dabei zum einen die Aufwendungen für den Wanderungsakt selbst, weiter die im Zielland verursachten Grenzballungskosten und schließlich auch die im Herkunftsland verursachten Grenzproduktivitätsverluste des ausgewanderten Faktors. Es ist davon auszugehen, daß dies kennzeichnend ist für die Wanderungsbewegungen von den Entwicklungs- in die Industrieländer, wo niedrigqualifizierte Immigranten ihre Arbeitsleistung dann auf einem Arbeitsmarkt anbieten, der charakterisiert ist durch ein Überangebot an minder-, andererseits ein Unterangebot an hochqualifizierten Arbeitsleistungen. Untersuchungen über Wanderungsmotive innerhalb der Entwicklungsländer (wo die Entwicklung gekennzeichnet ist durch eine allgemeine Landflucht und eine Überfüllung der Metropolen) zeigen, daß für eine Wanderungsentscheidung oftmals allein die vage Erwartung, mittelfristig einen Arbeitsplatz in der Metropole finden zu können, ausreichend ise9 • Die Aussicht, am Migrationsziel in den Genuß eines Transfermechanismus zu gelangen, wird diese hohe Wanderungsbereitschaft noch zusätzlich erhöhen. Es kann davon ausgegangen werden, daß dieselben Personen als potentielle internationale Migranten dieselben Entscheidungskriterien für ihre Entscheidung pro oder contra Auswanderung aus ihrem Heimatland anlegen werden. Angesichts der zunehmend geringer werdenden Transport- und Informationskosten erhöht sich die Mobilität und werden dadurch potentielle vermehrt zu tatsächlichen internationalen Migranten.

19

Vgl. H .•R. Hemmer (1988, S. 633 f.).

11. Bcgründungsansätze

51

Dieses Argument spricht in Anlehnung an die Einlassungen der Föderalismustheorie dafür, einen weltweiten Distributionsmechanismus einzurichten. Dafür, diesen Distributionsmechanismus überhaupt einzurichten, sprechen neben den eingesparten unproduktiven Migrationskosten auch die ebenfalls bzw. andernfalls eingesparten unproduktiven Aufwendungen, die zur Verhinderung solcher Wanderungen von den Immigrationsländern getragen werden müssen (Einwanderungsverbote und deren Durchsetzung). Diese können zum Teil erhebliche Ausmaße annehmen. Besonders extrem zeigt sich dies im Falle der Absicherung der US-mexikanischen Grenze gegen illegale Einwanderer in die USA. Aber auch in den westeuropäischen Staaten wird die Kontrolle illegaler Grenzübertritte, die oftmals professionell organisiert werden, offensichtlich immer schwieriger und kostenaufwendige~.

Die so gesehen in statischer Betrachtung als überwiegend unerwünscht zu bezeichnenden Migrationen könnten sich jedoch bei dynamischer Betrachtungsweise möglicherweise als produktivitätssteigernd erweisen21 • Dies wäre dann der Fall, wenn Immigranten im Zielland über die Zeit eine höhere Grenzproduktivität erreichen würden als das im Herkunftsland eingetreten wäre. Geschlossen werden könnte dies aus der Tatsache, daß Einwanderer sich im Zielland oftmals als überdurchschnittlich erfolgreich im Vergleich zum Gros der angestammten Bevölkerung erwiesen haben. Bedingt ist dies insbesondere durch die selektive Wirkung von Wanderungen, die offenbar nur überdurchschnittlich flexible Individuen auf sich nehmen. Es ist aber gleichwohl anzunehmen, daß in der Gesamtheit auch bei dynamischer Sichtweise die Grenzproduktivitätsbetrachtung gegen diese Wanderungen spricht. Dies resultiert aus der Vermutung, daß die Grenzproduktivität der Immigranten aus den Entwicklungsländern in ihren industrialisierten Zielländern letztlich doch geringer ausfallen wird als in ihrem Herkunftsland bei Bedingungen, unter denen sie ihr überdurchschnittliches Potential voll entfalten können und bei Verfügbarkeit desjenigen Kapitals, mittels dessen sie in den Industrieländern ihren Beitrag zum Gesamtprodukt erwirtschaften würden. Dies ist um so mehr zu vermuten, als mit nennenswerten simultanen Importen von Spar- bzw. Humankapital beim Gros der Einwanderungsfälle aus Entwicklungsländern nicht zu rechnen ist. Im Gegenteil ist zu erwarten, daß eine Eingliederung in den Erwerbsprozeß der Immigrationsländer aufgrund der völlig verschiedenen Anforderungsprofile der Arbeitsplätze mit zusätzlichen spürbaren Investitionen in das Humankapital der Einwanderer verbunden sein wird.

2iO

Vgl. hierzu die Ausführungcn in o. V. (1989a).

Vgl. zu den dynamischcn Aspektcn intcrnationalcr Wandcrungcn im allgcmcincn A. Kmse (1961, S. 511 ff.) . 21

...

52

C. Distributiv begründbare Transfers

Diese Ausführungen legen den Schluß nahe, Wanderungsbewegungen aus den Entwicklungs- in die Industrieländer, wie sie in den letzten Jahren verstärkt zu beobachten sind und aller Wahrscheinlichkeit nach zukünftig noch zunehmen werden, sowohl in statischer als auch in dynamischer Hinsicht als überwiegend distributiv begründet und mithin unerwünscht einzuordnen. Unter dem Gesichtspunkt einer globalen Wohlfahrtsteigerung würde es sich vielmehr empfehlen, in den Emigrationsländern Bedingungen herbeizuführen, die eine freie Entfaltung der Leistungspotentiale potentieller Emigranten gewährleisten würden. Vor allem liegt dies allerdings auch im Interesse der Entwicklungsländer selbst, denn entsprechend der Selektionswirkung von Wanderungen werden es häufig die überdurchschnittlich begabten, flexiblen und durchsetzungsfähigen Individuen sein, die zuerst die Entscheidung zur Auswanderung treffen 22 • Damit würden gerade diejenigen für den Entwicklungsprozeß im eigenen Lande fehlen, die überdurchschnittlich hierzu beitragen könnten. Subsidiär hierzu kommt die Zurverfügungstellung von Kapital in Betracht, soweit es sich sodann als Engpaßfaktor bei der Entfaltung dieser Potentiale erweisen sollte. Die insgesamt realisierbaren Produktivitätsvorteile erscheinen somit größer für den Fall, daß das Kapital zu den Arbeitskräften wandert als in der umgekehrten Situation. Als Fazit der Ausführungen zu den umverteilungspolitischen Erfordernissen in Abhängigkeit von der betrachteten Bereitstellungsebene ergibt sich somit die Erkenntnis, daß zur Vermeidung unerwünschter distributiver Wanderungen eine Liberalisierung insbesondere der Wirtschaftsverfassung und subsidiär dazu ein den Faktorausstattungen in diesen Ländern angepaßter Kapitaltransfer erforderlich ist. Es zeigen sich somit weitreichende Überschneidungen zu den Transfers nach dem Versicherungsprinzip, wie sie im vorherigen Abschnitt begründet worden waren. Zu nennen sind hier insbesondere die Transfers zur nachhaltigen Heranführung einer Volkswirtschaft an die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung. Als Anknüpfungspunkte waren dort die Abfederung von Anpassungslasten, die durch die Umsetzung ordnungspolitischer Korrekturmaßnahmen unvermeidbar auftreten werden, und die Durchführung von Basisprojekten zur umfassenden Heranführung insbesondere der Landbevölkerung an das arbeitsteilige Wirtschaften genannt worden. Diese beiden Anknüpfungspunkte für distributive Transfers wirken tendenziell gleichfalls in Richtung auf eine Verringerung distributiver Wanderungen. Als ergänzender Anknüpfungspunkt tritt hier damit nur noch die subsidiäre Zuweisungsgewährung zur Verbesserung der Arbeitsplatzsituation in den Entwicklungsländern hinzu.

22

Vgl. A. Krllse (1%1, S. 511).

S3

111. Gestaltungskomponenten

Damit können die Ausführungen zu den Ansatzpunkten distributiver Transfers abgeschlossen werden. Die Begründung eines globalen distributiven Transfersystems ergibt sich nach Maßgabe umverteilungspolitischer Leitvorstellungen, die auf weltweiter Ebene vermutlich allseits zustimmungsfähig sein werden und als Konsequenz aus der gewählten Bereitstellungsebene. Auf dieser Grundlage können vier verschiedene Anknüpfungspunkte distributiver Transfers abgeleitet werden. Im folgenden ist daher jetzt auf die Gestaltungskomponenten eines solchermaßen begründeten distributiven Transfersystems einzugehen. 111. Gestaltungskomponenten eines distributiven Nord-Süd-Finanzausgleichs 1. Vorbemerkullg: Überblick über die Gestaltllllgskompollelltell

Ein distributiver Finanzausgleich ergibt sich aus der Zusammensetzung unterschiedlicher Gestaltungskomponenten 23, die in diesem Abschnitt zunächst kurz beschrieben und dann im einzelnen bezüglich ihrer Bedeutung und Ausprägung vor dem Hintergrund des weltweiten Bezugs eines NordSüd-Finanzausgleichs erörtert werden sollen: Die Entscheidung darüber, in welchem Ausmaß Leistungserbringer und Leistungsempfänger differenziert werden. Grundsätzlich kann unterschieden werden zwischen einem Individualausgleich (der letztlich Ausgleichszahlungen zwischen einzelnen Individuen impliziert), einem Ausgleich zwischen Einkommensgruppen sowie zwischen einzelnen oder nach bestimmten Merkmalen typisierten Gruppen von Körperschaften. Die Entscheidung über den anzuwendenden Umverteilungsmodus. Als Alternativen kommen ein vertikaler Finanzausgleich mit horizontalem Effekt oder ein horizontaler Finanzausgleich in Betracht. Die Entscheidung darüber, wie die für die Frage nach den ausgleichspflichtigen und den ausgleichsberechtigten Teilnehmern am Finanzausgleich besonders wichtigen Größen Finanzbedarf und Finanzkraft operationalisiert werden sollen. Die Entscheidung über das gewünschte Ausmaß der Finanzanpassung, d.h. darüber, ob eine vollständige oder nur partielle Angleichung ausgleichsrelevanter fiskalischer Ungleichheiten erfolgen soll und wenn nur partiell, wonach sich die Angleichungsgrenze zu bestimmen hat.

23 vgl. zu diesem Begriff und den nachfolgenden Ausführungen M.

Gläser (1981, S. 140 ff.).

54

C. Distributiv begründbare Transfers

Die Entscheidung über das Angleichungsverfahren und damit über den Automatisierungsgrad des Zuweisungssystems, in welchem Maße also mechanisch bei Überschreiten festgelegter Grenzwerte Zuweisungen erfolgen oder inwieweit Einzelfallregelungen vereinbart werden, und weiterhin über die Zweckbindung der Zuweisungen. Diese Gestaltungskomponenten werden im folgenden zur Typisierung einesdistributiven Nord-S üd-Finanzausgleichsherangezogen (U nterabschnitte 2 - 4). Lediglich die Gestaltungskomponente Finanzbedarfs- und Finanzkraftermittlung wird aufgrund ihrer besonderen Bedeutung in den nachfolgenden Abschnitten IV und V dieses Kapitels gesondert erörtert. Die Erörterung des Umverteilungsmodus dagegen hat bereits im Rahmen der Überlegungen hinsichtlich der formalen Organisation eines Nord-SüdFinanzausgleichs stattgefunden (Abschnitt I).

2. Allsmaß der Differellzielltllg VOll Leistllilgsempfällge17l llild Leistllllgserblillgel7l Die weitreichendste Ausdifferenzierung besteht darin, einen Finanzausgleich zwischen einzelnen Individuen verschiedener Gebietskörperschaften herbeizuführen. Das ist der Fall, wenn gefordert wird, daß die Gesamteinkommensposition von Individuen mit gleichem Bruttoeinkommen von den jeweiligen Staaten zur Finanzierung von Kollektivgütern in gleicher Weise reduziert werden soW1• In diesem Sinne soll ein "equal treatment for equals"2S, d.h. eine horizontale Gerechtigkeit gewährleistet werden, die sicherstellt, daß niemand allein aufgrund seines Aufenthaltsortes einer steuerlichen Diskriminierung gegenüber Individuen gleichen Bruttoeinkommens in anderen Gebietskörperschaften unterworfen ist. Als Zielgröße hierzu dient das Fiskalresiduum, das als Differenz zwischen gezahlten Steuern und empfangenen Staatsleistungen für das Individuum definiert ist, und das entsprechend dieser Forderung über die Gruppe der betrachteten Gebietskörperschaften für Bezieher gleicher Bruttoeinkommen zum Ausgleich gebracht werden soll. Als Möglichkeit der Bewerkstelligung dieses Ausgleichs kommt als Second-best-Lösung die Einrichtung eines Transferssystems in Betracht, wenn die First-best-Alternative einer ausgleichenden regional diskriminierenden Besteuerung der Einkommen durch eine den verschiedenen Gebietskörperschaften übergeordnete Instanz nicht realisierbar ist.

l4

ff.).

Dieser Ansatz geht zurück auf J. M. BlIchalIall (1950). Vgl. auch M. Gläser (1981, S. 130

2S J. M. BlIchalIall

(1950. S. 587).

111. Gestallungskomponenten

ss

Gegen diesen Ansatz sind zahlreiche methodische Einwendungen und umsetzungsbezogene Vorbehalte vorgetragen worden 26• Auf deren Diskussion kann allein schon deswegen verzichtet werden, weil sie sich noch vermehren, wenn eine gedankliche Übertragung dieses Modells auf einen distributiven Nord-Süd-Finanzausgleich vorgenommen wird. Es zeigt sich dann, daß dieses schon in einem Bundesstaat praktisch undurchführbare Modell natürlich erst recht versagt, wenn es auf die ganze Welt bezogen wird. Zu erwähnen sind hier nur die methodischen Probleme einer Umrechnung der verschiedenen Einkommen in eine einheitliche Währung und die Probleme, die sich darüber hinaus bei einer international vergleichenden Bewertung von Einkommenspositionen überhaupt ergeben21• Abgesehen davon ist es möglich, daß die konsequente Anwendung des Modells zu abstrusen Verteilungsergebnissen führt. So ist es nicht unwahrscheinlich, daß zur Herbeiführung gleicher Fiskalresidua gleicher Einkommensgruppen die ärmsten Bevölkerungsgruppen eines Industrielandes aufgrund des höheren Niveaus empfangener Staatsleistungen Transfers an Bezieher höherer Einkommen in einem Entwicklungsland zu entrichten hällen. Dies erklärt sich aus dem gewählten Ansatz des Ausgleichs der Fiskalresidua, der unabhängig von der Höhe der Bruttoeinkommen vorzunehmen ist. Faktisch läuft dieses Modell somit auf eine Begünstigung oberer Einkommensgruppen in insgesamt armen Ländern hinaus. Dies ist dann der Fall, wenn dort die insgesamt niedrigen Steuereinnahmen des Staates relativ zu anderen Ländern gesehen zu einem hohen Teil von der oberen Einkommensgruppe getragen werden, zugleich aber die Staatsausgaben niedrig liegen. Das bedeutet, daß die absolute Steuerlast dieser Einkommensgruppe nicht notwendigerweise von derjenigen für gleiche Einkommen in anderen Ländern abweichen muß. Umgekehrt geht dies zu Lasten niedriger Einkommensgruppen in insgesamt reichen Ländern (mit relativ höheren Steuerlasten und entsprechend höheren Staatsausgaben). Diese Situation ist jedoch gerade für das Verhältnis von Entwicklungs- und Industrieländern kennzeichnend. Dieser Ansatz des auf das einzelne Individuum bezogenen Finanzausgleichs ist von Hilber weiter ausgebaut worden, indem er neben der horizontalen auch die vertikale Gerechtigkeit in das Konzept einflicht. Das führt dazu, daß in allen Ländern gleichermaßen den Beziehern unterschiedlicher Einkommen in durch umverteilungspolitisch determinierter Größenordnung jeweils gleich unterschiedliche Fiskalresidua zugemutet werden. Im weiteren bezieht er dann auch die Angleichung relativer Residua

26 Vgl. M. Gläser (1981, S. 133 ff.); G. Hilber (1974, S. 22 CC. und S. 30 Cf.); R. Peffekol'ell (1980, S. 628).

21 Vgl. zum erstgenannten Problem komplex H.-R. Hellllller (1988, S. 18 ff.), zum letztgenannten H.-R. Hellllller (1987, S. 8 fr.).

C. Distributiv begründ bare Transfers

S6

(definiert als Quotient aus empfangenen Staatsausgaben und geleisteten Steuerzahlungen) in die Betrachtung ein, wodurch der Niveaueffekt der absoluten Fiskalresidua aus der Betrachtungsweise ausgeblendet wird 23• Die erstgenannte Modilizierung schwächt den eben zuletzt vorgetragenen Einwand tendenziell ab. Im übrigen ändern beide jedoch an der insgesamt skeptischen Einschätzung des Modells nichts. Die Ausführungen legen die Empfehlung nahe, auf einen Finanzausgleich zwischen Gebietskörperschaften zurückzugreifen und bezüglich der Fiskalresidua die Individuen in diesen Gebietskörperschaften sich selbst bzw. der Verteilungspolitik ihrer jeweiligen Regierung zu überlassen. Dies kann sich jedoch dann als problematisch für die Rechtfertigung eines solchen distributiven Nord-Süd-Finanzausgleichs erweisen, wenn sich herausstellt, daß die interne Einkommensverteilung in den überwiegend ausgleichspflichtigen Staaten dauerhaft als gerechter als in den überwiegend ausglcichsberechtigten Ländern anzusehen ist. In der Tat ist für die Entwicklungsländer als den auf absehbare Zeit vermuteten Neuoempfängern eine relativ ungleiche Einkommensverteilung festgestellt worden. Behaftet mit den üblichen methodischen Vorbehalten deuten statistische Untersuchungen für die Jahre 1971 und 1974 darauf hin, daß in den Ländern Afrikas und Lateinamerikas die Einkommensverteilung relativ ungleich ist gegenüber den Ländern anderer Kontinente29 • Jüngste Zahlen, soweit verfügbar, weisen in dieselbe RichtunifO. Wegen der methodischen Vorbehalte können solche Zahlen jedoch allenfalls Anlaß geben für grobe Tendenzaussagen. Gleichwohl bleibt zu fragen, ob ein solcher Zustand von den Leistungserbringern auf Dauer hingenommen wird31 • Diese Frage stellt sich um so dringlicher, wenn sich Anhaltspunkte dafür ergeben, daß solche Finanzzuweisungen in den Empfängerländern auch noch überproportional den ohnehin schon begünstigten Bevölkerungskreisen zufließen32 • Hinzu kommt, daß eine Vernachlässigung der internen Einkommenverteilung auch den Legitimitätskriterien für die Gewährung distributiver Transfers widersprechen würde, wie sie in Abschnitt C.II abgeleitet worden waren. So ist als Begründung für Zuweisungen auf der Grundlage des Versicherungsprinzips im weiteren Sinne die Initiierung einer umfassenden

23

vgl. G. Hilber (1974, S. 34 ff.).

29

Vgl. die Darstellung bei H.-R. HelIlIlIe,. (1988, S. 2S ff.).

Vgl. Weltbank (1988, S. 310 f., Tab. 26). Die Tabelle beeindruckt vor allem durch ihre Lücken. Von den aufgeführten 129 Staaten waren Zahlen zur Einkommensverteilung nur für 47 Länder verfügbar. Von den 39 genannten Ländern mit niedrigem Einkommen sind nur für fünf Zahlenangaben vorhanden. 30

31

Vgl. H. Hesse (1988, S. 207).

32 Vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt F.I.1 dieser Arbeit. Zu Fallbeispielen vgI. beispielsweise B. Erler (1987, z.B. S. 11 ff. und S. 24 ff.).

111. Gestaltungskomponenten

57

Heranführung der Bevölkerung an das arbeitsteilige Wirtschaften genannt worden, um die Bildung dualer Wirtschaftsstrukturen mit ihren gesellschaftlichen und ökonomischen Legitimitätsdefiziten zu verhindern bzw. ihre Existenz abzubauen. Des weiteren ist die Zahlung von Zuweisungen zur Verhinderung internationaler distributiver Wanderungen mit der Erwartung verknüpft, die Einwanderungsströme in die Industrieländer zu reduzieren, was aber ebenfalls nur dann gelingen kann, wenn für die breite Masse der potentiellen Emigranten von den Empfängerländern Bedingungen geschaffen werden, die die Auswanderer zum Bleiben bewegen können. Mit der grundsätzlichen Ablehnung eines Individualausgleichs stellt sich die Frage, ob die Differenzierung von Leistungserbringern und -empfängern auf dem Niveau der Nationalstaaten erfolgen sollte oder ob eine noch höheraggregierte Betrachtung durch Zusammenfassung einzelner Staaten in Gruppen nach bestimmten Klassifikationsmerkmalen angebracht erscheint. Solche Klassifikationsmerkmale sind in großer Fülle vorgeschlagen worden, sie reichen von einfachen Indikatoren wie Volkseinkommensgröße oder Bevölkerungszahl bis hin zu komplexen Indikatorensystemen33 • Die Auswahl eines dieser Merkmale richtet sich letztlich nach der durch den Finanzausgleich zu bewältigenden Aufgabe und damit nach dem Anknüpfungspunkt der Zuweisungen. Der Vorteil einer Klassenbildung liegt in der Reduzierung der Transferteilnehmer und damit auch der Transferbeziehungen begründet, wodurch sich eine größere Transparenz des Zuweisungsflusses ergibt. Andererseits wird das natürlich mit Ungenauigkeiten bei der Zuweisungsplazierung erkauft. Bezogen auf den hier interessierenden Fall des Finanzausgleichs im Nord-Süd-Maßstab ist also aus Praktikabilitätserwägungen daran zu denken, die einzelnen Staaten zu Leistungsempfängern bzw. Leistungserbringern zu machen. Als Fazit dieser Ausführungen ergibt sich die Erkenntnis, daß als Adressaten für die Designierung von Ausgleichspflicht und Ausgleichsberechtigung im vorliegenden Fall die Nationalstaaten in Betracht kommen. Weder ein Individualausgleich noch eine Aggregierung einzelner Staaten zu gemeinsamen Gruppen stellt eine sinnvolle Alternative hierzu dar. Gleichwohl kann aus der Unmöglichkeit des Individualausgleichs nicht geschlossen werden, daß der distributive Ausgleich zwischen höheraggregierten Gruppen von Individuen (hier also Nationalstaaten) ohne weiteres hinreichend ist zur Erreichung der angestrebten Distributionsziele. Denn Endzweck aller Umverteilungsmaßnahmen kann letztlich immer nur die individuelle Verteilungsgerechtigkeit sein. Die Betrachtung der internationalen Umverteilung ist deshalb zu ergänzen um die nationalen Auswirkungen der

33

vgl. am Beispiel der Typisierung von Gemeinden z.B. J. Blollkellbllrg (1%5, S. 25 ff.).

