Feuilleton für alle: Strategien im Kulturjournalismus der Presse [Reprint 2010 ed.] 9783110922530, 9783484340480

The study proceeds from the observation that culture and journalism are in a state of flux and that the classical "

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Feuilleton für alle: Strategien im Kulturjournalismus der Presse [Reprint 2010 ed.]
 9783110922530, 9783484340480

Table of contents :
1. Einleitung
1.1 Die inhaltlichen Aufgaben
1.2 Die methodischen Aufgaben
1.3 Das Forschungsdesign
2. Der Strategiebegriff
2.1 Verwendungsweisen des Strategiebegriffs
2.2 Skizze einer Strategientypologie
3. Der Kulturbegriff
3.1 Was zählt zweifellos als Kulturseite? - Das Basissample
3.2 Was steht auf Basiskulturseiten? - Der Basiskulturbegriff
3.3 Was zählt noch als Kulturseite? - Sonderseiten und Beilagen
3.4 Was steht in Feuilletons? - Der Kulturbegriff der Kulturteile
3.5 Was zählt noch dazu? - Beiträge auf weiteren Seiten
3.6 Was zählt nicht als Kultur? - Nichtkulturelles im Feuilleton
3.7 Kultur ist vor allem Kunst - Fazit
4. Hauptbefunde der quantitativen Analyse
4.1 Umfang und Gewicht
4.2 Die thematische Struktur
4.3 Die funktionale Struktur
5. Das Popularisieren
5.1 Fragestellung und Aufbau der Analyse
5.2 Spielarten des Popularisierens
5.3 Typologische Aspekte des Popularisierens
6. Das Personalisieren
6.1 Fragestellung und Aufbau der Analyse
6.2 Spielarten des Personalisierens
6.3 Die Geistreichen über die Kunstschönen - Zwei Tendenzen
6.4 Typologische Aspekte des Personalisierens
7. Das Feuilletonisieren
7.1 Fragestellung und Aufbau der Analyse
7.2 Spielarten des Feuilletonisierens
7.3 Typologische Aspekte des Feuilletonisierens
8. Unterm Strich
8.1 Inhaltliches Resümee mit kritischer Perspektive
8.2 Methodisches Resümee
9. Anhang
9.1 Abbildungsverzeichnis
9.2 Literaturverzeichnis
9.3 Kodierprotokoll

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MEDIEN IN FORSCHUNG + UNTERRICHT Serie A Herausgegeben von Dieter Baacke, Wolfgang Gast, Erich Straßner in Verbindung mit Wilfried Barner, Hermann Bausinger, Helmut Kreuzer, Gerhard Maletzke Band 48

Gernot Stegert

Feuilleton für alle Strategien im Kulturjournalismus der Presse

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1998

Meiner Frau Carmen

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Stegert, Gernot: Feuilleton für alle : Strategien im Kulturjournalismus der Presse / Gernot Stegert. - Tübingen : Niemeyer, 1998 (Medien in Forschung + Unterricht: Ser. A ; Bd. 48) ISBN 3-484-34048-7

ISSN 0174-4399

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 1998 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Buchbinder: Industriebuchbinderei Nadele, Nehren

Inhalt

1. Einleitung l. l Die inhaltlichen Aufgaben 1.1.1 Medienwandel 1.1.2 Kulturwandel 1.1.3 Kulturjournalismus im Wandel? l .2 Die methodischen Aufgaben 1.2.1 Medienanalyse als Strategienanalyse l .2.2 Integration von qualitativer und quantitativer Analyse . . . . l .2.3 Der theoretische Rahmen l .3 Das Forschungsdesign l .3.l Die Ziele und Fragen 1.3.2 Das Untersuchungsmaterial 1.3.3 Die Gliederung

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2. Der Strategiebegriff 2.1 Verwendungsweisen des Strategiebegriffs 2.1.1 Die Bedeutung im doppelten Sinne 2.1.2 Kommunikationen als Spiele 2.1.3 Der Status einer Strategie 2.1.3.1 Strategie und Regel 2.1.3.2 Strategie und Konvention 2.1.3.3 Strategie und Präzedenz 2.l .3.4 Strategie und Prinzip 2.l.3.5 Strategie und Funktion 2.1.4 Akteure strategischen Handelns 2.1.5 Fazit 2.2 Skizze einer Strategientypologie 2.2.1 Beitragsexterne Aspekte der Kommunikation 2.2.2 Beitragsinterne Aspekte der Kommunikation 2.2.2.1 Beitragsform und Kommunikationsform 2.2.2.2 Handlung und Handlungszusammenhänge 2.2.2.3 Thema und thematische Zusammenhänge 2.2.2.4 Inhalte, Festlegungen und Wissensaufbau

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VI

2.2.2.5 Sprachliche Form 2.2.2.6 Präsentation 2.2.3 Fazit

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3. Der Kulturbegriff 3.1 Was zählt zweifellos als Kulturseite? - Das Basissample 3.2 Was steht auf Basiskulturseiten? - Der Basiskulturbegriff 3.3 Was zählt noch als Kulturseite? - Sonderseiten und Beilagen . . . 3.4 Was steht in Feuilletons? - Der Kulturbegriff der Kulturteile . . . 3.5 Was zählt noch dazu? - Beiträge auf weiteren Seiten 3.6 Was zählt nicht als Kultur? - Nichtkulturelles im Feuilleton 3.7 Kultur ist vor allem Kunst - Fazit

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4. Hauptbefunde der quantitativen Analyse 4. l Umfang und Gewicht 4.1.1 Umfang und Gewicht nach Seiten im Ressortvergleich . . . . 4.1.2 Gewicht nach Plazierung des Kulturteils 4.1.3 Umfang nach Beitragsanzahl und -länge 4.1.4 Gewicht nach Plazierung kultureller Beiträge 4.1.5 Gewicht nach Aufmachern auf Titelseiten 4.1.6 Zusammenfassung 4.2 Die thematische Struktur 4.2.1 Die Kultursparten und -subsparten 4.2.1.1 Umfang nach Beilagen und Sonderseiten 4.2.1.2 Umfang der Kultursparten nach Beiträgen 4.2.1.3 Umfang der Subsparten nach Beiträgen 4.2. l .4 Gewicht nach Ressortplazierung und Funktionstypen 4.2.2 Die Themenfelder und -bereiche 4.2.2.1 Umfang nach Beitragsanzahl und -länge 4.2.2.2 Charakteristische Pressetyp- und Blattprofile 4.2.3 Die Ereignistypen 4.2.4 Zusammenfassung 4.3 Die funktionale Struktur 4.3.1 Die Beitragsformen 4.3.1.1 Die einzelnen Beitragsformen 4.3.1.2 Charakteristische Pressetyp- und Blattprofile 4.3.1.3 Vielfalt und Stereotypie 4.3.2 Die Funktionstypen

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VII

4.3.2.1 Die einzelnen Funktionstypen 4.3.2.2 Charakteristische Pressetyp- und Blattprofile 4.3.3 Zusammenfassung 5. Das Popularisieren 5.1 Fragestellung und Aufbau der Analyse 5.2 Spielarten des Popularisierens 1.2.l „Ein bißchen Schrilligkeit" - Popularisieren durch Themen 5.2.2 Langsamer Wandel - Popularisieren durch Beitragsformen 5.2.3 Kaum Faceliftings - Popularisieren durch Präsentation . . . . 5.2.3.1 Ordnung ist das halbe Lesen - Das Rubrizieren 5.2.3.2 „Fastfood" nicht nur am Kiosk Das Reduzieren der Textlänge 5.2.3.3 Gedrucktes Fernsehen auf wenig „Kanälen" Das Visualisieren 5.2.3.4 Selten Daten auf einen Blick - Die Service-Orientierung . . . . 5.2.3.5 Kaum Kultur in Häppchen - Das Portionieren 5.2.3.6 Wenig Wiedereinstiegshilfen Das Motivieren durch Zwischentitel 5.2.3.7 Grad des Popularisierens durch Präsentation Zusammenfassung 5.2.4 Wie man ein E für ein U vormacht Eine exemplarische Analyse 5.2.4.1 „Auf dem Weg zum Weltstar" Wie ein Magazin Kultur verkauft 5.2.4.2 „Ein Mädchen macht Amores" Wie eine Boulevardzeitung emotional i siert 5.2.4.3 „Verführerisch" - Wie Illustrierte Reklame machen 5.3 Typologische Aspekte des Popularisierens 5.3.1 Systematisierung der Spielarten 5.3.2 Grundstrukturen des Popularisierens 6. Das Personalisieren 6.1 Fragestellung und Aufbau der Analyse 6.2 Spielarten des Personalisierens 6.2.1 Journalistisches StarsystemPersonalisieren durch Verfasserwahl 6.2.2 Weicher Journalismus - Personalisieren durch Beitragsformen

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VIII 6.2.3 „Vergessen Sie den Untertitel" Personalisieren durch Leseranrede 6.2.4 Gedruckte O-Töne - Personalisieren durch Redewiedergabe . . . 6.2.5 Personality - Personalisieren durch Hauptthema 6.2.6 Die besondere Sicht - Personalisieren durch Perspektive .. 6.2.7 Aus dem Privatleben Personalisieren durch Intimisieren der Inhalte 6.2.8 „Manchmal möchte man" Personalisieren durch Subjekt!vieren der Inhalte 6.2.9. „Ermüdung stellt sich ein" Personalisieren durch Subjektivieren der Wertung 6.2.10 Individualstil als Imagearbeit Personalisieren durch Formulieren 6.2.11 Namen und Gesichter — Personalisieren durch Präsentieren 6.3 Die Geistreichen über die Kunstschönen - Zwei Tendenzen . . . . 6.3.1 Human interest-Journalismus Personalisieren des Kommunizierten 6.3.2 Intimisierung des Öffentlichen Personalisieren des Kommunizierens 6.4 Typologische Aspekte des Personalisierens 6.4.1 Systematisierung der Spielarten 6.4.2 Grundstmkturen des Personalisierens 7. Das Feuilletonisieren 7.1 Fragestellung und Aufbau der Analyse 7.2 Spielarten des Feuilletonisierens 7.2. l Von Locken, Scheiteln und Dreitagebärten Exemplarische Analysen 7.2.1.1 Barocke Sprachperücke 7.2.1.2 Gescheit und gescheitelt 7.2.1.3 Ästhetik des Widerstands 7.2.1.4 Mit dem Leser an den Hand auf dem Boulevard 7.2.1.5 Satztänzer mit Dreitagebart 7.2.1.6 Stories zwischen Pathos und Lakonie 7.2.1.7 Steno-Poesie und Mini-Dramen 7.2.2 Ressortspezifische Spielarten 7.2.2.1 Dichtung - Das semantische Komprimieren

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IX

.2.2.2 Journalismus für Genießer - Das Kulinarisieren 7.2.2.3 Kunst der Kunst - Das Ikonisieren 7.2.2.4 Von literarischen Kutschfahrten und Feen Das Fiktionalisieren 7.3 Typologische Aspekte des Feuilletonisierens 7.3.1 Systematisierung der Spielarten 7.3.2 Grundstrukturen des Feuilletonisierens

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8. Unterm Strich 8.1 Inhaltliches Resümee mit kritischer Perspektive 8.1.1 Zum Kulturbegriff der journalistischen Praxis 8.1.2 Zu Umfang und Gewicht von Kulturjournalismus 8.1.3 Zur thematischen Struktur 8.1.4 Zur funktionalen Struktur 8.1.5 Zur Strategie des Popularisierens 8.1.6 Zur Strategie des Personalisierens 8.1.7 Zur Strategie des Feuilletonisierens 8.1.8 Kulturjournalistische Strategien als Lösungen im Medienwandel 8.2 Methodisches Resümee 8.2.1 Zur Integration quantitativer und qualitativer Analyse 8.2.2 Zum Strategiebegriff

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9. Anhang 9.1 Abbildungsverzeichnis 9.2 Literaturverzeichnis 9.3 Kodierprotokoll

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l. Einleitung

„Feuilleton ist, wenn man trotzdem liest." So necken zuweilen Redakteure ihre Kollegen vom Kulturressort. Und so stöhnen gewiß auch Käufer von Zeitungen und Zeitschriften, wenn mal wieder eine Edelfeder vor lauter Verliebtheit in sprachliche und gedankliche Schnörkel vergißt, daß das eigene Kunst-Stück ein öffentlicher Text ist, dem Leser und Leserinnen zuvorderst Informationen entnehmen wollen und den sie verstehen müssen. ,,Kulturjournalismus" ist ein Ausdruck, mit dem an diese Pflicht vor aller Kür erinnert wird. Zahlen belegen, daß Ruf und Lektüre der Kulturberichterstattung in der Presse, euphemistisch formuliert, stark verbesserungsbedürftig sind (siehe 1.1.3). Und das in einer Situation, hi der Zeitungen und Zeitschriften aufgrund der Ergebnisse der Mediennutzungsforschung und vor dem Hintergrund eines Strukturwandels' (siehe 1.1.1) Innovationen forcieren und damit auch Traditionelles in Frage stellen. Ein Feuilleton für alle mag zwar als Ziel unerreichbar sein, als Kursbestimmung jedoch wird es für immer mehr Redaktionen unausweichlich; nicht lediglich als gelegentliche Anstrengung zur Optimierung des alltäglich Bewährten, sondern zur Bewahrung des Alltags eines klassischen Presseressorts, zur Existenzsicherung der eigenen Arbeit als einer Form der Kulturvermittlung. Wer sich Reformen verweigert, sägt letztlich am eigenen Ast. Die Presseverlage reagieren auf die Herausforderungen des Medienwandels mit Strategien, die sich unter dem Stichwort des Redaktionellen Marketings zusammenfassen lassen. Mögen auch manche Kulturvermittler den Titel „Feuilleton für alle" für ein Oxymoron halten und Marketing im Kulturressort als Blasphemie empfinden, sie unterschätzen erstens den Ernst der Lage (vgl. 1.1.1 und 1.1.3), vergessen zweitens, daß bereits die Gründerväter des Feuilletons vor nunmehr fast zwei Jahrhunderten vieles von dem angewendet haben, was heute Medienmanager empfehlen (vgl. den Anfang von Kap. 5), und sie verkennen drittens, daß intelligentes redaktionelles Marketing die Spezifika eines Ressorts und seines Gegenstands (wozu etwa sprachliche Originalität im Feuilleton ge1

Hoflmann-Riem (1986: 17) präzisiert diesen als „Wandel der Technologie, der ökonomischen Grundlagen, der Inhalte und der Nutzung" der Medien.

hört, vgl. Kap. 7) nicht ignoriert. Redaktionelles Marketing läßt sich leicht in einem Atemzug mit der Kommerzialisierung der Medien verurteilen. Allzuleicht. Denn immerhin lenkt es den Blick auf eine journalistische, ja kommunikative Grundaufgabe: das Herstellen und Wahren der Kommunikation selbst; auch wenn die Motive ökonomische sind. Nur ein gelesener Artikel kann bekanntlich weitergehende Funktionen wie Information, Bildung, Aufklärung, Kritik etc. erfüllen. Jeder Beitrag ist immer auch - gute oder schlechte - Eigenwerbung. Ein Feuilleton für alle im richtig verstandenen Sinne ist schließlich nicht bloße Forderung, sondern auch Praxis. Natürlich muß ein Grundwissen und ein Grundinteresse für Kultur vorausgesetzt werden, wie im Wirtschaftsressort nicht ständig erklärt werden kann, was eine Aktie ist, oder im Sportressort, was die Abseitsregel im Fußball besagt. Und natürlich bedeutet das „für alle" je nach Pressetyp etwas anderes. Gleichwohl können Medienunternehmen wie engagierte Feuilletonredakteure von der Zielvorgabe nicht abrücken. Und entsprechend zeigen unterschiedliche Beispiele, daß Kulturjoumalismus kein redaktioneller Luxus für eine interessierte Minderheit sein muß, sondern durch Anwendung bestimmter Strategien in der Medien- und Ressortkonkurrenz bestehen kann, ohne den Anspruch auf Vermittlung von Kultur aufzugeben - wobei ein Wandel des KulturbegrifFs (siehe 1.1.2) zu berücksichtigen ist. Die doppelte Grundaufgabe aller Kulturjoumalisten, sowohl möglichst vielen Lesern und Leserinnen als auch der Kultur als ihrem Gegenstand und als dem zu Vermittelnden gerecht zu werden, ist zwar schwierig, aber keine Quadratur des Kreises. Um herauszufinden, ob, wie und in welchem Umfang die Aufgabe gelöst wird, soll die journalistische Praxis mit qualitativen und quantitativen Methoden analysiert werden. Nötig ist die empirische Untersuchung eines relevanten und möglichst breiten Ausschnitts von Kulturjoumalismus.

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Die inhaltlichen Aufgaben

Medien und Kultur wandeln sich schon immer ständig, in den letzten Jahren jedoch verstärkt. Trifft das auch auf den Kulturjoumalismus zu und wenn ja, wie und in welchem Maße? Reagieren die Kulturjournalisten auf die Veränderungen? Aufgabe dieser Untersuchung ist unter anderem eine Antwort auf diese Fragen. Drei Skizzen sollen zunächst einmal die Entwicklung in ihren wichtigsten Grundlinien vor Augen führen.

1.1.1 Medienwandel Lange wurde die Gefahrdung der Printmedien durch die elektronischen Medien beschworen. Doch wohlfeile Abschiedsgesänge auf die Gutenberg-Galaxis sind von differenzierten Analysen abgelöst worden. Ein Befund lautet: „Hinter der Dominanz der elektronischen Medien stehen die Lesemedien kaum zurück."2 Ein Wandel wird weiterhin konstatiert, doch nicht von blühenden Presselandschaften hin zum Aussterben der Schriftkultur, sondern hin zur immer stärkeren Profilierung als Komplementärmedium, zur Betonung der eigenen medialen Stärken. Das Verhältnis der Medien ist demnach weniger eines der Substitution oder Konkurrenz als „oft eher eines der Komplementarität"3. Unterschiede bestehen etwa in der räumlichen und zeitlichen Verfügbarkeit und einem jeweils anderen ,,funktional-situativen Einsatz der Medien" 4. „Außerdem ist die Dimension des Gedruckten der zweidimensionale Raum, wo sich Informationen systematisch ordnen, übersichtlich darstellen und durch die Vielfalt typografischer Möglichkeiten abwechslungsreich gestalten lassen. Man kann die Zeitung sehr selektiv zu selbstgewählter Zeit, am selbstgewählten Ort nutzen, weniger Interessierendes überblättern, vor allem aber zurückblättem oder nachlesen, wenn man etwas dem besseren Verständnis - oder zum wiederholten Male - erschließen will. Das Medium Zeitung eignet sich besonders dafür, dem Leser Bezüge herzustellen, Hintergründe zu erhellen sowie durch Aufklärung und Kommentierung Orientierungshilfen zu bieten und Sinnzusammenhänge zu vermitteln."5 Komplementarität bedeutet konkret: „Aktuelle Informationen zum Beispiel werden in allen zur Verfügung stehenden Medien gesucht, eine Meldung im Fernsehen eher durch einen Bericht in der Tageszeitung ergänzt."6 Ein schon lange analysierter Wandel der Mediennutzung hat vielfach zu einem Wandel der Medienprodukte geführt: der Schwund jüngerer Leserinnen und Leser bei Zeitungen. „Bereits 1978 zeichnete sich ein [...] Ergebnis ab, das seither vielfach in anderen Studien dokumentiert wurde: Die Tageszeitung er2 3

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Saxer et al. 1989: 8. Vgl. auch Berg/Kiefer 1992. Saxer et al. 1989: 9. Vgl. aus betriebswirtschaftlicher Sicht (Kopper 1984: 3): „Die Zeitung ist bei entsprechender Verstärkung der eigenen Leistungsmerkmale in der Lage, die publizistische Konkurrenz mit den neuen Medien zu bestehen." Die Substitutionsthese halten auch Berg/Kiefer für widerlegt (ebd.: 15). Saxer et al. 1989: 9. Pürer/Raabe 1994: 221 f. Saxer et al. 1989: 9.

reicht junge Menschen nur unterdurchschnittlich. Auch hier liegt der gravierende Einschnitt zwischen der Altersgruppe der 18- bis 29jährigen und der der 30bis 44jährigen: Letztere lesen um 16,3 Prozent häufiger täglich Tageszeitung. Betrachtet man die Nutzung der Tageszeitung detaillierter, so läßt sich erkennen, daß in den Altersgruppen zwischen 14 und 29 Jahren der Anteil derjenigen, die nur ein- bis zweimal in der Woche zur Zeitung greifen, deutlich über dem Durchschnitt liegt. Das Angebot aktueller Informationen in der Tageszeitung scheint in diesen Altersgruppen von geringerer Bedeutung."7 Woran liegt das? In den USA wurde beobachtet: „Gerade was junge Leute anlangt, sind bei der Ursachenanalyse des Leserschwunds allzu grobe Pauschalurteile längst differenzierteren Betrachtungsweisen gewichen. Nicht einfach das Fernsehen oder die Computerisierung sind am Nicht-Lesen schuld. Denn schon der Befund zeigt, daß die sogenannten Baby boomers nicht oder nur wenig lesen, ist unhaltbar. 'Sie lesen eine Menge', diagnostizierte der Medienexperte der Los Angeles Times, David Shaw, 'nur eben nicht die Tageszeitung.' In der Tat lesen junge Amerikaner mehr Bücher und mehr Zeitschriften denn je. Es scheint also an den Inhalten zu liegen, wenn die herkömmliche Zeitung sich abnehmender Beliebtheit erfreut."8 Viele Zeitungen hierzulande haben mit Jugendseiten und extra Seiten vor allem für Popmusik reagiert. Denn: „In extremer Weise als Medium der Jungen erweisen sich Schallplatte/CD/Musikkassetten."9 In die Zukunft weist ein weiterer Befund: „Die 18- bis 29jährigen sind besonders intensive Zeitschriftennutzer. Jene Gruppe, die weniger Tageszeitungen konsumiert, liest um so häufiger Zeitschriften mit Schwerpunkt Politik und Wirtschaft. Aber auch Kunst und Kultur sowie generell Fachzeitschriften werden hier am meisten genutzt." 10 Demnach sind die von den Zeitungen vermißten jungen Leser mit mehr Kultur und zeitschriftenähnlichen Formen zu gewinnen. Noch gilt: „kulturelle Beiträge finden bei den mittleren Jahrgängen am meisten Zuspruch." "

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Ebd.: 56. Neben der Nutzungshäufigkeit unterscheiden sich die Altersgruppen auch in der Nutzungsdauer: „Ein Vergleich der Nutzungsdauer in den unterschiedlichen Altersstufen zeigt, daß die meisten Medien von älteren Personen länger genutzt werden als von den jüngeren. Besonders deutlich ist der Trend bei Fernsehen und Tageszeitung. Junge nehmen also nicht nur seltener eine Tageszeitung zur Hand, sondern - wenn sie es tun - auch kürzer." (ebd.: 58). Vgl. die Ergebnisse von Berg/Kiefer 1992. Ruß-Mohl 1992: 21. Saxer et al. 1989: 56. Ebd.: 63. Ebd.: 63.

Ein weiterer Wandel betrifft das Kauf- bzw. Abonnierverhalten, verursacht durch gesellschaftliche Entwicklungen. Durch eine Zunahme der Single-Haushalte sinken die Abonnentenzahlen. Eine gestiegene Mobilität in der Bevölkerung fuhit zu nurmehr losen Beziehungen zum Wohnort und damit auch zu einer Lokal- oder Regionalzeitung. 12 Und so wie insgesamt in der Konsum- und Erlebnisgesellschaft Bindungen gegenüber Institutionen, Kirchen, Parteien und Vereinen gelockert sind, so auch die Treue der Leserinnen und Leser zu ,^hrer" Zeitung: „Auch die Leser-Blatt-Bindung ist nicht mehr so intensiv wie in guten alten Zeiten. Die Scheidungsrate nimmt zu. Der Titel einer kürzlich erstellten Studie bringt die neue Bindungslosigkeit auf den Punkt: 'Love us or leave us' die Abonnenten mögen zwar ihre Zeitungen und haben wenig an ihnen auszusetzen, ihr Abo kündigen sie dennoch, ohne mit der Wimper zu zucken." 13 Der Wandel der Lebensumstände und -Stile muß aber nicht nur Bedrohung für die Presse sein. So könnte die gewachsene Bedeutung von Freizeit gerade für Kulturjournalismus eine Chance sein, neue Leserinnen und Leser für sich und das ganze Blatt zu gewinnen. Ein vieldiskutierter Wandel ist das Sinken der Nutzungsdauer bei Zeitungen. 1989 galt: „106 Minuten wurden im Durchschnitt ferngesehen, 98 Minuten Radio gehört. Mit weitem Abstand folgen die Lesemedien Tageszeitung mit 32 Minuten und Buch mit 23 Minuten." 14 Für Wochenzeitungen ergaben sich lediglich 6 Minuten täglich und für Zeitschriften 20 Minuten. Etwas besser sah das Ergebnis ohne „Nichmutzer" aus: Wer tatsächlich las, las im Schnitt am Tage 42 Minuten in der Tageszeitung, 26 Minuten in einer Wochenzeitung und 36 Minuten in einer Zeitschrift (Bücher 84, Fernsehen 133, Radio 128). 15 In den USA ist der Medienwandel am weitesten fortgeschritten und von dort kommen auch die radikalsten Lösungsversuche: „Das Zauberwort, mit dem die Zeitungsmanager allenthalben dem Leserschwund, der langfristig todverheißenden Krankheit, zu begegnen suchen, heißt Marketing. 'Das zentrale Anliegen besteht darin, die Wünsche und Bedürfhisse der Konsumenten zu erkennen und zu befriedigen', schreibt Conrad C. Fink von der University of Georgia, einer der Vorkämpfer modernen Medienmanagements. Für den Journalismus heißt 12 13 14

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Vgl. zu beiden Aspekten u.a. Berg/Kiefer 1992: 23f, Pürer/Raabe 1994: 205 und 239f. Ruß-Mohl 1992: 232. Saxer et al. 1989: 56. Einen Wert von 30 Minuten Tageszeitungslektüre pro Werktag für das Jahr 1990 errechneten Berg/Kiefer (1992: 43). Saxer et al. 1989:58.

das: 'Nachrichten sind das, was unsere Leser als Nachrichten haben möchten.' So jedenfalls übersetzt Steve Crosby, Chef vom Dienst beim Wausau Daily Herald in Wisconsin, die Botschaft für seine Redakteure. [...] Kaum ein Produkt dürfte indes unter dem Diktat der Marketing-Fachleute im letzten Jahrzehnt drastischer sein Erscheinungsbild verändert haben als die amerikanische Tageszeitung." 16 Dabei sind die Leserinnen und Leser in erster Linie indirekte Zielgruppe und König nur, insofern sie als Kunden für Inserenten interessant sind: „Heute machen die Anzeigen bei den deutschen Tageszeitungen etwa zwei Drittel des Erlöses aus; aus dem Vertrieb wird nur ein Drittel der Einnahmen erzielt. In den USA liegt der Prozentsatz zugunsten der Werbung zum Teil noch höher" 17. Das hat Folgen für die journalistischen Produkte: Häufig werden vor allem Zeitschriften nur deshalb konzipiert und auf den Lesermarkt gebracht, weil auf dem Anzeigenmarkt eine Lücke ausgemacht worden ist. 18 Die Veränderung der Printmedien läßt sich am besten mit der Formel vom Newspaper zum Usepaper zusammenfassen. Zeitungen werden vom Gebrauchswert für die Leserinnen und Leser her umgestaltet, von der Themenauswahl bis zum Layout. Überleben im Survival of the Outfittest kann demnach nur die Schönste: „Nimmt man all die Faceliftings und die Farbe im Antlitz amerikanischer Zeitungen, so nehmen sich die meisten deutschen Blätter im Vergleich dazu alt und langweilig aus. Das grafische und illustrative Outfit, mit dem sie sich modisch einkleiden, und das moderne Layout läßt sie allesamt wohlproportioniert erscheinen, ob schon die meisten von ihnen immer fetter geworden sind." 19 Design wird zur Frage nach Sein oder Nichtsein. Doch: „Bei drastischen Korrekturen im Make-up, im äußeren Erscheinungsbild, ist es [...] nicht

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Ruß-Mohl 1992: 26. Zur Vorreiterrolle der USA siehe Weischenberg (1992: 151): „Welche Spirale durch Kommerzialisierung und Deregulation des Mediensystems in Gang gesetzt wird, kann in den USA seit Jahren studiert werden." Unter der Überschrift .Perspektive: .Amerikanisierung' des Mediensystems" beschreibt er Näheres (ebd.: 161-170). Ferner Ruß-Mohl 1992: 146: „Europäisierung des Medienmarktes bedeutet ja auch Marktvergrößerung. Zumindest was die Dimensionen der Märkte angeht, ist damit absehbar, daß wir uns mit atemberaubendem Tempo Rahmenbedingungen nähern, die den amerikanischen vergleichbar werden." Zu dem „Strukturwandel in den Medien" mit den Haupttendenzen „wachsender Multimedialität, der Internationalisierung und der Ökonomisierung bzw. Kommerzialisierung des Medienbereichs" siehe Hoffmann-Riem (1986: 17). Weischenberg 1992: 241. Vgl. ebd. : 249-258 und Weischenberg 1994: 107-138. Ruß-Mohl 1992: 26f.

geblieben. Auch die Zeitungsinhalte haben sich gründlich verändert. Die Zeitungen seien leserfreundlicher geworden, sagen die einen. Der redaktionelle Teil verkomme immer mehr zum Anzeigenumfeld, klagen die anderen."20 Besonders heftig diskutiert wurde die Bedeutung von soft news;21 auch, wieweit dem Volk nach dem Mund geredet werden darf, eine Form ist der sogenannte Trendjournalismus, „der die Leute happy macht, statt sie zu informieren" wie Dagobert Lindlau kritisierte.22 Das Themenspektrum wird also erweitert, die Zeitung wird zum modernen Supermarkt, der für jeden etwas bietet. Damit die Übersicht nicht verlorengeht, führen die Printmedien Farbleitsysteme, Rubriken, Anrißmeldungen und Fenster ein: „Allesamt bemühen sie sich auch um mehr Orientierungshilfe und Übersichtlichkeit für den eiligen Leser. Dies ist als Reaktion auf die zunehmende Fragmentierung der Leserschaft und die damit einhergehende Differenzierung der Leserinteressen zu werten." 23 Ein zweiter funktionaler Wandel, neben dem zu mehr Service, ist der zu mehr Hintergrund und Einordnung: „In den kommenden Jahren müssen die Redakteure - selbst einer ungeheuren Fülle von Informationen ausgesetzt - viel stärker als bisher versuchen, die vorhandene Informationsquantität in Informationsqualität umzuwandeln. Die geforderte Kompetenzbasis der Journalisten verschiebt sich also mehr und mehr zu der Aufgabe, Informationen für die Medienkonsumenten so aufzubereiten, daß sie verstanden, eingeordnet und zur eigenen Orientierung genutzt werden können. [...] Insgesamt geht es darum, aus den erschlossenen und aufbereiteten Fakten Zusammenhänge herzustellen und damit Information in Orientierungswissen umzuwandeln."24 Dies dient der Profilierung als Komplementärmedium. Die Orientierungshilfe ist denn auch nach einer Expertenbefragung neben Information und Unterhaltung die Funktion der Medien in der Zukunft. 25 Bei allem Wandel und allen Trends dürfen Unterschiede zwischen einzelnen Pressetypen nicht übersehen werden. Überregionale Tageszeitungen und Wochenzeitungen verändern sich langsamer als Regionalzeitungen und Zeitschriften. Das liegt weniger an Tradition oder Trägheit als an der jeweiligen Leser-

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Ebd.: 27.

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Vgl. Ebd.: 27.

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Zitiert nach Ebd.: 151. Ebd.: 27. Pürer/Raabe 1994: 515f. Weischenberg 1994: 140-146.

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Schaft.26 Denn je weiter der Adressatenkreis einer Publikation, auch im Bildungsniveau, ist, desto schneller muß sich die Entwicklung vollziehen. Für die Untersuchung ergeben sich aus den skizzierten Wandlungsprozessen Fragen wie: Welche Funktionen erfüllen die Feuilletons? Werden sie den Bedürfnissen nach Service und Hintergrund gerecht? In welchen Formen und in welchem Layout wird Kultur vermittelt? Werden jüngere Leserinnen und Leser mit ihren spezifischen Freizeit- und Lesegewohnheiten angesprochen? 1.1.2 Kulturwandel In den 70er und 80er Jahren weitete sich der Kulturbegriff ins Unkenntliche, meist aus den besten Absichten heraus. Exemplarisch sei hier mit Hilmar Hoffmann einer der bekanntesten und profiliertesten Kulturpraktiker und -theoretiker genannt. In seinem Bestseller „Kultur für alle" plädierte er nicht nur für einen „unbeschränkten Zugang zu den Künsten" als „demokratische Forderung"27, sondern auch für eine Gleichstellung, ja sogar Gleichsetzung von Kultur und Zivilisation: „Gewöhnlich heben wir heute Kultur nicht mehr von Zivilisation ab. Die mit Kultur Beschäftigten können sich nicht mehr aus der Verantwortung stehlen und Kultur als höherwertig über die Zivilisation stellen. [...] Wir verstehen heute Kultur umfassend als Ausdruck und Mittel der spezifischen 'Evolution' der Menschen, ihrer kontinuierlichen Höherentwicklung und Selbstvervollkommnung [...] Ein solcher Kulturbegriff orientiert sich an der Kulturanthropologie."28 Mögen das reformerische Pathos und die „wir"-Emphase von 1979 26

27 28

Umfangreiche Nutzungsdaten unterschiedlicher Pressetypen, differenziert nach Häufigkeit und Dauer der Nutzung sowie nach Alter, Geschlecht, Bildungsniveau und Persönlichkeitstyp der Nutzer, finden sich in Saxer et al. (1989). Ebd.: 63: „Lokale bzw. örtliche Tageszeitungen nehmen [...] eine absolute Vorrangstellung ein. 90 Prozent und mehr der Leser jeder Altersstufe und jeder formalen Bildungsschicht lesen eine solche Tageszeitung. Überregionale Tageszeitungen werden - erwartungsgemäß - häufiger von höher gebildeten Lesern genutzt und erhalten die meisten Nennungen in den Altersgruppen der 18bis 44jährigen. Der umgekehrte Zusammenhang bezüglich der formalen Bildung der Leser zeigt sich bei den Boulevardzeitungen. Alternative Tageszeitungen erhalten wiederum die meisten Nennungen in der höchsten Bildungsschicht. Die Ergebnisse bei den wöchentlich erscheinenden Zeitungen ergänzen dieses Bild: Anspruchsvollere Titel werden eher von höheren Bildungsschichten genannt. Bei der Auswahl der Zeitschriften spiegelt sich das auf vielfältige Interessen abgestimmte Angebot wider." Hoffmann 1979: 11. Ebd.: 13.

heute befremden, diese Kulturdefinition steht für viele. Sie geht weit über die Aufnahme neuer Kunstformen in einen nun größeren Kanon heraus: „Unter Erweiterung des Kulturbegriffs ist nicht eine Zellteilung oder Vermehrung von Unterbegriffen zu verstehen, sondern Ablösung der Tradition, die den Kulturbegriff ausschließlich an die Institutionen der Kultur bindet, an das Museum, das Theater, das Konzert, die Oper, die Bibliothek." 29 Das führt zur „Kultur als Lebenspraxis" 30. Hoffmann unterschied Kultur und Kunst 1985 so: „Kultur ist ein System, das einer Gesellschaft ihre unverwechselbare Gestalt gibt, das ihre relative Einheit konstituiert und ihre wesentlichen Wertorientierungen begründet; es besteht aus mehreren unterschiedlich wirksamen Faktoren. Die Künste, also alle ästhetischen Ausdrucksformen von der Musik über die Literatur bis zu den bildenden und darstellenden Künsten einschließlich ihrer synästhetischen Verbindungen wie der Film, sind ein wichtiger Bereich neben anderen."31 Als Banner einer demokratischen Kulturpolitik macht dieser weite Kulturbegriff einen Sinn. Als Orientierung für Kulturjournalisten dagegen ist er unbrauchbar. Das Ressort Kultur würde sich thematisch von den anderen Ressorts nicht mehr unterscheiden; es würde sich in nichts auflösen, weil es für alles zuständig wäre. Schon interessanter für Journalisten ist die Erweiterung des traditionellen Kulturbegriffs durch die .Ästhetik der Alltagswelt"32. Bei dem dafür stehenden Bazon Brock gehört dazu: Wohnen, „Sozio-Design"33, Mode/Kleidung, „Körper-Design"/'eBodyart"34, Sexualität und Essen. Eine ganz andere, nicht am Gegenstand, sondern an der Funktion orientierte Definition von Kultur ist die des Pädagogen Hartmut von Hentig: „Wenn Kunst das ist, was uns erlaubt, Alternativen zu der uns geläufigen Erfahrung wahrzunehmen, mit den Widersprüchen zu leben, welche die Ratio einstweilen nicht oder nie auflösen kann, dann ist sie hinreichend praktisch definiert."3S Damit korrespondiert eine theoretische 29 30

31 32 33

34 35

Ebd.: 13. Ebd.: 14. Hoffmann 1985: 126. Brock 1977: 415-547. Ebd.: 439: „Sozio-Design ist die Inszenierung nicht nur der physikalisch-kulturellen Objekte in einem bestimmten Segment der Lebenswirklichkeit, sondern auch die Inszenierung des Umgangs mit und Gebrauchs dieser Objekte sowie der Handlungsweisen, Beziehungen und Sprache der in diesem Segment vorhandenen sozialen Wesen." Ergebnis sind „Soziotope" als „Einheit von Sprachfeld, Handlungsbereich und Beziehungsgefüge" (ebd.: 438). Besteht aus „Körperplastik, Körperbemalung, Körpersprache" (ebd.: 483). Zitiert nach Hoffmann 1985: 71.

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Bestimmung, wie sie in jüngerer Zeit von dem Kunsttheoretiker Boris Groys vorgetragen wurde: Kunst ist, was in einer spezifischen Öffentlichkeit dafür gehalten wird. Ausgehend von der Analyse der Readymades von Marcel Duchamp und der Einsicht, daß die innovative Kunst von einst heute als Kitsch gilt, verwirft Groys jede nichtkommunikativ-substanzhafte oder an bestimmten Formen (und damit an Handwerk) orientierte Kunstauffassung.36 Mit diesen knappen Hinweisen soll kein Literaturüberblick angemaßt, nicht einmal eine Repräsentativität des Zitierten in Anspruch genommen, sondern lediglich das Selbstverständnis festgelegter Kulturbegriffe hinterfragt werden. Vor allem historische Arbeiten zeigen, wie vielfältig, situations- und interessegebunden der Kulturbegriff in der Geschichte verstanden und verwendet wurde, und damit auch, wie problematisch für eine Untersuchung die Bevorzugung eines einzigen ist.3? Das methodische Prinzip der Reflexivität (siehe 1.2.2.) erfordert eine Rechenschaft über den eigenen Sprachgebrauch, und diese führt zu der Einsicht, daß für die Ziele dieser Untersuchung eine geschlossene Fragestellung nicht zweckmäßig ist. Man könnte zwar für die Analyse von Kulturjoumalismus einen bestimmten - engen oder weiten - Kulturbegriff voraussetzen. Das wäre jedoch nur sinnvoll, wenn die Leitfrage lauten würde: Inwieweit findet sich dieser oder jene Kulturbegriff in den Medien wieder? Nicht in den Blick käme bei diesem Vorgehen, was in den Zeitungen und Zeitschriften außer dem Vorausgesetzten als Kultur zählt. Und damit wäre auch lediglich ein Teil des praktizierten Kulturjournalismus erfaßt. Ein wichtiger Teil des zu Analysierenden würde bei der Definition des Samples ausgeklammert werden (siehe Kap. 3). Dieser Gefahr entgeht nur, wer nicht von einem bestimmten Kulturbegriff ausgeht, sondern zunächst einmal offen fragt: Was definieren die Medien durch ihre alltägliche Praxis überhaupt als Kultur? Welche Kultursparten werden wie und in welchem Umfang thematisiert? Was für Ereignisse werden behandelt? Einfacher wäre es zweifellos, allein die Kulturteile der Presse zu untersuchen und diese mit Kulturjoumalismus zu identifizieren. Doch verbietet sich das aus zwei Gründen. Erstens zeigt schon ein aufmerksames Durchblättern der Zeitungen und Zeitschriften, daß zweifellos Kulturelles auch auf Seiten anderer Ressorts steht. Würde man dies außer Acht lassen, käme man zu verfälschenden 36 37

Groys 1992. Vgl. Bollenbeck 1994, Brackert/Wefelmeyer 1984 und 1990. (Bollenbeck ist nicht nur instruktiv durch seinen historischen Abriß, sondern auch als Beispiel für Stärken und Schwächen eines normativen Kulturbegriffs, wie er im Titel zum Ausdruck kommt.)

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Aussagen wie der, daß beispielsweise die Wochenzeitung Die Woche gar nicht über Kinofilme berichtet, weil die entsprechenden Beiträge im Ressort „Modernes Leben" verortet sind. Zweitens ließen sich die Analyseergebnisse der Presseorgane kaum miteinander vergleichen. Denn zu unterschiedlich verteilen die Zeitungen und Zeitschriften einzelne Kultursparten auf ihre Ressorts. Unwissenschaftlich schließlich wäre es, scheinbar offensichtliche Kulturseiten und -beitrage (wie die Kinoseiten der Woche) aus anderen Ressorts einfach ins Analysekorpus Kufturjoumalismus aufzunehmen. Wie der zweite Blick nämlich zeigt, ist die Grenze des „Offensichtlichen" nicht so klar, wie der erste Blick vortäuscht. Methodisch korrekt ist bei der Samplebildung allein ein systematisches Vorgehen nach eindeutigen Kriterien, die zunächst erarbeitet werden müssen (siehe Kap. 3). Nur dieses gewährleistet die nötige Validität der Untersuchung und ihrer Ergebnisse (siehe 1.2.2). 1.1.3 Kulturjournalismus im Wandel? ,,Dies ist nun also das endgültige Ende der Kultur. Angekündigt ist es seit längerem, von Vor- und Nachdenkern jeder Provenienz: das Ende der Kultur, dem der Untergang des Abendlandes auf dem Fuße folgt, kurz nachdem das Ende der Kritik, der Kultur-Kritik in ihrer ursprünglichsten, sinnstiftenden Ausprägung, gekommen war. Kulturverlust durch Kulturinflationierung, Verlust der Qualität durch Anbiederung an die Masse, Verlust von Sprache und Denken im Flimmern und Rauschen des elektronischen Zeitalters."38 Im Gegensatz zu Kulturpessimisten, die wie Neil Postman bei der Frage nach konkreten Verbesserungsvorschlägen nur abschlägig die Nase rümpfen39, fordert Heß auf, Kulturjournalismus „ernstzunehmen, seine Existenz anzuerkennen, Veränderungen, Verbesserungen gutzuheißen und zu wollen"40. Dieser konstruktive Ansatz hebt sich ab von den unzähligen Aufsätzen und Artikeln, Wehklagen und Grundsatzdiskussionen in Fachzeitschriften und auf Tagungen, ja sogar in populären Zeitschriften und Talkshows. Gleichwohl meint auch Heß: „Kulturjournalismus steckt in der Krise", das heißt: „Die Diagnose lautet: Realitätsverlust. Einige Beispiele: Theaterkritiker besprechen Theaterauffiihrungen, ohne sich zu fragen, wer ihre Besprechungen lesen wird; Literaturkritiker helfen mit ihren Rezensionen am

39 40

Heß 1992: 10. Postman 1988: 194. Heß 1992: 10.

12 liebsten besonders 'hilfsbedürftigen' Büchern und lassen 90 Prozent ebenso in Betracht kommender Neuerscheinungen rein aus Neigungsgründen unberücksichtigt; und die Kunstkritik tummelt sich auf Vemissagen (oder auch auf Finissagen) von Off-Galerien - ob die Warteschlange vor der Tutanchamun-Ausstelhmg nun zwanzig oder zweihundert Meter lang ist. Dahinter steht der Eindruck, daß Kultur und ihre Inszenierungen einerseits und viele ihrer Kritiker andererseits sich mehr und mehr entfremden" 41. Das ist nun zwar konkreter als die meisten Äußerungen zum Thema, doch auch der Eindruck eines erfahrenen Praktikers kann keine wissenschaftliche Untersuchung ersetzen. Das Behauptete wäre zu verifizieren. Folgende Fragen müßten überhaupt erst beantwortet werden: Steigt die Entfremdung zwischen Kufturvermittlern und -nutzem? Gibt es ein Angebot ohne Nachfrage und umgekehrt eine unbefriedigte Nachfrage? Leiden die Medienschaffenden unter „Realitätsverlust"? Konstruktivistisch gesprochen: Entspricht die Kulturrealität in den Medien weder der tatsächlich (d.h. in einer Stadt oder Region) vorhandenen noch der von den Mediennutzern gewünschten? Heß stellt eine zweite, scheinbar gegenläufige These auf „Die Krise des KulturJournalismus hat aber außer dem schon genannten 'Realitätsverlust' mit dem Mangel an Selbstwahrnehmung und Weltbeobachtung noch weitere Facetten. Eine ist sicher die Tatsache, daß Kulturjoumalismus analog zum Kulturbegriff sich zu einem wild wuchernden Gestrüpp ausgewachsen hat und noch auswächst. Hier schieben sich Quantitäten immer häufiger vor die Qualitäten von Kulturberichterstattung" 42. Insofern stimmt Heß der Formel „Kulturverlust durch Kuhurinflatierung" 43 zu. Die Kritik hat jedoch zwei Aspekte. Sie richtet sich auf das Was und auf das Wie des praktizierten Kulturjoumalismus. „Inhaltlich betrachtet, ernten wir nun zusehends die Früchte des einst emphatisch propagierten 'Alles-ist-Kultur'-Begriffs, der einmal nicht mehr und nicht weniger behauptet hatte als daß alles, was unsere Lebensweh bestimmt und verändert, Kultur sei" 44 Konkret: „Daß jede Modezeitschrift heute ihren 'Kulturteü" hat, ist beinahe schon ein Gemeinplatz; daß Manager-Zeitschriften und Wirtschaftsmagazine (neben vielen anderen sogenannten 'special-interest'-Zeitschriften) sich Kultur leisten, indem sie einen sogenannten erweiterten Kulturbegriff vorleben (Motto: Nach einem 13-Stunden-Arbeitstag hat man Anspruch auf einen Malt Whisky 41 42 43

44

Ebd.: llf. Ebd.: 12. Ebd.: 10.

Ebd.: 13.

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und den Bildband über Art-Deco-Armbanduhren), hat mit dem Marktfaktor Kultur zu tun und mit seinem Schmuckcharakter: Kultur als Kultiviertheit, Intellekt als Dekor."45 Ist der konstatierte „Realitätsverlust" der Kulturjounialisten also doch nicht so groß? Das wäre der falsche Schluß. Die Bestandsaufnahme von Heß läuft auf eine Polarisierung heraus: einerseits die ihre Adressaten, andererseits die ihren Gegenstand aus den Augen verlierenden Kulturjournalisten. Das Problem der zweiten Gruppe besteht in der Legimation und in der Identifizierbarkeit ihrer Produkte. Schon aus diesen Andeutungen wird klar, daß jede Untersuchung zunächst einmal herausfinden muß, welcher KulturbegrifT in der Praxis wirksam wird. Das Wie der Berichterstattung über Kultur ist der zweite Aspekt des von Heß festgestellten „Kulturverlusts" als Grund für die Krise des Kulturjoumalismus. Es ist die Frage nach der Qualität, mit der es nicht zum besten stehe. Heß benutzt die Formulierung von „Vermittlung und Erkenntnisgewinn", die „immer mehr auseinanderzudriften drohen"46. Daraus ergeben sich zwei Fragen: Wie wird überhaupt Kulturjoumalismus praktiziert? Und: Was bedeutet „Qualität", welche Maßstäbe gelten für den Kulturjoumalismus? Die Krisendiagnose für den Kulturjournalismus in der Presse bestätigt eine breit angelegte empirische „Inhaltsanaryse: Kulturelle Angebote" der ARD/ZDFMedienkommission in der Studie ,JCultur und Medien"47. Demnach hat die Kultur in den Tageszeitungen nur ein geringes Gewicht. 6 Prozent des redaktionellen Gesamtseitenumfangs im Durchschnitt aller untersuchten Tageszeitungen entfallen auf die ,JKulturberichterstattimg", den eigentlichen Kulturjournalismus. „Innerhalb der in Tageszeitungen üblichen Ressortproportionen bewegt sich die Kultur also auf den hinteren Rangplätzen."48 Doch nicht nur der Umfang, auch die Qualität wird als gering eingestuft: „Wir wissen aus verschiedenen älteren Untersuchungen, daß der Kulturteil in Tageszeitungen zu den am wenigsten rezipierten Ressortangeboten zählt und bei der Mehrzahl der Leser nur auf geringe Akzeptanz stößt. Dabei war es schon immer ein allzu leichtgewichtiges Ar45

Ebd.: 12.

46

Ebd.: 15. Frank et al. 1991: 123-184. Die Teilstudie über „Kulturangebote in ausgewählten Zeitungen" von Karl H. Müller-Sachse ist wortgleich bereits 1988 in „Media Perspektiven" erschienen und wird hier deshalb nachfolgend nach dieser Erstveröffentlichung zitiert. Müller-Sachse 1988: 580. Wobei ein Gefalle von überregionalen und regionalen Zeitungen in urbanen Räumen zu regionalen Zeitungen in der Provinz und Lokalzeitungen zu verzeichnen ist (ebd.: 582).

47

48

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gument, diesen Tatbestand mit einem vorgeblichen Mangel an kulturellem Interesse auf seilen der Zeitungsleser zu erklären. Die Ergebnisse der vorliegenden Inhaltsanalyse legen die begründete Vermutung nahe, daß diese geringe Leserakzeptanz vor allem am Charakter der Kulturberichterstattung selbst liegt, an ihrer geringen Attraktivität und ihrem mangelndem Gebrauchswert."49 Damit fehlt dem Kulturteil offensichtlich gerade das, was ressortübergreifend immer mehr gefordert wird und was Ruß-Mohl in den USA als Trend besonders deutlich ausgemacht hat (siehe 1.1.1): Attraktivität und Serviceorientierung. MüllerSachse zufolge schreiben Feuilletonisten besonders an den Leserinnen und Lesern vorbei - unter drei Aspekten: Form, Präsentation und Inhalt des Beitrags: „Dem vergleichsweise niedrigen Stellenwert der Kultur in Tageszeitungen entsprechen auf der Ebene der formalen Präsentation ebenso stereotype wie unaufwendige Darstellungsformen. [...] Darüber hinaus ist auch der grafische und gestalterische Aufwand gering. Kulturberichterstattung besteht zum weit überwiegenden Teil aus Text."50 Und zu den Inhalten: „Die populäre Frage: 'Wer soll damit überhaupt etwas anfangen?' erweist sich als durchaus berechtigt. Wenn man sich das Präferenzmodell der Kulturberichterstattung als Interessenprofil potentieller Leser vorstellt, kommt eine obskure soziologische Phantomgestalt zum Vorschein: Ein 'hochspezialisierter' Generalist, der unermüdlich die Highlights des repräsentativen internationalen Kulturbetriebs bereist, dabei aber resistent bleibt gegenüber jeder Erweiterung, unfähig, den kulturellen Wandel zu perzipieren."51 Das hat Folgen für die Adressaten: „Für einen großen Teil der Zeitungsleser ist das kulturbezogene Angebot in der Presse so gut wie irrelevant, weil es weder ihre virulenten kulturellen Interessen berührt, noch andere, bisher nicht stattgehabte kulturelle Erfahrungen vermittelt. Das erste ergibt sich aus der Diskriminierung der populären Kultur und der Vernachlässigung nahezu aller medialen Kulturpraktiken. Das ist besonders eklatant bei der Behandhing der Kinokultur und beim Umgang der Berichterstattung mit allen Erscheinungsformen der 'außerklassischen' Musikkultur. Daß die Reichweiten der Tageszeitungen insbesondere unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen kontinuierlich abnehmen, dürfte nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen sein, daß sie ihre kulturellen Interessen in Tageszeitungen kaum je wiederfinden können."52 49 50 31 52

Ebd.: 588. Ebd.: 581. Ebd.: 588. Ebd.: 588.

15 Ob die in Handbüchern und in Müller-Sachses Untersuchung beklagten Fehler und Versäumnisse der Kulturjournalisten auch den hier zu untersuchenden Printmedien vorzuhalten sind, wird zu prüfen sein. Kein Zweifel besteht jedoch an einer geringen Nutzung der Kulturteile. Das Feuilleton wird nach allen vorliegenden Daten schlecht beurteilt und wenig gelesen. Bei einer Bewertung durch Leser erhielten die Kulturseiten - lokale wie überregionale - von allen Ressorts die schlechtesten Noten.53 Nach einer Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie interessierten sich 1991 für den Kulturteil nur 27 Prozent der Befragten. Das ist weniger als 1989 (33 Prozent) und liegt weit unter dem Wert anderer Ressorts.54 Die Studie „Massenkommunikation IV" verzeichnet für die tatsächliche Lektüre des Kulturteils 1990 einen Wert von lediglich zwölf Prozent in den alten und sieben Prozent in den neuen Bundesländern bei denen, die am Stichtag Zeitung gelesen haben, und sogar nur acht bzw. fünf Prozent bei der Gesamtbevölkerung. Aufschlußreich ist die Auswertung nach Pressetypen (nur für die alten Bundesländer): Bei Regionalzeitungen ist die Nutzung nicht höher als bei Kaufzeitungen (jeweils 11 Prozent), die überregionalen Abonnementszeitungen können auf immerhin 20 Prozent Feuilletonleserinnen und -leser verweisen.55 Die Konsequenz ist klar: Vielerorts droht die Auflösung als Ressort, dessen populäre Elemente dann Entertainmentseiten und -beilagen übernehmen, wie in den USA bereits weitflächig geschehen.56 Auch aus diesem Abschnitt leiten sich Fragen für die Untersuchung ab, unter anderem: Stimmt die Krisendiagnose des „Realitätsverlusts", schreiben Kulturjournalisten über Themen, die ihre Leserinnen und Leser wenig interessieren? Welche Sparten und Genres kommen überhaupt vor? Und wenn populäre oder neue Kulturarten thematisiert werden, in welchem Umfang, mit welchem Gewicht und in welchen Formen geschieht dies? Welche Funktionstypen dominieren im Feuilleton? Ist das Layout wirklich langweiliger als das anderer Ressorts?

53

Rager et al. 1994: 23 und 31.

54

Vgl. Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger 1994: 197. Auch Donsbach (1991: 138) konstatiert ein „deutlich unterdurchschnittliches Interesse" an Beiträgen „über Kultur und Kunst (l 8 Prozent)". Berg/Kiefer 1992: 204. Die Kategorie lautete „Feuilleton, Buch-, Theater-, Konzert-, Filmkritik" und wurde von verwandten Kategorien wie Wissenschaft, Fernseh- und Hörfunkprogramme, Reiseteil etc. abgegrenzt. Vgl. Ruß-Mohl 1992: 83: „Einen Kulturteil, der unserem klassischen Feuilleton entsprechen würde, gibt es in so gut wie keiner amerikanischen Regional- oder Lokalzeitung."

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l .2

Die methodischen Aufgaben

1.2.1 Medienanalyse als Strategienanalyse In vielen medienwissenschaftlichen Arbeiten gerät bei einer Fülle interessanter Einzelinformationen das Wesentliche aus dem Blick, wird sprichwörtlich der Wald vor lauter Bäumen nicht mehr gesehen, weil Details am besten quantifizierbar sind. Umgekehrt finden sich im Journalismus immer wieder Artikel, die das Wichtigste auf den sachlichen und sprachlichen Punkt bringen, nur eben intuitiv-spekulativ und nicht wissenschaftlich-argumentatrv und schon gar nicht auf einer breiten empirischen Basis, was zuweilen zu Fehleinschätzungen führt. Die Brücke stellt eine kommunikative Medienanalyse dar, die nicht isoliert Wörter, Sätze und Texte untersucht, sondern deren Verwendungszusammenhänge. Dazu gehört zentral das Verstehen von Strategien. Das sind - soviel sei vorweggenommen — komplexe Muster zur Erreichung bestimmter Ziele, sind spezifische Problemlösungsweisen. Das Problem besteht meist in der Verbindung von Kulturvermittlung und Ansprechen möglichst vieler und vielfältiger Adressaten. Der Strategiebegriff als Zentralp er spektive der Untersuchung lenkt einerseits den Blick auf relevante Zusammenhänge und die Pointe eines journalistischen Beitrags, und er genügt andererseits wissenschaftlichen Ansprüchen. Bisher liegen theoretische Grundlegungen, programmatische Äußerungen und erste Erprobungen vor57, doch bedarf der Strategiebegriff der weiteren Präzisierung und Konkretisierung durch Anwendung. Darin besteht die erste methodische Aufgabe. 1.2.2 Integration von qualitativer und quantitativer Analyse Eine zweite methodische Aufgabe besteht in der Integration von qualitativer und quantitativer Analyse. Beide Verfahren schließen sich nicht aus, sondern werden mit jeweils anderem Erkenntnisinteresse angewandt. Die Unterschiede werden hier nicht konfrontativ gegenübergestellt - wie zu oft und lange geschehen 58 -, 37 58

Bucher 1991, Fritz 1977, Fritz 1982, Heringer 1974a, Muckenhaupt 1976, Strecker 1987. Früh 1991: 8: „Die Diskussion zwischen Vertretern einer geisteswissenschaftlichen Forschungstradition und solchen sozialwissenschaftlicher Herkunft hat bereits zu Beginn der fünfziger Jahre einen Höhepunkt in der bekannten Kontroverse zwischen Berelson (1952) und Kracauer (1952) erreicht. Seither scheinen nur die Personen gewechselt zu haben, die den Streit fuhren. Wir meinen, daß diese Diskussion bis heute mit viel Voreingenommenheit und mancher Unkenntnis wechselseitig befrachtet ist."

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sondern die jeweiligen Stärken sollen in einem Miteinander der Methoden produktiv genutzt werden.59 Das bekannteste quantitative Verfahren ist die „Inhaltsanalyse". Die Anführungsstriche stehen, weil mit diesem sozialwissenschaftlichen Instrument keineswegs nur „Inhalte" gemessen werden, sondern „auch formale (zum Beispiel syntaktische, stilistische, gestalterische) Merkmale" *°. Geschichte, theoretische Grundlagen, praktische Arbeitsschritte etc. sind oft genug beschrieben und diskutiert worden 61, so daß darauf hier verzichtet werden kann. Radikale Kritik aus linguistischer Sicht - vor allem am Inhaltsbegriff und dessen bedeutungstheoretischen Grundlagen - ist detailliert formuliert worden.62 Aus bewährten Prinzipien der Inhaltsanalyse und der Kritik an diesem Forschungsinstrument lassen sich Qualitätskriterien für die quantitative Analyse ableiten: • Zusammenhängende Betrachtung: „Die Befolgung dieses Prinzips zeigt sich in der Analyse von Handlungssequenzen statt isolierter Handlungen, von thematischen Zusammenhängen statt einzelner Thema-Ausdrücke, von Pressekommunikationen statt isolierter Texte und Textmerkmale." 63 Betrachtet werden darf also nicht nur die zu kodierende Untersuchungseinheit. Denn sie läßt sich nur in ihrem Zusammenhang richtig verstehen. Damit ist auch die inhaltsanalytische Praxis abzulehnen, den Zusammenhang durch „Kontexteinheiten" M systematisch zu begrenzen oder zu erweitern. Denn das Kriterium für die Bestimmung einer Kontexteinheit kann nur ein bestimmtes Verständnis der Untersuchungseinheit sein. Damit befindet sich die Inhaltsanalyse aber in einem methodischen Zirkel. Um eine angemessene Kontexteinheit zu bestimmen, müßte die Untersuchungseinheit bereits richtig verstanden sein. In diesem Fall brauchte man jedoch gar keine Kontexteinheit mehr zu bestimmen. Umgekehrt läßt sich nie eine angemessene Kontexteinheit aus dem Verständnis der Untersuchungseinheit bestimmen. Denn dieses Verständnis kann immer falsch oder zumindest unzureichend sein. Das ist ja überhaupt der Grund zur Bestimmung einer Kontexteinheit. Will man Mißverständnisse vermeiden, dürfen nicht nur bestimmte Zusammenhänge betrachtet werden. 65 59

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62 63 64 63

Vgl. ebd.: 71. Schulz 1989: 34. So auch Früh 1991: 7. Siehe Früh 1991, Krippendorff 1980, Lisch/Kriz 1978, Mayring 1983, Merten 1983, Merten 1991, Schnell et al. 1995, Schulz 1976, Schulz 1989. Fühlau 1982 und Bucher/Fritz 1988. Terminologie siehe Bucher/Fritz 1988: 136-139. Siehe Früh 1991: 89. Vgl. die Ausführungen gegen „atomistische Daten" bei Kracauer (1972: 53f und 57).

18 Explizitheit: „Die Befolgung dieses Prinzips zeigt sich vor allem in der expliziten Formulierung von Regeln und Hintergrundsannahmen, die eine intersubjektive, argumentative Stützung von Interpretationen ermöglicht." K Damit wird insbesondere betont, daß kein Verständnis natürlich oder privilegiert ist. Die auch von Inhaltsanalytikern geforderte Intersubjektivität wird vor allem durch Offenheit und Argumentation erreicht. Reflexivität: Dies bedeutet erstens die „Reflexion auf den Sprachgebrauch derer, deren Äußerungen man analysiert", zweitens die „Reflexion des Forschers auf seinen eigenen Sprachgebrauch"67. Dies ist wichtig, da zwischen sprachlichen Mitteln und ihren Bedeutungen keine Eins-zu-eins-Relation besteht. Die inhaltsanalytische Redeweise von Indikatoren für die Zuordnung zu einer Kategorie ist problematisch, weil sie diesen Sachverhalt leicht vergessen läßt. Zwar sind sich die meisten neueren Publikationen bewußt, daß immer nur Verständnisse von Kommunikationen kodiert werden und nicht diese selbst 68, doch auch die linguistisch naiven Identifizierungen von Wortlaut und Bedeutung finden sich noch - vor allem in der Analysepraxis. Transparenz bzw. Replizierbarkeit: Die Analyse kann nie objektiv, aber sie muß inter subjektiv nachvollziehbar sein. Das erfordert Systematik und Transparenz des Vorgehens, Reflexivität der Darstellung und argumentative Begründung jeden Schrittes.69 Das ähnelt dem zweiten und dritten Kriterium. 66 67

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Bucher/Fritz 1988: 143. Ebd.: 144. Vgl. dazu auch Winch (1974: 109f): „Um die Tätigkeiten eines einzelnen wissenschaftlichen Forschers zu verstehen, müssen wir also zwei Gruppen von Relationen in Betracht ziehen: erstens seine Beziehungen zu den Phänomenen, die er untersucht; zweitens seine Beziehungen zu den anderen Wissenschaftlern." Zu letzterem gehören vor allem die jeweilige Wissenschaftssprache und Methodologie. Vgl. Früh 1991: 44: „Insofern ist das subjektive Sprachverständnis der Codierer niemals ausgeschaltet, sie sind keine 'Codierroboter', sondern Menschen, die Texte verstehen und deren Bedeutung verschlüsseln. [...] Ambiguitäten wird es im Text je nach Textsorte immer in verschieden großem Ausmaß geben. Zwischen den Codierern in jedem Fall 100 Prozent Übereinstimmung zu erwarten, wäre unrealistisch und dem Untersuchungsgegenstand auch unangemessen." Vgl. ebd.: 20-23 und Schulz 1989: 36. Damit ist auch die berühmte Definition von Berelson (1952: 18: „Content Analysis is a research technique for the objective, systematic, and quantitative description of the manifest content of communication."), die auch Schulz (1989: 33) als „überholt" bezeichnet, obsolet. Besonders die Annahmen eines „manifesten Inhalts" und der Möglichkeit einer „objektiven Beschreibung" waren immer wieder Ziel geisteswissenschaftlicher Angriffe, die berechtigt, aber nur kurze Zeit fruchtbar waren.

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Als Verschärfung wird von Inhaltsanalytikern in der Regel die prinzipielle Replizierbarkeit/Reproduzierbarkeit der Ergebnisse gefordert: „Intersubjektiv überprüfbar ist eine Inhaltsanalyse dann, wenn die Untersuchung in allen Phasen, insbesondere in der Phase der Datenerhebung (Codierung) so gut dokumentiert ist, daß sie - wenigstens im Prinzip - wiederholbar ist."70 Die Forderung an die Transparenz und an das Methodenbewußtsein kann gar nicht genug erhoben werden, die Wiederholbarkeit jedoch ist problematisch. Je einfacher der Gegenstand und die Analysekategorien, desto realistischer ist die Replizierbarkeit und desto berechtigter die Forderung. Je komplexer Gegenstand und Kategorien jedoch sind, je mehr Sprach-, Fach- und Weltwissen das Verstehen der zu analysierenden Kommunikationen erfordert, desto subjektabhängiger, zugleich aber objektgerechter wird die Analyse, desto schwieriger wird damit die Wiederholbarkeit und desto weniger kann die Replizierbarkeit als Kriterium eingefordert werden. - Das ist bei einer Vielzahl von Kategorien dieser Untersuchung der Fall, weshalb die Intersubjektivität ganz durch Dokumentation und Begründung der Arbeitsschritte gewährleistet wird. Das geschieht in methodischen Abschnitten wie diesem, im fortlaufenden Text und mithilfe eines Kodierprotokolls im Anhang.71 Systematik: „Dem Kriterium der Systematik ist dann Genüge getan, wenn alle in die Untersuchung einbezogenen Mitteilungen [...] unter gleichen Gesichtspunkten und in gleicher Weise analysiert werden. Mit anderen Worten: Das Analyseverfahren muß auf das gesamte zu untersuchende Material vollkommen einheitlich angewandt werden. Zur Systematik gehört aber auch, daß die zu analysierenden Mitteilungen nicht beliebig, sondern nach einem genau festgelegten Plan entsprechend den Zielen der Untersuchung ausgewählt werden."72 - Die Systematik wird hier ohne Pretests und Stichproben sichergestellt. Die meisten Kategorien werden mit zunächst offenen Listen gebildet, um dem zu untersuchenden Material gerecht zu werden. Das ermöglicht Entdeckungen, die bei geschlossenen Listen systematisch ausgeschlossen und bei Stichproben - je nach Größe - mehr oder weniger gering

70 71

72

Schulz 1989: 38. Vgl. Früh 1991: 37. Neuere Darstellungen der Inhaltsanalyse betonen zunehmend das Prinzipielle der Replizierbarkeit (Früh 1991: 25; Schulz 1989: 38). In diesem Sinne ist auch in dieser Untersuchung das Kriterium erfüllt. Denn die Wiederholung der Ergebnisse dürfte zwar viel Einarbeitung erfordern, ist aber prinzipiell nicht unmöglich. Schulz 1989: 36f. Vgl. Früh 1991: 37.

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sind. Nach jeder Änderung der Kategorien wird die Kodierung von vorne begonnen, um die Vergleichbarkeit der Daten zu gewährleisten.73 • Reliabilität (Verläßlichkeit): Überprüfbarkeit und Wiederholbarkeit sollen durch Reliabilität gewährleistet werden. Verläßlich soll das Meßinstrument ebenso sein wie das Kodiererpersonal.74 - Da hier nur ein Kodierer arbeitet, sind einige mit mehreren oder wechselnden Kodierem verbundenen Probleme ausgeschlossen (Intercoder-Reliabilität). Eine Protokollierung der Schritte und Kodierregeln sichert die intersubjektive Überprüfbarkeit und dient dem Kodierer zur Selbstkontrolle (Intracoder-Reliabilität). - Die Verläßlichkeit des Meßinstruments konkretisiert sich vor allem in den weiteren Kriterien der Trennschärfe und Vollständigkeit der Kategorien sowie Eindeutigkeit bzw. Klarheit der „operationalen Definition"75 und Kodierregeln 76. • Validität (Gültigkeit): Durch Kategorien werden Fragen operationalisiert, und durch die Zuordnung der zu untersuchenden Kommunikationen zu diesen Kategorien (Kodierung) wird der Gegenstand „in Daten überführt"77. Dabei ist sicherzustellen, daß die Kategorien so gebildet werden, daß die Ergebnisse später auch wirklich Antworten auf die gestellten Fragen geben. „Allgemein gilt eine Untersuchung dann als gültig, wenn sie tatsächlich das mißt, was sie zu messen vorgibt."78 Integration von qualitativer und quantitativer Analyse bedeutet forschungspraktisch, daß zunächst ein Begriffsinstrumentarium so klar und scharf wie möglich beschrieben, dann am Untersuchungsmaterial präzisiert und modifiziert wird. Die offenen Listen dokumentieren den jeweiligen Stand des Verständnisses. Die Offenheit trägt dem Verstehensprozeß Rechnung. Ziel ist, dem Gegenstand der Analyse gerecht zu werden. Das Vorgehen ist also induktiv oder deskriptiv. Das scheint insbesondere beim Feuilleton angebracht, das als besonders vielfältig und damit schlecht greifbar gilt. Bereits der Feuilletonkundler Wilmont Haacke beschwerte sich in seinem dreibändigen „Handbuch des Feuilleton" über die Me73

74

Auch Früh (1991: 92) räumt ein, daß es nötig sein kann, „zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt des Untersuchungsablaufs wieder auf vorhergegangene Stufen zurückzugehen, sie zu modifizieren und zu ergänzen". Vgl. Schulz 1989: 38.

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Vgl. ebd.: 39 und Früh 1991: 80.

76

Vgl. Früh 1991: 85-90. Schulz 1989: 39. Ebd.: 48.

77 78

21

thode seine Vorgänger: „Die meisten Männer, die früher über das Feuilleton gearbeitet imd geurteilt haben, begannen ihre Betrachtungen zur Materie mit einer von ihnen selbst a priori festgelegten Definition des Feuilletons. Das heißt, sie legten einen hypothetisch zugerechtgeschnittenen Maßstab an organische Gewächse: als solche sind sowohl die journalistische Zeitungssparte Feuilleton wie auch die poetische Schreibform Feuilleton infolge ihrer ständigen, zeitabhängigen Verwandlungsfähigkeit zu betrachten. Die meisten der um Erkennung des Feuilletons bemühten Vorgänger mußten infolgedessen zu mehr oder weniger gewaltsam gewonnenen Ergebnissen kommen, die weder allseits befriedigen noch als gültig aufgenommen aufgenommen werden konnten. Zur Basierung einer in den Bereich der Wissenschaft von der Publizistik eingebetteten Feuilletonkunde wurde eine neue Route zum Gewinnen möglichst echter Erkenntnisse eingeschlagen. Es wurden nach der zeitlichen Reihenfolge, in der sie sich [...] zuerst zum Thema Feuilleton hören ließen, die Zeitungen und Zeitschriften, die Journalisten, die Dichter, die Gelehrten und endlich die Programmatiker in ihren Meinungen über das Feuilleton angehört. Aus den mannigfaltigen Anschauungen von Praktikern und Theoretikern [...] werden allgemeine Feuilletoncharakteristika abgeleitet. [...] Aus dem durch Induktion gewonnenen Baumaterial wurden Begriffsumschreibungen für das Feuilleton gebildet."79 Die methodischen Überlegungen Haackes wurden so ausführlich zitiert, weil das Vorgehen hier analog ist. Eine Definition von Kultur und damit von Kulturjoumalismus steht als Ergebnis am Ende, wenngleich vor dem letztgültigen Kodieren im quantitativen Teil. Hierin zeigt sich auch die Bedeutung der Verzahnung von qualitativer und quantitativer Methode: In exemplarischen Detailanalysen werden die Begriffe entwickelt und verfeinert, doch erst durch Zahlen kann gesagt werden, was einmalig oder gelegentlich vorkommt und was als typisch gelten kann, also eine exemplarische Einzelanalyse lohnt. Um diesen Erkenntnisgewinn würde sich bringen, wer ein Begriffsinstrumentarium voraussetzt und dieses nicht mehr offenhält für Ergänzungen und Veränderungen. 1.2.3 Der theoretische Rahmen Theoretisches Fundament ist eine sprachliche Handlungstheorie, die die sprachanalytische Wende in der Philosophie des 20. Jahrhunderts im Anschluß an Ludwig Wittgensteins Spätphilosophie methodisch fruchtbar macht für eine herme79

Haacke 1951: 4.