58

C. Distributiv begründ bare Transfers

angestrebten Maßnahmen. Hieraus lassen sich unmittelbare Anforderungen an diese Maßnahmen ableiten. Für die Erhebung der Schlüsselrnassenbeiträge gilt, daß diese in den ausgleichspflichtigen Ländern nach Maßgabe des Leistungsfähigkeitsprinzips erfolgen sollte, für die Verwendung der Schlüsselzuweisungen gilt, daß diese in den Empfängerländern nur entsprechend der jeweiligen Zweckrichtung und nur subsidiär zu den eigenen Anstrengungen dieser Länder zu gewähren sind. Das in diesem Sinne bestgeeignete Instrument zur Erfüllung der erstgenannten Anforderung ist die Erhebung einer Steuer auf das Einkommen in den ausgleichspflichtigen Staaten zur Finanzierung der ihnen zugewiesenen Schlüsselrnassenbeiträge. Hervorzuheben sind als Vorteile dieser Art der Mittelerhebung neben der Anknüpfung an die Leistungsfähigkeit der Steuersubjekte der hohe Allgemeinheitsgrad dieser Steuer und dadurch bedingt ihre weitgehende Wettbewerbsneutralität. Als weitere Vorzüge kommen die nahtlose Einpassung in das vorhandene Steuersystem der potentiellen Geberländer und damit ihre Erhebungs- und Entrichtungsbilligkeit sowie eine relative Ergiebigkeit, Stetigkeit und Dynamik dieser Steuer hinzu34 • Das im obigen Sinne beste Instrument zur Erfüllung der letztgenannten Anforderung ist die Verknüpfung der Transfergewährung mit Auflagen, die von den Transferempfängern zu erfüllen sindlS • 3. Ausmaß der Fillallzallpassullg

Neben der Frage der Ausdifferenzierung von Leistungsempfängern underbringern ist auch das Problem des angemessenen Ausmaßes der Finanzanpassung zu erörtern. Im nationalen Finanzausgleich verbindet sich hiermit die Entscheidung darüber, ob die festgestellten Finanzbedarfe vollständig oder nur teilweise durch Zuweisungen gedcckt werden sollen und nach welchen Kriterien bei einem nur tcilweisen Ausgleich die Zuweisungshöhe zu bestimmen ist36• Üblicherweise werden dabei insbesondere die Kriterien des Eigeninteresses und der Autonomie des Zuweisungsempfängers sowie die vermuteten Auswirkungen auf die Allokationseffizienz in Abhängigkeit vom Ausmaß der Finanzanpassung angeführt. Im Zusammenhang damit geht es auch um die Frage der Bestimmung der Finanzausgleichsmasse insgesamt. Wird dabei entsprechend dem Quotitätsprinzip verfahren, ergibt sie sich als 'Resultante aus vorab festgelegten Beitragszahlungen der ausgleichspflichtigen Länder, die dann auf die ausgleichsberechtigten Staaten verteilt wird. Alternativ kann auch so verfahren werden, daß die Summe der ermittelten

34 Vgl. hierzu im einzelnen H. Hefmschroll/ St. Tescll/ler (1983, S. 40 ff. und 51 ff.). lS

Vgl. hierzu die Ausführungen weiter unten in Abschnitt C.IV dieses Kapitels.

36

Vgl. hierzu und im folgenden M. Gläser (1981, S. 143 f.).

III. Geslaltungskomponenlen

59

ausgleichsrelevanten Finanzbedarfe als Gesamtzahlungsverpflichtung entsprechend dem Repartitionsprinzip auf die ausgleichspflichtigen Länder umgelegt wird. Vorab ist jedoch in diesem Zusammenhang überhaupt erst einmal die Methodik zur Ermittlung der ausgleichsrelevanten Finanzbedarfe festzulegen, die ja dann die Grundlage für die Variation der tatsächlich auszuzahlenden Transfers nach Maßgabe der eben angesprochenen grundsätzlichen Kriterien bilden und damit ebenfalls eine entscheidende Einflußgröße zur Bestimmung des Umfangs des Ausgleichsvolumens darstellen. Als Alternative zu dem Versuch, den optimalen Finanzbedarf zu bestimmen, kommt dabei die Ermittlung von Mindeststandards in Betracht, die im Rahmen eines Finanzausgleichs grundsätzlich zu gewährleisten sind. Aus verschiedenen Gründen ist die letztgenannte Methode der Ermittlung optimaler Finanzbedarfe vorzuziehen37• So ist die Quantifizierung der Zuweisungssumme bei der Verwendung von Mindeststandards mit erheblich geringeren Problemen verbunden als im Fall optimaler Finanzbedarfe, weil letztere Vorgehensweise Operationalisierungsanforderungen stellt, die sich gerade im hier betrachteten internationalen Rahmen praktisch kaum erfüllen lassen. Daneben ist die Festlegung des allein gültigen, optimalen Finanzbedarfs aber auch methodisch fragwürdig, weil hierbei eine intersubjektive Überprüfbarkeit von Bedarfsbestimmungen impliziert wird, die tatsächlich nicht existiert. Diesem Sachverhalt trägt der Mindeststandardansatz insofern Rechnung, als er die notwendigerweise werturteilgeladene Auseinandersetzung um den "richtigen" Finanzbedarf auf einen einzigen, nämlich den mindestens erforderlichen reduziert. Aus diesen Gründen werden im folgenden die nach dem Mindeststandardprinzip sich ergebenden Finanzbedarfe zugrunde gelegt. Dies bedeutet für die Finanzbedarfsermittlung, daß Fragen zu beantworten sein werden wie etwa: "Welcher Finanzbedarf ist üblicherweise als mindestens erforderlich zur Flankierung makroökonomischer Korrekturmaßnahmen anzusehen, wenn die Bedarfseinflußgrößen x,y und z des vorab festgelegten Bündels in Frage kommender Einflußgrößen im empfangsberechtigten Land L im Zeitpunkt t l die konkrete Ausprägung xI> YI und Zl annehmen?". Nach dieser grundsätzlichen Klärung der Methodik zur Ermittlung der ausgleichsrelevanten Finanzbedarfe ist nunmehr unter Anwendung der eingangs vorgestellten Kriterien zu fragen, ob die zur Erreichung der Mindeststandards erforderlichen Transfers vollständig oder aber nur teilweise gewährt werden sollen. Dies ist im folgenden für die distributiven Transfers gesondert nach ihren Anknüpfungspunkten vorzunehmen. Im Falle der Versicherung gegen unkalkulierbare Spezialisierungsrisiken (d.h. den

37 Vgl. zu den Vorzügen des Mindeslslandardansalzes H. Grossekeilier (1987b, S. 421 C.).

60

C. Distributiv begründbare Transfers

Transfers gemäß dem Versicherungsprinzip im engeren Sinn) betrifft dies also die Frage, ob ein eingetretener Schadenfall im Sinne unvorhersehbarer externer Schocks voll abgedeckt (gleich einer Vollkaskoversicherung) oder nur eine teilweise Erstattung (d.h. eine Selbstbeteiligung) vorgesehen werden soll. Grundsätzlich sprechen die eingangs dieses Abschnitts erwähnten Kriterien der Tendenz nach für eine hohe Selbstbeteiligung. Denn je mehr diese Transfers die volle Schadenhöhe abdecken, desto stärkere Moralhazard-Probleme werden auftreten, die sich hier insbesondere in einer mißbräuchlichen Aneignung solcher Transfers durch manipulative Konstruierung der Finanzbedarfstatbestände zeigen könnten. Gleichzeitig ist mit um so größeren Beeinträchtigungen der Allokationseffizienz zu rechnen, weil mit steigender Abgeltung der eingetretenen Schäden der Anreiz eines rechtzeitigen eigenständigen Strukturwandels vermindert wird 38• Als spezifisch mit diesem Transfertyp verbunden spricht schließlich auch gegen eine vollständige Schadenabdeckung, daß mit den Spezialisierungsinvestitionen natürlich auch intern anfallende Erträge verbunden sind, so daß daraus eine doppelte Entlohnung der in diese Investitionen eingegangenen Faktoren resultieren würde. Diese Argumente sprechen im Falle dieses Transfertyps dafür, eine spürbare Selbstbeteiligung im Schadenfall vorzusehen. Für die Transfers zur Abmilderung von Anpassungslasten, die der Einleitung ordnungspolitischer Korrekturmaßnahmen entspringen, und die Zuweisungen zur umfassenden Heranführung der Bevölkerung an das arbeitsteilige Wirtschaften (Transfers nach dem Versicherungsprinzip im weiteren Sinn) gelten dem Grundsatz nach dieselben Einflußfaktoren. Zwei Gründe sprechen hier jedoch für eine annähernd vollständige Abgeltung der von diesen Indikatoren angezeigten Finanzbedarfe. Zum einen wird bereits bei der Konzipierung der Indikatoren zur Ermittlung des erforderlichen Finanzbedarfs auf die betont subsidiäre Funktion der Transfers besonderer Wert gelegt. Zum anderen kann zur Erreichung der mit den Transfers angestrebten Zielsetzungen auf das aufgezeigte Maß an finanzieller Unterstützung kaum verzichtet werden, wie sich weiter unten in den Abschnitten V.3 und V.4 dieses Kapitels zeigen wird. Abschließend zu den Finanzzuweisungen der potentiellen Immigrationsländer an die Emigrationsländer zur Verhinderung unerwünschter, distributiv begründeter Wanderungen. Diese sollten der Höhe nach genau so bemessen sein, daß der Nutzen der letzten gerade noch durch entsprechende Finanzzuweisungen verhinderten Migration (der sich nach den durch diese Verhinderung vermiedenen weltwirtschafllichen Wohlfahrtseinbußen bemißt)

38 Vgl. hierzu im einzelnen die Ausführungen in den Abschnitten F.JV.l und F.JV.2 dieser Arbeit.

111. Gestaltungskomponenten

61

den zusätzlichen Kosten, die diese Migration verursacht hätte, gerade entspricht. In diesem Fall sollten die durch diese Grenzbetrachtung determinierten Finanzbedarfe in vollständiger Höhe geleistet werden, um unerwünschte Wohlfahrtsverluste zu vermeiden. Bei der Bestimmung der Finanzausgleichsmasse erscheint im Fall der Transfers nach dem Versicherungsprinzip die Anwendung des Repartitionsprinzips angemessen. Entsprechend dem üblichen Verfahren bei Versicherungen erfolgt vorab die Festlegung der Versicherungsleistung, d.h. der Definition des Schadenfalls, der Bestimmung der Kriterien zur Feststellung der Schadenhöhe39 und der vorgesehenen Selbstbeteiligung. Sodann erfolgt auf der Grundlage von Schätzungen über die erwartete Inanspruchnahme die Festlegung derjenigen Summe, die auf die Versicherungsnehmer hier nach Maßgabe der in Abschnitt C.IV weiter unten erörterten Finanzkraftindikatoren zu repartieren ist. Auch die Bestimmung der Schlüsselrnasse im Fall der Transfers zur Verhinderung unerwünschter distributiver Wanderungen sollte nach dem Repartitionsprinzip erfolgen. Hier ergibt sich die Höhe der Schlüsselrnasse offensichtlich aus den sich periodisch ändernden Faktoren, die Einfluß auf das Ergebnis der oben erwähnten Grenzbetrachtung nehmen und somit auch den erforderlichen Gesamtbetrag zur Verhinderung dieser Wanderungen. Dieser ist dann ebenfalls gemäß den zu ermittelnden Finanzkraftindikatoren auf die ausgleichspflichtigen Länder umzulegen.

4. Automatisienlllgsgrad des Zuweisullgssystems Im Rahmen der letzten Gestaltungskomponente neben den in den anschließenden Abschnitten zu erörternden Finanzkraft- und Finanzbedarfsindikatoren ist im folgenden der Frage nachzugehen, in welchem Ausmaß eine Automatisierung der Zuweisungsgewährung vorzusehen ist oder aber eher Einzelfallentscheidungen vorgenommen werden sollten. Im Zusammenhang damit ist darüber hinaus zu erörtern, inwieweit eine Zweckbindung der zugewiesenen Mittel gerechtfertigt erscheint. Berührt wird damit die Fragestellung nach dem grundsätzlichen Charakter der Zuweisungen. Während Fürsorgezuwendungen auf eine explizite Einzelfallregelung abstellen, erfolgt die Vergabe von Versorgungs- bzw. Versicherungszuweisungen nach einem schematisierenden oder auch mechanistischen Verfahren40 • Entsprechend der Begründung der vorgesehenen Zuweisungen als Transfers nach dem Versicherungsprinzip im engeren oder weiteren Sinn sollte deren Vergabe

39 Hierbei handelt es sich um die in Abschnitt V dieses Kapitels zu unterscheidenden Aurgreir- und Demessungsindikatoren. 40

Vgl. zu diesen Degrirren M. Gläser (1981, S. 144).

62

C. Distributiv begründbare Transfers

grundsätzlich weitgehend automatisch erfolgen. Das bedeutet, daß die Feststellung des Schadenfalleintritts durch die Vergabestelle den betreffenden Staat grundsätzlich für den Empfang von Zuweisungen in Höhe der kodifizierten Finanzbedarfsindikatoren abzüglich einer festgelegten Selbstbeteiligung qualifiziert. Zur Verminderung des Moral-hazard-Problems ist es jedoch erforderlich, eine Expertenkommission in der Vergabestelle mit der fallweisen Überprüfung der Indikatoren zur Erkennung und Bemessung von Finanzbedarfen zu betrauen, bevor eine Zahlungsanweisung dann tatsächlich erfolgt. Dasselbe Verfahren kann auch für die Gewährung von Zuweisungen zur Verhinderung unerwünschter Wanderungen empfohlen werden. Neben die grundsätzliche Qualifizierung für entsprechende Zuweisungen bei Vorliegen der vertraglich festgelegten Bedingungen tritt allerdings auch hier die Notwendigkeit einer fallweisen Überprüfung, um einen Mißbrauch zu verhindern. Dabei ist z.B. festzustellen, ob etwa die Regierung eines potentiellen Empfängerlandes durch eine Politik der Auswanderungsförderung oder der Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen eine Auswanderungsbewegung überhaupt erst verursacht hat, um auf diesem Wege in den Genuß von Finanzzuweisungen dieses Typs zu gelangen. In solchen Fällen wäre dann von einer Transfergewährung abzusehen. Eine besondere Rolle ist im Fall eines internationalen distributiven Transfersystems den Empfangs- und Verwendungsauflagen zuzuerkennen, die mit der Transfergewährung verknüpft werden. Im nationalstaatlichen Finanzausgleich wird eine solche Zweckbindung der Zuweisungen des Zentralstaats an die unteren Gebietskörperschaften unter Verweis auf die auseinanderfallenden Aufgaben- und Einnahmenkompetenzen in der Regel mit Skepsis betrachtet und nur in bestimmten Ausnahmefällen, beispielsweise zur Gewährleistung einer flächendeckenden Mindestversorgung mit bestimmten Kollektivgütern für gerechtfertigt gehalten. Aus der ganz anders gelagerten Begründung des vorliegenden Finanzausgleichentwurfs, der insbesondere die föderale Arbeitsteilung eines Bundesstaates mit ihren umfangreichen und gesetzlich verankerten Aufgabenzuweisungen für die Transferempfänger fehlt, folgt hier umgekehrt eine besondere Bedeutung d~r Auflagen. Eine Ausnahme hiervon stellen offensichtlich lediglich die Transfers nach dem Versicherungsprinzip im engeren Sinne zur Abdeckung von Schäden aus der Entwertung von Spezialisierungsinvestitionen durch externe Schocks dar. Denn bei dieser Sparte des distributiv begründeten Nord-Süd-Finanzausgleichs handelt es sich um eine Versicherung gegen Entgeltausfälle für bereits erbrachte Vorleistungen, so daß eine Verknüpfung der Entschädigung im Schadenfall mit einer in die Zukunft gerichteten Verwendungsauflage hier nicht gerechtfertigt erscheint. Diese Vorgehensweise entspricht dem üblichen Versicherungsgedanken. So ist beispielsweise die Gewährung von Schadenabgeitungen in der Kfz-Haftpflichtversicherung nicht an die Bedingung für den Zahlungsempfänger geknüpft, mit diesen

111. Gcslaltungskomponcnlcn

63

Mitteln die Wiederherstellung der Fahrbereitschaft seines beschädigten Fahrzeugs bzw. die Anschaffung eines Ersatzfahrzeugs vorzunehmen. Die Zahlung bezieht sich allein auf den zugefügten Vermögensschaden. Völlig entgegengesetzt stellt sich die Situation im Fall der Zuweisungen nach dem Versicherungsprinzip im weiteren Sinn zur Heranführung der Volkswirtschaft an die internationale Arbeitsteilung dar. Die Berechtigung von Auflagen ergibt sich hier aus der - wie weiter oben in Abschnitt B.I dieses Kapitels dargelcgt- nur mehr abstrakt vorhandenen Verbindung von Leistung und Gegenleistung, da beide intertemporal stark auseinanderfallen können und vermutlich auch werden. So fußt dann auch die Existenz der Transfers zur Linderung der Anpassungslasten aus der Durchführung ordnungspolitischer Korrekturmaßnahmen eben auf der Realisierung dieser Korrekturen, in diesem Sinne stellt die Bereitschaft des Empfängers hierzu also die Empfangsauflage für den Transfererhalt dar. Gleiches gilt für die Zuweisungen zur umfassenden Heranführung der Bevölkerung an das arbeitsteilige Wirtschaften, die die Bereitschaft des Transferempfängers zur Eigenleistung und Schaffung der notwendigen Rahmenbedingungen voraussetzen. Darüber hinaus ist eine Zweckbindung der gewährten Mittel qua Auflagen anzustreben (Verwendungsauflagen). Um die vermutlich bei der empfangenden Regierung gegenüber der Expertenkommission in der Vergabestelle vorhandenen Informationsvorteile zu nutzen, könnte diese Zweckbindung in Form von Performancekriterien mit entsprechender FrisLsetzung erfolgen. Auf diesem Wege kann auf dirigistische Vorgaben, die eine Festschreibung der politischen Handlungen im Detail bedeuten würden und die zudem nur sehr schwer zu überwachen wären, verzichtet und derselbe Zweck durch Zielvorgaben, die aller Erwartung nach nur durch eine entsprechende Mittelverwendung erreichbar sind, erzielt werden. Eine entsprechende Politik wird vom IWF verfolgt, der Kredite insbesondere im Rahmen der Bereitschaftsabkommen und der Strukturanpassungsfazilität an die Erfüllung bestimmter Performancekriterien knüpft41 • Seinen Zielvorgaben entsprechend handelt es sich hierbei insbesondere um makroökonomische Verhaltensvorgaben, zu denen häufig Plafonds der öffentlichen Kreditaufnahme, der Auslandsverschuldung und offenbar auch der Abwertung überbewerteter Währungen gehören. Die Nichteinhaltung dieser Kriterien führt zur Stornierung weiterer im Rahmen des Gesamtabkommens mit einem Staat vereinbarten Kreditraten und erfordert eine erneute Aushandlung des Abkommens mit dem IWF. Wenngleich nicht der Regelfall,

41

Vgl. hicrzu T. Killick (1985b. S. 191 ff.).

64

C. Distributiv begründbare Transrers

ist es gleichwohl gelegentlich zu solchen Stornierungen gekommen42 • Es handelt sich somit hier um ein Instrument, das bereits in der praktischen Anwendung erprobt ist. In ähnlicher Weise sind auch die Transfers zur Verhinderung unerwünschter Wanderungen an entsprechende, den Zuweisungszweck erfüllende Auflagen zu b}nden. Gleichwohl kann mit dem Instrument der Zweckbindung von Zuweisungen nicht verhindert werden, daß die Zuweisungsgewährung möglicherweise zu einer Substitution von eigenen finanziellen MiUeln des Zuweisungsempfängers führt, die ursprünglich für diesen Zweck vorgesehen war. Es obläge daher der genannten Expertenkommission in der Vergabestelle, den eigenen finanziellen Spielraum des Empfängers abzuschätzen und einen zumutbar erscheinenden Eigenanteil für diesen Zweck vorzusehen. Anhaltspunkte für mögliche Budgetreaktionen der Regierung des Empfängerlandes auf den Erhalt von Zuweisungen könnte eine Analyse der Entwicklung der einzelnen Budgetpositionen im Zeitablauf ergeben. Soweit die Erörterung verschiedener Gestaltungskomponenten eines distributiven Finanzausgleichs, bezogen auf eine weltweite Betrachtungsweise. Dabei fehlte bislang eine Einschätzung der Finanzbedarfs- und Finanzkraftindikatoren, denen bei jeglichen Finanzausgleichsentscheidungen eine besondere Bedeutung zukommt. Abschließend zur Darstellung des distributiven Nord-Süd-Finanzausgleichs werden sie deshalb nun gesondert zu untersuchen sein.

IV. Ableitung von Finanzkrallindikatoren Die Erörterung von Finanzkraftindikatoren ist mit der Zielsetzung verknüpft, geeignete Kriterien zu finden, miUels derer der einzelne Beitragszahier als solcher identifiziert und die Höhe seiner Beitragslast ermittelt werden kann. Im Hinblick auf die distributive Zielsetzung des Finanzausgleichs erfolgt die Formulierung solcher Kriterien auf der Grundlage des Leistungsfähigkeitsprinzips. Entsprechend sollen Finanzkraftindikatoren die Möglichkeit einer Gebietskörperschaft zur Beschaffung von Ressourcen zwecks Finanzierung öffentlicher Leistungen möglichst genau widerspiegeln. Zur Messung der Finanzkraft einer Gebietskörperschaft werden neben der Möglichkeit der direkten Berechnung der finanziellen Leistungsfähigkeit einer Gebietskörperschaft, die aber angesichts unüberwindbarer methodischer und technischer Hindernisse nicht realisierbar ist, zwei verschiedene Indika-

42 Vgl. T. Killick (l985b. S. 203). Zum ßcispiel wurde dies von einem Bercitschartsabkommen des IWF mit Ungarn berichtet. Vgl. (1989/).

o.v.

IV. Ableitung von Finanzkraflindikatorcn

6S

tortypen vorgeschlagen: ökonomische Indikatoren, die das Produktionspotential der Gebietskörperschaft als potentiell abschöpfbare Einnahmequelle zur Finanzierung öffentlicher Leistungen interpretieren und entsprechend zu quantifizieren versuchen, sowie fiskalische Indikatoren, welche die Finanzkraft nach den potentiellen Erträgen eines bestimmten, normierten Abgabensystems zu ermitteln trachten43 • Als ökonomischer Indikator wird in der Regel das regionale Volkseinkommen, ermittelt entweder nach dem Inlands- (also dem in den Grenzen der Gebietskörperschaft entstandenen Einkommen) oder dem Inländerkonzept (d.h. dem von der zu der betreffenden Gebietskörperschaft zählenden Bevölkerung erzielten Einkommen) herangezogen. Gegen die Gültigkeit dieses Indikators werden zahlreiche methodische Argumente ins Feld geführt (hier konkretisiert am Inländerkonzept): Für den Fall, daß eine höherrangige Gebietskörperschaft zur Einnahmenverschaffung Steuern erhebt, deren Bemessungsgrundlage interregional unterschiedlich ausgeprägt ist, spiegelt das regionale Volkseinkommen ein verzerrtes Bild der wahren Finanzkraft der verschiedenen Gebietskörperschaften wider. Der Indikator geht davon aus, daß jede Einheit des Volkseinkommens in gleichem Maße besteuerbar ist. Dies ist jedoch nicht der Fall, weil in der Regel eine regional unterschiedliche Verteilung der Höhe nicht besteuerbarer Existenzminimumeinkommen anzutreffen ist oder Erfassungsschwierigkeiten bestimm ter Einkommensarten auftreten. Hieraus resultiert dann gleichfalls eine Verzerrung der tatsächlichen Finanzkraftpositionen. In der Regel ist eine interregional differierende Intensität des Steuerexports durch die Besteuerung von Ausländern anzutreffen, was auf die jeweilige Finanzkraft Einfluß nimmt, ohne sich im regionalen Sozialprodukt niederzuschlagen. Eine interregional unterschiedliche Ausprägung der Schattenwirtschaft, die ja in den Sozialproduktstatistiken nicht berücksichtigt ist, sorgt schließlich ebenfalls für eine nicht wirklichkeitsgetreue Abbildung der Finanzkraft der Gebietskörperschaften. Ähnliche Einwände lassen sich gegen das Inlandskonzept des Indikators anführen44 • Hinzu kommen die (natürlich besonders auf Gemeindeebene) akuten technischen Schwierigkeiten der statistischen Ermittlung des

43

Vgl. im folgenden M. Gläser (1981, S. 154 ff.) und R. Peffekol'en (1980, S. 632 f.).

44

Vgl. M. Gläser (1981, S. 159).

S Scb...be

C. Distributiv begründbare Transfers

66

Volkseinkommens. Deshalb wird vielfach dazu übergegangen, fiskalische Indikatoren zur Finanzkraftmessung heranzuziehen4s• Dabei stellt sich dann jedoch das Problem der Normierung eines interregional einheitlichen Abgabensystems, was insbesondere die einzubeziehenden Abgabenarten, deren Gewichtung innerhalb des Abgabensystems, die Spezifizierung der Bemessungsgrundlagen und der Steuer- bzw. Hebesätze sowie die Veranlagungspraxis (z.B. Vorauszahlungen, Stundungen etc.) betrifft. Soweit die grundsätzliche Argumentationsführung im Rahmen des nationalstaatlichen Finanzausgleichs. Werden diese Erwägungen zur Eignung der bei den Typen von Indikatoren auf die weltweite Betrachtungsebene übertragen, ergibt sich unmittelbar, daß die fiskalischen Indikatoren zur Messung der Finanzkraft der verschiedenen Staaten nicht in Betracht kommen werden. Denn die Normierung eines international einheitlichen Abgabensystems als Bezugsbasis für die potentiellen Schlüsselmassenbeiträge wirft schon zahlreiche Probleme bei ähnlich strukturierten Volkswirtschaften auf. Besonders schwierig aber ist es, ein einheitliches Abgabensystem für völlig verschieden strukturierte Volkswirtschaften zu entwickeln. Anders als in hochentwickelten Wirtschaftssystemen ergibt sich nämlich in den Entwicklungsländern im Regelfall die Problematik, daß die Schwierigkeiten der Steuererhebung ein völlig anderes Abgabensystem erfordern46 • Dies ist bedingt durch eine unzulängliche Steuerverwaltung, Probleme bei der Definition von Bemessungsgrundlagen im Subsistenzsektor, zahlreiche Steuerausweichungsmöglichkeiten im informellen Sektor, mangelhafte Buchführungsund Rechnungslegungsktmntnisse der Steuerschuldner und eine unzureichend ausgeprägte Steuergesionung einerseits der ländlichen Bevölkerung (vor allem, wenn die Besteuerung als Widerspruch zu tradierten Verhaltensweisen empfunden wird), andererseits aber auch der oberen Einkommensgruppen. Entsprechend liegt in den Entwicklungsländern der Schwerpunkt der Steuereinnahmen dann auch bei den indirekten Steuern und Zöllen47• Diese Ausführungen bekräftigen somit die oben formulierte Einschätzung, daß fiskalische Indikatoren im vorliegenden Falle nicht zur Operationalisierung der Finanzkraft herangezogen werden können. So gesehen dürfte die Finanzkraftmessung mittels ökonomischer Indikatoren noch die besten Ergebnisse liefern. Immerhin entfällt in diesem Zusammenhang das Problem der statistischen Ermittlung des Volkseinkommens, da die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der einzelnen Staaten zu deren Ermittlung hinreichend gut entwickelt sein werden. Auch spielt auf

45

Vgl. im folgenden M. Gläser (1981, S. 160 ff.).

46

Vgl. H.-R. Hel/In/er (1988, S. 393 f.).

47

Vgl. H.-R. Hel/In/er (1988. S. 377 ff.).

IV. Ableitung von Finanzkraftindikatoren

67

nationaler Ebene der Steuerexport im Vergleich zur Höhe des Volkseinkommens eine nur geringe Rolle und entfällt das Argument, daß eine höherrangige Gebietskörperschaft eine Steuer mit interregional unterschiedlich ausgeprägter Bemessungsgrundlage erhebt. Allerdings ergeben sich aus der Internationalisierung der Betrachtungsweise in diesem Zusammenhang eine Reihe zusätzlicher Probleme. Diese rühren zum einen aus der kaum gegebenen Vergleichbarkeit nationaler Sozialprodukte. Zu nennen sind hier die international unterschiedliche Qualität der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen und statistischen Ämter, variierende Schätzmethoden, unterschiedliche Bewertungen nicht über den Markt gehandelter Güter, di~fe­ rierende Ausmaße nicht internalisierter externer Effekte, eine unterschiedliche Größenordnung nicht abgerechneter Vorleistungen, ein variierender Umfang von Sanierungsinvestitionen zur Beseitigung von Umweltaltlasten sowie die erheblichen Probleme bei der Umrechnung nationaler Sozialprodukte in eine einheitliche Währung. Berücksichtigen ist zum anderen, daß die Volkseinkommen völlig unterschiedlich entwickelter und entsprechend strukturierter Volkswirtschaften miteinander verglichen werden sollen. In den Entwicklungsländern ist das Volkseinkommen als Finanzkraftindikator deshalb nur eingeschränkt aussagefähig, weil die Unwägbarkeiten bedingt durch den sehr hohen Anteil des Subsistenz- und des informellen Sektors besonders groß sind48 • Einem weiteren Einwand, nämlich dem, daß das besteuerbare Einkommen bedingt durch einen unterschiedlich hohen Anteil von Existenzminimumeinkommen international variiert, kann hier dadurch Rechnung getragen werden, daß ein bestimmtes jährliches Pro-Kopf-Einkommen von der Finanzkraftberechnung gewissermaßen als Freibetrag ausgeklammert wird. Durch diesen Freibetrag, der angesichts der hochgradig subjektiven Komponente bei der Festlegung solcher Mindesteinkommen49 auf dem Wege einer politischen Vereinbarung festgelegt werden sollte, erfolgt dann zugleich auch die Abgrenzung der Beitragszahler von denjenigen Ländern, die keiner Ausgleichspflicht unterliegen. Damit ergibt sich jedoch keine Präjudizierung des Kreises der ausgleichsberechligten Länder. Dieser ergibt sich erst durch die Bestimmung der Finanzbedarfsindikatoren. Diese unabhängige Festlegung beider Indikatorensysteme hat im übrigen zur Folge, daß die Kreise beider Typen von Staaten nicht in jedem Fall deckungsgleich sein werden, wozu unter ökonomischen Gesichtspunkten auch keine Notwendigkeit besteht. Es ist vielmehr möglich, daß bestimmte Staaten weder

48

Vgl. zu diesen Ausführungen II.-R Hemmer (1988. S. 13 rf. und S. 18 fr.).

49

Vgl. zu den Schwierigkeiten der Normierung von Mindesteinkommen H.-R. Hemmet"

(1987. S. 2 rf.). 5*

68

C. Distributiv begründbare Transfers

ausgIeichspflichtig noch -berechtigt sein werden, während andere beide Aspekte auf sich vereinen. Als Fazit der Ausführungen läßt sich festhalten, daß auf der internationalen Betrachtungsebene die Anwendung ökonomischer Indikatoren zur Finanzkraftmessung zwar mit Mängeln verbunden ist, diese jedoch im Vergleich zu denjenigen der fiskalischen Indikatoren eher tolerierbar erscheinen. Somit ist im Rahmen des hier vorgestellten Nord-Süd-Finanzausgleichs die Verwendung ökonomischer Indikatoren zur Finanzkraftmessung zu empfehlen. Als Ergänzung besteht zur Untermauerung der so gewonnenen Aussagen zur Finanzkraft der beteiligten Staaten im Einzelfall die Möglichkeit der Ermittlung spezieller Anspannungskoeffizienten. In der Literatur wird die Ermittlung solcher Koeffizienten vorgeschlagen, um Aussagen über Umfang und Struktur von Steuerreformpotentialen in Entwicklungsländern abzuleiten. Dabei wird so vorgegangen, daß durch Untersuchung gleichartig strukturierter Volkswirtschaften die Steuerkapazität dieser Länder zu schätzen und anschließend je nach sektoraler Zusammensetzung der Beiträge zum BSP die jeweilige optimale Steuerquote zu errechnen versucht wird. Die Steueranspannung ergibt sich dann als Quotient aus effektiver und optimaler Steuerquoteso.

V. Ableitung von Finanzbedarfsindikatoren als zentraler Schlüsselgröße des distributiven Nord-Süd-Finanzausgleichs 1. Vorbemerkung: Überblick über die VOl'gellensweise Mit Hilfe von Finanzbedarfsindikatoren ist nunmehr zu ermitteln, in welchem Ausmaß eine Gebietskörperschaft finanzieller Ressourcen zur Bewältigung der ihr zugewiesenen Aufgaben bedarf. Weiter oben in den Abschnitten 11.1 und 11.2 dieses Kapitels waren als Anlässe für Finanzzuweisungen die Entwertung von Spezialisierungsinvestitionen im Rahmen der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung durch externe Schocks, die Abfederung von Anpassungslasten als Konsequenz der Durchführung ordnungspolitischer Korrekturmaßnahmen, die umfassende Heranführung der Bevölkerung an die arbeitsteilige Wirtschaft und die Verhinderung unerwünschter distributiv begründeter internationaler Wanderungen identifiziert worden. Im Gegensatz zum üblichen nationalen Finanzausgleich, der in der Regel auf dauerhaft angelegte Zuweisungsbeziehungen nach Maßgabe bestimmter Bedarfsindikatoren hin konzipiert ist, bedingt das Versicherungsprinzip darüber hinaus auch die Formulierung von Indikatoren zur Kenntlichmachung der Situation eines beteiligten Landes, in der Zuweisungen erfolgen sollen. Anders so Vgl. hierzu H.·R. Hemmer (1988, S. 395 C.) mit weiteren Nennungen.

V. Ableitung von Finanzbedarfsindikatorell

69

ausgedrückt: Neben Indikatoren zur Bemessung der Zuweisungshöhe im Schaden fall müssen Indikatoren treten, die einen möglichen Schadenfall überhaupt erst einmal aufdecken. Im folgenden sollen deshalb für die verschiedenen Distributionsanlässe jeweils zunächst Indikatoren zur Schadenfallaufdeckung (Aufgreifindikatoren) formuliert und soll sodann ausführlicher aufIndikatoren zur Ermittlung des erforderlichen Finanzbedarfs (Bemessungsindikatoren) eingegangen werden. Auf dieser Grundlage ist im folgenden der Frage nachzugehen, welche Finanzbedarfsindikatoren für den distributiven Nord-Süd-Finanzausgleich herangezogen werden können. 2. Fillollzbedolfe zur Abfedelllllg e.xtemer Schocks

Als Allfgreiftlldika(or zur Erkennung exogener Schocks, die das Land aufgrund seiner Teilnahme an der arbeitsteiligen Weltwirtschaft erleidet, weil seine Spezialisierungsrichtung beispielsweise aufgrund technischen Fortschritts ganz oder teilweise obsolet geworden ist, könnte das dauerhafte und spürbare Zurückgehen der Exporterlöse der wichtigsten Exportgüter der Volkswirtschaft herangezogen werden. Diese Definition des Aufgreifindikators ist angelehnt an diejenige des IWF für die Vergabe von Krediten im Rahmen der Kompensatorischen Fazilität bzw. diejenige der EG für die Gewährung von Zuweisungen gemäß dem (z.Z. gültigen) Lome-I1I-Abkommen51 • Die im folgenden vorgenommene Operationalisierung des Indikators ist nur beispielhaft zu verstehen. Die eigentliche Festlegung bliebe den Verhandlungen über einen internationalen Kooperationsvertrag vorbehalten. Von Bedeutung ist hier allein die Darstellung der Verfahrensweise bei der Definition eines solchen Indikators. Als dauerhaft könnte ein Zeitraum von fünf aufeinanderfolgenden Jahren verstanden werden, das entspräche einem Konjunklurzyklus mittlerer Länge. Spürbar sei der Rückgang, wenn er höher als 30% der normalerweise aus diesem Gut erzielten Exporterlöse ausfällt. Als Normwert könnte - in Anlehnung an das Verfahren der Kompensatorischen Fazilität des IWFder Mittelwert der Exporterlöse eines Referenzzeilraums herangezogen werden, der neben den Ausfuhrumsätzen der zwei vorangegangenen Jahre und der laufenden Periode auch die erwarteten Erlöse der kommenden zwei Jahre umfaßt. Dieses Verfahren weist gegenüber einem solchen, das sich zur Ermittlung der normalen Exporterlöse ausschließlich auf historische Werte stützt (wie das im Lome-III-Abkommen der Fall ist, das die durchschnittlichen Erlöse der vorangegangenen vier Jahre heranzieht), den Vorteil auf, drohende gravierende Exporterlösrückgänge bereits frühzeitig abfangen zu

51

Vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt E.III.3.b dieser Arbeit.

70

C. Dislribuliv begründban: Transfers

können. Hinzu kommt, daß der Basiseffekt langer historischer Zeitreihen abgeschwächt wird. Dieser führt dazu, daß bei steigendem Trend der Exporterlösentwicklung im Referenzzeitraum erst vergleichsweise extreme Rückgänge gegenüber dem vorangegangenen Jahr den Zugang zu diesen Zuweisungen eröffnen. Umgekehrt berechtigt bei fallendem Trend der Vorjahre bereits ein vergleichsweise geringer Zuwachs der Erlöseinbußen gegenüber dem direkt davorliegendem Jahr zum Transfererhalt. Ein Beispiel52: Betrugen die Exporterlöse der vorangegangenen vier Jahre 100, 110,120 und 130 Währungseinheiten, ist im laufenden Jahr ein Erlösrückgang auf 80,5 Währungseinheiten notwendig, um in den Genuß der Zuweisungen zu gelangen53 • Gegenüber dem Vorjahr bedeutet das eine Erlöseinbuße von mindestens 38%. Beliefen sich die Exporterlöse im Referenzzeitraum dagegen auf 100, 90, 80 und 70 Währungseinheiten, ist im laufenden Jahr eine Verminderung auf 59,5 Währungseinheiten hinreichend, um eine Transferberechtigung zu bewirken. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet dies einen Mindestrückgang von gerade 15%. Solche Über- bzw. Unterzeichnungen resultierend aus historischen Erlösentwicklungen werden vermieden, wenn sich der Referenzzeitraum beiderseits des laufenden Jahres erstreckt. Zur Prognose der zukünftigen Exporterlösentwicklung kann auf die entsprechenden Methoden des IWF zurückgegriffen werdenS!. Neben der Festlegung der als normal anzusehenden Exporterlöse und der Abweichung hiervon, die als anomal und damit zuweisungswürdig zu erkennen ist, bedarf eine Operationalisierung dieses Aufgreifindikators schließlich auch der Normierung der wichtigsten Exporlgüler einer Volkswirtschaft. Als solche könnten diejenigen Güter definiert werden, welche die höchsten Anteile an den gesamten Ausfuhrerlösen des Landes haben und zusammen 50% der Exporterlöse eines Landes ausmachen55 . Die Güterklassifizierung schließlich könnte in Anlehnung an die Standard International Trade Classification (SITC) erfolgen und als Exportgut ein beliebiges ausgeführtes Gut mit einer dreisteIligen SITC-Nummer bezeichnet werden. Auch 52 Dies Beispiel iSI angelehnl an N. Wagner/ M. Kaiser/ F. Beimdiek (1989, S. 159). 53 Der Miuelwert des Referenzzeitraums beträgt 115 Währungseinheilen. Vermindert ,um 30% dieses Wertes ergibl sich als krilische Schwelle für die Zuweisungsgewährung ein Erlös von 80,5 Währungseinheilen.

54 Vgl. hienu N. Wag/ler/ M. Kaiser/ F. Beimdiek (1983, S. 152). 55 In mehreren Fällen wird es sich dabei nur um ein einziges Gul handeln. Wie eine Aurstellung bei N. Wag/ler/ M. Kaiser/ F. Beimdiek (1983, S. 74) zeigl, verfügen von den dort aurgeführten 48 Enlwicklungs- und Ölexportländern immerhin 26 Slaalen über Exportgüler mil einem Anleil von 50% und mehr an den gesamlen Exporlerlösen. [In sechs Fällen handelt es sich dabei um Erdölexportländer mit hohem Einkommen bzw. Länder mil millierem Einkommen der oberen Einkommenkalegorie, also einem PKE von mehr als S US 1810 p.a. Vgl. zu dieser Kategorisierung Wellbank (1988, S. 255).)

V. Ableitung von Finanzbedarfsindikaloren

71

diese Festlegung ist von Bedeutung, denn je breiter das Gut definiert wird Ge weniger Ziffern also die SITC-Nummer aufweist), desto eher wird die 30%Marke erreicht werden. Die Definition des Bemessllllgsilldikatol's könnte prinzipiell an zwei unterschiedlichen Punkten ansetzen. Danach umfaßte er zum einen die Höhe der erforderlichen Sonderabschreibungen zur Spezialisierung im Rahmen der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung. Zum anderen wäre auch eine Bemessung des Finanzbedarfs nach den für die Umstellung der Produktion von der obsolet gewordenen hin zur für die Volkswirtschaft nächstbesten Spezialisierungsrichtung erforderlichen Ressourcen denkbar. Die Wahl eines der beiden Ansatzpunkte zur Finanzbedarfsbestimmung entspricht der unternehmerischen Entscheidung zwischen der Heranziehung der historischen Anschaffungskosten oder des Wiederbeschaffungswertes bei der Bewertung des betrieblichen Anlagevermögens. Im vorliegenden Fall wird, entsprechend des hier verfochtenen Versicherungsprinzips, dafür optiert, die Höhe der anfallenden Sonderabschreibungen auf die historischen Investitionskosten als Grundlage für die Finanzbedarfsermittlung zu wählen. Zum einen handelt es sich bei dieser Sparte des distributiv begründeten Nord-Süd-Finanzausgleichs nämlich um eine Versicherung gegen Entgeltausfälle für bereits erbrachte Vorleistungen, so daß eine Verknüpfung der Entschädigung im Schadenfall mit einer in die Zukunft gerichteten Verwendungsauflage hier nicht gerechtfertigt erscheint. Zum anderen würde eine Bemessung des Finanzbedarfs nach der nächstbesten Spezialisierungsrichtung der empfangenden Volkswirtschaft in noch stärkerem Maße deren intime Kenntnis durch die internationale Vergabestelle bedingen. Diese Voraussetzung kann keineswegs auch nur halbwegs als erfüllt angesehen werden. Als Indikator kommt also das Ausmaß der einmaligen Sonderabschreibungen auf durch strukturelle Weltmarktveränderungen entwertete Investitionen in Betracht, soweit sie nicht für die nächstbeste Spezialisierungsrichtung verwendbar sind, also irreversibel entwertetes Human- und Sachkapital darstellen. Zu korrigieren sind sie um die im Gewinn der vergangenen Jahre enthaltene Risikokomponente. Es liegt jedoch auf der Hand, daß angesichts des globalen Charakters des hier beschriebenen Distributionsmechanismus eine solche Einzelfallbestimmung des Finanzbedarfs weder möglich ist noch erstrebenswert wäre. Als Ersatzindikator kommt die Bemessung des Finanzbedarfs nach den ausgefallenen Exporterlösen in Betracht. Allerdings weist dieser Indikator verschiedene systematische Mängel auf: In den Exporterlösen sind auch Anteile zur Abdeckung der mit keinerlei Irreversibilitäten behafteten kurzfristigen Produktionskosten (Umlaufvermögen) enthalten, so daß hierdurch eine Überzeichnung der tatsächlich entstandenen Schäden bewirkt würde.

72

C. Distributiv begründbare Transfers

Sind in den Exporterlösen über den Normalgewinn hinausgehende Risikoprämien für die Spezialisierungsinvestitionen enthalten, die ja bereits ein Entgelt für die Inkaufnahme des Spezialisierungsrisikos darstellen, würden sie gleichfalls den Schaden zu hoch ausweisen und ergäbe sich durch die zusätzliche Inanspruchnahme der Versicherung qua Finanzzuweisung eine doppelte Entschädigung für ein und denselben Sachverhalt. Sind in den Exporterlösen über den Normalgewinn hinausgehende Monopolrenten enthalten, sei es, weil ein Land als einziger Anbieter des betreffenden Gutes am Markt auftritt oder mehrere Anbieter sich zu einem Kartell zusammengeschlossen haben, überzeichnen sie ebenfalls den tatsächlich eingetretenen Schaden, denn es ist nicht Aufgabe einer Versicherung qua Finanzzuweisung, wegfallende Monopolrenten zu ersetzen. Andersherum könnte im Zusammenhang mit dem zuletzt genannten Monopolfall das Argument vertreten werden, die ausfallenden Exporterlöse würden die Kapitalentwertung unterzeichnen, wenn umgekehrt die Abnehmerländer ein Nachfragerkartell bildeten und dadurch die Exporteure quasi zwängen, auf längere Sicht unterhalb des Betriebsoptimums ?:u produzieren. Tatsächlich lassen sich viele Thesen zur Unterentwicklung der Dritten Welt als Folge internationaler Wirtschaftsbeziehungen im Kern auf dieses Argument zurückführen. Dessen empirische Relevanz ist allerdings umstritten. Wahrscheinlicher ist der Fall, daß Abnehmerländer Importrestriktionen zum Schutze der heimischen Wirtschaft errichten und so einen Preisverfall und damit verminderte Exporterlöse für die Erzeugerländer verursachen, den diese nicht zu verantworten haben. Dann aber ist es nicht sinnvoll, der Ölfleckentheorie folgend einen schädlichen staatlichen Eingriff durch einen zweiten (hier also die Errichtung eines Versicherungsfonds mit entsprechenden Finanzzuweisungen im "Schadenfall") beheben zu wollen, sondern von vornherein auf den Verzicht der Importbarrieren zu drängen. Neben den damit genannten systematischen Verzerrungen des Indikators nach oben tritt als weiteres Problem die Schwierigkeit hinzu, im Einzelfall die zum Zeitpunkt des Eintretens des exogenen Schocks noch ausstehende Nutzungsdauer der betreffenden Investition zu ermitteln, denn davon hängt unmittelbar die Höhe des ausfallenden Exporterlöses ab. All dies führt letztlich zu der Erkenntnis, daß dieser Indikator als Ersatzindikator für die Höhe der erforderlichen Sonderabschreibungen nur unter erheblichen Abstrichen verwendet werden kann. In Ermangelung anderer handhabbarer Alternativen bleibt jedoch letztlich nur die Möglichkeit, zur Bemessung des Finanzbedarfs zur Abmilderung exogener Schocks einen bestimmten Bruchteil der durch den Aufgreifindikator ermittelten Exporterlösausfälle heranzuziehen.

V. Ableitung von Finanzbedarfsindikatorell

73

3. Fillallzbeda1e zur Abjedelllllg VOll Allpassungs/asten durch ordllllllgspo/ilische Korrektu177laß/lalllllell Auf der Grundlage des Versicherungsprinzips im weiteren Sinne waren in Abschnitt 11.1 dieses Kapitels im Rahmen einer nachhaltigen (Wieder-) Heranführung unterentwickelter Volkswirtschaften an die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung zwei verschiedene Anknüpfungspunkte für distributive Transfers abgeleitet worden. In diesem Abschnitt werden zunächst die Transfers zur Abfederung von Anpassungslasten behandelt, die aus der Durchführung ordnungspolitischer KorrekturmaBnahmen resultieren, soweit diese sich als nötig erweisen, um in dem Land vorhandene Entwicklungspotentiale freisetzen zu können. Als Aujgreijilldikatorell zur Erkennung ordnungspolitischen Handlungsbedarfs und der dafür erforderlichen Finanzmittel kommt die Palette der üblichen makroökonomischen Indikatoren in Bctracht. Hierzu zählen beispielsweise Inflationsrate, Leistungsbilanzdcfizit und externer Finanzierungsbedarf zum Ausgleich der Zahlungsbilanz, Arbeitslosigkeit und Lohnniveau, Entwicklung der Rcalzinsen, Wirtschaftswachstum, Staatsquote, Höhe der Staatsverschuldung, Antcil dcr Staatsunternehmen an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung, Indikatoren zur Verzerrung relativer Preise und andere mehr. Die Betrachtung dieser Indikatoren und ihr Vergleich mit denen anderer, ähnlich strukturierter Länder kann erste Anhaltspunkte liefern für einen Verdacht auf ordnungspolitische Defizite eines Landes, die möglicherweise als Ursache für eine insgesamt unbefriedigende Wirtschaftslage anzusehen sind. Auf der Grundlage dieses ersten Verdachts wären dann Einzeluntersuchungen für die betroffcnen Länder anzufertigen, die im einzelnen den exakten ordnungspolitischen Handlungsbedarf benennen. Im folgendcn erfolgt losgelöst von Einzelfällen eine Darstellung wirtschaftspolitischer Eingriffe, die in unterschiedlicher Mischung häufig in Entwicklungsländern beobachtet werden können. Dies geschieht zu dem Zweck, einen Eindruck von dem Ausmaß der erforderlichen Reformen zu vermitteln, die letztlich unumgänglich sein werden, um diesen Ländern einen festen Stand in der Weltwirtschaft zu verschaffen und zugleich erste Anhaltspunkte für den Umfang des erforderlichen Finanzbedarfs zu gewinnen. Grundsätzlich läßt sich eine mehr oder weniger weitgehend interventionistische Politik der Importsubstitution als Charakteristikum der nationalen Wirtschaftspolitik vielcr Entwicklungsländer feststellen S6• Diese

56 So jedenfall der Tenor einer Einordnung der in den Ländern Schwarzafrikas betriebenen Wirtschaftspolitik bei F. Schal1m (1988, S. 117 ff.).