22 neutisch reflektierte und kommunikativ begründete Sprach- und Medienanalyse. Der Ansatz ist in der Linguistik als Praktische Semantik80, Grammatik der Kommunikation 81, Linguistische Kommunikationsanalyse82 oder Dialoganalyse83, in der Medienwissenschaft als „funktionale Medienanalyse"84 bekannt. Mit einigen Grundbegriffen soll - den wenigen Strichen einer Skizze gleich - der Ansatz kurz vorgestellt werden. Ausführliche Beschreibungen, theoretische Begründungen und historische Einordnungen liegen mehrfach vor und müssen daher hier nicht wiederholt werden. In Fußnoten wird auf die entsprechende Literatur verwiesen. In der Bezeichnung „Linguistische Kommunikationsanalyse" steht der Ausdruck linguistisch für eine funktionale und hermeneutisch reflektierte Betrachtung der Mittel einer Kommunikation. Die Bedeutung von sprachlichen Äußerungen, Bildern und Tönen kennt, wer ihre Gebrauchsweisen kennt, wer weiß, wie sie verwendet werden können. 85 Semantik und Pragmatik werden integrativ gesehen, das gilt auch für die Grammatik.86 Kommunikation wird nicht technizistisch und reduktiv als Signalübermittlung zwischen Sender und Empfänger beschrieben, sondern als Verständigung zwischen Menschen, als soziales Handeln. Denn Gesprochenes und Geschriebenes wird jeweils in einem bestimmten Sinn gemeint und mit bestimmten Absichten in bestimmten Situationen verwendet. Zum Kommunikationsbegriff gehört daher das Mehlen eines Sprechers oder Schreibers und als Komplement das Verstehen eines Hörers oder Lesers.87 Den Sinn erfaßt, wer eine Äußerung als eine bestimmte sprachliche Handlung (in der Presse beispielsweise als Berichten, Beschreiben, Deuten, Werten) im Rahmen bestimmter Kommunikationsformen (Bericht, Reportage, Kommentar etc.) begreift. Dies ermöglichen Muster.88 80 81 82

83 84 85 86

87 88

Heringer 1974a, Heringer 1974b, Heringer et al. 1977. Strecker 1987. Bucher 1986, Fritz 1982, Fritz/Gloning 1992, Fritz/Muckenhaupt 1984, Gloning 1994, Muckenhaupt 1986. Fritz/Hundsnurscher 1994. Muckenhaupt 1990. Zum Bedeutungsbegriff vor allem Fritz 1982, Heringer 1974a, Muckenhaupt 1986. Zum Grammatikbegriff vor allem Fritz/Muckenhaupt 1984, Heringer 1978, Heringer et al. 1980, Heringer 1988, Strecker 1987. Zum Kommunikationsbegriff vor allem Heringer et al. 1977: 9-23. Zum Verstehensbegriff Biere 1978, Biere 1989, Fritz 1982, Fritz 1991a, Heringer 1979, Heringer 1984a, Heringer 1990b, Muckenhaupt 1986. Zum Musterbegriff siehe 2.1.3.

23

l .3

Das Forschungsdesign

1.3.1

Die Ziele und Fragen

Die Ziele einer Untersuchung bestimmen Methode und Vorgehen, und aus ihnen leiten sich konkrete Fragen ab. Ziel der Arbeit ist erstens eine Bestandsaufnahme des Kulturjournalismus unter der doppelten Leitfrage: Wie adressatengerecht und wie sach-, das heißt kulturgerecht ist der Kulturjournalismus? Daraus leiten sich konkrete Fragen ab. Sie und die in den Abschnitten 1.1.1 bis 1.1.3 gestellten werden in vier Komplexe zusammengefaßt: • Fragen zu Umfang und Gewicht von Kultur: Welches Gewicht hat Kulturjoumalismus im Vergleich zu anderen Ressorts? Wie wird Kultur im Blatt plaziert? Welches Gewicht hat Kulturjoumalismus etwa auf den Titelseiten? • Fragen zur thematischen Struktur: Welcher Kulturbegriff wird wirksam? Entsprechen die Inhalte des Kulturjournalismus den vorliegenden Statistiken über die kulturellen Interessen der Bundesbürger einerseits (adressatengerecht) und der Weite der kulturellen Angebote andererseits (kulturgerecht)? Gefragt wird hier nach den behandelten Kultursparten und -subsparten/Genres, ihrem Umfang und Gewicht im Blatt. Worüber wird in welchem Maße geschrieben: über die Kulturprodukte und -ereignisse selbst, über die mehr oder weniger prominenten Künstler, über den Kulturbetrieb, über intellektuelle Debatten, über wirkliche oder vermeintliche Trends, auch über das eigene Metier? Was wird in welcher Gewichtung thematisiert, was ist einen Artikel wert, was gilt als relevant? Gibt es immer wiederkehrende Ereignistypen im Kulturjournalismus? Wie groß ist die Stereotypie oder Vielfalt? • Fragen zur funktionalen Struktur: Welche Beitragsfonnen kommen wie häufig vor? Wie ist das Verhältnis zwischen den kulturorientierten Rezensionen und den als lesernah geltenden Porträts? Welchen Stellenwert haben Bestsellerlisten, Veranstaltungskalender und Servicemeldungen? Gibt es Mitmachaktionen und Rätsel, mit denen Leser gebunden werden sollen? Welche Funktionstypen dominieren? Wird die Kritik wirklich zurückgedrängt zugunsten des Service? Inwieweit wird unterhalten oder findet sich Hintergrund? • Fragen zur formalen Struktur: Entsprechen die journalistischen Gestaltungsformen den aus der Leserforschung gewonnenen Empfehlungen für Textkürze und Gliederung durch Zwischenzeilen, für Färb-, Bilder- und Grafikeinsatz etc.? Welche Bausteine werden verwendet? Und in welchem Ausmaß werden Beiträge in Rubriken übersichth'ch zusammengefaßt?

24

Ziel der Untersuchung ist zweitens eine detaillierte Analyse wichtiger journalistischer Strategien. Klassisch ist für den Kulturteil das Feuilletonisieren. Andere journalistische Strategien sind das Personalisieren, vom namenlosen Betroffenen als Beispiel zur Veranschaulichung eines abstrakten Sachverhalts bis zum Klatsch über Prominenz als Leseanreiz; das Emotionalisieren nach Zeitschriftenvorbild; das Visualisieren, Rubrizieren in der Gestaltung etc. Gefragt wird: Welche Strategien kommen vor, in welchen Spielarten und mit welchem Nutzen? Neben den inhaltlichen Zielen hat die Untersuchung zwei methodische. Drittes Ziel ist die Verbindung qualitativer und quantitativer Verfahren der Medienanalyse. Die Kluft zwischen sprachwissenschaftlich ungenügend fundierten Kategorien der sozialwissenschaftlichen Inhaltsanalyse und den oft nur programmatischen Äußerungen von Linguisten überbrücken zu wollen, wäre vermessen. Doch soll mit Analysebeispielen zumindest ein Beitrag dazu geleistet werden. Viertes Ziel sind Erkenntnisse über den Strategiebegriff für die funktionale Medienanalyse wie für die handlungstheoretisch fundierte Linguistik. Der Strategiebegriffist bereits ein paar Jahre im Rahmen handlungstheoretischer Ansätze eingeführt (siehe 1.2.1), wurde jedoch nur vereinzelt konkretisiert. 1.3.2 Das Untersuchungsmaterial Der Gegenstand dieser Untersuchung ist Kulturjournalismus. Die Festlegung auf Journalismus bedeutet: Nicht erfaßt werden Anzeigen, auch wenn sie auf einer Kulturseite erscheinen und informativ sind.89 Was als Kultur zählt, wird nicht vorher festgelegt, sondern aus dem Material entwickelt. Denn erstens erschiene jede Festlegung auf einen Kulturbegriff aus der kaum zu überblickenden Fülle der Definitionen willkürlich. Zweitens soll ja gerade nach dem Kulturverständnis gefragt werden. Auch die Möglichkeit eines extrem weiten, anthropologischen Kulturbegriffs ist nicht praktikabel. Denn dazu würde die gesamte Medienproduktion und damit die ganze Zeitungsausgabe zählen. Kuhurjoumalismus als Ressort wäre nicht mehr analysierbar. Das Untersuchungsmaterial wird in zwei90 Schritten gewonnen: In einem ersten Schritt werden die Kulturseiten untersucht. Was dort in der Regel vorkommt, definiert den Kulturbegriff der weiteren Untersuchung. In einem zweiten Schritt wird dann geschaut, inwieweit genau diese Themen/Kultursparten auch auf anderen Ressortseiten erscheinen. 89 90

Anders als in Müller-Sachse 1988. In Kapitel 3 wird sich zeigen, daß sich diese zwei großen Schritte in viele kleine aufteilen.

25 Welche Printmedien werden untersucht? Da nach Strategien und spezifischen Profilen gefragt wird und erst der Vergleich erhellt, ist eine breite Streuung nach Typen erforderlich. Bei Zeitungen werden fünf überregionale und sechs regionale Tageszeitungen sowie zwei Boulevard- und zwei Wochenzeitungen erfaßt, bei Zeitschriften zwei Magazine und zwei Aktuelle Illustrierte. Das sind 19 Presseorgane. Nicht untersucht werden Special-Interest- und Fachblätter, also keine der rund 800 Kulturzeitschriften. Denn es interessiert die Kulturvermittlung an eine allgemeine Öffentlichkeit, an ein nicht durch Sonderwissen und -interessen bestimmtes Publikum. Auch die Einbeziehung von Lokal- und kleineren Regionalzeitungen würde den Rahmen sprengen, wo schon ein großes Forschungsprojekt wie das der ARD/-ZDF-Kulturstudie deutlich weniger Organe untersucht hat. Abb. l: Die untersuchten Presseorgane Organname Süddeutsche Zeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurter Rundschau Die Welt die tageszeitung Berliner Zeitung Berliner Morgenpost Der Tagesspiegel Stuttgarter Nachrichten Stuttgarter Zeitung Südwestpresse/Schwäb. Tagblatt Bild Abendzeitung Die Zeit Die Woche Der Spiegel Focus Der Stern Die Bunte

Pressetyp überreg. Tageszeitung überreg. Tageszeitung überreg. Tageszeitung überreg. Tageszeitung überreg. Tageszeitung regionale Tageszeitung regionale Tageszeitung regionale Tageszeitung regionale Tageszeitung regionale Tageszeitung regionale Tageszeitung Boulevardzeitung Boulevardzeitung Wochenzeitung Wochenzeitung Nachrichtenmagazin Nachrichtenmagazin Aktuelle Illustrierte Aktuelle Illustrierte

Erscheinungsort München Frankfurt/Main Frankfurt/Main Berlin Berlin Berlin (Ost) Berlin (West) Berlin (West) Stuttgart Stuttgart Ulm/Tübingen Hamburg München Hamburg Hamburg Hamburg München Hamburg München

Auflage 91 402 900 383 700 189 100 223 700 60400 257 700 190300 127700 271 500 152600 416 100 4.493 100 217 100 490 200 103 500 1.060 155 560 464 1.275091 833 464

Zahlen für Tageszeitungen nach Schütz 1994 (Stand vom 1. November 1993). Unter der Vielzahl der Auflagenstatistiken wurde die von Schütz gewählt, weil sie den Untersuchungszeitraum umfaßt. Nennenswerte Abweichungen gegenüber den IVW-Daten 1/1994: Süddeutsche Zeitung (396 700), Frankfurter Allgemeine (393 800), Die Welt (208 200), Berliner Zeitung (250 200), Münchner Abendzeitung (226 700), Bild (4.291 900). Zahlen für Wochenperiodika nach IVW-Daten 1/1994 (in BDZV 1994 und Röper 1994).

26

Bei den überregionalen Tageszeitungen können alle fünf Überparteilichen aufgenommen werden. Eine Auswahl wäre problematisch, da die fünf sehr unterschiedliche Profile haben: • Die Süddeutsche Zeitung erhielt von den Amerikanern eine Lizenz und erschien erstmals am 6. Oktober 1945. Sie ist die auflagenstärkste überregionale Abonnementstageszeitung, vertreibt jedoch „rund zwei Drittel ihrer Auflage in Oberbayern (insbesondere München und Umgebung)"92. Ihre Blattlinie kennzeichnete der einstige Chefredakteur Hermann Proebst (1960-1970) so: „Gegenüber der jeweiligen Regierung loyal, aber wach und kritisch, bewegt sie sich im allgemeinen etwas links von der Mitte; aufgeschlossen und tolerant, jedoch nie indifferent."93 In einem Redaktionsstatut heißt es: „Sie verteidigt und erstrebt freiheitliche, demokratische Gesellschaftsformen nach liberalen und sozialen Grundsätzen." 94 • Die Frankfurter Allgemeine Zeitung erschien erstmals am 1. November 1949. Eigentümerin ist eine Stiftung, die Redaktionsleitung hat ein fünfköpfiges Herausgebergremium inne. Die FAZ wirbt mit dem Spruch „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf, was auf Macher wie Leser bezogen werden soll. 95 In einer 320seitigen Selbstauskunft steht: „Ehr Leserkreis ist anspruchsvoll"96. Zudem versteht sich die konservative FAZ als „Meinungsblatt":„Die Zeitung muß nicht nur eine Meinung aussprechen, sie muß auch meinungsbildend wirken." 97 Das Feuilleton ist neben Politik und Wirtschaft einer von drei „Hauptbereichen"98, die auch jeweils ein Produkt einnehmen. Es hatte sich schon 1949 zum Ziel gesetzt, „neue Strömungen in Kunst und Wissenschaft zu beobachten und auch zu unterstützen, soweit sie der kritischen Betrachtung standhielten. Nichts davon ist oder wird in Zukunft aufgegeben. Nach der Erweiterung des KulturbegrifFs in den sechziger und siebziger Jahren, als neue Bereiche der Populärkultur wie Rockmusik, Fernsehen oder Comics zum Gegenstand kulturkritischer Analysen werden konnten, hat es in den achtziger Jahren vor allem eine Diskussion um die Grundlagen, die erhal-

92

Pürer/Raabe 1994: 167.

93

Zit. nach ebd.: 167.

94

ZitnachMeynl990: 54. Siehe ebd.: 5. Ebd.: 9. Ebd.: 11. Ebd.: 8.

93 96 97 98

27 tenswerten künstlerischen und intellektuellen Positionen gegeben."" Das Layout des Kulturteils ist bewußt noch mehr gegen den Trend gewählt als der Rest der Zeitung: „Die typographische Ausstattung des F.A.Z.-Feuilletons ist von jeher auf Ruhe und Klarheit angelegt, mit dekorativen Elementen wird daher bewußt sparsam umgegangen." 10° Die Frankfurter Rundschau war die erste von den Amerikanern lizensierte Tageszeitung. Die erste Ausgabe erschien bereits am 1. August 1945. Alleiniger Herausgeber, Verlegerund Chefredakteur war von 1954 bis 1975 Karl Gerold. „Seit 1975 gehört die Zeitung zu zwei Dritteln einer unveräußerlichen Stiftung" 101. Die meisten Exemplare wurden und werden in der Frankfurter Region verkauft. Von den späten 60er bis zu den 80er Jahren hatte die FR große Anteile unter Studierenden. Die Blattlinie gilt als links-liberal. 102 Die Welt war keine Lizenzzeitung und kein Blatt von Altverlegern, sondern „wurde 1946 in Hamburg von der britischen Militärregierung als überparteiliche Tageszeitung und 'national paper' mit deutscher Redaktion gegründet [...] geplant als Musterbeispiel einer demokratischen Zeitung" l03. Mit liberalem Programm erreichte die Neugründung 1949 sogar über eine Million verkaufte Exemplare. Die Auflage sank jedoch mit der Etablierung von Regionalzeitungen. Nach sieben Jahren verkauften die Briten Die Welt an Axel C. Springer. Der machte sie zu einem „streng konservativen Blatt" I04. „Seit dem Umzug Pfingsten 1975 von der Hansestadt nach Bonn sank die Auflage stetig. Ebenso stetig wurde die Konzeption des Blattes verändert." I05 Seit Pfingsten 1993 erscheint „das leckgeschlagene Flaggschiff'106 des SpringerKonzerns in der neuen Bundeshauptstadt Berlin. Das Layout wurde modernisiert, das Personal seit Jahren ständig erneuert. Die tageszeitung erschien erstmals am 17. April 1979, als Altemativblatt im doppelten Sinne: als Zeitung für und von „Alternativen" (so die damals etablierte Eigen- und Fremdbezeichnung Angehöriger bestimmter sozialer Bewegungen, Initiativ-Gruppen etc.) und als alternativ, also anders gemachte 99 100

Ebd.: 127. Ebd.: 128.

101

Pürer/Raabe 1994: 169.

102

Näheres ebd.: 169f. Ebd.: 168. Ebd.: 169. Schulz 1993: 34. Ebd.: 34.

103 104

103 106

28 Zeitung (aus einer Unzufriedenheit über die „bürgerliche Öffentlichkeit"): „Alles galt es neu zu denken, neu zu definieren, vor allem GEGEN die herkömmliche Art und Weise des Blattmachens, die am Ende nur bürgerliche Zeitungen zum Resultat hatte." 107 Das führte immer wieder zu - auch eingestandenem - Dilettantismus, andererseits entwickelte die TAZ über die Jahre ein eigenständiges und zunehmend professionelles Profil in Themenauswahl, Sprache, Beitragsformenentwicklung und Layout. 108 Über die Leserinnen und Leser selbst ist bekannt, daß sie Jünger sind und formal höher gebildet als die Leser anderer überregionaler Tageszeitungen." 109 Als kulturell „stark interessiert" bezeichnen sich dagegen nur 40 Prozent'10. Entsprechend hatte die Kultur zwar von Beginn an einen festen Platz in der Blattstruktur und als eigenes Ressort in der Redaktionsstruktur, doch Umfang und Themen wechselten stets in , und „die aktuelle Kulturberichterstattung ist bisher augenfällig ein Stiefkind der Zeitung" m. Der Anspruch der Kulturredaktion ist, vor allem Hintergrund zu bringen, ein Forum für Debatten zu sein und „VIPs des intellektuellen Lebens" 113 selbst zu Wort kommen zu lassen. Bei den anderen Pressetypen muß exemplarisch gearbeitet werden. Bei den regionalen Tageszeitungen ist unter der Leitfrage nach dem journalistischen Handeln zwischen Kulturvermittlung und Adressatenorientierung der vereinte Berliner Zeitungsmarkt besonders relevant durch den dort entbrannten Konkurrenzkampfais Innovationsauslöser- bzw. katalysator. m Die drei wichtigsten und auflagenstarksten Zeitungen werden daher erfaßt: 115 • Die Berliner Zeitung erschien erstmals am 21. Mai 1945, mit sowjetischer Lizenz. Das anfangs unabhängige Blatt wurde später zum Parteiorgan der SED für den Bezirk Berlin. Nach der Wiedervereinigung kaufte das Ver107 108

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Bröckers 1989: 606. Die rechtliche Konstruktion der TAZ, die ökonomische Entwicklung, die Organisationsund Arbeitsstruktur, die wechselnden redaktionellen Konzepte, Leseranalysen etc. beschrieben hat Flieger (1992: 97-198). Ebd.: 193. Der Altersdurchschnitt der Leserinnen und Leser steigt jedoch kontinuierlich (ebd.: 313). Vgl. ebd.: 191. Vgl. ebd.: 130-137. Ebd.: 197. Wahjudi 1992: 164. DazuMeynl993. Zu den historischen Angaben für alle drei Berliner Zeitungen siehe Oschilewski 1975.

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lagshaus Gniner+Jahr die auflagenstarkste Berliner Abonnementszeitung und versucht, die Berliner Zeitung mit viel Aufwand zum Organ für die ganze Hauptstadt zu machen. • Die Berliner Morgenpost wurde 1898 als „populäres Familienblatt" 116 mit lokaler Ausrichtung gegründet und knüpfte daran auch nach dem späten Wiedererscheinen am 26. September 1952 an. Sie erschien zunächst wie früher im Ullstein-Verlag und ging dann mit dessen schrittweiser Übernahme in den Besitz von Axel C. Springer über. • Der Berliner Tagesspiegel erhielt am 14. September 1945 von den Amerikanern die Lizenz und erschien erstmals am 27. September des Jahres. Unter dem Titel stand schon früh das anspruchsvolle Motto „Rerum cognoscere causas". Das Regionalblatt mit überregionalem Anspruch war lange konzernfrei im Besitz einer Pressestiftung und zweier Familien. 1992 kaufte die Stuttgarter Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck 51 Prozent der durch den verschärften Wettbewerb auf dem Berliner Zeitungsmarkt in Bedrängnis geratenen Renommierzeitung, die nach Einschätzung mancher Beobachter sogar „ums Überleben kämpft" m. Die neuen Manager leiteten ein „radikales Sanierungsprogramm"118 ein, lifteten das Layout, wechselten die Führung und investierten in neues Personal, gerade für das Feuilleton. Die Wahl von Zeitungen aus einem Ort erlaubt wegen des gleichen kulturellen Angebots in der Stadt besonders gut Vergleiche der Selektion, Gewichtung und Bearbeitung. Deshalb sollen die weiteren Regionalzeitungen auch nicht bundesweit gestreut werden, sondern aus einer Region stammen. Um Unterschiede zu dem umkämpften Berliner Markt herauszufinden, muß ein ruhiger Markt gewählt werden. Dies ist bei dem Stuttgarter Großraum der Fall: I19 • Die Stuttgarter Zeitung erhielt von den Amerikanern am 17. September 1945 eine Lizenz und erschien erstmals am Tag darauf Seit 1974 wird sie von einer gemeinsamen Holding mit den Nachrichten herausgegeben. Als „Kontrastblatt" zu den lokal und regional orientierten Nachrichten kann und soll die Stuttgarter Zeitung überregionale Ressorts pflegen - und Landesthemen: „Eine Sonderstellung hat in Baden-Württemberg die Stuttgarter Zeitung; sie 116

117 118

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Ebd.: 286. Hagedorn 1993: 32. Ebd.: 32.

Eine „geringe Bewegung im Zeitungsmarkt Baden-Württembergs" konstatiert Biege (1990: 256). Zum Nachfolgenden siehe ebd.: 87-148 und 416-468.

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ist zum einen Lokal- und Regionalblatt für den Großraum Stuttgart und zum anderen wäre sie gerne eine Art 'Landeszeitung', was ihr aber nur für Württemberg gelingt, wo sie in allen größeren Gemeinden gelesen wird." 12° Die Stuttgarter Zeitung ist nach eigener Aussage als „anspruchsvoller Markenartikel" schon „seit Jahrzehnten das publizistisch führende Blatt" in BadenWürttemberg - und darüberhinaus: „Auch unter den großen Regionalzeitungen in Deutschland steht sie an der Spitze, denn sie ist 'm ihrer Struktur, in Qualität und Umfang ihrer redaktionellen Leistung den wenigen großen überregionalen Blättern vergleichbar." 121 Die Stuttgarter Nachrichten waren die zweite Lizenzzeitung in Stuttgart und erschienen erstmals am 12. November 1946. 1974 verkauften mehrere Mitbesitzer, darunter die Süddeutsche Zeitung, ihre Anteile an den Stuttgarter Zeitungsverlag. Beide Blätter der Landeshauptstadt wurden nun in einem Haus herausgegeben und fungierten nicht mehr als Konkurrenten, sondern als Kontrastzeitungen mit unterschiedlichen redaktionellen Schwerpunkten. Die Nachrichten sollen sich auf Regionalberichterstattung konzentieren. 122 Die Südwestpresse/LokalAusgabs Schwäbisches Tagblatt Die auflagenstarke Mantelzeitung Südwestpresse ist aus dem Tübinger Schwäbischen Tagblatt hervorgegangen. Dieses erhielt als erste Zeitung in Württemberg-Hohenzollem am 21. September 1945 von den Franzosen eine Lizenz. Durch Kooperation mit Altverlegern entstand 1949 die Südwestpresse als Mantellieferant mit Sitz in Tübingen. Sie wird heute in Ulm produziert und seit 1974 von der Neue Pressegesellschaft mbH & Co. KG herausgegeben. Die wiederum ist mit der Stuttgarter Zeitungsverlag-GmbH verflochten, was zur Ruhe des Markts in der Region beiträgt: „Der Zeitungsmarkt im Verbreitungsgebiet der beiden großen Gruppen ist - in Folge dieser 'Marktordnungsmaßnahme' von 1974 - seither sehr stabil geblieben." 123 Die Südwestpresse liefert für viele Lokalzeitungen den Mantel, der sehr hohe Agenturanteile aufweist. Das Schwäbische Tagblatt ist thematisch und sprachlich von der Universität geprägt und keine typische Lokalausgabe der Südwestpresse. 124

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Ebd.: 116. So Geschäftsführer Jürgen Dannenmann in der Sonderbeilage zum 50. Jubiläum am 12. September 1995. Vgl. die Sonderbeilage zum 50. Jubiläum am 12. November 1996. Biege 1990: 129. Näheres ist einer Sonderbeilage zum 50. Jubiläum am 21. September 1995 zu entnehmen.

31 Bei den Boulevardzeitungen werden die größte und zum Vergleich die mit dem kulturell besten Ruf berücksichtigt, bei den Wochenzeitungen die auflagenstärkste und die neueste. Bei den Zeitschriften werden die einzigen deutschen Nachrichtenmagazine und die beiden aktuellen Illustrierten mit dem breitesten inhaltlichen Angebot erfaßt: • Die Bild-Zeitung wurde 1952 von Axel Cäsar Springer gegründet. Die erste Ausgabe erschien am 24. Juni als reines Bilderblatt. Text kam nur in Überschriften und Bildzeilen vor. Mit der Zeit wurden kurze Artikel eingeführt und die Schlagzeilen immer größer. Die Boulevardzeitung ist die auflagenstärkste Tageszeitung in Deutschland - und zugleich die umstrittenste. 125 • Die Münchner Abendzeitung wurde von den Amerikanern lizensiert und erschien erstmals am 16. Juni 1948. Sie befindet sich im Familienbesitz. Die Erbengemeinschaft Friedmann ist mit 24 Prozent am Süddeutschen Verlag beteiligt, in dem die Süddeutsche Zeitung erscheint. 126 Die AZ genießt den „legendären Ruf als bestgemachtes deutsches Boulevardblatt" 12?. Das Konzept beschrieb Chefredakteur Uwe Zimmer so: „Die Frage, ob eine Zeitung gekauft wird oder nicht, entscheidet sich an der Qualität. Und Qualität heißt für mich: die geglückte Mischung aus Information und Unterhaltung." Das heißt: „Nachrichten, die schlau machen, Fotos; die Geschichten erzählen; Schicksale, die anrühren; Enthüllungen, die empören; Anklagen, die verändern. Übersichtlich angerichtet, mit Grafiken garniert, schnelle Orientierung im Augenblick." Das bedeutet auch mehr Gewicht für den Service: „Im Lokalen, im Sport, im Feuilleton haben wir den Platz für Service-Informationen erweitert, dazu ein mehrseitiger Extra-Teil 'Tips fürs Wochenende'." 128 • Die Zeit erhielt am 21. Februar 1946 von den Briten eine Lizenz und erscheint seitdem in Hamburg, seit 1965 im Verlag Gruner+Jahr und seit 1996 unter dem Dach des Holtzbrinck-Konzerns. Mitbegründer und Verleger war Gerd Bucerius. 129 „Nach vorübergehenden Auflageneinbußen des Blattes und Richtungskämpfen in der Chefredaktion entwickelte sich die Zeit ab Ende der fünfziger Jahre zum großen liberalen Meinungsblatt" und gilt heute als

123

126

Einen kurzen Überblick dazu geben Meyn (1990: 56-58) und Pürer/Raabe (1994: 174). Siehe auch Brumm 1980. Dermühl 1992: 36.

127

Ebd.: 36.

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Zimmer 1992: 22. Nach Meyn 1980.

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„die bekannteste und auch im Ausland angesehendste deutsche Wochenzeitung" 13°. Sie versteht sich nach einer Eigenanzeige als „liberale Wochenzeitung", die „sich an denkende Leser wendet" 131. Insider Cordt Schnibben süffisant: , Jeder Redakteur schreibt ohne Platzangst, sagen wir: fast jeder, und einige müssen sogar ständig mehr schreiben, als sie wollen. Redigiert wird behutsam, manchmal gar nicht, eine gediegene Handschrift ist erwünscht, Experimente sind beliebt, und zusammen mit den Graphikern kann man selbst am Erscheinungsbild des Geschriebenen basteln."132 Das Kultur-Ressort galt immer als recht eigenständig und politisch eher „links". 133 Die Woche erschien erstmals am 18. Februar 1993 ,4m Hamburger 'Jahreszeitenverlag' (der dem Verlag 'Hoffmann und Campe' angehört) und hat sich im hartumkämpften Wochenzeitungsmarkt bisher behauptet. Die im Berliner Format edierte, durchgehend vierfarbig gestaltete Wochenzeitung beschränkt sich auf maximal 25 größere Themen pro Ausgabe. Sie will - Angaben ihres Herausgebers und Chefredakteurs Manfred Bissinger zufolge - in einer von Print- und Funkmedien überfluteten Mediengesellschaft den Lesern auf klar begrenztem Umfang einen Überblick über die Ereignisse der Woche geben und rasch Orientierung, Analyse und Einordnung bieten. Daher verzichtet Die Woche auf ausführliche und sehr lange Artikel, was ihr von Anfang an das Etikett 'Anti-Ze/7' einbrachte." 134 Bissinger: „Wir wollen junge Leute als Leser gewinnen, die bisher überhaupt keine Wochenzeitungen wahrgenommen haben." 135 Damit ist kein Fastfoöd-Journalismus auf Hochglanz gemeint: ,JDie Woche hat sich dem illustrativ erläuterndem Journalismus verschrieben und nicht dem illustrierenden Journalismus." 136 Konkretisierungen für den Kulturteil liegen nicht vor, außer einer Äußerung Bissingers, daß er „weg von Opernpremieren und Parteitagen" und „völlig neue Diskussionen anzetteln" wolle; wobei vor allem Prominente selbst schreiben sollten 137. Der Spiegel wurde nach dem Vorbild angloamerikanischer Nachrichtenmagazine 1947 unter anderem von Rudolf Augstein gegründet, der später allei130 131 132 133 134 135 136 137

Pürer/Raabe 1994: 183. Beides zit. nach Meyn 1980: 275. Schnibben 1992: 469. Siehe Meyn 1980: 283 und 290f. Pürer/Raabe 1994: 492. Zit. nach Bahr 1993: 25. Zit. nach ebd.: 25. Zit. nach Vorpahl-Jellal 1992: 48.

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niger Verleger, Herausgeber und Chefredakteur wurde. „Heute aber gehören 25 Prozent der Anteile Augstein selbst, knapp 25 Prozent halten Grüner und Jahr/Bertelsmann, und 50 Prozent gehören nominell den rund 700 Mitarbeitern" 138. Das „Sturmgeschütz der Demokratie" (Augstein) legt seinen Schwerpunkt auf,Aufdeckung und Urteil"139. Ein Statut von 1949 schrieb Ziele und Mittel fest 14°. „Der Spiegel ist ein Nachrichten-(Neuigkeiten-) Magazin. Darum muß der Spiegel 1. aktuell sein, 2. einen hohen Nachrichten(Neuigkeits-)Gehalt haben. Dabei muß er andere, d.h. persönlichere, intimere, hintergründigere Nachrichten (Neuigkeiten) mitteilen und verarbeiten, als sie die Tagespresse darbietet, 3. interessant sein. Das heißt: a) er muß mit sicherem journalistischen Instinkt die aktuellen Vorgänge erkennen, von denen sofort angenommen werden kann, daß sie einen breiten Kreis normal interessierter Laien berühren, angehen, beschäftigen, b) er muß die Vorgänge in einer Art servieren, auf die dieser normale Laienleser sofort anspringt, die ihn fesselt und die ihn mit Vergnügen und ohne Mühe das Ganze zu Ende lesen läßt. (Ein Spiegel-Bencht, den man zweimal lesen muß, um ihn zu verstehen, ist keine ,$£>/ege/-Geschichte.)" Konkret: „Die Form, in der der Spiegel seinen Nachrichten(neuigkeits-) Gehalt interessant an den Leser heranträgt, ist die Story. Damit ist gemeint, daß der Bericht über ein aktuelles Geschehen in Aktion (Handlung) umgesetzt werden sollte. Der Leser soll dadurch den Eindruck gewinnen, daß er selbst bei dem Geschehen dabei ist." Auch der Stil ist vorgeschrieben: „Der Spiegel soll nach gewissen einheitlichen Richtlinien geschrieben sein." Focus erschien erstmals am 18. Januar 1993 im Münchner Focus-Verlag, einer hundertprozentigen Tochter des Burda-Verlags, und steigerte seine Auflage schneller als erwartet. Die seit langem erfolgreichste Zeitschriftenneugründung verkauft sich im Untertitel als „Das moderne Nachrichtenmagazin". Als „modern" zählt, was die als Zielgruppe so genannte „Info-Elite" zwischen 20 und 50 Jahren 141 vorgeblich will: Fakten in kurzen, prägnanten Texten und übersichtlichen Grafiken und Tabellen, aufbereitet mit vielen 138 139 140

141

Pürer/Raabe 1994: 186f. Brawand 1987: 12. In ebd.: 225-229. Daraus auch nachfolgend zitiert. Brawand, Spiegel-Redakteur der ersten Stunde, erzählt in seinem „subjektiven Erlebnisbericht" (ebd.: 10) Anekdoten, die deutlich machen, daß dieses Statut keine bloße Absichtserklärung war, sondern eine Norm, deren Nichtbefolgung den Job kosten konnte. Vgl. Schießl 1993: 29.

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Fotos und reichlich Farbe. Spiegel-Prinzipien wie Kritik/Kontrolle, besonderer Stil, Attraktivität durch dramaturgisch gestaltete Stories etc. lehnt das Burda-Blatt ab, wenngleich Chefredakteur Helmut Markwort „Enthüllungen, die der Spiegel nicht hat - Kracher, die die journalistische Qualität des Blattes beweisen sollen" 142, durchaus anstrebt. Erreicht wurden zunächst folgerichtig vor allem neue Magazin-Leserinnen und -Leser: „Gesichert ist bislang, daß Focus überraschend viel von jungen Lesern unter 29 Jahren (29 Prozent) und von Ostdeutschen gekauft wird." I43 • Der Stern erschien erstmals am 1. August 1948 in einer Startauflage von 130 000 Exemplaren. Chef und Eigentümer war Henri Nannen. Doch schon im Mai 1949 kaufte der Zeit-Verlag mit Gerd Bucerius Anteile und übernahm stückweise die Mehrheit. Heute erscheint der Stern im Verlag Gruner+Jahr, der wiederum mittlerweile zum Bertelsmann-Konzem gehört. Im Redaktionsstatut von 1974 heißt es: „Der Stern ist eine politisch engagierte, von Parteien, Wutschaftsverbänden und anderen Interessengruppen unabhängige Zeitschrift, die ihre Leser informieren und unterhalten will." 144 • Die Bunte wurde am 17. März 1948 in Offenburg von Franz Burda unter dem Titel „Das Ufer" gegründet, besitzt ihren heutigen Namen seit 1954 und erscheint seit 1983 im Münchner Burda-Verlag. In den letzten Jahren mußte die Illustrierte Auflagenverluste hinnehmen. Konzepte und Personen wechselten immer häufiger. 145 Geblieben ist jedoch die Unterhaltung als dominierende Funktion. 146 Der Zeitraum der Erfassung sollte der Repräsentativität wegen so groß wie nötig und der Forschungsökonomie wegen so klein wie möglich sein. Bei Tagesperiodika ist dies eine Woche, weil in dieser ein Rhythmus (auch der häufigsten Sonderseiten) abläuft; in mancher Zeitung zwar alle zwei Wochen oder monatlich, aber eine Ausdehnung würde das Sample unverhältnismäßig ausweiten. Dabei wird eine natürliche Woche gewählt, weil Vergleiche mit den wöchentlich und monatlich erscheinenden Organen über identische Themen aussagekräftiger sind. Eine künstliche Woche wäre wohl repräsentativer für die Tageszeitungen, würde aber erstens die Vergleichbarkeit mindern und zweitens sequentielle Zu142

Ebd.: 30.

143

Ebd.: 29. Zit. nach Thomas 1980: 170. Vgl. Martini 1993. Zu Geschichte und Konzepten der Bunten ausführlich Hilgenstock 1993.

144 145 146

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sammenhänge (als Serie in einem Blatt oder als Debatte zwischen den Meinungsführern) übersehen. Bei wöchentlich erscheinenden Organen werden sechs Wochen erfaßt (gleiche Anzahl wie bei den Tageszeitungen zur Vergleichbarkeit der quantitativen Befunde auch in absoluten Zahlen). Ausgewählt wurde als Erhebungszeitraum der November 1993. Denn im November läuft die Saison bei Theater, Musik etc. Die Befunde über kulturjournalistische Themen und das Verhältnis der Kultursparten zueinander sind also nicht durch Sommer- oder Winterpause (Juli bis September und Januar) verzerrt, auch nicht durch einzelne Großereignisse wie die Frankfurter Buchmesse im Oktober (die sich in Sonderbeilagen niederschlägt) oder die FUmfestspiele in Berlin (Februar), Cannes (Juni) und Venedig (September). Bei den Tageszeitungen werden die Ausgaben vom 8. bis 14. November erhoben, bei den Wochenperiodika die Ausgaben vom 25. Oktober bis 2. Dezember. Dieser von den Monatsgrenzen leicht abweichende Zeitraum ergibt sich durch die Erscheinungsweise und die Erhebung von jeweils sechs Ausgaben; je nach Erscheinungstag: Montag (25. Oktober bis 29. November), Donnerstag (28. Oktober bis 2. Dezember).

1.3.3

Die Gliederung

Die Arbeit hat begonnen mit der Beschreibung der doppelten Aufgabenstellung: die inhaltliche besteht in der Bestandsaufnahme des Kulturjournalismus und in der Analyse der kulturjournalistischen Strategien im Zusammenhang des oben skizzierten Wandels (siehe 1.1), die methodische in der ebenfalls oben erwähnten Weiterentwicklung des Strategiebegriffs und der exemplarischen Verbindung von quantitativer und qualitativer Analyse (siehe 1.2). Da die Arbeit an den Begriffen Voraussetzung ist für eine sinnvolle empirische Analyse, soll in Kapitel 2 zunächst geklärt werden, was unter einer „Strategie" verstanden wird. Dabei werden mithilfe der einschlägigen Literatur wichtige Differenzierungen vorgenommen (Kap. 2.1). Im Anschluß wird eine Typologie des strategisch Möglichen versucht (Kap. 2.2). Hierzu werden die wichtigsten Analyseaspekte der Pressekommunikation systematisch als Bausteine für eine Strategientypologie vorgestellt und bereits in der Literatur beschriebene Strategien dem zugeordnet, gleichsam in das Koordinatensystem der Aspekte eingezeichnet. Dabei zeigt sich zum einen, wo Desiderate der Forschung bestehen, zum anderen hat die Typologie eine heuristische Funktion bei der systematischen Suche nach Strategien.

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In Kapitel 3 wird zunächst einmal das Kulturverständnis der ausgewählten Printmedien ermittelt und damit das Sample für die weitere Untersuchung gebildet. Bei diesem qualitativen Schritt spielen quantitative Analysen eine tragende Rolle, wie dort im einzelnen zu sehen sein wird. Schon bei der Gegenstandskonstitution wird also die angestrebte Integration der Methoden realisiert. Kapitel 4 enthält grundlegende Daten zum Kulturjoumalismus in den drei Fragenkomplexen Umfang und Gewicht, thematische und funktionale Struktur (siehe 1.3.1). Sie können als Befund für sich stehen, sind aber zugleich Basis für Fallstudien und qualitative Analysen in den nachfolgenden Kapiteln. Das Zentrum der Untersuchung sind die Kapitel 5 bis 7, in denen die Strategien des Popularisierens, des Personalisierens und des Feuilletonisierens unter die Lupe genommen werden. Aus ihrer Perspektive wird der Befund über Kulturjoumalisrnus ergänzt, vertieft und konkretisiert. Die Kapitel beginnen jeweils mit einer Bestimmung der Strategie und ihrer charakteristischen Ziele. Im Mittelpunkt steht eine an der Systematik von Kap. 2.2 orientierte Darstellung der jeweiligen Spielarten, bestehend jeweils aus einer typologischen Beschreibung sowie qualitativen und/oder quantitativen Befunden. In diesem Teil soll erneut das Miteinander der Methoden erprobt werden. In einem abschließenden Unterkapitel werden die Spielarten der jeweiligen Strategie systematisiert und in ihren Zusammenhängen beschrieben. Abschließend (Kap. 8) werden die Ergebnisse noch einmal auf die Leitfragen aus 1.1 und 1.2 bezogen, inhaltlich (8.1) wie methodisch (8.2). Nicht fehlen dürfen ein Verzeichnis der Abbildungen (Kap. 9.1), ein Literaturverzeichnis (Kap. 9.2) und das Kodierprotokoll (Kap. 9.3).

2. Der Strategiebegriff

„Dagegen nehme ich an, daß die Definition letztlich nur in der empirischen Theorie gegeben werden kann und nur in empirischen Theorien entschieden werden kann, welcher Handlungsbegriff sinnvoller ist. So waren unsere bisherigen Überlegungen auch nur Vorüberlegungen der Art, wie man sie immer anstellen muß, insofern man sich zu keinem Zeitpunkt einen außertheoretischen Zugang zur Welt schaffen kann und es darum sinnvoll ist, vor dem Aufstellen neuer Theorien die Konsequenzen aus den bestehenden Theorien zu ziehen und die eigenen Ziele aus ihnen abzuleiten." ' Was der Sprachwissenschaftler Hans Jürgen Heringer für den Handlungsbegriff formulierte, soll hier auch für den Strategiebegriff gelten. Auf eine Definition kann nicht verzichtet werden, zumal sich in der Literatur neben reichlich Vagem auch vorbildlich Präzises findet. In einem ersten Unterkapitel wird die Bedeutung des Strategiebegriffs im doppelten Sinne beschrieben: erstens als sprachliche des Ausdrucks „Strategie" und zweitens als Relevanz für die Analyse von Kommunikationen (Kap. 2.1.1). Wichtige Impulse gibt dann der in der Literatur gebräuchliche Vergleich von Kommunikationen mit Spielen (Kap. 2.1.2). Unverzichtbare und oft unterlassene Differenzierungen erfolgen aus den Fragen nach dem Status von Strategien (Kap. 2.1.3) und den Akteuren strategischen Handelns (Kap. 2.1.4). In einem zweiten Unterkapitel wird dann versucht, aus Aspekten von Pressekommunikationen konstruktiv Ansatzpunkte für eine Typologie von Strategien zu gewinnen (Kap. 2.2). Damit soll kein fertiges und festes Kategoriensystem eingeführt werden, sondern eher ein Koordinatensystem, das eine systematische Suche nach Strategien erlaubt und also heuristischen Wert hat. Definition wie Typologieversuch dieses Kapitels müssen sich in der Analyse bewähren. Sie sind in diesem Sinne Vorüberlegungen.

Heringer 1974a: 40.

38

2.1

Verwendungsweisendes Strategiebegriffs

2.1.1 Die Bedeutung im doppelten Sinne Der Ausdruck „Strategie" wird im militärischen Bereich und in der Ökonomie, in Sport und Spiel, auch in Medienwissenschaft und Linguistik verwendet. Seine sprachliche Bedeutung ist dabei recht unterschiedlich. Übereinstimmung besteht auf den ersten Blick nur in der vagen Umschreibung, daß es bei einer Strategie auf noch zu präzisierende Weise um Ziele und erfolgversprechende Wege dahin geht. Die Bedeutung im Sinne von Stellenwert ist gar nicht zu überschätzen: Strategien sind nicht nur wichtig für Effizienz und Erfolg zweckrationaler Kommunikationen^ gewissermaßen als der letzte Schliff oder das I-Tüpfelchen. Diese Auffassung würde die Bedeutung des Strategischen unterschätzen, in dem oftmals gerade die Pointe einer Kommunikation liegt und an dessen Erkennen deshalb das Verstehen hängt. Ja, vielfach sieht überhaupt erst einen Zusammenhang zwischen sprachlichen Äußerungen, wer die dahinterliegende Strategie durchschaut. 2 Für eine verstehende, hermeneutisch reflektierte Linguistik und Medienwissenschaft ist der Strategiebegriff daher zentral. Sprechen und Schreiben werden verstanden „als eine besondere Form strategischen Handelns"3. In Medienwissenschaft wie Linguistik wird der Ausdruck „Strategie" oft verwendet, meistens jedoch ohne Erklärung und oft recht vage. Ein Forschungsüberblick würde hier den Rahmen sprengen; ein paar exemplarische Hinweise genügen. Beispielsweise spricht der systemtheoretisch arbeitende Kommunikationswissenschaftler Weischenberg explizit von Strategien und nennt Amerikanisierung 4, Kommerzialisierung und Intemationalisierung 5 der Mediensysteme. Auch von „strategischen Kommunikationsmustern" ist die Rede, dazu zählt Weischenberg das Gegenlesen und das Konferieren: „Die beiden wichtigsten Strategien redaktioneller Kontrolle sind das Gegenlesen von Beiträgen als überwiegend informelles Muster und die Redaktions- und Ressortkonferenzen als überwiegend institutionell verfestigte Muster kollektiven redaktionellen Entscheidunghandelns" 6. Die Beispiele sind zwar plausibel und in ihrer Beschrei-

2 3 4 5 6

Siehe Fritz 1982: 56. Strecker 1987: 28f. Weischenberg 1992: 161-170. Ebd.: 268. Ebd.: 316.

39

bung kommen typische Aspekte von Strategien vor; etwa die Einbettung in Handlungszusammenhänge, das Entscheiden zwischen Alternativen und die Bewertung von Alternativen nach dem Nutzen. Doch eine Definition des Strategiebegriffs suchen Weischenbergs Leser vergebens. Dem Lehrbuchautor scheint das Fachwort alltagssprachh'ch-selbst-verständlich zu sein. Konkreter und detaillierter als Weischenberg hat Maletzke schon 16 Jahre zuvor den Strategiebegriff bestimmt, eingebettet in einen funktionalen Ansatz: „Mit den Aussagen, die durch Medien veröffentlicht werden, sollen bestimmte Ziele erreicht werden. Man will die Empfänger informieren, bilden, belehren; mqn versucht, ihre Meinungen, Attitüden, Denkmuster und Wertvorstellungen zu beeinflussen; und man will sie zu bestimmten Handlungs- und Verhaltensweisen veranlassen. Alle diese Bestrebungen fassen wir mit dem Sammelbegriff der zielorientierten oder intentionalen Massenkommunikation zusammen. Unter Strategie verstehen wir das rationale, planmäßige Entwerfen und Setzen von Zielen sowie das Bestimmen der Wege und Mittel zum Erreichen der gesetzten Ziele."7 Dieser Strategiebegriff berücksichtigt die zentrale Zweck-Mittel-Relation. Wichtige Aspekte werden bei der Definition jedoch nicht genannt, sondern lediglich vorausgesetzt. Das ist der Aspekt des Nutzens (impliziert mit dem Ausdruck „rationale"), und das sind die Handlungsalternativen (impliziert durch das „Bestimmen"). Zudem ist die Forderung eines „planmäßigen Entwerfens" zu scharf (siehe 2.1.3); der Begriff der Intention genügt völlig. In der Linguistik hat der Strategiebegriff noch keine lange Tradition. 8 Das liegt daran, daß er überhaupt nur in kommunikativen Ansätzen eine Rolle spielt. Strategische Aspekte kommen gar nicht in den Blick, wo die zentrale Analyseperspektive das sprachlichen Mittel selbst ist und nicht dessen Verwendung, die Form und nicht deren Funktion, das Sprachsystem und nicht der Sinn des Sprechens und Schreibens. Menschen „wollen überzeugen, auffordern, Angebote machen u.v.a. Und sie tun, was nötig ist, um diese Dinge zu tun: Sie sichern sich die Aufmerksamkeit ihrer Partner, stellen klar, wovon sie sprechen, was sie darüber zu sagen haben, wie sie zu all dem stehen. Sie tragen dabei den Umständen Rechnung, unter denen sie handeln, sowie den verschiedensten kurz- und langfristigen Interessen, die sie verfolgen." 9 Demnach „konstituiert sich eine Spra7

Maletzke 1976: 1. Zu demselben Befund kommen Heinemann/Viehweger (1991: 214), die allerdings Heringer 1974a mit keinem Wort erwähnen. Strecker 1987: 26.

40 ehe nicht als ein System in bestimmter Weise form- und kombinierbarer verbaler Ausdrücke, sondern als ein Komplex strategisch angelegter Handlungsmuster, die uns als Sprachteilhabern für die Lösung von Koordinationsproblemen und begrenzten Konflikten zur Verfügung stehen."10 Appliziert wurde der Strategiebegriff bisher auf unterschiedlichste linguistische Disziplinen: von Syntax und Semantik bis zu Alltags- und Medienkommunikationen.n 2.1.2

Kommunikationen als Spiele

Für die Beschreibung strategischen Handelns hat sich der Vergleich von Kommunikationen mit Spielen etabliert. „In dieser Redeweise treffen sich so unterschiedliche Theorien wie die mathematische Spieltheorie und die sprachanalytische Handlungstheorie Wittgensteins und seiner Nachfolger. Zweifellos ist der Sinn dieser Redeweise in den beiden Theorien ein jeweils anderer: Bei Wittgenstein geht es darum, menschliches Handeln als regelgeleitet zu verstehen, gerade auch sprachliches Handeln. Die Spielmetapher dient zur Explikation einer Bedeutungstheorie. Die Spieltheorie als eine Theorie interdependenter Entscheidungen interessiert sich für die Entscheidungssituationen, in denen die Wahl einer bestimmten unter gegebenen Alternativen zu Ergebnissen führt, die von den Teilnehmern ('Spielern') in einer bestimmten Weise bewertet werden. Hier geht es um Präferenzen zwischen Ausgängen, um die Information, die einem Spieler für seine Entscheidung zur Verfügung steht, um das Risiko, das ein Spieler bei der Wahl einer Alternative eingeht und schließlich um die Frage, welche der gegebenen Alternativen ein Spieler unter der Berücksichtigung der Möglichkeiten seines Gegenspielers wählen sollte, wenn er einen bestimmten Ausgang vorzieht, das heißt, ein bestimmtes Ziel anstrebt." 12 Für Linguistik und Medienwissenschaft sind beide Verwendungen des Ausdrucks Spiel interessant und verhelfen zu einer Differenzierung des eigenen Analyse-Instrumentariums. 10

Ebd.: 29.

11

Die Namen variieren von „Grammatik der Kommunikation" und „Praktische Semantik" bis „Dialoganalyse" und „Kommunikationsanalyse". Siehe im Literaturverzeichnis unter Bucher, Fritz, Heringer, Muckenhaupt, Strecker. Fritz 1982: 57. Ausführlich beschrieben, erläutert, begründet und wissenschaftshistorisch eingeordnet haben die Betrachtung von Kommunikationen als Spielen neben Fritz 1982 vor allem Heringer 1974a, Muckenhaupt 1976, Strecker 1987. Die formalen Dialogspieltheorien übersichtlich dargestellt und auf ihre Brauchbarkeit für die Beschreibung von Kommunikation geprüft hat Fritz 1994a.

12

41

Was haben Kommunikationen und Spiele gemeinsam? Eine Kommunikation besteht aus sprachlichen Handlungen wie eine Spielpartie aus Zügen. Handlungen wie Züge sind intentional. Das heißt: Die Akteure fuhren sie mit der Absicht aus, ein bestimmtes Ziel oder mehrere bestimmte Ziele zugleich zu erreichen. Dazu gebrauchen sie bestimmte Mittel, von denen sie annehmen, daß sie mit ihnen ihre Ziele überhaupt nur oder am besten erreichen können. Das Erreichen dieser Ziele ist der Nutzen. Die Verwendung des Ausdrucks „bestimmte" 'm diesen Sätzen macht deutlich: Es können auch andere Ziele und Mittel gewählt werden. Die Akteure treffen also Entscheidungen für bestimmte Ziele und Mittel, sie wählen zwischen Alternativen. Kriterium für eine Entscheidung ist der Nutzen, die Bewertung der möglichen Ergebnisse, der Spielausgänge. Entsprechend hat Heringer zwischen strategischen und konsumtiven Regeln unterschieden. Constitutive Regeln lassen keine Alternativen zu. Es sei denn, man gibt das ganze Sprachspiel au£ zu dem die Regel gehört. Sie sind ähnlich Definitionen. Sie definieren ja auch das Spiel. [...] Strategische Regeln beziehen sich auf eine Alternative im Spiel [...] Sie machen Angaben, wie man das Spiel besser spielt. Darin sind die den Geboten verwandt, die uns allerdings keine Alternative lassen, obwohl sie auf der Annahme beruhen, daß es eine gibt. Ein Foul beim Fußball ist durchaus durch die konstitutiven Regeln zugelassen. Das Foulspielen gehört zu den Regeln des Fußballspiels. Wenn mal einer Hand macht, wird es nicht gleich Handball. Die strategischen Regeln bewerten das Verhalten innerhalb des Spiels. Wenn man gegen diese Bewertung verstößt, ist in dem Spiel schon eine Sanktion vorgesehen. Sie gehört auch zum Spiel. Ob ich defensiv spiele oder offensiv, ich kann auf beide Arten Fußball spielen. Aber unter gewissen Umständen kann es besser sein, defensiv zu spielen. Verstößt man gegen diese Strategie, so kann die Sanktion sein, daß man verliert." B Zwischen den Regeltypen kann es zu Übergängen kommen: „Selbstverständlich ist die Trennung zwischen konstitutiven und strategischen Regeln nicht scharf. Denn wenn ich dauernd gegen strategische Regeln verstoße, kann es sein, daß ich doch ein anderes Spiel spiele. Wenn beim Fußball eine Mannschaft den Ball nur mit der Hand spielt, kann kein Fußballspiel mehr zustande kommen. Obwohl die Regehi hier ausreichen würden, geht der Witz des Spiels verloren." 14 Für die Presse: Wenn ein Redakteur einer Abonnementszeitung immer wieder die Überschriften in überdurchschnittlicher Größe layoutet und mit dramatisieren13 14

Heringer 1974a: 27. Vgl. auch Muckenhaupt 1976: 61ff. Heringer 1974a: 27.

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den Worten formuliert, um die Leserinnen und Leser zur Lektüre zu motivieren (strategische Regel), dann handelt er nicht mehr nach den konstitutiven Regeln der seriösen Tagespresse, sondern „spielt" das „Spiel" Boulevardjournalismus. Die Unterschiede der Regeltypen werden deutlich durch die Regelformulierung in der charakteristischen Wenn-dann-Form und durch die möglichen Sanktionen bei einer Regerverletzung. Zur Profilierung des Strategiebegriffs wurden die regulativen Regeln aus der Sprechakttheorie 15 hinzugenommen: • Wenn ein Akteur A eine Kommunikation K ausführen will, dann muß A unter den Bedingungen B die Handlungen HI, H2, H3 machen. Sonst führt A nicht K aus (konstitutive Regel). Eine konstitutive Regel des Tennis ist: Als Aufschlag zählt nur ein diagonaler Schlag. Oder anders formuliert: Wenn der erste Schlag beim Tennis diagonal geschlagen wird, gilt dieser als Aufschlag. Wenn in einem journalistischen Artikel bewertet wird, dann gilt dieser als Kommentar. • Wenn ein Akteur A eine Kommunikation K ausführt, dann sollte A unter den Bedingungen B die Handlungen HI, H2, H3 machen und nicht die Handlungen Gi, G2, Gs. Sonst gilt er als unhöflich, unfair, eigensinnig oder ähnliches (regulative Regel). Regulative Regeln basieren auf konstitutiven Regeln. Sprechakttheoretiker denken dabei vor allem an Anstände- und Höflichkeitsregeln. Im Tennis gehörte lange Zeit das Tragen weißer Kleidung dazu. In einem Kommentar kann dies polemische Zuspitzung oder auch im Gegenteil staatsmännische Ausgewogenheit sein. Beide Schreibweisen können zwar auch strategische Bedeutung haben, gelten aber meist als Stilfrage. • Wenn ein Akteur A in einer Kommunikation K das Ziel Z erreichen will, dann ist es unter den Bedingungen B besser, die Handlungen HI, H2, H3 als die Handlungen GI, G2, G3 zu machen. Sonst erreicht A mit K nicht Z (strategische Regel). Strategische Regeln sind am Nutzen orientiert. Wenn einer Tennis spielen will, dann ist es für ihn unter der Bedingung, daß er gewinnen will16, besser, den Aufschlag von oben als von unten zu machen. Wer eine strategische Regel verletzt, spielt weiter das Spiel, das er zu spielen vorgibt, tut dieses aber nicht gut oder erfolgreich. Für einen Kommentar: Wenn der 15 16

Searle (l969) unterscheidet zwischen konstitutiven und regulativen Regeln. Das Ziel ist nicht so selbstverständlich, wie es zunächst klingt. Priorität könnte auch der Spaß haben, oder jemand gebärdet sich als Spielverderber, weil er den Ehrgeiz seines Gegenübers unterlaufen will, oder einer läßt seinen Partner gewinnen, weil dieser einer Aufmunterung bedarf oder weil dies Teil einer umfassenderen Einschmeichel-Strategie ist.

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Schreiber seine Leser überzeugen will, dann ist es für ihn besser, so zu argumentieren, daß er die anzunehmenden Einwände gegen seine Meinung entkräftet, als ausführlich die eigene Position darzulegen. In der Spieltheorie sind zwei Spieler vorausgesetzt. Das ist auch für die Analyse von Kommunikationen sinnvoll, nicht nur der dialogischen. Auch die monologischen Medienkommunikationen werden bei einer dialogischen Betrachtung besser verstanden. So lassen sich manche Äußerungen nur richtig verstehen, wenn man sie als vorbeugende Entgegnungen auf mögliche Einwände liest. Der Journalist nimmt in diesen Fällen präventiv einer Kritik, die er erwartet, „den Wind aus den Segeln", er argumentiert gegen einen Vorwur£ von dem er annimmt, daß jemand ihn ohne seine Äußerung erheben würde. Noch grundsätzlicher: Nur dialogisch können Verständnisse geklärt werden. Als was eine Handlung verstanden wurde, zeigt sich in den Anschlußreaktionen. l7 Angeregt von spieltheoretischen Überlegungen gilt für Linguistik wie Medienwissenschaft: „Die Beschreibung einer Strategie besteht darin, daß man angibt, welche Alternative ein Spieler in Abhängigkeit von der Wahl des anderen Spielers an jedem Entscheidungspunkt wählt."18 Handlungstheoretisch formuliert: „Eine Strategie ist also eine Sequenz von Handlungsmustem und damit selbst ein Handlungsmuster." 19 Das bedeutet für Praxis wie Analyse: „Strategisches Denken in diesem Sinne ist das Suchen, Vergleichen und Bewerten von alternativen Zugmöglichkeiten, orientiert am Witz der jeweiligen Interaktionsform."20 Die wichtigsten Aspekte des Verstehens einer Strategie sind demnach: • das Ziel der Kommunikation: Was will der Handelnde mit der Kommunikation erreichen? Bei Spielen sind dies Gemeinschaft und/oder Gewinnen. • die ausgeführten Handlungen: Was macht der Handelnde? Bei Spielen sind das die einzelnen Züge. • die Handlungsalternativen: Welche Entscheidungen wurden getroffen? Was hätte der Handelnde statt dessen machen können? Bei Spielen sind das die unterlassenen Züge. • die Folgen einer Kommunikation: Was bringt dem Handelnden die Kommunikation? Werden die Ziele erreicht? Bei Spielen sind das die Spielausgänge. 17

18 19 20

Zur Begründung des dialogischen Ansatzes in der Sprach- und Medienanalyse siehe Mukkenhaupt 1986. Fritz 1982: 58. Ebd.: 58. Ebd.: 69.

44 • die Bewertung der Folgen und Handlungen: Nutzt oder schadet dem Handelnden die Kommunikation? Bei Spielen ist das die Bewertung der Spielausgänge und Züge. 2.1.3 Der Status einer Strategie Beim Blick in die einschlägige Literatur fällt auf, daß der StrategiebegrifT mit unterschiedlichen Funktionen verwendet wird. Mal werden mit ihm Phänomene der Kommunikation erklärt, mal beschrieben. Beim explikativen Gebrauch dient der StrategjebegrifT der Antwort auf die Frage: Warum handelt ein Journalist so und nicht anders? Warum etwa schreibt er so und wählt keinen anderen Stil? Folgende Antworten sind möglich (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): (a) weil er keine Alternative hat, z.B. weil direkter Druck auf ihn ausgeübt wird, ein Vorgesetzter etwas anordnet; (b) weil er einer Norm oder Regel folgt, deren Verletzung unangenehme Folgen haben könnte: z.B. Kritik von Vorgesetzten oder Leserinnen und Lesern; (c) weil er einer (schlechten oder guten) Gewohnheit folgt: von einer unfreiwillig angenommenen Marotte bis zu einer bewußt erlernten Berufsroutine, die immer neue Entscheidungen und dadurch Kraft und Zeit spart; (d) weil er einem Vorbild folgt, etwas als gut Angesehenes nachahmt, etwa den Kollegen einer renommierten überregionalen Tageszeitung; (e) weil er einer persönlichen Vorliebe nachgibt; (f) weil das Gewählte den akzeptierten Qualitätskriterien entspricht; (g) weil er glaubt, mit der gewählten Schreibweise seine Ziele am besten erreichen zu können, am meisten Erfolg zu haben; (h) aus Zufall. In den letzten Jahren wurde für unterschiedliche Bereiche versucht, nicht mehr alle Regularitäten mit dem Regelbegriff zu erklären, sondern der Empirie durch ein flexibleres mstramentarium gerecht zu werden. 21 Dazu Fritz für Dialoge, was mutatis mutandis auch für monologische Pressekommunikationen gilt: „Nun ist aber eine Regelerklärung eine sehr starke Erklärung, bei der man sich u.a. darauf festlegt, daß die Sprecher einer bestmimten Regel tatsächlich folgen, daß sie das voneinander wissen und daß es die Möglichkeit der Regelverletzung gibt [...] Eine Alternative zur Regelerklärung ist in den letzten Jahren vor allem in

21

Antos 1982: Heringer 1990a, Keller 1990, Strecker 1987.

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der Philosophie diskutiert worden (vgl. Dascal 1992). Nach dieser Auffassung erklärt sich die Struktur (und z.T. auch die Regularität) von Dialogverläufen aus grundlegenden Prinzipien rationalen Handelns, z.B. dem Relevanzprinzip, und den Zielen und Annahmen der Dialogteilnehmer. Jede sprachliche Handlung in einem Dialog stellt sozusagen eine Dialogaufgabe für die Folgeäußerung, die der Sprecher mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln adäquat zu lösen versucht. Zu diesen Mitteln gehört primär seine Fähigkeit, Schlüsse zu ziehen und strategische Erwägungen anzustellen. [...] Zweifellos gibt es Situationen, in denen es keine eingespielten Verfahrensweisen für den Dialogfortgang gibt und die Dialogpartner hart arbeiten müssen, um Zusammenhang und Verständigung zu sichern. Für diese Fälle, für deren Vorliegen man allerdings auch Indizien vorbringen muß, ist eine Problemlösungserklärung, die sich primär auf die hermeneutischen und strategischen Fähigkeiten der Dialogpartner stützt, zweifellos hilfreich. In vielen Fällen gibt es aber schon Lösungen für bestimmte Arten von Dialogaufgaben. Dazu gehören z.B. Themenverläufe, die man in ähnlicher Form schon abgehandelt hat. Man verfügt über Muster, Vorbilder, Präzedenzen, an denen man sich orientieren kann (vgl. Strecker 1987). Hier wäre die Behauptung zu stark, man handle nach einer Regel, aber man befindet sich kommunikationshistorisch auch nicht in der Stunde Null. Die Mustersequenzen können zur Routine werden, so daß die einzelnen Dialogbeiträge einen gewissen Grad an Erwartbarkeit haben, was zur wechselseitigen Abstimmung der Dialogpartner beiträgt, ohne daß damit schon das normative Element des Regelbefolgens vorliegt. Es ist weiterhin denkbar, daß für einen oder beide Partner eine unter mehreren Sequenzalternativen besonders vorteilhaft erscheint. Diese Präferenz, zusammen mit dem gemeinsamen Wissen über diese Präferenz, kann dazu beitragen, daß diese Form der Abfolge einen ausgezeichneten Status erhält und als Regularität wahrgenommen wird. Schließlich kann sich ein bestimmtes Sequenzmuster als die Standardlösung für eine bestimmte Dialogaufgabe etablieren und an Dialogneulinge als die richtige Verfahrensweise weitertradiert werden [...] Standardisierung"22. Damit ist ein konstruktiver Katalog von Erklärungsaltemativen zum Regelbefolgen eröflhet worden. Dazu gehört auch das Verfolgen einer Strategie wie in Erklärung g. Beim deskriptiven Gebrauch dient der Strategiebegriff der Antwort auf die Frage: Wie handelt ein Journalist? Eine Strategie wird als Handlungsmuster verstanden, wobei der Ausdruck „Muster" offen ist für unterschiedliche Stadien der 22

Fritz 1994b: 179f.

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Konventionalisierung, von Präzedenz bis Regel. Entsprechend kann eine Strategie unterschiedlichen Status haben, den einer Präzedenz wie den einer Regel (2.1.3. l bis 2.1.3.5). Regel und Strategie stellen demnach keinen Gegensatz dar, sondern die Alternative bei der Erklärung besteht zwischen Regelbefolgen und zweckrationalem Ad-hoc-Handeln (als dieses ist demnach Erklärung g zu interpretieren). Beides kann strategisch sein. Mit anderen Worten: Mit einer Strategie wird das Wie, gleichsam der rote Faden einer Kommunikation beschrieben. Ob der Handelnde dabei einer Regel folgt oder in einer Problemsituation eine erfolgversprechende Lösung (er)findet, entscheidet nicht über das Vorliegen einer Strategie, sondern über deren Status. Strategien können den Status von Regeln haben, von Konventionen oder Standards, von Routinen, von Mustern im engeren Sinne von Vorbildern, von Präzedenzen oder Prototypen, von Präferenzen oder von Prinzipien. Auch alltagssprachliche Bezeichnungen wie Vorliebe, Usus („das ist jetzt Usus"), Kniff („so geht das"), Dreh („der hat den Dreh heraus"), Marotte oder „dumme Angewohnheit" („das kann ich mir einfach nicht abgewöhnen") können zur Profilierung ergiebig sein. „Es spricht einiges dafür, den Kanon an dialogtheoretischen Grundbegriffen nicht zu klein zu halten. Eine reine Regel- bzw. eine reine Problemlösungstheorie ist natürlich einfach und elegant, aber empirisch unzureichend [...], weil Konventionalisierung ein historischer Prozeß ist, der graduell verlaufen kann."23 Für die Analyse ist daraus der Schluß zu ziehen, die Augen offen zu halten und im Einzelfall jeweils zu schauen, welcher der vorgeschlagenen Begriffe ein Phänomen am adäquatesten beschreibt oder ob das Instrumentarium erweitert werden muß. Die bisher nur genannten Begriffe zur Erklärung oder Beschreibung sprachlichen Handelns bedürfen der Erläuterung, da sie in der Literatur nicht einheitlich verwendet werden. Das Folgende versteht sich daher nicht als normierende Definition fremden, sondern als Beschreibung des eigenen Sprachgebrauchs. 2.1.3. l Strategie und Regel Von einer „Regel" wird in Bezug auf Handlungen gesprochen, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind (dieses ist selbst die Formulierung einer Regel, nämlich der für den Gebrauch des Ausdrucks „Regel"): 23

Ebd.: 181. Vgl. ferner die Ausführungen zu Institutionalisierung, Habitualisierung und Standardisierung bei Berger/Luckmann (1972: 56ff) oder bei Goffman (1994: 12ff).

47 • Es gibt mindestens einen gemeinsamen Aspekt zwischen einer Handlung HI und einer Handlung H2 (Kriterium der Gleichheit). • Es gibt eine Menge von Handlungen (Hb H2 ... H„), die das Kriterium der Gleichheit erfüllen (Kriterium der Regularität). • Daß vergleichbare Handlungen regelmäßig ausgeführt werden, ist gemeinsame Praxis einer sozialen Gemeinschaft (Kriterium der Konventionalität). • Man kann von der Konvention abweichen. Abweichungen können Einklagungen der Regel zur Folge haben (Kriterium der Normativität). Das bedeutet erstens: Wenn zwei Handlungen nicht in mindestens einem Aspekt vergleichbar sind, kann man auch nicht sagen, die Handelnden folgten derselben Regel. Zweitens: Wenn irgend etwas von nur einer Person nur einmal gemacht wird, kann man nicht sagen, die Person sei einer Regel gefolgt. Drittens ist eine Konvention keine Abmachung oder Übereinkunft einer sozialen Gemeinschaft, sondern deren eingeschliffene Praxis. 24 Man folgt einer Regel „blind". 25 So ist das Formulieren-Können einer Regel auch nicht Kriterium für das Beherrschen. Es ist zu unterscheiden zwischen praktischem Können und theoretischem Wissen. 26 Daß Handlungen konventionell sind, heißt daß sie verstehbar, lehr- und lembar sind. Die Konventionalität sichert die Intersubjektivität von sprachlichen Handlungen. Das heißt: Die Regeln, die Sprecher befolgen, existieren nicht „an sich", sondern als Regeln einer bestimmten sozialen Gemeinschaft, sie konstituieren jeweils bestimmte „Lebensformen".27 Die von Soziologen festgestellte gegenwärtige Diversifizierung der Lebensbereiche oder „Zersplitterung" der Gesellschaft in Gruppen oder - je nach Ansatz und Terminologie — Subsysteme hat zur Folge, daß die Menschen gleichzeitig in verschiedenen „Lebensformen" leben, also parallel verschiedene Regelsysteme beherrschen (müssen). Daß Regehi konventionell sind, heißt auch, daß sie offen sind für historische Veränderungen. Eine andere Praxis (und manchmal auch ein normierender Eingriff) führt zu anderen Regehi. Beim Befolgen einer Regel kann man viertens Fehler machen, im Gegensatz zum „Befolgen" eines Naturgesetzes. Fällt ein Fall nicht unter ein bestimmtes Naturgesetz, so ist dies ein Hinweis darauf, daß das von Menschen formulierte Naturgesetz das beobachtete Naturphänomen nicht adäquat erklärt. Wird dagegen eine Regel verletzt, so ist damit kein Einwand 24 25 26 27

Zur Abgrenzung von Abmachungen und Gesellschaftsverträgen siehe Lewis 1975: 83-97. Vgl. Wittgenstein 1960: § 219. Knowing how und knowing that bei Ryle 1949/1969. Wittgenstein 1960: § 23.

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gegen die Regel (oder eine mögliche Regelformulierung) gegeben. Erst ein permanenter Regelverstoß kann Anlaß sein, eine neue Regel zu formulieren. Daß Regeln normativ sind, heißt auch, daß sie einklagbar sind. Wer eine Regel verletzt, muß mit Kritik, Vorwürfen oder gar Sanktionen rechnen.28 Eine Strategie kann den Status einer Regel bzw. Norm haben. Das ist der Fall, wenn bei Nichtbefolgen über das Verfehlen des gesteckten Ziels hinaus eine Sanktion droht, bei Journalisten etwa durch Vorgesetzte (informelle Zurechtweisung, formelle Abmahnung) oder Leserinnen und Leser (Protestbriefe, Abonnementskündigungen etc.). 29 2.1.3.2 Strategie und Konvention Der Begriff der Konvention wurde zuweilen im starken Sinne einer Regel verwendet 30, obwohl bei den Aspekten des Regelbegriffs zwischen Konventionalität und Normativität unterschieden wurde. Diese Differenzierung ist sinnvoll für eine Abgrenzung von Regel und Konvention, das heißt für eine unmißverständliche Redeweise. Entsprechend wird nachfolgend von „Konvention" gesprochen, wenn die Kriterien der Ähnlichkeit, der Regularität und der Einbettung als gemeinsame Praxis einer sozialen Gemeinschaft erfüllt sind. Von der Regel unterscheidet sich eine Konvention also durch das Nichtgelten einer Norm. Das Abweichen von einer Konvention kann wahrgenommen, aber nicht als Normverletzung eingeklagt werden. Wer unkonventionell handelt, muß nicht mit Beschwerden rechnen. „Ein wesentlicher Unterschied zwischen Normen und Konventionen ist: Normen sind mit Sanktionen bewehrt, wer gegen Normen ver-

28 29

30

Näheres zum Regelbegriff in Heringer 1974a, Heringer 1974b, Muckenhaupt 1976. In vielen Fällen wäre es für die Beschreibung von Kommunikationen sinnvoll, den Status der Regel zu differenzieren bzw. zu graduieren nach Art und Schärfe der Sanktion. Doch würde dies hier zu weit führen; der Hinweis muß an dieser Stelle genügen. Vgl. Lewis 1975. „Meine Konventionsdefinition enthält keine normativen Begriffe, wie 'sollte', 'müßte', 'gut' und andere. [...] Trotzdem mögen Konventionen eine Art von Normen sein: Regularitäten, von denen wir glauben, daß man sie befolgen sollte. Ich werde zu zeigen versuchen, daß sie das sind. Die Tatsache, daß eine Handlung die Befolgung einer Konvention wäre (gleichgültig, welche Handlung und welcher Konvention), hat gewisse wahrscheinliche Konsequenzen, die nach unseren üblichen Auffassungen vermutlich Gründe dafür wären, daß diese Handlung getan werden sollte." (ebd.: 97). Und noch klarer: „Jede Konvention ist per definitionem eine Norm, von der man in gewissem Grade voraussetzen kann, daß man ihr folgen sollte." (ebd.: 99).

49

stößt, muß damit rechnen, daß die anderen mit eigenen, oft strafenden Handlungen darauf reagieren. Konventionen müssen nicht durch Sanktionen abgesichert sein. Ihre Verletzung hat einfach zur Folge, daß man nicht mehr oder nicht richtig verstanden wird."31 Synonym zu diesem KonventionsbegrifFsollen die Ausdrücke Gewohnheit, Brauch, Gebrauch, Weise (in Komposha wie Venvendungsweise oder Handlungsweise), Standard, Form und Praktik gebraucht werden. Auch Routinen lassen sich in diese Klasse einordnen. Verwandt sind Präferenzen, die sich aus Bewertungen bestimmter Handlungsmöglichkeiten durch die Handelnden ergeben, sei diese rational oder irrational begründet. Lewis hat Präferenzen eines Handelnden entsprechend allgemein definiert als die „mehr oder weniger konstanten Kräfte [...], die seine Entscheidungen bestimmen"32. Handlungsaltemativen können in einem hierarchischen Präferenzverhältnis stehen, der Präferenzverteilung33. Lewis unterscheidet auch zwischen bedingten und unbedingten Präferenzen sowie wandelbaren und festen.34 Präferenzen werden meistens Einzelsubjekten zugeschrieben und nicht einer Gemeinschaft. Dasselbe gilt für Marotten und Vorlieben. In der Medienanalyse allerdings ist die Grenze zwischen Individuellem und Gemeinschaftlichem oft schwer ziehbar. Die Spezifika eines Presseorgans beispielsweise können intermedial als charakteristisches Blattprofil interpretiert werden und intramedial als Gemeinsamkeit unterschiedlicher Joumalistenpersönlichkeiten. Eine Strategie hat den Status einer Konvention, wenn sie gemeinsame Praxis einer sozialen Gemeinschaft ist, ohne normativ zu sein. Wer von einer Strategie in diesem Sinne keinen Gebrauch macht, dem kann man nichts vorwerfen. Seine Handlungsweise kann lediglich als ungewöhnlich wahrgenommen werden. 2.1.3.3 Strategie und Präzedenz Eine Präzedenz ist der Fall, in dem etwas zum ersten Mal eintritt35; aus welchen Gründen auch immer. Ein Präzedenzfall kann auch zufällig in dem Sinne eintreten, daß eine Handlung zwar intentional vollzogen wird, ihr Zweck aber

31 32 33 34

35

Heringer 1990a: 69f. Lewis 1975: 93. Ebd.: 93. Ebd.: 120f. Lewis hat m.W. auch die Präzedenz für den Präzedenzbegriff in diesem Zusammenhang geschaffen (ebd.: 37-42).

50

nicht das Schaffen eines Präzedenzfalls ist. Das ist sogar die Regel. Man spricht da von Invisible-hand-Erklärungen.36 Von einem Prototyp wird meistens strenger nur gesprochen, wenn dieser systematisch geplant und entwickelt wurde, zum Beispiel ein neues Automodell. Zum Prototyp in diesem Sinne gehört auch die Absicht der Fortführung (beim Automodell die Serienproduktion), was beim Präzedenzfall nicht gegeben sein muß. Der Prototyp ist demnach ein Sonderfall des Präzedenzfalls. Da Sprache sich selten planvoll entwickelt37, ist der Ausdruck Präzedenz zur Beschreibung sprachlicher Phänomene geeigneter. Er wurde zur Erklärung von Sprachentstehung und Sprachwandel eingeführt: „Anfänglich wird die Bedeutung der Äußerung nicht durch Sprache und Konvention gesichert. Der Sprecher ist auf ein ad-hoc-Verständnis angewiesen, und er muß seine Äußerung partner- und situationsbezogen gestalten. Dazu wird er natürlich jene Äußerung wählen, von der er annimmt, daß der Partner sie in seinem Sinn verstehen kann. Wenn dies mit einer Äußerung einmal gelungen ist, so ist es der beste Grund, in analoger Situation wieder eine Äußerung dieser Form zu wählen. Eine Präzedenz hat sich gebildet und, insofern dies beide wissen und voneinander wissen, ist es eine soziale Gewohnheit, eine Konvention dieser beiden geworden. Außerdem muß sich natürlich die Kenntnis der beiden verbreiten, damit es nicht eine Art private Konvention bleibt."38 Präzedenzen spielen für das Verstehen von Äußerungen in all jenen Fällen eine entscheidende Rolle, in denen sich noch keine Konvention herausgebildet hat und das Verstehen somit auf verschiedene Arten von Wissen angewiesen ist. Entscheidender Wissensbeitrag ist dabei die Kenntnis einer Präzedenz.39 Ob aus dieser eine Konvention wird, hängt von ihrem Nutzen ab, von der Bewährung: „Immer wieder werden in Einzelversuchen Ideen und Verfahren ausgewählt, die sich für den Sprecher bewährt haben, weil sie verstanden wurden und Erfolg hatten, die der Sprecher darum wiederholt und die Partner übernehmen. Hingegen finden Ideen 36 37

38 39

Vgl. Heringer 1990a: 30-33 und Keller 1990. Eine einzelne Sprechhandlung ist intentional und oft auch geplant, die Sprache als Regelsystem jedoch entsteht und wandelt sich nicht planvoll. Siehe Keller 1990. Heringer 1990a: 30. Vgl. ebd.: 34: „Sprache und Bedeutung allein genügen aber nicht, um Sprechen zu verstehen. Im Verstehen wirken auch Annahmen mit über die Welt und über unsere Partner. [...] So brauche ich auch zum Verständnis der Rede ein Wissen über einschlägige historische Präzedenzen. Dies kann sich beziehen auf die Tragweite einer Äußerung oder auf ihren intendierten Sinn." Vgl. bereits die Betonung des „historischen Zusammenhangs" beim Verstehen einer Äußerung bei Heringer (1974a: 132f).

51

und Verfahren, die sich nicht bewähren, einfach keine Nachfolge; sie werden nicht als Präzedenzen akzeptiert."40 Sinnvoller wäre an dieser Stelle der Ausdruck Vorbild, der sich als akzeptierte Präzedenz definieren läßt. Denn die Verwendung von „Vorbild" ist in der Regel beschränkt auf Fälle, in denen etwas zum Vorbild für ein Zweites genommen wird. Ob etwas Vorbild ist oder nicht, wird also durch eine Relation bestimmt.41 Die Gründe der Nachahmung 42 können vielfältig sein, wie bei der Präzedenz. Für eine Beschreibung sprachlicher Phänomene ist der Präzedenz-BegrifT sinnvoller, wenn über das Neue gesprochen wird, der Vorbild-Begriff wenn eine Beziehung thematisiert wird. Eine Strategie kann selbst den Status einer Präzedenz oder eines Vorbilds haben. Man kann dann von einer strategischen Präzedenz oder einem strategischen Vorbild sprechen. 2.1.3.4 Strategie und Prinzip Warum einer so handelt wie er handelt, kann auch durch das Befolgen eines Prinzips erklärt werden, wie Variante e oben zeigt. Prinzipien werden in konkreten Kommunikation in der Regel als Qualitätskriterien ins Spiel gebracht. So wird das Prinzip der Wahrhaftigkeit eingeklagt, wenn jemand eine Lüge vorgeworfen wird. Oder auf das Prinzip der Relevanz wird sich berufen mit der Kritik: „Das hat damit überhaupt nichts zu tun!" Prinzipien lassen sich als Maximen des Handelns formulieren: „Sei wahrhaftig" oder „Schreibe verständlich". Dies geschieht meist in den kommunikativen Zusammenhängen des B eratens oder Lehrens. Auch für das Deuten können Prinzipien Basis sein. Eine ganze sprachphilosophische Richtung hat versucht, das Verstehen von Kommunikationen mit Prinzipien statt Konventionen zu erklären. Das ist zu einseitig.43 Es gibt aber durchaus Verständnisse, die nur durch Annahmen über das Befolgen von Prinzipien durch den Sprecher zustande kommen. Beispielsweise gibt es schwer verständliche Äußerungen, die erst mühsam über Prinzipien erschlossen werden müssen.44 Als Erklärung für sprachliches Handeln dienen Prinzipien also vor allem dann, wenn keine Regel oder Konvention, ja noch nicht einmal eine 40 41

42 43 44

Heringer 1990a: 33. Vgl. ebd.: 28. Zum Begriff der Nachahmung vgl. Lewis 1975: 120-123. Fritz 1994b: 180f. Siehe ebd.: 196.

52 historische Präzedenz vorliegt. Das ist allerdings selten. Für die Beschreibung sind Prinzipien meistens ein zusätzlicher Aspekt. So kann ein szenischer Artikeleinstieg bei einer Zeitschrift als Konvention (bei längeren Texten vielleicht sogar als Norm) und zugleich als Befolgen des Prinzips der Anschaulichkeit beschrieben werden. Prinzipien, die aus strategischen Erwägungen heraus befolgt werden, heißen strategische Prinzipien. Daneben gibt es moralische Prinzipien, ästhetische Prinzipien, Höflichkeitsprinzipien. Doch unterschiedliche Typen von Prinzipien sind nur ein Aspekt der systematischen Kommunikationsanalyse. Zu beachten ist: 45 Prinzipien lassen sich in „Großkategorien" wie die genannten vier unterscheiden, und diese hängen oft auf spezifische Weise zusammen. Ferner „lassen sich Prinzipien in Unterprinzipien konkretisieren (z.B. die Prinzipien der Explizitheit, der Übersichtlichkeit und der Anschaulichkeit als mögliche Konkretisierungen des Prinzips der Verständlichkeit)". Oft sind Prinzipien nur für bestimmte „Kommunikationsformen relevant (z.B. Genauigkeit, Vollständigkeit für bestimmte Formen der wissenschaftlichen Beschreibung und Erklärung, Spannung für manche Formen des Erzählens, Originalität für manche wissenschaftlichen und literarischen Kommunikationen)". Die „Befolgung bzw. die Art der Befolgung von bestimmten Prinzipien" kann „kulturspezifisch [...], sozialgruppenspezifisch, rollenspezifisch oder individualstilspezifisch", auch medien-, pressetyp- oder Wattspezifisch sein. „Bei der Anwendung konkurrierender Prinzipien in bestimmten Kommunikationsformen" kann es zu Konflikten kommen und spezifische Lösungsmöglichkeiten geben. Feuilletonspezifische Prinzipienkonflikte sind beispielsweise die zwischen Informativität und Unterhaltsamkeit sowie Verständlichkeit und Originalität. Möglich sind etwa „für bestimmte Sprechergruppen und Kommunikationsformen Hierarchien von Prinzipien (Aufrichtigkeit vor Höflichkeit, Präzision vor Verständlichkeit - oder umgekehrt)". 2.1.3.5 Strategie und Funktion Sprache ist kein Selbstzweck, Sprachwandel entsteht durch Anpassung der Regeln und Konventionen an neue Funktionen. „Mit sprachlichen Handlungen suchen wir bestimmte Aufgaben zu erfüllen, die sich uns im Zusammenleben mit anderen ergeben. Dabei steht die Erfüllung dieser Aufgaben entschieden im Vordergrund vor den Mitteln, die wir für ihre Erfüllung einsetzen. Die Erfüllung 45

Ebd.: 197f. Daraus alle folgenden Zitate.

53

bestimmter Aufgaben bringt es mit sich, daß sich Ausdrucksmittel und Handlungsmuster verschleißen können, genauso, wie sie es mit sich bringt, daß wir auf überlieferte Ausdrucksmittel zurückgreifen können und oft sogar müssen. Die Funktionsbestimmtheit von Sprachen wirkt verändernd und konservierend zugleich. Sie erklärt einerseits die Konstanz im Gebrauch sprachlicher Ausdrucksmittel, eine Erscheinung, die zu der Annahme geführt hat, Sprachen seien regelgeleitet. Sie erklärt andererseits den Wandel, weil die 'Arbeit des Geistes', als die man mit v. Humboldt die Sprachen bezeichnen könnte, bei der Suche nach optimaler Erfüllung ihrer Funktion nie zur Ruhe kommt. Und da die Funktionen sprachlichen Handelns anders als die Funktionen regelgeleiteter Spiele nicht konventioneller, sondern sachlicher Natur sind, sind wir bei der Erfüllung dieser Funktionen nicht an konventionelle Mittel allein gebunden. Wenn andere Mittel ad hoc dasselbe oder sogar Besseres bei der Erfüllung einer Aufgabe leisten können, können wir sie den konventionellen Mitteln vorziehen."46 Diese Ablehnung des Regelbegriffs schießt zwar über das Ziel hinaus, macht aber darauf aufmerksam, daß in vielen Fällen weniger Regeln und Konventionen das sprachliche Handeln bestimmen als Zwecke oder Funktionen. Oft sind Sprechen und Schreiben allein zweckrational zu erklären. Das sind auch die Fälle, in denen Strategien konstitutiv sind für ein angemessenes Verstehen. Häufig ergibt sich durch die Kenntnis sprachlicher und journalistischer Konventionen ein bestimmtes Verständnis etwa einer Meldung, das sich als unzureichend erweist, sobald einem der strategische Zusammenhang bewußt wird, beispielsweise im Rahmen einer Kampagne47. Meistens jedoch schließen sich Konventions- und Funktionserklärung nicht aus, vielmehr besteht ein historischer und noch gültiger Zusammenhang: Was in einer Problemsituation als Lösung funktioniert hat, wird zum Standard für Aufgaben diesen Typs. Die Beschreibung lautet: Wer die Lösung wählt, erfüllt die gewünschte Funktion, indem er der Konvention folgt. Strategien können in einer bestimmten Situation als Lösung eines Problems gefunden werden, durch Nachdenken, Abwägen von Alternativen etc. Von einer „strategischen Funktion" zu sprechen, macht jedoch keinen Sinn. Der Status einer strategischen ad-hoc-Lösung ist der einer - funktionsgerechten - Präzedenz (siehe 2.1.3.3). Die Fälle haben offensichtlich jene vor Augen, die strategisches Handeln als bewußt und planmäßig definieren (siehe 2.1.1). Doch werden strategische Konventionen und Regeln auch „blind" befolgt (siehe 2.1.3.1). 46 47

Strecker 1987: 38f. Vgl. auch ebd.: 29f. Vgl. Bucher 1991.

54

2. l .4 Akteure strategischen Handelns Journalistisches Handeln ist nicht das solitäre Tun eines Journalisten. Die Redeweise von dem Handelnden in der Handlungstheorie, von dem Sprecher/ Schreiber in der Linguistik und von dem Spieler in der Spieltheorie ist idealisiert. Das Beschreibungsinteresse gilt meist anderen Aspekten der Kommunikation. Journalistisches Handeln vollzieht sich in einem komplexen und hierarchischen System namens Redaktion. Die für den Strategiebegriff konstitutiven Entscheidungen werden auf unterschiedlichen Ebenen der Hierarchie von unterschiedlichen Personen gefallt. Was für den Chefredakteur beispielsweise den Status einer Präferenz hat, leitet den einfachen Redakteur als Norm. Ein Beispiel dafür, daß der Status einer Strategie sich historisch verändert und in einer Redaktion je nach Entscheidungsebene differiert, ist die Neugestaltung des Layouts vieler Tageszeitungen in den letzten Jahren. Ergebnisse der Leserforschung haben (nach bestehenden Prinzipien) zu einer Bewertung des Alten geführt. Neue Layoutformen wurden in einer ersten Phase (vor allem in den USA) entwickelt und ausprobiert (Prototypen) und evaluiert (nach bestehenden Prinzipien). Diese Prototypen wurden zum Vorbild für Zeitungen in der Bundesrepublik Deutschland. Je mehr Zeitungen bestimmte Designprinzipien befolgten, die ein bestimmtes Ziel zu erreichen versprachen, desto mehr wurden sie zur Konvention. Was sich als gut bewährt hat, das wird regelmäßig gemacht. Zur normativen Regel werden bestimmte Layoutformen spätestens, wenn einzelne Zeitungen ihren Redakteuren einen bindenden Leitfaden vorgeben. Ein gefragter Zeitungsdesigner nennt diese Vorgaben bezeichnenderweise „Bibel" und „Gebote" 48. Hier ist auch der Status der Strategie für Führungspersonal und einfache angestellte Redakteure jeweils ein anderer (siehe die Erklärungsaltemativen am Anfang von 2.1.3). Was bedeutet das für die Analyse von Pressekommunikationen unter strategischen Gesichtspunkten? Ob sie die Entscheidungsprozesse rekonstruieren muß, hängt vom Erkenntnisinteresse ab. Da in der Regel und auch hier die Produkte, wie sie den Rezipienten begegnen, und nicht die Produktion untersucht werden soll, erübrigt sich eine Ausdifferenzierung der Veranwortlichkeiten. Noch nicht einmal ein planvolles Walten muß unterstellt werden: „Was als Informationspolitik beschrieben wird, muß nicht das geplante Ergebnis kollektiver Aktionen sein. Mit Informationspolitik sind die Muster gemeint, die in der Berichterstat48

Küpper 1995.

55

tung einer Zeitung im Hinblick auf eine Zielorientierung erkennbar sind."49 Die Erklärung eines Phänomens durch eine Strategie ist keine kausale oder genetische, sondern eine funktionale oder ideologische.50 Der Beschreibende legt sich mit dem Strategiebegriff nicht darauf fest, daß in einer Redaktion diese oder jene Entscheidungen bewußt gefällt wurden, sondern daß das Ergebnis diese oder jene Tendenz aufweist. Betrachtet werden die journalistischen Produkte als Mittel der Kommunikation, nicht die Produzenten (mit ihren Absichten) oder Produktionsprozesse. Zwar ist das journalistische Produkt Ergebnis eines komplexen Handlungsgeflechts vieler Individuen auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen. Was der Chefredakteur strategisch wählt, kann für den angestellten Redakteur zum Zwang ohne Alternative werden. Gleichwohl erfahren es die Leser und Leserinnen als Strategie. Und Aufgabe der Produktanalyse ist es nicht, innerbetriebliche Entscheidungsstrukturen und -prozesse zu rekonstruieren. 2.1.5

Fazit

Als Ergebnis der Literatursichtung und der Vorüberlegungen zum Strategiebegriff sind sechs Punkte festzuhalten. Damit wird die Verwendung des Ausdrucks „Strategie" in dieser Untersuchung beschrieben: • Eine Strategie ist ein Muster im weitesten Sinne (von Präzedenz bis Regel) und gehört zur Ebene der Form; die Realisierung heißt Anwendung. Der Sprachgebrauch unterscheidet sich damit von dem der Handlung: Form und Realisierung werden im einen Fall Handlungsmuster und Handlung genannt, im anderen Strategie und Anwendung der Strategie (und nicht Strategiemuster und Strategie). Nicht Strategie und Handlung sind also analog, sondern Strategie und Handlungsmuster (vgl. 2.1.1 und 2.1.4). • Eine Strategie ist ein Handlungsmuster, das näher bestimmt ist durch den Aspekt der Auswahl von Alternativen und die Zweckorientierung der Mittel. • Der Status einer Strategie kann erstens historisch und zweitens nach Akteuren (beispielsweise in einer Redaktion) differieren (vgl. 2.1.3 und 2.1.4). • Die Anwendung einer Strategie ist intentional. Das bedeutet zweierlei: Erstens sind Strategien wie bzw. als Handlungsmuster keine objektiven Entitäten, sondern Einheiten der Beschreibung von Kommunikationen, die jeweils ein bestimmtes Verständnis voraussetzen. Strategien können nicht durch In49

Bucher 1991: 37.

50

Zur Unterscheidung ebd.: 38f. Vgl. Goffman 1994: 18.

56

dikatoren im strengen Sinne extrahiert werden, sondern müssen in einem Interpretationsprozeß anhand von Indizien gewonnen werden. Dies erfordert in der Regel die Betrachtung von beitragsübergreifenden Zusammenhängen, konstellativen, seriellen oder intermedialen.51 Es gilt das „Prinzip der vergleichenden Analyse"52, in dieser Untersuchung vor allem befolgt durch den Vergleich von 19 sehr unterschiedlichen Printmedien, aber auch der Berichterstattung in jedem Organ über sechs Ausgaben hinweg. Zweitens wäre die weitverbreitete, aus Militär und Ökonomie bekannte, Bestimmung von strategischem Handeln als planmäßiges Entwerfen zu restriktiv (vgl. 2.1.1). Eine Strategie ist nur richtig zu verstehen und oft überhaupt erst als solche zu erkennen durch die Alternativen. Das sind Möglichkeiten, die an bestimmten Entscheidungspunkten zur Wahl stehen, aber die angestrebten Ziele nicht oder nicht ausreichend zu erreichen versprechen (vgl. 2.1.2). Konstitutiv für den Strategiebegriffist eine Ziel- bzw. Zweckorientierung der Mittel. Präziser: Nicht, daß Ziele überhaupt angestrebt werden, ist Voraussetzung, sondern daß bestimmte Ziele erreicht werden sollen. Eine einzelne Strategie ist an konkrete Ziele gebunden (vgl. 2.1.2). Darüber hinaus ist bei der Analyse einer Strategie nach der Folge und dem Nutzen oder Schaden zu fragen, das ist die Positiv- oder Negativbewertung der Folge (vgl. 2.1.2). Stimmt die Folge nicht mit dem Ziel überein, so wird dies in der Regel als Schaden bewertet. Doch sind auch Fälle denkbar, bei denen das Ziel einer Strategie verfehlt wird, aber dennoch das Ergebnis als nützlich begrüßt wird. Und umgekehrt kann das konstitutive Ziel erreicht werden und dennoch nach einem weiteren Kriterium - das Ergebnis negativ bewertet werden.

2.2

Skizze einer Strategientypologie

In diesem Unterkapitel sollen die wichtigsten Aspekte des Verstehens und Beschreib ens von Pressekommunikationen aus der einschlägigen Literatur zusammengetragen werden und in einein zweiten Schritt jeweils als Ansatzpunkte für unterschiedlichste Strategien beschrieben werden. Dieses typologische Vorgehen soll kein Selbstzweck einer bloß klassifizierenden Wissenschaft sein, sondern dient dem Zweck, den Blick für das Mögliche zu schärfen. Die Funktion 51 52

Vgl. Bucher 1991: 34. Ebd.: 15.

57

der nachfolgenden Listen ist eine heuristische. Zudem wäre es nicht nur unredlich, sondern töricht, ein bereits entwickeltes - wenn auch noch verfeinerbares Begriffsinstrumentarium nicht zu nutzen. Es ist ein Werkzeug, das zwar an der Alltagssprache orientiert ist, aber selbstverständlich zu einer Fachsprache gehört - mit deren Nachteilen (spezifischen Wissensvoraussetzungen, die diese Vorstellung nötig machen), aber eben auch mit den fachsprachlichen Stärken einer klaren, eindeutigen, genauen und knappen Ausdrucksweise. 2.2. l

Beitragsexterne Aspekte der Kommunikation

Beiträge sind zentrale Mittel der Pressekommunikation. Doch darf der Blick nicht auf sie beschränkt werden. Strategien werden oft erst sichtbar in übergreifenden Zusammenhängen. Dazu wurden fünf beitragsexteme Kommunikationsaspekte von beitragsinternen unterschieden, die für verschiedene Strategien genutzt werden können.53 Redaktionelle Kommunikationszusammenhänge: Ein Beitrag hat eine Vorgeschichte, die sich als Sequenz von journalistischen Handlungen beschreiben läßt und spätestens mit der Recherche beginnt. Klassische Handbücher zur Ausund Fortbildung von Journalisten haben die wichtigsten Tätigkeiten ohne handlungstheoretischen Hintergrund, aber aufgrund ihres Erfahrungswissens mit Verben benannt als: Themen suchen, bewerten und auswählen, recherchieren, Stoff strukturieren, formulieren bei eigenen Texten; Mitarbeiter als Verfasser auswählen und vor allem bei Agenturmaterial: sammeln, sichten, gewichten, auswählen, überprüfen, bearbeiten/redigieren (kürzen, umformulieren etc.) und präsentieren bei Fremdtexten.54 Relevant sind ferner Koordinationshandlungen (konferieren, Aufträge annehmen oder erteilen, Vorschläge machen, annehmen oder ablehnen, Absprachen mit Kollegen „auf dem kurzen Dienstweg" etc.) und Nebensequenzen auf der Beziehungsebene (betriebsinterner Klatsch, auflockernder Witz, Aufmunterung etc.). Jede Tätigkeit wird beeinflußt durch die Art der Quelle (eigene Wahrnehmung vor Ort, Telefonrecherche oder Agenturmaterial), durch Produktionsbedingungen von Arbeitsplatzgestaltung (Raumgröße, Lautstärke, Lichtverhältnisse etc.) über Computerprogramme bis Zeitdruck, durch die Rolle bzw. Stellung in der Hierarchie (vom freien Mitarbeiter bis zum Chef53

54

Bucher 1994b: 474. Während seine Liste der beitragsexternen Zusammenhänge übernommen werden konnte, mußte die der beitragsinternen modifiziert und ergänzt werden. Vgl. zum Beispiel Dovifat 1976 I: 38; La Röche 1995: 17-26.

58 redakteur), durch das Betriebsklima (kollegial oder konkurrenzbetont), durch Situatives (Gesundheitszustand, Konzentrationsfähigkeit, Lust-Unlust) und vieles mehr.5S Redaktionelle Strategien sind die von Weischenberg genannten des Gegenlesens und Konferierens oder das Sich-Absichern durch Absprachen mit Vorgesetzten und Kollegen bei möglicherweise folgenreichen Entscheidungen oder der risikofreudige Alleingang zum Zwecke der Selbstprofilierung. Periodische Kommunikationszusammenhänge: Die Erscheinungsweise prägt die Kommunikation. Die beiden klassischen Fälle periodischer Kommunikationszusammenhänge sind die angekündigte Serie und die offene Fortschreibung bestimmter Themen durch Nachfolgeberichte. Die Art der Periodizität hat Einfluß auf Themenentwicklung und Beitragsformen. Je schneller der Rhythmus, desto kürzer und faktenorientierter in der Regel die Beitragsformen. Und umgekehrt „sind die journalistischen Großformen wie Hintergrundreportagen, Essays, Dossiers, Situationsanalysen bevorzugt in Wochen- und Monatszeitschriften zu finden"56. Periodische Strategien sind solche, die sich über mehrere Ausgaben erstrecken. Insofern gehören zunächst einmal alle in einer Zeitung immer wieder angewandten (und möglicherweise vorgeschriebenen) Strategien dazu. Bucher unterscheidet periodische Strategien gleich mehrfach:57 in einem ersten Schritt in „offensive Optirnierungsstrategien" und „defensive Sicherungsstrategien". In einem zweiten Schritt werden diese jeweils zweigeteilt in „Kumulation" und „Synchronisation" sowie „Abwehrstrategien" und „Reparatur-Verfahren". Cumulation ist ein strategisches Verfahren, bei dem gleichgerichtete journalistische Handlungen zur Erreichung einer bestimmten informationspolitischen Absicht zusammengestellt werden. Beispiele hierfür sind die wiederholte Wiedergabe übereinstimmender Stellungnahmen, die Reihung gleichgerichteter Kommentare oder die kontinuierliche Verwendung bestimmter Ausdrücke. Synchronisation betrifft die Kombination komplementärer Verfahrensweisen. Zeitungsintem kann das die Abstimmung von berichtenden und kommentierenden Beiträgen, oder die von Ereignis- und Hintergrundberichterstattung sein. Periodische Formen der Synchronisation finden sich in der Themenbehandlung einer Zeitung und der fortlaufenden Berichterstattung zu länger andauernden Ereignissen. Die Pressekommunikation kann aber auch extern mit anderen Kommunikationen 35

36 37

Einen Überblick über die sog. Kommunikator- bzw. Redaktionsforschung gibt Weischenberg (l 992: 275-326). Bucher 1994b: 477. Zum Folgenden siehe Bucher 1991: 40f.

59 synchronisiert werden, beispielsweise mit parteipolitischen Kommunikationen durch Themenübernahme."58 Für Kulturjournalismus: mit PR-Kommunikation von Konzertagenturen oder mit Diskussionen in Fachzeitschriften. Abwehrstrategien sind die reaktive oder präventive Kritik von Kritik am eigenen Blatt. Zu den Reparatur-Verfahren zählen Richtigstellungen und Gegenkommentierungen 59. Doch sind damit nicht alle periodischen Strategietypen genannt. In den Abschnitten 2.2.2.2 und 2.2.2.3 werden Strategien der Handlungs- und der Themenstmkturierung behandelt. Bezugspunkt ist jeweils ein Beitrag. Beide Typen werden auch beitragsübergreifend in Konstellationen und Perioden angewendet. So spricht Bucher von „Strategien der Themenbehandlung, die man als Synchronisationsstrategien auffassen kann", und von „Strategien der Kommunikationsführung, die je nachdem, Synchronisations- oder Kumulationsstrategien sind"60. Möglichkeiten des Themenmanagements sind: „Themen einfuhren, modifizieren, verbreiten, hochspielen, (künstlich) am Leben halten, wiederaufgreifen, ein Thema verdrängen oder mit einem anderen verbinden." 61 Konzepte der Kommunikationsföhrung sind „die Zeitung als Ereignischronik, die Zeitung als Forum der öffentlichen Meinungsbildung, die Zeitung als Hintergrundsmagazin, die Zeitung als Meinungsführerin, die Zeitung als Info-Dienst" 62. Konstellative Kommunikationszusammenhänge: „Medienbeiträge können in Konstellationen mit anderen Beiträgen eingebettet sein, im Rahmen einer Zeitungsausgabe, einer Zeitungsseite oder einer Sendung. Für bestimmte Beitragskonstellationen haben sich im Laufe der Mediengeschichte regelhafte Sequenzmuster herausgebildet, wie z.B. Bericht-Kommentar-Sequenzen, die Abfolge von Ankündigungs- oder Aufinachungsmeldung und Vertiefungsbericht"63. Konstellative Strategien erstrecken sich über mehrere Beiträge einer Zeitungsausgabe. Sie beziehen sich zum Beispiel auf Meldung-Hintergrundbericht- und Bericht-Kommentar-Zusammengänge. Entsprechende Strategien der Vertiefung und Kommentierung müssen nicht nur für ein angemessenes Verständnis der Hintergrundberichte und Kommentare, sondern auch der Meldungen und Berichte erkannt werden. M 58 59 60 61 62

63 64

Ebd.: 40. Ebd.: 41. Ebd.: 71. Ebd.: 75. Ebd.: 79. Bucher 1994b: 477. Vgl. die Beispielanalysen in Bucher 1991: 66-70.

60 Dialogische Kommunikationszusammenhänge „können Sonderformen sowohl von periodischen (z.B. Gegendarstellungen) als auch von konstellativen Kommunikationszusammenhängen (z.B. Kommentar-Gegenkommentar-Sequenzen) sein."65 Dialogische Strategien sind beispielsweise Einschwenken oder EinenKonfrontationskurs-fahren. Intermediale Kommunikationszusammenhänge: „Von der Nutzung anderer Medien als Informationsquellen bis zur medienkritischen Auseinandersetzung zwischen einzelnen Medien ist die öffentliche Kommunikation von einem dichten Geflecht intermedialer Zusammenhänge gezogen."66 Intermediale Strategien sind etwa die Komplementarität — die Zeitung als Hintergrundmedium ergänzt das aktuelle Femsehen - oder die Konvergenz - die Zeitung als gedrucktes Fernsehen (siehe 1.1). 2.2.2

Beitragsinterne Aspekte der Kommunikation

2.2.2.1 Beitragsform und Kommunikationsform Analytisch auseinanderzuhalten sind die konkrete Kommunikation und die Kommunikationsform, auf deren Grundlage ein Sprecher/Schreiber etwas meint und ein Hörer/Leser etwas versteht. Aus Sicht der Form spricht man bei der Kommunikation auch von Realisierung. Nimmt man zu dieser Differenzierung die zwischen sprachlichem Mittel und seiner Verwendung hinzu, dann ergeben sich zweimal zwei Kategorien (Abb. 2). Abb. 2: Matrix zur Differenzierung von Beitrags- und Kommunikationsform Form Realisierung

Beitrag z.B. Kommentar (a) z.B. Kommentar (b)

Kommunikation z.B. Kommentieren (c) z.B. Kommentieren (d)

Hergestellt und wahrgenommen werden (d) können immer nur realisierte Textbeiträge (b). Doch diese werden immer als etwas gemeint und verstanden. Dieses „etwas" gehört zur Ebene der Form (c und a). Da Texte Mittel der Kommunikation sind, werden Beitragsformen konsequent über Kommunikationsformen definiert. So ist ein Bericht (a) ein Text, mit dem in der Regel berichtet (c) 65 66

Bucher 1994b: 477. Ebd.: 477.

61

wird, ein Kommentar (a) ein Text, mit dem kommentiert (c) wird, eine Rezension (a) ein Text, mit dem rezensiert (c) wird. Was zunächst tautologjsch klingen mag, markiert in der umfangreichen Gattungsliteratur und Textsortenlinguistik 67 eine fest umrissene Position, die Handlungs- oder „Gebrauchstheorie von Text und Bild" 68 (siehe 1.2). Kommunikationsformen setzen sich aus kommunikativen Handlungen (mit Sprache, Bild und/oder Ton als Mittel) zusammen. Auf der Ebene des Beitrags heißen Handlungen funktionale Bausteine. Es liegt in der Natur von menschlichen Kommunikationen, daß sie sich nicht um die von Wissenschaftlern gesteckten Grenzen scheren. Ein Modell zur Beitragsformenbestimmung muß daher dynamisch und offen sein, soll es nicht weltfremde Fachtermini konstruieren oder schematisch Einzelphänomene mit dem Ganzen verwechseln. Das handlungstheoretische Verfahren entgeht beiden Gefahren, indem es erstens berücksichtigt, daß die Bausteine beispielsweise einer Rezension auch in anderen Beitragsformen verwendet werden können: das Berichten in Berichten, das Einordnen und Erläutern in Hintergrundberichten, das Beschreiben und Erzählen in Reportagen, das Vorstellen und Charakterisieren in Porträts, das Deuten und Analysieren in Analysen, das Bewerten in Kommentaren undsoweiter. Das Vorkommen eines bestimmten Bausteins allein ist also noch kein Indiz für das Vorliegen einer Rezension. Die Methode macht sich zweitens zunutze, daß umgekehrt nicht jeder Baustein in jede Form paßt: Ein Bericht mit zu vielen Wertungen ist kein Bericht, sondern ein Kommentar; eine Reportage, in der nur Sachverhalte mitgeteilt werden, ist keine Reportage, sondern ein Bericht. Strategien der Kommunikationsformenwahl werden meistens erst in periodischen Zusammenhängen wirksam; dazu gehören die bereits genannten Strategien der Kommunikationsführung wie Zeitung als Chronik oder als Hintergrundmagazin etc. Auch das Personalisieren durch Beitragsformen wie Porträt oder Interview ist hier zu nennen (siehe Kap. 6). 2.2.2.2 Handlung und Handlungszusammenhänge Handlungen werden mit bestimmten Intentionen ausgeführt, unter bestimmten Bedingungen (der Situation, des Wissens, der wechselseitigen Annahmen etc.), 67

68

Zur Diskussion dieser und zur Begründung des kommunikativen Ansatzes siehe Bucher 1986: 24-74. Muckenhaupt 1986: XV. Vgl. exemplarisch für das Rezensieren Stegert 1993 und 1997.

62 auf eine bestimmte Art und Weise (Spezifizierung), sie zeitigen (oft typische) Ergebnisse und Folgen, haben eine innere Struktur und stehen in verschiedenartigen Zusammenhängen.69 Hierarchie oder Indem-Zusammenhang: Man kann eine Handlung machen, indem man eine andere macht; zum Beispiel in einer Buchrezension dem Autor vorwerfen, daß er den RomanstofT verschenkt hat, indem man behauptet, daß der Autor nichts aus dem Romanstoff gemacht hat, indem man schreibt: „Daraus hätte man so viel machen können." Solch eine Indem-Kette kann unterschiedlich lang sein. Ganz rechts steht immer die sogenannte Basishandlung: Äußern (Sagen, Schreiben) oder Zeigen (bei Bildern). Ganz links steht immer das weitreichendste Verständnis einer Äußerung. Die Glieder einer Indem-Kette stehen also in einem hierarchischen Zusammenhang. Dabei können zwischen zwei Indem-Verbindungen, auf einer Indem-Stufe, auch mehrere Handlungen stehen, Sequenzen wie Komplexe. Dabei wird zwischen Teilhandlungen und Gesamthandlungen unterschieden.70 Sequenz oder Und-dann-Zusammenhang: Handlungen können in einem sequentiellen Zusammenhang stehen. So heißt eine Abfolge von mindestens zwei Handlungen, die nicht zufallig, sondern konventionell oder zumindest prototypisch ist. Die Reihe muß nicht streng sein, Einschübe von Nebensequenzen (z.B. Nachfrage-Antwort) sind möglich. Sequenzen können hierarchisch in andere Sequenzen oder Komplexe eingebunden sein. Deshalb wurden unterschieden: Elementarsequenzen oder lokale Sequenzen und globale Sequenzen.71 Komplex oder Und-auch-Zusammenhang: Sequenzen sind nicht nur durch Sequenz-, sondern auch durch Selektionskonventionen bestimmt. Das eine impliziert das andere. Wenn zwei Handlungen in einer festen Abfolge stehen, dann setzt das voraus, daß es zwei bestimmte Handlungen sind. Nun gibt es auch Handlungszusammenhänge, die nicht durch Sequenzkonventionen bestimmt sind, sondern allein durch Selektionskonventionen, also durch die Beschränkung auf bestimmte Glieder. Diese Handlungszusammenhänge heißen Komplexe. Mehrfachhandlungen oder Und-gleichzeitig-Zusammenhang: Während beim Komplex aus Gründen der Linearität von Texten noch irgendeine Abfolge gegeben ist - wenn auch keine konventionell bestmimte - werden hier mehrere 69

70 71

Zum Handlungsbegriff und den nachfolgend vorgestellten Relationen siehe Fritz 1982, Fritz 1994b, Heringer 1974a, Heringer et al. 1977. Heringer 1974b: 75. Fritz 1994b: 182-184.

63 Handlungen gleichzeitig ausgeführt. Beispiel ist das „Hände bewegen" und gleichzeitig „Füße bewegen" beim Schlagzeugspielen. Die Mehrfachhandlungen können bei einer Indem-Relation rechts stehen (wie beim Schlagzeugspielen), aber auch links; zum Beispiel kann man „Sich schläfrig machen" und gleichzeitig „sich eine Freude machen", indem man ein Bier trinkt.72 Mit Pressekommunikationen kann man zum Beispiel im Glückensfall informieren und gleichzeitig unterhalten und sich profilieren etc. Meistens jedoch sind diese Handlungen nicht gleichgewichtig, so daß der nachfolgende Zusammenhang besteht. Zusatz- bzw. Nebenhandlungen oder Und-dabei-Zusammenhang: Während Mehrfachhandlungen den gleichen Stellenwert haben, kann man bei zwei Handlungen im Und-dabei-Zusammenhang zwischen einer Haupt- und einer Zusatz- bzw. Nebenhandlung unterscheiden; zum Beispiel Informieren und dabei Unterhalten (Infotainment). Oder, bei anderer Gewichtung, auch umgekehrt: Unterhalten und dabei Informieren. Auch das Profilieren der eigenen Persönlichkeit und/oder des eigenen Blattes ist in der Regel eine Zusatzhandlung.73 Alternativen, Verzweigungen oder Oder-Zusammenhang: Beim Handeln bestehen im Gegensatz zum Verhalten nach Naturgesetzen fast immer Alternativen. Eine Handlung stellt in der Regel nur eine Möglichkeit neben anderen dar, für die sich der Handelnde bewußt oder unbewußt entscheidet. Die Entscheidung besteht immer an einem bestimmten Punkt, eine Alternative kann aber oft an anderen Entscheidungspunkten nachgeholt werden. 74 Die Kenntnis der Alternativen und damit der Nachvollzug der (bewußten oder unbewußten) Wahl des Handelnden ermöglicht oft erst ein ausreichendes Verständnis einer Äußerung und ist für das Verstehen von Strategien konstitutiv. „Voraussetzung für das Erkennen strategischer Zusammenhänge ist die Kenntnis alternativer Verlaufsmöglichkeiten einer Kommunikation Im Vergleich mit der Parallelberichterstattung anderer Zeitungen sind die Eigenarten in der Machart und der Sichtweise einer Berichterstattung erkennbar. Für die Beurteilung der journalistischen Qualität einer Zeitung ist das Vergleichen sogar konstitutiv."75 - In den Oder-Zusammenhang lassen sich auch Unterlassungen und Abweichungen einordnen. Unterlassungen sind nicht einfach Nichthandlungen, sondern intentionale Nichtausführungen bestimmter (erwarteter oder normativer) Hand72 73 74 75

Beispiele aus Heringer 1974a: 51. Vgl. Adamzik 1984, Holly 1979, Sandig 1986. Vgl. Heringer 1977: 162. Bucher 1991: 41. Vgl. auch Muckenhaupt 1986: 145-153.

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langsamster, zum Beispiel das Verweigern eines Befehls. Abweichungen sind ebenfalls durch die Negation eines bestimmten Handlungsmusters bestimmt, doch unterbleibt keine Handlung, sondern wird eine andere ausgeführt, die erst auf dem Hintergrund der nichtgemachten richtig verstanden werden kann. Das Spektrum der Abweichungen reicht von Fehlern bis hin zu kreativen Neuerungen, zum Beispiel im Stil.76 Spezifizierung: Handlungen können auf unterschiedliche Weise ausgeführt werden, eine Begrüßung etwa höflich oder abweisend, herzlich oder kühl, gesprächig oder kurz angebunden etc. Mit Adjektiven werden Handlungen in der Regel spezifiziert. Der Übergang von der Spezifizierung einer Handlung A (zum Beispiel „unfair bewerten") zu einer neuen Handlung B („polemisieren") kann fließend sein. Spezifizierungen lassen sich als Untermuster beschreiben.77 Strategien des Handelns sind die meisten der beschriebenen, etwa die unter 2.2.1 genannten periodischen: Kumulation und Synchronisation, Abwehr- oder Reparaturverfahren. Als „komplexe Strategiemuster" der Strukturierung - speziell Sequenzierung - ,4nformationsvermittelnder Texte" haben Heinemann/ Viehweger Narration, Deskription und Argumentation unterschieden.78 In einem Und-dabei-Zusammenhang stehen die von ihnen „taktische Einzerverfahren" genannten Beispiele „Aufwertungsstrategie", „Streichel-Strategie", „MutmacheStrategie",„Imponier-Plan" und „emotionale Verstärkung".79 2.2.2.3 Thema und thematische Zusammenhänge Als Thema gilt hier, worüber gesprochen oder geschrieben wird. Diese Bestimmung wurde zur Differenzierung von anderen Ansätzen Gegenstandstheorie des Themas genannt.80 Zu beachten ist, „daß das Thema nicht irgendwie objektiv in den Dialogäußerungen enthalten ist, sondern daß es ein Aspekt des Verständnisses dieser Äußerungen ist. In schwierigen Fällen bedarf es also hermeneutischer Operationen, um zu klären, was das Thema des Gesprächs war."81 Die Arten der Zusammenhänge von Themen sind denen der Handlungen sehr ähnlich:

76 77 78 79 80

81

Vgl. zu Unterlassungen und Abweichungen Heringer 1974a: 65-67 und Püschel 1985. Vgl. Heringer 1974a: 53-59. Heinemann/Viehweger 1991: 237. Ebd.: 225t. Fritz 1994b: 192. Ausführlich Fritz 1982: 205-223. Fritz 1994b: 193. Das ist eine wichtige Grundlage auch für quantitative Analysen.

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Hierarchie oder Indem-Zusammenhang: Für Dialoge wurde festgehalten: „Man kann über Umweltschutz reden, indem man über unterschiedliche Verkehrsmittel redet. Dementsprechend muß man damit rechnen, daß unterschiedliche Beobachter (bzw. Teilnehmer) zu unterschiedlichen Auffassungen davon kommen, worin das Thema des Dialogs besteht. Der Unterschied der Auffassungen kann gerade darin bestehen, daß der eine aufgrund weitergehenden Wissens ein weitergehendes thematisches Verständnis des Dialogs hat als der andere." 82 In monologischen Kommunikationen der Presse sind daher für den Journalisten das Verständlichmachen des thematischen Indem-Zusammenhangs und für den Wissenschaftler ein hermeneutisch reflektiertes Vorgehen noch wichtiger als in Dialogen, die Rückfragen und Klärungen erlauben. Zur Beschreibung der Themenhierarchie kann man ein Globalthema von dessen Teilthemen 83 unterscheiden. Das Global- oder Hauptthema ergibt sich nicht quantitativ als das, über das am meisten gesprochen/geschrieben wird, sondern aus der hierarchischen Zuordnung von Teilthemen nach einem bestimmten Verständnis.84 Sequenz oder Und-dann-Zusammenhang: Nicht nur Handlungen, auch Themen stehen in einer, je nach Kommunikationsform mehr oder weniger festen, Reihenfolge. „In kreativen Gesprächen können neue thematische Zusammenhänge ad hoc konstruiert werden. Diesem Extremfall steht das andere Extrem gegenüber, daß ein vorgegebener thematischer Zusammenhang streng abgearbeitet wird. Letzteres findet man etwa in institutionell gebundenen Dialogen, z.B. in Lehr- und Lernkommunikationen, Beratungsgesprächen zu einem bestimmten Problemtyp oder Interviews. Aber auch in funktional weniger determinierten Dialogen lassen sich rekurrente und damit erwartbare Themenverläufe oder Verwandtschaften des Themenverlaufs feststellen."85 Auch bei Themen lassen sich lokale und globale Sequenzen unterscheiden. Komplex oder Und-auch-Zusammenhang: Teilthemen können einem Hauptthema in einem Themenkomplex zugeordnet sein, ohne daß eine besondere Reihenfolge der Teilthemenbehandlung festgelegt ist. Der Komplex ist nur durch Selektionskonventionen definiert, nicht durch Sequenzkonventionen. Bei Themen sind die Komplexe sogar häufiger als bei Handlungen.86 82 83

84 85 86

Ebd.: 193. Ebd.: 192. Vgl. Fritz 1982: 212. Fritz 1994b: 194. Fritz 1982: 217.

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Alternativen, Verzweigungen oder Oder-Zusammenhang: Jedes gewählte Thema steht in Opposition zu vielen nichtgewählten, was sich wie Handlungszusammenhänge formal darstellen läßt.87 Man kann etwa am Thema vorbeireden, vom Thema abschweifen, ein Thema verfehlen oder wechseln. Die Beachtung von thematischen Alternativen kann grundlegend für ein angemessenes Verständnis einer Äußerung sein, so in Fällen, in denen Sprecher oder Schreiber ein Thema absichtlich übergehen, vermeiden, auslassen, ausklammern etc. Strategien der Themenbehandlung sind beispielsweise das Einführen eines Themas, das Verbinden (umgangssprachlich: „in einen Topf werfen") von Themen (Und-auch- bzw. Indem-Zusammenhang), das Ablenken von einem unangenehmen Thema (Oder-Zusammenhang). Auch Strategien der Themenbehandlung werden oft erst in beitragsexternen Zusammenhängen sichtbar. In 2.2.1 wurden bereits genannt: das Modifizieren, Verbreiten, Hochspielen, Künstlicham-Leben-Halten, Wiederaufgreifen, Verdrängen von Themen. 2.2.2.4 Inhalte, Festlegungen und Wissensaufbau Inhalte werden hier im Sinne von Propositionen verstanden. Sie bestehen aus Referenz und Prädikation. Sie lassen sich durch Ergänzungssätze ausdrücken und als „Informationen" bezeichnen.88 Zwischen Inhalten können Beziehungen bestehen, beispielsweise solche der Folgerung, der Unverträglichkeit oder der Spezifizierung.89 Festlegungen: Sachverhalte können nicht nur als Inhalt einer Äußerung direkt mitgeteilt werden, sondern auch indirekt oder implizit durch Festlegungen. Denn wer beispielsweise sagt „Das Konzert war unerträglich", der sagt nicht nur, daß ihm das Konzert nicht gefallen hat, sondern legt sich unter anderem darauf fest, daß das Konzert überhaupt stattgefunden hat und daß er selbst dort war. Inhalte sind gleichsam nur die Spitze des Informations-Eisbergs einer jeden Äußerung, unter der Wasseroberfläche des Expliziten befindet sich eine Fülle von Festlegungen. Auch in einzelnen Ausdrücken „stecken" Festlegungen: auf Sachverhalte, Normen, Bewertungen etc. Knappe Formulierungen mit vielen Festlegungen sind ökonomisch, erschweren aber oft das Verständnis, besonders 87 88

89

Fritz 1994b: 194. Vgl. Bucher 1986, Bucher/Fritz 1989, Muckenhaupt 1986: 88-109 und 138-140, Schröder 1995. Vgl. Heringer 1974a: 151-160, Heringer et al. 1977: 213-250, Fritz 1982: 108-148.

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in journalistischen Kommunikationen.90 Eine Spezialfall von Festlegungen sind Folgerungen aus Inhalten oder unmittelbaren Festlegungen. 91 Da Kommunikationen nicht nur aus einer Handlung mit ein paar Festlegungen bestehen, kommen im Verlauf eines Dialogs oder eines journalistischen Beitrags immer mehr Festlegungen hinzu. In der Spieltheorie spricht man vom Festlegungsspeicher. 92 Der besteht nicht aus einer unzusammenhängenden Menge: Festlegungen „kumulieren und bestimmen so Entwicklungsmöglichkeiten und Einschränkungen des weiteren Dialogverlaufs. So ergibt sich für jeden Sprecher als Produkt seiner gesammelten Dialogbeiträge ein ganzes Netz von Festlegungen. Von einem Festlegungsnetz oder -system zu sprechen ist deshalb berechtigt, weil die Festlegungen eines Dialogs normalerweise durch Folgerungsbeziehungen und thematische Beziehungen untereinander verknüpft sind." 93 Wissensaufbau: Wissen spielt eine zentrale Rolle beim Kommunizieren und also auch beim Beschreiben und Analysieren von Kommunikationen. Sinnvolle Fragen für die Untersuchung von Dialogen, die als Muster auch für Monologe nutzen, sind94: „(i) Welche Arten des Wissens kann man unterscheiden? - nach dem Gegenstand des Wissens (Wissen-daß, Wissen-wie, Wissen-wer, sog. episodisches Wissen (Ereigniswissen)), - nach der Herkunft des Wissens (allgemeines Erfahrungswissen, Fachwissen, Wahmehmungswissen, spezielles Wissen aus dem laufenden Dialog), - nach der Wissenskonstellation (gemeinsames Wissen, nicht-gemeinsames Wissen, rollenspezifisches Wissen etc.), - nach der Art der Präsenz (Wissen, das gerade im Brennpunkt des Dialoggeschehens steht vs. Hintergrundswissen), (ii) Wie greift das Wissen in das sprachliche Handeln ein (z.B. als Voraussetzung für bestimmte Handlungen)? (iii) Wie entsteht Wissen im Dialog? Wie wird Wissen vermittelt? (iv) Welches Wissen ist jeweils bei einem bestimmten Dialogstand relevant? (v) Wie verändert sich das Wissen im Zeitverlauf, speziell: im Dialogverlauf?" Es gibt für einzelne Institutionen, Rollen und Kommunikationsformen spezifische Wissenskonstellationen und charakteristische Veränderungen dieser: „Lehr- und Lerndialoge, Informationsdialoge 90

91 92 93 94

Darauf weisen entsprechend - in mehr oder weniger reflektierter Form - auch die meisten journalistischen Lehrbücher hin. So rät Häusermann (1993: 51-61) von Komprimierungen in Ausdrücken und Satzgliedern ab und empfiehlt das „Portionieren von Gedankengängen" in extra Sätzen. Siehe Fritz 1982: 126-137. Vgl. Fritzl994b: 188. Ebd.: 187. Hervorhebung, G.S. Ebd.: 188.

68 und viele Erzähldialoge sind dadurch gekennzeichnet, daß zu Beginn des Dialoges eine Asymmetrie der Wissensverteilung in bezug auf das thematische Wissen gegeben ist. Der Wissensvorsprung eines Teilnehmers ist charakteristisch für eine bestimmte Rolle in diesen Dialogen, sei es für eine kurzfristige Rolle die des Erzählers - oder eine institutionell dauerhaft etablierte Rolle wie die des Journalisten, des Experten oder des Lehrers."95 Oft treten Annahmen an die Stelle von Wissen. 96 Ein Journalist nimmt an, daß seine Leser dieses nicht wissen oder daß sie jenes bereits wissen. Umgekehrt machen Leserinnen und Leser - vor allem bei Verständnisproblemen - Annahmen über das, was ihnen mitgeteilt werden soll. Sie erschließen es sich aus dem Zusammenhang. Eine der bekanntesten Strategien des Informierens ist das Zwischen-denZeilen-Schreiben, bei dem das Wichtige durch Festlegungen oder sogar allein durch Folgerungen aus Festlegungen und nicht durch Inhalte im definierten Sinne vermittelt wird. Nicht nur eine sprachliche Handlung, sondern auch eine Strategie ist das Zitieren, wenn es benutzt wird, um sich als Journalist auf nichts festzulegen, sondern nur Beteiligte zu Wort kommen zu lassen. Die Anwendung der Strategie ist juristisch relevant und schützt vor Klagen. Beispiele für Strategien des Wissensaufbaus sind das Dramaturgisieren in Erzählungen (die dramaturgisch motivierte Verteilung von Informationen), das Systematisieren und die Adressatenorientierung beim Beraten, Lehren, Informieren etc. „Bei einer Analyse von Erzähldialogen kann es von Bedeutung sein zu zeigen, an welchen Stellen der Erzählende welche Informationen bringt, um eine Pointe zu sichern oder um Spannung zu erzeugen. Für Beratungsdialoge und andere Formen der Wissensvermittlung spielt neben der Abstimmung des Ausgangswissens (Erkundung, Sicherung, Einführung von Voraussetzungen) der systematische und adressatenspezifische Wissensaufbau eine entscheidende Rolle." 97 Beide Strategien sind auch für Pressekommunikationen relevant: das Dramaturgisieren etwa für Reportagen und Magazdnstories, das Systematisieren für Berichte etc. 2.2.2.5 Sprachliche Form Handlungen in den Printmedien werden realisiert durch die Mittel Sprache, Bild, Grafik, Zeichnung, Tabelle etc. Hörfunk und Femsehen bleiben die Äußerungs95 96 97

Ebd.: 188. Vgl. ebd.: 190. Ebd.: 190.

69 formen Ton (Gesprochenes, Geräusch, Musik) und Film (bewegte Bilder) vorbehalten. Bei der Sprache sind vor allem folgende Aspekte zu beachten, denen jeweils bestimmte Strategien des Fonnulierens zuzuordnen sind: Lexik: Der Ausdruck „Wortwahl" macht deutlich, daß jedes Wort ausgewählt ist unter anderen, um einen bestimmten Zweck zu erreichen. Es steht nicht nur in einem syntagmatischen, sondern auch in einem paradigmatischen Zusammenhang, in Opposition zu Ausdrücken des gleichen Wortfelds. Gründe für die Wahl eines bestimmten Lexems können Prinzipien sein wie Verständlichkeit, Originalität, Anschaulichkeit, Variation, Exaktheit etc. Der Wortschatz oder einzelne Lexeme können bestimmten Räumen (Dialekte), Zeiten (z.B. Archaismen), Einzelpersonen (Ideolekte), Gruppen oder Schichten (Soziolekte, Jargons), Institutionen (z.B. Fachsprachen) etc. entstammen. Lexikalische Strategien: Durch typisierende Kennzeichnungen von Personen, Gruppen etc., Klassifizierungen von Ereignissen, Veranstaltungen, Kulturprodukten etc. lassen sich Sichtweisen einführen, Wertungen vorbereiten, verstecken etc. Good hat dies als Strategie der Typisierung bezeichnet. Auch die Strategie des Dramatisierens durch lexikalische Mittel hat er am Beispiel beschrieben.98 Syntax: Die Wortbildung kann bekannten Bildungsmustem folgen oder auch diese variieren und nutzen für eine kreative Schreibe und Anspielungen. Auch Tempora, Modi und Genera verbi sind bei der Analyse zu beachten. Der Satzbau umfaßt Komplexität und Ordnung (z.B. einfach oder komplex, Para- oder Hypotaxe) wie Wortstellung (z.B. zum Betonen bestimmter Ausdrücke oder Erzeugen eines bestimmten Rhythmus'). Syntaktische Strategien sind beispielsweise das Nominalisieren oder das Komprimieren. Rhetorik ": Dazu gehören rhetorische Tropen und Figuren sowie Aspekte wie Ton und Färbung. Rhetorische Figuren können den Wortschatz (z.B. Metapher, Personifikation) oder die Satzgestaltung (z.B. Prolepse, Anakoluth, Parenthese, Anapher) betreffen. Sie sind in der Regel nicht bloßer Schmuck, sondern werden mit bestimmten Wirkungsabsichten verwendet und gehören zu den Stilmitteln. Rhythmus ist ein Muster, das sich zusammensetzt aus Sprechtempo, Intonation, Pausen (Ort und Dauer), Sequenzen von Hebungen und Senkungen (betonten und unbetonten Silben). Ein Rhythmus wird bezeichnet als „fließend" 98 99

Good 1983. Hier wird der Ausdruck im elokutionellen Sinne verwendet; ähnlich Lüger 1995. Daß die Rhetorik als Disziplin sehr viel mehr umfaßt, ist davon unbenommen und sei hier betont. Vgl. Ueding/Steinbrink 1986.

70 oder „abgehackt", „ruhig" oder „staccatohaft", „schwerfällig" oder Jeichtfüßigtänzerisch" etc. In der Schrift entfällt das Mittel der Intonation; dennoch ist die Rede vom Ton eines Textes sinnvoll, weil Leser eine bestimmte Prosodie (Stimmfärbung, Sprechtempo, Tonhöhe, Lautstärke und Sprechmelodie) „heraushören", das heißt: aufgrund schriftlicher Indizien annehmen. So läßt sich auch ein Zeitungstext als „schrill" oder „sonor", „kreischend" oder Jeise", „kurzatmig" oder „langatmig", „hastig" oder „behäbig" kennzeichnen. Der Übergang vom Ton als „herausgehörtem" Klang der Lautung hin zum Ton im metaphorischen Sinne ist dabei fließend. Färbung: Ein Text kann durch Lexik, aber auch Syntax und andere Stilmittel gefärbt werden. Als „Farben" kommen regionale, soziale, fachsprachlich-funktionale, individuelle etc. Besonderheiten in Frage, es können also Dialekte, Soziolekte, Funktiolekte, Ideolekte etc. sein. Rhetorische Strategien sind etwa das Rhythmisieren, das Ironisieren oder das Metaphorisieren. Stil wurde auf handlungstheoretischer Basis definiert als „Art der Handlungsdurchführung" 10° oder genauer: „Für die Beteiligten ist also Stil alles andere als ein bloßes und beliebiges Ornament (wie oft in der Nachfolge der rhetorischen Elocutio angenommen): Er ist ein System, das auf die verschiedenen Dimensionen des sprachlichen Handelns bezogen ist und das den Arten der Handlungsdurchführung differenzierenden sozialen Sinn verleiht. Da Handlungen immer durchgeführt (schrittweise vollzogen) werden, ist immer mit (sozial relevanten) Arten des Durchführens zu rechnen. Stil ist deshalb nichts Zusätzliches in dem Sinne, daß er weglaßbar wäre. Er ist aber wohl zusätzlich zu dem, was mit der Handlung dieses Typs vollzogen wird" 101. Dieser Stilbegriff paßt zum Strategiebegriff, vor allem, wenn „Stil als Wahl" verstanden wird, „als das Auswählen von Elementen spezifischer Teilmengen der Sprache (nicht der Sprache als ganzer!) zum Zweck der Realisierung des Handlungsziels" 102. Die Beschränkung auf Teilmengen erfolgt, weil ein bestimmter Stil erst vor dem Horizont durch Konvention und/oder Situation bestimmter (übereinstimmender oder abweichender) Erwartungen Profil und Sinn bekommt. Grundsätzlich gilt für Stil, daß er nicht über Äußerungsformen selbst, sondern über deren Verwendung in einem konkreten Kommunikationszusammenhang zu identifizieren ist: „Prinzipiell kann mit demselben Satz oder Text in verschiedenen Situationen verschiedener stilistischer Sinn hergestellt werden. Prinzipiell braucht der so verwendete 100

101 102

Sandig 1986: 23. Ebd.: 31. Ebd.: 43.

71 Satz oder Text keine spezifisch stilistischen Struktureigenschaften (Phänomene) aufzuweisen"103. Das Realisieren von Stil ist eine Teilhandlung im Und-gleichzeitig-Zusammenhang oder eine Zusatzhandlung im Und-dabei-Zusammenhang 104, die sich durch ein Stihnuster beschreiben läßt; zum Beispiel Jebendig machen", „witzig machen" oder „versifizieren". Zwischen Stihnustern sind wie zwischen anderen Handlungsmustern typische Zusammenhänge möglich, etwa Indem-Zusammenhänge: So kann man „lebendig machen" durch „variieren", „abweichen", „metaphorisieren" etc. 105 Bei den Stilmustem ist zu unterscheiden zwischen, sprechakttheoretisch gesprochen, illokutiven und perlokutiven. Mit letzteren werden Stilwirkungen benannt, etwa „verblüffen" oder „erheitern" 106. Stilattribute dienen der Kennzeichnung von Stilen als „abwechslungsreich", „verblüffend", „heiter", „nüchtern", „blumig", „gestelzt" etc. Formal hat Sandig - ohne den Strategiebegriff zu benutzen — zwei wichtige Strategietypen unterschieden. Als Unikalisieren bezeichnet sie den „Fall, daß jemand eine Handlung nach einem Muster in einer Situation stilistisch individuell gestaltet. [...] Mit stilistischem Unikalisieren wird die Tatsache zu erfassen versucht, daß Texte oft einen mehr oder weniger lockeren Bezug zu Mustern haben, daß es Variationen gibt, Mischungen usw." 107 Der Sinn des Unikalisierens besteht gerade in der Variation, Ziel ist etwa Selbstdarstellung oder Originalität. „Beim Typisieren als genereller Technik dagegen wird die Handlung nach den Vorgaben des Musters vollzogen. Mustervorgaben sind z.B. Routinen oder Rituale." 108 Der Zweck des Typisierens besteht unter anderem in der Minimierung von Arbeitsaufwand und -zeit. 2.2.2.6 Präsentation Zur Pressekommunikation gehören spezifische Formen der Präsentation. Aus ihnen ergibt sich für jede Zeitung und Zeitschrift ein je eigenes Gesicht, weshalb die Neugestaltung eines Blattes auch als Facelifting bezeichnet wird. Wichtigste 103

104

105 106 107 108

Ebd.: 96. Deshalb muten auch die auf Äußerungsformen beschränkten Verdammungen und Empfehlungen der meisten populären Stilfibeln so hilflos an. Vgl. ebd.: 60: „Stil kann als gleichwertig mit der Handlung selbst gesehen werden (Gleichzeitighandlung) oder sekundär zu dieser (Zusatzhandlung)." Sandig 1986: 149f; Vgl. die offene und heterogene Liste bei Püschel 1985. Zu Stilwirkungen siehe Sandig 1986: 64-94. Ebd.: 147. Ebd.: 148.

72

Faktoren sind neben Format (Seitengröße), Papierart und -behandlung (von Hochglanz bis grauem Recyclingpapier) die Blattstruktur, das Seitenlayout und das Beitragslayout. 109 Mit ihnen verbinden sich auch jeweils bestimmte Strategien des Präsentierens. Die Blattstruktur wird bestimmt durch die Gliederung des Blattes in Ressorts, den Seitenumfang dieser, die Reihenfolge der Ressorts und bei Zeitungen die Verteilung auf Bücher oder Produkte. In ihr zeigen sich spezifische Dramaturgien und Gewichtungen von Ressorts und Beiträgen, je nach Plazierung. So ist das erste Buch prominenter als das zweite, die erste Seite des zweiten Buches als Aufschlagseite (split page) jedoch gewichtiger als eine mittlere des ersten Buches usw. Eine Strategie der Blattstrukturierung ist beispielsweise das Segmentieren oder Diversißzieren von Themenbereichen in möglichst eigene Sonderseiten und Ressorts. Zum Seitenlayout oder Umbruch gehören die Festlegung der Spaltenzahl und -breite (bei den meisten Tageszeitungen für das ganze Blatt einheitlich), die Auswahl, Größenbestimmung und Anordnung der Beiträge und ihrer Elemente auf einer Seite und auch eine eventuelle Zusammenfassung mehrerer Artikel in einer Rubrik. Es entscheidet darüber, wie der Blick der Leserinnen und Leser gelenkt wird. Da nicht alle Seitenteile gleichmäßig beachtet werden, werden mit dem Layouten Beiträge gewichtet. Umbruch-Strategien sind beispielsweise das Dynamisieren durch ungewöhnliche, abwechslungsreiche oder umgekehrt das Beruhigen durch einfache, übersichtliche, bewährte und kontinuierliche Anordnung der Artikel. Auch das Rubrizieren, das Zuordnen von kurzen Beiträgen zu Rubriken, ist eine Strategie beim Layouten einer Seite. Das Beitragslayout oder die Aufmachung eines Beitrags ist die Festlegung der Spaltenzahl und -breite (die Gesamtbreite des Artikels und die Anzahl der Spalten, auch Beine oder Schenkel genannt, müssen nicht übereinstimmen) sowie die Auswahl, Größenbestimmung, Anordnung und Gestaltung der formalen Bausteine. Neben inhaltlichen Kriterien spielen hier auch solche der Gewichtung eine Rolle. Strategien des Beitragslayoutens sind beispielsweise das Boulevardisieren durch große Überschriften, viele Bilder und kurze Texte oder das Portionieren von Beiträgen in möglichst viele einzelne Elemente oder formale Bausteine, etwa das Ausgliedern eines Statements oder einer Hintergrundinformation in einen extra Infokasten. 109

Vgl. zum Nachfolgenden (auch zu den Strategien, ohne daß diese als Strategien benannt werden) u.a. die Werkstattberichte von Küpper und Rehe.

73

Formale Bausteine eines Beitrags sind Überschrift (bestehend aus Dach-, Schlag- und Unterzeile), Anlauf (etwa Ortsspitzmarke, Datum, Agenturkürzel als Quellenangabe, Initial oder Auszeichnung durch Fett- oder Kursivdruck der ersten Wörter), Vorspann, Grund-, Body- oder Fließtext, Bild, Bildtext, Zeichnung, Infografik, Tabelle, Infokasten, sonstige grafisch oder typografisch gesonderte Texteinheiten, Zwischentitel, Autorenzeile, Wertungssymbole (Sternchen, Säulen, Daumen) Signets etc. Jeder Baustein ist typografisch gestaltet. Die Typografle umfaßt unter anderem Schriftart, -große, -schnitt usw., Zeilenabstand, Satz (Block- oder Flattersatz), Ausrichtung (linksbündig, mittig etc.), Farbe, Linien, Raster etc. Strategien der Auswahl formaler Bausteine sind unter anderen das Visualisieren (möglichst viele Informationen mit Bildelementen wie Foto, Infografik, Zeichnung, Wertungssymbole etc. vermitteln), das Boulevardisieren durch Größe und Stil der Überschriften, das Auflockern von Fließtext durch Zwischenzeilen oder typografisch hervorgehobene Zitate, das Personalisieren durch Einfügen einer Autorenzeile u.v.m. Typografische Strategien sind wie schon beim Seitenlayout das Dynamisieren oder Beruhigen, auch das Dramatisieren (zum Beispiel durch Fettdruck), das Modernisieren (etwa durch serifenlose Schriften) oder das Ein-konservatives-Image-pflegen (durch Frakturschrift). 2.2.3 Fazit Der Übersicht der wichtigsten Aspekte von Pressekommunikationen hat den Blick auf verschiedene Typen von Strategien gelenkt. Die Beispiele sind nur wenige unter vielen möglichen und dienten lediglich der Veranschaulichung. Sie sind kleine Punkte oder Striche auf der Skizze der Strategientypologie, deren heuristischer Wert sich im Finden und Analysieren von Strategien und deren Spielarten (Kapitel 5-7) erweisen muß. Die Beispiele haben gezeigt, daß die Kommunikationsaspekte der Typologie keine exklusiven Kategorien sind. So werden die meisten Strategien erst als beitragsexterne wirksam und sichtbar, die Wahl bestimmter Kommunikationsformen etwa als periodische. Die Kumulation beispielsweise von Porträts als Alternative zu Rezensionen zeigt sich eben erst über viele Ausgaben hinweg. Auch die Befolgung eines Prinzips steht meistens nicht in einem Oder-, sondern in einem Indem-Zusammenhang zu anderen Aspekten. So wird ein strategisches Prinzip befolgt durch eine bestimmte Sprache und/oder eine bestmimte Präsen-

74 tation usw. Die beitragsinternen Aspekte lassen sich unterschiedlichen Beschreibungsebenen der Pressekommunikation zuordnen: • die Beitragsformen und Handlungen der funktionalen Struktur oder Ebene des Kommunizieren«; • die Themen, Inhalte, Festlegungen und der Wissensaufbau der thematischen Struktur oder Ebene des Kommunizierten; • die Sprache und die Präsentation der formalen Struktur oder Ebene der Kommunikationsmittel. Einige als Beispiel aufgeführte Strategien wurden unter mehreren Aspekten genannt. Das deutet darauf hin, daß Strategien in bezug auf diese Aspekte eine unterschiedliche Reichweite haben. Einige Strategien werden nur durch ein kleines Inventar von Mitteln realisiert, andere können auf sehr vielfältige Weise angewandt werden. Nach den einzelnen Aspekten der Pressekommunikation kann man Spielarten oder Varianten einer Strategie unterscheiden. Erfüllen diese die in 2.1.5 genannten Kriterien, können sie Strategien genannt werden und -je nach Interpretation - klassifiziert werden als: • Teilstrategien (beim Und-dann-, Und-auch- sowie Und-gleichzeitig-Zusammenhang), • Zusatz- bzw. Nebenstrategien (beim Und-dabei-Zusammenhang), • Unterstrategien (beim Indem-Zusammenhang).