74

C. Distributiv begründbare Transfers

zeigt sich in einer Ausrichtung an ordnungspolitischen Leitbildern, deren Implementierung besonders hohe Anforderungen an die administrativen Planungs-, Entscheidungs-, Durchführungs- und Kontrollhierarchien stellt, die jedoch gerade in den Entwicklungsländern nicht anzutreffen sind, oder auch der Abwesenheit jeglicher ordnungspolitischer Grundlegung überhaupt. Beides hat für die Prozeßpolitik ein Bündel mehr oder weniger unkoordiniert nebeneinander herlaufender wirtschaftspolitischer EinzeImaßnahmen zur Folge, die erhebliche schädliche Nebenwirkungen für die gesamte wirtschaftliche Entwicklung nach sich ziehen können. Insbesondere die im folgenden genannten prozeßpolitischen Maßnahmen sind für viele Entwicklungsländer in diesem Zusammenhang von Bedeutun/f:

(1) Geldpolitik: Die in Entwicklungsländern ergriffenen geldpolitischen Maßnahmen wirken häufig wachstumshemmend. Die Zinspolitik betreibt oftmals die Fixierung von Maximalzinssätzen, die in der Regel spürbar unter dem Gleichgewichtszinssatz liegen. Begründet wird dies hauptsächlich mit den daraus vermuteten Investitionsanreizen und dem Schutz kleiner Kreditnehmer vor ausbeuterischen Praktiken großer Kreditgeber . Die Geldmengenpolitik ist im Regelfall expansiv orientiert. Von d~r direkten Zugriffsmöglichkeit der Regierungen auf die Notenbank geht eine starke Versuchung aus, gerade in Zeiten der Bedrängnis Staatsausgaben durch Geldschöpfung zu finanzieren. Die daraus resultierenden Inflationsraten führen bei unverändert niedrig gehaltenen Maximalzinsen zu negativen Realzinsen58• Dies hat unmittelbar eine rückläufige private Ersparnisbildung und damit letztlich auch - entgegen der explizit mit dieser Maßnahme verfolgten Absicht ein rückläufiges Investitionsvolumen zur Folge. Darüber hinaus stellt eine solche Kapitalsubventionierung qua Zinsplafondierung eine relative Verbilligung des Kapitals gegenüber dem Faktor Arbeit dar und begünstigt von daher tendenziell kapitalintensive Investitionen in einem Umfeld reichlich vorhandener Arbeitskraft. Schließlich gibt diese Zinspolitik auch verstärkt Anlaß zu einer Kapitalflucht ins Ausland bzw. zu einem überhöhten Konsumniveau. Die hieraus und aus der beschriebenen Geldmengenpolitik resultierende Inflationsgefahr ihrerseits ist geeignet, das Vertrauen in die eigene Währung zu untergraben, Schwarzmärkte und Parallelwährungen

57

Vgl. jm folgenden F. Schal1m (1988, S. 140 ff.) und H.-P. Fröhlich (1986, S. 19 ff.).

58

Ein empirischer Nachweis für ausgewählte Länder findet sich bei H.-P. Fröhlich (1986,

S. 30, Tab. 1).

V. Ableitung von Finanzbedarfsindikatoren

75

entstehen zu lassen und die Rentabilitätserwartungen zukünftiger Investitionen zu schmälern.

(2) Wäll1llllgspolilik: Auch die währungspolitischen Maßnahmen wirken qua künstlich überhöhter Wechselkurse in vielen Entwicklungsländern kontraproduktiv für die Entwicklung des Landes. Relativ überhöhte Güterpreise und relativ zu niedrige Zinsen im Entwicklungsland erhöhen die Anreize für Güterimporte und Kapitalexporte und führen somit zu einem Druck auf den Wechselkurs dieses Landes. In den meisten Entwicklungsländern wird dies jedoch verhindert durch die feste Kopplung ihrer Währung an eine ausländische Leitwährung, verbunden mit Maßnahmen der Devisenbewirtschaftung. Begründet wird dies mit der Verhinderung einer importierten Inflation. Des weiteren wird als Grund dafür die Verbesserung der Commodity-terms-of-trade des betreffenden Landes genannt. Dieses Argument ist jedoch nur für den Fall stichhaltig, daß das Exportland bei seinen Exportgütern Anbietermacht ausüben kann und die Nachfrage nach diesen Gütern auf dem Weltmarkt in ausreichendem Maße preisunelastisch ist. Hinzu kommt, daß in der Regel nicht Länder exportieren, sondern Unternehmen. Hierzu müßte sich dann im Exportland also ein Kartell bilden. Schließlich wird auch das Argument angeführt, daß durch die vermiedene Wechselkurskorrektur die Importe für politisch einflußreiche Gruppen des Landes verbilligt werden59 • Diese fehlende Korrektur der Wechselkurse kommt einer realen Überbewertung der eigenen Währung gleich. Dies hat in mehrfacher Hinsicht negative Konsequenzen: Es kommt zu vermehrten Güterimporten, was nach übermäßiger Ausdünnung der eigenen Devisenreserven dann oftmals zu weiteren staatlichen Eingriffen in Form zollpolitischer Maßnahmen führt, die wiederum eine generelle Importrestriktion ungeachtet der gesamt wirtschaftlichen Präferenzstrukturen zur Folge haben. Gleichzeitig wird dadurch eine Verteuerung der eigenen Exporte bewirkt. Weiterhin ist mit zunehmenden Kapitalexporten (Kapitalflucht) zu rechnen, da nunmehr die Auslandswährung gegenüber der Inlandswährung künstlich verbilligt wurde, neben der bereits erwähnten Maximalzinspolitik ein weiteres Moment in Richtung Kapitalabzug. Als drille Triebfeder der Kapitalflucht aus ökonomischen Gründen (daneben spielen auch politische Aspekte eine Rolle) ist die Erwartungshaltung der Kapitaleigner zu sehen: Das bei Überbewertung der eigenen Währung ins Ausland transferierte Kapital kann bei letztendlicher Kursanpassung dann mit einem Spekulationsgewinn in

59

Vgl. hierzu H. H. GlisII/allll lI.a. (1987, S. 136 ff.).

76

C. Distributiv begründbare Transfers

Höhe dieser Anpassung (in inländischer Währung) wieder ins Inland zurückgeführt werden 60 • Umgekehrt sind hieraus auch verminderte Anreize für marktmäßige Kapitalimporte zu erwarten. Dies betrifft insbesondere ausländische Direktinvestitionen, die insbesondere dann ins Stocken geraten werden, wenn ftxierter und tatsächlicher Wechselkurs so weit auseinanderklaffen, daß mit einer Wechselkursanpassung über kurz oder lang gerechnet werden muß.

(3) Finanzpolitik: Auch von einer hohen Staatsquote und einseitig struktu-

rierten Steuerpolitik in vielen Entwicklungsländern können entwicklungshemmende Wirkungen ausgehen. Besonders kennzeichnend ist die expansive Ausgabenpolitik des Staates. Begründet liegt dies insbesondere in dem umfassenden Gestaltungsanspruch, der dem Staat zugemessen wird, was sich letztlich auch in einer stark ausgeweiteten öffentlichen Verwaltung mit entsprechend hohen Sach- und Personalkosten widerspiegelt. Daneben sind sozialpolitisch motivierte Subventionierungen von Gütern für bestimmte Bevölkerungskreise, Ausgaben für umfangreiche Militärapparate und Prestigeobjekte sowie budgetwirksame Verlustabdeckungen für staatseigene Unternehmen zu nennen. All dies hat einen umfangreichen Abzug von Ressourcen aus dem privaten Sektor zur Folge. Andernfalls - bei Finanzierung der Staatsausgaben durch Verschuldung im Ausland oder bei der eigenen Notenbank ist mit starken Inflationsimpulsen zu rechnen. Die Verschuldung führt darüber hinaus nur zu einer Verschiebung und Vertiefung der Anpassungszwänge in die bzw. der Zukunft, wenn die Kredite konsumtiv verwendet werden. Dies ist, wie die Verschuldungskrise der Entwicklungsländer in den 80er Jahren aufgedeckt hat, offenbar in umfangreicher Weise der Fall gewesen.

Diese Gefahren sind um so größer einzuschätzen angesichts der Tatsache, daß andererseits die Einnahmenpolitik gekennzeichnet ist durch eine im Vergleich zu den Industrieländern sehr viel geringere Steuerhlstquote und eine Steuerstruktur, die typischerweise einseitig den Schwerpunkt auf die Erhebung indirekter Steuern legt 61 • Da der Allgemeinheitsgrad dieses Steuertyps in der Regel wesentlich geringer ist als derjenige direkter Steuern, ist entsprechend in stärkerem Maße mit dem Auftreten volkswirtschaftlich unerwünscher Substitutionseffekte der Besteuerung neben dem Ei'lkommenseffekt zu rechnen. In besonde-

60

Zur empirischen Relevanz der Kapitalflucht insgesamt für ausgewählte Länder vgl. H.-P.

Fröhlich (1986, S. 37, Tab. 2).

61 Vgl. hienu die Ausführungen zur Messung der Steuerkraft in Abschnitt IV dieses KapitelS.

V. Ableitung von FinanzbedarCsindikatoren

77

rem Maße gill dies für die Erhebung fiskalisch motivierter Ausfuhrzölle, die ja die Exporte des Landes unmittelbar verteuern. Analog trifft dies auch für Einfuhrzölle zu, die zusätzliche inflatorische Auswirkungen haben können (dabei hängt das Ausmaß der schädlichen Einwirkungen jeweils von den entsprechenden Preiselastizitäten der Nachfrage ab). Weu/Jewer/Jspo/ilik: I n vielen Fällen ist auch eine unterlassene Beseitigung oder ein forcierter Ausbau von wettbewerbstörenden Maßnahmen zu beobachten. Mit der Begründung, von außenpolitischen und insbesondere außenwirtschaftsbedingten Einflüssen unabhängig zu werden und den Aufbau einer eigenständigen Industrie im Sinne des Listsehen Erziehungszollarguments zu fördern, betreiben viele Entwicklungsländer eine Politik der Importsubstitution, die in einer systematischen Diskriminierung ausländischer Anbieter resultiert und insbesondere mit den Mitteln der ZoIIpolitik, der Verstaatlichung oder der gesetzlich vorgeschriebenen Mehrheitsbeteiligung inländischer Unternehmen bei ausländischen Direktinvestitionen betrieben wird 62 • Als Folge stellt sich jedoch oftmals eine Spezialisierung in Sektoren ein, die nicht den komparativen Vorteilen des Landes entspricht und sich bei Wegfall der Schutzmaßnahmen als nicht lebensfähig erweist.

(4)

Die ordnungspolitische Grundlegung in vielen Entwicklungsländern führt darüber hinaus zu einer systematischen Begünstigung staatseigener Unternehmen gegenüber dem privaten Sektor. Diese ergibt sich bereits aus der staatlichen Bestandsgarantie, wonach im Zweifelsfall Verlustfälle über das Budget abgedeckt werden und setzt sich fort im informellen Bereich durch eine prioritäre Zuteilung von Devisen im Rahmen der DevisenbewirtschafLung oder einer Vorzugsbehandlung bei öffentlichen Genehmigungsverfahren. Analog wiederum ist in dieser Hinsicht der privatwirtschaftlieh organisierte moderne Sektor bevorteilt gegenüber dem informellen Sektor, der zusätzlich unter der ständigen Ungewißheit staatlicher Verfolgung und Auflösung operiert. In einigen Ländern hat sich unter stillschweigender Duldung oder mit aktiver Beteiligung der jeweiligen Regierung eine Monopolisierung von Märkten durch einheimische oder ausländische Privatunternehmen ergeben63 • Die genannten Maßnahmen haben letztlich zu einer Behinderung oder sogar Verhinderung des Heranwachsens einer einheimischen Unternehmerschicht und der sich daraus ergebenden zukünftigen Wachstumschancen geführt.

62 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur Importsubstitutionsstrategie weiter oben in Abschnitt B.n dieser Arbeit. 63

Zu Beispielen hierzu vgl. H. Sal/llc,. (1986, S. 271 CC.).

78

C. Distributiv begründbare Transfers

Schließlich ist auch verschiedentlich eine Diskriminierung der wirtschaftlichen Betätigung ethnischer Minderheiten in Entwicklungsländern zu beobachten, die sich in selektiver Enteignung, dem Verbot oder der Beschränkung der unternehmerischen Tätigkeit aufbestimmte Orte oder Produkte, einer Diskriminierung bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst oder auch der Vertreibung äußert. Da ethnische Minderheiten oftmals wirtschaftlich überdurchschnittlich erfolgreich sind, entsteht durch solche Maßnahmen ein entsprechend hoher Wachstumsverlust, wenn die Mehrheitsbevölkerung nicht in der Lage ist, die abgängigen Wirtschaftssubjekte aus ihren Reihen adäquat zu ersetzen«>!. (5) Stmkt1l17Jo/ilik: Von besonderer Bedeutung für viele Entwicklungsländer

ist die systematische Benachteiligung des primären zugunsten des sekundären Sektors der Volkswirtschaft. Zum Zwecke der Finanzierung der aus Gründen der Importsubstitutionsstrategie angestrebten Industrialisierung, aber auch zur Verminderung der Lebenshaltungskosten der für die politische Legitimation der Entwicklungsländerregierungen besonders wichtigen Stadtbevölkerung sehen sich die Erzeuger landwirtschaftlicher Produkte beim Verkauf ihre Ernten einer monopolistischen staatlichen Ankaufgesellschaft gegenüber, der sie zu Preisen verkaufen müssen, die teilweise erheblich unter den am Markt erzielbaren Preisen liegen6S • Dies hat zur Folge, daß viele Landwirte ihre Waren auf Parallel märkten absetzen, ins Ausland verschieben, zur Subsistenzwirtschaft zurückkehren oder aber - zumindest teilweiseaus der landwirtschaftlichen Produktion ausscheiden und in die ohnehin bereits überfüllten Metropolen abwandern. Für die Volkswirtschaft als ganzes hat dies die langfristige Konsequenz eines verminderten Wachstums, einer zunehmend gestörten Bevölkerungsverteilung im Raum mit entsprechend negativen Folgewirkungen und steigender, devisenzehrender Nahrungsmittelimporte.

(6) Eillkommellspo/itik: Schließlich können auch Maßnahmen der Ein-

kommenspolitik zu wohlstandsmindernden Fehlentwicklungen in vielen Ländern der Dritten Welt beitragen. Zur Gewährleistung eines bestimmten Lebensstandards der im städtischen formalen Sektor Beschäftigten sind von zahlreichen Entwicklungsländerregierungen gesetzliche Bestimmungen bezüglich Mindestlöhnen und Sozialversicherungen der Arbeitgeber erlassen worden. Dies kann eine künstliche

64 Zurwirlschafllichcn Dcdculungethnischer Minderheiten einschließlich eines empirischen . Nachweises für die Slaalcn Uganda, Kenia und Tanzania vgl. G. Hil'lh (1990).

6S Zur Relevanz solcher Preisverzerrungen für verschiedene Länder vgl. die empirischen Schätzungen in Wellbank (1983, S. 70 Tab. 6.1 und S. 74, Abb. 6.1).

c.,

V. Ableitung von Finanzbedarfsindikatoren

79

Verteuerung des reichlich vorhandenen Faktors Arbeit bewirken und birgt damit langfristig die Gefahr einer zu kapitalintensiven Produktion in diesem Sektor in sich. Das gilt um so mehr, wenn gleichzeitig in diesen Ländern eine Maximalzinspolitik der oben beschriebenen Art betrieben wird66• Die Ausführungen zeigen, daß hier erhebliche Potentiale für ordnungspolitische Korrekturmaßnahmen existieren. Es liegt unmittelbar auf der Hand, daß die Verwirklichung dieser Reformen, auch bei Inkaufnahme eines hinreichend langen Zeitraums der Umsetzung, zu erheblichen Anpassungslasten auch armer Bevölkerungsschichten führen wird, für die ein BemessulJgsilJdikator zu finden nunmehr erforderlich ist. Als Träger der Anpassungslasten kommen hauptsächlich die Bewohner der Metropolen und hier insbesondere die öffentlich Bediensteten und solche im urbanen formalen Sektor Beschäftigten in Betracht. Diese Gruppe profitiert zwar von einer über ihrer Grenzproduktivität liegenden Entlohnung ihrer Arbeit auf der einen sowie subventionierten, importierten Nahrungsmitteln und künstlich verbilligten öffentlichen Leistungen (Verkehrssysteme, Energieversorgung) auf der anderen Seite, ist aber gleichwohl in der überwiegenden Mehrzahl zu den armen Bevölkerungskreisen zu rechnen. Andererseits könnte kurzfristig auch eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation bislang benachteiligter armer Bevölkerungsgruppen (z.B. der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung) eintreten. Volkswirtschaftlich gesehen ist insbesondere mit zwei verschiedenen Arten von Anpassungskosten zu rechnen67 : Erstens bewirken die durch Reformen verursachten Änderungen der Anreizstrukturen und die damit zwangsläufig einhergehenden Umschichtungen von Ressourcen eine Übergangsrezession mit entsprechendem Rückgang von Produktion, Beschäftigung und Konsum, was relativ gleichmäßig die gesamte Bevölkerung treffen wird. Zweitens bewirkt der dauerhafte Charakter der Ressourcenumschichtung, wie eben bereits kurz dargelegt, darüber hinausgehende strukturelle Anpassungskosten für die in den bislang subventionierten Bereichen der Volkswirtschaft aktiven Bevölkerungsteile. Die Höhe des hieraus resultierenden Finanzbedarfs hängt nun ab von der bisherigen Dauer und Intensität der ökonomisch bedenklichen wirtschaftspolitischen Eingriffe in den Empfängerländern, dem angestrebten Zielerreichungsgrad und damit dem Ausmaß der erforderlichen Korrekturen,

66 Zur empirischen Bedeutung dieses Sachverhalts vgl. auch hier die Schätzungen in Weltbank (1983, S. 70 f., Tab. 6.1 und S. 74, Abb. 6.1). 67

Vgl. hierzu Y. HI/ang/ P. Nicholas (1987, S. 22).

80

C. Distributiv begründbare Transfers

der Größe des von den Anpassungskosten besonders betroffenen Bevölkerungsteils, der Flexibilität der betroffenen Wirtschaftssubjekte, auf die veränderten Rahmenbedingungen zu reagieren und schließlich der Länge des für die Umstellung vorgesehenen Zeitrahmens. (Es kann vermutet werden, daß die Anpassungskosten c.p., d.h. nur in Abhängigkeit des vorgesehenen Anpassungszeitraums gesehen, einen U-förmigen Verlauf aufweisen: Bei zu schneller Anpassung kann es zu hektischen Fehlentscheidungen der unter sehr hohem Anpassungsdruck stehenden Wirtschaftssubjekte kommen, bei einem zu lang bemessenen Anpassungszeitraum dagegen entstehen Folgekosten in Form unterlassener, gleichwohl möglich gewesener Ressourcenumschichtungen.) Für jede der beiden oben unterschiedenen Anpassungskostenarten (Kosten der Anpassungsrezession und Kosten der strukturellen Anpassung) wäre unter Berücksichtigung der eben beschriebenen Finanzbedarfseinflußgrößen nun ein geeigneter Bemessungsindikator zu formulieren. Dieses Unterfangen ist jedoch bereits bei einem strikt länderspezifischen Vorgehen letztlich kaum durchführbar. Als Vereinfachung könnte deshalb zur Abdeckung der oben zuerst genannten rezessiven Komponente der Anpassungskosten eine generelle Abschlagszahlung gewährt werden für den Fall, daß ein Empfängerland sich zur Durchführung wirtschaftspolitischer Reformen entschließt, und als deren Konsequenz eine (mittels statistischer Verfahren zu untermauernde) Verschlechterung der makroökonomischen Zielgrößen Inflationsrate, Beschäftigung, Produktion und Außenbeitrag eintritt. Dabei hinge Höhe und Dauer dieser Zahlung von Ausmaß und Intensität der Umstellung sowie dem Umfang des betroffenen Bevölkerungskreises ab: Das Ausmaß der für ein bestimmtes Land erforderlichen Umstellung ergibt sich - bei gegebenem, für alle Länder als gleich hoch unterstellten Zielniveau in Form bestimmter Mindeststandards an wirtschaftlicher Dispositionsfreiheit der Individuen - aus der in dem betreffenden Land vorzufindenden ordnungspolitischen Situation. Zu deren jeweiliger Charakterisierung kann auf verschiedene empirische Studien zurückgegriffen werden, die eine entsprechende Klassifizierung der potentiellen Empfängerländer gestatten68•

68 Für Schwanafrika z.B. vgl. die Untersuchungen von F. SchallllI (1988), E. Görgens (1983) und Wissenschaftlicher Beirat beim BMZ (1985).

v. Ablcitung von Finanzbcdarfsindikatorcn

81

Die einem bestimmten Land maximal zumutbare Umstellungsintensität ergibt sich aus der jeweiligen Flexibilität der Produktionsfaktoren, auf geänderte Umweltbedingungen zu reagieren. Neben den eben genannten politischen Begrenzungsfaktoren hängt dieses Potential, wie im folgenden Abschnitt der Arbeit noch genauer zu beschreiben sein wird, auch von den natürlichen Umweltbedingungen und sozio-kulturellen Normen ab, die den grundsätzlich vorhandenen Entfaltungswillen einengen. Je tiefgreifender diese Fesseln des individuellen Gestaltungswillen sind undje länger sie bereits wirken, desto geringer ist die Flexibilität der Produktionsfaktoren zu veranschlagen. Hier wird zur länderweisen Bestimmung dieses Potentials auf jeweilige Länderstudien zurückzugreifen sein. Der schließlich in einem Land vorzufindende Kreis der Betroffenen wird im Fall der rezessiven Komponente der Anpassungskosten beschrieben durch die gesamte Bevölkerung, die mehr oder weniger gleich stark von diesen Kosten betroffen sein wird, mit der Ausnahme allerdings der im Subsistenzsektor Tätigen. Ebenfalls ausgeschlossen werden kann der Bevölkerungsanteil mit einem Einkommen oberhalb eines bestimmten Mindesteinkommens, dem ein Tragen seiner Anpassungslasten zugemutet werden kann. Damit ergeben sich zusammengefaßt die folgenden Operalionalisierungsanforderungen an den Bemessungsindikator zur Ermilllung des Finanzbedarfs zur Linderung der Anpassungslasten durch eine allgemeine Rezession: Einordnung der potentiellen Empfängerländer nach ihrem Regulierungsintensität auf einer Ordinalskala auf der Grundlage von (bereits existierenden) Untersuchungen ihrer jeweiligen ordnungspolitischen Ausrichtung, Einordnung dieser Länder nach dem Umfang ihrer Reaktionsflexibilität auf einer Ordinalskala auf der Grundlage von Länderstudien über das Ausmaß der Begrenzungsfaktoren natürlicher und sozio-kultureller Art, sowie Ermittlung der in jedem Land anrechenbaren Bevölkerungsgröße (Gesamteinwohnerzahl abzüglich Subsistenz- und vermögender Bevölkerung). Bemessungsindikator für die Bestimmung des Finanzbedarfs zur Linderung der oben an zweiter Stelle genannten strukturellen Komponente der Anpassungskosten sind die bei den armen Bevölkerungsschichten eintretenden Einkommensverluste (Verlust des Arbeitsplatzes, Verteuerung von Nahrungsmitteln und lebensnotwendigen öffentlichen Leistungen wie Energie und Transport). Diese Einkommensverluste sind für eine angemessene Dauer 6 Scheube

82

C. Distributiv begründbare Transfers

zu kompensieren (Auffinden eines neuen Arbeitsplatzes, Rückkehr aufs Land). Die Berechtigung der Kompensation ergibt sich aus der von den betroffenen Wirtschaftssubjekten nicht zu verantwortenden falschen Signalwirkung durch die vormalig künstlich verzerrten Preise. Die Ermittlung der länderspezifischen Ausprägungen der Einflußgrößen dieses Finanzbedarfs erfolgt analog zu jener der rezessiven Komponente der Anpassungskosten. Als Größe des Empfängerkreises kommt hier abweichend die Stadtbevölkerung in den Empfängerländern abzüglich der Einwohner, die ein bestimmtes Mindesteinkommen überschreiten, in Frage. Die genaue Abschätzung des erforderlichen Finanzbedarfs zur Abfederung von Anpassungslasten durch ordnungspolitische Korrekturmaßnahmen wird sich natürlich als schwierig erweisen. Verschiedene Untersuchungen der Auswirkungen von Strukturanpassungsprogrammen auf die Einkommensverteilung in Entwicklungsländern, die ja als Grundlage für die Ermittlung des hier zu bestimmenden Finanzbedarfs heranzuziehen wären, offenbaren hier erhebliche methodische Schwierigkeiten und empirische Defizite69 • Methodisch ergeben sich Probleme beispielsweise bei der Identifizierung und Abgrenzung der Übertragungsmechanismen, mittels derer Anpassungsmaßnahmen sich in Änderungen der Einkommensverteilungen niederschlagen. Unwägbarkeiten ergeben sich auch durch die unterschiedliche Wirkungsweise verschiedener, in Strukturanpassungsprogrammen gewöhnlich zusammengefaßter Maßnahmen, die sich in ihren Auswirkungen auf die Einkommensverteilung gegenseitig aufheben oder verstärken können. In dynamischer Hinsicht kommen Schwierigkeiten bei der Prognose der zeitlichen Verteilung der Maßnahmenwirkungen auf die Einkommensverteilung hinzu. Nicht zuletzt ist auch die Isolierung der Auswirkungen von Strukturanpassungsmaßnahmen von anderen, exogenen Einflüssen problematisch. Begleitet werden diese methodischen Schwierigkeiten darüber hinaus von empirischen Defiziten. Angesichts einer nur rudimentär vorhandenen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung in vielen Entwicklungsländern fehlen die für eine Quantifizierung des Finanzbedarfs erforderlichen Ausgangsdaten. Es offenbart sich hier ein erheblicher Konkretisierungsbedarf in den aufgezeigten Richtungen. Gleichfalls wird aber auch deutlich, daß bei der Feststellung des erforderlichen Finanzbedarfs vielfach Plausibilitätsannahmen getroffen und damit auch Ungenauigkeiten in Kauf genommen werden müssen, um diese - wie sich in Kapitel F zeigen wird ökonomisch legitime Begründung distributiver Transfers praktisch umsetzen zu können.

69

1495).

So das Fazit einer einschlägigen Literaturübersicht in L. Demeryj T. Addison (1987, S.

V. Ableitung von Finanzbedarfsindikaloren

83

4. Fi"a"zbedarfe zur umfasse"de" Hera"fühnmg der Bevölkenmg a" die arbeitsteilige Wirtschaft

Als Aufgreiji"dikator zur Erkennung weitreichender struktureller Defizite, welche die Heranführung des Landes an die weltwirtschafLliche Arbeitsteilung grundlegend verhindern, könnte eine Subsistenzquote definiert werden als dem Verhältnis des im Subsistenzsektor erzielten Produktionswertes zum Bruttoinlandsprodukt. Als kritischer Wert könnte z.B. 20 % festgelegt werden70• Die Gültigkeit dieses Indikators ergibt sich aus der Tatsache, daß die nachhaltige binnenwirtschaftliche Teilnahme des überwiegenden Teils der Bevölkerung letztlich unverzichtbare Voraussetzung für die Entwicklung des Landes und damit auch dessen umfasse"pe Teilnahme am Welthandel darstellt. Prima vista ist diese Teilnahme am Welthandel zwar auch bei hoher Subsistenzquote denkbar, wenn infolge einer ausgeprägt dualistischen Wirtschaftsstruktur ein hochmoderner exportorientierter Produktionssektor dem Subsistenzsektor gegenübersteht. Die in dieser Situation fehlende ökonomische Teilnahme eines Großteils der Bevölkerung und damit letztlich auch die fehlende gesellschaftliche Legitimation dieses Zustandes dürfte jedoch längerfristig dessen Fortbestand als nicht gewährleistet erscheinen lassen. Deshalb ist zwecks dauerhafter Absicherung dieser Teilnahme an der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung auch in dieser Situation (hohe Außenwirtschaftsquote bei gleichzeitig hoher Subsistenzquote) deren eben so bezeichneter umfasse"der Charakter noch herbeizuführen und entsprechend der hier vorgestellten Konzeption zu fördern. Probleme werden sich jedoch bei der Messung des Indikators Subsistenzquote ergeben, die in dem Schattendasein der dort aktiven Bevölkerung und damit auch der Abwesenheit jeglicher statistischer Messungen begründet liegen. Entsprechend existieren auch nur vereinzelte grobe Schätzungen über den Umfang dieses Sektors71 • Als Ersatzindikator könnte deshalb bis auf weiteres die Analphabetenquote .(definiert als Verhältnis der Analphabeten zur Gesamtbevölkerung) herangezogen werden. Der Wahl dieses Indikators liegt die Hypothese zugrunde, daß das Verharren im Subsistenzbereich zu einem bestimmten Teil auch auf eine fehlende allgemeine Bildung und spezielle Ausbildung zurückzuführen ist, die das Individuum zum Überwinden der seinen Handlungsspielraum und Handlungswillen einengenden umweltbedingten, sozio-kulturellen und politischen Faktoren 70 In verschiedenen Ländern vor allem Schwarzafrikas und Südasiens erreicht diese Quote offensichtlich Werte zwischen 30% und 50% (diese Angaben beziehen sich allerdings auf Volumenangaben). Vgl. H.-R. Hemmer (1988, S. 13). 71

Vgl. H.-R. Hemmer (1988, S. 13).

c. Distributiv begründbare Transfers

84

befähigen würde. Umgekehrt ist Bildung als ein Schlüsselbereich für die Forcierung der Entwicklung des Landes anzusehen 72• Im folgenden soll zunächst kurz losgelöst von Einzelfällen auf die Ursachen des Verharrens breiter Bevölkerungskreise in der Subsistenzwirtschaft in vielen Entwicklungsländern eingegangen werden. Auf dieser Grundlage lassen sich anschließend Maßnahmen formulieren und der für deren Umsetzung erforderliche Finanzbedarf ermitteln. Drei Ursachenkomplexe lassen· sich unterscheiden: (1) Natürliche Umweitbedillgllllgell: Hier sind vor allem extreme Klimaverhältnisse, schlechte Bodenqualität und ungünstige topographische Bedingungen als beeinträchtigende Faktoren zu nennen. Hinzu kommt das Auftreten einer Reihe von im tropischen und subtropischen Klima gute Überlebensbedingungen vorfindenden Krankheitserregern für Mensch und Tier (z.B. Schlafkrankheit, Bilharziose, Malaria). So sind z.B. in Schwarzafrika diese Faktoren fast durchgängig im Verbund anzutreffen73 • Es liegt auf der Hand, daß bei Vorherrschen solcher Anbaubedingungen die Produktivität geringer ausfallen wird als in klimatisch gemäßigten Breiten und angesichts der hohen Ernteausfallrisiken bedingt durch die besonderen Unwägbarkeiten des Wetters74 der Anreiz zur Subsistenzwirtschaft (nicht mehr arbeiten als eben für das eigene Überleben erforderlich) größer ist als anderswo. Gleichwohl ergibt sich daraus nicht die Schlußfolgerung, daß dies unumgänglich die Subsistenzwirtschaft zur Folge hat. Es zeigt sich vielmehr, daß z.B. die afrikanischen Landwirte über die Zeit Produktionsmethoden entwickelt haben, die den widrigen Umweltbedingungen gut angepaßt sind7s• Die Konsequenz der natürlichen Umweltbedingungen ist vielmehr, daß die potentiellen Hektarerträge immer unter denjenigen beispielsweise in Europa liegen werden. (2) Sozio-kulturelle Eillstellllllgell: Von besonderer Bedeutung ist hier die gewachsene religiöse Einstellung76• Diese ist zum Teil geprägt von moralischen Normen wie der der Selbstgenügsamkeit, der Bedarfsdeckung, des angemessenen Einkommens und der Verwerflichkeit des

72

Vgl. hierzu z.B. H.-R. Hemme,. (1988, S. 558 ff.) mit weiteren Literaturangaben.

73

Eine eindrucksvolle Darstellung der Umweltbedingungen in Schwarzafrika findet sich bei

P. Harrisoll (1988, S. 28 Cf.).

74 So ist insbesondere in der Sahelzone in den letzten 50 Jahren eine unerwartete Häufung von Dürreperioden zu verzeichnen gewesen. Vgl. P. Han·isoll (1988, S. 33). 7S

Vgl. hierzu die Ausführungen bei P. Harrisoll (1988, S. 73 ff.).

76

Vgl. im folgenden H. Sallt/er (1988, S. 342 ff.).

V. Ableitung von Finanzbedarfsindikatoren

85

darüber hinausgehenden Gewinns, die ein arbeitsteiliges Wirtschaften mit gewinnorientierter Verhaltensweise kaum denkbar erscheinen läßt. Beispielhaft werden genannt: Die Ersparnisbildung, die in der Hauptsache der Finanzierung religiöser Feste dient, die Saatgutauswahl, die sich nach der Konstellation des Himmelgestirns richtet, die landwirtschaftliche Ernte, die als Geschenk der Ahnen betrachtet wird, worauf die lebende Generation keinen Einfluß hat77• In verschiedenartigen Gesellschaften wie denen Europas, Japans, Südkoreas und Taiwans hat sich eine Säkularisierung der Gesellschaft und eine damit einhergehende Auflockerung mitunter sehr weitreichender moralischer Handlungsanweisungen als notwendige Voraussetzung für einen nachhaltigen wirtschaftlichen Fortschritt erwiesen78• Die Identifizierung moralischer WerteinsteIlungen als Hindernis eigenverantwortlicher wirtschaftlicher Partizipation des Individuums und damit wirtschaftlicher Entwicklung der Gesamtgesellschaft birgt allerdings die Problematik einer Entscheidung über Erwünschtheit und Reichweite der Änderung des gesamtgesellschaftlichen Normensystems unter Inkaufnahme der damit verbundenen, unter Umständen erheblichen Anpassungslasten und sozialen Umwälzungen. Das große Ausmaß der damit verbundenen Schwierigkeiten läßt sich auch daran ermessen, wenn man bedenkt, wie schwer sich die Länder Europas bei der Bewältigung des erfoderlichen Strukturwandels in ihren Volkswirtschaften tun (als Beispiele seien nur die EG-Agrarpolitik und der rasch zunehmende Hang zum Protektionismus genannt), Probleme, die sich im Vergleich zu dencn der Entwicklungsländer eher gering ausnehmen. Eine weitere Facellc sozio-kultureller Ursachen für die Verdeckung individueller wirtschaftlicher Initiativkraft stcllen die tcilweise sehr starren Rollenzuweisungen für den Einzclnen in der Gesellschaft dar. Dies betrifft zum einen die Dominanz der traditioncllen Großfamilie in vielen Entwicklungsländern, die das einzelne Mitglied im Ertragsfall (Ablieferungspßicht des erzielten Einkommens) wie im Verlustfall (Versorgung bei Arbeitslosigkeit oder Krankheit) sehr stark in den Verbund der Familie einbindet79 • Im Rahmen der Großfamilien ist teilweise vorgeburtlich festgelegt, welches der Kinder später einmal welche Position (Versorgung des Vaters, der Mutter im Alter, Übernahme des Broterwerbs für die Familie etc.) einnehmen wird. Andererseits kann die Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft auch festgelegt

77

Vgl. H. Sal/ller (1988. S. 361 f.).

78

Vgl. H. Sal/ller (1988. S. 342 ff. und 1986, S. 275 ff.).

79

Vgl. R. Clapflam (1973. S. 76 f.).

C. Distributiv begründbare Transfers

86

sein durch seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe des Landes. Dies wirkt sich insbesondere dann negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung aus, wenn es sich um Mitglieder wirtschaftlich besonders erfolgreicher Gruppen handelt, die aber aus politischen Gründen an ihren Entfaltungsmöglichkeiten offen oder versteckt gehindert werden. Betroffen sind beispielsweise die Einwohner libanesischer Abstammung in West afrika und diejenigen indischer Abstammung in Ostafrika80 • (3) Politische Rohl7lellbedbzgllllgell: Auch hier ergeben sich für die Subsistenzbevölkerung massive Einschränkungen ihrer Handl ungsfreiheit. Unverzichtbar für die individuelle Leistungsbereitschaft ist die staatliche Gewährleistungeiner allgemeinverbindlichen Rechtsordnung. Landwirte, die ständig damit rechnen müssen, aufgrund zweifelhafter Bodenbesitzdokumente von Großgrundbesitzern von ihrem angestammten Grund und Boden vertrieben zu werden, ohne daß staatliche Stellen hier eingriffensI, werden kaum bereit sein, längerfristig in ihre Böden zu investieren, sondern eher dazu tendieren, sie zwecks kurzfristiger Gewinnmaximierung auszupowern. Das gleiche gilt auch für Landwirte, die eine Verstaatlichung erwarten. Von erheblicher Bedeutung für die Stimulanz individueller Initiativkraft ist gleichfalls die anzutreffende Eigentumsordnung und -verteilung der Böden. Nachteilig ~irkt sich hier ein Kollektiveigentum am Boden aus. Das staatliche Bodeneigentum und die Beschäftigung der Landwirte in Kollektiven enthebt den einzelnen von der Notwendigkeit des effizienten Feldanbaus. Aber auch das private Kollektiveigentum durch die Großfamilie oder das Dorf, das dem einzelnen nur das Recht auf die Verwertung der Ernte zugesteht (diese Eigentumsverhältnisse herrschen traditionsgemäß in weiten Teilen Schwarzafrikas vor82 ) behindern Bestrebungen des einzelnen, zu einer langfristig angelegten Bodennutzungsstrategie zu gelangen, wie dies weiter oben schon angedeutet wurde.

Umgekehrt wird bei einer krassen Ungleichverteilung aber auch privates Bodeneigentum nicht die erhofften individuellen Leistungskräfte freisetzen. Der Menge der abhängig beschäftigten Landarbeiter auf den Böden der Großgrundbesitzer fehlt der Anreiz des eflizienten EinsatZes ihrer Arbeitskraft, die Großgrundbesitzer sind oftmals mehr am

110

Vgl. II.-Il. 1I"mll/('" (1c)!Il!. S. 183 L), im Fall Ostafrikas auch G. //in" (11J9O).

81

Dies wird von Brasilien berichlel. Vgl. 11. SOl/IIcr (1983, S. 281).

12 Vgl. H.-R. Hemme,. (1988, S. 502). Die Anbauflächen sind dabei vergleichsweise klein, 96% der Landwirte Schwarlafrikas bewirtschaften Flächen von unter 10 Hektar. Vgl. P. HOI7'isoll (1988, S. 23).

V. Ableitung von Finanzbedarfsindikatoren

87

Erzielen eines standesgemäßen Einkommens interessiert. Die Mehrzahl der auf die restlichen Böden des Landes abgedrängten Kleinbauern wird dahingegen in ihrer Leistungsbereitschaft durch die ständig drohende Anbietermacht der Großgrundbesitzer stark eingeschränkt. Solche erheblichen Ungleichverteilungen des Bodeneingentums finden sich besonders markant in den Latifundienwirtschaften Asiens sowie Zentralund Lateinamerikas83• Als Konsequenz für die Formulierung einer Entwicklungsstrategie und damit auch der Ermittlung geeigneter Bemessllllgsilldikalorell ergibt sich aus diesen Ausführungen, daß die aufzulegenden Projekte an unmittelbar für die direkt betroffenen Menschen elementaren Lebenssituationen anknüpfen müssen. Als solche stellt sich die in vielen potentiellen Empfängerländern katastrophale Ernährungssituation dar. Kernansatzpunkt ist also die Durchführung von Projekten, welche zu einer eigenverantwortlichen Steigerung der Nahrungsmittelproduktion führen. Dies ist aufgrund des steigenden Bevölkerungsdrucks in diesen Ländern vor allem über die Einführung intensiver Bodenbearbeitungsmethoden zu erreichen. Zu deren Absicherung und Unterstützung ist die Initiierung einer Reihe von begleitenden Projekten erforderlich. Hierzu gehören vor allem gezielte Ausbildungsmaßnahmen zunächst in anbautechnischer Hinsicht für die Landwirte selbst, aber auch die Anlernung bzw. Umschulung der für das Agrargewerbe tätigen Handwerker (z.B. Schmiede), im weiteren Verlauf in zunehmendem Maße allgemeine Schulbildungsprojekte. Daneben kommen als flankierende Projekte in Betracht: Aufbau und Erhaltung einer materiellen dörflichen Infrastruktur (Verbesserung des Wege- und des Transportsystems zwischen Dorf und Feldern, Errichtung und Unterhaltung von einfachen Bewässerungssystemen, Einrichtung von Saatgut- und Erntespeichern, Anbindung an die überörtliche Verkehrsinfrastruktur), sowie Einrichtung und Unterhaltung von dörflichen Gesundheitsstationen (einfache Erste-Hilfe-Maßnahmen, allgemeine Gesundheits- und Hygieneberatung). Zur Ergänzung dieser Projekte auf örtlicher Ebene (denen von ihrer Bedeutung her die Schlüsselstellung zukommt) bedarf es subsidiärer regionaler bzw. landesweiter Einrichtungen, insbesondere die Gewährleistung einer überörtlichen Verkehrsinfrastruktur und einer landwirtschaftlichen Forschungs- und Versuchsanstalt zur Erprobung von den spezifischen Klima- und Bodenverhältnissen des jeweiligen Landes angepaßten Saatguts und Nutztieren. Aus einer Vielzahl positiv verlaufener Entwicklungsprojekte lassen si~h folgende Kriterien ableiten, deren Anwendung eine größtmögliche Partizipation des einzelnen sicherstellt:

83

Vgl. H.-R. Hemmer (1988, S. 502).

C. Distributiv begründbare Transfers

88

die mit der Projektdurchführung einhergehende Durchsetzung entwicklungsfördernder Handlungs- und Verfügungsrechte betreffend den Boden und die aus ihm hervorgebrachten Erträge, die Konzipierung der Projekte in einer Weise, die den Dorlbewohnern innerhalb einer möglichst kurzen Zeitspanne individuell erkennbare Erträge ihrer geleisteten Arbeit zufallen läßt und damit den Anreiz für zukünftige Investitionen ihrer Arbeitskraft schafft, wobei sich die Pay-offPeriode dann im Zeitablauf sukzessive ausdehnen kann, die Beschränkung zur Projektrealisierung erforderlicher Infrastrukturvorleistungen auf das unbedingt notwendige Mindestmaß (die Nutzenabgabe auch örtlicher Infrastruktur diffundiert typischerweise bereits so stark, daß ihr Nutzen für den einzelnen nicht mehr ohne weiteres erkennbar ist und damit das Interesse an Errichtung und Unterhalt in der Ausgangssituation nicht unterstellt werden kann), die größtmögliche Nutzung örtlich vorhandener Ressourcen zur Projektrealisierung. Dies betrifft sowohl Arbeit als auch Kapital, d.h. Einsatz arbeitsintensiver Technologien, Anlernung bzw. Umschulung örtlicher Fachkräfte, Entlohnung dcr zur Erstcllung der Infrastrukturvorleistungen benötigten Arbeitskräfte nach Möglichkeit mit auf dem Inlandsmarkt beschafften Nahrungsmitteln. Grundsätzlich gilt also: örtliche vor überörtlichen, überörtliche vor ausländischen Ressourccn einsetzen, glcichzeitig Technologien wählcn, die dcn jewcils lokal reichlicheren Faktor verstärkt nutzen, die möglichst weitgehende Vermeidung der Schenkung von Vorleistungen, um einem Gewöhnungseffekt (Samariterdilcmma) vorzubcugen (so wäre z.B. die Ausgabe neuartigen, an die örtlichcn Bodenverhältnisse besonders gut angepaßten Saatguts an die Bedingung zu koppeln, dieses bei erfolgter Ernte wieder an die Ausgabestelle zurückzugeben; die Vergabe soll also gewerblich auf Darlehnsbasis erfolgen), die Einpassung der geplanten Projekte in das vor Ort vorzufindende sozio-kulturelle Umfeld, um eine weitgehende Akzeptanz der Dorlbewohner sicherzustellen und schließlich die Kooperation insbesondere mit den lokalen bzw. regionalen Behörden und Parteiorganisationen, um politisches Störfeuer möglichst fernzuhaltenlW.

IW

Eine Darstellung erfolgreicher Projekte findet sich bei P. Han'isoll (1988) und H.