3. Der Kulturbegriff

Wie in der Einleitung angekündigt, wird kein vorher bestimmter Kulturbegriff dem Material übergestülpt, sondern aus diesem entwickelt: Kultur ist, was die untersuchten Printmedien in ihrer alltäglichen Praxis als Kultur definieren. Der Kulturbegriff ist deskriptiv-induktiv, nicht normativ-deduktiv. Er ist nicht Voraussetzung, sondern bereits ein Ergebnis der Analyse. ' Zu seiner Bildung wird zunächst geschaut, was auf den Kulturseiten in der Regel steht. Das soll„Kultur" definieren. Doch mehr noch als bei anderen Ressorts bereitet dieser scheinbar einfache Schritt bereits Probleme. Denn was zählt überhaupt als Kulturseite? Nur die mit „Kultur" oder „Feuilleton" gekennzeichneten Seiten? Und was geschieht mit Wochenendbeilagen und Sonderseiten wie „Literatur", „Kunstmarkt", „Film" sowie „Medien", „Wissenschaft" und anderen? Schon die Seitenauswahl birgt die Gefahr der Implantierung eines normativen Kulturbegriffs. Ein konsequent induktives Verfahren muß also in sehr kleinen Schritten vorgehen. Dies geschieht wie folgt: In einem ersten Schritt werden nur Seiten erfaßt, die explizit als kulturelle gekennzeichnet sind („Kultur", „Feuilleton", „Lokale Kultur"), ohne Sonderseiten. Dann wird der Kulturbegriff aus diesen Kulturseiten, dem Basissample, entwickelt. Was dort erscheint, definiert den Basiskulturbegriff. 2 In einem zweiten Schritt werden die Beiträge auf den im ersten Schritt erfaßten Kulturseiten nach Sparten und Subsparten kodiert und nach Häufigkeit ausgewertet. In einem dritten Schritt werden dem entsprechende Sonderseiten und Beilagen erfaßt. Diese werden in einem vierten Schritt ebenfalls nach Sparten und Subsparten kodiert und ausgeweitet. Ergebnis ist ein kulturelles Profil der Kulturteile. In einem fünften Schritt werden diesem entsprechende Beiträge auf Seiten anderer Ressorts erfaßt. Denn Kulturjournalismus findet nicht nur auf Daher ist es methodisch weder nötig noch passend, hier Kulturbegriffe zu beschreiben und zu diskutieren. Ein m.E. groteskes Beispiel für den umgekehrten Weg ist Racic 1987, der auf 237 Seiten verschiedenste Kulturbegriffe aus Geschichte und Gegenwart ausbreitet, dann aber lediglich Jiteratur- und sprachbezogene Beiträge" (ebd.: 300) untersucht. Vgl. Todorow, die zwischen „Kern- und Randbereich" (1996b: 75) ihres Samples unterscheidet, allerdings für den Randbereich keine Auswahlkriterien definiert und begründet.

76

Feuilletonseiten statt.3 Die Entscheidungen bei Grenzfallen fallen nach zusätzlichen Kriterien, die den Kulturbegriff weiter präzisieren. Dieser wird abschließend beschrieben. Zuvor jedoch werden noch in einem sechsten Schritt alle dem entwickelten Kulturbegriff nicht entsprechenden Beiträge aus dem Sample gestrichen, um Verzerrungen bei der Statistik zu vermeiden. Ergebnis ist das Gesamtsample Kulturjournalismus, der Gegenstand der weiteren Analysen.

3.1

Was zählt zweifellos als Kulturseite? - Das Basissample

In einem ersten Schritt werden alle ausgewiesenen Kulturseiten erfaßt, also alle als „Kultur" oder „Feuilleton" gekennzeichneten Seiten, auch in Verbindungen wie „Lokale Kultur". Den traditionellen Namen Feuilleton verwenden: Die Zeit, Frankfurter Allgemeine, Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, Abendzeitung, Stuttgarter Zeitung, Stuttgarter Nachrichten, Südwestpresse, Berliner Vgl. Müller-Sachse 1988: 577: „Die bisher verfügbaren Daten über kulturelle Angebote in Tages- und Wochenzeitungen [...] basieren [...] auf bloßen Ressortzuordnungen bzw. Ressortseitenzählungen und lassen somit unberücksichtigt, daß das Kulturangebot in Zeitungen eben nicht eine formal definierbare, eindeutig begrenzbare Kategorie ist, sondern ein integrierter Bestandteil eines tendenziell universellen Angebots, in dem verschiedene Anteile als kulturbezogene erst identifiziert werden müssen. Kulturell relevante Angebote finden sich eben nicht nur im Feuilleton". Die Konsequenz für die Erfassung kultureller Einheiten hat Müller-Sachse jedoch nur halb gezogen. Er lehnt zwar einen „normativen Kulturbegriff" ab, meint damit aber nur einen allzu engen und setzt folglich einen „erweiterten", jedoch immer noch normativen Kulturbegriff als Maß: „Dabei muß mit einem erweiterten, nicht normativ geprägten Kulturbegriff gearbeitet werden oder, anders ausgedrückt, mit einem gesellschaftlich gedachten Begriff der kulturellen Praxis, der Kultur von anderen, primär außerkulturell definierten gesellschaftlichen Praktiken wie Produktion, Verkehr, Wirtschaft, Politik usw. unterscheidet. Das bedeutet keineswegs, die Kategorie Kultur ins Beliebige zu weiten, wohl aber, auf die kulturbetriebsinterne(n) Hierarchisierungs- und Ausgrenzungsgewohnheiten zu verzichten. Es wird in unserem Zusammenhang folglich als kulturbezogene Angebotseinheit definiert, was immer sich auf kulturelle Praxis bezieht, gleichviel, ob es sich dabei im einzelnen um populäre Kultur, kulturelle Laienaktivitäten oder sogenannte hohe Kunst handelt." (ebd.: 165 und 577) Der letzte Satz zeigt Leistung und Mangel von Müller-Sachses Kulturbegriff: Er ist offen gegenüber neuen, populären Kultursparten, zugleich aber als erweiterter dennoch geschlossen für alles, was noch darüber hinausgehen könnte; Müller-Sachses Kulturbegriff ist weiterhin normativ-deduktiv, Voraussetzung statt Ergebnis der Analyse.

77

Zeitung, Berliner Morgenpost., Tagesspiegel (jeweils für die „große" Kultur und die Stuttgarter Zeitung mit dem Signet „Podium" auch für die lokale Kultur). Für die lokale Kultur bevorzugen viele Blätter den sachlich-modernen Ausdruck Kultur in Verbindungen: „Kulturspiegel" (Frankfurter Rundschau), „Münchner Kultur" (Süddeutsche Zeitung), „Kultur-Magazin" (Stuttgarter Nachrichten) und „Lokale Kultur" (Südwestpresse). Die Welt nennt ihren gesamten Kulturteil „Welt der Kultur". Schlicht „Kultur" überschreiben Die Woche 4 und die tageszeitung ihre Kulturseiten. Die Magazine bzw. Zeitschriften gebrauchen alle vier (Spiegel, Focus, Stern, Bunte) den knappen „Kultur"-Ausdruck im Inhaltsverzeichnis und zur Kennzeichnung einiger Kulturseiten. Hier werden jeweils alle Seiten mit Beiträgen erfaßt, die im Inhaltsverzeichnis unter „Kultur" aufgeführt sind. Dazu gehören auch Seiten, auf denen weder „Feuilleton" noch „Kultur" am Seitenkopf steht, sondern „Szene" und „Femsehen" im Spiegel; „Galerie" in Focus; ohne Seitennamen, „Die Bestseller-Liste im Stern", „Diese Woche" mit einem entsprechenden Kultursparten-Ausdruck (z.B. „Diese Woche Theater") im Stern; „Bestseller" in der Bunten. Aufgenommen werden außerdem die beiden übrigen lokalen Kulturteile der Berliner Zeitung und des Tagesspiegels, die zwar unter anderem Namen („Berlin Berlin" bei Berliner Zeitung, „Stadt Szene" bei Tagesspiegel) erscheinen, aber eindeutig als Kulturteile identifizierbar sind. In diesem ersten Schritt werden 705,5 Organseiten erfaßt; davon 57,5 Seiten lokale Kultur.5 Auf diesen eindeutigen Kulturseiten stehen 1838 Beiträge; davon 929 (also über die Hälfte) unter dem traditionellen Seitennamen „Feuilleton", 541 unter „Kultur" mit und ohne Wortverbindungen im Seitenkopf, 230

Dies gilt bei der Woche zwar nur für einen kleinen Teil des Kultur-Buches. Meistens wird als Seitenname die jeweilige Kultursparte angegeben (darunter „Kulturpolitik" und „Kulturgeschichte"). Doch um beim quantitativen Vergleich keine Verzerrungen zuungunsten der Woche zu erhalten, werden alle Seiten im Kultur-Buch als kulturelle kodiert, auch wenn am Seitenkopf nicht „Kultur", sondern „Theater" oder „Musik" steht. Die lokalen Kulturteile der Frankfurter Rundschau und Süddeutschen Zeitung werden nicht mit erfaßt, obwohl sie in der Bundesausgabe präsent sind. Grund: Auch Frankfurter Allgemeine, Welt, tageszeitung bringen lokale Kultur, nur nicht in der Bundesausgabe. Um keine verzerrten Statistiken zu erhalten, muß einheitlich verfahren werden. Und da die überregionalen Zeitungen in dieser Untersuchung als überregionale interessieren, werden ihre lokalen Kulturteile nicht ausgewertet. Gleichwohl ein paar Zahlen: Der lokale Kulturteil in der Erfassungswoche umfaßt bei der Frankfurter Rundschau 6,5 Seiten mit 122 Beiträgen, bei der Süddeutsche Zeitung 7 Seiten mit 52 Beiträgen.

78

weitere unter verschiedenen Namen und mit „Kultur" als Buchbezeichnung (74 aus Woche) bzw. im Inhaltsverzeichnis bei den vier Zeitschriften (42 aus Spiegel, 25 aus Focus, 65 aus Stern, 24 aus Bunte) sowie 138 aus den beiden lokalen Kulturteilen anderen Namens in Berliner Zeitung und Tagesspiegel.

3.2

Was steht auf Basiskulturseiten? - Der Basiskulturbegriff

Alle 1838 Beiträge der im ersten Schritt erfaßten 705,5 Seiten werden in einem zweiten Schritt nach Kultursparten und -subsparten kodiert.6 Das Kategorienschema wird ebenfalls aus dem Material entwickelt, aus den gebräuchlichsten Einteilungen und Benennungen der Presseorgane selbst - in Artikelüberschriften, Rubriken und Veranstaltungskalendern. Es orientiert sich zugleich an vorliegenden Studien, die später für den Vergleich der thematischen Struktur in der untersuchten Presse mit den kulturellen Angeboten in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. 8.1.1) und den kulturellen Interessen der Bundesbürger (vgl. 8.1.3) relevant werden. Die Kategorienbildung soll so sowohl der Fragestellung der Untersuchung als auch dem untersuchten Material gerecht werden.7 Ausgangspunkt ist deshalb die inhaltlich wie institutionell weiteste Typologie, das „Framework for Cultural Statistics" (FCS) der UNESCO, welches auch das Statistische Bundesamt seiner Studie „Kultur in Deutschland" zugrunde legte. 8 Das FCS umfaßt zehn Kultursparten:9 Kulturelles Erbe 10; Druckerzeugnisse und Literatur; Musik; Darstellende Kunst; Bildende Kunst; Film; Hörfunk und Fernsehen; Soziokulturelle Aktivitäten n ; Sport und Spiele; Umwelt und Natur. Die von Frank et al. herausgegebene „Kultur und Medien"-Studie der 6 7 8

9 10

11

Entscheidend ist die thematisierte Sparte, nicht die des Anlasses. Vgl. zu diesem Doppelkriterium der Kategorisierung Fühlau 1982: 38f. Vgl. die Begründung in Statistisches Bundesamt 1994: 9: „Wegen der internationalen Bedeutung und um einen allgemein akzeptierten Rahmen zu haben, wurde das Framework for Cultural Statistics der UNESCO als Basis für die Abgrenzung der 'Kultur' in der vorliegenden Veröffentlichung gewählt." Siehe ebd.: 9. Dazu gehören: „Denkmalschutz und -pflege", „Archive", „Museen, Sammlungen, Ausstellungshäuser" sowie „Archäologische Ausgrabungen" (ebd.: 14-86). Dazu gehören: „Soziokulturelle Zentren", „Freie Gruppen", .Jugendkunstschulen", „sonstige Realisierungsformen wie z.B. KünstJerhäuser, Einrichtungen der Frauenkultur, Medienprojekte, Spielmobile, teilweise auch Weiterbildungseinrichtungen" (ebd.: 358).

79

ARD/ZDF-Medienkommission verwendet in ihren Teilstudien jeweils unterschiedliche Kategorien. Im Abschnitt „Zur kulturellen Situation in der Bundesrepublik" werden als Kultursparten unterschieden: Buch/Bibliotheken, Zeitungen/ Zeitschriften, Film/Kino, Femsehen, Video, Hörfunk, Musik/Konzertbetrieb, Schauspiel/Theaterbetrieb und Museen/Ausstellungen. Der Einteilung ist zu entnehmen, daß Zweck der Teilstudie eine Bestandsaufnahme des Kulturbetriebs war, weshalb Ausstellungen bildender Kunst und Ausstellungen archäologischer Funde beispielsweise in eine Kategorie fallen. Die Teilstudie „Kulturangebote in ausgewählten Zeitungen" umfaßt: Theater, Musik, Kunst, Literatur, Kino, Massenmedien und Neue Medien, Sonstiges, Termine und unspezifische Sammelnotizen und Programmseiten. Die Teilstudie „Repräsentativbefragung: Das Kulturpublikum" schließlich hat die kulturellen Interessen und Nutzungsweisen der Bundesbürger zu folgenden Kultursparten untersucht: Theater; Literatur (exemplarisch: Belletristik); bildende Kunst (Malerei); Musik; Film (Spielfilm). So sinnvoll es ist, die eigene Kategorienbildung am Vorgegebenen zu orientieren, so zeigt schon die Unterschiedlichkeit der Typologien, daß kein System einfach übernommen werden kann. Auch sollen ja die Eigenkennzeichnungen der Presse nicht übergangen werden, um dem Material kein sachfremdes Kategorienschema überzustülpen. Daher geht die Spartendifferenzierung dieser Untersuchung von dem Gemeinsamen der Studien aus, wie es sich auch in Veranstaltungskalendem wiederfindet. Das sind zunächst einmal die Kultursparten (in alphabetischer Reihenfolge): • Bildende Kunst • Darstellende Kunst/Theater • Film • Literatur • Medien (Druckerzeugnisse/Presse, Hörfunk und Fernsehen) • Musik Die Sparten „Sport und Spiele" sowie „Umwelt und Natur" des FCS sind in der journalistischen Praxis nicht als kulturelle definiert. 12 Hier kommen keine Beiträge im Basissample vor. Ein anderes Problem verhindert die direkte Übernah12

Diese beiden FCS-Kategorien hat schon das Statistische Bundesamt in seiner „Kultur in Deutschland"-Studie von 1994 ausgeklammert. Dort heißt es: „Auf die Einbeziehung der Kategorien 'Sport und Spiele' sowie 'Umwelt und Natur' wurde verzichtet. Insbesondere Sport und Erholung sind durch den in Deutschland gebräuchlichen Kulturbegriff nicht abgedeckt." (ebd.: 10).

80

me der FCS-Kategorien „Kulturelles Erbe" und „Soziokulturelle Aktivitäten". Beide sind - vom spezifischen statistischen Interesse her - mehr institutionell als sachlich-kulturell definiert. 13 Kunstausstellungen in Museen etwa werden unter Museen verbucht und „Jugendkunstschulen" unter „Soziokulturelle Aktivitäten". Für die Presseanalyse interessieren aber die Kultursparten und Sachgebiete, nicht Organisationsfonnen oder veranstaltende Institutionen. Deshalb sind die Sparten entsprechend zu modifizieren bzw. neu zu bilden. In der Regel ist das, was beim PCS zur Kategorie „Soziokulturelle Aktivitäten" zählt, entweder einer anderen Kultursparte zuzuordnen oder Spartenübergreifendes. Für wenige übrige Fälle wird eine Sparte „Alltagskultur" eingerichtet, die auch alle Bindestrich-Kulturen (Eß-Kultur, Trink-Kultur, Wohn-Kultur etc.) einschließt, die beim FCS gar nicht erfaßt sind. Die Kategorie „Kulturelles Erbe" wird dahingehend modifiziert, daß nicht alle Archive, Museen und Ausstellungen darunter fallen, sondern nur solche, die keiner anderen Kultursparte (wie z.B. Museum für Bildende Kunst, Fotografie oder Architektur; Musikarchiv, Literaturarchiv) klar zuzuordnen sind. Da auch Gedenkstätten und Gedenktage thematisiert werden, soll die Kategorie „Historisch-Kulturelles" heißen. Ferner finden sich in den Kulturteilen der untersuchten Printmedien sehr viele Beiträge, die keiner der genannten Kultursparten zuzuordnen sind. Das sind Terminkalender, Programmseiten etc. zu mehreren Sparten, aber auch Beiträge zu spartenübergreifenden Veranstaltungen (z.B. Kulturfestivals) und Themen (z.B. Kulturpolitik). Auch wird die eigene Arbeit thematisiert: vom Fenster und redaktionellen Hinweis bis zur Reflektion übers eigene Metier. Weiter ist Architektur keineswegs selten Thema. 14 Ferner sollen einzelne, aber grob verwandte Bereiche wie Ästhetik/Kunsttheorie, Sprachkritik, Geisteswissenschaft und Politische Kultur/intellektueller Diskurs der Übersichtlichkeit halber in einer Sammelkategorie zusammengefaßt werden. Hierzu ist der Name „Geistiges Leben" der noch am wenigsten ungeeignete. Schließlich ist eine Kategorie Sonstiges einzurichten, um die Liste offen zu halten. Zu den sechs aufgerührten Kultursparten sind also sieben weitere Kategorien gekommen: • Alltagskultur • Historisch-Kulturelles • Allgemeines (Spartenübergreifendes) • Kulturjournalismus 13 14

Vgl. Müller-Sachse 1991: 1. Bei Müller-Sachse 1988 nur unter „Sonstiges".

81 • Architektur • Geistiges Leben • Sonstiges Zu diesen 13 Sparten sind nun Sub sparten auszudifferenzieren, die eine präzisere Aussage über die Kulturrealität in der Presse erlauben, vor allem im Hinblick auf Art und mögliche Interessengruppen. Allgemeines: Spartenübergreifend ist alles, was weder einer einzelnen Kultursparte zuzuordnen ist noch der Kategorie „Sonstiges". Spartenübergreifend sind Beiträge, die mehrere Ereignisse gleichwertig 15 thematisieren, die unterschiedlichen Sparten eindeutig zuzuordnen sind (z.B. Terminkalender), oder die ein Ereignis behandeln, das selbst mehrere Sparten umfaßt (z.B. ein Kulturfestival mit Musikkonzerten, Literaturlesungen, Filmvorführungen, Theaterauftritten etc.). Unterschieden werden als Sub sparten (die als subspartenübergreifende Kategorien dann auch bei den weiteren Sparten aufgeführt werden): • spartenübergreifende Terminkalender • spartenübergreifende Veranstaltungen (Festivals, Kulturtage), Personen und Preise • spartenübergreifende Kulturpolitik und Institutionen (Stiftungen, Gesellschaften, Volkshochschule, Verbände, Institute)16 • Sonstiges Alltagskultur: Die Erweiterung des Kulturbegriffs von der sogenannten Hochkultur zur Alltags- oder Soziokultur wird immer wieder konstatiert 17. Bei Untersuchungen wird das komplexe Neue aber stets ausgeklammert, denn: „Forschungsökonomische Gründe lassen es nicht zu". 18 Hier soll nichts ausgegrenzt werden, sondern geschaut werden, ob die Printmedien jene „Suffix-Kulturen" 19 als kulturelle definieren. Unterschieden werden als Subsparten: • Subspartenübergreifende Terminkalender • Subspartenübergreifende Veranstaltungen (Ausstellungen, Vorträge), Personen und Preise 15

16

17 18 19

Ist diese Gleichwertigkeit nicht gegeben, wird der Beitrag der Sparte des Hauptthemas zugerechnet. Zu dieser Subsparte gehören auch die „Soziokulturellen Zentren" der „Kultur in Deutschland"-Studie, siehe oben. Vgl. Franketal. 1991: 131 und 165. Ebd.: 74. Ebd.: 75.

82

• • • • • • •

Subspartenübergreifende Institutionen (Vereine, Museen) Kleidung, Mode Eß- und Trinkkultur Wohnkultur Freizeitkultur sonstige Gebräuche und Sitten Sonstiges

Architektur: Gebäude lassen sich als Gesamtkunstwerk begreifen. Das tun viele Zeitungen und Zeitschriften. Nicht epigonale Nutzbauten, wohl aber neuartige Einzelbauten und gestalterisch reizvolle Stadtplanungen sind durchaus ein Thema für die Kulturseiten im Basissample. Entsprechend werden unterschieden: • Subspartenübergreifende Terminkalender • Subspartenübergreifende Veranstaltungen (Ausstellungen, Vorträge), Personen und Preise • Subspartenübergreifende Institutionen (Vereine, Museen) • Einzelobjekte (Pionierbauten, Prestigeobjekte) • Stadtentwicklung, Städtebau • Sonstiges Bildende Kunst: Die Studie „Kultur in Deutschland" versammelt Daten zu den Subsparten „Malerei", „Bildhauerei", „graphische Kunst", „Fotografie" und „Kunsthandwerk". 20 Die „Repräsentativbefragung: Das Kulturpublikum" hat nur die kulturellen Interessen der Bundesbürger an der Malerei abgefragt 21, ist also für eine Subspartendifferenzierung nicht brauchbar. Die Teilstudie „Kulturangebote in ausgewählten Zeitungen" unterscheidet „Malerei", „Grafik", „Skulptur", ,,Fotografie", „Videokunst" und „multimediale Performanz". 22 Beide Typologien enthalten unterschiedlich viele Kategorien, ziehen die Grenzen der gemeinsamen aber gleich. Sie sollen daher übernommen werden, müssen jedoch ergänzt werden um „Sonstiges", wozu Cartoons 23, Design, Plakate, Tätowierungen zählen: • Subspartenübergreifende Terminkalender • Subspartenübergreifende Ausstellungen, Personen, Auktionen, Messen 20 21

Statistisches Bundesamt 1994: 252-264. Siehe Frank et al. 1991:250.

22

Ebd.: 178 bzw. Müller-Sachse 1988: 586.

23

Nicht mitgerechnet wird die übliche Pressekarikatur im Politikteil, es sei denn, sie thematisiert Kulturelles. In diesem Fall wird der Beitrag jedoch über das Thema in der jeweiligen Kultursparte kodiert und erst in der Datei „Beitragsformen" als Karikatur verzeichnet.

83

• • • • • • • •

Subspartenübergreifende Institutionen (Galerien, Museen etc.) Malerei Grafik (mit Zeichnung, Radierung, Druck, Holzschnitt etc.) Skulptur/Bildhauerei Fotografie Performance, Videokunst, Multimedia, Computerkunst Kunsthandwerk Sonstiges

Darstellende Kunst/Theater: In der „Kultur und Medien"-Studie wird unterschieden zwischen Sprechtheater/Schauspiel, Musiktheater (Oper, Operette, Musical), Kinder- und Jugendtheater sowie Kleinkunst/Kabarett. 24 Diese Untersuchung folgt dem weiteren Begriff von „Darstellender Kunst" der „Kultur in Deutschland"-Studie: „Unter diese Überschrift fallen das Schaffen von Werken für die Darstellende Kunst, Theater, Ballette und sonstige Tanzaufführungen sowie andere Formen der Darstellenden Kunst wie z.B. Varietes, Kleinkunstbühnen u.a."25 Folgende Subsparten werden unterschieden:26 • Subspartenübergreifende Terminkalender • Subspartenübergreifende Veranstaltungen, Personen und Preise • Subspartenübergreifende Institutionen (Theater, Verbände etc.) • Schauspiel27 • Boulevardtheater, Volkstheater, Mundart • Laienbühne, Schultheater • Pantomime • Ballett, Tanztheater • Oper • Operette • Musical • Tanz (nicht Tanztheater) 24

25 26

27

Vgl. Frank et al. 1991: 118 und 177. Die „Repräsentativbefragung: Das Kulturpublikum" beschränkt sich exemplarisch auf das Sprechtheater. Statistisches Bundesamt 1994: 218. Dabei sind Sammelabfragen möglich für: Sprechtheater (Schauspiel, Boulevardtheater/ Volkstheater, Laienbühne/Schultheater), Musiktheater (Pantomime, Ballert, Oper, Operette, Musical, Tanz), Kinder- und Jugendtheater/Puppenbühne, Kleinkunst im weiteren Sinne (Kabarett, Kleinkunst im engeren Sinne, Revue/Variete, Zauberkunst, Zirkus). Eine institutionelle Aufsplittung in öffentliche und private oder Freie Theatergruppen interessiert hier nicht (zur Unterscheidung Statistisches Bundesamt 1994: 218 und 237f).

84

• • • • • • • •

Kinder- und Jugendtheater Puppenbühne Kabarett Kleinkunst (Brettl, Sketch, Klamauk etc.) Revue, Variete Zauberkunst Zirkus Sonstiges

Film im Kino und auf Video: Die üblichen Kategorien der Filmstatistik sind Spielfilm, abendfüllender Film ohne Filmhandlung (unterschieden in Dokumentarfilme und Kinder- und Jugendfilme), Kurzfilm und Werbefilm. 28 Eine detaillierte Differenzierung in Genres ist hier nicht nötig. 29 Die Spiemime sollen lediglich in zwei Sub sparten aufgegliedert werden: in Autorenkino mit Kunst domin an 7. und Erzählkino mit Unterhaltungsdominanz. Die Grenzen sind zwar theoretisch nicht einfach zu ziehen. Ein Autorenfilm ist meistens ebenfalls narratrv und oft auch unterhaltsam, umgekehrt ist Hollywoodproduktionen nicht pauschal der Kunstcharakter abzusprechen. Dennoch gibt es Unterschiede in der Tendenz und im Selbstanspruch. So ist hier auch nicht von einer strikten Alternative die Rede, sondern von einer Dominanz. In der Kodierpraxis haben sich denn auch keine großen Probleme ergeben.30 Die Subsparten: • Subspartenübergreifende Programme, Listen und Quoten • Subspartenübergreifende Veranstaltungen (Filmtage, Filmfestivals etc.) Personen und Preise • Subspartenübergreifende Institutionen, Filmpolitik/-Wirtschaft • Dokumentarfilm • Spielfilm: Autorenkino mit Kunstdominanz • Spielfilm: Erzählkino mit Unterhaltungsdominanz

28

29

30

Diese Kategorien der SPIO (Spitzenorganisation der Filmwirtschaft) hat das Statistische Bundesamt (ebd.: 2663) übernommen. Eine Einteilung der 1992 in Deutschland im Kino ur- und erstaufgeführten Langfilme in zehn Genres (mit Prozentangaben) findet sich ebd.: 280; eine noch differenziertere Aufteilung der Videofilme ebd.: 302. Peter Greenaways „Das Wunder von Macon" kann klar dem Autorenfilm mit Kunstdominanz, Philip Kaufmans „Die Wiege der Sonne" dem Erzählkino mit Unterhaltungsdominanz zugeordnet werden. Vgl. die Unterscheidung zwischen „Kunst-Code" und „GenreProduktionen" bei Müller-Sachse (1991: 118ff) und Frank et al. (1991: 150ff).

85 • Kinder- und Jugendfilm31 • Sonstiges (Commercial, Trick-/Animationsfilm32, Kurzfilm etc.) Literatur: Literatur in Buchform zählt insgesamt zweifelsohne zur Kultur, als Belletristik oder Sachbuch. Auch Comics und Kalender, literarische und politische Fachzeitschriften finden sich im Basissample. Wie aber läßt sich die Fülle der Bucharten sinnvoll differenzieren? Der Börsenverein des deutschen Buchhandels unterscheidet Warengruppen: Belletristik, Kinder- und Jugendbücher, Fachbücher Naturwissenschaften, Fachbücher Geisteswissenschaften, Schulbücher, Taschenbücher, Zeitschriften u.a., Freizeitliteratur u.a. (Hobby-, Freizeit-, Reiseliteratur), Sachbücher, Antiquariat, Übrige Waren.33 Diese aus buchhalterischem Interesse gebildeten Kategorien können jedoch allenfalls modifiziert übernommen werden. Taschenbücher beispielsweise mögen als Warengruppe sinnvoll zu erfassen sein, hier interessieren jedoch Sachgruppen. Taschenbücher werden deshalb den jeweiligen Subsparten zugeordnet. Belletristik dagegen soll differenzierter erfaßt werden (aufgegliedert in die klassische Trias Lyrik, Epik, Dramatik). Auch Biographie, Autobiographie und Essay sind als Zwischenformen von Belletristik und Sachbuch gesondert aufzuführen. Nicht anders zuordbare Sonderfonnen sind Bildbände, Comics, Kalender, Satire/Humor und Literaturzeitschriften als Subsparten. Bei den Sachbüchern wird zwischen solchen zu kulturellen und solchen zu nichtkulturellen Themen unterschieden. Letztere werden nochmals nach Sachgebieten aufgeteilt, denen Zeitungsressorts entsprechen. Damit wird die Voraussetzung geschaffen für die spätere Klärung, ob Beiträge zu Büchern bestimmter Sachgebiete nicht häufiger in den jeweiligen Fachressorts als im Kulturteil plaziert werden und somit gar nicht zum Kulturjournalismus gehören.34 • Subspartenübergreifende Termine, Buchlisten • Subspartenübergreifende Bücher, Veranstaltungen (z.B. Buchwochen), Personen und Preise 31 32 33

34

Inklusive Trickfilme für Kinder und Jugendliche. Nicht jedoch Trickfilme für Kinder und Jugendliche. Siehe Statistisches Bundesamt 1994: 120. Die „Kultur und Medien"-Studie hilft auch nicht weiter. Sie macht in ihren Teilstudien keine Unterscheidungen. Die „Repräsentativbefragung: Das Kulturpublikum" beschränkt sich exemplarisch auf Belletristik und hierin wiederum auf „Romane" (Frank et al. 1991: 226). Deshalb ist eine Kategorisierung der Buchtitelproduktion nach Sachgebieten nicht brauchbar, die der Börsenverein des deutschen Buchhandels vorgenommen hat; siehe Statistisches Bundesamt 1994: 125.

86 • Subspartenübergreifende Institutionen und Literaturpolitik, Verlage, Bibliotheken, Literaturarchive, Datenbanken etc. • Lyrik/Poesie • Epik/Prosa • Dramatik/Theaterstücke als Text • Biographie (auch Festschriften) • Autobiographie, Tagebuch, Briefwechsel • Essay • Kinder- und Jugendbuch • Schulbuch • Bildband35 • Comic • Kalender • Satire, Humor • Literaturzeitschrift • Sachbuch Kulturelles36 • Sachbuch Populärpsychologie, Lebenshilfe • Sachbuch Naturwissenschaften, Medizin, Technik • Sachbuch Politik, Geschichte, Soziologie • Sachbuch Landeskunde • Sachbuch Reise • Sachbuch Wirtschaft • Sachbuch Sport • Sachbuch Freizeit, Hobby, Spiel • Sachbuch Sonstiges • Antiquarisches, alte Handschriften u.a. • Sonstiges Medien: Die „Kultur in Deutschland"-Studie umfaßt als Medien „Druckerzeugnisse" oder „Presse", Fernsehen und Hörfunk.37 Die Presse ist weiter differenziert in Zeitungen und Zeitschriften.38 Die Teilstudie „Zur kulturellen Situa-

33

36 37 38

Dokumentierte Bilder, nicht Sachbuch zu Landeskunde, Film, Fotografie oder dergleichen mit einzelnen Bildern. Umfaßt alle hier genannten Kulrursparten. Statistisches Bundesamt 1994: 93-114 und 310-355. Jene wiederum in zehn Zeitschriftenarten, siehe ebd.: 104.

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tion in der Bundesrepublik" unterscheidet ebenfalls Zeitungen, Zeitschriften, Hörfunk und Fernsehen.39 Die übliche Gliederung kann übernommen werden: • Subspartenübergreifende Termine, Programme • Subspartenübergreifende Sendungen, Personen und Preise • Subspartenübergreifende Institutionen (Sender, Verlage etc.) sowie Medienpolitik und -Wirtschaft • Zeitungen • Zeitschriften • Hörfunk • Fernsehen • Sonstiges (z.B. Videospiel, Multimedia) Musik wird vor allem gehört in Konzertsälen und Musiktheatem, in Radio und Fernsehen, auf Kassette, Schallplatte und CD. Zur Sparte Musik zählt allein die Aufführung in Konzertsälen und die Verbreitung auf Tonträgem. Denn Musiktheater sind unter Darstellende Kunst erfaßt, Radio und Fernsehen unter Medien. Das Statistische Bundesamt unterscheidet als musikalische „Teilbereiche": Oper, Operette, Musical, Ballett, Orchester- und Kammermusik, Laienmusik, Jazz, Rock, Pop, Kirchenmusik, „kleinere Formen wie Chanson oder musikalisches Kabarett"40. Bei der Orchester- und Kammermusik wird neben dem traditionellen, unter „Klassik" zu subsumierenden Repertoire „von der Barockmusik bis zur Musik des 20. Jahrhunderts"41, extra aufgeführt die Alte Musik „aus dem Mittelalter bis zur Frühklassik"42 und zeitgenössische Musik „von der klassischen Moderne bis zur heutigen Avantgarde"43. Als Unterhaltungsmusik werden neben Rock und Pop noch Volksmusik und Schlagermusik genannt44. Die „Repräsentativbefragung: Das Kulturpublikum" führt die Musikpräferenzen auf für „neun Hauptrichtungen"45: Unterhaltungsmusik (Tanzmusik, Schlager- und Volksmusik), Klassiker der Rock- und Popmusik (z.B. Beatles, Rolling Stones), Moderne Rock- und Popmusik (z.B. BAP, Prince, AC/DC), Musical, Operette, Songs und Folklore („englischsprachige Evergreens, Folklore und Country39 40 41 42 43 44

43

Franketal. 1991: 96-98, 101-106und 107-114. Statistisches Bundesamt 1994: 161. Ebd.: 174. Ebd.: 177. Ebd.: 176. Ebd.: 193. Franketal. 1991:281.

88

Musik, Chansons und Liedermacher"), Soul/Gospel/ Spirituals/Blues, Klassische Musik („Orchesterwerke,, Kammermusik, Lied und Chormusik, Oper sowie Ballettmusik"), Jazz („Oldtime-Jazz, klassischer Jazz, modemer Jazz und JazzRock"). 46 An der Einteilung überzeugt am wenigsten die Kategorie Songs und Folklore: Evergreens und Chansons/Liedermacher haben ebenso ein sehr unterschiedliches Publikum wie echter Folk und Country. Hier sind extra Kategorien anzulegen. Femer ist, um die Befriedigung bestimmter Altersinteressen besser untersuchen zu können, eine weitere Kategorie Rock und Pop nötig, die Titel und Stile der Jugendlichen erfaßt: Hiphop, Rap, Techno, Grunge etc. Nach der Definition gängiger Radioformate soll zwischen Contemporary Hit Radio (CHR) und Adult Contemporary (AC) unterschieden werden. Insgesamt wurde aus beiden Studien folgende Typologie gebildet: 47 • Subspartenübergreifende Terminkalender • Subspartenübergreifende Veranstaltungen, Tonträger, Personen und Preise • Subspartenübergreifende Institutionen, MusikpolitikAmarkt etc. • Alte Musik (bis Frühklassik) • Klassik48 • Zeitgenössische Musik (Avantgarde, Experimentelles, Neue Musik) • Kirchenmusik, Orgel, Chor • Soul, Gospel, Spirituals, Blues • Jazz • Folk • Liedermacher, Chansons und Songs • Adult Contemporary-Popmusik: Rhythm & Blues, Rock, Pop, Light Jazz, Reggae etc. • Contemporary Hit-Popmusik: Hiphop, Rap, Techno, Grunge, Chart-Pop etc. • Klassiker des Pop und Rock, Evergreens • Volksmusik, Country, Schlager, Tanzmusik • Sonstiges Geistiges Leben: Eine reine Sammelkategorie ist die Sparte „Geistiges Leben". Sie umfaßt daher auch nichts Spartenübergreifendes und nichts Sonstiges. Als Subsp arten werden unterschieden: 46 47

48

Alle Erläuterungen der Kategorien ebd.: 282. Dabei wird nicht nach professioneller oder Laienmusik unterschieden, zumal die Übergänge oft fließend sind, bei Musikstudenten etwa. Definiert als großer Rest zwischen Alter und Zeitgenössischer Musik.

89 • • • •

Ästhetik, Kunsttheorie Sprachkritik Geisteswissenschaft Politische Kultur, intellektueller Diskurs

Historisch-Kulturelles: Zur Kategorie „Kulturelles Erbe" des Framework of Cultural Statistics (FCS) gehören: „Denkmalschutz und -pflege", „Archive"49, „Museen, Sammlungen, Ausstellungshäuser" sowie „Archäologische Ausgrabungen" 50. Weil hier jedoch die Spartenzugehörigkeit der Sache und nicht der Institution interessiert, werden in dieser Kategorie nicht alle Archive, Museen und Ausstellungen erfaßt, sondern nur solche, die keiner anderen Kultursparte (wie Museum für Bildende Kunst oder Architektur; Musik-archiv, Literaturarchiv) klar zuzuordnen sind. Umgekehrt ist das FCS-Kategoriensystem zu erweitern (um die im Basissample häufig thematisierten Gedenkstätten und Gedenktage) und zu differenzieren (das betrifft die Museumsarten 51). Nach Sach49 50 51

Zu Definition und Arten von Archiven siehe Statistisches Bundesamt 1994: 26-35. Ebd.: 14-86. Das Institut für Museumskunde in Berlin definiert „Museum" über die drei Kriterien: „Vorhandensein einer Sammlung und Ausstellung von Objekten mit kultureller, historischer oder allgemeiner wissenschaftlicher Zielsetzung", Öffentlichkeit und „klare Eingrenzung des Museumsbereichs". Zitiert nach Müller-Sachse 1991: 6. Dort auch folgende Erläuterung: „Mit diesem so operationalisierten Museumsbegriff bleiben z.B. Schlösser, Sakralbauten oder Baudenkmäler ohne Sammlungsgut ebenso unberücksichtigt wie Privatgalerien, Fachmessen, Kunstgewerbemärkte oder sonstige Info-Bereiche der Wirtschaft." In der Museumsstatistik werden die Sammlungsgebiete in folgende Kategorien zusammengefaßt (vgl. dazu - mit jeweils geringen Abweichungen - ebd.: l If, Frank et al. 1991: 263, Statistisches Bundesamt 1994: 43f): * Kunstmuseen (Kunst, Kunsthandwerk, Keramik, Kirchenschätze und sakrale Kunst, Architektur, Film und Fotografie), * Heimat- und Volkskundemuseen, * Schloß-, Burg- und Klostermuseen (nur mit Inventar), * Naturkundliche und Wissenschaftliche Museen (von Astronomie über Medizin, Naturgeschichte und Paläontologie bis Zoologie), * Museen für Technik, Verkehr, Wirtschaft, * Politischhistorische und archäologische Museen (Ur- und Frühgeschichte, Archäologische Sammlungen, Militaria, Politisch-Historisches, Gedenkstätten), * Kulturgeschichtliche Spezialmuseen (Kulturgeschichtliches, Religions- und Kirchengeschichte, Völkerkunde, Kindermuseen, Spielzeugmuseen, verschiedene Einzelpersonen, Spezialgebiete), * Sammelmuseen mit komplexen Beständen und Museumskomplexe (mehrere Sammlungsgebiete oder Teilmuseen in einer Einrichtung). - Die Typologie ist teils differenzierter als für diese Untersuchung nötig, teils zu grob (etwa die Kategorie .Politisch-historische und archäologische Museen"). Gleichwohl konnte hier - vor allem zur Profilierung des Kulturbegriffs - nicht auf Unterscheidungen verzichtet werden.

90

gruppen werden zudem Archive und Museen zusammengefaßt und durch Vorträge ergänzt. Das ergibt insgesamt drei plus sieben Subsparten: • Subspartenübergreifende Terminkalender • Subspartenübergreifende Veranstaltungen, Personen und Preise • Subspartenübergreifende Institutionen • Denkmalschutz und -pflege52, Baudenkmäler • Bewegliche Denkmäler33, Antiquitäten }4 • Archäologische Ausgrabungen • Archive, Historische Vorträge, Ausstellungen und Museen zu Archäologie, Ur- und Frühgeschichte, Völkerkunde, Kultur- und Alltagsgeschichte, Religions- und Kirchengeschichte; auch Museumskomplexe53 • Archive, Historische Vorträge, Ausstellungen und Museen zu (Natur-)Wissenschaft, Technik, Verkehr oder Wirtschaft • Archive, Historische Vorträge, Ausstellungen und Museen zu Heimat- und Volkskunde sowie Schloß-, Burg- und Klostermuseen • Archive, Historische Vorträge, Ausstellungen und Museen zu PolitischHistorischem, Gedenkstätten und Gedenktage Kulturjournalismus kann selbst Thema sein, von Hinweis-Fenster oder FehlerKorrektur bis zu Berichten über andere Feuilletons (diese fallen nicht unter die Kategorie „Medien") oder gar Reflektionen über die eigene Arbeit. Die Kategorie Subspartenübergreifendes macht hier keinen Sinn. Unterschieden werden: 52

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Nach den gesetzlichen Bestimmungen fallen unter die zu schützenden Kulturdenkmäler: Baudenkmäler, Denkmalbereiche, Bewegliche Denkmäler und Bodendenkmäler (Statistisches Bundesamt 1994: 14f). In dieser Kategorie sind Allgemeines zum Denkmalschutz (etwa zur Finanzierung), Baudenkmäler („Von Menschen gestaltete Landschaftsteile, Grünanlagen, historische Gärten und Parks gehören ebenso dazu wie Ausstattungsstücke und Zubehör, die mit Denkmälern eine Einheit bilden." - Ebd.: 14) und Denkmalbereiche („sind Mehrheiten baulicher Anlagen. Sie können z.B. aus Stadtgrundrissen, Straßenzügen, Stadtteilen oder -vierteln, Siedlungen, industriellen Produktionsstätten und Gehöftsgruppen bestehen." - Ebd.: 14) erfaßt. Bewegliche Denkmäler und Bodendenkmäler werden als eigene Subsparte verzeichnet. „Bewegliche Denkmäler" sind in der Kulturstatistik und in den gesetzlichen Bestimmungen definiert als „alle nicht ortsfesten Denkmäler, wie z.B. Gefäße, Schmuck, Münzen, technische Aggregate, Verkehrsmittel, Teile von Bauwerken u. dgl." (ebd.: 14). Nicht Antiquarisches (siehe unter „Literatur") oder aktuelles Kunsthandwerk (siehe unter „Bildende Kunst"). Soweit nicht eine Einzelausstellung zu einem anders zuordbarem Sammlungsgebiet Gegenstand des Artikels ist.

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Fenster Hinweise in eigener Sache, Ankündigungen Berichtigungen, Korrekturen Meldungen und Berichte über andere Feuilletons Reflektionen über die eigene Arbeit, über Kritik Sonstiges

Sonstiges: Die letzte Sparte umfaßt Artikel, die aufgrund ihrer Beitragsform im Kulturteil plaziert wurden, aber ein nichtkulturelles Thema behandeln (beispielsweise eine Glosse über das Joggen)56, und Artikel zu nichtkulturellen Themen, die aus anderen Gründen (Aktualität, Platznot, Blattspezifikum u.a.) im Basiskorpus vorkommen. Sie werden nach Fachressorts gesondert erfaßt: • Kolumnen, Glossen, Feuilletons • Politik, Zeitgeschichte • Wirtschaft • Modernes Leben, Gesellschaft • Buntes • Sport • Reise • Kirche, Religion • Schule, Hochschule, Bildung • Naturwissenschaft • Sonstiges Zu den hier vorgestellten Kategorien werden nun die Beiträge auf den BasisKulturseiten ausgezählt. Die Beitragshäufigkeiten zu den zahlreichen Subsparten können aus Platzmangel nicht im einzelnen aufgeführt werden. Für die Sparten ist festzuhalten, daß Literatur (379 Beiträge), Darstellende Kunst (319), Musik (302), Film (233) und Bildende Kunst (216) die großen Fünf bilden. Erheblich weniger Beiträge finden sich zu Allgemeinem (89), Historisch-Kulturellem (68), Sonstigem (51), Geistigem Leben (50) und Kulturjournalismus (49). Noch rarer sind Artikel zu Medien (40), Architektur (34) und Alltagskultur (8). 36

Die Extra-Erfassung ist nötig, da diese Beiträge als Sonderfall des Kulturjournalismus qua Beitragsform und nicht qua Thema zum Kulturjournalismus zählen. Feuilletons (als Textsorte), Glossen und Kolumnen auf Kulturseiten gehören als solche zum Kulturjournalismus, auch wenn das Thema sonst einem anderen Ressort zuzuordnen wäre. Eine schiefes Bild ergäbe sich, wenn diese Beiträge durch ihr nichtkulturelles Thema ausgegrenzt oder umgekehrt ihre Themen noch als konstitutiv kulturelle verrechnet werden würden.

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3.3

Was zählt noch als Kulturseite? - Sonderseiten und Beilagen

In der Presse finden sich neben den klassischen Ressortseiten Politik/Nachrichten, Wirtschaft, Sport, Feuilleton/Kultur und Vermischtes/Buntes viele weitere Seiten, beispielsweise Medien, Modernes Leben, Motor, Unterhaltung, aber auch Film, Literatur, Musik, Roman, Theater, Wissenschaft. Darüberhinaus gibt es bei den Zeitungen die Wochenendbeilage und unterschiedlichste Extrabeilagen. Was von all diesen Seiten neben den bereits erfaßten, mit„Kultur" oder ,»Feuilleton" betitelten Seiten, im dritten Schritt als weitere Kulturseite gelten kann und damit zu erfassen ist, das darf nicht einfach festgelegt werden. Sonst würde an dieser Stelle doch noch ein normativer Kulturbegriff wirksam. Die Entscheidung muß in mehreren Teilschritten fallen. Dabei werden die fraglichen Seiten von den Rändern eingegrenzt: von den zweifellos auszuschließenden und den zweifellos aufzunehmenden. Kriterien sind: (a) die Häufigkeit" des Vorkommens (Beitragsanzahl) einer Kultursparte oder -subsparte im Basiskorpus und (b) die Institutionalisierung einer Sonderseite in einem eigenen Ressort. Eindeutig nichtkulturelle Seiten: In einem ersten Teilschritt werden alle Blätter durchgesehen nach Seiten, die als kulturelle überhaupt in Frage kommen. Das sind zunächst alle, deren Gegenstand (nach Eigenkennzeichnung im Seitenkopf) dem Basis-Kulturbegriff entspricht (in der Liste der Kultursparten und -subsparten von 3.2 vorkommt). Das ist nicht der Fall bei den Seiten für die

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Teilkapitel 3.2 hat gezeigt, daß ein großer Konsens über die Zugehörigkeit der traditionellen Kultursparten (und auch neuerer Subsparten wie Comic und Popmusik) zum Kulturressort besteht, daß aber vieles in jeweils nur ein oder zwei Organen vorkommt. Diese Extravaganzen, die das jeweilige Profil eines Blattes mitformen, stellen im Gesamtsample Ausnahmen dar. Würde man jedes Thema, über das ein oder zwei Beiträge erschienen sind, als konstitutiv zum Kulturbegriff zählen, würde dieser mit anderen institutionell klar abgegrenzten Ressorts verschwimmen. Die Süddeutsche Zeitung beispielsweise ließ eine Serie über den Zustand der politischen Parteien in Deutschland im Feuilleton laufen, die beim besten Willen nicht einmal unter die Subsparte „Politische Kultur" zu subsumieren war. Würde jedes einmalige Vorkommen im Kulturteil den weiteren Kulturbegriff prägen, müßten im fünften Schritt sämtliche Beiträge über Parteipolitik zum Kulturjournalismus gezählt werden. Daß dies absurd wäre, ist evident. Bei Grenzfällen werden weitere Kriterien wirksam (siehe unten).

93 Themen: Jugendzeitung58, Medizin/Gesundheit59, Garten60, Ratgeber/ Recht61, Auto/Motor62, Technik63 (Kriterium a: Häufigkeit ist Null). Zweitens stehen all jene Seiten nicht in Frage, die zweifellos einem anderen fest institutionalisierten Ressort zuzuordnen sind. Das sind die klassischen Ressortseiten Politik/Nachrichten, Wirtschaft, Sport, Vermischtes/Buntes, Regionales und Lokales, aber auch Reise (Kriterium b). Drittens sind rein formal alle ressortübergreifenden Seiten auszuschließen. Was Ressorts übergreift, kann per definitionem keinem Ressort zugeordnet werden. Das sind: Titelseiten, Inhaltsverzeichnis- und Editorial-Seiten (bei Zeitschriften), allgemeine Hintergrundseiten, ressortübergreifende Meldungsseiten, Leserbriefseiten. Eindeutig kulturelle Sonderseiten: In einem zweiten Teilschritt werden all jene Seiten in das Sample aufgenommen, die Kultursparten oder -subsparten zuzuordnen sind, welche als fraglos kulturell gelten können. Kriterium ist eine sehr hohe Anzahl der Beiträge im Basissample. Erfaßt werden folglich alle Sonderseiten zu den Kultursparten Bildende Kunst, Kinofilm, Literatur, Musik, Theater, deren Beitragsanzahl jeweils weit über 200 liegt. Die Zweifelsfälle: In einem dritten Teilschritt werden die übrigen fraglichen Seiten abgewogen. Auch hier gelten die Kriterien a und b, doch reichen sie nicht hin. Das Kriterium der Beitragsanzahl (a) wird durch Zusatzbedingungen erweitert zu den Kriterien c und d: 58

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Seiten nicht über, sondern für und/oder von Kindern und Jugendlichen: „Jungen und Mädchen" (Südwestpresse), .Jugend schreibt" (Frankfurter Allgemeine) und „Zeitung in der Schule" (Stuttgarter Zeitung, Stuttgarter Nachrichten). „Gesundheit" (Süddeutsche Zeitung, Stuttgarter Nachrichten, Berliner Morgenpost, Bunte), „Soziales und Gesundheit" (Berliner Zeitung), „Mensch und Gesundheit" (Südwestpresse), „Welt der Medizin" (Weif), „Altersvorsorge" (Süddeutsche Zeitung-Beilage). „Heim und Garten" (Frankfurter Rundschau), „Haus und Garten" (Tagesspiegel), „Hof und Garten" (Südwestpresse), „Freizeit, Haus und Garten" (Berliner Morgenpost). „Recht und Rat" (Südwestpresse), „Ratgeber" (Berliner Zeitung, Berliner Morgenpost), „Recht und Steuern" (Tagesspiegel), „Recht" (Stern). „Technik und Motor" (Frankfurter Allgemeine), „Auto, Motor, Verkehr" (Frankfurter Äwrti&cÄau-Wochenendbeilage), Süddeutsche Zeitung-Auio" (Süddeutsche Zeitung-Beilage), ,Auto-Welt" (Welt), .Automobil" (Stuttgarter Nachrichten), „Kraftfahrzeug und Verkehr" (Südwestpresse), „Auto und Straße" (Berliner Zeitung), „Auto" (Berliner Morgenpost), „Motor" (Tagesspiegel, Abendzeitung, Stern). Meistens in Verbindung mit Naturwissenschaftsseiten (siehe dort), aber auch einzeln bei „Technik" (Spiegel) und „Welt der Technik" (Welt) oder in Verbindung mit Motor-Seiten: „Technik und Motor" (Frankfurter Allgemeine).

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(c) Gegenprobe bei niedriger Beitragsanzahl: Kommt eine Kultursparte oder -subsparte auf einer anderen Seite, in einem anderen Ressort überhaupt vor? Zu schauen ist, ob eine Sparte oder Subsparte, die nicht sehr häufig im Basiskorpus vorkommt (Kriterium a also nicht erfüllt), überhaupt woanders seinen Platz hat. Ist dies nämlich nicht der Fall, dann liegt eine zwar seltene, aber dennoch unbestritten kulturelle Sparte vor. M Dieses Kriterium ist also ein „kultureller Minderheitenschutz". (d) Vergleich bei mittlerer Beitragsanzahl, die Anzahl der Beiträge zu einer Sparte oder Subsparte im Ressortvergleich. Dieses Kriterium ist eine Kombination der Kriterien a und c. Ist eine Sparte oder Subsparte auf den Kulturseiten mit ein paar Beiträgen vertreten, auf anderen Ressortseiten jedoch erheblich häufiger, kann angenommen werden, daß sie zum anderen Ressort gehört und nicht zur Kultur, oder schwächer, daß sie zumindest nicht konstitutiv65 zur Kultur gehört. Der Grund für die Plazierung eines Beitrags auf der Kulturseite im Basissample kann der Kulturbegriff der redaktionellen Praxis sein. Bisher wurde stets davon ausgegangen, daß ein Beitrag immer aufgrund seiner Kulturspartenzugehörigkeit auf einer Kulturseite plaziert wird. Doch gibt es daneben noch weitere gute Gründe, die auch Beiträge auf die Kulturseite lassen, die dem Kulturbegriff des jeweiligen Organs nicht entsprechen: (e) Aktualität/Platz: Ein Beitrag kann auf der Kulturseite landen, weil an diesem Tag in dem Stammressort des entsprechenden Themas die Seite schon voll war (Grund: Platz) oder an diesem Tag die entsprechende Ressortseite gar nicht erschien (nicht jedes Ressort ist täglich mit einer Seite vertreten) oder die Stammseite abends schon belichtet war, die Kulturseite sich jedoch noch in Arbeit befand (Grund jeweils: Aktualität). Wer diese redaktionelle Praxis nicht berücksichtigt und schematisch vorgeht, macht Ausnahmen zur Regel und kommt zu einem Kulturbegriff, der eben nicht mehr wie beabsichtigt der redaktionellen Praxis entspricht.

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65

Beispiel dafür ist die Subsparte „Kunsttheorie, Ästhetik". Auf sie entfallen nur zwei Beiträge. Nach Kriterium a dürften ästhetische Abhandlungen mithin nicht zur Kultur zählen. Das aber wäre widersinnig. (Auch Kriterium b greift hier nicht.) Was konstitutiv zur Kultur gehört, ist Kulturjournalismus, unabhängig von der Plazierung. Was fakultativ zur Kultur gehört, gehört nur zur Kultur, sofern es im Kulturteil steht. Näheres siehe 3.5.

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(f) Beitragsform Feuilleton/Kolumne/Glosse: Eine Besonderheit des Kulturteils ist die Beitragsform Feuilleton. Es ist über seine Form als kulturjournalistisch definiert, nicht inhaltlich über die Sparte des Themas. Dieses kann aus jedem Ressort stammen. Auch Kolumnen und Glossen zu nichtkulturellen Themen haben ihren festen Platz auf Kulturseiten. Nach den genannten Kriterien wird eine Sonderseite „Geisteswissenschaften" in der Frankfurter Allgemeinen aufgenommen. Die extra Wissenschaftsseiten sind in der Regel naturwissenschaftlichen Themen vorbehalten. Oder: Auf Kulturseiten finden sich erheblich mehr Beiträge zum Themenbereich Geisteswissenschaften als auf den Wissenschaftsseiten. Nach Kriterium d gehört die geisteswissenschaftliche Sonderseite ins Sample. Weiteres Argument (nach Kriterium b) für die Aufnahme ist die Ankündigung der Seite im Fenster für das Feuilleton. Folgende Seiten werden nach den aufgeführten Kriterien nicht aufgenommen (in alphabetischer Reihenfolge): • Bildung und Beruf: Im Erfassungszeitraum kommen zu diesem Themenbereich in vielen Presseorganen eigene Seiten vor. ** Keine extra Seiten finden sich in tageszeitung, Berliner Morgenpost, Südwestpresse, Woche, Focus und Spiegel 6\ Bunte und Stern 68 sowie den beiden Boulevardblättern. Beiträge zum Themenbereich sind auf Kulturseiten nur vier erschienen: ein Bericht im Stern über Elite-Schulen, ein Bericht in der Frankfurter Rundschau über einen Kongreß von Deutsch- und Französischlehrern sowie zwei Meldungen in der Berliner Zeitung (weniger Studienanfänger in Berlin und Ehrung eines Professors). Viel häufiger finden sich derartige Themen in den Ressorts Lokales, Politik oder Modernes Leben. Die Seiten zum Themenbereich Bildung und Beruf werden daher nach Kriterium d nicht ins Sample Kulturjoumalismus aufgenommen. 66

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68

„Wissen" (Zeit), „Beruf und Chance" (Frankfurter Allgemeine), „Schule und Hochschule" (Frankfurter Rundschau), „Die Hochschulseite" (Süddeutsche Zeitung), „Bildung und Beruf' (Süddeutsche Zeitung), Berufs-Welt" (Welt), „Hochschul-Welt" (Welt), „Beruf und Aufstieg" (Stuttgarter Zeitung), „Schule, Ausbildung, Beruf (Stuttgarter Nachrichten), „Bildung & Wissenschaft" (Tagesspiegel), „Bildung und Wissenschaft" (Berliner Zeitung), „Bildung und Beruf' (Berliner Zeitung), „Studieren" (Berliner Zeitung). Ausnahme ist lediglich eine Serie „Berufsaussichten für Akademiker" im Spiegel. Bei Focus wie Spiegel finden sich Bildungsthemen sonst ausschließlich verstreut im Allgemein-Politischen Teil. Im Stern finden sich nur zwei Titelgeschichten: über Berufsaussichten (als „Sterw-Extra") und über Hausaufgaben. Sonst sind die wenigen Beiträge über alle Ressorts verstreut.

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Die Medienseiten: Fast alle untersuchten Tageszeitungen haben eine eigene Medienseite, auf der neben dem Fernsehprogramm Vorschauen, Kritiken, Meldungen und Berichte über den Medienbetrieb wie über Programminhalte und Personen stehen.69 Die Frankfurter Rundschau etwa bringt neben dem Programmteil „Femsehen und Funk" eine extra „Medienrundschau". Andere Zeitungen wie die Abendzeitung haben eine eigene Fernsehprogrammbeilage. Im Kulturteil finden sich Medienthemen nur in zwei Tageszeitungen: Die Frankfurter Allgemeine plaziert als einzige alle Texte im Feuilleton, das Programm jedoch ebenfalls auf einer extra Seite (mit dem Wetter) am Ende des Feuilleton-Buches. Die Abendzeitung druckt die Fernsehkritik auf der Feuilletonseite, Vorschauen etc. und das Fernsehprogramm auf einer Fernsehseite. Die Wochenzeitungen Die Zeit und Die Woche drucken kein Fernsehprogramm, informieren aber über das Mediengeschehen in Meldung, Bericht, Vorschau, Kritik, Glosse und anderen Beitragsformen; Die Woche im Buch „Modernes Leben", Die Zeit im Feuilletonbuch regelmäßig nur am Ende und durch einen waagerechten Strich getrennt, zudem im Seitenkopf eigens erwähnt (somit als extra Seite gekennzeichnet) und unregelmäßig in der Rubrik „Zeitmosaik" oder der Kolumne „Das Letzte". Hinzu kommt eine Serie über die Zukunft des Fernsehens. Bei den Zeitschriften finden sich Medienthemen nur im Spiegel unter der Rubrik „Kultur". Focus und Bunte haben im Inhaltsverzeichnis ausgewiesene Rubriken namens „Medien" und „TV-Arena". Der Stern hat eine Beilage, das ,ßtern tv-magazin"70. Fazit: Medienthemen im Feuilleton finden sich regelmäßig nur bei Frankfurter Allgemeine und Spiegel und eingeschränkt in der Abendzeitung (Fernsehkritik) sowie unregelmäßig und eingeschränkt in der Zeit (Sonderformen wie Serie, Rubrik, Kolumne). Alle anderen Presseorgane haben eigene Medienseiten eingerichtet. Diese werden daher nach den Kriterien a und b nicht aufgenommen. 69

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Fernsehprogramm und Wetter (Frankfurter Allgemeine), „Fernsehen und Funk" und „Medienrundschau" (Frankfurter Rundschau), „Fernsehen und Hörtunk" (Süddeutsche Zeitung), „Film und Fernsehen" (Welt), „Welt der Medien" (Welt), „Flimmern und Rauschen" (tageszeitung), „Funk und Fernsehen" (Stuttgarter Zeitung), „Fernsehen" (Stuttgarter Nachrichten), „Fernsehen und Radio" (Südwestpresse), „Radio & Fernsehen" (Tagesspieget), Beilage „TV-Spiegel" (Tagesspiegel), „Fernsehen" (Berliner Morgenpost), „Fernsehen und Funk" (Berliner Zeitung), „Fernsehen" und l Heft „Fernseh-Journal" (Abendzeitung), Fernsehprogramm (Bild), „Kritik und Information" (Zeit), „Medien" (Woche, Focus), „Fernsehen" (Spiegel), 6 Hefte ,$tern tv-magazin" (Stern). Dieses wird im Gesamtsample nicht mit erfaßt.

97 Modernes Leben und Gesellschaft: Fast jedes Presseorgan hat Seiten für Alltägliches, gesellschaftliche Phänomene, Zeitgeist, Moden, Trends etc., für Familie, Frau, Kinder und Jugend (oft in Wochenendbeilagen). Manche Themen fanden sich früher ebenfalls im Kulturteil. Heute kommen sie gesondert oder ganz neu vor. 7I Dies erklärt, warum sich auf den Kulturseiten in der Sparte Alltagskultur nur sehr wenige Einträge finden. Daher (Kriterium d) und aufgrund der zunehmenden Einrichtung von „Modernes Leben" als Ressort (Kriterium b) zählen diese Seiten nicht zur Kultur. (Naturwissenschaften: Fast alle Zeitungen haben eigene Wissenschaftsseiten. 72 Auf diesen finden sich fast keine geisteswissenschaftlichen Beiträge. " (Expliziter) Wissenschaftsjoumalismus ist in fast allen Organen Naturwissenschaftsjoumahsmus. Ist dieser nun Teil des Kulturjoumalismus oder selbständiges Ressort? Im Basissample finden sich zur Subsparte Naturwissenschaften ganze zwei Beiträge. Schon das genügt nicht zur Aufnahme nach Kriterium a. Sieht man sich die beiden Beiträge näher an, so stellt man fest: Es handelt sich ausschließlich um aktuelle Meldungen. Einmal wird eine Preisverleihung gemeldet, einmal der Geburtstag eines Chemikers. Da in bei-

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72

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Unter den Namen „Modernes Leben" (Zeit, Woche, Focus, Abendzeitung), „Gesellschaft" (Spiegel, Woche, Tagesspiegel) oder auf Seiten wie: „Freizeit und Familie" (Frankfurter ÄwMi&cAaM-Wochenendbeüage), „Kinderseite" (Frankfurter Ät/« .2s

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und Stuttgarter Zeitung (durchschnittliche Dichte, aber größte Breite aller 19 Organe), in den beiden Wochenzeitungen Die Zeit und Die Woche (jeweils geringe Dichte und überdurchschnittliche Breite) und im Nachrichtenmagazin Der Spiegel (geringste Dichte bei durchschnittlicher Breite). Stereotyp ist die Beitragsformenauswahl bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, den Stuttgarter Nachrichten und der Südwestpresse (jeweils hohe Dichte ohne Ausgleich durch die Breite), bei der Berliner Morgenpost (sehr hohe Dichte, gemildert durch eine überdurchschnittliche Breite), vor allem aber bei den beiden Boulevardzeitungen Bild (durchschnittliche Dichte, aber extrem kleine Breite) und Abendzeitung (sehr hohe Dichte und unterdurchschnittliche Breite) sowie bei der Illustrierten Bunte (höchste Dichte, geringste Breite). 4.3.2 Die Funktionstyp en Manches bei den Beitragsformen bereits Angedeutete wird klarer, wenn man diese nach ihrer jeweiligen Hauptfunktion zusammenfaßt nach Funktionstypen (vgl. Kodierprotokoll). Dies ist berechtigt, weil die Beitragsformen funktional definiert wurden. Natürlich kann und soll jeder einzelne Beitrag mehrere Funktionen zugleich erfüllen, doch die Exklusivität der Zuordnung (ein Funktionstyp für einen Beitrag) ermöglicht ein schärferes Profil einzelner Presseorgane und Pressetypen als eine Auswertung von Mehrfachkodierungen. Nach Beitragszahlen dominiert der Funktionstyp Service knapp vor der Kritik (siehe Abb. 13). Deutlich geringere Anteile haben die Ereignis- und die Hintergrundberichterstattung. Kaum ins Gewicht fallen Unterhaltung und Sonstiges, darunter vor allem Bestsellerlisten und Redaktionelles. Nach Zeilenumfang liegen die Gewichte anders: Hier dominiert der Funktionstyp Kritik mit großem Abstand vor Hintergrund und Service. Keine große Rolle spielt im Kulturjournalismus die Ereignisberichterstattung. Marginale Platzanteile entfallen auf Unterhaltung und Sonstiges.

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Intimisierung des Öffentlichen - Personalisieren des Kommunizierens

Pressekommunikation ist Massenkommunikation. Zu ihrer Definition gehört als ein Merkmal Publizität, woraus als Aufgabe für die Journalisten die Mehrfachadressiening folgt. Eine interpersonale Kommunikation zwischen einzelnem Journalisten und einzelnem Leser ist also ausgeschlossen. Sie kann höchstens durch einen Telefonanruf in der Redaktion hergestellt werden (etwa zum Zweck der Beschwerde). Doch das ist eben keine Pressekommunikation mehr. Auch ist diese als Medienkommunikation immer vermittelt und nie eine Face-to-FaceKommunikation. Drittens gehört Pressekommunikation durch ihre Publizität zur Sphäre des Öffentlichen. Dies alles definiert die Presse und kann nicht umgangen werden - wohl aber überspielt. Genau dies geschieht beim Personalisieren durch Verfasserprominenz, durch die Beitragsformen Kommentar, Kolumne, Glosse und Feuilleton, durch Leseranrede, durch das Schildern subjektiver Eindrücke und durch das Werten nach subjektiven Kriterien, durch einen ausgeprägten Individualstil und durch die deutliche Kennzeichnung der Verfasser (siehe Abb. 20). In all diesen Spielarten kommt der Journalist bzw. die Journalistin den Leserinnen und Lesern als Person nahe und ist nicht mehr nur möglichst unsichtbarer Vermittler. Wo der Verfasser in Erscheinung tritt, kann Intimität im Sinne von Vertrautheit entstehen, die die Grenze des Öffentlichen nicht wirklich überschreiten, aber über sie hinwegtäuschen kann, eine Beziehung, die die Anonymität der Massenkommunikation zumindest auf einer Seite abschwächt. Man könnte von einer Inszenierung oder Simulation interpersonaler Kommunikation sprechen, wenn beide Wörter nicht durch modisch inflationären Sprachgebrauch längst entwertet wären. Im übrigen ist es kaum Zufall, daß hier mehr Spielarten des Personalisierens aufgefunden worden sind, als bisher ui der Literatur beschrieben wurden. Und nur ein Teil verdankt sich der Systematik des Vorgehens. Mindestens ebenso entscheidend ist, daß Kulturjoumalisten seit jeher größere Spielräume eingeräumt werden als den Kollegen anderer Ressorts. Das gilt vor allem für das Einbringen von Subjektivität. Das Intimisieren des Öffentlichen in diesem Sinne hat das Feuilleton schon in seinen Anfangen gekennzeichnet (wie schon in der Einleitung zu Kap. 5 geschildert). Quantitativ hat diese Personalisierungstendenz im ganzen kein allzu großes Gewicht. Zählt man alle hierfür genannten Beitragsformen zusammen, ergibt sich insgesamt nach Anzahl und Platz jeweils ein Anteil von etwa vier Prozent (3,9 bzw. 4,2 Prozent). Auf den Kommentar entfallen lediglich 1,8 Prozent nach Anzahl wie nach Zeilen. Jeder hundertste Beitrag ist eine Kolumne (nach Zeilen

220

1,2 Prozent). Noch seltener sind Feuilletons mit 0,9 Prozent nach Anzahl. Und noch geringer ist mit 0,7 Prozent ihr Anteil nach Zeilen. Geradezu vernachlässigt wird die Glosse mit 0,3 Prozent nach Anzahl und 0,2 Prozent nach Zeilenumfang. Allerdings verbergen sich hinter diesen Mittelwerten sehr unterschiedliche Blattprofile. Einzelne Presseorgane heben sich hier deutlich von anderen ab (siehe Abb. 22). So erweisen sich die fünf überregionalen Tageszeitungen, aber auch der Tagesspiegel, die Stuttgarter Zeitung, Woche und Focus als besonders kommentierfreudig, vor allem die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Rundschau. Ein regelmäßiges Kolumnen-Angebot findet sich in der Süddeutschen Zeitung, in der Münchner Abendzeitung, in beiden Wochenzeitungen und im Stern. Die traditionellen Feuilletons bieten vor allem Die Welt, tageszeitung und Berliner Zeitung sowie mit Einschränkungen die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Rundschau und der Tagesspiegel. Die Glosse hat ihren Platz vor allem in der Zeit und der Frankfurter Allgemeinen. Bei den Namen fallt auf, daß von den subjektiven Beitragsformen vor allem die sog. Qualitätszeitungen Gebrauch machen. Sie haben über Jahrzehnte als einzige Formen wie Feuilleton und Glosse gepflegt, die meiner Beobachtung nach allmählich wieder häufiger eingesetzt werden - mit dem konstitutiven Ziel des Personalisierens, möglichst viele Leserinnen und Leser anzusprechen. Im Hinblick darauf scheint vor allem die Kolumne eine Renaissance zu erleben, wofür das Vorkommen in einer Illustrierten (Stern), einer Boulevardzeitung (Abendzeitung) und einer Neugründung (Woche) Indiz ist. Analoges gilt nach meiner Einschätzung auch für andere Spielarten der Tendenz, die Kommunikation zu intimisieren. Das aus der Boulevardpresse und dem Rundfunk bekannte direkte Anreden der Adressaten ist selten, aber nicht mehr journalistisches Tabu wie früher. Das Subjektrvieren durch Schildern persönlicher Eindrücke und durch Werten nach sehr subjektiven Maßstäben war im Kulturjournalismus zwar nie ganz zu vermeiden und wurde dem Feuilletonressort immer zugestanden, doch das Ausmaß nimmt m. E. zu. Als Erklärung greifen Eitelkeit und mangelnde Professionalität zu kurz. Das mag bei kleineren Zeitungen vereinzelt der Fall sein, nicht aber bei einer auf ihren Markt ausgerichteten Illustrierten wie dem Stern. Das Subjektrvieren erfolgt hier wie das Personalisieren insgesamt aus unternehmerischem Kalkül.

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Abb. 22: Grad des Personalisierens des Kommunizierens durch Beitragsformen nach Anzahl und Zeilenumfang der Beiträge

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6.4

Typologische Aspekte des Personalisierens

6.4. l

Systematisierung der Spielarten

Nach Aspekten bzw. Beschreibungsebenen der Pressekommunikation lassen sich - analog zu Kap. 5.3 - als Spielarten des Personalisierens unterscheiden: • auf der Ebene des Kommunikators: das Personalisieren durch die Wahl prominenter Gastautoren oder konstanter Hausautoren; • auf der funktionalen Ebene des Kommunizierens: das Personalisieren durch die Beitragsformen Porträt, Interview, Umfrage, Kommentar, Kolumne, Glosse, Feuilleton, Reportage und Story sowie durch die sprachlichen Handlungen des direkten Ansprechens und der Redewiedergabe; • auf der thematisch-inhaltlichen Ebene des Kommunizierten: das Personalisieren durch Hauptthema, durch Zentralperspektive, durch Privates als Inhalt (Intimisieren) und durch subjektive Eindrücke als Inhalt (Subjektivieren); • auf der formalen Ebene der Kommunikationsmittel: das Personalisieren durch Indrvidualstil und durch die Präsentationsmittel der Verfasserkennzeichnung. Eine Zuordnung der Spielarten des Personalisierens zu den Strategieformen der Kumulation, Synchronisation und Akzentuierung (wie in 5.3.1) ist nicht ergiebig. Die meisten Varianten können als Akzentuierungen eingeordnet werden. Festzuhalten ist lediglich, daß das Personalisieren durch Hausautoren nur als kumulative Strategie funktioniert. 6.4.2

Grundstrukturen des Personalisierens

Die wichtigsten der an Beispielen beschriebenen Zusammenhänge zwischen Spielarten des Personalisierens sollen hier der Übersichtlichkeit halber systematisch dargestellt werden. Hierarchie oder Indem-Zusammenhang: Als Hierarchien lassen sich die Zusammenhänge zwischen Beitragsformen, mit denen personalisiert wird, und anderen Formen des Personalisierens beschreiben (vgl. 6.2.2). So wird beispielsweise mit einem Porträt personalisiert, indem eine Person als Hauptthema in den Mittelpunkt eines Textes gestellt wird; oder es wird mit einer Reportage personalisiert, indem alles Geschehen aus der Zentralperspektive einer Person geschildert wird. Dabei steht rechts der Indem-Relation ein notwendiges, jedoch nicht hinreichendes Defhutionskriterium für die jeweilige Beitragsform.

223

In einem Und-auch-Zusammenhang (Komplex) stehen: Spielarten des Personalisierens, die in unterschiedlichen formalen Elementen realisiert werden, etwa in Haupttext, Bild und Verfasserkennzeichnung; außerdem Varianten des Subjektivierens: Fast überall, wo jemand seine persönlichen Eindrücke, das eigene Erleben eines Kulturereignisses beschreibt, da bewertet er dieses auch nach wirkungspsychologischen Kriterien (Unterhaltsamkeit, Betroffenheit etc.). In einem Und-gleichzeitig-Zusammenhang stehen: Spielarten des Personalisierens, die in einem formalen Element auf unterschiedlichen Ebenen der Kommunikation realisiert werden; etwa das Personalisieren durch Perspektive und das Intimisieren der Inhalte; oder das Personalisieren durch Verfasserprominenz und durch als subjektiv geltende Beitragsformen wie Kommentar, Glosse oder Kolumne; ferner die Strategie des Personalisierens selbst und die des Emotionalisierens (in Zeitschriften und Boulevardblättern), realisiert durch die gemeinsame Unterstrategie des Intimisierens und/oder Subjektivierens; auch das Personalisieren durch einen Individualstil und andere Spielarten des Personalisierens in allen Printmedien, die sich durch die ausgeprägte Sprache einzelner Schreiber profilieren (etwa in Spiegel und Zeit, beiden Frankfurter Zeitungen, der Süddeutschen, aber auch in Regionalzeitungen wie Tagesspiegel und Stuttgarter Zeitung). In einem Und-dabei-Zusammenhang steht das Personalisieren durch einen Individualstil mit anderen Spielarten des Personalisierens in allen Printmedien, bei denen die Profilierung durch einen Individualstil kein großes Gewicht hat (z.B. w. Focus, Welt, Südwestpresse, Berliner Morgenpost). Das Personalisieren durch einen Individualstil ist ein methodisch besonders interessanter Fall. Erstens ist bei der Identifizierung dieser Spielart Vorsicht geboten, weil nicht jeder ausgeprägte Stil auch ein Individualstil und somit ein Mittel des Personalisierens ist. Gerade die Sprache der Zeitschriften hat zwar meistens ein klares Profil. Dieses ist jedoch blattspezifisch genormt und läßt gerade keinen Spielraum für Individuelles. Das belegt im übrigen erneut die Relevanz der Unterscheidung von Strategie einerseits und Mittel zu ihrer Realisierung andererseits, von Handlungsmuster und Äußerungsform, Zweitens hat das Personalisieren durch Individualstil ein unterschiedliches Gewicht je nach Presseorgan (siehe oben), nach Beitragsform (in Glosse und Rezension mehr als in Bericht) und nach Ressort (im Kulturjoumalismus mehr als im Lokalen) und ist der Zusammenhang zu anderen Personalisierungsvarianten entsprechend mal als Und-gleichzeitig- und mal als Und-dabei-Zusammenhang zu beschreiben.

7. Das Feuilletonisieren

Im Kulturjournalismus wird anders geschrieben als in anderen Ressorts. Das merken Leserinnen und Leser nach wenigen Zeilen. Wie läßt sich das auf den Begriff bringen? Die beiden Zeitungskundler Emil Dovifat und Wilmont Haacke haben neben dem Feuilleton als „Sparte" und dem Feuilleton als Beitragsform als drittes den „Feuilletonismus" als „Stilform und journalistische Haltung" ' unterschieden. Was damit vage umschrieben ist, kann - ohne den Vorläufern der Publizistik heutige Terminologie unterzuschieben - durchaus als Strategie identifiziert werden. Haacke selbst spricht wiederholt vom Feuilletonisieren und verfolgt dessen Spur zurück bis ins Mittelalter, Dovifat bis zu den Reden des Demosthenes und Cicero. 2 Doch was heißt „Feuilletonismus" und „Feuilletonisieren"? Haacke relativiert zunächst: „Der Begriff Feuilletonismus ist kein sehr glücklicher Ausdruck. Er ist entstanden, weil man nach einem Sammelwort oder Oberbegriff für jene sich jeder allzu enggefaßten Charakterisierung entziehende feuilletonistische Ausdrucksweise gesucht hat, die nicht nur in der Sparte Feuilleton geübt wird, sondern welche die ganze Zeitung oder Zeitschrift vom Leitartikel bis zur Anzeige durchzieht." Oder positiv: „Feuilletonismus ist literarischer und journalistischer Niederschlag persönlich erlebter und gestalteter Welt in Formen, die dem jeweiligen publizistischen Aussagemittel technisch, methodisch und stilistisch angepaßt sind."3 Der Relativsatz enthält lediglich die Forderung einer mediengerechten Darstellung. Der Hauptsatz trifft jedoch den Kern von Haackes Auffassung: Erstens sind die Ergebnisse des Feuilletonisierens immer auch Literatur. Was als diese zählt, welche Formen feuilletonistisch sind, das bleibt zweitens offen, das entzieht sich , jeder allzu enggefaßten Charakterisierung". Mehrfach widerspricht Haacke der Identifizierung mit einem bestimmten Stil: „Zunächst ist es notwendig, sich von der alten, eingewurzelten Vorstellung vollständig frei zu machen, nach welcher man unter feuilletonistischer Schreibweise nur eine leichte, lockere, witzige, amüsante, pointierte und stets 1 2 3

Haacke 1952: 296, Dovifat 1976 II: 107. Vgl. ebd.: 116f. Haacke 1952: 137f, Dovifat 1976 II: 108. Haacke 1952: 296.

226

oberflächliche Wortgaukelei verstanden hat."4 Haacke hat also aus seiner historischen Arbeit erkannt, daß - in heutiger Sprache - Form und Realisierung keine eineindeutige Beziehung haben. Allerdings entspricht dann seine Konkretisierung des Feuilletonismus selbst wieder nur einer bestimmten Ästhetik und zeigt Haackes eigene geschichtliche Verortung. Es ist dies ein aus Naturalismus und Impressionismus gebildetes Ideal. Über den Feuilletonisten schreibt er: „Man hat ihn daher oft einen Dichter des Alltags, einen Dichter der Straße [...] genannt, da er fast wie ein Bildberichterstatter stets unterwegs ist, spazieren geht, aus dem Fenster schaut, aus dem Wohnungsfenster wie aus dem Zugfenster oder durch die Windschutzscheibe des Autos oder des Flugzeugs. In diesen Benennungen ist sein Wesen - wenigstens partiell - richtig erfaßt. Andere wieder haben ihn als einen Reporter, freilich einen von dichterischen Graden, empfunden. Auch das trifft zu. Mit notwendiger Verallgemeinerung kann man ihn den 'poetischen Naturalisten der Zeitung' nennen."5 Das heißt zweierlei: „Ausgangspunkt ist nämlich, so sehr der gute, gebildete und belesene Feuilletonist den literarischen Modeströmungen seiner eigenen Lebenszeit verhaftet sein mag, ja ihren Stilformen sogar äußerlich unterliegen kann, für ihn zu allen Zeiten nichts als die Wirklichkeit, die Realität, das Dasein, wie es da ist. [...] Daher ist der Feuilletonist von Haus aus immer zuerst Impressionist."6 Doch all das sei nur journalistisches Handwerk. „Über das Journalistische, über das Handwerkliche hinaus will der Feuilletonist Künstler sein und wie ein Künstler sehen."7 Dovifat ist zurückhaltender: ,,Der Feuilletonismus hat nicht Rang und Ansehen einer literarischen Gattung. Er ist Publizistik und sollte nicht um Ehren ringen, die ihm nicht zustehen." 8 Dovifats eng an die Beitragsform Feuilleton angelehnte Definition des Feuilletonisierens gleicht sonst Haackes. Sie besteht aus vier Elementen: dem alltäglichen Ausgangspunkt als Aufhänger, der Deutung der Begebenheit als pars pro toto, der persönlichen Prägung in Sicht und in Stil: „Der Feuilletonismus ist eine journalistische Haltung, die Einzelheiten und Zufälligkeiten des Tages in menschlich persönlicher Betrachtung so treffend sieht und darstellt, daß Wesentliches und Allgemeingültiges anklingen und geistig wirksam werden." 9

Ebd.: 296. Ebd.: 298f. Ebd.: 299. In der Einfügung betont Haacke die Differenz zwischen Form und Realisierung. Ebd.: 300. Dovifat 1976 II: 107. Ebd.: 111.

227

Hin/u kommt als fünftes das Unterhalten als eine Hauptaufgabe des Feuilletonisierens, die zu dessen „Wesen" gehöre. 10 Als Unterhalten verstehen Dovifat wie Haacke eher kulinarischen Genuß als derben Klamauk, eher Anregung als Ablenkung, eher Sammlung als Zerstreuung, eher Zum-Schmunzeln- als ZumLachen-bringen. " Die Erfüllung dieser Funktion hat zur Etablierung des Kulturressorts wesentlich beigetragen und hat es zeitweilig zu einem der populärsten Ressorts gemacht, im Gegensatz zu heute.

7. l

Fragestellung und Aufbau der Analyse

Die Definitionen von Haacke und Dovifat wurden hier so ausgiebig vorgestellt, weil sie an einer Ahnenreihe einflußreicher Feuilletonisten gebildet wurden und selbst wieder Vorbild wurden, vor allem in den 50er und frühen 60er Jahren. Und weil sie m E. für heute eine vielleicht überraschende Aktualität haben können. Dazu ist der Begriff des Feuilletonisierens von der engen Bindung an bestimmte sprachliche Mittel zu lösen und als Muster zu betrachten, das höchst unterschiedlich realisiert werden kann. Diese Unterscheidung ist - wie bereits erwähnt - bei Haacke selbst schon in seinen historischen Kapiteln angelegt, in seinen zusammenfassenden Definitionen aber nicht mehr berücksichtigt. Konsequent umgesetzt bedeutet die Differenzierung: Die „alltägliche Begebenheit" als Aufhänger und die Auslegung dieser als pars pro toto entspricht einem noch zu sehr am Feuilleton als Beitragsform und an der Literatur des Impressionismus orientierten Begriff des Feuilletonisierens. Sie gehören zu einer von vielen möglichen Realisierungsformen und kennzeichnen nicht das Muster des Feuilletonisierens. Zu dessen Bestimmung bleiben drei Elemente: die persönliche Sicht, der persönliche Stil und das Unterhalten als ein Hauptziel (neben dem andere wie Kritik und/oder Information möglich, aber nicht nötig sind). Das Feuilletonisieren dient darüberhinaus der subtilen Meinungsbildung. Dovifat ist vom Nutzen der Strategie im Vergleich zu den Alternativen überzeugt: „Der Feuilletonismus ist immer ein sehr wirksamer Weg, die Menschen aus dem Menschlichen heraus anzusprechen, sie innerlich zu gewinnen und zu überzeugen, besser als rhetorisches Pathos oder dialektischer Scharfsinn das vermögen." 12 10 11 12

Vgl. Haacke 1952: 308. Vgl. ebd.: 296, Dovifat 1976 II: 117. Dovifat 1976 II: 107.

228

Das Feuilletonisieren als Strategie wendet an, wer über eine alltägliche Begebenheit, eine Person, ein Kunstwerk, eine kulturelle Veranstaltung oder ein sonstiges Ereignis in einer wie auch immer ausgeprägten Sprache schreibt, um dadurch vor allem besser zu unterhalten und sich - als Journalist wie als Presseorgan - erfolgreicher zu profilieren als dies durch einen anderen Stil möglich wäre. Auf diese Weise sollen die Beiträge über die bloße Information hinaus einen Eigenwert erhalten, der die jeweiligen Leser und Leserinnen unterhält im Sinne eines kulinarischen Genusses an originellen Gedanken, Pointen, Formulierungen etc. und der sie motiviert zum Weiterlesen des angefangenen Beitrags und zur Lektüre weiterer Artikel. Zum Lesen reizt im Idealfall nicht nur der Inhalt, sondern auch die sprachliche Form der Texte. Die zur Erreichung dieser Ziele geeigneten Stilmittel, die literarischen Techniken, können nach Zeit, Zielgruppen und Presseorgan wechseln und dürfen keineswegs normativ auf einen hohen Ton oder Feuilletonistisches im traditionellen Sinne beschränkt werden. Die Leitfrage dieses Kapitels soll lauten: Mit welchen Stilmitteln, Teil- und Unterstrategien feuilletonisieren Kulturjournalisten im untersuchten Material? Wie versuchen sie, einerseits selbst einen - wenn auch bescheidenen - künstlerischen Anspruch durch einen persönlichen Stil einzulösen, andererseits zugleich oder gerade dadurch ihre Leserinnen und Leser zu unterhalten? Fälle, in denen dies gelingt, sind m.E. als Vorbilder für die journalistische Gegenwart interessant. Ein modernes Feuilletonisieren kann als Strategie gelten, die sowohl der Kultur als auch den Leserinnen und Lesern gerecht wird. Das Feuilletonisieren wird durch das Mittel Sprache realisiert. Es ist doppelt abzugrenzen vom Ästhetisieren, das erstens durch vielfältige Formen erfolgen kann: auf der thematisch-inhaltlichen Ebene der Pressekommunikation durch Auswahl künstlerisch besonders anspruchsvoller Kulturarten (was auch immer im einzelnen dazu gezählt werden mag), durch das Behandeln formaler Aspekte eines Kulturprodukts als inhaltlichen Schwerpunkt eines Beitrags, durch das Einordnen des kulturellen Gegenstands in einen ästhetischen (beispielsweise kunstgeschichtlichen, nicht politischen oder sujetbedingten) Zusammenhang, durch das Deuten nach ästhetischen Interpretationsschemata oder durch das Werten nach werkimmanenten Kriterien; auf der funktionalen Ebene durch Beitragsformen wie Feuilleton, Glosse, Essay und natürlich Literatur selbst (Gedichte, Kurzgeschichten), auf der Äußerungsebene durch bestimmte Sprachstile (siehe Feuilletonisieren), aber auch durch ein nach grafischen Prinzipien gestaltetes Layout oder durch künstlerisch ambitionierte Fotos. Zweitens wird nicht nur ästhetisiert, um kulinarisch zu unterhalten und einem Beitrag einen ästheti-

229 sehen Mehrwert zu geben, sondern auch, um einen Bildungsauftrag zu erfüllen (etwa durch Auswahl bestimmter Subsparten wie Lyrik oder Neue Musik), dem kulturellen Gegenstand gerecht zu werden (durch ästhetische Inhalte, Normen und Deutungsmuster) und/oder die eigene Bildung unter Beweis zu stellen. Das heißt: Das Ästhetisieren umfaßt nicht nur sehr viele Spielarten, sondern ist nicht einmal als einheitliche Strategie zu beschreiben. Dazu bedürfte es übereinstimmender Zielsetzungen. Das Feuilletonisieren kann deshalb auch nicht pauschal als Unterstrategie des Ästhetisierens gelten, sondern nur in jenen Fällen, in denen durch Sprache ästhetisiert wird und dadurch die für das Feuilletonisieren konstitutiven Ziele erreicht werden sollen. Weil das Feuilletonisieren allein sprachlich realisiert wird, beschränkt sich die Analyse auf diesen Kommunikationsaspekt. Dabei sind ressortspezifische Praktiken zu beschreiben (Kap. 7.2.2) und zu klassifizieren (Kap. 7.3). Zunächst aber werden die profiliertesten Konzepte an typischen Beispielen vorgestellt (7.2.1).

7.2

Spielarten des Feuilletonisierens

7.2. l

Von Locken, Scheiteln und Dreitagebärten - Exemplarische Analysen

„Der Friseur erzählt Neuigkeiten, wenn er bloß frisieren soll. Der Journalist ist geistreich, wenn er bloß Neuigkeiten erzählen soll. Das sind zwei, die höher hinaus wollen." 13 Und im selben Bild: „Feuilletonisten und Friseure haben gleich viel mit den Köpfen zu schaffen. Ein Feuilleton schreiben heißt auf einer Glatze Locken drehen." M So lauten zwei Aper9us von Karl Kraus. Der selbst feuilletonistisch nicht gerade Unbegabte hatte dabei ein Feuilletonisieren vor Augen, das inhaltlich zweifellos barhäuptig und blank dastand und vor dem Hermann Hesse im „Glasperlenspiel" als Zeitgeist warnte. Doch möglich sind unterschiedliche Sprachstile. Der Zusammenhang zwischen Strategie und bestimmten Äußerungsformen ist nicht sehr eng. Das Lockendrehen auf Glatzen ist nur eine Spielart. Nachfolgend sollen die profiliertesten Sprachstile der untersuchten Printmedien jeweils anhand eines möglichst charakteristischen Beispiels (der Vergleichbarkeit halber überwiegend zum selben Gegenstand) vorgestellt werden.

13 14

Kraus 1955: 77. Ebd.: 117f.

230

7.2.1.1 Barocke Sprachperücke „Man kann zu schwer essen, zu schwer filmsehn kann man auch. Peter Greenaways blut-, schweiß- und spermakleckerndes 'Wunder von Macon' fahrt dem Kinogänger unvergeßlich drückend ins Gedärm, ein cineastisch aufgeblähtes Mysterienspiel von der ganz und gar unverdaulichen Sorte. Greenaway, Britanniens genialer Chef-Manierist auf europäisch-internationalem Kinoplan, frönt hier hemmungslos bild- und trugbildtrunken seiner kruden Passion auf modernster Riesenleinwand schwärzesten mittelalterlichen Sündensud auszubreiten, nebst vielen Körpersäften sowieso. Alle Scheußlichkeit der Welt, lehrt Greenaway wieder und wieder, und am unappetitlichsten ebenjetzt, kommt aus dem Gekröse, aus dem Geschlecht. 'Die ganze Welt in einem Bett', diese schaudernd skandierte Erkenntnis stift seinem Wunder-Film buchstäblich den Rahmen; denn da beginnt und endet sie, die bombastische Ritualschau: im Bett. Daß Manierismus und Monstrosität, kunstsinnigstes Kalkül und rohe Schlachthäuslerei, Raffinement und Schändungssucht, Knobellaune und viehische Perversion glänzend zusammengehn gleichwie der Schein und das Sein; oder, um es ein wenig degoutierter zu sagen, mit Bezug auf die inszenatorische Absicht: daß tücksches Leben und tückscheres Theater sich ineinander darmgleich verknäueln, verschlingen - dies zeigt der prunkversessene Regie-Exzentriker an einem Krippenspiel aus dem siebzehnten Jahrhundert, das ihm brimborienreich zur schwarzen Satansmesse gerät. Erzählen wir kurz. Eine Maid will jungfräulich ein Kind zur Welt gebracht haben (in Wahrheit war's ihr Brüderchen), und weil die hohe Geistlichkeit ihr dies Wunder natürlich neidet und abhandeln will, bringt sie's um. Was wiederum nach Sühne schreit, Tötung am besten. Nur galten dazumal, in frömmsten rüdesten Renaissancetagen, Jungfrauen als unenthauptbar, solang ihre Un-Unschuld nicht eindeutig feststand. Wie also? Der Bischof weiß Rat zweihundertacht Männer schickt er, sorgsam sie segnend, auf den gigantischen Pfuhl der Delinquentin, zweihundertacht Beschäler 'in Folge', um dies schrecklich altertümliche Geschehen affig moderndeutsch anzudeuten. Massenvergewaltigung, auch wenn sie auf baldachinschimmerndem Faulbett geschieht, ist vor dem realen Hintergrund der bosnischen Kriegsgreuel freilich selbst vom weltvergessensten Kinogänger kaum mehr als blanker 'Theatercoup' zu goutieren. Greenaways lüsternes Raffinement entgleitet endgültig ins Scheußlich-Ungeheure, ekelerregend. Seine Bilderarrangements sind hochästhetisch wie immer, die Fotografie perfekt, süperb, wunderschön - aber was er mit alledem diesmal erregt, ist vorrangig Abscheu. Mord denn durch Penetration. Die Maid wird buchstäblich zu Tod gepfählt, doch rotgolden flackert sie voran, die Bilderorgie, verschlingt sich manieristisch sündtoll ein weiteres Mal, inmitten blakender Kerzen, klirrender Klunker, bibbernder Leiber, wallenden Hauptwergs - bis daß die Breitwand sich quasi umkrümmt zur Guckkastenbühne, darbietend ein grauses Theater-Stück, ein gar zerstückelungstolles Spiel im Spiel: Gesteuert von einem schmucken mürb-blassen Lazarus, der soufflierend und mordbubenhaft zuletzt von der Sänfte herab eingreift ins monströs-mirakulöse Geschehen, so also entbindet sich, in drei wildwüsten Akten, aus dem ersten das frühere Wunder - eine uralte Vettel, umhockt von geilem Adels- und Lumpenpublikum, kreißt; und geniest eines Knäbleins aus vollem

231 Bauch. Ein Ungeheuer? Nein, ein Putto, himmlisch und hold. Doch Greenaways manieristische Phantasie und Verrätselungslust läßt in diesen Schein das Sein dreinfahren, gierig-zerstörungswild, bis die Mariendarstellerin faktisch geschändet und der holde Knabe schreintauglich in Stücke gerissen ist: Das hysterische Kirchenmannsvolk zerstückt seinen Leichnam in blutige Reliquienbatzen, des Regisseurs überbordendes Mystery Play hat endlich Ruh. Nur im Bauch des Kinogängers rumort es noch immer. (Lupe 1) Ruprecht Skasa-Weiß" (Stuttgarter Zeitung vom 12. November 1993)

Der Text präsentiert - teils in ironischer Brechung - eine Reihe von Verfahren des klassischen Feuilletonisierens. Da ist eine Fülle rhetorischer Figuren: Metapher (das Eingangsbild von Speise und Verdauung, „Sündensud"), Euphemismus („Körpersäfte" für - die bereits im zweiten Satz genannten - Blut, Schweiß und Sperma), Neologismus („grauses" als Kontamination aus „krauses" und „grausames", die Komposita „Ritualschau", „mordbubenhaft", „schreintauglich" oder „Reliquienbatzen"), Archaismus („Gekröse", „ebenjetzt", „tüksch", „Vettel", „geniest eines Knäbleins"), Periphrase (die Kennzeichnung „aufgeblähtes Mysterienspiel" vermeidet das derbe „zum Furzen") und Oxymoron („lüsternes Raffinement"). Für traditionelles Feuilletonisieren typisch sind auch Fremdwörter wie „goutieren", exzessiver Adjektivgebrauch (siehe die Sätze zwei und drei) und der hohe Ton, die gewählte Ausdrucksweise auf der Stilebene gehobener Literatursprache (beispielsweise „fahrt drückend ins Gedärm" statt „schlägt auf den Magen" oder das gestelzte ,.nebst vielen Körpersäften sowieso"). Syntaktisch sind charakteristisch: Anakoluthe („daß tücksches Leben und tückscheres Theater sich ineinander darmgleich verknäueln, verschlingen - dies zeigt der prunkversessene Regie-Exzentriker"), Parenthesen und Anaphern („zweihundertacht Männer schickt er, sorgsam sie segnend, auf den gigantischen Pfuhl der Delinquentin, zweihundertacht Beschäler 'in Folge'"), Ausklammerungen („denn da beginnt und endet sie, die bombastische Ritualschau: im Bett" statt „Im Bett beginnt und endet die bombastische Ritualschau") und Herausstellungen („aber was er mit alledem diesmal erregt, ist vorrangig Abscheu" statt „aber mit alledem erregt er diesmal vorrangig Abscheu"), Parallelismen („Manierismus und Monstrosität, kunstsinnigstes Kalkül und rohe Schlachthäuslerei, Raffinement und Schändungssucht, Knobellaune und viehische Perversion") und Chiasmen („Man kann zu schwer essen, zu schwer filmsehn kann man auch"). All diese rhetorischen Figuren und artifiziellen Satzkonstruktionen sind Realisierungsmittel des Stilmusters bzw. der Feuilletonisierungsspielart des Rhetorisierens. 15 Die-

Zu Ausdruck und Spezifika vgl. Lüger 1995: 34-37.

232

ses ist in einem doppelten Zusammenhang zu sehen. Zum einen paßt das Rhetorisieren zum Manierismus des Films, darüberhinaus entspricht der barocke Stil der Rezension der Spielzeit des Films. Indem der Schreiber auf diese Weise sprachlich seinen Gegenstand nachahmt, teilt er nicht nur Inhalte mit, sondern bringt auch etwas zum Ausdruck; er ikonisiert seine Sprache (siehe 7.2.3). Schließlich kann der Spott nicht übersehen werden. Er bildet den Verstehensrahmen. Lächerlich gemacht wird vor allem durch Archaismen wie „Maid" oder „Beschäler" und e-Elision („zu Tod"), durch Neologismen wie „unenthauptbar", „Un-Unschuld" oder „sündtoll", durch banalisierende Adverbien („natürlich"), Aussagesätze („Was wiederum nach Sühne schreit, Tötung am besten.") und Fragen („Wie also?"), durch falsches Pathos („doch rotgolden flackert"), durch übertreibende Alliterationen („blakender Kerzen, klirrender Klunker, bibbernder Leiber, wallenden Hauptwergs") und durch gespreizte Syntax. Das ist keine gegenstandsadäquate Sprache mehr, mit der ikonisiert wird, sondern genüßliches (wenngleich schwer genießbares) Verhöhnen. Im Eingangsbild: Die Kraus'sehe Lockenpracht (des Rhetorisierens und Dconisierens) wird hier im unterhaltsamen Rollenspiel als Perücke verwendet. (Allerdings muß ernüchternd hinzugefugt werden, daß der Verfasser in anderen Texten ohne Ironie genauso schreibt. Das Manierierte, mal kunstvoll, mal nur gekünstelt Gedrechselte, mal leichtfüßig, mal gestelzt Daherkommende gehört zum Individualstil des Feuilletonisten alter Prägung - und ist schon nicht mehr typisch für die Stuttgarter Zeitung und ihren Kulturteil insgesamt.) 7.2.1.2 Gescheit und gescheitelt Das Feuilletonisieren in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist auf den ersten Blick kaum erkennbar, sofern damit traditionelle Vorstellungen identifiziert werden. Da drehen die meisten Journalisten - um im Kraus'sehen Bilde zu bleiben keine Locken, sondern ziehen allenfalls gerade Satzscheitel, und dies auch nicht auf inhaltsbloßen Glatzen, sondern mit einer Fülle von Informationen. Die Sprache ist präzise und unprätentiös bis zur Unkenntlichkeit ihrer Kunstfertigkeit, wie der erste Absatz der Rezension von Greenaways Film zeigt: „Vexierbilder liebt der britische Regisseur Peter Greenaway über alles. Und Kopfgeburten. Sein jüngster Film 'The Baby of ', beim Festival von Cannes im Mai erstmals vorgestellt und von heute an auch bei uns unter dem Titel 'Das Wunder von Macon' im Original mit Untertiteln zu sehen, gibt vor, ein Provinztheater dabei zu beobachten, wie es im Jahr 1659 ein religiöses Drama von der verlorenen Unschuld vor geilem und lärmendem

233 Publikum vorführt, Aristokraten, Klerus, Bürgern und Bauern. Doch Spiel und simulierte Wirklichkeit gehen ineinander auf. Das Publikum auf der Vorbühne, als dessen protzigste Inkarnation Cosimo Medici aufgeboten wird, die einzige historische Figur in einem sonst vollkommen erfundenen Kontext, mischt sich dermaßen in die Handlung ein, daß es selbst zum Teil des Dramas wird. Wie bei der Puppe in der Puppe darf der Regisseur aber mit dem nächsten Publikum rechnen, dem seines Film nämlich - und allein um diese fortdauernde Aufhebung der medialen Ebenen geht es ihm." (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. November 1993).

Die Syntax ist mal einfach, wie im ersten Satz (wenngleich mit Ausdrucksstellung der „Vexierbilder", die erst die Aufmerksamkeit weckt für die „Kopfgeburten" im isolierten Nachsatz), mal sperrig, wie im Satz mit Cosimo Medici, kaum einmal aber finden sich gekünstelte Konstruktionen. Analoges gilt für die Lexik, die sich durch Genauigkeit statt Extravaganz auszeichnet, Fremdwörter nur sparsam einsetzt und auf grelle Zeitgeistfloskeln sowie versteckte oder ausgestellte Bildungssignale, Anspielungen oder Zitate, weitestgehend verzichtet. Das wirkt zuweilen bieder wie das Layout - und das Wort „gescheit". Doch der Verzicht auf vordergründige und kurzfristige Attraktionen hat wesentlich zur dauerhaften Attraktivität des FAZ-Feuilletons beigetragen - und ist in diesem Sinne eine gescheite Strategievariante. Wer dies nicht zum Feuilletonisieren rechnen mag, übersieht erstens die Subtilität des im Auszug analysierten Textes und führt zweitens die Strategie als Handlungsmuster in die Enge, indem er sie mit bestimmten Stilmitteln identifiziert. 7.2.1.3 Ästhetik des Widerstands Wer das Feuilleton der Frankfurter Rundschau liest, wird selten unterfordert. Die Leser und Leserinnen dürfen sich an den meisten Texten intellektuell abarbeiten. Allzu große Verständlichkeit könnte einen Zeitungsartikel schließlich zum Konsumartikel verkommen lassen, ließe sich spotten. Ein extremes, aber keineswegs untypisches Beispiel ist der Einstieg der umfangreichen Rezension: „Peter Greenaways Welt ist alles, was Zerfall ist: Orgien des Organischen, die Auflösung des Fleisches in Fäulnis und Verwesung, im schaurigen Ton des grand guignol vorgetragen. Doch der Brite ist kein Vivisekteur noch ein Chirurg, der mit Narkose arbeitet. Die Pathologie ist sein Fach, auch wenn die Körper noch zucken und sich winden, die Säfte rinnen und den Körper besudeln. Das Universum seiner Filme ist barock in der obsessiven Allianz von Tod und Sexualität, Lebenshunger und Todesangst, doch über allem thront ein eklektischer Beweger, der vom Theater des Schreckens' über die lexikalischen Etüden und enzyklopädischen Delirien bis zu den Gemälden alter Meister und den Verfahren

234 neuer Experimenteller alles verdaut und der Schaulust zum Fraß vorwirft. Ob nun Gourmet oder Gourmand, die Gemeinde der Gebildeten schätzt diese deftigen Allegorien am Abend, die postmodernen Puzzles und Bilderrätsel ohne Lösungswort, sie verehrt in Greenaway einen der letzten Autorenfilmer Europas, der noch Herr im Haus ist. Und so ist es aufschlußreich, die Spuren dieses Proteus in der Bilderwelt durch seine Filme zu verfolgen. " (Frankfurter Rundschau vom 11. November 1993).

Kennzeichnend für diese Art Feuilleton sind: die überbordenden Satzperioden, die gelehrten Anspielungen („Greenaways Welt ist alles, was Zerfall ist" spielt an auf Ludwig Wittgensteins Satz „Die Welt ist alles, was der Fall ist" im „Tractatus logjco-philosophicus"), die unerklärt eingestreuten Fremdwörter („Vrvisekteur") und fremdsprachlichen Ausdrücke („grand guignol"), die gestelzten Konstruktionen („kein [...] noch ein"), Bildungsmodewörter und -floskeln („obsessiv", „postmodemen Puzzles", „enzyklopädisch") und neuartige Wortverbindungen, die Bildung und Originalität ausweisen sollen, in ihrer Komprimiertund Komplexheit jedoch kaum verständlich sind („obsessiven Allianz", „eklektischer Beweger", „lexikalischen Etüden und enzyklopädischen Delirien"). Im weiteren Verlauf der Rezension werden zahlreiche Fachausdrücke (z.B. „Travelling shots", „tableaux vivants") verwendet. Ob nun Gourmet oder Gourmand, die Gemeinde der Gebildeten schätzt offensichtlich diese deftigen Kulturmahlzeiten am Abend (am Frühstückstisch wohl kaum verdaulich), die vorpostmodernen Bildungsrätsel mit ideologiekritischem Lösungswort, sie verehrt im FR-Feuilleton einen der letzten Oppositionshorte gegen den Kulturbetrieb. Den Leserinnen und Lesern intellektuelle Arbeit abzuverlangen, ist keine Ausnahme und bloße Marotte, sondern eine sich als subversiv verstehende Strategie. Zugrunde Hegt eine Ästhetik der Widerstands - gegen glatte Konsumierbarkeit und leichte Verständlichkeit. Sie hat in der Frankfurter Rundschau allerdings nicht den strengen Status einer Regel, sondern den einer Konvention unter anderen - und findet sich immer wieder auch in anderen Zeitungen. 7.2. l .4 Mit dem Leser an der Hand auf dem Boulevard Die Münchner Abendzeitung hat nicht nur einen ausgedehnten Kulturteil, sondern scheut sich als Boulevardblatt auch nicht, regelmäßig Opempremieren und klassische Konzerte zu rezensieren. Mit einer einfachen und verständlichen Sprache versucht sie in der Regel, ihren Leserinnen und Lesern auch Anspruchsvolles nahezubringen. Dazu gehören parataktisch übersichtlich geordnete, dabei fast immer grammatikalisch vollständige Sätze; Nebensätze sind keineswegs

235 verpönt. Der Wortschatz entstammt überwiegend der Alltagssprache, oft auch der Umgangssprache. Für die Kunst, vorgeblich Entrücktes dem Boulevardzeitungsleser nahe zu bringen, ist die Filmkritikerin Use Kümpfel-Schliekmann (unter dem Pseudonym „Ponkie") bundesweit bekannt. Ein Beispiel dafür bietet der erste Absatz ihrer Greenaway-Besprechung: „Es ist wie so oft bei dem Briten Peter Greenaway, dem Meister der exzentrischen Kunstreflexionen, der grandiosen Metaphern für den Geist des Fleisches und die makabre Wundermacht der Phantasie: Man schleicht sich, restlos zermalmt an Leib und Seele, behämmert fort aus diesem 17. Jahrhundert, zugeschaufelt mit allen stinkenden Innereien der Welt." (Abendzeitung vom 11. November 1993).

Dramaturgisch geschickt wird zunächst mit hymnischen Kennzeichnungen eine Distanz aufgebaut, die nach dem Doppelpunkt zum Einsturz gebracht wird durch die ganz menschliche Reaktion der Rezensentin, die stellvertretend für die AZ-Leser und potentiellen Kinogänger den Film erlebt. Anstatt Greenaways Kunstfertigkeit zu besingen, beschreibt sie ganz subjektiv ihre eigene Befindlichkeit. Dazu paßt der Wechsel vom hohen Ton vor dem Doppelpunkt zur Umgangssprache danach („schleicht sich", „zermalmt", „behämmert", ,zugeschaufelt"). Dieser kalkulierte Stilbruch gehört bei „Ponkie" ebenso zur Ästhetik wie die zahlreichen Wortneuschöpfungen, gewagten Metaphern und ungewöhnlichen, oft monströsen Komposita, beispielsweise am Schluß der zitierten Rezension: „Dieses doppelbödige Blut- und Ekel-Theater stülpt die weltlichen und kirchlichen Ausbeutertraditionen zu einem gewaltigen Historienmüll übereinander, jagt sie durch eine Performance-Kunstgalerie voller Signale des Wiedererkennens. Doch Greenaways Manierismus steigert sich schließlich in eine rart-pour-rart-Völlerei des pompösen Exhibitionismus, in der eine Anspielung die andere erschlägt. Klerikales Theater-Barock: schwarze Gedanken, rote Gelüste." Doch was auf unterhaltsame Originalität zielt, gerät oft selbst zum manieristischen Rezensions-Barock, zur Komposita-Völlerei, Adjektiv-Schwelgerei und zu einer Parforce-Jagd nach Metaphern und Neologismen, in der eine Anspielung die andere erschlägt. Regel ist in der Abendzeitung die einfache, verständliche Sprache im Kulturteil, die ungewöhnlichen und gewagten Wortschöpfungen und -Zusammensetzungen haben den Status einer Marotte. 7.2.1.5 Satztänzer mit Dreitagebart .Julie im Sessel, nachmittags, am geöffneten Fenster. Sie ist allein, erschöpft, verlassen. Sie schläft. Ein Tagtraum. Da bricht Musik über sie herein. Trompeten, Posaunen, Geigen, ein Wolkenbruch in Moll. Dazu das Licht, grell wie ein Hieb: tönendes Blau. Julie im

236 Schwimmbad, nachts, Wochen später. Sie krault zum Beckenrand, zieht sich hoch, da schlägt die Musik noch einmal zu. Eine blaue Fanfare. Ein Lichtgebrüll. Julie sinkt zurück, wie von einer Salve getroffen. Sie läßt sich treiben, taucht den Kopf unter Wasser, um nichts mehr zu hören von dem Gedröhn." (Die Zeit vom 4. November 1993).

So beginnt Andreas Kilb seine Rezension von Krysztof Kieslowskis Kinofilm „Drei Farben: blau". Der ganze Beitrag ist ein ausgeprägtes, aber keineswegs untypisches Beispiel für das Ze;7-Feuilleton. 16 Sofort fallen syntaktische Charakteristika auf: Auflösungen der Klammerstruktur (,Julie im Sessel, nachmittags, am geöffneten Fenster"), Ellipsen (sehr häufig sind die Verben ausgelassen), Isolierungen von Satzgliedern (im zitierten Auszug lediglich die Appositionen „Trompeten, Posaunen, Geigen, ein Wolkenbruch in Moll" und „Eine blaue Fanfare", in anderen Texten jedoch auch Verben und obligatorische Ergänzungen). Typisch ist auch die Kürze der Sätze, die Häufigkeit von übersichtlichen SubjektPrädikat-Objekt- Wortstellungen und die geringe Einbettungstiefe (kaum Hypotaxen). Doch unterscheidet sich diese Einfachheit von der Schlichtheit der BildSätze. Die kurzen, grammatikalisch unvollständigen Hauptsätze hecheln nicht im berüchtigten Asthmastil daher, sondern bilden einen fließenden Rhythmus und sind ohne Atemnot laut lesbar. Die verkürzten Einheiten sind gleichsam kleine Schritte eines sprachlichen Tanzes, der Sound ist rhythmisch, die Melodie hart punktiert (durch das entsprechende Satzzeichen). Sätze und ganze Absätze sind parallel gebaut, spielen Variationen durch, bilden Reigen, kreisen um Themen. Die strenge Struktur ermöglicht das Herstellen von Sinnzusammenhängen, ohne diese plump zu benennen. So bietet die wohlkomponierte Schrittfolge des Satztanzes auch (intellektuelles) Vergnügen. In einem anderen Bild: Die kurzen Sätze sind exakt geschnittene Stoppeln eines seinerzeit modischen Dreitagebartes. Typisch für Die Zeit sind über die Rhythmisierung hinaus lyrisierende Neologismen wie „tönendes Blau" oder „LJchtgebrüll" und in Marmor gemeißelte Sentenzen wie am Schluß der Rezension: ,Aber wir wollen nicht sehen, was wir glauben. Wir wollen glauben, was wir sehen." Man kann das Beschriebene unter dem Stichwort Literarisieren zusammenfassen. Der Status dieser Spielart des Feuilletonisierens ist nicht eindeutig. Die untersuchten Texte sprechen dafür, daß dieser Stil im gesamten Feuilleton konventionell, bei filmjournalistischen Beiträgen sogar regelhaft ist. Hier ist die sprachliche Einheitlichkeit - auch bzw. gerade bei Freien Autoren - auffallend groß. 16

Beleg dafür ist die Parodierbarkeit dieses Stils, wie sie Biller (1991: 203) unter Beweis gestellt hat.

237

7.2.1.6 Stories zwischen Pathos und Lakonie „Der Spiegel soll nach gewissen einheitlichen Richtlinien geschrieben sein." So verlangt es das bis heute gültige Spiegel-Statut von 1949. 17 Vorgeschrieben sind darin unter anderem: ein attraktiver Einstieg („Im ersten Satz liegt der Anreiz zum Lesen"), eine Schlußpointe, eine schlichte Syntax („Der Hauptsatz soll vorherrschen"), originelle Formulierungen („Abgedroschene Phrasen und billige Gebrauchsformeln sind verboten", der Schreiber soll „nach eigenen, zutreffenden, dabei knappen und präzisen Formulierungen suchen") und einprägsame Überschriften. Musterbeispiel für Sprache und Beitragsformen des Spiegel ist eine Magazinstory über den Sänger Iggy Pop. Basis ist ein Interview mit dem Star, das in einer Hotelhalle geführt wurde. Schreiber Thomas Hüetlin dokumentiert nicht das Frage-Antwort-Spiel, sondern läßt Reportageelemente dominieren. Zitate werden in Beschreibungen und Erzählungen integriert. Ein Auszug: „Und so rutscht er aufgeregt auf dem rosa Empire-Sofa dieses französischen Nobelrestaurants herum und schneidet mit seinem Eßbesteck die Luft in Streifen: 'All diese kleinen Scheißer', schreit er in den Saal, 'die da denken, sie sind verdammt cool, die denken, sie sind Rock'n'Roll, diese kleinen Idioten mit ihrem verdammten MTV, die werden sich noch wundern, weil ich immer noch dasein werde, wenn sie selbst als verdammte Asche in ihren verdammten Urnen liegen.' Sein Kopf kracht in den Nacken. Iggy Pop lauscht dem Echo seiner Worte. Lautes Gelächter folgt. Und große Freude, daß er noch so gut mit so bösen Worten herumspielen kann." (Spiegel vom 29. November 1993).

Neben gelungenen Passagen finden sich auch immer wieder krampfhaft literarische Sätze wie: „Seine blauen Raubtieraugen blitzen, seine dünne, ledrige Haut spannt sich über die Backenknochen". Das ist sogar unter dem üblichen Magazinstory-Niveau und in seiner Klischeehaftigkeit schlichte Kolportage. Festzuhalten bleibt jedoch: Das Interview selbst wird in Szene gesetzt und ist der rote Handlungsfaden. Daran aufgehängt werden einzelne Informationsblöcke über die Karriere Iggy Pops, chronologisch geordnet und so weit wie möglich dramaturgisch aufbereitet. Drei Beispiele, drei Mikrostories: „Er war 16 Jahre alt, saß frisch gewaschen und sauber gekämmt im Schulbus, und draußen fiel der Schnee vom Himmel über Michigan. Das Radio spielte 'Louie, Louie' von den Kingsmen, und diese zweieinhalb Minuten, sagt er, haben sein Leben geändert." „Jahrelang konnte er kaum schlafen, aber wach war er deswegen noch lange nicht, und der Nebel um ihn zerriß nur manchmal, wenn ihm ein Drogendealer eine Pistole an die Schläfe hielt oder ein Freund das Auto zurückhaben wollte, das er längst vor einen Baum gesetzt hatte."

In Brawand 1987: 229-232.

238 „Lange Zeit glich seine Karriere einem Sturmlauf ins Nichts, einer Rebellion, die erst richtig und gut fürs Geschäft, dann irgendwann einmal außer Kontrolle geraten und schließlich nur noch ein kaputtes Leben war. 'Iggy ist nur noch eine Leiche auf Urlaub. Hahaha', flüsterten sich die Bosse der Plattenfirmen Anfang der achtziger Jahre zu. Aber die Vehemenz, mit der er gestartet war, und sein langsames Scheitern machten aus dieser lächerlichen Figur auch eine Legende, ein Symbol fürs wilde Leben, das in Tragik mündet, aber nicht zu Ende gehen will. Wie der Boxer Jake La Motta in Martin Scorseses Film 'Raging Bull' wartete Iggy Pop auf den Schlußgong, obwohl der Kampf vorüber und die meisten Zuschauer längst woanders hingewandert waren."

Hier wird zwar einerseits distanziert über die Legendenbildung berichtet, zugleich aber an eben dieser mitgewirkt: durch die Kolportage einer Legende im Legendenton (erstes Zitat), durch Anekdoten (zweites Zitat), durch große Worte und Formehl wie „Sturmlauf ins Nichts" oder „wilde Leben, das in Tragik mündet" sowie durch Vergleiche mit (Anti-)Helden wie der Hauptfigur in einem bekannten Film bzw. aus dem Boxer-Milieu, also aus einer Welt, die früher nicht als literaturfähig galt und durch amerikanische Schriftsteller dieses Jahrhunderts erst etabliert wurde. Das Boxer-Bild mit dem pathetischen „Schlußgong" könnte von Raymond Chandler, Dashiell Hammet oder den Beat-Poeten sein. Die Sprache dieser Spiegel-Story ist die zwischen Pathos und Lakonie, zwischen Heroismus und Melancholie, zwischen offensichtlichem Literaturanspruch (Metaphern, Rhythmus, prätentiöser „und"-Gebrauch etc.) und scheinbarem Literaturbruch (Bildbereich der Metaphern, umgangssprachliche Ausdrücke, respektlose Wendungen wie „lächerliche Figur" oder „wandelnder Giftschrank" etc.) hinund herschwingende Stil amerikanischer Krimis. 7.2.1.7 Steno-Poesie und Mini-Dramen Eine Ästhetik ganz eigener Art hat die Illustrierte Bunte entwickelt - und zwar in zwei Varianten. Da ist zum einen die „Rezension" in Steckbrieffonn. Auffallendstes Merkmal ist die schematische Gliederung durch Doppelpunkte und Fragezeichen. Davor stehen Stichworte beziehungsweise Fragen wie Überschriften, stets durch Fettdruck hervorgehoben. Roter Faden durch den solchermaßen zerhackten Text ist stets eine Person. Sämtliche längeren Bunte-Texte sind in dieser Weise personalisiert. Musterbeispiel ist der Beitrag „Eastwood oder Das Phänomen der alterslose Mann" mit der den inhaltlichen Schwerpunkt vorgebenden Unterzeile „Wie erotisch kann ein Mann mit 63 Jahren noch sein? Die beste Antwort sehen Sie z.Z. im Kino: Clint Eastwood hi 'Die zweite Chance'"

239 (Bunte vom 4. November 1993). Im Telegrammstil erfolgen zunächst biographische Angaben zum Schauspieler Clint Eastwood. Das ist zwar kein besonders attraktiver Einstieg, doch Bunte-Leser wissen, daß die Steckbriefform im weiteren Verlauf des Textes aufgeweicht wird durch Soft-Infos. Die Sprache läßt sich im Stil des Blattes so beschreiben: Syntax: zerhäckseh zu Wortfetzen, zerschreddert zu Bruchstücken, zertrümmert zur Auffiillmasse immer neuer Stenogramme. Wortschatz: umgangssprachlich bis hemdsärmelig (,Nimmt man ihm den 'neuen Eastwood' ab? Voll" Oder: „Wollen die Amerikaner den 'neuen Eastwood' sehen? Und wie." Oder: „Sie ist genervt von seiner Macho-Anmache" und „Wie kriegt er sie nun?") und ohne Hemmungen vor pathetischen Klischees („Denn er steht zu seinen Falten und zu den Narben auf seiner Seele."). Ziel ist offenbar eine lesernahe Schreibe. Durch Umgangssprache und Fragen soll die Perspektive der Leserinnen und Leser eingenommen werden, durch Telegrammstil und Klischees die als leserfreundlich geltende Kürze erreicht werden. Inhaltlich kommen zu dieser Spielart des Feuilletonisierens noch die Strategien des Personalisierens (durch den Schauspieler als roten Faden des Beitrags) und des Emotionalisierens (zum Beispiel durch Sätze wie „Er weint zum erstenmal vor der Kamera.") hinzu. Eine zweite Variante des Feuilletonisierens im Bunte-Stü findet sich in einem kurzen Nachruf auf den jungen Filmschauspieler River Phoenix in der Rubrik „Leute von gestern" unter der ebenso originellen wie geschmacklosen Überschrift ,,Phoenix in der Asche". Der vollständige Text: „So ein schöner Name. So ein schöner Junge. Und so ein unschöner Tod. 8 Minuten lang schlug sein Kopf auf das Pflaster von Beverly Hills, seine Beine, seine Knochen, alles zuckte. Anruf bei der Polizei: 'Kommen Sie schnell. Mein Bruder stirbt. Er hat Valium genommen, oder sowas.' Vermutlich war es Valium und Kokain. Böses Ende einer taufrischen Legende. River Phoenix, 23 ('My Own Private Idaho'), der neue James Dean Hollywoods, galt als Saubermann der Szene. Vegetarier, umweltbewußt und drogenfrei. Tödlicher Irrtum." (Bunte vom 11. November 1993).

Auch hier fallen wieder die typischen Sätzen im Häckselstil auf, nahezu verbfrei, dafür klischeestrotzend („schöner Junge", „taufrische Legende", „der neue James Dean Hollywoods", „Saubermann"). Diesmal jedoch ist der Text nicht nur im nüchternen Telegrammstil geschrieben, sondern stark rhythmisiert durch anaphorische Parallelismen (vor allem Anfang) und mit einer erzählten Szene (der Todeskampf in Nahaufnahme) zum Mini-Melodram hochgereizt (was rhetorisch als evidentia bezeichnet wird). Mit anderen Worten: So ein hymnischer Einstieg, so ein durchkomponierter Text, und so ein geschmackloser Todes-Voyeurismus.

240 „Ich glaube an den Roman in neun Zeilen", zitierte Der Spiegel 1992 (Nr. 8) den damaligen Ä/wte-Chefredakteur Franz Josef Wagner und nannte ihn ob seines Stiles „Klatschdichter" und „Steno-Poet". Der so Bezeichnete lege zudem selbst Hand an die Computertastatur: „keine andere Zeitschrift wird von ihrem Redaktionschef so heftig von vorn bis hinten durchstilisiert wie die Münchner Burda-Gazette. An fast allen Texten, an fast jeder Bildunterschrift feilt Wagner eigenhändig herum, er schreibt selbst, schreibt neu, schreibt um." Der SpiegelArtikel zeigt, daß hinter den hier beschriebenen Beispielen eine Strategie steckt, die der Chef notfalls eigenhändig oder mit Sanktionen durchsetzt und die daher den Status einer Regel besitzt. 7.2.2

Ressortspezifische Spielarten

Die Vielfalt der vorgestellten Stile zeigt, daß von einer Sprache des Feuilletons keine Rede sein kann. Profile sind nicht ressort-, sondern am ehesten organ-, teilweise sogar verfasserspezifisch. Beitragsformen spielen dabei lediglich quantitativ eine Rolle. Sie prägen keine eigenen Stile, sondern geben einen mehr oder minder großen Spielraum zur sprachlichen Gestaltung. Charakteristisch für den Kulturteil sind allerdings einige Praktiken des Feuilletonisierens, also nicht Stilmittel, sondern Stilmuster. Vier sollen hier näher beschrieben werden. 7.2.2. l Dichtung - Das semantische Komprimieren Das Wort „Dichtung" hat zwar keine etymologische Beziehung zu „Verdichten", wohl aber eine inhaltliche. Denn viele poetische Verfahren fuhren zu dem, was als „semantische Dichte" bezeichnet wurde: „Semantische Dichte findet sich am auffälligsten und häufigsten in lyrischer Dichtung und Werbesprache [...] Auf die gleichen Merkmale werden wir aber auch mit großer Regelmäßigkeit im Aphorismus und - seltener- in journalistischer und politischer Sprache, in Buchtitel und im Witz treffen; kurz: überall dort, wo ein Text nicht nur auf nüchterne Information abzielt, sondern gefallen, beeindrucken und wirken will." 18 Semantische Dichte ist beschreibbar und zeichnet sich aus durch eine Fülle von „semantischen Relationen" 19 (auf engstem Raum). Entsprechend soll das Knüpfen dieses Beziehungsnetzes semantisches Komprimieren heißen (analog zur syn18 19

Blumenthal 1983: X. Ebd.: 3.

241 taktischen Komprimierung etwa durch einen Nominalstil). Gegen eine additive Auffassung bei Blumenthal, die sich aus dessen Nähe zum Strukturalismus erklärt, vertritt Sandig die integrativ-kommunikative Sicht: ,,'Semantische Dichte' entsteht also in der Verwendung charakteristischer Strukturen, die nicht nur additiv 'ein die eigentliche Information überlagerndes Netz von Assoziationen' (Blumenthal 1983, 12) bilden, sondern die 'Information' (Handlung und Handlungsinhalt) wird in dieser Struktur gegeben."20 Die Mittel der semantischen Komprimierung sind vielfältig und reichen von rhetorischen Tropen und Figuren wie der Metapher über Anspielungen bis zum gezielten Abweichen von erwartbarer Wortwahl21, bei dem sich das Mehr an Inhalt aus der Relation von Konvention und Realisierung ergibt22. Die Informationen stehen zwischen den Zeilen.23 Das heißt: Die Äußerungen werden nur ganz verstanden, wenn Hintergrundwissen der im Vordergrund stehenden Formulierung gleichsam Tiefenschärfe verleiht. Das gilt auch für Abwandlungen von Redewendungen und Sprichwörtern. Ein geradezu feuilletonspezifisches Mittel der Komprimierung ist eine vordergründige Erweiterung. Adjektive werden Nomen hinzugefugt und zwar in ungewohnten Verbindungen. Der Sinn (manchmal auch der Unsinn) ist dabei mehr als die Bedeutungssumme beider Wörter. Beispiele sind der „eklektische Beweger" als Kennzeichnung für den Regisseur (Sinn) und die „obsessive Allianz von Tod und Sexualität" (eher Unsinn) aus der /?Mrafcc/ja«-Rezension (siehe 7.2.1.3). Mit dem Ausdruck „Beweger" wird ein Begriff der mittelalterlichen Diskussion um die sogenannten Gottesbeweise aufgenommen, in der Gott als „unbewegter Beweger" bezeichnet wurde. Darauf spielt der Rezensent an und charakterisiert den Regisseur so als Schöpfer, dessen Alknacht durch das Adjektiv das Moment des Willkürlichen erhält. Ist diese Komprimierung inhaltlich nachvollziehbar, so kann für die Wahl des Ausdrucks „Allianz" kein sachliches Motiv gefunden werden. Das Wort wird in der Regel nur zur Kennzeichnung institutioneller Zusammenhänge verwendet. Für die Beziehung von Tod und Sexualität, Thanatos und Eros, läuft diese Anspielung, so sie denn eine sein soll, 20 21 22

23

Sandig 1986: 104. Vgl. zum Stilmuster .Abweichen" Püschel 1985. Blumenthal (1983: 3) bezeichnet dies als „paradigmatische Relation" im Unterschied zur syntagmatischen zwischen verwendeten Wörtern. Vgl. auch Sandig (1986: 101-114) und das Kapitel „Hintergründige Satzinhalte" bei von Polenz (1985: 298-327). Entsprechend nennt von Polenz seine „Deutsche Satzsemantik" von 1985 im Untertitel auch „Grundbegriffe des Zwischen-den-Zeilen-Schreibens".

242 jedoch ins Leere. Weitere Mittel der semantischen Verdichtung in der FR-Rezension sind: die Anspielung auf Wittgenstein (siehe 7.2.1.3), die Metaphorisierung (das Medizinische durch „Chirurg", „Narkose", „Pathologie"; das Kulinarische durch „verdaut", „Gourmet", „deftige"), die Kennzeichnung durch Personen der Geistesgeschichte („Proteus"), die jeweils einen weiten Hintergrund eröfihen, und Verwendungen bekannter Formeln in ungewohnten Zusammenhängen („aoch Herr im Haus"). Im Text der Münchner Abendzeitung findet sich neben dem beschriebenen Adjektivgebrauch („schwarze Gedanken" spielt auf Kleriker, schwarzen Humor und wohl auch auf schwarze Magie an) häufig ähnlich komprimierte Komposita („Blut- und Ekel-Theater", „Historienmüir, ,4'art pour Part-Völlerei" - alles Neologismen) und Verdichtungen nach dem Vorbild der Genitivmetapher („Part pour l'art-Völlerei des pompösen Exhibitionismus"), die dann auch wie Bilder schief sein können (wie das zitierte Beispiel). Da kippt die angestrebte Stilwirkung des Geistreichen ins Gegenteil. 7.2.2.2 Journalismus für Genießer - Das Kulinarisieren Neben den Verfahren des semantischen Komprimierens zeichnen sich viele Beiträge durch Stilmittel aus, die nicht nur unter anderem, sondern primär Freude an der Formulierung ausdrücken und an der Lektüre bereiten, die geistreich unterhalten und intellektuell vergnügen. Sie erfüllen das kulturjoumalistische Qualitätsprinzip des Kulinarischen, der Unterhaltsamkeit auf gehobenem Niveau. Die entsprechende Praktik soll daher - und um das Spezifische hervorzuheben — mit dem Neologismus Kulinarisieren benannt werden. Sie ist eine Spielart des Feuilletonisierens (zuweilen wird sie mit der ganzen Strategie identifiziert) und wird insbesondere realisiert durch Ironie, Pointen, Wortspiele und Anspielungen, durch scharfsinnige Aper9us und scharfzüngige Sottisen, lakonische Eleganz und gewitzte Polemik. Das Kulinarisieren gehört zum Kulturjournalismus, solange es das Feuilleton als Ressort gibt - und teilweise schon länger. Lediglich die ersten Rezensionen im 17. und 18. Jahrhundert waren noch wenig unterhaltsam. Sie erschienen unter der Rubrik „Gelehrter Artikel", waren überwiegend von Universitätsprofessoren geschrieben und lasen sich auch so. Doch schon in den bürgerlichen Kulturzeitschriften des 18. Jahrhunderts und erst recht in den ersten Feuilletonteilen zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das Unterhalten ein Hauptziel, wie exemplarische Analysen und programmatische Äußerungen belegen. Durch kurzweilige Darbietung sollte ein größeres Publikum erreicht und gebildet werden. Un-

243

terhaltung bedeutete bei Rezensionen stets etwas anderes als bei Anekdoten oder Witzen, nicht Ablenkung und Zerstreuung, sondern Anregung und kulinarischer Genuß. Sie erfüllten eine Aufgabe, die Rhetoriker „delectare" nennen. 7.2.2.3 Kirnst der Kunst - Das Ikonisieren Eine zentrale Traditionslinie in der Geschichte des Kulturjournalismus ist die Forderung, daß das Schreiben über Kunst selbst Kunst sein müsse. Am deutlichsten ist dies sichtbar bei der Literaturkritik, dem Schreiben über das Schreiben. Eine genaue Nachzeichnung ist hier nicht möglich und auch nicht nötig, da zu diesem Aspekt der Ressortgeschichte mehr Literatur als zu jedem anderen vorliegt. 24 An dieser Stelle genügen einige Zitate, die in kaum einer Abhandlung zum Thema fehlen. Als erster wird meist Friedrich Schlegel angeführt. In seinem 117. Lyceums-Fragment heißt es: „Poesie kann nur durch Poesie kritisiert werden. Ein Kunsturteil, welches nicht selbst ein Kunstwerk ist [...] hat gar kein Bürgerrecht im Reiche der Kunst." 25 Ferner bleibt Alfred Kerrs Bestimmung der Kritik als vierter Form der Dichtung selten unerwähnt: „Dichtung zerfällt in Epik, Lyrik, Dramatik und Kritik."26 Auf den Punkt bringt die Traditionslinie Ernst Robert Curtius mit folgender Definition: „Kritik ist die Literatur der Literatur. Oder deutlicher: Kritik ist die Form der Literatur, deren Gegenstand Literatur ist."27 In die Reihe gehören auch die Vertreter so unterschiedlicher Richtungen wie des New Criticism (z.B. J.E. Spingam, Ivor Armstrong Richards, John Crowe Ransom) und des Deskonstuktrvismus (z.B. Jacques Derrida, Paul de Man und Geoffrey H. Hartman, der explizit auf Schlegel und auch den New Criticism Bezug nimmt), die eine Auflösung von künstlerischer Sprache in Begriffe für unmöglich halten und entsprechende Versuche in Literaturwissenschaft wie -kritik daher ablehnen, statt dessen eine Literarisierung fordern. Ein Spezialfall des Literarisierens liegt vor bei einer „Ahnlichkeitsstruktur" zwischen Darstellung und Dargestelltem. 28 Bezeichnet wurde diese Technik als

24 23 26

27 28

Beispielsweise Hohendahl 1985. Schlegel 1967: 162. Kerr 1917: VI. Die hybride Definition steht bezeichnenderweise in Kerrs Einleitung zu seinen Gesammelten Schriften. Vgl. die Analyse der „Ästhetisierungsstrategie" in Kerrs Rezensionspraxis bei Hohendahl (1985: 227-234). Curtius 1954: 32f. Sandig 1986: 105-107, 208-210. Dort auch anschauliche Beispiele.

244

„Ikonisieren" von Texten.29 Sie ist eine traditionelle Spielart des Feuilletonisierens, die noch über das Kulinarisieren hinausgeht. Die Motive für ihre Anwendung liegen einerseits in der doppelten Information: Man kann beim Ikonisieren durch Inhalt und zugleich durch die Ausdrucksweise etwas mitteilen. Noch häufiger dürfte jedoch die Vorstellung leitend sein, nur durch Nachahmen dem kulturellen Objekt gerecht werden zu können - ein Ideal, das wohl das Feuilleton als einziges Ressort charakterisiert. Ein Ikonisieren der Sprache im Politikteil würde als unkritische Übernahme unverständlichen Bürokratendeutschs gelten. Auch würde ein Mangel an journalistischer Arbeit und Distanz vorgeworfen werden, während das Ikonisieren im Kulturteil sehr aufwendig ist und keineswegs Ausdruck fehlender Distanz sein muß. Ein Beispiel für das Ikonisieren ist die in Auszügen zitierte Rezension des Kieslowski-Films in der Zeit. Verfasser Andreas Kilb hält das für gegenstandsgerecht: „Filmkritik ist in ihren besten Momenten mimetisch, nicht abstrakt; sie übersetzt einen Film so, daß ihre Begriffe, die sie ausspart, von selbst evident werden."30 Programmatisch: „Was Filmkritik an Erkenntnissen zu transportieren hat, das muß sie erzählen, statt es bloß zu sagen; das heißt, der Filmkritiker muß seine Erzählung in die erzählte Handlung hinein projizieren, statt sie aus ihr herauszulesen und irgendwo getrennt abzulegen. Filmwissenschaft in Analyse, Trennung; Filmkritik eher Synthese, Ganzheit, Emotion."31 Und in Abgrenzung zu den namentlich genannten Kollegen der Frankfurter Rundschau geraten auch die Leserinnen und Leser in den Blick: „Dieses Stilideal ist begrifflich-analytisch, akademisch-traditionell, stellenweise hermetisch und nicht frei von Herablassung. Dagegen setzen wir eine emphatische Schreibweise, die sich nicht auf ein vorgängiges ideologisches Einverständnis des Lesers verläßt, sondern eher auf seine Sympathie, den Mitvollzug dessen, was der Text nahelegt; die ihn nicht belehren, sondern eher bewegen und zur Erkenntnis überreden will. Gegen die begriffliche Analyse setzen wir die Analyse durch Narration. Das entspricht 29

30 31

Bei Kloepfer (1975: 100-124) als „poetisches Verfahren" mit dem Ziel des „Erlebbarmachens" beschrieben. Der aus der Semiotik stammende Ausdruck soll hier seiner Kompaktheit wegen und mangels Alternative übernommen werden, allerdings weiter verwendet werden und die „Kookkurrenz" einschließen. Darunter versteht Kloepfer die Ähnlichkeit von Form und Inhalt (z.B. bei Onomatopoetika wie „Kuckuck"), während bei der „Ikonisierung" Form und Inhalt so aufeinander abgestimmt (Ähnlichkeit ist eine von vielen Relationen) sind, daß über den Inhalt hinaus etwas ausgedrückt wird. Kilb 1990: 193. Ebd.: 192f. Mit dem Begriff „Erzählung" greift Kilb eine Kategorie von Derrida auf.

245 unserer Erfahrung, daß das Wesentliche am Kino sich durch Abstraktion nicht fassen läßt." 32 Kilb will also Erkenntnis (keineswegs nur Gefühle) nicht schlicht mitteilen, sondern evozieren. Dazu dient das Dconisieren, das zudem als filmgerecht legitimiert wird. Ein anderer prominenter Filmkritiker, Norbert Grob, hat dies Verfahren im Lob eines Pioniers der Filmkritik und -theorie auf den Punkt gebracht: „Wenn es so etwas gab und gibt wie ein Vorbild, dann: Bela Balazs. Der erzählte seine Auffassungen vom Kino. Er gliederte sie in kleine Aspekte und fügte sie rhythmisch zueinander. Er kadrierte und montierte quasi — um sein Denken filmisch zu formen."33 Was Grob von Balazs übernehmen möchte, ist die filmgerechte Komposition der Rezension. Ikonische Beitragsstrukturen sind un untersuchten Material allerdings erstens selten und zweitens nicht bei allen Kultursparten vorstellbar. Wie sollte ein Text etwa die Struktur eines Gemäldes, einer Skulptur, eines Bauwerkes oder einer Ausstellung zur Alltagsgeschichte nachahmen? Am häufigsten wird im Sample ikonisiert durch das, was in Kap. 2.2.2.5 Ton und Färbung genannt wurde. Markante Beispiele sind die barocke Färbung durch Satzbau und Lexik in der Rezension aus der Stuttgarter Zeitung und der lakonisch-schnoddrige Ton im Spiegel-Porträt von Iggy Pop. 7.2.2.4 Von literarischen Kutschfahrten und Feen - Das Fiktionalisieren Vier kluge Menschen unterhalten sich und damit andere, indem sie über zeitgenössische Literatur debattieren. Doch im Gegensatz zum Literarischen Quartett des ZDF, bei dem sich die Gesprächsteilnehmer zwar medienwirksam inszenieren wie Schauspieler, aber als Marcel Reich-Ranicki, Hellmuth Karasek, Sigrid Löffler und Gast aus Fleisch und Blut bestehen und sich auf Verlangen mit einem gültigen Paß ausweisen könnten, sind die Diskutanten des anderen literarischen Quartetts frei erfunden. Sie flimmern nicht mit markanter Physiognomie via Bildschirm in Millionen von Wohnzimmern, sondern werden erst 'm der Phantasie einer kleinen Schar von Lesern zum Leben erweckt. Ihre Bühne ist nicht ein mit Technik vollgestopftes Studio des ausgehenden 20. Jahrhunderts, sondern eine Kutsche des sich zum Ende neigenden 17. Jahrhunderts. Ihr Schöpfer ist der Leipziger Universitätsprofessor Christian Thomasius, der dadurch berühmt wurde, daß er als erster Vorlesungen auf deutsch hielt und 1688 in seiner Zeitschrift „Monatsgespräche" vier Reisende über Belletristik diskutie32

33

Ebd.: 195. Grob 1990: 226.

246

ren ließ, auch dies erstmals in der Sprache des Volkes. Die überlieferten Beispiele 34 zeigen Witz im damaligen und heutigen Sinne, geistreiche Situationskomik in den Dialogen und vor allem respektlose Pointen und bissigen Spott. Die Rollen mit unterschiedlichen Literatumormen waren geschickt auf die vier Personen verteilt. Das erlaubte eine für die Zeit ungewohnte Deutlichkeit und Schärfe des Urteils. Natürlich blieb die öffentliche Empörung nicht aus. Thomasius sah sich schon nach wenigen Ausgaben gezwungen, die Fiktionalisierung aufzugeben. Er teilte seinen Lesern mit: Persönliche Verletzungen und Mißverständnisse „haben mich veranlasset, dieses Jahr hindurch meine Gedancken nicht in Form eines Gesprächs zu continuiren, sondern allezeit wie die bißherigen Journale des scavans, die in Holland, Frankreich und allhier zu Leipzig nun etliche Jahre her publiciret worden, zu thun gepflogen, über ein gewisses Buch, das dieses oder voriges Jahr herausgekommen, einen Discurs zu formiren." Allerdings besteht Thomasius auf dem Prinzip der Kritik. Er wolle weiter urteilen und zwar „mehr eine deutliche und durch genügsame Ursachen gegründete Censur, als schmeichlerisches Lob" verteilen. Thomasius bekannte sich zur eigenen Subjektivität in Urteil wie Auswahl: „sondern ich bin nur gesonnen über etliche Schrifften [...] meine unmaßgeblichen Gedancken dem Leser mitzutheilen, und zwar dieselben eintzig und alleine nach meinem eigenen Gefallen außzukiesen, und mich dißfalls zu keines Menschen Sclaven zu machen"3S. Die Fiktionalisierung bei Thomasius fand viele Nachahmer. Die Zeitschriften in dieser Tradition trugen programmatische Titel wie: „Monathliche Unterredungen einiger guten Freunde von allerhand Büchern und anderen annehmlichen Geschichten, allen Liebhabern der Curiositäten zur Ergötzlichkeit und Nachsinnen herausgegeben von U.B." (Leipzig 1689), „Freymüthige, jedoch Vernunftund Gesetzmäßige Gedancken über allerhand, fumehmlich aber neue Bücher" (Halle 1690) oder „Neue Unterredungen, darinnen sowohl scherz- als ernsthafft über allerhand gelehrte und ungelehrte Bücher und Fragen freymüthig und unpartheyisch raissonniret wird" (Halle 1702).36 Auch die „erzählenden Journale", wie die oft mehrfach aufgelegten „Gespräche in dem Reiche derer Todten" von David Faßmann (Leipzig 1718-1743) 37, gehören dazu. 34 33 36 37

InPrutzl845:298-318. Alle Zitate nach ebd.: 326. Siehe ebd.: 344 und 343. Ebd.: 397-406.

247

Je mehr sich der Tagesjournalismus im 19. Jahrhundert von literarischen Traditionen löste, desto seltener wurden auch solche Fiktionalisierungen. Gleichwohl kommen sie als rare Fundstücke bis heute immer wieder vor. Denn im Kulturjournalismus ist erlaubt, was sonst als unjoumalistisch gilt: das Erfinden von Szenen, Personen und/oder Handlungen. Die Verletzung der Wahrheitsmaxmie in diesem Sinne (nicht zu verwechseln mit falschen Informationen) wird bei der Fiktionalisierung akzeptiert, sofern sie als solche erkennbar ist, weil durch diese Spielart des Feuilletonisierens ein Sachverhalt anschaulich, lebendig und meistens ebenso phantasievoll wie vergnüglich vermittelt wird. Ein einfaches Beispiel aus dem Untersuchungsmaterial ist folgender CD-Tip: „Vor jeder Vollmondnacht klettern Kate Bushs Verehrer in die Bäume, die das Haus der Engländerin umgeben. Sie hoffen, daß Kate mit einem Rudel befreundeter Kobolde an ihnen vorbeitanzen wird. Bisher vergeblich. Zu ihrem Trost hat Kate Bush nach vier Jahren ein neues Album gezaubert, auf dem sie wie eine Elfe singt und wie eine Hexe tanzt. Zudem pflegt sie Freundschaft mit einer Bande böser Trolle, die sich Eric Clapton, Nigel Kennedy und Prince nennen. Diese Gnome treiben immer wieder Schabernack. Doch Kate ist eine mächtige Fee. Und deshalb ist 'Red Shoes' wieder ganz bezaubernd gelungen." (Die Woche vom 11. November 1993).

Der vollständige Text zeigt, daß Fiktionalisierung sehr wohl der Information dienen kann. Das nicht einem engen Wahrheitsbegrüf Entsprechende dieses Tips drückt den Charakter der CD implizit aus, insofern wird hier ikonisiert. Das ist nicht nur eleganter, sondern auch platzsparender als eine explizite Beschreibung. Obwohl die Fiktionalisierung im Feuilleton erlaubt ist und Vorteile bietet38, machen die Kulturjournalisten von dieser Strategievariante nur selten Gebrauch.