Henselder-Barzel (1988).

v. Ableitung von

Finanzbcdarfsindikatorell

89

Je stärker den genannten Kriterien Rechnung getragen wird, desto nachhaltiger kann der von diesen Projekten ausgehende Entwicklungseffekt veranschlagt werden. Dabei sollte die Projektabfolge so konzipiert sein, daß der Bedarf an weitergehenden, kollektiv nutzbaren Leistungen (Infrastruktur, Bildung, Gesundheitswesen) im Zuge der Entwicklung des Dorfes von seinen Bewohnern selbst als solcher erkannt wird und damit die Bereitschaft zu ihrer Erstellung und späteren Unterhaltung von ihnen selbst ausgeht (sei es durch eigene Arbeitsleistungen oder mittels Abgeltung der Leistungen beispielsweise eines Sanitäters in der örtlichen Gesundheitsstation durch einen Anteil der Ernte als erster Stufe der Arbeitsteilung). Die externe Hilfe kann sich dann auf die Beseitigung materieller und organisationstechnischer Nichtverfügbarkeiten nach Möglichkeit auf Darlehnsbasis beschränken. Damit sind auch bereits Ansatzpunkte zur Ermittlung des Finanzbedarfs für die zugrundegelegte partizipative Entwicklungsstrategie angedeutet. Sie weisen ausländischem Human- und Sachkapital einen subsidiären Charakter und eine Katalysatorfunktion zu. Ausländische Fachkräfte werden zeitweise erforderlich sein insbesondere zur Vermittlung neuer bzw. Reaktivierung bereits vorhandener agrartechnischer und handwerklicher Fähigkeiten sowie im weiteren Entwicklungsverlauf der Gewährleistung einer grundlegenden Schulbildung. Dies kann auf regionaler Ebene in den Empfängerländern an geeignete einheimische Kräfte erfolgen, die dann als Multiplikatoren in ihren Heimatdörfern wirken. Weiterhin können auswärtige Agrartechniker notwendig sein zur Bestimmung des in den Dörfern vorhandenen Agrarpotentials und zum Aufzeigen der im obigen Sinne bestgeeigneten Mittel für dessen Ausschöpfung. Ebenfalls erforderlich sind auswärtige Experten für die Unterweisung einheimischer Sanitäter (gleichfalls wieder auf regionaler Ebene). Der Import ausländischen Sachkapitals beschränkt sich auf einfachste Kapitalgüter als Erstausstattung und Devisen zum Erwerb von Nahrungsmittel als Entlohnung der Arbeiter, die zur Erstellung der notwendigen Infrastrukturvorleistungen benötigt werden. Auf überregionaler bzw. landesweiter Ebene sind dann weitere externe Finanzbedarfe erkennbar zur Erstellung und Betreibung einer landwiitschaft lichen Forschungs- und Versuchsanstalt sowie eines überörtlichen Verkehrs- und Kommunikationssystems. Hinzu kommen im weiteren Entwicklungsverlauf Beratungsleistungen und Erstausstattungen für höhere medizinische und Bildungseinrichtungen sowie eines landesweiten Systems der Rechtspflege. Sukzessive treten dann weitere Aufgaben hinzu, die jedoch mit zunehmendem Entwicklungsverlauf in immer größerem Ausmaß selbstfinanzierbar erscheinen. Die Quantifizierung des erforderlichen Finanzbedarfs richtet sich nunmehr nach den je Einwohner normalerweise anzusetzenden Ausbildungsstunden

90

C. Distributiv begründbare Transfers

und Sachkapitalbedarfen. Dabei ist von den Durchschnittswerten auszugehen, die in einer Stichprobe solchermaßen konzipierter Projekte vorgefunden wurden. Diese physischen Mengengrößen sind dann abschließend mit typischen Lohnsätzen bzw. zu Marktpreisen zu bewerten, um damit zu einer Bedarfsgröße je Kopf der Landbevölkerung zu gelangen. Die Gesamtsumme je Empfängerland ergibt sich dann entsprechend der Größe seiner Landbevölkerung. Die Beschränkung auf die Landbevölkerung ergibt sich daraus, daß diese von einem Einstieg in das Prinzip des arbeitsteiligen Wirtschaftens noch wesentlich weiter entfernt ist als die städtische Bevölkerung (zu denken ist nur an den erheblichen Umfang des arbeitsteilig funktionierenden urbanen informellen Sektors in vielen Metropolen der Entwicklungsländer). 5. Finonzbedorj'e zur Venneidung distributiv motivielter

intel7lotionoler WOlldelllllgell

Als Aufgreifindikotor schließlich zur Erkennung distributiv motivierter internationaler Migrationen können die Wanderungen nicht arbeitsfähiger bzw. arbeitsfähiger Personen mit niedrigem Ausbildungsstand herangezogen werden. Als theoretisch exakte Abgrenzung einer distributiv motivierten von einer allokativ begründeten Wanderung kann die Gegenüberstellung von Arbeitslohn und Sozialhilfe dienen. Solange das durch den Zuzug eines weiteren Arbeitnehmers bei gegebenem Arbeitsplatzangebot für einen bestimmten Arbeitsmarktsektor sinkende Arbeitsentgelt noch über dem Sozialhilfeniveau liegt, kann die Wanderung (bei unterstelltem Arbeitswillen des Immigranten) als noch allokativ begründet gelten. Ab dem Einwanderer jedoch, ab dessen Arbeitsnachfrage das Sozialhilfeniveau als dem gesellschaftlich festgelegten Mindestexistenzniveau, das nicht unterschritten werden soll, unterboten wird, liegt eindeutig eine distributiv motivierte, weil auf die Sozialleistung abzielende Immigration vor. Angesichts der weitverbreiteten Arbeitslosigkeit im Arbeitsmarktsektor für ungelernte Arbeitskräfte in den meisten westlichen Industrieländern als den besonders bevorzugten Einwandererzielen kann die Einwanderung von ungelernten Arbeitskräften in diese Länder in der Regel als distributiv begründet angesehen werdenss. Tatsächlich jedoch handelt es sich bei der Mehrheit der Immigranten in diese Länder, insbesondere sofern sie aus Entwicklungsländern stammen, um solche ohne unmittelbar verwertbare berufliche Qualifikation. Aus diesem Begründungszusammenhang ergibt sich als gültiger Indikator für distributiv motivierte Wanderungen die Zahl der ungelernten Migranten. Zur Verhinderung dieser unerwünschten distributiven Migrationen, die ja mit Migrations-

SS Daneben kommen natürlich auch nicht-ökonomische Wanderungsmotive in Betracht, insbesondere die der politischen oder religiösen Verfolgung im Emigrationsland.

V. Ableitung von Finanzbedarrsindikatoren

91

kosten verbunden sind, denen keine weltwirtschafllichcn Produktivitätsgewinne gegenüberstehen, ist es sinnvoll, in den Emigrationsländern Möglichkeiten für eine produktive Beschäftigung dieser Emiganten zu schaffen durch Beseitigung der den Einsatz dieser Faktoren behindernden Engpaßfaktoren. Zur Verhinderung dieser unerwünschten Wanderungen ergibt sich die Notwendigkeit einer zügigen Schaffung von produktiven Arbeitsplätzen i"m Auswanderungsland, woran sich somit auch die Ermilliung des BcmcsslllIgsilldikators zu orientieren hat. Da davon auszugehen ist, daß die Emigranten in ihrer weit überwiegenden Mehrzahl aus den Metropolen der Empfängerländer stammen, erfordert eine kurzfristige Reduzierung der Wanderungsströme eine Erhöhung des Arbeitsplatzangebots in den Großstädten. Diese Politik ist dann jedoch durch die eben beschriebene partizipative Entwicklungsstrategie der ländlichen Räume zu flankieren, um zu verhindern, daß eine daraufhin forcierte Binnenwanderung vom Land in die nun noch attraktiveren Städte den gewünschten Effekt konterkariert und so das ohnehin schon empfindlich gestörte Stadt-Land-Gefüge in diesen Ländern noch weiter aus dem Gleichgewicht gerät86• Auch hier sind die so begründeten Finanzzuweisungen nur subsidiär einzusetzen zu einer ordnungspolitischen Grundausrichlung, die das Entstehen produktiver Arbeilsplälze fördert. Im vorliegenden Fall bedeutet das konkret wie im Rahmen der Diskussion der in den Enlwicklungsländern vorzufindenden Wirtschaflspolilik in Abschnill V.3 dieses Kapitels bereits angesprochen eine Befreiung des urbanen informellen Sektors von den Fesseln der Illegalität. Ein Finanzbedarf ergibt sich dann noch insoweit, als auch nach der Lcgalisierung des informellen Sektors und der verstärkten Förderung der ländlichen Räume (was gegebenenfalls auch zu Rückwanderungen Anlaß geben könnte) noch ein Rest potentieller Emigranten in den Metropolen verbleibt. Nicht auszuschließen ist dabei, daß diejenigen Individuen, die am ehesten die für eine internationale Wanderung erforderliche Flexibilität und Anpassungsbereitschaft aufbringen, gleichzeitig diejenigen sein werden, die zuerst die unternehmerischen Möglichkeiten eines liberalisierten informellen Sektors für sich zu nutzen wissen bzw. die besten Chancen auf einen der neu entstehenden Arbeitsplätze haben werden. Allein diese Liberalisierung trüge danach also zu einer überproportionalen Verringerung des Auswanderungspotentials bei.

86 Diese Tendenz ergibt sich aus dem Todoro-Paradoxon. Vgl. dazu M. P. Todol"o (1%9); zur empirischen Relevanz dieses !'aradoxons vgl. f1.-R. J-1/!/1I1I1CI" (1988. S. 634).

92

C. Distributiv begrülldbare Trallsrers

Für die verbleibenden potentiellen Auswanderer ist nun analog zur bereits besprochenen ländlichen (partizipativen) eine städtische Entwicklungsstrategie zu entwerfen, die zu einem entsprechenden Arbeitsplatzangebot führt. Diese kann sich anlehnen an die Überlegungen bezüglich einer effektiven Wirtschaftsförderungspolitik, wie sie in Gemeinden der Industrieländer angestellt werden. Hierbei versuchen die Gemeinden, mittels einer geeigneten Strategie ihre Standortqualität für Unternehmen und qualifizierte Arbeitskräfte zu erhöhen, um auf diese Weise die ökonomische Lebensfähigkeit ihres Standorts zu sichern bzw. gegenüber Konkurrenzstandorten langfristige Vorteile zu erarbeiten. Als Strategie kommt hierbei für die betroffene Gemeinde, je nach Ausgangsposition, die Diversifizierung der vorhandenen, zu einseitig ausgerichteten Branchenstruktur zur Absicherung gegen sektorspezifische Krisen oder die erstmalige Spezialisierung und damit Erschließung komparativer Standortvorteile in Frage. Diese zweite Variante dürfte für die Mehrzahl der Metropolen in den Entwicklungsländern in Betracht kommen. Es ergibt sich damit die Notwendigkeit, eine für die jeweilige Metropole maßgeschneiderte Entwicklungsstrategie zu konzipieren, und darauf aufbauend dann die Höhe der erforderlichen Erstausstattung und damit auch des Finanzbedarfs zu bestimmen. Dieser hängt natürlich ab von dem jeweils zu fördernden Sektor, so daß eine gcnaucre Bestimmung eines Finanzbedarfsindikators für die Quantifizierung von Transfers zur Verhinderung distributiv motivierter internationaler Wanderungen hier nicht vorgenommen werden kann, sondern auf der Grundlage einzelfallbezogener Studien erfolgen muß. Solche einzelfallbezogenen Studien sollten grundsätzlich folgendermaßen gegliedert sein: Auf der Grundlage einer standortbezogenen Stärken-und-SchwächenAnalyse sind zunächst Aussagen über potentielle Spezialisierungsfelder mit relativen Vorteilen gegenüber konkurrierenden Standorten abzuleiten. Sodann ist ein Katalog von Instrumenten zusammenzustellen, die geeignet sind, diese potentiellen in reale Spezialisierungsfelder umzuwandeln. Daneben sollten diese Instrumente auch den Kriterien der Ordnungskonformität und der Verhältnismäßigkeit genügen87 • Schließlich ist derjenige für die Umsetzung dieser Instrumente erforderliche Finanzbedarf zu ermitteln, der nicht aus örtlichen Finanzierungsquellen gedeckt werden kann.

87 Zu einer Erläuterung dieser Kriterien zur Abgrenzung ökonomisch legitimer wirtschaftspolitiSCher Maßnahmen vgl. die Ausrührungen weiter unten in Abschnitt E.I dieser Arbeit.

V. Ableitung von Finanzbedarfsindikatoren

93

Zielsetzung der oben zuerst genannten Stärken-und-Schwächen-Analyse - die sich in ihrer Grundstruktur unabhängig von der Art des Standorts anwenden läßt ist die Bestandsaufnahme des vorhandenen Standortpotentials sowie die Identifizierung von Schwachpunkten und von latenten Vorteilen des Standorts im Hinblick auf die zukünftige strukturelle Entwicklung der Volks- bzw. der Weltwirtschaft88• Bei der Durchführung einer solchen Analyse ist folgendermaßen vorzugehen: In einer Untersuchung der Standortpotentiale ist das vorhandene endogene Entwicklungspotential zu beschreiben. Dieses läßt sich vor allem in die Bereiche Arbeitskräfte-, Gewerbeflächen-, Verkehrsanbindungs-, Umweltbelastungs- und Nachfragepotential sowie auch das Wohnwertund Freizeitpotential auffächern. Diese Potentiale sind bedeutsam sowohl für die Entstehung heimischer Unternehmen als auch für die Attrahierung ausländischer Direktinvestitionen in Entwicklungsländern. Beim Arbeitskräftepotential spielt neben dem zahlenmäßigen Arbeitskräfteangebot auch die Qualifikations- und Altersstruktur eine Rolle. Das Gewerbeflächenpotential definiert sich neben der reinen Flächenausdehnung auch nach Preis, Lage, Nutzungsmöglichkeit und Erschließungsgrad der zur gewerblichen Nutzung ausgewiesenen Grundstükke. Das Verkehrsanbindungspotential beschreibt Quantität und Qualität der vorhandenen Verkehrsträger, mit denen die Verbindung zu den Faktor- und Absatzmärkten aufrecht zu erhalten ist. Das Umweltbelastungspotential beschreibt die Aufnahmekapazität der wichtigsten Emissionsmedien. Das Nachfragepotential ist im vorliegenden Fall der Standortbeurteilung in Entwicklungsländern für solche Unternehmen von Bedeutung, deren Investitionen auf die Erschließung von Absatzmärkten gerichtet sind. Es ist umgekehrt von nachrangiger Bedeutung, wenn die Nutzung des Faktormarkts in den Entwicklungsländern im Vordergrund steht. Das Wohnwert- und Freizeitpotential ist für ausländische Unternehmen von Belang, die zur Produktion neben einheimischen Arbeitskräften auch ausländischer Spezialisten bedürfen und diesen ein entsprechendes Umfeld gewährleisten müssen. Neben diese unabhängig von der Art des Standorts relevanten Komponenten des endogenen Entwicklungspotentials treten solche, die speziell für Standorte in Entwicklungsländern bedeutsam sind. Hierzu gehört, und dies ist insbesondere für heimische Unternehmen von besonderer Bedeutung, die potentielle Verfügbarkeit von Kapital, d.h. insbesondere die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts. Daneben spielt für diese Standorte auch das allgemeine politische Klima und die Effizienz

88

Zum Begriff und zur Grundstruktur der Stärken-und-Schwächen-Analyse vgl. H.

Grossekeuler (1990, S. 90 ff.). Eine ausführliche Fallstudie am Beispiel der Stadt Münster findet sich in P.-H. Bllrberg/ W. Michels/ P. Sallalldt (1983).

94

C. Distributiv begründbare Transfers

der staatlichen Verwaltung eine wichtige Rolle. Schließlich ist noch auf endogene Entwicklungspotentiale zu verweisen, die sich aus der besonderen Betonung der weltwirtschaftlichen Betrachtungsweise ergeben. Hierzu zählt die Handhabung des außenwirtschaftspolitischen Instrumentariums des Standorts, insbesondere also die Zoll- und Handelspolitik sowie die Einwanderungs- und Währungspolitik. Das Ergebnis dieser Analyse kann dann in einem "Allgemeinen Standortprofil" dargestellt werden.

- In einer Analyse der Standortschwächen ist zu untersuchen, inwieweit eine entwicklungsabträgliche Über- oder Unterauslastung der einzelnen Komponenten des endogenen Entwicklungspotentials des betrachteten Standorts festzustellen ist. Neben dieser statischen sollte auch eine dynamische Schwächenanalyse durchgeführt werden, um frühzeitig Strukturveränderungen auffangen zu können. Dies könnte durch überschlägige Input-Output-Rechnungen geschehen, welche die Auswirkungen auf die Auslastung der jeweiligen Standortpotentiale prognostizieren, die aus einer angenommenen Nachfragesenkung für die Güter der wichtigsten Branchen des Standorts resultieren. Hinweise sowohl auf statische als auch dynamische Standortschwächen lassen sich auch durch Befragungen von Unternehmen gewinnen. Das Ergebnis kann dann in einem "Profil der aktuellen und potentiellen Freisetzungseffekte" abgebildet werden. -

In einer Analyse der latenten Standortstärken schließlich sind diejenigen Betätigungsfelder des Standorts zu identifizieren, die in der Zukunft besonders bedeutsam sein werden und für die bereits gute Fundamente gelegt sind. Dazu sind zunächst allgemein die Wachstumsbranchen zu ermitteln und deren Anforderungsprofil für die Faktor- und/oder Absatzmärkte zu ermitteln. Dieses wird dann dem oben zuerst ermittelten "Allgemeinen Standortprofil" gegenübergestellt. Das Ergebnis kann dann in einem "Profil der standortgemäßen Wachstumsfelder" zusammengefaßt werden.

Soweit die Erläuterung der Grundstruktur der Stärken-und-SchwächenAnalyse, die als Grundlage zur Ermittlung des Finanzbedarfs zur Entwicklu':lg der Metropolen in Entwicklungsländern dienen kann. Mit der dadurch verknüpften Schaffung von Arbeitsplätzen können distributiv motivierte Abwanderungen aus diesen Orten in die Industrieländer nachhaltig verhindert werden. Aufbauend auf der Schwächenanalyse lassen sich dann situationsbezogene Instrumente zur Beseitigung aktueller und/oder potentieller Engpässe formulieren. Die Stärkenanalyse dient daneben als Grundlage für die Konzipierung angepaßter Maßnahmen zur Erschließung der latenten Potentiale des Standorts. Schließlich sind dann diese Instrumentenkataloge auf den zur Umsetzung erforderlichen externen Finanzbedarf hin zu

V. Ableitung von Finanzbedarfsindikatorcn

9S

untersuchen. Bei ihrer Überprüfung auf ökonomische Legitimität, die ja der Ausscheidung der letztlich zu realisierenden Instrumente der Wahl dient, ist dabei dann insbesondere darauf zu achten, daß ordnungspolitischen Anpassungsmaßnahmen Vorrang einzuräumen ist und finanzielle Hilfe erfordernde Maßnahmen nur subsidiär hierzu und möglichst sparsam eingesetzt werden. Mit diesen Bemerkungen zur grundsätzlichen Vorgehensweise bei der Ermittlung von Finanzbedarfen zur Verhinderung distributiv motivierter Wanderungen können gleichzeitig auch die Erörterungen zu den Finanzbedarfsindikatoren eines Nord-Süd-Finanzausgleichs abgeschlossen werden.

6. Wechselseitige Beeinflussungen der jeweiligen Finonzbedolj'e Abschließend zur Erörterung der Finanzbedarfsindikatoren ist kurz einzugehen auf die Frage der wechselseitigen Beeinflussung dieser unterschiedlichen distributiven Transfers. Insgesamt läßt sich dabei feststellen, daß die Eintrittswahrscheinlichkeit aller genannten Finanzzuweisungen für ein bestimmtes Land annähernd gleichermaßen negativ korreliert ist mit dem wirtschaftlichen Erfolg dieses Landes. Die geringe Wirtschaftskraft eines Landes im Vergleich zur übrigen Welt ist häufig Folge einer geringen Verbreitung der arbeitsteilig organisierten Geldwirtschaft. Gleichzeitig ist sie Anhaltspunkt für eine gering ausgeprägte Fähigkeit zur eigenständigen Bewältigung externer Schocks, die die wenigen vorhandenen, für das Funktionieren dieser Volkswirtschaft jedoch strategischen Exportsektoren beeinträchtigt. Sie erhöht andererseits schließlich den Anreiz für die Bevölkerung zur Auswanderung in die wohlhabenderen Länder der Welt allein zum Zweck der Inanspruchnahme höherer Umverteilungsleistungen dort. Es zeigt sich umgekehrt, daß mit steigendem Sozialprodukt sämtliche der genannten Bemessungsgrundlagen sich immer stärker verringern. Der entscheidende Entwicklungsimpuls dürfte dabei von den Finanzzuweisungen zur nachhaltigen Heranführung der Volkswirtschaften an die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung ausgehen, verglichen damit haben die anderen Zuweisungen eher einen liquiditätssichernden Überbrückungscharakter, der mit zunehmender Wirkung der erstgenannten Zuweisungen entbehrlich wird. Soweit die Erörterung von Finanzbedarfsindikatoren zur Ermittlung der quantitativen Bestimmungsgrößen der zuvor begründeten distributiven Transfers. Obwohl eindeutig in allen Fällen der subsidiäre Charakter der Zuweisungen festgestellt wurde, haben die Ausführungen deutlich werden lassen, daß bereits bei einer insgesamt zurückhaltenden Interpretation des Umverteilungsbegriffs, wie sie hier gewählt wurde, im Zweifelsfall erhebliche Finanzmittel zu mobilisieren wären.

96

c. Distributiv begründbare Transrers VI. Fazit: Zusammenfassung und Bedeutung distributiver Transfers

Mit diesen Ausführungen zu geeigneten Finanzbedarfsindikatoren kann die Erörterung der distributiv begründeten Entwicklungshilfe abgeschlossen werden. Als umverteilungspolitische Leitvorstellung, die auf internationalem Niveau Anwendung finden könnte, ist das Versicherungsprinzip zugrunde gelegt worden, weil es gegenüber Transfers nach dem Versorgungs- oder Fürsorgeprinzip noch am stärksten eine erkennbare Beziehung von Leistung und Gegenleistung gewährleistet. Weiterhin wurde deutlich, daß unabhängig von dieser Leitvorstellung auf der betrachteten Umverteilungsebene ein Umverteilungsbedarf erkennbar wird zur Verhinderung unerwünschter, distributiv begründeter Wanderungen. Die sich hieraus ergebenden Anknüpfungspunkte für distributive Transfers, die Indikatoren zur Schätzung des erforderlichen Finanzbedarfs, die zumutbare Selbstbeteiligung der Zuweisungsempfänger und die Empfangs- und Verwendungsauflagen sind für die verschiedenen Begründungsansätze zusammenfassend in Üb. 1 wiedergegeben. Eine Einschätzung der Bedeutung, die die verschiedenen Zuweisungstypen im Fall der Einführung dieses Transfersystems erlangen könnten, ist nur schwer möglich. Die Inanspruchnahme von Transfers zur Abgeltung der Entwertung von Spezialisierungsinvestitionen durch externe Schocks käme auf den ersten Blick für Entwicklungsländer mit einer stark monostrukturierten Volkswirtschaft in Betracht. Die Anwartschaft dieser Länder auf solche Transfers wird allerdings dadurch geschmälert, daß in den meisten Fällen die strukturellen Schwächen der betroffenen Branchen schon seit so langer Zeit offenkundig sind, daß grundsätzlich eine Irreversibilität der dort getätigten Investitionen nicht mehr unterstellt und damit deren Abschreibung als Grundlage der Transferbemessung nicht mehr gerechtfertigt werden kann. Ausnahmen von diesem Grundsatz könnten in solchen Branchen vorliegen, wo technisch bedingt Marktaustrittshemmnisse existieren, d.h. wo extrem langlebige und irreversible Investitionen getätigt wurden (dies könnte möglicherweise für Investitionen zur Erschließung mineralischer Rohstoffe gelten). Ausnahmen könnten ferner in solchen Situationen vorliegen, in denen eine sektorale Umstrukturierung durch externe Einflüsse erschwert oder gar verhindert wird. Dies könnte möglicherweise in bestimmten Fällen durch die Praxis der Industrieländer verursacht worden sein, mittels einer mit dem Verarbeitungsgrad der Importe ansteigenden Effektivzollbelastung die Hürde der Industrialisierung für die Entwicklungsländer künstlich zu erhöhen. Dies wäre aber ebenso wie das mögliche Vorliegen von Marktaustrittshemmnissen im Einzelfall zu untersuchen. Tendenziell ausgeprägter erscheint der Gesamtfinanzbedarf allerdings für die übrigen Transfertypen. So hat die internationale Schuldenkrise den er-

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Ver~ichcrung GCfn Ab- und Zuwan -

rungsprmzlp Im weiteren Sinne)

.\ Abschließend zur Behandlung dieses internationalen Allmendegutes kann wiederum festgehalten werden, daß die insbesondere durch industrielle Produktionstätigkeiten bedingte Wasserverschmutzung, aber auch die stark technisierte Hochseefischerei hauptsächlich von Industrieländern betrieben wird und diese deshalb den überwiegenden Teil der Einnahmen des entsprechenden Allokationsfonds bestreiten werden. Wie bereits bei den übrigen Allmendegütern besteht jedoch auch hier die Wahrscheinlichkeit einer Abschwächung oder Umkehr dieser Tendenz durch eine verstärkte Industrialisierung in den Entwicklungsländern und einen größeren Anreiz zur Entwicklung von Vermeidungstechniken im Bereich der Gewässerverunreinigung in den Industrieländern. e) Rohstoffvorkommen in der Antarktis und der Tiefsee Der antarktische Kontinent nebst seinen umliegenden Gewässern beherbergt eine Vielzahl großer Vorkommen an mineralischen Rohstoffen (insbesondere Erdöl und Erdgas, vermutet werden weiterhin Steinkohle- und Eisenerzvorkommen sowie Chrom-, Kobalt-, Molybdän- und Titanlagerstätten) und lebenden Ressourcen (hier vor allem Robben, Pinguine, Fische 62

Vgl. hierl.u die Beispiele bei 11. Sü·bcl1 (1981, S. 36 ff.).

63

Vgl. die Ausführungen hierzu in Abschnitt D.I.2.b dieser Arbeit.

I. Allokativ begründbare Entwicklungshilre

131

und Zooplankton, Z.B. Krill)~. Auf dem Tiefseeboden jenseits der Kontinentalsockel lagern umfangreiche Vorkommen an Manganknollen, die neben Mangan vor allem die Rohstoffe Kupfer, Nickel und Kobalt in ökonomisch bedeutsamer Menge enthalten65• Die Einordnung als internationales Allmendegut erfolgt aus der Tatsache heraus, daß es sich hier in beiden Fällen um Gebiete bzw. Vorkommen handelt, die niemand aus gewohnheitsrechtlichen Entwicklungen heraus für sich vereinnahmen kann und die deshalb grundsätzlich frei zugänglich sein sollten. Dieser freie Zugang sollte solange gewährleistet sein, wie eine Rivalität um Lagerstätten nicht entsteht, da - wie auch schon im Fall der Wal- und Fischbestände der Weltmeere die Ressource in situ ein freies Gut darstellt. Es ist offensichtlich, daß niemandem Verzichtskosten aufgebürdet werden und dadurch Grenznutzungskosten entstehen, solange kein weiterer Nachfrager nach einer bestimmten Lagerstätte seine Ansprüche geltend macht und abgedrängt werden muß. Gleichzeitigjedoch ist die Exkludierbarkeit von der Ressourcenaneignung durch die Ausweisung von Abbaugebieten gewährleistet, so daß auch hier ein Klubkollektivgut vorliegt. Dagegen strebt der Rivalitätsgrad Werte von Eins an, wenn es zu einer Konkurrenz um bestimmte Lagerstätten, die gesamte Ressource oder zu negativen externen Effekten des Ressourcenabbaus auf andere Verwendungsrichtungen kommt. Ersteres ist vorstellbar, da die Belegungsdichte und die Lage einzelner Abbaufelder verschieden ist und diese insofern sehr unterschiedliche Erträge abwerfen werden. Zu einer Konkurrenz um die gesamte Ressource kann es in intergenerativer Hinsicht kommen, weil hier im Falle der mineralischen Rohstoffe nicht regenerierbare Ressourcen vorliegen. Es besteht jedoch das grundlegende Problem der Abschätzung des Verlaufs der intertemporal optimalen Ausbeutungsrate, da zukünftige Generationen nicht als Nachfrager am Markt auftreten. Zu negativen externen Effekten des Ressourcenabbaus kommt es im Fall einer Nutzung des betrachteten Gebiets als ökologische Schutzzonen. In der Tat schließen sich diese beiden Verwendungsrichtungen weitgehend aus, da es sich bei der Antarktis um ein extrem empfindliches Ökosystem handelt. Tatsächlich mehren sich die Anzeichen dafür, daß abgesehen von der intergenerativen Nutzungskonkurrenz, für deren Intensität mangels Anhaltspunkten ohne weiteres keine Aussagen getroffen werden können, eine zunehmende Rivalität bei der Nutzung dieses Allmendegutes zu erwarten ist. Eine durch den steigenden Industrialisierungsgrad der Weltwirtschaft erhöhte Rohstoffnachfrage in Verbindung mit einer zunehmenden Erschöpfung

~ Vgl. im folgenden F. Foders (1984, S. 626 rf.). 65

Vgl. dazu W. P,'ewo lI.a. (1982, S. 178).

132

D. Allokativ und stabilisierungspolitisch begründbare Transfers

bekannter Lagerstätten und technischem Fortschritt beim Rohstoffabbau unter Extrembedingungen wird die Konkurrenz um bestimmte Lagerstätten fühlbar werden lassen. Für die Antarktis zeichnen sich darüber hinaus auch Nutzungskonkurrenzen zu einer anderen Verwendungsrichtung ab. Es sind Forderungen nach Einrichtung ökologischer Schutzzonen erhoben worden, die sich für einen Teilbereich der antarktischen Ressourcen bereits in der Zeichnung der Convention on the Conservation of Antarctic Marine Living Resources niedergeschlagen haben66• Auf der Grundlage einer Einordnung dieses Gutes als internationales Allmendegut ist deshalb auch hier ein ökonomisch funktionales System zur Zuteilung von Nutzungsrechten anzuwenden, das zu einer Rationierung der Nachfrage auf das vorhandene Angebot führt. Wiederum wird dies durch eine Versteigerung von Nutzungsrechten von vorher festgelegten Abbauarealen bzw. von bestimmten Mengen an artenbezogenen lebenden Ressourcen der Antarktis bewerkstelligt werden können. Hinsichtlich der damit verbundenen Schwierigkeiten können im letztgenannten Fall die Erörterungen der Versteigerungslösung als Zuteilungsverfahren zur Nutzung der Fisch- und Walbestände der Weltmeere übertragen werden. Eine Versteigerung von Nutzungstiteln an mineralischen Rohstoffen zur Entscheidung der Konkurrenz um einzelne Lagerstätten erscheint ohne weiteres vorstellbar67• Das Problem der Stückelung der Nutzungsrechte ist hier gering, die Gesamtkapazität läßt sich aus geologischen Untersuchungen oder qua Satellitentechnik diagnostizieren. Gleichermaßen ist von vertretbaren Kosten beim Aufspüren und Ausschließen von Nutzern ohne Zugangsberechtigung auszugehen. Da die Ausbeutung dieser Ressourcen umfangreiche technische Aufbauten erforderlich macht - dies gilt nicht nur für die vermutlich hauptsächlich im Tagebau zu fördernden Rohstoffe in der Antarktis, sondern auch für die Steuerung des Tiefseeabbaus von der Wasseroberfläche aus erscheint eine Kontrolle auf Schwarzfahrer nach dem heutigen Stand der Satellitentechnik relativ problemlos möglich zu sein. Abschließend zur Erörterung des letzten der hier besprochenen internationalen Allmendegüter ist wiederum festzustellen, daß angesichts des höheren Rohstoffbedarfs und dem höherentwickelten Stand der Fördertechnik in den Industrieländern von diesen die überwiegende Nachfrage nach solchen Nutzungsrechten und daher auch das Gros der Einnahmen aus dieser Quelle des internationalen Allokationsfonds bestritten werden wird. Allerdings werden im Tiefseebergbau auch von einigen Entwicklungsländern

66 Es wird jedoch vermutet, daß diese Konvention seinerLeit hauptsächlich durch die Vermeidung andernfalls möglicheIWeise aufgetretener Rangeleien um die Besitzaufteilung dieser Ressourcen und damit letztlich auch um die konkurrierenden Gebietsansprüche in der Antarktis inspiriert worden ist. Vgl. F. Foders (1984, S. 627 C., Fn. 28). 67

Vgl. z.B. W. Prewo

/I.Q.

(1982, S. 188 CC.).

I. Allokativ begründbare Entwicklungshilfe

133

Aktivitäten entwickelt; berichtet wird dies von China und Indien68• Insgesamt aber wird sich aber auch hier ein Nettofluß aJlokaliver Transfers von Nord nach Süd ergeben. Im FaJle der Nutzung der Rohstoffe der Antarktis würden hieraus Transferströme jedoch unterbleiben, wenn der Forderung Rechnung getragen wird, diese den Signatarstaaten des Antarktisvertrags, die durch erhebliche Forschungsaufwendungen zur Erschließung der Antarktis beigetragen haben, zukommen zu lassen@. Diese Forderung ist in dem Maße berechtigt, wie diese Forschungen externe Nutzen erzeugt haben, die für die Ausbeutung der antarktischen Ressourcen verwertbar sind und würde daher in diesem Ausmaß zu einer Verringerung der Einnahmen des Allokationsfonds führen. Soweit die Behandlung der internationalen AJlmendegüter als Grundlage für die Gewährung allokativer Zuweisungen im internationalen Rahmen mit besonderem Blick auf die Entwicklungsländer. Es hat sich gezeigt, daß für sämtliche AJlmendegüter bereits eine Übernutzung teilweise in erheblichem Ausmaß erkennbar geworden oder aber zumindest zu erwarten ist. Dies erfordert die Konstituierung einer Eigentumsverfassung für diese Güter, auf deren Grundlage eine Zuordnung der Nutzungsrechte an diesen Ressourcen vorgenommen werden kann. Dabei erweist sich die jeweils vorgeschlagene Versteigerungslösung nicht nur theoretisch als vorzugswürdig gegenüber einer Auflagen- oder Abgabenlösung. Sie ist diesen Alternativen offensichtlich auch unter praktischen Gesichtspunkten selbst in den FäJlen überlegen, in denen der unmittelbare Nutzerkreis des Gutes ausgesprochen groß und heterogen strukturiert ist. Allein das Kriterium der mangelnden Akzeptanz für dieses Rationierungsverfahren könnte deshalb als Argument für das Beschreiten eines anderen Lösungsweges angeführt werden.

3. Zur Bedeutullg allokativer Transfers Die Anwendung der Versteigerungslösungwiderspricht denjenigen Allokationsverfahren, die in der Realität Anwendung gefunden haben. So erfolgt die Nutzung der Allmendegüter "Tropenwälder zur Stabilisierung des Weltklimas", "Erdatmosphäre als Aufnahmemedium für Schadstoffe" und "Weltmeere aisAufnahmemedium für Schadstoffe" ohne Eigentumsverfassung quasi unter der Annahme, daß sie freie Güter darstellten, obwohl ganz offensichtlich zum Teil eine erhebliche Verknappung dieser Güter eingetreten ist. Die Bereitstellung des Allmendegutes "erdnaher Weltraum als Parkplatz für Satelliten und als Medium für Funkfrequenzen" ist zwar durch inter-

68

vgl. F. Foders (1984, S. 625, Fn. 11).

@

So F. Foders (1984, S. 636).

134

D. Allokativ und stabilisierungspolitisch begründbare Transfers

nationale Verträge geregelt, doch erfolgt die Allokation der Nutzungsrechte nach dem Windhundverfahren, das im Falle einer Überschreitung der beschriebenen Kapazitätsgrenze als ökonomisch ausgesprochen dysfunktional anzusehen ist. Gleiches gilt für die Quotenzuteilungen im Falle der Ausbeutung der Ressourcenbestände der Weltmeere, z.B. der Internationalen Walfangkommission. Die Ausbeutung der Rohstoffvorkommen in der Tiefsee wird durch die Vereinbarungen von UNCLOS 111 ebenfalls nach administrativen Kriterien zugeteilt, die auf eine Abschöpfung der Ressourcenrente durch die Bürokratie der zuständigen Tiefseebergbaubehörde hinauslaufen 70• Die Antarktis ist bis auf weiteres (zumindest bis 1991, dem Auslaufen des Antarktisvertrags) der Nutzungsrichtung "Naturschutzgebiet" zugeführt worden. Dabei ist allerdings anzumerken, daß diese Entscheidung seinerzeit nicht auf der Grundlage eines ökonomischen Nutzenkalküls, sondern aufgrund politischer Erwägungen zustande kam 71. Es ist bemerkenswert, daß keines dieser Verfahren eine Abschöpfung der aus der Inanspruchnahme erwachsenden Ressourcenrenten vorsieht. Vielmehr werden diese an diejenigen verschenkt, die aus welchen Gründen auch immer in den Genuß der knappen Nutzungsrechte gelangt sind. So gesehen besitzen die hier vorgestellten Verfahren zur Allokation der Nutzungsrechte nicht nur den entscheidenden Vorteil der ökonomischen Funktionalität, was eine Erhöhung der Weltwohlfahrt und damit auch eine Vergrößerung der Umverteilungsspielräume zwischen Nord- und Südhemisphäre zur Folge hätte. Sie führen obendrein für sich gesehen auch zu einem, wenn auch bescheidenen und im Zeitablauf vermutlich sinkenden, Nettotransferstrom in die Entwicklungsländer. Damit unterscheiden sie sich von den bislang praktizierten Regelungen, die demgegenüber die Industrieländer begünstigen, obwohl sie, wie insbesondere die Regelungen zum Tiefseebergbau, gerade von den Entwicklungsländern herbeigeführt worden sind. 11. Stabilisierungspolitisch begründbare Entwicklungshilfe 1. Konjunkturelle Exporterlösschwallkullgell als Begn·lllduilgsallsatz für die

Gewähnmg stabilisienmgspolilisclzer Trallsfers

Im letzten Hauptabschnitt dieses Kapitels ist nun zunächst allgemein nach stabilisierungspolitisch begründbarer Entwicklungshilfe im Rahmen einer

70

Vgl. hierzu näher die Ausführungen in Abschnitt E.III.2.c dieser Arbeit.

Die territorialen Gebietsansprüche einiger (insgesamt sieben) Länder sind teilweise widersprüchlich und insgesamt umstritten. Mit der Unterzeichnung des Antarktisvertrags im Jahre 1959 wurden sie bis 1991 zunächst aufgeschoben. Vgl. F. Foders (1984, S. 627). 71

11. Stabilisierungspolitisch begründbare Entwicklungshilfe

135

ökonomisch funktionalen Gestaltung der Entwicklungshilfe zu fragen. In der finanzwissenschaftlichen Literatur wird, wie in Abschnitt B.I der Arbeit ausgeführt wurde, einerseits die Begründung der zentralstaatlichen Kompetenz für die Stabilisierungspolitik geliefert. Hauptargument ist dabei die weitgehende Wirkungslosigkeit einer gemeindlichen Konjunkturpolitik aufgrund der hohen arbeitsteiligen Verflechtung der Gemeinden innerhalb eines Staates; Konjunkturpolitik wird damit aus der Sicht der einzelnen Gemeinde zu einem Kollektivgut. Andererseits ist festzustellen, daß der weit überwiegende Anteil der öffentlichen Investitionsentscheidungen als strategischer Instrumentvariable der Stabilisierungspolitik auf der Gemeindeebene erfolgt. Hieraus ergibt sich die Fragestellung, wie die gemeindliche Investitionstätigkeit im Sinne der zentralstaatlichen konjunkturpolitischen Vorstellungen beeinflußt werden kann und welche Rolle der Finanzausgleich dabei spielen soll. Geordnet nach ihrer zunehmenden Eingriffsintensität in die kommunalen Gestaltungsspielräume werden in der Literatur die folgenden Maßnahmen unterschieden72: Herstellung eines im Zeitablauf stetigen Einnahmesystems der Gemeinden (insbesondere also eines konjunkturneutralen Steueraufkommens) in der Hoffnung, daß daraus eine sich kontinuierlich entwickelnde kommunale Investitionstätigkeit resultiert und so von dieser Seite zumindest keine zusätzliche Forcierung der Konjunkturschwankungen zu erwarten ist, freiwillige vertikale und horizontale Koordination konjunkturrelevanter budgetärer Entscheidungen der Gebietskörperschaften beispielsweise im Rahmen einer mittelfristigen Finanzplanung, die Gewährung spezifischer Konjunkturzuweisungen, um die Gemeinden zu einer den konjunkturpolitischen Vorstellungen der zentralstaatlichen Ebene entsprechenden Steuerung ihrer Investitionstätigkeit zu veranlassen, und schließlich die konjunkturpolitische Variation der den Gemeinden aus allokationsund distributionspolitischen Erwägungen heraus vom Zentralstaat gewährten Zuweisungen. Diese kurzen Ausführungen zum stabilisierungspolitisch begründeten Finanzausgleich im nationalen Bereich zeigen bereits, daß seine ökonomische Zweckmäßigkeit an Voraussetzungen anknüpft, die auf der internationalen Ebene nicht gegeben sind. Denn Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Tatsache, daß eine hochgradige gegenseitige wirtschaftliche Verflechtung

72 Vgl. hierzu

M. Gläser (1981. S. 215 ff.).

136

D. Allokativ und stabilisierungspolitisch begründbare Transfers

verschiedener Teilräume vorliegt und die Vermutung, daß eine Verhaltensbeeinflussung bestimmter Entscheidungsträger (hier der Kommunen als Investoren) zu einer Wiederanpassung der tatsächlichen an die normale Auslastung des Produktionspotentials für den gesamten Wirtschaftsraum (hier den Nationalstaat) führt 73• Die Übertragung dieser Sichtweise auf die weltweite Ebene setzt also zunächst den Nachweis einer ähnlich hohen wirtschaftlichen Verflechtung zwischen den Nationalstaaten der Erde voraus. Erst wenn dieser erbracht ist, würde das Anlaß sein, die konjunkturpolitischen Kompetenzen auf eine höhere (also internationale) Ebene zu verlagern, d.h. konkret, daß dann z.B. Konjunkturzuweisungen von einer Brüsseler EGBehörde den Gemeinden zugewiesen würden, weil eine isolierte Konjunkturpolitik einzelner EG-Mitgliedstaaten wegen ihrer jeweiligen hohen Importquoten wirkungslos verpuffen würde. Das gewählte Beispiel der EG illustriert jedoch bereits, daß die als Voraussetzung für eine solche Kompetenzverlagerung (und damit auch der hier besprochenen Begründung internationaler stabilisierungs politischer Zuweisungen) erforderliche umfassende wirtschaftliche Verflechtung der Staaten für die EG, womöglich auch für diejenigen der OECD erfüllt sein mag74, in dieser Ausprägung jedoch nicht für die Gesamtheit der Staaten der Erde unterstellt werden kann. Obgleich auch der Verflechtungsgrad der Entwicklungsländer mit der Weltwirtschaft zugenommen haes, erscheint er zu gering, um zu einer umfassenden weltweiten Konjunkturpolitik Anlaß zu geben. Darauf deutet auch die Bedeutung hin, die dem Begründungsansatz der nachhaltigen Heranführung von Volkswirtschaften an die weltwirtschaftliehe Arbeitsteilung im Rahmen des distributiven Nord-Süd-Finanzausgleichs einzuräumen sein wird. Damit jedoch scheint die Grundlage für die Begründung stabilisierungspolitischer Finanzzuweisungen, wie sie im nationalstaatlichen Finanzausgleich herangezogen wird, zu entfallen. Zu fragen bleibt, ob andere Gründe für die Installierung eines stabilisierungspolitisch begründeten Nord-Süd-Finanzausglcichs sprechen. Bei der Suche nach solchen Gründen erscheint der Rückgriff auf in der Realität praktizierte Modelle zur Exporterlösstabilisierung auf den ersten Blick ein naheliegender Gedanke zu sein. Dabei handelt es sich um das zwischen den

73 "Vermutung" deshalb, weil die ökonomische Legitimität einer finanzpolitischen staatlichen Konjunkturpolitik umstritten ist. Diese Diskussion soll jedoch an dieser Stelle nicht nachgezeichnet werden. 74 Dieser Tendenz tragen die verstärkten Integrationsbemühungen in der EG und die zunehmenden Koordinationsbemühungen zumindest im Bereich der Geldpolitik der OECDLänder Rechnung. Vgl. zum letzteren D. Bellder (1988) mit weiteren Nennungen.

7S

Vgl. dazu H. Hesse/ H. Kepple,./ H. G. Prellße (1985, S. 65 ff.).

11. Stabilisierungspolitisch begründbare Entwicklungshilfe

137

EG- und den AKP-Staaten ausgehandelte Lome-III-Abkommen und um die Kompensatorische Fazilität des IWF76• Denn es zeigt sich ja, daß wenn schon nicht die gesamten Wirtschaftsbeziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern hinreichend stark miteinander verflochten sind, dies doch für einzelne Teilbereiche festgehalten werden kann. Zu denken ist hierbei vor allem an den Handel mit agrarischen und mineralischen Rohstoffen sowie einfacheren Industrieerzeugnissen. Diese Tatsache könnte somit Maßnahmen der internationalen Konjunkturpolitik begründen, die zu Transfers von den Industrie- an die Entwicklungsländer führen. Im Sinne einer Verstetigung konjunkturbedingter Steuereinnahmeschwankungen der Entwicklungsländerregierungen, hervorgerufen durch die dafür ursächliche wechselhafte Entwicklung der entsprechenden Bemessungsgrundlage (nämlich der Gewinne einheimischer Unternehmen aus dem Export der erwähnten Güter in die Industrieländer) könnte hierbei an die Einrichtung eines Fonds zur Glättung solcher Exporterlösschwankungen gedacht werden, die aus Konjunkturschwankungen in den Industrieländern resultieren. Als Konsequenz einer solchen Einrichtung würde es sich jedoch ergeben, daß die von einem Konjunktureinbruch in den Industrieländern letztlich "nur" mittelbar betroffenen Entwicklungsländer aus einem weltweiten Stabilisierungsfonds für deshalb verminderte Exporterlöse entschädigt würden, der zumindest teilweise auch von den unmittelbar von diesem Konjunktureinbruch betroffenen Industrieländern gespeist würde. Es liegt auf der Hand, daß ein solches Verfahren nicht sinnvoll ist. Diese Ausführungen und der Verweis auf die eingangs dargelegten Kriterien, die zur Begründung eines nationalstaatlichen stabilisierungspolitischen Finanzausgleichs herangezogen werden, weisen jedoch den Weg zur grundsätzlichen Begründung eines entsprechenden Nord-Süd-Finanzausgleichs. Zur Abfederung bzw. Umkehr der weltweiten Auswirkungen von Rezessionen könnte es sinnvoll sein, aus einem internationalen Stabilisierungsfonds Zuweisungen für öffentliche Investitionen in den Branchen zu gewähren, die als Vorleistungen in besonderem Maße auf Güter zurückgreifen, die zwischen Industrie- und Entwicklungsländern gehandelt werden. Hierfür kämen als Hauptexportgüter der Entwicklungs- in die Industrieländer - wie bereits erwähnt agrarische und mineralische Rohstoffe sowie einfachere Industrieerzeugnisse, und umgekehrt als Hauptexportgüter der Industrie- in die Entwicklungsländer höherentwickelte Investitionsgüter in Frage. Gingen von einem konjunkturellen Einbruch in den Industrieländern negative Wirkungen, die einen bestimmten Toleranzwert überschritten, auf die Wirtschaft der Entwicklungsländer qua verminderter Rohstoffexporte in die Industrieländer aus, würden aus dem internationalen Stabilisierungsfonds

76

Vgl. dazu die Ausführungen weiter unten in Abschnitt E.III.3.b dieser Arbeit.

138

D. Allokativ und stabilisierungspolitisch begründbare Transfers

Zuweisungen an die Industrieländer erfolgen für Investitionen, die eine Revitalisierung dieser Entwicklungsländerexporte erwarten ließen. Käme es umgekehrt in den Entwicklungsländern zu einem Konjunklureinbruch, der qua verminderter Investitionsgüterexporte der Industricländer negative Auswirkungen auf deren Volkswirtschaften zur Folge hätte, die ebenfalls einen bestimmten Toleranzwert überschritten, wären aus dem genannten internationalen Stabilisierungsfonds Zuweisungen fällig für die Entwicklungsländer, die analog der Tendenz nach ein Wieder ansteigen dieser Industrieländerexporte bewirken würden. Ob hierbei der größere Anteil dieses Stabilisierungsfonds nun an die Entwicklungsländer oder die Industrieländer geht, muß offen bleiben, zumal die Frage nach dem Nettotransfer nicht ohne vorherige Festlegung des Einzahlungsmodus für den Fonds entscheidbar ist. Gleichwohl scheint es sich um ein sachgerechtes Verfahren zur Glättung von Konjunkturschwankungen mit globalen Ausmaßen zu handeln, das angepaßt ist an einen letztlich geringeren wirtschaftlichen Verflechtungsgrad, als er beim nationalstaatlichen Finanzausgleich vorzufinden ist. Bereits an dieser Stelle ist jedoch darauf hinzuweisen, daß es sich bei dem solchermaßen konzipierten stabilisierungspolitischen Nord-Süd-Finanzausgleich um ein sogenanntes asymmetrisches Instrument der Stabilisierung zyklischer Schwankungen handelt, denn die Gewährung von Stabilisierungszuweisungen vermag natürlich allenfalls in einer Rezessionsphase den gewünschten Glättungseffekt zu erzielenn . Insgesamt ist festzustellen, daß der dargelegten Begründung eines stabilisierungspolitischen Nord-S üd-Finanzausgleichs lediglich ein grundsätzlicher Charakter zukommt. Allein angesichts des bei weitem nicht hinreichenden Verflechtungsgrades zwischen Industrie- und Entwicklungsländern ist eine Realisierung auf absehbare Zeit nicht erstrebensweres. Gleichwohl sollen im nun folgenden Abschnitt kurz die Gestaltungsmöglichkeiten ein~s solchen Transfersystems erörtert werden, um damit einen Überblick über die bei der Konzipierung auftretenden Probleme zu geben.