7.3

Typologische Aspekte des Feuilletonisierens

7.3. l

Systematisierung der Spielarten

Die Spielarten oder Unterstrategien des Feuilletonisierens können zwar nicht nach denselben Ebenen wie das Popularisieren und Personalisieren inhaltlich systematisiert werden, weil sie alle auf der einen Ebene der sprachlichen Äußerungs38

Vgl. auch das bei Stegen (1993: 179-182) dokumentierte und analysierte Beispiel der nicht nur stilistisch, sondern auch inhaltlich motivierten Fiktionalisierung im Dienste der Ikonisierung in einer Spiegel-Rezension eines Films von Steven Spielberg.

248

formen operieren. Doch diese lassen sich wiederum unter verschiedenen Aspekten betrachten, die sich als Kategorien einer Typologie eignen (vgl. 2.2.2.5): • Lexikalische Strategien sind das Typisieren durch gebräuchliche und das Unikalisieren durch ungewohnte Wortwahl, das semantische Komprimieren durch Wortkomposita und -kontaminationen, das Metaphorisieren und das Ikonisieren durch Wortwahl. • Syntaktische Strategien sind das Rhythmisieren durch Parallelismus, Chiasmus, Anakoluthe etc. und die Anordnung betonter und unbetonter Silben sowie das Ikonisieren durch Satzbau. • Rhetorische Strategien im weiteren Sinne sind auch alle lexikalischen und syntaktischen Strategien, weil Rhetorik Lexik und Syntax voraussetzt. Im engeren Sinne sind zu nennen: das Ironisieren, das Lyrisieren, das Literarisieren in verschiedenen Spielarten, das Kulinarisieren durch Wortspiele und Anspielungen etc. und das Fiktionalisieren. Die formalen Strategien der Kumulation, Synchronisation und Akzentuierung können beitragsintem und -extern realisiert werden. Innerhalb eines Textes kann • als Kumulation das semantische Komprimieren (durch Häufung von Bedeutungsbezügen) beschrieben werden, • als Synchronisation das Variieren oder Wiederholen von Wörtern und/oder Satzkonstruktionen, der Stilbruch (in Wortwahl wie Satzbau) und das Rhythmisieren, • als Akzentuieren das Kulinarisieren, Rhetorisieren, Literarisieren (mit Lyrisieren), Ironisieren, Ikonisieren und Fiktionalisieren. Die Spielarten des Feuilletonisierens werden in einzelnen Beiträgen realisiert. Wirksam und als Blattprofil erkennbar werden sie jedoch erst durch Synchronisation und Kumulation in beitragsexternen Zusammenhängen. Ein zeitungsoder zeitschriftenspezifischer Stil tritt um so deutlicher hervor, je mehr Beiträge hi einer Ausgabe und über mehrere Ausgaben hinweg nach ihm gestaltet sind. Am strengsten ist dies bei Wochenzeitungen und Zeitschriften, deren Stil den Status einer Regel hat. Offener sind die Vorgaben bei Tageszeitungen. 7.3.2

Grundstrukturen des Feuilletonisierens

In diesem Abschnitt sollen die Relationen der Spielarten des Feuilletonisierens genauer betrachtet werden. Nicht beobachtet werden konnten Sequenzzusammenhänge. Die Abfolge der Realisierungen ist nicht durch Konventionen be-

249

stimmt, sondern wird ad hoc entschieden - vor allem nach Zielsetzung des Verfassers. Die wichtigsten Zusammenhänge der Spielarten des Feuilletonisierens sollen hier genannt sein. Hierarchie oder Indem-Zusammenhang: Einige Spielarten des Feuilletonisierens sind gleichsam „ineinander geschachtelt". Sie stehen in einer instrumenteilen Beziehung. Als Beispiele hervorzuheben sind: • Man kann Dconisieren - je nach Gegenstand - durch Literarisieren und/oder Fiktionalisieren. Dieser Indem-Zusammenhang besteht sehr oft, aber nicht immer. Denn das Fiktionalisieren ist auch denkbar ohne Ahnlichkeitsstruktur von Darstellung und Dargestelltem - was allerdings fast schon einer Irreführung gleichkommen würde, weil anzunehmen ist, daß Leser durch Gewohnheit bereits eine ikonische Relevanz der Fiktionalisierung erwarten. • Nicht in 7.2.2 aufgeführt, aber in den Analysen von 7.2.1 mehrfach genannt wurde das Literarisieren als Untennuster des Feuilletonisierens. Es wird seinerseits durch unterschiedliche Unterstrategien befolgt: durch Lyrisieren (siehe 7.2.1.5), durch Techniken amerikanischer Literatur (siehe 7.2.1.6), durch Inszenieren von Mini-Dramen (siehe 7.2.1.7), durch Rhythmisieren 'm allen Formen etc. • Das Feuilletonisieren wiederum kann Untermuster des Personalisierens sein. Der Zusammenhang ist mehrfach gegeben. Erstens heben sich feuilletonisierte Texte durch ein hohes Maß an sprachlicher Gestaltung von anderen Beiträgen ab und sind als Markenartikel bestimmter Verfasser erkennbar (Individualstil). Dadurch kann eine - auch emotionale - Beziehung zu den Adressaten wachsen, und sei es Haßhebe. Zweitens vermag das Feuilletonisieren, direkt zu emotionalisieren und dadurch Leserinnen und Leser zu gewinnen und zu binden.39 Wer die Lektüre genossen hat, greift eher wieder zum selben Blatt und merkt sich vielleicht sogar den Verfasser. Das gilt wohl am wenigsten für das semantische Komprimieren (wegen oft mangelnder Verständlichkeit), am meisten für das Kulinarisieren, jedoch auch für das Dconisieren und Fiktionalisieren. Die Spielart des Kulinarisierens ist noch aus ei-

39

So beschreibt Ueding (1985: 146) als „List des Literaturkritikers": „Zuneigung gewinnen, ergötzen, unterhalten, bewegen, rühren, begeistern, hinreißen; mit Witz und Ironie ein befreiendes Lachen, mit Pathos aber Mitleid und Trauer erregen, den Gemeinsinn gegen seine eigene Trägheit durch geläufige Denkmuster und Vorstellungsmodelle zum Komplizen machen". Vgl. auch Haacke 1952: 296: „Die feuilletonistische Ausdrucksweise schafft Beteiligte. [...] sie nimmt gefangen." Ähnlich Dovifat 1976 II: 107.

250

nem dritten Grund Untermuster des Personalisierens: Das Verstehen von Ironie, Pointen, Wortspielen und Anspielungen setzt jeweils ein hohes gemeinsames Wissen der Kommunikationsteünehmer voraus. Dieses verbindet und verbündet.40 Alternativen bzw. Oder-Zusammenhänge bestehen, wenn Spielarten unvereinbar sind. Das ist der Fall bei: • der unprätentiösen Sachlichkeit der Frankfurter Allgemeinen (siehe 7.2.1.2), der „Ästhetik des Widerstands" in der Frankfurter Rundschau (siehe 7.2.1.3) und der - entsprechend zu bezeichnenden - oft prätentiösen Ästhetik der Anpassung in der Münebner Abendzeitung (siehe 7.2.1.4). • den meisten Varianten des Literarisierens, etwa dem Lyrisieren in der Zeit (siehe 7.2.1.5), der Lakonie amerikanischer Stories im Spiegel (siehe 7.2.1.6) und der Steno-Poesie in der Bunten (siehe 7.2.1.7). Die näher beschriebenen Praktiken des semantischen Komprimierens und Kulinarisierens bilden in Texten meistens einen Komplex oder Und-auch-Zusammenhang, der oft noch durch das Bconisieren und Fiktionalisieren ergänzt wird, wobei das Ikonisieren zu den anderen Unterstrategien in einem Und-gleichzeitig-Zusammenhang steht. Damit sind die wichtigsten und geläufigsten Grundstrukturen des Feuületonisierens aufgeführt.

40

Ähnlich Todorow (1996a) über Ironie in der Tagespresse: „Nicht nur, daß Ironie, um zwischen Zeitung und Leser zur Entfaltung zu kommen, ein gewisses Einverständnis zwischen den Kommunikationspartnern voraussetzt. In der Ironie tritt die Zeitung auch aus ihrer Anonymität, definiert ihre Beziehung zu ihrem Publikum, inszeniert sich selbst. Ironie erlaubt der Zeitung in der Person des Autors oder als Kollektiv aus dem Textablauf herauszutreten und sich sichtbar und kenntlich zu machen."

8. Unterm Strich

8. l

Inhaltliches Resümee mit kritischer Perspektive

Die wichtigsten Ergebnisse sollen abschließend nicht bloß zusammengefaßt, sondern auch aus der Perspektive der doppelten Leitfrage kritisch betrachtet und als inhaltliche Schlußfolgerungen aufgeführt werden. Wie lesergerecht und wie kulturgerecht ist der untersuchte Kulturjoumalisnius mit den analysierten Strategien? Vor der Beantwortung sind die beiden Kriterien zu präzisieren: Der Ausdruck „lesergerecht" kann qualitativ und quantitativ verstanden werden. Im ersten Fall steht die Vielfalt der Geschmäcker und Bedürfhisse im Vordergrund, im zweiten zählt nur die Mehrheit. Das eine ist differenziert, das andere für privatwirtschaftliche Massenmedien realistisch. Obgleich verschiedene Zeitungen und vor allem Zeitschriften je andere Profile haben und zum Teil spezifische Zielgruppen ansprechen, würde der Begriff „lesergerecht" doch unbrauchbar, wenn er heterogenste Partikularinteressen umfassen sollte. Er wird hier daher wie üblich verwendet, nämlich wenn möglichst viele Leser erreicht werden. Aussagen darüber werden per Analogieschluß auf Grundlage vorliegender Studien getroffen. Der Ausdruck „kulturgerecht" wird beschränkt auf den Inhaltsaspekt von Pressekommunikationen und als Prädikat zugesprochen, wenn ein Beitrag informativ im Hinblick auf den kulturellen Gegenstand der Berichterstattung ist. Dazu gehört nicht, was oft als „kulturadäquater" oder „kulturangemessener" Stil bezeichnet wird, etwa eine literarische Sprache in einer Buchrezension. Gleichwohl kann Sprache als mehr oder weniger kulturgerecht bewertet werden: Die Norm erfüllt ein Stil, der Kulturinformationen möglichst verständlich vermittelt.

8.1.1 Zum Kulturbegriff der j ournalistischen Praxis (a) Ein erweitertes Ressortspektrum verengt den Kulturbegriff Die radikale Erweiterung des Kulturbegriffs in den 70er und 80er Jahren (siehe 1.1.2) hat nur schwache Spuren in den Feuilletons der deutschen Presse hinter-

252

lassen (siehe Kap. 3). Vor allem das Spartenprofil ist sehr traditionell. Formen der Alltagskultur werden in der journalistischen Praxis nicht als kulturelle definiert, sondern finden sich in Wochenendbeilagen und Ressorts wie Modernes Leben, Lifestyle oder Gesellschaft. Auch Medienthemen und Naturwissenschaften haben keinen festen Platz im Feuilleton, weil für sie in den letzten Jahren bei immer mehr Zeitungen eigene Seiten eingeführt worden sind. Damit wird eine alte Entwicklung fortgeführt und verschärft. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts „emanzipierte" sich das Reiseressort vom Feuilleton. Es folgten vor allem in den 70er und 80er Jahren die Bereiche Naturwissenschaft und Medien. Die Erweiterung des Ressortspektrums der Printmedien hat mithin zu einer Verengung des Kulturbegriffs der Presse geführt. Das wird der Vielfalt des Kulturlebens, wie sie etwa das Statistische Bundesamt in seiner „Kultur in Deutschland"-Studie dokumentiert hat l , nicht gerecht. Derselbe Befund läßt sich allerdings auch positiv lesen: Die Angst vor einem „Kulturverlust durch Kulturinflationierung", durch die Ausdehnung des Kulturbegriffs auf „Kultiviertheit" (siehe 1.1.3) ist unbegründet, was wiederum als kulturgerecht gelten kann. (b) Die Aufnahme neuer kultureller Subsparten ist nicht abgeschlossen Obwohl die untersuchten Printmedien alltagskulturelle Praktiken nicht als Kultur definieren, haben neue und populäre Kulturformen sehr wohl Eingang in die Kulturteile gefunden. Der Prozeß der Aufnahme ist jedoch noch nicht überall und vollständig abgeschlossen. Der Weg hin zu einer Erweiterung scheint mühsam zu sein. Als Subsparten wurden zwar Comic, Videokunst, Popmusik, Kabarett etc. aufgenommen, haben jedoch noch nicht in allen Organen das Gewicht traditioneller Kulturformen (siehe 4.2.1.4). Allerdings wären Aussagen wie die von Müller-Sachse für sein Material unzutreffend: „Auf diese Weise konstituiert sich im Angebot der Presse eine Erfahrungsstruktur, die immer wieder aufs neue bekräftigt, daß etwa eine Schauspielaufführung im Stadttheater kulturell relevant ist, während an einer Kabarettvorstellung wie selbstverständlich nur die prominenten Besucher interessieren. Oder ein anderes Beispiel: Kein Zweifel, daß Kammerkonzerte kulturelle Praxis sind, wohingegen Rockmusikkonzerte mit Kultur offensichtlich nichts zu tun haben."2 Gerade Kabarett und Pop- bzw. Rockmusik erwiesen sich im hier untersuchten Material als etabliert. Sie und die 1 2

Statistisches Bundesamt 1994. Müller-Sachse 1988: 584.

253

Sparte Film werden keineswegs schlechter behandelt als traditionelle Formen der Kunst- oder sogenannten Hochkultur. Um Anerkennung - vor allem durch die Beitragsform Rezension - kämpfen müssen dagegen weiterhin so unterschiedliche Subsparten wie Comic, Lebenshilfeliteratur, Medienkunst oder Musical, die oft in Berichten und Porträts abgehandelt werden, die in ihrer Betonung des Neuartigen, oft Skurrilen, unfreiwillig erkennen lassen, wie fern ihre Verfasser davon sind, die Subsparten als Kultur zu akzeptieren. (c) Laienkultur bleibt unter einem künstlerischen Schwellenwert Überhaupt nicht als kulturell definieren die untersuchten Printmedien sämtliche Laienkunst (siehe 3.5). Damit wird der größte Teil der kulturellen Praxis ausgeblendet. Feierabendschriftsteller, Hobbymaler, Schultheater, nichtprofessionelle Musiker, eine örtliche Filmwerkstatt und ähnliches kommen in der überregionalen Presse gar nicht vor und in den Regionalzeitungen lediglich im Lokalteil; und dort auch fast nur in Meldungen oder Berichten, nie jedoch in Rezensionen. Die Beurteilung dieses Befundes ist nicht einfach. Einerseits könnte man mit Müller-Sachse kritisieren: „Der Rede wert ist nur das Repräsentative, das Prominente und das Spektakuläre."3 Andererseits sind nun einmal nicht alle Laienaktivitäten auf dem gleichen künstlerischen Niveau wie die von Profis. Und daß ein Schwellenwert künstlerischer Qualität als Selektionskriterium sinnvoll ist, ist kaum zu bestreiten. Schließlich ist nicht für alles Platz, muß ausgewählt werden. Darüberhinaus erheben die Laienkulturschaffenden selbst oft keinen künstlerischen Anspruch. Für viele steht Freude am Ausdruck, Selbstverwirklichung und ähnliches im Vordergrund, so daß eine gestrenge Rezension nicht sachgerecht wäre, wie auch journalistische Lehrbücher betonen. 4 Angemessen wären andere Formen, beispielsweise eine Reportage über eine Probe des Schultheaters, bei der der Spaß an der Kreativität deutlicher hervortreten dürfte als bei der von Nervosität belasteten Premiere.5 Im Sample sucht man solche Beiträge vergeblich, nicht einmal auf den Lokalseiten der Regionalzeitungen sind sie im Untersuchungszeitraum zu finden.

Ebd.: 588.

Beispielsweise La Röche 1995: 157f. Vgl. Reus 1995.

254

(d) Einige Kulturformen erlauben die Integration heterogener Leserkreise Und was wird den Lesern gerecht? Deren kulturelle Interessen und Freizeitgewohnheiten richten sich - soweit Erhebungen vorliegen - auf einen erweiterten, aber keineswegs ins Unkenntliche gedehnten KulturbegrifE Das zentrale Ergebnis einer Repräsentativbefragung der Bundesbürger ist, daß die kulturellen Interessen sich mehr nach Intensitäten als nach Kultursparten bzw. Subsparten unterscheiden lassen. Oder präziser: Je höher das kulturelle Interesse, desto weiter ist es auch, und je geringer, desto enger. 6 Unterschieden wurden ein kulturelles Kernpublikum (12,7 Prozent), Gelegenheitsnutzer (31,2 Prozent), Unterhaltungsorientierte (45,1 Prozent) und Kulturfeme (11,1 Prozent). Für das Kempublikum gilt: „Ausnahmslos alle kulturellen Praktiken und Angebotsformen werden von diesem Typ stark überdurchschnittlich wahlgenommen. Sie sind das Kernpublikum der traditionellen Hochkulturinstitutionen und zugleich die intensivsten Nutzer populärer Angebotsformen."7 Die Gelegenheitsnutzer mit „Überrepräsentanzen in der Altersgruppe der 30-bis 49jährigen" haben keine besonderen kulturellen Präferenzen oder Abneigungen, allein das Kino wird bevorzugt.8 Die Unterhaltungsorientierten mit überproportional vielen Jugendlichen und jungen Erwachsenen (14 bis 29 Jahre) sehen viel fern und haben überwiegend nichtkulturelle Freizeitinteressen: „Kulturelle Angebote außer Haus werden dagegen nur sehr selten und zufällig wahrgenommen. Mit Ausnahme des Kinos gilt das auch für die meisten populären Angebotsformen."9 Die Kulturfernen (eine „stark überalterte und mehrfach sozial deprivierte Bevölkerungsgruppe" 10) sehen viel fern. „Mit dem Kulturbetrieb außer Haus kommen sie so gut wie überhaupt nicht in Berührung." u Die Folgen für die Praxis sind immens: Wenn die einen populäre Kultur nicht stört, den anderen aber fehlt, dann gibt es kein Argument mehr dagegen, Umfang und vor allem Gewicht von Film, Popmusik, Kabarett etc. weiter zu vergrößern (solang dies nicht auf der anderen Seite zur Monotonie fuhrt).

6 7 8 9

10 11

Frank et al. 1991: 354-371. So auch Saxer et al. 1989: 9 und 82. Franketal. 1991:369. Ebd.: 370. Ebd.: 370. Ebd.: 371. Ebd.: 371.

255

(e) Die Segmentierung der Ressorts widerspricht den Leserinteressen Wenig lesergerecht ist nach demselben Befund auch eine Aufteilung der Sparten und Subsparten auf bestehende Ressorts (traditionelle Kultur im Feuilleton und populäre Kultur im Ressort Modernes Leben) oder die Ausgliederung von Sparten wie Film oder Subsparten wie Popmusik aus dem Kulturteil in eigene Ressorts (beispielsweise in „Entertainment"), wie dies in Die Woche, Focus und Stern geschieht. Denn die Segmentierung führt zu einem noch engeren KulturbegrifFin den Feuilletons, vor allem aber trennt sie in E und U, alt und neu. Sie dividiert auseinander, was die meisten Leserinnen und Leser längst als Einheit sehen. Sonderseiten machen als Zusatzangebote Sinn, die Aufsplitterung in mehrere Kulturteile widerspricht aber den erkennbaren Publikumswünschen. Die Integration von unterschiedlichsten Kulturformen in einem Ressort sollte daher um der Leserinnen und Leser willen nicht aufgegeben werden. Daher sind vor allem die Neugründungen Focus und Die Woche in diesem Punkt als nicht adressatengerecht zu bewerten. 8. l.2 Zu Umfang und Gewicht von Kulturjoumalismus (f) Kulturjournalismus hat nach Umfang und Gewicht im Durchschnitt einen hohen Stellenwert, nicht jedoch in den einzelnen Printmedien Der Stellenwert des Feuilletons im Vergleich zu anderen Ressorts kann sich nach absoluten Seitenzahlen wie nach Prozentanteilen sehen lassen (siehe Kap. 4.1). Der Kulturteil ist im Schnitt aller 19 Printmedien jeweils das zweitgrößte Ressort — nach der Politik und noch vor Wirtschaft, Sport und Lokalem. Der Befund wird jedoch ergänzt bzw. präzisiert durch den zweiten Blick. Denn der Kulturteil nimmt in den einzelnen Blättern selten den zweiten Rang ein. Bei den Regionalzeitungen liegt neben dem Politikressort der Lokalteil davor, bei den überregionalen Tageszeitungen der Wirtschaftsteil, bei den Boulevardzeitungen der Sport, bei manchen Organen sogar das Bunte oder Modernes Leben. Dennoch ist festzuhalten, daß von einer Bedrohung des Kulturteils (siehe 1.1.3) für die Mehrheit der analysierten Presseorgane nicht die Rede sein kann. Nur in wenigen Blättern hat die Kultur einen geringen Stellenwert. Das immerhin kann als kulturgerecht gelten, ansonsten ist dieses Kriterium nicht sinnvoll auf Umfang und Gewicht anzuwenden. Und ob die mehr oder weniger Kultur wünschen, darüber liegen keine verwendbaren Studien vor.

256

8.1.3 Zur thematischen Struktur (g) Zwischen den Sparten und Subsparten besteht ein Ungleichgewicht Nach Umfang und Gewicht ergab sich bei den Sparten eine „Zweiklassengesellschaft" (siehe 4.2.1). Zu den großen Fünf zählen allen voran die Literatur, dann Musik, Bildende und Darstellende Kunst sowie der Film Dagegen gehören Architektur, Geistiges Leben (Kunsttheorie, Sprachkritik, Geisteswissenschaftliches, Politische Kultur) und Historisch-Kulturelles (Museen, Gedenktage etc.) zu den kleinen, aber unzweifelhaften Kultursparten. Die Auswertung nach Subsparten (siehe 4.2.1) zeigte, daß die vorliegende Untersuchung eine Momentaufnahme mitten in einem Wandlungsprozeß darstellt. Zwar entspricht das Spartenprofil einem recht engen KulturbegrifF, doch wurde in der traditionellen Sparten eine Erweiterung durch Aufnahme neuer und populärer Subsparten sichtbar. Damit werden die analysierten 19 Printmedien vom November 1993 der kulturellen Vielfalt und den umfassenden Leserinteressen sehr viel mehr gerecht als die 14 Zeitungen Müller-Sachses vom April 1987. Allerdings erhalten die neuen und populären Subsparten noch nicht überall durch Beitragsformen und Plazierung das gleiche Gewicht wie traditionelle. Ihre Etablierung im Kulturjournalismus ist noch nicht abgeschlossen. Hier werden noch in vielen Organen Chancen zur Erreichung neuer Adressaten verschenkt. (h) Bei der dominierenden Sparte besteht ein großes Angebot für wenig Leser Überproportional ist vor allem der Stellenwert der Literatur. Über keine Kultursparte wird so oft und umfangreich berichtet. 950 von 3187 Beiträgen ergeben knapp 30 Prozent nach Häufigkeit und fast 36 Prozent nach Zeilenumfang des gesamten Samples. Das ist nach Anzahl fast und nach Zeilen sogar mehr als das Doppelte der zweitgrößten Sparte. Zur Literatur werden auch die meisten Sonderseiten veröffentlicht und gibt es die einzigen Beilagen. Aufgrund dieses Gewichtes sollen hier nun die Subsparten genauer angeschaut und mit Befunden über Leserinteressen verglichen werden. Für die Studie ,JKommunikationsvemalten und Medien. Lesen in der modernen Gesellschaft" wurden 2121 Bundesbürger befragt, was sie lesen. 12 Demnach 12

Zu Kategorien und Zahlen siehe Saxer et al. (1989: 86). Frank et al. (1991) haben die Leserinteressen nicht nach Subsparten ermittelt, sondern allein die Belletristik untersucht.

257

sind „Unterhaltende Romane/Kurzgeschichten (z.B. Heimat, Liebe, Krimi, Alltagsgeschichten, Humor)" mit 64, l Prozent am beliebtesten. Sehr häufig wurden auch „Sachbücher, Ratgeber, Hobbybücher (aus den Bereichen Umwelt, Natur, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, Sport, Gesundheit, Kochen)" mit 56,3 Prozent genannt und „Lexika, Nachschlagewerke" (auch Reiseführer) mit 49,6 Prozent sowie „Schul-/Lehr-/Fachbücher" mit 43,6 Prozent. Immerhin auf über ein Drittel (33,8 Prozent) kommt die „Moderne, zeitgenössische oder klassische Literatur". „Bild-/Kunstbände" lesen nach eigener Angabe 18,1 Prozent, „Kinder-/Jugendbücher" 12,2 Prozent. Erstaunlich unbeliebt sind „Biographien" mit nur 0,4 Prozent. Eine andere Statistik liefert jährlich der Börsenverein des deutschen Buchhandels mit den Umsatzzahlen des Sortimentsbuchhandels. Demnach entfielen im Jahr 1993 auf folgende „Warengruppen" 13: Belletristik (11 Prozent), Kinderund Jugendbücher (7 Prozent), Fachbücher Naturwissenschaften (6 Prozent), Fachbücher Geisteswissenschaften (8 Prozent), Schulbücher (9 Prozent), Taschenbücher (14 Prozent), Zeitschriften u.a. (8 Prozent), Hobby-, Freizeit- und Reiseliteratur (11 Prozent), sonstige Sachbücher (12 Prozent), Antiquariat (2 Prozent), Übrige Waren (11 Prozent). An diesen Daten über Leserinteressen (nach Eigenaussage und nach Kaufverhalten) gemessen, kann der untersuchte Kulturjoumalismus insgesamt nicht als lesergerecht bewertet werden. Schon der in der Praxis wirksame KulturbegrifF klammert gefragte Subsparten aus: vor allem Sachbücher zu den Themen Hobby/Freizeit/Spiel, Reise, Sport und Wirtschaft (vgl. 3.5). Diese werden zwar in manchen Zeitungen in den jeweiligen Fachressorts behandelt, in den meisten Presseorganen jedoch ignoriert. Auch wenn die Kategorien in den genannten Statistiken über Leserinteressen jeweils anders zugeschnitten sind als in dieser Untersuchung, so lassen sich doch manche Werte grob vergleichen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß bei Saxer et al. die Werte zur Lektüre durch die Möglichkeit der Mehrfachnennung höher sind als die für den Kulturjournalismus hier, bei dem die Gesamtsumme 100 Prozent beträgt. Gleichwohl kann gesagt werden, daß die Sachbuchbereiche Populärpsychologie/Lebenshilfe (2,1 Prozent), Gesundheit, allgemeine Nachschlagewerke etc. (alles unter Sonstiges mit zusammen 6,8 Prozent) sowie Schulbuch (nur ein Beitrag), Kinder- und Jugendbuch (4,4 Prozent), Bildbände (4,5 Prozent), Satire/Humor (1,0 Prozent) und Comic (1,8 Prozent) zu wenig behandelt werden, während Lyrik (5,6 Pro13

Statistisches Bundesamt 1994: 120.

258

zent), Biographie (2,7 Prozent), Autobiographie (5,3 Prozent), Sachbuch Kulturelles (7,0 Prozent), politische Sachbücher (10,5 Prozent) und Antiquarisches (1,5 Prozent) im Vergleich zu den Leserinteressen zu häufig im Feuilleton vorkommen. Hier scheinen die Kulturjoumalisten eine Bildungs- und wohl auch Mentorfunktion erfüllen zu wollen. Übereinstimmend sind die hohen Zahlen für Epik (18,1 Prozent). Innerhalb der Epik konnte hier eine detaillierte Aufschlüsselung nach Genres aus Platzgründen nicht erfolgen. Schon der erste Blick über die Liste der in Rezension, Tip oder Ankündigung behandelten Romane und Geschichten zeigt jedoch, daß der weitaus größte Teil der zeitgenössischen sogenannten „anspruchsvollen" Literatur zuzuordnen ist, während Krimis, Unterhaltungsbestseller etc. insgesamt immer noch eher selten behandelt werden, am ehesten in den vier Zeitschriften, der Woche und den Tageszeitungen Berliner Zeitung und Stuttgarter Zeitung. Für einzelne Presseorgane und -typen ergeben sich weitere charakteristische Unterschiede. Sachbücher aus dem Bereich Lebenshilfe und Ratgeber finden sich am häufigsten in den Zeitschriften, bei den Zeitungen am ehesten in Literaturbeilagen und in der Welt. Bildbände bevorzugen die Nachrichtenmagazine und Illustrierten - weil sich schöne Bilder dokumentieren lassen - sowie die Wochenzeitung Die Woche. Kinder- und Jugendbücher haben einen festen Platz lediglich in Literaturbeilagen und finden sich daher vor allem in den beiden Stuttgarter Zeitungen und der Zeit (nicht jedoch in der Woche, trotz Literaturbeilage). Comics sind in mehreren Organen mittlerweile etabliert, am festesten in der Woche. So läßt sich zusammenfassen, daß bei der Buchauswahl die vier Zeitschriften und die Wochenzeitung Die Woche den Leserbedürfhissen am nächsten kommen und insofern am meisten adressatengerecht sind, bei den Tageszeitungen mit Abstrichen die Welt, die Berliner Zeitung und die Stuttgarter Zeitung. Ein lesergerechter Kulturjournalismus müßte innerhalb der Belletristik mehr Bestseller thematisieren und innerhalb der Sachbücher die Gewichte anders verteilen (weniger Politik, mehr Allgemeines, Lebenshilfe, Ratgeber etc.), ja überhaupt mehr Sachbücher als Belletristik behandeln. Der von Glotz/Langenbucher 1969 diagnostizierte erste „Fehler" (siehe 5.1) wird also immer noch gemacht. Möglichen Einwänden ist entgegenzuhalten, daß dies durchaus kritisch und kulturgerecht geschehen kann und daher nicht eine Anpassung an den Massengeschmack bedeutet, sondern lediglich ein Berücksichtigen der Leserinteressen und Lesegewohnheiten wie auch der Vielfalt der Literatur und Lesekultur.

259

(i) Der hohe Ereignisbezug hat zwei Seiten Nach Themenfeldern und -bereichen erwies sich das Sample als sehr kulturgerecht (siehe 4.2.2): Die Anteile für alles Kulturbezogene sind sehr hoch. Personen und der Kulturbetrieb erhalten sehr viel weniger Platz. Rar sind die vielgefürchteten Trendartikel nach dem Muster „X kommt immer mehr in Mode" oder „Y ist out", allerdings auch Diskussionen über aktuelle Entwicklungen. Unterschiede ergeben sich nach Sparten und Presseorganen. Nach Subsparten sind insgesamt jedoch keine klaren Zuordnungen nach traditionellen und neueren Kulturformen erkennbar. Daß Populärkultur weniger kulturgerecht dargeboten wird, konnte insgesamt nicht bestätigt werden (siehe 5.2.1). Nach Pressetypen sind die Beiträge der Tageszeitungen, vor allem der überregionalen (Ausnahme Welt), deutlich mehr kulturbezogen als die der Zeitschriften, wo oft Personen im Vordergrund stehen (siehe 4.2.2.2). Daß ein Kulturprodukt lediglich Anlaß für einen Artikel, nicht aber dessen Thema ist, kommt ebenfalls am häufigsten in den Nachrichtenmagazinen und Illustrierten vor. Kehrseite des umfangreichen Angebots kulturbezogener Beiträge ist, wie die Auswertung der Ereignistypen ergab (siehe 4.2.3), eine hohe Stereotypie. Das größte Repertoire weisen die Wochenzeitungen auf, das kleinste die beiden Illustrierten. Wenig kulturgerecht ist neben der geringen Vielfalt der Ereignistypen auch, daß vor allem Veranstaltungen, Preisverleihungen und Geburtstage behandelt werden, also der vielgeschmähte Termin]ournalismus dominiert. Das bedeutet wenig Abwechslung, wenig journalistische Eigeninitiative und vor allem wenig Kulturrealität. Verloren gehen alle Zusammenhänge, Hintergründe und Entwicklungen, die keinen aktuellen Aufhänger bieten. Datumsjournalismus ist allerdings nicht zu vermeiden, wenn Service und Kritik gefordert werden. 14 Denn Veranstaltungskalender, Ankündigungen, Vorschauen, Tips sowie Rezensionen sind nun einmal „Terrninj ournalismus". Allenfalls der verhältnismäßig hohe Anteil für Geburtstage (als Anlaß für Porträts) und für Preisverleihungen wird weder der Kultur noch den Lesern gerecht.

14

Deshalb ist es weder seriös noch fair, einen hohen Kulturbezug und „Gebrauchswert" zu fordern, zugleich aber „Datumsjournalismus" vorzuwerfen; so Müller-Sachse (1988: 579, 581 und 588).

260

8.1.4 Zur funktionalen Struktur (j) Die Funktionsprofile entsprechen insgesamt den Leserwünschen Mehrere Befragungen 15 sprechen dafür, daß die Leser vom Kulturjournalismus in erster Linie Information erwarten, aufgespalten in Service vor einem Kulturereignis und ausfuhrliche Berichterstattung mit Kritik danach. (Auch von Rezensionen wird den Befragungen zufolge eher Darstellung als Kritik und Unterhaltung verlangt.) Unterhaltung spielt bei den Leserwünschen eine untergeordnete Rolle. Populär ist demnach also gerade das nicht, was oft dafür gehalten wird: das Populistische. Daran gemessen werden die Funktionsprofile (vgl. 4.3.2) den Lesern und Leserinnen sehr viel mehr gerecht, als nach dem Befund über das Popularisieren durch Beitragsformen (siehe 5.2.2) zu erwarten war. (k) Nützlich sind vor allem die Regionalzeitungen Der Service hat im Untersuchungsmaterial mit 29,7 Prozent der Beiträge eine wichtige Stellung. Dem Kulturjournalismus als ganzes kann also nicht der Vorwurf des „mangelnden Gebrauchswerts" 16 gemacht werden. Allerdings muß nach Pressetypen differenziert werden. Hier zeichnen sich besonders die Regionalzeitungen, die Woche und die Zeitschriften aus (siehe 4.3.2 und 5.2.2). Die Regionalzeitungen widmen sich ausgiebig dem Kulturgeschehen vor Ort, sie bedienen ihre Leserinnen und Leser mit Ankündigungsmeldungen und Veranstaltungskalendern, die durch ihren Veranstaltungsbezug auch der Kultur gerecht werden. Bei den Zeitschriften ist einzuschränken, daß viele Tips nicht informativ sind, wie am Beispiel gezeigt wurde (siehe 5.2.4.3). Die überregionalen Tageszeitungen vernachlässigen den Service. Hier wird den Lesern unterdurchschnittlich wenig geboten. Wenn auch Ankündigungsmeldungen zu Veranstaltungen nicht wie in einer Regionalzeitung sinnvoll sind, so bleiben doch in jeder Sparte genügend kulturelle Produkte und Ereignisse, die eine Meldung, einen Tip oder auch einen regelmäßigen Kalender lohnen. Service kann auch auf hohem Niveau geleistet werden, wie einzelne Beispiele 15

16

Vgl. Lesle (1984), der Feuilletonleser befragte, und Reus (1995: 64f), der einen Überblick gibt über einige kleinere Untersuchungen, bei denen das Kulturpublikum vor oder nach einer Veranstaltung befragt wurde (im Theater- bzw. Kinofoyer). Vgl. außerdem die vergleichbaren Daten zur Nutzung von Kulturmagazinen im Fernsehen bei Haas (1994). So Müller-Sachse (1988: 588) für sein Material.

261

zeigen. Dünkel der folgenden Sorte jedenfalls sind unangebracht: „Kellner ergreifen die Macht. Service triumphiert. Ein paar Kritikerexemplare überleben noch eine Weile in Reservaten, unantastbaren Gefilden wirklich großer Zeitungen in Frankfurt oder Hamburg. Der Rest ist unterm Tablett." 17 Gerhard Stadelmaier, Theaterkritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, hat gut Naserümpfen. Er schwebt in jenen „unantastbaren Gefilden wirklich großer Zeitungen", die es sich leisten können, ihren Lesern auch Schwerverdauliches aufzutischen. Womit das Bild bereits schief hängt. Denn wie bekommen Kunden die erlesenen Speisen im Frankfurter oder Hamburger Nobelrestaurant, etwa durch Selbstbedienung wie beim Imbiß? Werden sie ihm nicht auch serviert? Auch die kultiviertesten Oberkellner bleiben Kellner. Wenn Stadelmaier diesen Vergleich auf den Service beschränkt, so zeigt sich darin sein entrücktes Selbstverständnis als Kulturjoumalist. Als Bewohner eines „Reservats" muß er sich nicht mit Dienstleistungen den Lebensunterhalt verdienen wie der blasiert in einer Vokabel abgehandelte „Rest"· Zudem ist der Service ja keineswegs kulturfeindlich. Immerhin, so ist einzuwenden, wird in den entsprechenden Beitragsformen auf kulturelle Veranstaltungen hingewiesen. (1) „Rezensionsfriedhöfe" sind der Preis der Kritik Von einem „Niedergang der Kritik" kann beim Blick auf die Beitragsformen und Funktionstypen insgesamt keine Rede sein. Fast jeder vierte Beitrag ist eine Rezension, und über 28 Prozent entfallen auf den Funktionstyp Kritik (wozu neben Rezensionen auch Kommentare und Glossen zählen). Allerdings unterscheiden sich die Profile der Pressetypen hier sehr stark voneinander. Und so schwindet langsam der Anteil der Rezensionen, wenn man der Annahme folgt, daß immer mehr Zeitungen sich dem Beitragsformenprofil von Zeitschriften angleichen. Indizien für diesen Trend sind die Neugründung Woche und die zunehmende Einführung von Tips und Bestsellerlisten in Tageszeitungen. Doch ist auch eine Komplementärentwicklung denkbar, nach der vor allem überregionale Tageszeitungen als Bastionen der Reflexion und Kritik bestehen bleiben oder sogar noch ausgebaut werden (wie bisher bei den überregionalen Tageszeitungen). Die Kehrseite des insgesamt großen Kritikanteils sind die von Glotz/Langenbucher so genannten „Rezensionsfriedhöfe" (siehe 5.1). Sie finden sich vor allem in den Tageszeitungen und der Zeit. Auf ihnen liegt der Hund begraben, 17

Zit. nachReus!995: 14.

262 womit allerdings nicht der Rezensent gemeint ist, den der empfindliche Dichterfürst Johann Wolfgang Goethe in dem Gedicht „Rezensent" erschlagen wollte. Das wäre nicht nur eine rhetorisch unfeine Katachrese, sondern auch eine allzu gewagte Aktualisierung der berühmten Zeile „Schlagt ihn tot, den Hund! Er ist ein Rezensent!" Gemeint sind mit den „Rezensionsfiiedhöfen" vielmehr Kulturteile und „begraben" sind im Sinne von Glotz/Langenbucher nicht die Schreiber, sondern vielmehr die Leserinnen und Leser bzw. deren kulturelle Interessen. Was für sich der Kultur gerecht wird, tötet im Übermaß deren Vielfalt ab, weil jede Beitragsform nur bestimmte Aspekte betonen kann, auch wenn sie so flexibel und vielseitig ist wie die Rezension. Auch bei anderen Beitragsformen fällt das Ungleichgewicht ihres Gebrauchs auf. Mit der Wahl der Beitragsform gestalten Journalistinnen und Journalisten die Kulturrealität. Was jedoch als diese in den untersuchten Printmedien in Erscheinung tritt, ist eine Monokultur. 789 Rezensionen machen 24,8 Prozent aller Beiträge aus. Zählt man nur noch Meldungen hinzu, ergibt das einen Anteil für Terminjournalismus von 54,3 Prozent. Da sind Tips und Veranstaltungskalender, Nachrufe und Geburtstagsporträts etc. noch nicht einmal eingerechnet (siehe 4.3.1.1). Wie schon bei den Ereignistypen, so war auch bei den Beitragsformen ein hohes Maß an Stereotypie festzustellen (siehe 4.3.1.3). (m) Vermittelt wird eine fragmentarisierte Ereigniskultur Das Prädikat „kulturgerecht" darf nicht nur auf kulturelle Ereignisse und Produkte bezogen werden, als ob Kultur nur aus einzelnen Terminen bestünde. Ihrem Gegenstand gerecht werden Kulturjoumalisten oft erst, wenn sie Zusammenhänge und Hintergründe aufzeigen. Einen ganzen Katalog von Vorschlägen hat Reus in seinem Ratgeber für die Praxis zu jeder Kultursparte zusammengestellt: „So regt zum Beispiel Lutz Lesle an, einen Kritiker statt auf ein Kirchenkonzert 'auf die vorösterliche Kirchenmusik insgesamt anzusetzen, um dem noblen Trott in den Hauptkirchen manch couragierte Gegenbewegung in den randständigen Gemeinden gegenüberzustellen'. Auf ähnliche Weise vergleichend könnten sich Kulturjournalisten mit den über 130 000 Laienorchestern, -chören und -bands, ihren Ansprüchen und Besonderheiten befassen. Hierfür eignen sich Reportage, Feature oder Hintergrundbericht ebenfalls. Mit ihnen ließen sich auch immer wieder Leistungen und Probleme der musikalischen Ausbildung thematisieren. Allein an den privaten und kommunalen Musikschulen der Bundesrepublik lernten und musizierten 1990 nahezu 700 000 Kinder, Jugendliche

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und Erwachsene. Unter welchen Bedingungen und mit welchen Erfolgen? Familien interessiert das. Also eine Menge Zuschauer, Zuhörer und Leser. Reporter und Kommentatoren könnten sich hartnäckig mit dem Thema befassen, wie Schallplattenproduktionen entstehen, wer CD-Preise diktiert und auf welche technisch-akustischen Qualitätsunterschiede man hereinfallen kann. [...] Fragen der Entwicklung und Steuerung musikalischen Geschmacks, der Zusammenhänge von Musik, Umwelt und Lebensgewohnheiten lassen sich in Essays und Features aufgreifen. [...] auch Interviews, Streitgespräche und Porträts. Mit ihnen läßt sich - Engagement statt Demut vorausgesetzt - am Lack der allzeit Glänzenden kratzen, der großen und kleinen Pavarottis und Mirvas, der Popmanager, Konzertagenten und Festival-Tausendsassas. Glossen kratzen gleichfalls vorzüglich, und es stünde Musikjournalisten nicht schlecht zu Gesicht, mehr Unbotmäßiges zu wagen." 18 Anregungen gibt es also zuhauf. Doch die Medienrealität sieht anders aus. Eine fragmentarisierte Ereigniskultur dominiert. Der Funktionstyp Hintergrund kommt zu kurz, vor allem in den Tageszeitungen, nicht nur den regionalen (siehe 4.3.2). Beiträge zum genüßlichen Lesen, Nachdenken oder Schmunzeln sind rar. Features und Essays, Glossen und Kolumnen, Hintergrundberichte und Reportagen werden vernachlässigt (siehe 4.3.1). Zusammenhänge werden selten hergestellt. Damit wird auch eine Chance vergeben, das Printmedium gegenüber dem Fernsehen zu profilieren. Die Komplementärstrategie (siehe 1.1.1) wird am meisten von den Wochenperiodika und am wenigsten von der Welt, der Berliner Morgenpost, den Stuttgarter Nachrichten und der Südwestpresse verfolgt. 8.1.5 Zur Strategie des Popularisierens Mit dem Popularisieren sollen möglichst viele Leser und Leserinnen angesprochen und ans Blatt gebunden werden (siehe 5.1). Das gelingt nur zum Teil. Zwar wird oft in vielen Spielarten popularisiert, häufiger als dies 1969 der Fall gewesen sein dürfte, als Glotz/Langenbuchers Studie „Der mißachtete Leser" erschienen ist. Doch erstens machen viele Zeitungen von den Mitteln des Popularisierens auch heute noch nur selten Gebrauch, und zweitens gibt es auch Spielarten des Popularisierens, die die Leserinnen und Leser keineswegs (be)achten. Die moderne Form der Mißachtung ist solch ein Redaktionelles Marketing, das nicht Leserinnen und Leser mit Inhalten bedient, sondern der 18

Reus 1995: 109f.

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Werbewirtschaft Zielgruppen zufuhrt. Die entscheidende Frage lautet: Werden Themen, Inhalte, Formen und Präsentation auf möglichst viele Leserinnen und Leser zugeschnitten oder auf einzelne lukrative Konsumgruppen. Darüberhinaus ist nicht jede Spielart des Popularisierens lesergerecht, und nicht alles Lesergerechte fraglos positiv zu bewerten. Das Urteil hängt immer ab von der Funktion, die als Ziel angenommen wird. Sobald nicht nur Service und Information, sondern auch Bildung oder gar Kritik angestrebt wird, geht die Gleichung Popularisieren=lesergerecht=gut nicht mehr auf. Wer ein ästhetisch bedeutsames Kunstwerk den Lesern nahebringen will, ist nur in seltenen Glükkensfallen populär. Auch wer den Zeitgeist kritisiert, darf nicht auf Beifall hoffen. Für Leserinnen und Leser, die vor allem Bildung und Kritik erwarten, bieten Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine, Frankfurter Rundschau, Tagesspiegel, Stuttgarter Zeitung und Die Zeit am meisten. Doch das entspricht nicht immer den geläufigen Konzepten des Redaktionellen Marketings. Diesen folgen am umfassendsten die 1993 neugegründete Wochenzeitung Die Woche, nach Präsentationsstrategien zudem das ebenfalls 1993 auf den Markt gekommene Nachrichtenmagazin Focus, nach thematischen Aspekten vor allem die tageszeitung, Berliner Zeitung, Stuttgarter Zeitung sowie Stern und im Funktionsprofil die Regionalzeitungen. (m) Die Problemlösung Diversifikation wird selten genutzt Zunächst wird das Popularisieren auf der thematisch-inhaltlichen Ebene der Pressekommunikation betrachtet (siehe 5.2.1). Von der Strategieanwendung durch einen erweiterten Kulturbegriff konnte lediglich beim Stern, bei der Berliner Zeitung und mit Einschränkungen beim Tagesspiegel gesprochen werden. Populärem deutlich mehr Platz und Gewicht als Formen der Elitekultur geben die Zeitschriften (mit Ausnahme des Spiegel), die Boulevard- und auch die Wochenzeitungen sowie die tageszeitung, die Berliner Zeitung und die Stuttgarter Zeitung, Das wird nicht nur den Leserinnen und Lesern, sondern auch der Kultur gerecht, solange es hilft, einen elitären traditionellen Kulturbegriff auf den neuesten Stand zu bringen, zu diversifizieren. Führt es jedoch auf der anderen Seite zu einer (populistischen) Verengung (auf Populärkultur), so kann dieses Prädikat nicht mehr zugesprochen werden. So werden sowohl die Zeitschriften als auch die überregionalen Tageszeitungen der kulturellen Vielfalt (vgl. 1.1.2) nicht gerecht, weil sie jeweils nur eine Seite des breiten Spektrums abdecken (siehe 5.2.1).

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Auf der funktionalen Ebene popularisieren die Presseorgane und -typen in sehr unterschiedlichem Maße (siehe 5.2.2). Besonders hervor heben sich hier die Illustrierten Stern und Bunte sowie die beiden Neugründungen Focus und Woche. Sehr gering sind umgekehrt die Werte für die sogenannten High-brow-Zeitungen Die Zeit, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine, Frankfurter Rundschau und auch für die tageszeitung, die auf der thematischen Ebene stark popularisiert. Die Regionalzeitungen popularisieren fast ausschließlich durch Ankündigungen und Veranstaltungskalender. Sie machen den Lesern damit ein wichtiges, aber recht eintöniges Angebot. Insgesamt zeigt sich, daß Kulturjoumalismus - entgegen manchem Vorurteil und entsprechend der Ausgangsthese in der Einleitung - sowohl kulturgerecht als auch lesergerecht sein kann. Zwar sind die Popularisierungsvarianten des McDonaldisierens, Emotionalisierens, Reklamisierens und Typisierens nicht mit einem Kulturjournalismus vereinbar, der seinem Namen gerecht wird. Doch ergibt sich aus der Analyse für die journalistische Praxis eine klare Empfehlung: Mehr Vielfalt und Abwechslung! Durch die Diversifikation der Themen - von den Kultursparten bis zu den Ereignistypen - und der Beitragsformen läßt sich der Kulturjoumalismus sowohl kultur- als auch lesergerechter gestalten. (o) Sein oder Design? Das ist allzu oft die Frage Im Mittelpunkt vieler Konzepte des Redaktionellen Marketings stehen allein die Aufmachungsformen, weshalb sie in Kap. 5 und nicht in Kap. 4 behandelt wurden. Die untersuchten Spielarten des Popularisierens durch Präsentation sind weder besonders kulturgerecht noch das Gegenteil. Das gilt vor allem für Rubriken, Infokästen und Zwischentitel. Beim Visualisieren kommt es immer darauf an, was auf einem Bild zu sehen ist, was eine Infografik darstellt etc. Lediglich die Kürze von Texten kostet in der Regel wichtige kulturelle Informationen. Und wie lesergerecht sind die analysierten Präsentationsstrategien? Die Literatur ist sich einig: „Blickaufzeichnungsstudien legen Lesenvünsche in dieser Richtung offen: kürzere Artikel, mehr optische Leseanreize, mehr Elemente, die Übersicht und Orientierung bieten und die Leser durchs Blatt fuhren."19 Daran gemessen, sind viele Zeitungen immer noch nicht aus dem „Schlaf der Gerechten" 20 erwacht. Das gilt besonders für Tageszeitungen mit überregionaler Ver19 20

Rager/Hingst 1992: 12. So der Titel des Artikels von Rager/Hingst (1992).

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breitung und - bei den Regionalzeitungen - mit höheren Ansprüchen. Doch ist beim Urteilen Vorsicht geboten. Differenzierungen müssen in zwei Richtungen vorgenommen werden. Zunächst sind spezifische Blattprofile für spezifische Zielgruppen zu berücksichtigen. Für die Zeitschriften, Boulevard- und Regionalzeitungen können die Popularisierungsspielarten des Visualisierens, Reduzierens, Portionierens etc. nahezu uneingeschränkt als lesergerecht gelten, anders zu bewerten sind aber die überregionalen Tages- und Wochenzeitungen. Sie können sich mehr „erlauben". Das betrifft am deutlichsten die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die sogar durch Frakturschrift ihre konservative Leserschaft nicht abschreckt; wenngleich anzunehmen ist, daß veränderte Lese- und Sehgewohnheiten im Laufe der Zeit auch vor FAZ-Lesern nicht haltmachen werden. Noch grundsätzlicher ist fraglich, ob sich das Popularisieren durch kurze Texte und viele Bilder im Sinne einer Konvergenz mit dem elektronischen Konkurrenzmedium durchsetzen wird. Vieles spricht gegen das „gedruckte Fernsehen" und für den Erfolg der Komplementärstrategie durch Anbieten ausführlicher Hintergrundartikel. In dieser Hinsicht sind die überregionalen Tages- und Wochenzeitungen also keineswegs antiquiert und leserfeindlich, zumindest wäre ein entsprechendes Urteil voreilig. Das betont sogar der Gründungsherausgeber der amerikanischen Zeitung USA Today, John Curley: „Readers want portions of newspapers at different tunes for different things - in the morning for sports and hard news, later for leisure reading or feature copy." 2I Wenn aber Kulturseiten weniger morgens überflogen, sondern vielmehr abends gemütlich gelesen werden, dann werden ausführliche, „gut geschriebene" Lesestücke den Leserinnen und Lesern mehr gerecht als kurze Informationshäppchen, wie sie vor allem Die Welt, Berliner Zeitung und Berliner Morgenpost, Stuttgarter Nachrichten und Münchner Abendzeitung sowie Focus und Bunte bieten. Daran schließt eine zweite Differenzierung bei der Bewertung der Spielarten des Popularisierens durch Präsentation an. Entscheidend ist, ob überhaupt noch etwas den Lesern nahegebracht wird - und was dieses ist - oder ob nur das Gefühl des Informiertseins vermittelt wird. Die Präsentationsmittel dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Zu fragen ist nach der Informativität des Mitgeteilten und der Relevanz des Ausgewählten. Der Journalist Cordt Schnibben hat seine Antworten auf beide Fragen einprägsam formuliert: „McJoumalismus ist gedrucktes Fast food. Viel Verpackung, viel Farbstoff, und ständig fragt sich der Leser: Where ist the beef? McJoumalismus hat mit Journalismus so viel zu tun 2l

Zit. nach Fink 1988: 169.

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wie McDonald's mit Rinderbraten. [...] Der Wahnsinn ist ja, daß all diese Blätter, die versprechen, die Informationsflut im Interesse des überforderten Lesers zu bändigen, den Strom der überflüssigen Informationen vergrößern. Sie suchen nach Nachrichten, die sich in Torten und Schaubildern darstellen lassen, und das sind meist solche, die das Femsehen aus genau diesem Grunde bereits gebracht oder die die Tageszeitungen aus gutem Grunde nicht gebracht haben."22 Was also sind die Selektionskriterien? Gilt nur als relevant, was sich visualisieren läßt? Und was sind die Inhalte? Lediglich Statistiken? Das sind nicht etwa nur Fragen danach, wie kulturgerecht berichtet wird, sondern auch, wie ernst die Leserinnen und Leser genommen werden. Schnibbens Fazit ist in der Sache zuzustürmen, wenn auch im Ton der parteiische Spiegel-Redakteur anklingt: „Wie modern eine Zeitschrift ist, wird nicht bestimmt durch die Anzahl der Zahlentorten und durch die Menge der Farbseiten. Wie modern Zeitschriften und Zeitungen sind, entscheiden sie durch das, worüber sie schreiben. Und auch dadurch, wie ernst sie ihre Leser nehmen: Halten sie sie für kluge Menschen, die mit Medien großgeworden sind und sie durchschauen, oder halten sie sie für Deppen, denen man abgestandene Nachrichten, gebrauchte Gedanken und erbrochenes Deutsch vorsetzen kann." 23 Der untersuchte Kulturjoumalismus ist insgesamt weit von dem entfernt, was Schnibben als McJournalismus bei Focus, News und Tango aufgefallen ist. Einzelne Phänomene bei der Woche, der Welt und der Berliner Morgenpost dürfen nicht überbewertet werden (vgl. 5.2.3). Allein im Focus finden sich häufiger Beiträge, die offensichtlich primär wegen der Visualisierbarkeit ausgewählt worden sind und deren Informativität sehr gering ist. Musterbeispiel ist eine Doppelseite in der Ausgabe vom 8. November 1993 mit dem Titel „Musik-Markt". Der Beitrag besteht aus mehreren Elementen: einem einspaltigen „Haupttext" mit einem kleinen Bild, einer Bilderleiste mit sieben Fotos und sieben jeweils sechs Zeilen kurzen Bildtexten über die „Goldkehlchen der Rockgeschichte", einer weiteren Bilderleiste mit vier noch kleineren Fotos und noch kürzeren Bildtexten über „Millionenseller", einem knappen Kasten über „Pleiten, Pech und Pannen" des Musikgeschäfts, einem Info-Kasten zur Geschichte der Tonträger mit drei eingeklinkten Minifotos und vor allem der Abbildung einer überdimensionalen CD, auf der in der Mitte nicht nur ein gezeichneter Gitarrenspieler steht, sondern auf deren silbriger Oberfläche zwei Linien- und drei Kreis22 23

Schnibben 1995: 49. Ebd.: 50.

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diagramme zu sehen und nur mühsam zu entziffern sind. Das sind insgesamt sechs Elemente, fünf Diagramme und 15 Fotos. So opulent die Optik, so dürftig der Inhalt. Die Leserinnen und Leser erfahren nichts Neues, zusammengetragen ist lediglich Archivmaterial, nicht einmal ein aktueller Aufhänger ist erkennbar. Wie stets in solchen Fällen, wird ein Trend als Anlaß konstruiert. Die Unterzeile der Überschrift benennt diesen: „Milliardenumsätze und Millionendeals. Das Busineß boomt. Die Gagen der Stars erreichen astronomische Höhen". Mit solchen Beiträgen wird nicht anschaulich informiert, sondern nur das Gefühl von Informiertheit evoziert, eine sehr spezifische Form der Emotionalisierung. Darüberhinaus fehlt nicht nur das Visualisierte, der Inhalt, sondern hebt sich die Visualisierung durch Übermaß selbst auf: Die Fotos sind so klein, daß auf ihnen kaum noch etwas zu erkennen ist; und die Diagramme sind so verspielt angeordnet und farblich überladen, daß sie alles andere als anschaulich sind. Auf diese Weise wird den Leserinnen und Lesern gerade nicht gerecht, was als Popularisierung diesem Zweck dienen sollte.24 Insgesamt besteht in der redaktionellen Praxis zwischen kulturgerechtem Sein inhaltlicher Qualität und lesergerechtem Design der Informationen fast immer eine Alternative. Die Tageszeitungen betonen vor allem das erste, die Zeitschriften das zweite. Ausnahmen in einzelnen Printmedien bestätigen allenfalls die Regel. Konzeptuell verbindet bisher allein Die Woche den Anspruch hintergründiger Information mit modernem Layout und zeigt, wie sich die Präsentationsstrategien zur Stützung der Wissensvermittlung einsetzen lassen. (p) Das Dilemma zwischen Verständlichkeit und Originalität wird selten gelöst Für die Presse im allgemeinen gilt eine einfache, verständliche Sprache als lesergerecht. Auch Anschaulichkeit und Lebendigkeit werden verlangt. Im Feuilleton gilt darüberhinaus Originalität als Qualitätskriterium, befolgt durch die Strategie des Unikalisierens. 25 Die in 5.2.4 exemplarisch untersuchten Beiträge jedoch fielen eher durch die Komplementärstrategie des Typisierens auf, durch sprachliche Klischees, die zwar Arbeit und Lektüre erleichtern, aber gerade nicht für Abwechslung sorgen. Auch die vorgefundenen Floskeln aus der Werbesprache werden den Lesern nicht gerecht. Sie sind selten informativ und nehmen die PR 24

25

Vgl. auch die Warnungen von Zeitungsdesignern vor Grafiken um ihrer selbst willen: z.B. Rehe 1986, Küpper 1994, Knieper 1995. Vgl. Sandig 1986: 147 und siehe 2.2.2.5.

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fur ein Produkt ernster als ihre Leserschaft. Einzig das Auflockern durch mündliche Alltagssprache vermag, die Kultur den Lesern näherzubringen. Doch auch hier muß bei einer Bewertung unterschieden werden zwischen den unterschiedlichen Publika. Was in Zeitschriften, Regional- und Boulevardzeitungen ankommt, das kann die Leserinnen und Leser von überregionalen Tages- und Wochenzeitungen als zu flapsig stören. Umgekehrt goutieren diese einen Stil, den jene keines Lektüreblickes würdigen, weil sie ihn als elitär empfinden. Und die Verständlichkeit? Gilt noch, was Glotz/Langenbucher als „vierten Fehler" den Kulturjoumalisten ihrer Zeit vorwarfen: „Im deutschen Feuilleton wird ganz selten klar und verständlich geschrieben." (siehe 5.1)? Die Antwort die hier nur in summarischer Form aufgrund exemplarischer Analysen gegeben werden kann - schmeichelt den Verantwortlichen in den Redaktionen nicht. Nur wenigen gelingt der goldene Mittelweg zwischen den lesefeindlichen Extremen von zwar verständlicher, aber typisierter, reklamisierter Sprache auf der einen Seite und zwar originellen, aber schwer verständlichen Formulierungen auf der anderen Seite. Zahlreiche - sehr unterschiedliche - Positivbeispiele finden sich in den beiden Wochenzeitungen, deren Autorinnen und Autoren besonders viel Zeit zum Schreiben haben. Doch ebenfalls häufig stoßen Leserinnen und Leser auf das erste Extrem in der Woche und das zweite in der Zeit. In die erste Gruppe gehören auch die vier Zeitschriften (der Spiegel allerdings ohne Reklamisieren) und das Boulevardblatt Bild. Zur zweiten Gruppe zählen die übrigen Tageszeitungen, am meisten die oft akademisch-drechselnde Frankfurter Rundschau und am wenigsten die auch sprachlich oft alternativ-unkonventionelle tageszeitung (wenngleich immer noch mit manchen Szenedeutsch-Typisierungen). Die Popularisierungsarten des Reklamisierens und Typisierens durch Sprache mögen zwar den Journalisten die Arbeit und den Lesern das Verständnis erleichtern, als kulturgerecht wurden sie mW. jedoch noch nie beurteilt. Im Gegenteil: Im Feuilleton gelten Klischees als besonders wenig sachgemäß. Hier wird Originalität verlangt, eine Sprache, die um das treffende Wort, den passenden Satz ringt (vgl. Kap. 7). Typisieren aber ist ein Bezahlen mit Sprachmünzen, die durch Inflation längst entwertet sind. Das trifft auch auf das Reklamisieren zu, selbst wenn die Absicht dabei noch so idealistisch kulturvermittelnd sein sollte. Noch weniger als eine unoriginelle, floskelhafte Sprache werden der Kultur Formulierungen gerecht, die kaum informativ sind. Nun ist Informativität keine Eigenschaft von Ausdrücken, sondern hängt vom Vorwissen der Adressaten einer Äußerung ab. Doch sind diese in den Massenmedien - auch im Feuilleton so vielfaltig, daß wenig vorausgesetzt und folglich um so mehr vermittelt wer-

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den muß. Wörter wie „ausdrucksvoll", „beeindruckend" oder „phänomenal" und Wendungen wie „setzt neue Maßstäbe" (siehe 5.2.4) sind hohle Phrasen und daher nicht kulturgerecht. Sie finden sich nach Beitragsformen vor allem in Tips und nach Presseorganen in Focus, Stern und Bunte, ferner häufig in den Regionalzeitungen Berliner Morgenpost, Stuttgarter Nachrichten und Südwestpresse, kaum einmal dagegen in der Zeit und im Spiegel, in der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen und Frankfurter Rundschau, in der tageszeitung, im Berliner Tagesspiegel und in der Stuttgarter Zeitung. Die sprachlichen Unterschiede zwischen den Printmedien sind gravierend. 8.1.6 Zur Strategie des Personalisierens Im Kulturjournalismus spielen Personen auf unterschiedlichen Ebenen eine entscheidende Rolle zur Erreichung des spezifischen Kommunikationsziels, möglichst viele Leser anzusprechen. In diesen Fällen wurde vom Personalisieren als Strategie gesprochen. In der Literatur wird es pauschal empfohlen oder kritisiert. Die Betrachtung empirischen Materials nötigte jedoch zur Differenzierung einfacher Formeln in vielfältige Formen. Das breite und buntschillernde Spektrum wurde in Kap. 6.2 vorgestellt. Damit wurden aus der Literatur bekannte, aber meist nur benannte und kaum einmal als unterschiedliche überhaupt wahrgenommene Formen des Personalisierens m.W. erstmals reflexiv (unter Offenlegung der DifFerenzierungskriterien) und im Zusammenhang beschrieben (Personalisieren durch Verfasserprominenz, Beitragsformen wie Porträt und Kolumne, durch Hauptthema und Perspektive, durch handelnde Personen als Inhalte und durch Präsentation). Zweitens gerieten durch das systematische Vorgehen auch neue Spielarten in den Blick (Personalisieren durch weitere Beitragsformen wie Feuilleton und Glosse, durch Handlungen der Leseranrede und der Redewiedergabe, durch Inhalte beim Intimisieren, Sexualisieren und Subjektivieren, durch subjektive Wertungskriterien und durch einen profilierten Indrvidualstil). Die heterogenen Varianten konnten nach ihrem Personenbezug im Hinblick auf das konstitutive Ziel des Personalisierens in zwei Haupttendenzen zusammengefaßt werden: in das Personalisieren des Kommunizierten, den Humaninterest-Journalismus, und in das Personalisieren der Kommunikation selbst, das Intimisieren der öffentlichen Sphäre, wie es bereits für andere Gesellschaftsbereiche und die Politik konstatiert wurde26. Die Inszenierung der Massenkom26

Vgl. Sennett 1983 und Stephan 1995, 95-120.

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munikation als personales Gespräch dient vor allem der Leser-Blatt-Bindung. Die Kolumne etwa gleicht einem Tisch in einem Cafe, an dem sich ein Prominenter oder Journalist zu uns setzt und gemütlich plaudert. Ein persönlicher Ton in der Sprache, ein Foto des Journalisten und andere Mittel sollen das Medium, das Monologische und die Mehrfachadressierung vergessen lassen, sollen Nähe suggerieren, wo massenmediale Distanz empfunden wird. Insofern ist die Strategieanwendung ein Symptom gesellschaftlicher Befindlichkeiten. Sie ist auch, was kaum einem Handelnden bewußt sein dürfte und nur angedeutet werden kann, Anzeichen einer Entwicklung zurück hinter die Anfange des Kulturjoumalismus, hinein in die Geselligkeit und die zwar von Konversationsregeln, nicht aber von einer öffentlichen Aufgabe disziplinierte Subjektivität der Tisch- und Sprachgesellschaften, Lesesäle, Salonsund Kaffeehäuser des 17. und 18. Jahrhunderts.27 Die Gefahr vieler Personalisierungsformen liegt aus kultureller Sicht darin, personenbezogene auf Kosten kulturbezogener Informationen zu vermitteln (so beim Intimisieren, Sexualisieren, Subjektrvieren und den meisten Beitragsformen des Personalisierens) oder sogar Themen aufgrund von Prominenz und nicht ihrer künstlerischen oder gesellschaftlichen Relevanz wegen auszuwählen. Werden Personen allerdings nicht zum Hauptthema gemacht, sondern als Zentralperspektive genommen, dann wird Kulturjournalismus seinem Namen gerecht (siehe unten). Auch das Personalisieren der Kommunikation selbst, die Intimisierung des Öffentlichen, wird der Kultur gerecht, solange dies durch Beitragsformen wie Feuilleton und Glosse oder einen verständlichen Indrvidualstil geschieht. Kritisch ist dagegen zu beurteilen, wenn sich das vermittelnde Subjekt in der Vordergrund drängt, durch Ausbreiten der eigenen Befindlichkeit oder Werten nach Lust und Laune. Kurzum: Das Personalisieren kann weiterhin als lesergerechte Strategie des redaktionellen Marketings empfohlen werden. Das gilt auch für die neu gefundenen Spielarten, wenngleich mit starken Unterschieden überall, wo sich einzelne Zielgruppen herausheben. Den Kritikern ist mehr Differenzierung abzuverlangen. Viele Varianten sind durchaus kulturgerecht. Das Personalisieren vermag abstrakte und schwierige Themen und Stoffe anschaulich und lebendig zu machen. In einem feuilletonistischen Schluß: Die Geistreichen und Kunstschönen können Geist und Kunst verkörpern, aber auch als schrille Gäste auf der Party der Reichen und Schönen von der Kultur ablenken. Es ist wie bei einer Vemissage: Man kann den Künstler und seine Kunst vorstellen oder zu Anlaß und Kulisse von Selbstinszenierungen zweckentfrem27

Vgl. etwa Habermas 1990: 86-107.

272 den. Im zweiten Fall verkommt Kurturjournalisrnus zum Smalltalk, dessen scheinbare Leichtigkeit die schwere Imagearbeit überspielen soll. (q) Die Problemlösung Perspektivierung wird selten genutzt Durch Hauptthema oder Perspektive personalisierte Beiträge stoßen unbestritten auf besonderes Interesse. Zur Begründung kann verwiesen werden auf das Personalisieren als Nachrichtenfaktor nicht nur bei der Selektion durch Redakteure, sondern auch bei der Lektüre28 sowie auf Existenz wie Erfolg zahlreicher People-Magazine und Personality-Rubriken. Eine alte journalistische Maxime lautet zudem, die aktiven Menschen auftreten zu lassen. Der Kultur gerecht wird jedoch nur die Spielart des Perspektivierens. Denn beim Personalisieren durch Hauptthema steht ja gerade nicht das kulturelle Ereignis im Mittelpunkt, sondern eine Person - und sei es der schaffende Künstler. Eine Ausnahme wäre allenfalls, wenn eine Person aus einem Kunstwerk ins Zentrum gerückt werden würde: die Hauptfigur eines Films, der Antiheld eines Romans etc. Das aber kommt im untersuchten Material nicht vor. Das Personalisieren durch Perspektive dagegen wird der Kultur gerecht, weil diese das Objekt der Betrachtung bleibt. Und bei Kulturereignissen kann kaum - wie im Bereich des Politischen - von einer ideologischen Reduktion komplexer Sachverhalte auf individuelles Handeln gesprochen werden. Dieses entspricht oft gerade der künstlerischen Aktivität, vor allem bei Stars.29 Allerdings gibt es auch im Kulturbereich Fälle, wo diese Spielart des Personalisierens der Kultur nicht gerecht wird. So wurde in der Filmkritik lange diskutiert, ob es angemessen ist, amerikanische Hollywoodproduktionen zu beschreiben und zu bewerten, als wären es Autorenfihne.30 Wo Kultur ein Industrieprodukt ist, bei dem keine individuellen Züge mehr erkennbar sind, kann das Personalisieren auch nicht mehr 28 29 30

Vgl. den Überblick bei Mast 1994 und Schulz 1989. Vgl. Sennett 1983: 324. Arnheim (1979: 175) lehnte dies 1935 kategorisch ab: „Man kann einem Künstler allenfalls im allgemeinen vorwerfen, daß er sich solchen Produktionsmethoden verschreibe. Einen Film aber dann als das freie Werk von Künstlern zu beurteilen wie einen Roman oder ein Gemälde - während heutzutage auch eine Königin unter den Schauspielerinnen noch nicht einmal darüber bestimmen darf, in welchem Winkel ihr die Augenbrauen gezogen werden - verschleiert in schädlicher Weise den wirklichen Tatbestand." Jean-Luc Godard, Francois Truffaut und andere Regisseure der Nouvelle Vague praktizierten solche „Verschleierung" in ihrer Frühzeit als Filmkritiker dennoch, bewußt und provokant.

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als sachgerecht bewertet werden. Für die meisten Fälle bleibt jedoch festzuhalten: Mit dem Personalisieren durch Perspektive können Kulturjournalistinnen und -Journalisten gleichsam zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. In weniger typisierten Worten: Für Kulturjournalisten stellt sich der Anspruch, sowohl der Kultur als auch den Lesern gerecht zu werden, oft als ein unauflösbares Dilemma dar. Das Personalisieren durch Perspektive bietet hier einen Ausweg - allerdings einen arbeits- und damit zeitaufwendigen. Die quantitative Analyse in 6.2.6 hat gezeigt, daß die Chance, Kultur und Lesern zugleich gerecht zu werden, seltener genutzt wird als die eher vom Kulturereignis ablenkende Personalisierungsform. Aus der Sicht eines Beteiligten stellen ein Kulturereignis im Schnitt lediglich 8,4 Prozent aller 3187 Beiträge dar (nach Zeilen nur ein Prozentpunkt mehr). Eine Person ist dagegen im Mittelwert bei fast 14 Prozent das Hauptthema und nimmt über 17 Prozent des Platzes ein. Die Profile der einzelnen Zeitungen und Zeitschriften unterscheiden sich dabei sehr stark voneinander. Besonders groß ist die Diskrepanz bei der Welt, der 5//c/-Zeitung und mit umgekehrtem Gewicht beim Stern. (r) Die meisten Beitragsformen des Personalisierens lenken von Kultur ab Die zum Personalisieren verwendeten Beitragsfonnen werden den Lesern und Leserinnen gerecht, nicht aber der Kultur. Auf diesen Nenner läßt sich die verfugbare Literatur bringen. Allerdings liegen über die tatsächliche Popularität einzelner Beitragsformen nur spärliche Befunde auf empirisch allzu schmaler Basis vor. 3I In der Regel wird in wissenschaftlichen Analysen und journalistischen Lehrbüchern32 einfach vorausgesetzt, daß Porträts und Interviews zur Per31

32

Donsbach (1991: 136) über eine US-Studie mit Blickaufzeichnungskameras: „Am meisten wurden Nachrichten und Meldungen, am wenigsten Leserbriefe und Pressestimmen gelesen. Die Meinungsstilformen (Kommentare und Glossen) erzielten eine unerwartet hohe Aufmerksamkeit: Im Durchschnitt wurde jeder zweite Beitrag dieser Art teilweise oder sogar ganz gelesen. Sie wurden damit stärker beachtet als die zwischen reinen Nachrichten und Meinungsbeiträgen angesiedelten Berichte und Reportagen." Ahnlich stellt eine Umfrage fest, „daß Leser offenbar viel Spaß an Kommentaren/Glossen haben" (Rager et al. 1994: 74). Besonders Leserinnen und Leser, die aus Spaß zur Zeitung greifen, fordern von der Redaktion Meinungsäußerungen. Ein Kommentar, so scheint es, ist allemal unterhaltsamer als eine trockene Meldung - selbst wenn ich mich über ihn ärgern sollte." (ebd.: 74f). Unter anderen Glotz/Langenbucher 1969, Heß 1992, Reus 1995.