2. Gesta/tltngsl7löglichkeitell stabilisienmgspolilischer Transfers Die Ausführungen zu den Gestaltungsmöglichkeiten dieses Transfersystems werden sich im folgenden auf die Gestaltungskomponente "Ableitung von Finanzbedarfsindikatoren" beschränken. Bereits hier lassen sich nämlich exemplarisch die methodischen 'Schwierigkeiten bei der

77

vgl. M. Gläser (1981, S. 220).

7B

Zu weiteren Bedenken im Hinblick auf die Realisierung eines solchen Transfersystems

vgI. Abschnitt 11.3 dieses Kapitels.

11. Stabilisierungspolitisch begründbarc Entwicklungshilfe

139

Konzipierung eines stabilisierungspolitischen Finanzausgleichs verdeutlichen79• Zur Bestimmung des notwendigen Finanzbedarfs ist es zunächst erforderlich, den Interventionsmodus näher zu beschreiben. Im nationalstaatlichen Finanzausgleich vollzieht sich die Stabilisierungspolitik üblicherweise auf dem Wege einer Vorteilsgewährung an die Gemeinden als den HaupUrägern öffentlicher Investitionen, denen ein spürbares konjunkturelles Stimulanzpotential unterstellt wird. Bezogen auf die Bundesrepublik handelt es sich dabei jedoch nicht um Stabilisierungszuweisungen im hier skizzierten Sinne, sondern um die Gewährung von Zuweisungen aus fallweise aufgestellten Konjunkturprogrammen. Daneben existiert ein Arbeitslosenansatz im kommunalen Finanzausgleich, der jedoch nur partiell auf eine Konjunkturstabilisierung abzielt, sofern es sich nämlich um eine Bemessung nach konjunkturell bedingter Arbeitslosigkeit handelt. Abgesehen von diesen Unzulänglichkeiten der Ausgestaltung der Stabilisierungspolitik erweist sich dieses Verfahren jedoch auch aus grundsätzlichen Erwägungen heraus als ungeeignet zur Anwendung im vorliegenden Fall der globalen Betrachtungsweise. Denn diejenigen Branchen, die einen hinreichenden weltweiten Verflechtungsgrad aufweisen, werden von öffentlichen Investitionen in aller Regel allenfalls ganz am Rande erreicht, der Schwerpunkt liegt hier vor allem im Bereich der Bauinvestitionen. Als Alternative käme das Instrument der privatwirtschaftlichen Investitionsförderung (insbesondere miuels Investitionszulagen und/oder Abschreibungserleichterungen) speziell für die in Frage kommenden Branchen in Betracht. Hierfür erscheint es ausreichend, den jeweiligen Staatsregierungen den für erforderlich gehaltenen Betrag zur Verfügung zu stellen mit der Auflage, ihn zu einer Investitionsförderung in der entsprechenden Branche zu verwenden. Die allgemcinverbindliche Festlcgung dieser Branchen könnte in Anlehnung an die im vorangegangenen Kapitel bereits erwähnte ISTCKlassifikation erfolgenllO • Dieses Verfahren würde es ermöglichen, die Gewährung solcher stabilisierungspolitischer Transfers mit einer bestimmten Eigenbeteiligung des EmpfängerJandes zu verknüpfen und so einen größeren Erfolg mit dem plafondierten Stabilisierungsfonds zu erzielen. Hier bestünde dann allerdings im Falle armer EmpfängerJänder die Gefahr, daß aufgrund der fehlenden

79 Weitergehende Hinweise zur Gestaltung von Stabilisierungszuweisungen und ein ausführlicher Katalog von hierbei zu vermeidenden Fehlern finden sich bei R. R. Klein/ H.-J. Schäfer (1978, S. 177 f.). 80 Ein Muster für eine solche Vereinbarung, das sich analog auch für einen internationalen Stabilisierungsfonds anwenden ließe. findet sich bei R. R. Kleill/ II.-J. SChäfer (1978. S. 178 ff.).

140

D. Allokaliv und slabilisierungspolilisch begründbarc Transfers

eigenen Mittel zur Aufbringung der Interessenquote überhaupt auf einen Einsatz konjunkturfördernder Maßnahmen verzichtet wird 81 • Die Frage ist nun, nach welchen Kriterien sich die Festlegung des für erforderlich gehaltenen Betrages ergibt. Verschiedene Einflußgrößen auf dessen Höhe sind denkbar. Das Niveau des Gesamtfonds hängt ab von Dauer und Ausmaß der zu bekämpfenden Rezession. Die Verteilungsstruktur des Gesamtfonds (und damit das Niveau für ein einzelnes Empfängerland) bestimmt sich im groben nach dem Ursprung der Rezession: Droht ein Nachfrageausfall in den rohstoffintensiven Produktionszweigen der Industrieländer auf den Konjunkturverlauf der Entwicklungsländer überzugreifen, zählen erstere zu den Zahlungsempfängern und umgekehrt. Die Verteilungsstruktur bestimmt sich weiterhin nach dem relativen Umfang der förderungswürdigen Branchen in den Empfängerländern. Ein weiteres Kriterium für eine differierende länderweise Zumessung von Stabilisierungszuweisungen könnte die unterschiedliche Anreizwirkung dieser Zuweisungen beim Zahlungsempfänger (hier also den in Frage kommenden Unternehmen) in den einzelnen Staaten darstellen. Vom Standpunkt der gewünschten Effektivität des Instruments aus gesehen wäre dieses Kriterium ebenfalls zur Bestimmung der nationalen Höhe des Zuweisungsbetrages heranzuziehen. Andererseits eröffnen sich hierbei erhebliche Moral-hazardProbleme, die zwar letztendlich zu einer über alle potentiellen Empfängerländer gleich hohen bzw. niedrigen Anreizwirkung des Instruments führen werden (nämlich vermutlich desjenigen Landes mit der niedrigsten Anreizwirkung) und damit den langfristigen Wegfall dieses Kriteriums bei der Zuweisungszumessung zur Folge haben werden. Die anfängliche Einbeziehung dieses Kriteriums verursacht jedoch auf diese Weise vermutlich ein so erhebliches Maß an unproduktiven Mehraufwendungen, daß die hieraus resultierenden Zielungenauigkeiten als das kleinere Übel in Kauf genommen werden müßten. Schließlich könnte auch erwogen werden, eine Spezifizierung der Zuweisungshöhe nach der wirtschaftlichen Leistungskraft des Empfängerlandes vorzunehmen. Die stabilisierungspolitische Rechtfertigung hierfür ergibt sich - wie bereits weiter oben erwähnt - aus der Befürchtung, daß ärmere Länder bei einer zu hoch angesetzten Interessenquote mangels verfügbarer Finanzierungsmittel gänzlich auf eine Konjunkturstimulanz verzichten könnten. Im Falle der Berücksichtigung dieses Sachverhalts müßte sich der gesamte Finanzbedarf damit auch nach dem Anteil armer Länder an dem stabilisierungspolitischen Nord-Süd-Finanzausgleich bestimmen.

81

Vgl. zu dieser Diskussion H. Fischer (1988, S. 133).

111. Fazit

141

3. Zur Bedeutullg stabilisiell/llgspolitischer Trallsfers Soweit die Ausführungen zur stabilisierungspolitisch begründeten Entwicklungshilfe. Die Ausführungen hierzu haben in mehrfacher Hinsicht Skepsis gegenüber dieser Begründung eines Nord-Süd-Finanzausgleichs zum Ausdruck gebracht. Das betrifft zum einen die Zweifel, die in der heutigen Situation an dem Vorhandensein eines hinreichend hohen weltwirtschaftlichen Verflechtungsgrades zwischen Industrie- und Entwicklungsländern als Conditio si ne qua non für die Rechtfertigung einer Stabilisierungspolitik anzumelden sind. Zum anderen fällt hierunter auch der Vorbehalt, der gegenüber der Wirksamkeit einer nationalstaatlichen Stabilisierungspolitik im allgemeinen und vor allem im Zuge ihrer Einbindung in den Finanzausgleich des Landes im besonderen geäußert wird; dies gilt offensichtlich gerade auch für das hier als adäquat ermittelte Instrument der Konjunkturzuweisungen 82 • Daneben zeigen sich auch grundsätzliche Einwendungen gegen ein solches Transfersystem, die aus dem branchenorientierten Ansatz resultieren. Dieser war gewählt worden, weil nur in einigen Sektoren überhaupt eine zur Begründung solcher stabilisierungspolitischer Transfers hinreichende wirtschaftliche Verflechtung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern vorzufinden ist. Eine daraus resultierende selektive Begünstigung einzelner Sektoren durch diese Transfers hat jedoch dann unerwünschte gesamtwirtschaftliche Substitutionseffekte zur Folge, welche die angestrebten Stabilisierungseffekte tendenziell kompensieren werden. Fazit also: Die Durchführung eines stabilisierungspolitischen Nord-Süd-Finanzausgleichs wird entweder an der fehlenden ausreichenden gegenseitigen Verflechtung scheitern oder aber, in dem Bemühen, dieses Hindernis durch eine Verengung auf wenige Sektoren zu umgehen, wegen der daraus resultierenden unerwünschten Substitutionseffekte zu Fall gebracht. Aus diesem Grunde soll von der Erörterung so begründeter Transfers im weiteren Verlauf der Arbeit abgesehen werden. 111. Fazit: Interdependenzen verschiedener Transfertypen und Zusammenfassung der Ergebnisse Zum Abschluß dieses Kapitels ist schließlich auf Interdependenzen zwischen allokativ, distributiv und stabilisierungspolitisch begründeter Entwicklungshilfe und ihre Beeinflussung der insgesamten Zuweisungssumme für die Empfängerländer einzugehen. Dabei kann zum einen festgehalten werden, daß die Gewährung der allokativ begründeten Entwicklungshilfe

82 Zu dieser Einschätzung speziell bezüglich einer Integration in den Finanzausgleich gelangen aufgrund allgemeiner Überlegungen z.D. H. Fiseller (1988, S. 123 ff.) und M. Gläser (1981, S. 221 und 225 f.), aufgrund empirischer Untersuchungen G. Sell ....arlillg (1979) und D. MassaI (1984, S. 107 ff.).

142

D. Allokaliv und slabilisicrungspolilisch begründbare Tr.lIlsfcrs

unabhängig von umverteilungs- und stabilisierungspolitischen Erwägungen an erster Stelle erfolgen sollte. Diese Feststellung ergibt sich aus der Grundposition, daß jegliche umverteilungspolitische Maßnahme nach Möglichkeit nicht in den Marktprozeß selbst eingreifen und dadurch ein höheres mögliches Wohlfahrtsniveau verhindern, sondern in Form einer Korrektur des Marktergebnisses, sofern dann noch erforderlich, erfolgen sollte. Deshalb ist als Grundlage für die Gewährung distributiv und ggf. stabilisierungspolitisch begründeter Entwicklungshilfe die Finanzkraft- und Finanzbedarfssituation der beteiligten Länder nach erfolgtem allokativen Ausgleich heranzuziehen. Dies hat für die den Empfängerländern gewährte insgesamte Zuweisungssumme zur Folge, daß diese, je nachdem, ob die vorherrschenden weltweiten Allokationsverzerrungen zu einer Verschärfung oder Abmilderung der vorgefundenen globalen Verteilungssituation geführt hatten, nun entweder geringer oder aber größer ist als bei einer isolierten Bestimmung der Transfers auf der Grundlage jeweils derselben Ausgangsdaten. Erstere Situation dürfte insbesondere für diejenigen Entwicklungsländer von Belang sein, die als Anrainer beispielsweise des lateinamerikanischen Amazonasbzw. des zentralafrikanischen Kongobeckens umfangreiche Tropenwälder bereitstellen und von daher mit erheblichen allokativen Zuweisungen rechnen können. Nach Abgeltung dieser "Exporte" durch die Weltgemeinschaft wird sich entsprechend die Notwendigkeit distributiver Transfers für diese Länder wahrscheinlich spürbar reduziert haben. Mit diesen Ausführungen kann die Erörterung des Entwurfs einer ökonomisch funktionalen Gestaltung der Entwicklungshilfe abgeschlossen werden. Entsprechend der Begründungsansätze für die Erhebung von Finanzbeiträgen und der Gewährung von Finanzzuweisungen sind damit distributive, allokative und stabilisierungs politische Begründungen für die Rechtfertigung der Errichtung eines Transfersystems auf globalem Niveau erforderlich. Im distributiven Bereich ergeben sich aus der Wahl des Versicherungsprinzips als umverteilungspolitische Leitvorstellung und aus der spezifischen Notwendigkeit der globalen Betrachtungsweise insgesamt vier Anknüpfungspunkte für entsprechende Transfers. Dabei wird sich die Inanspruchnahme von Leistungen zur Abfederung von Anpassungslasten durch ordnungspolitische Korrekturmaßnahmen und von Zuweisungen zur nachhaltigen Heranführung der Bevölkerung der heutigen Entwicklungsländer an die arbeitsteilige Wirtschaft als besonders bedeutsam erweisen. Denn die weltwirtschafdiche Lage ist gekennzeichnet durch eine Verschuldungskrise der Entwicklungsländer, die eine tiefgreifende Strukturkrise dieser Länder offenbart hat, und durch einen zunehmenden Hang zur Blockierung der grenzüberschreitenden Handelsströme, der das Potential zukünftiger Strukturkrisen andeutet. Ähnliches ist für die Transfers zur Verhinderung

111. Fazit

143

unerwünschter, distributiv motivierter Wanderungen zu vermuten angesichts der zunehmenden Verringerung von Mobilitäts- und Informationskosten für die potentiellen Emigranten. Die Notwendigkeit allokativer Transfers ergibt sich durch die Existenz internationaler Kollektivgüter. Wie die Analyse ergeben hat, deuten Anzeichen darauf hin, daß hierdurch unter den gegebenen Umständen im Nord-Süd-Saldo ein Transferstrom an die Entwicklungsländer erfolgen wird. Es ist allerdings zu erwarten, daß die quantitative Bedeutung dieser Transfers im Vergleich zu den distributiven Zuweisungen geringer ausfallen wird, weil dort die Bemessungsgrundlage wesentlich weiter gespannt ist. Hinzu kommt, daß dieser Transferstrom durch die sich endogen verändernden Verhaltensfunktionen vermutlich nicht nachhaltig sein wird. Dagegen erscheint im vorliegenden Zusammenhang die Notwendigkeit stabilisierungs politischer Transfers nur von untergeordneter Bedeutung zu sein. Diese Einschätzung ergibt sich aus der fehlenden hinreichend engen Verzahnung der Volkswirtschaften der Industrie- und Entwicklungsländer und aus den insgesamt eher negativen Erfahrungen, die mit diesem Instrument im nationalstaatlichen Finanzausgleich gesammelt worden sind. Dies führt dazu, diese Transferart im folgenden zu vernachlässigen und die Aufmerksamkeit den distributiven und allokativen Transfers zuzuwenden.

E. Beurteilung der ökonomischen Legitimität des Nord-SüdFinanzausgleichs I: Ziellegitimation und Alternativvorschläge I. Ein Schema zur Legitimitätsprül'ung wirtschaftspolitischer MaUnahmen Bevor der in den Kapiteln C und D skizzierte Entwurf einer ökonomisch funktionalen Gestaltung der Entwicklungshilfe überhaupt als Grundlage für die Zielrichtung von Veränderungen der vorgefundenen Gestaltungskriterien für die Bemessung von Höhe und Struktur der Hilfe erwogen werden kann, ist zu prüfen, ob er den Kriterien, die an einen als ökonomisch legitimiert gelten könnenden Entwurf anzulegen sind, gerecht wird. Diese Prüfung ist Gegenstand der beiden folgenden Kapitel. Sie orientiert sich an dem in Üb. 2 vorgestellten Ablaufschema zur Beurteilung wirtschaftspolitischer Maßnahmen, das im wesentlichen die Untersuchung des vorgestellten Entwurfs auf Ziellegitimation, Effektivität, Ordnungskonformität (= Erforderlichkeit) und Verhältnismäßigkeit vorsieht. Das Durchlaufen dieser Prüfschritte entspricht zugleich der Vorgehensweise in den folgenden Kapiteln. Im nachfolgenden Abschnitt E.II sind die mit den zwei verbleibenden Teilbereichen des Entwurfs jeweils verfolgten Ziele der globalen Allokationseffizienz und Redistribution (ausschließlich der Stabilisierung) auf ihre Legitimation hin zu überprüfen. Daraufhin sind sodann die zur Erreichung dieser Ziele in Frage kommenden bzw. vorgeschlagenen Instrumente zu sammeln und ist ihre Wirkungsweise kurz vorzustellen (Abschnitt E.III). Der in dieser Arbeit behandelten Problematik entsprechend, werden dabei ausschließlich solche Instrumente berücksichtigt, die in ihrer Wirkungsweise global angelegt sind in dem Sinne, daß sie eine internationale Koordination der Aktivitäten der Einzelstaaten vorsehen. Aufbauend auf diesen Vorarbeiten, kann dann im nachfolgenden Kapitel F die ökonomische Legitimation der Maßnahmengestaltung erfolgen. Dazu ist es zunächst erforderlich, die abstrakt definierten Prüfkriterien Effektivität, Ordnungskonformität und Verhältnismäßigkeit speziell auf die vorliegende Problematik der Entwicklungspolitik hin zu konkretisieren. Dies soll mittels einer kritischen Würdigung der gegenwärtig betriebenen Entwicklungspolitik erfolgen, aus der sich Erkenntnisse für eine den genannten Prüfkriterien eher 10 Scbeube

E. Ziellegitimation und Alternatiworschläge

.146

entsprechende Gestaltung dieses Politikbereichs gewinnen lassen. Darauf aufbauend werden in diesem Abschnitt dann die vorher beschrieben~n Instrumente dem in dieser Arbeit vorgestellten Entwurf gegenübergestellt und wird verglichen, inwieweit sie in ihrer jeweiligen Konzeption diesen Erkenntnissen Rechnung tragen. Die zusammenfassende Begründung der Entscheidung für den Entwurf als dem "Instrument der Wahl" bildet den Abschluß des folgenden Kapitels. 11. Vertragstbeoretiscbe Legitimation des mit dem Finanzausgleicb angestrebten Ziels

1. Vorbemerkullg: Zur Methodik der vertragstheoretischeIl Ziellegitimotioll Damit zunächst zur Legitimation der mit den beiden Komponenten des Entwurfs verfolgten Ziele. Diese Prüfung ist erforderlich, um feststellen zu können, ob die verfolgten Ziele im Allgemeininteresse liegen oder ob lediglich die Partialinteressen einzelner Gruppen der Bevölkerung zu Lasten der Mehrheit im Vordergrund stehen. Damit ergibt sich jedoch die Schwierigkeit, subjektive Zielbewertungen einer objektiven Überprüfung zuführen zu müssen. Als Verfahren zur bestmöglichen Heraushebung der Bewertung von Zielen aus der Willkürlichkeit individueller Wertmaßstäbe in den Status (zwangsläufig nur beschränkt) testbarer positiver "Zielhypothesen" bietet sich die in Üb. 2 auf der folgenden Seite beschriebene Prüfmethodik an1• Diese beruht auf der Grundlage' der Vertragstheorie und knüpft das Vorliegen von Allgemeinwohlzielen an die Bedingung, daß diese sich sowohl millels der Vorstellung eines hypothetischen als auch der eines impliziten Gesellschaftsvertrages rechtfertigen lassen. Ersterer ist gegeben, wenn Plausibilitätsüberlegungen dafür sprechen, daß sich aufgeklärte Bürger in einer Urvertragssituation, also bei schiedsrichterlicher Unabhängigkeit und unter dem "Schleier der Ungewißheit" über die eigene Betroffenheit auf das betreffende Ziel einigen w.ürden. Dies ist anzunehmen, wenn letztlich alle davon profitieren. Letzterer liegt vor, wenn es in der Erfahrungswelt Anzeichen dafür gibt, daß diese Zielsetzung vom Gros aufgeklärter und unparteiischer Bürger geteilt wird und Verstöße dagegen als sozialer Mißstand aufgefaßt würden. Jeweils getrennt wird dies im folgenden für die beiden mit dem Entwurf verfolgten Ziele der globalen Allokationseffizienz und Verteilungsgerechtigkeit geprüft. Dabei wird sich herausstellen, daß die Verfolgung dieser Ziele nicht unabhängig voneinander möglich ist, sondern sie sich gegenseitig ergänzen.

1

Vgl. H. Grossekeltle,. (1987a, S. 16).

11.

Ob. 2

Vcrlrag.~lhcorclischc

Zicllcgitimalion

147

Ablaufschema zur Beurteilung wirtschaftspolitischer Maßnahmen

1. VertragstlJeoretisclJe LegitimUlion des MußnulJmenziels 1.1

Prüfschritt 1 = hypothetische Rechtfertigung: Erscheint es plausibel, daß sich aufgeklärte Bürger in einer Rawlsschen Urvertragssituation • d.h. bei schiedsrich· terlicher Unabhängigkeit und unter dem "Schleier der Ungewißheit" über persönliche Betroffenheit· auf das Maßnahmenziel einigen würden?

1.2

Prüfschritt 2 = Verweis auf konkludentes Verhalten: Gibt es in der Erfahrungswelt Anzeichen dafür, daß die in Rede stehende Zielsetzung ·vom Gros aufgeklärter und unparteiischer Bürger geteilt und Verstöße dagegen als soziale Mißstände aufgefaßt würden?

1.3

Teilergebnis 1: Bei positivem Prüfergebnis Teilergebnis festhalten und weiterprüfen; bei negativem Ergebnis dagegen nur unter dem Vorbehalt fortfahren, daß die Zielsetzung vermutlich nur bestimmten Interessengruppen, nicht aber der Allgemein. heit dient.

2. (jkonomisclle LegitimUlion der Mußnulrmengestaltung 2.1

Instrumentenvektor: Ermittlung und Konkretisierung denkbarer Instrumente zur Ziel realisation.

2.2

Instrumentenweise Prüfung auf Effektivität (- Zielkonformität): Unterstützt eine Maßnahme x die Erreichung des gesetzten Ziels richtungsmäßig und ist sie so geartet. daß auch ein quantitativ befriedigender Zielerreichungsgrad realisiert werden kann?

2.3

Prüfungderverschiedenen Instrumente aufOrdnungskonformität ( .. Erforderlichkeit) Sind mit der Maßnahme x Eingriffe in die Handlungsfreiheit von Individuen oder zusätzliche Kompetenzen für staatliche Stellen (abgestuft nach dem Subsidiari· tätsprinzip) oder Effekte verbunden, welche das Funktionieren des Marktmechanismus stören oder wird gegen das Prinzip des Vorrangs der Ordnungs· vor der Ablaufpolitik verstoßen? Ist das Ausmaß der jeweiligen Ordnungsinkonformität auf das zur Zielerreichung erforderliche Minimum beschränkt und kann es auch durch Justieren des vorgesehe· nen Instruments nicht mehr verringert werden (zielbedingte Minimalintensität der Ordnungsstörung)?

2.4

Prüfung auf Verhältnismäßigkeit (.. Wirtschaftlichkeit): Steht der Nutzen der Zielrealisation mit Hilfe der ausgewählten Maßnahme in einem veernünftigen Verhältnis zu den Zweck· und Transaktionskosten aller Art, die mit dem Einsatz dieses Instruments verbunden sind?

2.5

Teilergebnis 2: Darstellung der Prüfung aller Instrumente und abschließende Beschreibung des letztlich ausgesuchten "Instruments der Wahl".

Quelle: H. Grossekettler (1987a, S. 16a, Tab. 2), leicht geändert.

1