274 son durch Menschen als Hauptthema zur Lektüre motivieren, Kolumnen durch ihre in der Regel prominenten Verfasser, Umfragen durch Rollennähe (Menschen auf der Straße wie 'du und ich') oder ebenfalls Prominenz der Befragten, Meinungsinterviews und Kommentare durch eine profilierte Meinung, Reportagen und Stories durch Anschaulichkeit sowie Glossen und Feuilletons durch Sprach- und Sachwitz. Den Nutzen des Personalisierens durch Beitragsformen schmälert, daß diese Spielart selten der Kultur gerecht wird. Porträts und Interviews zur Person thematisieren eben nicht das kulturelle Ereignis. Problematisch sind auch Interviews zur Sache, beispielsweise mit einem Schriftsteller. Selbst wenn dieser zu seinem neuen Buch befragt wird, so antwortet eine Quelle. Ob das stimmt, was der Autor sagt, wäre erst zu überprüfen. Und die Absichten des Verfassers verraten noch nichts über das Gelingen. Das Interview mag interessant sein und viel über den Schriftsteller verraten, über das neu erschienene Buch kann nur der Kulturjournalist etwas mitteilen - von der Bewertung ganz zu schweigen. Reportagen und Stories, Glossen, Kolumnen und Feuilletons behandeln kaum einmal kulturelle Veranstaltungen oder Produkte (Buch, CD etc.). Tun sie dies doch einmal, sind sie eine kulturgerechte Bereicherung der Berichterstattung. Insgesamt personalisieren die 19 Printmedien durch Beitragsformen durchschnittlich mehr als jeden achten Artikel. Diese nehmen nach Zeilen über ein Viertel des Platzes ein, sind also überproportional lang. Nach Anzahl ergeben sich keine charakteristischen Pressetypprofile, nach Zeilenumfäng erweist sich das Personalisieren durch Beitragsformen jedoch als Domäne der Wochen- und Boulevardpresse. Vor allem Stern und Bild (mehr als jede zweite Zeile), Woche, Focus und Spiegel fallen auf. Für Tageszeitungen im Abonnement weisen die tageszeitung, Welt, Frankfurter Rundschau und Tagesspiegel hohe Werte auf. Sie ergeben sich in erster Linie durch zahlreiche Porträts in Vorschaufunktion. (s) Keine Ausnahme: die Nebendarstellerin als Hauptthema Daß das Personalisieren auf Kosten der Kultur geht, wird besonders deutlich, wenn das Porträt als Rezensionsersatz fungiert. Dieser Fall soll hier näher betrachtet werden. Das Kulturereignis war für 1902 Beiträge Anlaß, aber nur in 1596 Beiträgen auch das Hauptthema. Porträts aus kulturellem Anlaß erschienen insgesamt 61. In zwei Fällen wurden Porträts als Ergänzung zu einer Rezension in einer Beitragskonstellation veröffentlicht. Diese können deshalb hier nicht als Ersatz zählen. Auch nicht dazugerechnet werden kann ein Porträt einer

275 Institution. Mithin 58mal wurde das Porträt also eindeutig als Alternative zur kulturgerechten Rezension gewählt. Am häufigsten ersetzt Die Woche eine Rezension durch ein Porträt (insgesamt 13mal), überwiegend bei Sparten wie Kinofilm und Popmusik, die im Ressort „Modernes Leben" plaziert werden. Siebenmal zieht der Stern ein Porträt einer Rezension vor. Aus Anlaß des Films „Die Wiege der Sonne" erscheinen sogar gleich zwei Porträts: zunächst vom Hauptdarsteller Sean O'Connery, dann zwei Ausgaben später zur Nebendarstellerin Tatjana Patitz, die in ihrer ersten Rolle zwar nur am Filmanfang kurz eine (nackte) Leiche spielen darf, jedoch als Model bereits prominent ist. Das Porträt mit der bezeichnenden Überschrift „Supermädchen mit Seele" ist eine sogenannte Home-Story. Es verkauft in den teils zweiseitigen Farbfotos das posierende Model als „Supermädchen" (Aussehen, Erfolg) und versucht im Text, seinen Lesern den Star als Mensch „mit Seele" (Sehnsüchte 'wie du und ich') nahezubringen. Das Beispiel ist typisch für „Kulturjoumalismus" in Illustrierten. Ebenfalls siebenmal erscheinen in der Zeit Porträts anstelle von Rezensionen. Sie sind jedoch stets streng auf die Person als Künstler bezogen, charakterisieren künstlerische Besonderheiten und ordnen das Aktuelle his Lebenswerk ein. Das Privatleben wird nur selten und dann am Rande thematisiert. Jeweils dreimal sind Porträts Rezensionsersatz in Focus und Bunte und zweimal im Spiegel. Bei den Tageszeitungen werden vor allem Vorschauporträts, die nicht thematisch, aber immerhin funktional kulturgerecht sind, veröffentlicht: sechs Beiträge jeweils in der Frankfurter Rundschau (vor allem auf der Seite „Rockrundschau" in der Wochenendbeilage) und in der Berliner Morgenpost sowie fünf Beiträge im Berliner Tagesspiegel. Die übrigen Beiträge verstreuen sich auf die restlichen Zeitungen. Aufschlußreich ist schließlich der Vergleich der Zahlen für Porträts als Rezensionsersatz mit der Rezensionsanzahl in den Organen, die am häufigsten Rezensionen durch Porträts ersetzen. Die sieben „unterschlagenen" Rezensionen in der Zeit fallen gegenüber den insgesamt 173 Rezensionen nicht ins Gewicht. Von einer Aufweichung kritischer Substanz oder der Kultur selbst kann daher keine Rede sein, eher von einer Auflockerung des redaktionellen Angebots. Anders bei der Woche, die zwar 37 Rezensionen enthält, davon aber lediglich 24 ohne Literaturbeilage. Ganz zuungunsten der Rezension gekippt ist das Verhältnis bei den Illustrierten, die beide mehr Porträts anstelle von Rezensionen als Rezensionen veröffentlichen. Der Stern bietet noch ganze sechs Rezensionen, die Bunte verzichtet schließlich ganz auf diese Beitragsform.

276

8.1.7 Zur Strategie des Feuilletonisierens (t) Feuilletonisieren kann der Kultur dienen und auf ihre Kosten gehen Daß Kulturjournalisten sich in einem Dilemma zwischen den Prinzipien der Originalität und der Verständlichkeit befinden, dürfte unstrittig sein. Doch vor allem aus der Literaturwissenschaft und philosophischen Ästhetik kommende Autoren sehen beim Schreiben über Kunstwerke noch mehr ein weiteres Dilemma: das zwischen Anspruch und nicht nur Wirklichkeit, sondern sogar Möglichkeit. Karl Heinz Bohrer - bereits in verschiedenen Positionen als verantwortlicher Kulturredakteur tätig - benannte es in seinem „Exkurs über Kritik und Geschichtlichkeit" im Untertitel mit „Das Dilemma: die Subjektivität und das Allgemeine". Er setzt voraus, daß die kulturjournalistische Sprache ihrem kulturellen Gegenstand gerecht werden muß und hält genau dies für unmöglich: „Die Ausweglosigkeit des Kritikers. Will er nicht hinter das zu Kritisierende zurückfallen, darf er sich nicht einer generalisierenden Begrifflichkeit bedienen, welche von der Literatur ja gerade jeweils überholt wurde und an der die interpretierende Literaturwissenschaft z.B. immer wieder scheitert. Andererseits gibt es aber auch keinen Fluchtweg in die Anschauung ohne Begriffe, also etwa in den Versuch, sich auf dem Sprach- und Bewußtseinsstrom des Schriftstellers verstehend einzuschiffen."33 Das ist wohlgemerkt noch nicht einmal mit Produktionszwängen argumentiert. Solchermaßen bohrende Sprachzweifel freilich müssen hier weder genährt noch ausgeräumt werden. Sie sind ein wohlbekannter und oft wohlfeiler Topos in der Diskussion um Kulturkritik. Und jene gibt es so lange wie diese. Für die Beurteilung von Kulturjournalismus wird das Prädikat „kulturgerecht" anders bestimmt (siehe Beginn dieses Kapitels): Es wird allem zugesprochen, was möglichst informativ ist im Hinblick auf den kulturellen Gegenstand der Berichterstattung. Orientierungspunkt für das Qualitätskriterium ist also vorrangig die Vermittlungsfunktion des Kulturjoumalismus und nicht eine wie auch immer geartete ästhetische Funktion. In dieser Hinsicht stehen vor allem das semantische Komprimieren und das Dtonisieren in der Gefahr, auf Kosten der Verständlichkeit und damit der Vermittlung zu gehen. Außerdem drohen besonders das Kulinarisieren und das Fiktionalisieren, vom kulturellen Gegenstand abzulenken. Unter dem Stichwort „feuilletonistisch" werden in vielen journalistischen Lehrbüchern abschreckende Beispiele für formschöne, aber inhaltsarme Sätze und 33

Bohrer 1973: 74.

277

Texte versammelt, für „Texte mit zu viel Eleganz und zu wenig Substanz"34, für alles, was „durch sprachliche Brillianz vom Sachlichen ablenkt und Ernstes und Leichtes nivelliert"35. Damit ist eine Gefahr benannt, mehr aber nicht. Feuilletonistisches mit Negativbeispielen zu identifizieren, ja dadurch zu definieren, geht zu weit, nämlich über die Fakten hinaus. Die vorgestellten Beispiele (für das Kulinarisieren aus Zeit und Spiegel, für das Fiktionalisieren aus der Woche) beeinträchtigen nicht die Informativität, sondern erhöhen sie sogar. Und sie sind darin keineswegs Ausnahmen. Darüberhinaus - das sei nur am Rande bemerkt - genügen die Texte auch einem engeren Begriff von kulturgerecht. Gleichwohl hat das Feuilletonisieren einen ernstzunehmenden Nachteil. Der ist weniger grundsätzlicher als praktischer Natur: Vor allem Fiktionalisierungen brauchen Platz, Zeilen, die fast immer für nüchterne Sachinformationen fehlen; und sie kosten Arbeitszeit, die nicht jeder Verlag zu investieren bereit ist. (u) Feuilletonistisches ist Last und Lust, für wechselnde Personenkreise Heftig und pointiert hat Dieter E. Zimmer die „Sprache des Kulturbetriebs" in seinem gleichnamigen Aufsatz kritisiert, nicht jedoch ohne zum Ende hin noch Verständnis für die besonderen Probleme des Feuilletons zu zeigen: „Die Sprache im Kulturbetrieb hat mit einem besonderen Handicap fertig zu werden, das die Sprachen anderer Betriebe nicht kennen, nicht die des Sports, nicht die der Politik, nicht die der Wirtschaft. Es handelt sich um ein kompliziertes Syndrom, das ich als Aphasie-Angst bezeichnen möchte: Angst vor dem Sprachverlust. [...] Gemeinsam ist allen ihren Symptomen, daß das naive Vertrauen in die selbstverständliche Angemessenheit der Sprache eingebüßt wurde. Wo andere allenfalls fragen, ob es in einem Satz sei oder wäre heißen müsse, können die Leute des Kulturbetriebs, schon von der Beschäftigung mit ihren Gegenständen her, nicht umhin, Zweifel ganz anderer Art mit sich herumzutragen."36 Und nach einer Reihe von Beispielen: „Diese Schwierigkeiten erklären auch, warum die Sprache des Kulturbetriebs insgesamt weniger standardisiert ist als die Sprache anderer Bereiche und sich immer wieder Extravaganzen leistet, über die die Kollegen aus den anderen Sparten nur mitleidig oder indigniert die Achseln zucken. Sie fürchtet nichts wie das Klischee, das automatisierte Sprechen, und dieser Horror 34 33 36

Schneider 1982: 233. Noelle-Neumann et al. 1989: 82. Ähnlich La Röche 1995: 139. Vgl. Dovifat 1976 II: 117. Zimmer 1988: 145.

278 ist selber zum Klischee geworden. Es erklärt weiter die vielerlei Ironien, Distanzierungen und Brechungen, mit denen sich diese Sprache des schlechten Gewissens von sich selber zu distanzieren wünscht - alles würde vieles nur sozusagen gesagt, in Anführungszeichen nur und weil die Zeit drängt und das Geld verdient sein will und etwas sich ja immer auch provisorisch sagen lasse."37 Damit ist ein Grunddilemma aller Kulturjournalistinnen und -Journalisten genannt: Im Feuilleton gelten Originalität und guter Stil als Qualitätskriterien, der Redaktionsalltag verlangt jedoch ökonomisches Arbeiten, und das erleichtern professionelle Standards: vom immer leicht schematischen Einordnen in Bekanntes beim möglichst raschen Verstehen bis hin zu immer gleichen Textbaumustern und bewährten Klischees vor allem in Lexik und Rhetorik. Ist also die Gefahr des mißlungenen Feuilletonisierens eine abgegriffene Kunstsprache, ein peinlich unoriginelles Ringen um Originalität, das merklich Gesuchte, so besteht die Gefahr des gelungenen Feuilletonisierens im Stören des Redaktionsbetriebs: Wenn der Andruck naht, muß der Artikel eben irgendwie fertig werden. Beide Gefahren unterscheiden sich freilich durch die betroffenen Personenkreise: Einmal leiden die Leserinnen und Leser (unter der Sprache), einmal die Journalistinnen und Journalisten (unter dem Streß und möglichen Sanktionen für Verzögerungen). Eine Gefahr des Feuilletonisierens ist zweifellos die Verletzung des Prinzips der Verständlichkeit. Was bekannt und gebräuchlich ist, wird in der Regel leichter verstanden. Wo das Prinzip der Originalität befolgt wird, droht die Schweroder sogar Unverständlichkeit. Dafür ist der Nutzen des Feuilletonisierens der Eigenwert von Artikeln. Die Beiträge werden nicht nur des Themas oder Inhalts, sondern auch ihrer Form wegen gelesen. Sie sind attraktiv und unterhaltsam im anspruchsvollen Sinne. Das gilt nicht nur für das Kulinarisieren, Dconisieren und Fiktionalisieren, sondern auch für das semantische Komprimieren, dessen Realisierungsformen als ,Attraktivmacher" von Texten gelten.38 Sind die sprachlichen Mittel, mit denen die Unterstrategien realisiert werden, den einzelnen Printmedien und ihren spezifischen Adressaten angepaßt, dann ist das Feuilletonisieren heute aktueller denn je. Feuilletonisierte Texte eignen sich schlecht zum Diagonallesen am Frühstückstisch, sie bereiten aber nach Feierabend im gemütlichen Sessel eine Lesegenuß, der vom Kulturjournalismus oft erwartet wird. Genaue Untersuchungen der Lektüregewohnheiten müßten zeigen, daß solche Beiträge vielleicht seltener, dafür aber ausführlicher, intensiver und mit 37

38

Ebd.: 148. Vgl. Lüger 1995: 35f, Püschel 1985, Sandig 1986: 149f und 228f.

279 mehr Freude gelesen werden. So kann das Feuilletonisieren im Fall des Mißlingens Lust für die Journalisten und Last für die Leser sein, im Fall des Gelingens umgekehrt Last für die Journalisten und Lust für die Leser. 8.1.8

Kulturjournalistische Strategien als Lösungen im Medienwandel

Die Presse muß ihren Platz im Wettbewerb der Medien um Zeit und Geld der Bürger behaupten bzw. neu finden (siehe 1.1.1). Kulturjournalismus, der im beschriebenen Sinne seinen Adressaten und der Kultur als Gegenstand gerecht wird, leistet dazu einen wichtigen Beitrag. Wie das konkret aussehen kann, soll abschließend in thesenhaft verknappter Form zusammengefaßt werden. (v) Eine Zukunft des Kulturjoumalismus liegt im Service Eine Stärke der Presse ist die potentielle Mehrfachrezeption und die räumliche wie zeitliche Verfügbarkeit des Gedruckten. Das macht das Medium besonders für Serviceinformationen geeignet. Veranstaltungskalender, Ankündigungen und Tips können nachgeschlagen werden, während sie in Hörfunk und Femsehen einmal gesendet und selten mit allen relevanten Daten behalten werden. Die Serviceorientierung ist also als Komplementärstrategie zu verstehen. Sie ist - nicht notwendig, aber de facto - eine Domäne der Lokal- und Regionalzeitungen, die durch ihren Ortsbezug sehr oft Exklusrvinformationen verbreiten. News to use bieten jedoch durch die Möglichkeit wiederholter Nutzung auch der überregionalen Presse eine - selten genutzte - Chance im Konkurrenzkampf mit den Rundfunkmedien. Auch für überregional relevante Kulturereignisse gilt: In Zeitung wie Zeitschrift läßt sich nachlesen, was beim einmaligen Hören oder Sehen selten im Gedächtnis bleibt, nämlich wer wann wo auftritt. Diese Stärke der Printmedien könnte in Zukunft allenfalls durch Online-Angebote via Computer Konkurrenz bekommen. Daher liegt es nahe, daß Tageszeitungen sich im neuen Medium vor allem durch Service profilieren. (w) Eine Zukunft des Kulturjoumalismus ist gut lesbarer Hintergrund Die lokale und temporale Disponibilität erhöht auch die Chance, daß längere Texte gelesen werden. Das erlaubt mehr Hintergrund und argumentativ fundierte Kritik als im Rundfunk. Das Erfüllen dieser Funktionen ist im Hinblick auf die Medienkonkurrenz beim. Kulturteil m. E. noch wichtiger als in anderen Ressorts. Dazu gehören allerdings auch mehr Themen, die nicht im Terminkalender ste-

280

hen, sondern lediglich auf der ungeschriebenen Tagesordnung von Diskursen und Entwicklungen; die erfordern mehr Kommentare, Kolumnen, Glossen und Feuilletons, als in den hier untersuchten Printmedien vorkommen. Komplementarität bedeutet für das Kulturressort: Das Hören einer Meldung in der „Tagesschau" über den Tod eines berühmten Schauspielers wird am nächsten Tag durch die Lektüre eines ausfuhrlichen Nachrufs in der Zeitung vertieft. Oder die bunten Schlußbilder des „heute-joumals" über eine wichtige Theaterpremiere dienen als unfreiwilliger Trailer für eine Rezension in der Zeitung des nächsten Tages. Überlebensfahiger Kulturjoumalismus in der Presse als Komplementärmedium hätte sich also - neben Service - auf längere und hochwertige Texte zu konzentrieren. (x) Das Feuilletonisieren kann der Profilierung im Konkurrenzkampf der Medien dienen Als Komplementärstrategie ist auch das Feuilletonisieren in allen Spielarten zu betrachten - in doppelter Hinsicht: gegenüber anderen Medien und gegenüber anderen Ressorts (auch im Sinne einer Blattdramaturgie). Sprachliche Attraktivität ist zwar auch in Hörfunk und Fernsehen, im Politik- und Sportteil möglich, doch Kulturjoumalismus bietet dafür einen besonders großen Spielraum und hat m. E. auch entsprechende Lesererwartungen aufgebaut. Die Alternative zum oft blumigen und gestelzten Stil des traditionellen Feuilletons kann daher nicht eine nachrichtliche Schreibe sein (wie bei vielen Lokal- und Regionalzeitungen zu beobachten), sondern sind ebenso präzise wie elegante und überraschende Formulierungen, Metaphern, Wortspiele, Pointen, Dtonisierungen und Fiktionalisierungen in heutigem Deutsch. (y) Das Personalisieren kann helfen, Leser an den Kulturteil zu binden Dem veränderten Kauf- und Abonnierverhalten läßt sich offensichtlich am ehesten durch die verschiedenen Spielarten des Personalisierens begegnen. Deren Nutzen ist nicht nur eine je eigene Attraktivität, sondern auch die immer mehr vermißte Leser-Blatt- bzw. Leser-Ressort-Bindung. Die Strategie trägt dem Umstand Rechnung, daß Entscheidungen für oder gegen eine Zeitung oder Zeitschrift nicht allein nach rationalen Gesichtspunkten getroffen werden. Daß das Personalisieren sehr wohl auch kulturgerecht realisiert werden kann, wurde in Kap. 6 und Abschnitt 8.1.6 gezeigt.

281

(z) Kulturjournalismus kann junge Leser besonders ansprechen Relevant für eine Gegenstrategie zu dem von Marktforschern konstatierten Schwund jüngerer Leserinnen und Leser bei Tageszeitungen ist folgender Befund: „Die 18- bis 29jährigen sind besonders intensive Zeitschriftennutzer. Jene Gruppe, die weniger Tageszeitungen konsumiert, liest um so häufiger Zeitschriften mit Schwerpunkt Politik und Wirtschaft. Aber auch Kunst und Kultur sowie generell Fachzeitschriften werden hier am meisten genutzt."39 Daraus, aus Existenz und Erfolg der zahlreichen Stadtillustrierten und aus Umfragen40 sind drei Schlüsse für die Praxis zu ziehen. Erstens sind die vermißten jungen Leserinnen und Leser quantitativ eher durch mehr als durch weniger Kultur zu gewinnen. Zweitens ist die Einführung und Gleichstellung von populären Kulturformen wie Film, Popmusik, Comics etc. fortzusetzen. Drittens sind funktional Beitragsformen zu wählen, die entweder dem Service dienen oder - wie in Zeitschriften anschaulich und spannend zu lesen sind (Stories, Reportagen, Porträts).

8.2

Methodisches Resümee

8.2. l

Zur Integration quantitativer und qualitativer Analyse

Die ersten beiden methodischen Schlußfolgerungen, die nicht neu sind, aber in der Analysepraxis bestätigt wurden, lauten: (a) Quantitative Analysen liefern Informationen, die sich an Einzeltexten nicht gewinnen lassen, Antworten aufprägen nach Textmengen (b) Quantitative Analysen haben heuristischen Wert für qualitative Die Leistung quantitativer Untersuchungen besteht darin, daß sie Aussagen über Kommunikations- bzw. Textmengen erlauben, während qualitative Analysen Einzeltexte untersuchen. Quantitative Analysen fuhren zu „Informationen, die sich am einzelnen Text oft nicht erkennen lassen, sondern erst als Strukturmerkmale größerer Textmengen zutage treten." 4I Das bedeutete hier konkret: 39 40 41

Saxeretal. 1989: 63. Vgl.BDZV 1994: 190-211. Früh 1991: 65.

282

• Das Sample der zu untersuchenden Beiträge wurde überhaupt erst mithilfe einer quantitativen Analyse bestimmt. Aufgenommen wurde nur, was häufig genug in der journalistischen Praxis zum Kulturjoumalismus gezählt wurde. • Zweitens wurden durch quantitative Analysen Fragen nach der Häufigkeit von Einheiten beantwortet. • Drittens ließen sich aus den quantitativen Befunden Rückschlüsse ziehen auf Ziele und Strategien der Blattmacher. Wie etwa über die Kulturspartenauswahl ein bestimmtes Blattprofil entwickelt wird, das war nur durch das Zählen der jeweils thematisierten Sparten zu erkennen. Auch ob ein erweiterter Kulturbegriff in einer Zeitung sichtbar ist oder nicht, konnte nur durch eine quantitative Analyse geklärt werden. • Schließlich hatten Statistiken einen heuristischen Wert für die Auswahl der qualitativ weiter zu analysierenden Einheiten. Auch wo sie aus Platzgründen nicht dokumentiert werden konnten, waren quantitative Befunde Grundlage, um die Repräsentativität des exemplarisch zu Beschreibenden zu gewährleisten (z.B. in 5.2.4). (c) Die Strategienanalyse erfordert und fordert die Integration von qualitativer und quantitativer Analyse Die Untersuchung hat gezeigt, daß der Strategiebegriff sich für die Integration von qualitativer und quantitativer Analyse besonders eignet, weil journalistische Handlungsstrategien teils am Einzelbeitrag erkennbar sind und sich in qualitativen Analysen fassen lassen, teils aber auch erst über längere Zeiträume in größeren Textmengen wirksam werden und quantitative Analysen erfordern. Das gilt vor allem für das Popularisieren und Personalisieren, während beim Feuilletonisieren exemplarische qualitative Analysen im Vordergrund standen. (d) Quantitative Befunde stellen Verständnisse von Textmengen dar, nicht diese selbst Sichtbar wurden auch Grenzen der quantitativen Analyse. Es sind einerseits theoretische und andererseits praktisch-forschungsökonomische: • Das Verstehen ist nicht zu umgehen, ein objektives Textverständnis Illusion (siehe 1.2). Daher wurde eine durch Begründung und Transparenz des Vorgehens nachvollziehbare Intersubjektivität angestrebt. Die bedeutungstheore-

283 tische Einsicht, daß sprachlichen Mitteln keine Bedeutung anhaftet 42 , daß nicht sprachliche Äußerungen, sondern deren Verständnisse kodiert und ausgezählt werden, hatte Folgen für die Anarysepraxis: Weil „der Zusammenhang zwischen Textmerkmalen und möglichen Funktionen mehr-deutig ist"43, konnten einzelne Ausdrücke nurmehr Indizien und keine Indikatoren im strengen Sinne der Inhaltsanalyse sein. Als besonders interpretations- und damit kodiererabhängig erwiesen sich Handlungen als funktionale Bausteine von Beiträgen und sprachliche Phänomene. Betroffen waren vor allem einzelne Spielarten des Popularisierens (siehe 5.2.4) und des Feuilletonisierens, für die sich qualitative Analysen als geeigneter erwiesen. Dagegen erfolgte die Kodierung der thematischen Kategorien Kultursparte, Subsparte, Themenfeld, Themenbereich und Ereignistyp (siehe 4.2, 5.2. l und 6.2.5), der funktionalen Kategorie der Beitragsform (siehe 4.2, 5.2.2 und 6.2.2) und der formalen Kategorien der einzelnen Präsentationsmittel (siehe 5.2.3) ohne Probleme. Beim Einsatz mehrerer Kodierer wäre es gewiß zu wenig Abweichungen gekommen. Von Häufigkeiten läßt sich nie eindeutig auf Sinnstrukturen schließen, von Regelmäßigkeiten nie unzweideutig auf bestimmte Regeln bzw. Konventionen. 44 Denn Regelmäßigkeiten können zufällig sein und lassen sich oft durch unterschiedliche Regeln erklären, so daß eine eindeutige Zuordnung nicht möglich ist. Diese wissenschaftstheoretische Erkenntnis wurde bei der Analyse bestätigt. Ein Beispiel dafür ist der Zusammenhang von Textlänge als Kategorie und „Fastfood-Journalismus" als Interpretation (vgl. 5.2.3.2). Nicht alle Printmedien, die einen niedrigen Mittelwert beim Zeilenumfang aufweisen, wenden die Popularisierungsteilstrategie des Reduzierens an. Erklärung kann auch die Service-Orientierung durch zahlreiche Ankündigungsmeldungen und Tips sein. Auf das Reduzieren läßt erst eine geringe Textlänge bei in der Regel sehr umfangreichen Beitragsformen (Rezensionen, Porträts etc.) schließen. Die Häufigkeitsverteilung kann also einen bestimmten Zusammenhang nahelegen, ob er aber als solcher gesehen wird, das ist eine Frage des Verstehens. Das hängt oft von Details ab, die das Ganze in einem anderen

42 43

44

Vgl. Bucher/Fritz 1988: 140f. Ebd. 1988: 154. Vgl. Winch 1974: 107-112.

284

Licht erscheinen lassen und die statistisch irrelevant sind;45 oder auch von Zusammenhängen, wofür das Diversifizieren als Beispiel genannt wurde (siehe 5.3.2). Diese Strategie kann der Thematisierung bestimmter Einheiten nur unter der Bedingung zugesprochen werden, daß diese bisher noch selten sind. Quantitative Verfahren müssen daher scheitern, wenn sie versuchen, ein Verständnis aus dem Vorhandensein einer bestimmten Menge bestimmter verstehensrelevanter Aspekte einer Kommunikation abzuleiten, aus einem festgelegten Set von Indikatoren also. Umgekehrt darf jedoch auch nicht das Analysepraxis-Kind mit dem Methodentheorie-Bade ausgeschüttet werden. Manche skeptische Äußerung gegen quantitative Analysen klingt, als würde das kommunikative Rad in jeder Kommunikation erst wieder neu erfunden.46 Einerseits konnten Inhaltsanalytiker grundsätzliche Kritik von Geisteswissenschaftlern oft leicht damit abwehren, daß die von diesen eingeforderte Fülle der Untersuchungsaspekte der Fragestellung vieler Inhaltsanalysen gar nicht entspricht und vor allem bei einer großen Datenmenge nicht mehr praktikabel wäre. „Aus forschungsökonomischen Gründen", wie es dann meist heißt47, werden viele Untersuchungsaspekte ausgeklammert. Das allein ist noch kein Mangel der Inhaltsanalysen. Denn jede quantitative Analyse ist durch Zeit und Arbeitskraft begrenzt. Es gibt immer ein forschungspraktisches Zuviel an Detailliertheit, das auch zum theoretischen Problem werden kann. 48 Die Frage ist, ob die nicht untersuchten Aspekte relevant sind oder nicht49, für das Verstehen wie für die Forschungsfrage. Und hier sind viele Inhaltsanalysen in der Tat beschränkt. Bereisen war klug genug, die Inhaltsanalyse im Wissen um ihre Begrenztheit für die Untersuchung modemer Gedichte auszuschlie45

46 47 48

49

Vgl. Kracauer 1972: 57: „Es ist insbesondere hervorzuheben, daß ein einziges Anzeichen solcher Konfiguration von Äußerungen hinlänglich auf die gesamte Kommunikation abfärbte. In bezug auf solche Merkmale sind Auszählungen ziemlich belanglos. Relevant sind die Muster, das je Ganze, die kraft qualitativer Exegese manifest zu machen sind und die ein Textmerkmal erhellen könnten, das gegen quantitative Aufteilungen allergisch ist." Siehe auch die Argumentation bei Schnell et al. (1993: 84-102). So Franketal. 1991:74. Früh 1991: 79: „Unnötig komplexe Kategoriensysteme sind immer schlechte Meßinstrumente, weil sie störungsanfälliger sind und so unnötigerweise die Verläßlichkeit des Codiervorgangs beeinträchtigen." Vgl. den Vorwurf von Bucher/Fritz (1988: 145): „Die inhaltsanalytische Forschung vernachlässigt kommunikativ relevante Untersuchungsaspekte."

285 ßen. Am besten sei sie zur Analyse von Meldungen über einfache Sachverhalte ohne Mehrdeutigkeiten geeignet. Doch sein Irrtum bestand in der Lokalisierung der meisten zu untersuchenden Alltags- und Pressekommunikationen auf der Skala zwischen diesen beiden extremen Textformen. Sie stehen eben nicht den einfachen Meldungen näher, sondern dem Gedicht, auch wenn sie dessen Komplexität nicht erreichen. Sie - und ganz besonders kulturjournalistische Beiträge - „vibrieren von den Intentionen"50, wie Kracauer mit dem Pathos eines Plädoyers formulierte. Gerade daher verlieren sehr viele Inhaltsanalysen die angestrebte „Objektivität" und Genauigkeit. Das macht qualitative Analysen oft präziser und objektiver im Sinne von objektgerechter.51 Deshalb wurden in 5.2.4 und 7.2. l exemplarische Textanalysen vorgezogen. 8.2.2

Zum Strategiebegriff

Entsprechend der Unterscheidung von Kommunikationsfonn und Kommunikation, von Sprache und Sprechen wurden erstens Strategien als Muster beschrieben, zweitens angewandte Strategien in stattgefundenen Kommunikationen analysiert. Beides ist kein Selbstzweck. Die Beschreibung von Mustern dient: " als Vergleichsobjekt dem besseren Verständnis stattgefundener Kommunikationen; der Diagnose typischer Kommunikationsprobleme bei der Anwendung von Strategien (und ihrer kritischen Diskussion mit dem Ziel der Therapie); dem Finden und Aufzeigen von Handlungsaltemativen; dem Lehren und Lernen von Strategien; der Reflexion über strategische Prinzipien (Qualitätskriterien). Die empirische Analyse angewandter Strategien in stattgefundenen Kommunikationen dient: der Erkenntnis von Zuständen oder Entwicklungen; dem Auffinden von Strategien und der Verifikation ihrer Beschreibungen. (e) Die Analyse ergab Präzisierungen und Modifikationen des Strategiebegriffs Die Analysen der vorangegangenen Kapitel und insbesondere die methodischen Reflexionen in den Abschnitten 5.3, 6.4 und 7.3 führten zu Präzisierungen und auch kleinen Modifikationen des in Kap. 2 aus der Literatur abgeleiteten Strategiebegriffs. Folgende Punkte sind festzuhalten: 50 51

52

Kracauer 1972: 58. Vgl. ebd.: 53 und 57. Vgl. Bucher/Fritz 1989: 155f, Muckenhaupt 1986: 148, Muckenhaupt 1990: 225ff.

286

Zwischen Strategien bestehen Zusammenhänge wie zwischen Handlungen. Das überrascht nicht, weil Strategien als Handlungsmuster definiert wurden. Doch bedeutet es einen wichtigen Schritt, empirisch nachgewiesen zu haben und belegen zu können, was theoretisch anzunehmen war. Gegenüber den Handlungen haben sich charakteristische Unterschiede in der Gewichtung gezeigt: So spielen Sequenzzusammenhänge von Strategien keine Rolle, auch nicht bei Unterstrategien. Das bedeutet: Die zitierte Definition einer Strategie als Sequenzmuster sprachlicher Handhingen (vgl. 2.1.2) erwies sich als zu eng.53 Der Zusammenhang der Elemente ist offener. Eine geregelte Abfolge liegt nur selten vor, meistens bilden die Handlungsmuster einen durch Selektions- und nicht auch noch durch Sequenzkonventionen bestimmten Komplex, oder sehr oft sind Gleichzeitighandlungen strategisch relevant. Die Elemente von Strategien sind nicht nur sprachliche Handlungsmuster, wie sie als zentrale Kommunikationseinheiten in Kap. 1.2 und 2.2.2.2 beschrieben worden sind. Auch andere Aspekte der Pressekommunikation sind strategisch nutzbar. Entsprechend werden Strategien auch durch Teilhandlungen wie das Thematisieren, das Strukturieren, das Formulieren oder das Präsentieren realisiert. Die Beschränkung des Strategiebegriffs auf Handlungen im Sinne konstitutiver Bestandteile einer Kommunikation dürfte befördert worden sein durch die ansonsten sehr fruchtbare Spielanalogie, derzufolge sprachlichen Handlungen als Züge in einem Spiel betrachtet werden. Die Metapher verengt an zwei Stellen den Blick: Erstens sind sprachliche Handlungen mit ihren vielfaltigen Teilhandlungen komplexer als Züge in einem Spiel. Während in der Presse Wortwahl und Layout für die Erreichung der Ziele sehr wichtig sind, ist beim Schachspiel etwa das Material der Figuren irrelevant. Zweitens sind in den untersuchten Beispielen vor allem Indem- sowie Und-gleichzeitigZusammenhänge strategisch bedeutsam, während in Spielen Ziele fast ausschließlich durch die Abfolge der Züge verfolgt werden. Sehr wichtig in der redaktionellen Praxis sind Indem-Zusammenhänge. Diese sind nicht eineindeutig. Eine Unterstrategie kann verschiedenen Hauptstrategien dienen, und eine Hauptstrategie kann durch verschiedene Unterstrategien befolgt werden. Der erste Fall macht Kommunikationen besonders effizient. Strategien können -je nach Ziel und Mittel - auch wechselweise 'm ei53

Die sequentielle Betrachtung ließe sich allenfalls kommunikationsgeschichtlich begründen (siehe unten)

287

nem Indem-Zusammenhang stehen, jedoch mit unterschiedlichen Spielarten: So kann ein Journalist eine personale Kommunikation inszenieren, indem er personalisiert, indem er in einer Kolumne betont subjektiv schreibt und mit Name und womöglich auch Bild erkennbar ist; und ein Journalist kann personalisieren, indem er beispielsweise bei der Zusammenfassung der Filmhandlung diese anschaulich inszeniert und dabei die Hauptperson zum Mittelpunkt macht. Indem-Zusammenhänge zwischen Strategien gelten selten für die Strategien als ganzes, das heißt, mit allen Realisierungsformen, sondern stets nur für bestimmte Mittel, also Varianten. So besteht der Indem-Zusammenhang zwischen dem Personalisieren und dem Feuilletonisieren nur durch einen Individualstil. Ja, die Restriktionen können noch weiter gehen und beispielsweise einen bestimmten Individualstil verlangen, mit dem dann drei Strategien realisiert werden: das Feuilletonisieren, das Personalisieren und das Popularisieren - in einem hierarchischen Zusammenhang von rechts nach links. Daß dieser Indem-Zusammenhang möglich ist, das hat nicht nur die Geschichte gezeigt (siehe 5.1). Auch heute noch erreichen einzelne Kulturjournalistinnen und -Journalisten breite Leserkreise, indem sie sich etwa durch einen ausgeprägten, oft kulinarischen Individualstil als publizistische Persönlichkeit profilieren. 54 Dabei muß die Information keineswegs zu kurz kommen. Sofern das Sprachspielerische kein Selbstzweck ist, kann es als Zusatzhandlung des Informierens beschrieben werden. Es hat für dieses (und die Leser-Blatt-Bindung) eine subsidiäre Funktion.55 Die theoretisch zentrale Unterscheidung zwischen konstitutiven und strategischen Regehi (Kap. 2.1) muß nicht aufgehoben werden. Doch ist ein großer Teil des Analysierten im Bereich der von Heringer so genannten „fließenden Übergänge" anzusiedeln. Dazu gehören vor allem Strategienprofile, die als konstitutive Kombinationen strategischer Regeln im weiteren Sinne beschrieben werden können.

54 55

Ähnlich Lüger (1995: 105) für die „weiche Nachricht". Dies ist die journalistische Perspektive im Gegensatz zur ökonomischen. Die Geschäftsführung eines Verlags würde den Und-dabei-Zusammenhang wohl umgekehrt beschreiben. Für sie dominiert das Unterhalten und darüberhinaus die Auflagensteigerung. - Dabei zeigt sich ein Desiderat der Medienwissenschaft, das hier nur angedeutet werden kann. Künftig müßte bei der Analyse mehr zwischen den verschiedenen Untersuchungsperspektiven unterschieden werden.

288

(f) Strategienprofile sind zentrale Kategorien der Medienanalyse Einige Strategienkomplexe sind charakteristisch für bestimmte Presseorgane und -typen. Diese lassen sich durch jene beschreiben; Strategienprofile sind zentrale Beschreibungskategorien. In skizzenhafter Darstellung: • Das überregionale Zeitungsprofil zeichnet sich durch die Strategie des Feuilletonisierens aus. Hier finden sich am ehesten Literarisierungen (darunter Dtonisierungen), Kulinarisierungen und Fiktionalisierungen. Diesem Profil entsprechen am meisten: die Wochenzeitungen Zeit und Woche, bei den überregionalen Tageszeitungen die Süddeutsche Zeitung und mit Einschränkungen die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Frankfurter Rundschau und die tageszeitung sowie die Regionalzeitungen Stuttgarter Zeitung und Berliner 7 gesspiegel. Umgekehrt sind die Spielarten des Popularisierens bei den überregionalen Zeitungen selten. Auch das Personalisieren spielt dort keine nennenswerte Rolle. Ausnahme ist unter allen Aspekten die Woche und auf der thematischen Ebene die iageszeitung. • Zum regionalen Zeitungsprofil gehört von den Feuilletonisierungsvarianten lediglich das semantische Komprimieren. Literarisierungen (darunter Dconisierungen), Kulinarisierungen und Fiktionalisierungen kommen nur vereinzelt vor und sind deshalb nicht profilbildend. Diesem Typ zuzuordnen sind vor allem die Berliner Morgenpost, die Stuttgarter Nachrichten, die Südwestpresse sowie die überregionale Welt und - in dieser Hinsicht - das „moderne Nachrichtenmagazin" Focus. Personalisiert wird in den Regionalzeitungen insgesamt unterdurchschnittlich. Popularisiert wird in sehr unterschiedlichem Umfang. Hier läßt sich kein einheitliches Profil beschreiben. Das gilt für Themenauswahl, Beitragsformen wie Präsentation. • Das strategische Boulevardprofil setzt sich vor allem aus dem Personalisieren, Emotionalisieren und Dramatisieren zusammen. Auch das Typisieren, bestimmte Unterstrategien des Popularisierens (z.B. Reduzieren, Visualisieren), das McDonaldisieren der Inhalte und das Dramaturgisieren der Beitrags- und Blattstruktur (vgl. 5.3.2) kennzeichnen Straßenverkaufszeitungen. Die bei der Abendzeitung festgestellten Formen des Feuilletonisierens sind blatt- und nicht pressetyp spezifisch. • Das Zeitschriftenprofil ist charakterisiert durch die Strategien des Popularisierens (durch Themen, Beitragsformen und Präsentation; am wenigsten beim Spiegel), vor allem des Visualisierens, des Personalisierens, des Dramaturgisierens und Inszenierens in Beiträgen, des Subjektrvierens und auch des

289

Feuilletonisierens (durch bestimmte Formen des Literarisierens, durch Kulinarisierungen und Fiktionalisierungen. Die Realisierungsmittel unterscheiden sich bei Spiegel, Stern und Bunte erheblich voneinander.) (g) Strategien sind im kommunikationsgeschichtlichen Zusammenhang zu analysieren Der Strategiebegriff wurde oft als Alternative zum Regelbegriff beschrieben und auf Beispiele angewendet, in denen menschliches Handeln weder durch eine Norm noch durch eine Konvention erklärt werden kann. Doch die eigentliche Alternative ist zweckrationales Ad-hoc-Handeln. Bereits in 2.1.3 wurde deutlich, daß strategisches Handeln den ganzen Prozeß der Konveutionalisierung in einer Kommunikationsgeschichte durchlaufen und folglich eine Strategie sehr unterschiedlichen Status haben kann: vom Präzedenzfall bis zur Regel. Kommunikationen lassen sich daher nicht nur durch spezifische Strategienprofile gleichsam in der Fläche charakterisieren, sondern auch durch die Konventionalisierungstiefe der typischen Strategien und Spielarten, also - im gewählten Bild durch dreidimensionale Profile. Entsprechend ist zu fragen, welchen Stand im Konventionalisierungsprozeß die analysierten Strategien haben. Im vorigen Abschnitt wurde der Status mit dem Ausdruck „charakteristisch" nicht festgelegt, sondern lediglich auf das Spektrum von Präferenz56 bis Regel eingegrenzt. Die naheliegende und zweifellos interessante Ausdifferenzierung der Strategieanwendungen nach ihrem Status stößt allerdings auf das Problem der Nützlichkeit und der Darstellbarkeit. Mit anderen Worten: Die dreidimensionalen Profile rechtfertigen nicht immer den Aufwand ihrer Erstellung, und sie sind oft unschärfer als die zweidimensionalen. Denn nicht nur ist der Status einzelner Strategien nach Regel, Konvention, Präferenz etc. zu differenzieren. Darüberhinaus zeigen sich Unterschiede im Geltungsbereich: Der Stand im Konventionalisierungsprozeß einer Strategie ist innerhalb der Pressetypen bei einzelnen Organen jeweils ein anderer und variiert sehr oft auch von Beitragsform zu Beitragsform. Mit dieser Einschränkung können ein paar Ergebnisse der Analyse und ihrer Interpretation genannt werden: 36

Was noch nicht einmal präferiert wird, ist nicht sinnvoll „charakteristisch" zu nennen. Die Termini „Tendenz" und „sporadisches Vorkommen" (siehe unten) sind also unterhalb der Schwelle des Charakteristischen.

290 Den Status einer normativen Regel hat: das Popularisieren durch Präsentation (mit unterschiedlichen Realisierungsmitteln) in den Wochenperiodika Die Woche, Focus, Stern und Bunte; das Personalisieren in Woche, Spiegel und den beiden Illustrierten; das Emotionalisieren in der Bunten, der 5/7i/-Zeitung und in der Abendzeitung bei allen kulturellen Texten außerhalb des Kulturteils; das Feuilletonisieren mit den jeweils in 7.2.1 beschriebenen spezifischen Realisierungsformen bei den Wochenzeitungen und Zeitschriften (siehe 7.3.1). Den Status einer Konvention hat das Feuilletonisieren mit den jeweils eigenen Realisierungsformen als Blattprofil etwa bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder Süddeutschen Zeitung, als Individualstil zum Beispiel bei „Ponkie" in der Münchner Abendzeitung, bei Ruprecht Skasa-Weiß in der Stuttgarter Zeitung oder bei Wolfram Schütte in der Frankfurter Rundschau; wobei manche Stilelemente gewiß als Marotten einzuordnen sind (die mehr oder weniger gewollt „unterlaufen", jedoch nicht strategisch im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel praktiziert werden). Den Status einer Präferenz haben die Spielarten des Feuilletonisierens in den längeren Beitragsformen auf den Kulturseiten der Regionalzeitungen mit überregionalen Ambitionen (Stuttgarter Zeitung und Berliner Tagesspiegel). Der Ausdruck Tendenz wurde in Kap. 6.3 gebraucht, um einen Status zwischen Präferenz und sporadischem Vorkommen zu kennzeichnen. Metaphorisch kann eine Tendenz als dünner roter Faden beschrieben werden. Als Tendenz im Gesamtkorpus interpretiert wurden das Personalisieren des Kommunizierten und das Personalisieren des Kommunizierens. Die Liste der Wörter zur Statuskennzeichnung ist für eine präzise Beschreibung des untersuchten Materials durch sporadisches Vorkommen zu ergänzen. Der in der Alltagssprache geläufige Ausdruck soll hier für jene Fälle verwendet werden, in denen ein Kommunikationsmittel immer mal wieder (also über die Präzedenz hinaus) mit einer bestimmten Absicht (also nicht zufällig) benutzt wird, jedoch noch keine Tendenz zu erkennen ist. Wurde diese mit einem dünnen roten Faden verglichen, so kann das „sporadische Vorkommen" als Zusammenhang veranschaulicht werden, der in einer Ansammlung von Punkten gesehen wird. Beispiele für sporadische Strategieanwendungen sind das Popularisieren durch Präsentation in den meisten Tageszeitungen, das Personalisieren in fast allen Tageszeitungen und das Feuilletonisieren in Regionalzeitungen ohne überregionalen Anspruch (etwa Stuttgarter Nachrichten und Berliner Morgenpost).

291 • Den Status eines strategischen Prinzips haben Originalität, Unterhaltsamkeit etc., die durch die beschriebenen Spielarten des Feuilletonisierens befolgt werden, in bestimmten Beitragsformen. Zu nennen sind vor allem: Glosse, Kolumne und Rezension, bei einzelnen Printmedien (beispielsweise der Woche) auch der Tip. Umgekehrt ist das Feuilletonisieren in Story, Reportage und Porträt eher selten (Ausnahme Der Spiegel), dafür das Prinzip der Anschaulichkeit leitend. Strategien sind nicht nur bedeutsame Konstruktionstechniken der Medienrealität und damit zentrale Kategorien der Medienanalyse. Ihre Konventionalisierung im Rahmen der Kommunikationsgeschichte nutzt Produzenten wie Rezipienten. Den Journalistinnen und Journalisten erspart sie als Routine Zeit und Kraft in Entscheidungssituationen. Die Leserinnen und Leser bewahrt sie vor unangenehmen Überraschungen getreu dem Slogan „Da weiß man, was man hat" und bietet positiv bestimmte Gratifikationen (den jeweiligen Nutzen einer Strategie). Die Strategien verfestigen sich so gleichsam naturwüchsig immer mehr. Denn für die Presse besteht kein Grund zu ändern, was offensichtlich ankommt. Und die Adressaten sind ihrerseits ja keineswegs unbeeinflußt in ihren Wünschen und Erwartungen, sondern haben durchlaufen, was Mediensozialisation heißt: Bedürfhisse wurden geweckt, Entscheidungen getroffen und Gewohnheiten haben sich herausgebildet. Die kommunikationsgeschichtliche Betrachtung rückt journalistisches Handeln als Reaktion in den Blick und damit Produktionsstrategien auch als Gegenstrategien zu Rezeptionsstrategien wie selektives Lesen, Anlesen, Überfliegen, Diagonallesen oder Scannen57, die wiederum als Gegenstrategien zu überkommenen Produktionsstrategien zu interpretieren sind. Einige Strategien, Teil- und Untermuster wurden beschrieben. Mindestens ebensoviel sind noch zu untersuchen. Das in der Geschichte des Kulturjournalismus zentrale Räsonieren beispielsweise, wozu vor allem Reflexionen und Argumentationen zu zählen sind. Überhaupt verspricht die historische Analyse einzelner Strategien wichtige Erkenntnisse, weil die Sicht auf die veränderbaren Realisierungsformen den Blick für das Stete des Musters schärft. Auch die kommunikationsgeschichtlichen Zusammenhänge zwischen Printmedium und jeweiligem Leserkreis konnten hier nur angedeutet werden. Eine lohnende, wenngleich aufwendige Forschungsaufgabe ist ferner das Konkretisieren von Strategienprofilen für einzelne Beitragsformen wie beispiels-

57

Vgl. Heinemann/Viehweger 1991: 259-273.

292

weise Rezension und Bericht, Tip und Ankündigung, Porträt und Reportage, Glosse und Kommentar. Die Liste der Forschungsdesiderata ließe sich mühelos verlängern, doch muß auch hier, wo kein Redaktionsschluß drängt, einmal ein Punkt gesetzt werden.

9. Anhang

9. l

Verzeichnis der Abbildungen

Abb. l: Abb. 2: Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.

3: 4: 5: 6: 7: 8: 9:

Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.

13: 14: 15: 16: 17: 18: 19: 20: 21: 22:

Die untersuchten Presseorgane Matrix zur Differenzierung von Beitrags- und Kommunikaionsform Ressortproportionen nach Seitenumfang Anzahl und Zeilenumfang kultureller Beiträge Plazierung kultureller Beiträge Kultursparten nach Anzahl und Zeilenumfang der Beiträge . . . Kultursubsparten nach Anzahl und Zeilenumfang der Beiträge Themenfelder nach Anzahl und Zeilenumfang der Beiträge . . . Themenbereiche im Themenfeld Kulturprodukt nach Anzahl und Zeilenumfang der Beiträge Die häufigsten Ereignistypen nach Anzahl und Zeilenumfang der Beiträge Beitragsformen nach Anzahl der Beiträge Dichte und Breite der Berichterstattung nach Beitragsformenanzahl Funktionstypen nach Anzahl und Zeilenumfang der Beiträge Grad des Popularisierens durch Populärkultur Grad des Popularisierens durch Beitragsformen Grad des Popularisierens durch Präsentation Grad des Personalisierens durch Beitragsformen Grad des Personalisierens durch Hauptthema Grad des Personalisierens durch Perspektive Zuordnung der Spielarten zu Tendenzen des Personalisierens Grad des Personalisierens des Kommunizierten Grad des Personalisierens des Kommunizierens

25 60 112 117 118 123 126 141 141 144 150 156 158 169 172 181 204 207 210 216 218 221

294

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306

9.3

Kodierprotokoll

Erfassungseinheit war der einzelne Beitrag, eine durch Sinn und meistens auch Layout abgegrenzte Einheit. Nur bei den Umfangsberechnungen für Kultur als Ressort und dessen Anteil am Gesamtumfang eines Organs war die Seite Erfassungseinheit. Das heißt: Jedem Beitrag entspricht in jeder Datei genau ein Datensatz. Was als Beitrag zählte, war vor allem bei Konstellationen und Beiträgen mit größeren Elementen nicht sofort erkennbar. Eine Konstellation wurde definiert als eine thematisch bedingte Einheit von mehreren Beiträgen, zum Beispiel Bericht, Interview und Kommentar oder Rezension und Interview. Jeder Beitrag wiederum besteht aus vielerlei formalen Bausteinen. Was aber ist mit einem Info-Kasten zu einem Interview oder einer Info-Grafik? Beide wurden als Bausteine und nicht als eigene Beiträge kodiert, sofern sie nur als Service-Elemente Zusatzinformationen lieferten (zum Beispiel Filmografie bei Filmrezensionen), ohnehin Bekanntes (Archivwissen) zusammentrugen und keine eigene neue Aussage enthielten (zum Beispiel biographische Angaben zu einem Interview) oder zu kurz waren (Chroniken unter 30 Standardzeilen). Immer wieder fanden sich zudem mehrere Buchtips oder sogar Femsehkritiken vereint in einer durch das Layout abgegrenzten Einheit. Ob hier ein Beitrag (Sammelrezension) oder eine Rubrik mit mehreren kurzen Beiträgen vorlag, darüber entschied der Sinnzusammenhang: Stellte der Verfasser bzw. die Verfasserin eine Verbindung zwischen den Elementen her oder schrieb auch nur eine gemeinsame Einleitung, dann galt die Einheit als Beitrag. Wurden die Elemente nur aneinandergereiht, dann galt die Einheit als Rubrik, und die Elemente wurden als Beiträge gesondert erfaßt. Entsprechendes galt auch für Kurzmeldespalten, deren Elemente in der tageszeiiung beispielsweise sinnhaft verbunden wurden und daher nicht als einzelne Beiträge gelten konnten. Die Analysekategorien wurden aus den Fragen und am Material entwickelt und in Komplexe als einzelne Dateien gegliedert. Die Einzeldateien sind über Identifikationsnummern miteinander vernetzt worden und erlaubten somit auch dateiübergreifende Abfragen. Zur Datenbank: Die Datenfelder bestehen aus numerischen, alfanumerischen und logischen Einträgen. Hinzu kommt ein Datumsfeld für den Erscheinungstag einer Zeitungsausgabe. Statistische Ausweitungen sind bei allen Feldtypen möglich: bei den numerischen sind alle Rechenoperation möglich, bei den alfanumerischen können die kodierten Zeichen gezählt werden. Die Feldinhalte sind teils Klartext (zum Beispiel bei der Überschrift) und teils verschlüsselte Zeichen oder Zeichenfolgen (etwa drei Buchstaben für den Presseorgannamen).

307

Im Folgenden wird die Kodierung transparent gemacht. Dazu werden erstens die Kategorien und Subkategorien näher beschrieben (,,Konstraktumschreibung/ Nominaldefinition" '), zweitens die Kodierregeln explizit gemacht und drittens durch Erläuterungen, Auflistungen und Beispiele die Zuordnungen erklärt („operationale Definition"2). Die Kategoriendefinition gibt Aufschluß darüber, als was kodiert wurde, die Kodierregel darüber, wie kodiert wurde, und die operationale Definition darüber, was als was kodiert wurde. Kategorien zur Identifizierung der Beiträge Beitragsnummer Kategoriendefinition·. Die Beitragsnummer ist eine fortlaufende Nummer für jeden Beitrag und wurde nach der Reihenfolge der Eingabe vergeben. Sie kehrt in allen Dateien wieder und ermöglicht so die Identifikation des jeweiligen Beitrags und damit die Verknüpfung der Datensätze innerhalb des Datenbanknetzes. Kodierregel: In das numerische Feld wurde in fortlaufender Reihenfolge eine bis zu vierstellige Zahl eingegeben. Hatte die Zahl keine vier Stellen, wurden keine Nullen vorangeschrieben (also „l" und nicht „0001"). Presseorgan Kategoriendefinition·. Der Name einer Zeitung, Zeitschrift oder eines Magazins wurde zur Identifizierung eines Beitrags und zur organspezifischen Auswertung der Daten registriert. Über dieses Feld konnten auch die Pressetypen (beispielsweise „Überregionale Zeitung", „Regionalzeitung", „Wochenzeitung", „Magazin") abgefragt werden. Eine eigene Kategorie für die Pressetypen war also nicht nötig. Kodierregel: In das alfanumerische Feld wurde das Kürzel eines Presseorgans eingetragen. Operationale Definition: Die Skalierung ist nominal. Die Kategorie ist vollständig über folgende Liste definiert: FAZ = Frankfurter Allgemeine Zeitung FR = Frankfurter Rundschau SZ = Süddeutsche Zeitung WEL = Die Welt TAZ = die tageszeitung BEZ = Berliner Zeitung BMO = Berliner Morgenpost TSP = Der Tagesspiegel STZ = Stuttgarter Zeitung

1 2

Früh 1991, 220. Ebd., 81.

308 STN SWP BIL AZ ZE WO SPI FOC STE BUN

= Stuttgarter Nachrichten = Südwestpresse = Bild = Abendzeitung München = Die Zeit = Die Woche = Der Spiegel = Focus = Der Stern = Die Bunte

Datum Kategoriendefinition·. Mit „Datum" ist der Erscheinungstag der Ausgabe, in der der zu kodierende Beitrag erschienen ist, gemeint. Über Organ und Datum läßt sich jeweils eine Ausgabe rekonstruieren. Kodierregel und operational Definition: In das Datumsfeld wurde genau ein Datum eingetragen; und zwar der tatsächliche Erscheinungstag, nicht das Datum auf dem Seitenkopf einer Zeitung (die Zeit beispielsweise erschien donnerstags stets mit dem Datum des Freitags). Nicht kodiert wurden allerdings frühzeitige Auslieferungen: Wenn eine Zeitung an einem Bahnhofskiosk schon am Vorabend des Erscheinungstags zu kaufen war, wurde dennoch der Erscheinungstag kodiert. Überschrift Kategoriendefinition: Diese Kategorie enthält die Haupt- oder Schlagzeile der Überschrift im Wortlaut und dient vor allem dem raschen Aurrinden von Beiträgen. Kodierregel und operationale Definition: In das Klartextfeld wurde der Wortlaut der Hauptoder Schlagzeile eingetragen, weder einer Dach- noch einer Unterzeile; bei mehreren Zeilen im Layout als fortlaufender Text.

Kategorien zu Umfang und Gewicht Ressort Kategoriendefinition: Das Ressort wird als Sachgebiet verstanden, das meistens, aber nicht immer identisch ist mit der jeweils gleichnamigen Produktionseinheit gemäß dem Impressum. Die Kodierung zeigt erstens die Plazierung eines Beitrags an und erlaubt darüber Aussagen über die Gewichtung. Zweitens dient die Kategorie der Ermittlung der Ressortproportionen (siehe unten „Ausgabenseitenzahl nach Ressorts"). Kodierregel: In das alfanumerische Feld wurde alternativ (keine Mehrfachkodierung) ein Kürzel eingetragen. Operationale Definition: Die Skalierung ist nominal. Nach Sachthemen aller oder zumindest der meisten Beiträge auf einer Seite und nicht nach den Eigenkennzeichnungen der Presseor-

309 gane wurden die Seiten (auch halbe) je Ausgabe gezählt. Einzelbeiträge wurden nicht gesondert verrechnet, es sei denn sie erreichten den seitenrelevanten Umfang von einer halben oder ganzen Seite. Damit ist nicht jede Ungenauigkeit vermieden, aber doch geringer gehalten als dies bei einer reinen Seitenzählung nach den Einteilungen der Organe wäre (was zudem keinen Vergleich erlauben würde). Die Beiträge der verschiedenen Beilagen wurden den Ressorts nach Sachthemen zugeordnet. Folgende Ressorts wurden unterschieden: KUL = Kultur Dazu zählten alle als „Kultur" oder „Feuilleton" gekennzeichneten Seiten, auch die lokalen Kulturseiten, Extraseiten wie „Literatur", „Kunstmarkt" o.a. und die mit kulturellen Themen besetzten Seiten in den Wochenendbeilagen. Auch die Seiten Geisteswissenschaften wurden hier verrechnet. - Da auch die Plazierung kultureller Beiträge ausgewertet werden sollte, waren dafür (und nur für diese) drei Kodierungen möglich: KUL für den überregionalen Kulturteil, KOL für den lokalen Kulturteil und BEI für Beiträge in Beilagen (Literatur-, Programm- oder Wochenendbeilage). ALL = Allgemeines Dazu zählten alle nicht für ein bestimmtes Ressort reservierten Seiten, etwa institutionalisierte Interview- oder Porträtseiten, Seiten mit Verschiedenem oder Personalia, Editorials- und Inhaltsübersichten bei Zeitschriften. Auch die Titelseite wurde hier gezählt. (Zwar würde auch die Hintergrundseite hierher gehören. Da jedoch sowohl die Titel- als auch die Hintergrundseite bei den meisten Zeitungen von der Politik eindeutig dominiert sind, würde eine Verrechnung beider Seiten unter „Allgemeines" das Politikübergewicht in dieser Seitenstatistik unsichtbar machen. Deshalb wurde gesplittet: Titelseite unter „Allgemeines", Hintergrundseite unter .Politik".) POL = Politik Dazu zählten alle Seiten mit Innen- oder Außenpolitik und die Hintergrundseiten. WRT = Wirtschaft Dazu zählten alle Wirtschafts-, Finanz- und Börsenseiten. SPO = Sport Dazu zählten alle Sportseiten, auch Lokalsport. BUN = Buntes Dazu zählten alle Seiten „Buntes", „Vermischtes", ,Aus aller Welt", „Weltspiegel" etc. REG = Regionales Dazu zählten alle Landesseiten, Seiten aus dem jeweiligen Bundesland. LOK = Lokales Dazu zählten alle Lokalseiten, außer denen mit lokaler Kultur und lokalem Sport. MED = Medien Dazu zählten alle Seiten, die über Medienpolitik, -formen oder -Inhalte berichteten und das Fernseh- und/oder Hörfunkprogramm dokumentierten. MOD = Modernes Leben Dazu zählten alle Seiten unter dem Namen „Modernes Leben", „Lebensstil", „Gesellschaft", „Frau", „Familie", „Mode" etc. und den entsprechenden Themen. WIE = Wissenschaft und Bildung

310 Dazu zählten alle Seiten zu den Themen Naturwissenschaft, Technik, Medizin, Gesundheit, Umwelt, Bildung, Schule, Hochschule, Beruf. SON = Sonstiges Dazu zählten alle Seiten für Impressum und Leserbriefe, Ratgeber und Auto, Unterhaltung, Reise etc. Plazierung des Kulturteils Kategoriendeßnition: Untersuchungseinheit war der Kulturteil je Ausgabe. Wo die Kulturseiten in der Blattstruktur stehen, ob vorne oder hinten im Blatt (bei Zeitungen wie Zeitschriften), gut sichtbar am Anfang eines Buches oder ,.Produktes" (nur bei Zeitungen) oder irgendwo hinter Anzeigen versteckt, all das sagt etwas über das Gewicht, das einem Ressort zugemessen wird. Kodierregel und operational Definition: Die Skalierung ist ordinal. Die Gewichtung wurde als Summe aus mehreren Faktoren ermittelt. Diese waren (in Klammern die bei Zutreffen vergebenen Zahlenwerte): Kulturteil steht im ersten (3), zweiten (2), dritten (1), letzten (0) Viertel einer Zeitschrift Kulturteil steht im ersten Buch einer Zeitung (1), sonst (0) Kulturteil steht in eigenem Buch einer Zeitung (1) 3 , sonst (0) Erste Kulturseite steht am Buchanfang einer Zeitung, auf der „split page" (1), sonst (0)4 Seitenname Kategoriendeßnition: Jede Seite hat einen Namen, meistens ist dies eine Ressortkennzeichnung („Feuilleton") oder eine Kulturspartenkennzeichnung („Kino"). Kodierregel und operationale Definition: In das Klartextfeld wurde der Seitenname, wie er von den Organen selbst vergeben wird und in der Regel in einer Kopfzeile steht, eingetragen. Seitentyp Kategoriendefinition: Drei Seitentypen wurden unterschieden, auf denen Beiträge stehen konnten: kulturelle Basisseiten, kulturelle Sonderseiten und übrige Seiten. Die Unterscheidung diente vor allem der Findung des Kulturbegriffs der journalistischen Praxis und damit der Bildung des endgültigen Samples. Kodierregel und operationale Definition: Die Skalierung ist nominal. Eingetragen wurde jeweils ein Buchstabe: A = kulturelle Basisseite

B = kulturelle Sonderseite C = übrige Seite

Bei Kodierung dieser Subkategorie mit „l" ist, sofern die erste Buchseite nicht vollständig durch eine Anzeige ausgefüllt ist, auch die nachfolgende Subkategorie mit „l" zu kodieren. Das wird der Bedeutung eines eigenen Zeitungsbuches gerecht. Dadurch sind für Zeitung und Zeitschrift jeweils drei Punkte möglich, die Zahlen also vergleichbar.

311 Seitenzahl brutto und netto Kategortendefmition: Untersuchungseinheit hierfür war eine Zeitungs- bzw. Zeitschriftenausgabe. Deren Gesamtseitenzahl ist wichtig als Bezugsgröße für Anteilsberechnungen. Als Bruttoseiten wurde der gesamte Seitenumfang einer Ausgabe, inklusive der Anzeigen, gerechnet, als Nettoseiten zählten nur die redaktionellen Seiten. Da sich Anzeigen jedoch nicht nur auf ganzen Anzeigenseiten befanden, sondern auch auf Seiten mit redaktionellem Text, und da sich auch verschiedene Ressorts zuweilen Seiten teilten, wurden auch halbe Seiten gezählt. Wäre jede angefangene Seite als ganze gezählt worden, hätte dies die Ergebnisse sehr stark verzerrt. Wäre umgekehrt eine Seite in noch kleinere Einheiten aufgeteilt worden, wäre dies zwar noch präziser als die Zählung halber Seiten gewesen, hätte aber einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeutet. - Um die Vergleichbarkeit der Daten zu gewährleisten, wurden die absoluten Seitenumfänge umgerechnet auf das Berliner Format. Die Auswertung erfolgte nach absoluten Zahlen und nach Anteilen in Prozent (bezogen auf den redaktionellen Anteil, also den Organseitenumfang ohne Anzeigen). Kodierregel. In der Datenbank wurden zwei numerische Felder eingerichtet, eines für die Brutto- und eines für die Nettoseitenanzahl einer Ausgabe. Eingetragen wurden jeweils als Ziffern die Seitenzahlen ohne Stellen hinter dem Komma bei den Bruttoseiten (halbe Bruttoseiten kann es nicht geben) und mit einer Stelle hinter dem Komma bei den Nettoseiten. Operationale Definition: Die Skalierung ist metrisch. Bei der Kodierung wurde zugunsten des Textanteils verfahren. Das heißt: Seiten mit minimalem Textanteil galten als halbe Seiten, Seiten mit über der Hälfte Textanteil als ganze (gemessen wurde der Satzspiegel, nicht das Papier); wobei ein Unschärferand von drei Zentimetern bei Zeitungen und zwei Zentimetern bei Zeitschriften gelassen wurde, da die Seiten nicht immer exakt in der Mitte geteilt wurden. Wies also eine Seite die Hälfte plus mindestens drei Zentimeter bei Zeitungen und zwei Zentimetern bei Zeitschriften Text auf, zählte sie als ganze Textseite. Seitenzahl nach Ressorts Kategoriendefinition: Untersuchungseinheit für die Ermittlung der Ressortproportionen ist eine Ausgabe, Meßeinheit eine Seite. Bei der Kodierung war nicht immer auf die Ressortzuordnungen der Presseorgane Verlaß. Bloße Ressortseitenzählungen genügten also nicht. Unterschiedliche Blätter ordneten kulturelle Themen unterschiedlich zu. In der Woche etwa fanden sich eindeutig kulturelle Seiten im Buch „Modernes Leben". Vor allem aber Wochenendbeilagen mußten nach Ressortsachgebieten aufteilt werden. Die Ressortproportionen wurden für jedes Presseorgan gesondert ermittelt und auch nach Organtypen zusammengefaßt. Kodierregel und operational Definition: In der Datenbank wurde jedem Ressort ein numerisches Feld zugeordnet, in das für jedes Ressort die Seitenanzahl einer Ausgabe bis auf eine Stelle nach dem Komma (nur „X,5" oder X,0") eingetragen wurde. Zu den unterschiedenen Ressorts siehe oben unter „Ressort". Aufmacher auf den Titelseiten Kategoriendeßnition: Untersuchungseinheit ist der einzelne Beitrag. Die Aufmachung ist noch immer der Text einer Ausgabe, dem die größte Bedeutung zugemessen wird. Das recht-

312 fertigt eine gesonderte Auswertung der Ressortverteilung. Was der Aufmacher (bei Zeitschriften: Titelstory) war, ergab sich aus dem jeweiligen Layout einer Zeitung (Kriterien waren die Überschriftengröße, die Spaltenanzahl, die Plazierung auf der Titelseite, der Umfang). Kodierregel und operational Definition: Die Skalierung ist metrisch. Jedem Ressort wurde ein numerisches Datenfeld zugewiesen, in das die Anzahl der jeweiligen Beiträge geschrieben wurde. Als Ressorts wurden alle bei „Ressorts" genannten unterschieden, außer „Allgemeines".

Kategorien zur thematischen Struktur Kultursparte und -subsparte des Hauptthemas Kategoriendefinition·. Kultursparten sind beispielsweise Musik, Theater, Film, Literatur; Subsparten sind Gattungen oder Genres wie Jazz, Oper, Dokumentarfilm, Lyrik. Beide Kategorien sind definiert über die unten stehende Liste aller Subkategorien. Die Ausdifferenzierung erfolgte nicht nach kunstphilosophischen Kriterien, sondern nach Eigenkennzeichnungen in Texten und Veranstaltungskalendern sowie nach Kategorien der für Vergleichsdaten relevanten Statistiken. Das Schema gestattet unterschiedliche Sammelabfragen, zum Beispiel nach Populär- und Kunstkultur', deren alleinige Erfassung fragwürdig wäre. Die Typologie der Subsparten ist feiner als ursprünglich geplant, weil neben der Gewichtung der Kultursparten und wesentlichen Subsparten ein zweitens Erkenntnisinteresse hinzukam: die Gewinnung des Kulturbegriffs der journalistischen Praxis. Das erforderte in manchen Bereichen äußerst feine Differenzierungen, beispielsweise mußte die Subsparte „Sachbuch" nach Gegenstandsbereichen gegliedert werden, weil manche Sachbuchthemen von den Redakteuren als kulturelle eingestuft wurden und andere nicht. Die unten stehende Liste ist das Ergebnis der Analyse des Samples. Manche als Subsparte vielleicht naheliegende Kategorie findet sich in der Liste nicht, weil sie sich auch nicht im Korpus fand. Sie wurde bei der Arbeit als potentielle zunächst eingeführt, erwies sich dann als leer und wurde deshalb wieder aus der Liste gestrichen (sie sind mit einem Sternchen gekennzeichnet). Kodierregel: Sparte und Subsparte wurden der Platz- und Arbeitsökonomie wegen in einem einzigen vierstelligen alfanumerischen Datenfeld kodiert. Eingetragen wurde zunächst durch zwei Buchstaben die jeweilige Kultursparte, dann durch Ziffern die entsprechende Subsparte (die Ziffern stehen also je nach Kultursparte für Unterschiedliches). „AL" für die Sparte wurde eingetragen, wenn keine bestimmte Sparte zuzuordnen war, also bei übergreifenden Beiträgen; etwa bei einem Porträt über einen Künstler, der nicht nur Literatur geschrieben, sondern auch Bilder gemalt hat und in ganzer Werkbreite porträtiert wurde. Wurden jedoch nur oder überwiegend seine Romane oder seine Bilder thematisiert, dann war wiederum eine Subsparte klar zuordbar. „AL" steht auch, wenn ein Beitrag mehrere Kultursparten zugleich zum Thema hatte, also auch bei übergreifenden Terminkalendern etc. Damit ist auch klar, daß keine Mehrfachkodierungen erlaubt waren. Eingetragen wurde jeweils nur eines der un-

Dieses Begriffspaar findet sich bei Müller-Sachse 1988 und 1991 sowie Frank 1991.

313 ten stehenden Kürzel. Wurden in einem Beitrag mehrere Sparten oder Subsparten thematisiert, galt nur die im Vordergrund stehende, die des Hauptthemas. Waren zwei Themen gleichberechtigt Hauptthema, was selten war, dann wurden sie in einer extra Kategorie („Spartenübergreifendes", „Subspartenübergreifendes") kodiert. Operationale Definition: Die Kategorien der Sparten und der Subsparten sind nominal skaliert. Die alphabetische Liste der Kultursparten und -Subsparten: Allgemeines, Spartenübergreifendes (AL) 01 = Spartenübergreifende Termine 02 = Spartenübergreifende Veranstaltungen (Festivals, Kulturtage), Personen, Preise 03 = Spartenübergreifende Kulturpolitik und Institutionen (Stiftungen, Verbände, Gesellschaften, Institute, Volkshochschule etc.) 00 = Sonstiges (u.a. spartenübergreifende Sammelmeldungen) Architektur (AR): 01 = Subspartenübergreifendes (Personen, Ausstellungen, Institutionen) 6 1 1 = Pionierbauten, Prestigeobjekte 12 = Stadtentwicklung, Städtebau Bildende Kunst (BK): 01 = Subspartenübergreifende Termine 02 = Subspartenübergreifende Ausstellungen, Messen, Auktionen, Personen, Preise 03 = Subspartenübergreifende Institutionen (Vereine, Galerien, Museen) 11 = Malerei 12 = Grafik, Zeichnung, Radierung, Druck, Holzschnitt (als Thema und Exemplar) 13 = Skulptur 14 = Fotografie (als Thema und Exemplar) 15 = Installationen, Performance, Video- und Computerkunst 16 = Kunsthandwerk* 00 = Sonstiges (Cartoons, Design, Plakate, Tätowierungen u.a.) Darstellende Kunst (DK):7 01 = Subspartenübergreifende Termine 02 = Subspartenübergreifende Veranstaltungen, Personen und Preise 03 = Subspartenübergreifende Institutionen (politische und wirtschaftliche Aspekte) 1 1 = Schauspiel 12 = Boulevardtheater, Mundart 13 = Laienbühne, Schultheater* 21 = Pantomime

Subspartenübergreifende Termine kamen nicht vor, auch erfolgt in der Sparte „Architektur" aufgrund der geringen Beitragszahl keine Differenzierung in Subspartenübergreifende Veranstaltungen, Personen oder Institutionen. Die Einteilung in Zehnerblöcke bei den Ziffern für die Subsparten erlaubt einfache Sammelabfragen, beispielsweise für Sprechtheater („l"), Musiktheater („2"), Kinder-, Jugendund Figurenbühne („3") und Kleinkunst im weiteren Sinne („4").

314 22 = Ballett, Tanztheater 23 =Oper 24 = Operette* 25 = Musical 26 = Tanz (nicht Tanztheater) 3 1 = Kinder- und Jugendtheater 32 = Figurentheater 41 = Kabarett 42 = Kleinkunst (Brettl, Sketch, Klamauk) 43 = Revue, Variete 44 = Zauberkunst* 45 = Zirkus* 00 = Sonstiges* Film im Kino und auf Video (FK und FV): * 01 = Subspartenübergreifende Programme und Quoten 02 = Subspartenübergreifende Veranstaltungen (Filmtage, Filmfestivals), Personen und Preise 03 = Subspartenübergreifende Filmpolitik, Filmförderung, Filmwirtschaft 11= Erzählkino mit Unterhaltungsdominanz 12 = Autorenkino mit Kunstdominanz 21 = Dokumentarfilm 22 = Kinder- und Jugendfilm 00 = Sonstiges (Commercial, Trick-/Animationsfilm, Kurzfilm etc.) Geistiges Leben (GL): 9 1 1 = Ästhetik, Kunsttheorie 12 = Sprachkritik 13 = Geisteswissenschaft, Philosophie 14 = Politische Kultur, intellektueller Diskurs Historisch-Kulturelles (HK): I0 11= Denkmalschutz und -pflege, Baudenkmäler 12 = Bewegliche Denkmäler, Antiquitäten 13 = Archäologische Ausgrabungen* 21 = Archive, Historische Vorträge, Ausstellungen und Museen zu Archäologie, Urund Frühgeschichte, Völkerkunde, Kultur- und Alltagsgeschichte, Religions- und Kirchengeschichte; auch Museumskomplexe

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9 10

Mit dieser extra Kodierung für Kino- und Videofilm sind getrennte Abfragen ebenso möglich wie eine gemeinsame (über den Buchstaben „F"). Mit der Subsparten-Zehnerziffer „l" können Spielfilme zusammen abgefragt werden. In dieser Sammel-Sparte war nichts Subspartenübergreifendes zu verzeichnen. In dieser Sparte fand sich weder Subspartenübergreifendes noch „Sonstiges".

315 22 = Archive, Historische Vorträge, Ausstellungen und Museen zu Technik, Naturwissenschaft, Verkehr, Wirtschaft* 23 = Archive, Historische Vorträge, Ausstellungen und Museen zu Heimat- und Volkskunde, Schloß-, Burg- und Klostermuseen* 24 = Archive, Historische Vorträge, Ausstellungen und Museen zu Politisch-Historischem, Gedenkstätten und -tage Literatur (LI): 01 = Subspartenübergreifende Termine, Buchlisten 02 = Subspartenübergreifende Bücher, Veranstaltungen (Lesungen, Buchwochen), Personen, Preise 03 = Subspartenübergreifende Institutionen, Literaturpolitik, Buchmarkt, Verlage, Bibliotheken, Literaturarchive etc. 11= Lyrik/Poesie (als Thema und Exemplar) 12 = Epik/Prosa (als Thema und Exemplar; Kurzprosa, nicht Zeitungsroman) 13 = Dramatik/Theaterstücke als Text 14 = Biographie (auch Festschriften) 15 = Autobiographie, Tagebuch, Briefwechsel 16 = Essay 17 = Satire, Humor 20 = Sachbuch übergreifend zu Kulturellem 22 = Sachbuch Architektur 23 = Sachbuch Bildende Kunst 24 = Sachbuch Film 25 = Sachbuch Fotografie 26 = Sachbuch Literatur 27 = Sachbuch Geisteswissenschaften, Philosophie 28 = Sachbuch Musik 29 = Sachbuch Darstellende Kunst, Theater 30 = Sachbuch Sonstiges 31 = Sachbuch Populärpsychologie, Lebenshilfe 32 = Sachbuch Naturwissenschaften 33 = Sachbuch Politik, Geschichte, Soziologie 34 = Sachbuch Wirtschaft* 35 = Sachbuch Landeskunde 36 = Sachbuch Sport* 37 = Sachbuch Reise (auch Reiseführer, nicht Landeskunde)* 38 = Sachbuch Freizeit, Hobby, Spiel* 41 = Kinder-und Jugendbuch 42 = Schulbuch 43 = Bildbände (Dokumentiertes, nicht Sachbuch zu Landeskunde, Film, Fotografie) 44 = Comics 45 = Kalender

316 46 = Literaturzeitschriften 50 = Antiquarisches, alte Handschriften u.a. 00 = Sonstiges Musik (MU): 01 = Subspartenübergreifende Termine 02 = Subspartenübergreifende CDs, Veranstaltungen, Personen, Preise 03 = Subspartenübergreifende Institutionen, Musikpolitik, Musikmarkt, Plattenfirmen 11 = Alte Musik 12 = Klassik bis Moderne des 20. Jahrhunderts 13 = Zeitgenössische Musik (auch Experimentelles) 14 = Sakralmusik, Chor 15 = Soul, Gospel, Spirituals, Blues pur 16 =Jazz 17 =Folk 18 = Liedermacher, Chansons und Songs 19 = Volksmusik, Schlager, Country* 20 = Klassiker des Pop und Rock, Evergreens, Oldies 21 = Adult Contemporary-Music, Rhythm & Blues, Rock, Light Jazz, Latin, Reggae 22 = Contemporary Hit Radio, Chart-Pop, Hiphop, Rap, Techno, House ec. 00 = Sonstiges Kulturjournalismus (ZZ): 01 = Fenster 02 = Hinweise in eigener Sache, Ankündigungen 03 = Berichtigungen, Korrekturen 04 = Meldungen und Berichte über andere Feuilletons ll 05 = Reflexionen über die eigene Arbeit, über Kritik, auch über Konkurrenz 00 = Sonstiges Nichtkulturelles (NN) 01 = Kolumnen, Glossen, Feuilletons mit beliebigem nichtkulturellem Thema 11 = Politik, Zeitgeschichte* 12 = Wirtschaft* 13 = Modernes Leben, Gesellschaft*

14 = Buntes* 15 16 17 18

= Reise* = Kirche, Religion* = Schule, Hochschule, Bildung* = Naturwissenschaft*

19 = Medien (von Zeitung und Zeitschrift über Hörfunk und Fernsehen bis zu Multimedia und Videospiel)* 00 = Sonstiges*

Wurden also nicht unter „Medien" kodiert.

317 Kultursparte und -subsparte des Anlasses Kategoriendefmition: Während in der vorherigen Kategorie das jeweilige Hauptthema eines Beitrags kodiert wurde, wurde in dieser die Sparte oder Subsparte des jeweiligen Anlasses erfaßt. Der Anlaß ist der aktuelle Aufhänger, der aber nicht auch zentrales Thema sein muß. Diese doppelte Erfassung war nötig, weil Anlaß und Hauptthema zwar meistens, aber eben nicht immer identisch waren und die Fälle der Abweichung besonders interessierten. Die Typologie ist für Hauptthema und Anlaß gleich, um Übereinstimmungen und Abweichungen feststellen zu können. Sie ist dieselbe wie für das Hauptthema und muß hier daher nicht noch einmal vorgestellt werden. Ein Beispiel für auseinanderfallende Kodierung: Ein Buch über eine Jazzsängerin wurde als Anlaß „LI28" kodiert und als Hauptthema mit „MU07", wenn die Musik zentrales Thema ist und das Buch in den Hintergrund rückt. Kodierregel und operational Definition: Wie bei Sparte und Subsparte als Hauptthema. Themenfeld, Themenbereich und Ereignistyp des Hauptthemas Kategoriendefinition·. Eine Reihe von relevanten Fragen erfordert eine Thementypologie. Diese ist dreistufig. Die erste Kategorie sind Themenfelder. In einer zweiten Stufe wurden diese Themenfelder miteinander kombiniert zu Themenbereichen. Dies diente der Präzisierung der Themenfelder und damit auch der Vermeidung von Überschneidungen. Dieser zweiten Kategorie wurden als dritte Kategorie Ereignistypen zugeordnet. Während die Themenbereiche „von oben", von den Leitfragen dieser Arbeit her gebildet wurden, wurden die Ereignistypen „von unten", aus dem Material heraus entwickelt. Kodierregel: In das dreistellige alfanumerische Feld wurde an die erste Stelle der Buchstabe für das jeweilige Themenfeld geschrieben, an die zweite Stelle der Buchstabe für den entsprechenden Themenbereich. Das Verhältnis von erstem und zweitem Buchstaben ist in der Regel das von Subjekt und Prädikat (z.B. „KD" für „Das Kunstwerk ist umstritten"). Schließlich folgt eine Ziffer für den zugehörigen Ereignistyp. Die Ereignistypen wurden mithin nicht in loser Reihenfolge gesondert, sondern nach Themenbereichen geordnet kodiert. Eine Mehrfachkodierung war nicht erlaubt, wohl aber war eine Mehrfachabfrage der Themenbereiche später möglich. Beispiel: Der An- und Verkauf eines Kunstwerks fällt unter „KB", eine Auktionsveranstaltung unter „BK". Abgefragt werden können später sowohl „KB" und „BK" gesondert (Trennung) als auch „K" und „B" jeweils extra (Überschneidung). Operationale Definition: Die Themenfelder wurden vor allem durch die zugehörigen Themenbereiche und diese durch die zugeordneten Ereignistypen definiert. Die Liste: 12 K = Kulturprodukt KK = Kulturprodukt ist als Kulturprodukt thematisiert 0 = Sonstiges 1 = K. als Exemplar: Gedicht, Kurzprosa, (Solo-)Foto, Karikatur 2 = K. geplant, in Vorbereitung (auch mehrere): Theaterprobe, Dreharbeiten etc.

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Mit einem Sternchen* sind alle Subkategorien gekennzeichnet, die sich in der journalistischen Praxis als nichtkulturell erwiesen haben und die daher für die Analyse des Samples Kulturjournalismus nicht mehr erhoben wurden.

318 3 = K. ohne Veranstaltung (Buch oder CD ist neu erschienen, Bild ohne Ausstellung wird vorgestellt) 4 = K. als Veranstaltung: Lesung (Literatur), Konzert (Musik), Ausstellung (Bildende Kunst, Foto, Museum), Premiere (Theater), Auftritt (Kleinkunst), Gastspiel, Film im Kino, Einweihung (bei Architektur) 5 = Mehrere K. als Veranstaltung: Buchwoche, Musikfestival, Kunstmesse, Theaterfestival, Filmfestspiele 6 = Kulturtermine KP = Kulturprodukt ist personenbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Kulturproduzent/Künstler als roter Faden 2 = Figur in K. als roter Faden KB = Kulturprodukt ist betriebsbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = An- und Verkauf und Wert eines K. 2 = Rückgabe, Überführung, Schenkung eines K. 3 = K. renoviert oder restauriert oder (wieder)aufgefunden 4 = Distributionsform für K.: neuer Verlag für ein Buch, Verleih für einen Film, Label für eine CD 5 = Finanzierung eines K. KD = Kulturprodukt ist diskussionsbezogen thematisiert13 0 = Sonstiges 1 = K. ist viel in der Diskussion, sehr umstritten (Quantität) 2 = K. ist in der Diskussion: wie und was, Art und Inhalte (Qualität) 3 = Demo gegen K. oder sonstige Aktion KR = Kulturprodukt ist rezeptionsbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = K. wird viel oder wenig aufgenommen (Quantität), Bestseller, Quoten 2 = K. wird viel oder wenig aufgenommen (Quantität), Text 3 = K. wird so und so aufgenommen, verstanden etc. (Qualität) KT = Kulturprodukt ist trendbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = K. ist trendy oder veraltet, Mode oder nicht, in oder out KZ = Kulturprodukt ist feuilletonbezogen thematisiert (Rezeption der Profis) 0 = Sonstiges 1 = K. wird im Feuilleton vernachlässigt, bevorzugt (Quantität) 2 = K. kommt im Feuilleton gut, schlecht an (Qualität) KN = Kulturprodukt ist nichtkulturell thematisiert

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Die Diskussion findet auf der Ebene des Ereignisses statt, nicht auf der Ebene der Berichterstattung. Kommentare gehören also nicht in diese Kategorie, es sei denn eine Diskussion und nicht das diskutierte Ereignis selbst wird kommentiert.

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= Sonstiges* 1 = . ist geraubt oder durch Kriminelle zerstört* 2 = K. ist im Krieg zerstört* P = Kulturproduzent (Künstler, nicht Produktionsleiter) PK = Kulturproduzent ist kulturell thematisiert 0 = Sonstiges 1 = P. äußert sich zu Kunst oder sich als Künstler 2 = P. als Künstler aktiv bzw. thematisiert 3 = (Um-)Besetzung einer Rolle (bei Musik, Theater, Film) PB = Kulturproduzent ist betriebsbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = äußert sich über Kulturbetrieb, z.B. gegen Einsparungen 2 = im Kulturbetrieb: zum Verbandsvorsitzenden gewählt etc. 3 = P. erhält Preis 4 = P. wird so und so vermarktet (Kleidung, Image-Design etc.)* 5 = P. erhält soundsoviel Gehalt, Gage PP = Kulturproduzent ist personenbezogen thematisiert 0 = Sonstiges* 1 = P. äußert sich über sich privat* 2 = P. privat (Alltag, Hobbys, Familie, Affären)* 3 = P. hat Geburtstag 4 = P. ist gestorben 5 = P. ist krank* PD = Kulturproduzent ist diskussionsbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = P. äußert sich über Diskussionen (nicht inhaltlich) 2 = P. ist viel in der Diskussion, sehr umstritten (Quantität) 3 = P. ist in der Diskussion, umstritten: wie und was, Art und Inhalte (Qualität) PR = Kulturproduzent ist rezeptionsbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = P. äußert sich über seine Rezeption 2 = P. kommt gut oder schlecht an, hat Erfolg oder Mißerfolg (Quantität) 3 = P. kommt so und so an (Qualität) PT = Kulturproduzent ist trendbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = P. äußert sich über Trend(s) 2 = P. liegt im Trend, ist modisch, steht vor Durchbruch 3 = P. macht immer mehr Soundso-Kunstwerke, wird immer x-er PZ = Kulturproduzent ist feuilletonbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = P. äußerst sich über Feuilleton(s) 2 = P. wird im Feuilleton vernachlässigt, bevorzugt (Quantität)

320 3 = P. kommt im Feuilleton gut, schlecht an, hat schweren oder leichten Stand (Qualität) PN = Kulturproduzent ist nichtkulturell und nichtprivat thematisiert 0 = Sonstiges* 1 = P. äußert sich über Gott und die Welt 2 = P. als politische Person, Vergangenheit etc.* 3 = P. ist verhaftet, angeklagt oder dergleichen* 4 = P. auf Ball, Wohltätigkeitsveranstaltung o.a.* 5 = P. wird als Künstler verfolgt B = Kulturbetrieb BK = Kulturbetrieb ist kulturbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = B. präsentiert neues Programm 2 = Neubau in seiner Funktion für die Kunst (z.B. Bericht über künstlerische Möglichkeiten einer neuen Bühne) 3 = Veranstaltung wird verschoben, fällt aus, ist ausverkauft 4 = Auktion, Versteigerung (als Veranstaltung, nicht KB1) 5 = Werbung für Kulturprodukt 6 = Lehrvortrag, Vorlesung zu Kultur 7 = Seminar, Kurs, Workshop, Werkstatt zu Kultur BP = Kulturbetrieb ist personenbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Personelle Veränderungen in B. (z.B. neuer Indendant, Buchlektor oder Entlassung) 2 = B. verleiht Preise (bei Einzelkünstler PB) 3 = Kulturmanager, -Organisator bei der Arbeit BB = Kulturbetrieb ist betriebsbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Institution geplant 2 = Institution gegründet, fertig, eingeweiht, eröfihet, umgezogen 3 = Institution feiert Jubiläum 4 = Kauf oder Verkauf einer Institution 5 = Institution finanzielle Lage (muß sparen, ist bedroht oder schließt) 6 = Kulturpolitik: Politikeräußerungen, Beschlüsse, Kulturetat 7 = Institution erhält Preis 8 = Bau oder Finanzierung einer Institution BD = Kulturbetrieb ist diskussionsbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Bestimmte Institution ist viel in der Diskussion, sehr umstritten (Quantität) 2 = Bestimmte Institution ist in der Diskussion, umstritten: Art und Inhalte (Qualität) 3 = Diskussion oder Streit in Institution

321 BR = Kulturbetrieb ist rezeptionsbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Bestimmte Institution kommt kaum an (Quantität), z.B. wenig Besucher im Museum 2 = Bestimmte Institution kommt so und so an (Qualität), z.B. Besucher im Museum verhalten sich so und so, wollen nur so und so Museen BT = Kulturbetrieb ist trendbezogen thematisiert 0 = Sonstiges

1 = Bestimmte Institution ist trendy (Quantität) 2 = Bestimmte Institution wird immer x-er (Qualität) BZ = Kulturbetrieb ist feuilletonbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Bestimmte Institution wird im Feuilleton vernachlässigt, bevorzugt (Quantität) 2 = Bestimmte Institution kommt im Feuilleton gut, schlecht an (Qualität) BN = Kulturbetrieb ist nichtkulturell thematisiert 0 = Sonstiges* 1 = Politisches (z.B. Institution äußert sich politisch) 2 = Juristisches (z.B. Institution ist nicht rechtsfähig)* D = Diskussion, Debatte, Problem DD = Diskussion ist diskussionsbezogen thematisiert

0 = Sonstiges 1 = (Podiums-)Diskussion, Symposium, Tagung, Kongreß 2 = Rede (nicht zur Lehre) 3 = Veröffentlichung in Zeitschriften und Zeitungen DK = Diskussion ist kulturbezogen thematisiert 0 = Sonstiges

1 = Inhalte der D. 2 = Diskussionskultur, Argumentationen, Strategien, Form (kontrovers-kooperativ) DP = Diskussion ist personenbezogen thematisiert 0 = Sonstiges

1 = Diskutierende 2 = Zahl der Diskussionsteilnehmer DB = Diskussion ist betriebsbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Organisation, Veranstaltung einer D. 2 = Instrumentalisierung einer D. im Betrieb DR = Diskussion ist rezeptionsbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = D. kommt viel oder kaum an (Quantität) 2 = D. kommt so und so an (Qualität) DT = Diskussion ist trendbezogen thematisiert 0 = Sonstiges

322 1 = D. wird derzeit gerne gerührt, ist derzeit Tabu (Quantität) 2 = D. geht in eine bestimmte Richtung, wird immer x-er (Qualität) DZ = Diskussion ist feuilletonbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Foren der D. (in welchen Feuilletons wird die D. geführt?) 2 = Rolle der Feuilletons bei D. DN = Diskussion ist nichtkulturell thematisiert 0 = Sonstiges

1 = Politische, ökonomische, juristische Folgen einer Diskussion 2 = Polizei räumt Demonstration* R = Rezeption (Kulturnutzung durch Publikum, nicht Profis) RR = Rezeption ist rezeptionsbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Gedanken über das Rezipieren oder Rezeptionen überhaupt RK = Rezeption ist kulturbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Bestimmter Rezeptionstyp von Kultur, z.B. unterhaltungs- oder bildungsorientierte Nutzung RP = Rezeption ist personenbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Rezipierende: Wer sieht, hört, liest etc.? RB = Rezeption ist betriebsbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Institution profitiert von R., z.B. Verlag verdient am Bucherfolg RD = Rezeption ist diskussionsbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Rezeptionstyp ist viel in der Diskussion, sehr umstritten (Quantität) 2 = Rezeptionstyp ist in der Diskussion, umstritten: wie und was, Art und Inhalte (Qualität) RT = Rezeption ist trendbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Bestimmter Rezeptionstyp ist in/out, z.B. unterhaltungsorientierte Kulturnutzung ist Mode RZ = Rezeption ist feuilletonbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Rezeptionstyp herrscht oder fehlt im Feuilleton RN = Rezeption ist nicht kulturell thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Rezeptionstyp hat politische, ökonomische, juristische etc. Folgen T = Trend TT = Trend ist trendbezogen thematisiert 0 = Sonstiges

323 l = Gedanken über Trends überhaupt TK = Trend ist kulturbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = kultureller Trend 2 = hat kulturelle Folgen, Rückwirkungen TP = Trend ist personenbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = T. bei Personen, z.B. Machofiguren als Schauspieler sind derzeit in oder out 2 = T. wird von bestimmter Person gefördert, gemacht, befolgt TB = Trend ist betriebsbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Betrieblicher, institutioneller T., z.B. immer mehr Kinopaläste 2 = T. wird von bestimmter Institution gefördert, gemacht, befolgt 3 = T. nützt bestimmter Institution TD = Trend ist diskussionsbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = T. bei Diskussionstyp (nicht bestimmte Diskussion) 2 = T. ist viel in der Diskussion, sehr umstritten (Quantität) 3 = T. ist in der Diskussion, umstritten: Art und Inhalte (Qualität) TR = Trend ist rezeptionsbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = T. Rezeptionstyp, z.B. so liest man jetzt 2 = T. kommt so und so an, wird stark-schwach befolgt TZ = Trend ist feuilletonbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = T. bei Feuilletontyp, z.B. greller Stil ist in TN = Trend ist nichtkulturell thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Politische, ökonomische, juristische Folgen eines Trends Z = Feuilleton ZZ = Feuilleton selbst ist thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Hinweis in eigener Sache, Ankündigung, Fenster 2 = Korrektur eines eigenen Fehlers ZK = Feuilleton ist kulturbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Ziele und Prinzipien eines bestimmten Feuilletons 2 = Themen und Inhalte eines bestimmten Feuilletons 3 = Machart und Form eines bestimmten Feuilletons ZP = Feuilleton ist personenbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Feuilletonisten (Redakteure, freie Autoren)

324 2 = Personen, über die geschrieben wird ZB = Feuilleton ist betriebsbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Quiz, Rätsel und Auflösung 2 = Feuilleton ist neu, wird vergrößert, verkleinert o.a. 3 = Feuilleton hat neuen Chef, personelle Veränderungen ZD = Feuilleton ist diskussionsbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Z. ist viel in der Diskussion, sehr umstritten (Quantität) 2 = Z. ist in der Diskussion, umstritten: Art und Inhalte (Qualität) ZR = Feuilleton ist rezeptionsbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Bestimmtes Feuilleton kommt gut oder schlecht an (Qualität) 2 = Bestimmtes Feuilleton kommt viel oder wenig an (Quantität) ZT = Feuilleton ist trendbezogen thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Bestimmtes Feuilleton ist in oder out 2 = Bestimmtes Feuilleton wird immer x-er ZN = Feuilleton ist nichtkulturell thematisiert 0 = Sonstiges 1 = Politische Richtung eines bestimmten Feuilletons NN = Nichtkulturelles ist thematisiert 0 = Sonstiges* 1 = Nichtkulturelles in Beitragsform Feuilleton, Glosse YY = Übergreifendes (bei Sammelmeldungen) ist thematisiert 0 = Sonstiges Themenfeld, Themenbereich und Ereignistyp des Anlasses Kategoriendefinition·. Hier wurden für den Anlaß eines Beitrags wie für das Hauptthema jeweils Themenfeld, Themenbereich und Ereignistyp erfaßt. Kodierregel und operationale Definition: Die Typologie ist dieselbe wie für das Hauptthema. Hinzu kam lediglich die Subkategorie „XX = kein aktueller Aufhänger", sinnvollerweise ohne Differenzierung des Ereignistyps (daher Ziffer „0").

Kategorien zur funktionalen Struktur Beitragsformen Kategoriendeßnition: Da Beiträge Untersuchungseinheiten sind, ist die Analyse ihrer Formen unverzichtbar. Sie erlaubt Aussagen über Gewichtungen beispielsweise von Themen und ist noch grundlegender Voraussetzung für das Verstehen eines Beitrags. Wer etwa einen Kommentar für einen Bericht hält, wird zu unangemessenen Verständnissen und Urteilen kom-

325 men. Beitragsformen werden definiert über Kommunikationsformen. Deshalb sind Beitragsformen auch eine Kategorie der funktionalen Struktur von Pressekommunikation. Kodierregel und operational Definition: Die Skalierung ist nominal. Beitragsformen werden über Kommunikationsformen bestimmt, und diese setzen sich aus sprachlichen Handlungen zusammen, die auf der Beitragsebene funktionale Bausteine heißen. Jede Beitragsform hat konstitutive funktionale Bausteine. Diese definieren eine Beitragsform und werden in der untenstehenden Liste zusammen mit den Hauptfunktionen einer Beitragsform kursiv hervorgehoben. Die wichtigsten Unterscheidungskriterien für die vielfältigen Beitragsformen der journalistischen Praxis sind also die funktionalen Bausteine. Bei manchen Beitragsformen liegt eine Beschränkung des Gegenstands vor: Ankündigungen, Tips, Rezensionen behandeln immer nur kulturelle Produkte und Veranstaltungen. Auch der Zeitbezug zum Ereignis unterscheidet Beitragsformen: Ankündigungen, Vorschauen und auch Tips, sofern sie kulturelle Veranstaltungen zum Thema haben, erscheinen vor dem Ereignis, Berichte, Rezensionen etc. danach. Dieser Zeitbezug schlägt sich allerdings in der Regel in bestimmten funktionalen Bausteinen nieder; beim Tip beispielsweise im Empfehlen oder Abraten. Durch die formale Gestaltung heben sich optische Beitragsformen ab. Doch nicht dies macht sie zu bestimmten Beitragsformen, sondern das Spektrum der durch die bestimmte formale Gestaltung möglichen funktionalen Bausteine. Schließlich unterscheiden sich Beitragsformen nach der Textlänge. Doch ist nicht die Textlänge konstitutiv, sondern das Inventar der typischen funktionalen Bausteine, das oft (bei komplexen Formen) eine bestimmte Länge voraussetzt. - Kodiert wird je Beitrag je eines der nachfolgenden Kürzel. Eine Mehrfachkodierung für sogenannte Mischformen ist nicht möglich. Die Beitragsformen in alphabetischer Reihenfolge: A = Aktion für Leserinnen und Leser Eine Aktion für Leserinnen und Leser soll die Leserinnen und Leser aktivieren und damit die Leser-Blatt-Bindung festigen oder überhaupt erst herstellen. Als Aktion für Leserinnen und Leser zählt alles, was die Leserinnen und Leser zum Mitmachen auffordern soll. Das sind in der Regel Rätsel, Gewinnspiele, Verlosungen etc. Auch die Auflösungen und die Nennung der Gewinner wurde als „A" kodiert. BE = Ereignisbericht Bei einem Bericht über Ereignisse stehen die Fakten im Mittelpunkt. Antwort gegeben wird auf die sieben klassischen W-Fragen: Wer? Was? Wann? Wo? Wie? Warum? Welche Quelle? Die dominierende sprachliche Handlung ist das Mitteilen, daß (etwas der Fall ist). Von der Meldung unterscheidet den Bericht vor allem die Länge (ab 41 Zeilen ä 40 Anschläge). Daraus ergibt sich für den Bericht die Möglichkeit, einen nichtnachrichtlichen Einstieg zu wählen, komplexere sprachliche Handlungen fwie das Einordnen) einzubauen, Details auszuführen, den Ereignisverlauf zu schildern, Personen (nicht nur kurz) zu Wort kommen zu lassen etc. BH = Hintergrundbericht Über Fakten hinaus können in Berichten Hintergründe und Zusammenhänge mitgeteilt werden, auch die Vorgeschichte und wahrscheinliche oder tatsächliche Folgen eines Ereignisses. Ist dies nicht nur vereinzelt der Fall, sondern prägt es den ganzen Text, dann wird von einem Hintergrundbericht gesprochen. Kennzeichnende sprachli-

326 ehe Handlungen sind neben dem Berichten vor allem das Einordnen und Vergleichen, das Erläutern und Erklären, auch das Analysieren und Deuten, nicht das Bewerten. l4 BV = Vorschau Ein Bericht - ob BE oder BH -, der vor einem Ereignis erscheint, wird als Vorschau klassifiziert. Berichtet wird nicht, was stattgefunden hat, sondern was geplant ist. Die Hauptfunktion einer Vorschau ist der Service für mögliche Besucher des Ereignisses, meist einer kulturellen Veranstaltung. Vorschauen finden sich neben dem Kulturjournalismus vor allem in der Sportberichterstattung. Die Vorschau ist nicht zu verwechseln mit einer Vorab-Rezension, das heißt, einer Rezension, die vor dem Kulturereignis erscheint. Beide unterscheiden sich durch die Kenntnis des Verfassers vom Gegenstand und den daraus entspringenden Handlungsmöglichkeiten: Bei einem Film beispielsweise gibt es für Journalisten sogenannte „previews", so daß eine Rezension vor dem eigentlichen Anlaufen des Films im Kino erscheinen kann. Sprachliche Handlungen wie das Beschreiben, Deuten und Bewerten setzen die Wahrnehmung des Films voraus und sind daher Rezensionen vorbehalten. Vorschauen dagegen beruhen nicht auf eigener Wahrnehmung, sondern auf Informationen aus Pressematerial und Recherche-Interviews. In ihnen können daher ohne Spekulationen nur Fakten mitgeteilt werden. C = Chronik Als Chronik gilt ein Text, der in Tabellen- oder Listenform, in Stichworten oder in knappen Berichtssätzen den Verlauf eines Ereignisses, die Geschichte einer Person, einer Institution, eines Gegenstandes etc. mitteilt. D = Dokumentation Eine Dokumentation ist der Abdruck eines nichtjournalistischen Textes. Das kann eine Rede sein, ein Buchauszug, ein Manifest und vieles mehr. Auch Bilder und Texte, die selbst Kulturprodukte sind, können dokumentiert werden. Sie werden jedoch hier gesondert erfaßt (siehe XB und XL). E = Essay Der Essay hat kein Ereignis oder Kulturprodukt, sondern ein Thema zum Gegenstand. Ereignis oder Kulturprodukt sind allenfalls aktuelle Aufhänger. Wie bei einer Analyse wird interpretiert, eingeordnet, erklärt und erläutert, im Gegensatz zu dieser aber nicht streng argumentativ, sondern mehr thetisch und spekulativ (was den Namen „Versuch" rechtfertigt), wenngleich auch Argumentationen vorkommen können. Der Essay ist mehr gewagte Synthese als Analyse. Vom Kommentar unterscheidet sich der Essay vor allem durch die Rolle von Kritik. Zwar sind auch im Essay Bewertungshandlungen möglich, sie stehen aber nicht im Vordergrund wie beim Kommentar. Stilistisches ist üblich, aber nicht konstitutiv. Bei der Definition des Essays werden oft

14

Siehe die Unterschiedung von Bericht und Hintergrundbericht bei Bucher 1986; ferner zur Abgrenzung des Hintergrunds von einfachem Bericht, Feature, Reportage und Magazinstory Haller (1990: 87-90 und 93). Haller definiert die Beitragsformen über ihre „Funktionalität" und reflektiert den historischen Wandel in Form und Stil (ebd.: 62-69).

327 die Kategorien verwechselt. Doch Aussagen über den literarischen Charakter des Essays und stilistische Forderungen definieren nicht die Beitragsform, sondern formulieren lediglich Qualitätskriterien. F = Feature Das Feature soll vor allem einen abstrakten Sachverhalt durch ein repräsentatives Beispiel veranschaulichen, etwas Allgemeines exemplifizieren. Kennzeichnend sind daher die funktionalen Bausteine Beschreiben, Schildern, Erzählen einerseits und Berichten, Einordnen, Deuten andererseits. Im Gegensatz zur Reportage steht nicht das Geschehen selbst im Vordergrund, sondern es ist nur Beispiel für etwas, kann daher sogar fiktiv sein. 15 G = Glosse Als Glosse zählen alle Beiträge, mit denen glossiert wird und zwar mehr im Sinne von Satire, Parodie als von Kommentar. Viele Zeitungen bezeichnen als Glosse alles, was am Rande steht und worin meinungsfreudige Anmerkungen gemacht werden: Randbemerkungen eben. Dies mag sprachhistorisch richtig sein, führt aber dazu, daß eindeutige Kommentare aufgrund ihrer Plazierung als Glossen zählen (so bei der Eigenbezeichnung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung). Der Gebrauch des Ausdrucks „Glosse" soll hier dagegen konzentriert werden auf alle Beiträge, die mit Witz und Ironie kommentieren, die verspotten, sich lustig machen über etwas, die Pointen setzen, hintersinnige Anspielungen machen etc. 16 Die Glosse in diesem spezifischen Sinne ist also durch ein sehr bestimmtes Inventar von wertenden sprachlichen Handlungen charakterisiert (nicht zu verwechseln mit einem bestimmten Stil oder dem Qualitätskriterium der Unterhaltsamkeit). ID = Gespräch als Dialog Ein Dialog ist das Gespräch zweier Partner mit gleicher Stellung und Rolle. Während beim Interview einer Journalist ist und zumindest überwiegend fragt, unterhalten und/oder streiten (Streitgespräch, Disput) sich beim Dialog zwei Nichtjournalisten über ein bestimmtes Thema. Eine Frage muß dabei nicht vorkommen. Typische funk-

15 16

Vgl. Haller 1990: 75-81 und 93. So auch die empirisch begründete Definition in der Monografie von Camen (1984: 219): „Die Glosse ist ein kurzer, pointiert geschriebener Meinungsbeitrag, der sich satirischer Mittel bedient, der in der Sprache feuilletonistisch und in der Sache universell ist. [...] Wer aber einen Kurzartikel, der sich in nichts von einer der 'normalen' Kommentarformen unterscheidet, als 'Glosse' bezeichnet, der trägt zu der begrifflichen Verwirrung bei, die weder im Sinne der Wissenschaft sein kann, noch im Interesse der publizistischen Praxis liegen kann." Camen unterscheidet fünf Haupttypen nach Funktionen: a) Äußerung von Meinung oder Kritik, b) Bewirken von Meinungsänderung, c) Angreifen, Verspotten, Lächerlichmachen, Schadenfreude äußern, d) Zum Nachdenken anregen, e) Erfreuen oder belustigen. Vgl. auch Meyer/Fröhner 1991: 14: „die Glosse holt das Unwirkliche, Widersinnige, Widersprüchliche, Seltsame heraus, indem sie überspitzt, verzerrrt, karikiert, höhnt, ironisiert, parodiert."

328 tionale Bausteine sind das Behaupten und das Widersprechen oder Zustimmen, das Begründen und Widerlegen. Als Dialog wird nur eingestuft, was die Äußerungen beider Partner in einem Beitrag umfaßt. Sind die Dialogäußerungen auf zwei oder mehr Beiträge verteilt (zum Beispiel bei Debatten über ein bestimmtes Thema in einer Zeitung oder zwischen zwei Zeitungen), dann handelt es sich eben nicht mehr um einen Beitrag, sondern um mehrere, und jeder einzelne Beitrag wird extra kodiert (als Essay oder Kommentar). IP = Interview/Gespräch zur Person Ein Interview ist durch die Frage-Antwort-Handlungsstruktur definiert. Kennzeichnend sind ferner die komplementäre Rollenverteilung (im Gegensatz zu Dialog, Diskussion oder Streitgespräch gibt es einen Fragesteller und einen Antwortgeber) und die Mehrfachadressierung (Fragen werden oft im angenommenen Interesse der Leser, Hörer oder Zuschauer gestellt, Antworten sind meistens an die Medienrezipienten gerichtet). I7 Die journalistische Wiedergabe des Interviews in der Presse reicht von der wenig bearbeiteten Dokumentation des Gesprächs (so bleibt in Boulevardzeitungen oft der mündliche Charakter in Lexik und Syntax gewahrt, um einen authentischen, lebendigen Eindruck zu vermitteln) bis zur Interview-Story (vor allem in Nachrichtenmagazinen). Bei den meisten Zeitungen wird der Wortlaut jedoch verändert. Bei den Umformulierungen werden Partikel des Mündlichen gestrichen (Ach je, ahm) oder durch Schriftsprachliches ersetzt (Nee durch Nein) und werden die üblichen Satzbruchstücke zu grammatikalisch korrekten Sätzen zusammengesetzt. Interviews, deren Hauptthema die befragte Person ist, heißen „Interview zu Person". Steht ein Künstler als solcher und nicht als Privatperson im Mittelpunkt, so ist oft die Grenze zum Interview zur Sache, bei dem vor allem das Kunstwerk des befragten Künstlers thematisiert wird, nicht leicht zu ziehen. Einzelne Fragen und Antworten können meist klar zugeordnet werden, das ganze Interview enthält aber oft fast gleichrangig Passagen zum arbeitenden Künstler und zur Arbeit des Künstlers. Hier muß im Einzelfall entschieden werden. IS = Interview/Gespräch zur Sache Ein Interview, deren Hauptthema nicht die befragte Person ist, sondern ein Sachthema (Problem, kulturelles Ereignis etc.), heißt „Interview zur Sache". Ein Interview zur Sache Kulturveranstaltung vor dem Ereignis (z.B. ein Gespräch mit dem TheaterRegisseur über seine Inszenierung einen Tag vor der Premiere) kann die Funktion einer Vorschau haben. Um die Grenze zwischen Bericht und Interview nicht zu verwischen, werden diese „Vorschauen" jedoch als IS und nicht als BV kodiert. KK = Kurzkritik, Kurzrezension Die Kurzkritik oder Kurzrezension unterscheidet sich, wie der Name bereits verrät, von Kritik bzw. Rezension nur durch die Länge. Eine Kurzkritik oder Kurzrezension ist eine Kritik oder Rezension mit bis zu 40 Zeilen ä 40 Anschläge. Eine „Kurzkritik" bis zu 40 Zeilen ist ein Tip, wenn ein Kulrurprodukt selbst (Buch, CD etc.) behandelt

Zu sprachwissenschaftlichen Grundlagen vgl. Bucher 1994a und Bucher 1994b: 483-488.

329 wird. Sie ist kein Tip, wenn eine Veranstaltung behandelt wird, die bereits stattgefunden hat. Der entscheidende Unterschied ist der Zeitpunkt des Erscheinens und damit die Funktion des Beitrags. Ein Tip erfüllt vor allem die Servicefunktion, eine Kurzrezension hat vor allem Information, Bildung und Kritik zum Ziel. Bei einem Kulturprodukt selbst erscheint der Beitrag für fast alle Leserinnen und Leser (außer den wenigen, die es schon kennen) vor der Rezeption, bei einer kulturellen Veranstaltung danach. Zwar sind es auch hier nur wenige, die bei der Veranstaltung gewesen sein werden, aber die übrigen haben nicht die Möglichkeit, selbst hinzugehen. Das gilt für alle einmaligen kulturellen Veranstaltungen wie Konzerte, Gastauftritte und ähnliches, genau genommen aber auch bei Theaterinszenierungen und anderen Veranstaltungen, die „wiederholt" werden. Denn die Aufführungen sind keine Reproduzierungen, sondern jeweils Originale, Live-Ereignisse. Die Regie mag noch gleich sein, die Schauspieler und erst recht ihre Leistungen können aber unterschiedliche sein. KL = Kolumne „Die Kolumne (das Wort bedeutete ursprünglich 'Satz einer Seite', dann 'Spalte', 'Kolonne', in der ein Autor regelmäßig veröffentlicht) ist ein Meinungsartikel eines einzelnen, oft sehr bekannten Publizisten." 18 Kennzeichnende funktionale Bausteine sind das Einordnen, Deuten und Bewerten, auch das Pointen machen und Polemisieren. Der Kolumnist nimmt Stellung zu einem einzelnen Ereignis, zu einer Entwicklung oder stellt verschiedene Ereignisse in einen thematischen, szenischen oder sprachspielerischen Zusammenhang. KO = Kommentar „Versucht man, das im Rahmen von Kommentartexten mögliche Spektrum sprachlicher Handlungen wie bei Nachricht oder Bericht listenartig zu erfassen, stellt man schnell eine ungleich größere Vielfalt fest. Um über Sachverhalte zu informieren, Einstellungen zum Ausdruck zu bringen, um nach quantitativen, moralischen, ästhetischen u.a. Maßstäben Bewertungen abzugeben, diese zu begründen, abzuschwächen oder zu widerlegen, kommt eine kaum noch überschaubare Zahl von Handlungsmustern in Betracht." 19 Die Textsorte darf also nicht zu eng definiert werden, etwa durch die weit verbreitete Beschränkung auf das Bewerten. Gleichwohl liegt gerade hierin das spezifische Profil des Kommentars gegenüber anderen Formen. Die wichtigsten und konstitutiven funktionalen Bausteine sind in drei Gruppen zu nennen: das Bewerten in allen Spielarten: vom direkten Loben oder Kritisieren, auch dem persönlichen Angreifen, Vorwerfen und Verteidigen, bis zum ausführlichen Abwägen 20; Argmentationshandlungen wie das Begründen, Rechtfertigen, Belegen, Folgern, Widerlegen; und orientierende Handlungen wie das Einordnen, Erklären, Deuten und Prognostizieren, die auch in Hintergrundberichten vorkommen und in

18 19 20

Reumann 1990: 79. Lüger 1995: 133. Entsprechend unterscheidet La Röche (1995: 154f) zwischen „Argumentations-Kommentar", „Geradeaus-Kommentar" und „Einerseits-andererseits-Kommentar".

330 Kommentaren sogar dominieren können. Kennzeichnend ist zudem, daß ein Kommentar nie allein steht, sondern in einem konstellativen Zusammenhang mit einem Bericht. Dies erklärt die Sparsamkeit von Mitteilungshandlungen und die Konzentration auf das Bewerten, Argumentieren und Orientieren. Jene Handlungen sind diesen Handlungsgruppen subsidiär untergeordnet: als Belege, Illustrationen etc. 21 KR = Kritik, Rezension Eine Kritik ist nur eine Form der Rezension, wenngleich deren häufigste: eine mit Bewertungshandlungen. Es gibt auch Rezensionen ohne Wertungen. Im Englischen ist dafür der Ausdruck „review" gebräuchlich. In einer Rezension haben im Gegensatz zu einfachen Formen wie dem Tip auch komplexe sprachliche Handlungen Platz wie das Vorstellen einer Person (Künstler oder Figur im Kunstwerk), das Skizzieren einer Exposition (bei Roman, Theater oder Film), das Zusammenfassen des Inhalts (einer Handlung bei Romanen oder Spielfilmen), das Beschreiben und Erklären der formalen Mittel (nicht nur das schlagwortartige Nennen), das Vergleichen mit anderen Kunstwerken, das Erläutern von Hintergründen, das Einordnen in Zusammenhänge, das Interpretieren, das abwägende Bewerten etc. All diese Handlungen können als einzelne auch in anderen Beitragsformen vorkommen, sind aber vor allem im Verbund typisch für Rezensionen. Kritik wie Rezension behandeln stets das geschehene Ereignis, die Kulturveranstaltung, die bereits stattgefunden hat. Ihre Funktion ist daher nicht vorwiegend der Service wie bei Vorschau oder Tip, sondern mehr die Information, Bildung und Kritik. (Wenngleich auch für eine Rezension die weitergehende Funktion des Service bestehen kann, wenn das Konzert einer Pop-Gruppe in einer Großstadt rezensiert wird, weil diese Pop-Gruppe zwei Wochen später ein Konzert im Verbreitungsgebiet der Zeitung gibt.) KS = Sammelrezension Werden zwei oder mehr Kulturprodukte in einem Beitrag rezensiert, spricht man in der Regel von einer Sammelrezension. Doch ist der Sprachgebrauch nicht streng: Werden beispielsweise zwei kurz hintereinander erschienene Bücher eines Autors besprochen, dann wird kaum von einer Sammelrezension gesprochen. Gleiches gilt, wenn ein Roman eines Schriftstellers und ein Buch über ihn (Biographie, wissenschaftliche Monographie etc.) gleichzeitig auf den Markt kommen. Werden dagegen zwei thematisch verwandte Bücher von zwei verschiedenen Autoren rezensiert, wird von einer Sammelrezension gesprochen. Dieser redaktionelle Sprachgebauch wurde hier übernommen. In Sammelrezensionen haben funktionale Bausteine wie das Vergleichen, Einordnen und aneinander Messen besonderes Gewicht. L = Leserbrief Ein Leserbrief ist der zur Veröffentlichung bestimmte Brief eines Lesers an die gelesene Zeitung oder Zeitschrift. Er wird durch Plazierung und/oder Bezeichnung als sol21

22

Zur linguistischen Beschreibung der Handlungsstruktur des Kommentars siehe Lüger (1995: 126-136). Näheres zur Beitragsform Rezension in Stegert 1993 und 1997.

331 eher kenntlich gemacht. Das Presserecht verpflichtet zur Angabe des vollen Namens. Der Schreiber kann irgendein unbekannter Leser sein, ein von einem Bericht Betroffener und/oder ein Prominenter. Der Inhalt und die funktionalen Bausteine sind nicht festgelegt: Es kann eine ergänzende Information, eine Richtigstellung, aber auch eine Verteidigung oder eine mehr oder weniger sachliche Kommentierung sein. Ein Leserbrief nimmt meistens, aber nicht immer Bezug auf einen veröffentlichten Artikel. 23 MA = Meldung als Ankündigung Eine Ankündigung ist eine Meldung zu einer kultureller Veranstaltung. Sie ist also eine durch den Gegenstand (kulturelle Veranstaltung), durch die Zeit (vor dem Ereignis) und durch die Funktion (Service) definierte Sonderform der Beitragsform Meldung, die wiederum durch einfache Mitteilungshandlungen bestimmt ist (siehe MN). Der Aufbau erfolgt in der Regel streng nachrichtlich in Form einer umgekehrten Pyramide. Die Ankündigung unterscheidet sich von der Vorschau durch den Umfang (bis zu 40 Zeilen ä 40 Anschläge) und dadurch auch durch das Spektrum der möglichen Handlungen. Sie unterscheidet sich vom Tip durch die Kenntnis des Gegenstands und das sich daraus ergebende Handlungsspektrum: Bewertungen und Deutungen setzen die Rezeption des Kulturprodukts voraus und fehlen daher in Ankündigungen, die als Informationsquelle in der Regel nur auf Pressemitteilungen der Veranstalter beruhen. MF = Meldungen als Kleines Feuilleton Sind mindestens zwei Meldungen (siehe MN) nicht nur unter einer Rubrik additiv zusammengefaßt, sondern gemeinsam eingeleitet und/oder durch Formulierungen (oft szenischer oder thematischer Art) miteinander verknüpft, dann spricht man traditionellerweise vom Kleinen Feuilleton. 24 Die alte Form findet sich regelmäßig wieder in der alternativen tageszeitung mit dem traditionsreichen Titel „Unterm Strich". MN = Meldung als Nachricht Bei einer Meldung stehen wie bei einem Bericht über Ereignisse die Fakten im Mittelpunkt. Antwort gegeben wird auf die klassischen W-Fragen. Vor allem: Wer? Was? Wann? Wo? Und je nach Länge: Wie? Warum? Welche Quelle? Die dominierende sprachliche Handlung ist das Mitteilen, daß (etwas der Fall ist). Der Aufbau ist im Kulturjournalismus nicht immer streng nachrichtlich in Form einer umgekehrten Pyramide, sondern entspricht oft der einer „weichen Nachricht"25, weshalb die Gliederung auch kein Definitionskriterium sein kann. Vom Bericht über Ereignisse unterscheidet die Meldung die Länge (bis 40 Zeilen ä 40 Anschläge wurde festgelegt) und das daraus sich ergebende kleinere Spektrum an funktionalen Bausteinen. N = Feuilleton Das Feuilleton als Beitragsform hat Alltägliches zum Gegenstand. Der Schreiber ist umherschweifender Flaneur, der mal hier und mal dort seinen Blick hinwirft, scheinbar Banales aufgreift und als Symptom interpretiert oder anders in einen Zusammen23 24 25

Vgl. Bucher 1986. Vgl. Haacke 1952: 200. Vgl. Lüger 1995: 103-108.

332 hang stellt, durch den das zunächst Unbedeutende bedeutend wird und wodurch der Beitrag sich implizit rechtfertigt. Charakteristisch für das Feuilleton als Beitragsform ist also dieser Deutungsschritt.26 Nicht konsumtiv, aber üblich sind szenische Elemente durch funktionale Bausteine wie Beschreiben, Schildern und Erzählen. Ein gehobener Stil ist ebenfalls gebräuchlich und zählt als Qualitätsmerkmal, darf aber nicht als Definitionskriterium mißverstanden werden. OB = Optisches: Schmuckbild Zuweilen kommen Bilder als eigene Beiträge vor, sogenannte Schmuck-, Featureoder schlicht Solobilder. Als solches kodiert wurde jedes Bild, das nicht einem Text beigestellt ist, sondern dem nur ein Bildtext zugeordnet ist. Überschriften fehlen sehr oft, lediglich ein Anlauf in fett, kursiv oder Kapitälchen ist üblich. Der Bildtext kann durchaus die Länge eines kurzen Berichts oder einer Kurzrezension erreichen, bleibt dem Bild aber durchs Layout immer untergeordnet. Dies ist eine formale Bestimmung. Funktional ist in den meisten Fällen auch der noch so kurze Bildtext dem Bild übergeordnet. Das formal dominierende Bild ist funktional untergeordnet als Beispiel oder bloße Illustration bzw. als Eyecatcher zur Lesemotivation. In diesen Fällen wurden die Beiträge der funktionalen Beitragsformenbestimmung gemäß den jeweiligen Beitragsformen zugeordnet, also als Ankündigungen, Tips, Rezensionen etc. kodiert. War das Bild jedoch dem Bildtext funktional übergeordnet, beispielsweise durch die Funktion des Schmückens, dann wurde als Beitragsform „OB" eingetragen; es sei denn, es handelte sich um ein Kulturprodukt selbst (siehe „XB"). OK = Optisches: Karikatur Die Pressekarikatur ist eine der ältesten journalistischen Beitragsformen. Sie wird als eigener Beitrag gezählt, wenn sie nicht einem anderen Beitrag formal (durchs Layout) oder thematisch zugeordnet ist, sondern für sich steht. Mit Karikaturen kann man „durch pointierten Inhalt oder überspitzte Form belustigen (Witzzeichnungen), kommentieren (Bildkommentare, editorial cartoons) oder angreifen (Kampfbilder)." 27 PN = Porträt einer Person als Nachruf Eine besondere Form des Porträts ist der Nachruf. Während das allgemeine Porträt eine Momentaufnahme sein kann und die Biographie vernachlässigen kann, hat der Nachruf die Lebensgeschichte der jeweiligen Person zum Mittelpunkt. Im Nachruf haben auch nichtjournalistische Handlungen wie Würdigen oder Danken einen festen Platz. PP = Porträt einer Person außer Nachruf Ein Porträt ist definiert durch das Thema (eine Person) und bestimmte darauf ausgerichtete funktionale Bausteine. Das sind vor allem: das Vorstellen (durch Angabe von Name, Beruf, Alter, Familienstand, Kurz-Lebenslauf etc.), das Beschreiben (von Gesicht, Gestalt, Mimik, Gestik, Kleidung, Handlungen etc.), das Charakterisieren (von Eigenschaften, Gewohnheiten, Handlungsweisen etc.), die Redewiedergabe. Natürlich 26 27

Vgl. Haacke 1952; Reumann 1990: 82. Reumann 1990: 83.

333 kommen in Porträts auch häufig Handlungen vor, die für andere Beitragsformen typisch sind: das Berichten (von Leistungen und Ereignissen, die vielleicht Anlaß für das Porträt sind), das Fragen und Antworten (als lebendiges Element übernommen aus dem zugrunde liegenden Gespräch mit der porträtierten Person), das Schildern und Erzählen (von Begebenheiten aus dem Leben der Person) und vieles mehr. Porträts einer Person können von Einzelpersonen oder von kleinen Gruppen (zum Beispiel einer Rockband) erstellt werden. PI = Porträt einer Institution Neben Einzelpersonen und kleinen Gruppen können auch größere Einheiten (oft juristische Personen) porträtiert werden, zum Beispiel Theater, Museen, Plattenlabels oder freie Veranstalter. Die typischen funktionalen Bausteine sind entsprechend modifiziert: das Vorstellen bezieht sich nun vor allem auf Name, Alter, Größe (Sitzplätze, Umsatz, Zuschauer- oder Verkaufszahlen, Anzahl der pro Jahr produzierten Werke etc.), Typ (freie Theaterbühne oder Drei-Sparten-Haus) etc.; das Beschreiben auf das Äußere und Innere des Gebäudes sowie auf typische Arbeiten; das Charakterisieren weiterhin auf kennzeichnende Eigenschaften, Gewohnheiten, Handlungsweisen (beispielsweise kann ein Theater als risikofreudig (in der Stückauswahl) und experimentell (in der Inszenierung) charakterisiert werden); die Redewiedergabe auf mehrere Einzelpersonen der Institution. PV = Porträt als Vorschau Hat das Porträt einer Person oder Gruppe die kulturelle Veranstaltung des Porträtierten zum Anlaß und weist auch darauf hin (mit der Angabe von Zeit und Ort), dann wurde es als Vorschauporträt eingeordnet. PV ist also ein Sonderfall von PP. Q = Quote, Bestsellerliste Kinozuschauer-Quoten und Bestsellerlisten für Bücher, Videos und CDs haben Listenoder Tabellenform und sind durch ihren Inhalt definiert: die Verkaufszahlen der jeweiligen Kulturprodukte, angeordnet in absteigender Reihenfolge. Einzige sprachliche Handlung ist das Nennen (von Produkt und Verkaufszahl). R = Reportage Kennzeichnend für eine Reportage sind sprachliche Handlungen wie das Beschreiben, Schildern und Erzählen, Hauptziel ist das Am-Erlebnis-Teilhaben-lassen 28. Eine Reportage ist daher szenisch aus der Perspektive eines Subjekts gestaltet und stellt den Verlauf eines Geschehens linear dar. Die Chronologie bildet den roten Faden. Darin eingewoben oder daran (wie an einer Wäscheleine) aufgehängt sind Bausteine wie das Berichten von Hintergrundwissen und das Einordnen in Zusammenhänge. S = Story Als „Story" wurden summarisch alle Beiträge kodiert, die ihren Stoff dramaturgisch aufbereiten 29, die beim Aufbau also weder dem Prinzip der abnehmenden Wichtigkeit

28

29

Vgl. Haller 1990. Durch dieses Hauptziel unterscheiden sich Reportagen auch von Hintergrundberichten, Features und Stories mit vielen szenischen Elementen (ebd.: 85 und 96). Vgl. ebd.: 81-87 und 93.

334 (von Meldung und Bericht) folgen, noch streng der Chronologie einer Reportage (wenngleich man auch hierin eine Dramaturgie sehen kann und viele Stories sich auch an der Chronologie zumindest grob orientieren), noch dem funktionalen Aufbau einer Argumentation in Kommentaren (bestehend aus Behauptungen und Begründungen, Belegen etc.). Eine Story soll „Prozesse nachzeichnen, Entwicklungen aufzeigen, Rollen durchschauen und Hintergründe aufdecken [...] und gleichwohl die handelnden Menschen mit ihren persönlichen Merkmalen und Eigenheiten vorfuhren" 30. Diese Funktion ist nach Haller das Charakteristikum der Story im Unterschied zu verwandten Formen (und erwies sich auch zur Differenzierung bei der Kodierung als praktikabel): „Das Feature ist zu stark auf die ungewichtete Veranschaulichung der Sachverhalte bezogen und darum wenig geeignet. Die Reportage ist zu sehr auf die Schilderung authentischer Beobachtungen konzentriert, also ihrerseits ungeeignet."31 Zusammenfassend: ,4m Unterschied zur Reportage eignet sich der Typus Nachrichtenmagazingeschichte, um über Geschehnisse mitsamt den beteiligten und betroffenen Menschen berichtend zu erzählen. Die Geschichte soll eine Entwicklung aufzeigen, soll Ursachen und Folgen nennen können und eine Quintessenz (Tendenz) anbieten. Für Szenen und Episoden verwendet sie Reportage- und/oder Feature-Elemente, durchsetzt sie aber mit Zusammenhangs- und Hintergrundinformationen. Sie deutet und interpretiert diesen Zusammenhang und gibt eine Bewertung. Ihre früher stark faktizierende und kommentierende Sprache wirkte sehr distanzierend; Konzeptänderungen tragen der Subjektivität des Journalisten Rechnung und gestatten einen persönlicheren Stil."32 = Tip Ein Tip hat den Umfang einer Meldung (bis 40 Zeilen ä 40 Anschläge), unterscheidet sich von dieser aber durch wertende Handlungen wie bemängeln, loben, tadeln etc. und oft auch durch die Nennung möglicher Adressaten. Der journalistische Sprachgebrauch für „Tip" ist also offener als der umgangssprachliche, der nur positive Bewertungen zuläßt; mit einem Tip kann man auch abraten. Die Beitragsform ist inhaltlich beschränkt: auf kulturelle Produkte (wie Buch, CD) und bei kulturellen Veranstaltungen (Theateraufführungen, Musikkonzerte etc.) zeitlich auf das Vorher. Das bedeutet: Der Tip ist - egal ob die Bewertung positiv oder negativ ausfällt - definiert durch die Funktion des Services. (Indizien sind die Angaben zu Ort und Zeit einer Veranstaltung.) Haben die Leserinnen und Leser nicht mehr die Möglichkeit, an dem Kulturereignis teilzunehmen, so wird nicht von einem Tip, sondern von einer Kurzkritik gesprochen. In bezug auf die Rezeption durch den Kulturjournalisten kennzeichnet den Tip jedoch ein Nachher. Ihn unterscheidet von der Ankündigung, was die Rezension von der Vorschau unterscheidet: die Kenntnis des Gegenstands und die daraus sich ergebenden Handlungsmöglichkeiten (siehe BV). Komplexe Handlungen des Rezensierens sind ausgeschlossen.

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Ebd.: 81. Ebd.: 82. Vgl. eine Definition der Beitragsform im Spiegel von 1949 (zitiert ebd.: 85). Ebd.: 87.

335 TS = Sammeltip Tips werden nicht nur unter einer Rubrik zusammengefaßt, so daß sie noch als einzelne Beiträge zu identifizieren sind, sondern auch in einen Beitrag integriert. Typisch sind summarische Ein- und Überleitungen, Einordnungen, Bewertungen und natürlich Vergleiche. Sammeltips haben die Länge von Rezensionen. Funktion (Service) und funktionale Bausteine (kaum komplexe) weisen sie jedoch als Tips aus. U = Umfrage Eine Umfrage ist wie das Interview durch die Frage-Antwort-Stnktui definiert. Doch während ein Interview aus mehreren Fragen (und Antworten) an eine Person besteht, setzt sich eine Umfrage aus einer Frage (und jeweils einer Antwort) an mehrere Personen zusammen. Ein Interview kann zum Gespräch werden, eine Umfrage ist eine Ansammlung von Statements. V = Veranstaltungskalender Der Veranstaltungskalender ist eine Sammlung von Ankündigungen in besonderer Form und hat den Service zur Hauptfunktion. Zum Gegenstand hat er kulturelle Veranstaltungen, die noch nicht stattgefunden haben. Diese werden angekündigt. Das heißt: Die Veranstaltungen (wer macht was?) werden mit Ort und Zeit (wo und wann?) in Stichworten (nicht grammatikalisch vollständigen Sätzen) in chronologischer, thematischer oder alphabetischer Reihenfolge genannt. Der Veranstaltungskalender besteht also ausschließlich aus der sprachlichen Handlung des Nennens (von Künstler, Titel der Veranstaltung, Ort und Zeit). W = Wertung, Ranking Wertungen in Worten oder mit Symbolen wie Sternchen, erhobenen oder gesenkten Daumen sind meistens formale Bausteine eines Beitrags, sie können jedoch auch ein eigener Beitrag sein. Als solche haben Wertungen - auch Rankings genannt - wie Bestsellerlisten in der Regel Listen- oder Tabellenform. Sie sind jedoch nicht durch ihren Inhalt (Verkaufszahlen) definiert, sondern durch die Handlung des Bewertens von Kulturprodukten. Man könnte sie auch als Sonderform des Tips bezeichnen. XB = Kunstbilder Als Kunstbilder wurden Solobilder, die Kulturprodukte selbst sind, verzeichnet, also dokumentierte Kunstwerke im Unterschied zu Bildern zu oder von kulturellen Ereignissen oder Produkten (wie etwa ein Foto von einer Theateraufführung). Es sind als Reproduktionen abgedruckte, also dokumentierte Kunstfotos, Gemälde, Zeichnungen, auch Ausschnitte aus einem Film (nicht aber die Abbildung eines Schauspielers, die nicht aus dem Film selbst stammt), sofern diese dem - wenn auch kurzen - Bildtext nicht funktional ungeordnet sind (etwa als Beispiel), sondern selbst im Vordergrund stehen (etwa als Schmuck) und der Bildtext ihnen funktional untergeordnet ist (etwa als Erläuterung). XL = Literatur Als Literatur im engeren Sinne zählten nichtjournalistische Textformen wie Gedicht, Anekdote, Aphorismus, Kurzprosa u.a. Der Zeitungsroman wurde hierzu nicht gerechnet, weil er nach den Printmedien nicht mehr zum Kulturjournalismus gehört.

336 = Redaktionelles

„Redaktionelles" heißt eine Sammelkategorie, zu der Ankündigungen in eigener Sache (auf eine bald erscheinende Literaturbeilage etwa), redaktionelle Hinweise, Editorials, Korrekturen u.a. zählen. Eine Sonderform sind Fenster. YF = Fenster Fenster sind Kästen, in denen Beiträge (wie in Inhaltsverzeichnissen) in Schlagzeilenform angekündigt werden. Die Aufgabe dieser Beitragsform ist das Orientieren der Leserinnen und Leser innerhalb einer Zeitungsausgabe und darüberhinaus das Motivieren zum Lesen. Z = Zitat Zitate kommen in nahezu allen Beitragsformen vor, sind zuweilen aber auch eigene Beiträge, wenn sie freistehend oder in einem Kasten hervorgehoben ohne Bezug zu einem anderen Artikel auftreten. Viele Zeitungen haben Zitate zu einer festen Rubrik gemacht. Zu den bekanntesten gehört beispielsweise die Rubrik „Aufgespießt" auf der Seite zwei der Frankfurter Rundschau. Die Funktion von Zitaten als eigenen Beiträgen ist neben der Information vor allem die Unterhaltung, oft auch die kommentarlose (Selbst-)Entlarvung. Funktionstypen Kategoriendefinition: Eine zentrale Frage jeder Medienanalyse ist die nach der Funktion der Beiträge. Hierzu wurden bestimmte Funktionstypen unterschieden. Die Zuordnung erfolgte über die Beitragsformen. Das ist möglich, weil diese funktional definiert wurden. Die Funktionstypologie ist also eine Zusammenfassung der Beitragsformentypologie. Kodierregel und Operationale Definition'. Die Funktionstypen sind definiert durch die zugeordneten Beitragsformen. Eine Mehrfachzuordnung ist jedoch nicht möglich, obwohl Beiträge mehrere Funktionen gleichzeitig erfüllen können, ja dies sogar Ziel der Journalisten ist. Da eine Zusammenfassung der Beitragsformentypologie unter funktionalen Gesichtspunkten beabsichtigt war, wurden die Kategorien exklusiv gebildet. Kriterium für die Zuordnung ist jeweils die für eine Beitragsform typische und dominierende Funktion. So wird beispielsweise die Rezension nicht der Unterhaltungsfunktion zugeordnet, obwohl viele Rezensionen sehr unterhaltsam sind. S = Service Als Service zählen: Vorschauberichte (BV), Ankündigungen (MA), Vorschauporträts (PV), Tips (T, TS), Veranstaltungskalender (V), Wertungen (W). E = Ereignisberichterstattung Dazu zählen: Ereignisberichte (BE), Meldungen als Nachrichten und Kleine Feuilletons (MN, MF). B = Hintergrundberichterstattung Dazu zählen: Hintergrundberichte (BH), Dokumentationen (D), Essays (E), Features (F), Dialoge (ID), Interviews zur Person (IP), Interviews zur Sache (IS), Porträts von Institutionen (PI), Nachrufe (PN), Porträts einer Person (PP), Reportagen (R), Stories (S) und Umfragen (U).

337 K = Kritik Als Kritik zählen: Glossen (G), Kolumnen (KL), Kommentare (KO) und Rezensionen (KK, KR, KS). U = Unterhaltung Als Unterhaltung zählen: Feuilletons (N), Schmuckbilder (OB), Karikaturen (OK) und Kunstwerke selbst (XB, XL). X = Sonstiges Nicht einer der oben stehenden Funktionen zuzuordnen sind: Aktionen (A), Leserbriefe (L), Quoten (Q), Redaktionelles (Y, YF) und Zitate (Z).

Kategorien zur formalen Struktur Rubrikentyp Kategoriendefinition: Eine Rubrik ist eine im Layout erkennbare Einheit, die einen oder mehrere Beiträge unter einem Aspekt umfaßt. Beiträge und Beitragskonstellationen sind im Gegensatz dazu funktional und thematisch definiert (siehe Einleitung oben). Viele Beiträge stehen unter einer Rubrik. Die Kategorie „Rubrikentyp" verzeichnet, ob und wie eine Rubrik gekennzeichnet ist. Rubriken gelten als leserfreundlich, weil sie die Orientierung erleichtern. Die Kategorie dient auch der Abfrage zur Gewichtung von Kultursparten, denn nicht jede Sparte wird einer Rubrik wert geachtet. Kodierregel und operational Definition: Die Skalierung ist nominal. Eine Mehrfachkodierung war nicht möglich. War eine Rubrik durch mehrere Typen gekennzeichnet (etwa durch Layout und Name), dann wurde das umfassendere kodiert (der Name). In das alfanumerische Feld wurde eines der folgenden Kürzel eingetragen: 0 = Beitrag steht unter keiner Rubrik PLA = allein durch den Platz gekennzeichnet LAY = allein durch das Layout im engeren Sinne gekennzeichnet (Signets, Kästen o.a.) NAM = durch Name gekennzeichnet Textlänge Kategoriendefinition: Als Text zählte der Textkörper (auch Fließ- oder Petittext genannt) mit Vorspann und eventuell beigestellten Textbausteinen (z.B. Info-Kasten). Nicht dazu gerechnet wurden Überschriften, Zwischenzeilen, Motti, montierte Zitate, Verfasserzeilen und jede Art von Bildtexten. Gezählt wurde zunächst in der Spaltenbreite des jeweiligen Beitrags. Dieser Wert wurde dann zur Vergleichbarkeit umgerechnet auf die Standardspaltenbreite von 40 Anschlägen. Kodierregel und operational Definition: Die Skalierung ist metrisch. In das numerische Feld wurde in ganzen Ziffern die Zeilenanzahl eingetragen, bei mehreren Bausteinen (etwa Haupttextkörper plus Info-Kasten) deren Zeilensumme (bereits umgerechnet auf Einheitsbreite von 40 Anschlägen).

338 Formale Bausteine Kategoriendeßnition: Formale Bausteine sind Elemente eines Beitrags, die sich durch ihre äußere Form (Layout, Typografie) klar abgrenzen lassen und nicht selbst als Beitrag zählen. Beispiele sind: die Überschrift, der Vorspann, der Textkörper/Fließtext, das Bild, der Bildtext, Zwischenzeilen, Infokästen, Servicedaten, Wertungszeichen. Kodierregel und operational Definition: Kodiert wurden die nachfolgend aufgeführten und definierten Bausteine jeweils in einem extra Datenbankfeld. Eingetragen wird in ein numerisches Feld die Anzahl bei Bild, Infokasten und Zwischenzeilen, das Vorkommen oder Nichtvorkommen in ein logisches Feld bei Servicedaten und Wertungszeichen. B = Bild Das Bildelement kann ein Foto, eine Grafik, ein Schaubild, eine Zeichnung etc. sein. K = Infokasten Als Infokasten zählt ein einem Artikel beigestellter Kasten (meist durch Linien und/ oder Farbe hervorgehoben), in dem knapp Sachinformationen ergänzt werden. Das sind in der Regel Wort- oder Sacherklärungen, biographische Daten einer im Text behandelten Person (zum Beispiel bei einem Interview), historische Daten zum Verlauf eines Geschehens (eine Kurzchronik zur Einordnung), Vergleichsfalle etc. S = Servicedaten Servicedaten stehen in der Regel am Ende des Beitrags in einem extra Absatz, oft hervorgehoben durch Kursiv- oder Fettdruck. Sie vermitteln wie Infokästen Faktenwissen, doch zeichnet sich dieses bei Servicedaten durch eine Handlungsrelevanz aus. Das heißt: Die Informationen können den Leserinnen und Lesern dazu dienen, sich für oder gegen eine Rezeption des behandelten Kulturprodukts zu entscheiden. Solche Servicedaten sind beispielsweise filmografische Angaben (mit Nennung des auffuhrenden Kinos) bei Kinofilmen oder bibliografische Angaben (mit Verlag und Preis) bei Büchern. W = Wertungszeichen Kulturprodukte bewerten kann man auf sehr unterschiedliche und komplexe Weise durch Worte. Immer häufiger aber werden die Kritikformen ergänzt oder ersetzt durch Wertungszeichen. Bewertet wird mit Sternchen (hier zählt die Anzahl), mit Säulen (hier zählt die Prozentzahl der Auffüllung), mit erhobenem oder gesenktem Daumen, mit lachenden oder weinenden Gesichtern und vielen anderen Formen. Z = Zwischenzeilen Einspaltige Überschriften im Fließtext heißen Zwischenzeilen oder Zwischentitel. Sie gliedern den Text sachlich, lassen besonders längere Texte nicht so wuchtig erscheinen und haben zudem die Aufgabe, Leserinnen und Leser, die die Lektüre abgebrochen haben, wieder zum Einstieg in den Text zu motivieren.